Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Der Deutsche Bundestag trauert um sein Mitglied Dr. Hans Hubrig, der in den frühen Morgenstunden des gestrigen Tages nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist.
Hans Hubrig wurde am 15. April 1924 in Celle geboren. Nach Abitur und Kriegsdienst studierte er von 1945 bis 1950 Pädagogik, Psychologie und Soziologie an der Universität Göttingen und schloß sein Studium mit der Promotion im Fach Pädagogik ab. Nach vierjähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen trat er in die Geschäftsführung der familieneigenen Unternehmen ein.
Hans Hubrig hat sich auf allen Ebenen des politischen Lebens mit großem Einsatz betätigt. Viele Jahre war er Ratsmitglied seiner Heimatgemeinde, danach seit 1973 Fraktionsvorsitzender im Kreistag des Landkreises Celle und von 1974 bis 1976 Mitglied des Niedersächsischen Landtages.
Dem Bundestag hat er in der 6. Wahlperiode und wieder seit der 8. Wahlperiode angehört. Er war Mitglied des Ausschusses für Forschung und Technologie und stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses.
Schwerpunkte seiner politischen Arbeit waren die Energiepolitik und die Forschungsförderung. In zahlreichen Veröffentlichungen hat er zu diesen Themen kenntnisreich Stellung genommen.
Der Deutsche Bundestag verliert mit Hans Hubrig einen kochgeschätzten und fähigen Abgeordneten. Den Angehörigen und der CDU/CSU-Fraktion spreche ich im Namen des Deutschen Bundestages aufrichtige und herzliche Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Hans Hubrig ein dankbares und ehrendes Gedenken wahren.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU, SPD und FDP Verfahren der EG-Kommission gegen den Zehnten Rahmenplan der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
- Drucksache 9/1449 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Debattenrunde vereinbart worden. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es wird dementsprechend verfahren.
Zum Wort hat sich der Herr Abgeordnete Unland gemeldet. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 6. November 1981 auf der Grundlage des Art. 93 des EWG-Vertrages ein Prüfverfahren gegen den Zehnten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" eingeleitet und darin Bedenken gegen die Regionalförderung in 15 Arbeitsmarktregionen der Bundesrepublik Deutschland erhoben. Dieses Prüfverfahren wirft vielfältige Grundsatzprobleme der Regional- und Wettbewerbspolitik im Rahmen der EG auf und läßt sich in seinen Gesamtauswirkungen, die sich möglicherweise mittel-und längerfristig für die regionale Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik Deutschland ergeben können, gar nicht ernst genug nehmen. Um so mehr freue ich mich, daß es in dieser für unser Land wichtigen Frage zu einer einheitlich ablehnenden Haltung aller Fraktionen dieses Hauses gekommen ist.
Mit Ihrem Prüfverfahren, meine Damen und Herren, greift die EG-Kommission erstmalig auf Grund der Wettbewerbsvorschriften in den Art. 92 und 93 des EWG-Vertrages ein gesamtes, in sich geschlossenes nationales Fördersystem an und verlangt, daß der Festlegung der deutschen Fördergebiete völlig andere Kriterien zugrunde gelegt werden, als sie die zuständigen Instanzen in Bund und Ländern gemeinsam beschlossen haben. Dies geschieht unmittelbar, nachdem sich Bund und Länder in einer beispielhaften politischen Kraftanstrengung im vergangenen Jahr auf eine sehr deutliche Reduzierung der regionalen Wirtschaftsförderung in gebietsmäßiger und finanzieller Hinsicht geeinigt und damit unter Beweis gestellt haben, daß sie die regionalen
Beihilfen in den sachgerechten und problemadäquaten Grenzen halten wollen.
Selbstverständlich erkennen auch wir die Notwendigkeit und auch die Befugnis der EG-Kommission an, im Rahmen der erforderlichen Wettbewerbspolitik des Gemeinsamen Marktes nicht nur die sektoralen, sondern auch die regionalen Beihilfen zu kontrollieren, soweit sie die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen in sich tragen. Hierüber gibt es für uns keine Diskussion. Entscheidend aber ist, daß sich die Kommission streng an die Zielsetzung und an den rechtlichen Rahmen der wettbewerblich orientierten Kontrolle des Art. 92 EWG-Vertrag halten und entsprechend die angelegten Kriterien wettbewerbspolitisch ausrichten muß. Auf keinen Fall dagegen, so meinen wir, darf die EG-Kommission eine eigene regionalpolitische Konzeption an die Stelle der jeweiligen nationalen Regionalpolitik setzen. Dies verbietet schon allein die Grundsatzbestimmung des Art. 104 EWG-Vertrag, worauf in dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses auf Drucksache 9/1449 auch nachdrücklich hingewiesen wird.
Meine Fraktion sieht in der unverkennbaren Tendenz des Prüfverfahrens zum Zentralismus in der Regionalpolitik einen der bedenklichsten Aspekte des Vorgehens der EG-Kommission. Diese Tendenz zeigt sich übrigens auch in den Vorschriften über die sogenannte Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken im Vorschlag der Kommission für eine neue Verordnung über den Europäischen Regionalfonds.
Unsere bundesstaatliche Ordnung sieht aus guten Gründen vor, daß die primäre Zuständigkeit für die regionale Wirtschaftsförderung bei den Ländern liegt. Es erscheint unvorstellbar, daß in der Europäischen Gemeinschaft die regionalpolitischen Befugnisse der Mitgliedstaaten noch weiter zurückgedrängt werden sollen. Damit die Effizienz der Regionalpolitik im Rahmen der Gemeinschaft etwa steigern zu wollen, erscheint uns schlechthin ein absoluter Irrweg.
Neben diesen politischen Bemerkungen muß auch auf gravierende Mängel des methodischen und gedanklichen Grundansatzes der EG-Kommission hingewiesen werden. Ich meine hier vor allem die primäre Anwendung von Gemeinschaftsdurchschnitten, die ich für gänzlich ungeeignet halte, die regionalpolitischen Probleme in den einzelnen Mitgliedstaaten sachgerecht zu verdeutlichen, geschweige denn etwa wettbewerbspolitisch orientierte Maßstäbe zu liefern.
Ganz unabhängig davon ist die Beschränkung auf lediglich zwei Indikatoren, nämlich Arbeitslosenquote und Bruttoinlandsprodukt, mehr als fragwürdig. Es ist mir unverständlich, wie etwa die Arbeitslosen- und Einkommensentwicklung in Irland, Griechenland oder in Zukunft vielleicht auch in Portugal oder Spanien in irgendeinem Zusammenhang mit den regionalwirtschaftlichen Problemen etwas des Emslandes, Nordfrieslands, Oberbayerns oder des Ruhrgebietes oder des Münsterlandes gebracht werden kann.
Meine Fraktion appelliert daher an die Kommission, die großen und erfolgreichen Bemühungen von Bund und Ländern zur sachgerechten Eingrenzung der deutschen Regionalförderung anzuerkennen und nicht zu versuchen, das ausgewogene deutsche System der Gemeinschaftsaufgabe zu erschüttern. Vordringlich ist vielmehr, solche Beihilfen in allen Mitgliedstaaten unter gleichen Bedingungen zu kontrollieren, von denen nachweislich schwerwiegende Wettbewerbsverfälschungen und damit schwerwiegende Gefahren für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ausgehen. Hier hat die EG-Kommission, wie wir meinen, noch ein umfangreiches Betätigungsfeld.
Noch kurz ein Wort zur Zonenrandförderung. Die EG-Kommission hat in diesem Verfahren zwar keine unmittelbaren Bedenken gegen die Zonenrandförderung erhoben, aber mit ihrem Begehren nach einem Bericht über die Entwicklung des Zonenrandgebietes auch in seinen jeweiligen Einzelregionen ihre Auffassung erneuert, daß Art. 92 EWG-Vertrag keine einheitliche Garantie für die Zonenrandförderung insgesamt beinhaltet. Deswegen legt die CDU/CSU-Fraktion besonderen Nachdruck darauf, daß die Bundesregierung konsequent gegenüber der EG-Kommission ihren Standpunkt weiter vertritt, daß Art. 92 EWG-Vertrag eine ausdrückliche Bestandsgarantie für die Förderung des Zonenrandgebietes als Einheit enthält.
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Wir meinen, daß bereits die deutsche Reaktion auf das Auskunftsbegehren der Kommission diesem deutschen Rechtsstandpunkt entsprechen und alles vermeiden muß, was einem Auseinanderdividieren der einzelnen Teile des Zonenrandgebietes Vorschub leisten könnte.
Die CDU/CSU-Fraktion möchte mit Ihrer Zustimmung zu dem gemeinsamen Antrag auf Drucksache 9/1449 die nachdrückliche Aufforderung an die Bundesregierung richten, das bewährte System der deutschen Regionalförderung mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Die Fraktionen des Deutschen Bundestages unterstützen einmütig den Einspruch der Bundesregierung gegen das Verfahren der EG-Kommission gegen den Zehnten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Nach gründlichen Diskussionen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß die Einwände der EG-Kommission weder den regionalpolitischen Notwendigkeiten noch den wettbewerbspolitischen Zielsetzungen des Art. 92 des EWG-Vertrages gerecht werden. Zum ersten, weil Art. 104 des EWG-Vertrages es jedem Mitgliedstaat als Recht, aber auch als Pflicht auferlegt, eine wirksame Regionalpolitik zum Abbau nationaler Disparitäten zu betreiben. In der Bundesrepublik
sind Regierung und Parlament sogar durch unser Grundgesetz zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse verpflichtet.
Für uns Sozialdemokraten ist es eine unerträgliche Vorstellung, die Menschen unseres Landes in sechs oder sieben Ballungsgebieten zu „verdichten" und sich den Rest des Landes als zersiedeltes Erholungs- und Fremdenverkehrsgebiet in den landschaftlich reizvollen Gebieten oder als landwirtschaftlich genutzte, dünn besiedelte Fläche vorzustellen, in der die Stadtkinder Kühe und Schafe wie im Zoo bestaunen dürfen. Für uns gehören die kulturellen und städtebaulichen Schätze alter Reichsstädte und die reizvollen Marktflecken Schwabens, Frankens und Ostbayerns - um nur Beispiele aus meiner bayerischen Heimat zu nennen - zu einem kostbaren kulturellen Erbe, von dem wir meinen, daß wir es nur dann erhalten können, wenn es Menschen, in ausreichender Zahl gibt, die diese Gegenden bevölkern, die daran interessiert und auch finanziell in der Lage sind, ihre Heimat, ihr landschaftliches und kulturelles Erbe zu bewahren. Wir verstehen darunter jedoch nicht den Stuttgarter Arzt oder Industriellen, der ein historisch reizvolles Gebäude in einer reizvollen Kleinstadt als Zweitwohnung unterhält, sondern wir meinen den heimischen Handwerker, den Arbeiter, den Angestellten, den Bauern, die in ihrer Heimat weiter leben wollen.
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Dazu gehört als erstes, daß sie in ihrer Heimatregion vernünftige , d. h. qualifizierte zukunftssichere, ausreichend bezahlte und humane Arbeitsplätze bekommen. Wir halten es für politisch und menschlich unzumutbar, diesen Menschen zu sagen, erst müsse ihre Heimat allmählich oder schnell ausbluten, vielleicht das Schicksal des Mezzogiorno oder gar Kalabriens teilen, um dann mit dem Segen der EG-
Kommission diese Gebiete zu Notstandsgebieten ausrufen zu können und wieder fördern zu dürfen.
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Wir alle wissen aus gemeinsamer Erfahrung, wie schwierig es ist, einmal vernichtete Arbeitsplätze wieder aufzubauen, wie schwierig es ist, Neuansiedlungen von Industrie und Gewerbe zu erreichen, und daß dieses Ziel ein aussichtsloses Unterfangen wird, wenn die jungen Menschen, die Facharbeiter und qualifizierte Dienstleistungsberufe aus einer Region abgewandert sind.
Jede Krise, jeder ökonomische Einbruch bedroht die schwächeren Regionen mit ihrer Vielzahl von kleinen und mittleren Betrieben mehr als die Ballungsgebiete. Jeder Einbruch zieht uns gut qualifizierte Fachkräfte in die Ballungsgebiete ab. Jeder Einbruch bedeutet einen gefährlichen Aderlaß, der nur in Jahren geduldiger, zäher und auch kostspieliger Aufbauarbeiten wieder wettzumachen ist - wenn überhaupt.
Deswegen und nicht etwa, weil wir uns von der EG-Kommission nicht hereinreden lassen wollen - wenn die Argumente vernünftig sind, warum nicht? -, können wir es nicht akzeptieren, daß die EG-Kommission ihre Kritik am Zehnten Rahmenplan entscheidend auf die Abweichung vom Gemeinschaftsdurchschnitt bei den aktuellen Arbeitslosenquoten und dem Bruttoinlandsprodukt bezieht. Die Kommission hat dabei drei weitere Indikatoren des Zehnten Rahmenplans weitgehend unberücksichtigt gelassen, nämlich Lohn- und Gehaltssumme je Arbeitnehmer, Arbeitskräftereservequotient und den Infrastrukturindikator, und zwar mit der Begründung, daß Vergleichswerte für die Gemeinschaft fehlten.
Es ist fürwahr ein erstaunliches Argument: Eine analytische und materielle Verbesserung des wirtschaftlichen Instrumentariums sollte nicht zulässig. sein, ja nicht einmal diskutabel sein, weil anderswo anders gerechnet wird?
Für uns besonders ärgerlich ist die Ausblendung des Arbeitskräftereservequotienten, der eine Arbeitsmarktprognose bis 1985 enthält. Das ist deshalb besonders ärgerlich, weil die Kommission selbst von allen Mitgliedstaaten bei der Einreichung der nationalen regionalen Entwicklungsprogramme die Festlegung von quantitativen Entwicklungszielen im Bereich der Beschäftigung verlangt hat. Damit sollte abgeschätzt werden, in welchen Regionen absehbar Arbeitsplatzdefizite entstehen und auf welche Gegenden Fördermittel konzentriert werden müssen.
Bund und Länder sind im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten diesem Rat gefolgt und müssen nun erleben, daß die EG-Kommission dieser Prognose selbst dann keinerlei Wert zumißt, wenn die prognostizierten Arbeitslosenraten recht hoch sind. Müssen wir das Kind wirklich erst in den Brunnen fallen lassen und dann mit aufwendigen Rettungsmanövern wieder heraufseilen, statt jetzt den Brunnenrand zu sichern?
Ich will hier die Untersuchungsmethode der Kommission nicht im Detail durchdiskutieren. Einiges hat der Kollege Unland dazu bereits gesagt. Ich will sie hier auch nicht bewerten. Ihren wissenschaftlichen Ruf haben die Beamten der Kommission damit nicht gerade gefestigt. Ich möchte nur noch auf zwei Gesichtspunkte eingehen: 1. die Vernachlässigung der Wanderungsbewegungen zwischen den deutschen Regionen, 2. die Einwände gegen Umfang und Intensität der deutschen Regionalförderung.
Bedauerlicherweise hat es die Kommission versäumt, die Wanderungsbewegungen zwischen den deutschen Regionen in ihre Betrachtungen mit einzubeziehen. Hätte sie es getan, so hätte sie feststellen müssen, daß ein Teil der von ihr beanstandeten Regionen zu den besonders abwanderungsgefährdeten Räumen gehören. Setzen wir hier die regionale Wirtschaftsförderung aus, so käme es zu einer weiteren Konzentration der Wirtschaftstätigkeit in den Ballungsräumen und zu einem Ausbluten der ländlichen Räume, nicht aber, wie einzelne Kommissionsmitglieder zu meinen scheinen, zu Wanderungen in Regionen mit deutlich geringerem Entwicklungsstand innerhalb der EG wie z. B. Süditalien, Irland oder Griechenland.
Bei den Einwänden gegen Umfang und Intensität der Regionalförderung läßt die Kommission unerwähnt, daß die Bundesregierung mit dem 10. Rah5714
menplan in einer großen politischen Anstrengung die Fördergebiete verkleinert hat - und zwar stärker, als die Kommission es gefordert hatte - und daß sie vor allem die Haushaltsmittel für die Investitionszuschüsse um 20 v. H. gekürzt hat, und dies alles in einer Zeit konjunktureller und struktureller Krisen, in der sich Branchen- und Sektorenkrisen durch industrielle Monostrukturen in gefährlich hohen regionalen Arbeitslosenraten niederschlagen.
Wer sieht, mit welcher Aufmerksamkeit, ja Geduld die Kommission sektorale Krisen beachtet und welche Subventionssummen z. B. allein für den Claes-Plan in Belgien zur Unterstützung der Textilindustrie von der Kommission genehmigt worden sind, nämlich immerhin 1,5 Milliarden, der fragt sich, ob beim Thema „Wettbewerbsverzerrung" nicht bei der Branchenförderung und bei der Regionalförderung mit zwei sehr verschiedenen Ellen gemessen wird.
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Ebenso weisen wir Sozialdemokraten den wiederholten Versuch der Kommission zurück - und die Forderung nach einem neuen Bericht betrachten wir bereits als Vorstufe eines solchen Versuches -, entgegen der Bestandsgarantie des Art. 92 Abs. 2 c des EWG-Vertrages die Zonenrandförderung anzutasten.
Was uns aber an den ja nicht zum ersten Mal vorgetragenen Anwürfen der EWG-Kommission mit am meisten beunruhigt, ist die Uneinheitlichkeit der Argumentation in den Verfahrenseröffnungen der letzten Jahre. Immer waren es andere Fördergebiete, bei denen die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt in Zweifel gezogen wurde. Diese häufigen und uneinheitlichen Attacken der Kommission verunsichern notwendigerweise potentielle Investoren. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir aber in den schwächeren Regionen eine stetige staatliche Politik, die ermuntert, Vertrauen schafft und Perspektiven aufzeigt. Die Kommission ist herzlich gebeten, das Ihre dafür zu tun.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich nach diesen qualifizierten und in der Sprache komplizierten Reden - es war viel von sektoralen Indikatoren und Monostrukturen die Rede - kurz machen. In meiner einfachen Sprache möchte ich für die FDP-Fraktion folgendes erklären.
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In Zeiten härteren Wettbewerbs ist es enorm wichtig, daß sich die Bundesregierung große Mühe gegeben hat, diesen Einspruch der EG-Kommission von der Sache und der Methode her zurückzuweisen. Es ist ja bereits in hervorragender Weise dargetan worden, daß sowohl die Methode als auch die statistischen Grundlagen der EG-Kommission keinesfalls ausreichen, diese Klage zu begründen.
Ich freue mich ebenfalls darüber, daß die Bundesländer bei der Erarbeitung so gut mitgewirkt haben. Ich weiß - und es ist wichtig, das hier zu sagen -, daß die Bundesregierung wie wenige europäische Regierungen die frühere Kritik an einer zu breiten und undifferenzierten - ich möchte sagen, nicht gezielten - Regionalförderung ernstgenommen und, wenn Sie so wollen, übererfüllt hat. Die Kommission wollte, daß wir den Bevölkerungsanteil der Gebiete, die gefördert werden, vermindern, und statt um 2,6 % haben wir ihn um 4,4 % vermindert. Wir haben die Höchstsätze der Förderung vermindert, und wir haben trotz heftigem Widerstand der betroffenen Bürgermeister die Haushaltsmittel der Gemeinschaftsaufgabe um 20 % abgesenkt, was gerade mein Bundesland Baden-Württemberg voll getroffen hat; wir haben inzwischen nur noch ein kleines Fördergebiet.
Deshalb auch an dieser Stelle mein Wunsch an die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, doch eine gewisse Doppelzüngigkeit einzustellen. Herr Unland - ich schätze Sie als Kollegen -, es ist wichtig, daß wir dabei bleiben. Wir können vor der EG bestehen, wenn wir bei dieser Konzentration der Fördermittel in der Gemeinschaftsaufgabe bleiben. Ich habe dann aber auch die Bitte um Unterstützung in den Wahlkreisen, wo genau das Umgekehrte gemacht wird, wo uns die lieben Kollegen von der CDU wegen dieser Konzentration der Förderung permanent angreifen. Das ist nicht in Ordnung. Wir müssen bei dieser Konzentration bleiben.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist der, daß wir schlechte Erfahrungen mit der Verwaltung der Regionalförderung in Europa haben. Sie ist doch relativ bürokratisch, also beamtenhaft, sie ist fern von den Regionen, während natürlich die Bundesländer viel besser in der Lage sind, die eigentlichen Strukturschwächen und Entwicklungsschwächen zu erkennen. Das halte ich für wichtig.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, was die Frau Kollegin gesagt hat, daß gerade jetzt in Zeiten schwächeren Wirtschaftswachstums aus verschiedenen Gründen der Rückzug in die Ballungsgebiete erfolgt. Wir im Parlament haben leider durch verschiedene Einzelmaßnahmen im verkehrspolitischen Bereich, im Straßenbaubereich, im Bildungsbereich laufend dafür gesorgt, daß der strukturschwache Raum eher noch schwächer wird und daß die Ballungsgebiete eher stärker werden.
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In einer solchen Zeit ist es enorm wichtig, die Förderkulisse beizubehalten und Gebiete, wenn auch in geringerem Umfang und in konzentrierterer Form, zu fördern. Im übrigen sind wir der Meinung, daß dies auch durch Art. 104 des EG-Vertrages gedeckt ist, wonach es zu einer gesamtwirtschaftlichen gleichmäßigen Förderung der verschiedenen Regionen kommt. Letztlich ist doch entscheidend, daß bei aller Wettbewerbsgleichheit die nationalen Regierungen nach wie vor ihre Möglichkeiten behalten müssen, verschiedene Entwicklungsgefälle und verschiedene Standortnachteile nicht über EG-Maßstäbe, sondern über ihre eigenen nationalen Maßstäbe auszugleichen.
Für die FDP-Fraktion ist klar, daß die Bestandsgarantie für die Zonenrandförderung weiter gilt.
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Ich wundere mich, daß dies überhaupt ein Thema der EG-Kommission sein kann.
Ich schließe mich an - Herr Unland wird es mit Zähnen und Klauen tun, wir tun es mit unserer kleinen Fraktion -, daß wir die Bundesregierung in ihrer Position gegenüber der Kommission unterstützen und daß wir dem weiteren Verfahren in großer Gelassenheit entgegensehen. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe vorhin beobachtet, als der Kollege Haussmann ankündigte, er werde kurz sprechen, daß der Abgeordnete Haase ({0}) dem sehr wohlwollend zugenickt und sogar auf einen Zwischenruf verzichtet hat.
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Deswegen will ich es ebenfalls sehr kurz machen.
Ich möchte mich bedanken für die einhellige Unterstützung durch den Bundestag, die die Bundesregierung erfährt. Wir sind mit dem, was hier vorgetragen worden ist, in vollem Umfang einverstanden. Diese Haltung des Deutschen Bundestages stärkt unsere Position gegenüber der Kommission. Die Bundesregierung wird sich wie bisher darum bemühen, die Bedenken, die in Brüssel vorgebracht worden sind, insbesondere gegen den 10. Rahmenplan, zu zerstreuen. Wir glauben, daß wir auch deswegen in einer guten Lage sind, weil wir vielen Bedenken der Kommission hinsichtlich der Ausdehnung der Förderung, die früher vorgebracht worden sind, gerade bei den Kürzungen der Gemeinschaftsaufgabe mit dem 10. Rahmenplan entgegengekommen sind.
Noch einmal herzlichen Dank für Ihre politische Unterstützung!
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 9/1449 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Antrag ist daher einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 und 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu der aufhebbaren Neunundvierzigsten Verordnung der Bundesregierung
zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 9/1239, 9/1471 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Funke
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) zu der aufhebbaren Einundfünfzigsten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 9/1238, 9/1471 Berichterstatter:
Abgeordnete Echternach Funke
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für diese Aussprache eine Kurzdebattenrunde vereinbart worden. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Wir werden so verfahren.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Echternach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Debatte stehende Verordnung ist die Konsequenz der Entscheidung der Bundesregierung, dem 3. Internationalen Kakao-Abkommen beizutreten und dieses Abkommen in der Bundesrepublik in Kraft zu setzen. Aber anstatt das Abkommen dem Bundestag ordnungsgemäß zur Ratifizierung vorzulegen, wie Art. 59 des Grundgesetzes dies verlangt und wie das auch bei früheren Abkommen geschehen ist, versteckt die Bundesregierung ihre Entscheidung verschämt hinter der soundsovielten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung.
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Ich weiß nicht, ob der Bundesregierung, Herr Kollege Wolfram, der ganze Vorgang peinlich ist, ob ihr möglicherweise die Argumente ausgegangen sind, weil ja die fachlich zuständigen Minister, wie wir wissen, vor diesem Abkommen dringend gewarnt haben. In jedem Falle aber ist dieses Abkommen wesentlich schlechter als seine beiden Vorläufer und gleichzeitig auch ein Paradebeispiel für die verfehlte Rohstoffpolitik dieser Regierung, die nicht mehr nach wirtschaftlicher und finanzieller Vernunft fragt, sondern nur opportunistisch agiert und dem Drängen der Länder der Dritten Welt nach einer neuen, dirigistischen Weltwirtschaftsordnung Schritt für Schritt nachgibt.
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Schon die ersten beiden Abkommen von 1972 und 1975 haben ihr Ziel, extreme Preisschwankungen zu verhindern, in keinem Fall erreichen können. Das einzige Ergebnis waren eine neue internationale Bürokratie in London mit einem erheblichen Verwal5716
tungsapparat - nicht gerade billig - und gleichzeitig erhebliche zusätzliche Verwaltungsmehrarbeit für unsere Importeure.
Dieses 3. Kakao-Abkommen krankt daran, daß es ein Drittel des Welthandels nicht erfaßt, daß sowohl das größte Erzeugerland, die Elfenbeinküste, als auch das größte Verbraucherland, die USA, dem Abkommen nicht beigetreten sind. Ich frage mich, welchen Wert denn ein solches Rumpfabkommen für uns überhaupt noch hat. Dem Kernstück des Abkommens, dem Ausgleichslager, fehlt damit ein wesentlicher Teil der erforderlichen Einkünfte, von den wirtschaftlichen Risiken des so entstandenen gespaltenen Marktes erst gar nicht zu reden. Dabei sollte das Abkommen nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur in Kraft treten, wenn 80 % der Erzeugerländer und 70 % der Verbraucherländer diesem Abkommen beigetreten sind; beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt worden. Deshalb hat die Bundesregierung im Juni letzten Jahres im Bundestag erklärt, sie habe ausdrücklich beschlossen, dieses Abkommen nicht in Kraft zu setzen. Daß sie dann drei Wochen später das Gegenteil tat, hat sie bis heute nicht begründet. Auch in der Bundestagsdrucksache, die uns heute vorliegt, hat sie nicht begründet, warum sie dann drei Wochen später das Gegenteil beschlossen hat.
Dies ist um so unbegreiflicher, als dieses Abkommen auch noch in einem anderen wesentlichen Punkt schlechter ist als seine Vorläufer: Während in den früheren Abkommen die Interventionspreise deutlich unter den Weltmarktpreisen lagen, ist es diesmal genau umgekehrt. Mit anderen Worten: Hier geht es also nicht mehr um das sicher anerkennenswerte Ziel der Stabilisierung der Rohstoffpreise, sondern hier geht es nur darum, daß die Preise mit Hilfe dieses Abkommens künstlich in die Höhe getrieben werden sollen. Während in den früheren Abkommen die Interventionspreise so realistisch festgesetzt waren, daß sie nur als Absicherung gegen ein zu starkes Absinken der Preise dienten mit der Konsequenz, daß der Buffer Stock, das Ausgleichslager, nicht zu intervenieren brauchte, sondern erhebliche finanzielle Rücklagen bilden konnte, sind die Mindestpreise jetzt so hoch festgesetzt worden, daß die deutschen Verbraucher jährlich 250 Millionen DM zusätzlich aufbringen müßten, wenn das angestrebte Ziel dieser Mindestpreise erreicht werden soll. Da die Rechnung in Devisen zu begleichen ist, bedeutet es gleichzeitig auch eine Verschlechterung unserer Leistungsbilanz um diese 250 Millionen DM. Dabei stieg der untere Interventionspreis in den letzten neun Jahren vom Ersten Kakao-Abkommen 1972 bis jetzt um über 450 %. Solange der Welthandel noch frei funktioniert, klappt es glücklicherweise mit derartig politisch festgesetzten Preise nicht so recht.
Zwar hat der Buffer Stock, das Ausgleichslager, in den letzten Monaten seit dem Abkommen im letzten Jahr kräftig Kakao aufgekauft und eingelagert; dennoch liegt der Weltmarktpreis immer noch 15 bis 20 % unter dem unteren Interventionspreis. Es muß also weiter interveniert werden. Da keine Mittel mehr vorhanden sind und da es bekanntlich der
Fluch der bösen Tat ist, daß sie fortzeugend Böses muß gebären, hat inzwischen der internationale Kakaorat auch beschlossen, die Exportabgabe schlicht zu verdoppeln und sich außerdem auch noch am internationalen Kapitalmarkt kräftig zu verschulden.
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- So ist es. Die Frage ist, ob wir daraus nicht lernen sollten.
Aber auch diese Mittel werden nicht ausreichen, wenn man berücksichtigt, welche Produktionsüberschüsse zusätzlich auf den Weltmarkt drängen. 500 000 Tonnen nicht verkaufte Produktionsüberschüsse waren es in den letzten Jahren, und in diesem Jahr werden noch einmal wieder 100 000 Tonnen Produktionsüberschüsse auf den Markt kommen. Mit anderen Worten, also eine wesentlich größere Menge, als es überhaupt der Höchstmenge des Ausgleichslagers entspricht. Hier tut sich also ein Faß ohne Boden auf.
Als wenn wir nicht schon anderswo, wie soeben mit einem Zwischenruf deutlich wurde, Erfahrungen mit staatlich subventionierter und geförderter Überschußproduktion gesammelt hätten, sehen wir einmal mehr, wohin es führt, wenn die Preise nicht vom Markt gemacht, sondern politisch festgesetzt werden. Die Leidtragenden sind aber unsere Bürger, die diesen Unsinn auch noch durch überhöhte Preise bezahlen müssen.
Nun erklärt die Bundesregierung, nicht gegenüber dem Bundestag, wohl aber gegenüber den betroffenen Verbänden, sie habe sich über die fachlichen Bedenken wegen ihrer Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern hinweggesetzt. Ich frage mich allerdings, warum die Bundesregierung ein Abkommen in Kraft setzt, dem maßgebliche Entwicklungsländer ferngeblieben sind, wie die Elfenbeinküste, Malaysia, Togo, Äquatorial-Guinea, Dominikanische Republik und andere, die nicht nur ihren Beitritt, sondern damit auch ihren Anteil an der Finanzierung des Ausgleichslagers verweigert haben und nun in der Lage sind, ihre Produkte um so kostengünstiger auf dem Weltmarkt anbieten zu können.
Es fragt sich auch weiter, ob die Subventionierung zu hoher Preise wirklich den Ländern der Dritten Welt in ihrer Entwicklung hilft oder nicht eher zu einer Ausweitung der Produktion und damit zur Überschußproduktion führt und gleichzeitig die Nachfrage bremst, obwohl es das Ziel dieses Kakao-Abkommens war, die Nachfrage anzuregen. Aber schon in der Vergangenheit haben wir gesehen, daß die Verarbeiter bei zu hohen Preisausschlägen nach oben auf Substitute und die Verbraucher auf preiswertere Süßwaren ausgewichen sind.
Vor allem aber zementiert die zu hohe Subventionierung von Rohstoffen, wie Kakao, die Monostrukturen in den betroffenen Entwicklungsländern, und sie verhindert so den notwendigen Strukturwandel, die notwendige Diversifizierung, die notwendige InEchternach
dustrialisierung und nimmt damit den Entwicklungsländern die Chance zu mehr Unabhängigkeit.
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Mit dem hier verpulverten Geld könnten sicher sinnvollere entwicklungspolitische Beiträge geleistet werden.
Dieses Dritte Kakao-Abkommen ist ein Lehrstück dafür, wohin der Ruf der Dritten Welt nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung,
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nach verstärkter staatlicher Lenkung und Planung des Welthandels führt, wenn die Industrieländer nicht den Mut finden, dem zu widerstehen und dieser Forderung entgegentreten, sondern ihr opportunistisch folgen.
Wie wenig sich die Bundesregierung in ihrer Rohstoffpolitik an wirtschaftlichen und finanziellen Tatsachen orientiert, zeigt auch ein Blick in die verschiedenen Schriften der Bundesregierung und insbesondere des zuständigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das hat vor drei Monaten eine Kinderfibel herausgebracht, in der schon die Kleinsten über die böse Rolle der Industrieländer unterrichtet werden. Dort heißt es wörtlich:
Die Menschen, bei denen Kakao wächst, verkaufen ihn an andere Länder. Aber was er kosten soll, dürfen sie nicht bestimmen. Das legen die anderen fest, ausgerechnet die, die die Schokolade nur aufessen.
Bei soviel Ignoranz gegenüber Tatsachen und Marktgesetzen verwundert dann auch die Rohstoffpolitik dieser Bundesregierung nicht mehr, deren jüngstes Produkt das Kakao-Abkommen ist. Niemand aber wird von der Opposition billigerweise verlangen können, daß sie einer solchen Rohstoffpolitik auch noch ihre Unterstützung gibt. Wie heißt es doch so schön bei Erich Kästner: „Was immer auch geschieht, nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken." - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leuschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was haben Kakao und ein Kakao-Abkommen mit dem Hauptthema des heutigen Tages, Beschäftigungsförderung, zu tun? Man könnte meinen: überhaupt nichts. Der Unterschied ist nur, meine Damen und Herren, einmal geht es um Arbeit, Stabilität und Wachstum in Deutschland, zum anderen in Ländern weit unten am Äquator. Und da, Herr Kollege Echternach, verschieben sich leicht die Perspektiven. Was hier billig ist, ist eventuell anderen noch lange nicht recht.
In der Sache stimmt die SPD-Fraktion der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses zu; sie will also vom Aufhebungsrecht des Bundestages keinen Gebrauch machen.
Maßgeblich hierfür sind erstens rechtliche Gründe, zweitens aber auch - das haben Sie selbst schon gesagt - entwicklungspolitische Gründe.
Beide Verordnungen beruhen auf der unmittelbar geltenden EG-Verordnung 2818/81. Rechtsgrundlage ist also nicht die Erklärung der Bundesregierung über die vorläufige Anwendung des Kakao-Abkommens, sondern der EWG-Vertrag, dem beide gesetzgebenden Körperschaften dieses Landes zugestimmt haben. Das Außenwirtschaftsgesetz sieht in § 27 ausdrücklich vor, daß der Bundestag in einem solchen Fall kein Recht zur Aufhebung der Verordnung hat. Durch den Erlaß der beiden Rechtsverordnungen ist die Bundesregierung demnach einer zwischenstaatlichen EG-Verpflichtung nachgekommen.
Im übrigen ist das Kakao-Abkommen ein sogenanntes gemischtes Abkommen. Die handelspolitischen Regelungen, die hier zur Diskussion stehen, fallen in die Zuständigkeit der Gemeinschaft, während die finanziellen Vorschriften, z. B. über die Beitragszahlungen, zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten gehören. Nur auf diesen einzelstaatlichen Zuständigkeitsbereich bezieht sich die vorläufige Anwendungserklärung der Bundesregierung. Herr Echternach, das Abkommen ist nicht endgültig in Kraft gesetzt worden, sondern nur vorläufig. Die Bundesregierung hat sich somit noch nicht endgültig gebunden, und das entspricht auch ständiger Staatenpraxis. Eine vorherige parlamentarische Zustimmung war demnach nicht erforderlich. Auch wir als SPD-Fraktion wollen uns natürlich nicht parlamentarische Rechte von der Regierung nehmen lassen. Das Kakao-Abkommen wird aber dieses Haus, wenn man Weiteres über das Gelingen feststellen kann, noch einmal beschäftigen. Eine ordentliche Ratifizierung nach dem Grundgesetz wird auch hier erfolgen. Präjudiziert wird daher nicht.
Wichtiger ist der SPD-Fraktion allerdings - und ich betone das sehr deutlich - der entwicklungspolitische Aspekt. Nicht nur wirtschaftliche und finanzielle Aspekte dürfen hier maßgebend sein. Entwicklungsländer, die auf die Ausfuhr eines oder weniger agrarischer Erzeugnisse oder meinetwegen auch mineralischer Rohstoffe angewiesen sind, haben unseres Erachtens einen Anspruch auf einen gewissen Mindestschutz, sprich Mindestpreis, für ihre Erzeugnisse.
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Ich gebe Ihnen natürlich recht: Es hat überhaupt keinen Zweck, wenn Phantasiepreise für Produkte festgelegt werden, wenn man restlos an der Nachfrage auf dem Weltmarkt vorbeigeht. Wir haben jetzt auch Erkenntnisse im Zusammenhang mit der OPEC gewonnen, daß Preise nichts Festes auf ewige Zeit sind.
Einen gewissen Mindestschutz für die Entwicklungsländer müssen gerade Industriestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland, die ihre ({1}) Fertigprodukte auch in diesen Ländern absetzen wollen, anerkennen. Ein Markt kann nur dann entstehen und gehalten werden, wenn diesen Ländern ein halbwegs fairer Preis für ihre Erzeugnisse gewährt wird, ein Preis, der nicht total abhängig ist von den
täglichen Schwankungen auf den Rohstoffbörsen in London oder Chicago.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Schwierigkeiten, die durch den zweiten Ölpreisschock gerade für diese Entwicklungsländer ausgelöst worden sind, hinweisen. Was bei uns eine schwere Krise ausgelöst hat, über die wir nachher noch zu reden haben werden, ist für viele dieser Länder eine absolute Katastrophe, die auch mit unserer Hilfe, die ja dann im übrigen auch nicht uneigennützig ist, überwunden werden muß.
Natürlich sind bei diesem Kakao-Abkommen Schwächen nicht zu übersehen, Herr Kollege Echternach, da sind wir uns einig. Das endgültige Gelingen dieses Abkommens ist noch offen. Auch wir würden uns wünschen, daß die beiden stärksten Partner auf dem Kakaomarkt, nämlich die Elfenbeinküste einerseits und die USA andererseits, diesem Abkommen beitreten, damit es seinen eigentlichen Zweck erfüllen kann.
({2})
Dem einen sind die Stützungspreise zu hoch; der Elfenbeinküste sind sie immer noch zu niedrig. Der Weltmarktpreis liegt, wie Herr Echternach betont hat, zur Zeit rund 15% unter dem Schätzungspreis von 110 Cents je Pfund. Aus diesem Grund hat der Internationale Kakaorat jetzt auch weitere Interventionen mit Hilfe einer neuen Kreditlinie von 75 Millionen Dollar durchgeführt. Im übrigen hat man sich, wie Sie wissen, bereits auch auf eine leichte Senkung des Stützungspreises geeinigt. Ich schätze, die harten Notwendigkeiten auf diesem Markt werden es auch weiterhin ermöglichen, daß dieser Stützungspreis noch etwas gesenkt wird. Beide Maßnahmen haben aus der Sicht der SPD-
Fraktion zumindest die Chance, daß das Abkommen im Interesse von Erzeugern und Verbrauchern funktioniert und eine Stabilisierung der Kakaopreise entsprechend dem langfristigen Markttrend gelingt.
Allerdings, Herr Echternach, Ihre Sorgen um die Monostrukturen in den Entwicklungsländern, die nicht verfestigt werden sollten, und Ihre Klagen über die Subventionierung von Überproduktionen erscheinen mir etwas makaber vor dem Hintergrund der gestrigen Debatte über den Agrarhaushalt. Wenn es um Ihre Klientel geht - und da haben gerade die Vertreter Ihrer Partei hier gestern sehr lautstark Forderungen erhoben -, dann können Subventionen für überproduzierte landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht hoch genug sein. Was im Inland also richtig ist, gerade aus der Sicht Ihrer Fraktion, die sich ja hier vehement gegen jede Änderung wendet, kann doch nicht, wenn es wirklich um die Ärmsten der Armen geht, falsch sein.
({3})
Das müßten Sie dann auch respektieren. Man kann nicht so doppelzüngig argumentieren. Wer im. eigenen Land - wohlgemerkt, wir sind immer noch ein Wohlstandsland im Nord-Süd-Gefälle - subventioniert, soll nicht mit spitzem Finger auf andere Länder zeigen. Ich darf daran erinnern, daß die Monostrukturen, die Sie ja beklagen, häufig noch ein Ergebnis der Politik der Kolonialmächte in diesen Ländern sind. Diese Monostrukturen können nur abgebaut werden, wenn die Länder für ihre jetzigen Produkte, oft ihre einzigen, derartige Preise erzielen, daß sie wirklich in andere Produkte investieren können und ihre ganze Wirtschaftsstruktur, wie man so schön mit einem Fremdwort sagt, diversifizieren können. Wenn Sie diese Länder mit ihrem einzigen Produkt den Schwankungen restlos aussetzen wollen, also den Kakao hier ganz billig trinken wollen, die Butter aber im Interesse der heimischen Landwirte ruhig teuer sein darf, dann scheint mir dies eine falsche Politik zu sein.
({4})
Wir dürfen nicht immer erst, wie beim Beispiel Öl, durch ein Kartell zur Einsicht gezwungen werden. Auch wenn es uns einmal etwas kostet, sollten wir im Nord-Süd-Bereich zu freiwilligen Leistungen bereit sein. Freiwilliges Handeln ist auch hier besser und liegt meines Erachtens im gemeinsamen Interesse der Industrieländer wie der Entwicklungsländer.
Wir unterstützen mit unserem heutigen Votum die Bundesregierung, die trotz verständlicher Bedenken - ich weiß, wie das Wirtschaftsministerium natürlich dazu gedacht hat, zum Teil teilen wir diese Bedenken j a auch - den Entwicklungsländern mit ihrem endgültigen Beschluß tatsächlich helfen und den dafür meines Erachtens noch maßvollen Preis zahlen will. Das Kakao-Abkommen wird den Bundestag noch einmal beschäftigen. Dann wird über das endgültige Gelingen dieses Abkommens zu sprechen sein. Heute unsere positive Stimme zur Empfehlung des Wirtschaftsausschusses.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsausschuß hat sich mit den vorliegenden Änderungsverordnungen ausführlich beschäftigt. Beide Änderungsverordnungen betreffen das Kakao-Abkommen.
Wir haben hier einige Ausführungen von Herrn Kollegen Echternach zur Rechtslage gehört, auch von Herrn Kollegen Leuschner.
Ich glaube, daß Herr Kollege Echternach, den ich als Juristen sehr schätze, hier völlig falsch liegt. Wir können mit dieser Außenwirtschaftsverordnung nicht in der Weise vorgehen, daß wir sagen, das sei noch nationale Kompetenz. Hier haben wir überhaupt keine Möglichkeit, auf Grund der EG-Verordnung 2818 aus dem Jahr 1981 materiellrechtlich tätig zu werden. Hier handelt es sich lediglich um formelle Angelegenheiten. Wir haben lediglich zu prüfen, ob wir in der Lage sind, über das formelle Recht materielles Recht zu beeinflussen. Das weiß Herr Echternach ganz genau.
Ich glaube, wir müssen hier ganz ehrlich miteinander sein. Diese 51. und auch die 49. Außenwirtschaftsverordnung können wir nur dann - um Ihre Worte zu wählen - kippen, wenn materielles Recht
und formelles Recht tatsächlich beeinflußt sind. Nur, Herr Kollege Echternach, ich habe den Eindruck, daß Sie die Rechtslage sehr genau erkannt haben,
({0})
aber versuchen wollen, hier über das Internationale Kakao-Abkommen zu reden, und gar nicht auf das eigentliche Thema kommen wollen. Wir sind auf Grund der EG-Richtlinien verpflichtet, dieser EG-Verordnung zuzustimmen. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln, Herr Echternach.
Die Bundesregierung hat zu Recht einige Zweifel daran gehabt, ob das Internationale Kakao-Abkommen das - wie wir in Hamburg sagen - Gelbe vom Ei ist. Und dies hat dazu geführt, daß die Bundesregierung zu Recht erst einmal gesagt hat: Wir wollen dieses Kakao-Abkommen vorläufig für ein Jahr in Kraft treten lassen; dann soll eine Überprüfung erfolgen. Diese Überprüfung wird von der EG nach Ablauf eines Jahres vorgenommen werden. Wir können noch gar nicht sagen, ob diese Überprüfung positiv oder negativ ausgeht.
Ich gebe Ihnen völlig zu, Herr Echternach, daß dieses Internationale Kakao-Abkommen unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten ganz erheblichen Bedenken begegnet. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Wir sind gemeinsam der Auffassung, daß internationale Rohstoffonds, ob für Mangan oder für Nickel oder für Kakao, im Grund genommen von Übel sind und den Entwicklungsländern, Herr Kollege Leuschner, überhaupt nicht helfen, weil diese Rohstoffonds, abgesehen davon, daß sie ein hohes Maß von Bürokratie erzeugen, die Märkte und Marktströme verändern, weil dadurch die Monostrukturen in den Entwicklungsländern nicht nur erhalten, sondern verfestigt werden und wir den Entwicklungsländern keinen Gefallen tun, wenn wir diese Monostrukturen erhalten. Wir sollten diese Länder - und das sollte auch unsere Politik in der Entwicklungshilfe sein - eher in die Lage versetzen, ihre Wirtschaftsstrukturen so zu gestalten, daß sie nicht mehr auf Monokulturen angewiesen sind. Wer auf Monokulturen angewiesen ist, ist natürlich automatisch auf die Abnehmerländer, und zwar häufig auf nur einige wenige Abnehmerländer, angewiesen.
Es spielt sicher auch eine Rolle, Herr Echternach, daß durch diese Rohstoffonds auch der deutsche Verbraucher und der deutsche Importhandel belastet werden. Aber ich würde diese Frage nicht so sehr in den Vordergrund stellen, ob die Tafel Schokolade 99 Pfennige oder 1,29 DM kostet. Unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten würde ich das nicht, wie Sie es getan haben, in den Mittelpunkt stellen.
Lassen Sie mich noch einige Worte zu der Rechtsfrage sagen, ob die Bundesregierung überhaupt verpflichtet ist, dieses vorläufige Kakao-Abkommen dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen. Darüber gibt es offensichtlich noch unterschiedliche Meinungen bei den Bundesministerien. Das Bundesjustizministerium scheint da anderer Meinung zu sein als die Handelsabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Als Jurist kann man
natürlich darüber streiten, ob Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes hier überhaupt Anwendung findet. Ich persönlich meine, daß hier ratifiziert werden muß, gebe allerdings zu, daß ich im internationalen Völkerrecht nicht so zu Hause bin. Aber ich glaube, darauf wird es im Ergebnis nicht ankommen.
Der Bundestag sollte sich als Gesetzgebungsorgan nicht wesentliche Maßnahmen von Gesetzgebungsorganen nehmen lassen, die nicht der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Ich meine hiermit die Europäische Kommission. Viele heute handelspolitisch wichtige Verträge sind gar nicht mehr in unserer Kompetenz oder in der Kompetenz der Bundesregierung; sie sind bereits in der Kompetenz der Kommission in Brüssel. Kein Parlament kontrolliert diese Entscheidungen. Ich halte das für bedenklich. Ich meine daher, daß solche Gesetze, die von materieller Bedeutung für die deutsche Bevölkerung sind, hier im Deutschen Bundestag behandelt werden sollten. Solche Verträge sollten das Parlament passieren.
Ich bitte daher im Namen meiner Fraktion die Bundesregierung, dieses Internationale Kakao-Abkommen dem Deutschen Bundestag alsbald vorzulegen, damit wir dann auch in der Lage sind, Herr Echternach, materiell über das zu diskutieren, was Sie hier eingeführt haben. Es gehörte eigentlich nicht hier hin, weil es sich bei dem, was wir zu beschließen haben, lediglich um formelles Recht handelt. - Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In der Tat ist es die Auffassung der Bundesregierung, wie der Kollege Leuschner es hier vorgetragen hat, daß nach § 27 Abs. 2 Satz 4 des Außenwirtschaftsgesetzes der Bundestag in einem solchen Fall kein Recht zur Aufhebung der Verordnung hat. „In einem solchen Fall" heißt: dann, wenn wir gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen im Wege einer Verordnung in innerstaatliches Recht mindestens bei der vorläufigen Anwendung umsetzen.
Wir prüfen zur Zeit, ob die endgültige Anwendung des Abkommens die Zustimmung des Parlaments erfordert. Sie können sich darauf verlassen, meine Damen und Herren, daß wir überhaupt keine Bedenken haben, was die sachliche Seite anlangt, dies im Parlament zur Diskussion zu stellen.
Ich bitte die Kollegen, die hier gesprochen haben, um Nachsicht, daß ich mich in eine offensichtlich hochwichtige Hamburger Angelegenheit einmische. Allerdings vermisse ich den Hamburger Bürgermeister und auch den Kollegen Kiep. So wichtig scheint es also für Hamburg auch wieder nicht zu sein.
({0})
Natürlich, Herr Kollege Leuschner - da will ich ein paar Worte zur Sache sagen -, kann man Vergleiche zur Agrarpolitik ziehen. Ich stimme Ihnen in
der Sache auch zu. Die Frage ist nur, welchen Schluß man daraus zieht, ob man bei der Agrarpolitik etwas verbessert oder beim Kakaomarkt denselben Fehler begeht wie in der Agrarpolitik.
Nun hat Herr Echternach darauf hingewiesen, daß das Thema der Preisstabilisierung und der Rohstoffabkommen, die auf Preisstabilisierung abzielen, ganz allgemein viele Fragezeichen aufwirft. Ich möchte ihm da zustimmen. Aber Sie wissen, daß wir bei der UNCTAD-Konferenz im Jahre 1979 in Manila vorgeschlagen haben, von der Preisstabilisierung weg und zur Erlösstabilisierung überzugehen - ein Vorschlag, der dort die Unterstützung fast aller Entwicklungsländer gefunden hat, aber den Widerspruch fast aller Industrieländer.
Daß im übrigen die Erlösstabilisierung ein teures Unternehmen zugunsten der Entwicklungsländer wäre, können Sie aus dem Lomé-Abkommen sehr deutlich ablesen, wo das ja in dieser Form praktiziert wird. Daß das letztlich der Verbraucher und/ oder der Steuerzahler mitzutragen und mitzubezahlen hat, ist bei allen Maßnahmen so, die dazu führen sollen, für die Rohstoffe der Entwicklungsländer angemessene Entgelte und angemessenere Erlöse sicherzustellen. Das läßt sich nicht vermeiden. Insofern glaube ich, daß der Kollege Funke mit seiner grundsätzlichen Meinung dazu recht hat.
Festzustellen ist, daß der Interventionspreis, der in dem alten Kakao-Abkommen festgelegt war, nicht ein einziges Mal erreicht wurde. Das wirft natürlich Fragen auf, wie sinnvoll diese Veranstaltung ist. Seit der Verhandlung über den jetzigen Interventionspreis von 106 US-Cents pro Pfund sind in Wahrheit - so sieht die Kurve jetzt aus - die Marktpreise auf 87 Cents abgesunken, steil nach unten gegangen. Ob überhaupt die finanziellen Mittel - ich will einmal vom Marktmechanismus und den Eingriffsmöglichkeiten ganz absehen - aufgebracht werden können, wenn sich zwei wichtige Länder nicht an der Finanzierung des Ausgleichsstocks beteiligen, bleibt in der Tat eine wesentliche Frage.
Ich habe dem Kollegen Echternach mit all den Argumenten, die er hier vorgetragen hat und die von den beiden Kollegen der Koalitionsfraktion aufgegriffen worden sind, aufmerksam zugehört und gedacht: Wie schön muß eigentlich die Rolle der Opposition sein, wenn sie so richtig alles vortragen kann, was die Regierung doch selber glauben müßte. - Wenn Sie das bei anderer Gelegenheit auch so schön könnten, Herr Echternach, welche Aussichten würden sich Ihnen dann bieten! Da können Sie es aber dann eben nicht.
Hier geht es leider nicht um die Beantwortung der Frage - allein deswegen habe ich mich eigentlich noch einmal zu Wort gemeldet -, ob das nun ordnungspolitisch und marktwirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht. Nach meiner Auffassung ist es das nicht. Es geht um die Frage, in welchen politischen Gesamtzusammenhängen sich die Bundesrepublik Deutschland entwicklungs-, außen- und europapolitisch bewegt und welchen Spielraum wir haben. Diese Frage ist zu beantworten. Das habe ich in der Debatte vermißt.
Dies ist eine Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft. Wenn es dort zu einer Situation kommt, in der neun Mitgliedstaaten gegen die Bundesrepublik Deutschland stehen, dann können wir auf die Dauer a) das politisch nicht durchhalten, b) uns aber auch nicht einbilden, wir allein seien klüger als neun andere. Fast immer ist es so - und zwar aus außen-
und europapolitischen Gründen -, daß wir dann im Sinne der europäischen Einigkeit nachgegeben haben und nachgeben werden. Das mag bedauerlich sein. Da muß man in einzelnen Fragen seinen Standpunkt, von dem man überzeugt ist, aufgeben oder korrigieren. Nur, dies ist die Wirklichkeit in Europa. Niemand - wir haben das ja gestern in der Stahldebatte auch schon erwähnt - wird dies ändern können.
Lassen sie mich zum Schluß eine persönliche Erfahrung aus diesem Bereich beitragen. Ich habe das dem Wirtschaftsausschuß in der letzten Sitzung schon erzählt. Als ich 1972 in dieses Haus gewählt wurde, war eines der ersten Themen, über die ich abzustimmen hatte, dieses fabelhafte Kakao-Abkommen. Das war damals der erste Fall. Natürlich war ich nicht dafür, weil das in meinen Augen ordnungspolitisch und marktwirtschaftlich eine ziemlich witzlose Veranstaltung gewesen ist. Da kam der damalige Außenminister, Walter Scheel, und sagte: „Also hören Sie mal! Inzwischen hat uns auch der Vatikan aufgefordert, dem Kakao-Abkommen zuzustimmen. Nun können Sie doch gefälligst Ihren Widerstand endlich auch aufgeben." Das war mein erster Sündenfall, es war nicht der letzte, und es wird auch nicht der vorletzte geblieben sein.
({1})
Herr Wirtschaftsminister, nachdem dieser Sündenfall vom Vatikan mitgetragen wird, dürfte Ihnen das drüben keine weiteren Schwierigkeiten machen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 9/1471 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität ({1})
- Drucksachen 9/1400, 9/1488, 9/1508 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/1501
Abgeordnete Carstens ({0}) Löffler
Hoppe
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 9/1500, 9/1507 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Kreile Dr. Mertens ({2})
({3})
({4})
- Herr Abgeordneter Haase, Ihre Frage mag noch so berechtigt sein, solange vom Bundestag - also aus den Reihen der Abgeordneten - nicht die Herbeirufung der Bundesregierung, des Kanzlers verlangt wird, so lange hat der amtierende Präsident nicht einzuschreiten.
({5})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Dies ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreile. - Herr Abgeordneter Dr. Kreile, Sie sprechen nicht als Berichterstatter, sondern in der Aussprache?
Ja.
({0})
Herr Abgeordneter Haase, eine Zwischenfrage? - Sollten Sie zur Geschäftsordnung sprechen, dann wäre jetzt nicht der richtige Augenblick. - Herr Abgeordneter Dr. Kreile, es könnte ja eine vorbeugende Zwischenfrage sein. Ja? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Haase.
Verehrter Herr Kollege Dr. Kreile, können Sie mir vielleicht einen Hinweis vermitteln, warum die Bundesregierung bei diesem Gesetz, das doch eines ihrer Grundgesetze zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in diesem Land ist, kaum auf dieser Bank vertreten ist?
({0})
Herr Kollege Haase, nachdem sich auf Ihre Wortmeldung schon der Herr Abgeordnete Westphal meldet und es mir einfach zu schwerfällt diese Frage zu beantworten, weil ich es so wenig begreife wie Sie: Vielleicht hat der nächste Zwischenfrager, der Herr Abgeordnete Westphal, die Möglichkeit, dieses ungeheure Defizit auf der
Bank der Bundesregierung - und nicht nur das im Bundeshaushalt - zu erläutern.
({0})
Meine Damen und Herren, ich muß schon sehr großzügig die Möglichkeiten, Zwischenfragen zu stellen, ausschöpfen lassen, denn der Herr Abgeordnete Dr. Kreile hat ja noch nicht begonnen.
({0})
- Moment, Herr Abgeordneter Dr. Jenninger. - Da aber der Herr Abgeordnete Haase von Redner hier die Zustimmung zu einer Zwischenfrage bekommen hat und Herrn Westphal das gleiche zugestanden worden ist, werde ich Herrn Westphal bitten, seine Frage an Herrn Dr. Kreile anzubringen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Kreile, können Sie mir vielleicht bestätigen, daß es eine gemeinsame Vereinbarung war, diese Debatte eigentlich erst um 10.30 Uhr zu beginnen, weil wir gemeinsam dem zur gleichen Zeit mit dem ersten Durchgang dieses Gesetzes beschäftigten Bundesrat wenigstens eine Stunde Vorsprung geben wollten, bevor wir mit unserer Beratung in zweiter Lesung beginnen? Ich nehme an, Sie werden mir das bestätigen können, Herr Kreile, und ich bin sicher, daß der Bundeskanzler und die anderen Minister auch gleich da sein werden.
Herr Abgeordneter Dr. Kreile, Sie können dies hier sicherlich nicht aus eigener Kenntnis bestätigen oder ablehnen,
({0})
denn dies sind Vereinbarungen, die im Ältestenrat getroffen worden sind. Wir haben entsprechend einer im Ältestenrat einmütig getroffenen Vereinbarung die Absicht, diese Debatte jetzt zu beginnen und zu gegebener Zeit, wenn es notwendig ist, eine Unterbrechung der Sitzung durchzuführen. Bitte, Herr Dr. Kreile, fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort - oder: beginnen Sie mit Ihren Ausführungen.
({1})
Herr Präsident, nach dieser gestrengen Aufforderung von Ihnen will ich nun endlich zu dem sachlichen Thema kommen, zu dessen Behandlung ich übrigens auch an dieses Rednerpult gekommen bin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf also nun zu diesem fälschlicherweise ,,Beschäftigungsförderungsgesetz" genannten Gesetzespaket der Bundesregierung sprechen und zunächst erklären: Die CDU/CSU-Fraktion lehnt dieses sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz der Bundesregierung und der Fraktion der SPD und FDP ab.
Herr Abgeordneter Dr. Kreile, Herr Abgeordneter Dr. Haussmann wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.
Ach, Herr Präsident, es wäre ganz angenehm, wenn ich überhaupt einmal beginnen könnte.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Kreile, es ist Ihr originäres Recht, diese Zwischenfrage nicht zuzulassen und in Ihren Ausführungen fortzufahren. Ist das so zu verstehen?
Das ist so zu verstehen. Ich hätte es auch noch deutlicher gesagt. Ich möchte jetzt erst einmal ein klein wenig sagen, um was es geht.
({0})
- Es ist mir ein Vergnügen, den Herrn Bundeskanzler zu diesem Thema begrüßen zu können.
(Beifall bei der CDU/CSU -
Wo ist der Rest Ihrer Fraktion, Herr Kreile?)
Herr Bundeskanzler, es wird Sie nicht überraschen, daß ich den Satz wiederhole: Die CDU/CSU-Fraktion lehnt dieses fälschlicherweise Beschäftiungsförderungsgesetz genannte Gesetzespaket Ihrer Bundesregierung und der SPD-FDP-Fraktion ab;
({0})
denn das ist kein Beschäftigungsförderungsgesetz, sondern ein Steuererhöhungsgesetz.
Wir lehnen dieses Gesetz weiterhin ab, weil damit erneut und zwar zum dritten Mal seit der letzten Bundestagswahl, die Rentenversicherung zugunsten des Bundeshaushalts geschröpft werden soll. Es ist einfach widersinnig, durch Steuererhöhungen, vornehmlich durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 13 auf 14 %, die wirtschaftliche Misere unseres Landes beheben zu wollen.
Das Vorhaben, mit der einen Hand den Bürgern jährlich durch Steuererhöhungen über 9 Milliarden DM zu nehmen und dann mit der anderen Hand die Hälfte dieses Geldes über die staatliche Bürokratie neu zu verteilen, würde erneut mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Dieses Programm der Bundesregierung war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es verdankt seine Existenz nicht planvollem politischen Handeln, sondern kurzsichtigem und taktischem Kalkül. Da es ein schier unglaubliches Lehrstück opportunistischen Handelns ist, soll die Zeugungsgeschichte in aller Kürze in Erinnerung gerufen werden.
Die Entstehungsgeschichte ist eine Tragikomödie der Irrungen, allerdings mehr mit dem Teil Tragik, ein einziges absurdes Theater, kennzeichnend für den desolaten Zustand dieser Koalition.
({1})
Am Ende eines wochenlangen Sommertheaters - wie es genannt wurde - um die mißglückte „Operation 1982" legte bekanntlich der SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Wehner, der Bundesregierung und der Koalition eine Zeitbombe in ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Gepäck, und zwar in Gestalt einer
Protokollnotiz über die allfällige Notwendigkeit eines Beschäftigungsprogramms. Deren Brisanz suchten maßgebliche Bundespolitiker sogleich durch schneidige Worte herunterzuspielen.
So versicherte der Bundeswirtschaftsminister am 29. Oktober 1981 im Deutschen Bundestag:
kurzfristige,
- so sagte Graf Lambsdorff fremdfinanzierte, d. h. mit ... zusätzlichen Steuern finanzierte Beschäftigungsprogramme nutzen nichts. Sie schaden eher; .. .
Weil er so recht hatte, sagte er es gleich nochmals, nämlich am 17. Januar 1982 in der offenbar nicht nur von ihm geschätzten „Bild am Sonntag":
Wir bleiben dabei:
- „Wir", damit kann man ja wohl nur die SPD, die FDP und die Bundesregierung meinen. Kein Beschäftigungsprogramm, das mit Steuererhöhungen ... finanziert wird! So etwas würde uns nicht weiterbringen, sondern nur neue Schwierigkeiten heraufbeschwören.
({2})
Doch nur einen Tag später hat es die FDP in der Präsidiumssitzung bereits für erwägenswert gehalten - nach den Worten ihres Parteivorsitzenden Genscher am 19. Januar 1982 -, zur Beschaffung von Mitteln für Investitionszulagen auch an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in der zweiten Häfte 1983 zu denken.
Doch postwendend kam ein Dementi in derselben Sitzung des Deutschen Bundestags von dem allseits geschätzten stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Hoppe. Herr Hoppe erklärte: „Wer beschäftigungswirksame Maßnahmen über Kredite oder Steuerhöhungen finanzieren will, gefährdet die Grundlagen solider Finanzpolitik."
({3}) Goldene Worte, Herr Hoppe.
({4})
Aber genau diese unsolide Finanzierung ist das Kernstück des Beschäftigungsförderungsgesetzes.
Daß es zu ihm kam, entspricht angesichts des Hochschnellens der Arbeitslosenzahl zum Jahresende auf 2 Millionen einem Aktionismus um jeden Preis, also genau jenem Aktionismus, vor dem der Bundeskanzler noch im Oktober warnen zu müssen glaubte. Der Bundeskanzler erklärte: „Das, was wir für 1982 tun können, haben wir getan. Alles andere ist Aktionismus. Was man zusätzlich noch empfiehlt, ist Aktionismus."
({5}) Er hat hier recht.
Genau dieser Aktionismus, vor dem auch der Bundeswirtschaftsminister noch am 29. Oktober 1981 mit beredten Worten gewarnt hat, indem er sagte: „Jeder Versuch, mit kurzfristigem Aktionismus zu reagieren, würde das Grundproblem nur verschärDr. Kreile
fen", ist jetzt durch diesen Gesetzentwurf eingetreten.
Was folgte? Es folgte der Grundsatzbeschluß des Bundeskabinetts am 3. Februar 1982. Dieser war ein allgemeines, von parteitaktischen und koalitionstaktischen Gesichtspunkten bestimmtes opportunistisches Einschwenken auf eine Linie nicht der ökonomischen Vernunft, sondern wider jede ökonomische Vernunft.
Die Alibifunktion dieses Gesetzentwurfs, das auf die Landtagswahlen gezielte So-Tun, als ob etwas getan würde, war allerdings zu offenkundig. Die Wähler in diesem Jahr haben das bereits erkannt. Sie, die den Kolaitionsfraktionen ihre Stimme verweigert haben, wissen, wie recht beispielsweise Professor Schmölders gehabt hat, als er vor kurzem schrieb - ich darf dies zitieren -:
In diesem Moment in die Talfahrt hinein Beschäftigungs- statt Konjunkturpolitik betreiben zu wollen mag gut gemeint sein, ist jedoch blanker Dilettantismus. Der Staat, der sich jetzt erneut einschalten möchte, als hätte die Wirtschaft nur auf seine Planungen gewartet, hat ja die Schwierigkeiten, die es jetzt zu beseitigen gilt, zum großen Teil selbst geschaffen.
({6})
Nicht „mehr Staat", sondern „weniger Staat" muß heute die Parole sein. Der Zauberlehrling, der schon soviel angerichtet hat, sollte jetzt den Besen schleunigst aus der Hand legen.
Doch statt den Rat von Professor Schmölders zu beherzigen, schafft die Bundesregierung dieses Zauberlehrlingsgesetz, dessen eigentlicher Skandal zudem darin besteht - Michael Jungblut hat es in der „Zeit" sehr hübsch gesagt -, daß die Bundesregierung auf die am besten prognostizierte Krise, die wir je hatten, so reagierte, als sei sie von einer Naturkatastrophe überrascht worden. Wenn die SPD dieses nicht nur unter falschem Titel laufende, sondern in Täuschungsabsicht so bezeichnete Beschäftigungsförderungsgesetz im Hinblick auf die Schwierigkeiten ihres bevorstehenden Parteitags zum Hauptgegenstand der politischen Auseinandersetzung machen will, so nehmen wir diese Herausforderung gern an.
({7})
Wir werden nicht müde werden, von der SPD und der FDP die Antwort auf folgende, ganz unpolemische Frage zu verlangen: Wie können Sie von der Opposition erwarten, daß sie einem Beschäftigungsprogramm - oder, wenn Sie dies lieber hören mögen: einem Beschäftigungsförderungsgesetz - zustimmt, nachdem die Regierung selbst wochenlang ein solches Programm als sinnlos und sogar als schädlich bezeichnet hat?
({8})
Nachdem die Öffentlichkeit, insbesondere die Wirtschaftsverbände, dieses Programm in breiter Front abgelehnt hat, nachdem das Hearing vor dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages ein einziger Verriß der Regierungsvorschläge war, der Gesetzentwurf als eher schädlich für die Konjunktur-und Beschäftigungslage denn als förderlich bezeichnet wurde, nachdem selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund dieses Programm als sehr mager bezeichnet hat und nachdem Vertreter der Bundesregierung dieses Gesetz nur halbherzig verteidigen und erhebliche Zweifel an der Finanzierung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer geäußert haben, nach all dem frage ich Sie: Wie können Sie dann von der Opposition verlangen, daß sie einem solchen Gesetzespaket zustimmen?
({9})
Mit diesem Gesetzespaket wird keines seiner Ziele erreicht, weder eine dauerhafte Verbesserung der Beschäftigungslage noch eine Verbesserung der Steuerstruktur, auch keine Erhöhung des Baulandangebots und keine Verbesserung der Finanzkraft der Gemeinden.
Die Bundesregierung erwartet von diesem Programm eine dauerhafte Verbesserung der Beschäftigungssituation. Ich sage Ihnen: Dauerhaft an diesem Programm wären allein die Steuererhöhungen. Beschäftigungsprogramme verrauchen, aber die Steuern bleiben.
({10})
Denkt eigentlich die SPD bei ihren Bestrebungen zur Mehrwertsteuer nicht mehr an die Warnungen eines der Urväter des Sozialismus?
({11})
Ich will jetzt nicht ausführlich Ferdinand Lassalle zitieren.
({12})
- Ja, ich könnte das sehr gut und ganz ausführlich tun.
({13})
- Danke schön, Herr Dr. Kohl. Ja, man kennt dort möglicherweise Lassalle gar nicht mehr. Ich will ihn also jetzt nicht ausführlich zitieren, ihn, für den die indirekten Steuern und ihre kontinuierliche Erhöhung ein Instrument der Ausbeutung ärmerer Klassen waren.
({14})
Aber ich muß deutlich sagen, daß die SPD die Partei
der Steuer- und Abgabenerhöhungen geworden ist.
({15})
Ihre Politik führt dazu, daß vor allem die breite Masse der tüchtigen und fleißigen Arbeitnehmer geschröpft wird. Das ist noch nie so deutlich geworden wie in den letzten anderthalb Jahren seit der Bundestagswahl.
Statt rationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik gab es nur Erhöhungen. Es gab die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge zum Stopfen der Löcher im Bundeshaushalt. Es gab die Erhöhung der
Mineralölsteuer und der Branntweinsteuer. Es gab die Erhöhung einer Quasi-Poststeuer durch neue Gebührenerhöhungen. Es gab 1982 die nochmalige Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zugunsten des Bundeshaushalts. Es gab die nochmalige Erhöhung der Branntweinsteuer, es gab die Erhöhung der Tabaksteuer zum 1. Juli, durch die eine Zigarettenpackung von 3 DM auf nunmehr 4 DM verteuert wird, und es gab die Schröpfung der Bundesbank um ihre Erträge in einer Größenordnung von 17,5 Milliarden allein 1982,
({16})
was einer Zinssteuer gleichkommt.
Sämtliche Einnahmeverbesserungen, die die Koalition in den letzten anderthalb Jahren seit den Bundestagswahlen beschlossen hat, addieren sich für den Bundeshaushalt auf 25 Milliarden. Man meint, das sei genug? Nein! Eine Flut von Steuererhöhungsanträgen aus den SPD-Bezirken rollt nunmehr auf den SPD-Parteitag zu. Das Steuerhorrorpapier der hochgeschätzten SPD-Abgeordneten Gobrecht und Dr. Spöri feiert nunmehr wahrscheinlich auf diesem SPD-Parteitag fröhliche Urständ.
Diskutiert und gefordert werden: eine Arbeitsmarktabgabe für alle,
({17})
sozusagen eine neue Beamtensteuer; eine Ergänzungsabgabe;
({18})
eine Einschränkung des Ehegattensplittings;
({19})
eine Erhöhung der Vermögensteuer - meine Herren von der SPD, wo bleibt der Beifall? - und eine Ausdehnung der Gewerbesteuer für freie Berufe.
Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, diese Erhöhungspläne mit Ihrem Beifall bedacht haben, denn damit ist nun wirklich klargestellt: Das wollen Sie!
({20})
Man könnte leider noch fortfahren, aber seit einiger Zeit ist ohnehin jedem klar: die SPD ist und bleibt eine Partei der Umverteilung über höhere Abgaben und Steuern und will - der Beifall hat es eben gezeigt - letztlich auch nichts anderes sein. Nur sollte sie dann weder zunächst der FDP noch der Öffentlichkeit weiszumachen versuchen, ab 1984 gäbe es eine Steuerentlastung.
Deswegen muß nochmals und immer wieder unser klares Nein zu dieser Steuererhöhungspolitik gesagt werden.
({21})
Dies gilt nicht nur für die Mehrwertsteuererhöhung, sondern auch für die durch eine nicht in das deutsche Bewertungsrecht passende vorgezogene Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke und die ihr folgenden Steuererhöhungen sowie für eine das Klima zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung vergiftende Verschärfung der Betriebsprüfung durch vorgezogene Steuerbescheide. Die Bundesländer, denen die Steuerverwaltung obliegt, haben sich deswegen auch nachdrücklich hiergegen ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, gegen die in diesem Steuererhöhungspaket enthaltene Investitionszulage werden wir uns nicht querlegen, wenn sie nicht mit Steuererhöhungen und wenn sie ohne zusätzliche Kreditaufnahme finanziert wird.
({22})
So, wie sie jetzt gestaltet ist, gilt der in der Anhörung des Finanzausschusses geprägte Satz des Vertreters der gewerblichen Wirtschaft, also genau des Personenkreises, von dem Sie wollen, daß er investiert, daß er Investitionsanreize bekommt, sie erkennt und Investitionen durchführt.
({23})
Was hat die deutsche Industrie, was hat die gewerbliche Wirtschaft gesagt? „Der Appetithemmer Steuererhöhung könnte stärker sein als der Appetit auf die Investitionszulage."
({24})
- Da ehren Sie mich zu sehr, daß Sie glauben, alles, was ich sage, würde von der deutschen Industrie kritiklos übernommen.
({25})
Ich freue mich, wenn ich Bundesgenossen habe, die
den gleichen wirtschaftlichen Sachverstand haben.
Bei der Investitionszulage kommt aber hinzu, daß Ausmaß und Konstruktion ihre Wirksamkeit von vornherein einschränken. Drei Gesichtspunkte, die wir im Finanzausschuß sehr eingehend behandelt haben, mögen dies hier im Plenum deutlich machen. Zum einen steht die Größenordnung von 4 Milliarden DM in keinem wirksamen Zusammenhang mit den die Wirtschaft wirklich bestimmenden Daten. Bei einem Bruttosozialprodukt von 1,7 Billionen DM, also von 1700 Milliarden DM, beträgt die darin enthaltene Bruttolohn- und -gehaltssumme 814 Milliarden DM. Das Zinsvolumen, das die Wirtschaft bewältigen muß, beträgt über 45 Milliarden DM. Wie sollen da, noch dazu bei dem vorherrschenden Mangel an Vertrauen in diese Bundesregierung, 4 Milliarden DM als Investitionszulage etwas bewegen? Genausogut könnte man einen Eimer Wasser in den Rhein gießen und hoffen, daß er dadurch schneller fließt.
({26})
Zum anderen wird die Investitionszulage nicht greifen, weil selbst die Ansätze zu einer Investitionsmöglichkeit durch den Gesetzentwurf wieder zurückgenommen, wieder eingeschränkt werden. Begünstigt - das war doch Ihre Überlegung - sollen die Investitionen werden, die über den Durchschnitt der letzten drei Jahre hinausgehen und die im Jahre 1982 bestellt werden. Selbst wenn man unterstellt, diese Investitionszulage würde im Laufe dieses Jahres kommen, dann mit Sicherheit nicht vor Ablauf der Hälfte dieses Jahres 1982. Deswegen wäre es
dringend erforderlich, wenn die Investitionszulage das tun soll, das bewirken soll, was Sie wollen, daß ihr wenigstens die Chance eines ganzen Jahres für die Bestellung gegeben wird. Aber genau dies haben Sie nicht gewollt. Genau diese Anträge haben Sie im Finanzausschuß abgelehnt, den Bestellzeitraum auf ein volles Jahr zu verlängern. Dieses volle Jahr ist j a nicht mehr gegeben. Einen solchen Antrag haben Sie, wie gesagt, abgelehnt. Dies zeigte mir und zeigt wohl allen anderen deutlich, daß Sie selbst nicht an die Wirksamkeit des Gesetzes glauben; Sie tun bloß so, als ob.
({27})
Zum dritten ist mir eine die Bauwirtschaft betreffende Einschränkung bei dieser Investitionszulage völlig unbegreiflich, wenn man wirklich einen Investitionsförderungseffekt erreichen will. Begünstigt sollen, so wollen Sie dies, nur Baumaßnahmen sein, für die der Bauantrag 1982 gestellt worden ist. Die Bauwirtschaft, die unter einer Viertel Million Arbeitslosen leidet, die im vergangenen Jahr mehr als 1 700 Konkurse wegen mangelnder Aufträge hinnehmen mußte, hätte einen gewissen Aufschwung möglicherweise nehmen können, wenn jetzt zurückgestellte Baumaßnahmen, die bereits beantragt und gegebenenfalls genehmigt waren, auf Grund des Investitionszulagegesetzes hätten durchgeführt werden können. Es mag sein, daß sich Investitionen - trotz des hohen Zinsniveaus, aber vielleicht auf Grund dieser Investitionszulage - dann gerechnet, dann möglicherweise rentiert hätten. Doch jede darauf abzielende Verbesserung des Gesetzes, die von uns beantragt worden ist, wurde von Ihnen abgelehnt. Es bleibt dann nun wirklich dabei, was nicht nur ein Vertreter der Bauwirtschaft gesagt hat, daß diese Investitionszulage wohl auch nicht zu einer einzigen zusätzlichen Baumaßnahme führen wird.
Als Ergebnis bleibt also: Dieses sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz ist leider ein höchst wirkungsvolles und langfristiges Steuererhöhungsgesetz, aber bedauerlicherweise ein wohl wirkungsloses und kurzfristiges Investitionsanreizgesetz. Das ist nicht das, was jetzt nötig ist.
Was nötig ist, hat Professor Schmölders sehr treffend gesagt, wenn er erklärt hat: Nicht ein kurzatmiges Eingreifen mit einem Programm auf Kosten der Steuerzahler und der Sparer, sondern die langfristige Konsolidierung des Staatshaushaltes und die Sanierung des verfahrenen Kapitalmarkts in einem mittelfristigen Zeithorizont sind vonnöten. Daß die Arbeitslosigkeit damit nicht von heute auf morgen, sondern erst in einigen Jahren geduldiger Aufbauarbeit beseitigt werden kann, gehört zum Schuldkonto der falschen Propheten und dieser Regierung.
Diese Regierung kann weder hier noch sonstwo die von ihr selbst für erforderlich gehaltene Wende herbeiführen; jedwedes Vertrauen hat sie verspielt. Die Koalition - das zeigt dieses Beschäftigungsförderungsgesetz wieder mit Deutlichkeit - hat ihre Chance gehabt und verspielt.
({28})
Sie sollte einer anderen und besseren Politik Platz machen.
({29})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir am Anfang dieses nette Vorspiel hatten, Herr Kreile, was die Verfahrensfrage betrifft, erlauben Sie mir dazu jetzt noch eine Berner-kung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß wir inzwischen ein bißchen von dem wissen, was drüben im Nachbarhaus, im Bundesrat, zum Thema, mindestens was das Verfahren betrifft, geredet wird oder worden ist.
Erst, meine Damen und Herren von der Opposition, werfen Sie uns vor, wir würden mit dem zusätzlichen Programm, das durch dieses Gesetz, das Beschäftigungsförderungsgesetz, vorangebracht wird, nicht schnell genug überkommen. Dann wollen Sie die abschließende Beratung dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes hinausschieben, bis nach Ostern, auf den 26. April.
({0})
- Sicher ist das richtig, Herr Kohl. - Als wir nein dazu sagen, um dieses Gesetz schnell in Kraft zu setzen, und dafür eine Sondersitzung am 30. März vorschlagen mit dem eindeutigen Hintergrund, daß wir den Bundesrat nicht desavouieren, sondern das Ergebnis seines heute durchgeführten ersten Durchgangs ordnungsgemäß und fristgerecht zur Kenntnis nehmen und würdigen wollen, sagen Sie, Sie werden im Bundesrat sicherstellen, daß man es nicht übelnimmt, wenn wir heute schon tagen und der Bundestag heute seinen Abschluß macht.
Was hören wir von drüben? Ärgerliche Bemerkungen der CDU-Ministerpräsidenten über die überschnelle Abschlußberatung hier im Hause.
({1})
- Herr Jenninger, wir wissen es. Ich kann es aus dem zitieren, was Herr Vogel geschrieben hat.
({2})
- Ich bin leider nicht bilokal und Sie sicher auch nicht.
({3})
- Entschuldigung: Dies ist die Information, die mir zu diesem Thema vorliegt, und ich habe gar keinen Grund, das anders zu sagen.
({4})
Dies ist doch eine andere Art von „Verspätung", mit der wir es hier zu tun haben.
({5})
- Sie hatten, Herr Jenninger, zunächst die Zusage, und da drüben ist die Verläßlichkeit zu einer gegebenen Zusage offensichtlich nicht groß,
({6})
und Ihr Einfluß da drüben ist offensichtlich nicht gerade imponierend.
({7})
Meine Damen und Herren, vor Ihnen liegt zur Beratung und zur Beschlußfassung in zweiter und dritter Lesung das Beschäftigungsförderungsgesetz. In seinen elf Artikeln schafft es die rechtlichen Voraussetzungen für den staatlichen Teil der Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität. Der Staat darf in schwieriger wirtschaftlicher Situation nicht tatenlos zusehen, wenn eine durchschnittliche Jahresarbeitslosenzahl von fast 1,7 Millionen erwartet werden muß und wenn bei noch großen Schulentlassungsjahrgängen zahlreiche junge Menschen keine ausreichende Chance für einen Ausbildungsplatz oder Arbeitsplatz haben. Wir sind davon überzeugt, daß es richtig ist, Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeit haben, dabei zu unterstützen, daß sie Arbeit bekommen. Deshalb lassen wir Sozialdemokraten uns weder durch Mäkler und Verweigerer noch durch Rückschläge davon abhalten, diese Überzeugung dort, wo wir können, in helfende Taten umzusetzen.
({8})
Warum sollte man verschweigen, daß wir Sozialdemokraten Genugtuung darüber empfinden, daß es gelungen ist, unseren Koalitionspartner zu bewegen, diese Gemeinschaftsinitiative mit zu seiner eigenen Sache zu machen?
({9})
Gewiß, dies hat auch seinen Preis, und es ist, wie es in solchen Fällen immer ist, ein Kompromiß dabei entstanden. Trotzdem handelt es sich um ein in sich geschlossenes Konzept.
Auf die im Zuge der Operation 82 wesentlich verbesserten Rahmenbedingungen, insbesondere durch erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten, wird nun für einen relativ kurzen Begünstigungszeitraum eine 10 %ige Investitionszulage aufgestockt. Damit wird eine Anstoßwirkung erzeugt, von der wir hoffen, daß sie zu einer nach oben gerichteten Entwicklung unserer Wirtschaft führt. Diese Investitionszulage begünstigt vornehmlich die privaten Investitionen.
Daneben steht außerhalb dieses Gesetzentwurfs, aber als ein Teil der Gemeinschaftsinitiative eine beachtliche Vergrößerung des Volumens zinsbegünstigter Kredite. Sie sollen umweltverbessernde Investitionen der öffentlichen Hände und energiesparende Investitionen kleinerer und mittlerer Betriebe fördern. Hinzugefügt wird die vorgezogene Neubewertung der unbebauten, aber baureifen Grundstücke mit einer kräftigen Steuervergünstigung für denjenigen, der die Grundstücke nutzt, um zu bauen.
Ein weiterer Teil des Beschäftigungsförderungsgesetzes zielt darauf ab, die Vermittlungschancen für arbeitslose Jugendliche durch Bildungsangebote und die Gewährung von Bildungsbeihilfen zu erhöhen. Dies wird haushaltsmäßig ergänzt durch die Aufstockung unseres Programms zur Förderung des Baus von überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Jeder kann erkennen, daß der staatliche Teil der Gemeinschaftsinitiative bei den Investitionen ansetzt.
Es sollte allerdings nicht vergessen oder unterbewertet werden, daß der Bundesminister für Arbeit vom Bundeskabinett den Auftrag bekommen hat, ein Modell zu erarbeiten, wie Lebensarbeitszeit verkürzt werden kann, indem der Staat Rahmenbedingungen entwickelt und anbietet, die durch tarifvertragliche Vereinbarungen ausgefüllt werden können. Wenn wir künftig eine geringere Menge Arbeit auf eine hoch bleibende Zahl von Arbeitnehmern verteilen müssen, dann bietet sich der Weg, früher aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, als eine sehr humane Antwort an. Es ist des Schweißes der Klugen wert, diesen Weg für alle Beteiligten gangbar zu machen.
({10})
Meine Damen und Herren, doch im Mittelpunkt des heute zu beschließenden Maßnahmenbündels stehen die Investitionshilfen. Herr Kreile, Sie haben nun hier alles getan, um diese Investitionshilfen mies zu machen, zu kritisieren, gesagt, sie taugten doch nichts, sie würden gar nichts bewirken. Wissen Sie, Herr Kreile, als die Verbände der Unternehmer noch bei Ihnen und bei uns im Hearing saßen und alles taten, in der gleichen Weise zu reden, wie Sie es getan haben, hatten wir Abgeordnete - das geht doch Ihnen genauso wie uns - die Unternehmer, die Mitglieder dieser Verbände, am Telefon mit der Frage: Wann geht es denn los, kriegen wir was ab, sind wir beteiligt an dieser Investitionszulage? Das ist doch wohl die Lage.
({11})
Und wir konnten ihnen immer antworten: Der Begünstigungszeitraum beginnt am 1. Januar dieses Jahres. So ist das auch. Da brauchen wir kein weiteres halbes Jahr hinterherzufügen und noch eine halbe Milliarde DM Mindereinnahmen draufzupakken. Dies steht.
Meine Damen und Herren, auch wenn Investitionen Rationalisierungswirkungen haben und damit auch Probleme mit sich bringen, besteht nur auf diesem Wege die Möglichkeit, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Und auf die kommt es an. Jeder, der solche Maßnahmen für notwendig hält und durchsetzen will, muß Sorge dafür tragen, daß sie finanziert werden. Daran führt nun einmal kein Weg vorbei.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen, jede Steuererhöhung sei unangenehm und daher falsch und würde deshalb von Ihnen abgelehnt. Damit machen Sie es sich verdammt einfach.
({12})
Sie werden selbstverständlich auch bei uns niemanden finden, der Steuererhöhungen auf die leichte Schulter nimmt und sie als unproblematisch ansieht.
({13})
Doch es gibt nur wenige Arten der Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Aufgaben. Und um die geht es hier. Es muß doch möglich sein, folgenden einfachen Gedankengang miteinander nachzuvollziehen: Wir wissen, daß das Instrument der zusätzlichen Verschuldung nur sehr vorsichtig und unter Beachtung der wirtschaftlichen Entwicklung angewendet werden darf. Für die Aufgaben der Investitionsanregung kommt es auf niedrige Zinsen an. Diesem erwünschten Trend darf man nicht entgegenwirken. Das Mittel der Kreditaufnahme steht also in diesem Zeitpunkt für dieses Programm nicht zur Verfügung.
Wenn zweitens der Weg der Einsparung öffentlicher Ausgaben insbesondere durch Einschränkung bei Leistungsgesetzen ausgeschöpft ist und jeder weitere Einschnitt zu nicht vertretbaren negativen Wirkungen führen muß, dann stehen - dies ist die Logik der Finanzierung öffentlicher Aufgaben - nur noch zwei Instrumente zur Verfügung - ich teile sie bewußt, obwohl sie miteinander zu tun haben -, nämlich die Korrektur von Steuervergünstigungen einerseits und Steuererhöhungen andererseits.
Für den Abbau von Steuervergünstigungen, meine Damen und Herren, suchen wir Sozialdemokraten Partner. Wir suchen sie intensiv, und jeder von Ihnen ist eingeladen, an dem Hearing mitzuwirken, das der Haushaltsausschuß im Juni veranstalten wird, um weitere Wege gerade dort zu finden, wo es um Subventionsabbau geht, und zwar eben auch den steuerlichen Subventionsabbau. Sie alle sind herzlich eingeladen, dazu Ihre Vorschläge mit zu liefern.
Aber wenn dieser Weg jetzt nicht gangbar ist, bleibt als letzte Möglichkeit die Erhöhung von Steuern. Man muß diesen letztgenannten Weg gehen, weil das Ziel, Arbeitsplätze zu beschaffen, es verlangt.
Da gibt es nun unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten. Wir Sozialdemokraten legen da zwei Maßstäbe an. Der eine ist, daß es sich bei einer Steuererhöhung nur um eine maßvolle, eine erträgliche Größenordnung handeln darf. Der zweite, der andere, ist die soziale Ausgewogenheit der Belastung. Das heißt, daß derjenige, der breitere Schultern hat, dabei auch mehr zu tragen bekommt als derjenige mit dem kleineren Einkommen.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt bzw. einen halben Prozentpunkt ab Mitte
nächsten Jahres erfüllt aus unserer sozialdemokratischen Sicht das zweite Kriterium leider nicht. Wir wußten zwar gemeinsam mit den Gewerkschaften einen anderen Weg, konnten dafür aber einen Konsens mit unserem Partner nicht finden. Die andere Bedingung, eine maßvolle und erträgliche Größenordnung, ist wohl erfüllt.
Herr Kreile, zu Ihrer Erinnerung an Ferdinand Lassalle und seiner Auffassung zu den Verbrauchsteuern. Lassen Sie mich anmerken, daß ich voll das teile, was Lassalle damals gesagt hat,
({14})
und nichts davon zurückzunehmen habe. Ich finde das ganz richtig. Es bleibt nach wie vor richtig, daß eine größere Familie mit einem kleineren Einkommen bei der Umsatzsteuer stärker belastet ist als eine kleinere Familie mit einem höheren Einkommen. Beide Faktoren wirken ein. Nur unser Problem ist - das konnte Lassalle nicht wissen -, daß wir heute in einer Situation sind, daß unsere Bemühungen dazu geführt haben, daß fast 50 % der Steuerzahler, also die große Menge der Arbeitnehmer, in die Progressionszone unseres Steuertarifs bei der Lohnsteuer hineingewachsen und nicht mehr bei der prozentualen Besteuerung im darunterliegenden Bereich ist. Das heißt, die Belastung, die beim Wachsen des Einkommens, beim Wachsen des Lohns durch das Hineinwachsen in die Progression erfolgt, ist nicht nur härter spürbar, sondern ist auch, auf den einzelnen gesehen, härter im Betrag als eine maßvolle Erhöhung der Umsatzsteuer. Dies ist die veränderte Lage, die dazu führt, zu sagen, daß es eine Berechtigung gibt, von einer Umschichtungsnotwendigkeit zwischen diesen unterschiedlichen Steuerarten zu reden.
Meine Damen und Herren, die Art und Weise, wie die Opposition die Mehrwertsteuererhöhung, die in diesem Gesetz für die Mitte des nächsten Jahres vorgeschlagen ist, kommentiert und angegriffen hat, kann man doch wohl nur als sehr, sehr unseriös bezeichnen. Denken Sie nur mal daran, was es für Äußerungen darüber gegeben hat, bei denen der Eindruck erweckt werden sollte, als wenn die Überwälzung der Mehrwertsteuererhöhung auf den Endverbraucher schon zur Belastung der gegenwärtig laufenden Tarifverhandlungen für dieses Jahr führen würde - so war Herr Strauß jedenfalls zu verstehen -, obwohl die Erhöhung doch erst für Mitte nächsten Jahres ansteht. Das war nicht seriös und auch nicht anständig für die gerade gegenwärtig laufende Debatte.
({15})
Diese maßvolle steuerliche Belastung dient der Bereitstellung von Mitteln, um Menschen, die arbeiten wollen und keinen Arbeitsplatz haben, Arbeit zu beschaffen. Dies ist ihre innere Berechtigung, und dazu einen Beitrag zu leisten, so meinen wir, müßte eigentlich jeder bereit sein.
Zu diesem Konzept gehört eine Korrektur des Lohn- und Einkommensteuertarifs, die ein halbes Jahr später, nämlich Anfang 1984, einsetzen soll. Was immer man über die Weisheit dieses Beschluß5728
teils und die Diskussionsäußerungen dazu, die jetzt schon vorweggenommen worden sind, denken mag, interessant ist auf jeden Fall, zu beobachten, wie sich die Opposition in dieser Sache verhält. Da kann man den Eindruck haben, als sei das Wichtigste an der ganzen Beschäftigungspolitik - die man nicht mag und deren Finanzierung man ablehnt - die Frage, wer denn 1984, also in zwei Jahren, wie hoch bei seiner Einkommensteuer entlastet wird. Das ist der Eindruck, den Sie mit Ihren Anfragen hier im Haus und mit Ihren Kommentierungen, Herr Kreile, bewirken. Diese Geisteshaltung geht offenbar von der Vorstellung aus, nur dann der Beschäftigungspolitik etwas abgewinnen zu können, wenn man zu denen gehört, die später steuerlich entlastet werden.
Es geht jetzt um Arbeitsplätze und eben nicht um Steuerentlastung.
({16})
Ich muß da noch einen Punkt anfügen, um die Kritik an der Grundeinstellung dieser konservativen Opposition in Fragen der Steuerpolitik zu verdeutlichen. Zur vorgezogenen Neubewertung der unbebauten, aber baureifen Grundstücke ist der CDU/ CSU-Mehrheit im Finanzausschuß des Bundesrates
- und das ist j a auch die Stellungnahme, die wir vom Bundesrat heute hier zu erwarten haben - nichts anderes eingefallen, als daran zu mäkeln, daß nicht gleich neue, höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer und bei der Vermögensteuer vom Bund in seinem Gesetzentwurf vorgesehen werden.
({17})
Statt zu begrüßen, daß der Bund ein Gesetz vorlegt, das damit beginnt, eine steuerlich gerechte Bewertung der Grundstücke vorzunehmen, und sich darüber hinaus zu freuen, daß die Einnahmen, die dabei entstehen,
({18})
voll in die Kassen der verfassungsrechtlich von den Ländern vertretenen Gemeinden fließen, wird bei der CDU/CSU nur über eine weitere, in diesem Fall wirklich ungerechtfertigte Entlastung von Grundstückseigentümern spekuliert.
({19})
Wir aber wollen Bauarbeitern Arbeit verschaffen
({20})
und brauchen dazu auch die Mobilisierung des Grundstücksmarkts. Hier wird über verbesserte Instrumente dafür entschieden - und wir hören sofort wieder das glatte Nein der Opposition.
({21})
- Aber sicher! Das haben Sie hier vorhin durch Herrn Kreile vortragen lassen.
Ich zitiere - Herr Kiep, Sie sind dran -:
Ein Leistungsverweigerer ist jemand, der aus seiner Verpflichtung gegenüber den sozial Schwachen aussteigt.
Das las ich gestern, Herr Kiep, mit Ihrem Bild darüber in einer großen Tageszeitung.
({22})
- Es war die „Welt"; ja, ja.
Herr Kiep, die Bauarbeiter draußen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, müssen denken, daß Sie ein Leistungsverweigerer sind.
({23})
Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann nehme ich noch einmal auf, was die Opposition hier im Hause aktenkundig gemacht hat, wenn es darum geht, Mittel für Beschäftigungspolitik bereitzustellen. Herr Kohl, nach wie vor das einzige, was Sie zur Finanzierung von Beschäftigungspolitik angeboten haben, ist das Zusammenstreichen des Schüler-BAföG. Nach wie vor das einzige!
({24})
50 % der Eltern, die Förderungsmittel zum Besuch weiterführender Schulen für ihre Kinder bekommen, haben ein monatliches Einkommen von unter 1500 DM. 80 % liegen unter 2 000 DM.
({25})
Die Streichung dieser Förderungsmittel, die von manchen draußen in, wie ich finde, schlimmer Weise als „Mopedprämie für Gymnasiasten" diffamiert werden, wäre für viele Familien, gerade die Bezieher kleiner Einkommen, viel härter als die - sicher zu Recht als hart empfundene - Kürzung beim Kindergeld.
({26}) Herr Kiep, ich zitiere noch einmal:
Ein Leistungsverweigerer ist jemand, der aus seiner Verpflichtung gegenüber den sozial Schwachen aussteigt.
({27})
- „Wie die SPD", wurde eben dazwischengerufen. Soll ich Ihnen noch einmal die Liste dessen vorlesen, was die Union im Bundesrat bei der Beratung des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes als ihre Auffassung für Einschnitte in Leistungsgesetze aktenkundig gemacht hat? Bitte: Kürzung des Arbeitslosengeldes; Herabsetzung der Beitragsleistung für Arbeitslose an die Rentenversicherung
({28})
mit der Folge niedrigerer Renten für diejenigen, die die Last der Arbeitslosigkeit zu tragen haben;
({29})
sofortige, ab 1982 wirkende Einführung eines Rentnerkrankenversicherungsbeitrages, doppelt so hoch
wie der von uns in diesem Gesetz erst ab 1984 vorgesehene Schritt; Einschränkungen im Bereich der Sozialhilfe, die in ihrem finanziellen Umfang auch doppelt so hoch sein würden wie das, was der Vermittlungsausschuß beschlossen hat!
Herr Kohl, Sie haben hier in der Debatte dieses Hauses auch noch die für uns unakzeptable Einführung von Karenztagen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als mögliche Absicht, unsere Sozialordnung zu ändern, hinzugefügt. Meine Damen und Herren, wer beabsichtigt, derart tief in wichtige Bestandteile unserer sozialen Ordnung einzuschneiden, der muß sich sagen lassen, daß es wie Hohn klingt, wenn er die maßvolle und erst ab Mitte nächsten Jahres wirkende Erhöhung der Umsatzsteuer um 1 bzw. 1/2 % wegen ihrer sozialen Unausgewogenheit ablehnen will.
({30})
Der Versuch der Opposition, uns für die von Ihnen angekündigte Absicht, das Beschäftigungsförderungsgesetz im Bundesrat scheitern zu lassen, verantwortlich zu machen, ist etwa dasselbe, als wenn der Dieb „Haltet den Dieb" ruft und dabei auf seine Verfolger zeigt. Genau dies ist der Vorgang.
({31})
Wenn Sie sich wirklich so verhalten sollten
({32})
und wollen, wie Sie das nach den Einflußnahmen des Herrn Strauß auf den Herrn Albrecht auch selbst Herrn Albrecht eingeredet haben, dann laden Sie sich, meine Damen und Herren, eine große Verantwortung auf.
({33})
- Ich kann das mit den Dieben nicht verstehen, Herr Friedmann. Herr Friedmann, Sie sind für mich immer der Fachmann für naive Fragen. Ihren Zwischenruf habe ich nicht verstanden.
({34})
Diese Verantwortung schließt nun einmal sehr konkret ein, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Verweigerer von Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen sind. Das ist die Konsequenz.
({35})
Wenn es schon nicht gelingt, die Opposition hier im Hause von ihrem Verweigerungskurs abzuhalten, dann kann unser Rat nur an die Ländermehrheit gehen, sich noch einmal sehr ernsthaft zu überlegen, ob sie eine Ablehnung verantworten können.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität, zu der insbesondere die Gewerkschaften gedrängt haben - und wir sind ihnen dankbar dafür -, fügt sich zusammen mit den Maßnahmen der Operation '82. Im Zeitraum von drei Jahren setzt sie
insgesamt etwa 40 Milliarden DM öffentlicher Mittel ein, um unserer Wirtschaft zu helfen, sich zu modernisieren, sich neuen Herausforderungen anzupassen, und um damit die zu hohe Arbeitslosigkeit zu überwinden. 40 Milliarden in drei Jahren - das sind, um die Größenordnung einmal einschätzen zu können, wesentlich mehr als die auch für drei Jahre vorgesehen gewesenen und 25 Milliarden DM öffentlichen Mitteleinsatz umfassenden Maßnahmen des Programms „Zukunftsinvestitionen", die erfolgreich waren und deren Abschlußphase wir gerade erleben.
Meine Damen und Herren, ich wies darauf hin, daß die Gewerkschaften uns alle in Bewegung gebracht haben, weil sie wie wir Sozialdemokraten nicht ertragen konnten, daß man die Hände in den Schoß legt und untätig zusieht, wie die Arbeitslosenzahlen steigen.
({36})
Heute können wir feststellen, daß die Gewerkschaften auch ihren Beitrag zum Gelingen der Gemeinschaftsaktion leisten.
({37})
Die ersten und wohl auch Maßstäbe setzenden Tarifabschlüsse dieses Jahres machen das jedenfalls für jeden erkennbar. Mit dem vorliegenden Beschäftigungsförderungsgesetz, das wir heute - wenn auch gegen die Opposition - zu beschließen gedenken, fügen wir unseren Teil zum Gelingen der Gemeinschaftsinitiative hinzu. Das gilt heute für den Bund.
Genauso aber, wie wir von den Unternehmern erwarten, daß sie ihren Teil beitragen - vornehmlich durch Bereitstellung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen und durch die Einhaltung der Preisstabilität -, richtet sich unsere Forderung an die Länder. Das, was aus dem Bundesrat bei seinem ersten Durchgang des Beschäftigungsförderungsgesetzes herüberklingt, ist leider nicht positiv. Ich finde, es ist den Menschen draußen und insbesondere den Arbeitslosen nicht mehr zuzumuten,
({38})
immer wieder neu zu hören, welche Verweigerungsmöglichkeiten und -absichten die Konservativen gegenüber einem beschäftigungsfördernden Programm haben. Wir erwarten, daß die Ländermehrheit diesem Programm ihre Zustimmung gibt. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({39})
Das Wort hat der Abgeordnete Haussmann.
Sehr geehrte Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts viel zu hoher deutscher Arbeitslosigkeit, angesichts über 150 000 arbeitsloser Jugendlicher, angesichts weltweiter Arbeitslosigkeit - gerade gestern hat die OECD die Arbeitslosigkeit für ihren Bereich auf über 28 Millionen im Jahre 1982 vorausgeschätzt - versuchen sowohl verschiedene Staaten in der westlichen Welt als auch verschiedene politische Par5730
teien in der Bundesrepublik Deutschland, ihr Konzept zu leisten, um Arbeitslosigkeit abzubauen.
Die FDP-Fraktion hält die heute zur Abstimmung stehende Gemeinschaftsinitiative nicht für die ganz große Lösung zum schnellen Abbau von Arbeitslosigkeit. Dafür hat der Staat weder die Zuständigkeit noch die alleinige Verantwortung noch die nötigen Haushaltsmittel. Aber wir halten diese Initiative in der gegebenen Situation für einen richtigen Schritt. Wir bleiben daher auch in dieser zweiten und dritten Lesung bei allen Elementen dieses Programmes. Wenn wir - also die Regierung und die Regierungsfraktionen - einen weiteren Beitrag in Richtung Haushaltssanierung, d. h. zur Umschichtung zu mehr investiven Anreizen, leisten, dann haben zumindest wir unseren Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative geleistet.
Die deutschen Gewerkschaften haben dies honoriert. Es ist erstaunlich, daß die CDU-Fraktion zu diesem Beitrag der deutschen Gewerkschaften kein Wort findet.
({0})
Die Freien Demokraten bewerten den Lohnabschluß der deutschen Gewerkschaften, gerade in der besonders schwierigen internen Lage der deutschen Gewerkschaften, als besonders verantwortungsvoll. Wir bedanken uns von dieser Stelle für diesen Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative.
({1})
Es wird jetzt am öffentlichen Dienst liegen, eben) falls einen Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative zu leisten.
({2})
- Ja, Herr Kohl, ich habe das dem Herrn Lorenser von der CDU gesagt, der die Verhandlungskommission in der ersten Runde gesprengt hat. Das ist traurig.
({3})
Neben den deutschen Gewerkschaften und hoffentlich dem öffentlichen Dienst hat auch die Bundesbank inzwischen ihren Beitrag geleistet. Sie ist dabei, durch eine vorsichtige Zinssenkung mittelfristig zu mehr Beschäftigung beizutragen. Sie gibt uns ihr Vertrauen für eine weitere Haushaltskonsolidierung, und sie honoriert die Exporterfolge der deutschen Unternehmen, die ich ebenfalls für sehr, sehr wichtig halte.
Meine Damen und Herren, vor allem von zwei Gruppierungen in der Bundesrepublik steht bisher der Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative aus. Das ist einmal die Opposition, damit auch die Bundesländer, und zum anderen ein Großteil der deutschen Wirtschaftsverbände.
({4})
Man macht keine konkreten Vorschläge, man spielt auf politischen Wechsel, man trägt zu weiterem Abwarten der Investoren bei, und man verschlechtert permanent das Investitionsklima.
({5})
Wenn ich die Vorgespräche mit manchen großen deutschen Wirtschaftsverbänden im Vorfeld dieser Gemeinschaftsinitiative nicht völlig falsch verstanden habe, so war dort eine gewisse Zustimmung für diese Schritte zu erkennen. Angesichts dessen ist es höchst verwunderlich, meine Damen und Herren, wie einheitlich das gleiche Programm nachträglich mit den Argumenten der CDU in öffentlichen Hearings abgelehnt wird. Das ist erstaunlich. Aus vielen sehr sachlichen Anfragen von einzelnen Unternehmen zur Investitionszulage gewinne ich persönlich den Eindruck, daß mancher Unternehmer besser in der Lage ist, seinen Vorteil durch die Investitionszulage auszurechnen, als die Verbandsjuristen.
({6})
Die Opposition hat ein Sieben-Punkte-Programm vorgelegt, das, Herr Waigel, für mich in der jetzigen Situation ein Witz ist. Es ist ein sprachlich aufgemotztes Wahlprogramm.
({7})
Dort, wo es um konkrete Vorschläge geht, vor allem also um die Finanzierung, erscheint in einer Fußnote der Hinweis: „Hierzu siehe Vorschlag der CDU im letzten Bundestagswahlprogramm."
({8})
Das sind also die Finanzierungsvorschläge der CDU in der jetzigen Debatte.
({9})
Wer Herrn Geißler in der letzten Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht erlebt hat - ({10})
- Nein, Herr Kohl, außer der BAföG-Änderung gab es bisher keinen konkreten Finanzierungsvorschlag und keinen Antrag der CDU in einem der Gremien.
({11})
Sie haben im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages die Qualifizierung junger Arbeitsloser positiv beschieden, Sie haben alle Finanzierungsvorschläge abgelehnt, und Sie haben sich bei der Investitionszulage der Stimme enthalten.
({12})
Das ist Ihr bisheriges Konzept gewesen, wie wir es von Ihnen kennen.
({13})
Herr Kiep, wer Herrn Geißler in der letzten Wirtschaftsdebatte erlebt hat - er sagte über die Rolle der FDP, wir seien die Partei, die die Sozialpolitik gestalte und die die SPD zu weiteren Kürzungen treibe -, der kann nur feststellen, daß Sie wahrscheinlich nicht sehr viel mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie im Ausland vorhaben, sondern daß Sie eher Wahlkampf im Sinn haben.
Was sind die Argumente der CDU und der Wirtschaftsverbände gegen die Investitionszulage?
({14})
- Man sagt, auch ein Teil der Sachverständigen;
({15})
nicht alle Wirtschaftsinstitute haben den Grundsatz eines Drei-Phasen-Modells abgelehnt. Sie haben en detail Kritik geübt. Wenn die Opposition jahrelang nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft ruft, dann kann doch eine 10%ige Senkung nicht falsch sein. Wenn Investitionen wegen der Hochzinspolitik verschoben werden, kann eine 10%ige Investitionszulage doch nicht falsch sein. Das ist ein Rechenexempel. Eine Zulage von 10 % wirkt sich in diesem Jahr für viele kleine und mittlere Betriebe wie eine massive Zinssenkung aus.
({16})
Diese Betriebe werden davon Gebrauch machen.
Deshalb ist es notwendig, daß die Union heute im Bundestag eindeutig erklärt, ob sie nun wirklich bereit ist, diese Investitionszulage mitzutragen oder nicht. Das wird entscheidend sein für das Investitionsklima in der Bundesrepublik.
({17})
Wenn gesagt wird, das sei nur ein Programm für die Großindustrie, kann ich mich nur wundern, wieviele kleine und mittlere Betriebe in der Lage sind, ihre Investitionsplanung kurzfristig umzustellen, und wie stark die Kritik der großen Industrieverbände ist, die sagen: Wir möchten eine Verlängerung der Fristen, weil wir kurzfristig nicht in der Lage sind, unsere Investitionen vorzuziehen. Das zeigt ja wohl, daß dieses Programm nicht gerade mittelstandsfeindlich ist.
({18})
Meine Fraktion kann sich nur wundern über die pauschale und definitive Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung durch die CDU/CSU. Ich verstehe Ihre Ablehnung nicht mehr so wie am Anfang, als ich den Eindruck hatte, daß Sie argumentierten, Sie wollten die Mehrwertsteuererhöhung nur nicht im Moment zur Finanzierung der Investitionszulage. Inzwischen sind Sie in Ihrer Ablehnung so grundsätzlich, daß wir davon ausgehen müssen, daß Sie in absehbarer Zeit jegliche Erhöhung der Mehrwertsteuer ablehnen.
({19})
- Das scheint so zu sein.
({20})
- Nein, Herr Kohl. Vielmehr wird es wichtig und auch von Interesse sein, ob Sie nachher erstens die Frage beantworten, ob die Zulage aus Ihrer Sicht völlig gestorben ist, und zweitens, ob Sie prinzipiell gegen jede Art von Steuerumschichtung sind. Wenn man sich jetzt nämlich definitiv gegen eine Mehrwertsteuererhöhung - ({21})
- Entschuldigung, ich bin an einer Fachdebatte interessiert, Herr Kohl, und stelle zwei Fragen, deren Beantwortung für die FDP wichtig ist.
({22})
Ich will das noch einmal aufnehmen, indem ich sage: Ein großer Teil meiner Kollegen in den Ausschüssen hat den Eindruck gewonnen, daß die CDU/ CSU inzwischen aus prinzipiellen Gründen auch mittelfristig gegen jede Erhöhung der Mehrwertsteuer ist. Das ist insofern interessant, weil das natürlich alle anderen Möglichkeiten, die wir zu einer Steuerumschichtung, zu einer Entlastung der direkten Steuern haben, ausschließt; denn der einzige Ausweg bei einer Senkung der direkten Steuern wäre ja eine Erhöhung der Staatsverschuldung. Ich bin gespannt.
({23})
Ich möchte zum Abschluß folgendes sagen. Die Freien Demokraten werden in dieser Koalition weiter ihren Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit leisten, d. h. wir verfolgen konkret vier Punkte. Erstens. Wir werden weitere konkrete Vorschläge zur Umschichtung der öffentlichen Haushalte, zu mehr investiven Elementen machen. Zweitens. Wir sind für eine Investitionszulage, weil sie mittleren Betrieben hilft und weil sie kurzfristig wie eine massive Zinssenkung wirkt. Drittens. Wir sind gegen weitere bürokratische Erschwernisse und Auflagen jeder Art für Unternehmer und für Investoren.
({24})
Viertens. Wir werden insbesondere die wohnungsbaupolitischen Vorschläge
({25})
unverändert in die Beratungen einbringen
({26})
und zur Abstimmung stellen, weil wir uns davon kurzfristig den einzigen Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit im Baubereich versprechen.
({27})
Die FDP wird diese Punkte energisch gegen jedes weitere Zerreden und Verwässern verteidigen und damit ihren Teil zur Gemeinschaftsinitiative leisten.
({28})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat der Herbeirufung, die hier erwogen wurde, nicht zu einem Zeitpunkt bedurft, als die CDU/CSU-Fraktion noch mit 16 Personen besetzt war. Ich habe sie alle einzeln gezählt.
({0})
Ich war schon unterwegs. Als ich eintraf, waren Sie 16. Es wurden dann bald 17 und 18. Ich hatte selbstverständlich ohnehin die Absicht, heute morgen hier zu sprechen.
({1})
- Herr Haase ({2}) möchte gern doppelt gezählt werden; das verstehe ich.
({3})
Die Bundesregierung geht davon aus, daß in dieser Weltwirtschaftsdepression ein Land allein nur in sehr begrenzter Weise die Auswirkungen auf die eigene Volkswirtschaft abfangen kann. Auf der anderen Seite muß aber jedes Land die ihm verfügbaren Möglichkeiten und Mittel voll einsetzen. Wir müssen sehen, daß im Gesamtgefüge der Weltwirtschaft unsere Volkswirtschaft drei- bis viermal so klein wie die der Vereinigten Staaten von Amerika ist; oder besser ausgedrückt: Die amerikanische Volkswirtschaft ist drei- bis viermal so groß wie die unsrige. Wir sind aber innerhalb Europas bei weitem die größte Volkswirtschaft, wenngleich uns der Größenordnung nach die französische, die italienische und die englische Volkswirtschaft gleichkommen. Das heißt, wir haben ein bestimmtes Gewicht im weltwirtschaftlichen Gesamtgefüge; lange nicht so groß wie die USA, aber doch ein bestimmtes Gewicht in Europa. Wir handeln infolgedessen verantwortlich auch für Auswirkungen auf andere Länder in der Welt, so, wie das, was andere Länder tun, sich für uns auswirkt.
Ich habe hier am 5. Februar gesagt, es gehe darum, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, aber auch der internationalen Öffentlichkeit ein Signal der Klarheit zu geben. Die Abstimmung damals hat dieses Signal in großer Deutlichkeit gesetzt. Für heute darf ich den Kollegen Westphal und Haussmann für meine Person sehr herzlich für das unverändert klare Eintreten für die Gemeinschaftsinitiative für Beschäftigung, Wachstum und Stabilität danken.
({4})
Die jetzige Debatte zur zweiten Lesung - heute nachmittag wird die dritte Lesung sein; inzwischen bekommen wir hoffentlich die Ergebnisse der Bundesratsberatung - dient gegenwärtig im wesentlichen der Verdeutlichung der Positionen gegenüber der nationalen wie der internationalen Öffentlichkeit. Deswegen hat Herr Kreile legitimerweise auch manches wiederholt, was wir früher schon gehört haben. Legitimerweise haben die Abgeordneten Westphal und Haussmann manches wiederholt und verdeutlicht, was wir früher schon gesagt hatten. Auch meine Aufgabe ist die der Verdeutlichung.
Ich muß noch einmal in das Bewußtsein zurückrufen, daß die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten im wesentlichen beruhen auf dem Zusammentreffen einer gegen Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre in vielen Staaten der Welt betriebenen inflatorischen Finanzierung von Staatshaushalten mit entsprechender Auswirkung auf die Verschlechterung der Währungen - das war die Epoche, in der die D-Mark laufend aufgewertet wurde, weil wir diesen Kurs nicht mitgemacht haben; die anderen Währungen verschlechterten sich uns gegenüber - und mit der Ölpreisexplosion durch die Verknappung des Öls.
Das letztere hat uns schwer getroffen. Ich muß hier einmal sagen, daß die Öleinsparung durch die Bürgerinnen und Bürger, die Autos fahren - morgens zum Arbeitsplatz und nachmittags nach Hause -, durch die Menschen, die ihre Wohnungen mit 01 heizen, durch die Industrie, die ihre Anlagen mit Schweröl betreibt, bisher ein fabelhaftes Ergebnis erreicht hat, wenngleich es immer noch nicht ausreicht. Wir haben 1973 145 Millionen t Öl eingeführt, im letzten Jahr noch 109 Millionen t 01, obwohl das Bruttosozialprodukt, das wir damit erzielt haben, natürlich bei weitem größer als das von 1973 gewesen ist. Da kann man nur an alle Adressen sagen: Wir - die Verbraucher, die Kraftfahrer, auch die Industrie - sind auf dem richtigen Wege.
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Trotz dieser Einschränkung im Ölverbrauch hat andererseits die Explosion der Ölpreise, die für uns Deutsche durch die Aufwertung der D-Mark gegenüber allen anderen Währungen - verglichen mit 1973 - einigermaßen gebremst wurde, für uns die Ölrechnung natürlich unerhört verteuert. Wir haben für die viel größere Menge 01 im Jahre 1973 13 Milliarden DM bezahlt, für die viel kleinere Menge 01 im letzten Jahr dagegen 65 Milliarden DM, d. h. über 50 Milliarden mehr als damals. Diese 50 Milliarden mehr müssen aus dem Volkseinkommen abgezweigt werden. Sie treffen jedermann; sie stehen zur Verteilung nicht mehr zur Verfügung. Damals standen sie zur Verteilung zur Verfügung, heute fehlen sie.
Es kommt hinzu, daß die Auswirkungen in anderen Ländern der Welt zum Teil sehr viel stärker gewesen sind, die dann ihrerseits in die Lage kamen, von uns nicht mehr so viel kaufen zu können, wie es früher der Fall war oder wie wir erwartet hatten. Wir exportieren gegenwärtig ungefähr 30% unseres Bruttosozialprodukts ins Ausland. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, daß das Ausland bei uns bestellt, kauft und auch bezahlt. Sonst sind diese ArBundeskanzler Schmidt
beitsplätze nicht zu halten. 30 % unseres ganzen Sozialprodukts exportieren wir ins Ausland, und von unserem Industrieprodukt exportieren wir einen noch größeren Teil ins Ausland.
Unsere Arbeitsplätze in der Industrie sind also auf das stärkste davon abhängig, daß das Ausland kaufen und bezahlen kann. Insofern wirkt die Wachstumsschwäche aller Volkswirtschaften der Welt natürlich auf eine so exportintensive Industrie wie die unsere und auf unsere Industriebeschäftigung zurück, und es gibt überhaupt kein Mittel, sich von dieser starken Rückwirkung des ausländischen Auftragseingangs auf unsere Industrie zu befreien. Da kann man nur daran mitwirken, in der ganzen Welt Verhältnisse zu schaffen, die den Wirtschaftsaustausch und das Wirtschaftswachstum wieder beleben.
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Ich komme später noch auf die Faktoren zu sprechen, die dann für die meisten Länder der Welt, natürlich auch für uns, Zahlungsbilanzprobleme aufgeworfen haben. Jemand, der plötzlich eine so viel höhere Ölrechnung bezahlen soll, hat dafür nicht genug ausländische Währung zur Verfügung und muß das finanzieren. So sind die Ölländer, die OPEC-Länder, zu den größten Finanziers der Welt geworden, und denjenigen, die dort Kredite nachgefragt haben, wurde geantwortet: Ja, gebt zunächst einmal ein bißchen mehr Zinsen! - Gleichzeitig haben die Staaten, die diese phantastischen Inflationsraten von 18, 20, 22 % zugelassen hatten, begriffen, daß sie ihrerseits die Inflation bekämpfen müssen. Auch das hat dann zum Zinsanstieg beigetragen. Solange ein Land auf ausländische Finanzierung angewiesen ist, ist es natürlich mit diesem internationalen Zinsanstieg auf das stärkste verkoppelt. Dieser internationale Zinsanstieg ist ein weiterer Faktor, der die Wirtschaft in allen Länder der Welt bremst. Schauen Sie sich einmal - um ein wichtiges Beispiel für die Konsequenzen der dortigen Zinsen zu nennen - die Bauwirtschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika an!
Es kommt hinzu, daß dies alles natürlich bei den Entwicklungsländern auf das schwerste durchschlägt. Wir haben unter Inkaufnahme von Opfern unsere deutschen Märkte trotz der Wirtschaftskrise großzügiger geöffnet und offengehalten als die meisten übrigen Industriestaaten der Welt,
({7})
weil wir wissen, daß davon das Wohl und Wehe der Entwicklungsländer abhängt.
Die Politik der Bundestagsmehrheit und der Bundesregierung geht von der Erkenntnis aus, daß diese weltwirtschaftlichen Strukturumwälzungen nicht mehr zurückgedreht werden können, sondern daß es für die Volkswirtschaften der Welt notwendig ist, sich diesem Strukturwandel anzupassen. Man kann ihm nicht ausweichen, und es hat keinen Zweck, ihm ausweichen zu wollen. Einige Regierungen sind in der Versuchung, ihm dadurch auszuweichen, daß sie Grenzen für alle möglichen Waren- und Kapitalverkehre abriegeln. Dieser Versuchung wollen wir widerstehen. Wir meinen, die ganze Welt muß der Versuchung zu jedwedem Protektionismus widerstehen, sonst wird sich in der ganzen Welt die Arbeitslosigkeit vertiefen.
({8})
Für die Anpassung an die neuen Strukturen der Welt gibt es keine Patentrezepte - in keinem Land. Notwendig ist eine ökonomische Politik, die die Zahlungsbilanzen wieder ins Gleichgewicht bringt. Wir sind auf dem besten Wege, wie jeder weiß, eine ökonomische Politik zu verwirklichen, die Inflation und Preisinflation bremst, eine Politik, die die Struktur der eigenen Industrie, aber auch die Struktur des eigenen Verbrauches z. B. im Kraftverkehr, z. B. in den Wohnungen, z. B. in der Beheizung der Wohnungen an diese neuen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten anpaßt. Wer sich zuerst anpaßt, wird als erster wieder besser als in den letzten zwei Jahren fahren und als es gegenwärtig der Fall ist. Deshalb, dieser Anpassung wegen, räumen die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit gegenwärtig den auf die Anpassung gerichteten Investitionen in der privaten Wirtschaft, aber auch bei der öffentlichen Hand Vorrang vor allen möglichen anderen Patentrezepten ein.
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Wir wissen dabei, daß das nur gutgehen kann - der dadurch bedingte Verzicht bei konsumtiven Verwendungen des Sozialprodukts, der Verzicht auf Verbrauchsverwendungen von Teilen des Volkseinkommens, der Verzicht auf konsumtives Einkommen des einzelnen -, wenn gleichzeitig die wichtigste Grundlage unserer industriellen Leistungsfähigkeit, zugleich die wichtigste Grundlage unserer Demokratie, nämlich der soziale Konsensus in unserer Gesamtgesellschaft, aufrechterhalten wird.
({10})
Das sind die Grundlinien, von denen aus wir uns bemühen, auch die übrigen Industriestaaten der Welt zu beeinflussen, z. B. innerhalb der EG, z. B. im engen Zusammenwirken mit Frankreich und mit England, z. B. auf dem Weltwirtschaftsgipfel, der sich heute in acht Wochen in Versailles bei Paris mit diesen Fragen beschäftigen muß. Natürlich kommt in diesem Zusammenhang der amerikanischen Volkswirtschaft - ich habe ihr überragendes Gewicht vorhin genannt - überragende Bedeutung zu.
Ich wiederhole: wo die Probleme weltweite Dimension erreicht haben, können nationale Mittel allein nicht helfen, aber der Staat muß sie, soweit sie ihm zur Verfügung stehen, einsetzen; jeder einzelne Staat.
({11})
Der Staat ist zwar nicht allein in der Lage, die strukturelle Anpassung unserer Industrie, unserer Produktion wie unseres Verbrauchs an die neue Lage der Weltwirtschaft zu garantieren. Das kann er nicht. Er kann auch nicht allein die Kräfte mobilisieren, die dazu notwendig sind, aber ohne staatliches
Handeln können diese Kräfte auch nicht mobilisiert werden.
({12})
Mit anderen Worten: ohne den Anstoß durch das Haushaltsgesetz für 1982 und die im Zusammenhang damit im Winter verabschiedeten vielen Gesetze, ohne den Anstoß durch diese Gemeinschaftsinitiative, würde der Prozeß in unserem Lande nicht ausreichend in Gang gebracht werden.
({13})
Wenn er aber läuft, dann muß und wird auch die Deutsche Bundesbank die hier entstehenden Zinssenkungsspielräume entschlossen nutzen. Wir können mit einer gewissen Genugtuung feststellen, daß dies im Laufe der letzten Wochen schon deutlich in Erscheinung getreten ist.
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Ich wiederhole an dieser Stelle einen mir immer wieder wichtig erscheinenden Gedanken, nämlich meine Bitte an alle Beteiligten in der gewerblichen Wirtschaft, im Handwerk sowie an die öffentlichen Arbeitgeber, bei der Einrichtung von Ausbildungsplätzen und Lehrstellen bis an die Grenze ihrer jeweiligen betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - bis an die Grenzen ihrer betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit! - zu gehen.
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Denn es ist heute schon abzusehen - erstens -, daß wir gegen Ende dieses Jahrzehnts einen ganz empfindlichen Facharbeitermangel haben werden, auch bei den Frauen; dafür muß heute vorgesorgt werden.
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Zweitens haben wir, wenn gegenwärtig auch in diesem Jahr wiederum 130000 junge Menschen mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre - der Stärke der Geburtsjahrgänge wegen - ins Berufsleben eintreten, die pädagogisch-moralische Pflicht,
({17})
ihnen die ganze Zukunft nicht als verbaut und für sie aussichtslos erscheinen zu lassen.
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Nun hat die von uns eingeleitete Haushaltspolitik, die von uns eingeleitete Steuerpolitik, die Währungspolitik, die ökonomische Politik insgesamt, die Wirtschaftspolitik, jetzt, bei Eintritt in den Frühling - Frühlingsanfang war vor einer Woche -, durchaus erkennbare Fortschritte gebracht.
({19})
- Ja, Niedersachsen: Der Herr Ministerpräsident Albrecht trägt gerade heute morgen im Bundesrat dazu bei, daß uns zusätzliche Erschwernisse in den Weg gelegt werden. ({20})
Erstens. Wir können mit diesem Frühlingsanfang feststellen, daß sich unsere Exporte in einer Weise entwickeln, die niemand von der Opposition im Herbst vorhergesagt hat. Im Gegenteil: Sie haben die Exportentwicklung so schwarzgemalt, wie Sie es konnten.
({21}) Das Gegenteil ist gegenwärtig eingetreten.
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Zweitens. Es gibt keinen Zweifel mehr - es sei denn, ein politisches Hagelgewitter ginge über die Welt nieder -, daß unsere deutsche Zahlungsbilanz vollständig ausgeglichen sein wird, so daß wir von dorther gegenwärtig keine wirklichen Sorgen mehr zu haben brauchen.
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Drittens. Wir haben den Höhepunkt des Preisanstiegs deutlich überwunden. Die Inflationsrate geht zurück; ich komme darauf noch einmal zurück.
Viertens. Wir haben beim kurzfristigen Zins wie beim langfristigen Zins ganz deutlich den Höhepunkt überwunden und sind in eine Phase der leider langsamen, aber doch deutlichen Zinssenkungen eingetreten.
Zu alledem haben nicht nur unsere Gesetze beigetragen, sondern das Verhalten der Verbraucher, der Kraftfahrer, der Unternehmensleiter, der Handwerksmeister. Dazu haben insbesondere die Tarifabschlüsse beigetragen, soweit sie in diesem Frühjahr schon vereinbart worden sind. Die beteiligten Gewerkschaften haben den Appell der Bundestagsmehrheit und der Bundesregierung in einer sehr verantwortungsbewußten Weise aufgenommen; leicht war das für die Beteiligten nicht.
({24})
Wir sind uns in diesem Haus immer einig gewesen, zu fordern: Freiheit für die Gewerkschaftsbewegungen in osteuropäischen Staaten! Es wäre schön, wenn wir uns auch in der Anerkennung dafür einig sein könnten, daß unsere freien Gewerkschaften ihre Verantwortung voll erkannt und dementsprechend gehandelt haben.
({25})
Die Gewerkschaften können Lohnabschlüsse, wie sie z. B. für die metallverarbeitende Industrie in Deutschland ergangen sind, vor ihren Mitgliedern verantworten, aber sie können sie nur deshalb verantworten, weil sie die Voraussicht und die Gewißheit besitzen, daß sie mittelfristig und erst recht langfristig durch diese aktuelle Lohnpolitik ihren Arbeitnehmern und der Gesamtwirtschaft dienen, daß sie mit dieser eigenen maßvollen Haltung der Beschäftigung der übrigen Arbeitnehmer dienen.
({26})
Natürlich hat die Bundesrepublik heute wie schon in den ganzen 70er Jahren einen beachtlichen Stabilitätsvorsprung vor den übrigen industriellen Staaten des Westens, mit Ausnahme Luxemburgs, vor allen Staaten des Nordatlantischen Bündnisses.
Vor mir liegen die Preisanstiegsziffern vom Beginn dieses Jahres. Die Verbraucherpreise bei uns stiegen im Februar um 5,8 %, in den Vereinten Staaten von Amerika um 8,4 %, in Frankreich um 13,9 %, in England um 12 %. Übrigens, es wollte doch einmal ein deutscher Politiker der „deutsche Thatcher" sein. Was hat er damit eigentlich gemeint? Wollte er jene Preisanstiege mit jener Politik nach Deutschland übertragen oder die Arbeitslosigkeit von drei Millionen in jenem Land auf unser Land übertragen? Was ist damit eigentlich gemeint?
({27})
Meine Damen und Herren, was ist damit gemeint, wenn die Vertreter der CSU und der CDU wechselweise zu einer Hauptstadt auf der anderen Seite des Atlantiks Wallfahrten unternehmen, um zu behaupten, wenn sie zurückkommen, das sei dort die richtige Wirtschaftspolitik, die bei Zinsen von 15 % und bei einer Arbeitslosigkeit von 9 % steht?
Ich will hier eines deutlich sagen, Herr Abgeordneter Kohl: Wir sind genau wie Sie der festen Überzeugung, daß um der Wohlfahrt der ganzen Welt willen, um unserer Freiheit und der Freiheit unserer Nachbarn in Europa willen, daß auch im Interesse der osteuropäischen Völker das politische, das verteidigungspolitische, das sicherheitspolitische Bündnis mit den Vereinigten Staaten unabdingbar ist. Wir halten daran fest, wie wir immer daran festgehalten haben.
({28})
Aber das kann nicht bedeuten, daß wir die dortige Sozialpolitik oder die Zinspolitik oder die dortigen Preis- und Arbeitslosigkeitsraten, die dortige Wirtschaftspolitik auf unser Land übertragen wollen, auch nicht auf den Freistaat Bayern.
({29})
Das Vertrauen des Auslands in unsere gesamte ökonomische Politik sehen Sie in den aktuellen Daten der Zahlungsbilanz. Das Vertrauen können Sie auch an den deutschen Zinsraten ablesen.
({30})
Es werden in Deutschland zur Zeit für Dreimonatsgeld 9,5 % Zinsen gezahlt, in Amerika 14,0, in Frankreich über 16 %, in England über 13 %. Das heißt nicht, daß wir nichts zu tun hätten, meine Herren von der CDU/CSU und von der Bundesratsmehrheit. Wir müssen auch von diesen Zahlen noch herunter. Aber uns zu empfehlen, die englische oder die amerikanische ökonomische Politik zu übernehmen, das ist reiner Unfug.
({31})
Bei alledem: Unsere Probleme sind groß genug. Auch wenn sie etwas kleiner als bei Nachbarländern sind, sie sind groß genug. Zweifellos ist für einen Sozialdemokraten in dieser Lage das Arbeitslosigkeitsproblem das wichtigste Problem. Kein anderer Faktor unter den laufenden, jeden Monat neu veröffentlichten Daten der Wirtschaft macht die Verantwortung, unter der das Parlament handelt und unter
der auch die Ministerpräsidenten der Länder handeln, die im Bundesrat über das gleiche Thema heute morgen geredet haben, noch klarer.
({32})
Wir haben mit den Gesetzen, die am Anfang des Jahres in Kraft getreten sind, mit dem Haushalt und mit dieser Gemeinschaftsinitiative insgesamt Instrumente in die Hand genommen, die bis 1985 Investitionen, d. h. beschäftigungswirksame Maßnahmen, in einem Gesamtumfang von 40 Milliarden DM, grob gesprochen, auslösen. Dabei steht die Förderung der privaten Investitionstätigkeit im Vordergrund; ich wiederhole das. Es kommen andere Maßnahmen hinzu, von denen die Herren Haussmann und Westphal gesprochen haben; ich will das nicht wiederholen.
Aber wichtig ist, daß wir in der gegenwärtigen Lage unserer Zahlungsbilanz, und um den Zinsanstieg nicht nur zu bremsen, sondern die inzwischen eingetretene Senkung der Zinsen zu vertiefen - um das nicht zu gefährden -, dies alles gegenwärtig nicht über zusätzliche Kreditaufnahmen finanzieren. Und wir tun es auch nicht. Das wäre falsch in der gegenwärtigen Lage. Neben der Bremsung des Lohnkostenanstiegs ist die Entlastung des Kapitalmarktes, sprich: die Senkung der Zinsen, gegenwärtig die wichtigste Hilfe für die konjunkturelle Entwicklung, insbesondere für die konjunkturelle Entwicklung der Bauwirtschaft und des Wohnungsbaus.
({33})
Ich will aber eines hinzufügen: Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich innerlich zu einer Philosophie des Sparens überall und um jeden Preis bekennen können. Man darf sich auch nicht innerlich für eine Brüningsche Deflationspolitik öffnen.
({34})
Wenn es so ist, daß all diese Dinge nicht durch zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert werden können, insbesondere die Investitionszulage nicht, dann muß sie nach Auffassung der Bundestagsmehrheit und der Bundesregierung über Steuermehreinnahmen finanziert werden.
Da hat nun Herr Kreile große Klagen vorgetragen. Ein bißchen, Herr Kreile - nehmen Sie es mir nicht übel -, hatte ich das Gefühl, daß dabei sehr viel aus Ihrer eigenen Berufserfahrung durchschlägt. Das ist auch nur gut so, wenn wir alle aus unseren Berufen heraus die Berufserfahrungen hier im Parlament einbringen. Ich hatte insbesondere das Gefühl, daß aus der Erfahrung der Großindustrie gesprochen wurde, genauer gesagt - ({35})
- Das ist doch nun wirklich keine Beleidigung. Herr
Kreile hat hier nicht aus den Interessen des Handwerks und des kleinen Gewerbes heraus gespro5736
chen, sondern aus der Sicht eines großindustriellen Unternehmens.
({36})
Er hat Gott sei Dank nicht für die ganze deutsche Unternehmerschaft reden können. Herr Kreile, wenn Sie beanstanden, daß der Zeitraum für Bestellungen zu kurz sei, so hat Ihnen Herr Haussmann die richtige Antwort gegeben. Ich wiederhole es: Das alles tritt am 1. Januar 1982 rückwirkend in Kraft.
({37})
Und wenn Herr Kreile gesagt hat, daß Großunternehmen davon weniger begünstigt werden als Handwerksunternehmen - so habe ich es dem Sinne nach verstanden -, dann hat er recht. Das sollte er aber nicht beklagen. Es ist ja nicht unsere Absicht, den Großen noch zusätzlich zu helfen. Die Großunternehmen haben sowieso mehrjährige Investitionsprogramme, die durchgezogen werden. Unsere Absicht ist, dem Gewerbe und den mittleren und kleineren Unternehmen zu helfen. Und denen wird damit auch geholfen.
({38})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kreile? - Bitte, Herr Kreile.
Herr Bundeskanzler, darf ich darauf hinweisen, daß ich genau dies, was Sie soeben zu Ihrer Attacke benutzt haben, nicht gesagt habe.
Lieber Herr Kreile, wenn ich Sie mißverstanden haben sollte, will ich mich gerne korrigieren. Aber wenn Sie es nicht gesagt haben, dann sind wir uns offenbar einig, daß es vernünftig ist, die mittleren und kleineren Unternehmen zu begünstigen.
({0})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Kreile? - Bitte, Herr Kreile.
Herr Bundeskanzler, wären Sie bereit, das Protokoll in diesem Punkt nachzulesen und dann, wenn Sie feststellen, daß Sie sich geirrt haben, ein klärendes Wort hierzu an dieser Stelle zu sagen?
Meine Antwort lautet schlicht: Ja. Nur, Herr Kreile, die Auseinandersetzung mit Ihren Ausführungen ist damit nicht beendet. Sie haben Klage erhoben über die sechs Monate 1 % mehr Mehrwertsteuer, sechs Monate, vom 1. Juli des kommenden Jahres 1983 bis zum 31. 12. 1983. Davon reden wir ja. Wir sind derselben Meinung, nehme ich an, daß beginnend für das Jahr 1984 sodann diese Mehrwertsteuererhöhung benutzt werden muß, um die Progressionswirkungen in der Lohnsteuer und in der Einkommensteuer wieder
einmal auszugleichen. Sie haben hier in Wirklichkeit lediglich über sechs Monate geklagt. Da muß ich nun allerdings sagen, daß eine Umverteilung von Finanzmitteln über sechs Monate zugunsten beschäftigungswirksamer Investitionen der kleinen und mittleren Unternehmen nicht nur verantwortbar, sondern geradezu geboten ist, wenn wir die Sache hier in Gang bringen wollen.
({0})
Herr Kreile hat auch gesagt, das sei alles schon gescheitert. Also mit den Stimmen der CDU/CSU-Minderheit im Bundestag kann das nicht scheitern, Herr Kreile. Sie setzen vielmehr Ihre Hoffnung darauf, daß die Ministerpräsidenten der CDU- und CSU-regierten Länder im Bundesrat die Sache zu Fall bringen. Das ist die Hoffnung, die Sie etwas freundlicher ausgedrückt haben. Hier im Parlament scheitert gar nichts.
Nun muß man hier auch ein Wort in Richtung auf die Herren Ministerpräsidenten sagen. Ich kann bei der Bundesratsmehrheit nicht erkennen, was sie ihrerseits anstelle unserer Gemeinschaftsinitiative vorschlagen will. Sie bringt j a auch keine Gesetzentwürfe ein, obwohl natürlich das Grundgesetz dem Bundesrat die Möglichkeit gibt, Initiativgesetzentwürfe einzubringen und dann auch zur Behandlung im Bundestage zu bringen. Dies ist was den Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern angeht, für mich keine Überraschung, daß er keine eigenen Gesetzentwürfe einbringt. Er hat im Bundesrat fünf Stimmen. Im Bundesrat hat jede Regierung ein Stimmpaket, die großen Länder haben fünf Stimmen, die mittleren Länder vier und die kleineren Länder drei Stimmen. Herr Kiep möchte gerne in Zukunft mit Hilfe dreier Hamburger Stimmen Gemeinschaftsinitiativen und Beschäftigungspolitik blockieren. So habe ich Sie verstanden, Herr Kiep. Ich hoffe, Sie bekommen dazu keine Gelegenheit, Herr Kiep.
({1})
Bei dem Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern kann ich das alles verstehen. Er hat in Amerika die dortige Haushalts-, Wirtschafts- und Geldpolitik gelobt. Er findet das offenbar richtig. Er muß nur dann auch die Konsequenzen, die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen, mit in Kauf nehmen, die es mit sich bringt, wenn man solche Roßkuren macht, auf der einen Seite sehr große Haushaltsdefizite und infolgedessen auf der anderen Seite eine ganz enge, feste Geldpolitik mit entsprechendem Zinsanstieg.
({2})
- Mir ist ganz unklar, wofür Herr Strauß steht. In Amerika redet er ganz anders als in München. Das ist mir ganz deutlich geworden.
({3})
Ich sehe, daß Herr Zimmermann eine Zwischenbemerkung macht. Darf ich Sie ansprechen. Stimmt es, daß Sie in Washington gesagt haben, mit Strauß
stellt sich die zukünftige deutsche Bundesregierung in Washington vor?
({4})
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Zimmermann. - Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann.
({0})
- Sie haben das Wort, Herr Dr. Zimmermann.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß Herr Strauß und ich in München und in Bonn und in Washington das gleiche sprechen, und Sie wissen auch, daß man in Amerika sehr viel Sinn dafür hat und daß man weiß, daß, wenn die größte Fraktion des Deutschen Bundestages mit ihren führenden Repräsentanten dort erscheint, das die Regierung von morgen ist - nicht mehr und nicht weniger.
({0})
Also, genau haben Sie auf die Frage j a nicht geantwortet. Aber dem Sinn nach haben Sie sie bejaht, Herr Zimmermann; nicht wahr?
Aber nun ist gerade Herr Stoltenberg in Washington. Ist das auch die Regierung von morgen?
({0})
Und Herr Kohl ist bisweilen in Amerika. Ist das dann auch noch die Regierung von morgen?
({1})
Und ich möchte meinen Kopf verwetten: Demnächst ist Herr Albrecht in Washington. Ist das auch die Regierung von morgen?
({2})
Also das gibt ein ganz tolles Gedränge in der Regierung von morgen, Herr Kohl.
({3})
Also ich bin dafür: Wir behalten die Regierung von heute.
({4})
Ministerpräsident Albrecht, der das niedersächsische Stimmenpaket im Bundesrat verwaltet, hat in seinem Landtag gesagt
({5})
- das muß ich zugestehen; da haben Sie leider recht -, er hat ausweislich des Protokolls in diesem Frühjahr in Hannover gesagt,
({6})
daß in bezug auf die Wirtschaftspolitik die Bundesrepublik durch die Bundesregierung geführt werden müsse. Er hoffe, daß die beschäftigungspolitischen Entscheidungen bald fielen. Und dann hat er hinzugefügt, die niedersächsische Landesregierung werde von ihrer Vetomöglichkeit - man beachte das Wort Veto! - im Bundesrat nur dann Gebrauch machen, wenn es um Grundsatzfragen der Politik gehe. Aber hier könne er, ehrlich gesagt - so sagte er -, eine Grundsatzfrage nicht erkennen.
Inzwischen hat er seinen Wahlsieg errungen. Und nun klingt es anders. Jetzt sagt er in einem Interview mit dem „Handelsblatt", daß er das Beschäftigungsprogramm in seinen positiven Teilen im Bundesrat passieren lassen wolle, obwohl er davon überzeugt sei, daß es nicht viel bringe. Aber der Finanzierung will er nicht zustimmen.
Warum will er heute nicht zustimmen? Damals war es keine Grundsatzfrage. Weil er eben auch gerne der Regierung von morgen angehören möchte - am liebsten als Bundeskanzler.
Man muß bei seiner Meinung bleiben, wenn man Verantwortung trägt und dazu gewählt ist.
({7})
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
({0})
- Meine Damen und Herren! Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, ob er eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seiters zuläßt.
Herr Kreile, einen Augenblick noch, ja? Sie können bitte fragen, wenn ich die Passage über die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder beendet habe.
({0})
Vor mir liegt ein Brief, den Ministerpräsident Vogel in Mainz geschrieben hat. Er ist nicht geheim. Da schreibt er an den sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden im rheinland-pfälzischen Landtag, daß er und der gesamte Bundesrat die Mehrwertsteuererhöhung für die Finanzierung der Investitionszulage ablehnen müsse. Und dann kommt eine interessante Passage - und das ist ein sorgfältig diktierter und redigierter Brief -: Damit könnten aber die Last und die Verantwortung für die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für ein Beschäftigungsprogramm nicht auf den Bundesrat übergehen.
({1}) Es geht noch weiter. Er schreibt:
Die Länder wirken bei der Gesetzgebung des Bundes durch den Bundesrat mit. Aber sie müssen nicht mit eigenen Entwürfen in die Bresche springen.
({2})
Das ist also das, was der Herr Albrecht früher „Vetopolitik" genannt hat: nein sagen, aber keine eigenen Vorschläge einbringen.
({3})
Dazu muß ich nun wirklich sagen, es hat in der deutschen Geschichte, die wir erlebt haben, und es hat immer in der deutschen Geschichte über Jahrhunderte hinweg, schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, den Zwiespalt zwischen zentralen und partikulären, föderativen Kräften gegeben, so im Bismarckreich, so in der Weimarer Republik, so natürlich auch heute. Das ist immer der Fall gewesen, unabhängig von politischen Schattierungen; das ist eine geschichtliche Tatsache, mit der wir Deutschen leben müssen. Deswegen hat das Grundgesetz versucht, das Gewicht der Länder durch den Bundesrat richtig auszutarieren. Aber eines ist mir ganz gewiß: Die Mitwirkungsrechte der Länder an der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland sind nicht dazu geschaffen worden, daß die Bundesländer mit einer Mehrheit die Gesetzgebung des Parlaments blockieren, ohne ihrerseits Ersatzvorschläge dafür auf den Tisch zu legen.
({4})
Herr Seiters, zur Zwischenfrage.
Herr Bundeskanzler, nachdem Sie vorhin den Eindruck erweckt haben, als habe Herr Ministerpräsident Albrecht vor dem Landtagswahltermin und nach dem Landtagswahltermin unterschiedliche Positionen bezogen, sind Sie bereit, vor diesem Hause wahrheitsgemäß zu bestätigen, daß Ministerpräsident Albrecht und die gesamte niedersächsische CDU im Landtagswahlkampf immer wieder erklärt haben, sie würden die Erhöhung der Mehrwertsteuer ablehnen, und daß die Wähler mit 50,7 % dem zugestimmt haben?
({0})
Wenngleich es mir nicht angenehm ist, so will ich doch sofort einräumen, daß das Wahlergebnis stimmt. Ich beneide Herrn Albrecht.
({0})
Aber was das betrifft, was Sie ansonsten behaupten, Herr Kollege, bitte ich Sie sehr herzlich, das Landtagsprotokoll, aus dem ich hier zitiert habe - ich kann es Ihnen auch zuschicken -, zu lesen. Das war damals eine völlig andere Auffassung, als sie heute von Ihnen und von Herrn Albrecht vertreten wird.
({1})
Jetzt muß ich aber noch einmal auf die Jeremiade von Herrn Kreile zurückkommen, der die deutsche Industrie unter der Steuerlast zusammenbrechen sieht. Herr Kreile steht damit nicht allein, nicht? Herr Strauß hat im vorigen Monat massive Steuerentlastungen für Unternehmen gefordert - ein langes Interview mit vielen Punkten, was alles noch gesenkt werden soll. Ich darf Sie, Herr Kollege Kreile - Herr Strauß ist nicht hier, er macht gerade sein Veto im Bundesrat -, darauf hinweisen, daß allein der Zahl nach im Laufe der letzten sieben Jahre, seit 1975, durch diesen Bundestag 29 Steuerentlastungen beschlossen und Gesetz geworden sind - 29 Steuerentlastungen! -, dazu eine einmalige Investitionszulage; insgesamt ein Betrag von über 26 Milliarden Mark. Das, was Sie verlangen, haben wir der Tendenz nach schon getan, allerdings mit Maßen und nicht mit dem Augenmaß eines Auf sichtsratsvorsitzenden eines großen Unternehmens.
Sie können sagen, die Mehrwertsteuer träfe alle. Das ist wahr. Aber die Beschäftigungswirkung kommt eben auch allen zugute. Ich will Ihnen ehrlich sagen, Herr Kreile - ich wiederhole auch damit etwas, was ich früher gesagt habe -, ich persönlich hätte ganz gerne für diejenigen - und das gilt z. B. für uns alle im Bundestag - in der deutschen Gesellschaft mit sehr hohen Einkommen eine Ergänzungsabgabe draufgepackt. Das will ich hier offen sagen.
({2})
So wie die Freie Demokratische Partei von Fall zu Fall etwas, was ihr im Grund nicht schmeckt, aus Kollegialität und aus Einsicht in die Notwendigkeit, diese Regierungskoalition zu tragen, mitmacht, so habe ich meinerseits auch ertragen müssen, und zwar aus Rücksicht auf die Koalitionskollegen der FDP, daß wir die Ergänzungsabgabe nicht machen. Ich gebe also zu, ich hätte das gern ein bißchen anders gehabt. Sie allerdings würden natürlich noch mehr dagegen sein.
({3})
- Nein, Sie sind doch für die Ergänzungsabgabe?
({4})
- Herr Kreile, stellen Sie eine affirmative Zwischenfrage!
({5})
Herr Westphal hat schon vorgeführt, wie das alles aus Ihrer Sicht, Herr Kohl, finanziert werden soll. Er hat das BAföG genannt und anderes, wo Sie überall hineinschneiden wollen. Die in den fünfziger und sechziger Jahren bekämpften Karenztage in der Krankenversicherung sollen wiederhergestellt werden. Dann Kürzung des Arbeitslosengeldes. Einen ganz wichtigen Punkt hat er nicht genannt, den Sie vorgeschlagen haben, Herr Kohl - Sie werden ja gleich nach mir reden -: Sie wollen alle Subventionen und Zuschüsse um 5 % kürzen. Ich möchte Sie bitten, einmal ins Saarland zu fahren oder nach Dortmund, nach Rheinhausen, nach Bochum oder nach Bremen. Ich möchte wissen, ob Sie die Hilfen für Kohle und Stahl wirklich um 5 % kürzen wollen.
({6})
Und dann fahren Sie bitte einmal nach Emden oder nach Kiel, und dann möchte ich wissen, ob Sie die Hilfen für die Werften wirklich um 5 % kürzen wollen.
({7})
Und fahren Sie bitte einmal nach München, reden Sie mit dem Herrn Kollegen Strauß und sagen Sie danach, ob Sie die Mittel für den Airbus um 51)/0 kürzen wollen, für den wir gerade gestern der Investition und Modernisierung unserer Wirtschaft und der Beschäftigung wegen zusätzliche staatliche Garantien beschlossen haben. Sollen wir immer gleich 5 % weniger beschließen, oder wie ist das gemeint? Das sind unseriöse Vorschläge.
({8})
Sie sind insbesondere dann nicht seriös, wenn Ihr Bundesgeschäftsführer Geißler gleichzeitig öffentlich genau das Gegenteil vorführt.
({9})
- Generalsekretär. Ist das ein besserer Titel? Ich wollte ihm nicht den Titel verkürzen. Ich habe Respekt vor Titel und Person, Herr Kollege. Aber wenn der Vorsitzende der CDU und Oppositionsführer der CDU/CSU hier im Bundestag sagt, alle Zuschüsse und Subventionen sollten um 5 % gekürzt werden - was dann j a wohl auch das Wohngeld betrifft, was das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe betrifft; da haben wir gerade im Vermittlungsausschuß einen schweren Fehler gemacht, den wir jetzt alle miteinander korrigieren wollen, was die Heimbewohner, die Alten angeht -,
({10})
dann muß ich mich doch fragen: Wieso kann sich dann gleichzeitig Herr Geißler hier hinstellen und eine große Jeremiade darüber singen, das sei alles so unsozial? Sie selber sind es doch, die diesen Weg der Kürzungen der Sozialleistungen in Deutschland forcieren.
({11})
- Ich gebe zu, lieber Herr Jenninger, daß wir uns erstens auf dem Felde der Sozialleistungen bemühen, die Löcher zu stopfen, d. h. die Möglichkeiten für Mißbrauch zu beschneiden. Das ist noch nicht überall gelungen.
({12})
- Das ist doch nicht mit der fünfprozentigen Kürzung des Arbeitslosengeldes zu machen, lieber Herr Jenninger. Das ist doch ein Skandal!
({13})
Zweitens haben wir uns darüber hinaus auch ein wenig sparsamer einstellen müssen. Aber wir machen
die Kürzung der Sozialleistungen nicht zum Generalrezept für die Gesundung der Weltwirtschaft. Das ist das, was ich bei Ihnen heraushöre.
({14})
Ich kann das auch anders ausdrücken. Ich kann auch sagen: Wenn ein Arbeitnehmer, ein Betriebsrat oder ein Gewerkschaftsvorsitzender nacheinander die Reden von Herrn Kohl und von Herrn Geißler hört, die nicht zusammenpassen, dann weiß er, wer in diesem Lande wirklich die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.
({15})
Aber der Höhepunkt der Verdrehung durch den Herrn Generalsekretär war seine öffentliche Feststellung, die Sozialdemokraten wollten in Wirklichkeit das Beschäftigungsprogramm scheitern lassen. Er hat dann noch die beiden Worte hinzugefügt, das sei „verantwortungslos und zynisch". - Die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten kämpfen für die Annahme dieser Initiative. Ich gebe Herrn Geißler recht: Wer sie zum Scheitern bringen will, der handelt in der Tat „zynisch und verantwortungslos".
({16})
Ich will noch einen Satz zum Bundesrat hinzufügen. Herr Westphal hat schon darauf hingewiesen, daß die heutige Sitzung im allseitigen Einvernehmen stattfindet; sonst hätte es nächste Woche eine Sondersitzung geben müssen. Das wollte eigentlich niemand; Sie wollten es auch nicht, unsere Kollegen sicher auch nicht. Wir sind davon ausgegangen - Ihre Hilfe war dabei sehr willkommen -, daß der Bundesrat, der nach dem Grundgesetz sechs Wochen Zeit hat, sich seine Stellungnahme zu überlegen - da sich die Herren alle schon vorher negativ festgelegt haben, hätten sie uns ihre Antwort auch ein bißchen schneller übermitteln können -, nachdem er die sechs Wochen voll ausgenutzt hat, uns wenigstens heute mittag seine negativen Ergebnisse auf den Tisch legt. Aber nein, nun nutzen Sie die Frist bis zur letzten Stunde aus.
({17})
- Herr Kohl, wenn Sie die Ergebnisse des Bundesrates schon haben sollten, dann geben Sie sie der Regierung. Ich würde sie gerne sehen. Ich habe ja auch gesehen, welche Ministerpräsidenten im Bundesrat es waren, die sich unter Berufung auf die Geschäftsordnung geweigert haben, vor Schluß der Sitzung die Ergebnisse eines Tagesordnungspunktes uns mitzuteilen. Das ist kein Grund, daß wir uns hier streiten müssen. Ich will Sie in diesem Punkt nicht ärgern, ich will nur sagen: Wenn der Bundesrat sowieso nein sagen will, dann kann er sich auch beeilen. Wir müssen sowieso im Vermittlungsausschuß sehen, wie wir mit ihm zurande kommen.
({18})
- Ich sehe, da ist eine Zwischenfrage.
Herr Dr. Linde zu einer
Zwischenfrage
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen der Brief des Präsidenten des Bundesrates vom heutigen Vormittag bekannt? - In diesem Brief wird gesagt:
Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf die Bedeutung der Beratungen zum Entwurf des Beschäftigungsförderungsgesetzes der Bundesregierung leider nicht in der Lage gesehen, Ihrer Bitte auf vorzeitige Zuleitung seiner Stellungnahme an die Bundesregierung zu entsprechen.
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Dies ist ein Brief an den Präsidenten des Deutschen Bundestages.
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Ist Ihnen bekannt, Herr Bundeskanzler, daß dieser Brief auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat geschrieben wurde?
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Ich möchte zu diesen Vorgängen hinter den Kulissen nicht im einzelnen Stellung nehmen, aber das, was der Kollege Linde soeben vorgelesen hat, bestätigt, daß die Herren nicht nur sechs Wochen ausnutzen wollen, sondern jede Stunde. Ich kann das nicht als kooperativen Föderalismus erkennen, wirklich nicht!
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Ich bin mir aber darüber klar, daß im Bundesrat mehrere Herren anderer Meinung sind, auch unter den CDU-geführten Ländern. Ich bin mir darüber im klaren; diese Herren haben sich dort zurückgehalten.
Ich werfe die Flinte nicht ins Korn. Nur: Ich muß in allem Ernst die Stimmpaketinhaber bitten, sich zu überlegen, wie weit das Grundgesetz und die dem Bundesrat vom Grundgesetz eingeräumte Kompetenz reicht, um die Gesetzgebung des Bundes lahmzulegen, wenn man statt dessen nicht eigene Vorschläge auf den Tisch legt, die debattiert werden könnten.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Stetigkeit in der ökonomischen Politik der Bundestagsmehrheit, der Bundesregierung
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hat dazu geführt, daß wir in puncto Stabilität des Geldwertes und der Stabilität der Preise, in puncto Zinsen, in puncto Beschäftigung bisher in der ganzen Phase der Weltrezession und im gegenwärtigen Zeitpunkt günstigere Ergebnisse aufzuweisen haben - die uns freilich nicht befriedigen - als konservative Regierungen in anderen Ländern, liberal-konservative, republikanische, sozialistische und andere Formen von Koalitionsregierungen. Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum die sozialliberale Koalition in Bonn von ihrem Kurs abgehen sollte;
denn ich sehe kein Modell in der Welt, das besser funktioniert.
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Wir waren in der Rezession der 70er Jahre der Nachzügler der ganzen Welt. Wir haben es länger hinauszögern können, bis wir in den Sog kamen. Und wir werden bei der wirtschaftlichen Erholung die Vorreiter sein können - wir wollen das sein! -, wenn es uns gelingt, wenn schon nicht heute im Deutschen Bundestage, so dann doch später mit Hilfe des Bundesrats, das zu verwirklichen, was uns heute zur zweiten und heute nachmittag zur dritten Lesung auf dem Tische liegt.
Ich darf einen Mann zitieren - den ich persönlich nicht kenne -, der im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" in dieser Woche schreibt - Herr Günter Buschmann; ich bin ihm nicht begegnet, aber was er sagt, trifft meine Überzeugung -:
Die Bundesrepublik ist weder ein Land der Streiks noch der großen Arbeiterdemonstrationen, ihre soziale Partnerschaft hat immerhin dahin geführt, daß Unternehmer arbeiten können, ohne ihre Kalkulationsgrundlagen einzubüßen. Um diesen Umstand wird die Wirtschaft der Bundesrepublik in der gesamten westlichen Welt beneidet.
Ich füge von mir aus diesem für richtig gehaltenen Zitat hinzu: Nur wenn die Bundesrepublik Deutschland ihren wirtschaftlichen Kurs durchhält, nur dann wird auch ihr Beitrag zur weltwirtschaftlichen Entwicklung verläßlich und positiv bleiben. Wenn unsere Partnerschaft auf diesem Feld ins Zwielicht geriete, würde übrigens auch unser Beitrag auf guBen- und sicherheitspolitischem Gebiet gefährdet werden können. Friedensbewahrung, Konsensbewahrung nach innen und Friedensbeitrag nach außen gehören aber untrennbar zusammen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie immer - das war früher so bei dem Abgeordneten Helmut Schmidt, das ist heute so bei dem Bundeskanzler Helmut Schmidt -, wenn der Herr Bundeskanzler politisch nicht mehr weiter weiß, greift er zu einem altbewährten Rezept. Er greift alle und jeden an, er zitiert falsch, er diffamiert Andersdenkende
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und er behauptet und er setzt andere Verfassungsorgane herab.
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Herr Bundeskanzler, Ihr Bild vor der Geschichte steht längst fest. Ich will dem nichts hinzufügen. Ich will nur eines sagen. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es bei allen Schwierigkeiten und Problemen, die aus natürlichen Spannungen zwischen Verfassungsorganen entstehen können, noch nie einen Regierungschef, der über ein anderes
Verfassungsorgan in einer solchen herabsetzenden, diffamierenden Weise gesprochen hat, wie Sie das tun.
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Das ganze Verfassungsverständnis, das ganze Republikverständnis des Helmut Schmidt wird deutlich, wenn er darüber spricht, daß die Herren im Bundesrat über Stimmpakete verfügen und Stimmpaketinhaber sind.
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Herr Bundeskanzler, uns trennen in diesem Zusammenhang Welten in unserem Verfassungsverständnis.
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Ein Mann wie Georg-August Zinn würde sich schämen, daß ein deutscher Sozialdemokrat solches hier sagt.
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Die Privatmeinung des Herrn Helmut Schmidt über das Verfassungsorgan Bundesrat ist völlig gleichgültig. Aber es ist unerträglich, wenn der auf die Verfassung der Republik eingeschworene deutsche Bundeskanzler in einer solchen Weise spricht;
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zumal wenn ich hier feststellen muß, daß er wider besseres Wissen spricht.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen so gut wie ich, daß es beispielsweise in Ihrer Regierungszeit seit 1974 zu keinem Zeitpunkt im Bundesrat eine Blokkade gegeben hat. In der 8. Legislaturperiode von 1976 bis 1980 - die Zahlen für die letzten zwei Jahre sind in der Relation ähnlich - haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat 354 Gesetze verabschiedet. Von diesen 354 Gesetzen sind elf Gesetze am Einspruch des Bundesrats gescheitert. Bei wenigstens sieben dieser elf Gesetze ist der Herr Bundesfinanzminister Matthöfer heute froh, daß sie am Einspruch des Bundesrats gescheitert sind.
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Wer noch einmal zurückblickt in die Stunde der Verfassungswerdung des Grundgesetzes, wer weiß, daß die Väter und Mütter dieses Grundgesetzes sehr wohl aus dem Ertrag deutscher Geschichte, auch aus der Erfahrung der Verfassungsgeschichte dieses Jahrhunderts dieses Verfassungsorgan so geschaffen haben, der weiß auch, Herr Bundeskanzler, wie wenig Sie in der Lage sind, den Geist der Geschichte und die Erfahrung unseres Verfassungslebens überhaupt zu erfassen.
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Es entspricht Ihrem Stil und Ihrer Umgangsform, daß Sie sich hier hinstellen und die Kollegen aus den Ländern beschimpfen. Sie sind seit 1974 im Amt. In acht Jahren hat es der Bundeskanzler Helmut Schmidt für nötig befunden, sage und schreibe fünfmal vor dem deutschen Bundesrat zu erscheinen und zu sprechen.
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Auch diese Zahl macht deutlich, welche Umgangsformen unter Verfassungsorganen Sie für selbstverständlich halten.
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Herr Bundeskanzler, es lohnt sich nicht, auf Ihre Ausführungen über die einzelnen Kollegen aus den Bundesländern einzugehen. Sie haben bei allen Wahlen - ich komme gleich auf eine zu sprechen - Gelegenheit genug gehabt, in den Bundesländern Ihre Sottisen - etwas anderes ist es ja nicht - auszubreiten. Nur, so finde ich, sollten Sie als einer, der von sich behauptet, ihm liege - ich nehme Ihnen das ja auch ab - die deutsch-amerikanische Freundschaft und Partnerschaft am Herzen, eines nicht tun: Was haben Sie dagegen einzuwenden, wenn die Repräsentanten deutscher Bundesländer, die nach unserem Verfassungsverständnis, nach unserer Verfassungsordnung selbstverständlich mit das Ganze zum Ausdruck bringen, selbstverständlich auch nach Amerika fahren, wenn dort Freundschaft gepflogen wird, wenn Kontakte zu den Universitäten, zur Publizistik, zur Wissenschaft gepflogen werden? Was haben Sie dagegen, wenn in dieser Woche Gerhard Stoltenberg vor amerikanischen Universitäten für Deutschland wirbt? Sie sollten hier ein Wort der Dankbarkeit sprechen und nicht eine unselige Verleumdung von Kollegen vornehmen, die ihre patriotische Pflicht tun.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Linde? - Nein, Herr Kollege Linde.
Herr Kollege Wehner, weil Sie einen Zwischenruf machen:
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Ich hätte es begrüßt, wenn Sie nicht nur nach Warschau und nach Moskau, sondern auch nach Washington gefahren wären oder fahren würden.
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Wir haben dann in der Rede des Herrn Bundeskanzlers viele Ausflüge in die Weltpolitik gehört. Sie haben die Probleme anderer Länder ausgebreitet, psychologisch leicht verständlich, weil Sie ja mit den eigenen Problemen nicht mehr fertig werden. Aber, Herr Bundeskanzler, wir haben hier nicht eine Sitzung des amerikanischen Kongresses oder des englischen Unterhauses. Ich an Ihrer Stelle würde es getrost unseren amerikanischen und englischen Freunden überlassen, dort das Richtige zu tun, zumal es seltsam anmutet, daß Sie, wenn Sie am Wochenende in Chequers sind, dann die völlige Obereinstimmung bezeugen;
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und hier tun Sie so, als wäre dort Teuflisches im Gange. Ich will darüber gar nicht reden, zumal j a in Ihrem umfangreichen Ausflug natürlich die Erfahrungen der französischen Wirtschaftspolitik fehlen. Auch das muß man vermerken. Auch dazu wäre j a aus Ihrem Munde, aus dem Munde des Weltökonomen, Berufenes zu hören gewesen.
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Nun, wir wollen über die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland sprechen. Dafür sind wir zuständig.
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Es ist wahr, die Wirtschaft unseres Landes befindet sich gegenwärtig in der schwierigsten Depressionsphase ihrer Geschichte. Wachsende Arbeitslosigkeit, eine ständig steigende Zahl von Konkursen und Betriebsschließungen, ein drastischer Einbruch bei den Unternehmenserträgen und anhaltender Preisauftrieb kennzeichnen die Lage. Herr Bundeskanzler, sie kennzeichnen die Lage vor allem bei den kleinen und mittelständischen Betrieben. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als würde die eine Seite dieses Hauses vor allem die Interessen der Großindustrie vertreten
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und als würden Sie vor allem die Interessen des Mittelstandes vertreten, dann kann ich nur sagen, Ihre Taten sprechen Bände. Es ist doch Ihre Amtszeit, in der in kurzer Zeit weit über 10 000 kleine und mittelständische Betriebe vernichtet wurden. Das war doch in Ihrer Amtszeit, das geschah doch durch Ihre Politik!
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Da wir gerade bei diesem Thema sind, wollen wir die Dinge einmal austragen, Herr Bundeskanzler. Es gab doch noch nie einen Bundeskanzler, der so wie Sie - deutlich spürbar mit innerer Freude und Genugtuung - die Herren der Großindustrie zum Tee empfangen hat.
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Sie brauchen das doch für Ihre Selbstdarstellung! Wir doch nicht! Wir sind doch eine Volkspartei, wir müssen es nicht erst werden.
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2 Millionen Arbeitslose und viele Millionen Familienangehörige, die unmittelbar betroffen sind, tragen die Folgen einer Politik, die seit 1969 - nicht zuletzt aufgrund sozialistischer Indoktrination - in die falsche Richtung gegangen ist. Es waren Sie ganz persönlich, Herr Bundeskanzler, es war Ihre Regierung, die durch eine Flut von Versprechungen Anspruchsdenken gefördert hat. Es war auch und vor allem jene schlimme Ideologie, die aus der SPD kam und die dort immer noch beheimatet ist, die die verhängnisvolle Erprobung der Belastbarkeit der Wirtschaft und der Steuer- und Beitragszahler ins Auge faßte. Das alles führte dann zu einer massiven Erhöhung des Staatsanteils und zu jener hemmungslosen Schuldenwirtschaft der vergangenen Jahre, die Ihren ganz persönlichen Namen trägt.
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Der Jahreswirtschaftsbericht Ihrer eigenen Regierung fordert zu Recht eine mehrjährige Strategie zur Überwindung der Krise. Genau diese Strategie, die Sie selbst in diesem Bericht verlangen, fehlt. Das sogenannte Beschäftigungsprogramm ist in Wahrheit das genaue Gegenteil. Eine auf das Jahr 1982 begrenzte Investitionszulage hat mit langfristigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen im privaten Investitionsbereich nichts zu tun. Herr Bundeskanzler, Sie wissen es ganz genau; die Erhöhung der Mehrwertsteuer bewirkt das genaue Gegenteil einer Belebung der Wirtschaft.
Jetzt kommen wir zu dem großen Satz, den Sie gelassen ausgesprochen haben: „Man muß doch bei seiner Meinung bleiben."
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Ich würde sagen, es gibt kaum einen Kollegen, der so wenig Berechtigung zu diesem Satz hat wie Sie.
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Herr Bundeskanzler, wie war das? Am 2. Oktober 1981 - das ist ein halbes Jahr her -, da sagten Sie:
Das, was wir für 1982 tun können, haben wir getan, wenn die gegenwärtigen Beschlüsse im Gesetzblatt stehen. Das haben wir getan. Alles andere ist Aktionismus. Was man zusätzlich noch empfiehlt, ist Aktionismus. Entweder müßt ihr die Steuern erhöhen, um Zusätzliches zu finanzieren, oder, wenn wir Kredite aufnehmen, müssen wir in Kauf nehmen, daß die Zinsen so hoch bleiben, wie sie sind, oder noch höher steigen.
Frage, Herr Bundeskanzler - wir wollen ja lernen von Ihnen; wir lernen gerne von bedeutenden Zeitgenossen -:
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Was hat sich eigentlich seit Oktober geändert? Warum ist das, was damals Aktionismus war, nationalökonomischer Weltverstand geworden? Warum ist das so?
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Ich frage ja in der Bescheidenheit, die einem Oppositionsführer zusteht. Wenn Sie sagen, „Man muß bei seiner Meinung bleiben": Warum haben Sie Ihre Meinung gewechselt? Warum haben Sie bei der 76er Wahl Ihre Meinung gewechselt, als Sie sagten, die Renten seien in Ordnung? Anschließend haben Sie die Rentner hintergangen. Warum haben Sie das gemacht, Herr Bundeskanzler?
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Warum? Warum haben Sie bei der 80er Wahl gesagt: „Die Staatsfinanzen sind in Ordnung, das sind doch alles keine Probleme", und warum müssen wir jetzt fortdauernd in öffentlichen Haushalten die Notbremse ziehen? Wer ist denn eigentlich nicht bei seiner Meinung geblieben? Sie können hier nicht den Kollegen Albrecht zitieren. Sie waren doch im Wahlkampf in Niedersachsen. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück. Sie haben doch dort erlebt, daß Ihre politischen Freunde, angeführt durch Sie, die Mehrwertsteuer und das sogenannte Beschäftigungsprogramm zum Kardinalpunkt des WahlDr. Kohl
kampfes gemacht haben. Ernst Albrecht hat vor der Wahl nicht anders gesprochen als nach der Wahl. Ernst Albrecht blieb bei seiner Meinung, Sie sind noch nie bei Ihrer Meinung geblieben, wenn es Ihnen opportun erschien.
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Obwohl bis zur Stunde niemand im Bereich des ernsthaften Sachverstandes und auch niemand im Bereich der Verbände - warum reden Sie eigentlich immer nur von den Verbänden und nicht auch von den Gewerkschaften, die doch auch kein gutes Wort für dieses Programm gefunden haben? - sich dafür ausgesprochen hat, versuchen Sie dennoch mit gewaltigem Propagandaaufwand, mit Hochglanzbroschüren in Millionenauflage diese Dinge unter die Leute zu bringen.
Herr Bundeskanzler, dann war die Sitzung des Bundesvorstandes der SPD vor 14 Tagen am 15. März in Hannover. Er hat bei dieser Gelegenheit folgenden Beschluß gefaßt:
Es geht zugleich darum, ob die Bundesregierung Helmut Schmidts in Bonn künftig mit Rückendeckung aus Hannover ihre arbeitsplatzorientierte Wirtschaftspolitik fortsetzen kann.
Ernst Albrecht und die CDU, wir alle haben vor der Wahl erklärt: Mehrwertsteuer kommt nicht in Frage. Das war der seltene Fall in der Politik, wo die Bürger in einer ganz klaren Entscheidung ja oder nein sagen konnten. Das Ergebnis ist bekannt. Die CDU hat zum ersten Mal in der Geschichte Niedersachsens, zum ersten Mal in der demokratischen Geschichte dieses Landes überhaupt die absolute Mehrheit der Stimmen und der Mandate bekommen. Meine Damen und Herren, das ist doch eine ausgesprochen klare Antwort, das ist eine Absage an Ihre Politik. Sie, Herr Bundeskanzler, haben dort, in Niedersachsen, bezogen auf die Bundestagswahl, 10 % der Stimmen verloren. Der Verlierer dieser Wahl heißt doch wahrlich nicht Karl Ravens. Der Verlierer heißt Helmut Schmidt; das muß zu Protokoll gegeben werden.
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Sie haben diese Wahl verloren, Herr Bundeskanzler, weil die Bürger kein Vertrauen mehr zu Ihnen haben, weil sie in den letzten Jahren erlebt haben, daß das, was Sie vor der Wahl gesagt haben, nach der Wahl nicht mehr gilt. Deswegen können Sie natürlich ermessen, wie verwundert wir in diesen Tagen waren, als Sie erklärten, Sie würden nun bekanntgeben, daß Sie auch über das Jahr 1984 hinaus Kanzler bleiben wollen, und dann hinzufügten, viele in der CDU/CSU seien über diese Ankündigung erschrokken.
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Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, hier sitzen lauter tiefdepressive Gestalten.
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Bei dem Gedanken, daß Sie fortfahren, die Partei,
die unter Willy Brandt bei 45 % angekommen war,
auf die Mittdreißiger herunterzubringen, haben wir
eine gewaltige Furcht vor einer Großoffensive dieser Art.
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Schauen Sie doch einmal in Ihre Fraktion hinein, um zu ergründen, was die Kollegen wohl darüber denken, mit Ihnen noch einmal solche Niederlagen mitzuerleben, meine Damen und Herren.
Nein, das Problem ist ganz einfach: Ihre Regierung ist in Wahrheit entscheidungsunfähig geworden.
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Am 5. Februar haben Sie hier einen dramatischen Theaterdonner veranstaltet, eine Vertrauensabstimmung herbeigeführt. Der Kollege der FDP hat damals, im Vorgriff auf Dinge, die kaum mehr jemand in der FDP für möglich hält, gesagt: Vertrauen für alles. Ein unvergeßliches Zitat dieses Mittags!
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Dann hieß es: Das ist der neue Anfang. Heute kann sich überhaupt kaum mehr ein Mensch an diese Abstimmung erinnern. Ich bin ganz sicher: Manche Mitglieder dieses Hauses möchten an diesen Tag, an diese Stunde am liebsten gar nicht mehr erinnert werden.
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Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie Woche um Woche gebraucht - trotz dieser dramatischen Abstimmung -, um diese Vorlage überhaupt ins Haus zu bringen.
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Im übrigen haben Sie gar nicht die Vorlage, die Sie angekündigt haben, ins Haus gebracht. So fehlen beispielsweise beim Mietrecht - ich komme noch darauf zu sprechen - ganze Kapitel. Das heißt, Sie waren gar nicht fähig, die Sache voranzutreiben. Heute stellen Sie sich hier her und schimpfen über den Bundesrat. Der Bundesrat hat sich - da hat der Kollege von der SPD in seiner Vorlesung auch nur die halbe Wahrheit gesagt - doch nicht gegen die Fristverkürzung gewehrt, sondern er hat nur darauf bestanden, daß die heutige Vormittagssitzung abgeschlossen und der Punkt nicht mitten in der laufenden Sitzung abgegeben wird. Das ist doch die Wahrheit, die in diesem Zusammenhang zu nennen ist!
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- Nein.
Es wird keine Zwischenfrage zugelassen, Herr Linde.
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Wie es in Wahrheit, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Politik steht, zeigt sich doch am Beispiel des Mietrechts. Wir haben das seit Jahren beantragt, wir haben es seit Jahren gefordert. Sie haben sich dafür ausgesprochen, die Kolle5744
gen aus der FDP haben sich dafür ausgesprochen. Dann allerdings haben Sie nicht die Fähigkeit besessen, die Sache in dieses Paket zu packen. Sie haben dann im Ausschuß zugesagt, meine Damen und Herren, daß die Regierung Formulierungshilfe geben werde. Jetzt aber erleben wir im Wohnungsbauausschuß, daß sich die Koalitionsfraktionen außerstande sehen, die Dinge weiterzuberaten. Das ist doch das Elend Ihrer Politik: daß Sie sich in Wahrheit gegen die Blockade in Ihren eigenen Reihen nicht mehr durchsetzen können.
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Ich frage mich manches Mal, ob Sie es überhaupt wollen. Denn kaum hatten Sie selbst die neue Initiative zum Mietrecht angekündigt, da hat der Herr Bundeswohnungsbauminister Haack die Sache als ein Experiment, begrenzt auf zwei Jahre, heruntergespielt und eilfertig haben Sie, Herr Bundeskanzler, genau diese Vorstellung mit übernommen. Mit einer solchen Politik - Sie sprachen soeben von Stetigkeit - schaffen Sie doch kein Vertrauen. Niemand weiß in Wahrheit im Lande, woran er mit dieser Regierung wirklich ist.
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Herr Bundeskanzler, Sie wissen seit langem - das ist die Realität der Politik -, daß Sie für die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit bekommen. Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff erklärt, daß man dann das Programm durch zusätzliche Einsparungen finanzieren muß. Wenn das ein Angebot ist, lassen Sie uns darüber reden! Wir haben nie etwas anderes dazu gesagt. Wir haben aber klargemacht, daß wir die Mehrwertsteuererhöhung in dieser konkreten Situation für ein tödliches Gift halten. Herr Kollege Haussmann, wir haben nie gesagt, daß man im Rahmen eines Gesamtkonzepts, einer Steuerstrukturreform, nicht etwa bei der Wegnahme der inflationsbedingten Mehreinnahmen des Staates im Zusammenhang mit den Steuertarifen mit uns im Blick auf die Entlastung der Bürgerschaft nicht über Mehrwertsteuer sprechen kann. Ich will das also noch einmal sagen.
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Sie wollen doch aber dieses Geld nicht zur Entlastung, Sie wollen es doch, um weitere Löcher zu stopfen! Das ist doch die Wahrheit.
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Herr Bundeskanzler, wenn Sie es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wirklich ernst meinen, dann ist Ihr Vabanquespiel - Mehrwertsteuererhöhung oder gar nichts - falsch. Warum weigern Sie sich denn, unser Angebot anzunehmen, einen Weg zu gehen, von dem auch Sie auf Grund Ihres Sachverstands wissen, daß er der einzig mögliche Weg ist, daß wir im konsumtiven Bereich versuchen, sozial gerecht und ausgeglichen einzusparen? Sie wissen - das ist eine einmalige Lage, die Sie da haben -, Sie können dann über breite Mehrheiten hier im Haus verfügen. Man kann sich darüber verständigen. Sie sollten auch aus den Begegnungen
mit unseren Mitbürgern inzwischen längst die Erfahrung gewonnen haben, daß die Mitbürger bereit sind, das mitzutragen, wenn der Versuch gemacht wird, zu einer gerechten Lösung zu kommen.
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Noch nie in der Geschichte unserer Republik mußte soviel Geld für die Bezahlung von Arbeitslosigkeit wie derzeit ausgegeben werden. Fast auf Ihre Amtszeit genau, von 1975 bis 1982, wurden 80 Milliarden DM in diesem Bereich ausgegeben. Ich kann Ihnen nur zurufen: Lassen Sie die ideologischen Hemmnisse, die ideologischen Blockierungen weg, und versuchen Sie, hier zu einer Zusammenarbeit der Vernunft zu kommen! Ich glaube, das wäre gut so.
Aber es scheint schon so zu sein, wie Erhard Eppler, einer Ihrer Mitstreiter im Präsidium der SPD, in diesen Tagen Ihre Ratlosigkeit formuliert hat: „Ich glaube, die Depression in der Partei", so sagt Eppler, „kommt im Augenblick nicht so sehr daher, daß man spürt, was alles nicht geht, sondern daß man gar nicht mehr weiß, was man will und wozu es uns gibt". Ja, meine Damen und Herren, kann man eigentlich ein vernichtenderes Urteil über die Politik einer Partei und einer Regierung sagen, als es ein solcher Sachverständiger wie Erhard Eppler getan hat?
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- Aber, Herr Kollege Wehner, Sie werden doch einem Mitglied des Präsidiums der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, gewählt vom höchsten Organ der SPD, vom Bundesparteitag, nicht den Sachverstand in Sachen Sozialdemokratie absprechen!
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- Herr Wehner, ich muß doch sehr bitten! Als Parteivorsitzender muß ich jetzt die Parteien verteidigen. Der Sachverstand der Delegierten darf auch für Sie nicht in Zweifel gezogen werden.
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Wir brauchen gar nicht in die Vergangenheit zurückzugehen. In dieser Woche, vorgestern, haben wir wieder ein typisches Beispiel für Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, erlebt. Acht Tage zuvor hat das Bundeskabinett die Neuregelung der Zumutbarkeit bei der Arbeitslosenförderung verabschiedet. Zugleich hatte man beschlossen, eine Meldepflicht für offene Stellen einzuführen. Eine Woche später mußte auf Verlangen des Wirtschaftsministers die Meldepflicht zurückgenommen werden. Im Gegenzug war der Minister Ehrenberg - man kann schon sagen: wie ein trotziges Kind - nicht mehr bereit, die Zumutbarkeit neu zu regeln. Herr Bundeskanzler, so handhaben Sie die Richtlinien der Politik.
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Hier stehen Sie am Pult, und die Fernsehzuschauer sollen sehen: Das ist ein Kanzler, ganz stark, ganz entschieden, ganz tough. - Und zu Hause, wo es darauf ankommt, verhalten Sie sich ganz einfach opportunistisch. Das ist das Bild, das Sie bieten.
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Da sage ich natürlich den Kollegen aus der FDP - ich kann nicht in jeder Rede den Brief des Vorsitzenden Genscher hier vorlesen; aber es ist die traurige Wahrheit -: Die entscheidenden Hemmnisse - Herr Kollege Haussmann, Sie haben danach gefragt - für die wirtschaftliche Besserung in unserem Lande sind die dauernden versuchten sozialistischen Verfälschungen der Sozialen Marktwirtschaft, ist die Tatsache, daß die SPD zwar entscheidungsunfähig ist, aber zäh an der Macht festhält und daß sich der Herr Bundeskanzler mit der Rolle des bloßen Platzhalters zufriedengibt. Das sind die entscheidenden Probleme.
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Natürlich wissen wir, daß das, was sich in diesen Jahren entwickelt hat, nicht über Nacht verändert werden kann. Die Folgen schwerer Fehler können nicht kurzfristig beseitigt werden. Es bedarf einer grundsätzlichen Kursänderung - hier stimme ich dem Kollegen Genscher einmal mehr zu - in der Wirtschafts-, der Finanz- und der Gesellschaftspolitik. Herr Haussmann - Sie haben danach gefragt, aber ich warte eigentlich auf Ihre Antwort, und Sie sollten nicht auf die meine warten -, wir haben dazu sehr konkret seit Herbst immer wieder Vorschläge vorgelegt, Vorschläge, die das Ziel haben, Vertrauen im In- und Ausland zu schaffen, Vertrauen bei Unternehmern, Gewerkschaftlern und Arbeitnehmern zu schaffen, Vertrauen neu zu gewinnen. Wir haben ein Konzept vorgelegt, das in der konsequenten Anwendung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft in der Lage ist, langfristig wieder Arbeit für alle zu schaffen. In dieser grundsätzlichen Aussage stimmen wir in unserer Sieben-Punkte-Offensive ja weitgehend mit dem Jahreswirtschaftsbericht der Regierung überein. Das Dilemma ist nur, Herr Haussmann, daß wir eine Regierung haben, die nicht tut, was sie als richtig erkannt hat, die nicht mehr die Kraft hat, das Notwendige gegen den Widerstand von Interessengruppen innerhalb der eigenen Fraktion durchzusetzen, daß sich die Politik auf schlichten Machterhalt reduziert hat.
Wir wissen - ich sage es noch einmal -, daß das alles nicht über Nacht geht. Aber wir müssen einmal damit anfangen. Herr Kollege Hoppe, Sie haben hier unter großem Beifall von uns gesagt, es sei vorrangig, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Sie wissen, wie die Dinge um den Nachtragshaushalt aussehen. Sie wissen, wie sie bei der klaffenden Lücke für das nächste Jahr aussehen werden. Sie wissen - auch das haben Sie gesagt -, daß die Grenze der Belastbarkeit durch Steuern und Sozialabgaben für Arbeitnehmer und für Unternehmer erreicht ist.
Und, Herr Bundeskanzler, lassen Sie bitte für die Zukunft die Art und Weise, einen Kollegen aus meiner Fraktion anzureden! Wenn ein sachverständiger Mann wie der Kollege Kreile, der in seinem Beruf etwas darstellt und etwas geleistet hat, hier Meinungen vorträgt, hat er nicht verdient, von Ihnen in der Weise - und das sollte ja abqualifizierend sein - abqualifiziert zu werden, indem Sie ihm sagen, er hätte in seiner beruflichen Praxis vor allem mit der Großindustrie zu tun.
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Meine Damen und Herren, das brennt mir seit langem auf der Seele:
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Wir haben jetzt allesamt Probleme bezüglich der Parteienfinanzierung, alle demokratischen Parteien, aber im Zuge dieses Jahres wird sich offenbaren, wer die engsten Beziehungen zur deutschen Großindustrie gehabt hat.
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Herr Kollege Matthöfer, damit das ganz klar ist: In dieser Sache, die Sie eben andeuten wollten, haben wir, die Union, uns sicherlich korrekter verhalten als eine Menge anderer Leute in diesem Haus. Damit das ganz klar ist: Meine Erklärung von damals ist die gleiche Erklärung wie die von heute. Darauf können Sie sich bei uns verlassen. Ich spreche nicht von diesem Punkt. Die Kollegen der SPD haben mich im übrigen ganz richtig verstanden.
Meine Damen und Herren von der FDP, wie wollen Sie denn einsparen, wie wollen Sie den Haushalt sanieren, wenn Sie nicht bei den Leistungsgesetzen und den Subventionen Abstriche machen? Dann frage ich Sie: Warum müssen wir uns hier eigentlich mit diesem einzigen logischen Vorschlag beschimpfen lassen? Wir haben ja nicht gesagt: alle, sondern wir haben ganz konkret gesagt, daß in beiden Fällen etwas geschehen muß. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren, wir sind ja bereit, in den zuständigen Ausschüssen Punkt um Punkt miteinander zu bereden.
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- Wissen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hier schimpfen Sie darüber, der Bundesrat würde keinen Beitrag leisten. Dann treffen Bundesrat und Bundestag im Vermittlungsausschuß zusammen. Dann wird gemeinsam etwas beschlossen. Ob das immer klug war, ist eine offene Frage. Nur, es ist gemeinsam beschlossen worden. Aber Sie sind doch dann hinausgelaufen und haben die alten Leute aufgeputscht. Das war doch Ihr Tätigwerden in dieser Sache.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal? - Bitte, Herr Westphal.
Herr Abgeordneter Kohl, darf ich sie fragen, ob es zutreffend ist, daß an dem Tage, an dem hier an diesem Pult aus dem Vermittlungsausschuß berichtet wurde und die Erklärungen der Fraktionen zu dem Ergebnis abgegeben wurden, Ihr CDU/CSU-Kollege Kreile, der für Ihre Fraktion die Erklärung abgab, das Thema Taschengeld für Sozi5746
alhilfeempfänger in einer unzutreffenden Weise hier zuerst zur Darstellung gebracht hat und ich es dann in meiner folgenden Erklärung sofort richtig-gestellt habe? Darf ich Sie fragen, ob Sie das aus dem Protokoll bestätigen würden? Sie haben angefangen.
Aber, Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, daß ich Dutzende von Schreiben sozialdemokratischer Politiker, darunter auch von Kollegen aus diesem Hause, an die Bewohner von Altersheimen vorliegen habe, die das genaue Gegenteil bezeugen. Aber das können wir ja bei der nächsten Vermittlungsausschußsitzung austragen. Denn die Idee des Vermittlungsausschusses wird j a damit zerstört. Auch das muß man bei dieser Gelegenheit sagen.
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Herr Dr. Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Franke? - Nein, keine Zwischenfrage.
Meine Damen und Herren, ich wende mich wieder der FDP zu. Es ist doch wahr - das können Sie doch nicht bestreiten -, daß eine wirklich dauerhafte Stärkung von Investitionen nur möglich ist, wenn wir die Leistungsbereitschaft stärken. Es ist auch wahr, daß es das Phänomen des Anspruchsdenkens gibt. Das schiebe ich doch gar nicht einer Gruppe zu. Das ist leider ein wesentliches Stück unseres Zeitgeistes geworden. Es ist auch wahr, daß es die Ideologie der Umverteilung gibt. Der Herr Bundeskanzler hat j a gerade im Blick auf die höheren Einkommen wieder ein solches Zeugnis abgelegt. Es ist auch wahr, daß die Ungereimtheiten dieser letzten Jahre zu einer Verdrängung der Grundidee der Solidarität geführt haben.
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Nicht nur, weil wir sparen müssen, sondern ganz entscheidend auch im Interesse einer gerechten und solidaren Sozialordnung müssen wir unser System der sozialen Ordnung neu überdenken. Herr Kollege Ehmke, in den Jahren, in denen wir die Regierung geführt haben, gab es keine Dauerarbeitslosigkeit mit über einer Million.
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Diese Dauerarbeitslosigkeit ist Weggenosse sozialistischer Politik in der Bundesrepublik geworden.
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Wir brauchen mehr Investitionen, und als Erbe Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, haben wir heute eine Investitionslücke in der Größenordnung von Hunderten von Milliarden D-Mark. Bei dieser Größenordnung ist es klar, daß der Staat es nicht leisten kann, sondern daß der Schwerpunkt im Bereich der privaten Investitionen liegen muß. Deshalb muß die Eigenkapitalchance der Unternehmen gestärkt werden. Für eine eigentlich notwendige Steuersenkung - auch darüber, Herr Haussmann, kann es doch im Blick auf die investive Kraft unserer Wirtschaft keinen Zweifel geben - fehlt uns heute ehrlicherweise der finanzpolitische Spielraum. Aber wir sollten auch hinzufügen, daß, sobald wir ihn wiedergewinnen, dieses Steuersystem wieder Wachstums- und leistungsfreundlicher ausgestaltet werden muß. Dazu gehören leistungsgerechte Lohn- und Einkommensteuertarife, Bekämpfung heimlicher Steuererhöhungen, Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, Entlastung bei den ertragsunabhängigen Steuern und Abbau der bürokratischen Hemmnisse.
Wenn wir in der Bundesrepublik nicht förmlich eine neue Existenzgründungswelle bekommen, werden wir des Problems der Arbeitslosigkeit nicht Herr werden, weder jetzt noch in diesem Jahrzehnt.
Bedingt durch den Produktivitätsfortschritt und durch die geburtenstarken Jahrgänge müssen nach den Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis zum Jahr 1992 2,4 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das wird nur dann möglich sein, und es gibt nur dann eine Chance, das zu tun, wenn die mittelständische Wirtschaft hier voll wieder zur Blüte kommt, wenn wir kleine und mittlere Betriebe fördern, wenn wir den technischen Fortschritt vorantreiben, um konkurrenzfähig zu sein, wenn wir dafür sorgen, daß Forschungsergebnisse wieder schneller in praktische industrielle Anwendung umgesetzt werden,
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und, Herr Abgeordneter Ehmke, wenn wir dafür Sorge tragen, daß unsere Energieversorgung auch in den 90er Jahren stimmt: mit preisgünstiger Energie, mit ausreichender Energie; und dazu brauchen wir den zügigen weiteren Ausbau des Systems von Kohle- und Kernkraftwerken.
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Meine Damen und Herren von der SPD und Sie, Herr Bundeskanzler: Das ist doch eine Frage an Sie. Ich spreche doch nicht von der Vergangenheit. Ich spreche wiederum von dieser Woche. Was spielt sich denn hier im Hause in der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" ab? Das ist doch ein typisches Beispiel, wie die Lippenbekenntnisse der Regierung von den Abgeordneten der SPD im Bundestag torpediert werden. Das Herumtaktieren der sozialdemokratischen Kollegen in dieser Kommission gefährdet die längst überfällige Entscheidung zur Brütertechnologie. Damit wird, Herr Bundeskanzler, eine weitere Blockade gegen eine wichtige Energiequelle der Zukunft aufgebaut. Es werden im übrigen Milliardenbeträge, die in die Entwicklung dieser Technologie bereits gesteckt wurden, gefährdet.
Jetzt frage ich Sie: Wo ist eigentlich Ihr Wort zu diesem Thema? Wo ist das Wort des Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland, der doch
ganz genau weiß, daß dieses Verfahren uns sehr schlecht bekommen wird?
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Sie sprachen vom Wohnungsbau, Herr Bundeskanzler. Es ist wahr, daß das ein ganz wichtiger Punkt ist. Aber dann frage ich Sie: Warum haben Sie nichts getan? Wie kommt es, daß SPD und FDP sich nach zwölf Jahren ihrer Regierungszeit am Ende wieder mit Wohnungsnot kinderreicher und junger Familien konfrontiert sehen? Wie kommt es, daß der Mietwohnungsbau weitgehend stagniert? Bei den erteilten Baugenehmigungen haben wir seit 1952 den zweitniedrigsten Stand erreicht. Herr Bundeskanzler, daran sind doch nicht Präsident Reagan oder die Premierministerin in London schuld. Das sind doch hausgemachte Probleme. Das ist doch Ihre Schuld.
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Sie sagen mit Recht, daß Bauen Arbeitsplätze schafft und weitere Aufträge im privaten Bereich nach sich zieht. Das ist alles wahr. Aber deshalb muß der private Mietwohnungsbau durch entsprechende steuerliche Regelungen und durch eine Änderung des Mietrechts gefördert werden.
Meine Damen und Herren von der FDP, das ist doch - so sagen Sie - auch Ihr Programm. Da frage ich mich: Warum stimmen wir denn in den Ausschüssen bei den Vorlagen mit der Formulierungshilfe der Regierung nicht darüber ab? Ich höre dauernd das Wort Blockade. Blockieren tun doch die Linken in der SPD. Sie sind doch das Hemmnis für die Gasse der Vernunft.
({7})
Natürlich ist es richtig, daß wir die Probleme lang-und mittelfristig angehen müssen. Aber das ist ein geringer Trost für die, die jetzt arbeitslos sind. Wir müssen auch kurzfristig Bewegung in den Arbeitsmarkt bringen. Noch sind viele Arbeitsplätze nicht zu besetzen, die in der Statistik als offene Stellen fehlen, weil sie wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit beim Arbeitsamt nicht gemeldet werden. Mit der Einführung von Meldepflichten ist da nichts zu verbessern. Notwendig - und das spreche ich aus - sind aber Zumutbarkeitsregelungen, die der wirklichen Lage auf dem Arbeitsmarkt verständnisvoll Rechnung tragen. Meine Damen und Herren, wie wollen Sie denn die Probleme anders lösen? Doch nur dadurch, daß Sie zunächst einmal ehrlich sagen, was ist, und nicht fortdauernd verschweigen, was sich in Wirklichkeit im Lande ereignet.
({8})
Wir sprechen beispielsweise von Ausbildungsplätzen für junge Leute. Aber ich kann doch dieses Thema nicht besprechen oder den Staat ansprechen, wenn wir nicht gleichzeitig die jungen Leute selbst ansprechen. Wer sich in seiner Berufsauswahl auf gerade übliche Modeberufe beschränkt, der muß mit der Konkurrenzsituation, die er dort vorfindet, rechnen. Es gibt heute immer noch ein breites Ausbildungsplatzangebot, etwa beim Handwerk, das brach liegt. Es gab zu keiner Zeit und zu keiner Generation einen beruflichen Horizont, daß jeder gerade den
Traumberuf erreichen konnte, den er erreichen wollte. Zu jeder Zeit gehörten immer die Überlegungen zusammen: Welchen Beruf will ich ergreifen, aber in welchem Beruf habe ich meine Chance? Auch das muß man heute jungen Leuten gegenüber offen aussprechen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben auch das wieder in der Weise erwähnt, daß sofort das Stichwort der sozialen Demontage im Hintergrund erschienen ist. Es ist doch wahr: Wir müssen durch Umschichtungen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit die Mittel für berufliche Aus- und Fortbildung, für Umschulung, für Wiedereingliederung verstärken. Meine Damen und Herren von der FDP, in diesem Zusammenhang ist es keine soziale Demontage, wenn wir auch im Blick auf manche Mißbrauchstatbestände darüber diskutieren, inwieweit eine sozial vertretbare Verminderung der Leistungen bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe notwendig ist.
({9})
Daß man dies hier wieder ausspricht, ist einfach ein Stück Notwendigkeit, wenn wir die Probleme bewältigen wollen. Mit dem Zwischenruf „Hört! Hört!" und mit Untätigkeit schaffen Sie weitere Arbeitslose, gefährden Sie weitere Arbeitsplätze.
({10})
Es ist doch ein Akt wirtschaftlicher Vernunft, daß wir Wiedereingliederungsmaßnahmen für Arbeitslose besser finanzieren als Dauerarbeitslosigkeit.
Wir haben dieser Tage ein anderes Beispiel für die Art und Weise erlebt, wie die Sozialdemokraten nicht mehr in der Lage sind, die Probleme zu lösen. Wir fordern private und öffentliche Arbeitgeber auf, mehr Teilzeitarbeitsplätze anzubieten. Wir erwarten doch nicht, daß die Arbeitslosigkeit damit beseitigt wird. Aber wir finden, daß das in einem bescheidenen Rahmen auch ein Beitrag für eine offene Zukunft ist. Und was passiert? Im Leitantrag des SPD-Bundesvorstandes zu Ihrem Münchner Parteitag im April wird dies ausgesprochenermaßen abgelehnt. Sie sind nicht einmal bereit, die Versuchszone zu eröffnen.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, was Sie über die Tarifpartner und ihre Verantwortung gesagt haben. Ich darf hier auch für die CDU/CSU erklären: Wir begrüßen ausdrücklich, daß sich bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen zunehmend eine Gemeinwohlverantwortung der Tarifpartner erkennen läßt. Wir sind der Auffassung, wir alle - die demokratischen Parteien, die deutsche Politik - sollten Gewerkschaften und Arbeitgeber auf diesem Weg unterstützen. Wir alle sollten sagen, daß Preisdiziplin und lohnpolitische Zurückhaltung Voraussetzungen für dauerhaftes Wachstum sind.
Ein letztes in diesem Katalog, Herr Kollege Haussmann. Ich hoffe auch da auf eine aktive Mithilfe in der Sache aus Ihrem Lager. Wir wollen die Vermögensbildung der Arbeitnehmer verstärken. Diese Regierung hat wegen der Blockade der Sozialdemokraten in einem Jahrzehnt auf diesem Felde nichts zu Wege gebracht. Wir werden neue Initiativen zur betrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteili5748
gung ergreifen. Wir sind der Überzeugung, daß nur eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik und Vermögensbildung zusammen bewirken können, daß sich die Einkommens- und Vermögensverteilungen nicht dauerhaft zu Lasten der Arbeitnehmerschaft verschieben. Eigentlich müßte eine Partei, die behauptet, die Interessen der kleinen Leute zu vertreten, voll und ganz auf dieses Programm einspringen. Aber Sie in der SPD sind aus ideologischen Gründen nicht mehr in der Lage, über Ihren eigenen Schatten zu springen.
({11})
Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der Marktwirtschaft ist notwendig. Die Soziale Marktwirtschaft muß wiederbelebt werden. Auf Leistung und soziale Gerechtigkeit, auf Wettbewerb und Solidarität, auf Eigenverantwortung und auf soziale Sicherheit kommt es an.
({12})
Das ist nur möglich, wenn wir uns wieder auf die persönliche Initiative besinnen, darauf, daß Leistung nicht bestraft, sondern herausgefordert werden sollte.
({13})
Meine Damen und Herren, alles dies ist überfällig. Seit dem Sommer wird in der Koalition und in der Regierung geredet, gestritten, angekündigt, zerredet, laut nachgedacht und leise verworfen. Nur gehandelt wurde nicht.
({14})
Die Folgen sind noch mehr Stagnation, noch mehr Attentismus, noch weniger Investitionen und immer weniger Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft und - das folgt auf dem Fuße - in die Zukunft schlechthin.
Das alles, meine Damen und Herren, ist die Konsequenz einer Politik der Perspektivlosigkeit. Wenn viele sozialdemokratische Parteimitglieder in Deutschland, wenn noch mehr sozialdemokratische Wähler an Ihrer Politik verzweifeln, Herr Bundeskanzler, dann ist dies der eigentliche Grund: Sie haben keine Perspektiven, Sie haben keine Zukunftsvorstellungen, Sie beschränken sich darauf, auf den Sitzen sitzen zu bleiben.
In diesen Tagen ist eine Zahl veröffentlicht worden, die fernab der Tagespolitik uns alle aufrütteln muß: Die Zahl der unter 30jährigen, die erklären, sie möchten auswandern, hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Im November 1981 waren es 35 %, die erklärten, sie möchten die Bundesrepublik gern verlassen und ihre Zukunft an einem anderen Ort suchen. Es gibt kein vernichtenderes Urteil über Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, als diese demoskopischen Daten.
({15})
Dabei ist es wahr: Wir haben Probleme, wir haben Schwierigkeiten.
({16})
Aber sie sind zu meistern. Denn unser Land ist nicht arm, und unsere Mitbürger sind bereit, notwendige Einschränkungen zu ertragen.
({17})
Unsere Mitbürger, die Arbeitnehmer, die Selbständigen und die Unternehmer, haben ja bei der Gründung der Republik bewiesen, in der Generation der Gründer, daß sie viel größere Schwierigkeiten meistern können. Sie sind bereit, für unser Land das Notwendige zu tun. Was ihnen fehlt, ist eine Regierung, die dazu fähig ist. Auch der heutige Tag, Herr Bundeskanzler, hat bewiesen, daß Sie dazu weder fähig noch willens sind.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Linde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, ich möchte von einem Oppositionsführer reden, der ein Wort gegeben hat und es nicht einhalten kann, weil die Ministerpräsidenten der Länder es nicht zulassen. Dies muß heute hier klargestellt werden.
Sicherlich ist es ein ungewöhnliches Verfahren, das wir heute hier einschlagen; zugegeben.
({0})
Wir, die SPD und die FDP, haben uns gegen dieses Verfahren gewehrt, haben einen Geschäftsordnungsantrag angekündigt und wollten durchsetzen, daß diese Sitzung ordnungsgemäß nach Abschluß des Verfahrens im Bundesrat am Dienstag, dem 30. März, nachmittags um 14 Uhr hier stattfindet. Da haben Sie gesagt: nein, das machen wir Ende April, kurz vor der Sitzung des Bundesrates. Dann haben wir gesagt: Bitte, keine Hektik! Bringt da nichts durcheinander! Wir schließen das Verfahren vor dem Bundesrat ab, beachten die Fristen und machen dann diese Sitzung.
Bis zur Niedersachsen-Wahl war das so. Am Montagmorgen um 8 Uhr - Herr Kohl, bitte, Sie wissen das - sind Sie zu mir gekommen und haben gesagt - -({1})
- Entschuldigung, wir haben uns auf der Straße getroffen; bei mir war es noch vor dem Frühstück.
({2})
Da haben Sie gesagt: Ist es nicht möglich, daß wir uns über ein anderes Verfahren verständigen und hier heute am Freitag diese Sache machen? - Darauf habe ich gesagt: Herr Kohl, wir von der SPD und FDP haben immer gesagt, wir wollten die Stellungnahme des Bundesrates berücksichtigen und dann entscheiden. Deshalb haben wir einen Vorbehalt erklärt und gesagt: Wir gehen auf dieses Verfahren ein, wenn erstens die Vorwürfe des Bundesrates - von Herrn Vogel, von Herrn Gaddum -, die ja schon bekannt waren, ausgeräumt werden, wenn zweitens dieses Verfahren sichergestellt wird und wenn drittens sichergestellt wird, daß das Verfahren im BunDr. Linde
desrat am heutigen Vormittag so abgeschlossen wird, daß wir anschließend beraten können. Diese Vereinbarung ist zwischen uns geschlossen worden. Daraufhin haben wir diesem Verfahren zugestimmt.
Heute vormittag müssen wir feststellen, Herr Kohl, daß Sie bedauerlicherweise Ihre Zusage nicht haben einhalten können, weil die Herren Vogel und Albrecht Ihrer Zusage hier den Boden entzogen haben und Sie im Regen stehengelassen haben.
({3})
- So ist es gewesen.
({4})
Meine Damen und Herren, als nächster Redner steht der Bundesminister für Wirtschaft auf meinem Zettel. Aber ich nehme an, Herr Jenninger, Sie haben sich gemeldet, um zu den Ausführungen von Herrn Dr. Linde unmittelbar eine Einlassung zu machen. - Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Linde, ich muß Ihre Vorwürfe mit Nachdruck zurückweisen.
({0})
Die Vereinbarung, die wir getroffen haben - ich habe den Zettel noch da -, lautete: Erstens. Wir können die heutige Sitzung unter dem Vorbehalt abhalten, daß ein Sprecher der Union heute früh im Bundesrat erklärt, daß er gegen dieses Verfahren keine Bedenken erhebt.
({1}) Dieses ist geschehen.
({2})
Zweitens haben wir vereinbart, daß sichergestellt werden muß, daß der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages nach dieser Sitzung tagen kann; nicht mehr und nicht weniger ist vereinbart worden. Daran haben wir uns bislang gehalten; wir werden uns auch künftig daran halten.
({3})
Meine Damen und Herren, noch einmal Herr Dr. Linde.
Es ist nicht nötig, daß wir versuchen, die Beratungen im Ältestenrat hier nachzukarten.
Ich bedanke mich; es soll auch nicht lange dauern. Ich will dies hier auch nicht verlängern. - Bloß: Punkt 1 Ihrer Vereinbarung ist nicht eingehalten worden. Herr Späth hat heute morgen im Bundesrat erklärt - ich zitiere -:
Dies alles zusammen zeigt, daß der Bundesregierung sehr wenig daran liegt, sich konstruktiv mit den deutschen Bundesländern über die Lösung eines für so wichtig gehaltenen Problems auseinanderzusetzen.
Und das, nachdem er vorher zwei Seiten lang Vorwürfe erhoben hat. Ich erspare mir, dies zu zitieren, weil Sie dies alles nachlesen können, denn dies wird ja veröffentlicht.
({0}) - Zum Verfahren, Herr Kohl.
({1})
Ich nehme an, das Intermezzo ist jetzt abgeschlossen.
Ich erteile jetzt dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Kollege Dr. Kohl, Sie haben mit einem Ihrer letzten Sätze zitiert, daß es eine wachsende Neigung bei den unter Dreißigjährigen in der Bundesrepublik gebe, sich mit Auswanderungsüberlegungen zu tragen. Solche Berichte sind bekannt; man müßte sie einmal sehr sorgfältig auf ihre Stichhaltigkeit und auf ihre Motivation hin nachprüfen. Das sind j a - weder bei denen noch bei uns selber - nicht immer nur kritisch zu wertende Überlegungen.
Aber ich denke schon, meine Damen und Herren, daß wir uns fragen müssen, inwieweit wir eigentlich auch selber dazu beigetragen haben und weiter dazu beitragen, einen übertriebenen Pessimismus von der politischen, aber insbesondere auch der wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik zu verbreiten. Wir haben unsere Probleme und unsere Schwierigkeiten, aber wir sind auch, wenn Sie anderen Statistiken folgen wollen, immer noch ein Land der westlichen Welt, das eines der bevorzugten Investitionsziele für private Investitionen ist, doch wohl nicht deswegen, weil es hier unrentabel und aussichtslos sei. Aber wenn Sie mit uns gemeinsam dem sich ausbreitenden Pessimismus entgegenwirken wollen, dann werden wir hier ein Feld der Gemeinsamkeit finden, von dem ich glaube, daß es wesentlich ist.
({0})
Eine zweite Bemerkung, Herr Kohl. Sie haben uns vorhin gesagt, wir sollten dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Stoltenberg dafür dankbar sein, daß er in den Vereinigten Staaten - so haben Sie formuliert - einer patriotischen Pflicht genüge. Ich habe kein Wort der Kritik hier im Hause und auch von den Regierungsparteien öffentlich an dem gehört, was Herr Stoltenberg in den Vereinigten Staaten ausgeführt hat. Auch nach dem, was ich darüber gelesen habe, sehe ich keinen Anlaß, ihn zu kritisieren.
({1})
Nein, eben nicht, Herr Eigen. Hören Sie doch zu. Er hat es nicht getan.
Aber ich erlaube mir die Frage, ob wir denn vielleicht auch dem Ministerpräsidenten Strauß dankbar sein sollen für das, was er in Washington ausgeführt hat. Da sage ich allerdings mit aller Deutlichkeit: dazu besteht überhaupt kein Anlaß. Was dort veranstaltet worden ist, verletzt den politischen Anstand, der unter uns üblich sein sollte.
({2})
Im übrigen muß ich den Herrn Bundeskanzler zu meiner Betrübnis korrigieren. Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt: „Ministerpräsident Strauß ist nicht hier; er macht gerade sein Veto im Bundesrat." Irrtum, Herr Bundeskanzler, er läßt sein Veto machen. Er ist zu dieser Debatte nicht erschienen.
({3})
Die parallelen Debatten im Bundestag und im Bundesrat - Herr Linde hat eben darauf hingewiesen, daß das ein ungewöhnliches Verfahren ist -muß man mit sehr aufmerksamen Ohren - gewissermaßen in beiden Richtungen - verfolgen.
Wir haben vor wenigen Tagen zum Stichwort Investitionszulage von dem Kollegen Häfele gelesen, das sei hinausgeworfenes Geld. Herr Kiep hat in einer der Debatten vor einigen Wochen hier erklärt, die Investitionszulage wolle er nicht.
Ganz anders und unterschiedlich klingen -die Stellungnahmen der Opposition im Bundesrat. Dort sind die Beratungen soeben abgeschlossen worden. Die Investitionszulage ist nicht expressis verbis abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, hier müßten Sie - Herr Häfele, Herr Kiep und andere - dann doch vielleicht einmal in Ihren Reihen für Klarheit sorgen, was Sie denn nun eigentlich mögen und was Sie nicht mögen. Der Ministerpräsident Späth - Herr Häfele, Sie stammen aus seinem Bundesland - hat die Investitionszulage in ihrer technischen Ausgestaltung in vielen Punkten kritisiert.
({4})
Das hätte er gar nicht zu tun brauchen, wenn er sie überhaupt nicht wollte.
Wir werden uns im Vermittlungsausschuß zu dieser Frage wiedersehen. Sie werden die Investitionszulage aller Voraussicht nach am Ende nicht ablehnen. Aber eines können Sie nicht. Sie können nicht gleichzeitig den Kuchen aufessen und ihn behalten wollen.
({5})
Das gleiche hat - im Gegensatz zu dem, was Herr Kohl soeben ausgeführt hat - der niedersächsische Ministerpräsident vor der dortigen Wahl getan. Er hat dort keine klare Entscheidung getroffen. Er hat sich klar gegen die Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen, aber er hat keineswegs gesagt, daß er die Investitionszulage nicht haben wolle. Im Gegenteil, er hat die etwas befremdliche Erklärung abgegeben, er hielte das zwar alles nicht für gut und nützlich - das kann man in den Zeitungen von vor einigen Wochen nachlesen -, aber mit Ausnahme der Mehrwertsteuererhöhung werde er dem trotzdem zustimmen.
Lassen Sie mich einige Worte zu dem Thema - das sind die Kernpunkte der beschäftigungspolitischen Maßnahmen - Investitionszulage und ihre Finanzierung sagen, wobei ich die sehr wichtigen anderen Punkte, z. B. die Verbesserungen im Wohnungsbau und im Mietrecht, nicht etwa unterschlagen möchte. Ich will unterstreichen, daß wir das für wichtig halten.
({6})
Die Einführung einer befristeten Investitionszulage und die damit im Zusammenhang stehende Erhöhung der Mehrwertsteuer kann nur richtig gewürdigt werden, wenn sie als Teil und Vorgriff einer umfassenden Strategie für mehr Beschäftigung und Wachstum über mehr Investitionen verstanden wird. Herr Kohl, Sie haben den Jahreswirtschaftsbericht dazu zitiert. Nach dem Jahreswirtschaftsbericht und der darin enthaltenen Gemeinschaftsinitiative ist das vorrangige Ziel die Verstärkung der Investitionen über die ganze Breite der volkswirtschaftlichen Angebotspalette, und damit die Umstrukturierung des Sozialprodukts von den konsumtiven zu mehr investiven Verwendungen. Nach Adam Riese bedeutet eine höhere Investitionsrate und Investitionsquote, daß der öffentliche und private Konsum nur unterproportional wachsen kann. Zu dieser Umstrukturierung muß beigetragen werden durch entsprechende Veränderungen in der Struktur der öffentlichen Haushalte, in der Steuerstruktur, in der Struktur der Einkommensverteilung, in der gesamten volkswirtschaftlichen Strukturanpassung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits, zur Stärkung unseres Wechselkurses und damit zur Schaffung von Voraussetzungen für weitere Zinssenkungen.
Die Investitionszulage muß in diesem allgemeinen Zusammenhang gesehen werden. Sie muß auch in der speziellen finanzpolitischen Sicht verstanden werden als Ergänzung der „Operation 82" und als vorgezogener Teil der Verbesserung der Steuerstruktur ab 1. Januar 1984.
Dazu hat es in letzter Zeit viele Orakelsprüche, Mutmaßungen und Mißdeutungen und auch Anfragen gegeben. Die Absicht der Bundesregierung läßt sich aber klipp und klar aus den beschlossenen Aussagen des Jahreswirtschaftsberichts und aus der Begründung des Beschäftigungsförderungsgesetzes ableiten.
Erstens hat die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht in Ziffer 15 zur Mehrwertsteuererhöhung ab 1. Juli 1983 folgendes beschlossen:
Aus dieser Steuererhöhung sollen zunächst beschäftigungspolitische Maßnahmen finanziert werden. Nach deren Auslaufen soll sie zu einer Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer dienen. Die Bundesregierung wird hierzu einen Gesetzentwurf für ein Inkrafttreten zum 1. Januar 1984 vorlegen. Die Bundesregierung verfolgt mit diesen Maßnahmen, die eine Umschichtung von der direkten auf die indirekte Steuerbelastung bedeuten, zugleich eine weitere Verbesserung der Steuerstruktur.
Herr Kohl, die Antwort, die Sie Herrn Haussmann auf seine spezielle Frage gegeben haben, ist in meiner Sicht zufriedenstellend. Seine Frage war aber vollständig gerechtfertigt und nicht, wie Sie heute in Ihren Zwischenrufen meinten, ungerechtfertigt. Sie sollten sich an das erinnern, was Herr Kreile und Herr Geißler zu diesen Themen heute und vor einigen Wochen gesagt haben. In diesem Zusammenhang wurde Lassalle sowohl von Herrn Kreile als auch von Herrn Geißler zitiert.
({7})
Das ist vor 120 Jahren auch richtig gewesen; nur ist es heute nicht mehr richtig.
({8})
Zweitens hat die Bundesregierung in der Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz weiter zu diesem Komplex kommentiert:
Durch die Erhöhung der Umsatzsteuer zum 1. Juli 1983 soll eine Entlastung bei der direkten Besteuerung zunächst im Unternehmenssektor, dann zum 1. Januar 1984 bei der Lohn- und Einkommensteuer und somit eine Umschichtung von der direkten zur indirekten Besteuerung ermöglicht werden, um das Steuersystem leistungs- und investitionsfreundlicher zu gestalten.
Drittens hat die Bundesregierung in Ziffer 11 d ihres Jahreswirtschaftsberichts mit folgender Orientierung einen weiteren Pflock eingeschlagen:
Finanzwirksame Maßnahmen zur Überwindung der Wachstums- und Strukturschwäche müssen dagegen durch Umschichtungen bei den öffentlichen Ausgaben und im steuerlichen Bereich finanziert werden. Dies schließt eine Erhöhung indirekter Steuern ohne dauerhafte Erhöhung der Steuerquote nicht aus.
Ich unterstreiche: Ein zentraler Orientierungspunkt bei alledem ist, die Steuerquote nicht zu erhöhen. Daraus ergibt sich jedenfalls in qualitativer Hinsicht, daß nach dem Willen der Bundesregierung die Verbesserung der Steuerstruktur ab 1. Januar 1984 aus zwei Elementen besteht, mit denen das Steuersystem insgesamt leistungs- und investitionsfreundlicher gestaltet werden soll. Erstens wird die von der Regierung vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung durch Entlastung bei den direkten Steuern wieder ausgeglichen. Zweitens wird denjenigen Steuererhöhungen, die sich bei lediglich nominalen Lohn- und Einkommenserhöhungen infolge des progressiven Steuertarifs ergeben, insoweit entgegengewirkt, daß zumindest ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Steuerquote verhindert wird.
Ich muß das, meine Damen und Herren, insoweit kommentieren. Angesichts der Fülle der öffentlichen Aufgaben und der Notwendigkeit, die öffentlichen Defizite weiter zurückzuführen, wird es kaum möglich sein, die Steuerquote in absehbarer Zeit nennenswert zu senken, so wünschenswert das auch sein mag. Wenn dem so ist, können hier und heute auch nur die qualitativen Elemente klargestellt und noch keine Ausgleichsvolumina für 1984 und die folgenden Jahre beziffert werden. Daß die Struktur der Steuerentlastung im einzelnen noch einer sorgfältigen Beratung bedarf, versteht sich von selbst.
Ich halte es aber im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit unserer Beschäftigungsstrategie und für die Aufhellung der Perspektiven in der Wirtschaft und der Arbeitnehmerschaft für eminent wichtig, diejenige Klarstellung zu geben, die man redlicherweise heute geben kann. Und noch einmal: Nur in dieser Perspektive macht die befristete Investitionszulage Sinn, dann macht sie aber auch Sinn, und dann ist auch ihre Finanzierung durch die vorgezogene Mehrwertsteuererhöhung gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, die Finanzierungsfrage, über die wir hier j a schon in der ersten Lesung diskutiert haben, wird im Vermittlungsausschuß, wie ich es sehe, die entscheidende Rolle spielen, denn die Investitionszulage an sich wird im Vermittlungsausschuß und im Bundesrat nicht in Frage gestellt werden. Die Bundesregierung wird im Vermittlungsausschuß selbstverständlich - ich sage das, um jedem Zweifel vorzubeugen - an ihrem Vorschlag der Mehrwertsteuererhöhung festhalten. Wer diese Erhöhung ablehnt, muß ersatzweise etwas anderes anbieten, worüber man sich dann verständigen kann.
In diesem Zusammenhang hat der Herr Bundeskanzler darauf hingewiesen, daß ihm selber - und das wissen wir - eine Ergänzungsabgabe auf höhere Einkommen lieb gewesen wäre
({9})
und daß eine solche Ergänzungsabgabe mit Rücksicht auf die Einstellung des Koalitionspartners nicht vorgeschlagen worden ist. Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht möchte ich dazu sagen, dies ist für mich und für meine Freunde nicht eine Frage der genügenden oder nicht genügenden sozialen Gerechtigkeit - darüber läßt sich selbstverständlich diskutieren -, sondern es geht bei dieser Frage darum, daß man mit einer Ergänzungsabgabe auf Spitzeneinkommen die Aktiengesellschaften, die GmbH, die persönlich haftenden Gesellschafter von Einzelfirmen, OHG und Kommanditgesellschaften besteuert, also genau diejenigen, von denen man das Investieren erwartet. Es ist also eine ökonomische Überlegung, die uns zu dem Ergebnis geführt hat, hier anderer Auffassung zu sein.
({10})
Nun hat der Kollege Kohl mit Recht gefragt: Was hat sich denn eigentlich seit Oktober 1981 geändert, als der Bundeskanzler - andere auch - gemeint haben, ein Beschäftigungsprogramm sei eher hinderlich und eher schädlich? - Herr Kohl, ich darf zunächst einmal sagen, ich finde es abwegig, wenn aus der Änderung der Beantwortung einer Sachfrage unmittelbar und sofort auf Wankelmütigkeit, fehlendes Standvermögen und geringe Entscheidungsfähigkeit geschlossen wird. Ich finde die Frage „Warum habt ihr eure Meinung geändert?" richtig; aber daraus, ohne die Beantwortung dieser Frage
abzuwarten, qualifizierende Schlüsse zu ziehen, dies finde ich nicht richtig.
({11})
Ich will versuchen, Ihnen diese Antwort zu geben, wenn Sie die Freundlichkeit haben, ihr zuzuhören. Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Winter eine umfängliche und intensive Diskussion - Herr Kiep, Sie werden so freundlich sein, Herrn Kohl, der mir nicht zuhört, über den Inhalt meiner Antwort zu informieren - ({12})
- Ich weiß gar nicht, worum es geht. Wie soll ich das wissen? Keine Ahnung!
({13})
- Herr Vogel, Sie können das für überflüssig halten; ich halte es nicht für überflüssig.
Ich beginne also noch einmal: Es hat bei uns im vergangenen Winter eine intensive, nicht zuletzt an der Entwicklung der Arbeitslosenzahl aufgehängte wirtschafts- und beschäftigungspolitische Diskussion gegeben. Es ist das geschehen und veranstaltet worden, was ich einmal etwas salopp die „Winterreise des Deutschen Gewerkschaftsbundes" genannt habe: von einer Beratung mit den gesellschaftlichen Gruppen, mit der Regierung, mit der Opposition, mit den Fraktionen dieses Hauses zur anderen, eine außerordentlich intensive Tätigkeit, um die Vorstellungen gegenseitig zu erläutern, um die Möglichkeiten abzuklären und auszudiskutieren.
Dann, meine Damen und Herren, wenn wir übereinstimmend der Auffassung sind - ich hoffe, daß das der Fall ist, und bin eigentlich sicher, daß das der Fall ist -, daß der soziale Friede in unserem Lande und die Zusammenarbeit zwischen den gesellschaftlichen Gruppen auch unter beschäftigungs- und konjunkturpolitischen Aspekten ein hohes Gut sind, wäre es völlig unmöglich gewesen, daß die Politik - gar nicht einmal nur die Regierung - nach dieser intensiven Diskussion des Winters die beschäftigungspolitische Runde mit einem Nullouvert im Frühjahr eröffnet.
({14})
Hier wiederhole ich das, wofür ich kritisiert worden bin - ich bin dennoch davon überzeugt, daß ich recht habe -: Tarifabschlüsse dieser Größenordnung wären ohne die Gemeinschaftsinitiative, ohne irgendein staatliches Handeln in diesem Bereich nicht zustandegekommen.
({15})
Ich war selbst der Meinung, daß diese mathematisch natürlich nicht beweisbare Behauptung, die ich da aufgestellt habe und heute wiederhole, eine etwas gewagte Behauptung war, bis ich mich vor zwei Tagen mit Mitgliedern der Verhandlungskommission unterhalten und deren Urteil dazu gehört habe. Eindeutige Antwort: Wenn hier nichts geschehen wäre von seiten der staatlichen Politik, hätten wir eine Atmosphäre der Tarifverhandlungen und der Lohnauseinandersetzungen dieses Winters gehabt, die solche Ergebnisse nicht ermöglicht hätte.
Meine Damen und Herren, hier möchte ich etwas deutlicher, als Sie es getan haben, Herr Kohl, die Einsicht und das Verantwortungsbewußtsein der Tarifpartner unterstreichen, deutlicher auch deswegen, weil man gar nicht übersehen kann, daß hier im Interesse - ich nehme an, daß das das Leitmotiv war - derjenigen, die Arbeitsplätze suchen, eine reale Einkommensminderung derjenigen hingenommen wird, die Arbeitsplätze haben. Das ist eine ganze Menge. 4,2 % plus brutto bei den Preissteigerungsraten, die immer noch zu hoch sind, dies ist schon ein erhebliches Entgegenkommen, das wir nicht geringschätzen dürfen. Wir haben allen Anlaß, diese Abschlüsse zu würdigen.
({16})
Ich komme zurück auf die Eingangsbemerkungen, zu denen mich Herr Kohl wegen seines Hinweises auf Auswanderungswillige veranlaßt hat, nämlich auf das Stichwort Pessimismus, Mangel an Zuversicht, schlechte Stimmung. Es ist auch ein bißchen Miesmacherei dabei; manches wird ja angeheizt.
Es ist richtig, die Zahlen am Arbeitsmarkt geben nach wie vor und sicher auch noch auf längere Frist - keiner hat ein Patentrezept, die Probleme schnell zu lösen, auch wegen der demographischen Entwicklung; wir wissen das - zu Besorgnis Anlaß. Wenn ich mir aber die Zahlen der Bundesrepublik Deutschland ansonsten ansehe, dann stellen wir fest, die Zinsen sinken. Haben wir nicht alle miteinander gesagt, Zinssenkung sei das beste Beschäftigungsprogramm? Die Tarifabschlüsse sind maßvoll und verantwortungsbewußt. Die Preissteigerungsraten gehen nach unten. Beim Leistungsbilanzdefizit werden wir aller Voraussicht nach seinen vollständigen Abbau im Jahre 1982 erleben. Die Exportaufträge und die Exportabwicklung haben außerordentlich erfreuliche Entwicklung genommen.
Meine Damen und Herren, dies alles berechtigt uns nicht zu Sorglosigkeit. Schon die Eingangsbemerkung über die Arbeitslosen macht das klar. Die vielen Wenn und Aber und weltwirtschaftlichen Risiken, auf die der Herr Bundeskanzler hingewiesen hat, machen es auch klar. Es berechtigt uns aber wohl zu der Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland mitten in dem notwendigen Anpassungsprozeß ist, daß die Bundesrepublik Deutschland nach meiner Einsicht und meiner Kenntnis von den großen Industrieländern dasjenige ist, das nach Japan die meisten Fortschritte bei der notwendigen Anpassung gemacht hat. Ich will im übrigen über die Hintergründe der japanischen Wirtschaftspolitik und die politischen Überzeugungen, die hinter dieser Wirtschaftspolitik im Vergleich zu anderen Wirtschaftspolitiken der westlichen Welt stehen, hier keine Überlegungen anstellen. Man könnte noch lange darüber philosophieren.
Wir sind aber auf dem richtigen Wege, und wir haben keinen Anlaß, uns in Pessimismus zu ergehen. Wir werden - dies ist meine feste Überzeugung, zwei Monate nach der Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichts - am Ende dieses Jahres in den meisten Bereichen unserer Volkswirtschaft bessere Zahlen und bessere Ergebnisse sehen, als wir sie noch Ende Januar nach bestem Wissen und Gewissen diesem Hause vorgestellt haben.
Lassen wir uns nicht dadurch täuschen, daß die Stimmung in der Wirtschaft nach wie vor eher negativ ist. Das ist immer so gewesen. Wenn es ins Tal geht, bleibt die Stimmung bei den in der Wirtschaft Tätigen länger abfallend auch dann, wenn die Kurve schon wieder nach oben gegangen ist. Umgekehrt: Wenn die Kurve nach oben geht und dann, auf deren Scheitelpunkt angekommen, abfällt, dauert der Optimismus gleichwohl länger an. Das können Sie bei jedem Konjunkturzyklus ablesen.
Herr Kohl, Sie haben uns aufgefordert, uns auf die Soziale Marktwirtschaft rückzubesinnen; da habe ich nicht so viel Nachholbedarf. Daß Wettbewerb und Leistungsbereitschaft dazugehören, diesen Anpassungsprozeß durchzustehen, wissen wir. Wir vertrauen darauf, daß die deutschen Unternehmen und die deutschen Arbeitnehmer diese Herausforderung erkannt haben und den Weg aus den Schwierigkeiten mit uns gemeinsam finden werden, wozu diese Gemeinschaftsinitiative, von der wir alle wissen, daß sie schon vom Volumen her Berge nicht versetzen kann, einen wichtigen psychologischen Beitrag leistet. Sie könnte einen besseren psychologischen Beitrag leisten, wenn die Opposition ihre Kritik und ihre Teilnahme daran etwas konstruktiver gestaltet hätte.
({17})
Meine Damen und Herren, um eine nach der Geschäftsordnung gerechtfertigte und richtige Behandlung dieses Tagesordnungspunktes zu gewährleisten, ist es nötig, daß jetzt eine Pause eingelegt wird. In dieser Pause soll sich der Finanzausschuß mit den Beschlüssen des Bundesrates befassen. Mir ist mitgeteilt worden, daß eine Zeit von 30 Minuten dazu wahrscheinlich ausreicht. Der Finanzausschuß tritt unverzüglich zusammen. Wo er zusammentritt, ist den Mitgliedern bekannt.
Die Mittagspause dauert bis 14 Uhr, es sei denn, daß diese Zeit für die Behandlung im Finanzausschuß nicht ausreicht. Für diesen Fall würde eine Änderung des Wiederzusammentritts durch Rundspruch bekanntgegeben.
Die Sitzung ist bis 14 Uhr unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Als erstem Redner nach der Mittagspause erteile ich dem Herrn Abgeordneten Hansen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spätestens heute ist jedem klar, daß es auf Inhalte der Regierungspolitik schon längst nicht mehr ankommt. Hatte der Bundeskanzler am 5. Februar die sogenannte Gemeinschaftsinitiative noch zum Anlaß für die Vertrauensfrage genommen, so wird Beschäftigungspolitik heute offensichtlich von Bundesregierung und allen Fraktionen in diesem Hause so ernst genommen, daß man dafür gerade noch bereit ist, sich wenige Stunden von der Osterpause abzuzwacken. Einziger Sinn der Vertrauensfrage war also „Schulterschluß, Geschlossenheit und Unterwerfung".
Da sich der Bundeskanzler heute ja - vielleicht war das sein Beitrag zum Goethe-Jahr - als einer dargestellt hat, der weiß, „was die Welt im Innersten zusammenhält", und da er auch gesagt hat, Betriebsräte wüßten j a, wer ihre Interessen in diesem Hause eigentlich vertritt,
({0})
möchte ich ihm vorab nahe bringen was ein Betriebsratsvorsitzender - also noch mit größerer Autorität - neulich gesagt hat: „Die wirklich Mächtigen sind nicht die Regierungen, sondern es sind die multinationalen Konzerne und ihre Interessen, und der Bundeskanzler sollte mal darüber nachdenken, wenn er Reden hält, daß er in Wirklichkeit eine Fliege auf einem großen Pferd ist, dieses Pferd heißt multinationale Interessen, Kapital, und er sagt zu dem Pferd: Paß auf, ich bin der Jockey, ich gebe die Richtung an!"
({1})
Angesichts von beinahe drei Millionen Arbeitslosen - da fängt es ja schon an -, die registrierten zwei Millionen plus mindestens 800 000, die „Stille Reserve", mit einem wachsenden Anteil von Behinderten, angesichts von 600 000, die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe erhalten, angesichts des Tatbestandes, daß zigtausend Jugendliche von der Schule und aus Lehrstellen, wenn sie denn eine ergattert haben, direkt in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, angesichts dieser Tatsachen finde ich es mehr als beschämend, daß sich alle Fraktionen sehr schnell darauf geeinigt haben, diese Debatte in wenigen Stunden am Rande - im wahrsten Sinne des Wortes - zu „erledigen". Die Not von Millionen wird in diesem Parlament so ernst genommen, daß die Abgeordneten nicht einmal auf ihre festgelegten Reisepläne verzichten wollen.
({2})
Der Bundeskanzler - das zeigt auch die Präsenz heute morgen und jetzt - hat 17 von Ihrer Fraktion gezählt; ich habe 20 von seiner Fraktion gezählt. Die Leute sollen wissen, was in diesem Parlament ernstgenommen wird. Aber vielleicht entspricht dies ja auch der Geschäftslage.
Ganz folgerichtig ist die Allparteienkoalition für Raketen durch eine Allparteienkoalition für sozialen Abbau vervollständigt worden. Sie unterscheiden sich nur noch im Umfang und Tempo. Zweifellos
stehen Rüstung und sozialer Abbau sachlich im wechselseitigen Zusammenhang, denn gleich nach der Führung eines Krieges ist die Aufrüstung der direkteste Weg zu Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums. Getreu dem Vorbild unserer amerikanischen Schutzmacht hat sich die Bundesrepublik auf diesen Weg gemacht, auf den Weg nämlich weg von einer auf Vollbeschäftigung angelegten antizyklischen Politik hin zu einer prozyklischen Wirtschafts- und damit Sozialpolitik, die die Beschäftigungsprobleme nur noch am Rande angeht. Insofern sind Hochzinspolitik und Militarisierung der Außenpolitik nur zwei Seiten der gleichen Medaille.
Hauptleidtragende dieser Umverteilung - nämlich der privaten Aneignung von gesellschaftlich Erarbeitetem - sind die vielen, die nichts außer dem Zwang haben, ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um überhaupt leben zu können.
Wie sieht die Lage bei den von jahrelanger verfehlter Wirtschafts- und von nicht stattgefundener Strukturpolitik Betroffenen in Wirklichkeit aus? Trotz der litaneienhaften Beteuerung der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung: „Wir werden nie ins soziale Netz einschneiden; wir werden nicht tief ins soziale Netz einschneiden; wir werden das soziale Netz nicht zerstören lassen" steht jetzt der soziale Besitzstand der Arbeitnehmer vor dem Ruin. Ruiniert wird damit der Verfassungsauftrag, den sozialen und demokratischen Rechtsstaat zu verwirklichen, das heißt, das Recht auf Arbeit, Hilfe bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter.
Die Sparbeschlüsse 1982 belasten die Unternehmer „mit ganzen 600 Millionen DM". Den Arbeitnehmern aber werden 10,7 Milliarden DM weggenommen. Von 1982 bis 1985 werden die Unternehmer mit 3 Milliarden DM entlastet, während der in der Februar-Debatte naiv oder zynisch sogenannte Solidaritätsbeitrag der Arbeitnehmer über 48 Milliarden betragen wird. Das nenne ich schlicht asozial.
Das einzige, was man mit Gewißheit von dem vorliegenden „Beschäftigungsförderungsgesetz" sagen kann, ist, daß es keinen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffen wird. Im Gegenteil: Das Geschenk der 10 %igen Investitionszulage wird - wie gehabt - von den Unternehmern gerne mitgenommen, wird bestenfalls helfen, ihre Wagenparks zu erneuern oder ihrem Flugzeugpark noch ein Flugzeug hinzufügen. Es wird sie kaum davon abhalten, ihr Kapital weiter zu hohen Zinsen anzulegen oder Arbeitsplätze wegzurationalisieren und damit Arbeiter „freizusetzen", wie es so schön und zynisch heißt. Anstatt die Arbeitslosigkeit und vor allem ihre Ursachen zu bekämpfen, werden die Opfer weiter zur Ader gelassen: Kürzung des Kindergeldes, Mehrwertsteuererhöhung, damit verbunden Preissteigerungen und Reallohneinbußen von mindestens 4 %, voraussehbare Mieterhöhungen.
Also: den wenigen der Mehrwert, den vielen die Mehrwertsteuer. Um der bloßen Machterhaltung und inhaltlosen Machtausübung willen wird strukturelle Gewalt in diesem Land ausgeübt. Das ist in der Tat Klassenkampf, aber Klassenkampf von oben.
Nach der Operation '82 hat diese Politik mit ihrem „Beschäftigungsprogramm" einen weiteren Tiefpunkt erreicht oder, wie es in einem Flugblatt von Gewerkschaftlern in Düsseldorf in diesen Tagen zu lesen steht: „Der Abstieg der Arbeitnehmer in die soziale und berufliche Unterwelt setzt sich fort." Wer Arbeit hat, steht unter wachsendem psychologischem und direktem Leistungsdruck; er wird kaputtgemacht. Und das wird vom Markt-Grafen Lambsdorff unter Hinweis auf Japan auch noch gutgeheißen, wird verstärkt durch die allmähliche Aushöhlung des Kündigungsschutzrechts sowie die beängstigende Diskussion um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Kein Wunder, daß die Weltgesundheitsorganisation feststellt, zwei Drittel aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik seien vor Erreichung der Altersgrenze - wörtlich so - verschlissen. Es ist blanker Hohn, wenn der gleiche Herr Minister Lambsdorff gestern sagte:
In unserem Wirtschaftssystem ist es legitim, daß derjenige, der sein Vermögen, sein Kapital, seine Arbeitskraft, seinen Mut und seine Ideen einsetzt, dafür im Erfolgsfall auch belohnt wird.
Allerdings meint er damit die Unternehmer. Arbeitskraft, Gesundheit und Lohn der Arbeitnehmer sind für ihn offensichtlich Petitessen.
Alle, die dank der versäumten Strukturpolitik keine Arbeit mehr haben, müssen sich in einem allgemeinen Kesseltreiben wie Hasen durch die Gegend jagen lassen, hin und her, von sogenannten Zumutbarkeitsregelungen, die zwar keinem Arbeit verschaffen, dafür aber die Bundesrepublik immer mehr zu einem „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten" machen. Wer ein arbeitsreiches Leben hinter sich hat, der wird an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Dem wird die Rente und, wenn er in einem Heim wohnt, das Taschengeld gekürzt. Wer war das eigentlich? Denn heilte will es j a keiner gewesen sein, wie wir heute morgen wieder gehört haben. Den Ärmsten der Armen, den Empfängern von Sozialhilfe, streicht man das Wenige zusammen, obwohl die Hälfte der Sozialhilfeberechtigten das ihnen Zustehende aus Scham nicht einmal zu beanspruchen wagen.
Auch die wenigen richtigen Ansätze in diesem Gesetz, denen ein demokratischer Sozialist zustimmen kann, werden nicht einmal kurzfristig die folgenreichen Schäden einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik reparieren können. Sie sind jedenfalls kein Genesungsprogramm für die Patienten der Operation '82, und sie werden keinen zusätzlichen Sanitäter auf die Beine bringen für die bundesrepublikanische Lazarettstation hinter der Hauptkampflinie des Kapitalismus. Sie werden nicht einmal kurzfristig zur Konjunkturbelebung beitragen.
Das Krisenmanagement der angeblich sozialdemokratisch geführten Bundesregierung hat die Bundesrepublik in wachsende Massenarbeitslosigkeit und in soziale Demontage geführt. Angesichts von Sozialdemokraten, die zum blinden Glauben an die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft konvertiert sind, ist jede Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte der Sozialdemokratie zur Illusion geworden.
Nun hat j a der Bundeskanzler heute morgen die Frühlingssaison eingeleutet. Aber so frühlingshaft ist das Wetter in der politischen Landschaft heute nicht. Man muß ihn fragen: wo ist denn der Mut zur Zukunft geblieben, den der Bundeskanzler mit wohlgesetzten Worten zu Beginn dieser Legislaturperiode beschworen hat? Wo ist der Mut zur mindestens sozial gerechteren Ergänzungsabgabe, zur höheren Besteuerung der Spitzeneinkommen? Wo ist der Mut zu einer grundlegenden Neuorientierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch Wirtschaftsdemokratie und Investitionskontrolle, so wie es j a im Orientierungsrahmen 85 der Sozialdemokraten beschworen worden ist? Wo bleibt die Politik im Interesse der arbeitenden Menschen, die mit Angst und Sorgen immer düsterer in ihre Zukunft schauen?
Was bleibt den Arbeitnehmern, als Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, eigentlich anderes übrig, als endlich ihre wohlverstandenen Interessen in die eigenen Hände zu nehmen, wenn sie sich offensichtlich nicht mehr auf ihre Oberen verlassen können, die sich augenzwinkernd untereinander verständigen und nach außen verbalradikale Reden halten, während nicht wenige von ihnen hauptsächlich damit beschäftigt zu sein scheinen, die soziale Frage für sich selbst zu lösen?
Mein Kollege Manfred Coppik und ich werden dieses Dokument politischer Rat- und Hilflosigkeit, weil es kein Programm für Arbeitsplätze ist, in der Schlußabstimmung ablehnen. - Ich danke Ihnen.
({3})
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie einen Augenblick um Ihre Nachsicht. Der Finanzausschuß hat, wie mir berichtet worden ist, seine Arbeit soeben beendet. Mir ist mitgeteilt worden, daß die Vorsitzende des Ausschusses, Frau Matthäus-Maier, über die Ergebnisse der Beratungen des Ausschusses berichten wird. Sie ist wohl noch unterwegs. Ich bitte Sie um einen Augenblick Geduld, bis sie hier eintrifft.
({0})
- Die Wege sind oft nicht so kurz, Herr Kollege Kohl.
({1})
- Herr Kollege Kohl, wenn ich die Sitzung förmlich unterbreche, geht der Bundestag auseinander, und wir verlieren dann sicher kostbare Zeit, bis er wieder zusammengetreten ist. Wir befinden uns in dem Zustand, in dem wir auch dann sind, wenn wir nach einer Abstimmung auszählen.
({2})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier.
Meine Damen und Herren, der Finanzausschuß hat gerade getagt. Sie wissen, er hat gestern auf der Grundlage der Stellungnahme des Finanzausschusses des Bundesrates seine Beschlußempfehlung abgegeben. Wir hatten unseren Beschluß unter den Vorbehalt gestellt, daß das Plenum des Bundesrates heute nichts anderes beschließt als sein Finanzausschuß. Das ist bis auf eine Ausnahme geschehen. Wir haben daraufhin ohne Sachdiskussion erneut zu dem Gesetz Stellung genommen. Die Mehrheit der Koalition hat gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ohne Sachdiskussion den Gesetzentwurf angenommen, und wir empfehlen Ihnen das gleiche. - Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben den Bericht des Finanzausschusses gehört. Wir fahren in der Aussprache zur zweiten Lesung fort.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Finanzausschuß hat die Mehrheit aus SPD und FDP die Bedenken des Bundesrates abgelehnt und zurückgewiesen. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, weshalb wir als CDU/CSU in Zweiter und Dritter Lesung dieses sogenannte Beschäftigungsgesetz ablehnen.
Erstens. Das Beschäftigungsförderungsgesetz sieht eine Mehrwertsteuererhöhung ab Mitte des nächsten Jahres vor. Wir lehnen diese Steuererhöhung ab, weil sie die Preise und Kosten in die Höhe treibt, sie damit arbeitsplatzvernichtend ist, sie in erster Linie von denen aufgebracht werden muß, die ihren größten Teil am Einkommen in den Konsum ausgeben müssen, sie keine Verbesserung der Steuerstruktur bringt, wir heute noch nicht die konjunkturelle Situation des Jahres 1983 voraussagen können, das Versprechen von Steuererstattungen im Jahre 1984, gemessen an den bisherigen Wortbrüchen der Regierung, unglaubwürdig wirkt und Mehrwertsteuererhöhungen nicht zum Abbau von heimlichen Steuererhöhungen verbraucht werden dürfen.
({0})
Zweitens. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz sieht eine vorgezogene Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke vor. Es ist bisher unstrittig, daß eine zeitnahe allgemeine Hauptfeststellung notwendig ist. Es ist unstrittig, daß es keine prinzipielle steuerrechtliche Privilegierung des Grundvermögens im Verhältnis zu anderen Vermögensanlagen geben kann. Eine isoliert vorgezogene Teilhauptfeststellung jedoch verletzt zusätzlich den Gleichheitsgrundsatz und führt zu neuen Ungerechtigkeiten, löst soziale Härten und erhebliche Vollzugsschwierigkeiten aus, führt zu einer Verschärfung der ertragsunabhängigen Steuern und
wirkt somit ausgesprochen kontraproduktiv. Wir lehnen deshalb diesen Vorschlag ab.
({1})
Drittens. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz schlägt eine Änderung der Abgabenordnung vor mit dem Ziel einer Beschleunigung des Steuereingangs bei Mehrergebnissen aus länger anhaltenden, noch laufenden Betriebsprüfungen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte diesem Vorschlag zugestimmt, wenn es sich dabei um unstrittige Steuerforderungen gehandelt hätte. So aber führt diese Änderung zu einem Anschwellen der eingelegten Rechtsmittel gegen die Vorbescheide, damit zu einer Verdoppelung der Arbeit der Betriebsprüfungsämter, zu einer erheblichen Verschlechterung des Klimas zwischen Steuerzahler und Finanzamt und zu einem nicht angebrachten Liquiditätsentzug der Unternehmen. Wir lehnen deshalb diese Änderung ab.
({2})
Viertens. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz sieht eine Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung vor. Die CDU/CSU würde eine Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung mittragen, wenn die Erträge zur Konsolidierung der Rentenfinanzen verwandt würden.
({3})
Es kann aber nicht angehen, daß zur Sanierung des Bundeshaushalts und eines falschen Beschäftigungsförderungsprogramms eine zusätzliche Belastung der Rentner durchgesetzt wird. Ein Rentnerkrankenversicherungsbeitrag darf nicht der Sanierung des Bundeshaushalts, der Sanierung einer verfehlten Finanzpolitik dienen.
({4}) Wir lehnen diesen Beitrag so ab.
Diese vier von uns abgelehnten Gesetzesänderungen haben mit einem Beschäftigungsförderungsprogramm nichts zu tun. Sie wirken genau in die umgekehrte Richtung.
Es bleiben zwei Punkte, meine Damen und Herren, die wir nicht ablehnen, weil sie vom Grundsatz her diskutabel sind, denen wir aber auch nicht jubelnd zustimmen werden, weil sich schon nach kurzer Zeit herausstellen wird, wie kurzfristig - vielleicht nur auf einen Landtagswahlkampf oder auf einen Parteitag ausgerichtet - sie angelegt sind.
Das ist erstens die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Gewährung von Bildungsbeihilfen an arbeitslose Jugendliche. Der Gedanke ist gut und wird von uns auch unterstützt.
Da ist zweitens - das bleibt zum Schluß - die befristete Investitionszulage. Die Investitionszulage könnte, wenn es von der Koalition ernsthaft gewollt wäre, wirkungsvoll ausgestaltet werden. Jetzt aber ist sie willkürlich, weil sie Unternehmen benachteiligt, die in den letzten Jahren den Mut und die Bereitschaft aufgebracht haben zu investieren. Sie belohnt die, die in Attentismus verharrten. Sie ist umständlich, zeitraubend und enorm bürokratisch, weil vier Bilanzen geprüft werden müssen, wenn man die Zulage erhalten will.
Wir wollen, meine Damen und Herren, diese Investitionszulage nicht verhindern und werden uns deshalb der Stimme enthalten. Sie alle sollten aber von den großen Erwartungen Abschied nehmen und sich daran erinnern, daß wir seit 1978 sieben Änderungen des Investitionszulagengesetzes mit zum Teil erheblichem Umfang vorgenommen haben. Hat es eine dieser Änderungen vermocht, die Wende in der Wirtschaftspolitik zu bewirken?
Meine Damen und Herren, das vorliegende Beschäftigungsförderungsgesetz ist nicht geeignet, die Beschäftigungsprobleme zu lösen. Wir lehnen es deshalb in Dritter Lesung ab.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast zwei Millionen Menschen suchen nach einem Arbeitsplatz, und in der Region, in der ich zu Hause bin, im Ruhrgebiet, ist fast jeder zehnte Arbeitnehmer ohne Arbeit.
({0})
Dies darf uns Politiker - uns alle - der betroffenen Menschen wegen nicht ruhen lassen.
({1})
Es erfordert nicht nur Nachdenken, sondern es erfordert auch Taten. Und die Bundesregierung hat gehandelt.
({2})
Mit der Gemeinschaftsinitiative hat sie ein Programm vorgelegt, dem prinzipielle Bedeutung zukommt. Sie hat mit dieser Initiative die Mitverantwortung des Staates für Beschäftigung und Arbeitsplätze bejaht.
Ich weiß, daß bei Ihnen, meine Damen und Herren, eine andere Denkschule vorherrschend ist, nämlich die, der Staat könne und solle gegen die Arbeitslosigkeit nichts tun, außer sich aus der Wirtschaft möglichst heraushalten; der Markt allein solle entscheiden. Die Konsequenz einer solchen Auffassung wäre eine brutale Ellenbogen-Gesellschaft, in der die Schwachen untergehen und die Starken sich durchsetzen sollen.
({3})
Meine Damen und Herren, der Kampf gegen eine solche darwinistische Gesellschaftsphilosophie ist eine der Wurzeln der Sozialdemokratie, und wir werden diesen Wurzeln weiterhin verpflichtet bleiben.
({4})
Wer es anders haben will, der mag Margaret Thatcher mit ihrer rigorosen Austerity-Politik bewundern. Die Erfahrung wird zeigen - und in England hat sich das mit den Straßenschlachten in den Großstädten im vorvergangenen Winter angedeutet -,
Dr. Mertens ({5})
daß die rabiaten Vereinfacher gesellschaftspolitischer Interessenvielfalt und die Ignoranten der sozialen Frage ihr Waterloo erleben werden. Wer in den arbeitslosen Menschen lediglich Nummern, Lohnkostenfaktoren, registrierte Beschäftigungslose sieht, der darf sich nicht wundern, wenn es eines Tages auch hier Arbeitslosendemonstrationen gibt, bei denen es dann um etwas anderes geht als bei der Startbahn West.
Die SPD-Fraktion hat immer eine Politik vertreten, in der die Mitverantwortung des Staates durch aktives Handelns deutlich wird.
({6})
Und im Unterschied zu anderen Industrieländern, die von drückender Massenarbeitslosigkeit heimgesucht werden, bekennt sich diese Koalition nicht nur mit Worten, sondern durch die Tat zur Bewältigung dieser modernen Geißel.
({7})
Diese Koalition hat nicht die wieder in Mode gekommenen, in Wahrheit aber uralten Antworten auf die offenen beschäftigungspolitischen Fragen gegeben, nämlich, die Wirtschaft sich selbst zu überlassen und den Staat zum Nachtwächter zu degradieren.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines klarstellen: Wir Sozialdemokraten wollen die Wirtschaft oder die Wirtschaftsunternehmen nicht durch bürokratische Eingriffe stören. Wir lassen uns auch nicht das Etikett der Gegnerschaft zur Marktwirtschaft anhängen. Aber der Anschauungsunterricht in Großbritannien bestätigt, daß mit den geheimnisvollen Selbstheilungskräften der Wirtschaft allein die wirtschaftspolitischen Probleme nicht zu lösen sind.
({8})
Es bleibt richtig, daß die Regierung die Krise der Wirtschaft nicht wegzaubern kann; keine Regierung könnte das. Es gibt keine einfachen, zumal nur nationalen Lösungen. Aber es muß doch außer Zweifel sein: daß wir zumindest das verwirklichen, was wir im eigenen Land, was wir in nationaler Verantwortung tun können.
Die Koalition hat sich dieser Verantwortung nicht entzogen. Die Beschlüsse können sich sehen lassen. Wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern, um eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt einzuleiten. Es ist doch immer wieder von der Wirtschaft gefordert worden, der Staat möge seine Möglichkeiten einsetzen, um die Investitionsbereitschaft zu erhöhen und den Strukturwandel zu erleichtern. Diesen Stimmen haben wir Rechnung getragen. Nun kommt es entscheidend darauf an, daß die Unternehmerverbände ihren Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung aufgeben und ihre Mitglieder ermuntern, von den angebotenen Möglichkeiten auch Gebrauch zu machen.
({9})
Meine Damen und Herren, es gibt Stimmen auch in meiner Partei, die die Investitionszulage nur als Geschenk an die Unternehmen abtun. Ich halte das
für ungerecht. Nicht jede Investition wird Arbeitsplätze schaffen, aber umgekehrt behaupte ich, daß ohne Investitionen überhaupt kein neuer Arbeitsplatz geschaffen werden kann. Andererseits ist es sozial ebenfalls zu kurz gedacht, die Gemeinschaftsinitiative lediglich, wie es der Bundesrat getan hat, als „Strohfeuer" zu bezeichnen.
Die gegenwärtige wirtschaftlich schwierige Lage hat auch konjunkturelle Gründe. Darum sind konjunkturbelebende und kurzfristige Maßnahmen auch sinnvoll. Die Bundesregierung hat nach dem ersten Ölschock den Einbruch in die deutsche Wirtschaftsstruktur mit klassischen Mitteln der Konjunkturpolitik, wie ich meine, erfolgreich bekämpft. Es gibt heute Besserwisser, die so tun, ob das Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977 verpufft sei, das immerhin 20 Milliarden DM an öffentlichen Investitionen ausgelöst hat. Diese Besserwisser irren. Mit diesem Programm wurde ein entscheidender beschäftigungspolitischer Impuls ausgelöst. Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß von 1977 bis 1980 Arbeitsplätze in sechsstelliger Größenordnung geschaffen worden sind.
Wir wissen, daß sich ein solches traditionelles Konjunkturprogramm heute angesichts der schwierigen Wirtschaftslage, dem hohen Zinsniveau und dem Leistungsbilanzdefizit nicht wiederholen läßt. Dennoch haben wir nach Möglichkeiten gesucht, den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern und die Lage der Wirtschaft mittelfristig wieder zu verbessern. Der erste Teil dieser Bemühungen war der Haushalt 1982. Wir haben in diesem Rahmen beschäftigungswirksame Maßnahmen mit einem Volumen von 27,5 Milliarden DM beschlossen - Sie wissen das -, und wir haben mit steuerpolitischen Maßnahmen - degressive Abschreibung, Ausdehnung des Verlustrücktrages - die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessert.
Ein wichtiger Schwerpunkt lag im Baubereich, hier insbesondere bei der Anhebung der Abschreibungshöchstsätze in § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Die Länder sind ermächtigt worden, die Zinsen für öffentliche Baudarlehen anzuheben. Allein durch diese Maßnahme wird ein Volumen von 4 Milliarden DM aktiviert. Damit kann man 30 000 zusätzliche Sozialwohnungen fördern. Länder und Gemeinden bleiben aufgefordert, diese Mittel unmittelbar für den Bau zusätzlicher Sozialwohnungen einzusetzen.
Meine Damen und Herren, auf diese Zusammenhänge muß die Öffentlichkeit hingewiesen werden. Den Unternehmen muß deutlich gesagt werden, daß diese Koalition das Ihre dazu beigetragen hat, um dem ständigen Ruf der Unternehmen nach Verbesserung der Rahmenbedingungen nachzukommen. Und jetzt ist es an den Unternehmen, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.
Gleichzeitig erwarten wir, daß die Bundesländer ihren Teil der gemeinsamen Verantwortung für Beschäftigung und Stabilität übernehmen. Es ist an der Zeit, daß die von der Union geführten Bundesländer auf die Linie der ökonomischen Vernunft einschwenken und dem von der Koalition vorgezeichneten Weg folgen.
Dr. Mertens ({10})
Ohne es einzugestehen, hat der niedersächsische Ministerpräsident mit einem speziellen Landesbeschäftigungsprogramm diesen Weg auch längst eingeschlagen.
({11})
- Er hat es so nicht finanziert, das ist richtig. - Es wäre trotzdem interessant zu hören, wie der Ministerpräsident von Niedersachsen im Bundesrat seine Ablehnung dieses Bundesprogramms begründet hat, gleichzeitig aber angesichts der Arbeitslosigkeit in seinem Land sein Landesprogramm verteidigt.
Niemand wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer mit Jubelstürmen begrüßen. Die Koalition will die Bürger nicht mit Steuererhöhungen ärgern. Welcher Politiker könnte denn daran interessiert sein? Aber wer alle anderen Finanzierungsmöglichkeiten strikt ablehnt, der hat den Anspruch verwirkt, die Finanzierung dieses Programms zu kritisieren.
({12})
Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat in einer Sonntagszeitung die Katze aus dem Sack gelassen, als er die Richtung klargemacht hat, nämlich - nach Lesart der Union - Finanzierung durch Abbau bei Auswüchsen der Sozialleistungen. Diese weiteren Einschnitte in die sozialen Leistungen liegen auf der Linie der Union bei den Haushaltsberatungen.
Ich will eins klarmachen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, bei Korrekturen mitzuwirken. Wir haben das unter Beweis gestellt. Aber es gibt nach unserer Auffassung bei den Leistungsgesetzen keine große finanzpolitische Manövriermasse mehr. Wir werden nicht zulassen, daß der Sozialstaat in seinen tragenden Funktionen beschädigt wird. Ich bin davon überzeugt, daß uns der Nationalismus erspart geblieben wäre, wenn wir 1930 ein ähnlich gut ausgebautes soziales Netz gehabt hätten.
({13})
Nun zu Ihrem Vorschlag, das Schüler-BAföG zu kürzen. Wir haben nicht deshalb 30 Milliarden an Steuergeldern in den Ausbau der deutschen Hochschulen gesteckt, um anschließend zu erleben, daß dort nur noch die Kinder einer privilegierten Minderheit studieren sollen.
({14})
Uns ist klar, daß die Finanzierung durch die Mehrwertsteuererhöhung Opfer verlangt. Ich bin sicher, daß für die Bürger die Solidarität mit den Arbeitslosen im Vordergrund stehen wird.
Die Argumentation der Union gegen die Mehrwertsteuererhöhung halte ich für absurd. Sie beklagen auf der einen Seite, daß den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen wird, auf der anderen Seite schlagen Sie Kürzungen im Sozialbereich vor. Das hat, was das Geld betrifft, den gleichen Effekt; nur mit dem Unterschied, daß nach Ihrer Version die Bedürftigsten der Gesellschaft belastet werden sollen.
({15})
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wer die Vorschläge der Koalition beiseite schiebt, der muß sagen, wie er seine Verantwortung gegenüber den Gefahren wachsender Arbeitslosigkeit wahrnehmen will. Der muß sich auch fragen lassen, welchen Stellenwert der soziale Frieden für ihn hat. Der muß wissen, daß ein Schaden eintreten kann, der über die Tagespolitik hinausgeht, wenn sich die arbeitslosen Menschen im Stich gelassen fühlen.
Arbeitsplätze zu schaffen ist für uns Sozialdemokraten die zentrale Frage der nächsten Jahre. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Union, werden sich dieser Frage zu stellen haben. - Ich danke Ihnen.
({16})
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite Lesung des Beschäftigungsförderungsgesetzes im Deutschen Bundestag, aber auch die Beratungen im Bundesrat waren nach unserer Einschätzung leider wiederum weitgehend vom Streit über die Investitionszulage und die Mehrwertsteuererhöhung bestimmt. Sicherlich ist dieses von der Bundesregierung vorgeschlagene Instrument zur Belebung der konjunkturellen Entwicklung und der Vorschlag für seine Finanzierung ein wesentlicher Teil der wirtschaftspolitischen Strategie und damit des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Die FDP-Bundestagsfraktion befürchtet allerdings, daß vor lauter Streit über die Investitionszulage und ihre Finanzierung die Gesamtorientierung ein wenig verlorengeht. Allein schon der Name „Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität" soll ganz bewußt deutlich machen, daß es sich hier nicht um eine Alleinverantwortung der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen handelt und handeln kann, sondern daß alle für die Wirtschaft Verantwortung Tragenden gefordert sind, auf Bedingungen hinzuarbeiten, die ein neues Wachstum und damit mehr Arbeitsplätze bringen.
Hierfür gibt es nach Meinung aller Sachverständigen - und wir sind derselben Auffassung - kein Patentrezept. Diese Schwierigkeiten sind auch nicht von heute auf morgen zu beseitigen. Doch darf erlaubt sein, zarte Signale der Hoffnung festzustellen. Der Sonderlombardsatz unterschritt erstmals wieder die 10 %-Schwelle, auch die Geschäftsbanken haben ihre Zinsen gesenkt. Die bisherigen Lohnabschlüsse blieben nach unserer Einschätzung konjunkturgerecht. Die Außenhandelsbilanz verspricht wieder Überschüsse.
Redlicherweise, meine Damen und Herren, muß man allerdings darauf hinweisen, daß die Überwindung einer akuten Konjunkturschwäche noch keinesfalls die grundlegenden Strukturprobleme unserer Wirtschaft löst und daß insbesondere die BeGattermann
schäftigungsprobleme uns mit Sicherheit noch eine ganze Reihe von Jahren begleiten werden.
Diese Entwicklungen unterstützen aber die Gemeinschaftsinitiative von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen. Die darin vorgesehene Investitionszulage wird kommen müssen, schon allein, um das Vertrauen, das die Investoren in ihre Gewährung gesetzt haben, nicht zu erschüttern.
Ich sage dies, meine Damen und Herren, an die Adresse der Opposition, aber ich sage es auch an den Bundesrat, und ich sage es an uns selbst gerichtet und an die Bundesregierung, wenn es denn im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens notwendig werden sollte, über den einen oder anderen Punkt noch nachzudenken.
Neben der Investitionszulage und ihrer problematisierten Finanzierung erscheinen uns aber wesentliche weitere Elemente des Beschäftigungsförderungsgesetzes und der Gemeinschaftsinitiative insgesamt in der öffentlichen Diskussion zu kurz gekommen zu sein. Ihr Gewicht muß in die Gesamtbewertung des Gesetzes eingebracht werden.
Meine Damen und Herren, die Einheitswerte von Haus-, Wohnungs- und Grundbesitz müssen in den nächsten Jahren angepaßt werden, sie müssen neu festgesetzt werden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz beginnt mit der Erfüllung dieser Aufgabe bei unbebauten baureifen Grundstücken. Damit werden zwei Ziele verfolgt. Zum einen sollen die Eigentümer solcher Grundstücke zum Nachdenken darüber gebracht werden, ob sie vorhandene Bauabsichten kurzfristig realisieren oder aber durch Verkauf das Baulandangebot vermehren. Beides sind Konsequenzen, die einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der besonderen Probleme der Bauwirtschaft leisten können.
Zum anderen aber - das sollte man fairerweise nicht leugnen - dient diese Maßnahme auch dazu, die finanzielle Situation der Gemeinden über höhere Grundsteuereinnahmen zu verbessern.
Meine Damen und Herren, ich hatte vor, an dieser Stelle noch etwas nähere Ausführungen über die Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildung von Jugendlichen und zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit zu machen. Ich wollte darauf hinweisen, daß die Gemeinschaftsinitiative noch diverse andere Investitionsförderungsmaßnahmen enthält. Aber ich sehe natürlich ein, daß Sie nach Hause wollen. Die Unruhe in diesem Saal wirkt - lassen Sie mich das einmal sagen - für einen Redner nicht gerade stimulierend.
Nichtsdestoweniger will ich noch zwei Punkte ansprechen, weil sie für die Fraktionen - und sei es auch nur zu Protokoll des Deutschen Bundestags - gesagt werden müssen. Es muß die anstehende Liberalisierung des Mietrechts als Element zum Abbau investitionshemmender Vorschriften im Wohnungsbau angesprochen werden. Soweit das Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 von den Koalitionsfraktionen fortentwickelt worden ist - durch Verbesserung des Staffelmietrechts, durch zeitnähere Gestaltung von Mietspiegeln und durch neues Zeitmietvertragsrecht -, handelt es sich um Elemente
der Gemeinschaftsinitiative. Wir werden sicherstellen, daß das neue Mietrecht zugleich mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft treten kann.
Die FDP-Fraktion verhehlt nicht, daß diese Maßnahme zu einer gewissen Anhebung des gesamten Mietenniveaus führen wird, nachdem korrespondierende Regelungen im Sozialwohnungsbestand bereits mit dem Haushaltsstrukturgesetz in Kraft getreten sind. Wir können und dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, daß auch Wohnungen ihren Preis haben. Wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, daß es sich der Staat angesichts der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft auf die Dauer nicht leisten kann, nahezu das Gesamtangebot an Wohnungen künstlich zu verbilligen. Hier ist der Staat aufgerufen, durch Konzentration seiner Mittel gezielt den sozial Schwachen zu helfen. Entscheidend ist, daß die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmendaten so gestaltet werden, daß private Investitionen wieder in ausreichendem Umfang möglich werden.
Meine Damen und Herren, ein besonders wichtiger Punkt in der Gesamtstrategie, die ich jetzt nur abgekürzt wiedergegeben habe, ist für uns die künftige Gestaltung der Verbesserung der Steuerstruktur. Mit der Entscheidung über das Beschäftigungsförderungsgesetz wird nicht nur über die Investitionszulage und ihre Finanzierung entschieden, sondern auch über den zweiten Schritt der Gemeinschaftsinitiative abgestimmt, nämlich über die zum 1. Januar 1984 vorgesehene Strukturverbesserung unseres Steuersystems. Die letzte Steuerschätzung hat noch einmal deutlich gemacht, daß das Aufkommen der direkten Steuern in den nächsten Jahren drastisch ansteigen wird, werden nicht die entsprechenden steuerpolitischen Entscheidungen getroffen. Bei unverändertem Steuerrecht würde der Anteil der Lohn- und Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen bis 1986, dem Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung, um 5 Prozentpunkte steigen. Wenn die den Leistungswillen unmittelbar beeinflussenden direkten Steuern in einem so schnellen Tempo anwachsen, ist der Gesetzgeber aufgerufen, dem entgegenzuwirken, soll Leistung nicht bestraft werden.
Die Lohn- und Einkommensteuersenkung 1984 wird zwei Komponenten haben. Zunächst werden wir den Steuerpflichtigen die aus der vorgezogenen Mehrwertsteuererhöhung eingehenden Mehreinnahmen schlicht zurückgeben.
({0})
Einen Augenblick, Herr Kollege Gattermann.
Meine Damen und Herren, der Geräuschpegel nimmt langsam solche Ausmaße an, daß ich Sie bitten möchte, entweder die Unterhaltungen einzustellen oder zumindest Platz zu nehmen und etwas leiser miteinander zu sprechen.
({0})
Herr Präsident, ich danke Ihnen, aber ich komme mit wenigen Sätzen zum Schluß.
Meine Damen und Herren, ich sagte, wir werden das Mehraufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung schlicht zurückgeben. Darüber hinaus werden wir die kalte Progression, die sich aus dem Zusammenwirken des progressiven Steuertarifs und bloß nomineller Einkommenszuwächse ergibt, ausgleichen. Das ist in der Koalition fest vereinbart und vorgestern im Kabinett noch einmal förmlich bestätigt worden.
Die 1984er Tarifreform muß nach Auffassung der FDP darauf angelegt sein, den Steuerzugriff auf die Einkommenszuwächse nachhaltig zu verringern. Wir Freien Demokraten halten dabei eine deutliche Abflachung der Progression für den entscheidenden Punkt.
Wir werden auch die bei den Koalitionsverhandlungen zur Regierungserklärung 1980 vereinbarte Verbesserung in der steuerlichen Behandlung der von den Selbständigen geleisteten Krankenversicherungsbeiträge realisieren.
Schließlich wollen wir auch darüber nachdenken, ob wir die in den letzten Jahren begonnene Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft fortsetzen können. Die Unterkapitalisierung unserer Betriebe hat diese krisenanfälliger gemacht. Die Konkursstatistik zeigt diesen schmerzlichen Tatbestand. Jedenfalls sind wir bereit, sofort Gespräche über die konkrete Ausgestaltung aufzunehmen.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist ein liberales Konzept, ein Konzept, das geeignet ist, einen Beitrag zur Lösung der Wirtschafts- und Beschäftigungsprobleme der nächsten Jahre zu leisten. Folgerichtig wird die FDP-Fraktion in der dritten Lesung dem Gesetz zustimmen. - Herzlichen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Aussprache in zweiter Lesung liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Von seiten der CDU/CSU-Fraktion ist der Wunsch geäußert worden, in zweiter Lesung nach Artikelgruppen abzustimmen. Ich möchte diesem Wunsche entsprechen.
Ich rufe daher zunächst Art. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den beiden Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? ({0})
Beide Artikel sind mit den Stimmen der Fraktionen der Regierungsparteien bei Stimmenthaltung der überwiegenden Teile der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 3 bis 7 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Artikel sind mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe Art. 8 in der Ausschußfassung auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Art. 8 ist einmütig angenommen.
Ich rufe Art. 9 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Meine Damen und Herren, damit ist das Gesetz in zweiter Lesung beschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich bitte diejenigen, die für das Gesetz stimmen möchten, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 28. April 1982, 13 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.