Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert zu seinem 60. Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses übermitteln.
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Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung auf:
3. a) Beratung des Jahresgutachtens 1981/82 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 9/1061 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Haushaltsausschuß
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1982 der Bundesregierung
- Drucksache 9/1322 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Haushaltsausschuß
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität ({3})
- Drucksache 9/1400 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Der Entwurf des Beschäftigungsförderungsgesetzes ist gestern verteilt worden. Für die heutige Beratung bedarf es deshalb einer Abweichung von unserer Geschäftsordnung, die mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden muß. Erheben sich gegen die Abweichung von der Geschäftsordnung Bedenken? - Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Abweichung von der Geschäftsordnung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 3 und 4 verbundene Debatte vereinbart worden. - Ich sehe, daß das Haus auch mit dieser Vereinbarung einverstanden ist.
Wird das Wort zur Einbringung oder zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall. Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht 1982, den die Bundesregierung gemäß § 2 des Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetzes vorlegt, hat ja hier im Bundestag eigentlich schon stattgefunden, und zwar am 19./20. Januar anläßlich der Debatte über den Bundeshaushalt 1982. Schon damals habe ich das Zahlenwerk im wesentlichen dargelegt, und deswegen will ich es hier nur kurz wiederholen.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß das reale Bruttosozialprodukt im Verlauf des Jahres 1982 leicht zunimmt und das Vorjahresniveau im Durchschnitt um 1 bis 1,5 % überschreitet. Zum Vergleich: Das entspricht nach jüngsten EG-Schätzungen dem Wachstum in den EG-Ländern insgesamt. Für die USA dagegen wird nach diesen Schätzungen ein Rückgang des Bruttosozialprodukts um knapp 0,5 % erwartet.
Der Beschäftigungsabbau wird in der Bundesrepublik im Jahresverlauf geringer. Allerdings wird sich die Arbeitslosenzahl voraussichtlich auf 6 % aller Erwerbspersonen belaufen. Die Vergleichszahlen für EG und USA lauten hier: rund 9 % bzw. 8,5 %. Ich füge hinzu, daß diese Vergleiche immer etwas vorsichtig aufgenommen werden müssen, weil die statistischen Meßwerte und Bemessungsarten unterschiedlich sind.
Der Verbraucherpreisanstieg kann auf rund 5 % im Jahresdurchschnitt und in die Nähe von 4 % im Verlauf zurückgeführt werden. Für die EG und die USA belaufen sich die entsprechenden Schätzungen auf gut 10 % bzw. rund 7 %.
Das Leistungsbilanzdefizit schließlich, das besonders schwer zu schätzen ist, wird auf etwa 0 bis minus 10 Milliarden DM abgebaut. Für die EG und die
Bundesminister Dr .Graf Lambsdorff
USA lauten die EG-Schätzungen: minus 10 Milliarden US-Dollar bzw. plus 2,8 Milliarden US-Dollar.
Die für die Jahresprojektion 1982 gewählten Ansätze sind vorsichtig und realistisch. Mit Ausnahme des Kieler Instituts, das vor allem hinsichtlich der Wachstumserwartungen zurückhaltender ist, liegt die Jahresprojektion der Bundesregierung mitten in der recht engen Spanne der jüngsten Vorausschauen aller professionellen nationalen und internationalen volkswirtschaftlichen Prognostiker.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat mit seinem Gutachten, das wir hier mitberaten, bei der Erstellung des Jahreswirtschaftsberichts wertvolle Hilfe geleistet. Die Diskussionen über das Gutachten haben gezeigt, daß zwischen Sachverständigenrat und Bundesregierung in der Analyse und in den wirtschaftspolitischen Ableitungen ein hohes Maß an Übereinstimmung besteht. Ich möchte dem Sachverständigenrat im Namen der Bundesregierung für seine gründliche Analyse der gesamtwirtschaftlichen Situation und die Erörterung der Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik danken.
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Ich will, meine Damen und Herren, gar nicht verhehlen, daß auch die von uns projektierte Entwicklung mit Risiken belastet ist. - Sie müssen mit den Zwischenrufen schneller kommen, Herr Kiep. Es ist noch früh am Morgen, aber Sie haben recht: Hier war eine gute Stelle. - Die Risiken, von denen ich sprach, liegen in der Zinsentwicklung; denn noch ist nicht ausgemacht, daß es gelingt, uns vom internationalen Zinstrend zu lösen. Sie liegen im Welthandel und in der Konjunktur in den anderen Industrieländern. Sie liegen bei den jetzt anstehenden Tarifverhandlungen, und sie liegen in weltpolitischen Entwicklungen, wie wir sie gerade mit Polen erleben.
Gleichwohl bin ich optimistisch, daß unsere Jahresprojektion 1982 weitgehend verwirklicht werden wird. Mein Optimismus wurde in jüngster Zeit gestärkt, weil eine ganze Reihe von positiven Signalen deutlicher wurde. Der Präsident der Deutschen Bundesbank und der Präsident des Ifo-Instituts haben gerade dieser Tage darauf hingewiesen. Ich will es nicht im einzelnen wiederholen; es ist bekannt.
Vor allem aber kommt es gar nicht so sehr darauf an, was im Jahre 1982 realistischerweise an quantitativen Ergebnissen erwartet werden kann. Denn unser Hauptproblem bleibt: Das Wachstum unserer Volkswirtschaft und die Investitionen sind zu gering, um die bestehende Arbeitslosigkeit abzubauen und die steigende Erwerbspersonenzahl zu beschäftigen.
Strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft und interne Ungleichgewichte belasten nach wie vor Wachstum und Arbeitsmarkt. Wir können deshalb nicht erwarten, daß wir die Probleme rasch lösen werden. Die Anpassungsprozesse brauchen ihre Zeit.
Entscheidend ist, daß wir die richtigen Weichenstellungen für die 80er Jahre finden. Angesichts der
Höhe der Arbeitslosigkeit und der Perspektiven für den Arbeitsmarkt können wir damit nicht zuwarten, sondern es muß jetzt gehandelt werden.
Die Bundesregierung hat alle gesellschaftlichen Gruppen zur Gemeinschaftsinitiative für mehr Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität aufgerufen. Sie erwartet, ja, sie muß im Interesse der Arbeitssuchenden, im Interesse der Volkswirtschaft erwarten, daß alle Gruppen die ihnen zugewiesene Verantwortung übernehmen.
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Dieser Aufruf zur Gemeinschaftsinitiative ist seit der Haushaltsdebatte von Mitte Januar das eigentlich Neue. - Herr Kollege Waigel, natürlich muß die Regierung ihre Verantwortung übernehmen. Aber vielleicht kann jeder auch einmal bei sich selber nachsuchen. Es ist immer leicht zu sagen: Der andere muß anfangen.
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Die Beschlüsse der Bundesregierung vom 3. Februar sind ein Teil dieser Gemeinschaftsinitiative. Vor allem mit ihnen möchte ich mich im folgenden befassen.
Kernstück der Maßnahmen ist die Investitionszulage. Wir erwarten von ihr eine Massierung von Investitionen und verbinden damit das Ziel, eine Initialzündung für einen neuen Wachstumsprozeß zu erreichen, nicht zuletzt dadurch, daß die strukturelle Anpassung beschleunigt wird.
Lassen Sie mich an dieser Stelle bitte ganz deutlich sagen - dies vor allem auch nach draußen -, daß die Investitionszulage rückwirkend ab 1. Januar 1982 gewährt wird. Für Investitionsattentismus besteht deshalb kein Anlaß. Niemand braucht mit seiner Investition zu warten, um die Zulage zu erhalten.
({3})
Wir haben mit der Investitionszulage in den Jahren 1974 und 1975 positive Erfahrungen gemacht. Sie sind uns durch eine Untersuchung des Ifo-Instituts bestätigt worden. Auch das Hamburger Weltwirtschaftsarchiv weist in seinem jüngsten Konjunkturbericht darauf hin. Ich sehe nicht, warum wir diesmal pessimistische Erwartungen haben sollten. Tatsächlich wurde die Investitionszulage für sich genommen j a vergleichsweise wenig kritisiert. Der Sparkassenpräsident Geiger hat zwar gesagt, allein wegen der Investitionszulage werde niemand investieren. Ich kann ihm gar nicht widersprechen. Das hat auch niemand behauptet, und es gibt auch keinen, der dies ernsthaft behaupten wollte.
Eine solche Maßnahme kann immer nur Anstoßwirkung haben. Die notwendige Gesamtverbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann sie nicht ersetzen. Das will sie auch nicht.
Deshalb sollten sich alle darüber klar sein, daß von der Investitionszulage nur dann die Initialzündung ausgehen kann, wenn es zunehmend gelingt, mittelfristig einen positiven Trend zu fundieren. Die
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Investitionszulage hat deshalb nur dann Sinn, wenn sie in eine mittelfristige Strategie der Verbesserung der Rahmenbedingungen eingebettet ist.
Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht ja nicht die Investitionszulage, sondern die Finanzierung dieser Investitionszulage. Hier ging es vor allem darum, den Weg des geringsten Schadens zu finden, und ich glaube, diesen Weg haben wir gefunden.
Sicher wären Einsparungen, vor allem im Leistungsbereich, noch besser gewesen. Aber diese lassen sich hier und heute offensichtlich von keinem und von niemandem durchsetzen.
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- Ich komme darauf gleich zurück, Herr Waigel! - Vor allem die Erhebung einer Ergänzungsabgabe hätte im Widerspruch zur notwendigen Investitionsförderung und zur Leistungssteigerung gestanden.
({5})
Sie hätte die dringend gebotene verstärkte Eigenkapitalbildung, die in den letzten Jahren besorgniserregend zurückgegangen ist, behindert.
Ähnliches gilt für die mittelstandsfeindliche Arbeitsmarktabgabe. Auch sie wäre nicht geeignet, die Leistungsbereitschaft zu erhöhen.
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Hier stellt sich im übrigen auch die Frage der Verfassungskonformität.
({7})
Und was verfassungswidrig ist - und dies war das Ergebnis der Untersuchungen durch beide damit befaßte Ressorts -, wird auch durch Resolutionen nicht verfassungskonform.
Auch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme kam nicht in Frage. Denn von einer weiteren Ausweitung der Staatsdefizite wären mit Sicherheit kontraproduktive Effekte auf die Geld-, Kapital- und Währungsmärkte ausgegangen. Ich halte diesen Punkt für außerordentlich wichtig. Denn nur in dem Maß, in dem es uns gelingt, die Konsolidierung voranzubringen, wird auch das Vertrauen des In- und Auslands in die Solidität der deutschen Staatsfinanzen wachsen.
({8})
Das hat positive Auswirkungen auf die Zinsen unmittelbar und, was noch wichtiger ist, auch mittelbar, weil von der Entwicklung der Staatsfinanzen nicht zuletzt die Wechselkurserwartungen beeinflußt werden und eine solide Politik eine noch größere Unabhängigkeit vom internationalen Zinsniveau erlaubt.
({9})
Auch deshalb darf die Konsolidierungs- und Umschichtungsrunde 1982 keine Eintagsfliege sein. Sie muß mittelfristig fortgesetzt werden.
({10})
Jede Unterbrechung dieser Linie würde Irritation und Vertrauensschwund bewirken und im Zweifel die Zinsen wieder hochtreiben.
({11})
Einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme kann deshalb nur dann zugestimmt werden, wenn sie auf konjunkturelle Faktoren zurückgeführt werden kann, also temporär ist. Für anderes darf sie nicht in Frage kommen. Dies ist zu beachten, wenn sich die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts für das Jahr 1982 ergibt, und es ist bei der Haushaltsaufstel-lung 1983 oder 1984 zu beachten.
({12})
- Aber, verehrte Kollegen, es hat noch nie ein Haushaltsjahr gegeben, in dem es keinen Nachtragshaushalt gegeben hat. Das ist doch etwas völlig Selbstverständliches.
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Schon bald werden wir uns deshalb mit neuen Konsolidierungsrunden befassen müssen.
Wir haben uns schließlich noch aus einem anderen Grund für die Mehrwertsteuererhöhung entschieden. Die Mehrwertsteuererhöhung soll nämlich zur mittelfristigen Verbesserung der Steuerstruktur eingesetzt werden, die die Bundesregierung für 1984 vorgesehen hat und deren Prinzipien sie im Jahreswirtschaftsbericht festgelegt hat. Die Bundesregierung hat dafür ein Inkrafttreten zum 1. Januar 1984 vorgesehen und beschlossen, und sie wird einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Steuerstruktur vorlegen.
Diese unfassende Korrektur wird vor allem zwei Elemente haben. Zum einen werden wir der heimlichen Steuererhöhung entgegenwirken, die sich aus dem Zusammenspiel von lediglich nominalen Einkommenserhöhungen und dem Progressionszugriff ergeben und immer wieder ergeben werden. Zum anderen werden wir die um ein halbes Jahr vorgezogene Mehrwertsteuererhöhung zurückgeben und dazu benutzen, das Steuersystem leistungs- und investitionsfreundlicher zu gestalten. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist doch eine Linie, der auch Sie zustimmen müßten.
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Das Ifo-Institut hat gerade jüngst ausgerechnet, daß die Arbeitnehmer schon jetzt von jeder zusätzlich verdienten Mark 40 Pfennig an den Staat oder die Parafisci abgegen müssen.
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Meine Damen und Herren, bei der Wirkung der nominalen Lohn- und Gehaltssteigerungen und des Progressionszugriffs, den wir alle wollen, geht das selbstverständlich so weiter und muß alle drei, vier Jahre korrigiert werden. Das ist überhaupt kein Grund zur Aufregung.
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Diese Zahlen zeigen deutlich, daß die Grenzen der Belastbarkeit, auch die Grenzen der Vertretbarkeit des Anteils des Lohnsteueraufkommens am Gesamtsteueraufkommen des Staates erreicht sind. Das führt zwangsläufig dazu, daß 1984 korrigierend eingegriffen werden muß, ebenso wie wir es im übrigen mit Ihrer Zustimmung 1981 getan haben. Das werden wir 1987 und 1988 wieder tun müssen.
Im Ergebnis, meine Damen und Herren - darauf kommt es mir an -, wurde die Mehrwertsteuererhöhung also lediglich um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 1983 vorgezogen, um die beschäftigungspolitischen Maßnahmen, vor allem die Investitionszulage, möglichst wenig kontraproduktiv zu finanzieren. Darum geht nun der ganze Streit. Ich finde das reichlich vordergründig.
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Ich verstehe offen gestanden deshalb auch nicht, warum die Wirtschaft an dieser um ein halbes Jahr vorgezogenen Mehrwertsteuererhöhung herummäkelt. Sie muß doch die Chance der mittelfristigen Verbesserung der Steuerstruktur sehen und nutzen, d. h. Regierung und Gesetzgeber entsprechend am Portepee fassen.
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Auch die Bundesregierung - das wissen Sie - hat lange überlegt, ob sie die Mehrwertsteuer erhöhen soll oder nicht. Nachdem es aber gelungen ist, das Investitionszulagen-und-Mehrwertsteuererhöhungs-Modell in eine mittelfristige Strategie zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einzubetten, waren wir dazu bereit, weil die positiven Elemente unter diesen Bedingungen eben doch überwiegen.
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- Verehrter Herr Glos, Sie können mir j a alles mögliche vorwerfen; aber den Beweis, daß ich hier erzähle, was ich selber nicht glaube, müssen Sie erst einmal antreten.
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- Es macht Ihnen gelegentlich wenig Vergnügen, daß ich Ihnen sage, was ich wirklich glaube. Anderen macht es gelegentlich ebenfalls wenig Vergnügen, da und dort, damit Sie es nur wissen.
Es kommt aber noch etwas anderes Gewichtiges hinzu. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Gewerkschaften sehr viel Kraft darein gelegt haben, beschäftigungspolitische Maßnahmen zu bekommen. Das Investitionszulagen-und-Mehrwertsteuererhöhungs-Modell hat bei aller Kritik im einzelnen grundsätzlich die Zustimmung der Gewerkschaften gefunden. Es hat dazu beigetragen, in dieser schwierigen Situation den sozialen Grundkonsens zu bewahren. Wie wichtig dies gerade ist, habe ich auch an dieser Stelle hier immer wieder dargelegt. Ich erwarte jetzt allerdings, daß die Gewerkschaften die Vorleistung der Bundesregierung honorieren und ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Das gilt auch für die Arbeitgeber.
({21})
Meine Damen und Herrn, die Opposition hat ein sogenanntes 7- Punkte-Alternativprogramm vorgelegt. Wer dieses Programm liest, findet in einer ganzen Reihe von Punkten Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.
({22})
- Haben Sie es selber nicht gelesen, oder haben Sie es nicht verglichen, oder warum erregt Sie das?
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Das ist nicht zu beanstanden.
Zu kritisieren ist jedoch erstens, daß die Opposition zwar die Ausgabenseite unseres Maßnahmenpaketes nicht ablehnt, sich aber bei der Frage der Finanzierung - also dort, wo es schwierig wird - versagt. Sie fordert Kürzungen bei Leistungsgesetzen und Subventionen. Das ist gewiß nicht falsch. Aber wie das geschehen soll, sagt sie nicht; und das ist falsch.
({24})
Sie lehnt vehement die Mehrwertsteuererhöhung ab und bietet als Alternative gänzlich unzureichende Kürzungen an - z. B. beim BAföG -, deren Ausgestaltung zudem innerhalb der Opposition noch umstritten ist. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, als geschehe dies alles aus wahltaktischen Gründen; denn auf mittlere Frist hält auch die CDU/ CSU eine Umschichtung des Steuersystems im Sinne der Maßnahmen vom 3. Februar für angebracht. Sie kann diese jetzt haben. Aber sie verweigert sie. Warum, meine Damen und Herren, schießen Sie sich auf ein halbjährliches Verschieben der Mehrwertsteuererhöhung ein, wenn Sie ab 1984 damit einverstanden sind?
({25})
Zweitens überzeugt der Vorschlag der Opposition auch deswegen nicht, weil er zwar laut Pressemeldung in der CDU/CSU-Fraktion einstimmig beschlossen worden ist, ihm aber schon 24 Stunden später die Sozialausschüsse und das Fraktionsmitglied Müller ({26}) in wichtigen Teilen öffentlich widersprochen haben.
({27}) Was stimmt nun?
Ich kann und will hier nicht, meine Damen und Herren, auf das gesamte Maßnahmenpaket vom 3. Februar eingehen. Es ist bekannt. Besonders erwähnen möchte ich jedoch noch zweierlei, die Maßnahmen im Bereich der Rentenversicherung und die Maßnahmen im Mietrecht.
Die Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung, die ursprünglich für 1985 vorgesehen war, haben wir, wie bekannt, auf den 1. Januar 1984 vorgezogen. Manche haben sich gefragt, was dies in der Gemeinschaftsinitiative zu suchen habe. Die
Antwort ist klar. Die Maßnahme ist unmittelbar Ausdruck unserer Wirtschaftsphilosophie. Sie ist ein Zeichen dafür, daß wir den konsumtiven Bereich im Staatssektor zurückdrängen und Spielraum für beschäftigungswirksame investive Maßnahmen gewinnen und daß wir mit der Operation '82 nicht am Ende der Konsolidierungsanstrengungen sind, sondern diese in weiteren Runden fortsetzen müssen.
Was die Auflockerungen im Mietrecht angeht so sind die Maßnahmen eine Fortsetzung der bereits in der Haushaltsoperation '82 eingeschlagenen Linie der Verbesserung der mittelfristigen Rahmenbedingungen.
Bevor ich aber dazu Weiteres sage, möchte ich zunächst einmal festhalten, daß allem Geschrei zum Trotz der Mieterschutz unangetastet ist. Und das bleibt auch so.
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Sicher, meine Damen und Herren, werden die Mieten als Ergebnis dieser Operation anziehen. Abgesehen davon, daß das, was nach dem Ergebnis im Vermittlungsausschuß im sozialen Wohnungsbau billig ist, im freifinanzierten Wohnungsbau auch recht sein muß, ist das auch gewollt, damit im Wohnungsbau wieder Rentabilität erzielt werden kann und die Leute Anreiz zum Bauen haben.
({29})
Trotz der vehementen Kritik mancher Zeitgenossen werden die Auflockerungen im Mietrecht den Wohnungsbau beleben. Das hat uns jüngst auch gerade - Herr Roth, ich erlaube mir, das trotz kritischer Bemerkungen zu zitieren - die Versicherungswirtschaft bestätigt, die im Wohnungsbau eine nicht unmaßgebliche Rolle spielt. Ihr Präsident erwartet zwar keinen Bau-Boom - den will auch keiner; den haben wir 1973/74 gehabt, mit schlechten Folgen -, aber doch dort, wo die Voraussetzungen gegeben sind, eine spürbare Belebung. Allerdings dürfen wir keine Zweifel daran lassen, daß wir die Verbesserungen im Mietrecht dauerhaft beschlossen haben.
({30})
Wenn man das nämlich in Frage stellt, sorgt man von vornherein dafür, daß die erhofften Wirkungen einer Belebung im Wohnungsbau ausbleiben.
({31})
Meine Damen und Herren, zur Stützung des Wohnungsbaus fordert die Bundesregierung insbesondere auch die Länder auf, die ihnen durch das Haushaltsstrukturgesetz zufließenden Mittel z. B. aus Darlehensrückflüssen oder Fehlbelegungsabgabe sofort und vollständig - ich unterstreiche: sofort und vollständig - für den Bau von zusätzlichen Sozialwohnungen zu verwenden und nicht allgemeine Haushaltslöcher damit zu stopfen.
({32})
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft unterstützt in einem gerade kürzlich erstellten Gutachen - an dem er übrigens fast ein Jahr lang gearbeitet hat, das also nicht extra, wie manche meinten, bestellt worden war, um die von
der Bundesregierung eingeschlagene Linie zu unterstützen - diese Linie, im Wohnungsmarkt schrittweise mehr marktwirtschaftliche Grundsätze zu verwirklichen. Ich danke dem Beirat auch an dieser Stelle ausdrücklich für dieses in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit erstellte Gutachten.
Meine Damen und Herren, Vorrang noch vor allen finanzpolitischen Maßnahmen hat eine Zinssenkung. Das nämlich wäre das beste beschäftigungspolitische Programm. Nicht zuletzt die hohe Verzinsung von Geldkapital im Verhältnis zum Realkapital hat dazu geführt, daß sich immer weniger Anleger in arbeitsschaffenden Sachanlagen engagieren, dafür aber ihr Geld in festverzinslichen Wertpapieren anlegen. Wir müssen deshalb diese Relationen wieder umkehren. Das wird allerdings vor allem angesichts der weltweit hohen Inflationsraten und der dringenden Notwendigkeit ihrer Bekämpfung sicher nicht von heute auf morgen gehen.
Bei manchem Beobachter des Zinsgeschehens - so hat man manchmal den Eindruck - scheint die Vorstellung zu bestehen, daß es in der Bundesbank einen Hebel gibt, mit dem man die Zinshöhe beliebig steuern könnte. Die Zinsentwicklung hier in der Bundesrepublik ist aber wie anderswo von vielem abhängig, von der Kreditnachfrage des Staates, der Unternehmen oder der Haushalte und vom Geldangebot. Sie ist abhängig von den Inflationserwartungen, von der internationalen Zinshöhe oder von den Wechselkurserwartungen.
Derzeit besondere Bedeutung haben für unser Zinsniveau die Zinsen im Ausland. Hier ist wiederum vor allem wichtig, was in den USA geschieht. Drei Einflußkomponenten bestimmen den künftigen Zinstrend dort maßgeblich. Was tatsächlich geschieht, hängt davon ab, welche der Faktoren die Oberhand behalten: erstens der nachlassende Preisauftrieb in den USA, der Zinssenkungen an sich begünstigt und der für sich genommen 1982 ein niedrigeres Zinsniveau rechtfertigt, zweitens die Einschätzung der öffentlichen Finanzpolitik - hier stoßen vor allem die Höhe und die Art der Finanzierung des Budgetdefizits, nämlich durch erhoffte, noch keineswegs gesicherte zukünftige zusätzliche Steuereinnahmen, auf Kritik und Skepsis -, drittens das Vertrauen in die politische Standfestigkeit der monetären Stabilisierungspolitik in einem Wahljahr.
Ich möchte nicht verhehlen, daß ich für die Kritik an der Art der Geldmengensteuerung in den USA sehr viel Verständnis habe. Ich habe dies in den letzten Tagen meinen Gesprächspartnern in den USA deutlich gemacht. Ich stimme deshalb auch dem amerikanischen Finanzminister Regan zu, daß für die durch die Geldpolitik sicher mit verursachte starke Zinsfluktuation in den USA eine Risikoprämie in der Zinshöhe enthalten sein könnte. Wünschenswert wäre, daß man dies auch bei der Federal Reserve erkennt. Dann wäre sicher eine gewisse nominale Zinssenkung möglich.
Auch Optimisten sollten sich insgesamt aber keinen Illusionen hingeben, daß das Zinsniveau in den USA rasch, wesentlich und dauerhaft zurückgehen könnte. Es scheint mir in der Wirtschaftsphilosophie dort ein Grundkonflikt zwischen der monetären Po5262
litik und der Finanzpolitik angelegt zu sein. Es wäre vor allem erforderlich, daß die Last der Stabilisierung nicht allein auf die Schultern der Federal Reserve gelegt würde, sondern auch die Finanzpolitik wie bei uns maßgeblich dazu beiträgt, indem sie kontinuierlich, glaubhaft und mit Nachdruck darauf hinwirkt, daß die Defizite zurückgeführt werden. Statt dessen scheint mir die Finanzpolitik mit ihrer expansiven Stoßrichtung das Vertrauen auf einen Abbau der Inflationserwartungen eher zu konterkarieren.
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- Ich bin sehr gerne bereit, über unsere Probleme zu sprechen. Ich habe darüber gesprochen. Aber einen Horizont wie einen Hühnerhof lasse ich mir auch durch Zwischenrufe nicht aufdrängen.
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Meine Damen und Herren, wenn wir nun in den USA keine rasche und große Zinssenkung erwarten können, dann müssen wir uns selbst helfen, und das geht eben nicht par ordre de Mufti. Jede künstliche Zinssenkung bei uns würde die Kapitalanleger sofort veranlassen, ihre Gelder ins Ausland zu verlagern. So geht es also nicht. Es geht nur dadurch, daß wir die Wechselkurserwartungen zugunsten der Deutschen Mark verbessern. Entscheidend dafür sind aber eine solide Finanzpolitik, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik und die Bereitschaft der Wirtschaft, sich der Anpassungsaufgabe zu stellen. Dann wird sich der Abbau des Leistungsbilanzdefizits durch Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit mit allen positiven Konsequenzen für Konjunktur und Beschäftigung fortsetzen. Es kommt also in erster Linie auf die Eigenanstrengung an.
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Ich erwarte allerdings, daß die Bundesbank den sich ergebenden Spielraum für Zinssenkungen auch tatsächlich nutzt.
Auf dem deutsch-französischen Gipfel waren wir uns einig, daß die geldpolitische Zusammenarbeit in Europa verstärkt werden muß. Zwei Ansätze ergeben sich nach dem Gesagten. Erstens: Wir müssen in den Vereinigten Staaten unsere Position verdeutlichen und Einsicht wecken. Zweitens: Wir müssen alle Anstregungen unternehmen, um unsere eigenen Häuser in Ordnung zu bringen, vor allem in der Finanzpolitik, in der Geldpolitik und in der Politik der positiven strukturellen Anpassung.
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Das Kommunique nach dem deutsch-französischen Gipfel ist - übrigens auch in den USA - teilweise dahin gehend mißverstanden worden, als wollten wir zur Bekämpfung der hohen Zinsen Kapitalverkehrskontrollen einführen. Davon kann keine Rede
sein. Das war auch bei den Gesprächen in Paris schon ganz klar.
Neben dem Vorrang der Zinssenkung haben die Sozialpartner eine zentrale Verantwortung für die Entwicklung der Beschäftigung in den 80er Jahren. Ohne daß sie in der Gemeinschaftsinitiative mitziehen, werden wir bei der Lösung unserer Beschäftigungsprobleme nicht vorankommen.
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Ohne ihren Beitrag würde die Investitionszulage verpuffen und die erwartete notwendige Zinssenkung konterkariert. Auch hier geht es nicht nur um die aktuellen Tarifverhandlungen, zu denen ich mich aus Respekt vor der Tarifautonomie gar nicht konkret äußern möchte. Unser Grundproblem ist, daß es für die vorhandenen und künftigen Arbeitskräfte auf absehbare Zeit nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Allein bis zum Jahre 1986 wird das Erwerbspersonenpotential bei unveränderter Erwerbsquote um rund 1 Million Personen zunehmen. Die Tarifpolitik der Sozialpartner muß deshalb über mehrere Jahre darauf gerichtet sein, nicht denen, die Arbeit haben, einen möglichst großen Einkommenzuwachs zu verschaffen, sondern jenen, die arbeitslos sind oder werden, einen Arbeitsplatz zu verschaffen.
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Sie muß auch die volkswirtschaftliche Grundweisheit beachten, daß wir einerseits Mangel an risikobereitem Sachkapital und andererseits eine wachsende Zahl von Arbeitsuchenden haben. Um dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen, müssen, wie die Ökonomen sagen, die sogenannten FaktorPreis-Relationen entzerrt werden. Im verständlicheren Klartext heißt dies aber nun einmal: Die Kosten der Arbeitskraft, die das Unternehmen zu bezahlen hat, müssen im Verhältnis zu den langfristigen Kosten für das im Unternehmen eingesetzte Realkapital relativ billiger werden. Im Zuge dessen müssen sich die Ertragsverhältnisse in den Unternehmen verbessern, damit sie Risikokapital bilden können. Dann werden die Unternehmen auch verstärkt arbeitsplatzschaffende Investitionen vornehmen und auf Arbeitskräfte freisetzende Investitionen verzichten können.
Wichtig ist aber auch eine Lohnpolitik, die auf die strukturellen Unterschiede in der Wirtschaft Rücksicht nimmt. Der Präsident des DIW-Instituts in Berlin, Professor Krupp, hat gerade jüngst auf die erhebliche Bedeutung dieses Aspektes aufmerksam gemacht. Man kann eben dort, wo es schlecht geht, nicht genausogut wie dort verdienen, wo das Geschäft noch floriert, ohne daß man den Arbeitsplatz gefährdet. In den USA zeigen die Gewerkschaften, daß man diese Zusammenhänge erkennt, und ich denke, das müßte auch bei uns möglich sein.
Meine Damen und Herren, alle Bemühungen, der Beschäftigungsprobleme Herr zu werden, nutzen nichts, wenn nicht die Unternehmen ihren Part übernehmen. Sie müssen die Anpassung an die neuen Strukturen im Wettbewerb bewältigen, sie müssen die neuen Arbeitsplätze schaffen. Dies ist
ihre Rolle in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die wir befürworten.
Ich möchte noch einen besonderen Appell an die Unternehmen richten: Bis in die Mitte des Jahrzehnts werden besonders viele Jugendliche auf den Arbeitsmarkt drängen. Für sie müssen Ausbildungsplätze bereitgestellt werden,
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damit diese Jugendlichen nicht gleich zu Beginn ihres Erwerbslebens mit Arbeitslosigkeit konfrontiert werden. Andernfalls werden wir nur allzu leicht nicht nur demonstrierende Studenten, sondern auch demonstrierende jugendliche Arbeitslose haben. Hier liegt deshalb ein erhebliches gesellschaftliches Konfliktpotential, das gar nicht erst entstehen darf.
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Im übrigen liegt es auch im unmittelbaren Interesse der Unternehmen selbst, ausreichend Ausbildungsplätze bereitzustellen; denn damit bilden sie die Facharbeiter aus, die sie in den späteren 80er Jahren dringend brauchen. Das Unternehmen, das sich zurückzieht und auf den Staat wartet, macht in jedem Falle Fehler. Der Staat mag bei temporären Anpassungsfriktionen helfen können, auf die Dauer müssen sich die Unternehmen aber selbst helfen. Das ist das Gesetz des Marktes, und das gilt um so mehr, wenn die Kassen der öffentlichen Hand leer sind.
Wir brauchen deshalb flexible und aktive Unternehmer, nicht den risikoscheuen Verwalter, der mehr Zeit dafür aufwendet, neue Subventionstöpfe als neue Märkte zu erschließen.
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Überall muß darüber nachgedacht werden, wie die Kosten gesenkt, die Produktion verbilligt oder das Produkt verbessert werden kann. Die Unternehmen müssen sich dem Wettbewerb stellen, sie müssen sich insbesondere in der Konkurrenz mit dem Ausland bewähren.
Die Bundesregierung wird in ihren wettbewerbs-
und außenwirtschaftspolitischen Anstrengungen nicht nachlassen, ihnen ein Höchstmaß an freier Entfaltung am Markt zu verschaffen. Aber wir sind nicht allein auf der Welt, und auf den Weltmärkten braut sich ein sehr unerfreuliches und gefährliches Gemisch aus Protektionismus und Exportbegünstigung, aus Einfuhrrestriktionen und politisch motivierten Gefahren für die weltweite Arbeitsteilung zusammen. Das große Handelsdreieck USA, Japan, Europäische Gemeinschaft garantiert inzwischen nicht mehr so fest und unverbrüchlich den Freihandel in der Welt, wie es in der internationalen Konferenzrhetorik immer noch bekräftigt wird.
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Es ist ein sehr beunruhigendes Zeichen, daß in den entwickelten Industrieländern protektionistische Stimmen an Gewicht gewonnen haben, und dies gerade zu einer Zeit, in der Entwicklungs- und Schwellenländer in zunehmendem Maße die Vorteile und
den Nutzen eines freien Welthandels zu erkennen beginnen.
Die weltweite Rezession hat im Welthandel ordnungspolitischen Schaden verursacht. Solche Tendenzen werden durch japanische Exportoffensiven bei einer immer noch nicht ausreichenden Öffnung des japanischen Marktes für ausländische Produkte zweifellos verstärkt. Nur so ist die in den Vereinigten Staaten entstandene Diskussion über Reziprozität oder Bilateralismus im Warenverkehr entstanden, die - auf einen einfachen Nenner gebracht - nichts anderes besagt als daß man in der Öffnung des eigenen Marktes nicht weitergehen will als der jeweilige Partner. Manches in diesen Gedankengängen ist noch durchaus unklar. Aber alles das ist gefährlich.
Ich habe in meinen Gesprächen in den Vereinigten Staaten keinen Zweifel daran gelassen, daß wir solche Gedankengänge als simplen Protektionismus bezeichnen und die Amerikaner nur dringend bitten können, sich nicht darauf einzulassen - was im übrigen auch die Absicht der amerikanischen Regierung ist.
Auch die Antidumpingklagen amerikanischer Stahlhersteller gegen europäische Stahlexporteure - in meinen Augen nicht gerade überzeugend begründet - sind ein Produkt zunehmender Tendenzen zum Schutz sogenannter angestammter Märkte. Die Bundesregierung wird sich in diese Verfahren nicht einmischen, allerdings darauf drängen, daß die Klagen in einem fairen Verfahren behandelt werden, wie es die GATT-Bestimmungen vorsehen. Das ist auch die Auffassung der amerikanischen Regierung.
Dennoch, auch solche Erscheinungen stören das Gesamtbild eines freien Welthandels. Das gilt freilich für die Stahlpolitik insgesamt, auch in Europa, auch in der Bundesrepublik. Niemand möge glauben, daß wir mit Begeisterung hinter den kartellartigen Prozeduren stehen, die in der Europäischen Gemeinschaft und bei uns selber praktiziert werden, um der Stahlindustrie die Anpassung an veränderte Strukturen zu ermöglichen. Auch hier kann es sich nur um Übergangsregelungen handeln, die leider unvermeidbar sind.
Ich bestreite im übrigen überhaupt nicht, daß auch das Welttextilabkommen, dem wir unsere Zustimmung gegeben haben, unter dem Gesichtspunkt eines freien Handels, gelinde gesagt, diskussionswürdig ist. Aber es ist eben trotz aller Bedenken im Interesse der internationalen Arbeitsteilung immer noch weitaus vertretbarer als ungehemmter nationaler Textilprotektionismus, der vor allem den Entwicklungsländern unüberwindbare Schwierigkeiten bei ihrer Eingliederung in die internationale Arbeitsteilung bereiten würde.
Die internationale Arbeitsteilung muß unter allen Umständen aufrechterhalten und ausgebaut werden. Nicht nur die Bundesrepublik Deutschland lebt davon. Das muß auch die amerikanische Regierung berücksichtigen, wenn sie über das westeuropäisch-sowjetische Erdgas-Röhren-Geschäft in Sorge ist. Ich habe in der vorigen Woche in New York und Wa5264
shington immer wieder darauf aufmerksam machen müssen, daß zusätzliche Energieeinfuhren Westeuropas aus der Sowjetunion uns politisch nicht erpressbar machen, daß die internationale Arbeitsteilung aber einen schweren Rückschlag erleiden würde, wenn Amerika bereits zugesagte Unterlieferungen für dieses Projekt verhinderte.
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Denn hier handelt es sich um einen klassischen Fall von internationaler Arbeitsteilung. Ein Produkt - Rotoren für Pumpstationen - hat auf der ganzen Welt nur einen kleinen Markt, der von den möglichen Konkurrenten ganz bewußt einem einzigen - in diesem Fall amerikanischen - Unternehmen überlassen worden ist. Wenn diese Gesellschaft jetzt an der Auslieferung gehindert wird und sogar entsprechende Lizenzfertigungen in anderen Ländern unterbunden werden, dann kann sich eben niemand mehr auf bisher bewährte Arbeitsteilungen verlassen.
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Dann würden deutsche oder französische oder andere Firmen gezwungen, mit höheren Kosten und höherem Zeitaufwand ähnliche Produkte zu entwikkeln, was selbstverständlich möglich ist. Aber der Vertrauensverlust in die Verläßlichkeit bewährter Zulieferanten wäre nur schwer wieder gutzumachen.
Gefahren für den freien Welthandel entstehen unvermeidbar auch durch die notwendigen handels-
und wirtschaftspolitischen Konsequenzen, die der Westen aus den Ereignissen in Polen ziehen muß. Ich will zu diesem Thema nur wenige Sätze sagen. Wir sind uns in der Allianz einig, daß auf die Unterdrückung der verschiedenen polnischen Freiheiten nicht mit „business as usual" geantwortet werden darf. Niemand will das tun. Entgegen vielen spekulativen Meinungen in der Öffentlichkeit habe ich bei meinen Gesprächen in Washington auch eine sehr weitgehende Übereinstimmung in dieser Frage zwischen uns und der Regierung der Vereinigten Staaten vorgefunden. Wir müssen der Sowjetunion signalisieren, daß wir uns nicht mit dem Zustand abzufinden beabsichtigen, den sie in Polen verursacht hat.
Hier einige Worte zu heutigen Pressemeldungen - ich hatte zufällig die „Süddeutsche Zeitung" zur Hand -, da ich darin etwas Irreführendes über die gestrigen Beschlüsse des. Kabinetts finde. Erstens. Es geht nicht um einen Vorschlag des Ministerrates, der zur Diskussion steht, wie Importbeschränkungen gegenüber der Sowjetunion aussehen sollen, sondern um einen Vorschlag der Europäischen Kommission.
Zweitens. An der Haltung der Bundesregierung ist gar nichts gescheitert. Sie bemüht sich vielmehr, wie von Bundesaußenminister Genscher am 23. Februar im Ministerrat erklärt, um eine einheitliche Haltung der Mitgliedsregierungen mit der Ausnahme Griechenlands, das sich nicht anschließen kann und will.
Drittens. Alle Mitgliedstaaten haben aie Kommissionsvorschläge geprüft und bei Zustimmung zur grundsätzlichen Linie einige Änderungswünsche vorgetragen. Darüber wird im Ausschuß der ständigen Vertreter verhandelt.
Viertens. Die Bundesregierung hält politische Signale auf dem Gebiete der Handelsbeziehungen wie unsere Partner in dieser Situation für leider unerläßlich.
Fünftens. Wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten, und wir erwarten, daß sich die Vereinigten Staaten und Japan den Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft anschließen.
Verbale Deklarationen allein, meine Damen und Herren, reichen jetzt nicht aus. Aber ich habe in Washington auch viel Verständnis und Zustimmung für unsere Auffassung gefunden, daß derartige Maßnahmen gegenüber der Sowjetunion und nicht gegenüber einem verarmten, wirtschaftlich darniederliegenden Polen 'zu treffen sind. Den Polen wollen wir weiter helfen, wenigstens die schlimmste materielle Not zu lindern. Es liegt an der Sowjetunion und an den polnischen Militärbefehlshabern, den Westen auch zu großzügigerer Unterstützung, zur Aufhebung unvermeidbarer Handelsbeschränkungen zu veranlassen. Die Aufhebung des Kriegsrechts, die Wiederaufnahme des Dialogs mit den nach wie vor entscheidenden gesellschaftlichen Gruppen in Polen, die Freilassung der Internierten würden solche Voraussetzungen schaffen. Wir warten darauf, wir drängen darauf.
Meine Damen und Herren, keine wirtschaftspolitische Stellungnahme kann heute ohne diesen wenigstens kursorischen Ausblick auf sicherheits- und außenpolitische Gefilde auskommen. Die Freiheit des Handels - nicht nur für uns eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum - droht auch durch außerökonomische Ereignisse beschädigt zu werden. Um so wichtiger ist es, daß wir dort, wo solche Überlegungen keine Rolle spielen, alles tun, um die Rahmenbedingungen für den freizügigen Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital zu verbessern. In diesem Jahr stehen OECD-und GATT-Ministerratstagungen bevor, die dafür neue Impulse geben müssen. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Sie wird auch auf dem bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in Versailles alle Anstrengungen unternehmen, um mehr wirtschaftliche Freizügigkeit zu sichern. Wir tun das nicht um irgendeiner Ideologie willen, sondern weil wir so den nach unserer Auffassung wirksamsten Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität unserer Länder und zur Bewahrung und Sicherung des Friedens in der Welt leisten können. - Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
({45})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der matte Beifall bei der SPD hat schon gezeigt,
({0})
daß dies eine Rede war, die weitgehend den SPD-Teil in der Koalition getroffen hat.
({1})
- Ich wußte noch gar nicht, Herr Kollege Roth, daß Sie ein Hellseher sind, da Sie wissen, was matt wird.
({2})
- Platt, Herr Wehner, auch das wissen Sie noch nicht. Es könnte sein, daß in dieser Koalition noch einiges platt wird.
({3})
Herr Bundesminister Graf Lambsdorff, Sie haben wörtlich gesagt:
({4}) erwartet, ja, sie muß im Interesse der Arbeitsuchenden, im Interesse der Volkswirtschaft erwarten, daß alle Gruppen die ihnen zugewiesene Verantwortung übernehmen.
Nur: Herr Bundesminister, die Bürger und Gruppen erwarten insbesondere, daß die Regierung und die Koalition endlich die ihnen zugewiesene Verantwortung in diesem Lande übernehmen.
({5})
Hier haben wir auf allen Gebieten, insbesondere in der Wirtschaftspolitik, in den letzten Wochen und Monaten keine politische Führung, sondern eine totale Unklarheit in der Zielsetzung und nicht durchsetzbare Programme, die zudem in Ihren eigenen Reihen täglich zerredet werden, obwohl der Kanzler und der Vizekanzler sagten, man dürfe dies nicht zerreden - und doch findet es täglich statt.
({6})
Fast täglich gibt es gegensätzliche Stellungnahmen; das geht hin bis zu Kabinettsmitgliedern. Was soll dann eigentlich Ihre Beschwörung der gesellschaftlichen Gruppen, sie sollten sich endlich ihrer Verantwortung bewußt sein?
({7})
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zu Recht darauf hingeweisen, daß man auch durch Leitanträge nicht das machen könne, was verfassungsrechtlich problematisch bzw. verboten sei. Das war heute doch wieder eine Kampfansage an Ihre eigene Koalition. Wie wollen Sie dann von den Gruppen mehr Verantwortung erwarten?
({8})
Wenn es stimmt, daß Konjunkturpsychologie viel zur Entwicklung der Konjunktur beiträgt, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann haben Sie im letzten Jahr eine miserable Konjunkturpsychologie betrieben; denn kaum jemand hat mehr Durcheinander, mehr Chaos in seinen Gedanken, Zielsetzungen und Plänen produziert - und damit zur Verunsicherung
der Investoren in unserer Wirtschaft beigetragen - als Sie, als die Regierung und ihr ganzes Umfeld.
({9})
Sie haben gesagt, nun sei der Weg des geringsten Schadens gefunden worden bzw. es gelte, den Weg des geringsten Schadens zu finden.
({10})
Zu dem, was die Konjunkturpsychologie ausmacht, kann man nur sagen: Sie hätten für Ihre Politik der letzten Wochen weiß Gott den Nobelpreis für Schadensmaximierung verdient.
({11})
Der Jahreswirtschaftsbericht gibt Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme der Wirtschaftspolitik. Das Jahr 1981, das hinter uns liegt, stand im Zeichen einer Neubesinnung der Finanzpolitik, der Haushaltspolitik und hat erwiesen, daß die Handlungsfähigkeit des Bundes wegen der ausufernden Staatsverschuldung im letzten Jahrzehnt am Nullpunkt angelangt ist. Die Bemühungen um eine Sanierung der Staatsfinanzen schlugen 1981 fehl. Eine nennenswerte Zurückführung der Nettokreditaufnahme konnte genausowenig erreicht werden wie eine entscheidend notwendige Umschichtung von den konsumtiven zu den investiven Ansätzen. Im Gegenteil: Die Investitionen des Bundes - ich verweise auf die Gemeinschaftsaufgabe, den Ausbau der Wasserstraßen und den Straßenbau - wurden erheblich gekürzt. Was soll eigentlich ein Konjunkturprogramm, was sollen eigentlich mehr öffentliche Investitionen, die mit diesem Programm jetzt wieder gefordert werden, wenn Sie wenige Wochen zuvor entscheidende Kürzungen im eigenen Bereich vollziehen,
({12})
obwohl die Wirksamkeit insbesondere im Baubereich um ein Vielfaches größer gewesen wäre, weil damit entsprechende Mitleistungsverpflichtungen der Länder, der Kommunen verbunden gewesen wären? Es wären keine neuen Programme, keine neuen Vereinbarungen erforderlich gewesen, sondern mit dem Instrument des Haushalts, der Haushaltsansätze hätte man kontinuierlich weiterarbeiten können. Durch diese Politik haben Sie einen miserablen Beitrag zur Verstetigung der öffentlichen Investitionen geleistet.
({13})
Die Auswirkungen dieses Durcheinanders können Sie in der Statistik der Arbeitslosen im Bausektor ablesen. Das war Ihr beschäftigungspolitischer Beitrag für das Jahr 1981.
Dann begann im Sommer 1981 das Sanierungsspektakel, die sogenannte Operation '82. Auch damals standen die Ergebnisse im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Dauer und zur Heftigkeit des öffentlichen Theaters. Die Neuverschuldung wurde für 1982 auf knapp 27 Milliarden DM festgelegt. Berücksichtigt man jedoch die Heranziehung
) der Bundesbankgewinne, so ergibt sich ein tatsächliches Loch von nahezu 40 Milliarden DM. Zusammen mit dem schwindenden Vertrauen der internationalen Finanzmärkte bescherte uns diese Staatsverschuldung das gegenwärtige Zinsniveau.
Auch bei der Umschichtung der Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts kam es weiß Gott nicht zum großen Wurf. Die Aussagen im Jahreswirtschaftsbericht 1982 über diese Umschichtung sind jedoch höchst unseriös, ja in Teilen intellektuell unredlich. Da ist von zusätzlichen wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 27,5 Milliarden DM in den Jahren 1982 bis 1985 die Rede. Verschwiegen werden dabei - und das ist die intellektuelle Unredlichkeit - die der Wirtschaft gleichzeitig aufgebürdeten Belastungen, angefangen von den Eingriffen bei den Pensionsrückstellungen bis hin zur Einstellung des Erstinnovationsprogramms. Wenn Sie saldieren, was Sie getan haben, werden Sie feststellen, daß Sie eben keinen wirksamen Beitrag zur Belebung der Konjunktur erbracht haben.
({14})
Nun zum Kern des Jahreswirtschaftsberichts, zu der von Ihnen so genannten Gemeinschaftsinitiative. Allein die Entstehung des Jahreswirtschaftsberichts 1982, das Hin und Her, das Hickhack, haben erneut deutlich gemacht, daß unser größtes Investitionshemmnis die amtierende Bundesregierung und die sie tragende Koalition sind.
({15})
Noch bei der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht 1981 haben Sie, Graf Lambsdorff, den Wunsch geäußert: „Halten wir uns bitte nicht zu lange mit der Bewältigung der Vergangenheit auf; denn Nachkarten gilt nicht." Ihren Wunsch, Herr Bundeswirtschaftsminister, verstehe ich; nur, diesen Gefallen können und wollen wir Ihnen nicht erweisen, denn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, tragen Verantwortung für das Chaos in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, für das Durcheinander des letzten Jahres. Sie sind mitverantwortlich dafür, daß die Bürger der Regierung nichts mehr glauben und die Unternehmen nicht investieren.
Ich komme zu Ihrem Fraktionskollegen Möllemann. Ich weiß nicht, ob Sie bei den kommenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen auf seiner Seite sind oder nicht. Das sage ich nur deshalb, weil Sie sich so um die Einigkeit bei uns kümmern, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wenn Sie sich um den Kongreß in Köln, um die Linksliberalen um Frau Schuchardt und um vieles andere in Ihren Reihen kümmerten, brauchten Sie weiß Gott viel Zeit. Um die Einigkeit bei uns brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.
({16})
Der Kollege Möllemann, von dem Bösmeinende behaupten, er sei der Bauchredner des Bundesaußenministers,
({17})
hat zu Recht darauf hingewiesen, für eine solche Koalition gebe in der Bevölkerung niemand mehr einen Pfifferling. Wie immer man zu Möllemann stehen mag: In dem Punkt hat er mit Sicherheit recht.
({18})
Aber er steht j a nicht allein. Auch die Linke hat ihren Teil dazu beigetragen. Der geschätzte Kollege Wernitz hat neulich - ich glaube, in der „Bild-Zeitung" - erklärt, die Koalition gebe ein erbärmliches Bild ab. Wen wundert das nach dem Sommertheater, dem Wintertheater, dem Frühlingserwachen und dem Sommertheater 1982, das mit der Operation '83 vor uns steht, die ja noch viel schlimmer wird als das, was im letzten Sommer passiert ist?
({19})
In allen diesen Dingen manifestiert sich doch eines, nämlich der zementierte Dissens zwischen SPD und FDP, der auf Dauer unüberbrückbar ist. Was immer Sie beschließen und ankündigen, meine Damen und Herren von der Koalition: Ihren Zusagen vertraut niemand mehr!
({20})
Der Bundesvorsitzende der FDP, Herr Genscher, erklärte auf dem Stuttgarter Dreikönigstreffen am 6. Januar 1981 klar und eindeutig, es gehe jetzt um den Abbau von Investitionshemmnissen. Das setze mehr wirtschaftliche Kräfte frei als noch so gut gemeinte Milliarden-Ausgabenprogramme, die in dieser Lage nichts bewirkten und, wie er sagte, schon gar nicht finanzierbar seien.
Schon 1980 hatte Herr Genscher gesagt: „Jetzt muß Ernst gemacht werden mit einer neuen Initiative für Vermögensbildung breiter Schichten unseres Volkes." Wenige Wochen später begrub die Koalition alle Ankündigungen vermögenspolitischer Art.
Mit Vorsätzen zur Konsolidierung ohne Steuererhöhungen ging die FDP in die Beratung des Haushalts 1982. Am 20. August 1981 schrieb wiederum Herr Genscher an die Mandatsträger seiner Partei den vielzitierten und vielgerühmten Brief, in dem stand: „Unser Land steht an einem Scheideweg."
Aber ungeachtet dieser Ankündigungen und der markigen Reden des Kollegen Hoppe in Finanzdebatten ging die FDP Zug um Zug wiederum den verhängnisvollen Weg in die politische Bequemlichkeit und setzte den Marsch in den Steuer- und Abgaben-
staat fort.
({21})
Sie, Graf Lambsdorff, betonten noch in Ihrer Rede zum Jahreswirtschaftsbericht 1981:
Gegen die Ansprüche aus dem Ausland helfen keine zusätzlichen Staatsausgaben, keine geldpolitischen Konjunkturspritzen und erst recht nicht starke Lohnerhöhungen.
Sie fuhren fort:
Uns nützen keine konjunkturellen Strohfeuer. Es kann keine selbstverständliche Vollbeschäftigungsgarantie geben.
L) Und - wieder ein Zitat -:
Einen wichtigen Beitrag zur Besserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen leistet der Staat dadurch, daß er seine Finanzen mittelfristig auf eine solide Basis stellt.
Warum eigentlich, Graf Lambsdorff, haben Sie dies alles vergessen oder verdrängt?
({22})
Wie konnten Sie an einer solchen Verwirrposse, wie sie sich um die Mehrwertsteuererhöhung abgespielt hat, mitwirken? Wie können Sie - Sie haben Ihre Meinung zu dem Thema j a oft genug gesagt - eine solche Politk wider besseres Wissen und wider Ihren ökonomischen Sachverstand mittragen? Der notwendige Konsens, von dem Sie Sprachen, eine erforderliche soziale Allianz darf nicht durch Preisgabe der ökonomischen Vernunft oder durch koalitionsbedingte Feigheit erkauft werden.
({23})
Wir haben zwar Verständnis, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie sich nicht gern mit der Vergangenheitsbewältigung befassen. Aber wir können Ihnen eine notwendige Analyse volkswirtschaftlicher Fehlentwicklungen im letzten Jahrzehnt nicht ersparen, weil allein sie die Voraussetzung für die richtige Therapie der Zukunft ist.
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in der bislang längsten und härtesten Rezessionsphase ihrer Geschichte. Der Rückgang des Bruttosozialprodukts, das rapide Emporschnellen der Arbeitslosenzahlen, die Verteuerung der privaten Lebenshaltungskosten und das Defizit in der Leistungsbilanz markieren diese Situation. Wir befinden uns zu Beginn der 80er Jahre in einem großen Anpassungsprozeß, der sicherlich durch außenwirtschaftliche Einflüsse hervorgerufen worden ist, der aber auch und nicht zuletzt aus den jahrelangen wirtschafts-und finanzpolitischen Fehlern und Versäumnissen dieser Bundesregierung resultiert.
Diese negative Bilanz und insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit sind das Ergebnis falscher Entscheidungen und schwerer Fehler der SPD/FDP-Koalition in der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik. Die ausufernde Staatsverschuldung, eine kollektive, nicht am einzelnen Menschen orientierte Sozialpolitik, eine überzogene Belastung mit Steuern und Abgaben, eine ausufernde Bürokratisierung auf allen Ebenen - das ist Ihr Weg in die gegenwärtige Krise.
In der Zeit Ihrer politischen Verantwortung ist die deutsche Wirtschaft aus einer Position relativer Stärke in eine Position der latenten Schwäche abgerutscht. In dieser Zeit sind die Fehlentscheidungen in der Haushaltspolitik, in der Finanzpolitik und auch in der Lohnpolitik gefallen.
({24})
- Als die Große Koalition beendet war, haben Sie ein gutes Erbe übernommen, aber Sie haben verstanden, es zu verschleudern.
({25})
Die Wirtschaftspolitik von SPD und FDP hat sich als unfähig erwiesen, die Folgen der ersten Ölpreiskrise rechtzeitig zu korrigieren. Der erforderliche strukturelle Wandel der deutschen Wirtschaft wurde gehemmt. Die hohen realen Zinsen, die wir alle beklagen, sind die verhängnisvolle Konsequenz des Leistungsbilanzdefizits und der hohen Staatsverschuldung. Die Voraussetzungen für eine Zinssenkung liegen gegenwärtig weniger bei der Notenbank als vielmehr in der Erneuerung des Vertrauens des Auslands in die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Solange aber die Schlagzeilen in der ausländischen Presse - von der Außenpolitik über die Verteidigungspolitik bis zur Wirtschafts-, Finanz-
und Gesellschaftspolitik - weitgehend negativ sind, werden Sie dieses Vertrauen nicht zurückgewinnen. Es bedarf einer Politik der Stetigkeit über einen langen Zeitraum, um wieder Ruhe, Besonnenheit und mittelfristige Orientierung in das Kapitalmarktgeschehen zu bringen.
Die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre muß darauf abgestellt sein, die Schwächen, die sich während des vergangenen Jahrzehnts in der Wirtschaftsstruktur herausgebildet haben, abzubauen. Dazu ist das von Ihnen vorgelegte Steuererhöhungsprogramm - und das, was Sie vorlegen, ist kein Beschäftigungsprogramm; es ist ein einfaches Steuererhöhungsprogramm - kein geeigneter Beitrag.
({26})
Nur ein mittelfristig angelegtes Wachstumskonzept, eingeleitet durch eine realistische Tarifpolitik und begleitet von einer auf Sanierung angelegten mittelfristigen staatlichen Finanzpolitik, schafft Spielräume für eine Reduzierung der Zinsen, bringt eine bessere Ertragskraft der Unternehmen, verbessert die Eigenkapitalbildung, ermöglicht damit Investitionen und ist somit der einzige Weg, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen nicht nur Beschäftigung, sondern auch Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, an denen Produkte hergestellt werden können, die national und international wettbewerbsfähig sind.
({27})
Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen, vor allen Dingen der SPD, die meint, die Beschäftigung allein sei ausreichend.
({28})
Meine Damen und Herren, wenn wir für Wachstum eintreten, müssen wir uns auch der Wachstumskritik in unserer Zeit stellen. Sicher bietet diese Debatte dafür keinen umfassenden Raum. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß in zunehmendem Maße Stimmen gegen die Leistungsgesellschaft, gegen industrielle Großvorhaben und gegen das Wirtschaftswachstum als Ganzes laut werden. Diesen Bedenken müssen die politischen Kräfte in unserem Lande offensiv entgegentreten.
Wirtschaftswachstum ist kein Ziel an sich. Wirtschaftswachstum ist ein Instrument zur Erreichung anderer Ziele.
({29})
Wir brauchen Wirtschaftswachstum zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, zur Sicherung des sozialen Netzes, zur Aufrechterhaltung einer menschenwürdigen Umwelt, zur Sicherung der Energie zu bezahlbaren Preisen, zur Lösung der internationalen Verteilungskonflikte und zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit unseres Landes.
({30})
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die glänzenden und für die SPD sicherlich sehr belebenden Ausführungen und Thesen von Herrn Professor Löwenthal.
({31})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, es wundert mich nicht, daß Sie da lachen. An diesen Thesen werden Sie innerparteilich noch Ihre Freude haben! Es gibt j a hier, wenn ich mich so umsehe, ganz verschiedenartige Kollegen. Der eine hat unterschrieben, gegen den anderen war es gerichtet, der nächste distanziert sich, ein weiterer bleibt dabei. Das ist sehr merkwürdig. Aber interessant für die Diskussion sind diese Thesen, und zwar nicht nur für Sie, sondern auch für uns.
({32})
Der frühere Bundesbankpräsident Emminger hat die Wiedergewinnung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts als bestes und wirksamstes Konjunktur- und Wachstumspogramm bezeichnet. Eine dauerhafte Sanierung der Leistungsbilanz und eine dauerhafte Reduzierung des Staatsdefizits sind unabdingbare Voraussetzungen für eine Gesundung der Volkswirtschaft. Nur, meine Damen und Herren, der Investitionsmotor wird nur dann anspringen, wenn sich vorher die Ertragslage fühlbar verbessert hat. Die Unternehmereinkommen im engeren Sinne, also ohne Miet- und Zinseinnahmen, nahmen 1981 nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank um 15,1 % ab. Das hatte eine gravierende Beeinträchtigung der Investitionsfähigkeit zur Folge. Daraus folgt, daß sich die Tarifpartner stärker als bisher am realen Verteilungsspielraum orientieren müssen. Wer in Zeiten eines stagnierenden oder gar rückläufigen Sozialprodukts eine Politik der Besitzstandswahrung betreibt, trägt Mitverantwortung für den Verlust von Arbeitsplätzen. Man möchte sich wünschen, daß bei den Tarifverhandlungen auch die Arbeitslosen mit am Tisch säßen.
({33})
Von
Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Ich weiß nicht, ob dieser Satz in der Sozialdemokratischen Partei noch mehrheitsfähig ist. Aber gesagt hat er ihn. Nur ist von dieser Erkenntnis bei dem nun vorliegenden Programm wenig zu spüren.
Noch am 22. Januar dieses Jahres bestand zwischen dem Bundeskanzler, dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister Einigkeit darüber, kein Beschäftigungsprogramm vorzulegen.
Vom Bundesfinanzminister war bekannt, daß er eine Mehrwertsteuererhöhung ablehnt. Er hat dies ja in dem berühmten Memorandum zur Kenntnis gebracht. Der Bundeswirtschaftsminister hatte in einem einzigartigen Salto mortale innerhalb kürzester Zeit von dem Gedanken an eine Mehrwertsteuererhöhung wieder Abstand genommen.
({0})
- Das kann man wohl sagen, lieber Kollege Kiechle. Auch ich wußte nicht, daß er so wendig ist.
Eine Woche danach wurde dieses Programm gegen die bessere Einsicht des Bundeskanzlers, des Bundesfinanzministers und des Bundeswirtschaftsministers doch verabschiedet. Es bleibt der bittere und fade Beigeschmack, daß hier auf Druck und zu Wahlkampfzwecken ein Alibiprogramm produziert wurde, um von den eigenen Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten abzulenken.
({1})
Der Bundeskanzler kann heute wegen einer starken Erkältung nicht dabei sein. Wir wünschen ihm eine gute Genesung.
({2})
Seine Abwesenheit darf uns aber nicht davon abhalten, uns mit ihm zu beschäftigen. Wenn nunmehr der Bundeskanzler gegen jene polemisiert, die dieses Programm und seine Finanzierung begründet ablehnen, dann kann daraus nur ein Schluß gezogen werden: Dieser Bundeskanzler will auf dem Rücken der Arbeitslosen eine Polarisierung im politischen Bereich, wie er schon einmal mit seiner 5 %-Behauptung volkswirtschaftlich unsinnig, aber polemisch Wahlkampf bestritten hat.
({3})
Für eine solche, unter jedem politischen Niveau liegende Denk- und Handlungsmaxime wird er
({4})
- das ist mein Beitrag - weder bei Kant noch bei Max Weber und schon gar nicht bei Karl Popper Rechtfertigung finden können.
Lassen Sie mich noch einiges an die Adresse des Kollegen Roth richten, der, wie ich ihn kenne, anschließend sicher vor allem zum Thema Amerika/ England - Reagan/Thatcher - Stellung nehmen wird.
({5})
Wenn er es nicht tut, dann um so besser; mein Beitrag ist trotzdem erforderlich.
Aber vorweg folgendes. Der Kollege Roth hat uns in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, CDU und CSU beabsichtigten einen beschäftigungspolitischen Rückzug des Staates. Dies ist ein absurder Vorwurf. Natürlich muß der Staat beschäftigungspolitisch aktiv werden; das steht für uns außerhalb jeden Zweifels.
({6})
- Nein, Herr Kollege Ehmke. Es kommt darauf an, wo der Staat aktiv wird.
({7})
Es gilt, mit dem gleichen Nachdruck zu betonen, daß der Staat im Rahmen einer Marktwirtschaft mit voller Tarifautonomie keine Vollbeschäftigungsgarantie übernehmen kann, wie es der frühere Bundeskanzler Brandt Anfang der 70er Jahre mit verhängnisvollen Folgen getan hat. Vollbeschäftigung kann nur erzielt werden, wenn die wirtschaftspolitischen Hauptakteure, nämlich Bund, Länder, Gemeinden, Bundesbank und in erster Linie die Tarifparteien, an einem Strang ziehen.
Dazu gehört, daß der Bund seinen Beitrag erbringt, indem er ein leistungs- und investitionsfreundliches Steuerrecht gestaltet oder schafft und seine eigenen Investitionen im öffentlichen Bereich durchführt. Beides hat diese Koalition in den letzten Jahren nicht getan. Das Steuer- und Abgabenrecht hat sich leistungsunfreundlich entwickelt. Im Bereich der öffentlichen Investitionen hat sie sich zurückgezogen, so daß in schwieriger Zeit die notwendigen öffentlichen Investitionen nicht durchgeführt werden konnten, was katastrophale Folgen vor allem für das Bau- und das Bauhauptgewerbe hatte.
({8})
Die immer wieder erhobene wirtschaftspolitische Kritik am Kurs der USA und Großbritanniens ist nichts anderes als Ablenkungsmanöver.
Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn die Damen und Herren von der SPD künftig die entsprechenden Daten, Zahlen und vor allem Arbeitslosenziffern aus Frankreich regelmäßig mitteilen würden. Vor allen Dingen wäre ich dankbar, wenn die Kollegen, die von hier aus bei der letzten Haushaltsdebatte noch Solidaritätsadressen an die Entlassenen von Video-Color gerichtet haben, sich bei ihren sozialistischen Genossen in Frankreich dafür bedanken würden,
({9})
daß diese durch ihre Unternehmenspolitik die Arbeitslosigkeit zu uns exportieren, statt dort ihrer unternehmerischen Pflicht gerecht zu werden.
({10})
Es war der Bundeskanzler, der jahrelang auf allen Weltwirtschaftsgipfeln die Parole ausgegeben hat, Inflation sei kein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vielmehr eine ihrer Ursachen. Und hat er nicht gesagt, man solle den Dollar nicht verfaulen lassen? Wenn jetzt in Amerika versucht wird, auch über eine notwendige restriktive Geldpolitik die Inflation in den Griff zu bekommen, dann sollten wir uns gut überlegen, ob wir der richtige Lehrmeister für andere Staaten und die Wirtschaftpolitik anderer Staaten sind.
({11})
Ich möchte kurz auch auf das Bezug nehmen, was Graf Lambsdorff im Hinblick auf die Gemeinschaft mit Frankreich zum Abkoppeln der Zinsen gegenüber den Vereinigten Staaten gesagt hat. Wer das vereinbart, weiß doch - auch wenn die Philosophie der Deutschen eine ganz andere als die der Franzosen sein sollte -, daß damit logischerweise Kapitalverkehrskontrollen verbunden sein müßten. Allein schon die Diskussion um dieses Thema verwirrt doch bereits wieder Devisen- und Finanzmärkte, bringt ein weiteres Schwinden des Vertrauens in unseren Kurs und hilft uns bei der Bewältigung des Zinsproblems nicht. Großbritannien und die USA kämpfen wie übrigens auch die Bundesrepublik gegen ein ausuferndes Budget. Der Grundgedanke des Monetarismus wird eigentlich bei uns verwirklicht, weil die Bundesbank in der Lage ist, über ihr Instrumentarium eine vernünftige Geldmengensteuerung zu betreiben, während es in den USA und in England gar nicht gelungen ist. So baut man sich ganz bewußt sozialistisch einen Popanz auf, um etwas anzugreifen, was es in diesen Ländern gar nicht gibt, nämlich den Monetarismus in dieser Form.
Nun wenden sich vor allem die Sozialdemokraten bei der Diskussion über die Gemeinschaftsinitiave mit Nachdruck gegen Eingriffe in Leistungsgesetze. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Mineralölsteuererhöhung, Tabaksteuererhöhung und Branntweinsteuererhöhung einerseits und Kürzungen bei Leistungsgesetzen andererseits?
({12})
- Auch damit treffen Sie den kleinen Mann. Herr Kollege Westphal, wollen Sie vielleicht leugnen, daß die Kürzung des Kindergelds nicht die Kleinen, die Armen und die Schwächeren getroffen hat?
({13})
- Ihre Vorstellungen von dem, was sozial ist, - -({14})
Herr Abgeordneter Dr. Waigel, einen Augenblick bitte!
({0})
- Darf ich bitten, daß wir die Aussprache in geordneter Ruhe führen.
Ich kann mir vorstellen, daß Unangenehmes, das Sie hören, für Sie Schwachsinn ist. Nur, wir werden es Ihnen nicht ersparen, damit konfrontiert zu werden.
({0})
Und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, für die soziale Symmetrie und für die Einführung einer Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer eintreten - wozu der Bundeswirtschaftsminister ja eine sehr andere dezidierte Meinung bezogen hat -, widerspricht dies übrigens völlig dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Ob mit einer solchen Ergänzungsabgabe die Richtigen getroffen würden, wage ich zu bezweifeln. Wenn - wie jüngst zu lesen
war - Vorstandsmitglieder gemeinnütziger Unternehmen trotz eines Einkommens von rund 400 000 bis 500 000 DM nur 50 000 bis 100 000 DM versteuern, weil sie umfangreiche Absetzungen aus ihrer privaten Tätigkeit im Wohnungsbaubereich geltend machen können, dann glaube ich, daß Sie mit einer Ergänzungsabgabe die Falschen treffen, nämlich einige mittlere Führungskräfte in der Wirtschaft und einige Selbständige, die doch Jahr für Jahr ohnehin von der höheren Progressionsstufe und von der höheren Beitragsbemessungsgrenze erfaßt werden. Wenn ich sehe, wie ungern sozialistische Genossen Steuern zahlen, dann verstehe ich eigentlich nicht, wieso Sie denen unbedingt noch Ergänzungsabgaben zumuten wollen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Die wären ja in der Lage, die Ergänzungsabgabe mit den entsprechenden Berlin-Abschreibungen wieder zu konterkarieren. Die Mehrzahl der Bürger, die in dieser Situation wirklich mehr leisten soll, kann das nicht.
({1})
Ich weiß nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob sie sich in Ihrem Konzept irren oder ich mich in meinem - ich stelle nur die Frage -: Nach meiner Erinnerung hat das Ifo-Institut in seinem jüngsten Bericht festgestellt, daß die Grenzbelastung bei der Lohnsteuer und bei den Sozialabgaben zwischenzeitlich die 60 %-Marke erreicht hat und nicht die 40 %-Grenze. Vielleicht wollten Sie zum Ausdruck bringen, daß denen immerhin noch 40, % bleiben, was bei diesem Steuer- und Abgabenstaat schon etwas ist.
Die Regierung hat im Jahreswirtschaftsbericht ihrem mühsam gefundenen Kompromiß 10 Gebote vorangestellt; nur haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diese 10 Gebote bereits vor und nach der Verkündung wieder übertreten. Die 10 schönsten Gebote helfen nichts, wenn sie nicht zur Maxime des Handelns gemacht werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition und vor allen Dingen von der FDP, Sie haben sich in diesem Jahreswirtschaftsbericht und in dem Kernbereich wieder damit begnügt, unverbindliche Protokollnotizen unterzubringen, wonach Subventionen und sonstige Leistungen überprüft werden sollten mit dem Ziel, die wachstumsfördernden Impulse des Haushalts zu verstärken. Getan worden ist nichts. Die Einführung einer zeitlich befristeten Investitionszulage führt allenfalls zum Vorziehen bereits geplanter Investitionsvorhaben. Das mittelfristige Investitionsniveau wird dabei kaum erhöht. Die erhofften Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung bleiben nach den Erfahrungen mit der Investitionszulage im Jahre 1975 aus. Die geplante Investitionszulage wird einen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern und doch nur zu Mitnahmeeffekten führen. Wir glauben nicht, daß dieses Instrument, das geeignet ist, kurzfristig Nachfragelücken auszugleichen, das Richtige ist, um langfristig kalkulierbare Investitionen anzuregen. Wir sind vielmehr der Meinung, wenn Sie schon eine Umstrukturierung auch des Steuerrechts vornehmen wollen, dann müssen Sie das als mittel- und langfristiges Programm auf den Tisch legen, dann müssen Sie uns heute sagen, wie der entsprechende Gesetzentwurf für einen neuen Tarif aussehen soll, dann muß alles in einem geschlossenen Paket stehen; dann kann man mit uns über eine aufkommensneutrale Umstrukturierung des Steuerrechts hin zu mehr Investitionen, zu mehr Leistung sprechen. Das erreichen Sie aber nicht mit diesem Flickwerk, das mit heißer Nadel genäht wurde.
({2})
Interessant ist, daß Sie den mietrechtlichen Teil des sogenannten Beschäftigungsprogramms abgekoppelt haben und hier auf die entsprechenden Vorschläge der CDU/CSU im Bundestag hinweisen. Sie wollen hier lediglich Formulierungshilfe leisten. Ist dies vielleicht damit in Zusammenhang zu bringen, daß Sie eine Diskussion über diese Frage in der Fraktion der SPD überhaupt nicht durchstehen würden? Man wird ja wohl noch fragen dürfen, warum dieser Punkt im Paket nicht enthalten ist. Sie aber, Graf Lambsdorff und die ganze Koalition, laufen mit diesem Punkt, mit diesen Kabinettsbeschlüssen ein drittes Mal den Gesetzesinitiativen der Union zur Wohnungsbaupolitik hinterher.
Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt - nehmen Sie das, Graf Lambsdorff und alle Kabinettsmitglieder, sehr ernst -, an dem Ihr Programm in dieser Form scheitern wird, ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Daran halten die Unionsparteien sowohl im Bundestag wie im Bundesrat einmütig fest.
({3})
Ich sehe keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, die Finanzierung von etwa 2 Milliarden DM, die auf den Bund entfallen, über Einsparungen bei den Leistungsgesetzen gemeinschaftlich zu schaffen. Wir haben voriges Jahr die Felder genannt. Wir haben in den letzten Wochen eine unpopuläre Diskussion auch zu dem Punkt BAföG in diesem Zusammenhang bestritten.
Sie sagen auf der einen Seite, die Einsparungen seien notwendig, Sie sagen einige Sätze später, sie seien jetzt nicht durchsetzbar,
({4})
und Sie sagen im Jahreswirtschaftsbericht, bei der nächsten Operation würden weitere Sanierungen und Einsparungen unumgänglich sein. Ja, Graf Lambsdorff, was stimmt jetzt eigentlich in Ihren Aussagen, die Sie innerhalb einer Stunde vorgetragen haben?
({5})
Die SPD/FDP-Bundesregierung ist mit dieser Finanzierung über die Mehrwertsteuer wieder den unheilvollen Weg der Steuer- und Abgabenerhöhung gegangen. Sie hat den Marsch in den Abgaben- und Steuerstaat fortgesetzt. Schon heute ist erkennbar, daß es in der Koalition bei der angekündigten Senkung der Lohn- und Einkommensteuer einen offenen Dissens gibt. Der Bundeskanzler hat dazu in der Pressekonferenz nichts gesagt. Im Jahreswirtschaftsbericht steht es nicht. Der Bundesaußenminister hat es in der damaligen Pressekonferenz angeDr. Waigel
sprochen. Und auch Sie, Graf Lambsdorff, haben es bei „Pro und Contra" und heute wieder angesprochen. Nur, wer glaubt Ihnen eigentlich noch, daß Sie angesichts der kommenden Operation '83 neben dem Ausgleich der Mehrwertsteuererhöhung auch noch in der Lage sein werden, die heimlichen Steuererhöhungen zusätzlich. abzubauen? Meine Damen und Herren, Ihnen glaubt man nicht einmal mehr das, was bereits im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet ist, um so weniger das, was hier an unverbindlichen Ankündigungen vorgeschlagen wird,
({6})
ganz abgesehen davon, daß ich mir kaum vorstellen kann, wie Sie die notwendige Unterstützung der SPD zu diesem Punkt bekommen wollen.
Sie haben sich dann, Graf Lambsdorff - und das war eine stärkere Passage Ihrer Rede - positiv zum Programm der CDU/CSU geäußert.
({7})
Wir haben in der Tat die Meinung vertreten, daß Arbeit für alle, Vollbeschäftigung, nur durch Soziale Marktwirtschaft möglich ist. Ich darf diese sieben Punkte kurz skizzieren.
Einmal handelt es sich um die Konsolidierung der Staatsfinanzen von der Ausgabenseite her, um so die Voraussetzungen für nachhaltige Zinssenkungen zu schaffen.
Zweitens geht es um eine Stärkung der privaten Investitionen durch eine wachstumsfördernde Ausgestaltung des Steuersystems und durch den Abbau der nach wie vor bestehenden politischen Investitionshemmnisse. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben vermißt, daß Sie heute eine Bilanz aufgemacht hätten, was aus dem Abbau der Investitionshemmnisse geworden ist, die Sie vorigen Jahres so angeprangert haben.
({8})
Wir fordern einen Ausbau der Existenzgründungsförderung, nicht nur durch Programme, sondern durch gezielte steuerliche Hilfen.
Wir brauchen weiter eine Ankurbelung des privaten Wohnungsbaus auf der Grundlage unserer Programme.
Wir brauchen die Förderung des technischen Fortschritts durch Durchsetzung einer realistischen und kalkulierbaren Energiepolitik. Es kann nicht länger angehen, daß Sie die notwendigen Entscheidungen der Energiepolitik über die Enquetekommission und über die Haltung der Sozialdemokraten dort verzögern.
Wir brauchen Vernunft bei der Tarifpolitik und das Angebot zur Vermögensbildung. Sie haben dazu nichts auf den Tisch gelegt.
Und wir treten für die Öffnung des Arbeitsmarktes durch die Schaffung flexibler Arbeitszeitregelungen ein.
Wir haben für dieses Programm beachtliche Resonanz und Zustimmung erfahren. Zu Ihrem Programm hat das RWI erklärt: „Noch ein Programm." - Ich glaube, das ist Bewertung genug.
Der Bundeskanzler hat im März 1981 auf dem Kongreß „Kant in unserer Zeit" darauf hingewiesen, daß er nicht den Vordenker der Nation spielen wolle. Das verlangt niemand von ihm und traut ihm auch niemand zu. In der Zusammenfassung seiner Gedanken geht er auf Max Weber ein, der fordert, für den Politiker sei es notwendig, Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß zu besitzen. Zu dieser Verantwortungsethik gehört es, daß man für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufzukommen hat.
Die Bundesregierung weiß, daß das von ihr vorgelegte Programm seinem Namen und seinem Anspruch nicht gerecht wird. Kanzler und Vizekanzler sehen tatenlos zu, wie dieses Programm täglich zerredet wird. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft, Leistung und soziale Gerechtigkeit, Wettbewerb und Solidarität, Eigenverantwortung und soziale Sicherheit. Nur auf diesem Fundament wird eine Wende der Wirtschaftspolitik stattfinden können. - Ich danke Ihnen.
({9})
Ich erteile Herrn Abgeordneten Roth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden mir erlauben, daß ich ein erstes Wort an den Herrn Bundeswirtschaftsminister persönlich richte. Graf Lambsdorff, Sie sind in diesen Tagen Opfer von Vorverurteilungen auf Grund von staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen geworden. Die SPD-Fraktion weist diese Richtersprüche von Unbefugten zurück.
({0})
Ich möchte aber nicht nur das sagen, Graf Lambsdorff, sondern noch etwas hinzufügen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der festen Überzeugung, daß Sie bei Ihren amtlichen Entscheidungen in voller Integrität gehandelt haben.
({1})
Wir halten den Vorwurf der Vorteilsannahme auf Grund der Kenntnis Ihrer Person und Ihrer amtlichen Handlungen für unberechtigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben sicher genauso wie ich in den letzten beiden Wochen, in denen wir nicht in Bonn sein mußten, Gespräche mit Arbeitslosen oder mit anderen von der Wirtschaftskrise Betroffenen geführt. Mir ist bei diesen vielen Gesprächen bewußt geworden, daß wir in Bonn im Parlament, im Dialog zwischen Opposition und Regierung das Problem der Arbeitslosigkeit und der Wirkungen der Arbeitslosigkeit auf Menschen bisher nicht intensiv und nicht sorgfältig genug diskutiert haben. Das Problem der Arbeitslosigkeit - davon bin ich fest überzeugt - und ihrer Auswirkungen insbesondere auf die jungen Leute darf nicht in polemischer Auseinandersetzung auf niederster Ebene behandelt werden.
({2})
Kollege Waigel, es ist kein Geheimnis, daß ich Sie schätze. Es ist kein Geheimnis, daß ich glaube, daß Sie in der Union jemand sind, der gerade im wirtschaftlichen Bereich oft konstruktiv mitarbeitet. Was Sie aber heute an schlichter Polemik gegen die Regierung geboten haben, hilft keinem jungen Menschen, der von dem Problem betroffen ist, in der Orientierung auf die Politik und auf das Parlament.
({3})
Wir sollten uns nicht täuschen: Betroffene gibt es sehr, sehr viele, weit mehr, als wir normalerweise eigentlich im Bewußtsein haben. Wenn wir in diesem Jahr eine jahresdurchschnittliche Arbeitslosigkeit von 1,7 Millionen Menschen haben, bedeutet das, daß etwa fünf Millionen Menschen irgendwann einmal in diesem Jahr arbeitslos sein werden. Wenn wir die Betroffenheit der Familien hinzurechnen, bedeutet das, daß etwa 20 Millionen Menschen in der einen oder anderen Weise von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das sollten wir in unseren Debatten berücksichtigen - nein, nicht nur berücksichtigen, sondern wir sollten es auch durch den Ernst der Debatte darstellen, daß wir von dieser Betroffenheit wissen.
({4})
Kollege Waigel, am Schluß Ihrer Rede haben Sie einige Punkte aufgezählt. Ich muß Ihnen sagen, ich war im Grunde ganz offen, als ich hörte, daß Herr Kohl auf einer Pressekonferenz seine Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorlegen wolle. Ich war offen, weil ich wirklich der tiefen Überzeugung bin, und zwar auch schon auf Grund der Mehrheitslage im Deutschen Bundesrat, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch in dem Sinne eine Gemeinschaftsaufgabe werden muß. Aber was Sie in jenen Punkten geboten haben, waren Sprechblasen und keine Politik.
({5})
Lassen Sie mich auch folgendes - zum Teil selbstkritisch - über die Diskussion der letzten Jahre sagen. Wir haben uns bei der Arbeitslosigkeit sehr lange zu einer Mißbrauchsdiskussion verführen lassen, statt eine Diskussion über die Hauptsache, nämlich die Arbeitslosigkeit selbst, zu führen.
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Wir haben den Gedanken der Solidarität in unseren Diskussionen sehr oft sehr strapaziert. Ich denke beispielsweise nur an die monatelange Debatte, ob das Ruhrrevier in die Gemeinschaftsaufgabe regionale Strukturpolitik aufgenommen werden soll, und den Widerstand von Bayern, Baden-Württemberg gegen die Maßnahme.
({7})
Ich sage das jetzt ganz bewußt einmal als badenwürttembergischer Abgeordneter. Welche hohe Bedeutung hatte die Leistung des Ruhrgebiets, der
Menschen im Ruhrrevier, in den 50er Jahren für den Wiederaufbau dieses Landes!
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Es gibt dort seit einem oder nahezu zwei Jahren eine absolute Mehrheit der SPD; aber die Nordrhein-Westfalen haben eine Entsolidarisierung aller CDU-
geführten Bundesländer gegen dieses Land nicht verdient.
({9})
Ich halte dies für einen typischen Ausfall von Solidarität.
Lassen Sie mich, bezogen auf das Thema der Mehrwertsteuererhöhung, hier eines klar sagen. Keinem Sozialdemokraten fällt es leicht, an der Stelle zuzustimmen. Wir wissen, daß die Mehrwertsteuer eine Belastung der breiten Schichten der Bevölkerung bedeutet. Der Grund dafür, daß wir j a sagen, hat Bezug zum Prinzip der Solidarität. Wir alle müssen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mitfinanzieren und mittragen, und da ist die Mehrwertsteuer nach meiner Überzeugung eine verständliche Ausgleichsmaßnahme, jedenfalls eine Solidaritätsabgabe aller.
({10})
Ich möchte Sie bitten, hier erneut nachzudenken. Herr Waigel hat mich angesprochen und gesagt: Nun wird Herr Roth kommen und gleich über Amerika und England berichten. Ich habe ein bißchen Pech oder Glück - das weiß man nicht -, denn heute hatte ich das nicht vor, Herr Waigel. Aber da Sie mich provozieren, will ich ein paar Worte dazu sagen.
Im Grunde gibt es im Westen zwei Denkschulen über die Ursachen der Krise. Die eine Denkschule behauptet, zu hohe Löhne, zu hohe Staatsausgaben hätten die Krise herbeigeführt. Die Antwort lautet dann: Die Selbstheilungskräfte des Marktes reichen aus. Man sollte die Löhne absenken - das ist die wichtigste Medizin -, und dann sollte man noch die höheren Einkommensgruppen entlasten, siehe Reagans Steuerpolitik, und dann läuft die Wirtschaft schon wieder an. Das ist die eine Denkschule.
Kolleginnen und Kollegen, diese Denkschule hat sich in den USA und Großbritannien durchgesetzt. Nun muß ich Sie daran erinnern, daß die Ergebnisse inzwischen bekannt sind. Kollege Waigel, ich habe vor zwei Jahren hier an diesem Platz zu England Stellung genommen und eine Prognose abgegeben. Ich habe damals drei Millionen Arbeitslose vorausgesagt. Ich erinnere mich noch genau an das höhnische Gelächter und die Zwischenrufer, die gesagt haben: Nein, dort wird endlich die richtige marktwirtschaftliche Strategie gefahren, die hohen Einkommensgruppen müssen entlastet werden, die Investitionstätigkeit blüht dann auf. - Nach zwei Jahren werden Sie das nicht mehr sagen wollen bzw. Sie haben dazu nicht mehr Stellung genommen.
({11})
Für Sie als Christlich Demokratische Union, wie Sie sich jedenfalls nennen,
({12})
wäre es vielleicht nicht ganz uninteressant nachzulesen, was der Papst in seiner Enzyklika zu diesem Themenbereich gesagt hat, indem er diese Art von Wirtschaftsstrategie erstens als neokapitalistisch bezeichnet und zweitens deutlich gemacht hat, daß sie mit der ethischen Verantwortung jedenfalls dieser Kirche unvereinbar ist.
({13})
Sie sollten diese innere Diskussion in der katholischen Kirche, die wir z. B. vor allem auch aus Kontakten und Begegnungen mit der katholischen Arbeiterbewegung kennen,
({14})
nicht einfach beiseite legen. Sie sind in der Frage: Strategie I - neokapitalistische Methoden - oder eben aktives Handeln des Staates, so wie wir es hier mit dem Beschäftigungsprogramm durchgesetzt haben, nicht entschieden. Das merkt man ja auch sehr deutlich aus Ihren widersprüchlichen Stellungnahmen. Herr Späth z. B. - von wegen „Soziale Frage"; Herr Geißler hat vor kurzem in Erklärungen die „Neue Soziale Frage" noch einmal bemüht - hat erklärt, er wolle kein Programm; das einzige, das er akzeptieren könne, seien Mietsteigerungen für die kleinen Leute. Das würde helfen. Und der Rest sei überflüssig. - Meine Damen und Herren, das ist Strategie nach dem angelsächsischen Weg, das ist amerikanisch-englische Methodik.
Nun gebe ich allerdings zu, daß es in Ihren Reihen auch andere Meinungen gibt, zuweilen bei demselben innerhalb von wenigen Wochen zwei Meinungen. Herr Ministerpräsident Albrecht hat beispielsweise - obgleich er das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland hat
({15})
- am 13. Januar gesagt: Ein Beschäftigungsprogramm aus öffentlichen Mitteln löst das Problem nicht, nein, es führt auf der anderen Seite zu der Gefahr, die Wiederbelebung der privaten Investitionen zu gefährden und damit den Abbau der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Am 23. Februar sagte er indessen, er wolle nicht grundsätzlich ein Beschäftigungsprogramm blockieren. Wenige Tage später hat er selber ein Programm von 227 Millionen vorgelegt, - etwa die Hälfte dessen, was Herr Ravens als Oppositionsführer Monate vorher vorgeschlagen hatte und was vorher, vor diesem Winter, in der Situation wirksamer geworden wäre als jetzt anschließend.
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Überhaupt gibt es gerade im Lande Niedersachsen in der Wirtschaftspolitik manche erstaunliche Wandlungsfähigkeit bzw. Widersprüchlichkeit . Ich hätte mir j a gewünscht, daß hier auf der Bundesratsbank nicht nur Bundesländer Platz genommen hätten, die schon erklärt haben, daß sie zustimmen, sondern auch solche, die bisher erklärt haben, sie wollten das Programm ablehnen. Leider kommen sie nicht hierher, um unsere Argumente anzuhören.
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Anschließend im Vermittlungsausschuß wird dann die Blockadestrategie ohne Aufnahme unserer Argumente durchgesetzt.
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Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Herr Kollege, würden Sie bereit sein, mir zuzustimmen, daß es im Sinne unserer Verfassungsordnung wäre oder ist, daß die Vorlage, die Sie soeben hier so leidenschaftlich verteidigen, ordnungsgemäß im Bundesrat eingebracht wird, und wäre nicht längst die Möglichkeit gewesen, schon vor vier Wochen diese Vorlage im Bundesrat einzubringen, so daß der Bundesrat in seiner morgigen Sitzung darüber beraten könnte?
({0})
Herr Kohl, ich will dieses Plenum nicht zu einer Geschäftsordnungs- und Ablaufdebatte mißbrauchen. Ich will nur eines sagen. Ich erinnere mich sehr genau, zu welchen nichtigen Anlässen der bayerische Ministerpräsident im Wahlkampf 1980 hier in diesem Hause aufgetreten ist.
({0})
Ich halte das für eine faule Ausrede. Hier gehört man hin, wenn eine derart zentrale Frage debattiert wird. Hier wäre Gelegenheit, einmal aus Sachbezogenheit zu unserer Initiative Stellung zu nehmen.
({1})
Sie sagen, die Investitionszulage sei überflüssig. Das seien vor allem Mitnahmeeffekte, die das garantieren würden. Wir würden letztlich nur Geld verschieben ohne investive Wirkungen.
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Sie verweisen auf das Jahr 1975. Der Bundeswirtschaftsminister hat zu Recht alle Institute zitiert, die sich dazu geäußert haben. Alle sagen, die Investitionszulage habe damals gewirkt. Meine Damen und Herren, das ist j a auch leicht erklärbar. In Zeiten tiefer Rezession gefriert praktisch die Investitionstätigkeit, und es gibt in einer derart tiefen Rezession keine Selbstheilungskraft am Markt. Das ist vor allem auch dann der Fall, wenn die Nachfragekräfte in der Wirtschaft nicht ausreichen, wegen einer zurückhaltenden Reallohnstrategie der Gewerkschaften, die sie auch in diesem Jahr verfolgen, teilweise auch nicht ausreichen können. In derartigen Situationen braucht man Anreize für das zentrale dynamische Element der Volkswirtschaft: Das sind die Investitionen. Wenn wir Sozialdemokraten nur verteilungspolitisch dächten, dann müßten wir dieses Programm in der Tat an der Stelle ablehnen, aber weil wir der Auffassung sind, daß nur ein Ansprin5274
gen der Investitionstätigkeit die Wirtschaft wieder zur Vollbeschäftigung zurückführen kann - dazu brauchen wir allerdings einige Jahre - sagen wir Ja zu diesem verteilungspolitisch sogar problematischen Instrument.
Wir sagen Ja, weil wir glauben, daß das Eis brechen muß, daß die Investitionsblockade aufgehoben werden muß, die auf Grund der Hochzinspolitik und der national und weltweit schlechten Nachfrage entstanden ist.
Meine Damen und Herren, diese Regelung der Investitionszulage ist ja gegenüber der von 1975 verbessert worden. Wir geben nicht jedem eine Zulage, der jetzt in alles, was er sowieso geplant hat, investiert, sondern nur dem, der mehr tut, der zulegt, der neue Ideen auch durch die Bereitstellung von deutlich mehr Investitionsmitteln verwirklicht. Nur derjenige erhält einen Anspruch auf diese Investitionszulage. Ich glaube, es wird sich wie 1975 zeigen, daß das ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Meine Damen und Herren, an der Stelle weiß ich, daß es im gewerkschaftlichen Raum bei vielen Vertrauensleuten, Betriebsräten manchmal die Kritik gibt, diese Investitionszulage diene j a im Grunde nur zur weiteren Finanzierung von Rationalisierung, d. h. zur Beseitigung von Arbeitsplätzen. Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, in diesem Parlament muß man zu diesem Thema ein ehrliches und offenes Wort sagen, gerade als Sozialdemokrat und Mitglied einer Gewerkschaft. Jeder Investitionsprozeß enthält Rationalisierungseffekte; das ist unbestreitbar. Nur: Die Modernisierung der Volkswirtschaft auf der einen Seite und die Produktivitätssteigerung auf der anderen Seite sind letztlich die Quellen des künftigen Reichtums. Eine stagnierende Wirtschaft, eine Wirtschaft ohne Rationalisierungseffekte wird bald eine schrumpfende, eine sich selbst zerstörende Volkswirtschaft sein. Deshalb bekennen wir uns bei Kenntnis von Nachteilen zu dieser Investitionszulage und zum Produktivitätsfortschritt in der Volkswirtschaft.
Hier hat die deutsche Gewerkschaftsbewegung auch immer eine andere Position eingenommen als beispielsweise beträchtliche Teile der britischen Gewerkschaftsbewegung. Ich halte diese positive Einstellung der deutschen Gewerkschaften und beispielsweise auch unserer französischen Freunde, der Sozialistischen Partei und der entsprechenden Gewerkschaften, gegenüber der Modernisierung und dem Produktivitätsfortschritt für einen wertvollen Teil des sozialen Konsenses in diesem Lande und hoffentlich in Europa.
({3})
Ich bitte Sie alle, mit Ihren Argumenten gegen die Investitionszulage diesen Teil des sozialen Konsenses nicht zu zerreden und kaputtzumachen.
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Meine Damen und Herren, von Ihnen habe ich auch heute nichts Konkretes gehört, was die Finanzierung von beschäftigungspolitischen Maßnahmen betrifft. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie j a halbwegs Ja sagen, um bei der Verhinderung dieser beschäftigungspolitischen Initiative, dieser Gemeinschaftsinitiative der Bundesregierung nicht dabeigewesen zu sein. Aber Ihre Antworten, beispielsweise das Schüler-BAföG zu beseitigen und gleichzeitig die „Neue Soziale Frage" zu entdecken, das kann doch, meine Damen und Herren, nicht ernst gemeint sein. Die einzige Alternative, die Sie von der CDU/CSU konkret genannt haben, war die Kürzung des Schüler-BAföG um 800 Millionen DM. Ich sage Ihnen klar für die SPD-Fraktion: Eine solche Kürzung wird es mit unserer Hilfe nicht geben, denn es ist ganz klar, auf was Ihre Forderung hinausläuft.
({5})
Von den 500 000 Schülern, die derzeit durch BAföG finanziell unterstützt werden, kommen 75 % aus Familien von Arbeitern und kleinen Angestellten. Es ist so, daß 50 % - also mehr, als dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht - der Kinder auf höheren Schulen, die BAföG bekommen, Arbeiterkinder sind. Es war unser Ziel, durch das Einführen von BAföG auf der Schulstufe - zu einem Zeitpunkt, an dem man entscheiden muß, ob man eine höhere Schule besucht oder in die Lehre geht - einen finanziellen Ausgleich gegenüber den Lehrlingen zu schaffen, die heutzutage eine ganze Menge Geld kriegen, so daß es sich die kleinen Leute leisten können, ihre Kinder in die höhere Bildung zu schicken.
({6})
Das lassen wir uns von Ihnen nicht zerstören, schon gar nicht unter der Fahne, Sie müßten die „Neue Soziale Frage" entdecken.
Ich bin der Meinung, es gibt im Etat keine Förderungsmaßnahme, die so zielgerecht bei der jungen Generation der kleinen Leute ansetzt wie das Schüler-BAföG. Das Diffamieren dieser Maßnahme ist unverantwortlich; bildungspolitisch ist es nichts anderes als Reaktion.
({7})
An der Stelle lassen Sie mich in bezug auf die Ausbildungssituation der Jugendlichen ein Wort an die Wirtschaft richten. Ende Januar waren rund 15 % mehr Bewerber, aber rund 10 % weniger Ausbildungsplätze als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 1981 gemeldet. Ich appelliere an die Wirtschaft, an die Unternehmer, an das Handwerk und an die Handelsunternehmen: Lassen Sie dies nicht zu! Denn jedermann wird sagen, daß Sie das Parlament im letzten Jahr belogen haben. Ich werde das begründen. Die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern, der BDI, weitere Verbände und einzelne Sprecher der Wirtschaft haben gesagt: Eine Finanzierungsregelung in der Ausbildungsplatzgesetzgebung ist überflüssig. Wir bieten freiwillig ausreichend Arbeits- und Ausbildungsplätze an. - Das war noch vor einem Jahr. Ein Jahr später stellen wir 10 % weniger Ausbildungsplätze fest.
({8})
Ich komme zurück auf meine Ausgangsstellungnahme. Wenn die deutsche Wirtschaft in unserer Fraktion weiterhin glaubwürdig sein will, muß sie eine sofortige Trendwende realisieren. Es müssen eben 15 % mehr Ausbildungsplätze angeboten werden.
({9})
Wir sind als SPD-Bundestagsfraktion auch bereit, in Gespräche einzutreten, wie man hier - das geschieht ja auch in der Gemeinschaftsinitiative - durch finanzielle Abstützung weiterhelfen kann, so daß die Wirtschaft und der Staat zum Wohle der jungen Generation zusammenwirken.
Die sozialliberale Koalition hat in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen Situation ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Ich gebe zu, daß vorübergehend Irritation vorhanden war. Das kann bei den Unterschieden in der Geschichte und in der Programmatik zwischen den beiden Koalitionspartnern auch nicht anders sein. Trotzdem sind wir mit der Gemeinschaftsinitiative zum Handeln gekommen. Die Bundesregierung legt mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz ein zeitgerechtes, den psychologischen Umständen angemessenes Programm vor, das in den nächsten vier Jahren 12 Milliarden DM mobilisieren wird. Die Bundesregierung - das ist ganz entscheidend - macht damit deutlich, daß der Staat handelt, wenn Rezession zur Arbeitslosigkeit, zur Massenarbeitslosigkeit geführt hat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt diese Initiative. Sie ist der Tat eine Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität. Die Gemeinschaftsinitiative hat kein kleinliches Parteiengezänk verdient.
({10})
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal auf den Appell des DGB zurückkommen, daß alle mit ihren Beiträgen zusammenkommen sollten. Jeder muß Opfer bringen. Solche Opfer innerhalb dieser Gemeinschaftsinitiative auf sich zu nehmen haben wir z. B. auch vielen Anhängern, Mitgliedern und Freunden der Sozialdemokratischen Partei vorgeschlagen. Ich weiß, daß der DGB und seine Einzelgewerkschaften in diesen Wochen bereit sind, im tarifpolitischen Streit eine vernünftige Linie zu fahren. Jetzt sind andere an der Reihe.
Erstens fordere ich noch einmal die Arbeitgeberverbände auf, über diesen Tabukatalog gegen Arbeitszeitverkürzungen nicht nur nachzudenken, sondern endlich ihre Blockade der Arbeitszeitverkürzung mitten in einer Phase von Massenarbeitslosigkeit aufzugeben.
({11})
Ich spreche auch Sie von der Opposition an, und zwar alle diejenigen, die auch bei Ihnen aus dem Arbeitnehmerlager kommen; das gibt es ja auch in Ihren Reihen. Ich habe sehr wohl gehört, welche positiven Gedanken in Richtung auf beschäftigungspolitische Maßnahmen beispielsweise der Kollege Müller aus Remscheid hin und wieder entwickelt hat. Ich fordere Sie von der Opposition auf, diese Gemeinschaftsinitiative, die im Grunde den Gedanken der
Solidarität in die praktische Parlamentsarbeit einführt, nicht zu blockieren und Ihren Ministerpräsidenten zu sagen: Macht mit, stützt dieses Programm ab, im Interesse der jungen Menschen, aber auch im Interesse aller anderen Gruppen, die von der Arbeitslosigkeit selbst betroffen oder bedroht sind.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Waigel, Sie haben den Bundeswirtschaftsminister für den Nobelpreis in Schadensmaximierung vorgeschlagen. Ich kann mich leider nicht revanchieren; für einen Nobelpreis in Polemik reicht es wohl doch noch nicht aus. Obwohl das vielleicht eine landsmannschaftliche Besonderheit ist - Ihr großer Vorsitzender ist da noch allemal besser.
({0})
In dem ersten, unterhaltsameren Teil Ihrer Rede haben Sie sich sehr ausführlich mit der FDP und dem Zustand der Koalition befaßt. Herr Kollege, nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, daß dies zwei selbständige und eigenständige Parteien sind.
({1})
Es kommt darauf an, daß wir das, was wir, wenn auch unter Mühen, ausgehandelt haben, hier geschlossen und solidarisch durchsetzen.
({2})
Das scheint mir für eine Koalition ein ganz normaler Vorgang zu sein.
({3})
Herr Kollege Waigel, Sie wurden hier auch noch zum Lehrmeister in bezug auf die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers zu der Frage, ob die Belastungsgrenze erreicht sei oder nicht und wo sie liege. Untersuchen Sie einmal den Unterschied zwischen Durchschnittsbelastung und Grenzbelastung; dann wissen Sie, daß der Bundeswirtschaftsminister hier nur richtige Zahlen verkündet hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Einbringungsrede hat der Herr Bundeswirtschaftsminister für die Bundesregierung deutlich gemacht, daß die akute Wachstumsschwäche der Wirtschaft und die sie auch mittelfristig abzeichnenden Beschäftigungsprobleme nur durch eine mehrjährige wachstums- und beschäftigungspolitische Strategie überwunden werden können. Im Mittelpunkt dieser Strategie muß über die ganze Breite der volkswirtschaftlichen Angebotspalette eine Verstärkung der privaten und öffentlichen Anlageinvestitionen, der Innovationen und des Produktivitätsanstiegs stehen. Nur durch eine solche breit angelegte Modernisierung und Ausweitung des Produktionspotentials können in den nächsten Jahren genügend Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Diese Position wird von der FDP-Fraktion voll getragen.
({4})
Die FDP-Fraktion steht deshalb auch uneingeschränkt und einhellig hinter der Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität. Die in dieser Gemeinschaftsinitiative vorgeschlagenen Maßnahmen schließen nahtlos an die Maßnahmen der Operation '82 an.
({5})
Für uns sind folgende Punkte dieser mittelfristigen Strategie von besonderer Bedeutung: Das Bruttosozialprodukt muß auf mittlere Sicht weiter von der konsumtiven zur investiven Verwendung hin umgeschichtet werden; der Abbau des Leistungsbilanzdefizits muß fortgesetzt werden; die mit der Operation '82 - das ist wohl eines der schwierigsten Kapitel - eingeleitete Reduzierung der Kreditfinanzierung des Bundeshaushalts muß mittelfristig fortgesetzt werden; die Maßnahmen zur Überwindung der Wachstums- und Strukturschwäche der Wirtschaft dürfen nicht durch eine dauerhafte Erhöhung der Steuerquote finanziert werden; unberechtigte Investitionshemmnisse müssen abgebaut werden. Dies ist das Kernstück der Gemeinschaftsinitiative. Ihm dienen alle Zielsetzungen, alle Anstrengungen, damit die Investitionskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verbessert werden.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Kollege Waigel, im bisherigen Teil der Debatte hat sich der Finanzierungsteil wohl als das problematischste Teilstück dieser Gemeinschaftsinitiative herausgestellt.
({7})
Ich will Ihnen dazu ein ganz offenes Wort sagen, insbesondere auch dazu, was das Verhalten der Freien Demokratischen Partei in dieser Frage betrifft.
({8})
Es hat sich, lieber Herr Kollege, inzwischen herumgesprochen, daß diese Idee ja wohl im Wirtschaftsministerium gezeugt worden ist. Es hat sich auch herumgesprochen, daß wir anschließend eine kurze Zeit lang Schwierigkeiten hatten, dieses Sorgenkind anzunehmen.
({9})
Aber die Juristen würden sagen: Dieses Sorgenkind ist dann durch nachfolgende Eheschließung legitimiert worden, und dazu stehen wir;
({10})
das ist auch gut so, Herr Kollege Waigel. Man möchte sogar meinen, daß - umgekehrt -, wie das bei Problemkindern j a nicht selten der Fall ist, inzwischen geradezu eine besondere Zuneigung entwickelt worden ist, insbesondere was die Verwendung dieses Mehraufkommens aus der Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1984 betrifft. Dies müßte - Sie haben es angedeutet - nicht nur Ihr Verständnis finden, sondern diesem Teil zumindest müßten Sie auch aus Überzeugung zustimmen. Sie haben es, wie gesagt, angedeutet, es läßt sich aber auch aus der Vergangenheit belegen. In der „Quick" vom 2. September 1976 z. B. hat der verehrte Ministerpräsident des Freistaates Bayern erklärt, eine Mehrwertsteuererhöhung sei dann sinnvoll, wenn der Mehrertrag aus dieser Steuererhöhung zur Senkung der drükkenden Lasten direkter Steuern in etwa gleichem Umfang verwendet werde. Exakt das, meine Damen und Herren, wollen wir am 1. Januar 1984 tun.
({11})
Ich könnte die Liste der Zitate zwar fortsetzen, aber es erübrigt sich, weil ja wohl überhaupt kein Dissens darüber besteht, daß es eine für die mittelfristigen Strukturdaten sinnvolle Maßnahme ist, direkte Steuern auf indirekte Steuern in gewissem Umfang umzuschichten. Dies gehört mit zu den Strukturverbesserungen, die im Rahmen der Gesamtstrategie insgesamt angestrebt werden. Das ist vernünftig, das ist sinnvoll.
({12})
Dann reduziert sich aber der gesamte Streit über die Mehrwertsteuererhöhung auf die nahezu wirklich marginale Frage, ob es vertretbar ist, die Mehreinnahmen aus sechs Monaten Mehrwertsteuererhöhung dafür zu verwenden, in einer konjunkturpolitisch schlimmen Situation den Versuch zu unternehmen, Anstöße zu geben. Genau das ist es, was wir mit der Investitionszulage wollen. Dies ist der ganze Kern des Streits.
Da kam das Nein der unionsregierten Länder schnell und unisono. Ich sage hier ganz klar: Wenn es in den kommenden Verhandlungen im Bundestag und im Bundesrat dabei bleiben sollte, übernehmen die Ministerpräsidenten der CDU/CSU am Beginn der zwei Jahre, in denen sie sich allesamt zur Wahl zu stellen haben, eine außerordentliche Verantwortung.
({13})
Sie wollen es dann auf sich nehmen, daß die besonders für die mittelständische Wirtschaft konzipierte und annehmbare Investitionszulage ausbleibt.
({14})
Sie wollen es auf sich nehmen, daß die mit dieser Zulage verknüpfte Anstoßwirkung für Investitionen ausbleibt. Wir schätzen sie auf 40 Milliarden; genau kann man das nicht wissen. Ich interpretiere es so, daß sie es auch auf sich nehmen wollen, daß zum 1. Januar 1984 keine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer erfolgt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Ich bitte um Nachsicht. Es tut mir leid, aber die Geschäftsführung hat mir eben fünf Minuten von meiner Redezeit abgeknapst.
Das heißt, Sie sind nicht damit einverstanden. - Bitte, fahren Sie fort.
Es wäre verhängnisvoll, wenn der sich abzeichnende Pakt der wirtschaftspolitischen Vernunft aus einem übersteigerten Konfrontationsbedürfnis - oder sollte ich lieber sagen: aus ungeduldigem Drängen zur Macht - nicht zustande käme.
({0})
Erfolg kann diese Gemeinschaftsstrategie aber nun in der Tat nur haben, wenn alle Verantwortlichen, die Unternehmer, die Gewerkschaften, die Bundesbank und die Verbände wie die Bundesregierung und das Parlament, ihrer Verantwortung gerecht werden. Insbesondere die Tarifvertragsparteien müssen den Umstrukturierungsprozeß der Volkswirtschaft unterstützen und, wenn man so will, mitfinanzieren. Wir brauchen eine von Solidarität gegenüber den Arbeitslosen getragene deutliche Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften und Unternehmer in den laufenden Tarifvertragsverhandlungen. In dieser Situation - lassen Sie mich das einschieben - scheint mir das Zelebrieren der „neuen Beweglichkeit" höchst überflüssig zu sein.
({1})
Wir brauchen aber genauso ein preisbewußtes Verhalten der Unternehmen.
Die sozialliberale Koalition selbst hat nie ihre Mitverantwortung für die Beschäftigungssituation geleugnet. In unserem marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftssystem aber liegt diese Verantwortung eben nicht allein beim Staat, sie liegt bei allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten.
Von allen Seiten ist Solidarität mit jenen zu verlangen, die Arbeit wollen, aber keine Arbeit finden.
({2})
Durch eine solche Strategie ergibt sich dann hoffentlich auch möglichst bald jener Spielraum für weitere zinspolitische Signale der Bundesbank. Wir alle haben es immer wieder betont: eine deutliche Absenkung des Zinsniveaus wäre nun in der Tat das beste Beschäftigungsprogramm.
Meine Damen und Herren, ich will aber eine Branche ansprechen, die von der derzeitigen Situation besonders heftig getroffen ist. Ich meine die Bauwirtschaft. Die Zahlen, die man dort liest und von denen man hört, lesen sich fast schon wie Horrorzahlen. Die Bauproduktion ging 1981 um 6 % zurück.
({3})
An Arbeitskräften im Bauhauptgewerbe wurden im vergangenen Jahr etwa 90 000 freigesetzt; für dieses Jahr erwartet man noch einmal die gleiche Zahl, wenn nicht noch mehr.
({4})
Es scheint deshalb in der Tat überzeugend und richtig zu sein, daß sowohl die wohnungspolitischen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung vom 27. Mai 1981 wie auch die beschäftigungswirksamen steuerpolitischen Maßnahmen im Rahmen der „Operation '82" wie jetzt auch wiederum wesentliche Teile der Gemeinschaftsinitiative dem Ziel dienen, diese negative Entwicklung möglichst rasch und nachhaltig abzubremsen.
Wenn der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen gestern selbst in der „Welt" bestätigt worden ist, daß sich die Wohnungspolitik in den letzten Monaten in einem Tempo bewegt habe, wie es niemand für möglich gehalten hätte,
({5})
dann kann uns wohl niemand Untätigkeit vorwerfen. Obwohl das gesamte Bündel - -({6})
- Also, Herr Kollege Dr. Kohl, wenn wir uns darüber unterhalten wollen, wer von wem abschreibt, dann müssen wir in der historischen Aufarbeitung wahrscheinlich noch ein bißchen weiter zurückgehen, dann hebt sich das mindestens wieder auf.
({7})
In der Tat hat sich aber das ganze Bündel der Maßnahmen offenbar bis heute noch nicht bis in alle Investorengruppen herumgesprochen. Ich will hier jetzt nicht alle Einzelpunkte aufzählen: von den Abschreibungsverbesserungen bis zur Mobilisierung gebundener Subventionsmilliarden aus der Vergangenheit durch das Haushaltsstrukturgesetz. Dazu nur soviel - das hat auch der Bundeswirtschaftsminister gesagt -: Nun erwarten wir in der Tat aber auch von allen Bundesländern, daß sie die Möglichkeiten voll ausschöpfen und im Wohnungsbaubereich wieder voll investieren und nicht etwa sonstige Haushaltslücken auf diese Art und Weise elegant schließen. Das ist unverzichtbar.
Ich will nur kurz noch einmal die zusätzlichen Punkte der Gemeinschaftsinitiative ansprechen, die sich im Baubereich auswirken können. Da ist das Kreditprogramm des ERP-Sondervermögens und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, da sind die zusätzlichen Mittel für Hochbaumaßnahmen des Bundes, insbesondere für Energieeinsparung und Modernisierung. Ich will auch die Fortentwicklung der mietrechtlichen Rahmenbedingungen hervorheben.
Es ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich, in diesem Zusammenhang zu argumentieren, die Verbesserung der mietrechtlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau produziere zwar höhere Mieten, aber keine einzige neue Wohnung. Meine Damen und Herren, niemand hat jemals behauptet, daß eine maßvolle Verbesserung der Ertragssituation bei Bestandswohnungen dazu führe, daß der Eigentümer den Ertrag, den er erwirtschaftet, unmittelbar wieder im Neubaubereich anlegt. Das hat niemand behauptet. Aber auch die Durchführung
von Bestandserhaltungsmaßnahmen, die wegen unzulänglichen Ertrags aufgeschoben worden sind, sichert Beschäftigung und ist eine sinnvolle wohnungswirtschaftliche Investition.
({8})
Insbesondere von Großanlegern erwarten wir eben als Folge von Staffelmieten und nicht zu üppig gebremsten Bestandsmieten einen Wiedereinstieg in Wohnungsbauinvestitionen.
Lassen Sie mich auch folgendes sagen. Wenn ein alter Handwerker, der einmal seine Alterssicherung in Miethäusern gesucht und gefunden hatte, einen etwas höheren Ertrag bekommt - und dabei immer noch deutlich hinter den Rentensteigerungen sonstiger Alterssicherungssysteme zurückbleibt -, dann scheint mir auch das ein politisch vertretbarer und vernünftiger Effekt zu sein.
Meine Damen und Herren, entscheidend ist, daß insgesamt für Investoren in diesem Bereich das Vertrauen wiederaufgebaut wird, daß eine angemessene Bewirtschaftung von Wohnungen wenigstens rechtlich zulässig ist.
Es ist diesem Ziel allerdings nicht förderlich, wenn mit den Beratungen über eine vorsichtige Liberalisierung der Zweifel an ihrer Wirksamkeit gleich mitgeliefert oder gar die Revision kurzfristig ins Auge gefaßt wird.
({9})
Veränderungen im Mietrecht sind stets von besonderer politischer Brisanz. Man wird immer zwischen dem notwendigen, unverzichtbaren Schutz des Mieters und den Auswirkungen auf das Investitionsklima abwägen müssen. Wir meinen, daß da in der Vergangenheit etwas in Unordnung geraten ist, und glauben, daß diese Abwägung nunmehr wieder ausgeglichen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Appell schließen. In der Tat kann die Gemeinschaftsinitiative im Interesse unseres Volkes, unserer Bürger und unserer Arbeitslosen nur funktionieren, wenn wir alle daran mitwirken, wenn wir hier keine kurzsichtigen parteipolitischen Auseinandersetzungen suchen, sondern gemeinsam versuchen, mit dieser Situation fertig zu werden. Das gilt für alle, auch für den Bundesrat.
Meine Damen und Herren, ich hoffe im Interesse des sozialen Friedens in diesem Lande, daß uns die schwierige Aufgabe gelingt. - Herzlichen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Geißler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst etwas zu den Ausführungen von Herrn Roth sagen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Massenarbeitslosigkeit mit 1,9 Millionen. Wir haben 600 000 Kurzarbeiter. Es gibt bei uns 700 000 Bürger, die arbeiten wollen, sich aber gar nicht mehr registrieren lassen, weil sie keine Aussicht mehr sehen, vom Arbeitsamt eine Arbeit vermittelt zu bekommen.
({0})
- Warten Sie doch ab, Herr Roth! - Dies ist ein
schweres wirtschaftliches Problem. Aber es ist
gleichzeitig ein schweres menschliches Problem
({1})
für alle, die davon betroffen sind, nicht nur für die Arbeitslosen selber, sondern auch für ihre Familien.
Deswegen - das will ich ganz offen sagen, und Sie können sich darauf verlassen - nehmen wir jeden Vorschlag, der vorgibt, mit diesem Problem fertigzuwerden oder es auch nur zu mildern, nicht auf die leichte Schulter und tun ihn nicht mit der linken Hand ab. Aber wir müssen das, was Sie heute zur Lösung dieses auch menschlich schweren Problems vorschlagen, doch an der Aufgabe messen, die vorhanden ist. Diese Arbeitslosigkeit ist doch nicht über Nacht über uns gekommen, sondern sie ist das Ergebnis einer lang angelegten Wachstumskrise, Strukturkrise, Innovationskrise, und sie wird heute verschärft durch den Rationalisierungsdruck, den Technologieschub, z. B. durch die Mikroprozessoren, und die verringerte Aufnahmekapazität im öffentlichen Dienst.
Messen Sie das, was Sie heute vorgeschlagen haben, an der Problematik, die zugrunde liegt, und an der Aufgabe, die es noch zu bewältigen gilt! Ich kenne aus der gesamten deutschen Presse, aus den Verbänden, aus den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten in der ganzen Bundesrepublik Deutschland niemand, der der Überzeugung ist, daß dieses Programm auch nur im Ansatz geeignet ist, dieser Herausforderung gerecht zu werden.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Bitte schön, Herr Roth.
Herr Abgeordneter Roth, bitte.
Herr Kollege Geißler, ich habe mit großem Interesse und im Grund mit Zustimmung gehört, was Sie zu den komplexen Ursachen heutiger Arbeitslosigkeit zu sagen hatten. Ich stimme Ihnen zu.
Meine Frage lautet deshalb: Unter dem 2. März 1982 schreibt der CDU-Pressedienst:
In seinem Lagebericht vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Dr. Kohl heute ausgeführt:
Arbeitsmarkt: Unsere Strategie muß klar und unmißverständlich bleiben. Die Verantwortung für die zwei Millionen Arbeitslosen, für die dramatische Staatsverschuldung, für die wirtRoth
schaftliche Rezession tragen die Bundesregierung und die SPD/FDP-Koalition.
({0})
Glauben Sie wirklich, daß diese einseitige primitive Schuldzuweisung bei einer komplexen Lage mit den Ausführungen übereinstimmt, die Sie gerade gemacht haben?
({1})
Herr Roth, Sie können gleich stehen bleiben.
({0}) Sie können gleich stehen bleiben.
({1})
Ich habe gesagt: Dies ist die Folge einer lang angelegten Krise des Wachstums, der Struktur, der Innovation usw. Wir haben seit 1975 Arbeitslosigkeit, und zwar Millionenarbeitslosigkeit. Im Jahre 1977 hat der Parteivorsitzende der CDU, Helmut Kohl, ein Vollbeschäftigungsprogramm mit einer sauberen Analyse, mit glasklaren Perspektiven, mit einem Katalog von Maßnahmen von Investitionsförderung bis zur flexiblen Lebensarbeitszeit vorgelegt. Aber Sie haben doch alles in den Wind geschlagen, was man Ihnen damals gesagt hat. Hätte man damals von seiten der Bundesregierung diese Maßnahmen ergriffen, Hunderttausende von Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland hätten noch heute ihren Arbeitsplatz.
({2})
Herr Roth, Ihre Ausführungen in Ehren: Sie können doch beim besten Willen nicht so tun, als ob Sie nicht bereits seit 12 Jahren an der Regierung seien, als ob die Krise wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen sei. Mit Recht hat der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Dieter Mertens, festgestellt, dies sei die bestprognostizierte Krise des Jahrhunderts. Das war alles vorauszusehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Der Herr Bundeskanzler, der jetzt nicht da ist, wollte der Weltökonom sein. Diese Regierung ist aus eigener Schuld, auf Grund eigener Versäumnisse zu einer Regierung der Arbeitslosigkeit geworden.
({4})
Die jetzige Situation gibt Anlaß, noch über etwas anderes nachzudenken. Ich habe mir die Reden sehr sorgfältig angehört. Wir laufen in der regierungs- amtlichen und auch in der wissenschaftlichen Diskussion vielleicht die Gefahr, die Sache zu sehr in den Teilaspekten zu sehen. Dieses Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung und seine Finanzierung müssen Anlaß sein, einmal darüber nachzudenken, nach welchen Zielen und nach welchen Prinzipien bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Entscheidungen getroffen werden.
Herr Roth, Sie haben das BAföG angesprochen. Ich bin sehr dankbar, daß Sie dieses Beispiel gebracht haben. Warum sollen wir eigentlich in dieser
angespannten - auch sozialpolitisch angespannten
- Situation nicht darüber nachdenken, ob z. B. das BAföG, das 260 oder 270 Mark beträgt, für einen Arbeitnehmer mit einem Einkommen unter 2 000 oder 1800 Mark nicht auf 200 Mark reduziert werden kann? Niemand von uns redet doch davon, daß wir das BAföG streichen wollen.
({5})
Aber der Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 2 200 oder 2 300 Mark hat auch nicht die Möglichkeit, seinem Sohn 100 oder 200 Mark zur Verfügung zu stellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum soll denn ein Student nicht Darlehen bekommen und eines Tages, wenn er einen Beruf hat, in dem er mehr verdient als der Durchschnitt der Arbeitnehmer, das Darlehen wieder zurückzahlen?
({6})
Es ist ja außerordentlich interessant, nach welchen Kriterien Sie vorgehen. Sie können heute in jeder Versammlung, in jeder Sprechstunde erleben, daß die Rentner kommen und Ihnen vorrechnen, daß sie inzwischen viermal zur Kasse gebeten werden: durch die Mehrwertsteuererhöhung, durch die Mietpreiserhöhung, durch den vorgezogenen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner. Und wenn Sie, Graf Lambsdorff, recht behalten sollten und am 1. Januar 1984 die erhöhte Mehrwertsteuer - wohlgemerkt: da ist der inflationsbedingte Steuerzugewinn des Staates noch gar nicht abgegolten - in Form der Senkung der Lohnsteuer an die Leute zurückgeben, dann gehen die Rentner wieder leer aus. Sie werden allein durch diesen Vorschlag viermal zur Kasse gebeten.
Wir haben neulich hier im Bundestag den Agrarbericht miteinander diskutiert.
({7})
- Herr Westphal, eine kleine Sekunde. Lassen Sie mich das - ({8})
- Ich möchte dies im Zusammenhang ausführen.
({9})
- Ich komme schon dazu. Ich möchte dies hier im Zusammenhang ausführen.
({10})
- Ich komme noch zu den Rentnern. Warten Sie einmal ab!
Wir haben im Jahre 1981 bei den Landwirten im Schnitt einen Einkommensverlust von über 10 %, von 12 %. Unter diesen Leuten sind viele durch die gleichzeitige Kindergeldkürzung besonders betroffen.
({11})
Jetzt sage ich Ihnen einmal die andere Seite. Vor wenigen Wochen hat diese Bundesregierung vorgeschlagen, dem öffentlichen Dienst eine Kürzung der Gehälter und der Löhne um 1 % zuzumuten. Der Vorschlag war kaum verkündet, da war er auch schon wieder vom Tisch. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Zufall. Da liegt System dahinter, das hat ideologische Wurzeln.
({12})
Der eigentliche Konflikt, der in dieser Gesellschaft ausgetragen wird, vollzieht sich doch nicht mehr zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften - das ist Ihr großer Irrtum; die Bundesregierung glaubt vielleicht auch noch daran -, sondern die Wirklichkeit ist eine ganz andere: Große Verbände, große Interessengruppen, mächtige Interessengruppen einigen sich auf dem Rücken Dritter und Vierter, z. B. der Rentner, der Familien mit Kindern, der kleinen Landwirte. Das ist die Situation.
({13})
- Ich komme noch dazu.
Es ist schon schlimm, daß die Bundesregierung keine Autorität besitzt, um dieses Ein-Prozent-Opfer dem öffentlichen Dienst gegenüber durchzusetzen; daß aber gleichzeitig den Familien mit Kindern das Kindergeld gekürzt wird, den Landwirten eine Einkommenskürzung von über 10 % zugemutet wird und die Rentner gleich viermal zur Kasse gebeten werden, das hat mit sozialer Gerechtigkeit überhaupt nichts mehr zu tun.
({14})
- Ich weiß schon, warum Sie schreien. Das ist mir völlig klar.
({15})
Sie können das Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung und diese Vorgänge doch nicht aus dem Zusammenhang herausreißen. Die Vorgänge um die Haushalte 1981 und 1982 werfen die Frage auf, ob wir uns von einem demokratischen Rechts-
und Sozialstaat zu einer Catch-as-catch-can-Gesellschaft entwickeln, in der das Gesetz des Dschungels, das Recht des Stärkeren, herrscht. Das ist ein entscheidendes Problem.
({16})
Die einen setzen sich durch, die anderen bleiben auf der Strecke. Die einen können sich auf ihre Lobby verlassen, die anderen sind verlassen, vor allem von dieser Koalition.
Ich möchte einmal die Frage stellen: Was ist denn das für eine Gesellschaft, in der sich diejenigen am besten durchsetzen können, die die stärksten Ellenbogen haben, die Großindustrie gegen den Mittelstand,
({17})
die Arbeitsfähigen gegen die alten Leute und diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, gegen die Arbeitslosen? Das ist keine Gesellschaft, die mit den Grundwerten unserer Verfassung übereinstimmt.
({18})
Sie glauben, Sie könnten sich mit einem Beschäftigungsprogramm - das in Ihren eigenen Reihen umstritten ist - ein Alibi schaffen. Seit zwölf Jahren tragen Sie die Regierungsverantwortung. Niemals zuvor in der über 32jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - und dieses Beschäftigungsprogramm und seine Finanzierung beweisen dies wieder - sind die sozial Schwächeren so belastet worden wie unter einer von der SPD geführten Regierung.
({19})
Am meisten betroffen wurden Arbeiterfamilien mit Kindern, Rentner, Schwerbehinderte, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose.
Arbeiterfamilien mit Kindern werden durch die jüngsten Maßnahmen gleich dreifach belastet, einmal durch die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer, dann durch die Erhöhung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung und ferner durch die Kürzung des Kindergeldes. Alle diese drei Maßnahmen zusammengenommen betragen für eine Familie mit drei Kindern auf das Jahr bezogen einen Einkommensverlust von über 800 DM.
Und die Rentner - der Herr Ehrenberg kann j a nachher dazu Stellung nehmen und das widerlegen - sind in den letzten Jahren durch die Sozialdemokraten noch mehr zur Kasse gebeten worden. Der Rentenverlust einschließlich der Maßnahmen nach den Rentenänderungsgesetzen im Jahre 1978 und in den folgenden Jahren beträgt auf das Jahr bezogen über 1000 DM pro Rentner.
Ich sage Ihnen das eine: Die SPD ist eine Regierungspartei, aber sie ist keine Arbeiterpartei mehr und keine Rentnerpartei mehr.
({20})
- Ich weiß doch, daß Sie, Herr Roth, mir in der Analyse recht geben. Die Entwicklung ist für Sie doch inzwischen unerträglich geworden. Das wissen wir. Sie setzen sich mit Ihren sozialpolitischen Zielen, mit Ihrem sozialpolitischen Gewissen in dieser Koalition nicht mehr durch. Ihr sozialpolitisches Gewissen opfern Sie doch auf dem Altar der Bundesregierung. Das ist doch die Situation, in der wir uns befinden.
({21})
Sie lassen sich den Willen der Freien Demokraten in dieser Frage aufzwingen,
({22})
also von einer Partei, von der niemand so recht weiß, nach welchen Grundsätzen sie gerade handelt.
Herr Westphal, ich komme gleich auf die Mietpreiserhöhungen zu sprechen.
({23})
- Verehrter Herr Wehner, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Sie legen falsches Zeugnis ab gebenüber den sozial Schwachen und der Arbeiterbewegung, wenn Sie hier ein Programm mittragen, das fast ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmer und der sozial Schwachen geht. Das will ich Ihnen einmal sagen.
({24})
Sie tragen doch nur noch Plakate vor sich her. Es sind aber sozialpolitische Inhalte gefragt, nicht Zwischenrufe wie der von eben.
({25})
- Ich komme noch dazu.
Wir sind der Auffassung, daß es in dieser schwierigen Zeit ohne Einschränkungen nicht geht.
({26})
- Jawohl, dieser Auffassung sind wir. Aber jetzt kommt der große Unterschied zu Ihnen.
({27})
Ich will ihn hier einmal darlegen. Wir sind davon überzeugt, daß die Bürger - auch diejenigen, die ein geringeres Einkommen haben - bereit sind, in einer schwierigen Situation der Gesellschaft und des Staates Opfer zu bringen. Allerdings sind sie nur dann bereit, Opfer zu bringen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorhanden sind. Dazu gehört erstens, daß man den Bürgern klarmacht, wofür diese Opfer gebracht werden, zweitens, daß die Bürger wissen, daß sie gerecht behandelt werden, und drittens, daß die Bürger wissen, daß sie diese Opfer nicht umsonst bringen.
({28})
Diese drei Voraussetzungen sind heute nicht gegeben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jens?
Bitte schön.
Herr Geißler, Sie sprechen ja sonst im allgemeinen viel vernünftiger. Haben Sie denn nicht das Gefühl, daß die Kürzung des BAföG insbesondere für die Arbeiterkinder oder etwa die Kürzung des Arbeitslosengeldes nun wirklich die Schwächsten in unserer Gesellschaft trifft?
({0})
Sie haben eben nicht einmal im Ansatz dem zugehört, was ich gesagt habe.
({0})
- Herr Westphal, ich will Ihnen einmal folgendes sagen. Was ich hier sage, rede ich auch in das eigene Gewissen hinein. Ich habe - Sie sollten dies vielleicht auch tun - die Entwicklung in den letzten Monaten sehr genau beobachtet. Ich komme nachher, wenn wir über die Mehrwertsteuererhöhung sprechen, noch einmal auf dieses Thema. Diese Frage, die Sie aufwerfen, ist durchaus berechtigt. Sie stehen aber hier und stellen mir die Frage. Wir haben
- auch im Vermittlungsausschuß - vielen Dingen zustimmen müssen, die uns nicht gefallen, Dingen, die wir genauso ablehnen, auch aus sozialpolitischen Gründen. Daß wir zustimmen mußten, auch die Länder
({1})
- hören Sie doch einmal zu; nehmen Sie die Sachen ernst -, hat doch seinen Grund darin, daß wir durch eine verfehlte Finanzpolitik in diese Zwangslage hineingebracht worden sind.
({2})
Aus ihr müssen wir wieder herauskommen. Ich habe drei Voraussetzungen genannt.
({3})
Sie sind eben nicht mehr gegeben. Die Leute glauben nicht mehr daran, daß Opfer einen Sinn haben. Sie glauben nicht daran, daß sie gerecht behandelt werden. Sie glauben nicht, daß es mit dieser Regierung oder diesem Programm einen neuen Anfang gibt.
Diese geistige und wirtschaftliche Krise ist die Folge einer moralischen Krise der Regierung und eines weitgehenden Verlustes an Glaubwürdigkeit. Wer alle 14 Tage seine Meinung wechselt und fast ununterbrochen das Gegenteil von dem tut, was er vorher gesagt hat, verspielt eben jeden Kredit. Der Bundeskanzler hat am 6. März 1974 erklärt - Herr Präsident, ich darf zitieren -:
Das, was man verspricht, muß man auch halten,
({4})
und deswegen habe ich in meinem ganzen politischen Leben immer wieder versucht, nur soviel zu versprechen, wie ich weiß, daß man halten kann.
Die Wirklichkeit, Herr Wehner, ist für ihn, aber auch für Sie grausam. Es hat in der ganzen Nachkriegsgeschichte - das behaupte ich -, Bund und Länder eingeschlossen, keine Regierung gegeben, die das deutsche Volk, gemessen an Versprechen und Wirklichkeit, so wie Ihre Regierung hinter das Licht geführt hat.
({5}) Da reden Sie von falschem Zeugnis.
(Wehner [SPD]: Ich habe Ihnen gesagt, ob
Sie usw.
- Sie haben von falschem Zeugnis geredet. Sie gehören dazu. Das ist nicht unsere, sondern Ihre Krise, Ihre Unglaubwürdigkeit.
({6})
Soll ich Ihnen einmal vorlesen, was Sie gesagt haben? - „Das war eine unverantwortliche Opposition." Und Sie machen uns Vorwürfe, weil wir dazu beitragen, dieses Problem zu lösen, das andere geschaffen haben!
({7}) Sie können noch mehr hören.
Daraus resultiert natürlich auch die Unfähigkeit, ein wirklich umfassendes, langfristig wirkendes Gesamtkonzept als Antwort auf die große Herausforderung der Arbeitslosigkeit zu geben. Wir bestreiten gar nicht, daß in dem Programm verschiedene Punkte enthalten sind, die richtig sind. Herr Westphal, jetzt kommen wir zu der Mietpreiserhöhung. Unser Vorwurf richtet sich gegen etwas ganz anderes. Dieses Programm löst sich leider Gottes in Einzelaktionen auf, die für sich und insgesamt unzureichend sind, die sich zum Teil gegenseitig widersprechen. Was hat denn der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner in diesem Programm verloren?
({8})
Diese Einzelmaßnahmen sind dem Bürger unverständlich und kommen ihm ungerecht vor.
Herr Westphal, Sie sagen, wir würden die Mietpreiserhöhung vorschlagen.
({9})
- Ich darf Sie bitten, daß Sie sich das einmal anhören.
({10})
- Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen mehr zu; denn ich bin in meiner Zeit begrenzt.
({11})
- Ich habe wirklich nicht den Eindruck, daß ich vor Ihnen Angst habe.
({12})
Das brauchen Sie wirklich nicht zu sagen. Herr Westphal, hören Sie einmal genau zu!
({13})
Wir schlagen die Mietpreiserhöhung ebenfalls vor, aber der grundlegende Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin, daß wir die Mietpreiserhöhung vor einem Jahr im Rahmen eines Gesamtpaketes vorgeschlagen haben, in dem wir gleichzeitig eine Reaktivierung der Zinsen für die Altbaudarlehen vorgeschlagen haben, um eine Steigerung des Wohnungsbauvolumens herbeizuführen. Gleichzeitig wollten wir steuerrechtliche Vorschriften geändert haben, die den Wohnungsbau ebenfalls positiv beeinflußt hätten.
({14})
Sie können sogar einem Mieter, Herr Westphal - das muß man begreifen -, eine Mietpreiserhöhung verständlich machen, wenn Sie ihm gleichzeitig klarmachen, daß der Wohnungsmarkt durch begleitende Maßnahmen mobilisiert wird, Zehntausende neue Wohnungen gebaut werden und dadurch mittelfristig auch für den Mieter durch Entspannung des Wohnungsmarktes eine Entlastung eintritt. Das ist der entscheidende Punkt.
({15})
Was haben Sie denn gemacht? Sie haben sich unsere Vorschläge - das war ein schlüssiges, in sich geschlossenes Konzept - stückweise und zeitlich versetzt abringen lassen. Im September, ein halbes Jahr zu spät, haben Sie die steuerrechtlichen Vorschriften gebracht. Im Dezember kam die Sache mit der Reaktivierung der Zinsen, und jetzt kommen Sie mit den Mietpreiserhöhungen. Sie haben den inneren Zusammenhang eines in sich schlüssigen und auch ausgewogenen Konzeptes zerstört. Jetzt brauchen Sie sich natürlich nicht zu wundern, wenn der Zusammenhang bei den Leuten nicht präsent ist und bei ihnen nur die Mietpreiserhöhung im Kopf hängenbleibt. So können Sie in dieser Gesellschaft keinen Konsens erreichen. Darum aber geht es.
({16})
Der Konsens fehlt bei Ihnen. Das ist das Fazit. Bei dieser Koalition wird nicht das gemacht, was für das Land vernünftig ist, sondern was der eine Koalitionspartner dem anderen gerade unter jeweils sich verändernden günstigen oder ungünstigen parteipolitischen Umständen aus der Rippe schneiden kann. Das ist die Situation.
Wir haben es daher nicht nur mit einer Wirtschaftskrise, sondern auch mit einer viel umfassenderen gesellschaftlichen und geistigen Krise zu tun.
({17})
Wir wissen seit Ludwig Erhard - und dies war immer die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft -, daß zur Ankurbelung einer Volkswirtschaft nicht nur der Einsatz materieller Ressourcen gehört - wie z. B. eben ein solches 10 %-Zulagen-Programm -, sondern: Vollbeschäftigung, wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit sind nicht das Ergebnis technokratischer Einzelmaßnahmen, wie sie die Regierung vorgelegt hat, sondern das Ergebnis von politischen Zielen, die in der Lage sind, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Gemeinsinn zu mobilisieren.
({18})
- Ja, deswegen funktioniert es bei Ihnen nicht, weil Sie das als eine „Leerformel" bezeichnen. Das ist sehr aufschlußreich, was Sie hier gesagt haben.
In der jetzigen Situation ist genau das erforderlich, was der Bundeskanzler schon immer, auch hier
im Deutschen Bundestag, bestritten hat, nämlich die geistige Führung. Was wollen Sie denn eigentlich einem Rentner sagen, der heute weniger Geld zur Verfügung hat, wenn im Herbst die Arbeitslosenzahlen weiter steigen? Was wollen Sie denn dem Familienvater sagen, dessen Einkommen Sie gekürzt haben, wenn er im Herbst erkennen muß, daß sein finanzielles Opfer umsonst war? Man kann nicht mit dem Finanzknüppel den Bürgern Gemeinsinn einbleuen wollen. Nötig ist eine Besinnung auf die geistigen und moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft.
({19})
Die Entsolidarisierung schreitet eben auch deswegen fort, weil diese Regierung nicht mehr für alle handelt und nicht mehr an das Ganze denkt. Das hat schon seine Auswirkungen.
Die Koalition behauptet, wir torpedierten durch die Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung ihr Beschäftigungsprogramm. Wir verhindern ein Steuererhöhungsprogramm; das hat der Kollege Waigel schon gesagt. Wir lehnen die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, weil sie die Kosten erhöht, die Inflation anheizt, die Tarifverhandlungen belastet und deshalb im Endeffekt noch mehr Menschen um ihren Arbeitsplatz bringt.
({20})
Die Mehrwertsteuererhöhung ist außerdem unsozial, weil sie die Arbeitnehmer, die Rentner und die Arbeitslosen selbst überproportional belastet. Wir lehnen die Erhöhung der Mehrwertsteuer auch deshalb ab, weil damit ein Programm von den kleinen Leuten finanziert werden soll, das am Mittelstand vorbei nach allen Erfahrungen - Graf Lambsdorff - im wesentlichen den großen Unternehmen zugute kommt, die das Geld gar nicht brauchen, aber im wesentlichen mitnehmen. Das ist der Punkt.
({21})
Im Endeffekt zahlen die kleinen Leute, und der Beschäftigungseffekt bleibt gleich Null.
Wenn Sie schon ein solches Programm finanzieren wollen, warum greifen Sie nicht auf den Vorschlag der Unionsfraktion zurück - da ist die Schweiz ein gutes Beispiel -, die Finanzhilfen und die Subventionen um insgesamt 5 % zu kürzen. Ich sage allerdings: Die kleinen Leute und die sozial Schwachen haben ihren Beitrag geleistet. Wir fordern jetzt Sie auf,
({22})
die Sozialdemokraten, die Freien Demokraten, die Bundesregierung, nun an die Subventionen heranzugehen.
({23})
Das wird eine weitere Nagelprobe dafür sein, wer Macht in unserem Lande hat, ob die Regierung in der Lage ist, sich gegen starke wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, oder ob sie wieder auf die Belastung der kleinen Leute ausweicht. Das ist Ihre Verantwortung.
({24})
- Das sind alles Wahrheiten, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie ungern hören.
Dieses Programm verschärft wegen seiner Wirkungslosigkeit natürlich noch eine weitere große Gefahr, nämlich die, daß die Massenarbeitslosigkeit - -({25})
- Ja, Sie sind tief getroffen; ich merke dies. Sie sind tief getroffen.
({26})
Herr Abgeordneter, Sie haben eben das Wort „Heuchler" gebraucht. Ich rufe Sie deswegen zur Ordnung.
({0})
Ich will Ihnen folgendes sagen. In einem IG-Metall-Flugblatt steht folgender Satz: „Die Arbeitslosigkeit kann erst beseitigt werden, wenn der Kapitalismus beseitigt ist." Dies ist ein Satz, den viele verwenden, wenn es jetzt um die Diskussion über die Massenarbeitslosigkeit geht. Das heißt: Es gibt immer mehr Leute, die das Faktum der Massenarbeitslosigkeit dazu verwenden, unsere verfassungsrechtliche Ordnung, aber auch die Soziale Marktwirtschaft anzugreifen. Dies ist ein großer Fehler.
Herr Roth hat hier versucht, uns im Bundestag und die Diskussion über unsere Wirtschaftspolitik in zwei Klassen einzuteilen: angebotsorientiert und nachfrageorientiert; Systemkritik; Fiskalisten - Monetaristen, Keynesianer - Milton Friedman usw. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie gehen an den Problemen völlig vorbei. Es geht nicht allein um Angebotsorientierung oder um Nachfrageorientierung. Die Baufirma, die zwei verrostete Baukräne im Hof stehen hat, braucht nicht noch einen dritten, sondern diese Baufirma braucht Aufträge, sie braucht Nachfrage.
({0})
Aus diesem Grund richten wir uns nicht nach Milton Friedman und anderen; wir stehen auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft.
({1})
Das hat weder etwas mit Sozialismus und - - Was meinen Sie, Herr Wehner?
({2})
- Sie waren gerade kurz draußen, Herr Wehner; deswegen kommen Sie wahrscheinlich zu Ihrem Zwischenruf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen heute eine Gesamtkonzeption. Es gibt keine einseitige oder kurzfristige Kur für diese gigantische Krise. Wir stehen vor der Alternative. Entweder sanieren wir mit großer Geduld und Entschiedenheit in allen Bereichen das Fundament einer Wirtschaft, die durch eine falsche Politik angekränkelt ist. Wir haben dazu ein umfassendes Programm vorgelegt. Es ist ein Antrag. Sie können ihm nachher zustimmen; ich lade Sie herzlich dazu ein. Das ist die eine Alternative.
({3})
Oder - das ist die andere Alternative - wir suchen wie Kurpfuscher Augenblickserfolge in hektischen Aktionsprogrammen. Das haben Sie hier vorgeschlagen.
Vor der Bundestagswahl 1972 haben die Sozialdemokraten erklärt:
Jeder Deutsche soll wissen, was das bedeuten würde, eine halbe Million Arbeitslose: Existenzangst, Radikalismus. Dazu darf es nicht kommen. Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiterregieren! Dann bleiben die Arbeitsplätze sicher.
Sozialdemokraten haben weiterregiert. Alle wissen jetzt, was das in Wirklichkeit bedeutet. In dieser Verfassung, mit dieser Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden weder Sie von der SPD noch Sie von der FDP dem Wählerauftrag und den Interessen des Landes gerecht. Sie kennen den Satz von William Gladstone: Ein Staatsmann denkt an die nächste Generation, ein Politiker an die nächste Wahl. - Der Bundeskanzler muß an den nächsten SPD-Bezirksparteitag denken. So weit sind Sie inzwischen!
({4})
Herr Abgeordneter, kommen Sie jetzt bitte zum Schluß.
Ein letzter Satz. - Das alles mag reichen, um sich noch einige Zeit an der Macht zu halten, aber der Preis, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP und von der SPD, ist hoch für unser Land. Auch Sie werden eines Tages daran gemessen, was für Sie wichtiger war: Ihre parteipolitischen Interessen oder das Wohl des Ganzen.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Geißler hat hier ein merkwürdiges Panorama entwickelt
({0})
und den Eindruck zu erwecken versucht als wäre alles sehr viel besser, wenn es eine CSU/CDU-Politik gäbe.
({1})
Herr Kollege Geißler, ich kann nur Ihrem ersten Satz zustimmen - mehr allerdings nicht -, daß Arbeitslosigkeit nicht nur ein schweres wirtschaftliches, sondern noch mehr ein schweres menschliches Problem für jeden Betroffenen ist. Nur dieser Feststellung kann ich zustimmen. Aber wenn Sie dann hinterher auf einen Zwischenruf eines meiner Fraktionsfreunde gesagt haben, Sie redeten in Richtung auf das eigene Gewissen, so muß ich feststellen: Ihre Rede hat die Gewissen der sieben Ministerpräsidenten der CDU/CSU-regierten Länder jedenfalls nicht erreicht.
({2})
Herr Kollege Geißler, ich empfehle Ihnen und Ihren Kollegen in der Fraktion vor dem Hintergrund Ihrer Rede ein bemerkenswertes Dokument zum ausführlichen Studium
({3})
- nein -, die Bundesratsdrucksache 363/81. Das ist die Stellungnahme des Bundesrates zum Haushaltsstrukturgesetz der Bundesregierung, 71 Seiten lang. Allein auf 27 Seiten dieser Stellungnahme hat die CSU/CDU-Bundesratsmehrheit Kürzungen der Sozialhilfe in Höhe von insgesamt 750 Millionen DM gefordert.
({4})
In schwierigen Verhandlungen haben wir das auf 350 Millionen DM drücken, aber nicht ganz vermeiden können, um das Haushaltsstrukturgesetz nicht am Widerstand der von Ihnen regierten Länder scheitern zu lassen.
({5})
Aber, Herr Geißler, noch etwas zu Ihrem ersten, zustimmungsfähigen Satz: Haben Sie auch daran gedacht, daß in derselben Bundesratsdrucksache nicht nur eine Kürzung der Subventionen gefordert wird, wie Sie der Öffentlichkeit jetzt klarzumachen versucht haben? Es heißt dort wörtlich:
Die sonstigen Leistungsgesetze und Subventionen sind mit dem Ziel einer Kürzung um insgesamt etwa 5 v. H. zu überprüfen.
({6})
Das heißt auch 5% Kürzung beim Wohngeld, beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe. Tun Sie nicht so, als ob Sie das Problem der Arbeitslosen sähen, wenn die von Ihnen gestellten Mehrheiten gleichzeitig solche Vorschläge machen, die an die Substanz des Arbeitslosengeldes gehen!
({7})
Noch viel weitergehend ist der Vorschlag der Bundesratsmehrheit, die von uns 1978 eingeführte und wesentlich zur Stabilisierung der Rentenfinanzen beitragende Verpflichtung der Bundesanstalt für ArBundesminister Dr. Ehrenberg
beit, volle Rentenversicherungsbeiträge für jeden Leistungsempfänger zu zahlen, rückgängig zu machen mit dem Ziel, diese Beiträge nicht mehr an den Bruttolöhnen und -gehältern, sondern am Arbeitslosengeld bzw. der Arbeitslosenhilfe zu bemessen. Was im Klartext heißt: die Beitragszahlung der Arbeitslosenversicherung an die Rentenversicherung um mehr als die Hälfte zu kürzen und die Rentenversicherung wieder voll den Schwankungen des Arbeitsmarktes auszuliefern!
({8})
Aber nicht nur das. Dieser Vorschlag würde nämlich bedeuten, Herr Geißler, daß jeder Arbeitslose für sein Schicksal später bei seiner Rentenberechnung dann auch noch bestraft würde. Denn diese Zeit, die seit 1927 bei der Rentenberechnung voll als Ausfallzeit berücksichtigt wird, soll nach dem Vorschlag der CSU/CDU-Mehrheit im Bundesrat nicht mehr berücksichtigt werden. Das heißt: die Arbeitslosen würden später, wenn sie Rentner sind, quasi zurückgeworfen auf die Zeit vor 1927. Das sind Ihre Vorschläge zu unserem Sozialstaat!
({9})
- Das steht alles in der Bundesratsdrucksache 363/ 81. Ich hoffe, verehrter Herr Zwischenrufer, auch Sie sind in der Lage, eine Bundesratsdrucksache nachzulesen. Dort steht das wörtlich so.
({10})
- Es gibt kein Glombig-Papier. Das ist eine Ihrer Erfindungen, mit denen Sie versuchen, die Leute dumm zu machen. So, wie der Kollege Schnipkoweit, der christdemokratische Sozialminister aus Niedersachsen,
({11})
in der letzten Kabinettsitzung dafür eintrat, das Taschengeld um 13 DM zu erhöhen, obgleich die Bundesratsmehrheit selber überhaupt erst Kürzungen der Sozialhilfe in das Haushaltsstrukturgesetz hineingebracht hat.
({12})
- Ich erzähle nicht aus dem Vermittlungsausschuß, Herr Kollege Müller.
({13})
Ich bitte Sie, das nachzulesen. Im Entwurf der Bundesregierung zum Haushaltsstrukturgesetz kam die
Sozialhilfe gar nicht vor. Der Entwurf der Bundesregierung enthält nicht eine einzige Kürzung in der Sozialhilfe.
({14})
- Beschlossen haben wir es im Vermittlungsausschuß auf Grund der Interventionen der sieben voti Ihnen regierten Länder. Wenn jetzt Niedersachsen einen Teil davon aus guten sachlichen Gründen rückgängig macht, dann macht Niedersachsen das rückgängig, was es selber angeregt und in den Vermittlungsausschuß eingebracht hat.
({15})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seiters?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Seiters.
Herr Minister, wieviel Glaubwürdigkeit wollen Sie eigentlich für Ihre jetzigen Ausführungen in Anspruch nehmen, nachdem Sie am Tag vor der Bundestagswahl in Ostfriesland erklärt haben, drei Wochen nach der Bundestagswahl würde über das Thema Staatsverschuldung in Deutschland kein Mensch mehr reden?
({0})
Herr Seiters, über solch einen Zwischenruf sollten wir uns im Emsland zur Faschingszeit unterhalten!
({0})
Alles, was ich hier gesagt habe, betrifft ausschließlich konkret und einzeln Anträge der Bundesratsmehrheit zum Haushaltsstrukturgesetz. Vielleicht sprechen Sie der Bundesratsdrucksache die Glaubwürdigkeit ab; wenn Sie das wollen, ist das Ihre Sache. Ich muß mich an diese Texte halten. Wir haben zu meinem großen Bedauern einen Teil davon im Vermittlungsverfahren übernehmen müssen, weil sonst das Haushaltsstrukturgesetz gescheitert wäre.
({1})
Herr Geißler, Sie haben so breit über die Situation der Rentner gesprochen und kritisiert, daß die Rentner, wie Sie sagen, gleich viermal zu Kasse gebeten werden. Auch hier lohnt sich ein Blick in die berühmt-berüchtigte Bundesratsdrucksache 363/81. Dort hat die CSU/CDU-Bundesratsmehrheit gefordert, bereits 1982, also bei der jetzt laufenden Rentenanpassung, einen Krankenversicherungsbeitrag zu Lasten der Rentner von 2 bis 3 % einzuführen, statt die Renten, wie wir es schon beschlossen hatten, um 5,76 % zu erhöhen. Wenn Sie selber schon für das Jahr 1982 2 bis 3 % fordern, werden Sie uns ja
wohl nicht kritisieren können, wenn wir 1 % ab 1984 einführen.
({2})
Weniger wahrheitsgemäß, als Sie mit den Fakten umgegangen sind, kann man es nicht mehr tun.
({3})
- Sie haben beantragt, die Rentenanpassung um 2 bis 3 % schon im Jahre 1982 zu vermindern. Es ist der Redlichkeit halber notwendig, das hier zu sagen. Sie sollten hier nicht einen großen Rundumschlag der Kritik führen, sondern Sie sollten sich kritisch an den Anträgen der sieben CSU/CDU-regierten Länder messen lassen. Das ist es, was in diesem Hause auf den Tisch muß.
({4})
- Das ist leider gar keine solide Politik, genauso wenig, wenn Herr Geißler hier massiv den Vorwurf erhebt, daß wir mit unseren Sparvorschlägen nur die Kleinen und nicht die Großen erfassen würden. Wer hat denn im Bundesrat, im Vermittlungsausschuß dafür gesorgt, daß die Steuerbegünstigung von Veräußerungsgewinnen, die wir einschränken wollten, wieder voll erhalten geblieben ist? Wer hat denn dafür gesorgt, daß die Mehrwertsteuer bei der Anschaffung von Betriebs-Pkw so geblieben ist, wie sie ist? Wir doch wohl nicht, sondern die Bundesratsmehrheit, Herr Geißler! Ich bitt' Sie sehr, diese 71 Seiten Anträge nachzulesen, bevor Sie das nächste Mal über unsere und Ihre Politik reden.
({5})
Dann haben Sie behauptet, wenn man nur Ihre Vorschläge von 1975 aufgenommen hätte, ginge es besser, und Sie haben die Bundesregierung der Untätigkeit bezichtigt. Vielleicht darf ich daran erinnern - Sie können jede Zahl davon nachprüfen -: Wir haben hier 1977 das Zukunftsinvestitionsprogramm in der Größenordnung von 20 Milliarden DM beschlossen. Von 1977 bis 1980 ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik um eine volle Million erhöht worden. Das war das Ergebnis unserer Politik des Zukunftsinvestitionsprogramms.
({6})
Der zweite, viel weitergehende wirtschaftliche Einbruch hat uns dann wieder zurückgeworfen. Dabei wissen Sie auch, daß jedes Jahr allein auf Grund des Bevölkerungsaufbaus rund 200 000 junge Menschen mehr an den Arbeitsmarkt kommen, als gleichzeitig Menschen aus den geburtenschwachen
Jahrgängen des Ersten Weltkrieges das Rentenalter erreichen.
({7})
Das hat uns vor große Aufgaben gestellt.
({8})
- Wenn Sie dran wären, würde gar nichts gelöst. Dann hätten wir so viele Arbeitslose wie in Großbritannien, nämlich mehr als 3 Millionen.
({9})
Es ist doch der Ministerpräsident von Bayern gewesen, der nach Rückkehr von seiner Reise nach Großbritannien gesagt hat: „Ich bin der deutsche Thatcher. Wenn ich an die Regierung komme, mache ich das wie meine Freundin Maggie." Sonst hat das in diesem Lande ja wohl keiner gesagt.
({10})
- Das stimmt sehr exakt.
Meine Damen und Herren, heute, zur gleichen Zeit, in der diese Debatte stattfindet, tagen die Arbeitsminister der OECD in Paris über das Problem „Beschäftigungspolitik in der OECD". Dort werden die beiden Denkschulen, die Wolfgang Roth hier genannt hat, mit praktischen Ergebnissen aufeinanderprallen: die angelsächsische und die österreichische. In Österreich ist mit Erfolg eine vernünftige, Stabilität und Wachstum in gleicher Weise berücksichtigende Politik gemacht worden - mit sehr viel niedrigeren Arbeitslosenquoten als anderswo in Europa. Auch wenn Sie es nicht gerne hören: Trotz aller Schwierigkeiten liegt die Bundesrepublik Deutschland bei den Preisen wie bei den Arbeitslosenzahlen auf dem günstigsten Platz, gleich nach Luxemburg, Österreich und der Schweiz. Das heißt ja wohl auch deutlich, daß es nicht die Ursachen hier im Lande allein gewesen sein können, wenn die Dinge überall in Europa sehr viel schlechter sind als bei uns.
({11})
Meine Damen und Herren, ob Sie das hören können oder nicht:
({12})
Da es Fakten sind, muß man, wenn Sie schon nicht zuhören, wenigstens der deutschen Öffentlichkeit sagen, wie die Dinge richtig sind, daß sie nicht so sind, wie Herr Geißler sie hier verzerrt dargestellt hat.
({13})
- Nein, Sie können auch einen Blick nach Niedersachsen werfen, wo die Regierung des Bundeslandes mit der höchsten Arbeitslosenquote unter allen elf Bundesländern - makabrerweise gleichzeitig noch
des einzigen „OPEC-Staates" unter den Bundesländern, weil Niedersachsen über eigene Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt - erst nach monatelangem Drängen der Sozialdemokraten, die ein konkretes, das Programm der Bundesregierung wirksam unterstützendes Beschäftigungsprogramm erarbeitet hatten - ein 500-Millionen-Programm, zu finanzieren aus zusätzlichen Einnahmen aus der Förderung des Erdöls und des Erdgases -, jetzt gerade 227 Millionen - etwa die Hälfte - beschlossen hat. Aber Herr Albrecht ist anscheinend immer noch dabei, das Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung im Bundesrat blockieren zu wollen.
Ich möchte hier in aller Öffentlichkeit sagen: Die niedersächsische Landesregierung kann es noch weniger als jede andere verantworten, zu einem Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung nein zu sagen. - Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile dem Abgeordneten Cronenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Der Kollege Geißler hat sich von hier aus die Bemerkung erlaubt, niemand würde dieses Programm der Bundesregierung loben, für richtig befinden, für vernünftig halten; alle würden es für schlecht halten.
({0})
Ich möchte darauf aufmerksam machen,
({1}): Daß Sie auch
dazugehören!)
Herr Kollege Geißler, daß sowohl Herr Vetter wie Herr Rodenstock wie nicht wenige Kollegen aus Ihrer Fraktion, Kollegen, die ich sehr schätze, wie Ministerpräsidenten, die sich Ihrer Partei zugehörig fühlen und ihr angehören, eine völlig andere Beurteilung der vorliegenden gesetzlichen Maßnahmen getroffen haben,
({2})
und ich bin für diese andere Beurteilung auch außerordentlich dankbar.
Sie haben - auf eine Kurzformel gebracht - gesagt: richtige Schritte in die richtige Richtung, vieles Vernünftige, vieles Unterstützenswerte - allerdings Bedenken bei einigen Finanzierungsvorschlägen, Herr Kollege Geißler, wir haben dieser Bewertung nur weniges hinzuzufügen, und auf das wenige werde ich eingehen.
Dies ist kein Beschäftigungsprogramm im herkömmlichen Sinne und sollte es auch nicht sein. Es ist vielmehr - und das steht j a auch auf der Vorlage, die auf Ihren Plätzen liegt - der Entwurf eines Gesetzes über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität.
Meine Damen und Herren, diese Beschreibung sagt auch aus, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht Arbeit und Beschäftigung verteilen können und wollen - es sei denn, an einige Ministerialbeamte -, sondern lediglich mit den ihnen gegebenen Möglichkeiten dafür zu sorgen haben, daß der Rahmen, in dem gearbeitet werden kann, stimmt. Hier haben wir uns bemüht, Vernünftiges zu tun.
Ich möchte deswegen auch darauf hinweisen, daß die vorliegenden Maßnahmen nicht isoliert zu betrachten sind. Sie sind im Anschluß an die Maßnahmen ergriffen worden, die wir bei der „Operation '82" getroffen haben. Sie sind also als ergänzend, begleitend, zusätzlich zu bewerten.
Deswegen muß man - auch Sie, Herr Kollege Geißler, sind dazu verpflichtet - nicht eine isolierte Bewertung dessen vornehmen, was Ihnen vorliegt, sondern Sie müssen all dies auf dem Hintergrund dessen beurteilen, was in der „Operation '82" geschehen ist. Ich wiederhole es stichwortartig: äußerste Sparsamkeit im Haushalt, Kürzung von konsumtiven Ausgaben, Überprüfung von Mißbräuchen und Wildwuchs im Sozialbereich, Beschränkung der Nettokreditaufnahme , keine Steuererhöhungen im Jahre 1982, auch in Zukunft keine Steigerung der Steuerlastquote, Begrenzung der Abgabenquote und - das ist das Entscheidende - Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Sie haben mit Recht festgestellt, Herr Geißler, daß die Arbeitslosigkeit nicht über Nacht auf uns hereingebrochen ist. Sie haben mit Recht festgestellt, daß es in unserer Wirtschaft strukturelle Verwerfungen gibt und wir verpflichtet sind, technologisch an der Spitze der Entwicklung zu stehen, wenn wir als Höchstlohnland und Land mit höchster sozialer Sicherheit uns im internationalen Wettbewerb bewähren wollen. Und welches Land ist mehr verpflichtet, sich im internationalen Wettbewerb zu bewähren, als die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, die exportabhängigste Wirtschaft der Welt!
Genau auf diesem Hintergrund haben wir unsere Maßnahmen in der „Operation '82" und auch jetzt getroffen. Wir haben dafür gesorgt, daß die Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft verbessert
werden. ({3})
Dabei wissen wir sehr wohl zwischen den Kosten, die unsere Wettbewerbsfähigkeit bestimmen und die wir beeinflussen können, und jenen Kosten zu unterscheiden, die wir eben nicht beeinflussen können. Zu den letzteren gehört z. B. der Preis für Rohöl und andere Rohstoffe. Wir können diese Preise nur indirekt beeinflussen, indem wir z. B. soviel wie möglich Energie sparen und die alternativen Energiearten, insbesondere die Atomenergie, in verantwortlichem Maße nutzen.
Aber, Herr Kollege Geißler, für die richtige Analyse unserer Situation, für die richtige Bewertung unserer Strukturprobleme kann nicht oft genug wiederholt werden, daß Mitursache für unsere Kostenverschlechterung die Steigerung der Soziallastquote von 20 % im Jahr 1960 auf 30 % im Jahr 1980 ist. Diese
Steigerung der Soziallastquote ist nicht primär das Ergebnis der sozialliberalen Koalition seit 1969, sondern weitestgehend das Ergebnis der Großen Koalition.
Ich erinnere stichwortartig an die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge von 14 auf 18 % unter Franz Josef Strauß und Katzer; diese Erhöhung wurde nicht von der sozialliberalen Koalition vorgenommen. Ich erinnere Sie an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - hier oft genug zitiert -, wo Sie mitverantwortlich sind. Sie haften eben auch für diese Kostensteigerung.
({4})
Man kann sich nicht hier hinstellen und die Strukturschwäche unserer Wirtschaft beklagen, man kann sich nicht hier hinstellen und erklären, unsere Wettbewerbsfähigkeit habe gelitten, wenn man selber dafür verantwortlich ist und Sie in Ihrer Rede nicht einen Änderungsvorschlag machen.
({5})
Meine Damen und Herren, verehrte Kollegen, wenn Herr Kollege Geißler hier sogar sozusagen beklagt, daß wir im Sozialbereich Einschnitte vorgenommen haben, dann muß ich sagen: Entschuldigung, Sie, Herr Kollege Geißler, haben die Problematik nicht erkannt. Unsere Probleme liegen an anderer Stelle.
({6})
Nichts schafft mehr Arbeit als Arbeit. Japan ist ein Beispiel dafür. Wenn wir die Voraussetzung für mehr Arbeit schaffen und mehr arbeiten, dann ist dies der richtige Weg.
({7})
Wir haben von der Wende gesprochen. Wir bekennen uns zu dieser Trendwende. Wir haben unser Stück dazu beigetragen, diese Wende herbeizuführen. Alle getroffenen Maßnahmen, sowohl die von 1982 als auch die Maßnahmen, die Ihnen heute als Entwurf vorliegen, dienen dieser Trendwende. Ich bin überzeugt, wir werden z. B. hinsichtlich der Soziallastquote ein Stück weiterkommen. Sie wird sinken. Das wird mehr Wettbewerbsfähigkeit schaffen.
Mit großem Recht haben Sie festgestellt, daß die Bevölkerung im Lande bereit ist, Opfer zu bringen. Sie haben die Frage gestellt: Wofür? Die Leute draußen wissen, wofür sie das Opfer erbringen: damit in diesem Land die Voraussetzungen für Arbeit und Leistung stimmen. Das ist der Grundsatz, unter dem wir angetreten sind und den wir durchgesetzt haben.
({8})
Deswegen möchte ich noch einmal in Ihre Erinnerung zurückrufen, was wir getan haben: Wir haben die Möglichkeiten für Investitionen durch eine Zulage verbessert. Mit Ihrem verschrotteten Baukran kann man nicht wettbewerbsfähig sein. Im Gegenteil!
({9})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tillmann?
Meinem Unternehmerkollegen und Gegenkandidaten Tillmann gestatte ich das selbstverständlich.
Herr Kollege Cronenberg, können Sie es sich eigentlich erklären, warum Sie für Ihre so überaus engagierten Ausführungen fast überhaupt keinen Beifall von der linken Seite dieses Hauses bekommen?
Herr Kollege Tillmann, die Richtigkeit meiner Thesen und Behauptungen pflege ich nicht daran zu messen, von wem ich an welcher Stelle Beifall kriege.
({0})
Ich möchte nur das, was wir getan haben, in Ihre Erinnerung zurückrufen. Wir haben Investitionen erleichtert. Wir haben vernünftige Maßnahmen getroffen, damit es sich wieder lohnt, zu bauen. Es muß darauf hingewiesen werden, daß dies außerordentlich mittelstandsfreundlich ist. Wir wünschen, daß der mittelständische Unternehmer, der Selbständige, der gut verdienende Angestellte sein Geld im Wohnungsbau anlegt. Genauso vernünftig und richtig ist es, diese Investitionszulagen zu gewähren. Denn, Herr Kollege Geißler, gerade der Mittelstand ist flexibel und in der Lage, sein Investitionsprogramm flexibel zu gestalten - nicht die Großindustrie. Deswegen war unsere Entscheidung richtig.
({1})
Was haben wir noch getan? Herr Kollege Geißler, es ist ganz wichtig, daß Sie das mitbekommen. Daß Sie Kritik üben, daß wir die Mehrwertsteuererhöhung um einige Monate vorgezogen haben, kann ich noch irgendwie verstehen. Sie müssen j a über irgend etwas zu meckern haben. Aber der grundsätzliche Ansatz, von direkten Steuern auf indirekte Steuern umzuschichten, ist leistungs- und wettbewerbsfördernd. Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit folgendes sagen: Die Mehrwertsteuer belastet den Export nicht. Wir werden gerade durch die Umschichtung auf die Mehrwertsteuer ordnungspolitisch richtig ein Stück Exportförderungspolitik betreiben. Wir wollen ein ausgeglichenes Aufkommen von direkten und indirekten Steuern. All dies ist doch richtig.
({2})
Und wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, daß bei Ihnen genug Leute sitzen, die die Richtigkeit dieser Politik erkannt haben und es bedauern, daß Sie sich hier so geäußert haben.
({3})
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Dr. Geißler möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Selbstverständlich.
Ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit ansonsten abgelaufen ist.
({0})
Selbstverständlich bekommen Sie noch die Gelegenheit, auf die Zwischenfrage zu antworten
({1})
- und zwei Sätze zum Schluß zu sagen.
({2})
Bitte.
Vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen frage ich: Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß, seit Ihre Partei zusammen mit den Sozialdemokraten an der Regierung ist, in den letzten zehn Jahren über 100 000 Betriebe in Konkurs gegangen sind, allein im vorigen Jahr über 10 000, und daß sich unter diesen 100 000 Betrieben nicht ein einziger Großbetrieb befand, sondern daß es lauter mittelständische und kleine Unternehmen waren.
({0})
Es erübrigt sich, zu bemerken, daß ich es ungewöhnlich bedauere, daß es so viele Pleiten gibt. Nur, ich habe mich gerade sehr über die Ursachen dieser Entwicklung ausgelassen, für die Sie ja ein gesundes Stück Mitverantwortung tragen.
({0})
Ich meine genau die Änderung der Kostenstruktur, über die ich gesprochen habe.
Nun hat der Präsident mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich dieses Podium zu verlassen habe, d. h. daß ich nicht mehr die Gelegenheit habe, die Richtigkeit der vorliegenden Vorschläge im Detail zu begründen.
Sie werden sich jetzt wundern. Aber es ist noch nicht mal notwendig, diese Vorlagen im Detail zu begründen. Ich möchte mich nämlich zum Schluß beim Kollegen Geißler sehr, sehr herzlich für seine Rede bedanken. Eine perfektere Begründung für die Richtigkeit unserer Politik konnten Sie uns nicht liefern.
({1})
Denn alles, was Sie mit Ihrer Kritik angesprochen haben, ist genau das, was wir nicht wollen. Und da ich weiß, Herr Kollege Geißler, daß es viele ehrenwerte Marktwirtschaftler in Ihrer Fraktion gibt, möchte ich diese Marktwirtschaftler - nicht nur Herrn Kiep und Herrn Waigel, sondern auch andere - herzlich auffordern, sich die Zeit zu nehmen, Ihnen ein wenig Nachhilfeunterricht in Marktwirtschaft zu geben. Sie können versichert sein: Es dient
Ihrer Fraktion; es dient diesem Lande. Auch die Ludwig-Erhard-Stiftung steht dafür zur Verfügung. Die Rede, die Sie gehalten haben, war alles andere als eine marktwirtschaftliche Rede.
({2})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ursachen unserer wirtschaftlichen Entwicklung sind im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt. Ich brauche darauf nicht im einzelnen einzugehen. Es ist bekannt, daß Auslandseinflüsse eine ganz erhebliche Rolle gespielt haben. Darüber ist mehrmals diskutiert worden. Wir müssen uns auf die veränderten wirtschaftlichen Umstände einstellen. Wir müssen uns anpassen, allerdings in einem Prozeß, der Zeit braucht. Dies bedeutet, meine Damen und Herren, daß es kurzfristig wirksame Patentrezepte nicht geben kann. Es muß aber gesagt werden: Wir können durchaus zuversichtlich sein, denn wir haben die Anpassungsprobleme bisher offensichtlich besser bewältigen können als viele andere Industrieländer.
({0})
Warum sind denn die Exporte in den letzten Monaten so stark gestiegen? Warum ist es uns gelungen, das Leistungsbilanzdefizit in einem Maße zu vermindern, daß wir hoffen können, daß es im nächsten Jahr auf Grund wirtschaftlicher Tätigkeit verschwunden sein wird?
({1})
Doch offenbar deshalb, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft groß ist, weil sie gestiegen ist.
({2})
Meine Damen und Herren, eines muß man selbstverständlich feststellen: Wir haben eine expandierende Auslandsnachfrage, während die Binnennachfrage stagniert. Das bedeutet, daß wir Kümmernisse haben, daß die Investitionstätigkeit stagniert, daß die Arbeitslosigkeit angestiegen ist. Diese Entwicklung ist für uns nicht hinnehmbar. Sie wird nur zu stoppen sein, wenn es uns gelingt, die Investitionstätigkeit wieder in Gang zu setzen. Darauf zielen auch die Maßnahmen der Operation '82 und der Gemeinschaftsinitiative ab.
({3})
Ziel dieser Operation '82 war und ist es, durch Beschränkung der Nettokreditaufnahme den Spielraum für Zinssenkungen wieder zu erweitern, weil dies in unseren Augen das beste Beschäftigungsprogramm ist. Weiteres Ziel war es und ist es, durch Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Investitionsprozeß zu stärken. Die Beschlüsse der Bundesregierung vom 3. Februar setzen diese Bemühungen fort. Sie sind ein weiterer Schritt zur Stärkung der Investitionstätigkeit und zur Ausweitung des Arbeitsplatzangebots. Daran, meine Damen und Herren von der Opposition, wird
deutlich, daß wir uns im Ziel nicht unterscheiden. Auch wir wollen sichere Arbeitsplätze durch Investitionen, auch wir wissen, daß sichere Arbeitsplätze auf Dauer vor allem in der Wirtschaft und durch die Wirtschaft geschaffen werden können und müssen. Deshalb stimmen wir auch mit Ihnen darin überein, daß der Ertragsverfall bei den Unternehmen gestoppt und daß die Kostenbelastung reduziert werden muß.
Dies wird im übrigen dem Grundsatz nach auch von den Gewerkschaften anerkannt. Sie waren überdies die ersten, die zu einer gemeinsamen Initiative aller gesellschaftlichen Gruppen aufgerufen haben, die heute schon mehrfach erwähnt worden ist. Wenn eine derartige, die Arbeitsplätze in unserem Lande gefährdende Entwicklung eintritt, dann ist ihr zu begegnen. Eine derartige Aufforderung muß aufgenommen werden, und dies gilt nicht nur für die Regierung, dies gilt ebenso für die Opposition, es gilt für die Wirtschaftsverbände, und es gilt für die Unternehmen, aber auch für die Länder und die Gemeinden.
({4})
Nur so kann der soziale Konsens gewahrt bleiben. Wer wollte es bestreiten - auch von Ihnen in der Opposition -, daß sozialer Konsens einer unserer wichtigsten Produktionsfaktoren ist! Er ist die Voraussetzung dafür, daß der soziale Friede, um den uns viele Länder um uns herum beneiden, bewahrt werden kann. Daß wir ihn bewahren können, ist eine unserer Hauptaufgaben.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich im folgenden vorrangig den privaten Investitionen widmen will, dann deshalb, weil nur eine vermehrte Investitionstätigkeit die Umstrukturierung unserer Wirtschaft vorantreiben und die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit, die für uns eine existentielle Voraussetzung für eine sichere wirtschaftliche Zukunft ist, erreichen kann. Dies bedeutet nicht, daß öffentliche Investitionen nachrangig sind. Sie schaffen häufig genug erst die Voraussetzung für eine folgende private Investition. Allerdings ist gerade der Einfluß des Bundes hier äußerst begrenzt, denn zwei Drittel der öffentlichen Investitionen werden von den Gemeinden getätigt, und das letzte Drittel teilt sich der Bund mit den Ländern. Die Förderung derartiger Investitionen bedarf also der Zustimmung der Länder, die nach den bisherigen Erfahrungen nicht sehr leicht zu erreichen ist, wenn überhaupt. Schon deshalb liegt der Schwerpunkt der Operation '82 und der Gemeinschaftsinitiative auf einer Förderung der privaten Investitionen.
Die Zulage - lassen Sie mich das sagen - hält nach unserer Einschätzung die Mitnahmeeffekte in Grenzen, weil sie als Berechnungsbasis einen Drei-jahresdurchschnitt über einen zurückliegenden Zeitraum ({5}) wählt. Wenn es richtig ist, daß die Eigenkapitalausstattung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen besonders schwach ist, und wenn es richtig ist, daß diese Unternehmen besonders unter der Hochzinspolitik zu leiden haben, auch weil sie in der Regel über weniger gute Bankverbindungen oder Konditionen verfügen, dann, meine Damen und Herren, sind es diese kleinen und mittleren
Unternehmen, die von der Investitionszulage dem Grunde nach am stärksten profitieren müssen;
({6})
denn sie sind es, die in den letzten Jahren am wenigsten investiert haben.
({7})
- Die Erfahrungen zeigen das, und Hinweise darauf gibt es überall. Die Insolvenzen weisen auch darauf hin, Herr Kolb, daß es offenbar gerade in diesem Bereich häufig an Kapitalmangel gelegen hat.
({8})
- Es gibt Einwände - ich will das nicht verkennen -, daß die Investitionszulage kaum helfen würde, entscheidend sei vielmehr eine Zinssenkung.
({9})
Ich muß Ihnen gestehen, ich verstehe dieses Argument nicht; denn eine 10 %ige Investitionszulage bedeutet bei einer fünfjährigen Abschreibungsdauer und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Diskontierungen möglich sind, im Grunde eine zinssubventionsähnliche Regelung in der Höhe von etwa 2,5 %. Insofern ist die Investitionszulage interessant. Wir meinen, daß sie Anlageinvestitionen deshalb wieder interessanter und die Anlage in Finanzkapital weniger attraktiv machen wird.
Unsere Strategie ist der Scheinalternative „angebotsorientiert" oder „nachfrageorientiert" nicht zuzuordnen. Wir verfolgen ein policy-mix, das aus einem Bündel vielfältiger kurz- und mittelfristiger Maßnahmen besteht. Das heißt konkret: Wir fördern vor allem Investitionen - dies ist genannt worden - im Umweltschutzbereich, wir fördern private Investitionen, die geeignet sind, das Produktionspotential, die Kapazitäten zu erhöhen und zur Energieeinsparung beizutragen. Dies alles ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit. Dies alles trägt zur Strukturveränderung bei.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Dr. Lammert will Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, bitte. Aber meine Zeit ist sehr begrenzt.
Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Kollege Mitzscherling, wie erklären Sie sich, wenn Sie hier die fulminanten Wirkungen des Beschäftigungsprogramms und der Investitionszulage darstellen, daß die Projektionen der Bundesregierung für den wirtschaftlichen Verlauf dieses Jahres nach der nachträglichen Einfügung der Maßnahmen des Beschäftigungsprogramms unverändert geblieben sind, was doch im Klartext bedeutet, daß die Bundesregierung selbst davon ausgeht, daß der wirtschaftliche Verlauf mit oder ohne Inkrafttreten dieses Programms der gleiche bleiben wird?
Sie wissen, Herr Kollege Lammert, daß die Bundesregierung bei der Herausgabe des Jahreswirtschaftsberichts bereits erklärt hat, daß sie die Wirkungen des Programms in diesen Jahreswirtschaftsbericht nicht aufnehmen werde. Insofern ist die Erklärung der Bundesregierung bei der Abgabe des Jahreswirtschaftsberichts eine Erklärung dafür, daß diese Effekte, die einer Ausrechnung bedürfen, die auch die Berücksichtigung der Finanzierung einzuschließen hat, hierin nicht enthalten sind.
({0})
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1982 und die Gemeinschaftsinitiative ergänzen einander. Im Bundeshaushalt 1982 werden Anreize im wesentlichen durch Abschreibungserleichterungen gegeben, Kern der Gemeinschaftsinitiative - dies ist oft genug betont worden - ist die Investitionszulage, die ergänzt wird durch verstärkte Kreditangebote der KfW und aus dem ERP-Sondervermögen.
Die Begrenzung der Förderung auf einen bis zum Ende des Jahres 1982 abgesteckten Zeitraum verbinlen wir mit der Einschätzung - das ist jedenfalls unsere Hoffnung -, daß wir eine ähnliche Wirkung erzielen, wie sie die heute schon angesprochene Investitionszulage aus dem Jahre 1974/75 damals erzielt hat.
Herr Kollege Waigel, Sie haben kürzlich eine An-frage an Herrn Staatssekretär Dr. Schlecht gestellt, die gerade die Wirksamkeit der damaligen Zulage zum Inhalt hatte. Aus der Antwort konnten Sie entnehmen, daß damals gerade am Ende des Bestellzeitraums eine extreme Steigerung der Auftragseingänge im investitionsgüterproduzierenden Bereich aus dem Inland zu verzeichnen war. Daß auch die Institute - so z. B. das Ifo-Institut - in ihren Beurteilungen dieser damaligen Maßnahmen besonders darauf hingewiesen haben, daß es ohne diese Zulagen nicht zu einer derartig positiven Entwicklung der Investitionstätigkeit des Jahres 1975 gekommen wäre, ist ja wohl inzwischen auch bekanntgeworden. Ebenso ist bekannt, daß es nicht zu dem allerseits befürchteten Auftragsloch gekommen ist. Wir erhoffen uns, daß auch die Investitionszulage, die hier beabsichtigt ist, letztlich eine ähnlich positive Entwicklung wie damals zur Folge haben wird. Sie ist - das wurde hier mit bekümmertem Unterton als ein Versäumnis angesprochen - häufig genug als eine vorgezogene Möglichkeit von Investitionen bezeichnet worden. Nun, meine Damen und Herren, warum denn nicht? Warum sollen Investitionen denn nicht vorgezogen werden? Sie haben in der Regel multiplikative Effekte, denen andere ökonomische Effekte nachwirken. Insofern also käme dies einer Initialzündung gleich, die wir uns von diesem Programm erhoffen, und hätte somit Auslöseeffekte für ein neues Wachstum.
({1})
Daß diese Maßnahme dabei durch eine Vielzahl anderer Maßnahmen flankiert wird - wie Abschreibungserleichterungen, wie ausgeweitete Möglichkeiten des Verlustrücktrags -, muß man mit berücksichtigen, sich mit vor Augen halten, wenn man
die Wirksamkeit dieser so isoliert gewerteten Gemeinschaftsinitiative ständig in Frage stellt.
Wir meinen, daß es jetzt vor allem darauf ankommt, die Unsicherheit zu beseitigen, die sicherlich da ist; dafür zu sorgen, daß die Unsicherheit in der Wirtschaft aufhört, daß endlich positive Wirkungen eintreten können. Daran muß doch auch Ihnen liegen, meine Damen und Herren von der Opposition. Der Streit um die Finanzierung dieses zweiten investitions- und beschäftigungswirksamen Maßnahmenbündels muß im Interesse auch der Arbeitslosen schnell beendet werden.
Die Bundesregierung und SPD und FDP haben sich für ein kurzfristiges Vorziehen der ohnehin für 1984 vorgesehenen Mehrwertsteuererhöhung entschieden - dies ist bereits betont worden -, weil sie dies im Rahmen der für Anfang 1984 beabsichtigten Erleichterungen bei der Lohn- und Einkommensteuer als eine politisch und, Herr Geißler, sozial vertretbare Lösung ansehen. Ihnen sind sicherlich Berechnungen des Bundesfinanzministeriums bekannt, welche unmittelbaren finanziellen Auswirkungen diese Mehrwertsteuererhöhung auf die Einkommen der Haushalte hat. Dies sind - ich habe die Zahlen nicht exakt verfügbar - monatlich etwa 6 DM bei Rentnerhaushalten, bei Arbeitnehmerhaushalten Beträge, die bei einer Größenordnung zwischen 15 und 23 DM monatlich liegen - aber nur, wenn diese Erhöhung voll überwälzt wird.
Diese Lösung ist auch als ein Solidaropfer zu begreifen mit dem Ziel, über Haushaltsstrukturverbesserungen und -begrenzungen das Vertrauen in die D-Mark zu stärken, damit der Handlungsspielraum der Deutschen Bundesbank erhalten bleibt. Diesem Ziel sollte zumindest nichts entgegenstehen. Es wird nur bei voller Überwälzung zu einer einmaligen Preissteigerung kommen. Einmaleffekte, bedingt durch eine Steuererhöhung, werden das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark nicht beeinträchtigen. Sie werden deshalb auch nicht den Zinssenkungsspielraum der Deutschen Bundesbank einengen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in diesem Zusammenhang das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark gefährdet sehen, so muß ich Ihnen entgegenhalten, daß Sie nicht unbeteiligt daran waren, daß das Vertrauen in die Stabilität unserer Währung gefährdet worden ist. Ich erinnere an Ihre Kampagne im letzten Bundestagswahlkampf, die durch Stichworte wie „Zerrüttung der Staatsfinanzen" und „Währungsreform" angeheizt worden ist.
({2})
An dieser Hypothek, die auch im Ausland bekannt ist, tragen wir heute noch immer. Sie ist auch in der öffentlichen Meinung wiederzufinden, Herr Waigel.
({3})
Denn es müßte Ihnen doch bekannt sein, Herr Waigel, daß eine Vielzahl von Wissenschaftlern - dar5292
unter sind auch welche, die nicht der SPD nahestehen und die, wie ich es formulieren möchte, als Marktwirtschaftler ihren Stammbaum eher in Ihrer Nähe haben, wenn sie auch Engels heißen -, wie Herr Wolfram Engels, erklären, daß eine erhöhte Staatsverschuldung in einer konjunkturellen Situation wie der gegenwärtigen nicht das Allerschlimmste sein würde, weil man die Nachfragewirkungen von Ausgabenstreichungen in den Haushalten stets im Auge behalten müsse.
({4})
Das ist keine Erfindung der Sozialdemokraten. - Herr Unland, darin gebe ich Ihnen durchaus recht. Wir behalten - das möchte ich ausdrücklich betonen, damit es nicht zu Mißverständnissen kommt - die Konsolidierung des Haushalts durchaus im Auge.
Ich habe diesen Einschub gemacht, Herr Waigel, weil es für die Staatsverschuldung offensichtlich nicht nur ökonomische, sondern auch psychologische Grenzen gibt. Wenn diese psychologischen Grenzen erst einmal erreicht sind und das Bild der öffentlichen Meinung bestimmen, dann werden sie ganz schnell zu ökonomischen Grenzen, die man nicht überschreiten kann.
({5})
Wie dem auch sei, eine erhöhte Nettokreditaufnahme für Beschäftigungsprogramme ist heute tabu. Sowohl Staatsschuld als auch Staatsquote - das wissen Sie wie wir - liegen im internationalen Maßstab durchaus im Mittelfeld. Soweit das den Bund betrifft, liegen sie, auch bezogen auf die Bundesländer, durchaus im Mittelfeld. Dennoch werden wir den Konsolidierungskurs des Haushaltes selbstverständlich fortsetzen.
({6})
- Allerdings - gestatten Sie mir den Hinweis auf Ihren Zwischenruf - muß bei jeder Haushaltskonsolidierung die Wirkung bedacht werden, die damit bei konjunktureller Schwäche herbeigeführt wird. Man sollte sich die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge derartiger Kürzungen stets vor Augen halten.
({7})
Von derartigen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen sind auch Sie nicht befreit.
({8})
Das bedeutet, daß Haushaltsumschichtungen - ich will sie einmal so nennen - zugunsten des Investitionsbereichs im wesentlichen nur aus dem Bereich der Transferzahlungen oder aus dem Bereich der Subventionen kommen können. Wenn wir dies feststellen, dann bedeutet das, daß Kürzungen bei sozialen Geldleistungen - sie mögen bei den NichtBetroffenen so populär sein, wie sie wollen - auch
fatale ökonomische Folgen haben, die zu bedenken sind.
({9})
Denn sie schwächen nicht nur das Einkommen von Leuten und Familien, wie Sie es beklagt haben, Herr Geißler, die zu der Gruppe mit geringem Einkommen zählen, sie dämpfen auch schlichtweg die private Nachfrage. Diese Kreise und Bürger haben nämlich in der Regel geringe Ersparnisse. Eine Kürzung auch in diesen Bereichen paßt natürlich generell nicht in die konjunkturelle Landschaft, wie das für jede Kürzung von Transferzahlungen gilt. Das heißt: schnelle Schnitte sind in einer konjunkturellen Phase wie der gegenwärtigen zu bedenken; sie können unerwünschte Konsequenzen haben.
Denkbar ist allein eine gebremste Dynamik, eine Umschichtung von Leistungen im Wirtschaftswachstum. Wenn wir darüber sprechen, ist natürlich auch zu bedenken, daß der soziale Friede, den wir bewahren wollen, Lösungen erzwingt, die die soziale Gerechtigkeit nicht in Frage stellen.
Auch bei Subventionen sind radikale Schnitte nicht möglich; denn ihre Gewährung hatte schließlich einmal einen Sinn. Es kommt darauf an zu prüfen, ob diese Subventionen noch in die heutige Landschaft passen. Es wird in Kürze feststellbar sein, Herr Geißler, ob Ihre Anregung, die Koalitionsfraktionen mögen vorschlagen, in welchen Bereichen sie Subventionen durchsetzen, nicht eine Klientel trifft, die eher Ihnen als den Mitgliedern der sozialliberalen Koalition nahesteht.
({10})
Ich habe diese Zusammenhänge noch einmal darstellen wollen, weil von Ihnen allgemeine Kürzungen von Subventionen um 5 % vorgeschlagen worden sind.
({11})
- Insgesamt, aber das Wo und Wie ist offengeblieben.
Wo Sie konkret geworden sind - das ist heute schon mehrfach gesagt worden -, dort zielen Sie auf den Bereich derer, die man zu den sozial Schwächsten zählt, ob das nun die Kranken sind - wo Sie an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle herangehen wollen -, ob das die schon erwähnten Schüler von einkommensschwachen Eltern oder ob es die Arbeitslosen sind. Das sollte uns allen klar sein. Auch Sie werden sich nicht davon befreien können, Angebote zu machen - die der Bevölkerung verständlich zu machen sind - und zu sagen, wo in diesem sehr engen Bereich noch gekürzt werden könnte.
Lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Wir sind der Auffassung, daß diese Gemeinschaftsinitiative zu einem Erfolg führen wird, wenn sie von wirtschaftspolitischen Maßnahmen begleitet ist, die geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, die Ertragssituation der Unternehmen zu verbessern und die öffentlichen Investitionen zu verstetigen.
Damit ist einmal die Deutsche Bundesbank angesprochen und gefordert. Sie muß den Handlungsspielraum für Zinssenkungen frühzeitig und voll ausschöpfen. Deshalb sollte die Bundesregierung weiter auf eine internationale Zinssenkungsrunde drängen, die zu einer raschen Zinssenkung führen müßte, um Attentismus überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen. Hierzu gehören auch Absprachen zwischen den Notenbanken. Hierzu gehört ebenso, daß extreme Wechselkursschwankungen in Zukunft möglichst verhindert werden müssen. Denn derartig starke Wechselkursschwankungen schaffen nicht nur Unsicherheiten, sie belasten den Export und behindern den Aufbau von Kapazitäten der Exportwirtschaft.
Gefordert sind in dieser schwierigen Zeit selbstverständlich auch die Tarifpartner in ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung,
({12})
der sie gerecht zu werden haben. Dies kann nicht Lohnpause heißen; denn Löhne sind nicht nur Kosten, sondern sie bedeuten selbstverständlich auch Nachfrage. Aber es gilt, Augenmaß zu bewahren. Denn selbst ein Mehr an Aufträgen wird kurzfristig nicht zu Neueinstellungen führen, weil die Kapazitäten zum Teil unzureichend ausgelastet sind und zunächst Kurzarbeit abgebaut werden dürfte. Das heißt: die Arbeitslosigkeit bleibt weiterhin hoch, und die Arbeitsmarktprobleme werden auch auf mittlere Sicht bestehen bleiben. Das heißt weiter: wir müssen Arbeitslosigkeit abbauen, wir müssen vor allem unseren jungen Menschen eine Perspektive für die Zukunft geben.
({13})
Wir brauchen Ausbildungsplätze für sie. Wir fordern die ausbildende Wirtschaft, wir fordern die Unternehmen auf, diese Ausbildungsplätze bereitzustellen.
({14})
Denn dies werden die Fachkräfte von morgen sein, die dann dringend benötigt werden und für die dann nicht mehr - auch nicht ersatzweise - Ausländer zur Verfügung stehen. Für diese jungen Menschen, meine Damen und Herren, werden gerade in den nächsten Jahren Hunderttausende von Arbeitsplätzen gebraucht. Wir aber haben diese Verpflichtung. Wir dürfen unsere jungen Menschen, unsere Jugend, nicht enttäuschen; denn sie soll eine sichere Zukunft vor Augen haben.
Meine Damen und Herren, die Maßnahmen der Operation '82 und die der Gemeinschaftsinitiative werden 1983 greifen. Unsere Strategie geht über das Jahr 1983 hinaus. Ab 1984 wird das Mehrwertsteueraufkommen für die Finanzierung einer Lohn- und Einkommensteuerentlastung verwendet. Dies wird die private Nachfrage stärken, wird die Absatzerwartungen verbessern und erneut Investitionsanreize bieten.
({15})
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte zum Schluß kommen.
Ja. - Damit ist keinesfalls alles getan. Bei dieser Bereinigung, bei dieser Konstruktionsänderung im Einkommensteuer- und Lohnsteuerbereich wird an derartige Überlegungen zu denken sein.
Wir stehen in einem Jahrzehnt mit gewaltigen Aufgaben. Viele Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. Arbeitszeitverkürzungen werden sicherlich helfen. Auch der Staat wird gefordert bleiben, weitere mittelfristig wirksame Maßnahmen zu entwikkeln. Daran wird auch eine von uns allen erhoffte wirtschaftliche Wiederbelebung, die wir für das zweite Halbjahr dieses Jahres erwarten, nichts ändern. Das künftige Wachstum wird auch stets „flankierend" zu beeinflussen sein.
({0})
Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen zu helfen, die Arbeitslosigkeit abzubauen und Perspektiven durch eine qualifizierte Berufsausbildung zu bieten, wird für alle - vor allem für uns Sozialdemokraten - die zentrale politische Herausforderung dieses Jahrzehnts sein. Wir werden ihr begegnen.
({1})
Aber auch Sie, meinen Damen und Herren von der Opposition, werden sich dieser Herausforderung nicht entziehen können. - Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich dem sogenannten Beschäftigungsprogramm und dem Jahreswirtschaftsbericht zuwenden, aber in der gebotenen Kürze noch auf einige Bemerkungen eingehen, die in der bisherigen Debatte gemacht wurden und die nicht unwidersprochen oder unkommentiert bleiben dürfen.
Der Herr Sozialminister Ehrenberg hat es für richtig gehalten, hier von dieser Stelle aus gewissermaßen in den niedersächsischen Wahlkampf einzugreifen. Er hat Zahlen genannt, die dringend der Ergänzung und der Korrektur bedürfen. Er hat hier ausgeführt, daß unter der Regierung von Ministerpräsident Ernst Albrecht in Niedersachen zu diesem Zeitpunkt die Arbeitslosigkeit in Niedersachsen höher sei als im Bundesgebiet. Das ist richtig, und es ist bedauerlich festzustellen, daß sie 25 % höher ist als die durchschnittliche Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet. Aber es muß daran erinnert werden, daß die Arbeitslosigkeit in Niedersachsen in den Jahren 1972/73 50 % über dem Bundesdurchschnitt lag.
({0})
Dann ergibt sich ein anderes Bild, und es wird sichtbar, daß die Politik von Ernst Albrecht für Niedersachsen in diesen sechs Jahren einiges bewirkt hat.
({1})
Ich möchte mir erlauben, zu den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers Graf Lambs5294
dorff einige wenige, ganz knappe Bemerkungen zu machen. Graf Lambsdorff, natürlich sind wir uns über die internationale Lage, in die wir eingebettet sind, im klaren; natürlich wissen wir, daß hier Einflüsse negativer Art, aber auch Chancen enthalten sind; natürlich haben wir bemerkt, daß uns die Exportentwicklung in einer an sich wirtschaftlich schwierigen Lage eine große Stärkung gebracht hat. Wir sehen, daß die Abhängigkeit vom Export inzwischen dadurch sichtbar wird, daß er 34 % unseres Bruttosozialprodukts ausmacht. Dies ist Chance und Risiko zugleich. Aber wir dürfen unsere Augen auch nicht davor verschließen, daß die positiven Auswirkungen eines Abbaus des Leistungsbilanzdefizits, auf den wir gemeinsam hoffen, nur dann den Weg für niedrigere Zinsen bei unserer Bundesbank freimachen, wenn zugleich auch die hausgemachten Ursachen für die Hochzinspolitik konsequent beseitigt werden.
({2})
Ich finde, es ist angebracht - ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß vielleicht der eine oder andere Redner das heute auch einmal sagt -, ein Wort zu der Rolle, die die Bundesbank gespielt hat, zu sagen. Man hört von der Koalition immer nur Appelle an die Bundesbank, sie solle endlich einmal die Zinsen senken. Aber vielleicht einmal eine Bemerkung dazu: Daß die Bundesbank weitgehend alleingelassen den Kampf um die Stabilität geführt hat - ohne Unterstützung und mit vielen Angriffen gerade auch aus dem Kreis der sozialdemokratischen Fraktion -, meine ich, sollte uns Veranlassung sein, hier die Bundesbank in ihrem Stabilitätskurs zu bekräftigen und zu unterstützen.
({3})
Ich möchte zu den Äußerungen des Herrn Kollegen Roth nicht viel sagen. Er hat in einer für ihn sicherlich außergewöhnlich schwierigen Lage Äußerstes geleistet.
({4})
Herr Roth hat hier ein Programm unterstützt, das er erstens für unwirksam und zweitens von der Wahl der Mittel her für falsch hält.
({5})
- Herr Roth! - Er hat uns dennoch in seiner Rede die Annahme dieses Programms empfohlen. Herr Roth, Sie haben dann auch wieder die alte Platte aufgelegt, die Union wolle Thatcher- oder Reagan-Politik machen. Nehmen Sie bitte doch einmal für künftige Debatten grundsätzlich zur Kenntnis: Die CDU/ CSU beabsichtigt nicht und denkt nicht daran, Wirtschaftspolitiken anderer Länder in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen.
({6})
Wir sind weder der Meinung, daß die Politik von Margret Thatcher für die Bundesrepublik Deutschland die richtige Politik in dieser Lage ist, noch beabsichtigen wir einen Import der Politik von Ronald Reagan. Allerdings muß ich jetzt hinzufügen: Auch
das, was François Mitterrand macht, erscheint uns. völlig ungeeignet.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Wir sind mit der Zeit sehr knapp; aber eine Frage des Graf Lambsdorff muß ich ja wohl zulassen.
Graf Lambsdorff, bitte.
Wenn Sie, Herr Kollege Kiep, hier keine ausländische Wirtschaftspolitik einführen wollen - wofür wir volles Verständnis haben -, würden Sie uns dann bitte erläutern, ob Sie Wirtschaftspolitik à la Kiep oder à la Geißler einführen werden?
Sie haben mich durch Ihre Frage in meinem Gedankenfluß unterbrochen. Ich wollte nämlich gerade nach der Absage an die Politik von Reagan, Thatcher und Mitterrand dazu kommen, Ihnen zu sagen, wie unsere Politik aussieht. Wir sind der Ansicht, daß die Rezepte und die Strategien der sozialverpflichteten Marktwirtschaft, so wie sie von Ludwig Erhard begründet sind, die richtige Politik auch in dieser ungewöhnlich schwierigen Lage sind.
({0})
Ich möchte mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, der sogenannten Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität zuwenden und meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß Sie von uns unter Anwendung von Pressionen, um nicht zu sagen: in fast erpresserischer Sprechweise die Annahme eines Programms fordern, von dem Sie alle, die Sie hier sitzen, bis vor wenigen Wochen nicht überzeugt waren. Sie haben sich sogar dagegen geäußert.
({1})
Sie, Graf Lambsdorff, haben selber erklärt: Was falsch ist, kann nicht durch politischen Druck richtig werden.
({2})
Nun wollen Sie vor den Zuschauern und vor der deutschen Bevölkerung die Opposition in die Ecke treiben, indem Sie sagen: „Diesen Leuten ist die Arbeitslosigkeit wurscht; die verhindern die Rettung der Arbeitslosen" - mit einem Programm, von dem keiner in diesem Hause, sei es bei der SPD, sei es bei der FDP, allerdings aus unterschiedlichen Gründen, überzeugt ist.
({3})
Ich will den Bundeskanzler nicht zitieren, ich will
Graf Lambsdorff nicht zitieren, ich will Hans Matthöfer nicht zitieren. Meine Herren von der Koalition,
Sie waren bis Ende Januar alle gegen dieses Programm.
({4})
Nun haben Sie unter dem berechtigten Druck der Gewerkschaften gewissermaßen in Form einer Verabreichung von Valium ein Programm auf den Tisch gelegt und jetzt unsere Zustimmung gefordert, widrigenfalls Sie uns bezichtigen, wir seien nicht bereit, das Mögliche und Notwendige gegen die Arbeitslosigkeit zu tun.
({5})
Ich glaube, daß auch die ganze Behandlung des Programms für sich spricht. Warum eigentlich erst heute? Warum eigentlich erst heute Gesetze? Wieso haben Sie eigentlich nicht sofort gehandelt, wenn es so wahnsinnig dringend war? Sie haben sich dann Ende Januar schließlich durchgerungen; Sie haben es Anfang Februar verkündet. Wir sind jetzt im März. Bei der Verfahrensweise, die Sie hier zeigen, und bei der Wahrscheinlichkeit eines Vermittlungsverfahrens müssen wir davon ausgehen, daß es nicht vor Mai oder möglicherweise gar erst Anfang Juni zu einer tatsächlichen Verabschiedung kommt. Ich glaube, diese „Eile", mit der Sie dieses Programm betreiben, spiegelt wider, wie wenig Sie im Grunde genommen davon halten, wie wenig Sie davon erwarten.
({6})
Ich möchte aber auch dem Eindruck entgegentreten, der wohl gelegentlich entstanden ist, als ob wir zwar die Mehrwertsteuererhöhung ablehnten, aber im übrigen den Inhalt des Programms eigentlich ganz vorzüglich fänden. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
({7})
Wir halten den Inhalt des Programms für völlig ungeeignet, die Probleme zu lösen, vor denen wir stehen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Sie an die Frage erinnern, was eigentlich eine Mehrwertsteuererhöhung in dieser Lage bedeutet. Eine Mehrwertsteuererhöhung ist geeignet, die Kosten zu erhöhen. Das kann zwei Auswirkungen haben: Entweder werden die Kosten durch die Unternehmen an den Verbraucher über die Preise weitergegeben oder - wo dies nicht möglich ist - die Mehrwertsteuererhöhung wird verkraftet, wodurch sich die Ertragslage der Unternehmen entsprechend vermindert. Beides ist im Grunde genommen nicht vereinbar mit der Lage, in der wir uns befinden; denn eine Kostenerhöhung, die weitergegeben wird und in die Preise geht, belastet die Tarifverhandlungen der Gewerkschaften, erschwert also maßvolle Tarifabschlüsse, die wir alle miteinander energisch beschworen haben.
({9})
Diese Mehrwertsteuererhöhung geht deshalb im
Grunde genommen nicht nur am Thema vorbei, sondern sie ist ausgesprochen schädlich für das, was es heute in der Wirtschaft zu tun gibt.
Sie haben angeführt, daß Sie die Mittel aus der Mehrwertsteuererhöhung verwenden, um einerseits dafür zu sorgen, daß durch eine Investitionszulage Impulse gegeben werden. Graf Lambsdorff, ich muß Sie leider korrigieren. Sie haben hier eine Ifo-Beurteilung angezogen. Ich möchte Ihnen einmal sagen, was das Ifo-Institut tatsächlich zur Analyse der Investitionszulage aus den Jahren 1974/75 gesagt hat - ich darf das zitieren -:
Sowohl bei der befristeten Investitionssteuer des Jahres 1973 wie auch bei der befristeten Investitionszulage der Jahre 1974/75 hatte die Mehrheit der befragten Unternehmen mit zeitlichen Verlagerungen ihrer Investitionstätigkeit reagiert. Eine Wirkung auf die gesamte Investitionstätigkeit wurde dagegen kaum konstatiert. Etwa ein Viertel der befragten Unternehmen nahmen die 1974 eingeführte Investitionszulage für bestimmte energiesparende Investitionen in Anspruch. Ein großer zusätzlicher Investitionseffekt war bei den meisten dieser Unternehmen aber nicht zu erkennen.
Das ist die Analyse des Ifo-Instituts. Sie werden verstehen, daß wir aus diesem Grund die Investitionszulage nicht als ein geeignetes Mittel für das, was vor uns liegt, akzeptieren können.
Wir sind natürlich auch fähig, Ihnen intellektuell soweit zu folgen, Graf Lambsdorff, daß Sie die Absicht haben, diese Mehrwertsteuererhöhung per
1. Januar 1984 in eine Maßnahme zur Veränderung unserer steuerlichen Belastung umzusetzen, zur Verbesserung in bezug auf die Belastung sowohl der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer. Wir sind mit Ihnen schon lange der Meinung, daß wir eine nachhaltige mittelfristige Entlastung der Unternehmensgewinne wie der Arbeitnehmereinkommen erreichen müssen, wenn die Leistungsbereitschaft und die notwendige Belohnung von Leistung in unserem Lande gesichert werden sollen. Wie Sie wissen, fordern wir selber solche Maßnahmen. Aber wir stellen den zwingenden Zusammenhang zwischen einer mittelfristig vereinbarten Konsolidierung der Staatsfinanzen einerseits und solchen Maßnahmen andererseits her. Sie können uns beim besten Willen nicht zumuten, daß wir einer Absichtserklärung von Ihnen, nämlich ab 1. Januar 1984 die Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung der Steuern zu benutzen, Glauben schenken.
Ich frage Sie: Warum liegt denn heute kein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch, der das verbindlich vorsieht?
({10})
Warum gibt es keine Erklärung von Ihnen, die in Klarheit und Deutlichkeit ausführt, daß am 1. Januar 1984 diese und jene Maßnahmen in diesem Bereich durchgeführt werden?
Ich frage Sie, Graf Lambsdorff: Wie erklären Sie eigentlich die Divergenz, den Unterschied, den Widerspruch zwischen Ihren Äußerungen und denen
des Herrn Bundeskanzlers in der Frage, was nun eigentlich an diesem 1. Januar 1984 geschehen soll?
({11})
Sie fordern - ich bin versucht, Ihre Rede vor dem DIHT zu zitieren; die Zeit reicht dazu nicht -, am 1. Januar 1984 zwei Dinge zu tun, nämlich erstens die heimlichen Steuererhöhungen zu beseitigen und zweitens eine allgemeine strukturelle Verbesserung im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer durchzuführen.
({12})
- Warten Sie mal ab! - Der Bundeskanzler hingegen spricht davon, daß lediglich die Mehrwertsteuererhöhung per 1. Januar weitergegeben werden soll. Ich möchte hier nur einmal den Unterschied in der Größenordnung deutlich machen: Graf Lambsdorff, wenn wir an die Beseitigung der heimlichen Steuererhöhungen, die bis dahin entstanden sind, am 1. Januar 1984 ernsthaft herangehen wollen, dann brauchen wir dafür nach unserer Schätzung zwischen 9 und 10 Milliarden DM. Wenn wir aber gleichzeitig - wir sind j a dafür, daß wir das tun; nur wissen wir nicht, woher es kommen soll - eine strukturelle Veränderung unseres Steuersystems vornehmen, dann dürfen wir nicht über 9 oder 10 Milliarden DM reden, sondern dann müssen wir über 15 oder 16 Milliarden DM reden. In diesem Punkt widersprechen Sie dem Bundeskanzler oder widerspricht der Bundeskanzler Ihnen. Wir bitten Sie um Aufklärung, was nun eigentlich gilt. Was wollen Sie am 1. Januar 1984 machen?
({13})
Die deutsche Bevölkerung ist sehr viel mehr daran interessiert, einmal zu erfahren, wie Ihre langfristige Politik hinsichtlich des Abbaus der Belastung durch Steuern und Abgaben aussieht, als von Ihnen hier Erklärungen zu Investitionszulagen und Mehrwertsteuererhöhungen zu hören.
({14})
Die Investitionszulage, meine Damen und Herren
- das ist für uns, die wir uns mit solchen Problemen gelegentlich befassen, ja keine neue Erkenntnis -, führt zu gewaltigen Mitnahmeeffekten. Wir kennen eine Reihe von Großunternehmen, Graf Lambsdorff
- Herr Roth kennt sie genauso gut -, die in diesem Zusammenhang auf Grund bereits sowieso beschlossener Investitionen gewissermaßen auf einem silbernen Tablett einen Bonus oben drauf bekommen. Ich meine, daß diese Maßnahme geradezu Belohnung von Attentismus für diejenigen darstellt, die weniger investiert haben.
({15})
Ich suche überall Unternehmen, die sich am Rande ihrer Ertragslage und bei Gefährdung ihrer Arbeitsplätze in einer schwierigen Lage befinden und die auf Grund dieser Ankündigung nun tatsächlich Investitionen durchführen, die sie sich bisher nicht
vorgenommen haben. Darauf warten wir. Alle Zeichen sprechen dafür, daß die Belastung der breiten Masse unserer Bevölkerung durch die Mehrwertsteuererhöhung in der Größenordnung von Mehreinnahmen von 8 bis 9 Milliarden DM bei einer Teilzurückgabe über die Investitionszulage am Problem der Arbeitslosigkeit vorbeigeht. Die Großkonzerne, die großen Unternehmen, die noch einigermaßen gut dran sind, werden hier am meisten profitieren,
({16})
die kleinen und mittleren Unternehmen am wenigsten. Ich darf Sie daran erinnern, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß 98 % der 1,9 Millionen Unternehmen in der Bundesrepublik mittelständische Unternehmen sind und 60 % aller Arbeitnehmer in diesem Lande beschäftigen, daß also gerade in diesem Bereich Maßnahmen notwendig wären, daß aber die Investitionszulage am mittelständischen und kleinen Bereich unserer Wirtschaft voll vorbeigeht.
({17})
- Herr Roth, 80 % aller Ausbildungsplätze sind in diesem Teil der Wirtschaft angesiedelt. Wer also Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen will - und das müssen wir -, muß in diesem Bereich zentral ansetzen.
({18})
Auch von daher gesehen geht die Investitionszulage an den wichtigen Bereichen bedauerlicherweise vorbei.
({19})
Die Voraussetzungen zu erfüllen ist j a ungeheuer schwierig. Herr Roth, Sie haben sich sicherlich ebenso wie ich mit den Problemen beschäftigt, vor denen ein Unternehmen steht, wenn es diese Investitionszulage in Anspruch nehmen will. Die Arbeitsbeschaffung dieses Programms liegt vor allen Dingen darin, daß die Arbeit unserer Finanzämter, unserer Steuerberater auf Höchsttouren laufen wird. Der Effekt für den einzelnen steht dazu in keinem Verhältnis. Die kurzen Fristen, Herr Roth, die in dem Programm gesetzt sind, um in den Genuß der Zulage zu kommen, zwingen ja gerade dazu, daß man Investitionen vornimmt, die in der Mehrzahl den Charakter von Rationalisierungsinvestitionen und nicht von Erweiterungsinvestitionen haben. Allein schon von der Kurzfristigkeit und der Kurzatmigkeit der Maßnahme her wird deutlich, daß die Dinge hier an den wirklichen Problemfeldern vorbeigehen. Sie kennen ja auch das Beispiel des Unternehmers, der im Schnitt der letzten drei Jahre jeweils 500 000 DM investiert hat, im Jahre 1982 aber 750 000 DM investiert. Der erhält nur dann eine Zulage, wenn diese 750 000 DM zu mehr als 500 000 DM auf neuen Bestellungen beruhen. Nun frage ich Sie: Wer erfüllt diese Kriterien? Ich befürchte, daß schon zu dieser Stunde Umgehungstatbestände in großer Zahl überlegt werden, um Wege zu finden, wie man in den Genuß dieser Möglichkeiten kommen kann. Nach unserer Meinung ist diese Investitionszulage
in dieser Ausgestaltung wirtschafts- und beschäftigungspolitisch eine Mißgeburt. Deshalb lehnen wir sie als eine Maßnahme ab, die eben ungeeignet ist und die in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Aufwand steht.
Sie wissen alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es hier Versuche gibt, eine Absage an dieses Programm mit der Beschuldigung zu koppeln, die Union sei an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit uninteressiert.
({20})
Im Gegenteil: Wir sind der Meinung, daß Sie mit diesem Programm, von dem Sie alle selber nichts halten, wie wir vom Kanzler, vom Wirtschaftsminister und vom Finanzminister wissen, bei den Arbeitslosen die gefährliche Illusion erwecken, als ob deren Probleme durch kurzfristige, kurzatmige Programme überhaupt gelöst werden könnten. Wir müssen doch darauf achten, daß wir auch die Gewerkschaften nicht durch die Verabreichung von Valium in der falschen Gewißheit wiegen, nun würde sich die Lage grundlegend verändern und bessern.
({21})
Ich möchte Ihnen etwas zu dem heute auch richtigerweise zitierten Thema vom sozialen Frieden sagen. Ich glaube, daß wir uns alle in diesem Hause - SPD, FDP und CDU/CSU - in der Erkenntnis einig sind, daß die Bewältigung der Schwierigkeiten, die in den nächsten Jahren vor uns liegen, nur in einem Klima des sozialen Friedens denkbar und möglich ist.
({22})
Der soziale Friede, die Fähigkeit zum Gespräch miteinander, ist gewissermaßen einer der ganz wenigen internationalen Wettbewerbsvorteile, über die die Bundesrepublik Deutschland gottlob auch heute noch verfügt.
({23})
- Gerade deshalb sollten wir uns, Herr Roth, wenn wir hier über eine so brennende Frage wie große Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit miteinander diskutieren, gerade im Deutschen Bundestag und auch vor den Zuschauern des Fernsehens doch immer wieder darauf besinnen, daß es darauf ankommt, ehrlich und die Dinge beim Namen nennend zu argumentieren.
({24})
- Verehrter Herr Wehner, Sie wissen ganz genau, was wir hier vorgeschlagen haben.
({25})
- Sie kennen unser Sieben-Punkte-Programm. Unser Kollege Waigel hat es heute noch einmal vorgestellt. Heiner Geißler hat im einzelnen davon gesprochen. Graf Lambsdorff hat das Programm für vernünftig gehalten. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen ein Gewicht hat, wenn Graf Lambsdorff das sagt. Aber, Herr Wehner, Sie können doch nicht glauben, daß Sie der Mehrheit des deutschen Volkes klarmachen können, daß Sie mit diesem Programm das Problem lösen und daß die Opposition gewissermaßen nach dem Motto „Friß, Vogel, oder stirb" hier nur zustimmen muß, sonst würde sie dem Vorwurf der Förderung und Befürwortung von Arbeitslosigkeit an-heimgegeben.
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Bitte.
Bitte, Herr Abgeordneter Westphal.
Wenn Sie den Text Ihres Antrages nehmen, würden Sie mir dann darin nicht zustimmen müssen, daß in ihm kein einziger konkreter Vorschlag zur Frage der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit enthalten ist, während in dem, was im operationellen Teil des Jahreswirtschaftsberichtes steht und auch seinen finanziellen Niederschlag im Nachtragshaushalt finden wird, ebenso wie in dem Gesetz, das wir jetzt gerade einbringen, echte konkrete Maßnahmen für die Überwindung von Jugendarbeitslosigkeit enthalten sind?
({0})
Verehrter Herr Westphal, Sie brauchen gar nicht so laut zu sprechen, ich höre Sie sehr gut. Ich will Ihnen sagen, in Ihrem Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind 100 Millionen DM pro Jahr für die nächsten vier Jahre enthalten. Das ist eine sehr vernünftige Sache. Wir sind absolut dafür. Wir haben überhaupt nichts dagegen.
({0})
Aber die Frage richtet sich doch nach dem Preis, um den dieses vernünftige Teilchen des Programms hier angeboten wird. Der Preis ist zu hoch. Die Mehrwertsteuererhöhung und die Investitionszulage sind ungeeignete Maßnahmen in einer Größenordnung und mit einer Belastung der Bevölkerung, die in keinem Verhältnis zu dem denkbaren Ergebnis Ihrer Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit steht. Das ist das Problem.
Wenn Sie sich über die Ausbildungsplätze, die heute noch nicht zur Verfügung stehen, zu Recht erregen, dann sollte man vielleicht einmal überlegen, ob wir nicht auch gewisse Erleichterungen für die Betriebe schaffen könnten, die zur Ausbildung bereit sind, die aber die Auflagen als zu schwierig und problematisch empfinden.
({1})
- Verehrter Herr Westphal, wir könnten uns ja einmal auf den Gedanken verständigen, daß wir die Ausbilder-Eignungsverordnung überprüfen, die heute viele Handwerksbetriebe, z. B. wegen der Auflagen für die Ausbildenden, davon abhält, solche Maßnahmen zu ergreifen.
({2})
Aber ich ersehe schon aus den Bemerkungen und Zwischenrufen von Herrn Roth, daß im Grunde genommen an einer sachlichen Auseinandersetzung über diese Dinge ein besonderes Interesse nicht besteht.
({3})
Sie haben sich zu einer Maßnahme bereitgefunden, die Sie im Grunde genommen nicht vertreten, die Sie für falsch halten. Sie haben sich mit dem Koalitionspartner auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt, der sich eigentlich nur dadurch auszeichnet, daß beide Seiten mit unterschiedlichem Widerwillen auf diesen gemeinsamen Nenner eingegangen sind. Und nun wollen Sie dem deutschen Volk erzählen, dies sei die Rettung, und fordern die Opposition auf, bedingungslos zuzustimmen.
Sie unterschätzen, Herr Kollege Wehner, auch die Stimmung und das Verständnis der Menschen draußen für wirtschaftspolitische Zusammenhänge. Kein Mensch ist so dumm, zu glauben, daß in dieser Zeit, in der es auf Konsolidierung der Staatsfinanzen ankommt, eine Mehrwertsteuererhöhung der richtige Weg ist. Die Belastung unserer Menschen hat inzwischen einen Punkt erreicht, der sie in immer stärkerem Umfang in die Schwarzarbeit und Untergrundwirtschaft abdrängt. Das Gegenteil einer Steuererhöhung ist notwendig, um das Vertrauen wiederherzustellen.
Wir sind insgesamt der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir diese wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Schwierigkeiten nicht durch Programme dieser Art lösen können. Wir sehen mit einigen Rednern von Ihnen die Langfristigkeit des Problems. Wir sehen die sozial- und gesellschaftspolitische Brisanz des Themas Arbeitslosigkeit, die dann noch deutlicher wird, wenn wir uns vor Augen führen, daß in einem immer größeren Umfang auch ausländische Arbeitnehmer einen starken Anteil an dieser Arbeitslosigkeit stellen und daß im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit das Problem durch das Hinzukommen ausländischer jugendlicher Arbeitsloser um so größer ist.
Deshalb können Sie davon ausgehen, daß wir das Thema, um das es geht, ernst nehmen. Aber ebenso überzeugt sind wir von der Tatsache, daß kurzfristige Programme und auch das 13. Programm dieser Regierung nicht geeignet sind, das Problem zu lösen. Deshalb fordern wir Sie ja auf, mit unserem SiebenPunkte-Programm auf die Grundlage einer Politik zu treten, die den Anspruch erheben kann, ein Neubeginn zu sein.
({4})
Koalitionspolitische Kommandounternehmen wie
die Operation '82 - jetzt hören wir auch etwas von
einer Operation '83 - sind völlig unzureichend, um das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen und die Weichen in Richtung auf einen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Neubeginn zu stellen.
Was wir brauchen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind nicht kurzfristige Atemzüge einer sich in Schwierigkeiten befindenden Koalition; wir brauchen vielmehr einen langen Atem und Verläßlichkeit der Politik, die nicht heute für richtig erklärt, was sie gestern noch für falsch gehalten hat.
({5})
Meine Damen und Herren, ehe ich Sie in die Mittagspause entlasse, habe ich eine Feststellung zu treffen. Ich hatte vorhin einen Abgeordneten des Hauses mit einem Ordnungsruf bedenken müssen. Die Geschäftsordnung schreibt vor, daß dies unter Nennung des Namens geschieht. Ich trage nach, daß es sich um den Abgeordneten Topmann handelt.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde.
({0})
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/1386 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Fragen 63 und 64 des Abgeordneten Funke sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Jens auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die zahlreichen Sonderregelungen ({0}), durch das Land Niedersachsen eingeführt, bei der Berechnung des Förderzinses für Erdöl- und Erdgasförderung aus heimischen Quellen einen Verstoß gegen das Bundesberggesetz darstellen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diesem Gesetz Geltung zu verschaffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das Bundesberggesetz ermächtigt in § 32 die Landesregierungen aus einer Vielzahl von Gründen, bestimmte Bodenschätze für bestimmte Zeit von der Förderabgabe ganz oder teilweise zu befreien. Zu den Gründen, die derartige Begünstigungen rechtfertigen, gehören u. a. die Anpassung an die bei Inkrafttreten des Bundesberggesetzes geltenden Regelungen, die Sicherung der Versorgung des Marktes mit Rohstoffen
und vor allem die Verbesserung der Ausnutzung von Lagerstätten.
Unter Berücksichtigung dieses Ermächtigungsrahmens kann die Bundesregierung nicht bestätigen, daß die in der „Niedersächsischen Verordnung über Feldes- und Förderabgabe" vom 17. Dezember 1981 vorgesehenen Befreiungstatbestände für Erdöl und Erdgas gegen das Bundesberggesetz verstoßen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, glauben Sie mit mir, daß die kürzliche Stillegung der Ruhrraffinerie der Deutschen BP am Niederrhein und auch anderer Raffinerien der sogenannten Have-nots mit der ungerechten Gewinnsituation durch die windfall profits zwischen den Mineralölunternehmen auf dem deutschen Markt zu tun haben kann?
Herr Kollege, ich würde eine solche Schlußfolgerung nicht ziehen. Die Stillegung von Raffinerien hat zum einen mit rückläufigen Preisen auf den sogenannten Spotmärkten zu tun, besonders aber damit, daß der Verbrauch an Raffinerieprodukten - Gott sei Dank, füge ich aus energiewirtschaftlichen Gründen hinzu - drastisch zurückgegangen ist, während in der Zeit, als praktisch keine Förderabgabe erhoben worden ist, diese Raffinerien betrieben worden sind. Natürlich spielt der Wettbewerb eine Rolle, und die finanziell günstigere Lage von Unternehmen, die über Fördergewinne verfügen, macht den Wettbewerb für die sogenannten Have-nots schwieriger, und von da ist ein Zusammenhang nicht auszuschließen. Es sind also viele Faktoren, wobei ich allerdings, wie gesagt, der Nichterhebung einer Förderabgabe eine relativ untergeordnete Rolle beimessen würde.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß zumindest der Förderzins bisher vom Land Niedersachsen zu niedrig festgesetzt ist und erhöht werden müßte?
Herr Kollege, der Bundestag hat im Bundesberggesetz eine Höchstgrenze für die Förderabgabe von 40 % festgelegt. Das Land Niedersachsen erhebt im Augenblick eine Förderabgabe von 32 %. Es ist damit also schon eine sehr starke Annäherung an die Höchstgrenze vorgenommen worden, die vom Bundestag für richtig gehalten wurde.
Weitere Zusatzfrage. Abgeordneter Freiherr von Schorlemer, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Bundeswirtschaftsministerium bei den Vorbereitungen der Verordnung des Landes Niedersachsen und der Verordnungen anderer Bundesländer in jeder Phase im sogenannten Länderarbeitskreis beteiligt war und gegen die
Bestimmungen der Verordnung Niedersachsens keine Einwendungen erhoben hat?
Herr Kollege, es ist richtig, daß wir informiert worden sind. Aber ich füge hinzu, daß die Gestaltung etwa der Befreiung von Förderabgabe in verschiedener Weise möglich ist und daß es hier in den einzelnen Ländern unterschiedliche Regelungen gibt, so daß unsere Beteiligung an diesen Beratungen nicht etwa einschließt, daß wir, wenn wir zu entscheiden gehabt hätten, in jedem Einzelfall in gleicher Weise entschieden hätten. Aber ich betone: Es gibt aus unserer Sicht im Blick auf das Bundesberggesetz keinen Anlaß, einen Widerspruch zwischen dem Bundesberggesetz und der entsprechenden Verordnung der niedersächsischen Landesregierung zu sehen.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Broll.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es sich bei der Förderzinshöhe Niedersachsens insgesamt um eine Regelung von Augenmaß handelt und daß die gegenwärtige Höhe auch die Tendenzen berücksichtigt, die bei der 3. Fortschreibung des Energieprogramms für die Entwicklung von Gas- und Ölenergie ins Auge gefaßt worden sind?
Das würde ich bejahen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß durch die Wettbewerbsnachteile, die den nicht fördernden Gesellschaften entstehen, zwangsläufig in deren Bereich zuerst Betriebsstillegungen stattfinden?
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es zu einem Zeitpunkt, in dem eine Förderabgabe der Höhe nach praktisch nicht existiert hat, nicht zu Betriebsstillegungen von Raffinerien gekommen ist, trotz eines erheblichen Wettbewerbsunterschieds, der auch zu dem damaligen Zeitpunkt bestanden hat. Ich halte zwar die Förderabgabe unter Wettbewerbsgesichtspunkten heute für ganz dringend notwendig - wir haben sie auch in der Vergangenheit für notwendig gehalten -, aber ich rechne diese Betriebsstillegungen, die Sie erwähnen, nicht etwa in erster Linie der Förderabgabe oder Wettbewerbsverzerrungen auf Grund bestehender Gewinne zu.
Vor dem Hintergrund, daß der Bundestag im Bundesberggesetz eine Förderabgabe von höchstens 40 % für richtig gehalten hat, bleibt mit großer Sicherheit eine solche Wettbewerbsverzerrung - wenn Sie das so nennen wollen - in der Zukunft bestehen, selbst wenn an die äußerste Grenze gegangen würde, die das Bundesberggesetz vorsieht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Jens auf:
Ist es richtig, daß dem Land Niedersachsen durch die großzügige Handhabung der Förderabgabe im Rahmen des Bundesberggesetzes rund 250 Millionen DM an Einnahmen entgehen, und wird die Bundesregierung darauf drängen, daß sowohl die Einnahmen aus der Förderabgabe als auch die entgangenen Einnahmen im Land Niedersachsen beim Länderfinanzausgleich mit berücksichtigt werden?
Unterstellt man, Herr Kollege, daß mit dem Hinweis auf „die großzügige Handhabung der Förderabgabe" die Differenz zwischen dem verordneten Abgabesatz von 32 % und dem nach dem Bundesberggesetz höchstzulässigen Satz von 40 % gemeint ist, so ist zunächst zu beachten, daß der Regelsatz nach § 31 des Bundesberggesetzes 10 % vom Marktwert beträgt und daß damit jetzt mehr als eine Verdreifachung vorliegt. Aber auch bei der gebotenen Berücksichtigung der seit dem Jahre 1980 bereits vereinbarten 22 % bedeutet der kritisierte Abgabesatz eine Ausschöpfung des verbleibenden Spielraums um mehr als die Hälfte. In diesem Zusammenhang darf auch die vom Parlament eigens in das Gesetz zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten eingefügte Klausel über die „Anpassung an die bei Inkrafttreten des Bundesberggesetzes geltenden Regelungen" nicht übersehen werden.
Die von Ihnen genannte Summe von 250 Millionen DM an Einnahmen, die dem Land Niedersachsen durch die derzeitige Handhabung der Förderabgabe im Rahmen des Bundesberggesetzes entgehen könnten, kann ich nicht bestätigen. Für die Errechnung der von Ihnen genannten Summe wäre es notwendig, sowohl den zukünftigen Marktwert des geförderten Erdöls und Erdgases als auch die dabei entstehenden Kosten zu kennen. Beides für die Zukunft abzuschätzen, ist mir nicht möglich.
Zur Problematik der Berücksichtigung des Förderzinses beim Finanzausgleich ist aus Anlaß parlamentarischer Anfragen der Kollegen Dr. Spöri und Purps bereits bei früherer Gelegenheit Stellung genommen worden. Die Haltung der Bundesregierung stellt sich danach unverändert wie folgt dar:
Die gesetzlichen Regelungen des Beteiligungsverhältnisses von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer und den Ergänzungszuweisungen des Bundes an leistungsschwache Länder sind seit Ende 1980 ausgelaufen. Im Rahmen der noch laufenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die gesetzliche Neuregelung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer werden neben den für den horizontalen Finanzausgleich entstandenen Problemen auch Volumen, Dynamik und Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen überprüft.
Im einzelnen möchte ich auf die Antworten der Bundesregierung in den Fragestunden vom 26. November und 2. Dezember vorigen Jahres Bezug nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, nachdem wir jetzt mit vielen Ausnahmen eine Förderabgabe von 32 % haben, während das Gesetz 40 % zuläßt, stellt sich mir natürlich die Frage, ob Sie in diesem Jahr noch darauf drängen werden, daß im Land Niedersachsen die Förderabgabe weiter erhöht wird.
Herr Kollege, wir haben immer die Bedeutung der Förderabgabe betont und an alle Länder den Appell gerichtet, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Nach unseren Informationen ist die niedersächsische Landesregierung auch in einem ständigen Kontakt mit den betroffenen Unternehmen und hat durchaus die Absicht, im Kontakt mit diesen Unternehmungen eine Anpassung unter Berücksichtigung der jeweils gültigen Bestimmungen vorzunehmen, wobei ich hinzufüge: Es ist eben erst erhöht worden. Von daher wird sicher mindestens eine Jahresfrist abzuwarten sein.
Keine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wie hoch schätzt die Bundesregierung den Einnahmeausfall für das Land Niedersachsen ein, der durch zu niedrigen Ansatz des Förderzinses etwa seit 1978, seit dem letzten Ölpreisschub, entstanden ist?
Herr Kollege, es ist uns nicht möglich, eine solche Aussage zu machen, weil die dafür erforderlichen Grundlagen hier nicht bekannt sind und weil man dann zusätzlich eine übereinstimmende Grundlage für die Erhebung der Förderabgabe haben müßte, die in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist. Ich will nur ergänzend darauf hinweisen, daß andere Länder wie etwa Hamburg die Förderabgabe in ähnlicher Weise definieren, wie das in Niedersachsen geschehen ist, obwohl es Unterschiede gibt. Ich sehe es auch durchaus als gerechtfertigt an, daß die Länder in eigener Hoheit im Einzelfall unter Berücksichtigung der bei ihnen gegebenen Lage die Höhe der Förderabgabe, aber auch die Befreiungstatbestände definieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kiep.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die von der SPD geführte niedersächsische Landesregierung bis Anfang 1976 die Möglichkeiten, die sich durch den Ölpreisboom seit 1972 ergeben haben, mit der Anwendung des fünfprozentigen Förderzinses in dieser Zeit nicht ausgeschöpft hat?
Das trifft zu, Herr Kollege, wobei natürlich sicher hinzuzufügen ist, daß die damaligen Fördergewinne ungleich weniger Bedeutung hatten, als das bei dem heutigen Preisniveau der Fall ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kansy.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß entgegen den Aussagen, die in den letzten Wochen wiederholt gemacht wurden, daß durch diese Gesellschaften keinerlei Investitionen erfolgen, die Investitionen der Erdöl- und Erdgasgesellschaften ungefähr 20 % ihres Umsatzes aus der inländischen Erdöl- und Erdgasförderung betragen und daß die Begünstigungstatbestände der Verordnung zum größten Teil noch unwirtschaftliche, aber energiepolitisch wünschenswerte Investitionen umfassen?
Ich kann Ihnen im Augenblick die von Ihnen genannte Zahl nicht bestätigen, weil ich sie einfach nicht zur Hand habe. Ich ergänze, daß die Regelungen, die die niedersächsische Landesregierung hinsichtlich der Befreiungstatbestände getroffen hat, im Einklang mit dem Bundesberggesetz stehen und deshalb den Spielraum, den das Bundesberggesetz gegeben hat, nicht verletzen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Franke.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß durch die internationale Energiepreisentwicklung bei der Braunkohle in erheblichem Umfange Gewinne anfallen, auf die eigentlich auch eine Förderabgabe erhoben werden müßte?
Es ist richtig, daß die Wertsteigerungen bei allen Rohstoffen vorhanden sind. Die Gewinne bei der Braunkohle lassen sich aber in keiner Weise mit dem vergleichen, was sich bei Erdöl und Erdgas vollzogen hat. Ich würde also eine solche Ausdehnung nicht für angezeigt halten, obwohl sie selbstverständlich theoretisch möglich ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort an den Kollegen Jens so verstehen, daß die Bundesregierung darauf drängen wird, daß vom Lande Niedersachsen 40 % erhoben werden?
So können Sie das nicht verstehen, Herr Kollege. Die Bundesregierung wird vielmehr, wie sie das auch in der Vergangenheit getan hat, darauf drängen, die Möglichkeiten des Bundesberggesetzes auszuschöpfen und dabei bis zu 40 % zu gehen, wobei es im pflichtgemäßen Ermessen der Landesregierungen liegt, unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse in den einzelnen Ländern den Satz zu bestimmen, der als zweckmäßig und vertretbar angesehen werden kann. Aus der Wettbewerbssituation der beteiligten Unternehmen haben wir allerdings als Bundesregierung ein Interesse, daß ein höchstmöglicher Betrag von den Landesregierungen ausgeschöpft wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in dem Zeitraum, der von Herrn Kollegen Kiep angesprochen wurde, das Bundesberggesetz, das bis jetzt die Grundlage für die Erhebung und Erhöhung des Förderzinses ist, noch nicht gegolten hat?
Das kann ich bestätigen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Schorlemer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir berichten, warum das Land Nordrhein-Westfalen seine Gewinnungsrechte bei der Kohle - insbesondere bei der Braunkohle - unentgeltlich vergeben hat und damit im Gegensatz zu Niedersachsen auf eine dauernde Einnahmequelle verzichtet?
Herr Kollege, Sie wissen, daß die Kohle bei uns unter außerordentlich hohen volkswirtschaftlichen Verlusten gefördert wird. Bei der Steinkohle werden jährlich Zuschüsse aus der Tasche des Steuerzahlers von präterpropter 6 Milliarden DM gezahlt. Bei dieser ungünstigen Kostensituation besteht keinerlei Anlaß, eine Förderabgabe zu erheben. Eine solche Abgabe baut j a auf Gewinnen auf, die dort nicht entstehen. Dies läßt sich also wirklich nicht vergleichen. Bei der Braunkohle ist die Situation etwas anders. Aber wir haben keine Veranlassung, bei dieser in unserem Lande vorhandenen günstigen Primärenergie etwa durch eine Förderabgabe zusätzliche Verteuerungen zu bewirken. Hier liegt wirklich kein Tatbestand vor, der sich mit dem vergleichen läßt, was sich bei Gas und Ö1 darstellt.
({0})
- Ich habe gerade die Braunkohle erwähnt. Auch dort würde ich einen vergleichbaren Tatbestand nicht als gegeben ansehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die in Niedersachsen fördernden Erdöl- und Erdgasgesellschaften im Jahre 1980 nicht, wie es in der SPD-Propaganda in Niedersachsen heißt, 6 Milliarden DM Gewinn, sondern 4 Milliarden DM Umsatz hatten, und sind Sie bereit, von seiten der Bundesregierung den SPD-Politikern Niedersachsens eine kleine Aufklärung darüber zukommen zu lassen, wie sich Gewinn von Umsatz unterscheidet?
({0})
Herr Kollege, ich kenne alle Zahlen, die Sie hier genannt haben, nicht und bin deshalb auch nicht in der Lage, zu einer Aufklärung beizutragen.
({0})
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Vizepräsident Wurbs
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Spangenberg zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Trifft es zu, daß - wie in der Presse berichtet - am 2. Februar 1982 ein aus der „DDR" geflüchteter Grenzsoldat in die „DDR" zurückkehrte, nachdem er vorher mit seinem Vater und einem Angehörigen der Ständigen Vertretung der „DDR" ein Gespräch geführt hatte?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage geht von einem nicht zutreffenden Sachverhalt aus. Ein Angehöriger der DDR-Grenztruppen hat die Demarkationslinie am 24. Januar in die Bundesrepublik überschritten und ist am 2. Februar in die DDR zurückgekehrt. Vor dieser seiner Entscheidung ist er über die rechtliche Situation durch einen Beamten meines Hauses informiert worden. Er hatte es abgelehnt, vor seiner Entscheidung einen Kontakt mit der Ständigen Vertretung der DDR aufzunehmen. Er hat nach diesem Gespräch mit meinem Beamten ein Gespräch mit seinem Vater und anschließend noch einmal ein Gespräch mit demselben Beamten und einem weiteren Beamten aus dem Bereich des Notaufnahmelagers Gießen geführt. Danach hat er seine Entscheidung getroffen. Nach Verlassen des Lagers Gießen hat er ein Gespräch mit einem Vertreter der Ständigen Vertretung der DDR geführt, die ihm gegenüber nochmals Straffreiheit zugesichert hat. Dieses hatte die Ständige Vertretung der DDR dem Bundeskanzleramt bereits vorher mitgeteilt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, vermögen Sie mir erstens zu sagen, auf welche Weise Sie den Grenzsoldaten Vettermann darauf aufmerksam gemacht haben, welche Risiken und Gefahren ihn trotz der Straffreiheitszusage, die Sie gerade erwähnt haben, erwarten könnten, und ist - zweitens - bei dem Gespräch, das er mit dem Vertreter der DDR geführt hat, ein bundesdeutscher Vertreter dabeigewesen, um eventuell Druck auf den Grenzsoldaten oder Nötigung zu vermeiden?
Bei dem Gespräch mit dem Angehörigen der Ständigen Vertretung der DDR war ein Vertreter des Ministeriums, das ich hier vertrete, anwesend. Der Betroffene ist bei den verschiedenen Gesprächen mit dem Beamten meines Hauses auch über alle Konsequenzen aufgeklärt worden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich denn den plötzlichen Sinneswandel des Grenzsoldaten? Wie erklären Sie es sich, daß sich der Grenzsoldat, der ja vorher über schikanöse Behandlung in der Grenztruppe geklagt und diese
als Begründung für seine Flucht angegeben hatte, dann so plötzlich entschloß, seine Zuflucht wieder in dem System zu suchen, dem er gerade entflohen war?
Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatssekretär, in welcher Form versucht Ihr Ministerium, die Einhaltung der Straffreiheitszusage gegenüber dem Rekruten auch auf Dauer zu beobachten bzw. durchzusetzen?
Herr Abgeordneter, nach meinem Wissensstand ist dieser Fall in einer vertraulichen Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses behandelt worden. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir hier - auch im Interesse des Zurückgekehrten - nicht öffentlich darüber sprächen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Welche Gründe gab der Grenzsoldat für seine Flucht aus der „DDR" an, und welche Gründe waren nach Ansicht der Bundesregierung für ihn maßgebend, in die „DDR" zurückzukehren?
Ich möchte das wiederholen, was ich soeben gesagt habe, Herr Dr. Voss. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir über die Unterrichtung des Ausschusses am 10. Februar, die vertraulich war - ich bitte Sie sehr herzlich, sich von Ihren Kollegen, die daran teilgenommen haben, einen Bericht geben zu lassen -, auch im Interesse des Zurückgekehrten nicht öffentlich debattierten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß unser Ständiger Vertreter in OstBerlin, Staatssekretär Bölling, mit der Begründung Einfluß auf die Großzügigkeit bei der Gewährung von Gespächen nimmt, daß die DDR ihrerseits Gespräche mit Bundesbürgern großzügig gewähre, die in der DDR verhaftet worden seien?
Ich habe nicht erfaßt, was Sie mit dem ersten Teil Ihrer Frage zum Ausdruck bringen wollten.
Ich wollte Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob Herr Bölling auf die Gewährung derartiger Gespräche mit geflohenen DDR-Bürgern oder Grenzsoldaten Einfluß nimmt?
Das ist mir nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß ein gravierender Unterschied zwischen Gesprächen, die unsere Vertretung in Ost-Berlin mit in der DDR verhafteten Bundesbürgern führt, und Gesprächen besteht, die die DDR mit aus der DDR geflohenen Bürgern führt?
Wenn Sie das jetzt auf diesen Fall übertragen, kann ich nur feststellen, daß dieser geflohene und zur Rückkehr geneigte Soldat, bevor er die Bundesrepublik verlassen hat, noch einmal nur dem Vertreter gesagt hat, er möchte von ihm die Straffreiheitszusicherung noch einmal hören. Ansonsten haben hier bei uns keine Gespräche der DDR-Vertretung mit dem Geflohenen stattgefunden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Der Fragesteller der Frage 4, der Abgeordnete Engelsberger, hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Der Fragesteller der Frage 15, der Abgeordnete Engelsberger, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Dr. Corterier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Hat die Bundesrepublik Deutschland gegenüber Bolivien ihre völkerrechtlichen Pflichten aus der Wiener Konvention erfüllt, was die Behandlung des Konsulats dieses Staats in Hamburg betrifft?
Das Generalkonsulat der Republik Boliven in Hamburg ist am 5. November 1980 vorübergehend geschlossen worden, da sich der im August 1980 wegen seines Protestes gegen den Umsturz in Bolivien von seinem Posten abberufene ehemalige Generalkonsul Sanchez weigerte, die Räumlichkeiten sowie das amtliche Material und die amtlichen Vermögenswerte des Generalkonsulats herauszugeben. Im Falle der vorübergehenden oder endgültigen Schließung einer konsularischen Vertretung hat der Empfangsstaat nach Art. 27 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von 1963 bestimmte Obhutspflichten, die darin bestehen, die konsularischen Räumlichkeiten, das Vermögen der konsularischen Vertretungen und die konsularischen Archive zu achten und zu schützen. Diese Schutzpflicht beinhaltet nach Ansicht der Bundesregierung, daß der Empfangsstaat, also die Bundesrepublik Deutschland, die amtlichen Räume und das amtliche Material durch Versiegeln und Verschließen vor Unbefugten schützen, ferner das Konsulatsschild und die bolivianische Fahne abnehmen und schließlich die sonstigen Vermögenswerte sicherstellen muß.
Die Freie und Hansestadt Hamburg, mit der die Bundesregierung wegen der Durchführung dieser nach unserer internen Rechtsordnung in deren Zuständigkeit fallenden Obhutsmaßnahmen in Verbindung steht, die aber Zwangsmaßnahmen gegen Herrn Sanchez nicht ergreifen möchte, hat als Lösung vorgeschlagen, daß sie bereit sei, vorbehaltlich des positiven Abschlusses der üblichen administrativen Verfahren, der Zulassung eines neuen Generalkonsuls von Bolivien zuzustimmen. Dies ist der bolivianischen Regierung im Dezember 1981 mitgeteilt worden. Sie hat die Bundesregierung über ihre Entscheidung noch nicht unterrichtet.
Die Bundesregierung mißt der Einhaltung der beiden Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen von 1961 und 1963 größte Bedeutung bei - nicht zuletzt um der weltweit feststellbaren Erosion des geschützten Status diplomatischer und konsularischer Vertretungen und ihrer Angehörigen entgegenzuwirken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hennig. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, halten Sie es für möglich, daß dieser doch sehr klare Sachverhalt Ihrem Vorgänger im Amt und jetzigen Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg nicht genauso bekannt ist, nämlich der Sachverhalt, daß durch dieses Verhalten der Freien und Hansestadt Hamburg die Wiener Konvention verletzt wird? Und wie wird die Bundesregierung auf ihn einwirken, sich dieser völkerrechtlichen Verpflichtung entsprechend zu verhalten?
Ich gehe davon aus, daß der Sachverhalt Herrn von Dohnanyi bekannt ist. Ich darf - anknüpfend an das, was ich geantwortet habe - darauf hinweisen, daß wir mit dem Senat in enger Verbindung stehen und daß der Senat darum bemüht ist, möglichst schnell eine pragmatische Lösung dieses schwierigen Falles zu finden.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Indem ich von der pragmatischen Lösung einmal absehe und mich auf die Rechtslage beziehe, frage ich, Herr Staatsminister: Ist es nicht so, daß die Regierung der Republik Bolivien - mit deren Gesellschaftsordnung ich mich durch diese Frage nicht identifiziere - einen Anspruch darauf hat, daß sowohl die Bundesregierung als auch die Regierung der Freien und Hansestadt Hamburg ihrer klaren Verpflichtung nach dieser Wiener Konvention über konsularische Beziehungen nachkommt, das Haus räumt und damit dem Abkommen entspricht, das j a wohl getroffen ist, und daß der neue Generalkonsul erst ausreist, wenn dieses Haus in Hamburg wieder frei ist?
Die bolivianische Regierung hat hier gewisse Ansprüche; ich habe sie genannt. Wir sind mit dem Hamburger Senat und mit der bolivianischen Regierung in Verbindung in dieser Angelegenheit. Ich gehe davon aus, daß diese An5304
sprüche in Kürze auch durchgesetzt werden können.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Ich rufe Frage 17 - des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig - auf:
Auf welche Weise will die Bundesregierung, die am 12. Februar 1982 durch den Sprecher des Auswärtigen Amtes mitgeteilt hat, eine Bewertung der Wahlen in El Salvador werde von deren Verlauf abhängen, deren Verlauf beurteilen, wo sie doch dort zur Zeit nicht durch einen Botschafter vertreten ist und Beobachter nicht entsendet?
Es gibt Möglichkeiten verschiedenster Art, den Verlauf der Wahlen zu beurteilen, die am 28. März 1982 in El Salvador abgehalten werden sollen, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland dort zur Zeit nicht durch einen Botschafter vertreten ist und auch keine Beobachter der Bundesregierung entsandt werden. So kann z. B. die Bundesregierung die zur Beurteilung der Wahlen notwendigen Tatsachen durch ihren in San Salvador anwesenden Geschäftsträger, aber auch durch Meinungsaustausch mit befreundeten Regierungen in der Region und mit ihren europäischen Partnern erfahren, denen gleichfalls vielfältige Informationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hennig.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob folgendes Zitat aus der Fragestunde - das ich, da es sehr kurz ist, mit Genehmigung des Präsidenten in Erinnerung rufen möchte - heute noch der Meinung der Bundesregierung entspricht. Fragestunde am 16. September 1981, Frau Hamm-Brücher:
Die Bundesregierung begrüßt die Ankündigung der Regierung von El Salvador, im März 1982 Wahlen abzuhalten. Sie hat dies wiederholt erklärt und dabei ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, daß sich alle demokratischen Kräfte des Landes an den Wahlen beteiligen und so die Bildung einer demokratisch legitimierten Regierung erlauben. Nur auf diesem Wege werden nach Ansicht der Bundesregierung die blutigen Auseinandersetzungen und damit das Leiden der Bevölkerung beendet werden.
Ist dies heute noch die politische Meinung der Bundesregierung? Wenn nein, was hat sich seit dem September verändert - außer das Herr Wischnewski einen bösen Brief geschrieben hat?
Herr Abgeordneter, Sie haben in erster Linie nach der Beobachtung der Wahlen gefragt. Das ist das Thema, das sich im Augenblick stellt. Das ist etwas anderes als die Frage, wie man dann die Wahlen letztlich bewertet.
Ich habe der damaligen Stellungnahme im Moment nichts hinzuzufügen. Wir haben in letzter Zeit allerdings bedenkenerregende Nachrichten aus El Salvador. Ich habe heute morgen beispielsweise in
American Forces Network die Nachricht gehört, daß zur Zeit kaum noch einer der führenden Politiker an Versammlungen teilnehme, da die persönliche Sicherheit aller dieser Politiker nicht mehr garantiert sei. Alle diese Elemente müssen in die Beurteilung einfließen. Ich glaube, es besteht kein Anlaß, jetzt vor den Wahlen eine Neubewertung abzugeben. Wir müssen die Wahlen erst einmal abwarten, um uns dann dazu zu äußern.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, den von Ihnen zitierten Geschäftsträger danach zu fragen, ob es stimmt, daß sich sämtliche Mitglieder der Regierung überhaupt nicht an diesem Wahlkampf beteiligen dürfen, weil sie nach dem Wahlgesetz nicht Reklame für eine konkrete Partei machen dürfen, sondern juristisch lediglich in der Lage sind, die Wahlbeteiligung anzuheben?
Ich verstehe den Sinn dieser Frage nicht. Wir lassen uns von unserem Geschäftsträger über alle für unsere Urteilsbildung wesentlichen Fragen unterrichten.
({0})
Verzeihung, Herr Abgeordneter, Sie haben zwei Fragen gestellt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herterich. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Welche Tatbestände haben sich im salvadorianischen Wahlprozeß in bezug auf die Teilnahme politischer Gruppierungen seit dem 16. September letzten Jahres bis zum heutigen Tage geändert?
Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß mit dem Herannahen des Wahltermins die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Lande ganz offensichtlich ständig zunehmen. Unter diesen Umständen ist die Frage zu stellen, ob auf diese Weise ordnungsgemäße Wahlen durchgeführt werden können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}). Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, da Sie die Frage meines Kollegen Hennig nicht vollständig beantwortet haben, möchte ich noch einmal gerne von Ihnen wissen, ob die Bundesregierung die Situation in bezug auf die Teilnahme an diesen Wahlen anders sieht, als es dieselbe Bundesregierung im September 1981- allerdings durch Ihre Frau Kollegin Hamm-Brücher - hier getan hat.
Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe. Ich sehe keinen Anlaß, jetzt vor den Wahlen eine neue Bewertung vorzunehmen. Dazu wird dann nach den Wahlen Anlaß sein.
Keine Zusatzfrage mehr.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe Frage 18 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Weshalb ist die Bundesregierung auf meine Frage nach den konkreten Ergebnissen der Gespräche zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem KPdSU-Generalsekretär Breschnew über die Achtung der Menschenrechte und die Verbesserung der Ausreisemöglichkeiten der Deutschen in der Sowjetunion bei der schriftlichen Antwort des Staatsministers Dr. Corterier vom 11. Februar 1982, in der sie nur die neuesten Aussiedlerzahlen mitteilte und erklärte, die weitere Entwicklung lasse sich gegenwärtig noch nicht beurteilen, nicht eingegangen, und bedeutet diese Antwort, daß es konkrete Ergebnisse dieser Gespräche nicht gegeben hat?
Generalsekretär Breschnew erklärte bei seinem Arbeitsbesuch, daß die Sowjetunion in der Absicht, humanitäre Fragen in wohlwollendem Geist zu lösen, auch Ausreiseanträge entsprechend behandeln wird. Dieses konkrete Ergebnis der Bonner Gespräche ist allgemein bekannt und wurde daher im Schreiben vom 11. Februar 1982 nicht besonders erwähnt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}). Bitte sehr.
Herr Staatsminister, da sich die Bundesregierung, wie ich Ihrer jetzigen Antwort entnehme, mit dieser Erklärung des Generalsekretärs Breschnew begnügt hat, frage ich: Zeigt nicht die seitherige Praxis in der Genehmigung, und zwar sogar in dem Zeitraum von wenigen Monaten nach diesem Besuch, daß dieser Zusage ganz offenkundig keine praktischen Taten folgten?
Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, Herr Abgeordneter, daß wir uns mit dieser Erklärung zufriedengeben würden, sondern wir werden auf dieser Basis darauf drängen, daß die sowjetische Regierung, was die Ausreise von Deutschen angeht, in Zukunft zu einer großzügigeren Praxis zurückkehrt.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Darf ich Ihrer heutigen Antwort, in der Sie lediglich auf die wohlwollende Behandlung von Ausreiseanträgen durch den Generalsekretär verweisen, entnehmen, daß es Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der UdSSR bei diesem Staatsbesuch zur Verbesserung der menschenrechtlichen und volksgruppenrechtlichen Situation der Deutschen in der Sowjetunion nicht gegeben hat?
Ich kann Sie nur auf das verweisen, was ich zitiert habe. Das ist die Erklärung, die wir festgehalten haben. Wir haben aber im übrigen - das ist von verschiedenen Gesprächspartnern des Generalsekretärs aus geschehen - den Gesamtkomplex der für uns in diesem Bereich wichtigen Fragen angesprochen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Herterich. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herrr Staatsminister, wie haben sich die Zahlen der Aussiedler seit dem BreschnewBesuch bis heute entwickelt, und sind Sie mit dieser Entwicklung zufrieden?
Ich möchte Ihnen diese Zahlen gerne nennen. Wir hatten im Monat November - das war der Monat, in dem der Besuch stattgefunden hat - 80. Im Dezember waren es 409, im Januar 194 und im Februar 160.
Ich darf auf den zweiten Teil Ihrer Frage eingehen und sagen, daß uns diese Zahlen überhaupt nicht zufriedenstellen können. Wir müssen darauf drängen, daß sich diese Zahlen sehr deutlich erhöhen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatsminister, sehen Sie in Äußerungen maßgeblicher CSU-Politiker, z. B. des Abgeordneten Hundhammer im bayerischen Landtag, die deutschstämmigen Aussiedler sollten lieber dort bleiben, eine Ermunterung derjenigen, die diese Dinge in der Sowjetunion restriktiv handhaben wollen, und wird das Auswärtige Amt gegenüber der Sowjetunion klarmachen, daß diese Äußerungen maßgeblicher CSU-Politiker nicht die Auffassung der Bundesregierung und auch nicht dieses Parlaments wiedergeben?
Diese Auffassung entspricht auf gar keinen Fall derjenigen der Bundesregierung. Wir werden, soweit das nötig werden sollte, gegenüber unseren Gesprächspartnern darauf hinweisen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lintner.
Herr Staatsminister, angesichts der durchschnittlichen monatlichen Ausreisezahl im Jahre 1981 von 314 frage ich Sie: Drängt sich Ihnen nicht der Eindruck auf, daß die hohe Zahl von 409 im Dezember 1981 mittlerweile durch eine sehr restriktive Praxis der Sowjetunion wieder ausgeglichen wird?
Ich kann dem so nicht zustimmen, Herr Abgeordneter, da wir über die Jahre hinweg die Erfahrung gemacht haben, daß es im Dezember immer eine vergleichsweise hohe Zahl von Ausreisenden gibt, ohne daß uns dafür im einzelnen die Gründe bekannt wären.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Bedeutet die Antwort des Staatsministers Dr. Corterier vom 11. Februar 1982 auf meine Anfrage nach den konkreten Ergebnissen der Schmidt-Breschnew-Gespräche für die Deutschen in der Sowjetunion, daß trotz des Bekenntnisses beider Seiten im Gemeinsamen Kommuniqué zu den abgeschlossenen Verträgen und zur Einhaltung und Verwirklichung der Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki und trotz der Erklärung der Absicht beider Seiten, humanitäre Fragen in wohlwollendem Geist zu lösen, beim Besuch
Vizepräsident Wurbs
Breschnews in Bonn für die Rußland-Deutschen keine Vereinbarungen über konkrete Verbesserungen erzielt werden konnten?
Die eingehende Erörterung der humanitären Fragen der Aussiedlung und Familienzusammenführung führte zu der erwähnten Wohlwollenserklärung von Generalsekretär Breschnew. Eine Vereinbarung über konkrete Verbesserungen des Ausreiseverfahrens konnte nicht erzielt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}), bitte.
Herr Staatsminister, müssen generelle, aber doch wohl ernstgemeinte Bekundungen wie das Bekenntnis zur Achtung der Prinzipien der Schlußakte von Helsinki, zu denen j a auch die Menschenrechte gehören, nicht wertlos bleiben, wenn sie im konkreten Fall, nämlich wenn es um die Rußland-Deutschen und deren hartes Schicksal geht, nicht zu praktischen Schritten der sowjetischen Behörden führen und ihren Niederschlag in einer konkreten Vereinbarung finden?
Ich kann Ihnen überhaupt nicht zustimmen, wenn Sie sagen, solche generellen Erklärungen müßten wertlos bleiben; denn sie sind ja die Berufungsmöglichkeit, die wir gegenüber der Sowjetunion haben. Welche Basis hätten wir denn, wenn wir nicht z. B. die Schlußakte von Helsinki hätten, auf die wir uns gegenüber der Sowjetunion im Zusammenhang mit diesen Fragen berufen können?
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}), bitte.
Herr Staatsminister, besteht dann aber nicht die Gefahr, daß solche Berufungsgrundlagen wie die Schlußakte von Helsinki oder die Menschenrechtspakte durch eine Politik ausgehöhlt und im Grunde zu bloßem Papier gemacht werden, die nicht mit großem Nachdruck auf der praktischen Durchführung dieser Verträge besteht, was im konkreten Falle hätte bedeuten müssen, daß die Bundesregierung bei ihren Abmachungen mit der sowjetischen Seite eben auch auf einer entsprechenden Abmachung zugunsten der Rußland-Deutschen hätte bestehen müssen?
Wir können nur das tun, was in unseren Möglichkeiten steht, um zu möglichst konkreten Abmachungen zu kommen. Wir können die Sowjetunion nicht zwingen, solche Abmachungen einzugehen. Herr Kollege Jäger, es würde mich interessieren, ob Sie mir Mittel und Wege aufzeigen könnten, wie man Ihrer Meinung nach auf andere Weise zu solchen Abmachungen kommen könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lorenz, bitte.
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß die Unterzeichnerstaaten der Schlußakte von Helsinki in den Protokollen geradezu dazu aufgefordert bzw. ermuntert werden, bilaterale Abkommen mit Blick auf den Korb III abzuschließen, frage ich Sie: Hat die Bundesregierung die Sowjetunion aufgefordert bzw. sie dazu ermuntert, mit ihr ein solches Abkommen abzuschließen?
Ich glaube, wir sollten uns über die Einzelheiten am besten einmal im Auswärtigen Ausschuß unterhalten. Wir haben aber auf jeden Fall versucht, eine konkrete Vereinbarung zustande zu bringen. Das ist nicht gelungen. Wir haben es versucht.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lintner.
Herr Staatsminister, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie danach gefragt haben, welche weiteren rechtlichen Grundlagen Sie außer dem Abkommen von Helsinki hätten? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß auch der internationale Menschenrechtspakt über bürgerliche und politische Rechte von der Sowjetunion einzuhalten ist, nachdem sie ihn ratifiziert hat?
Herr Kollege Jäger hatte ja auch davon gesprochen. Ich habe in meiner Antwort diese Abmachungen und Pakte sowie die Schlußakte ansprechen wollen. Ich hatte nur die Schlußakte besonders hervorgehoben.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Fragesteller der Frage 20, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, hat die Frage zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Nöbel auf:
Sind die Verärgerungen von US-Präsident Reagan und von Papst Johannes Paul II. wegen unseriöser Berichterstattungen der Zeitung „Welt am Sonntag", über die in der Zeitschrift „Der Spiegel", Nr. 7 vom 15. Februar 1982 ({0}), berichtet wurde, gegenüber der Bundesregierung offiziell zum Ausdruck gebracht worden?
Eine Reaktion des amerikanischen Präsidenten auf die im „Spiegel" Nr. 7 vom 15. Februar 1982 erwähnte Berichterstattung der „Welt am Sonntag" ist gegenüber der Bundesregierung nicht erfolgt. Die päpstliche Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation hat unserer Botschaft beim Heiligen Stuhl die Suspendierung des vatikanischen Berichterstatters der Tageszeitung „Die Welt" mitgeteilt. Diese Suspendierung ist inzwischen bis zur endgültigen Entscheidung durch die päpstliche Kommission wieder aufgehoben worden. Diese Entscheidung wird nach unseren Informationen in Kürze erfolgen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Nöbel. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, sind der Bundesregierung bereits ähnliche Vorfälle unseriöser Berichterstattung deutscher Zeitungen bekannt, die zu Verärgerungen im Ausland geführt und auch deutsche Interessen verletzt haben?
Herr Abgeordneter, Sie haben in Ihrer Frage einen Fall erwähnt, in dem nicht korrekt über eine Weihnachtsbotschaft des Papstes berichtet wurde. Leider ist dies - darauf hat uns der Vatikan hingewiesen - in ähnlicher Weise schon einmal vor einem Jahr geschehen. Es handelt sich also um einen Wiederholungsfall. Es läge auf jeden Fall in unserem Interesse, wenn sich derartiges in Zukunft nicht wiederholte.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Sielaff auf:
Wie wird die Bundesregierung reagieren, wenn die amerikanische Regierung um das Einverständnis für die Lagerung von Nervengas in der Bundesrepublik Deutschland nachsucht, und wie würde dies mit der Absicht in Einklang zu bringen sein, „diese Waffen ein für alle Mal aus dem militärischen Arsenal zu verbannen" ({0})?
Präsident Reagan hat in seinen Erläuterungen zu der amerikanischen Absicht, neuartige chemische Kampfmittel herzustellen, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es keine Pläne zur Lagerung dieser Kampfmittel außerhalb der Vereinigten Staaten gibt. Die Aufnahme der Produktion dieser Kampfmittel ist im übrigen erst für 1984 vorgesehen.
Unter diesen Umständen sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, Überlegungen zu einem hypothetischen Lagerungsersuchen anzustellen.
Die Bundesregierung hat immer wieder betont, daß chemische Waffen aus allen Arsenalen der Welt entfernt werden sollen. Sie setzt sich daher mit Nachdruck für ein ausreichend nachprüfbares Abkommen zum Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung chemischer Waffen sowie zur Vernichtung der bestehenden Bestände ein.
Die Bundesregierung begrüßt es, daß der amerikanische Präsident kürzlich diese Zielsetzung eindeutig und unmißverständlich bekräftigt hat. Die Bundesregierung setzt große Hoffnung in die Beratung des Genfer Abrüstungsausschusses, wo seit 1980 eine Arbeitsgruppe „C-Waffen" besteht, die in den abgelaufenen zwei Jahren bereits wichtige Vorarbeiten geleistet hat. Diese Arbeitsgruppe hat vor wenigen Wochen ein neues, erweitertes Mandat erhalten, das sie mit der Ausarbeitung eines umfassenden und verifizierbaren Verbotsabkommens beauftragt.
Hauptschwierigkeit bei den bisherigen Verbotsverhandlungen war es, eine Einigung in der Verifizierungsfrage zu erzielen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat auf diesem Gebiet spezifische Erfahrungen. Sie hat 1954 auf die Herstellung von C-Waffen verzichtet und sogleich auch internationale Kontrollen dieses Verzichts akzeptiert. Die Kontrolle der Verpflichtung, keine C-Waffen herzustellen, kann nicht allein durch sogenannte nationale Mittel gewährleistet werden, sondern erfordert Ortsinspektionen. Diese müssen auch
die in Frage kommende Industrieproduktion umfassen. Nach unseren Erfahrungen sind solche Ortsinspektionen möglich, ohne daß legitime Geheimhaltungsinteressen von Industrie und Forschung Schaden leiden.
Wir haben diese Erfahrungen auf einem internationalen Seminar 1979 der Öffentlichkeit vorgestellt und in einem Arbeitspapier des Genfer Abrüstungsausschusses festgehalten. Der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle wird in Kürze ein neues Arbeitspapier in Genf zu diesem Thema vorlegen. Es wird praktische Vorschläge für die Arbeit eines zu gründenden internationalen Kontrollorgans enthalten. Weiter wird es den Nachweis bringen, daß es auch möglich ist, die binären Komponenten für chemische Waffen in ein Prüfungsverfahren einzubeziehen. Die Bundesregierung hofft, daß sie damit zur Versachlichung der Diskussion beitragen wird und daß vor allem auch der Warschauer Pakt, der Ortsinspektionen bisher kategorisch ablehnt, den Nutzen erkennen wird, den eine zuverlässige Verifizierung allen Vertragsparteien bringt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff; bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob andere NATO-Staaten um ihre Zustimmung zur Lagerung von Nervengas gebeten wurden und ob diese erteilt wurde?
Diese Frage geht insofern ins Leere, Herr Abgeordneter, als der amerikanische Präsident - ich muß noch einmal darauf verweisen - j a ausdrücklich erklärt hat, daß es keine Pläne gebe, diese Waffen außerhalb der Vereinigten Staaten zu lagern. Ich darf hinzufügen: Diese Woche hat der Direktor des Büros für politisch-militärische Angelegenheiten im State Departement, Richard Burt, im Namen seiner Regierung hier in der Bundesrepublik nochmals erklärt, daß es zur Zeit überhaupt keine Pläne gebe, solche Waffen außerhalb der Vereinigten Staaten zu stationieren, und sich diese Frage von daher eben nicht stelle.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, habe ich Ihre vorige Antwort richtig verstanden, wenn ich davon ausgehe, daß Sie gesagt haben, daß das Haupthindernis für Fortschritte in der Verifizierungsfrage bei der Vereinbarung eines entsprechenden Abkommens über das C-Waffen-Verbot darin liege, daß sich die Staaten des Warschauer Pakts bisher hartnäckig geweigert hätten, einer örtlichen Inspektion hinsichtlich der Herstellung und Lagerung solcher Waffen zuzustimmen?
Das trifft zu.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund, den
Frau Schmidt ({0})
Sie gerade angesprochen haben, daß nämlich eine Lagerung solcher Waffen in Europa für die amerikanische Regierung nicht in Frage kommt, die Tatsache, daß eine ganze Reihe amerikanischer Senatoren, auch im deutschen Fernsehen, gesagt haben, daß die Lagerung derartiger Waffen, auch von Nervengasen, nur auf einem eventuellen künftigen Kriegsschauplatz, also in Europa, so wurde gesagt, einen Sinn habe?
Ich kann mich nur an das halten, Frau Abgeordnete, was die amerikanische Regierung durch ihre Sprecher und durch den Präsidenten selbst erklärt hat. Danach sieht es so aus - ich kann es nur wiederholen -, daß sich diese Frage zumindest auf absehbare Zeit nicht stellt.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Leuschner. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, unabhängig von den gegenwärtigen Erklärungen des amerikanischen Präsidenten: Wie wäre die Rechtslage nach dem Truppenvertrag? Bedürfte eine solche Lagerung der Zustimmung der Bundesregierung, oder ginge etwas Derartiges auch ohne Zustimmung der Bundesregierung, wenn der amerikanische Präsident seine Meinung ändern würde?
Falls die amerikanische Regierung ihre Meinung ändern sollte, dann würde folgendes gelten: Im Bündnis besteht Einigkeit, daß die Stationierung nichtkonventioneller Waffensysteme, wie es chemische Waffen ja sind, in Übereinstimmung mit den Verteidigungsplänen der NATO und im Einvernehmen mit den direkt beteiligten Staaten festgelegt wird. Die Lagerung chemischer Waffen auf deutschem Boden setzt daher deutsche Zustimmung voraus.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Soell. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, können Sie dem Haus etwas über den Umfang der in Ost und West vorhandenen chemischen Waffen mitteilen?
Ja, das will ich sehr gerne tun. - Das unabhängige und, wie ich glaube, zu Recht renommierte Londoner Institut für strategische Studien spricht in seiner neuesten Übersicht, der Military Balance 1981/82, von Berichten, die die sowjetischen Vorräte an chemischen Waffen auf 350 000 Tonnen beziffern; die US-Vorräte werden auf 42 000 Tonnen beziffert.
Ich möchte von mir aus hinzufügen, daß das natürlich nur Schätzungen sind und daß die Möglichkeiten, festzustellen, wie groß nun der genaue Umfang der gelagerten Bestände ist, natürlich begrenzt sind. Deshalb meine ich, daß der nächsten Zahl, die ich Ihnen jetzt nennen möchte, sehr viel größere Bedeutung zukommt, weil die nämlich verifizierbar, kontrollierbar ist.
Die Zahl der Spezialisten für chemische Kampfführung in den entsprechenden Einheiten der Armeen der Sowjetunion und der anderen Warschauer-Pakt-Staaten beläuft sich auf 70 000 bis 100 000 Mann, während es bei den Vereinigten Staaten nur 4 700 sind.
Darüber hinaus verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, daß die Streitkräfte des Warschauer Paktes regelmäßig und intensiv unter den Bedingungen des Einsatzes von chemischen Waffen üben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, lag die deutsche Zustimmung zur Lagerung der bereits vorhandenen chemischen Waffen der US-Streitkräfte seinerzeit vor?
Herr Abgeordneter, damals war eine andere Rechtslage gegeben. Diese Bestände sind seit vielen Jahrzehnten hier gelagert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stiegler; bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, wo die chemischen Waffen der Sowjetunion schwerpunktmäßig gelagert bzw. stationiert sind und wo die entsprechenden Streitkräfte ihren Standort haben?
Diese Angaben kann ich im Detail leider nicht machen, Herr Abgeordneter.
Weitere Zusatzfragen? - Bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, können Sie mir erklären, wann diese Zustimmung erfolgt ist, und können Sie etwas näher erläutern, welche Rechtslage gegeben war?
Nun, damals war die Bundesrepublik noch kein souveräner Staat. Im späteren Stadium galten dann das NATO-Truppenstatut und die damit zusammenhängenden vertraglichen Abmachungen. Vorher war das eine andere Rechtslage, die eine Zustimmung in der Form, wie sie heute erforderlich wäre, nicht notwendig gemacht hat.
Weitere Zusatzfragen? - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, sich etwas früher zu melden, sonst ist hier nicht festzustellen, wer sich noch zu Wort meldet. - Bitte, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang habe ich die Frage: Wie sieht es mit der Zustimmung bei einer Modernisierung der vorhandenen Kampfstoffe aus?
Wir gegen davon aus, daß die Verbringung aller nicht konventionellen Waffen in die Bundesrepublik unserer Zustimmung bedarf. Ob es nun um eine Modernisierung geht oder wie auch immer Sie das im einzelnen betrachten
wollen: Das muß für alle Waffen, die neu hierher verbracht werden, gelten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 23 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Entscheidung der amerikanischen Regierung, Nervengas zu produzieren und eventuell in Europa zu lagern, eine Notwendigkeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten, und, wenn ja, welche?
Herr Präsident, ich habe sowohl die Frage 23 als auch die Frage 24 der Sache nach bereits beantwortet. Ich kann von mir aus im Moment nichts hinzufügen.
Dann rufe ich die Frage 24 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) gleich mit auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, gegebenenfalls eine Ausrüstung amerikanischer Truppen, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, mit Nervengas bzw. die Lagerung von Nervengas in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, und werden konkrete Schritte in dieser Richtung unternommen?
und erteile der Frau Abgeordneten das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, haben die Vereinigten Staaten vor der Entscheidung über die Aufnahme der Produktion von Nervengas ihre Bündnispartner konsultiert, und, falls das der Fall war, welche Stellungnahme hat die Bundesrepublik dazu abgegeben?
Nein, es hat keine Konsultation in diesem Sinne gegeben. Es hat eine Information der Bündnispartner über diese Absichten, die die Amerikaner haben, gegeben, aber einer Konsultation bedurfte es nicht; denn es handelt sich j a hier um eine souveräne Entscheidung der Vereinigten Staaten, die zunächst einmal nur ihre eigenen Belange betrifft.
Erst für den Fall, daß entgegen dem bisherigen Zustand eine Stationierung außerhalb der Vereinigten Staaten ins Auge gefaßt werden sollte, müßte eine Konsultation erfolgen bzw. dann auch eine Zustimmung der betroffenen Länder eingeholt werden.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, würden Sie das für eine übliche Verfahrensweise halten und es als dem richtigen Umgang unter Verbündeten entsprechend empfinden?
Ich kann an diesem Verfahren keine Kritik üben. Ich kann nur wiederholen: In der Praxis aller Staaten werden Sie feststellen, daß sie die Entscheidungen, die sie für ihre eigene Rüstung für erforderlich halten, in eigener Verantwortung treffen. Das werden Sie bei den westeuropäischen Bündnispartnern genauso feststellen. Wenn Sie sich einmal etwa französische Rüstungsentscheidungen ansehen, werden Sie feststellen, daß wir, soweit diese Entscheidungen nicht uns betreffen, soweit es nicht um eine Stationierung auf deutschem Boden geht, selbstverständlich auch nicht konsultiert werden.
Möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
({0})
- Herr Staatsminister, hatten Sie beide Fragen im Zusammenhang beantwortet? - Gut, dann noch zwei Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, ich hatte in meiner Frage nach der Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen gefragt. Ich habe jetzt die Frage: Sieht die Bundesrepublik nicht allein angesichts der Tatsache, daß derartige Waffen gegebenenfalls - bitte, ich will nicht ausschließen, daß es dazu nicht kommt - vor allen Dingen die eigene Bevölkerung und auch die eigenen Soldaten gefährden, schon jetzt die Notwendigkeit, eventuell vorbeugend Initiativen dahin gehend zu ergreifen, daß diese Waffen auf keinen Fall hier gelagert werden?
Ich kann dieser Darlegung nicht folgen, Frau Abgeordnete. Ich habe vorhin dargelegt, daß wir, falls je die Absicht bestehen sollte, diese Waffen hier zu lagern, alle Möglichkeiten haben, tätig zu werden und die Interessen, die Sie eben genannt haben, abzuwägen. Im Moment würde es sich nur um eine hypothetische Diskussion handeln. Sie ist nach meiner Ansicht gar nicht möglich, weil es keine Entscheidung der amerikanischen Regierung gibt. Worüber sollten wir mit der amerikanischen Regierung im Moment diskutieren, nachdem sie eindeutig erklärt hat, sie habe keine Pläne, diese Waffen außerhalb der Vereinigten Staaten zu lagern?
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, ist nach Ihrer Ansicht hundertprozentig sichergestellt, daß auf Grund der Truppenstationierungsverträge auch bei einer Ausrüstung der amerikanischen Truppen mit Nervengas in jedem Fall die Zustimmung der Bundesrepublik notwendig ist?
Ich kann nur auf das verweisen, was ich bereits gesagt habe: Ohne unsere Zustimmung können derartige nichtkonventionelle Waffen in der Bundesrepublik nicht stationiert werden.
Auch nicht in der Verantwortung der Vereinigten Staaten?
Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, Sie sagten zum wiederholten Mal, Sie gingen davon aus, daß die deutsche Zustimmung zur Lagerung dieser chemischen Waffen notwendig sei. Ist diese deutsche Zustimmung rechtlich abgesichert?
Davon gehe ich aus.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach den von Ihnen dem Hause vorhin mitgeteilten Zahlenvergleichen ihre Sorge derzeit mehr auf das Vorhandensein solcher Waffen bei den Streitkräften des Warschauer Pakts konzentriert als auf diese Waffen bei den Streitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika?
Davon können Sie ausgehen. Ich möchte allerdings noch einmal auf das verweisen, was ich bei der Beantwortung der ersten Frage eingangs gesagt habe: Unser Ziel ist es, in diesem Bereich - ähnlich wie bei den atomaren Mittelstreckenwaffen - zu einer Abrüstung und Rüstungskontrolle mit dem Ziel einer Nullösung auf beiden Seiten zu kommen. Es handelt sich hier um ganz schreckliche Massenvernichtungswaffen. Es ist mit Recht gesagt worden, daß bei ihrem Einsatz in allererster Linie die Zivilbevölkerung leiden würde. Es gibt Zahlenangaben, wonach im Konfliktfall die Zahlen der Toten bei Soldaten und Zivilbevölkerung im Verhältnis 1 : 20 zum Nachteil der Zivilbevölkerung - zueinander stehen. Von daher kann es doch nur eines geben: zu versuchen, zu Abmachungen zu kommen. Deswegen beschäftigt sich die Bundesregierung so intensiv mit diesem Thema, deswegen ihre Vorstöße im Genfer Abrüstungsausschuß.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Staatsminister, können Sie Auskunft darüber geben, ob Nervengas, das, wie seit langem bekannt ist, in den Ostblockstaaten hergestellt wird, in der DDR gelagert wird und welche Gefährdung dadurch für die Bewohner nicht nur der DDR, sondern auch der Bundesrepublik auszugehen droht?
Ich kann darüber keine Auskunft geben, Frau Abgeordnete.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Die Fragen aus diesem Geschäftsbereich sind damit erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär zur Verfügung.
Die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Freiherr von Schorlemer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 72 der Abgeordneten Frau Blunck auf:
Wann werden die deutsch-dänisch-niederländischen Wattenmeergespräche auf Regierungsebene fortgesetzt, und treffen Informationen zu, nach denen die Bundesregierung eine internationale Wattenmeerkonvention nicht mehr für erforderlich hält?
Frau Kollegin, die deutsch-niederländisch-dänischen Regierungsgespräche über das Wattenmeer werden noch in diesem Jahr fortgesetzt. Nachdem bereits in Den Haag und Bonn zwei Gespräche stattgefunden haben, hat die dänische Regierung jüngst angekündigt, daß sie voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte zu einem dritten Gespräch nach Kopenhagen einladen wird.
Eine internationale Wattenmeerkonvention, wie sie z. B. in dem 1974 von der Internationalen Union zum Schutz der Natur und der natürlichen Hilfsquellen vorgelegten Entwurf vorgesehen war, wirft einerseits erhebliche rechtliche und politische Probleme auf und führt andererseits nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen als eine andere Verständigung über möglichst einheitliche Vorgehensweisen der Wattenmeeranliegerstaaten. Daher hat der Entwurf der genannten Organisation bei keinem der drei Staaten eine uneingeschränkt positive Aufnahme gefunden. Die Bundesregierung verkennt nicht, daß die internationale Bedeutung des Wattenmeers für den Naturhaushalt insgesamt und vor allem als Kinderstube für viele Fischarten sowie als Rast- und Überwinterungsgebiet ziehender Vogelarten dort internationales Handeln erfordert, wo nationale Schutzmaßnahmen nicht ausreichen. Inwieweit dies der Fall ist, ergibt sich aus konkreten sachlichen Notwendigkeiten. Im Hinblick auf die ansehnliche Zahl der bereits abgeschlossenen internationalen Übereinkommen, die auch dem Schutz des Wattenmeeres dienen, sind zunächst die insoweit gegebenen Handhaben voll zu nutzen.
Zusatzfrage, bitte, Frau Abgeordnete.
Darf ich Sie so verstehen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung sehr wohl eine internationale modifizierte Wattenmeerkonvention vorantreiben möchte?
Frau Kollegin, da hätten Sie mich falsch verstanden. Die Bundesregierung ist mit den anderen Ländern der Auffassung, daß die Probleme im gegenseitigen Einvernehmen gelöst werden sollten. Die norddeutschen Bundesländer sind der gleichen Auffassung. Sie sind zwar für eine sehr intensive Zusammenarbeit, aber nicht ohne weiteres der Ansicht, daß neue Abkommen geschlossen werden müssen. Wir haben ja schon eine ganze Reihe internationaler Abkommen, die voll ausreichen, um das Notwendige zu tun.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Leuschner.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor dem Hintergrund des Zieles „Schutz des Wattenmeeres" deutsche Projekte wie geplante Tiefseehäfen und Großeindeichungsprojekte?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß hier nach dem Bundesnaturschutzgesetz, das ja ein Rahmengesetz ist, bei den entsprechenden Verfahren - Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren -, die ja von den Ländern durchzuführen sind, die ökologischen Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, ich hoffe, wir stimmen darin überein, daß die größte Gefahr für das Wattenmeer von der Großschiffahrt, besonders der Tankerschiffahrt ausgeht. Können Sie mir bitte sagen, welche internationalen Übereinkommen es hier gibt?
Frau Kollegin, es gibt eine Vielzahl von Übereinkommen, die auch dem Schutz des Wattenmeers dienen, z. B. das RamsarÜbereinkommen über Feuchtgebiete, das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung von 1974 ({0}), das internationale Übereinkommen über Verhütung der Meeresverschmutzung von 1972 ({1}), das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge ({2}), das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch 01 von 1954, das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe von 1973, das internationale Übereinkommen über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See von 1972, das internationale Übereinkommen über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungsunfällen von 1969 sowie ein Protokoll von 1973 über Maßnahmen bei Meeresverschmutzungen anderer Art und schließlich das Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Ölverschmutzung in der Nordsee von 1969 ({3}).
Sie sehen: Übereinkommen haben wir gerade genug. Es kommt darauf an, international die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung davon aus, daß es ausreichende Abkommen gibt, um Unfälle von Tankern zu verhindern?
Herr Kollege, das zu beurteilen ist nicht eine Sache meines Ressorts, sondern Sache des Verkehrsministers. Ich könnte mir
denken, daß es auch hier eine internationale Übereinkunft gibt. Nur, daß man trotz Übereinkünften damit rechnen muß, daß es Unfälle geben kann, liegt in der Natur der Sache.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Funk ({0}) auf.
Ist die Bundesregierung bereit, zur Minderung der sehr hohen Arbeitslosigkeit im ländlichen Raum dadurch beizutragen, daß sie zusätzliche Mittel für die Fortführung der Dorfsanierung bereitstellt?
Herr Kollege Funk, angesichts der schwierigen Haushaltslage sieht sich die Bundesregierung zur Zeit nicht in der Lage, zusätzliche Mittel zur Förderung der Dorferneuerung bereitzustellen. Die Bundesregierung ist sich jedoch der positiven Wirkungen bewußt, die eine Unterstützung der Dorferneuerung für die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze hat. So hat eine von unserem Haus in Auftrag gegebene Untersuchung der Technischen Universität München ergeben, daß die Förderung der Dorferneuerung im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms von 1977 bis 1980 Investitionen in etwa der dreieinhalbfachen Höhe der Bundesmittel ausgelöst hat. Die davon ausgehenden Beschäftigungseffekte sind zu 80 v. H. vor allem den kleineren und mittleren Bau- und Handwerksbetrieben zugute gekommen, die in den ländlichen Räumen ansässig sind. Wenn es auch nicht möglich war, nach Auslaufen des Zukunftsinvestitionsprogramms die Dorferneuerung als eigenständige Maßnahme im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" weiterzuführen, so besteht jedoch kein Zweifel daran, daß einzelne die Dorferneuerung unterstützende Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Erhaltung der Arbeitsplätze im ländlichen Raum beitragen.
Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht doch eine Möglichkeit besteht, die, wie Sie selbst bestätigt haben, sehr bewährte Maßnahme der Dorfsanierung fortzuführen?
Herr Kollege, eine solche Maßnahme ist nicht vorgesehen. Aus Ihrer Frage entnehme ich aber, daß die Opposition bereit ist, der Mehrwertsteuererhöhung zustimmen,
({0})
so daß die zehnprozentige Investitionszulage ermöglicht wird, die natürlich auch dem ländlichen Raum zugute kommt.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident, darf ich feststellen, daß der Herr Staatssekretär, wenn ich ihm eine Frage stelle, daraus nicht die Zustimmung für etwas ganz anderes ableiten kann. Ich möchte die Frage nachschieben, ob er sich im Kabinett dafür eingesetzt hat, daß diese gute Maßnahme der Dorfsanierung fortgesetzt werden kann.
Herr Kollege, das Gesetz, das heute im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht beraten wird, sieht eine Fortführung der Dorferneuerung nicht vor.
({0})
Ich darf aber hinzufügen: Bei dieser Maßnahme handelte es sich um eine freiwillige Leistung des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe. Es bleibt den Ländern unbenommen, Herr Kollege, diese Aufgabe in eigener Regie fortzuführen,
({1})
wie das auch in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen geschieht.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Funk in bezug auf die Investitionsbeihilfe von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht? Ist Ihnen bekannt - Sie sollten das wissen -, daß die Landwirtschaft diese Investitionsbeihilfe überhaupt nicht bekommen wird, weil verlangt wird, daß die Investitionssumme höher sein soll als der Durchschnitt der letzten drei Jahre? Die Landwirtschaft hat aber im Durchschnitt der letzten drei Jahre -
Herr Abgeordneter, ich bitte, eine Frage zu stellen und keine Erklärung abzugeben.
Ich wollte dem Staatssekretär ein bißchen helfen, Herr Präsident.
({0})
Ich frage also: Ist Ihnen klar, Herr Staatssekretär, daß diese Hilfe bei der Landwirtschaft nicht ankommen würde, falls sie tatsächlich Gesetz werden sollte?
Herr Kollege, die Landwirtschaft ist in dieses Programm voll integriert. Umgekehrt wird behauptet, die Landwirtschaft habe in den letzten drei Jahren teilweise relativ wenig investiert. Demnach müßte die Hilfe dort stärker durchschlagen als in anderen Bereichen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Ihr Minister und Sie sich ganz konkret, nachdem Sie hier selbst zutreffend dargestellt haben, wie erfolgreich die Mittel für die Dorfsanierung gewirkt haben, bemüht haben, bei den Regierungsgesprächen an Stelle der in ihrer Auswirkung außerordentlich umstrittenen Investitionszulage z. B. die Fortführung dieser Maßnahme in ein Beschäftigungsprogramm einzubringen?
Herr Kollege, ich habe die Antwort eigentlich schon gegeben. Das, was von 1977 bis 1980 gegeben wurde, war im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe eine freiwillige Leistung des Bundes. Sie sollte als Beispiel für die Länder dienen. Daß die Maßnahme von einzelnen Ländern fortgeführt wird, beweist, daß das eine gute Sache ist. Wir hoffen, daß sich dem noch andere Länder anschließen werden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kolb.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß durch diesen Zusatzeffekt, den Sie eben für das ZIP ansprachen - Sie sprachen von dem Dreieinhalbfachen -, Bund und Länder mehr an Steuern eingenommen haben, als sie über ZIP gegeben haben, eben weil bei Baumaßnahmen 40 % wieder als Steuern zurück in die Kasse fließen?
Herr Kollege, das, was Sie eben fragten, widerspricht nicht meinen Darstellungen.
({0})
- Das ist eine logische Folge.
({1})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler; bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wieviel Mittel müßten die Länder aufbringen, um die Dorfsanierungsprogramme im Rahmen des ZIP nach Ausfall der freiwillig geleisteten Bundesmittel in alter Höhe fortführen zu können?
Herr Kollege, die Zahl ist mir im Augenblick nicht bekannt.
Ich fürchte, daß eine ganze Reihe der Länder nicht in der Lage ist, diese Mittel allein in ihren Haushalten darzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland; bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer die Länder und Gemeinden zusätzlich mit 500 Millionen DM belastet, und wie wollen Sie dann sicherstellen, daß trotz dieser zusätzlichen Belastung noch Gelder durch die Länder für die Dorfkernsanierung bereitgestellt werden können?
Frau Kollegin, meine Antwort zielte darauf ab, darzustellen, daß es bei der vorliegenden Gemeinschaftsinitiative, die heute von
Parl. Staatssekretär Gallus diesem Hohen Hause beraten wird, nicht um das Dorferneuerungsprogramm und seine Fortführung geht, sondern um eine völlig neue Maßnahme zur Investitionsförderung.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Funk auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der drastischen
Einschränkung der Haushaltsmittel bei den Gemeinschaftsaufgaben, wodurch geplante Investitionen im ländlichen Raum vollständig zum Erliegen kamen und Arbeitsplätze verlorengegangen bzw. gefährdet sind, zusätzliche Mittel im Rahmen des Gemeinschaftsprogramms zur Belebung der Investitionen im ländlichen Raum bereitzustellen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Gemeinschaftsinitiative für Arbeit, Wachstum und Stabilität beschlossen. Die Landwirtschaft ist daran voll beteiligt. Das Investieren für die Landwirte wird durch die Investitionszulage erleichtert. Durch die Initiative wird der Haushaltsansatz für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nicht verändert. Da jedoch die Mittel der Gemeinschaftsinitiative gemeinsam mit den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe eingesetzt werden können, wird es zu einer Belebung der Investitionen im ländlichen Raum kommen.
Zusatzfragen des Abgeordneten Funk, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einig, daß durch die drastische Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben insbesondere die Flurbereinigung tangiert wird? In vielen Fällen können Flurbereinigungsmaßnahmen, die durch Bundesfernstraßenbau notwendig geworden sind, nach der Fertigstellung der Straßen überhaupt nicht begonnen werden, weil kein Geld mehr dafür vorhanden ist. Was gedenkt die Bundesregierung in diesen Fällen zu tun, in denen die Landwirte gezwungen sind, auf Grund dieser Maßnahmen eine Flurbereinigung durchzuführen?
Herr Kollege, die Gemeinschaftsaufgabe als solche besteht nach wie vor. Die Mittel dafür sind im Bundeshaushalt gekürzt worden. Der Verteilungsschlüssel wird jeweils im Planungsausschuß zwischen Bund und Ländern festgelegt. Wie dann die einzelnen Summen in den Ländern verwendet werden, entscheiden die Länder selbst. Es ist eine Aufgabe der Länder, dafür zu sorgen, daß dort, wo im Zusammenhang mit Straßenbau Flurbereinigungsmaßnahmen dringend anstehen, diese vorrangig behandelt werden, wenn insgesamt weniger Mittel vorhanden sind. Das ist nicht eine Aufgabe des Bundes.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Funk, bitte, Herr Abgeordneter.
Ich möchte Sie direkt fragen, Herr Staatssekretär: Wie ist das im Falle einer Bundesfernstraße? Ich stimme Ihnen da nicht zu, sondern ich bin der Auffassung, daß in diesen Fällen das auslösende Moment die Bundesfernstraße ist. Ich möchte deshalb bitten, zu berücksichtigen, daß das auch das auslösende Moment für die Durchführung der Flurbereinigungsmaßnahme ist.
Herr Kollege, die Rechtslage ist so, wie ich es sage. Auch wenn eine Bundesfernstraße gebaut wird, wird das Flurbereinigungsverfahren, ein Zweckverfahren, von den Behörden eines Landes eingeleitet. Auch die Dotierung dieser Flurbereinigung erfolgt nicht durch den Bund, weil eine Bundesstraße gebaut worden ist, sondern aus den Mitteln, die das Land über die Gemeinschaftsaufgabe prozentual erhält.
Ich bleibe dabei: Es ist Aufgabe des Landes, auch bei knappen Mitteln dafür zu sorgen, daß sie in erster Linie dort eingesetzt werden, wo es am dringendsten ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß, wenn nur noch 1,05 Milliarden DM zur Verfügung stehen, die Bundesländer - ganz gleich, wie sie die Mittel verteilen wollen - halt nur noch diese Summe statt der 1,5 Milliarden DM, die schon einmal verfügbar waren, zur Verfügung haben?
Herr Kollege, ich habe nicht bestritten, daß weniger Mittel zur Verfügung stehen. Deshalb müssen die Maßnahmen gestreckt werden. Die Länder bleiben trotzdem aufgefordert, die Mittel so einzusetzen, daß die dringendsten Vorhaben zunächst bedient werden, und einen entsprechenden Katalog aufzustellen. Das liegt aber nicht in der Aufgabenstellung des Bundes, sondern das vollziehen die Länder in eigener Verantwortung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das nicht bekannt, was Ihre Mitarbeiter im Ernährungsausschuß gesagt haben, nämlich daß, wenn man die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe in zwei Jahren um 28 % kürzt, damit die Mittel für Neuinvestitionen um etwa 80 % gekürzt werden, weil ja die alten Verpflichtungen vorhanden sind? Darf ich Sie weiter bitten, mir meine vorige Frage schriftlich zu beantworten. Sie haben sie in der Eile und Hektik mündlich hier sicher falsch beantwortet, was ich Ihnen ohne weiteres zugestehe.
Herr Kollege, wenn Sie sich auf eine Auskunft beziehen, die Sie bereits von den Mitarbeitern aus meinem Hause erhalten haben, so kann ich sie in der Form nicht bestätigen. Zwar ist es richtig, daß 80 % der Mittel in Höhe von 1,05 Milliarden DM durch Altlast aufgebraucht
sind, aber es gibt gleichzeitig eine Verpflichtungsermächtigung für das nächste Jahr, wonach mit 75 % dieser Mittel in Höhe von 1,05 Milliarden DM auch neue Maßnahmen für die Zukunft eingeleitet werden können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang sagen, wieviel Arbeitsplätze im ländlichen Raum eventuell dadurch tangiert werden, daß diese Maßnahmen nicht durchgeführt werden können?
Herr Kollege, ich kann das nicht sagen. Ich bin der Auffassung, daß durch die Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe erstmalig schon im Haushalt 1981 tatsächlich insgesamt weniger Investitionen im ländlichen Raum getätigt werden. Das ist eine Realität. Es mußte gespart werden. Wir haben in unserem Haushalt nur zwei Bereiche, in denen gespart werden kann - alle anderen Ausgaben sind festgelegt -, nämlich die Gemeinschaftsaufgabe und den Sozialbereich.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Franke.
Herr Staatssekretär, wieso diskutieren wir heute über ein Beschäftigungsprogramm, wenn Sie im letzten Haushaltsjahr für das Haushaltsjahr 1982 investive Aufgaben gekürzt haben?
({0})
Herr Kollege, die Kürzungen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, die schon im Jahre 1981 vorgenommen wurden, rühren nicht so sehr aus einer Diskussion über die Frage von Investitionen oder Nichtinvestitionen im ländlichen Raum, sondern aus einem jahrelangen Unmut im politischen Raum über die Gemeinschaftsaufgabe, an der kritisiert wurde, daß eine parlamentarische Kontrolle - sowohl in diesem Hohen Hause als auch in den Länderparlamenten - nicht stattfinde. Deshalb ist diese Entscheidung schon 1981 gefällt worden, und zwar im Blick darauf, daß die Mischfinanzierung, an der ja alle gewissermaßen keine Freude haben, irgendwann einmal durch neue Regelungen abgelöst werden soll. Jetzt befinden wir uns, wenn ich es richtig sehe, am Anfang der Zwischenphase, die zu einer Neuregelung dieser Dinge zwischen Bund und Ländern führen soll.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in einigen Bundesländern Kabinettsbeschlüsse vorliegen, die Gemeinschaftsaufgabe abzuschaffen?
Herr Kollege, ich kann nur bestätigen, daß ich über Jahre hinweg am laufenden Band - auch von einer großen Anzahl von CDU- bzw. CSU-Ministerpräsidenten - gehört
habe, diese Gemeinschaftsaufgabe solle abgeschafft werden. Ich habe j a hier vor 14 Tagen erklärt: Die Gemeinschaftsaufgabe ist ein ungeliebtes Kind. Sie ist ein Wechselbalg geworden. Heute bestreiten die meisten schon die Vaterschaft.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herberholz.
Herr Staatssekretär, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe sind von 1981 auf 1982 auf 1,05 Milliarden DM und somit um knapp 5% gekürzt worden. Können durch diese Kürzung um 5 %, wie der Fragesteller behauptet, die Investitionsmaßnahmen im ländlichen Raum vollständig zum Erliegen kommen? Ich frage dann: Was machen Sie mit den 95 % der verbleibenden Mittel? Werden durch diese 1,05 Milliarden DM Arbeitsplätze nicht ebenfalls gesichert bzw. neu geschaffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich habe hier erklärt, daß 1,05 Milliarden DM für die Gemeinschaftsaufgabe bleiben. Ich kann aber nicht bestreiten - so wird es jedenfalls auch der Fragesteller gemeint haben -, daß die Kürzung über die zwei Jahre 1981 und 1982 insgesamt gesehen wird. Dann kommt dieser hohe Prozentsatz heraus, was in vielen ländlichen Gebieten etwas negativ wirkt. Das ist gar keine Frage. Insgesamt bleibt aber die positive Seite dieses Programms in der finanziellen Höhe von 1,05 Milliarden DM von seiten des Bundes bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Bötsch. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die von Ihnen bestätigten Kabinettsbeschlüsse, die sich für die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe aussprachen, immer den Zusatz enthielten, daß die Gemeinschaftsaufgabe durch ein neues System des horizontalen und vertikalen Finanzausgleichs ersetzt werden soll, und man nicht etwa der Auffassung war, daß der Bund dadurch den ersten Schritt tun sollte, daß er sich durch Kürzung der Zahlungen einseitig von diesen Aufgaben verabschiedet?
Herr Kollege, das wird nicht in unserem Ressort entschieden. Dann hätten die Ministerpräsidenten der Länder insgesamt dem Herrn Bundesfinanzminister deutlicher machen müssen, wie das alles geschehen soll.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jagoda.
Herr Staatssekretär, könnten Sie dem Parlament mitteilen, wieviel von den zur Verfügung stehenden Bundesmitteln bereits durch Verpflichtungsermächtigungen aufgebraucht gewesen sind?
Herr Kollege, das kann ich leider nicht sofort tun. Ich will Ihnen aber
gern schriftlich mitteilen, wieviel von den 80 % der 1,05 Milliarden DM durch Verpflichtungsermächtigungen schon verbraucht sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung bei ihrer Zustimmung zur Abwertung des belgischen Franc um 8,5 v. H. und der dänischen Krone um 3 v. H. die Auswirkungen auf die Preisverhandlungen für die EG-Agrarmindestpreise berücksichtigt?
Herr Präsident, ich würde gern beide Fragen gemeinsam beantworten.
Ist der Fragesteller damit einverstanden, daß beide Fragen zusammen beantwortet werden?
Das ist kein Problem.
Dann rufe ich auch die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um sicherzustellen, daß die gemeinsamen Preisverhandlungen für die EG-Agrarmindestpreise nicht ständig durch Währungsmanipulationen unterlaufen werden, und wird die Bundesregierung auch die Interessen der deutschen Landwirtschaft bei den Preisverhandlungen berücksichtigen?
Herr Kollege, das Europäische Währungssystem geht von festen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen aus. Gesamtwirtschaftlich notwendige Wechselkursanpassungen sollen unabhängig von agrarpolitischen Gesichtspunkten getroffen werden. Deshalb werden die Währungsveränderungen grundsätzlich durch Einführung oder Veränderung des Währungsausgleichs bei den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeglichen.
Bei der Abwertung des belgischen Franc und der dänischen Krone am 22. Februar 1982 haben die EG-Finanzminister deshalb auch vereinbart, daß die Abwertung der „Grünen Paritäten" für diese Länder und damit die Preisanhebungen in nationaler Währung nicht isoliert vorgezogen, sondern im Gesamtzusammenhang mit den Preisverhandlungen entschieden werden sollen. Der Abbau des Währungsausgleichs durch Differenzierung der Preisanhebungen für die einzelnen Mitgliedstaaten wird sich wie bei den Preisbeschlüssen der letzten Jahre an der Kosten- und Einkommensentwicklung für die jeweilige Landwirtschaft orientieren müssen.
Die Bundesregierung wird die Interessen der deutschen Landwirtschaft bei den Preisverhandlungen dadurch vertreten, daß sie sich für einen geringeren Abbau des deutschen Währungsausgleichs als die von der Kommission vorgeschlagenen 4,5 % einsetzen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wenn es so ist, wie Sie sagen, daß Kosten- und Einkommensentwicklung beim Abbau des Grenzausgleichs berücksichtigt werden, dann kann man davon ausgehen, daß der Grenzausgleich gar nicht abgebaut wird, da sich das Einkommen in der deutschen Landwirtschaft negativ entwickelt hat. Können Sie das bestätigen?
Herr Kollege, ich kann das nicht bestätigen. Ich habe hier gesagt, daß sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel dafür einsetzen wird, daß der Grenzausgleich nicht in der vorgeschlagenen Höhe von 4,5 % abgebaut wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn seit 1979, seit Bestehen des Europäischen Währungssystems, die Währungsparitäten fünfmal verändert werden mußten, d. h. also in noch schnellerer Folge als vorher, welchen Sinn hat das EWS letztlich gehabt?
Herr Kollege, es ist so, wie ich es in meiner Antwort gesagt habe, daß nämlich diese währungspolitischen Entscheidungen unabhängig von der agrarpolitischen Situation gefällt werden. Man muß das EWS nicht nur in bezug auf die Agrarunion und die Agrarpreise, sondern im Gesamtzusammenhang der Volkswirtschaften Europas sehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, ist es nicht doch so, daß Veränderungen der Währungsparität gerade so kurz vor oder während der Preisverhandlungen letztlich doch Auswirkungen auf die Preisverhandlungen haben, wenn ständig an den Währungen herummanipuliert wird?
Herr Kollege, Verhandlungen über die Agrarpolitik und über die Agrarpreise in Brüssel und die währungspolitische Situation einiger Länder sind zwei Paar Stiefel. Ich glaube nicht, daß Belgien und Dänemark die Abwertung ihrer Währungen zu diesem Zeitpunkt vollzogen haben, weil man kurz vor Agrarpreisverhandlungen in Brüssel steht, sondern deshalb, weil die volkswirtschaftliche Gesamtsituation in diesen Ländern so schwierig geworden ist, daß ein Aufschub dieser Entscheidungen nicht mehr möglich war.
Letzte Frage des Abgeordneten Eigen. - Bitte, Herr Abgeordneter.
Welchen Einfluß hat Finanzminister Matthöfer, der sicher in Brüssel für die Bundesregierung verhandelt hat, darauf genommen, daß die Verhinderung des negativen Grenzausgleichs von 1 % für Frankreich doch wesentliche Auswirkungen auf die Warenströme, vor allen Dingen aber auch auf die Preisverhandlungen in Brüssel haben wird?
Herr Kollege, ich war nicht als agrarpolitische Aufsicht für den Herrn Bundesfinanzminister bei den Verhandlungen. Deshalb kann ich hier auch keine Auskunft erteilen.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
In welcher Höhe wäre es nach Ihrer Meinung angemessen, den Grenzausgleich zurückzunehmen?
Herr Kollege, ich halte es im jetzigen Stand der vorbereitenden Verhandlungen nicht für klug, daß wir von deutscher Seite aus öffentlich bekanntgeben, wie unser Konzept für die Preisverhandlungen in den nächsten Wochen in Brüssel sein wird.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe noch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe Frage 77 des Abgeordneten Keller auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß nach Feststellung vieler Sozialämter in jüngster Zeit arbeitslos gewordene Ernährer von Familien mit Ansprüchen auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld auch nach Ausschöpfung erhöhter Wohngeldansprüche auf teilweise erhebliche Ergänzungsleistungen aus der Sozialhilfe angewiesen sind, und zwar oft auch Arbeitslose, die vor der Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hohe Löhne und Gehälter bezogen hatten?
Herr Präsident, wenn es gestattet ist, würde ich gern die Fragen 77 und 78 gemeinsam beantworten.
Ist der Fragesteller damit einverstanden? - Danke sehr. Dann rufe ich auch die Frage 78 auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, durch Umschichtungen bei den Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz die Leistungen für arbeitslos gewordene Ernährer von Familien mit Kindern aufzustocken?
Herr Kollege, es ist richtig, daß die Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz, insbesondere bei verheirateten Alleinverdienern mit mehreren Kindern, nicht in allen Fällen die Höhe der Sozialhilfe erreichen und deshalb bei entsprechendem Bedarf durch Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt aufgestockt werden können. Dies ist eine Folge der unterschiedlichen Zweckbestimmung beider Leistungsarten. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld sind Lohnersatzleistungen, die an die Stelle des ausfallenden Arbeitsentgelts treten und deren Höhe sich deshalb an diesem Arbeitsentgelt orientiert. Die Leistungen der Sozialhilfe richten sich dagegen nach dem Bedarf des Anspruchsberechtigten. Aus der unterschiedlichen Zweckbestimmung der Leistungen - Lohnersatz einerseits, Bedarfs- und familienorientierte Sicherung des Lebensunterhalts andererseits - folgt, daß bei Arbeitnehmern die Lohnersatzleistung niedriger sein kann als die Leistungen der Sozialhilfe.
Ihre weitere Frage nach Umschichtungsmöglichkeiten bei den Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz verstehe ich so, daß es Ihnen um zusätzliche kinderbezogene Leistungen geht. Einen speziellen Familienlastenausgleich im Rahmen der Arbeitslosenversicherung gibt es jedoch seit 1975 nicht mehr. Die Bundesregierung sieht auch keinen Anlaß, die damals vorgenommene Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs ganz oder teilweise rückgängig zu machen. Denn dies würde Arbeitslose gegenüber Arbeitnehmern, die mit geringem Arbeitsentgelt beschäftigt sind, ungerechtfertigt bevorzugen.
Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung im Hinblick auf Ihre Aussage, die Sie jetzt getroffen haben, es für ganz abwegig halten, die Leistungssätze beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe ähnlich zu differenzieren wie seit dem 1. Januar 1982 beim Unterhaltsgeld im Arbeitsförderungsgesetz?
Herr Kollege, es gibt keine Veranlassung, jetzt das Arbeitslosengeld wieder zu differenzieren. Sie wissen, daß wir damals mit der Einführung eines einheitlichen Kindergeldes eigentlich eine Linie erreicht haben, die allen Familien gleichermaßen Vorteile eingebracht hat. Ich sehe keine Veranlassung, das Arbeitslosengeld jetzt wieder als familienbezogene Zuschläge einzuführen. Dies würde, so meine ich, auch völlig dem widersprechen, was gerade Ihre Fraktion - auch in den letzten Tagen - gefordert hat, nämlich im Bereich des Arbeitslosengeldes zu kürzen.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Die Fragen 135 und 144 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}), 136 des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, 137 der Abgeordneten Frau Pack, 138 des Abgeordneten Linsmeier, 139 des Abgeordneten Dr. Möller, 140 des Abgeordneten Zierer sowie 141 und 143 des Abgeordneten Magin sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung ({2})
- Drucksache 9/1350 Vizepräsident Wurbs
Berichterstatter ist Herr Minister Schmidhuber. Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist der Fall.
Ich erteile dem Herrn Staatsminister für Bundesangelegenheiten des Freistaates Bayern das Wort. Bitte, Herr Staatsminister.
Staatsminister Schmidhuber ({3}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Vermittlungsausschusses erstatte ich folgenden Bericht zu der Ihnen in der Drucksache 9/1350 vorliegenden Beschlußempfehlung.
Die letzte Volkszählung liegt über zehn Jahre zurück. Allein diese Tatsache beweist die Dringlichkeit des neuen Volkszählungsgesetzes. Außerdem ist die Bundesrepublik Deutschland gemäß Richtlinie 43 403 der EWG zu einer allgemeinen Volkszählung verpflichtet. Der Deutsche Bundestag hat daher in seiner Sitzung vom 2. Dezember 1981 in dritter Lesung den Entwurf eines Volkszählungsgesetzes 1983 verabschiedet. Damit wurde das in der 8. Legislaturperiode gescheiterte Vorhaben wiederaufgenommen.
Der Bundesrat beschloß in seiner 507. Sitzung vom 18. Dezember 1981, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Der Vermittlungsausschuß hat am 4. und am 11. Februar 1982 die Vorlage beraten. Zu den vier Anrufungsbegehren wurden Einigungsvorschläge beschlossen, durch die das vom Deutschen Bundestag am 2. Dezember 1981 beschlossene Gesetz wie folgt geändert werden soll.
Erstens. Durch eine entsprechende Ergänzung des § 5 wird die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufforderung zur Auskunftserteilung ausgeschlossen.
Zweitens. Durch eine entsprechende Streichung in § 9 Abs. 1 können auch die Merkmale „Telefonanschluß, rechtliche Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft und Staatsangehörigkeit" mit den Melderegistern verglichen und in deren Berichtigung verwendet werden.
Drittens. In § 9 Abs. 3 Satz 2 werden das Satzungserfordernis sowie die Einschränkung auf bestimmte Daten bei der Übermittlung von Daten an Gemeinden und Gemeindeverbände für eigene statistische Zwecke gestrichen.
Viertens. Die in § 11 vorgesehenen Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder werden von DM 1,- auf DM 2,50 erhöht.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zu der vorgelegten Beschlußempfehlung.
Wird das Wort zur Abgabe von Erklärungen verlangt? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1
seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 9/1350 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir fahren fort in der Aussprache über die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung: Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrates, Jahreswirtschaftsbericht 1982 sowie Beschäftigungsförderungsgesetz.
Das Wort hat der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich in erster Linie zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, daß der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die Bürgerschaft das Konzept und die Vorlage der Bundesregierung zur Gemeinschaftsinitiative unterstützen.
({1})
Wir sind der Auffassung, daß die Lage auf dem Arbeitsmarkt entsprechende zusätzliche Maßnahmen erfordert. Wir schließen uns im wesentlichen den Begründungen an, die die Koalition heute morgen vorgetragen hat.
Es ist selbstverständlich, daß Sie dagegen sein müssen, meine Damen und Herren von der Opposition. Aber ich habe Ihren Reden heute morgen auch entnommen, daß Sie nicht erwischt werden wollen, wenn Sie dagegen sind. Sie befürchten nämlich, man könnte am Ende feststellen, daß Ihnen ein erheblicher Teil an Mitverantwortung für die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zukommt, wenn Sie eine Gemeinschaftsinitiative blockieren.
({2})
Insofern muß ich die Kunstfertigkeit von Herrn Geißler am heutigen Vormittag wirklich „bewundern", mit der er versucht hat, Kulissen zu verschieben. Ich sage auch offen: Wenn man sieht und hört, mit welchem frenetischen Beifall die CDU/CSU-Fraktion, die sich in diesem Hause doch jahrelang gegen den Ausbau sozialer Leistungen gestellt, dagegen gestimmt und dagegen polemisiert hat
({3})
- ich fange ganz früh an, bei dem Baby-Jahr; wir haben ein gutes Gedächtnis, Herr Franke, so ist es ja nicht -,
({4})
eine Rede begleitet, die in ihrer Konsequenz den
Ausbau der sozialen Leistungen bedeuten würde,
kann einen nicht wundern, wenn die jungen Leute
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({5})
im Lande an der Aufrichtigkeit der Politiker zu zweifeln beginnen.
({6})
Verzeihen Sie, Herr Bürgermeister. Gestatten Sie eine Zwischeñfrage des Abgeordneten Franke?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Ich möchte jetzt gerne fortfahren.
({1})
Ich muß offen sagen: In den zwölf Jahren, in denen ich diesem Hause angehört habe, habe ich eine so unaufrichtige Rede, wie die von Herrn Geißler heute, nicht gehört.
({2})
Ich muß sagen, meine Damen und Herren von der Opposition: Da sehnt man sich nach Franz Josef Strauß; da hat es wenigstens gestimmt, da wußte man wenigstens, woran man war.
Wenn uns der Kollege Geißler sagt, wir brauchten geistige Führung, so ist das sicherlich richtig. Auch das jetzt vorliegende Konzept zur Wiedergewinnung einer ausreichenden Beschäftigung muß noch weiterentwickelt werden. Was den Einsatz unserer Mittel für mehr Beschäftigung angeht, so ist dies noch keine vollständig gelöste Aufgabe. Übrigens in keinem Industrieland; denn sie alle befinden sich in einem Strukturwandel, alle befinden sich in einer vergleichbaren - wenn auch meist sehr viel tiefer gehenden - Krise.
Geistige Führung - j a. Aber ich habe dann Schwierigkeiten, Herrn Geißler zu folgen, wenn er heute vormittag vorgeschlagen hat, man möge doch der Entschließung zustimmen, die die Unionsfraktion vorgelegt hat. Da heißt es auf der Seite 2:
Die Arbeitslosigkeit ist das Ergebnis der Tatsache, daß die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft jahrelang verletzt wurden.
({3})
- Sie klatschen jetzt; das ist ja klar. ({4})
Aber nun möchte ich Sie einmal fragen: Erstens. Ist Ihnen nicht genauso wie jedem anderen, der einen Blick über unsere Grenzen wirft, klar, daß die Arbeitslosigkeit in allen Ländern der Welt in den letzten 20 Jahren erheblich zugenommen hat?
({5})
Zweitens. Wenn man zwei marktwirtschaftlich regierte Länder hinsichtlich dieses Zeitraums betrachtet - ich nenne nur Frankreich und die USA -, ist es dann nicht richtig, daß die Arbeitslosigkeit in Frankreich im Jahre 1960 0,7 % und 20 Jahre später - wohlgemerkt: vor Mitterrand - über 11 % betragen hat, daß in den USA 1960 eine Arbeitslosigkeit
von 5,5 % bestand und heute eine Annäherung an 9 % zu verzeichnen ist? Ich will auch noch Österreich und Schweden erwähnen, die vielleicht andere marktwirtschaftliche Prinzipien in den Vordergrund gestellt haben. Österreich hatte 1960 eine Arbeitslosigkeit von 3,7 %, 1981 eine Arbeitslosigkeit von 2,4 %. Schweden hatte 1960 eine Arbeitslosenquote von 1,5 % und 1981 eine solche von 3 %.
Was in Ihrem Antrag festgestellt wurde, ist doch einfach nicht wahr. Man kann mit derartigen Vereinfachungen doch keine „geistige Führung" in Anspruch nehmen. Das ist doch, meine Damen und Herren von der Opposition, eine Irreführung von Bürgern und damit eine Verhinderung der vernünftigen Beteiligung von Bürgern an der Lösung schwieriger Aufgaben.
({6})
Der Kollege Waigel hat heute morgen, wie dies auch immer wieder geschieht, auf die verlorene Wettbewerbsfähigkeit hingewiesen. Ich meine, daß über die Wettbewerbsfähigkeit immer noch auf dem Markt entschieden wird. Die Bundesrepublik Deutschland hatte 1960 einen Anteil am Welthandel von 9 %. Inzwischen sind viele zusätzliche Wettbewerber auf den Weltmarkt gekommen, u. a. auch Japan. 1969 betrug der Anteil am Welthandel 10,5 %. Ich lese heute in der „Süddeutschen Zeitung", daß nach den jetzigen Berechnungen 1982 dieser Anteil bei etwa 11,5 % liegen wird. Das bedeutet eine Zunahme des Anteils am Weltmarkt durch eine angeblich nicht mehr wettbewerbsfähige Wirtschaft! Was sind das für Thesen, für Behauptungen, mit denen man den wirklichen Problemen ausweicht!
({7})
Meine Damen und Herren, ich kann das Gerede von der verlorenen Leistungsbereitschaft auch nicht mehr hören. Herr Kollege Kiep hat das heute morgen auch wieder gesagt. Wenn ich ihn richtig zitiere, hat er etwa gesagt: „Leistungsbereitschaft und die notwendige Belohnung von Leistung müssen in diesem Land wieder stattfinden." Meine Damen und Herren, das muß man einmal in den Betrieben sagen, in denen hart gearbeitet wird!
({8})
Herr Kiep hat gesagt, an den Arbeitsplätzen, an denen hart gearbeitet wird, müsse wieder mehr Leistungsbereitschaft vorhanden sein.
Da warnt Herr Geißler vor dem „Dschungel des Stärkeren", während Herr Kiep sagt: mehr Leistungsbereitschaft. Beides wird von der Opposition beklatscht. Wie können da die Zuschauer oder Zuhörer noch an die Aufrichtigkeit unserer Politik glauben?
Gestatten Sie, Herr Erster Bürgermeister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiep?
Herr Bürgermeister, sollte es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß ich in meiner Rede von der Leistungsbereitschaft im Zusammenhang mit der notwendigen Belohnung von Leistung gesprochen habe und daß ich die Abwesenheit der Belohnung von Leistung durch eine übermäßige Belastung durch Abgaben und Steuern als eine Behinderung vorhandener Leistungsbereitschaft unserer Menschen dargestellt habe?
({0})
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({1}): Herr Kiep, ich weiß nicht, welche Arten von Klarstellungen wir jeweils bekommen. Sie haben wörtlich gesagt: Leistungsbereitschaft und die notwendige Belohnung von Leistung müssen in diesem Land wieder stattfinden.
({2})
Es gibt genug Kritik an der Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft. Wenn man die Betriebe wirklich sieht, weiß man doch, wie hart dort gearbeitet wird.
({3})
Im übrigen wehrt sich die Opposition gegen den Vergleich mit den Politiken der Regierungen Thatcher und Reagan. Herr Kiep hat gesagt: Wir wollen das nicht. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Nur, bevor die Ergebnisse dieser Politiken sichtbar wurden, hörte man allerdings lautstarke Unterstützung, und zwar quer durch die ganze Opposition und durch die CDU/CSU.
({4})
Ich muß offen sagen: Ich finde es auch nicht ganz fein, daß man die Kollegen Reagan und Thatcher nun im Stich läßt, nachdem es dort ein bißchen schlechter geht. Herr Kiep, so schnell sollte man die Flaggen nach meiner Überzeugung nicht streichen. Wenn man schon zu einer Sache steht, sollte man sie auch durchhalten.
({5})
Was will denn die Opposition? Was setzt sie dem Konzept der Bundesregierung gegenüber?
Ich habe heute morgen sorgfältig zugehört. Ich habe wirklich keine Klarheit über eine Alternative gewinnen können. Herr Kiep hat in einer längeren Rede alle möglichen Gesichtspunkte aufgeführt, um dann dem Konzept der Bundesregierung entgegenzuhalten, daß „die sozial verpflichtete Marktwirtschaft Ludwig Erhards das Richtige auch in dieser Lage" sei. Gemessen an dem, was wir sonst von Ihnen hören, Herr Kiep, ist das sehr präzise,
({6})
aber für die Lösung unserer Probleme wirklich nicht ausreichend.
({7})
Die Rückkehr in die 50er und 60er Jahre als Rezept
ist in einer völlig veränderten Lage kein Konzept.
Meine Damen und Herren, wir dürfen auch nicht
übersehen, daß Ludwig Erhard mit seinen Konzepten schließlich in einer Wirtschaftskrise scheiterte.
({8})
- Meine Damen und Herren, gemessen im internationalen Vergleich angesichts der jeweiligen Lage der Industriestaaten. Wir haben in den Reden der Opposition heute vormittag gehört: Wir sehen die Langfristigkeit der Brisanz. Doch dann kommt der Verweis auf allgemeine Rahmenbedingungen. Ich will ein Beispiel nennen - das steht auch in dem Antrag der Opposition, dem zuzustimmen die Koalitionsfraktionen hier aufgefordert worden sind -: Die Bundesrepublik Deutschland darf den Anschluß bei der Mikroelektronik nicht verpassen. Das ist richtig. Da geschieht j a auch eine ganze Menge durch Forschungspolitik und auf andere Weise. Nur: Was sagt denn dann die Opposition zu den Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Arbeitsmarkt? Ich habe - vielleicht irre ich mich - weder in der siebenpunktigen - so genannten - „Offensive" noch in dem Entschließungsantrag, der hier heute vorliegt,
({9})
ein Wort zur Problematik der Arbeitszeitverkürzung gelesen - nicht ein Wort!
({10})
- Sicherlich kenne ich die sieben Punkte, Herr Kiep.
({11})
- Nein, Sie haben heute vormittag, Herr Kollege Kiep, auf Ludwig Erhard als die große Lösung Bezug genommen. Doch: Wie ist es - ohne den Hinweis wenigstens auf Arbeitszeitverkürzung - um geistige Führung bestellt?
({12})
Man kann den Vorschlägen der Union, auch aus dem Papier, das hier heute vorliegt, zum Teil sicherlich zustimmen. Eine Vielzahl von Forderungen, die dort aufgeführt werden, werden übrigens längst praktiziert. Aber weder langfristig noch kurzfristig gehen Sie auf die wirklichen Probleme ein.
Die Bundesregierung dagegen hat nach unserer Überzeugung im Haushalt 1982 und in der Gemeinschaftsinitiative versucht, die wirklichen Probleme anzusprechen: Einsparungen bei den konsumtiven Leistungen, Einsparungen - da stimme ich Herrn Geißler übrigens zu -, die zum Teil sehr bitter gewesen sind. Stärkung der Investitionen in vorrangigen Aufgabengebieten: Wohnungsbau, Energie, Fernwärme und Umweltschutz. Nur, das alles zeigt doch, meine Damen und Herren, daß der Staat in die5320
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({13})
ser Lage gefordert ist und daß die private Nachfrage allein nicht ausreicht. Ich möchte die Bundesregierung deswegen von dieser Stelle aus ausdrücklich ermuntern, ihre Verantwortung weiter so zu sehen und sich durch die Drohung der Mehrheit im Bundesrat nicht entmutigen zu lassen. Denn das, was wir in dieser Lage bestimmt nicht tun dürfen, wäre der Rückzug des Staates aus der Verantwortung.
({14})
Das wäre keine Politik für die Bundesrepublik Deutschland. Ich meine, daß Gemeinden, Länder und Bund in diesem Sinne miteinander zusammenarbeiten sollten; so verstehe ich „Gemeinschaftsinitiative" auch. Ich bedaure die bisherigen Äußerungen meiner Kollegen der CDU oder CSU im Bundesrat zu diesem gemeinschaftlichen Vorhaben.
Die Unterschiede zwischen den Bundesländern im Bereich der Arbeitslosigkeit sind ja nicht unerheblich. Herr Kollege Roth hat heute morgen auf Nordrhein-Westfalen und die Schwierigkeiten dort hingewiesen. Ich war bei dieser Gelegenheit durch einen Einwurf des Kollegen Waigel, den ich hier jetzt leider nicht sehe, beunruhigt, als er bei dem Hinweis von Herrn Roth auf Niedersachsen die frühere Mitverantwortung eines SPD-Politikers - er nannte einen Namen - oder der SPD-Regierung in Niedersachsen betonte. Ich meine, dies ist wieder so ein Fall von Bagatellisierung der wirklichen Probleme. Denn es ist ja nicht nur so, daß heute in Niedersachsen die höchste Arbeitslosigkeit im Bund herrscht, sondern auch so, daß Schleswig-Holstein eine hohe Arbeitslosigkeit hat. Hier haben nach meiner Kenntnis Sozialdemokraten in den letzten 25 Jahren keine wesentliche Regierungsverantwortung getragen.
({15})
- Sehen Sie: „Dann wär's noch schlimmer", diese Art, mit den Strukturproblemen umzugehen, ist eben das wirkliche Problem.
({16})
Wir hatten in der Bundesrepublik Deutschland ein zunehmendes Nord-Süd-Gefälle zum Schaden der norddeutschen Küstenländer - zum Teil auch Nordrhein-Westfalens - und zugunsten der süddeutschen Länder. Auch das kann man nicht in erster Linie auf die politischen Führungen zurückführen. Denn es gibt z. B. in den USA vergleichbare Entwicklungen zwischen New York und Kalifornien oder den Südstaaten; es gibt sie auch in Frankreich zwischen dem Nordosten und dem Süden. Dies ist u. a. das Ergebnis des historischen Verlaufs der Industrialisierung. Hier haben die früher industrialisierten Regionen größere Schwierigkeiten zu tragen, weil der Strukturwandel sie stärker trifft. Diese schwierige Lage muß auch von den Flächenstaaten im Norden der Republik gesehen werden.
Ich möchte deswegen von dieser Stelle aus ganz ausdrücklich an alle Bundestagsabgeordneten aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein appellieren, . sich ihrerseits zu bemühen, die Landesregierungen
in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu einer Zustimmung zur Gemeinschaftsinitiative zu bewegen.
({17})
Ich mache das auch deswegen, Herr Kiep, weil ich den Hamburger Bürgern nur sehr schwer klarmachen kann, wie bei zunehmender Arbeitslosigkeit um uns herum und über 100 000 Arbeitnehmer aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die nach Hamburg hineinpendeln, und angesichts der Tatsache, daß die Hamburger Bürger immer noch etwa 400 Millionen DM im Jahr im Länderfinanzausgleich zahlen, die Nachbarstaaten nicht jede Gelegenheit ergreifen, um Hamburg zu entlasten und ihrerseits die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({18})
Aber ich richte diesen Appell auch an die Kollegen, die in Ländern gewählt wurden, die heute in mancher Beziehung eine etwas einfachere Lage haben. Bayern z. B. war viele Jahre hindurch ein Empfänger des Länderfinanzausgleiches und der Ergänzungszuweisungen. Es erscheint mir einfach nicht fair, wenn man dann in einer schwierig gewordenen Lage für die nördlichen Länder der Republik diese im Stich läßt.
({19})
Die Gemeinschaftsinitiative sollte also sein. Das Investitionsniveau bleibt immer noch zu niedrig, und trotz offenkundiger Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Industrie - sonst könnten wir diese Exporterfolge gar nicht haben - fehlt es an einer ausreichenden Binnennachfrage. Es bedarf zusätzlicher Maßnahmen.
Ich will ausdrücklich unterstreichen, daß die Investitionszulage aus unserer Sicht zweckmäßig ist. Sie wirkt schnell und bedeutet - auf jeden Fall zu diesem Zeitpunkt - keine zusätzliche Belastung der Verwaltung.
({20})
- Aber zu diesem Zeitpunkt wirkt sie schnell.
Hier komme ich zu einem Punkt, den der Kollege Kiep heute morgen angesprochen hat. Er hat sich auf die Ifo-Untersuchung über die Zuschüsse aus dem Jahr 1974/75 bezogen. Herr Kollege Kiep, aus dieser Untersuchung ergibt sich in gar keinem Fall, daß das Vorziehen von Investitionen, wie es dort als wesentlicher Effekt beschrieben wird, schädlich wäre. Der Sinn der Investitionszulage ist ja u. a. - im Augenblick neben einer Linderung der hohen Zinslast -, daß Investitionen in den Zeitraum, in welchem die Investitionszulage gegeben wird, vorgezogen werden, so daß sie in einem früheren Zeitpunkt stattfinden, was konjunkturell besonders wünschenswert ist. Dies ist eine Form antizyklischer Politik und insofern gerechtfertigt, auch auf der Grundlage der Studien, die Sie hier zitiert haben.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({21})
Daß die Gefahr eines Mitnahmeeffekts besteht, ist unbestritten. Das sehen auch wir. Das Verfahren, das gewählt worden ist, soll und wird diesen Effekt zum Teil begrenzen. Aber wenn man alle Instrumente überdenkt, bleibt dies unter den gegebenen Verhältnissen wahrscheinlich immer noch das praktischste Instrument.
Daß die Investitionszulage auch die hohen Zinsen ein wenig kompensieren kann, habe ich bereits ge- sagt. Wir haben auch die Bundesbank weder von seiten der Länder noch von seiten der Bundesregierung im Stich gelassen.
Allerdings hat mich heute morgen in der Debatte ein Punkt gewundert, den ich hier noch einmal aufbringen möchte. Ich fand die Verteidigung der amerikanischen Hochzinspolitik durch den Kollegen Waigel schon eher erstaunlich; daß muß ich offen sagen.
({22})
- Herr Kollege, ich habe Ihnen sorgfältig zugehört. Sie haben alle möglichen Rechtfertigungen für diese Politik vorgebracht, die doch in Wirklichkeit daher stammt, daß sich angesichts einer Steuersenkungspolitik auf der einen Seite und erheblicher Ausgabenzuwächse insbesondere im Verteidigungsbereich auf der anderen Seite in den USA im Augenblick ein Defizit auftut, dessen inflatorische Konsequenzen man allein von der Notenbank bekämpfen läßt.
({23})
Diese Politik ist mindestens für die Bundesrepublik Deutschland von großem Schaden. Ich meine, das sollte man auch bei uns deutlich sagen, statt hier auch noch die Hochzinspolitik zu vertreten, die so vielen deutschen Unternehmen, gerade vielen mittelständischen und kleinen handwerklichen Betrieben wirklich das Wasser bis an den Hals getrieben hat.
({24})
- Herr Kollege, unsere Defizite betragen etwa ein Viertel der Sparquote der Bundesrepublik Deutschland. Die amerikanischen Defizite betragen deutlich mehr als die Hälfte der amerikanischen Sparquote. Dies wirft allerdings erhebliche Probleme auf.
({25})
Wir sehen die Förderung der Bauwirtschaft, die in der Gemeinschaftsinitiative vorgesehen ist, als zweckmäßig an. Die Förderung des Wohnungsbaus und die vorgesehene stärkere Belastung nicht bebauter Grundstücke sind für die Ballungsgebiete wichtig und städtebaupolitisch ein Schritt in die richtige Richtung.
Wir sehen übrigens auch das Einbeziehen des Schiffbaus in die Investitionszulagen als zweckmäßig an. Wir würden es im Sinne der norddeutschen Schiffbauindustrie und der Werften sehr bedauern, wenn diese Initiative an der CDU/CSU-Opposition scheitern würde. Wir werden uns allerdings darum
bemühen, daß die Fristen nicht auf 1983 beschränkt werden, sondern 1984 einbezogen wird.
Wir halten auch die Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze für wichtig. Was im übrigen die Ausbildereignungsverordnung angeht, Herr Kiep, so stimme ich Ihnen zu, daß es zweckmäßig wäre, hier eine Verschiebung durchzuführen. Wir haben das von seiten des Senats auch bei der Bundesregierung angeregt. Allerdings möchte ich Ihnen sagen, daß die Ausbildereignungsverordnung kaum für die Handwerksbetriebe relevant ist. Da spielt sie keine Rolle; denn der Handwerksmeister erwirbt seine Ausbildungsqualität mit dem Meister. Es handelt sich um ein wesentliches Problem für die Industriebetriebe, die hier betroffen werden.
Was nun die Finanzierung angeht, über die der wesentliche Streit auch heute vormittag geführt wurde, so ist man sich darüber einig, daß eine Finanzierung notwendiger zusätzlicher Maßnahmen nicht über Kredite erfolgen sollte, sondern aus dem konsumtiven Ausgabenbereich und nicht auf Kosten der Investitionen.
Sie, Herr Kollege Kiep, haben heute morgen darauf hingewiesen, daß aus Ihrer Sicht die Mehrwertsteuer diese Ansprüche nicht erfüllt. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig. Denn eines muß man feststellen: Die Mehrwertsteuer ist von allen möglichen zusätzlichen Einnahmen für die Finanzierung der Gemeinschaftsinitiative
({26})
diejenige, die am ehesten kostenneutral sein kann, wenn es auch - das ist zugegeben - vielleicht in einigen Fällen in die Erträge geht. Aber sie stellt eine völlige Konkurrenzneutralität her, denn die Importe in die Bundesrepublik werden mit dem gleichen Steuersatz belegt.
Alles in allem ist das sicher der vernünftigste Ansatz unter den gegebenen Bedingungen. Ich gehe auch nicht mit Ihnen einig, daß Mehrwertsteuererhöhungen zur Vermehrung von Schwarzarbeit führen, wie Sie heute morgen gesagt haben, die Underground-Wirtschaft werde durch Steuererhöhungen berührt.
({27})
- Das muß man dann wirklich mal ein bißchen studieren. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine sogenannte Staatsquote, Abgabenquote von knapp unter 40 %; in den USA sind es rund 25 %. Aber schon das Wort „underground economy", das ja aus den USA gekommen ist, spricht dafür, daß das auch bei sehr niedrigen Abgabenquoten entstehen kann. Das hängt mit einer Vielzahl anderer Faktoren zusammen. Auch dies ist eine der schrecklichen Vereinfachungen, mit denen man nach meiner Meinung unsere Politik nicht vorantreiben kann.
({28})
Ich komme zum Schluß. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg wird im Bundesrat in jedem
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({29})
Fall, auch nach weiterer Diskussion über einige Einzelheiten, der Gemeinschaftsinitiative zustimmen. Aber es trifft zu, daß die CDU/CSU-geführten Länder die Mehrheit dort haben.
Nun hören wir immer, daß die CDU in solchen Ländern, in denen sie entweder noch nicht regiert oder weiterregieren will
({30})
- ja, das ist richtig; so wird das ja aus Ihrer Sicht gesehen -, davon ausgeht, sie werde in Zukunft Landesregierungen nicht zur Blockade im Bundesrat nutzen. Ich muß offen sagen: Was ich jetzt hier sowohl im Bundestag wie im Bundesrat sehe, spricht dafür, daß man dem Bürger sehr klaren Wein über diese Frage einschenken muß. Denn diese Aussage der CDU/CSU, wo immer sie sie macht, ist unglaubwürdig. Die Bürger müssen wissen, daß sie sich auf diese Aussage nicht verlassen können, so wie die Politik gegenwärtig gemacht wird. Eine CDU, wo immer sie regiert, wird sich letztlich einer Entscheidung in Richtung auf die Gemeinschaftsinitiative entgegenstellen. Das ist auf jeden Fall unsere heutige Erfahrung.
({31})
Das ist auch die Erfahrung, die wir leider im Bundesrat sammeln müssen.
Die Verantwortung für die Führung der Politik und damit natürlich die Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten liegen bei der Bundesregierung. Aber man muß der Bundesregierung auch eine Möglichkeit geben, das ihr übertragene Mandat auszufüllen. Ein Bundesrat - und deswegen appelliere ich noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen aus den Flächenstaaten, besonders Niedersachsens und Schleswig-Holsteins -, der sich in dieser Beziehung verweigert, trägt nicht dazu bei, die Verantwortung in unserem Land zu tragen.
({32})
- Herr Waigel, mir scheint, das muß nicht feurig sein, wenn's stimmt. - Unsere Republik, Herr Kollege Waigel, hat die Kraft, mit den Problemen, in denen wir stehen, fertig zu werden.
({33})
Wir alle sind dafür verantwortlich und dazu verpflichtet, dem Land diese Möglichkeit zu geben. Wer sich verweigert, der wird am Ende die Schuld dafür tragen, daß die Gemeinschaft mit ihren Problemen nicht fertig werden kann.
Jetzt sind wir alle gemeinsam aufgerufen.
({34})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Schwarz-Schilling das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe
eben nicht den Eindruck gewonnen, daß der Debattenbeitrag des Ersten Bürgermeisters von Hamburg den Durchbruch nach vorn in der heutigen Debatte gebracht hat.
({0})
Ich glaube auch nicht, daß solche dogmatischen Feststellungen - das derjenige, der sich ganz global verweigert, nachher Verantwortung mitträgt - uns in der Problemlösung, vor der wir alle stehen, auch nur einen Millimeter voranbringen. Meistens ist es so, daß man sich an den falschen Dingen beteiligt; wir werden uns an solchen falschen Vorstellungen mit Sicherheit nicht beteiligen und damit unserer Verantwortung gerecht werden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen, die wir alle haben, und unsere Entscheidungsfähigkeiten müssen in Übereinstimmung stehen mit der Welt, wie sie wirklich ist. Wenn Sie die Vorlagen der Bundesregierung sehen, dann können Sie feststellen, wo die Bruchstellen des Kompromisses zwischen SPD und FDP überall deutlich werden. Da diese beiden Parteien in ihren geistigen Grundlagen völlig auseinanderfallen, können sie auch keine wirklich sachlichen Kompromisse hervorbringen, sondern bemühen sich, Formelkompromisse zu bekommen, wobei die Dinge mechanistisch zusammengeklebt werden, so daß das Werkstück bei der geringsten Temperaturschwankung auseinanderfällt, weil die Teile gar nicht zusammenpassen.
({2})
Das wird uns nun mit dem Slogan verkauft: „Mut zur Zukunft! Freunde, beteiligt euch daran, denn ihr wollt doch alle dabeisein, wenn es wieder aufwärts-geht!" Nein, meine Damen und Herren, so einfach ist die Lage heute leider nicht.
Graf Lambsdorff hat in seinem Bericht sicherlich einige Dinge gesagt, die beherzigendswert sind: das eigene Haus in Ordnung bringen, das Risikokapital wieder in entsprechende Funktionen bringen, die Investitionen dadurch ermöglichen und so fort. Wenn Sie aber dann das hören, was wir gerade eben vom Ersten Bürgermeister von Hamburg gehört haben, z. B. seine Beurteilung von Bundeskanzler Erhard und die Entschuldigungen, die er vorbringt für Tatsachen und Fakten, für die heutige Lage, indem er auf die anderen Länder hinweist und Erhard scheinbar für ein Scheitern der Politik mitverantwortlich macht, dann kann man nur sagen: An solcher Sache werden wir uns nicht beteiligen. Wenn das, was hier heute vorgeschlagen wird, mit einer solchen Grundauffassung begründet wird, so kann das nicht gut sein.
({3})
Herr Wolfgang Roth hat sich auch redlich bemüht, hier einen Eiertanz vorzuführen. Er hat j a in bezug auf die 70er Jahre noch einiges an Vergangenheitsbewältigung nachzuvollziehen. Ich habe mir schon immer gedacht: Wie wird das wohl werden, wenn er der Beauftragte für Beschäftigungsprogramme und ähnliches mehr ist, der uns hier sozusagen per Solidaritätsappell vorführt, an was alles wir uns zu beDr. Schwarz-Schilling
teiligen haben? Lieber Herr Roth, ich möchte hier doch eines in Erinnerung zurückrufen: Wer war Anfang der 70er Jahre an vorderster Front, wenn von der Sozialdemokratischen Partei die Thesen kamen: „Die Privatwirtschaft ist nicht in der Lage, Zukunftsvorsorge zu treffen, das muß der Staat tun, also zehn Punkte rauf mit der Beteiligung des Staates am Sozialprodukt von 37 auf über 48 %"?
({4})
Wer hat denn damals die Frage so beantwortet, daß er im Bildungsbericht gesagt hat: „Wir brauchen mehr als 50 % Abiturienten" und damit all die Weichenstellungen vorgenommen hat, durch die wir heute die Jugendarbeitslosigkeit und alles, was damit zusammenhängt, bekommen haben?
({5})
- 50 % Abiturienten - das stand im Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung als Zielsetzung. Erinnern Sie sich bitte daran.
({6})
Damals hat auch der Bundeskanzler Brandt die Beschäftigungsgarantie ausgesprochen. Der Staat habe dafür zu sorgen, daß Vollbeschäftigung bestehen bleibe. Herr Wolfgang Roth, das alles waren Thesen, die Sie mit Entschiedenheit vertreten haben.
Hinzu kommen noch ganz andere Dinge, wie die Profitverteufelung, die „Gelbe-Punkt"-Aktion. Der kleine Gemüsehändler nebenan sollte an der Inflation schuld gewesen sein. Die Wirtschaft sollte „getestet" werden. - Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen: Sie haben in diesen 70er Jahren ganze Arbeit geleistet.
({7})
Jetzt stehen Sie vor dem Resultat und sagen, wir sollten uns an den Maßnahmen beteiligen, sonst würden wir der Verantwortung entfliehen.
Meine Damen und Herren, es geht leider um ganz andere Dinge. Es geht darum, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wieder in die Lage versetzt wird, eigene Leistungen zu vollbringen und nicht vom Staat so daran gehindert wird, wie das in den 70er Jahren der Fall gewesen ist. Das ist die Frage - nicht, daß der Staat jetzt für Vollbeschäftigung sorgen könnte.
Sehen Sie sich einmal an, wie die Gewinne der deutschen Unternehmen zurückgegangen sind. Herr von Dohnanyi, ich bin sehr überrascht, daß Sie sagten, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stehe außer Frage. Ich bitte Sie also darum, sich die Zahlen zu vergegenwärtigen, z. B. die Umsatzrenditen der deutschen, der amerikanischen und der japanischen Unternehmen. Da werden Sie feststellen, daß wir von 3,7 % im Jahre 1965, auf ganze 1,2 % Umsatzrendite in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 zurückgefallen sind. Der Weltdurchschnitt liegt bei ungefähr 4%.
Hinzu kommt unsere großartige Bildungspolitik, so daß unsere Beamten und Angestellten auch noch glauben, daß diese Rendite in der Größenordnung von 26 % liegt - so die Umfrageergebnisse in der Bundesrepublik Deutschland.
({8})
Bei den Arbeitern, die der Sache sehr viel näher stehen, geht man nur von 15% aus. Aber auch da gibt es eine weit überhöhte Vorstellung in bezug auf das, was bei den Unternehmen an Gewinnen da ist.
Heute muß der Bundeskanzler bei entsprechenden Parteitagen sagen: Liebe Leute, die Banken usw. haben, Sie sehen es selbst, keine Gewinne mehr. Also da kriegen wir es nicht her. - Und dann spricht Herr von Dohnanyi von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. - Das sind Ökonomen, meine Damen und Herren! Das kann man wohl sagen.
({9})
Oder nehmen Sie die Eigenkapitalrendite: Wir hatten im Jahre 1970 eine Eigenkapitalrendite von 9,5% und eine Fremdkapitalrendite von 8,2 % im Durchschnitt der Unternehmen. Nur in diesem einzigen Jahr gab es ein solches Verhältnis. Bereits 1971 betrug die Eigenkapitalrendite nur noch 7 %, 1972 7,1 %, 1973 8,7 %, während die Fremdkapitalrendite in den gleichen Jahren über die Eigenkapitalrendite hinausgewachsen ist: 8,2 %, 8,2 %, 9,5 % und im Jahre 1974 10,6 % - fast das Doppelte der Eigenkapitalrendite. Meine Damen und Herren, und dann wundert sich diese Regierung, daß wir keine Investitionen vornehmen konnten. Wer soll denn Risikokapital einsetzen, wenn die Verzinsung dieses Risikokapitals weiter unter der des Fremdkapitals liegt? Das kann man doch überhaupt keinem Menschen zumuten.
({10})
Es gab nach 1970 nur ein einziges Jahr während der Regierungszeit dieser Koalition - das war das Jahr 1976 - wo die Fremdkapitalrendite bei 8 % und die Eigenkapitalrendite darüber, nämlich bei 9,9 % lag. Im Jahre 1980 waren wir wieder bei einer Eigenkapitalrendite von 6,4 % gegenüber einer Fremdkapital-rendite von 8,6 %.
Man muß sich klarmachen, was das für Konsequenzen für die deutschen Unternehmen hat, deren Eigenkapitalquote im internationalen Vergleich sowieso weit unter der der Unternehmen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien oder auch Japan liegt. Um sich das klarzumachen, muß man wissen, daß die deutschen Unternehmen nun für das notwendige Fremdkapital die hohen Zinsen zahlen müssen, die nunmehr marktüblich sind. Aus dem Grunde können sie sehr viel schneller pleite gehen als die Unternehmungen in den Vereinigten Staaten oder Japan. In Japan ist der Eigenkapitalanteil in den letzten Jahren von 20 auf über 30 % angestiegen, während es bei uns umgekehrt war und dieser Anteil von 30 auf ca. 20 % gesunken ist. Meine Damen und Herren, hier liegt die Ursache für die Investitionsschwäche, für unsere Technologielücke und da5324
mit für die Beschäftigungsprobleme der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Es ist also kein Wunder, daß wir im Jahre 1981 11 500 Pleiten von Unternehmen zu verzeichnen hatten. Ich gebe gerne zu, daß beim Konkurs sehr oft mehrere Faktoren eine Rolle spielen. In einer Risikowirtschaft muß aber ein gewisser, ein kleinerer Anteil von Managementfehlern noch verkraftbar sein, weil man Reserven anlegen kann. Eine Wirtschaft, die so aufgebaut ist, daß der geringste Fehler in einer Unternehmung zum Konkurs führt, ist keine Wirtschaft mehr, die existenzfähig und wettbewerbsfähig ist. In den vergangenen zehn Jahren sind den Unternehmen ihre Reserven weggenommen worden. Sie konnten sie durch die Abgabelast und durch die Steuerlast eben wirklich nicht mehr ansammeln.
Es herrschte der Glaube vor, der Staat wäre besser als die Privaten in der Lage, Zukunftsvorsorge zu treiben. Was das in der Realität bedeutet, ist j a leider immer wieder ersichtlich: Wenn die Kassen des Staates voll sind, wird das Geld ausgegeben, weil der Staat nicht in der Lage ist, es zu halten, und schon gar nicht in der Lage ist, rentierliche Investitionen von unrentierlichen zu unterscheiden. Deswegen ist es wirklich eine großartige, ich möchte fast sagen, arrogante Feststellung des Ministers Ehrenberg, wenn er sich hier hinstellt und sagt: Das Zukunftsvorsorgeprogramm hat uns eine Million Arbeitsplätze gebracht.
({12})
Wenn der Staat in der Lage gewesen wäre, seine normalen Investitionshaushalte verstetigt durchzufahren, hätte er sehr viel mehr an Geldern ausgegeben, als im Rahmen des ganzen Zukunftsvorsorgeprogramms zur Verfügung standen. Das Programm ist doch nur ein Aufhänger gewesen, um den Anteil der investiven Ausgaben wieder etwas zu erhöhen, also mehr Investitionen zu ermöglichen, nachdem man in den Haushaltsberatungen nicht fähig gewesen ist, dieses Ziel zu erreichen. Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen hat das doch gar nichts zu tun.
({13})
Meine Damen und Herren, es gibt drei Arten von Arbeitslosigkeit, womit wir uns hier beschäftigen. Zum einen wird Arbeitslosigkeit dadurch bedingt, daß wir in unserer Industrie teilweise eine veraltete Produktpalette haben. Dann stellt sich die Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich gibt es heute Schwellenländer, die Produkte herstellen, die qualitativ genausogut, teilweise sogar besser sind als die in der Bundesrepublik Deutschland hergestellten Produkte. Der Lohnkostenstandort Bundesrepublik Deutschland ist dann eben nicht mehr wettbewerbsfähig. Es erfordert enorme Kapitalien, solche Industriestrukturen umzustrukturieren, um eine entsprechende andere Produktpalette anbieten zu können, um die Arbeitsplätze zu erhalten.
Damit komme ich auf den entscheidenden Sachverhalt, daß die Spitzentechnologien, die uns auf den Leib zugeschnitten wären, in der Bundesrepublik Deutschland durch dogmatische Blockierungen nicht vorangekommen sind. Dazu gehört die Energietechnik. Dazu gehört allerdings auch die Informations- und Medientechnologie. Wir reden immer davon, wir wollten umweltfreundliche Technologien haben, angenehm weiche, nicht zu harte, humane Technologien. Es gibt eine große aufstrebende Technologie. Sie bewirkt die größte Wachstumsrate, die es in den Vereinigten Staaten heute überhaupt gibt. Auch in Kanada und in Japan hat diese Technologie zu einer der großen Wachstumsbranchen geführt. Ich meine die Informations- und Kommunikationstechnologie. Wie aber sieht es diesbezüglich in der Bundesrepublik Deutschland aus, dem klassischen Land der Fernmeldetechnik, dem Land, das einmal die modernsten und besten Nachrichtenverbindungen hergestellt hat? Wir liegen, was die Verkabelung angeht, an letzter Stelle. Kleine Länder um uns herum wie Österreich, Holland und Belgien sind uns weit voraus. Dies ist nur deshalb der Fall, weil hier eine medienpolitische Blockierung vorliegt und wir gar nicht begreifen, daß das Netz und die Infrastruktur für moderne Technologien ganz anderer Art, als sie etwa nur für Fernsehprogramme benötigt werden, die Voraussetzung für die Lösung beschäftigungspolitischer Probleme darstellen. In Kanada, einem Land mit riesigen Flächen, sind 90 % aller Haushalte verkabelt. Dort gibt es auch große Fortschritte auf dem Gebiet der Satellitentechnik; man verfügt bereits über 20 Satelliten für Nachrichtenverbindungen, für Fernsehsendungen, für alles, was Sie sich vorstellen können. Alles ist über Satelliten übertragungsfähig. Natürlich bedient man sich in Nordamerika auch der Glasfasertechnik. Aber es gibt dort eben nicht die Dogmatiker, die sagen: wir legen uns auf eines fest, sondern dort wird noch richtig erprobt und entschieden und wieder erprobt und wieder entschieden, wie das bei modernen Techniken sein muß. Es wird nicht dogmatisch festgelegt, daß nur das eine und alles andere nicht in Frage kommt, wie das bei uns von der Post her geschieht, weil die Post von Kabinettsbeschlüssen abhängig ist. Dort kann auch der kleine Unternehmer seine Techniken voranbringen, und plötzlich ist eine Erfindung da, die auch in beschäftigungspolitischer Hinsicht den großen Durchbruch bringt, was bei uns alles nicht möglich ist.
Es wird gesagt, daß alle diese Dinge bei uns gut liefen. Ich kann dazu nur sagen: Schauen Sie sich in Österreich, Belgien und Luxemburg um, wo die Dinge schneller als bei uns vorankommen! Wir werden auf Spitzentechnologien der 90er Jahre vertröstet, während wir uns mit den Beschäftigungsproblemen der 80er Jahre auseinanderzusetzen haben. Darum geht es uns auch bei diesem Problem.
({14})
Herr Minister Lambsdorff, Sie haben beim vorigen Jahreswirtschaftsbericht einige Worte über die Medientechnologien verloren. Sie haben immer noch nicht gemerkt, daß der Kabinettsbeschluß des Jahres 1981 entscheidende unternehmerische Durchbrüche nicht gestattet, weil bestimmte Voraussetzungen geschaffen wurden, wie wann verkaDr. Schwarz-Schilling
belt werden darf. Aber es ist gerade erforderlich, daß man Rechtssicherheit hat, damit private Unternehmungen in der Lage sind zu wissen, was sie für diesen und jenen Preis anbieten können. Nur dann kann ein unternehmerischer Selbstläufer überhaupt in Gang kommen. Das ist hier offensichtlich alles vergessen und verloren.
({15})
Sie haben noch nie etwas von unternehmerischer Wirtschaft verstanden, Sie haben auch nie kapiert, warum unter der Regierung der CDU/CSU Vollbeschäftigung gewesen ist, und haben gar nicht verstanden, daß Ihre ganzen Sozialleistungen, die Sie nachher in den 70er Jahren noch draufgepackt haben, von dieser dynamischen Voraussetzung der CDU/CSU finanziert worden sind.
({16})
Ich komme nun zur Investitionszulage, die wir hier vorgelegt bekommen haben. Dies ist ein Wintertheater, wenn man sich vorstellt, was sich in der gleichen Zeit in den Unternehmungen abgespielt hat, wo wirklich hart darum gerungen wurde, die „Kosten in Schach und Proportionen" zu halten, wo mittleres Management, die leitenden Angestellten, die Topmanager bis hinunter zu den einzelnen Abteilungsleitern und Gruppenführern wirklich Tag um Tag über dem Betriebsabrechnungsbogen gesessen haben, um zu sehen, wo noch eine Mark herauszuholen ist, um diese oder jene Kostenreduzierung noch zu erhalten. In dieser privaten Wirtschaft werden Bruttoanlageinvestitionen in der Größenordnung von 300 Milliarden DM jährlich getätigt, und wir, die wir die politischen Entscheidungen dieses Landes zu treffen haben, unterhalten uns monatelang über ein Investitionsprogramm von 10 bis 12 Milliarden DM über mehrere Jahre, was kaum 1 % der Investitionen der Privatunternehmungen ausmacht. Und wir meinen hier, damit die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland bessern zu können! Es kommt darauf an, daß die privaten Unternehmungen, die das hauptsächliche Volumen schaffen, einen Anreiz bekommen, in diesem Lande tatsächlich zu investieren und auch dazu in der Lage sind. Das kann man nicht mit solchen Kinkerlitzchen wie dieser Investitionszulage erreichen. Wie kann man eine Investitionszulage so konstruieren, daß derjenige, der sich bemüht hat, in den Jahren 1980 und 1981 vernünftig zu investieren, jetzt dafür bestraft wird?
({17})
Wie kann man eine Investitionszulage so konstruieren, daß sie nur rein optisch den Anschein von 10 % hat, da nur ein kleiner Teil der Begünstigten auf den Spitzenbetrag von 10 % kommt, während im Durchschnitt viel weniger als in den Jahren 1974 und 1975 abfällt, wo eine Zulage von 7,5 % gewährt wurde? Wie kann man eine Investitionszulage so konstruieren, daß die Großen alles mitnehmen? Man hätte sie wenigstens nach oben begrenzen sollen und auch den mittleren und kleineren Unternehmen bessere Möglichkeiten bieten sollen. Man hätte die Abschreibungsmöglichkeiten viel früher schaffen müssen. Ich habe den Wirtschaftsminister vor einem Jahr
darauf hingewiesen, und er hat gesagt: Um Gottes willen, reden Sie nicht von Abschreibungserleichterungen! Reden Sie nicht davon; das würde nur Attentismus hervorrufen! - Jetzt kommen Sie mit Verlustrücktragsmöglichkeiten und Abschreibungsmöglichkeiten zu spät.
({18})
An dieser Politik können wir uns nicht beteiligen, weil sie zum falschen Zeitpunkt das Falsche tut.
({19}) Lassen Sie mich ein Weiteres sagen.
({20})
- Ja, ich weiß, Wahrheiten anzuhören, ist immer sehr unangenehm, insbesondere wenn man auf Ihrer Seite nun vor dem Scherbenhaufen steht, den Sie angerichtet haben.
Der Bundesbankpräsident Pöhl hat es sehr genau gesagt - Sie sollten das nur anhören, was er selber gesagt hat, dann würden Sie schon eine richtige Politik machen; aber da hören Sie auch nicht hin -, er hat jetzt bei der Eröffnung der 68. Internationalen Frankfurter Messe gesagt, Wettbewerbsfähigkeit könne nur durch Kostendisziplin im Innern erhalten und aufgebaut werden. Nur durch Überwindung des Teufelskreises von zu hohen Kosten, Schrumpfung der Gewinne und deshalb zuwenig Investitionen könne die derzeitige Wachstumsschwäche überwunden werden.
Um dies zu erreichen, müssen Sie eine grundlegende Wende in Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik einleiten. Die kann nun leider von Ihrer Partei sehr schwer herbeigeführt werden. Denn wenn Sie Herrn Roth an anderer Stelle hören, wo er meint, daß konservative Politik immer noch Klassenstandpunkte beinhaltet, dann wissen Sie auch, aus welcher Ecke das Ganze herkommt. So können Sie kein Vertrauen gewinnen.
({21})
Sondern Sie müssen wissen, daß kein Vertrauen der Mitbürger in diese Regierung besteht. Diese Regierung hat die Leistungsbereitschaft unserer Mitbürger verspielt. Die Bürger wären ja bereit, den Gürtel enger zu schnallen, wenn sie nur wüßten, daß das für alle gleichmäßig gilt, in entsprechender Weise auch durchgeführt wird und auch für die öffentlichen Bereiche gilt.
({22})
Zweitens müssen Sie Ihren Realitätssinn an der wirklichen Weltwirtschaft etwas schärfen und nicht immer davon reden, daß das Übel von Amerika kommt. Japan hat genau die gleiche Situation, hat noch mehr Ölimporte als wir zu bezahlen und liegt ganz woanders in der Beschäftigungsrate, liegt ganz woanders in der Wachstumsrate - nicht, weil die Japaner viel besser sind, sondern weil sie in den 70er Jahren Reserven ansammeln durften, die Sie hier alle verplempert haben.
({23})
Wir haben gar keine andere Wahl, als daß wir neue Spitzentechnologien in der Bundesrepublik einführen und schnellstens anwenden müssen. Denn nur dann sind wir in der Lage, eine ausgewogene Struktur von kleinen, mittleren und großen Unternehmen existenzfähig zu halten - die einzige Voraussetzung, um Vollbeschäftigung in diesem Lande wieder herzustellen.
({24})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit dem Jahreswirtschaftsbericht die Gemeinschaftsinitiative für Arbeit, Wachstum und Stabilität vorgelegt. Gemeinschaftsinitiative soll in unserem Verständnis bedeuten, daß wir an alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte appellieren, mit uns gemeinsam das Problem der Überwindung der Arbeitslosigkeit in unserem Lande anzupacken.
Was heute von dem Kollegen Geißler hier geboten worden ist, war das Gegenteil von gemeinsam. Es war der untaugliche Versuch, Rentner auszuspielen gegen die, die arbeiten, Arbeitslose gegen die, die einen Arbeitsplatz haben, Kleine gegen Große. Das ist ein ganz unerträgliches Klassenkampfdenken.
({0})
Mit dieser Form des Herz-Jesu-Sozialismus werden Sie die Probleme nicht lösen können.
({1})
Was wir brauchen, ist ein Zusammenwirken der politischen Kräfte unseres Landes. Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege Kiep, daß Sie sich von dieser Form des Gegeneinander-Aufbringens distanziert hätten. Es geht doch in Wahrheit darum, daß wir dieses Land an die veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen anpassen, an erhöhte Energiepreise, an Probleme der Rohstoffversorgung, an das Problem, wie wir die Entwicklungsländer an der Weltwirtschaft beteiligen, wie wir ihnen unsere Märkte öffnen. Da müssen wir uns der Konkurrenz stellen. Wir müssen die Konkurrenzfähigkeit herbeiführen. Das ist unsere Aufgabe.
({2})
Da soll man doch nicht so tun, als ob es eine unsoziale Handlungsweise dieser Regierung sei, weil Sie denken, daß Sie die Sozialdemokraten ein bißchen ärgern können, wenn der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag vorgezogen wird. Das ist notwendig, um zu konsolidieren, um Zinssenkungen in diesem Lande möglich zu machen.
({3})
Den einen schicken Sie los, und der soll hier so tun, als ob die Freien Demokraten den Sozialdemokraten in dieser oder jener Frage nachgegeben hätten.
({4})
Der Herr Geißler will die Sozialdemokraten vorführen, daß sie hier zugestimmt haben, daß der Rentner-Krankenversicherungsbeitrag gesenkt wird, daß im Mietrecht liberalisiert wird. Meine Damen und Herren, was wir hier brauchen, ist nicht gegenseitige Polemik; lassen Sie uns doch ganz in Ruhe über die einzelnen Vorträge reden.
({5})
Ich möchte die Union fragen: Sind Sie dagegen oder sind Sie dafür, daß wir das Mietrecht liberalisieren, damit es sich wieder lohnt, bei uns im Wohnungsbau zu investieren? Das ist die Frage. Wenn Sie dafür sind, dann verbannen und verdammen Sie doch nicht unser Programm; unterstützen Sie es doch wenigstens an dieser Stelle.
({6})
- Gut, wenn Sie es unterstützen, dann haben wir ja schon einen Punkt, wo Sie nicht nein sagen sollten zu dem, was hier gebracht wird.
Wenn Sie der Meinung sind, daß Haushaltskonsolidierung notwendig ist, dann polemisieren Sie doch nicht dagegen, daß wir den Bundeshaushalt schon ein Jahr früher entlasten und den Rentner-Krankenversicherungsbeitrag einführen. Dann sagen Sie doch bitte auch ja zu dieser Maßnahme.
({7})
- Gut, Sie sagen nein, Herr Müller ({8}); das zeigt ja schon, daß Sie zwar „Konsolidierung" rufen, aber wenn ein Schritt notwendig ist, verweigern Sie sich. Deshalb werden Sie das Problem nicht lösen können.
({9})
- Sofort, Herr Kollege Kiep, ich möchte Sie nicht warten lassen. - Meine Damen und Herren von der Union, lesen Sie einmal die beachtenswerte Rede des Präsidenten der Bundesbank nach, was er als Voraussetzungen dafür genannt hat, daß weitere Zinssenkungen möglich sind. Da sind auch schmerzhafte Eingriffe in Leistungsgesetze erforderlich. Wir sind noch nicht am Ende dieser Operation. Bitte, fallen Sie doch dann nicht über einen Teil der Regierungskoalition her, der hier nicht leichten Herzens zugestimmt hat, aber der am Ende wie wir auch eingesehen hat: Auch dieser Schritt ist notwendig, um zu zeigen, daß wir es ernst meinen mit der Konsolidierung.
({10})
Hier ist über die Investitionszulage gesprochen worden. Heute haben einige Kollegen der Union gesagt, sie seien dagegen. Ich habe den Eindruck, der niedersächsische Ministerpräsident ist eher für die
Investitionszulage, er möchte sie nur anders finanzieren. Da warten wir auch auf Vorschläge.
Der Bundeswirtschaftsminister hat Ihnen heute mitgeteilt, Herr Kollege Kiep, daß die Bundesregierung beschlossen hat, daß wir als Reaktion auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer - das ist in Wahrheit ein Vorziehen um sechs Monate auf den 1. Juli 1983 - ab 1. Januar 1984 eine fühlbare Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer vornehmen wollen. Diese Senkung besteht aus zwei Elementen: zum einen aus einem Abbau der heimlichen Steuererhöhungen, und zum anderen ist es ein weiterer Schritt zur Umschichtung von den direkten auf die indirekten Steuern. Dazu müssen Sie doch in Wahrheit ja sagen. Sie müssen doch zugeben, daß die direkte Steuerbelastung abgebaut werden muß, wenn wir ein leistungsorientiertes Steuersystem haben wollen.
({11})
Herr Außenminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Bundesminister Genscher, darf ich Sie erstens fragen, ob es Ihnen entgangen ist, daß die Union in ihren Programmen nach sorgfältigen Überlegungen die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages für die Rentner vorgeschlagen hat, allerdings mit der Maßgabe, daß ein solcher Beitrag dazu verwandt werden sollte, die Finanzkraft der Rentenversicherung zu stärken und nicht als allgemeine Deckungsmittel in den Haushalt einfließen zu lassen,
({0})
und ist es Ihnen zweitens heute morgen entgangen, daß ich in meiner Rede hier den Versuch unternommen habe, Sie und Graf Lambsdorff zu einer klaren Aussage darüber zu bitten, ob wir nun davon ausgehen können, daß per 1. Januar 1984 ein Programm in der Größenordnung der Mehrwertsteuererhöhung kommt - also etwa 8 bis 9 Milliarden DM - oder, wie Graf Lambsdorff vor dem DIHT angekündigt hat, ein Programm, das mindestens 14, 16 oder 17 Milliarden DM betragen muß, wenn es beide Faktoren umfassen soll, von denen auch Sie gesprochen haben?
({1})
Herr Kollege Kiep, ich will gern Ihre beiden Fragen beantworten. Zunächst die erste. Herr Kollege Geißler hat ja gar nicht die Verwendung der Mittel aus der Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages kritisiert, sondern die Tatsache als solche. Auch wenn wir die Mittel für den Zweck, den Sie nennen, genommen hätten, hätte es die Rentner getroffen. In Wahrheit war es doch eine Polemik, mit der er den Eindruck erwecken wollte, die Rentner
würden zusätzlich belastet. Das weise ich hiermit zurück.
({0})
Was die Steuersenkungen angeht, so sage ich noch einmal: Sie sollen zwei Elemente enthalten, nämlich einmal eine Umschichtung von den direkten auf die indirekten Steuern - um jenen Betrag, der durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer hereinkommt - und zum anderen - zusätzlich, Herr Kollege Kiep - die Entlastung von den heimlichen Steuererhöhungen. Weder Sie noch ich werden heute in der Lage sein, präzise zu sagen, in welchem Umfange sich das im Jahre 1984 auswirkt. Sagen Sie durch Ihre Sprecher nachher in der Debatte bitte, ob Sie bereit sind, einen solchen Weg der strukturellen Veränderung unserer Steuerbelastung hin zu einem leistungsorientierten Steuersystem mitzugehen oder nicht. Diese Frage ist Ihnen heute gestellt, und Ihre Antwort ist gefordert.
({1})
Angesichts der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1983 hätte ich erwartet, daß die Union, die sich j a sonst oft sehr nachdrücklich für die Landwirtschaft einsetzt, zum Ausdruck gebracht hätte, daß es notwendig sei, die Landwirtschaft durch die zum 1. Juli 1983 vorgesehene Anhebung der Mehrwertsteuer nicht zusätzlich zu belasten. Präzise das hat die Bundesregierung beschlossen. Wir werden über die Anpassung der Vorsteuerpauschale so entscheiden, daß diese Entscheidung zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer in Kraft treten kann; denn die deutsche Landwirtschaft hat gerade im abgelaufenen Jahr einen erheblichen Beitrag zur Stabilität unserer Volkswirtschaft erbracht. Sie darf nicht zusätzlich und neuerlich belastet werden.
({2})
Wenn wir in dieser Debatte über die Möglichkeiten einer Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft sprechen - eine Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft heißt mehr Sicherheit für vorhandene Arbeitsplätze, heißt bessere Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze -, ist es auch notwendig, daß wir über die Bedeutung der Tarifabschlüsse des Jahres 1982 im Hinblick auf die Kostenbelastung unserer Unternehmen reden. Ich möchte mit aller Klarheit sagen, daß in der wirtschaftlichen Lage des Jahres 1982 die Höhe der Tarifabschlüsse ein bedeutender Faktor für die deutsche Volkswirtschaft, für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft sein wird.
({3})
Dort sind ganz erhebliche Entscheidungsspielräume vorhanden, die weit über das hinausgehen, was heute staatlichem Handeln zur Verfügung steht.
({4})
Wenn Sie bedenken, daß 1 % Lohnerhöhung zwischen 7 und 8 Milliarden DM bedeutet, 7 bis 8 Milliarden DM Investitionsvolumen mehr oder weniger, dann wird deutlich, daß hier der Ort ist, wo sich die Solidarität erweisen muß zwischen denen, die Arbeitsplätze haben, und denen, die Arbeitsplätze suchen.
({5})
Das sage ich ohne jede Polemik. Das sage ich auch nicht nur an die Adresse der Gewerkschaften, sondern ich sage das genauso an die Adresse der Arbeitgeber. Einmal weil die Arbeitgeber zusammen mit den Gewerkschaften die Tarifverträge aushandeln, zum anderen weil Zurückhaltung bei der Lohnpolitik auch Disziplin bei der Preispolitik nach sich ziehen muß,
({6})
drittens weil wir alle gemeinsam die verteilungspolitischen Auswirkungen einer solchen verantwortlichen Lohnpolitik erkennen müssen. Das ist der Grund, warum wir so großen Wert darauf legen, daß wir uns in der Frage der Vermögenspolitik um einen neuen Anlauf bemühen, damit wir in Zeiten, wie wir sie jetzt haben, die Verteilungskonflikte abmildern können, wenn wir sie schon nicht beseitigen können.
({7})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Bitte schön, Herr Kollege Kiep.
Indem ich Ihren Ausführungen in der letzten Passage Ihrer Rede vollinhaltlich zustimme, möchte ich Sie fragen, ob Sie meinen, daß im Sinne Ihrer Ausführungen, um gewünschte Signalwirkungen auch auf den Tarifbereich der gewerblichen Wirtschaft zu erzielen, das Vorgehen der Bundesregierung und von Innenminister Baum in den Verhandlungen mit der ÖTV beispielhafte Signalwirkung gehabt hat?
({0})
Herr Kollege Kiep, ich möchte Sie bitten, daran zu denken, daß es nicht unüblich ist, die Antwort stehend entgegenzunehmen.
Es ist nicht nur unüblich, sondern unhöflich, sich zu setzen. Ich bitte um Entschuldigung.
Herr Kollege Kiep, ich möchte zunächst einmal feststellen, daß ich die Streikdrohung der ÖTV, die gerade hinter uns liegt, angesichts der Tatsache, daß wir in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind, und angesichts der Tatsache, daß die von der ÖTV vertretenen Arbeitnehmer absolut sichere Arbeitsplätze haben, für ein in dieser Lage unangemessenes Mittel der Durchsetzung von Forderungen betrachtet habe.
({0})
Zweitens. Vor der Anwendung dieses unangemessenen Mittels der Streikdrohung ist nicht der Bundesminister des Innern zurückgewichen, sondern ich muß leider sagen: Es waren die Gemeinden, ganz gleich, welcher parteipolitischen Farbe.
Meine Damen und Herren, seien wir ganz ehrlich: Von allen Seiten ist auf der kommunalen Ebene schwer gefehlt worden. Die Einheit der Tarifpartner auf der Seite der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes stand zur Disposition. Deshalb sollten Sie, Herr Kollege Kiep, als jemand, der für die Wirtschaftspolitik seiner Fraktion hier zuständig ist, nicht versuchen, diesen Ball, der eigentlich ins Tor der Gemeinden gehört, jetzt vor die Tür des Bundesinnenministers zu rollen.
({1})
Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege Kiep, daß in der schwierigen Zeit, als sich der Bundesinnenminister bemühte, die Gemeinden bei der Stange zu halten, die Sprecher der CDU/CSU auf Bundesebene sich, so wie wir das getan haben, dafür ausgesprochen hätten - auch öffentlich -, daß man bei der einmal eingenommenen Position bleibt.
Meine Damen und Herren, es geht in der Tat darum, daß wir durch feste und überschaubare Rahmenbedingungen - dazu gehören ernsthafte Konsolidierungsbemühungen genauso wie die Verbesserung der Rahmenbedingungen durch die vorgesehenen Steuersenkungen und durch die Investitionszulage - zu zusätzlichen Investitionen ermutigen. Zu den festen Rahmenbedingungen gehört es auch, daß zusätzlich zur Diskussion über die Lohnerhöhungen des Jahres 1982 nicht noch eine Diskussion über die Verkürzung der Wochenarbeitszeit in der gewerblichen Wirtschaft entfacht wird. Auch das schafft zusätzliche Kostenrisiken.
Allerdings halten wir es für notwendig, daß man sich im Rahmen der beschäftigungspolitischen Strategie auch über die Frage der Verkürzung der Lebensarbeitszeit ernsthaft unterhält. Wir wissen sehr genau: Dadurch schaffen wir nicht einen einzigen neuen Arbeitsplatz, aber vorhandene Arbeitsplätze werden möglicherweise früher zur Verfügung gestellt. Hier wird auch ein Beitrag dafür geleistet, daß in die persönliche Lebensplanung mehr Freiheit eingebracht wird. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe beauftragt hat, alle vorliegenden Vorschläge zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu prüfen. Das kann ein Element einer beschäftigungspolitischen Strategie sein. Aber die Hauptaufgabe, vor der wir jetzt alle stehen, ist, dafür zu sorgen, daß das, was wir mit der Aktion '82, mit der beschäftigungspolitischen Initiative, der Gemeinschaftsinitiative jetzt vorgelegt haben, auch gemeinsam durchgeführt wird.
Ruhe an der Vorschlagsfront, die Bereitschaft, auch über den eigenen Schatten zu springen, wenn man diese oder jene Sache in der Vergangenheit kriBundesminister Genscher
tisch beleuchtet hat, ein Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden, ein Zusammenwirken der gesellschaftlichen Kräfte - das ist das, was die Menschen in unserem Lande von der Bundesregierung, von den Parteien des Deutschen Bundestages, den Landesregierungen, von Gewerkschaften und Arbeitgebern jetzt erwarten.
({2})
Meine Damen und Herren, in einer solchen Lage sollten wir uns von gegenseitiger Polemik freihalten. Lassen Sie uns in der Sache über Vorschläge sprechen, die Sie zusätzlich zu dem einzubringen haben, was die Bundesregierung vorgelegt hat. Da werden Sie offene Ohren für das finden, was zusätzlich zu geschehen hat. Aber, bitte, tun wir nicht so, als könnte irgend jemand einen Vorteil daraus ziehen, daß er die eine gegen die andere Gruppe ausspielt, wie das heute geschehen ist. Niemals mehr als jetzt war eine sachliche Diskussion gefordert. Niemals mehr, meine Damen und Herren, war es notwendig, daß alle auch unseren Bürgern sagen, daß wir nicht am Ende der notwendigen Entscheidungen über die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte stehen, sondern daß wir sehr wohl weitere Schritte zu unternehmen haben, daß es keine bequeme Flucht in eine weitere Ausweitung der Nettokreditaufnahme geben darf, abgesehen von den Bereichen, die der Bundeswirtschaftsminister genannt hat, den konjunkturell bedingten, daß Steuererhöhungen keine Alternative sein können. Nein, meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, durch eine solide Haushaltspolitik die Voraussetzungen für weitere Zinssenkungen zu schaffen, durch eine verantwortungsvolle Tarifpolitik die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich die Kostenlage verbessert, unsere Wirtschaft konkurrenzfähiger wird, und durch eine solide Haushaltspolitik weiter zur Konsolidierung und zur Vertrauensbildung für unsere staatliche Finanzpolitik und damit auch für unsere Volkswirtschaft beizutragen.
Dazu sind wir alle aufgefordert: Sie, die Opposition, wir, die Regierungsparteien, die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat. Da appellieren wir an Mithilfe; Polemik, meine Damen und Herren, hilft niemandem, am allerwenigsten denjenigen, die um ihren Arbeitsplatz bangen oder einen neuen Arbeitsplatz suchen. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Aufforderung an alle Bürger, Gruppen und Institutionen der Bundesrepublik, an dieser Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität teilzunehmen, mit der Einbringung eines Beschäftigungsförderungsgesetzes durch die Fraktionen der SPD und der FDP heute beweist die Koalition Handlungswillen und Handlungsfähigkeit.
({0})
Denn uns Sozialdemokraten beunruhigt hohe Arbeitslosigkeit auf das tiefste. Wir schieben die Verantwortung nicht allein auf die Wirtschaft, sondern wir kommen der staatlichen Mitverantwortung durch staatliches Handeln nach. Jedenfalls, meine Damen und Herren, können wir nicht auf ominöse Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen oder gar bauen. Wer dies immer noch tut, muß sich Ergebnisse regierungsamtlichen Nichthandelns, regierungsamtlicher Gleichgültigkeit, regierungsamtlicher Untätigkeit gegenüber dem Schicksal von Millionen Arbeitslosen in England unter der Premierministerin Thatcher oder in Amerika unter dem konservativen Präsidenten Reagan vorhalten lassen; so ist das.
({1})
Die sozialliberale Koalition hier in der Bundesrepublik stellt sich, wie gesagt, der staatlichen Mitverantwortung für Arbeitsplätze durch die Einbringung dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes. Es enthält die Einführung einer befristeten Investitionszulage von 10 %,
({2})
die Erhöhung der Umsatzsteuer von 13 % und 6,5 auf 14 % und 7 % ab 1. Juli 1983, also nächsten Jahres, die vorgezogene Neubewertung unbebauter, baureifer Grundstücke, die Beschleunigung des Steuereingangs bei Mehrergebnissen aus länger dauernden finanzamtlichen Betriebsprüfungen, die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Gewährung von Bildungsbeihilfen an arbeitslose Jugendliche und die Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung ab 1984.
Meine Damen und Herren, dieses Beschäftigungsförderungsgesetz, das wir hier heute einbringen, ist keine isolierte Maßnahme, sondern die konsequente Fortsetzung einer langfristigen Politik, die sich die staatliche Unterstützung eines zwangsläufigen Strukturwandels und einer erforderlichen Modernisierung unserer Wirtschaft und zugleich die Sicherung und Erhaltung bestehender wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze zum Ziel gesetzt hat. Dem dienten im Bereich der Steuerpolitik in den letzten Jahren bereits eine Reihe von Gesetzen zur Steuerentlastung und Investitionsförderung, die zugleich die steuerlichen Bedingungen für Investitionen verbessert haben und eine zu starke steuerliche Belastung der Arbeitnehmer durch die Lohnsteuer und der selbständigen Unternehmen durch die Einkommen-
und Körperschaftsteuer vermeiden sollten und vermieden haben.
Wir haben auch - und auch das gehört zur Verbesserung dieser Bedingungen - im Jahre 1981 ganz massiv Subventionen abgebaut. Man kann nur sagen, daß der Herr Geißler das ganze vorige Jahr verschlafen haben muß. Zum erstenmal weist der jetzt vorliegende Subventionsbericht der Bundesregierung bei den Zuwächsen der Subventionen eine nach unten weisende Kurve aus;
({3})
zum erstenmal geht es mit den Subventionen herunter und nicht herauf. - Das ist nur ein Punkt in einer, wie ich fand, auch ansonsten sehr unanständigen Rede, die Herr Geißler hier gehalten hat.
({4})
- Das ist meine persönliche Meinung und nicht meine persönliche Meinung allein.
({5})
Denn ich meine schon, er hat hier wirklich eine Gratwanderung vorgenommen, die, höflich ausgedrückt, ganz hart an Unwahrheit und Unseriosität vorbeigegangen ist.
({6})
Dem genannten Ziel, die steuerlichen Investitionsbedingungen zu verbessern, dienen dauerhaft die erst kürzlich erneut erhöhte degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter ebenso wie die Ausdehnung des Verlustrücktrages und die Zinsverbilligung von Krediten für kleine und mittlere Unternehmen. Dies ist für uns immer eine ganz entscheidende Zielgruppe gewesen, und so bleibt es. Daran ändern auch Polemiken nichts.
Diesen dauerhaft angelegten Anreizen für Investitionen in der Wirtschaft wird durch dieses Beschäftigungsförderungsgesetz jetzt als Ergänzung die Einführung einer zeitlich begrenzten Investitionszulage in Höhe von 10 % für bewegliche Wirtschaftsgüter und für Betriebsgebäude hinzugefügt. Meine Damen und Herren, trotz allem verbandsmäßigen Herummeckerns an diesem Instrument - und man bemerkt ja oft die parteipolitische Ausrichtung, die dahintersteht - weiß ich aus vielen Diskussionen vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Betriebe und aus meiner beruflichen Erfahrung, daß dies eine sinnvolle und wirksame Ergänzung der genannten Dauermaßnahmen ist. - Im einzelnen wird mein Kollege Spöri nachher zu den Investitionszulagen und insbesondere zu der Kritik, die hier heute morgen geübt worden ist, noch einiges hinzufügen.
Die zur Finanzierung des Beschäftigungsförderungsgesetzes vorgeschlagene maßvolle Erhöhung der Mehrwertsteuer kann als Steuererhöhung natürlich von niemandem jubelnd begrüßt werden. Doch wer mit Entschiedenheit eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer für die höheren Einkommen ebenso abgelehnt hat wie eine Zwischen- oder Vorfinanzierung durch Kreditaufnahme einerseits und weiteren Subventionsabbau andererseits, wer ebenso vehement eine sozial flankierte Mineralölsteuererhöhung ablehnt - und das geht ja quer durch das Haus -, der hat jede Berechtigung zur Kritik an der Finanzierung dieses Beschäftigungsförderungsprogramms durch eine maßvolle Mehrwertsteuererhöhung verloren. Das muß man, finde ich, einmal deutlich sagen.
({7})
Mit anderen Worten, wer scheinheilig diese Finanzierung ablehnt, der will in Wirklichkeit nichts für die Arbeitslosen tun, der will - das muß ich leider deutlich wiederholen - auch in Deutschland Thatcher-Politik. Für uns Sozialdemokraten kommt eine solche Politik nicht in Frage.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur über hundertjährigen Tradition der Sozialdemokraten - einer Tradition seit Lassalle -, die indirekten Steuern abzulehnen. Es war schon amüsant, ausgerechnet im „Handelsblatt" die uns wertvolle Geschichte unserer Partei in diesem Punkt vorgehalten zu bekommen. Wir haben ja den Vorteil, daß wir eine so alte Partei und damit auch eine Partei mit Geschichte in solch konkreten Punkten sind. Aber, meine Damen und Herren, was für Krokodilstränen im „Handelsblatt"!
Immerhin, die Tatsache, daß dies ausgerechnet im „Handelsblatt" abgedruckt war, ist für viele Sozialdemokraten sicherlich im umgekehrten Sinn, als es sich das „Handelsblatt" gedacht hat, hilfreich gewesen. Denn es hat doch die Bemühungen gefördert, der Sache auf den Grund zu gehen, ob nämlich heute die wirtschaftlichen Verhältnisse und damit die Wirkungen indirekter Steuern noch so seien, wie sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren. Das Ergebnis war, daß die SPD längst zur Kenntnis genommen hat, daß das traditionelle Bild von der extrem unsozialen Verteilung der indirekten Steuern in mehreren Punkten von den Realitäten des Steuersystems in der Bundesrepublik von heute abweicht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, sicherlich nicht gerade von konservativen Interessen stark eingefärbt, hat nach gründlichen Untersuchungen die Auffassung widerlegt, daß indirekte Steuern am meisten die Kleinsteinkommen träfen und mit steigendem Einkommen die Belastungswirkungen kraß zurückgingen.
Es wäre im übrigen ganz hilfreich - daß darf ich hinzufügen -, wenn einige Düsseldorfer Wissenschaftler nicht selektiv immer nur das läsen, was den altüberkommenen Litaneien entspricht, sondern sich auch mit dem auseinandersetzten, was den eigenen Standpunkt vielleicht einer Überprüfung zuführen könnte.
Meine Damen und Herren, wie wichtig und richtig die Ankündigung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen in der Begründung dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes ist, die Mehreinnahmen - ich drücke mich hier sehr präzise aus - aus der Erhöhung der Umsatzsteuer nach ihrer Verwendung für die Investitionszulage im Jahre 1983 ab 1984 für allgemeine Erleichterungen bei der Lohn-
und Einkommensteuer zu verwenden, ist gewiß spätestens gestern durch die Lektüre von Berichten über das neueste Gutachten des Münchener IfoWirtschaftsforschungsinstituts klargeworden. Denn darin wird sehr plastisch, sehr deutlich, sehr drastisch darauf hingewiesen - was wir natürlich wissen und wußten -, daß die in den letzten Jahren stabilste Säule der Finanzierung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden, nämlich die Lohnsteuer der Arbeitnehmer, fast doppelt so schnell
wächst, wie die Bruttolohn- und -gehaltssumme eben derselben Arbeitnehmer.
Wenn wir, die wir hier im Bundestag von unseren Fraktionen mit der Steuerpolitik beauftragt worden sind, schon manche Beulen ausgerechnet aus Steuersenkungsgesetzen bekommen haben - nicht nur von den Kollegen hier, die sich für den Haushalt besonders verantwortlich fühlen, sondern auch von den Bürgern, obwohl Senkungen an sich doch etwas Positives zu sein scheinen -, dann geschah das natürlich aus dem Gesichtspunkt heraus, daß die Milliardensummen, um die es hier insgesamt immer geht, bei dem einzelnen längst nicht all die Senkungserwartungen erfüllen können, die sich zuvor an so hohe Summen geknüpft haben.
Gleichwohl werden wir auf Grund dieser Entwicklung insbesondere bei der Lohnsteuer die im Beschäftigungsförderungsgesetz enthaltene Ankündigung allgemeiner Erleichterungen auf Grund der sonst mit doppelter Geschwindigkeit gegenüber der Steigerung der Löhne und Gehälter wachsenden Lohnsteuer sehr ernst nehmen.
Einfach gesagt, meine Damen und Herren: Der Lassalle von heute würde nicht gegen die indirekten Steuern, gegen die Mehrwertsteuer wettern, sondern er würde, wie man es auch heute feststellt, wenn man z. B. mit Betriebsräten redet, gegen einen zu hohen Lohnsteuerdruck kämpfen. Das muß man heute wirklich zur Kenntnis nehmen.
({8})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal aus der Antwort der „Stuttgarter Zeitung" auf diesen hübschen Artikel im „Handelsblatt" zitieren:
Ob nun Lassalle die Steuerkröte Mehrwertsteuer geschluckt hätte oder nicht, ist für die heutigen Steuerzahler weit weniger interessant, als die Frage, welche Einkommensgruppen bei der zum Ausgleich der Mehrwertsteuererhöhung anstehenden Lohnsteuersenkung stärker begünstigt werden als andere. Den Empfehlungen des Sozialisten Lassalle werden diejenigen, die ihn heute zitieren, in dieser Frage mit ziemlicher Sicherheit nicht folgen.
Ich finde, das ist in der „Stuttgarter Zeitung" gut ausgedrückt.
Lassen Sie mich jetzt Herrn Bundesminister Genscher etwas sagen. Ich kann es sagen, obwohl er nicht mehr da ist.
({9})
- Herr Abgeordneter Genscher, ich bitte um Verzeihung. - Lassen Sie mich bei diesem Punkt zur Vorsteuerpauschale einen Satz sagen. Zunächst einmal muß natürlich die Mehrwertsteuererhöhung so, wie sie das Beschäftigungsförderungsgesetz vorsieht, im Bundesgesetzblatt stehen. Ich gehe davon aus, daß trotz vielen Getöses hierfür eine ganz reelle Chance besteht, so, wie die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen es vorgeschlagen haben. Dann werden wir diese Frage ganz ernsthaft prüfen. Denn es ist ja kein Geheimnis, daß auch in meiner Fraktion eine Reihe von Kollegen auf diesen Punkt ausdrücklich hinweisen. Sie können es vielleicht nicht wissen,
aber einige Kollegen von mir wissen es: Wenn es um die Fragen der Besteuerung der Landwirtschaft geht, spreche ich nicht wie ein Blinder von der Farbe; ich habe da durchaus eigene Erfahrung und auch
- sagen wir einmal so - dörfliche Bezüge.
Im übrigen, meine Damen und Herren, zieht sich ganz kontinuierlich ein roter Faden - das sage ich als Sozialdemokrat natürlich besonders gern - durch unsere gesamte Steuerpolitik durch. Das gilt für die im Zusammenhang mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz vorgeschlagene maßvolle Anhebung der Mehrwertsteuer genauso wie für die letzten Steuergesetze, die wir hier gemacht haben: Die Steuerstruktur - d. h. das Verhältnis der direkten und der indirekten Steuern am gesamten Steueraufkommen - wird verbessert, wenn zum einen die indirekte Mehrwertsteuer erhöht und zum anderen ab 1984 diese Erhöhung durch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer an die Betroffenen zurückgegeben wird. Zugleich wird dadurch - da stimme ich mit meinem Vorredner überein - das Steuersystem leistungs- und investitionsfreundlicher.
Ich wundere mich nur über eines, meine Damen und Herren. Diesen Gesichtspunkt der Steuerstruktur hat z. B. der bayerische Ministerpräsident auch immer wieder als richtig und wichtig betont.
({10})
- Es ist ja nicht alles, was der Strauß sagt, falsch.
({11})
- Ja, Frau Kollegin Will-Feld, Sie kennen mich aus dem Finanzausschuß. Mir ist zunächst einmal egal, wer etwas sagt. Ich kümmere mich eher darum, was da gesagt worden ist. Es ist also - ich wiederhole das - nicht alles falsch, was da gesagt wird. Aber warum es nun ausgerechnet dann falsch sein soll, wenn die Bundesregierung hier einen konkreten Vorschlag macht,
({12})
kann ich dann natürlich auch nicht verstehen. Wissen Sie, mein lieber Kollege, wie ich das nennen würde? Ich würde das „Ablehnungsopportunismus" nennen. Gerade wie es paßt, so macht man es.
({13})
Der Steuergerechtigkeit dient die im Gesetzentwurf vorgesehene Beschleunigung des Steuereingangs bei unstreitigen Mehrergebnissen aus lang andauernden finanzamtlichen Betriebsprüfungen. Das geht natürlich vor allem um Großunternehmen. Wenn schon aus verschiedenen Gründen eine von uns Sozialdemokraten lange geforderte volle Verzinsung der Steuererstattungsansprüche ebenso wie die steuerlichen Nachzahlungen - als Steuerberater weiß ich ja, daß das letztere bei den Mandanten aus dem Unternehmensbereich eine ganz große Rolle spielt - derzeit immer noch nicht möglich sind, sollte man wenigstens alle Schritte tun, die hier etwas mehr Steuergerechtigkeit und etwas weniger zinslose Stundung für diesen Bereich bringen. Denn
- das sollte man nicht vergessen - die lohnsteuerzahlenden Arbeitnehmer werden immer sofort zur Kasse gebeten, in der Regel zunächst sogar zu hoch. Auch dies muß man einmal im Zusammenhang mit der Steuergerechtigkeit sehen.
Die im Beschäftigungsförderungsgesetz geplante vorgezogene Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke ist für uns ein erster Schritt bei der Erfassung des Grundvermögens mit annähernd zeitgerechten und zutreffenden Werten bei den Steuern, die von diesen Einheitswerten abhängig sind. Das sind j a immerhin die Grundsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Gewerbesteuer, teilweise auch die Grunderwerbsteuer.
Zugleich ist dieser Punkt der Gesetzgebung mit einer Einnahmeverbesserung, insbesondere bei den Gemeinden, aber auch bei den Ländern, verbunden. Da dieser Schritt wegen der Rückwirkung bei den Ertragsteuern zugleich zu gewissen Mindereinnahmen beim Bund führt, sehen Sie, daß wir das Wort „Gemeinschaftsinitiative" auch beachten, wenn es darum geht, die Gemeinden, die j a - wie der Kollege Mitzscherling heute morgen schon gesagt hat
- zwei Drittel der öffentlichen Investitionen machen, mit mehr Finanzmitteln auszustatten.
Ein entscheidender steuerpolitischer Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang natürlich die inzwischen eingetretene außerordentliche Bevorzugung bei der steuerlichen Erfassung der Werte des Grundvermögens. Denn unbebaute Grundstücke sind heute im Schnitt nur noch mit einem Zehntel bei den Steuern erfaßt, während z. B. das Sparvermögen oder das Betriebsvermögen bei den einheitswertabhängigen Steuern voll angesetzt wird. Dieser erste Schritt ist dringend notwendig. Zugleich kann mit diesem Schritt etwas gegen die Bodenhortung getan werden, was aus vielen bodenpolitischen und städtebaulichen Gründen ein sinnvoller Schritt ist.
({14})
- Ach wissen Sie, der kleine Mann wird von der CDU/CSU immer dann vorgeschoben, wenn es darum geht, „große" Interessen zu sichern. Das sollten Sie nun wirklich nicht immer tun.
({15})
Zum Schluß möchte ich an die Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion appellieren - ich weiß, daß kooperative Bereitschaft zumindest im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages besteht -, dieses Gesetz zügig zu beraten. Ich möchte an den Bundesrat appellieren. Dieses Beschäftigungsförderungsgesetz hat es verdient, konstruktiv und zügig, nämlich schnell beraten zu werden. Wie immer man inhaltlich zu dieser Gemeinschaftsinitiative steht, eines müßte auf jeden Fall klar sein: Die Entscheidungen darüber müßten schnell fallen, denn eine zögerliche Behandlung dieses Gesetzes würde eine Abwartehaltung, den berüchtigten Attentismus, auslösen. Diesen können wir nun in der gegenwärtigen Wirtschaftslage weder für die Arbeitnehmer noch für die Unternehmen gebrauchen. Dies würde schweren Schaden für die Bundesrepublik bedeuten.
Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag werden für eine zügige, intensive Beratung und dafür sorgen, daß dieses Gesetz noch in diesem Monat im Deutschen Bundestag verabschiedet wird. - Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Jahreswirtschaftsbericht heißt es:
Für den Strukturwandel und die Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes spielen kleine und mittlere Unternehmen und freie Berufe eine wichtige Rolle. Die Bundesregierung wird dies bei der Ausgestaltung ihrer Politik zur Sicherung günstiger wirtschaftlicher Rahmendaten auch künftig in Rechnung stellen.
Wenn man das so liest, dann hört sich das gut an. Es bestreitet wohl auch niemand die Bedeutung der mittelständischen Unternehmen in unserer Volkswirtschaft.
Über die zentralen Fragen, die diese Betriebe heute bewegen, nämlich die Fragen, wie können sie ihre Ertragskraft sichern, wie können sie dafür sorgen, daß ihr Eigenkapital nicht weiter abschmilzt, und wie können sie sich von den immer größer werdenden Raten der Fremdfinanzierung frei machen, steht im Jahreswirtschaftsbericht nichts. Dies ist der zentrale Punkt, der für die Sicherung der Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen einmal in den Vordergrund gestellt werden muß.
({0})
Die Unternehmenserträge sind erheblich unter Druck geraten. Es kommt entscheidend darauf an, den Druck auf die Erträge zu beseitigen, sagt die Bundesbank.
({1})
Deswegen nützt es gar nichts, daß wir hier jetzt große Grundsatzdebatten führen, daß wir Grundsätze beschwören, ob der eine mehr für Marktwirtschaft, der andere mehr für irgendwelche andere Formen von Wirtschaftspolitik ist, sondern es kommt entscheidend darauf an, wie das in der Praxis aussieht. In der Praxis sieht das so aus, daß in den letzten zehn Jahren die Eigenkapitalbasis des Mittelstandes auf unter 20 % abgesunken ist.
({2})
Diese absinkende Eigenkapitalquote bedeutet im Klartext, daß die Betriebe zu 80 % auf Fremdkapital angewiesen sind, und das bedeutet eine 80%ige Abhängigkeit von der staatlichen Konjunkturpolitik und den Wechselbädern des Go und Stop.
Das ist der Hintergrund, warum wir auch im Jahre 1981 wieder eine große Zahl von Konkursen zu beklagen hatten. Es ist sicherlich nicht zu bestreiten, daß dabei auch Managementfehler eine Rolle gespielt haben. Aber inzwischen ist auch unbestritten - das sagen nicht diejenigen, die davon unmitHauser ({3})
telbar betroffen sind, sondern die sehr nüchternen
und auf Abstand bedachten Institute und Fachleute
-, daß gerade die mangelnde Eigenkapitalausstattung unserer Betriebe und die immer weiter steigenden Kosten das entscheidende Kriterium für den Verfall des Mittelstandes sind. Zwölftausend mittelständische Unternehmen mußten im vorigen Jahr in Konkurs gehen. Das bedeutet fünfzig pro Tag. Das sind insgesamt 300 000 bis 350 000 Arbeitsplätze, die bei dieser Konkurswelle unwiederbringlich verlorengegangen sind.
({4})
Das bedeutet auch etwa 8 000 Ausbildungsplätze. Herr Kollege Roth, Sie haben heute morgen gesagt, das Handwerk lüge, wenn es seine Ausbildungskapazitäten und seine Ausbildungsleistung herausstelle. Ich würde Ihnen empfehlen, einmal den Herrn Bundeskanzler zu befragen, warum er denn das Handwerk - ({5})
- Das ist gar keine Fälschung. Ich war dabei, als er bei dem Abend des Handwerks im Zentralverband gesagt hat, daß er dem Handwerk gratuliere und es zu der hervorragenden Ausbildungsleistung, die die Jugend von den Problemen der Nichtfindung eines Ausbildungsplatzes befreit hat, beglückwünsche.
({6})
- Ob Ihnen das paßt oder nicht, dies hat der Bundeskanzler gesagt.
({7})
- Und dann sagen Sie, das Handwerk habe gelogen und mit Zahlen operiert, die nicht zutreffen.
({8})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, daß es immer schwierig ist, Unliebsamkeiten zu hören.
Aber warum haben wir denn in den letzten Jahren auf die Ausbildungsabgabe verzichten können? Doch deshalb, weil gerade die mittelständische Industrie und der mittelständische Bereich in Handel und Handwerk eine so überragend große Zahl von Ausbildungsplätzen bereitgestellt hat, wie es niemand vorher erwarten konnte und erwartet hat.
({9})
Diese Ausbildungsplätze werden im Rahmen dieser Konkurswelle und dieser Politik zusätzlich gefährdet, neben all dem, was das für die Situation des Unternehmers selbst und seiner Familie, über die j a niemand redet, bringt. Da wird j a nur von den Arbeitslosen gesprochen, die dadurch auf die Straße kommen. Wer redet denn von dem Unternehmer und seiner Familie, die zum Teil mit 60 bis 70 Stunden pro Woche bis zum Umfallen versucht haben, den Betrieb zu retten. Um deren Existenz und um deren
Schicksal kümmert sich hinterher niemand mehr. Davon spricht doch niemand.
({10})
Es kommt noch ein weiteres hinzu. Wir haben eine große Zahl von risikobereiten Arbeitnehmern, die gern auch eine Existenz begründen möchten. Darum ist die Sicherung der mittelständischen Unternehmen gleichbedeutend mit dem Schaffen von Voraussetzungen für neue Unternehmen und für mehr Selbständigkeit. Dazu hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU bereits vor langer Zeit einen ganz konkreten Vorschlag gemacht, nämlich das Ansparen von Eigenkapital, vergleichbar mit dem Bausparen. Dazu steht auch heute etwas in unserem Entschließungsantrag unter III.
Meine Damen und Herren, alle Programme - Existenzgründungsprogramm und wie das alles heißt - gehen im Grunde j a am Kern der Dinge vorbei.
({11})
So gut und so nett es ist, wenn hier zinsbegünstigt Mittel zur Verfügung gestellt werden, es bleiben Fremdmittel. Entscheidend ist, daß eigenes Kapital zur Verfügung steht. Herr Professor Giersch hat gesagt, 10 000 neue Unternehmer schaffen 1 Million Arbeitsplätze.
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wie das in der Praxis aussieht. Im Eigenkapitalhilfeprogramm ist ausweislich des Bundeshaushalts und der Rechnungen im Jahre 1980 für alle, die daran partizipiert haben, für die Existenzgründung ein Zuschuß von ganzen 903 DM geleistet worden. Das sind Zinssubventionen von monatlich 75 DM. Setzen Sie dies jetzt einmal ins Verhältnis zu dem was die Bundesregierung bereit ist, über BAföG einem Schüler zu zahlen, wenn er eine sturmfreie Bude haben möchte.
({12})
Das sind Beträge, die in diesem Verhältnis überhaupt nicht mehr zu vergleichen sind. Ganze 75 DM und keine Mark mehr sind Ihnen neue selbständige Existenzen wert, und bei BAföG ist Ihnen jedes Mittel recht.
Deswegen bringt auch die Aufstockung der Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau, deswegen bringt die Aufstockung des ERP-Sondervermögens keine Lösung der Probleme. Es wird sozusagen nur vorgegeben, die Probleme lösen zu können.
Der Herr Bundesaußenminister hat hier vorhin von der Gemeinschaftsinitiative und von den Unsicherheiten, die beseitigt werden müßten, gesprochen. Genau diese Unsicherheiten sind es doch, die auch jetzt niemandem den Mut geben - gleichgültig, ob es zu der 10 %igen Investitionszulage kommt oder nicht -, eine Entscheidung zu treffen, bei der ihm das Risiko im Grunde niemand abnimmt. Die Diskussion um die Ergänzungsabgabe und die Arbeitsmarktabgabe wird doch von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, ständig neu belebt. Der Bundesaußenminister sagt hier, man brauche
Hauser ({13})
Ruhe an der Vorschlagsfront. Wenn das richtig ist, wäre es - statt hier solche Forderungen zu stellen - hilfreicher, dafür zu sorgen, daß die Bundesregierung verbindlich und unmißverständlich erklärt, daß das Thema der Ergänzungs- und Arbeitsmarktabgabe vom Tisch ist und kein Diskussionsgegenstand mehr sein kann.
({14})
Solange es diese klaren Aussagen nicht gibt, bleibt die Unsicherheit.
Es ist natürlich schön, heute bei dieser Debatte an die Gemeinsamkeit zu appellieren. Ich möchte hier aber daran erinnern, daß es noch gar nicht so lange her ist, als der Bundeskanzler hier von dieser Stelle aus sagte: Wir wären ein kläglicher Haufen, wenn wir auf eure Hilfe angewiesen wären. - So einfach ist das: Wenn es gerade so in den Kram und in die staatsmännische Szenerie paßt, ist die Opposition ein kläglicher Haufen, den man gar nicht braucht. Wenn es aber nötig ist, wird an Gemeinsamkeit appelliert; dann heißt es: Ihr steht hier in der Verantwortung! - Dann sollen wir dafür sorgen, daß das, was andere alles versaubeutelt haben, mit unserer Hilfe wieder in Ordnung gebracht wird. Genau das ist die Situation.
({15})
Ich glaube also, daß all die Beteuerungen und Beschwörungen, die hier im Zusammenhang mit dem Programm jetzt wieder zu hören sind, nichts nützen, wenn nicht der große Rahmen stimmt und wenn nicht die Gesamtkonzeption überprüft wird. Wir haben mit unserem Entschließungsantrag dazu einen Beitrag geleistet. Wir haben auch in den zurückliegenden Jahren immer wieder versucht, durch Vorschläge die Schwierigkeiten zu beheben, die auftraten. Ich erinnere hier an unseren Vorschlag zur Schaffung einer steuerfreien Investitionsrücklage. Wenn wir diese damals vor vier oder fünf Jahren, als ich unseren Vorschlag hier begründet habe, eingeführt hätten, gäbe es heute in vielen Unternehmen Reserven, die für Investitionen mobilisiert werden könnten. Dann bedürfte es keines Zuschlages über eine Investitionszulage oder irgend etwas anderes. Die Betriebe hätten dann vielmehr aus eigener Kraft die Möglichkeit und auch die Bereitschaft zu investieren. Solange die Rahmenbedingungen nicht verbessert werden, solange man hier nur von einer Wende spricht, zu dieser Wende aber keinen Beitrag leistet, so lange wird auch der Mittelstand in dieser Volkswirtschaft keine Chance haben zu überleben. Wenn 60 % der Arbeitnehmer in mittelständischen Betrieben beschäftigt sind, ist die Sicherung von mittelständischen Unternehmen ein wesentlicher und gravierender Beitrag zur Stabilisierung unserer Wirtschaft und zur Sicherung der Arbeitsplätze.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rentrop.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß doch sehr schwierig sein, in einer so ernsten Situation wie der, in der wir sind, Gemeinsamkeit herzustellen. Wir brauchen diese Gemeinsamkeit dringend. Wir haben sie nötig, um über die Probleme, vor denen wir stehen, hinwegzukommen.
Die Kritik, die heute hier vorgebracht worden ist, erschöpft sich eigentlich darin, die Bemühungen zu zerreden, die wir seit mehr als einem Jahr zur Lösung der Probleme, die auf uns zukommen, unternehmen. Das, was Ihnen jetzt als Gemeinschaftsinitiative vorgelegt worden ist, wird isoliert gesehen. Es erfolgt keine Gesamtbetrachtung der Situation, die sich auch aus der Entwicklung unserer Wirtschaft ergab und die zu geeigneten schrittweisen Eingriffen geführt hat.
Diese Investitionszulage, die isoliert ihre Kritik so sehr herausfordert, ist doch nur ein Schritt. Begonnen hat es im vergangenen Sommer mit den Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau gerade für mittelständische Unternehmen, fortgesetzt worden ist es in der Operation '82 mit der degressiven Abschreibungserhöhung auf 30 % - das ist sicherlich ein nicht zu verachtender Anstoß -, und schließlich ist mit dieser Gemeinschaftsinitiative noch die 10%ige Zulage hinzugefügt worden. Auch die Kritik, die hieran angebracht worden ist, schon die Ifo-Studie aus den Jahren 1974/75 habe bewiesen, daß diese Investitionszulagen nicht gegriffen haben, übersieht doch ganz einfach, daß wir aus der damaligen Investitionszulage gelernt haben. Denn hier wird gerade darauf abgestellt, daß nicht jede Investition mit dieser Zulage versehen wird, sondern daß gerade die Mehrinvestitionen begünstigt werden.
Gerade mit diesen Mehrinvestitionen tragen die kleinen, mittleren wirtschaftlichen Existenzen, die Selbständigen, die sich kurzfristig entscheiden, zur Entwicklung der Wirtschaft bei. Wir wissen alle, daß die Investitionen in den großen Unternehmen im wesentlichen auf Jahre hinaus vorgeplant sind. Hier liegen Finanz- und Investitionspläne auf Jahre vor, die Sie nur geringfügig in der Tendenz beeinflussen können. Gerade die Kreativen, die Kleinen lassen sich, wenn sie das zusammenrechnen, womöglich durch begünstigte Finanzierung plus Abschreibungserhöhung - die Investitionszulage schließt das andere nicht aus - zu Mehrinvestitionen anreizen, ansprechen, anstoßen, von denen wir hoffen, erwarten, daß sie ein Volumen von 40 Milliarden DM mit einem Zulagenbedarf von 4 Milliarden DM erreichen werden.
Dies muß man im Zusammenhang und positiv sehen. Es ist zumindest eine Möglichkeit. Keiner von uns kann behaupten, er kenne heute den Stein der Weisen, mit dem die Probleme der Wirtschaft zu lösen sind. Die Rahmendaten, in denen wir leben, die Stabilitätsfaktoren sind bei uns verletzt. Dies bekennt jeder von uns ganz freimütig. Aber sie sind im Vergleich - der Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen schon darauf hingewiesen - bei uns noch am geringsten verletzt.
Auch das von Herrn Leisler Kiep, wenn ich mich richtig entsinne, vorgebrachte Beispiel Japan kann sicherlich nicht alleiniges Vorbild sein. Man muß dabei sehen, daß die Staatsverschuldung der Japaner ein Mehrfaches unserer Verschuldung ausmacht, daß deren jährlicher Haushalt mit 30 bis 40 % NettoRentrop
neuverschuldung finanziert wird. Wollen Sie uns das wirklich als Alternative anbieten? Wollen Sie wirklich sagen, wir sollten diesen Weg sehr zentraler Steuerung gehen? Glauben Sie nicht, daß uns unsere stark strukturierte mittelständische Wirtschaft einen viel besseren Beitrag bietet?
({0})
- Ich greife diesen Einwand gern auf. Daß unsere Arbeitskosten durchaus Weltmarktwettbewerbsbedingungen entsprechen, ist heute auch schon genügend angesprochen worden. Unser Export ist sicherlich eine der erfreulichsten Seiten. In der heutigen „Neuen Rhein-Zeitung" ist zu lesen:
Die Exporte der deutschen Wirtschaft stiegen 1981 um über 13 % auf 397 Milliarden DM. Auch 1982 wird trotz flauer Weltkonjunktur mit einem Exportboom der Bundesrepublik gerechnet.
Das sind positive Faktoren, die wir 1980 nicht mit Sicherheit erwarten konnten,
({1})
positiv deshalb, weil wir mit 30 % des Bruttosozialprodukts davon abhängig sind, daß unsere Güterund Dienstleistungen vom Ausland abgenommen werden. Das ist bei uns mehr als bei fast jedem anderen Industrieland der Welt. Wir sind froh darüber, daß wir dies geschafft haben, und wir sollten die Rahmenbedingungen weiter so setzen, daß wir dies schaffen.
Wir meinen also, daß diese Investitionszulage ein Angebot, ein Anstoß ist. Die Politik kann dies nicht allein regeln, aber die Wirtschaft sollte das aufnehmen.
Mein herzlicher Appell an Sie: Benutzen Sie nicht immer das Instrumentarium, das in einem Werk über Finanzpolitik so umschrieben wird:
Man kann einem Volk, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährlich vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen die Gefahren erst beschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll. Dazu gehört auch der leichtfertige, das Gesetz der Dimensionen verletzende Gebrauch der Begriffe Krise, Depression, Inflation und ähnliches.
1969 vom Autor Franz Josef Strauß in seinem Werk „Finanzpolitik - Theorie und Wirklichkeit" so ausgeführt. Sie sollten diesen Weg verlassen.
({2})
Sie sollten sich bemühen, mit uns gemeinsam einen Weg zu finden.
Ich will nur noch kurz auf die Umsatzsteuer eingehen. Wir sind der Meinung, daß die Mehrwertsteuererhöhung bzw. ihre Vorziehung - der Bundesaußenminister hat vorhin hierauf erneut hingewiesen - der richtige Weg ist und sicher eine tragbare Belastung ergibt. Es ist auch nicht richtig, wenn Herr Geißler sagt, daß die Umsatzsteuer nur die unteren Einkommensgruppen trifft. Dies entspricht klassischer finanzwissenschaftlicher Theorie. Aber Sie sollten lieber mal das Werk Ihres eigenen Parteifreundes Professor Hamer: „Wie finanziert sich der Staat?" lesen, der sehr richtig ausgeführt hat, daß inzwischen diese Belastungen durch das höhere Konsumeinkommen höher reichen und daß insofern die Umsatzsteuer auch viel breiter wirkt, also nicht nur die kleinen Leute trifft, sondern durchaus auch in die Verfügungseinkommen bis zu erheblicher Höhe hineinwirkt.
({3})
Sie sollten wissen, daß hier durchaus das vernünftige Mittel der Wahl gefunden worden ist. Wir werden sicherlich - darüber wäre ich glücklich - auch einen Weg finden, 1984 einen Ausgleich in der Einkommensteuerbelastung zu schaffen, so daß die Gesamtbelastung nicht mehr so drückt.
Lassen Sie mich, nachdem vieles heute schon vorgetragen worden ist, abschließend noch einmal an die Gemeinsamkeit appellieren, um zu vernünftigen Lösungen für dieses deutsche Volk, für dieses unser aller Land zu kommen. Ich scheue mich beinahe, aus einem Flugblatt der Opposition mit der Überschrift „Zur Sache", das mir vor wenigen Minuten vorgelegt worden ist, zu zitieren: Rechnung der SPD/FDP für die Arbeitnehmer und Rentner, größte Wirtschafts-
und Sozialkrise seit Bestehen der Bundesrepublik, fehlende Arbeitsplätze zwei Millionen, dazu noch Kurzarbeiter, Arbeitnehmer, die zwar arbeiten wollen, aber vom Arbeitsamt nicht mehr als Arbeitslose registriert werden, 1,2 Millionen, Preissteigerungsrate allein im Jahr 1982 6 %, Kaufkraft Ihres Einkommens weniger als vor einem Jahr, außerdem hätten SPD und FDP den sozial Schwachen Sozialleistungen beseitigt, beschränkt oder gekürzt bei über 80 sozialen Vorschriften usw. usw.
({4})
Glauben Sie wirklich, daß dies der Weg ist, mit dem wir aus einer Krisensituation, in der alle Industrienationen der Welt stecken, herauskommen, daß dies der Weg zu einer Gemeinsamkeit ist? Ist das Ihr Ansatz? Ich meine, er sollte es nicht sein.
({5})
Vergessen Sie solche Dinge, vergessen Sie solche Blätter, und versuchen Sie, uns zu helfen, dies gemeinsam zu bewältigen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir jetzt die ganze Debatte angehört und vor allen Dingen intensiv die Beiträge der Kollegen von der Union verfolgt. Das beklemmende Ergebnis, das Fazit des heutigen
Tages ist für mich, Herr Dr. Kreile, daß Sie von der Oppositionsseite wirklich alles getan haben, um die positiven Chancen dieser Gemeinschaftsinitiative zu demontieren, zu zerreden durch alle Argumente, die zur Verfügung stehen, ohne Rücksicht darauf, aus welchem Instrumentenkasten solche Argumente stammen. Sie benutzen jedes Argument, um materielle und psychologische Chancen dieses Programms zu zerreden.
({0})
Ich möchte auf diese Kritik eingehen, gerade nachdem ein Mittelständler gesprochen hat. Herr Kollege Hauser hat dahin gehend geredet, daß das Instrument der Investitionszulage keine Chance habe, positive Impulse im mittelständischen Bereich auszulösen. Ich möchte auf die These eingehen, daß die Investitionszulage nur Mitnahmeeffekte auslösen würde, daß dadurch lediglich sowieso geplante Investitionen vorgezogen würden und daß diese Investitionen anschließend fehlen würden.
Meine Damen und Herren, wir haben j a in den Jahren 1974 und 1975 gewisse Erfahrungen mit der Investitionszulage gemacht. Es ist einfach nicht richtig, wenn hier behauptet wird, durch das Vorziehen von Investitionen entstehe ein großes Investitionsloch. Die Erfahrungen der Jahre 1974 und 1975 mit der Investitionszulage haben ergeben - Sie können das in dem Bericht des Ifo-Instituts nachlesen -, daß die Investitionskonjunktur nach Auslaufen der Investitionszulage keineswegs nachhaltig abgesackt ist; vielmehr haben die vorgezogenen Investitionen positive Impulse für eine generelle Verbesserung des Investitions- und Konjunkturklimas ausgelöst. Das war auch die Basis für bessere Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit. Deshalb war in der Folge - in der zweiten Hälfte des Jahres 1975 und im Jahre 1976 - durchaus eine sehr robuste Investitionskonjunktur zu verzeichnen.
Ich möchte mich jetzt einmal mit Ihren weiteren Einwendungen auseinandersetzen. Herr Kiep ist leider nicht mehr hier. Aber Herr Waigel, der wahrscheinlich gerade seine Rede korrigiert oder auch nicht,
({1})
hat - ich bin unheimlich gerührt, Herr Dr. Waigel - die Mitnahmeeffekte in diesem Zusammenhang kritisiert. Sie haben so getan, als verplempere der Staat mit der Gewährung der Investitionszulage Geld, weil da Mitnahmeeffekte in Kauf zu nehmen wären. Zunächst einmal, Herr Dr. Waigel: Diese Bundesregierung hat natürlich aus den Erfahrungen mit der letzten Investitionszulage gelernt. Da gab es einige Macken und einige Kanten und einige Schwächen. Deswegen wird jetzt mit dieser Investitionszulage lediglich die Zusatzinvestition, die über den Schnitt der letzten drei Jahre hinausreicht, gefördert. Das ist ein löblicher Versuch, den Mitnahmeeffekt zumindest einzugrenzen. Es ist mir natürlich auch klar, daß man Mitnahmeeffekte niemals gänzlich ausschalten kann. Dann müßte man j a in die Gehirne der Unternehmer blicken können und nachvollziehen können, ob sie auch ohne Investitionszulage investieren würden.
Aber es gibt hier Leute, die sich normalerweise überhaupt nicht über Mitnahmeeffekte aufregen und z. B. zusätzliche Abschreibungserleichterungen und günstigere steuerliche Rahmenbedingungen fordern, jetzt aber Mitnahmeffekte bedauern und sie hier als einen Haupteinwand in die Debatte einbringen. Dazu muß ich Ihnen sagen: Das ist einfach nicht überzeugend.
({2})
- Herr Glos, Sie sagen beständig, die mangelhafte Ertragskraft unserer Unternehmen, auch der kleineren Unternehmen, sei die Schlüsselproblematik dieser Volkswirtschaft. Was sind denn Gewinnmitnahmen anderes als Verbesserungen der Ertragskraft in den einzelnen Unternehmen? Wenn Sie hier in dieser Widersprüchlichkeit kritisieren - ich verstehe j a, daß die Gewerkschaftsführer mit einer gewissen Skepsis Gewinnmitnahmen gegenüberstehen -, was aus Ihrer Sicht eigentlich positiv auf die Ertragskraft unserer Unternehmen wirken müßte,
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dann muß ich Ihnen absprechen, daß Sie hier einen Versuch unternommen haben, den wirtschaftspolitischen Sinn dieser Gemeinschaftsinitiative seriös zu bewerten. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie gar nicht den Versuch machen, wirtschaftspolitisch sachlich zu urteilen. Sie übernehmen einfach jegliches Argument - auch aus der Schatuelle von Ihnen fernstehenden gesellschaftlichen Kräften -, um die mögliche positive Wirkung dieses Programms zu zerreden.
Herr Kiep hat heute morgen gesagt, die Investitionszulage werde vorrangig von großen Unternehmen mitgenommen. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß auch das allen Erfahrungen widerspricht, die wir mit der letzten Investitionszulage von 1975 und 1976 gemacht haben. Wir haben aus der jüngeren Wirtschafsgeschichte gelernt, daß gerade kleine Unternehmen in der Lage sind, spontaner zu investieren, flexibler zu reagieren, wenn es solch einen kurzfristigen Anreiz in Form einer zeitlich begrenzten Investitionszulage gibt. Die kleineren Unternehmen sind geneigt, ihr Investitionsverhalten zu ändern, wenn es einen solchen Anreiz gibt.
Auf der anderen Seite sind es gerade die großen Konzerne, die unabhängig von Veränderungen der Steuer- und der Finanzpolitik mittelfristig in Milliarden-Dimensionen planen und die weitgehend unabhängig von der Gesetzgebung ihre Investitionsprogramme durchziehen, weil sie von ganz anderen Faktoren bestimmt sind, etwa von Konkurrenzfaktoren wie der japanischen Weltmarktkonkurrenz.
Wenn schon die Zulage als Anreiz in ihrer Ausgestaltung zweifellos umstritten war, so war zu erwarten, daß an der Finanzierungsregelung noch mehr Kritik geübt wird. Die Finanzierungsregelung ist ja immer der unangenehmere Teil. Es gibt j a überhaupt keine Möglichkeit, Finanzierungslösungen
anzubieten, die völlig konfliktfrei und völlig widerspruchsfrei wären. Wir haben die Mehrwertsteuererhöhung als Finanzierungsbeitrag zur Investitionszulage vorgeschlagen. Für Sozialdemokraten ist es sicherlich kein Lusterlebnis, jetzt vor ihre Wähler treten und sagen zu müssen: Wir verlangen diesen Solidaritätsbeitrag von euch für die Gemeinschaftsinitiative. Das gebe ich zu.
({4})
Das wird nicht stehend mit Ovationen beklatscht. Das ist ganz klar.
Aber wenn Sie sich jetzt polemisch auf die angeblich unsoziale Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung einschießen - ich möchte auf das eingehen, was Herr Geißler heute morgen geboten hat -, dann muß man einmal fragen, ob Sie die Rolle des Anwalts des kleinen Mannes wirklich seriös spielen. Ich nehme Ihnen die Rolle des Anwalts des kleinen Mannes überhaupt nicht ab.
({5})
- Ich will das begründen, Herr Waigel. Die Glaubwürdigkeit der Rolle des Anwalts des kleinen Mannes bemißt sich nach der eigenen Vorstellung, die man zur Finanzierung zusätzlicher investitionswirksamer Maßnahmen aufstellt.
({6})
- Ich will Ihnen konkret belegen, was ich gerade behauptet habe. Wir haben die Ergänzungsabgabe als eine Finanzierungsform aus dem gewerkschaftlichen Bereich aufgegriffen. Ich habe aus den Reihen der Opposition in diesem Parlament keinen gesehen, der bereit gewesen wäre, diese Ergänzungsabgabe als eine sozialere Finanzierungsform dieser Gemeinschaftsinitiative zu unterstützen. Von Ihnen war niemand bereit, ein Finanzierungskonzept zu unterstützen, dessen Ansatz darin bestanden hätte, den stärkeren Schultern eben auch mehr Lasten aufzubürden.
({7})
- Wenn Sie jetzt auf die FDP verweisen, Herr Dr. Waigel, muß ich Ihnen sagen: Die FDP greift uns ja nicht wegen der Mehrwertsteuererhöhung an.
({8})
Wer als Anwalt des kleinen Mannes auftritt und die angeblich unsozialen Wirkungen dieser Mehrwertsteuererhöhung attackiert, muß sich auch einmal an seinen eigenen Finanzierungsvorschlägen messen lassen.
({9})
Was haben Sie denn an Finanzierungsvorschlägen für Ihre Investitionsoffensive vorgebracht? Es
gibt da diese bekannten pauschalen Ankündigungen, daß die staatlichen Leistungen global mit gleichen Abschlägen gekürzt werden sollen und daß insbesondere auch die Subventionen global gekürzt werden sollen.
({10})
Ich möchte jetzt nicht eine Diskussion darüber anfangen, daß das gar nicht so umsetzbar ist. Ich möchte auch nicht eine Diskussion darüber anfangen, daß Sie im konkreten Fall kneifen. Wenn man steuerliche Subventionen kürzen will, dann sagen Sie, Sie machen dabei nicht mit.
({11})
Ich möchte nur auf den BAföG-Kürzungsvorschlag der CDU/CSU eingehen. Wenn ich davon absehe, irgendwelche bildungspolitischen Anmerkungen über die unsoziale Wirkung dieses Kürzungsvorschlags zu machen, muß ich sagen: Wenn mit diesem BAföG-Kürzungsvorschlag im unteren Einkommensbereich konzentrisch um 800 Millionen DM gekürzt werden soll, dann ist es zynisch, wenn Herr Geißler uns vorwirft, wir betrieben mit der Mehrwertsteuererhöhung eine unsoziale Politik.
({12})
Das ist wirklich zynisch. Denn die Mehrwertsteuererhöhung ist, obwohl sie nicht die attraktivste Finanzierungsvariante ist, die wir Sozialdemokraten in die Diskussion eingebracht haben, in der Lastenverteilung wahrlich sozial gegenüber Ihren Kürzungsvorschlägen, die nur unten konzentrisch bei den Schwächsten der Armen ansetzen.
({13})
Ich will Ihnen aus der ganzen Finanzierungsdebatte heraus folgendes sagen. Ich weiß nicht, ob wir sie wirklich ehrlich genug führen. Jeder hält dem anderen die Nachteile der von der Gegenseite vorgeschlagenen Finanzierung vor. Wenn wir ehrlich wären, müßten wir eigentlich zugeben, daß jegliche realisierbare Finanzierungsvariante Zielkonflikte aufwirft und Nachteile hat. Es geht hier doch nicht darum, daß wir der Bevölkerung vorgaukeln, es gebe widerspruchsfreie und konfliktfreie Finanzierungslösungen. Das kann man nur behaupten, wenn man unverbindlich bleibt, wenn man im Globalen bleibt, wenn man nur globale Ziele formuliert, z. B. dahin gehend, daß man vom Konsumbereich in den Investitionsbereich umsteigen müsse.
({14})
Herr Waigel, wenn Sie heute morgen so flammend empört die Gemeinschaftsinitiative der Bundesregierung, die wir unterstützen, mit allen Argumenten attackiert haben - opportunistischerweise zum Teil auch mit den Argumenten innenpolitischer Gegner -, dann haben Sie das Recht, daß man ein bißchen auf das eingeht, was Sie anschließend feier5338
lieh ergriffen aus Ihrem sieben Punkte umfassenden Offensivprogramm verlesen haben.
({15})
Sie haben heute morgen ja noch einmal das sieben Punkte umfassende Offensivprogramm der Union vorgetragen. Ich muß dazu sagen: Das, was Sie da angeboten haben, waren zum Teil belletristische Einlagen. Davon möchte ich jetzt einmal absehen, z. B. von den notorischen Unterstellungen, wir seien fern der Marktwirtschaft. Ich möchte auch von der blumigen Formulierung absehen, daß es jetzt darum gehe, eine Rückkehr zur konsequenten Marktwirtschaft einzuschlagen. Das interessiert mich jetzt nicht so sehr.
Ich möchte auf das eingehen, was wir alle gemeinsam an Zielmarken unterstützen, die dort aufgeführt sind. Ich möchte auch auf die finanzwirtschaftlichen Grundsätze eingehen, die dort niedergelegt sind.
Eine Zielmarke, die ich unterstützen kann, ist die, daß wir in unseren öffentlichen Haushalten mittelfristig den Schuldenzuwachs abbauen und gleichzeitig versuchen müssen, die öffentliche Investitionstätigkeit zu verstetigen und anzuregen. Dieses Ziel teilen wir. Dieses soll dann möglich gemacht werden durch Umschichtungen vom konsumtiven in den investiven Bereich.
Ich möchte Ihnen zwei Kostproben davon geben, was parallel zu diesen Grundsätzen Ihre führenden finanzpolitischen Sprecher in den letzten Wochen gesagt haben und was dazu in Zeitungen zu lesen war. Herr Strauß im „Handelsblatt" am 1. Februar:
({16})
Das war ein interessanter Artikel, in dem zu erfahren war, daß Herr Strauß rund 15 Milliarden DM zusätzlich an Steuererleichterungen und Subventionen, vor allen Dingen für die Wirtschaft, fordert. Kollege Häfele hat dann nachgezogen, sieben Tage später ebenfalls mit einem Artikel im „Handelsblatt".
({17})
- Ja, das war meine Schuld; falsch zitiert. Ich nehme das zurück; 8. Januar; das war eine Wochenendausgabe, richtig. ({18})
Herr Häfele, aber Sie mußten natürlich höher springen als Herr Strauß.
({19})
Sie haben nach unseren Berechnungen Steuererleichterungen und Subventionen für die Wirtschaft im Umfang von ca. 23 Milliarden DM gefordert.
({20})
- Ich schenke Ihnen da durchaus 5 oder 6 Milliarden DM.
({21})
- Herr Häfele, ich schlage vor, wir lesen den nachher zusammen, vielleicht drüben im Bundeshausrestaurant. ({22})
Sie können durchaus einen Abschlag vornehmen.
({23})
Ich meine, daß Sie, wenn Sie dem wirtschaftlichen Bereich so großkalibrig zusätzliche Spendierrunden anbieten,
({24})
Ihren hehren finanzpolitischen Grundsätzen auf jeden Fall nicht gerecht werden.
({25})
Mit diesen Angeboten an die Wirtschaft reißen Sie solche Löcher in den öffentlichen Haushalt, daß Sie es niemals hinkriegen würden, mehr öffentliche Investitionen durchzuführen und gleichzeitig die Verschuldung zu begrenzen.
({26})
- Ja, er bellt heute abend sehr laut, der Herr Häfele.
({27})
Herr Häfele, aus Ihren Reihen kommt immer der Vorwurf - dies zum Abschluß ({28})
- Sie sind sehr getroffen; ich stelle das fest -, ({29})
vor allen Dingen von dem Ihnen nahestehenden Ministerpräsident Späth aus Baden-Württemberg, daß wir mit unserer Diskussion über dieses Programm einen Attentismus erzeugt hätten.
({30})
Dies war auch der generelle Tenor der Union heute morgen, als Herr Waigel gesprochen hat und als andere Redner der Opposition gesprochen haben.
({31})
Ich weise darauf hin, daß es in einer Demokratie
nicht verhinderbar ist und auch niemals verboten
werden kann, daß Parteien dann, wenn Arbeitslosenzahlen steigen, über die notwendigen Konsequenzen reden, über wirtschaftspolitische Konsequenzen diskutieren und damit eine Diskussion einsetzt, die auch bei manchen Investoren zur Abwartehaltung, zu dem sogenannten Attentismus führt; das ist sicherlich so. Das ist investitionspolitisch nicht optimal, aber das kann man nicht verhindern. Doch niemand kann der Bundesregierung absprechen, daß sie nach einem - zugegeben schwierigen - demokratischen Klärungsprozeß eine vernünftige Gemeinschaftsinitiative vorgelegt hat, die wir hier jetzt in Gesetzesform eingebracht haben und die beachtliche Chancen für diese Wirtschaft und für diese Gesellschaft darstellt. Wenn Sie in der Debatte dauernd von Attentismus reden, dann muß ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung hat ihre Pflicht erfüllt, und wir haben unser Gesetz hier vorgelegt. Wenn jetzt jemand Attentismus auslöst, meine Damen und Herren von der Opposition, dann Sie, und zwar dadurch, daß Sie dieses Programm dauernd in Frage stellen. Wer denn sonst?
({32})
Durch was sonst wird gegenwärtig der Investor verunsichert als durch Ihre Haltung, die darauf hinausläuft, die Investitionszulagen, diese Anreize in Frage zu stellen? Durch was denn sonst? Wir sind doch bereit, diese Investitionszulagen hier im Parlament zu verabschieden. Meine Damen und Herren der Opposition, wenn Sie wegen dieses Attentismus wirklich bekümmert sind, dann darf ich von Ihnen zum Abschluß zumindest verlangen, daß Sie Ihre Blockadepolitik gegen dieses Programm angesichts der Situation, der bedrohlichen Situation am Arbeitsmarkt im Interesse von Arbeitnehmern und Unternehmern endlich aufgeben. Sie selbst können den Attentismus beenden. Wir haben das Unsere dazu getan, den Attentismus zu beenden. - Vielen Dank.
({33})
Als nächster Redner hat die Frau Abgeordnete Will-Feld das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spöri, Sie sagen uns, wir benutzten jedes Argument. Ich meine nur, auch Sie benutzen jedes Argument.
({0})
Sie verweisen darauf, wenn wir schon gegen die Mehrwertsteuererhöhung seien, dann hätten wir doch einen Vorschlag zur Ergänzungsabgabe machen müssen. Herr Kollege Gobrecht sagte dazu, wer die Ergänzungsabgabe ablehne, müsse sich, bitte schön, das andere - nämlich die Mehrwertsteuererhöhung - gefallen lassen. Ich glaube, ich zitiere Sie richtig.
Nur, Herr Kollege Gobrecht, ist es denn nicht so, daß viele der Unternehmen, die Sie im Auge haben, überhaupt keine Ergänzungsabgabe gezahlt hätten, weil sie bereits in den roten Zahlen sind? Und nehmen wir diejenigen, die noch nicht in den roten Zahlen sind, nehmen wir doch einmal das Beispiel eines
Gewinns von 1 Million DM. Dann sind 720 000 bis 750 000 DM an Steuern abzuführen, und als Ertrag bleiben 280 000 oder 250 000 DM übrig. Aber dieser Ertrag braucht sich nicht einmal in liquiden Mitteln darzustellen. Ich meine, Herr Kollege Gobrecht, wir beide machen einmal gemeinsam ein betriebswirtschaftliches Seminar,
({1})
bei dem das Verhältnis von Erträgen, Steuern und liquiden Mitteln deutlich gemacht wird, und dann unterhalten wir uns wieder über die Ergänzungsabgabe!
({2})
Der Herr Kollege Mitzscherling hat heute morgen sinngemäß ungefähr folgendes gesagt: Laßt doch dieses Beschäftigungsprogramm jetzt einmal laufen, Mitnahmeeffekte sind ja gar nicht so schlimm, sie bekommen dann eine 10 %ige Entlastung, und das stärkt die Ertragskraft. - Wenn ich richtig zugehört habe, sagten Sie dazu noch, dann könne man das j a auch als eine Art Zinsentlastung auffassen.
Meine Damen und Herren, ich warne vor diesen Dingen! Ich lebe draußen in meiner beruflichen Praxis noch mit den Prozessen aus den Konjunkturprogrammen der Jahre 1973, 1974 und 1975;
({3})
denn die Finanzverwaltung und ihre Beamten ziehen sich auf den Gesetzestext zurück, sie versuchen nachher, das, was Sie hier jetzt so großzügig anbieten, wieder hereinzuholen und zwar nach dem Buchstaben des Gesetzes; und dies macht, wenn ich es richtig abschätze, etwa 40 bis 50 % aus. Ich warne also davor, mit Leichtfertigkeit zu sagen: Geben wir es Ihnen einmal. Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. - Ich kann Ihnen sagen, es wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird; die Staatsanwaltschaft beruft sich auf das Legalitätsprinzip, und dann gibt es Arger mit den Unternehmen und Arger mit dem Bürger.
Ich meine, wir als Gesetzgeber seien aufgefordert, hier klare, sehr klare Gesetze zu machen und das, was wir wollen, in den Gesetzen festzulegen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Meinung der CDU/CSU-Fraktion zur Mehrwertsteuererhöhung haben Sie heute morgen von allen Rednern gehört. Wir sind der Meinung, daß die Finanzierung des vorgesehenen Bschäftigungsprogramms durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer kein Mittel ist, mit dem sich die Wirtschaft beleben läßt. Wir befinden uns dabei in sehr guter Gesellschaft, vom DGB über Abgeordnete verschiedener Fraktionen - auch der Koalitionsfraktionen - und Teile der Bundesregierung bis hin zur Bundesbank. Ich will hier nicht mehr zitieren.
Wir können uns, meine ich, über Mehrwertsteuererhöhungen unterhalten; nur halte ich die Art, wie die Erhöhung jetzt in diesem Beschäftigungsprogramm fixiert ist, für zu trickreich. Im Finanzierungsteil dieses Beschäftigungsprogramms steht ja folgendes: Bitte, Bürger gebt uns das Geld in Form von erhöhter Mehrwertsteuer! Im Jahr 1984 be5340
kommt ihr irgendwann eine steuerliche Entlastung, ausgestattet mit einem sehr vagen Bonus.
Ich habe mir einmal überlegt, wie es eigentlich aussieht, wenn wir im Geschäftsleben dies alles so finanzieren. Der Staat tritt also an seinen Bürger heran und gibt ihm einen Wechsel auf die Zukunft, indem er sagt: Das, was du heute zahlst, bekommst du im Jahr 1984 zurück; ich brauche dieses Geld. In dem Wechsel wird natürlich nicht die Größenordnung des Bonus - Senkung von Lohn- und Einkommensteuer - aufgenommen; das bleibt geflissentlich draußen. Und dann wird der Wechsel im Jahr 1984 präsentiert.
Wir nennen das „Finanzierungswechsel" oder „Gefälligkeitswechsel". Wir nennen das „Wechselreiterei".
({5})
Das Ergebnis ist, daß die Unternehmen, die so etwas tun, bankrott sind.
({6})
Hier liegt die ganz große Gefahr, daß die Finanzierung zu trickreich ist.
({7})
Wir lehnen also die vage Umschreibung, im Jahr 1984 würden wir eine bisher noch nicht fest umrissene Entlastung an Einkommen- und Lohnsteuer bekommen, ab. Dieser Trick in der Finanzierung ist das, was uns beschwert.
Lassen Sie mich dazu nocht etwas sagen. Wir alle wissen miteinander - ich meine, die Bundesregierung weiß es schon seit einiger Zeit -, daß das Lohnsteueraufkommen auch im Jahr 1981 Dimensionen angenommen hat, die die Bundesregierung zwingen - Mehrwertsteuer hin, Mehrwertsteuer her -, Tarifbegradigungen vorzunehmen.
({8})
Aus diesem Grunde wird jetzt bei der Finanzierung über die Mehrwertsteuererhöhung bereits mit dieser Lohn- und Einkommensteuersenkung operiert. Aber das sind in aller Regel doch nur die heimlichen, die inflationsbedingten Steuererhöhungen. Sie kommen überhaupt nicht daran vorbei, dem Bürger draußen vor Ort diese steuerliche Entlastung zu gewähren. Aber darüber hinaus hätte eine Mehrwertsteuererhöhung nur dann einen Sinn, wenn auch echte Senkungen im Bereich der direkten Steuern vorgenommen würden. Solange das hier nicht in Mark und Pfennig niedergelegt wird, meinen wir, daß die Finanzierung zu trickreich - ich will nicht sagen: unseriös - ist.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn es wahr ist, daß die „kleine Wirtschaft" - davon war heute morgen so viel die Rede - heute schon 63,1 v. H. des Aufkommens aus den direkten Steuern aller privaten
Haushalte aufbringt, daß sie 52 v. H. des Aufkommens aller indirekten Steuern zahlt und 56 v. H. der gesamten Soziallasten trägt und wenn die Information stimmt, daß die Steuerlastquote der kleinen Unternehmen 40,8 v. H. beträgt, daß der Bereich der mittleren Unternehmen 17,8 v. H. trägt, die Großunternehmen aber nur 9,1 v. H. tragen, dann muß noch einmal überdacht werden, ob dieses Beschäftigungsprogramm in der Tat mit einer Mehrwertsteuererhöhung finanziert werden kann; denn es trifft ja vor allem einen Wirtschaftsbereich, der schon jetzt unter erheblichem finanziellen Druck steht.
Lassen Sie mich abschließend nocht etwas zu dem sagen, was bezüglich der Neubewertung unbebauter Grundstücke vorgesehen ist. Die Neubewertung wird damit begründet - das ist auch ein Teil der Finanzierung dieses Beschäftigungsprogramms -, daß das Horten von Bauland zu Spekulationszwekken unattraktiv gemacht werden soll. Aber wir warnen vor einer überstürzten Neubewertung. Wir warnen auch bei der Neubewertung der unbebauten Grundstücke vor der Ungleichbehandlung gegenüber bebauten Grundstücken. Ich weiß aus der praktischen Erfahrung, zu welchen Folgen dies nachher führen muß und daß dort die Gründe dafür liegen, daß in einigen Extremfällen sicher Verfassungsklagen zu befürchten sein werden. Wir können uns nicht damit einverstanden erklären, daß wir es dann wenigstens für eine gewisse Übergangszeit mit zwei Einheitswerten zu tun bekommen, nämlich einem Einheitswert für die Grundsteuer und einem anderen Einheitswert für Erbschaftsteuer und Vermögensteuer.
({10})
Ich wehre mich nicht und, ich glaube, auch meine Fraktion wehrt sich nicht gegen neue Überlegungen zur Einheitsbewertung. Aber aus der „Operation '82" und aus allen anderen im Finanzausschuß in der letzten Zeit beschlossenen Steuergesetzen sind wir vorgewarnt, nicht zu schnell zu handeln, sondern sehr intensiv zu überlegen und vor allen Dingen die Gesetze auf ihre Seriosität und ihre Finanzierungsmöglichkeiten abzuklopfen. - Ich bedanke mich.
({11})
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordneter Dr. Jens das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß auch ich auf die Gemeinschaftsinitiative und insbesondere den Jahreswirtschaftsbericht eingehe. Denn das ist das Thema unserer heutigen Debatte. Die Ausschußberatungen stehen uns ja noch bevor.
Ich erlaube mir zunächst einmal, weil es, glaube ich, noch keiner gemacht hat, Dank zu sagen: Dank an die Bundesregierung für die Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts.
({0})
So schlecht kann dieser Bericht offenbar nicht sein.
Denn wie ich aus dem Entschließungsantrag der
CDU/CSU entnehmen konnte, hat die Opposition
den einen oder anderen Satz offenkundig aus diesem Jahreswirtschaftsbericht abgeschrieben.
Ich sage aber auch dem Sachverständigenrat Dank für die Vorlage des Gutachtens. Denn er hat sich ganz zweifellos wieder viel Mühe gegeben. Seine Arbeit ist zu würdigen.
Es gibt jetzt nur noch vier Mitglieder. Ich bedaure, daß Professor Glastetter ausgeschieden ist. Aber ich hoffe sehr, daß in Zukunft mehr Konsensbereitschaft als bisher in diesem Gremium herrscht. Zumindest zeigt das vorgelegte Gutachten, daß der Sachverständigenrat bereit ist, auch andere, neuere Wege zu gehen, und sich nicht einseitig auf eine angebotsorientierte monetaristische Politik festlegt. Das ist sehr zu begrüßen.
Die Gemeinschaftsinitiative, wenngleich von der Opposition heute eifrig zerredet, ist ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich unterstreiche das, was Graf Lambsdorff gesagt hat:
({1})
Mit dieser Gemeinschaftsinitiative wird wirklich der soziale Konsens in unserer Gesellschaft eher gesichert. Hätten wir auf diesem Feld nicht gehandelt, hätte die große Gefahr bestanden, daß es zu Unruhen gekommen wäre. Das war zu verhindern.
Dieser soziale Konsens ist im übrigen ein wesentlicher Eckstein unserer demokratischen Wirtschaftsordnung, der uns bisher gegenüber anderen mit uns konkurrierenden Ländern viele Vorteile eingebracht hat.
Ich bedaure ein bißchen, daß die Opposition heute mit keinem Wort auf die Enzyklika des Papstes „Laborem exercens" eingegangen ist. Denn in dieser Enzyklika spricht der Papst sehr deutlich von der Plage der Arbeitslosigkeit. Aber diese Enzyklika wird bisher von der CDU/CSU ignoriert. Ich finde das bedauerlich.
({2})
Der Kern der Gemeinschaftsinitiative ist die Investitionszulage. Wie schon wiederholt ausgeführt wurde, wirkt diese Investitionszulage - das kann man nur unterstreichen - mittelfristig. Sie zieht bestimmte Investitionen vor, und sie regt ganz zweifellos auch einige neue Investitionen an. Sie verstößt aber auf keinen Fall - das möchte ich einmal festhalten - gegen die soziale Symmetrie; denn die Einkommen der Unternehmer - das muß man ehrlicherweise feststellen - sind in den letzten beiden Jahren wesentlich schwächer gestiegen im Vergleich zu den Einkommen der abhängig Beschäftigten oder überhaupt nicht. Deshalb ist es in unserer Situation durchaus zulässig, hier mit einer Investitionszulage einzugreifen, ohne die soziale Symmetrie zu verletzen.
({3}).
Beides zusammen, die Gemeinschaftsinitiative und
die „Operation '82", die langfristig die Wettbewerbsbedingungen in unserer Wirtschaft verbessert haben, wirken auf alle Fällen tendenziell dahin, daß Konsum eingeschränkt wird und daß Investitionen erhöht werden. Das ist eine richtige Strategie, die immer wieder unterstrichen werden muß.
({4})
Dementsprechend haben die deutschen Börsen nach Verabschiedung der Gemeinschaftsinitiative durch das Kabinett positiv reagiert, wie im „Handelsblatt" nachzulesen ist. Die Opposition ist aber - ich sagte es eben schon - eifrig bemüht, diese Gemeinschaftsinitiative zu zerreden.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es auch nicht sehr schön, daß immer so getan wird, als ob in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung die Bundesregierung alles in der Hand hätte und alles tun und alles regeln könnte. Das ist völlig falsch. Ich bin froh darüber, daß wir eine Teilung der Macht zwischen verschiedenen Trägern der Wirtschaftspolitik haben. Es gibt eben auch andere, die Verantwortung für die Vollbeschäftigung tragen, wie z. B. die Deutsche Bundesbank oder die Tarifvertragsparteien. Viel von dem Arger, den wir hier zu bedauern haben, wird uns durch die internationalen Finanzmärkte beschert, die wir überhaupt nicht beeinflussen können.
Ich muß ferner einmal mehr festhalten, daß wir nicht nur verschiedene Träger der Wirtschaftspolitik haben, sondern daß wir auch eine Fülle von Ursachen für das innenpolitische Problem Nummer eins, nämlich die Arbeitslosigkeit, zu verzeichnen haben. Ich glaube, die Ölpreisentwicklung ist gar nicht mehr das Allerwichtigste; denn keiner kann behaupten, daß etwa in der letzten Zeit die Preise für Vergaserkraftstoffe kräftig gestiegen seien. Sie sind im Gegenteil gesunken. Ich hoffe allerdings, daß die Bürger trotzdem nicht aufhören zu sparen; denn Energie zu sparen ist das Gebot der Stunde. Das muß immer wieder lautstark unterstrichen werden.
Die weltwirtschaftlichen Veränderungen, mit denen wir zu kämpfen haben und die uns eine Fülle von Problemen bescheren, sind auch nicht mehr das Allergravierendste. Graf Lambsdorff hat schon gesagt - man kann das nur unterstreichen -, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft kann gar nicht so furchtbar schlecht sein, denn wir haben beim deutschen Export Steigerungsraten, die sich andere Länder nur wünschen.
Nein, das Kardinalproblem, mit dem wir zu kämpfen haben, ist ganz zweifellos die Hochzinspolitik. Wir sind hier nicht autonom, wir sind hier abhängig von den Vereinigten Staaten. Das Kardinalproblem sind die hohen Zinsen, die uns vor allem aus den USA beschert werden. Ein Investor, der zu investieren hat, fragt sich doch, was er für seine Anlage bekommt, wenn er „in Kapital geht", also mittelfristige oder langfristige Papiere kauft, oder wenn er eine Investition auf unserem deutschen Markt durchführt. Da ist es leider so, daß die Anlagen in Finanzpapieren zur Zeit deutlich besser bezahlt werden als
etwa eine Investition in irgendeine Maschine, die ein deutscher Unternehmer in diesem Lande durchführen könnte.
Angesichts dieser Investition hat die Firma Siemens etliche hundert Millionen Mark in Kapitalmarktpapieren angelegt. Eigentlich sollte sie sie investieren; das schiene mir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besser. Das Problem sind aber die hohen Zinsen, und die hohen Zinsen müssen herunter, wenn wir wollen, daß die deutsche Wirtschaft wieder zu investieren anfängt.
({6})
Meine Damen und Herren, die Opposition redet immer so gerne und so viel vom Vertrauen. Ich halte auch viel vom Vertrauen. Millionen Menschen haben mehr Vertrauen in den Bundeskanzler Helmut Schmidt als in Ihren Oppositionsführer Helmut Kohl. Das wissen wir.
({7})
Vertrauen ist in der Wirtschaft hinsichtlich der Konjunktur sicherlich durchaus wichtig. Aber noch wichtiger ist eben die Rentabilität der Anlagen. Die Rentabilität der Investitionen ist zur Zeit angesichts der hohen Zinsen nicht gegeben.
Der Kollege Hauser hatte das Thema kleine und mittlere Unternehmen angesprochen. Ich muß noch einmal betonen - manchmal hört man viel Undank -, was wir alles für die kleinen und mittleren Unternehmen in der letzten Zeit getan haben. Das war ein ganzer Haufen. Wir haben z. B. den Verlustrücktrag, jetzt wieder erweitert, früher eingeführt. Wir haben die Freibeträge bei der Gewerbesteuer kräftig heraufgesetzt, auch bei der Erbschaftsteuer. Wir haben die Lohnsummensteuer abgeschafft, worüber die Kommunen zur Zeit immer noch kräftig klagen. Wir haben die Hilfen für Forschung und Entwicklung verbessert, und wir haben Hilfen für die Existenzgründung durchgesetzt - alles weitgehend in der sozialliberalen Koalition. Da kann man nun wirklich nicht behaupten, wir hätten etwa die kleinen und mittleren Unternehmen vernachlässigt. Das ist völlig falsch.
({8})
Im Gegenteil, wir haben sehr viel für die kleinen und mittleren Unternehmen getan. Und das ist auch gut so.
Dennoch machen uns natürlich über 11 000 Konkurse und Vergleiche im letzten Jahr viele Sorgen.
({9})
Man muß sich sicherlich überlegen, ob man nicht noch mehr tun könnte.
Dagegenrechnen muß man natürlich, was im letzten Jahr an neuen Existenzen gegründet worden ist. Das war auch gar nicht so furchtbar wenig, meine Damen und Herren.
Ich möchte auch noch einmal betonen, daß wir uns von keinem Politiker eine antimarktwirtschaftliche Haltung an den Rock heften lassen möchten. In vielen konkreten Fragen, so glaube ich wenigstens, sind wir Sozialdemokraten wesentlich marktwirtschaftlicher als Kollegen anderer Parteien.
Graf Lambsdorff ist noch da: Ich hoffe sehr,. Graf Lambsdorff, daß die Fusion Springer/Burda unterbunden wird. Wenn diese Fusion genehmigt würde, würde das sicherlich einen Generalangriff auf die Grundfesten unserer marktwirtschaftlichen Ordnung darstellen.
({10})
Die rote Lampe leuchtet auf: Aber auch ich habe dieses Pamphlet der CDU/CSU bekommen, zu dem ich noch einen Satz sagen möchte. Zur Sache: Rechnung der SPD/FDP für die Arbeitnehmer und Rentner.
({11})
Ich finde es sehr schlimm, wie Sie die Bürger in diesem Lande auf diese Art und Weise verdummen.
({12})
Sie erwecken hier den Eindruck, als wäre die Regierung für das alles verantwortlich, was wir zum Teil ebenfalls sehr beklagen. Aber das, was die Opposition da macht, ist nicht in Ordnung.
({13})
Sie behaupten, überall seien Einschnitte vorgenommen worden. Sie fordern in Ihrer Entschließung erneut Steuersenkungen, insbesondere für die Wirtschaft, und beklagen zur gleichen Zeit, daß für die Arbeitnehmer und für die Rentner etwas gestrichen werde. Sie kritisieren zur gleichen Zeit die Mehrwertsteuererhöhung. Sie kritisieren weiterhin eine höhere Kreditaufnahme. Haben Sie denn einen Goldesel, der das alles finanzieren kann? Den haben Sie doch mit Sicherheit nicht.
({14})
Herr Abgeordneter, würden sie bitte zum Ende Ihrer Rede kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden auch in Zukunft auf die soziale Komponente in unserer Politik achten. Das haben wir uns vorgenommen,
({0})
damit die Kleinen in unserer Gesellschaft nicht zu kurz kommen. Sozialdemokratische Politik ist auch immer soziale Politik. Es gibt doch noch Menschen, die keine oder nur eine schwache Lobby in unserer Gesellschaft haben. Deshalb müssen wir den von der CDU/CSU propagierten punktuellen Interventionismus nach dem Motto „Hier ein bißchen flicken, dort ein bißchen streichen" verhindern. Die Verfolgung von Einzelinteressen ergibt in der Summe noch kein sinnvolles Gemeinwohl.
({1})
Konkret heißt das für uns: Äußerste Vorsicht bei Subventionen jeder Art! Gegen Protektionismus, wo immer es geht! Gesamtwirtschaftlich hat in der Wirtschaftspolitik das Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes zur Zeit absoluten Vorrang.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den letzten Redebeitrag im Vergleich zu den Vorwürfen nimmt - -({0})
- Ich gebe zu, daß er aus Ihrer Sicht gut sein mußte. Bei der Palette der Redner, die Sie als Mitregierungspartei heute auf das Podium geschickt haben, bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als jeden, der hier von Ihrer Seite spricht, hochzujubeln. Dem Obmann des Wirtschaftsausschusses der SPD-Fraktion kann ich im Hinblick auf seine Bemerkungen zu den Problemen des Jahreswirtschaftsberichts in einem recht geben: Von seiten der CDU/CSU wird seit Jahren schon nicht mehr behauptet, daß die Regierung alles in der Hand habe. Sie hat leider fast nichts mehr in der Hand.
Lassen Sie mich auch heute der guten Tradition der CDU/CSU folgen, im Rahmen dieses Jahreswirtschaftsberichts einige Worte zur Berliner Wirtschaft zu sagen.
Vorweg eine erfreuliche Bemerkung. Ich glaube, alle Fraktionen - ob sie es zugeben oder nicht - halten es für positiv, daß Berlin auf dem besten Weg ist, seiner weltpolitischen Rolle und seiner Verantwortung für unsere Nation wieder gerecht zu werden.
({1})
Die CDU/CSU nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, daß Berlin dabei ist, sich von den negativen Schlagzeilen zu entfernen. Jeder Besucher dieser Stadt, der sich in den letzten Monaten dort aufgehalten hat - ich nehme an, die zahlreichen Ausschüsse des Deutschen Bundestages konnten sich auch davon überzeugen -, spürt diese Veränderung. Er sieht diese Veränderung in Gesprächen mit Berlinern, mit den verantwortlichen politischen und gesellschaftlichen Kräften, bestätigt. Ich finde, es macht sich sehr viel besser, Schlagzeilen über Besuche von Staatsoberhäuptern in Berlin zu lesen als von Krawallen und von immer wieder nicht in den Griff zu bekommenden Skandalen.
({2})
Wir haben gemeinsam - alle, glaube ich - allen Grund, den in Berlin lebenden Menschen, vor allem aber der politischen Führung, allen voran dem Regierenden Bürgermeister, Richard von Weizsäcker, dafür herzlich Dank zu sagen.
({3})
Unsere gemeinsame Verantwortung für Berlin beinhaltet die Sicherung der Lebensfähigkeit der Stadt. Wir - dieses Haus, die Bundesregierung - haben die politische Herausforderung jeden Tag neu anzunehmen, den Standtortnachteil von Berlin-West nicht nur durch gesetzgeberische Maßnahmen auszugleichen, sondern darüber hinaus mit Unterstützung auf politischen Ebenen dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Wer immer in Berlin regiert, wird sich der Solidarität und der positiven Taten jeder Bundesregierung und der konstruktiven Hilfsbereitschaft aller Fraktionen dieses Hauses sicher sein müssen. Wir wissen, daß die Lebensfähigkeit des freien Berlin die Klammer zwischen den beiden Teilen Deutschlands in bezug auf die Aufrechterhaltung unseres Anspruchs auf die Einheit der Nation bedeutet. Ich glaube, hier ist der angemessene Platz, daran immer wieder zu erinnern.
Meine Damen und Herren, die Beschäftigungssituation in Berlin liefert täglich Anlaß zur Sorge. Nimmt man die letzten Zahlen, die heute veröffentlicht worden sind, so ist die Arbeitslosenquote in Berlin im Februar um 0,1 Prozentpunkte auf 8,8 % gestiegen; im Bundesgebiet verringerte sich die Quote um 0,1 Punkte auf 8,1 %. Die Arbeitslosenzahl für Ausländer betrug 13,8 %, im Bundesgebiet durchschnittlich 12,1 %; bei den Jugendlichen - dies ist besonders besorgniserregend - liegt die Arbeitslosenquote bei 15,7 %, im Bundesdurchschnitt bei 7,6 %.
Wer diese Zahlen hört und außerdem weiß, daß in Berlin die drei Problemgruppen Ausländer, Jugendliche und Akademiker besonders stark vertreten sind, weiß, welche Probleme diese Stadt zu bewältigen hat. Dies bedeutet aber auch eine besondere gesellschaftspolitische Herausforderung, die über die eigentliche wirtschaftspolitische Aufgabe hinausgeht.
Die Aufgaben, die Berlin sich zu stellen hat, kann man in drei Punkten zusammenfassen: Erstens. Auch Berlin braucht dringend die Verbesserung der Rahmenbedingungen, in denen eine Wirtschaft gedeihen kann.
({4})
Zweitens. Wir brauchen eine Verbesserung des Investitionsklimas. Das sind beides Probleme, die nur bundespolitisch gemeinsam zu lösen sind. Drittens. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen zur Beseitigung des negativen Erscheinungsbildes nach den vielfältigen Krawallen in der Vergangenheit. Gerade im Hinblick auf den letzten Punkt dürfen wir Berlin nicht allein lassen, denn es ist häufig die unsachliche und einäugige überregionale Berichterstattung, die ein verzerrtes Bild über die Lage in Berlin gibt.
({5})
Es ist generell zu begrüßen, daß Berlin bewiesen hat, zu einem standhaften Verhalten bei der Realisierung seiner Haushaltspolitik mit gleichzeitigem Abbau der öffentlichen Verschuldung fähig zu sein. Berlin ist als erstes Bundesland mit einem Investitions- und Wachstumshaushalt 1982 mit einer
11 %igen Steigerung der investiven Baumaßnahmen angetreten. Diese neu bewiesene Fähigkeit Berlins, selbst konkrete und richtungweisende Beispiele bei der notwendigen Selbsthilfe aufzuzeigen, wirken ermutigend.
Es ist auch zu begrüßen, daß der neue Berliner Senat im Vollzug seines Haushalts Maßnahmen angeordnet hat, die es möglich machen, beschäftigungswirksame Aufträge unverzüglich zu erteilen und, was außerordentlich positiv ist, Investitionshemmnisse zu beseitigen, um mit dem Bau von 2 300 Wohnungen mit einem Volumen von immerhin 400 bis 500 Millionen Mark sofort anzufangen.
({6})
Berlin mußte für alle Bürger spürbare, unpopuläre und harte Sparmaßnahmen treffen. Der Senat hat sich nicht gescheut, Gebühren für öffentliche Dienstleistungen erheblich zu erhöhen. Das geschieht deshalb, weil sich Berlin immer mehr seiner Rolle bewußt wird, selber mitzuhelfen, seine wirtschaftlichen Probleme zu bewältigen. Dies sollten alle Fraktionen in diesem Hause nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern ausdrücklich anerkennen. Ich hoffe auch, daß vor allen Dingen die Vorsitzende des Finanzausschusses, die mit den drei „B's" öffentlich dauernd versucht, polemisch an bestimmte Probleme heranzugehen, langsam beginnt, zumindest ein „B" aus ihrer Polemikkette zu streichen.
({7})
Ich finde, daß eins vor allem wichtig ist, nämlich das Vertrauen in die Berlin-Förderung nicht zu enttäuschen. Bei den Beratungen zur Verabschiedung des Haushaltsplans 1982 haben wir zur Kenntnis genommen, daß eine wesentliche Verbesserung der Berlin-Förderung notwendig ist. Die CDU/CSU unterstützte dieses Bestreben. Es war leider nicht möglich, das schon im Zuge der Beratungen im Januar 1982 umzusetzen. Um so dringlicher wird die Notwendigkeit, unverzüglich die Vorschläge aus Berlin zu prüfen und im positiven Sinne zu verabschieden.
Wir hoffen, Herr Minister Lambsdorff, Herr Minister Matthöfer, daß es möglich sein wird, die Berliner Novellierungsvorschläge sehr schnell mit einer positiven Empfehlung der Bundesregierung in die zuständigen Ausschüsse des Bundestages zu bringen.
Es ist unbestritten, daß die Berliner Wirtschaft dringend der Umstrukturierung der Präferenzen, die nach dem Berlin-Förderungsgesetz gewährt werden, bedarf, und zwar im Hinblick auf mehr und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze. Was in Berlin heute versäumt wird, wird morgen teurer und immer schwieriger lösbar. Berlin braucht die Anreize, die nötig sind, um Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen vermehrt nach Berlin zu bekommen, um mehr Managementfunktionen nach Berlin zu bekommen.
({8})
)er Berliner Mittelstand benötigt eine bessere Posi-ion als Zulieferer für die Großindustrie.
Die Verbesserung der Berlin-Förderung wird nicht in übertriebenem Maße reformerischen strukturpolitischen Kriterien nachlaufen, sondern sich pragmatisch an den wachsenden Strukturen orientieren. Ich finde, es ist allen Berliner Gruppierungen :u danken, daß sie versucht haben, im Rahmen eines Konsensverfahrens einheitliche Lösungen zu finden. Ich hoffe auch - wenn das zum Teil einzelnen auch schwerfallen wird, weil nicht in allen Fragen rolle Übereinstimmung erzielt worden ist -, daß in len Gremien, die darüber zu befinden haben, jetzt loch die Einigkeit wiederhergestellt wird.
({9})
Die Hilfe, die Berlin braucht, lautet: keine Arbeitslätze gefährden, sondern neue schaffen.
Der Berliner Wirtschaft gehört auch von dieser Stelle herzlicher Dank für ihr Engagement, für den Elan und für die Bereitschaft, immer wieder nachzusinnen, welche neuen Möglichkeiten es gibt.
({10})
Ich darf zu dem Problem abschließend folgendes sagen: Die CDU/CSU stellt fest, daß sich mit der größeren Führungsfähigkeit, die der neue Senat in Ber-lin bewiesen hat, das wirtschaftspolitische Klima erfreulicherweise verändern wird, so daß mehr Investitionen in Berlin möglich sind. Wir gehören auch nicht zu denen, die die beschimpfen, die legitime Möglichkeiten, die das Berlin-Förderungsgesetz gibt, für sich beanspruchen und in Berlin investieren, sondern wir ermuntern ausgesprochen dazu.
In Berlin hat sich ein politischer Wechsel vollzogen. Entgegen allen Vorhersagen, die negativ waren, hat die Bevölkerung die CDU-Regierung positiv aufgenommen. Es ist ein gutes Zeichen für die Lebensfähigkeit der Stadt, daß sie den demokratischen Wechsel wie selbstverständlich zur Kenntnis nimmt.
({11})
Dieser politische Wechsel soll von Grund auf eine politische und geistige Erneuerung auslösen.
({12})
Es ist ermutigend zu sehen, daß dieser hohe Anspruch nicht nur von der neuen politischen Führung ausgeht, sondern daß er von der Stadt Berlin insgesamt getragen wird.
Die CDU/CSU begrüßt die neugewonnene Handlungsfähigkeit Berlins, das Asylantenproblem anzugehen. Die CDU/CSU begrüßt, daß es möglich ist, das Problem der Hausbesetzungen zu lösen und daß es endlich auch möglich ist, neue Hausbesetzungen zu verhindern. Wir unterstützen die Bemühungen der Berliner Führung durch intensive Gespräche, die tiefgreifenden Differenzen in und zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen zu überwinden.
({13})
Wer auch immer in der Zukunft in Berlin regieren mag, muß mit uns hoffen, daß der Berliner Senat bei dieser Arbeit erfolgreich ist.
({14})
Ich darf abschließend noch kurz auf ein Problem eingehen. Die Lösung der Probleme unserer Stadt, der Stadt Berlin, die ich als Berliner ja immer mit besonderer Sorge verfolge, kann man nicht mit parteipolitischem Egoismus betrachten. Ich glaube, jeder politisch denkende Parlamentarier ist deshalb denen dankbar, die sich in Berlin, als es darauf ankam, nicht verweigert haben. Ich stimme, nachdem gestern der Landesvorstand der FDP eine Entscheidung getroffen hat, im wesentlichen dem zu, was Herr Hoppe dazu gesagt hat: Wenn diese Form der selbstzerstörerischen Auseinandersetzungen der Berliner FDP nicht schleunigst ein Ende findet, wird der Landesverband teuer dafür bezahlen, und es wird dem Ansehen der Bundespartei weiterer Schaden zugefügt.
Für alle, die Bundesregierung, die Fraktionen dieses Hauses und - ich hoffe - darüber hinaus auch für alle gesellschaftlichen Gruppen muß es eine tägliche Aufgabe sein, die vorgenannten Leistungen, die in Berlin in den letzten Monaten im wesentlichen erbracht wurden, zu honorieren und die Stadt bei der Lösung dieser schwierigen Aufgaben nicht allein zu lassen, sondern sie täglich zu ermutigen. - Schönen Dank.
({15})
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Minister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kittelmann! Sie können sich - wie in der Vergangenheit - ganz unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung darauf verlassen, daß die Bundesregierung Berlin nicht im Stich lassen wird.
({0})
Lassen Sie mich aber bitte eins hinzufügen. Ich finde, von dieser Stelle sollte auch mal ein freundliches und dankbares Wort an den bundesdeutschen Steuerzahler gerichtet werden, der klaglos und ohne Murren die erheblichen Leistungen für Berlin finanziert.
({1})
Ich habe mich zum Schluß dieser Debatte dafür zu bedanken, daß wir hier eine - mit einer Ausnahme - sachliche und konstruktive Debatte miteinander geführt haben. Ich komme auf die Ausnahme zurück.
Vielleicht täusche ich mich, vielleicht ist mein Eindruck falsch: Ich sehe die großen Gegensätze, die hier mit vielen Worten aufgetürmt worden sind, in
der Sache und in der Substanz kaum - ich will nicht sagen: nicht, sondern: kaum.
Zu einer Bemerkung von Ihnen, Herr Kiep. Sie haben gesagt, Sie wollten die Investitionszulage überhaupt nicht. Diese Information war neu. Dies macht in der Tat einen Gegensatz in der Sache aus, aber ich stelle bisher nicht fest, daß das die überwiegende Meinung auch bei Ihren Freunden ist.
Lassen Sie mich ganz kurz auf einige Argumente eingehen.
Erstens. Es wird gesagt, die Investitionszulage sei nur für die „Großen". Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß bei dem kontinuierlichen Investitionsverhalten gerade von großen Unternehmen und der geringeren Flexibilität auch in Investitionsentscheidungen im Vergleich zu kleinen und mittleren Unternehmen gerade die letzteren in der Lage sind, vorzuziehen, den Anstoßeffekt aufzunehmen; denn wenn es wirklich die „Großen" wären, meine Damen und Herren, dann würde dieser Betrag, den wir hier zur Verfügung stellen, überhaupt nicht ausreichen. Das könnten j a ein, zwei, drei Unternehmen, wenn sie auf mehrere Jahre vorziehen und zusammenballen würden, allein in Anspruch nehmen. Das können sie aber gar nicht. Ich glaube, dieses Argument ist unzutreffend.
Zweitens. Der Kern der Auseinandersetzung ist die Frage der Finanzierung. Frau Will-Feld, „Wechselreiterei" und „unseriöse Finanzierung", das klingt gut, aber es trifft den Kern der Sache nicht. Wir haben hier noch einmal klargemacht, daß die Steuerkorrektur zum 1. Januar 1984 die beiden Elemente, die Herr Genscher Herrn Kiep erklärt hat, beinhalten muß. Wir stimmen Ihnen zu, daß die Entwicklung der Lohnsteuer am 1. Januar 1984 zur Begradigung zwingt. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, wenn Sie aber die vorgezogene Mehrwertsteuererhöhung ablehnen wollen, was kommt denn als Finanzierungsalternative in Frage?
Nettokreditaufnahme? Allgemeine Meinung: zinstreibend, nein! Hier heute unisono zu hören.
Ergänzungsabgabe? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Meine Auffassung und die Auffassung der Bundesregierung: geht nicht. Herr Spöri, wenn Sie die Ergänzungsabgabe wieder anführen, müssen Sie sagen, ob Sie sie bis ganz unten durchziehen wollen - das war j a einmal in der Diskussion - oder ob Sie sie nur oben haben wollen. Wenn Sie sie nur oben haben wollen, trifft sie genau diejenigen, die eigentlich investieren sollen;
({2})
wenn Sie bis unten durchziehen, kommt wieder das Argument der sozialen Gerechtigkeit. Dann kriegen Sie allerdings erst die genügende Finanzierungsmasse, das Finanzierungsvolumen. Das ist j a leider so, wie Sie wissen.
Arbeitsmarktabgabe? Darüber haben wir uns heute morgen unterhalten. Das funktioniert nicht.
Erhöhung der Mineralölsteuer - ich zähle einmal alles auf, was in der Diskussion gewesen ist - hat hier niemand vorgetragen, will offensichtlich niemand.
Subventionen streichen? Das habe ich vorhin auch schon wieder gehört. Das ist natürlich völlig richtig - ({3})
- Moment! Herr Waigel, wir werden über diese Vorstellungen, die langfristiger Natur sind und einen strukturellen Ansatz bieten, noch miteinander diskutieren müssen.
({4})
Zur Finanzierung dieser Investitionszulage hat auch der Bundesfinanzminister eine solche Erhöhung nicht vorgeschlagen.
({5})
- Er hat es dafür nicht vorgeschlagen; lesen Sie bitte das Memorandum. Ich weiß, es ist dick und kostet ein bißchen Zeit, aber es lohnt sich trotzdem, es zu lesen. Sonst lassen Sie sich von ihm die Kurzfassung geben. Die hat er auch parat.
({6})
Wir sollen Subventionen beschneiden. Herr Jens hat vorhin noch einmal gesagt: weniger Subventionen. Das ist völlig richtig. Ich würde Sie alle sehr gern daran erinnern, auch die Damen und Herren aus der Fraktion der CDU/CSU, nicht zuletzt natürlich die im nordrhein-westfälischen Landtag, wenn wir uns hier demnächst mit den Stahlproblemen zu beschäftigen haben. Glauben Sie im Ernst, es gäbe am Ende dieses Jahres unter dem Strich weniger Subventionen? Ja? Ich nicht.
Was kommt denn dann, Frau Kollegin Will-Feld? Dann bleibt im Zweifel nur, da wir die Investitionszulage unter allen Umständen aufrechterhalten müssen, wenn wir nicht einen irrsinnigen Attentismus auslösen wollen, und dies wollen wir nicht - jeder kann sich darauf verlassen, daß das rückwirkend zum 2. Januar kommt -,
({7})
daß die Einkommens- und Lohnsteuerkürzung und -begradigung am 1. Januar 1984 um den Betrag, der dann zur Finanzierung notwendig ist, geringer ausfallen muß. Kann das die Lösung sein, die Sie wollen? Weniger indirekte und verlängerte, verzögerte, höhere direkte Steuern? Meine Damen und Herren, die Antwort auf die Frage muß doch gegeben wer- den: Welcher Weg zur Finanzierung - sagen Sie es ruhig so - löst den geringsten Schaden aus, ist am vertretbarsten? Der einzige, der die Antwort nicht zu geben braucht, ist Herr Kiep. Er sagt nämlich, er wolle die Investitionszulage nicht. Gut. Das ist in sich geschlossen.
({8})
- Nun gut, aber das höre ich nicht von allen.
Nächstes Argument: Alles sei im wesentlichen vom kleinen Mann zu bezahlen. Hier war die Ausnahme, die ich meinte, als ich sagte, wir seien in der heutigen Debatte konstruktiv und sachlich miteinander umgegangen. Lassen Sie mich das gegeneinander stellen - ich will gar nicht polemisch werden, zumal diejenigen, die solche Reden ablassen, immer alsbald das Plenum verlassen -:
({9})
Ich habe dem zugehört, was kurz hintereinander Herr Kollege Mitzscherling und Herr Geißler gesagt haben. Ich kann fast ausnahmslos jedes Wort unterschreiben, das Herr Mitzscherling vorgetragen hat. Ich kann fast ausnahmslos kein einziges Wort von dem unterschreiben, was Herr Geißler gesagt hat.
({10})
- Nein, ich gehe keinen Schritt zu weit.
Was Herr Geißler gesagt hat - ich will mich gar nicht auf Herrn Cronenberg beziehen; das ist von ihm alles dargelegt worden -, hat mit dem Grundverständnis sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Das wissen Sie auch ganz genau. Ich frage mich nur, warum Sie Herrn Geißler so frenetischen Beifall gezollt haben. Seiner Polemik und Demagogik an sich, die j a auch etwas wert sind - einverstanden. Aber dem Gehalt seiner Rede, von wegen Marktwirtschaft und gar soziale Marktwirtschaft, und dann in dem Kontext noch, Ludwig Erhard zitieren - um Himmels willen!
({11})
Aber das war, wie gesagt, die einzige Ausnahme, die ich in der heutigen Debatte festgestellt habe.
({12})
Was hat es denn in Wirklichkeit mit dem Vorwurf auf sich, wir lösten die Wirtschaftsprobleme zu Lasten des kleinen Mannes? Ich habe vor Monaten von dieser Stelle aus gesagt: Es wird bitter werden, und zwar deswegen, weil wir in Zeiten finanziellen Wohlbefindens die Gelder dorthin gegeben haben, wo sie vernünftigerweise auch haben hingehen müssen, nämlich zu den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen. Wenn wir wieder- einsammeln müssen, und zwar Volumen - nicht symbolische Akte beim Spitzensteuersatz, die in der Kasse nichts bringen - ({13})
- Aber unter dem Strich bringt es doch nichts; das wissen Sie doch auch. Dies wird unter anderen Gesichtspunkten diskutiert.
Ich habe damals also gesagt, wir müßten dort wieder einsammeln; uns werde nichts anderes übrigbleiben. Nun füge ich eins hinzu: Es ist doch nur die Folge gesetzlicher Eingriffe, daß dort die Lasten getragen werden. Wenn hier von 11 000 Konkursen im vorigen Jahr gesprochen wird - Herr Jens hat das mit Recht beklagt -, wenn gleichzeitig - die Bundesbank hat das mitgeteilt - der Ertragseinbruch um 25 % bei den Unternehmen im vorigen Jahr beklagt wird - wird denn da nicht an der wirtschaftlichen Entwicklung mitgetragen? Der Unterschied liegt doch nur darin, daß das eine gesetzlichen EinBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
griffen folgt und sich das andere zwangsläufig aus dem betrüblichen wirtschaftlichen Ablauf ergibt.
Es ist richtig: Dann bleiben ein paar ungeschoren. Die wird es leider immer geben. Die totale Gerechtigkeit hienieden auf dieser Welt schaffen auch die drei Fraktionen dieses Hauses nicht, auch nicht die Bundesregierung.
({14})
- Herr Roth, auf den Zwischenruf „Zahnarzt" habe ich geradezu gewartet. Es ist ungefähr acht Jahre her, als Sie mich als den „Oberarzt dieser Zahnärztepartei" bezeichnet haben. Erinnern Sie sich noch? Das war aber noch zu Ihren jungsozialistischen Zeiten. Inzwischen haben Sie ja auch etwas mitgemacht.
({15})
- Natürlich soll auch der Zahnarzt seinen Beitrag leisten. Die Frage ist doch nur, ob Sie das durch einen gesetzlichen Eingriff machen oder auf Grund freiwilliger Regelungen. Unterhalten Sie sich mit Ihrem Nachbarn Huonker; der wird Ihnen das erklären.
({16})
Lassen Sie mich auf ein Argument eingehen, das Herr Schwarz-Schilling gebracht hat und das zutreffend ist. Die Eigenkapitalsituation deutscher Unternehmen ist noch nie wirklich zufriedenstellend gewesen. Sie war schon besser als heute,
({17})
aber auch schon schlechter. In vielen Reden im Ausland haben ich es gerade unseren amerikanischen und anderen Freunden immer wieder gesagt- auch jetzt wieder -: Die Bundesrepublik Deutschland ist im Vergleich zu den USA, Frankreich und England doch kein reiches, sondern ein armes Land.
({18})
Zwei Kriege, zwei Währungsschnitte, 11 Millionen Flüchtlinge integriert, das alles von null! Das sind doch die Gründe dafür - unter anderem; Sie können auch sagen: zu hohe Steuern, zu hohe Belastungen, zu geringe Ertragsmöglichkeiten -, daß in diesem Lande die private Kapitalbasis - gucken Sie sich die Bilanzen unserer Gesellschaften und die anderer Länder an - so schmal ist.
({19})
- Aber natürlich ist sie weiter heruntergegangen - wie in allen Ländern der Welt in den letzten Jahren.
({20})
- Mit der einen Ausnahme: Japan. Ich komme darauf zurück.
({21})
Meine Damen und Herren, dieses macht auch deutlich, daß man sich in allen anderen Ländern viel länger den Wind von vorn leisten kann, ohne schnell darauf zu reagieren; in fast allen Ländern, nur nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Bei uns fallen die Firmen und Unternehmen schneller um als anderswo, und zwar wegen dieser Entwicklung, die niemand von uns voll in der Hand haben konnte und voll steuern konnte. Ich sage: voll. Man macht immer seine eigenen Fehler auch dazu.
Ihr Zwischenruf bezüglich Japan, Herr Schwarz-Schilling, ist durchaus gerechtfertigt, wenn man sich dort die Zahlen ansieht. Es ist auch überhaupt nicht zu bestreiten, daß in diesem Land als einzigem - aber ich behaupte: die Bundesrepublik Deutschland folgt fast an zweiter Stelle; ich glaube, man kann das Wort „fast" auch streichen - die Anpassung an die Veränderung der weltwirtschaftlichen Strukturen schnell bewältigt und geleistet worden ist.
Aber mehr und mehr wird natürlich bei genauem Zusehen auch deutlich, daß das zum Teil dadurch geschehen ist, daß man die eigenen Probleme zu Lasten anderer gelöst hat, und zwar durch Protektionismus auf dem heimischen Markt, durch Importbarrieren gegen Einfuhren, durch eine Einfuhrbilanz, die ganz ungewöhnlich für ein hochindustrialisiertes Land ist.
Auch das hat nicht nur alles Sonnenseiten; vielleicht für diejenigen, die es produzieren. Aber für die internationale Zusammenarbeit, für die weltwirtschaftliche Integration ist das kein Musterbeispiel.
Ich wollte zum Schluß dieser Debatte auf diese wenigen Argumente eingehen und noch einmal sagen - darin besteht sicher Übereinstimmung -: Wir brauchen in unserer Situation in der Bundesrepublik in allererster Linie Investitionen und Innovationen. Herr Mitzscherling hat recht, wenn er sagt, private und öffentliche Investitionen gehörten zusammen. Selbstverständlich gehören sie zusammen. Nur darf sich keiner einbilden, öffentliche Investitionen könnten die privaten Investitionen ersetzen. Das ist schon vom Volumen her nicht möglich. Das stimmt schon beim Vergleich einfach nicht.
({22})
Wenn wir das wollen, werden wir noch eine harte und mühsame Strecke Weges miteinander zu gehen haben. Das wird die nächsten Jahre nicht leicht. Es wird noch manche Anforderung an unsere - auch politische - Kompromißbereitschaft und Kooperationsbereitschaft stellen.
Ich bin nicht dafür, in platten Gemeinsamkeitsappellen zu machen. Wo Gegensätze sind - dazu kennen Sie mich genug -, meine ich, sollen sie auch an-und ausgesprochen werden. Aber im Ziel, in dem, was wir gemeinsam wollen, sind wir einig, hat vorhin einer der Redner der Opposition gesagt. Ich glaube, es war Herr Schwarz-Schilling. Deswegen meine ich, es lohnt sich mehr den Versuch zu unternehmen, den Weg zu diesem Ziel möglichst gemeinsam zu definieren und gemeinsam zu gehen und nicht zu große Wortvorhänge zu entwickeln, hinter denen
das zu verschwinden droht, was gar nicht zu verschwinden braucht. - Vielen Dank!
({23})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 und den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Der Ältestenrat schlägt vor, das Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrats und den Jahreswirtschaftsbericht 1982 der Bundesregierung sowie den Entschließungsantrag der CDU/CSU zum Jahreswirtschaftsbericht 1982 auf den Drucksachen 9/1061, 9/1322 und 9/1410 zu überweisen federführend an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 4 ab. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes auf der Drucksache 9/1400 zu überweisen federführend an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städebau, zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis
- Drucksache 9/1363 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Interfraktionell ist für jede Fraktion ein Redebeitrag bis zu zehn Minuten vereinbart worden. Das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Einbringung besonders gewünscht? - Das ist wohl nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Geldern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie zum Abschluß eines heißen Debattentages in die kühlen Gewässer und das ewige Eis der Antarktis entführen - gedanklich.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Deutschen Bundestag erstmals 1978 mit dem Antarktis-Vertrag beschäftigt; die CDU/CSU hat damals den Beitritt der Bundesrepublik beantragt. Das, was wir heute hier zu beraten haben, ist eine der Konsequenzen aus dem in der Zwischenzeit vollzogenen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Vertrag. Dieser Vertrag hat für uns auch ein
erhebliches finanzielles Engagement auf einem zukunftsträchtigen Feld mit sich gebracht, ein Engagement, das wir begrüßen. Es geht um die Entwicklung neuer wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Chancen und um ihre Wahrnehmung.
Die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit, was ihren Teil der Pflichten aus dem Antarktis-Pakt betrifft, viel guten Willen, aber in einigen Bereichen auch beträchtliches Unvermögen gezeigt. Das Scheitern der Antarktis-Expedition der „Gotland II" ist dafür das bisher schlimmste Beispiel. Mit der auf Anfrage der Union gerade erteilten und recht hilflosen Antwort der Bundesregierung wird sich der Bundestag noch zu beschäftigen haben. Insbesondere die Vorgeschichte der Expedition zeigt erschreckende Planungsmängel; wahrscheinlich sind auch Rechtsvorschriften verletzt worden. Auch der kürzlich erfolgte Hubschrauberabsturz in der Antarktis muß durchleuchtet werden, weil es vorher einschlägige Warnungen gegeben hatte. Das gilt auch für einige seltsame Auftragsvergaben im Bereich der Antarktisforschung, für den zögernden Aufbau des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung in Bremerhaven und anderes. Ich nenne jetzt hier an dieser Stelle und bei dieser Beratung nur einige Merkposten, auf die demnächst zurückzukommen parlamentarische Pflicht sein wird.
Der Inhalt des jetzt zur Ratifikation anstehenden Übereinkommens über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis ist, um es rundheraus zu sagen, zu begrüßen. Kritikwürdig ist aber die Art und Weise, wie dieses Übereinkommen in das Gesetzgebungsverfahren des Bundestages eingeführt worden ist. Ich warne davor, dies Schule machen zu lassen, und möchte die Termine einmal kurz erwähnen: Die erste Antarktisdebatte hier im Bundestag war am 16. Februar 1978. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Vertrag erfolgte am 5. Februar 1979. Gestern vor einem Jahr, am 3. März 1981, sind wir Vollmitglied des Antarktis-Vertrages geworden. Das jetzt dem Bundestag zur Ratifikation überwiesene Übereinkommen stammt vom 20. Mai 1980. Es wurde am 11. September 1980 von der Bundesregierung unterzeichnet und erst in diesem Jahr, am 4. Januar 1982, dem Präsidenten des Bundesrates zugeleitet.
Dadurch sind wir in einen unnötigen und auch unerfreulichen Zeitdruck gekommen. Denn, meine Damen und Herren, dieses Übereinkommen muß bis zum 20. April dieses Jahres ratifiziert sein und hinterlegt werden, wenn wir erreichen wollen, daß wir von Anfang an in der Kommission mitarbeiten können, die sich dann auf der Grundlage dieses Übereinkommens den Schutz der lebenden Ressourcen der Antarktis zur Aufgabe machen wird. Die Fristen sind also recht knapp geworden. Man kann schon sagen, daß wir Glück haben, wenn das noch alles so läuft. Das ist ohne Not so geschehen. Das Übereinkommen hätte dem Bundestag durchaus sehr viel früher zugeleitet werden können. Wenn man bedenkt, wie wichtig es ist, daß wir von Anfang an dabei sind, u. a. auch deshalb, weil die DDR von Anfang an dabei sein wird, u. a. auch deshalb, weil die EWG erfreulicherweise mit unterzeichnet hat und von AnDr. von Geldern
fang an dabei sein wird und es im Forschungsbereich einige Tendenzen gibt, hier Kompetenzen zu übernehmen, dann muß man es bedauern, daß dieser Zeitdruck jetzt entstanden ist.
An dieser Stelle möchte ich ganz generell zu diesem Verfahren sagen: Wenn die Bundesregierung ein Interesse daran hat - und dieses Interesse wäre ihr dringend anzuraten -, den Deutschen Bundestag an der politischen Zukunftsplanung - hier geht es auch um ein Stückchen solcher Planung - angemessen zu beteiligen, muß auch die Mitwirkung des Parlaments bei den anstehenden Entscheidungen im Bereich der Erforschung und Erschließung der Antarktis auf ein tragfähiges Fundament gestellt werden.
Es wird übrigens bereits über ein Übereinkommen für die mineralischen Ressourcen der Antarktis verhandelt, und so, wie sich im von der Bedeutung her vergleichbaren Bereich der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen die Beteiligung des Bundestages bewährt hat, sollte diese auch bei der weiteren Entwicklung des deutschen Engagements in der Antarktis sichergestellt werden.
Ziel des Übereinkommens ist die Erhaltung, aber auch die Nutzung der lebenden Ressourcen der Antarktis, insbesondere von Fisch und Krill, aber, so kann man sagen, umfassend der gesamten Pflanzen-
und Tierwelt. Ein Nutzungsregime erscheint auch deshalb erforderlich, weil bereits Überfischungstendenzen z. B. im Bereich der Kerguelen festzustellen sind, wo Frankreich und auch die UdSSR den möglicherweise eines Tages auch für die deutsche Hochseefischerei nicht uninteressanten sogenannten südlichen Blauen Wittling erheblich dezimiert haben.
Als Naturschützer haben sich im Bereich der Antarktis besonders die USA, Australien und auch Südafrika hervorgetan, und auch die Bundesrepublik Deutschland wird sich in diesem Sinne profilieren können.
Unsere bisherigen Forschungsexpeditionen, die dem Krill gegolten haben, waren eindeutig Grundlagenforschung, wenn auch nicht als Kunst um der Kunst willen, sondern durchaus im Blick auf künftige denkbare - auch wirtschaftliche - Entwicklungen.
In der Antarktis sind erhebliche Massen zur Schließung von Eiweißlücken vorhanden, was zur Zeit andere Länder - genannt habe ich die UdSSR - besonders interessiert, aber auch Nichtmitglieder des Paktes, z. B. Taiwan und Korea, die sich dort mit ihren Fischereiflotten erheblich betätigen und die eingeladen sind, diesem Übereinkommen zum Schutz der Meereslebewesen der Antarktis beizutreten. Insofern ist hier der Bereich weiter gefaßt als der des Antarktis-Vertrages selbst.
Übrigens ist auch der räumliche Geltungsbereich dieses Übereinkommens weiter gefaßt. Es ist hier nämlich die gesamte Kaltwasserzone der südlichen Hemisphäre umfaßt, d. h. alles, was südlich des 60. Grades südlicher Breite liegt.
Wir werden in der nächsten Woche den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Walfangabkommen zu beraten haben. Man kann das heutige Übereinkommen auch als eine Ergänzung zum Walfangabkommen ansehen, weil es hier, wie gesagt, u. a. um die Nahrung des Wals, um den Krill, geht.
Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zum Abschluß: Die CDU/CSU begrüßt dieses Übereinkommen aus Umweltschutzgesichtspunkten, um der deutschen Beteiligung an der Antarktisforschung willen und auch um der Nutzung der Ressourcen der Antarktis willen, wie wir überhaupt unser Antarktis-Engagement angeregt, ständig gefördert und unterstützt haben und es begrüßen. Wir kritisieren die bisher mangelhafte Beteiligung des Parlaments in diesem Bereich, und wir werden, wie angekündigt, auf einzelne Probleme im Bereich der Antarktisforschung, so auf die am Anfang kurz erwähnten Pannen, hier noch zu sprechen kommen müssen.
Ich denke, wir werden, wenn es um das Übereinkommen hinsichtlich der mineralischen Rohstoffe der Antarktis geht, hier zu diesem Themenbereich noch einiges zu sagen haben, und wir werden uns dann damit auseinanderzusetzen haben, wie der Auftrag des Parlaments von der Bundesregierung in der Praxis im einzelnen in die Tat umgesetzt wird. - Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grunenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Geldern hat sich hier bitter beschwert, daß die Bundesregierung die Materie ein bißchen zögerlich behandelt. Herr Kollege von Geldern, das ist nicht so. Wenn wir 1959 damit angefangen hätten - unter einer anderen Bundesregierung -, dann hätten wir heute nicht diesen Zugzwang; auch das muß man einmal sehen.
Diese Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis vorgelegt. Dieses Übereinkommen dient insbesondere dem Schutz der lebenden Meeres-schätze der Antarktis, der Aufrechterhaltung des dortigen Ökosystems, der Erforschung der Wechselbeziehungen der Arten der antarktischen Tier- und Pflanzenwelt und der Beschränkung der Nutzung der Arten.
Wir sprechen heute nicht das erste Mal über die Antarktis und mit Sicherheit nicht das letzte Mal. Mitglieder dieses Hauses - ich schließe mich da mit ein - haben den Anstoß dazu gegeben, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in der Antarktisforschung verstärkt engagiert.
Es ist jetzt fast neun Jahre her, als der Fischereistreit mit Island begann. Als frisch gewählter Bundestagsabgeordneter habe ich mir damals meine Gedanken gemacht, wie die zu der Zeit noch recht stattliche Fischereiflotte alternativ eingesetzt werden könnte. „Zu neuen Fanggründen mit neuen Fangme5350
thoden" war die Schlußfolgerung. Eine lange Diskussion mit dem damaligen Präsidenten der Bundesforschungsanstalt für Fischerei, Professor Schmidt, vermochte mich nicht davon zu überzeugen, daß es bis zur Antarktis für unsere Fischer ein sehr weiter Weg ist. Hinzu kam, daß man nicht viel über die lebenden Meeresschätze in der Antarktis wußte. Es war schließlich auch schwer, die Kollegen in Bonn davon zu überzeugem, daß der Sprung ins kalte Wasser getan werden mußte. Dem damaligen Forschungsminister Matthöfer gebührt besonderer Dank, daß er das Problem erkannte und im Rahmen des zweiten Gesamtprogramms des Bundes für die Meeresforschung die Mittel für die erste Krillexpedition 1975/76 bereitstellte. Die Krillexpeditionen stellen eine beachtliche Leistung unserer Fischereiforschung und Technik dar.
Mit dem Beitritt zum Antarktis-Vertrag, der Einrichtung des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung, sowie dem Bau einer festen Station in der Antarktis hat die Bundesrepublik Deutschland an die früher schon bedeutende deutsche Polarforschung angeknüpft.
Es war wirklich schon ein bewundernswerter Kraftakt, Herr Kollege von Geldern, die Forschungstätigkeit so zu intensivieren und international zu verdeutlichen, daß damit innerhalb kurzer Zeit die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Konsultativrunde des Antarktis-Vertrags ermöglicht wurde. Ich glaube, daß an dieser Stelle dem Bundesministerium für Forschung und Technologie ganz besonderer Dank gebührt.
Wir haben, wie eingangs erwähnt, schon sehr früh die mögliche Bedeutung dieses Meeresgebiets für die Fischerei gesehen und deshalb angeregt, hier die Forschung zu aktivieren, sowohl um Grundlagenforschung zu betreiben, aber auch um nach neuen Nutzungsmöglichkeiten für die Fischerei zu suchen.
Die Antarktis ist ein noch weitgehend jungfräulicher Kontinent, ein Kontinent, der noch frei ist von Umweltbelastungen, frei von Schadstoffen, mit denen wir hier im Norden leben, an die wir uns aber nicht gewöhnen sollten. Es muß für uns Verpflichtung sein, diesen Zustand der Antarktis zu erhalten, zumal wir gar nicht übersehen könnten, welche Auswirkungen eine Veränderung des antarktischen Ökosystems auf andere Teile dieser Erde hätte.
Das Übereinkommen ist ein Naturschutzübereinkommen. Es wird der Bedeutung des Umweltschutzes und der notwendigen Unversehrtheit des Ökosystems der die Antarktis umgebenden Meere gerecht. Das Interesse an den Meeresschätzen wächst. Zu verhindern ist eine unkontrollierte Nutzung. Seien wir uns der Verantwortung, die wir für diesen Erdteil durch unseren Beitrag zum Antarktis-Vertrag haben, bewußt!
Der Vertrag von 1959 ist ein Instrument zur Förderung und Regelung wissenschaftlicher Forschung, zur Verhinderung militärischen Mißbrauchs der Region und zum Schutz ihres einzigartigen, unabhängigen ökologischen Systems, soweit man es heute in der Wissenschaft zu wissen glaubt.
Mit diesem Übereinkommen haben die Konsultativmitglieder des Vertrags aus dem Gesichtspunkt des Ökologieschutzes, parallel zu dem AntarktisVertrag und mit diesem institutionell verknüpft, Regelungen zum Schutz und zur Nutzung der lebenden Ressourcen gefunden.
Die Bundesrepublik Deutschland erlangt mit dem Beitritt zu diesem Übereinkommen den bevorrechtigten Status eines geborenen Mitglieds mit besonderen Rechten und Pflichten.
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Kurz einige Inhalte dieses Übereinkommens.
Nach Art. II ist Ziel dieses Übereinkommens die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis. Erhaltung ist als „rationelle Nutzung" definiert.
Nach Schätzungen der FAO wurden im Jahre 1976 in antarktischen Gewässern vor allem von Fischereiflotten aus dem Ostblock und Japan etwa 0,2 bis 0,4 Millionen Tonnen Fisch gefangen, während der gesamte Welt-Seefischfang im gleichen Jahre etwa 55 Millionen Tonnen erreichte.
Allerdings wurde - abgesehen von den Walen - auch schon eine Überfischung einzelner anderer Bestände festgestellt. Dies ist eine Gefahr, die wegen des langsamen Wachstums und der sehr späten Geschlechtsreife antarktischer Nutzfischarten besonders gravierend ist.
Es bestehen große ökologische Bedenken gegenüber einer unbeschränkten Befischung der Bestände. Diesen Bedenken trägt das Übereinkommen dadurch Rechnung, daß verhindert werden soll, daß der Bestand genutzter Populationen bis auf eine Menge verringert wird, die eine ausreichende Sicherung des Nachwuchses nicht mehr gewährleistet. Weiterhin sind die ökologischen Wechselbeziehungen zwischen genutzten, abhängigen und verwandten Populationen lebender Meeresschätze der Antarktis aufrechtzuerhalten. Veränderungen im Meeresökosystem sind zu verhindern.
Das vorliegende Übereinkommen ist ein weiterer Schritt hin zu einer zukunftsorientierten Antarktisforschung mit dem eindeutigen Ziel, einer unkontrollierten Nutzung entgegenzuwirken - in unserem eigenen Interesse, aber eben auch im Interesse zukünftiger Generationen.
Herr Kollege von Geldern, vor neun Jahren fingen wir damit an: mit vorausschauender sozialdemokratischer Fischerei-, Technologie-, Forschungs- und Umweltpolitik. Okay?
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lebende Meeresschätze der Antarktis - das mag gerade zu dieser vorgerückten Stunde weit entfernt klingen wie ein Forschungsobjekt einiger hochspezialisierter Wissenschaftler und nicht geeignet als Gegenstand einer politischen Debatte.
Ich kann diese Meinung allerdings nicht teilen. Hat doch die Antarktis in den letzten Jahren zunehBredehorn
mend an Bedeutung gewonnen und ist ins Blickfeld internationalen Interesses gerückt.
Lassen Sie mich die Vorgeschichte und die bisherige Entwicklung kurz darstellen. Seit dem Inkrafttreten des Antarktis-Vertrags im Jahr 1961 ist dieses Gebiet ein Vorbild für internationale Zusammenarbeit: Verbot militärischer Aktivitäten, Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Austausch der Forschungsergebnisse, Nichtanerkennung der Gebietsansprüche verschiedener Staaten. Andererseits weckten die Rohstoffknappheit und die für viele Staaten ungünstige Entwicklung der Seerechtskonferenz zunehmend auch die Begehrlichkeit nach den Ressourcen des sechsten Kontinents.
Daher wurden Regelungen erforderlich, die eine Aushöhlung der Ziele des Antarktis-Vertrags verhindern. Besonders vordringlich wegen der intensiven fischereilichen Nutzung verschiedener Gebiete war eine Regelung für die lebenden Meeresschätze.
Das vorliegende Übereinkommen wurde auf der Grundlage des Antarktis-Vertrags ausgearbeitet. Die Staaten mit Gebietsansprüchen auf Teile des Festlands sehen von der Errichtung von Fischereioder Wirtschaftszonen ab. Die Erforschung der antarktischen Gewässer bleibt von jeglicher Reglementierung frei. Die Nutzung wird durch gemeinsame Maßnahmen der Vertragstaaten beschränkt, soweit dies zur Aufrechterhaltung des gesamten Ökosystems unter Berücksichtigung der wechselseitigen Abhängigkeit der einzelnen Arten notwendig ist. Alle erforderlichen Maßnahmen werden von einer Kommission der Unterzeichnerstaaten getroffen, die am 25. Mai 1982 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten. Alle materiellen Fragen werden dabei im Konsens entschieden. Das Übereinkommen wurde von 15 Staaten unterzeichnet.
Besonders möchte ich hier hervorheben, daß in den letzten Jahren gerade die deutsche Fischereiwissenschaft bedeutende Leistungen zur Erforschung antarktischer Fischbestände, vor allem des Krills, erbracht hat. Es besteht berechtigte Hoffnung, daß der Krill, ein vier bis fünf Zentimeter großer in riesigen Schwärmen vorkommender Krebs, bei entsprechender Zubereitung in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Eiweißversorgung der Menschheit liefern könnte.
Die erwähnten und andere wichtige Forschungsarbeiten sowie die Errichtung einer ständigen Forschungsstation in der Antarktis haben dazu geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland am 3. März 1981 in die Gruppe der Konsultativparteien des Antarktis-Vertrages aufgenommen wurde, die eine besondere Verantwortung im Rahmen dieses Vertrages haben.
Weitere wichtige Antarktisaktivitäten, die ich erwähnen möchte, sind die Gründung des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung in Bremerhaven und der Bau des neuen deutschen Polarversorgungsschiffes „Polarstern".
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir werten die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dem Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis als Teil einer aktiven Antarktispolitik der Bundesregierung. Die Bundesrepublik erhält dadurch ein Mitspracherecht bei allen zukünftigen Regelungen für die antarktischen lebenden Meeresschätze. Die FDP-Fraktion unterstützt daher den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf. - Danke schön.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1363 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 10. Dezember 1981 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Spaniens
- Drucksache 9/1362 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß
Auch hier ist interfraktionell eine Redezeit von 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Handlos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt hat einen erfreulichen Hintergrund. Für die CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag darf ich den geplanten Beitritt Spaniens zur NATO begrüßen und zugleich darauf hinweisen, daß die Nordatlantische Allianz damit auch nach Jahrzehnten ihre ungeschmälerte Anziehungskraft beweist.
Bevor ich auf aktuelle Fragen des spanischen NATO-Beitritts eingehe, darf ich darauf hinweisen, daß Europa Spanien geschichtlich sehr viel zu verdanken hat, angefangen z. B. von der Abwehr des Islam unter Karl Martell, wenn Sie sich an die Schlacht bei Poitiers erinnern, bis hin zu der Tatsache, daß uns dieses Land in kultureller und geistiger Hinsicht im Laufe der Geschichte sehr viele Impulse vermittelt hat. Ich darf sagen, Europa würde vielleicht anders aussehen, wenn es Spanien in der Vergangenheit nicht gehabt hätte. Der spanische Philosoph Donoso Cortés hat in einer seiner berühmten Reden über die allgemeine Lage Europas am 30. Januar 1850 gesagt:
Es scheint, als ob alle Staatsmänner die Gabe des Rates verloren hätten. Es gibt nichts mehr Festes, nichts mehr Sicheres in Europa, und dabei ist Spanien noch das Land mit der größten Widerstandskraft. Spanien ist in Europa das, was eine Oase in der Wüste ist.
Diese Feststellung mag zwar im Jahre 1982, meine lieben Kollegen, aus heutiger Sicht ein bißchen überzeichnet sein, trotzdem wäre Europa auf Dauer unvollkommen, wenn Spanien weiter außerhalb der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Bündnissysteme unseres Kontinents bleiben würde.
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Der Weg des demokratischen Spaniens zurück nach Europa vollzieht sich gegenwärtig in drei Etappen, einmal der Beitritt zum Europarat der bereits vollzogen ist, dann der geplante Beitritt zur EG und zur NATO.
Der vor uns liegende Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1362 vom 22. Januar 1982 ist einer der Meilensteine auf dem Weg in das NATO-Bündnis. Ich darf vorausschicken, daß bereits mehrere Länder die Verträge ratifiziert haben, so z. B. Kanada, Belgien, Großbritannien, Island und Norwegen. Es ist davon auszugehen, daß in den nächsten Monaten auch die übrigen der 15 NATO-Staaten folgen werden, um einstimmig den Beitritt Spaniens zur NATO zu ratifizieren. Gewisse Sorgen macht lediglich Griechenland. Im Hinblick darauf ist nur zu hoffen, daß das Ratifizierungsverfahren dort beschleunigt eingeleitet wird.
Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, nochmals auf die einzelnen Phasen der bisherigen Beitrittsverhandlungen einzugehen. Ich darf jedoch daran erinnern, daß sich die Nordatlantische Versammlung zum erstenmal im November 1976 mit diesem Thema beschäftigt hat. In ihrem Programm vom Oktober 1978 sprach sich dann die Regierung der spanischen Zentrumspartei für einen Beitritt Spaniens zur NATO aus. Seit dieser Zeit betreibt die spanische Regierung, früher unter dem Ministerpräsident Suarez, heute unter dem Ministerpräsidenten Calvo Sotelo, konsequent eine westliche Integrationspolitik. Weitere Meilensteine waren am 29. Oktober 1981 die Ratifizierung bzw. die Ermächtigung durch das spanische Abgeordnetenhaus und am 26. November durch den Senat, den Beitritt Spaniens zum Nordatlantischen Vertrag herbeizuführen. Ein weiteres entscheidendes Datum war der 2. Dezember 1981. Die spanische Regierung übermittelte dem Generalsekretär Luns den Wunsch, dem NATO-Bündnis beizutreten. Am 10. Dezember 1981 schließlich wurde im Verlauf der NATO-Außenministerkonferenz in Brüssel in Anwesenheit des spanischen Außenministers das Beitrittsprotokoll unterzeichnet.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich besonders die Tatsache würdigen, daß das spanische Parlament für den Beitritt keine Bedingungen gestellt hat und keine Sonderregelungen für sich in Anspruch zu nehmen wünscht.
Für uns, für die CDU/CSU, ist völlig klar, daß mit dem Beitritt Spaniens zur NATO im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung des Bündnisses die Sicherheit des gesamten spanischen Territoriums garantiert werden muß. Ich darf allerdings darauf hinweisen, daß sich die Beistandszusage gemäß § 5 des Nordatlantischen Vertrages nur auf diejenigen
spanischen Territorien beziehen wird, welche inner-
halb des Vertragsgebietes der NATO gelegen sind. Das heißt konkret, die spanischen Exklaven in Nordafrika werden somit nicht in das Vertragsgebiet mit einbezogen.
Wir messen auch der Wiedererlangung der Souveränität über Gibraltar besondere Bedeutung bei - dies ist der Wunsch des spanischen Parlaments - und respektieren ebenso den Wunsch Spaniens, daß Kernwaffen nur nach vorheriger Ermächtigung durch das Parlament auf spanischem Boden gelagert werden dürfen. Um nochmals auf Gibraltar zurückzukommen: Diese Meerenge muß für uns, für das westliche Bündnis, die gleiche Priorität haben wie z. B. die Straße von Hormus oder der Bosporus.
Aus dem Beitritt Spaniens zur NATO ergibt sich militärisch für uns der enorme Vorteil, daß nunmehr zwischen dem NATO-Partner Portugal und den übrigen Ländern der Allianz praktisch eine Landbrücke hergestellt werden kann. Damit erhält dieser neue NATO-Partner eine wichtige Funktion als Drehscheibe zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Da es sich dabei sozusagen um die rückwärtige Zone der NATO handelt, ergeben sich insbesondere für die Luftstreitkräfte des Bündnisses neue Möglichkeiten für eine Instandsetzung, für eine Munitionierung und ein Betanken alliierter Kampfflugzeuge, wie dies bisher nicht möglich war.
Das Einsatzgebiet der spanischen Luftwaffe mit über 30 großen Flughäfen hat eine bedeutende Funktion für die Verstärkung des Verteidigungspotentials der Luftstreitkräfte der NATO. Darüber hinaus - und darauf muß man ebenfalls hinweisen - ist eine erheblich verbesserte Sicherung der Seewege im Ostatlantik und im Mittelmeer unter Verstärkung der maritimen Präsenz in diesen Meeren für die NATO möglich. Auch kann längerfristig mit einer Erweiterung des konventionellen Potentials gerechnet werden, wobei im Normalfall davon auszugehen ist, daß die spanischen Streitkräfte selbst in der Lage sind, das spanische Territorium mit seinen für die NATO-Strategie wichtigen Positionen zu schützen - ich sage: im Normalfall. Spanien war zwar bisher bereits mit den Vereinigten Staaten militärisch durch Verträge verbunden; trotzdem glauben wir, daß der Eintritt in die NATO eine Stärkung der NATO-Südflanke zur Folge haben wird.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits betont, daß Spanien im Hinblick auf den NATO-Beitritt keine Bedingungen bzw. Sonderregelungen für sich wünscht. Wir sollten diese Tatsache besonders dadurch würdigen, daß wir gerade diesem Lande eine bevorzugte Hilfestellung für den raschen Eintritt in die Europäische Gemeinschaft geben, weil Spanien darauf größten Wert legt, um auf diese Art und Weise seine wirtschaftlichen Gegebenheiten zu verbessern. Damit kann unsererseits zugleich ein Beitrag zur Festigung der parlamentarischen Demokratie in diesem Lande geleistet werden.
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Es ist darüber hinaus eine Selbstverständlichkeit, daß Spanien durch die NATO und hier insbesondere
durch die Bundesrepublik Deutschland eine entscheidende Hilfe bei der Modernisierung seiner Streitkräfte erhält. Ich glaube, das braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Ich darf darauf hinweisen, daß Marine und Luftwaffe in Spanien einen Standard besitzen, der durchaus den NATO-Kriterien gerecht wird. Von einer unmittelbaren wesentlichen Erhöhung der militärischen Schlagkraft der NATO kann jedoch erst dann gesprochen werden, wenn die spanischen Streitkräfte insgesamt - insbesondere die Landstreitkräfte - den Kriterien der Allianz entsprechen und ihr organisatorisch und strukturell zugeordnet sind.
In diesem Zusammenhang darf ich auf die Einschüchterungsversuche der UdSSR zu sprechen kommen, die massiven Druck auf die spanische Regierung ausgeübt hat, um sie vom NATO-Beitritt abzuhalten.
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Meine Damen und Herren, der geplante Beitritt widerspricht weder der KSZE-Schlußakte noch Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen, weil wir ja alle wissen, daß jedem Staat ein eigenes Bündnisrecht zugestanden werden muß und dies in der KSZE-Schlußakte bzw. in dem entsprechenden Artikel auch verankert ist. Insoweit handelt es sich bei den diplomatischen Aktionen der UdSSR um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Spaniens. Wenn etwas die internationale Bedeutung eines spanischen Beitritts zur NATO unterstreicht, dann sind es die immer wiederkehrenden Versuche der UdSSR, diesen Beitritt zur NATO zu verhindern.
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Abschließend darf ich für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal einen möglichst raschen Beitritt dieses Landes zur NATO wünschen und darauf hinweisen, daß die Integration Spaniens als des 16. Mitgliedstaates in das Nordatlantische Bündnis für beide Seiten einen politischen und militärischen Gewinn im Interesse Europas darstellt. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine angenehme Pflicht für mich, nach dem Redner der CDU/CSU hier zu sprechen, denn ich kann mich nach seinen Ausführungen sehr kurz fassen. Wir haben eine völlige Übereinstimmung z. B. im Verteidigungsausschuß erzielt. Das hier noch einmal deutlich zu sagen, ist mir ein Vergnügen.
Die Bundesregierung hat dem Parlament und seinen Ausschüssen mit der Drucksache 9/1362 einen Gesetzentwurf zugeleitet, der den Beitritt Spaniens zum Nordatlantikpaktvertrag, also zur NATO, zum Ziele hat. Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt diesen Wunsch Spaniens nachhaltig. Für die sozialdemokratische Fraktion hier in diesem Hause kann ich die ungeteilte Zustimmung zu diesem Beitritt zum Ausdruck bringen.
Es ist zu erwarten, daß Spaniens Weg in die westliche Staatengemeinschaft positive Auswirkungen auf die Festigung der spanischen Demokratie haben wird.
Die im Hinblick auf die sicherheitspolitischen Perspektiven der europäischen Einheit wünschenswerte Gemeinsamkeit von NATO- und EG-Zugehörigkeit würde mit dem Beitritt Spaniens als Regelfall dokumentiert, da nur Irland als EG-Staat nicht auch gleichzeitig Mitglied der NATO ist.
Für die NATO ist der freiwillige Beitritt der jungen westeuropäischen Demokratie auch ein Beweis ihrer Attraktivität und Aktualität. Neben der engen, hier von meinem Herrn Vorredner bereits erwähnten Verbindung Spaniens mit den Vereinigten Staaten hat die Nordatlantische Versammlung, d. h. das Parlament der NATO, 1976 bereits beschlossen, Spanien mit einer Beobachterdelegation an den großen Tagungen teilnehmen zu lassen. Diese Entscheidung hat sich bis zum heutigen Tage bewährt.
Spanien hat eine Wehrpflichtarmee mit einer guten Ausbildung. Das westliche Mittelmeer und damit ein Teil der Südflanke der NATO wird aus der geostrategischen Lage des Landes sehr profitieren. Dabei ist besonders auf die Schlagkraft seiner Marine hinzuweisen. Durch die Einbeziehung der kanarischen Inseln und der Balearen werden See- und Luftstreitkräfte der NATO begünstigt.
Der freiwillige Beitrittsbeschluß der jungen Demokratie Spaniens, die mit großer Mehrheit getroffenen Entscheidungen seines Parlaments und des Senats verdienen unseren Respekt. Wir freuen uns auf die parlamentarische Zusammenarbeit mit unseren spanischen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung, die, wie wir hoffen, in gleicher Harmonie vor sich gehen wird, wie wir es bereits im Europarat immer wieder erleben konnten. Die militärische Integration Spaniens wird für dieses Land und für die 15 bisherigen Mitglieder der NATO Vorteile mit sich bringen. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns in den vergangenen Wochen und Monaten im Verteidigungsausschuß, aber auch hier im Plenum überwiegend mit militärischen Fragen des Bündnisses und der Streitkräfte auseinandergesetzt, und wir haben uns sogar bis in die letzten Minuten im Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß „Tornado" gestritten. Deswegen bin ich noch ein bißchen außer Atem.
Bei der Diskussion um Zahlen und Daten, um reale Steigerungsraten der Verteidigungsausgaben, um individuelle Interpretationen dieser Angaben ist insbesondere auch in der Öffentlichkeit bei der Diskussion über das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West die politische Bedeutung des Nordatlantischen Bündnisses etwas in den Hintergrund gerückt. Der Beitritt Spaniens zur großen Gemeinschaft nord5354
Jung ({0})
amerikanischer und europäischer Demokratien fördert und stärkt den Gedanken dieser freiwilligen Allianz zum Schutze des Friedens und zur Wahrung der Menschenrechte. Die Mitgliedstaaten der NATO haben im Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, „die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten". Sie sind bestrebt, „die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern".
Mit dem NATO-Beitritt Spaniens wird der im Nordatlantik-Vertrag festgeschriebene Charakter dieses Bündnisses verstärkt. Zugleich ist er ein Zeichen der Solidarität, mit der die in dem Bündnis zusammengeschlossenen Staaten den Weg Spaniens zurück von der Diktatur in die Demokratie unterstützen und damit entscheidend zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der spanischen Demokratie beitragen. Der Beitritt Spaniens als 16. Mitglied der Nordatlantischen Allianz ist für die Allianz vor allem ein politischer Gewinn. Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag begrüßt diese Entscheidung Spaniens. Die spanische Regierung fördert damit die Ziele des nordatlantischen Vertrages. Sie trägt auch zur Sicherung des Bündnisses bei.
Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland teilen die große Besorgnis des spanischen Volkes über die Auswirkungen von Terroranschlägen und Militärputschversuchen auf das Bestehen der jungen spanischen Demokratie. Noch zu gut ist uns der Putschversuch von einer kleinen Gruppe rechtsgerichteter Militärs vom 23. Februar 1981 in Erinnerung, der Versuch, mit Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung Spaniens zu ändern und das Rad der politischen Entwicklung zurückzudrehen. Dieser Versuch konnte nur durch das Zusammenstehen aller demokratischen Kräfte zum Scheitern gebracht werden. Die ewig Gestrigen mußten einsehen, daß Gewalt und Einschränkung der Bürgerfreiheiten für eine große europäische Kulturnation wie Spanien unwürdig sind. Der Ausgang des Verfahrens vor dem seit dem 19. Februar dieses Jahres tagenden obersten spanischen Militärgericht wird auch den letzten Zweiflern zeigen, daß Umsturzversuche in einer Demokratie keine Kavaliersdelikte sind.
Die spanische Regierung betreibt den Beitritt des Landes zur NATO und zur Europäischen Gemeinschaft im Rahmen einer nach innen gerichteten Politik der weiteren Demokratisierung, die nach außen auf politische, wirtschaftliche und militärische Integration in die westliche Staatengemeinschaft ausgerichtet ist. Damit entspricht sie einem langfristigen vitalen Interesse ihres Landes. Man kann auch, wie ich meine, davon ausgehen, daß die derzeitige spanische Opposition den Wert dieser Entscheidung zu schätzen weiß und ihn nicht ernstlich in Frage stellen würde, wenn sie einmal selber die Regierung bilden sollte. Sicherlich ist sie derzeit offensichtlich bestrebt, innenpolitischen Boden zu gewinnen, indem sie sich gegen einen Beitritt ausspricht. Wir haben ja ähnliche Erfahrungen hinsichtlich der Stimmungen in anderen Ländern bei ihren Versuchen eines Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft gemacht. Ich bin aber davon überzeugt, daß die Vorteile einer Mitgliedschaft sowohl in der NATO wie in der Europäischen Gemeinschaft letztendlich auch in der Bevölkerung anerkannt werden. Dies deutlich zu machen, wird eine wesentliche Aufgabe aller sein, die den Beitritt Spaniens in die NATO und in die Gemeinschaft unterstützen.
Spanien stellt für seinen Beitritt keine Vorbedingungen und beansprucht keine Sonderregelungen. Wir wissen, daß Spanien ein loyaler und kooperationsbereiter Bündnispartner sein wird. Auch die griechische Regierung wird sich dieser Erkenntnis nicht verschließen können und ihre starre Haltung gegen einen Beitritt Spaniens revidieren, die der griechische Ministerpräsident Papandreou in der Ministertagung des Nordatlantikrats im Dezember letzten Jahres vertrat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang - weil ich gerade den Kollegen Graf Huyn sehe - noch ein Wort zur Geschlossenheit im Bündnis sagen. Er hat gemeint, daß zur Sicherung der Südostflanke der NATO die Militärhilfe für die Türkei in dem Maße zu verstärken sei, je mehr Griechenland - ich nehme an, Sie beziehen sich hier auch auf die Haltung Papandreous - zu einem Unsicherheitsfaktor für das freie Europa und für die freie Welt wird. Herr Kollege Graf Huyn, für uns Liberale ist ein solcher Vorschlag ein ungeeignetes Mittel, das Bündnis zu festigen.
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Wir wollen hier nach allen Seiten die Gestaltung des Bündnisses zu fördern versuchen.
Ich möchte zum Abschluß auf die außenpolitische und militärische Bedeutung des Beitritts Spaniens für das Bündnis in wenigen Worten hinweisen. Spanien verfügt über gute Beziehungen zu zahlreichen Staaten der Dritten Welt, darunter insbesondere arabische und lateinamerikanische Staaten. Wie der spanische Außenminister Pérez Llorca bei der Unterzeichnung des Protokolls erklärt hat, beabsichtigt Spanien, diese Beziehungen in das Bündnis mit dem Ziel der Blockfreiheit durch die NATO einzubringen. Aussagen über die militärische Bedeutung des NATO-Beitritts sind im Moment, da noch keine eingehenden Untersuchungen über das spanische Verteidigungspotential vorliegen - bis auf die pauschale Feststellung der Verstärkung im personellen und konventionellen Bereich - nur schwer möglich. Ich schließe mich hier den kurzen Ausführungen des Kollegen Schmidt ({2}) aus meiner Kenntnis an. Bei der Ausrüstung - das haben auch Sie angedeutet - wird sicherlich eine Anpassung an die Ansprüche der NATO erfolgen müssen. Das bedeutet natürlich auf der anderen Seite auch finanzielle Anstrengungen innerhalb des Bündnisses.
Fest steht, daß Spanien von großem geostrategischen Wert für die Verteidigung des Westens ist. Lassen Sie mich mit zwei Aspekten dies besonders hervorheben. Erstens. Der Beitritt stellt die Landverbindung zu anderen Bündnispartnern - hier in dem Fall zu Portugal - her und erweitert damit das strategische rückwärtige Gebiet. Zweitens. Durch
Jung ({3})
die bessere Kontrollmöglichkeit der Meerenge von Gibraltar wird die Südflanke im Ostatlantik wie im Mittelmeerraum wesentlich gestärkt.
Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß die Aufnahme Spaniens in das Bündnis für die spanische Demokratie Anerkennung, Bestätigung und Förderung durch die Gemeinschaft westlicher Staaten bedeutet. Eine Ablehnung wäre ein schwerer Affront und ein Rückschlag für die demokratische Entwicklung in Spanien.
Wir Freien Demokraten, auch ich persönlich als Vorsitzender der deutsch/spanischen Parlamentariergruppe - das darf ich hier einmal sagen - und als Mitglied der Nordatlantischen Versammlung, freuen uns auf den Zeitpunkt, an dem wir mit spanischen Kollegen die weitere Ausgestaltung der Kooperation in Europa und im Bündnis gemeinsam unternehmen können. Mit dem Beitritt Spaniens zur NATO wie auch zur Europäischen Gemeinschaft erfährt die Initiative von Bundesaußenminister Genscher zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik im Rahmen einer europäischen Union eine neue, eine größere Dimension.
Wir Freien Demokraten sehen den Beitritt Spaniens zur NATO auch in einem engen Zusammenhang zum Beitritt in die Europäische Gemeinschaft, wie schon meine Vorredner gesagt haben. Wir hoffen, daß auch diese Beitrittsverhandlungen möglichst bald zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werden können. Nach den Beiträgen des Kollegen Handlos und des Kollegen Schmidt ({4}) darf ich sagen: Wir werden sicher mit Ihnen allen, meine Damen und Herren - von allen Parteien hier in diesem Hause -, gemeinsam alles tun, um diese junge spanische Demokratie möglichst rasch, möglichst schnell, möglichst reibungslos in den Kreis der Demokratien und in ihre Einrichtungen voll aufzunehmen. - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsident! Frau Kollegin! Meine Herren! Im Hinblick auf die erfreuliche Einmütigkeit aller Fraktionssprecher darf ich für die Bundesregierung hier eine kurze Erklärung abgeben. Denn es ist j a zweifellos ein außergewöhnliches Ereignis - das wurde von allen Sprechern unterstrichen -, wenn sich 32 Jahre nach Gründung der westlichen Allianz ein weiterer europäischer demokratischer Staat dazu entschließt, ihr Mitglied und damit auch unser Partner zu werden.
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Dieses Ereignis, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, macht uns neuerlich bewußt, daß die NATO weit mehr ist als ein Verteidigungsbündnis; sie ist vielmehr eine Gemeinschaft demokratisch verfaßter Staaten, in denen die gleichen Werte und Grundüberzeugungen geachtet und gepflegt werden. Das muß man, glaube ich, in diesem Augenblick besonders unterstreichen.
Darauf hat auch der spanische Außenminister Pérez Llorca in seinem Ihnen vorliegenden Bewerbungsschreiben - wenn man das so nennen darf - vom 28. November vorigen Jahres zu Recht hingewiesen. Bei dem Beitritt Spaniens geht es also um eine erweiterte Verwirklichung der Zielsetzung des Nordatlantik-Vertrages nunmehr für die ganze iberische Halbinsel. Es geht darum - ich zitiere aus der Präambel des NATO-Vertrages -,
die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten.
Die Bundesregierung begrüßt es daher, daß der spanische Beitrittswunsch beim Bundesrat und den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses auf überparteilicher Grundlage auf breiteste Zustimmung gestoßen ist. Wir sind uns alle der Bedeutung bewußt, welche der Zustimmung zum spanischen Beitrittswunsch für die Zukunft Spaniens selbst, aber auch für seine europäischen Nachbarn und für die ganze atlantische Welt zukommt.
Wie bereits erwähnt, haben Großbritannien, Island, Kanada, Norwegen und Belgien ihre Ratifizierungsurkunden zum Beitritt Spaniens bei der amerikanischen Depositarmacht in Washington hinterlegt. Dieses zügige Vorgehen entspricht der im Bündnis vereinbarten Zielsetzung, Spanien die Mitwirkung in der Allianz schon auf der bevorstehenden NATO-Frühjahrskonferenz zu ermöglichen.
Wir sollten es also als mehr als nur eine gute Geste des Gastgebers der Bonner NATO-Gipfelkonferenz ansehen, wenn auch gerade wir den Weg Spaniens in das Bündnis so schnell wie möglich ebnen, wie es eben unsere Verfahrensnormen zulassen.
Vielleicht ist es gut, wenn wir uns bei dieser Gelegenheit auch neuerlich in Erinnerung rufen, von welch fundamentaler Bedeutung gerade auch für uns der Beitritt zum westlichen Bündnis vor 27 Jahren gewesen und bis zum heutigen Tage geblieben ist. Unsere äußere Sicherheit, unsere enge und weiterzweigte Integration mit unseren Verbündeten, ja auch unsere Entspannungspolitik, unsere Bemühungen um Entspannung wären ohne diese Einbindung und Einbettung in das Bündnis undenkbar. Ich glaube also, es ist gut, wenn wir Spanien nicht warten lassen und es im Kreise des Bündnisses, im Rahmen der Bündnisfamilie willkommen heißen. - Ich danke Ihnen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1362 an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Verteidigungsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent5356
Vizepräsident Frau Renger
wurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 18. Mai 1981 zur Änderung des Unterzeichnungsprotokolls zum Zusatzabkommen vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen
- Drucksache 9/1032 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- Drucksache 9/1356 Berichterstatter: Abgeordneter Haase ({1})
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Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Magin, Schulte ({3}), Schmidt ({4}), Stutzer, Frau Dr. Hartenstein und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
- Drucksache 9/1170 - Hierzu wird das Wort nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - sowie an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Forschung und Technologie - mitberatend - zu überweisen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({5}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1981
hier: Haushaltsgesetz 1981
- Drucksachen 9/541, 9/1345 Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Hoppe
Carstens ({6})
Das Wort hierzu wird nicht gewünscht.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1345, den Entschließungsantrag auf Drucksache 9/541 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 bis 15 auf:
10. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 08 09 Tit. 682 01 - Zuschuß an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein
- Drucksachen 9/1174, 9/1324 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Dr. Hackel
11. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 11 11 Tit. 643 01 - Kosten der Kriegsopferfürsorge ({9}) aufgrund des Bundesversorgungsgesetzes sowie entsprechender Leistungen aufgrund des Häftlingshilfegesetzes, des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten - Drucksachen 9/1233, 9/1325 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Dr. Friedmann
12. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 14 12 Tit. 643 01 - Ersatzleistungen für Wege- und Straßenschäden -- Drucksachen 9/1177, 9/1326 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Stavenhagen
Frau Traupe
Dr. Zumpfort
13. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 27 02 Tit. 642 21 ({12})
- Drucksachen 9/1213, 9/1327 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm Frau Berger ({13})
14. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 32 05 Tit. 575 02 - Zinsen für Bundesschatzbriefe -- Drucksachen 9/1234, 9/1328
Abgeordnete Löffler Carstens ({0})
15. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei
a) Kap. 11 12 Tit. 616 31
- Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit ({2}) -
b) Kap. 11 12 Tit. 68101 - Arbeitslosenhilfe --
c) Kap. 11 12 Tit. 68141
- Leistungen für die Teilnahme von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen an Deutschlehrgängen -- Drucksachen 9/1160, 9/1329 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Dr. Friedmann
Es handelt sich hier um Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben. Das Wort wird hierzu nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 9/1324 bis 9/1329 von der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf den Drucksachen 9/1174, 9/1233, 9/1177, 9/1213, 9/1234 und 9/1160 Kenntnis zu nehmen. Das Haus hat das hiermit getan.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. März 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.