Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/5/1982

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Die Sitzung ist eröffnet. Der Ältestenrat schlägt dem Bundestag vor, den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutz der Legehennen in Käfigbatteriehaltung - Drucksache 9/821 Nr. 6 - mit Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 9/1113 - an den Ausschuß zurückzuverweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Schneider, Dr. Dregger, Schwarz, Sick, Braun, Dr. Möller, Herkenrath, Hauser ({0}), Kroll-Schlüter, Frau Karwatzki, Wimmer ({1}), Burger, Müller ({2}), Regenspurger, Dr.-Ing. Kansy, Seehofer, Deres, Dörflinger, Dr. Jahn ({3}), Dr. Hüsch, Hanz ({4}), Spranger, Broll, Fellner, Dr. von Geldern, Gerlach ({5}), Dr. Jentsch ({6}), Krey, Dr. Laufs, Dr. Miltner, Volmer, Weiß, Clemens, Dr. Köhler ({7}), Jung ({8}), Zierer, Magin, Bohl, Maaß, Louven, Dr. Schroeder ({9}), Hartmann, Dr. Faltlhauser, Sauer ({10}), Kalisch, Breuer, Dr. Jobst, Dr. Warnke, Linsmeier, Dr. Schäuble, Vogt ({11}), Frau Pack, Milz, Frau Geiger, Tillmann, Dr. Kunz ({12}), Lenzer, Frau Benedix-Engler, Müller ({13}), Jagoda, Dr. Bugl, Dr. George und der Fraktion der CDU/CSU Lage der Städte, Gemeinden und Kreise - Drucksachen 9/297, 9/943 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von vier Stunden vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlosssen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002403, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage und der heutigen Debatte will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Bilanz zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in der Bundesrepublik Deutschland ziehen und Impulse für eine bessere Bundespolitik gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung geben. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage ist in entscheidenden Bereichen völlig unzulänglich. Sie will eine heile Welt der kommunalen Selbstverwaltung zeichnen, die es in Wirklichkeit leider gar nicht gibt. ({0}) Der größte Sorgenbereich ist die kommunale Finanzsituation. Der Deutsche Städtetag nennt in seinen letzten Stellungnahmen die Finanzlage der Städte bedrohlich. Alle drei kommunalen Spitzenverbände haben inzwischen dargelegt, daß für 1981 ein Finanzierungsdefizit von rund 12 Milliarden DM für die kommunalen Haushalte festzustellen ist - das ist allein gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 47 % - und daß 1982, so sagen uns die drei Spitzenverbände der Städte, Gemeinden und Kreise, bereits erneut ein riesiges Milliardenloch vorhanden ist. Dies führt dazu, daß ausgerechnet in diesem Jahr, meine Damen und Herren, in dem Investitionen und kommunale Aufträge zur Besserung der Beschäftigungslage dringend notwendig wären, die kommunalen Investitionen erneut zurückgehen werden, wahrscheinlich um über 5 Milliarden DM. ({1}) Dies ist in entscheidenden Bereichen - das muß man hier feststellen - das traurige Ergebnis einer jahrelangen Politik dieser Bundesregierung und dieser Koalition zu Lasten der Gemeinden, meine Damen und Herren. ({2}) Insbesondere wurden den Gemeinden - ({3}) - Sie sollten einmal zuhören, lieger Herr Kollege. ({4}) Insbesondere wurden den Gemeinden Aufgaben und Ausgaben in großer Zahl übertragen. Ich will hier deutlich sagen: Sie wurden mit Aufgaben z. B. im Sozialbereich geradezu überschüttet. Man sehe sich nur einmal die Zahlen an: 1970 waren in diesem Bereich 4 Milliarden DM Ausgaben zu verzeichnen; 1982 werden es über 19 Milliarden DM sein. Allein gegenüber dem Vorjahr beträgt die Steigerung 12%. Herr Kollege Wehner, weil Sie sich so ereiferten, bitte ich Sie, jetzt einmal zuzuhören. ({5}) Ganz besonders die Politik des Bundes zu Lasten der Gemeinden erreichte geradezu einen Höhepunkt bei der sogenannten Operation '82, als sich die SPD/FDP-Koalition dieses Hauses über alle begründeten Warnungen der Kommunalpolitiker aller Parteien hinwegsetzte und erneut Gesetze mit über 2 Milliarden DM jährlichen Lasten für die Gemeinden beschloß. ({6}) Dies war und ist ein unerträglicher Verschiebebahnhof des Bundes zu Lasten der Gemeinden. Das muß man deutlich aussprechen; das darf nicht so weitergehen. ({7}) Wir haben hier heute der Mehrheit des Bundesrates und ihren Vorschlägen sowie der Arbeit des Vermittlungsausschusses zu danken, daß ein Teil dieser Rücksichtslosigkeiten gegenüber den Gemeinden nicht Realität wurde. Dafür gebührt dem Vermittlungsausschuß Dank. Wenn die Bundesregierung hier seit Monaten von Beschäftigungsprogrammen redet und zugleich den Gemeinden als Hauptträgern öffentlicher Investitionen die Möglichkeiten für beschäftigungswirksame Maßnahmen drastisch beschneidet, dann ist das erstens eine höchst inkonsequente Politik und zweitens eine Irreführung der Bürger, meine Damen und Herren. ({8}) Seit dieser Woche liegen ja neue Pläne auf dem Tisch des Hauses. Ich sage hier deutlich: Eine neue Mehrwertsteuererhöung würde gerade bei den Gemeinden zu sehr hohen zusätzlichen Kosten führen, ({9}) insbesondere im Sozialbereich und im Baubereich. Sie ist jetzt eindeutig ein Schritt in die falsche Richtung, und die Mehrwertsteuererhöhung ist auch aus kommunaler Sicht abzulehnen. ({10}) Auch die Länder tragen entscheidende Verantwortung für die Gemeinden. Sie sind deren erste Anlaufstelle. Auch in schwieriger Zeit muß sich dies bewähren. Aber der Bund stellt mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik die Weichen für Bund, Länder und Gemeinden. Der Bund darf sich aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung gegenüber den Gemeinden, Städten und Kreisen nicht davonstehlen. Auch die Gemeinden müssen ihren Sparbeitrag leisten. Das soll deutlich gesagt werden. Wir haben dazu aufgerufen und tun das auch heute erneut. Dabei geht es um die Personalkosten, die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, das Energiesparen, die Überprüfung von Leistungsangeboten und auch, meine Damen und Herren, um die vorurteilslose Untersuchung, welche kommunalen Aufgaben vielleicht genausogut oder besser durch private Träger ausgeführt werden können. Aber man muß realistisch feststellen: 90 % der kommunalen Aufgaben sind durch Gesetze, Pläne und Erlasse von Bund und Ländern festgelegt. Deshalb sind die kommunalen Sparmöglichkeiten begrenzt. Hinzu kommt, daß die Bundesregierung und die Koalition die Gemeinden mit drückenden Problemen alleingelassen haben, obwohl sie rasch helfen müßten. Von einem traurigen Beispiel ist hier gestern mehrfach gesprochen worden. Es muß heute noch einmal genannt werden. Völlig alleingelassen hat die Koalition die Städte und Gemeinden mit den Fragen im Zusammenhang mit den Asylanten. Das Asylrecht in neuer Fassung ist überfällig, meine Damen und Herren. ({11}) Man muß eben Mut zum Handeln haben und darf die Probleme nicht einfach nach unten weitergeben. Ich sage in diesem Zusammenhang: Wir lehnen es als Kommunalpolitiker auch ab, kommunale Steuern und Abgaben nur deshalb anzuheben, um damit das Geld für verfehlte Bundespolitik zu beschaffen. Das kann nicht unsere Aufgabe vor Ort sein. ({12}) Meine Kollegen werden zu den einzelnen Bereichen, die hier anstehen, weitere Ausführungen machen. Entscheidend ist jetzt, daß wirklich eine Wende in der Bundespolitik gegenüber den Städten, Gemeinden und Kreisen eintritt. Ich will hier deutlich sagen, die wichtigste Forderung für die Gemeinden ist eine bessere Wirtschaftspolitik. Das ständige politische Durcheinander in der Koalition, Rücktrittsdrohungen und die Notwendigkeit, die Vertrauensfrage zu stellen, sind allerdings äußerst schlechte Voraussetzungen für eine bessere, neue Politik. ({13}) Man muß deutlich aussprechen, gerade auch aus der Erfahrung in den Gemeinden: Leistung muß sich wieder lohnen und darf nicht durch immer neue Steuern und Abgaben bestraft werden. Private Investitionen müssen nachhaltig gefördert ' und politische und ideologische Investitionshemmnisse endlich beseitigt werden. Das ist entscheidend für die Überwindung von Finanznot und Arbeitslosigkeit. Flankierend dazu muß dann die kommunale Investitionskraft gestärkt werden. Große Investitionsaufgaben stehen an, z. B. bei Stadt- und Dorferneuerung, bei Versorgung und Entsorgung, im Umweltschutz, im öffentlichen Personennahverkehr. Aber notwendig sind jetzt auch hier nicht kurzfristige finanzpolitische Strohfeuer, sondern eine dauerhafte, bessere Strategie gegenüber den Städten und Gemeinden. Fünf Punkte möchte ich dazu für unsere Fraktion nennen. Erstens. In einem Beschluß des Deutschen Bundestages sollte festgelegt werden: keine weiteren Gesetze und Pläne des Bundes zu Lasten der kommunalen Finanzen. Die kommunalen Körperschaften müssen sich bei ihren Investitionsentscheidungen darauf verlassen können, daß in den kommenden Jahren nicht erneut ein finanzpolitischer Verschiebebahnhof zu ihren Lasten entsteht wie durch die Koalitionsbeschlüsse zur Operation 82. Zweitens: weitere Überprüfung von Leistungsgesetzen und Subventionen, welche die Gemeindehaushalte belasten, um Finanzmittel für Investitionen bereitzustellen und damit Arbeitsplätze zu sichern. Jeder, der wirklich Hilfe braucht, soll sie bekommen. Aber es schadet, meine Damen und Herren, auf Dauer sowohl der Wirtschaftspolitik als auch der Sozialpolitik, wenn Mitbürger, die alle Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen, mehr Nettoeinkommen haben als die, die täglich arbeiten und alle Steuern und Abgaben bezahlen. ({14}) Auch im Bundeshaushalt sind mehr Umschichtungen notwendig, um mehr Investitionen zu fördern. Viele Gemeinden könnten dann sofort baureife Projekte in Angriff nehmen. Drittens. Wirksame Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren, die von Ländern und Gemeinden seit Monaten dringlich angemahnt werden, sind nun überfällig. Viele Städte und Gemeinden können die Probleme und Finanzlasten durch den Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen nicht mehr verkraften. Viertens. Die Fortführung der Gemeindefinanzreform muß auf der Tagesordnung der Bundespolitik bleiben. Bund und Länder müssen gemeinsam um die bessere Qualität der Finanzausstattung der Gemeinden ringen. Das bedeutet vor allem weniger Zuschüsse und Einzeldotationen, statt dessen mehr Steuerbeteiligung und Finanzmittel zum eigenverantwortlichen Einsatz nach den Notwendigkeiten vor Ort. ({15}) Es ist auch abträglich für die Demokratie, wenn der Vertreter einer Regierungsstelle, die einen Zuschußtopf verwaltet, am Ende mehr über Entwicklungsmaßnahmen in einer Stadt zu sagen hat als Rat und Verwaltung zusammen. ({16}) Fünftens: Verzicht auf die Verbandsklage, die die Bundesregierung im Naturschutz einführen will. Dieses zusätzliche Rechtsmittel bringt neue Investitionshemmnisse. Es ist geradezu abenteuerlich, meine Damen und Herren, daß dieser Gesetzentwurf gerade jetzt vorbereitet wird, wo wir darum ringen müssen, daß in unserem Lande die Investitionen schnell in Gang kommen. ({17}) Dieses Rechtsmittel würde auf Dauer auch nicht auf den Umweltschutz beschränkt bleiben. Auch wir wollen Bürgerbeteiligung und Bürgerinformation, insbesondere bei wichtigen Entwicklungsmaßnahmen und gerade auch beim Umweltschutz. Aber nach einer Phase des Gesprächs muß die Entscheidung fallen, und die Entscheidung müssen die nach Verfassung und Gesetz Verantwortlichen treffen; das sind in erster Linie die gewählten Vertreter des Volks in den Parlamenten. ({18}) Kommunale Selbstverwaltung hat für uns nicht nur mit Geld, Etatmitteln und Rechtsverfahren zu tun. Sie ist eine entscheidende Grundlage für die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bürger im Staat. Wir wollen vermehrt die Stärkung und Ermutigung der freien Träger und der ehrenamtlichen Arbeit in den Gemeinden. Hier liegt ein großer Schatz für unseren gesamten Staat. Alle Vorschriften, Auflagen und staatlichen Vorgaben bis ins einzelne, die das verhindern, sollten so schnell wie möglich abgeschafft werden. Die öffentliche Hand - das sage ich noch einmal für unsere Fraktion sehr deutlich - soll nicht an sich ziehen, was die Bürger viel besser unmittelbar miteinander und füreinander tun können. ({19}) Initiativen und Gestaltungsfreiraum vor Ort können den Bürgern, insbesondere auch im Zusammenwirken der Generationen, positive Gemeinschaftserlebnisse geben, die oft auf Dauer noch viel wichtiger sind als die Fertigstellung einer neuen baulichen Anlage. Ich denke hier z. B. an die großen Erfolge der Bürgerwettbewerbe in unserem Land. Mit Nachdruck müssen wir dafür eintreten, mehr öffentlich herauszustellen, was Bürger, insbesondere auch junge Bürger, im freiwilligen ehrenamtlichen Einsatz für die Mitbürger leisten. Ich rufe hier auch die Medien und alle, die in unserem Land helfen, Meinung zu machen, auf, die positiven Vorbilder, die die Bürger in unseren Städten und Gemeinden bieten, mehr herauszustellen. ({20}) Wir dürfen mit viel Hoffnung an die Zukunft denken, wenn wir die Einsatzbereitschaft vieler unserer Mitbürger vor uns sehen. Für unsere Bundestagsfraktion möchte ich allen herzlich danken, die sich im kommunalen Bereich ehrenamtlich und hauptamtlich für das allgemeine Wohl einsetzen. Durch das Vertrauen unserer Mitbürger stellt die Union heute in zwei Dritteln der kommunalen Parlamente die stärkste Fraktion. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Wir bitten hier in dieser Debatte um Unterstützung für unsere Anträge und Vorschläge. Entscheidend ist eine neue, bessere Politik für die Gemeinden und die Wirtschaft; denn die beste kommunale Finanzpolitik ist eine bessere Wirtschaftspolitik. Meine Damen und Herren, wir wollen einen neuen Anfang, damit die Bürger auch in unseren Städten und Gemeinden wieder neu Mut schöpfen können. Wir wollen mit Mut und Zuversicht die anstehenden Fragen angehen. Wir meinen, es ist dringend notwendig, daß in der Bundespolitik eine Wende eintritt - für eine bessere Politik für die Städte und Gemeinden und damit für die Bürger in unserem Land. - Herzlichen Dank. ({21})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kiehm.

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Präsident des Deutschen Städtetags hat sinngemäß gesagt, wenn die Kommunalpolitik für die Parteien in der Bundesrepublik lediglich das Vehikel zur Durchsetzung anderer politischer Ziele sei, würden die Probleme der Kommunen weitgehend mißverständlich diskutiert und die Parteien wären zu Lösungen kaum imstande. Ich habe den Eindruck, daß der Kollege Waffenschmidt eben beweisen wollte, wie die CDU/CSU ihren eigenen Präsidenten des Deutschen Städtetages mißversteht und wie auch andere Maßnahmen der CDU/ CSU dazu beitragen, daß die Kommunalpolitik lediglich ein Faktor im Rahmen jenes Spiels ist, die politische Mehrheit im Bundestag zu gewinnen. ({0}) Wie wäre es denn sonst zu verstehen, daß eine zentrale Aktion der Kommunalpolitischen Vereinigung durchgeführt wird, mit der landauf, landab in den Rathäusern festgestellt werden soll, wie es um das Schicksal der Finanzen der einzelnen Gemeinden steht? Haben Sie zu Ihren eigenen Ratsherren so wenig Vertrauen, daß Sie ihnen vorgedruckte Formulare liefern müssen, mit deren Hilfe gefragt wird? Oder muß man das Ganze als eine Aktion verstehen, die im Grunde genommen darauf hinausläuft, aus der Summierung der in den Kommunen gesäten Zweifel an einer soliden Staatspolitik hier Ihr Süppchen kochen zu wollen? Die Sozialdemokratische Partei ist die traditionelle Partei der Kommunalpolitik. ({1}) Es ist unbestritten, daß die CDU/CSU auf diesem Felde kurzfristig Erfolge gehabt hat. ({2}) - Das ist zu erkennen; denn wenn die CDU Niedersachsens heute beispielsweise die Tatsache feiert, daß sie in vielen Rathäusern Mehrheiten hat, kann ich Ihnen nur empfehlen, doch bitte einmal die Zahlen der Kommunalwahlen von 1976 und 1980 zu vergleichen. Dann werden Sie feststellen, daß auf den Fahnen der CDU überhaupt kein Gewinn zu verzeichnen war. ({3}) Was eingeräumt wird, ist daß Sie eine relative Mehrheit haben, die deshalb erzielt worden ist, weil sich Sozialdemokraten in den Gemeinden verstärkt mit heftig umstrittenen Themen auseinandergesetzt haben mit der Folge, daß sie in erheblichem Umfang Konkurrenz von den Grünen erhalten haben. ({4}) Aber nun zu den Problemen, die heute anstehen. Wir haben zu klären, auf welche Weise Kommunen und die staatlichen Organe zum Wohle des Gesamtstaates, zum Wohle der Gesellschaft miteinander umgehen können. Wir lassen uns nicht durch Ihre Aussage, Herr Waffenschmidt, in die Ecke drängen, die CDU/CSU sei sozusagen der geborene Anwalt der Kommunen, ({5}) und die Koalitionsfraktionen hier müßten vertreten, was in einer Vielzahl von Orten durch Beschlüsse von CDU/CSU-geführten Landesregierungen veranlaßt werde. Wir vertreten das, was der politischen Entscheidung dieses Hauses zukommt, aber wir werden nicht bereit sein, sozusagen den Sündenbock für eine fehlerhafte Kommunalpolitik in den Ländern zu spielen. ({6}) Lassen Sie mich nun zu einigen Ausführungen kommen, die Sie selbst gemacht haben. Was heißt es denn, wenn Sie fordern: keine neuen Gesetze, die zu Lasten der Gemeinden gehen? Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Sie darauf verzichten wollen, ein Verkehrslärmschutzgesetz zu beschließen, das dazu beiträgt, in den Gemeinden mehr Rechtssicherheit und damit auch finanzielle Kalkulierbarkeit zu schaffen? Schon an diesem einen Beispiel kann man Ihnen vorführen, daß Sie pauschale Aussagen machen, insgeheim aber damit rechnen, daß weitere Gesetze zu Lasten des Bundes und zugunsten der Gemeinden verabschiedet werden. Sie sprechen davon, heute sei es so, daß der Verwalter sehr viel mehr Einfluß habe als derjenige, der in einem Rat politische Verantwortung trage. Ich will Ihnen an einem Beispiel aus meinem Heimatland deutlich machen, wie es wirklich ist. Niedersachsen mit seinen so unterschiedlichen Strukturen tut sich ungeheuer schwer, die Landesplanung als wirksames Instrument einzusetzen. Man darf sogar Zweifel haben, ob die Zielvorstellungen so konkret herausgearbeitet werden, daß darauf eine nachfolgende kommunale Planung sinnvoll aufbauen kann. Nun hat die niedersächsische Landesregierung den Beschluß gefaßt, die Regionalplanung, also die nachfolgende Landesplanung zu kommunalisieren. ({7}) Das wird als Fortschritt vermerkt. ({8}) Aber lassen Sie sich sagen: Die Regionalplanung ist zwar formell in die Zuständigkeit der Kreistage überführt worden, allerdings mit dem deutlichen Hinweis, daß sie auf Festlegungen beschränkt werde, die sich unmittelbar aus der staatlich vorgegebenen Landesplanung ergeben. Sie vermitteln den Eindruck, es gäbe neue Zuständigkeiten. Der inhaltliche Raum für eine Entscheidung eines Kreistages ist gleich Null. ({9}) Und nun die Konsequenz: Jetzt wird der Kreistag, der Gemeinderat oder der Stadtrat eine Planung beschließen. Nehmen wir den Flächennutzungsplan an. Der muß dann mit der Landesplanung übereinstimmen. Wegen fehlender Konkretheit und wegen fehlender rechtlicher Aussagekraft der Beschlüsse des Kreistages muß dieser Flächennutzungsplan in ein behördliches Genehmigungsverfahren eingebracht werden. Und am Ende steht, daß der Oberregierungsrat - nach Ihrem Willen - darüber entscheiden wird, was angepaßte Kommunalplanung ist. Sie mit Ihrer Politik fördern geradezu die Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. ({10}) Meine Damen und Herren, man kann sich nicht auf der einen Seite rühmen, in einer Vielzahl von Ländern die Macht zu haben, und dann auf der anderen Seite, hier, die Verantwortung für das leugnen, was in diesen CDU-regierten Ländern geschieht. ({11}) - Wenn Sie sich Mühe geben, werden Sie irgendwann auch dieses Stadium erreichen. Wenn wir heute über die Lage der Städte und Gemeinden diskutieren, will ich jedenfalls das nicht abstrakt tun, indem ich sozusagen abfeiere, welche besondere Bedeutung die kommunale Selbstverwaltung in diesem Lande hat. Ich möchte heute vielmehr über die Lage und Funktion der Kommunen in der gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Situation reden. ({12}) Bund und Länder haben ebenso wie die Kommunen in der Vergangenheit - das ist wohl auf keiner Seite umstritten - auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung mit beachtlichen Ergebnissen ihre Aufgabe erfüllen können. Die jetzige wirtschaftliche Entwicklung hat Konsequenzen für die Gesamtheit der öffentlichen Hände. Sie dürfen nicht den Eindruck vermitteln, hier gäbe es den Bund, der zu leisten hätte, die Länder, die beteiligt würden und die Kommunen, die sozusagen ungeschoren bleiben könnten. Diesen Eindruck vermitteln heißt im Grunde genommen eine Weichenstellung vornehmen, die für die zukünftige Auseinandersetzung zwischen Bund, Ländern und Kommunen eine erhebliche Belastung bedeutet. ({13}) Konsequenzen wird sich auch die kommunale Seite nicht entziehen können. Wir haben davon auszugehen, daß die enormen Verpflichtungen des Bundes, insbesondere auf Grund seiner Aufgaben nach außen - ich will hier nur nennen: die Belastungen aus der EG, die Entwicklungshilfe und die von Ihnen doch in keiner Weise bezweifelten und kritisierten Anstrengungen im Bereich der Verteidigung - eine Belastung für den Bund bringen, ({14}) die ihn in eine Lage versetzt, in der er nicht beliebig Leistungen von anderen auf sich ziehen kann. ({15}) Und es gibt eine Leistungsverpflichtung nach innen. Wenn hier davon gesprochen wird, daß die beste Politik für die Kommunen eine Wirtschaftspolitik sei, die der Beseitigung der Arbeitslosigkeit diene, dann müssen Sie anerkennen, daß diese Leistung zu wesentlichen Teilen, was den staatlichen Bereich angeht, vom Bund gebracht werden muß. ({16}) - „Das ist eine Schande". Aber diese Arbeitslosigkeit ist doch nicht durch Beschluß dieser Bundesregierung und des Bundestages entstanden, ({17}) sondern diese Arbeitslosigkeit ist ein Ergebnis, das nicht allein bundesdeutsche Gründe hat. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Lassen Sie mich abschließend nur sagen: Wer die Erwartung nährt, die Konsolidierung der Haushalte von Bund und Ländern könne sozusagen qua Bundesentscheidung erfolgen, erweckt Hoffnungen, die letzten Endes nicht erfüllt werden können, und schafft draußen ein politisches Klima, das einen konstruktiven Umgang miteinander nur erschwert. ({18}) Es wäre den vielen kritischen Stimmen der kommunalen Spitzenverbände wenig Rechnung getragen - und ich will es auch gar nicht leugnen -, wenn man nicht sagte, daß der Vorwurf erhoben worden sei, die Bundesregierung und der Bundestag hätten durch Haushalte und gesetzgeberische Festlegungen den Versuch gemacht, sich selbst zu sanieren ({19}) und dabei die erkennbaren Interessen von Ländern und Kommunen vernachlässigt. ({20}) - Der Kollege Struck wird sicherlich in der Lage sein, Ihnen im einzelnen darzulegen, in welcher Weise Sie hier eine Stimmung erzeugen, die in keiner Weise gerechtfertigt ist. ({21}) Es gibt ein weiteres. Es gibt den Vorwurf, daß die öffentlichen Hände - und dieser Vorwurf ist nicht etwa auf die Seite des Bundes beschränkt - im staatlichen Bereich ohne erkennbares Konzept zu Kürzungen gekommen wären. Nun, ich räume hier ein, daß die schnellen Lösungen sehr häufig lineare Kürzungen nach sich gezogen haben oder daß die durch politische Kompromisse zustande gekommenen punktuellen Kürzungen in keiner Weise befriedigen können. Diesem Vorwurf müssen wir uns stellen. Wir müssen gemeinsam fragen: Wie läßt sich denn eine Politik betreiben, die deutlich macht, daß dieser Vorwurf unberechtigt ist? ({22}) Ich glaube deshalb, daß es falsch wäre, die Gesamtauseinandersetzung lediglich dadurch zu führen, daß man die Haushaltsansätze zum Gegenstand einer Kritik macht. Ich bin der Meinung, daß sowohl der Staat wie auch die Kommunen aufgerufen sind, mit einer kritischen Elle ihren Aufgabenbestand zu messen. ({23}) Diese Aufgabenbestände sind ja nicht allein durch gesetzgeberische Aktionen des Bundes entstanden, sondern sie sind in hohem Maße durch Festlegungen des Landes entstanden. ({24}) - Sie sind Gott sei Dank auch eigene Entscheidungen der Kommunen. Hier reden wir nicht nur vom Bund, sonst hätten Sie ja eine andere Anfrage stellen müssen, denn Sie haben nach der Lage der Kommunen gefragt und nicht nach dem Verhältnis von Kommunen und Bund. ({25}) Im übrigen: Wer schlechte Fragen stellt, muß sich nicht wundern, daß er unzureichende Antworten kriegt. ({26}) Die Vorstellungen, die Sie sich offenbar machen, gipfeln darin, dem Bund nachzuweisen, daß er nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Wir als Sozialdemokraten setzen dagegen, daß gerade die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung ein Beitrag auch zu einer Konsolidierung der gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit auch zur Konsolidierung der Träger öffentlicher Aufgaben in diesem Land sein können. Hier ist die Frage aufgeworfen worden, ob denn und in welchem Umfange die Kommunen durch eine fortgesetzte Steuerreform in höherem Umfange als bisher an der veränderten wirtschaftlichen und finanziellen Situation teilhaben können. Ich will mich dieses Themas durchaus annehmen und auf eines hinweisen: Bei der gegebenen politischen Lage, bei den gegebenen Machtverhältnissen und bei den unterschiedlichen politischen Zielvorstellungen, die die Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag prägen, gehe ich nicht davon aus, daß sozusagen ein großer Wurf gelingt und am Ende eine Reform der Steuerverfassung steht, die den Ansprüchen der Kommunen gerecht wird. Wir müssen uns sogar noch ein weiteres vor Augen führen. Es sind CDU-Länder gewesen, die die Eigenstaatlichkeit so überbetont haben, daß sie bewährte Instrumente einer gemeinschaftlichen Finanzierung in Frage gestellt haben. Sie tragen damit dazu bei, daß am Ende der aktuell vor uns stehenden Auseinandersetzung das Ergebnis für die Kommunen möglicherweise negativer ist, als heute erkennbar. ({27}) Die vor uns liegenden Aufgaben bestehen darin, daß wir die von der Bundesregierung praktizierte Politik fortsetzen, die öffentlichen Hände zu befähigen, die eigenen Investitionskräfte zu sammeln und die eigene Position in selbstverantworteter Weise auszufüllen. Unsere Aufgabe wird darin bestehen, nicht schlichtweg die Gesetzgebungsnotwendigkeiten zu leugnen, sondern die staatlichen Ziele deutlicher zu formulieren, durch Entscheidungen der Länder deutlich zu machen, daß die Freiräume der Kommunen gesichert werden, und den Gemeinden Instrumente an die Hand zu geben, die es ihnen erlauben, ohne Einflüsse von staatlichen Bürokratien in eigener Verantwortung tätig zu werden. ({28})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Wendig das Wort.

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als ich in der vergangenen Woche mit einem Stadtkämmerer über die heute anstehende Debatte sprach, bekam ich zum Eingang des Gesprächs zu hören: Aha, die alljährliche kommunalpolitische Pflichtübung. Nun, abgesehen davon, daß wir, wenn ich es recht sehe, nicht in jedem Jahr über dieses Thema debattieren, wäre es schon schlimm, wenn diese Debatte in der interessierten Öffentlichkeit - und dazu muß man einen Stadtkämmerer ja wohl zählen - so aufgefaßt würde, und noch schlimmer wäre es, wenn die Beteiligten - die Bundesregierung ebenso wie die Fraktionen dieses Hauses - die Debatte oder schon die Große Anfrage selbst als eine Art kommunalpolitische Pflichtübung betrachten würden. ({0}) Ich hatte diesen Eindruck bisher nicht, weder heute noch in der Vergangenheit. ({1}) Weder die Tatsache, daß die Opposition bestimmte Fragen zur Kommunalpolitik in ihren Großen Anfragen mit einer gewissen Regelmäßigkeit - natürlich von Jahr zu Jahr verändert - wiederholt, noch der Umstand, daß die Bundesregierung in ihrer dies-jährigen Antwort gewisse grundsätzliche Aussagen aus ihrer Antwort von 1977 wortwörtlich wiederholt, ändern etwas daran, daß die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise und ihre Stellung im Gesamtstaat und in den Ländern in allen relevanten Sachbereichen immer wieder diskutiert werden müssen. Gewiß ist für einen Debattenredner die Gefahr der Wiederholung sehr groß, weil natürlich in Frage und Antwort auch Selbstverständliches, von keiner Seite in Frage Gestelltes dem Auditorium immer mit dargeboten wird. Gewiß ist ferner - und damit muß ich auf die Tendenz der Großen Anfrage und dessen, was der Kollege Waffenschmidt dazu gesagt hat, eingehen -, daß die Große Anfrage der CDU dieses Jahres eine einheitliche Tendenz erkennen läßt, die etwa in dem Vorwurf an den Bund - wenn Sie so wollen, an Bundesregierung und Koalition - zusammengefaßt werden kann - ich sage es einmal so -: Bund und Bundesgesetzgeber belasten die Kommunen mit kostenträchtigen Aufgaben, ohne für eine entsprechende Verstärkung der Finanzmittel Sorge zu tragen. ({2}) - Ich gebe in meinem Vortrag Ihre Unterstellungen wieder. - Weiter: Gesetze werden an den Kommunen vielfach vorbeigeplant; die Gemeindefinanzreform ist heillos in Unentschlossenheit steckengeblieben - und anderes mehr. Lieber Kollege Waffenschmidt, kein Mensch von uns sagt - Sie haben dieses Wort gewählt -, die Lage der Städte und Gemeinden sei etwa wie eine heile Welt darzustellen. Das haben wir ganz bestimmt nicht gesagt! Nur ist eben eine solche Tendenz, wie sie in Ihrer Anfrage zum Ausdruck kommt und wie ich sie gerade kurz skizziert habe, einseitig und in ihrer Einseitigkeit im Ergebnis falsch, weil wichtige Aspekte und Entwicklungstendenzen vor der Tür bleiben. ({3}) - Ich komme darauf! Damit ich hier nicht mißverstanden werde: Es steht für mich und meine politischen Freunde in der FDP-Fraktion völlig außer Zweifel, daß in einer Zeit, in der alle öffentlichen Haushalte - der Bundeshaushalt wie die Haushalte der Länder - auf das äußerste angespannt sind, auch die Haushalts- und Finanzsituation der kommunalen Körperschaften nicht rosig sein kann. Gerade dieser Hinweis zwingt aber zu der Feststellung, daß die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise heute - wie immer - natürlich nur in dem großen Gesamtzusammenhang öffentlicher Finanz-und Haushaltspolitik gesehen werden kann. Ich verweise deshalb jeden, der in die Dinge tiefer einsteigen will - ich will mir hier ein großes Zahlenwerk ersparen -, auf die beiden Übersichten, die die Bundesregierung auf Seite 5 ihrer Antwort niedergelegt hat. Kurz zusammengefaßt läßt ein Überblick über die Einnahmeseite zwei Entwicklungen deutlich erkennen: Erstens. Die Steuereinnahmen der kommunalen Körperschaften sind, gemessen an den Einnahmen von Bund und Länder, überproportional gestiegen, vornehmlich verursacht durch den Beginn der Gemeindefinanzreform von 1969. Zweitens. Auch die staatlichen Zuweisungen von Bund und Ländern, die zweitwichtigste Einnahmekategorie der Gemeinden, sind im letzten Jahr beträchtlich angewachsen. Dies ist sicher nur die eine Seite. In dem gleichen Zeitraum haben sich die Finanzbedürfnisse auch zu Lasten des Bundes drastisch verändert; Herr Kollege Kiehm hat davon gesprochen. Ich nenne hier als Sachgebiete nur die Entwicklungspolitik, die Europäische Gemeinschaft, die Sicherheitspolitik, vor allem aber auch die Arbeitslosenfürsorge. ({4}) Nicht von ungefähr ist beim Bund der durch Kredite finanzierte Anteil an den Gesamtausgaben größer als bei den Ländern, aber auch - worauf es hier ankommt - größer als bei den Gemeinden. Auf der anderen Seite sind - das will ich gar nicht leugnen - auch auf die Gemeinden unbestreitbar neue Aufgaben zugekommen, Aufgabenbereiche oder -anteile im Volumen angewachsen, so daß sich niemand vor den Problemen, die der kommunalen Selbstverwaltung hieraus erwachsen sind und noch erwachsen werden, wird verschließen können. Ich will hier nur als ein Stichwort für viele Probleme die Probleme der Sozialhilfe nennen. Wir stoßen bei dieser Betrachtung, meine Damen und Herren - darauf kommt es mir hier jetzt an -, auf eine grundsätzliche Frage, die auch Herr Kiehm schon angesprochen hat. Wirtschaftlicher und sozialer Wandel haben hierzulande zu neuen Aufgaben für die öffentlichen Hände insgesamt geführt und das Volumen alter Aufgaben anwachsen lassen. Auch bei den Trägern unseres Gemeinwesens, bei Bund, Ländern und Kommunen, sind Verschiebungen eingetreten, die in finanzpolitische Auswirkungen eingemündet sind. Dieser Entwicklungsprozeß ist noch längst nicht abgeschlossen. Es steht außer Zweifel, daß auch den Ländern und Gemeinden - neben höheren Kosten - eine erhöhte finanzpolitische Verantwortung zugewachsen ist. In diesem Zusammenhang muß dann aber auf eine grundsätzliche Dimension dieser Betrachtung hingewiesen werden. Es handelt sich um Probleme der Finanzausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden und ihre notwendige Kongruenz mit den Aufgaben, die auf der jeweiligen Ebene von Bund, Ländern und Gemeinden, also auf der jeweiligen Ebene des öffentlichen Handelns, vorzunehmen sind. Es handelt sich also, kurz gesagt, um die Kongruenz von Finanz- und Aufgabenstruktur. Wie ist es damit bestellt? Gewisse Eckdaten sind als statische Elemente in der Verfassung und in einzelnen Gesetzen festgeschrieben. Sie ständig zu ändern, wäre für die Stabilität eines Staatswesens, in dem die Gemeinden zudem durch die Verfassung garantierte Rechte haben, sicher nicht gut. Sinn derartiger Debatten wie der heutigen kann und muß es andererseits aber auch sein, über den Tellerrand der Tagespolitik, über den Zeitraum eines Haushaltsjahres hinauszuschauen, um mittel- und langfristige Tendenzen deutlich werden zu lassen, die dann zu einem bestimmten Zeitpunkt auch zu einer Veränderung der Finanzstruktur im Sinne des Kongruenzgedankens - hie Aufgabenstruktur, hie Finanzausstattung - nötigen können. Ich will in meinem Beitrag auf die Gemeindefinanzreform im übrigen nicht näher eingehen; das wird für die FDP-Fraktion nachher mein Kollege Rentrop tun. Festgehalten sei in aller Kürze hier nur zweierlei: Erstens. Die Gemeindefinanzreform von 1969/70 hat zu wesentlichen strukturellen Verbesserungen der Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände geführt. Sie sollte aber nach den damaligen Vorstellungen nur der erste Schritt sein. Zweitens. Die Entwicklung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer zeigt, daß die Dinge auch nach 1970, wenn auch nach Vorstellung der Gemeinden etwas zögerlich, in Fluß geblieben sind. Auch für die FDP-Fraktion bleibt die Forderung auf dem Tisch, daß die Änderung der Aufgabenstruktur allmählich dazu zwingt, die Finanzkraft der Gemeinden nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken. Auch als bestimmender Faktor in der durch die öffentlichen Hände beeinflußten Konjunkturpolitik spielen die Kommunen die wichtigste Rolle, da sie ja immerhin mehr als 60 % aller öffentlichen Investitionen erbringen. Deswegen fordern die Koalitionsfraktionen in ihrem Entschließungsantrag zur Großen Anfrage die Bundesregierung u. a. auf, gemeinsam mit den Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbänden Überlegungen für eine Fortführung der Gemeindefinanzreform zu entwickeln. Eine kurz befristete Maßnahme, wie sie zu diesem Thema der Entschließungsantrag der Opposition fordert, bringt da nichts. Die Fortführung der Finanzreform gehört gerade in einem föderativ strukturierten Gesamtstaat und gerade in der heutigen Situation zu den schwierigsten finanzpolitischen Operationen. Machen wir uns da doch nichts vor! Und jeder sollte bedenken, daß ohne eine Erhöhung der Steuerlasten, die erkennbar niemand will, ({5}) dieselben Staatseinnahmen nur einmal zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden. Das ist das berühmte Beispiel von der Torte, die ich nicht mehrmals verteilen kann. ({6}) Meine Fraktion denkt - das möchte ich hier anfügen - in diesem Zusammenhang im übrigen auch darüber nach, wie den Gemeinden originäre Finanzquellen oder eine anderweitige unmittelbare Einflußnahme auf die Gestaltung von Einnahmen dann eröffent werden können, wenn die Frage der Gewerbesteuer bzw. ihres Abbaus zur Entscheidung steht. Aber schon vor einer möglichen Fortführung der Finanzreform sollten Bundestag und Bundesrat sorgfältiger als bisher darauf achten, welche administrativen und finanziellen Belastungen durch Bundesgesetze auf die Kommunen zukommen. In unserem Entschließungsantrag richtet sich eine gleiche Empfehlung auch an die Länder, in deren Bereich die unmittelbarste Berührung von Staat und kommunaler Selbstverwaltung stattfindet. Gleichwohl erscheint es mir vordergründig, etwa mit der Opposition in einem Überhandnehmen von Bundesgesetzen und Programmen eine Einschränkung der Freiheit der kommunalen Selbstverwaltung annehmen zu wollen. So leicht ist das nicht. Zu Recht verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf den in der deutschen Verwaltungstradition bewährten Grundsatz der Einheit der Verwaltung, der durch die Ausführung staatlicher Gesetze durch die bürgernahe Kommunalverwaltung immer wieder verwirklicht wird. Damit ist die Frage einer Erweiterung des kommunalen Ermessensraums bei der Ausführung von Bundesgesetzen sicher noch nicht beantwortet. Unbestreitbar gibt es Situationen, in denen das Gebot der Gleichbehandlung dem Wunsch nach einer Ermessensfreigabe mit guten Gründen widersprechen kann. Dennoch sollte man bei künftigen Gesetzen, wo sie denn nötig sind - sage ich -, mehr darauf sehen, ob und inwieweit nicht unnötige Festlegungen der Verwaltung vor Ort besser vermieden werden können. ({7}) Wir können hier in der Tendenz den Vorstellungen der Opposition durchaus beipflichten, wenngleich ihre Vorwürfe zu diesem Punkt sehr allgemeingehalten sind und konkrete Hinweise nicht bringen; aber das kommt vielleicht noch. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach einer Entbürokratisierung durch Bundesregierung und Bundestag. Nun, Entbürokratisierung ist eine Forderung, die erstens immer populär ist und der sich zweitens natürlich niemand widersetzen kann. Das Wort Entbürokratisierung ist aber auch ein Paradebeispiel für eine Begriffsveränderung. Der Begriff Bürokratisierung ist in diesem Jahrhundert vom Positiven eindeutig ins Negative umgeschlagen. Bedeutete bürokratische Verwaltung z. B. bei Max Weber noch die Erfüllung rationaler Entwicklungsprozesse im Staat, und zwar auch im Interesse des Bürgers, so ist heute nur von Kleinlichkeit, Beschränktheit u. ä. die Rede. Dabei bedeutet die Beibehaltung rational begründeter, nachvollziehbarer und damit nachprüfbarer Entwicklungsmechanismen auch für den Bürger ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, die gerade in einer modernen Industriegesellschaft nicht leichtfertig unter den Tisch gekehrt werden kann. Hinzu kommt, daß die zunehmende Technisierung unserer Lebensverhältnisse und die darauf basierende Gesetzgebung an die Aussagekraft, möchte ich einmal sagen, gesetzlicher Normen und derer, die sie schaffen, besonders hohe Anforderungen stellen. Dennoch ist eine Tendenz zu einem Übermaß bürokratischer Verhaltensweisen in manchen Bereichen nicht zu verkennen. Dem zu begegnen, ist nicht einfach. Es ist sicher zu begrüßen, daß die Bundesregierung durch Justizministerium und Innenministerium eine Arbeitsgruppe die Verbesserung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften überprüfen läßt. Wir als Abgeordnete, gleich, in welchem Fachbereich, gleich, in welchem Fachausschuß, sollten mit äußerster Sorgfalt die Ausgestaltung von Rechtsvorschriften und ihre voraussehbare Anwendung in der Umsetzung in die Praxis vor Ort mehr als bisher in unsere Betrachtungen einbeziehen. Bei der Vorbereitung von Gesetzen und Rechtsverordnungen müssen deshalb die ausführenden Organe - hier vertreten durch die kommunalen Spitzenverbände - rechtzeitig, gründlich und umfassend beteiligt sein. Dies schreibt die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien vom 7. März 1975 vor. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Bundesregierung bei der Vorbereitung von Gesetzen und Rechtsverordnungen diese Geschäftsordnung verletzt hat. Aus der Arbeit des Innenausschusses zum Beispiel - es wird auch in anderen Fachausschüssen nicht anders sein - kann ich darüber hinaus berichten - meine Damen und Herren, das wissen Sie -, daß wir als Parlamentarier in Gesetzgebungsvorhaben, die die Kommunen entscheidend berühren, an den kommunalen Spitzenverbänden nicht vorbeigehen. Beispiele will ich mir ersparen. Zur Ausländersituation ist gestern bereits ausführlich gesprochen worden, auch soweit die Kommunen in diesem Bereich besonders betroffen sind. Daß sie es sind und in welchem Maße, braucht nicht mehr gesagt zu werden. Auch zur letzten Frage in der Großen Anfrage der Opposition, nämlich der Frage nach der Asylgesetzgebung, will ich mich daher nicht ausführlich äußern. Dem Parlament - d. h. hier den zuständigen Ausschüssen, insbesondere dem Innenausschuß und dem Rechtsausschuß - liegen zur Zeit zwei Entwürfe vor: der Entwurf der Bundesregierung und der Entwurf der Fraktionen der SPD und der FDP. Was also die Gesetzgebung angeht, ist jedenfalls die Bundesregierung gegenwärtig aus dem Obligo. Ich bin zuversichtlich, daß ein Entscheidungsvorschlag des federführenden Ausschusses diesem Hause sehr bald vorliegen wird. Aber, meine Damen und Herren, erinnern wir uns doch bitte auch daran, daß wir schließlich nicht untätig gewesen sind, weder das Parlament noch die Bundesregierung. Ich erinnere an die Vereinfachung der Asylgesetze von 1978 und 1980 und die flankierenden Maßnahmen, die die Bundesregierung 1980 dazu in der Frage der Arbeitserlaubnis und anderem mehr beschlossen hat. Sie haben zu einer Abnahme der Asylantenzahl geführt - sicherlich nicht ausreichend, das wissen wir alle. Deshalb bemühen wir uns alle, hier eine Regelung zu finden, die in Anerkennung des Grundrechts auf politisches Asyl zu einer zügigen und befrièdigenden Erledigung der Fälle führt und damit auch - das will ich dazu sagen - zu einer Entlastung der Gemeinden, die hier in vielerlei Hinsicht - das weiß ich - eine ganz große Last zu tragen haben. Ich komme zum Schluß. Das in Art. 28 des Grundgesetzes verankerte Recht auf kommunale Selbstverwaltung besitzt für die Freien Demokraten einen hohen Rang. Ich kann nicht verhehlen, daß in einer Zeit sich ständig verändernder Gegebenheiten in Wirtschaft und Gesellschaft dieses Bekenntnis täglich auf eine harte Probe gestellt ist. Wenn diese Debatte nicht nur eine kommunalpolitische Pflichtübung bleiben soll, müssen deshalb ohne Zweifel einige Konsequenzen aus unseren heutigen Erkenntnissen gezogen werden. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen von FDP und SPD enthält die wichtigsten Positionen, die mit dem richtigen Gefühl für das Notwendige und Machbare in Angriff genommen werden müssen. Spektakuläre Ankündigungen helfen in der Sache nicht, auch nicht den Kommunen. Ich halte deshalb unseren Antrag auch im Interesse der kommunalen Selbstverwaltung für einen sachgerechten Vorschlag. Es kommt in diesem Feld noch sehr viel Arbeit auf uns zu, Arbeit, deren Umfang manche vielleicht noch nicht recht ermessen können. Wir, die Fraktion der FDP, bitten - auch im Interesse der Städte, Gemeinden und Kreise und der Bürger in diesen kommunalen Körperschaften -, dem Entschließungsantrag, der Ihnen vorliegt, zuzustimmen. ({8})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Gerhart Rudolf Baum (Minister:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es für sehr gut, daß der Bundestag von Zeit zu Zeit über die Lage der Städte und Gemeinden in unserem Lande debattiert. Das ist keine Pflichtübung, sondern meines Erachtens ist es eine Pflicht dieses Parlaments, sich zu besinnen, daß die Demokratie in weiten Teilen unseres Landes eben in der Gemeinde zu leben beginnt. Ich finde, daß der Titel eines Buches, der mir im Laufe der Debatte eingefallen ist, von dem Verfasser vor einigen Jahrzehnten zu Recht mit „Gemeindefreiheit - Rettung Europas" gewählt worden ist. Die Gemeindefreiheit ist ein Wesenselement unserer Demokratie, und wir alle, Herr Kollege Waffenschmidt, werden ja wohl zugeben, daß sie eingeschränkt worden ist. Wir bedauern das alle. Aber wir werden doch nicht so weit gehen, wie Sie das soeben wieder gemacht haben, dies einseitig dieser Bundesregierung ins Stammbuch zu schreiben. Die Gesamtumstände, verehrter Herr Kollege, haben dazu geführt, daß sich die Gemeindefreiheit in den letzten Jahrzehnten nicht so entwickelt hat, wie ich mir das auch als früherer Kommunalpolitiker persönlich gewünscht hätte. Für diese Gesamtumstände ist doch nicht diese Bundesregierung verantwortlich. ({0}) - Aber ich bitte Sie! Herr Dregger, Sie regieren inzwischen in sieben Ländern. ({1}) Gucken Sie sich doch mal die Beziehungen zwischen den Ländern und den Gemeinden an! Seien wir doch bitte nicht so einäugig! Fragen wir uns doch mal alle hier in diesem Parlament: Wer hat denn die Gebietsreform gemacht? ({2}) Wir alle würden sie doch so nicht wieder machen. ({3}) - Aber bitte, hier sitzt doch jeder im Glashaus. Das war doch eine Beschädigung von Gemeindefreiheit; ({4}) da haben wir doch die Rechte und die Spielräume unserer Parteifreunde, die in den Gemeinden tätig sind, eingeschränkt. Da haben wir die Verwaltungseffizienz über die Gemeindefreiheit gestellt. Die Verwaltungseffizienz aber ist gar nicht eingetreten. Hier sitzt einer vor mir, der unmittelbare Erfahrung hat und der sich, wenn ich das richtig sehe, noch einmal freigekämpft hat. ({5}) - Nur mit dem Gericht, ja. Damals haben die Kirchenglocken geläutet, und ich habe mich darüber gefreut. Meine Damen und Herren, ich will damit nur deutlich machen, daß es so einfach nicht ist mit den Schuldzuweisungen. Verehrter Herr Kollege Waffenschmidt, wir sollten nicht die Probleme in unserer Gesellschaft, in unserem Lande gleich wieder zu Schuldzuweisungen verwenden. Sie, Herr Dregger, wären gestern viel überzeugender gewesen, wenn Sie das in der Ausländer-Debatte unterlasen hätten. Das wäre viel überzeugender gewesen. ({6}) Aber da muß - offenbar ist das Anweisung bei Ihnen - zunächst einmal die Bundesregierung ins Feuer gestellt werden, und dann kommt man so langsam zur Behandlung der Probleme, ({7}) Und dann kommt man auch zu gemeinsamen Betrachtungsweisen. ({8}) Es ist doch auch nicht so, Herr Waffenschmidt, daß Ihre Fraktion - das gilt auch für die anderen Fraktionen - sich bei den Gesetzgebungsvorhaben überschlägt in der Wahrnehmung der Interessen der Gemeinden. Sie wägen doch genauso ab wie wir. Auch Sie müssen sich doch Gedanken machen, ob wir unsere Verteidigungslasten finanzieren können, unsere Entwicklungshilfe. Da fließen doch viele Elemente in einen Bundeshaushalt ein, und man kann nicht nur eine einäugige Politik machen. Wir alle würden gern mehr für dieses oder jenes Gebiet tun. Summieren Sie, Herr Waffenschmidt, bloß einmal alle die Forderungen, die von Ihrer Fraktion an den Bundeshaushalt gerichtet worden sind! Da können Sie fast nichts mehr finanzieren. ({9}) Ich meine also, wir haben allen Anlaß, hier über die Gemeinden zu reden, uns auch als Bundestag zu verstehen - in den Grenzen, die uns gesetzt sind - als Anwälte der Gemeinden, der gemeindlichen Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung, die dort am unmittelbarsten zum Ausdruck kommt. Ich verkenne keineswegs, daß die schwierige Finanzlage, in der wir uns befinden, die Gemeinden vor ganz besondere Probleme stellt. Dort wird dem Bürger am unmittelbarsten Einschränkung zugemutet. Dort steht auch der Kommunalpolitiker am unmittelbarsten im Kontakt mit dem Bürger und muß das vertreten. Und die Einschränkungen sind tiefgreifend. Alles, was wir gelesen und gehört haben, zeigt uns, daß sich die finanzielle Enge, in der wir uns befinden, für die Kommunalpolitik außerordentlich drückend auswirkt. ({10}) - Ich denke an Köln, ich denke aber auch an andere Städte. Wissen Sie, ich führe gerade Tarifverhandlungen, und ich bin dort gehalten, meinem Tarifpartner zu sagen, wie schwierig die Lage der Kommunen ist. Ich bin sehr genau informiert über die Finanzsituation der Kommunen. Deshalb bin ich nicht glückBundesminister Baum lich über das, was die Kommunen als Tarifpartner jetzt gemacht haben. ({11}) Mehr möchte ich darüber nicht sagen. Im übrigen ist das Grundgesetz, Herr Waffenschmidt, auch nicht besonders freundlich mit den Gemeinden. Da gibt es ja nur den Bund und die Länder, wie wir wissen. ({12}) - Ja, das gibt es immerhin. Aber ich möchte hier sagen: Für mich sind die Gemeinden die dritte Säule des Staates, und sie haben, meine ich, auch ein unmittelbares Recht, ihre Anliegen, ihre Wünsche zu vertreten. Der Bund greift durch seine Gesetzgebung vielfältig in das kommunale Leben ein. ({13}) Das ist Grund und Gegenstand unserer heutigen Debatte. Der Bundestag in seiner legislativen, Bundesregierung in ihrer exekutiven Verantwortung müssen sich ständig fragen, ob die Rahmenbedingungen, die wir den Kommunen setzen, der Selbstverwaltung einen ausreichenden Spielraum belassen. Wir sind immer aufgefordert, diese Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskabinett am Mittwoch dieser Woche eine Initiative für Beschäftigung, Wachstum und Stabilität beschlossen, die natürlich auch Auswirkungen auf die Gemeinden hat, die, wie wir meinen, positiv sind. Herr Böhme wird gleich darauf eingehen. ({14}) - Auch das hat seine zwei Seiten. Sie haben nur eine Seite vorgetragen, Herr Waffenschmidt. Sie haben die belastende Seite vorgetragen; es gibt aber auch eine begünstigende Seite. ({15}) Sie werden sich mit Ihrer Weigerung auseinanderzusetzen haben, dieses Beschäftigungspaket mitzutragen, meine Damen und Herren von der Opposition. ({16}) Sie werden sich auch aus kommunalpolitischer Sicht damit auseinanderzusetzen haben. ({17}) Diese Verantwortung müssen Sie tragen. ({18}) Aus dieser Initiative der Bundesregierung folgen ganz erhebliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen, insbesondere für kommunale Investitionen. Ich nehme an dieser Stelle den Appell des Bundeskanzlers auf: Jetzt kommt es darauf an, daß wir alle, insbesondere aber Bund, Länder und Gemeinden, an einem Strang ziehen und das investitionspolitische und das psychologische Klima für die dringend erforderliche gesamtwirtschaftliche Aufwärtsentwicklung verbessern. ({19}) Auch die Gemeinden sind aufgerufen, soweit es ihnen möglich ist, die Bemühungen zu unterstützen. ({20}) - Dabei verkenne ich die Probleme nicht, in denen sie sich befinden, Herr Waffenschmidt. Diese Probleme hat jeder von uns vor der Haustür. Aber sie sind im Rahmen des Möglichen mit aufgerufen, dafür zu sorgen, daß wir das wirtschaftliche Tief überwinden. Daran kann kein Zweifel bestehen. ({21}) Wir wollen z. B. - ich nenne hier nur ein Beispiel, Herr Waffenschmidt - durch die Bereitstellung zusätzlicher ERP-Mittel in Höhe von 1,6 Milliarden DM vorzugsweise kommunale Umweltschutzmaßnahmen in den Bereichen Abfallwirtschaft, Abwasserreinigung und Luftreinhaltung fördern. ({22}) - Herr Dregger, es ist immerhin ein Anstoß. Sie werden mir nicht widersprechen, wenn ich sage, daß es da in unseren Gemeinden noch einen sehr großen Nachholbedarf gibt. ({23}) Sie kennen doch wie ich viele Gemeinden, die erst Rathäuser und andere schöne repräsentative Bauten errichtet haben, die aber erst jetzt ihre Kläranlagen bauen. ({24}) - Ich kann Ihnen aus der Hand eine Reihe von Städten und Gemeinden nennen, die so verfahren sind. Wenn der Bund hier also einen zusätzlichen Impuls setzt, dann sollten Sie das anerkennen. Das soll in dieser Debatte nicht verschwiegen werden. Der Umweltschutz stellt einen gesamtwirtschaftlich wichtigen Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor dar. Von ihm gehen erhebliche positive volkswirtschaftliche Impulse aus. Bundestag und Bundesregierung tragen ihrer Verpflichtung gegenüber den Kommunen in ihrem legislativen und exekutiven Handeln Rechnung, und deshalb haben auch Bundestag und Bundesregierung den kommunalen Spitzenverbänden in ihren Geschäftsordnungen besondere Mitwirkungsrechte eingeräumt. Ich erinnere mich noch daran, wie wir darüber lange debattiert haben. ({25}) Ich kann wohl sagen, daß sich das Verfahren bewährt hat, Herr Waffenschmidt. Ob das immer zu den Ergebnissen führen kann, die sich die andere Seite vorstellt, ist eine andere Sache. Für diese Mit5010 wirkung, der wir vielfältige Anregungen und Hilfen zu verdanken haben, möchte ich den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich danken, ({26}) Die Regelung hat sich bewährt. Es hat in den letzten Jahren immer weniger Beanstandungen im Hinblick auf das Verfahren gegeben, und das ist eine gute Entwicklung. ({27}) - Das haben wir gemeinsam ausgearbeitet, und es kam darauf an, zu sehen, ob so etwas auch läuft. Diese Probe hat das Verfahren bestanden. ({28}) Sosehr ich die heutige Debatte begrüße, so entschieden widerspreche ich dem durch die Anfrage und durch die heutigen Beiträge der Opposition, insbesondere von Herrn Waffenschmidt - das andere kommt j a noch -, ({29}) vermittelten Eindruck, die Bundesregierung schere sich nicht um die Sorge der Städte und Gemeinden. - Sie können mich ja noch positiv überraschen, meine Damen und Herren, indem Sie in diesem Saal ein Problem einmal so abhandeln, daß es wirklich um das Problem und nicht um politische Schuldzuweisungen geht, jedenfalls dann, wenn sie gar nicht berechtigt sind. ({30}) - Das wollen wir sehen. Die Lernfähigkeit kann sich hier auch noch in den nächsten Minuten und Stunden beweisen. ({31}) - Ich kann das leider nicht hören. Es müssen bemerkenswerte Dinge sein, die Sie mir jetzt entgegenhalten. Bevor ich dies anhand einiger Einzelpunkte belege, lassen Sie mich Ihnen von der Opposition grundsätzlich noch folgendes sagen: Auch Sie beschließen die Gesetze mit in diesem Hause, in vielen Fällen, in sehr vielen Fällen, jedenfalls in sehr viel mehr Fällen, als dies der Öffentlichkeit bewußt ist; ({32}) in nahezu allen Fällen beschließen Sie die Gesetze mit. Im Bundesrat haben Sie die Mehrheit. Sie stellen die Regierung in den meisten Bundesländern, die j a Verantwortung für die Gemeinden tragen. Ich meine, charity begins at home, d. h. Gemeindefreundlichkeit muß die Opposition in erster Linie in den von ihr regierten Bundesländern beweisen. - Herr Waffenschmidt, vielleicht schickt Ihre Fraktion Sie als Gastredner in die Parlamente dieser Bundesländer, damit Sie diese Position einmal erläutern. ({33}) Die Kommunen fordern zu Recht eine ausreichende Finanzausstattung einschließlich der Umwandlung von Zweckzuweisungen in allgemeine Zuweisungen, um für die eigenständigen kommunalen Vorhaben Entscheidungsraum zu behalten. Herr Böhme wird für den Finanzminister zu diesem ganzen Komplex Stellung nehmen. Ich möchte mir das hier ersparen. Wesentliche Forderungen der Kommunen gehen auf die Abschwächung der staatlichen Regelungsdichte. Hierzu hat Herr Kollege Wendig einiges Bemerkenswerte ausgeführt. Ich könnte es mir einfach machen und darauf verweisen, daß das Grundgesetz die Ausführung des Bundesrechts grundsätzlich den Ländern übertragen hat; wer also die Forderung erhebt, die Kommunen von Staatsaufgaben zu entlasten, der solle sich an die Länder wenden. Ich möchte jedoch klar sagen: Die kommunale Selbstverwaltung ist nicht schon dadurch beeinträchtigt, daß von den Kommunen neben den Selbstverwaltungsaufgaben auch Aufgaben ausgeführt werden, die ihnen der Staat zugewiesen hat. Darüber werden wir uns j a wohl nicht streiten. Ich sehe darin vielmehr eine Ausformung des in der deutschen Verwaltungstradition bewährten Grundsatzes der Einheit der Verwaltung. Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit der Kommunalverwaltungen kommen so auch der Erfüllung staatlicher Aufgaben zugute. Für diese Wahrnehmung staatlicher Aufgaben - es sind inzwischen sehr viele geworden - müssen wir den Kommunen als Bundesorgane sicher danken. Der Frage der durch die Bundesgesetzgebung verursachten Mehrausgaben ist in einem von der Bundesregierung geförderten Gutachten des Deutschen Instituts für Urbanistik nachgegangen worden. Die Antwort der Bundesregierung stellt das Ergebnis ausführlich dar. Die unmittelbaren und die mittelbaren, die belastenden und die entlastenden Auswirkungen lassen sich weder abschließend quantifizieren noch saldieren. Das ist unsere Meinung. Ich wiederhole: Sie lassen sich weder abschließend quantifizieren noch saldieren. Die Kommunen können aber sicher sein, daß wir ihre Probleme, wie sie in der Anfrage aufgeworfen und in dem erwähnten Gutachten behandelt sind, sehr sorgfältig sehen und beobachten. Es wird über die Regelungsdichte geklagt. Ich meine, diese Klage müsen wir ernst nehmen; wir haben j a die bürgerschaftliche Selbstverantwortung eine Zeitlang nicht so ernst genommen. Es ist jetzt an der Zeit - ich stimme Ihnen voll zu, Herr Waffenschmidt -, daß wir wieder an unsere Bürger appellieren, vieles in eigene Hände zu nehmen, ({34}) vieles wieder selber zu machen, was man früher dem Staat, der Gemeinde übertragen hat. Ich glaube, die Gemeinden sind in der Lage, den Bürgern Hilfe zu geben, Rahmenbedingungen für Selbsthilfe, für eigenes Engagement zu schaffen. Zu diesem Engagement sind die Bürger nicht nur in der Lage, sie wollen es auch. Ich glaube, es ist durchweg festzustellen, daß sich die Bürger wieder beteiligen wollen, daß sie Verantwortung übernehmen wollen, auch für den Mitmenschen. ({35}) Dies alles sollten wir fördern. Hier gibt es keine Meinungsverschiedenheiten. ({36}) - Nicht schon wieder Vorwürfe, wenn man jetzt hier eine Gemeinsamkeit feststellt. Wir sitzen doch alle in den Gemeinden, alle Parteien. - Es kommt darauf an, Dämme gegen eine allzu perfektionistische Vorschriftenflut zu bauen. Einige Erfolge haben wir bei der Vereinfachung des bestehenden Rechts bereits erzielt, wie die Beispiele des Verwaltungsverfahrensrechts, der Statistikbereinigung und des Baurechts zeigen. Weiterhin haben alle Ressorts nach einem Kabinettsauftrag zu überprüfen, ob Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihres Bereichs aufgehoben oder vereinfacht werden können. Darüber hinaus haben wir zur Frage des Abbaus der Regelungsdichte vor kurzem eine Anhörung von Verwaltungswissenschaft und Praxis unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände im Innenministerium gehabt. Danach kommt es im Entwurfsstadium von Vorschriften auf eine Reihe von Grundfragen an, mit deren Hilfe wir Überregelungstendenzen entgegenwirken wollen. Ein erster Kriterienkatalog zur Frage der Notwendigkeit von Vorschriften liegt vor. Der weiteren Differenzierung und Verfeinerung des Instrumentariums soll die Arbeit einer interministeriellen Arbeitsgruppe dienen, die wir eingesetzt haben. Wir müssen uns allerdings bewußt bleiben, daß sich komplexe Lebenssachverhalte - hier sollten wir dem Bürger auch nichts vormachen -, wie sie in einem modernen Industriestaat auftreten, eben nicht durch Generalklauseln und nach Treu und Glauben allein beherrschen lassen. Soziale Gerechtigkeit z. B. erfordert oft sehr komplizierte Gesetze. Einfache Gesetze können Sie machen, wenn Sie auf diese unterschiedlichen Bewertungen verzichten wollen. Sie haben von der Ausländer- und Asylpolitik gesprochen. Ich möchte jetzt nicht das alles wiederholen, was wir gestern in diesem Saale gesagt haben. Herr Kollege Waffenschmidt, das ist sicherlich nicht nötig. Nur finde ich nicht richtig, was hier gesagt worden ist, auch von Ihnen, Herr Müller, gestern abend. Die Gemeinden sind nicht alleine gelassen worden. Ich gehe davon aus, daß die Verfassung auch für die Gemeinden gilt. Art. 16 gilt auch für sie. Ich habe mich als verantwortlicher Bundesminister mit dem Grundrecht auf Asyl auseinanderzusetzen. Es gilt für mich. Grundrechte müssen sich ja erst in ihrem Wert beweisen, wenn es schwierig wird. Das heißt, wir müssen gemeinsam mit der Situation fertig werden. ({37}) Dazu ist einiges geschehen. Aber Sie können doch nicht so tun, als ob die Gemeinden irgendwo unten sitzen und der Bund allein oben mit Art. 16. ({38}) - Ich kann Ihnen doch nur noch einmal sagen, Herr Waffenschmidt: Im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministeriums laufen die Verfahren jetzt sechs Monate, sieben Monate. Mehr ist nicht zu machen. Wenn die Ausländerbehörden der Städte die Anträge schneller schicken würden, dann ginge es noch schneller. Das sind gar nicht so Rechtsfragen, das sind Kanzleifragen. Wir sind der Sache nachgegangen, wie lange es denn dauert, bis die Behörden einen Antrag übermitteln, wie lange es denn dauert, bis ein Urteil heute in den Kanzleien unserer Gerichte getippt ist. Hier kann man noch eine Menge machen. Das geht alle staatlichen Ebenen an und nicht nur den Bund. Ich habe Ihnen gesagt, mir ist die Lage der Gemeinden sehr bewußt. Ich sehe z. B., was in Köln los ist. ({39}) Wir versuchen jetzt, diese Spannung aufzulösen, unter Wahrung des Grundrechts, wie wir uns wohl alle darum bemühen. Da kann man nicht sagen, die Gemeinden würden alleine gelassen. Wir haben das Personal in Zirndorf wesentlich erhöht. Wir haben uns bemüht, das Verwaltungsverfahren zu straffen. Bei den Verwaltungsgerichten muß die Straffung des Verfahrens noch geschehen. Da haben Sie recht. Dazu habe ich ja gestern einiges gesagt. Wir haben über den Familiennachzug gesprochen. Wir haben gestern über die wichtigen Probleme gesprochen, die sich insbesondere durch ausländische Jugendliche stellen, durch die Gettobildung in unseren Städten, die j a insbesondere von den Ausländerproblemen berührt und belastet sind. Aber hier gibt es ja Defizite an Entscheidung auch in den Gemeinden. Wir müssen uns - ich sage das noch einmal - doch bewußt sein, daß wir die Folgeprobleme, die mit dem Ausländerzuzug seit 1955 entstanden sind, unterschätzt haben. Wir haben doch gedacht, das sind Gastarbeiter, die eines Tages weggehen. Inzwischen stellen wir fest, daß z. B. 30 % der Türken bereits zehn Jahre hier leben und daß viele Kinder hier geboren sind. Wir müssen uns jetzt mit den Folgeproblemen auseinandersetzen, mit den Schulproblemen auseinandersetzen. Das alles, meine verehrten Kollegen, war doch in gewisser Hinsicht vorhersehbar, daß soundso viel Türkenkinder im Jahre 1981 in die Grundschule kommen würden. Wir haben uns nicht klargemacht, daß wir nicht nur Arbeitskräfte geholt haben, sondern Familien mit all den Problemen, die dadurch entstehen, daß Kinder, Jugendliche in unserer Gesellschaft gleiche Lebenschancen haben wollen. Das ist doch die Lage. Sie müssen doch auch bitte die andere Seite der Medaille sehen. Was würde denn in der Wirtschaft geschehen, wenn ès keine Ausländer mehr gäbe? Ich höre so manche Unternehmer, die sich über das Asylantenproblem ereifern. Ich habe mit Gastwirten diskutiert, die heftige Vorwürfe gemacht haben. Dann habe ich festgestellt: Hinten in den Spülküchen dieser Gastwirtschaften stehen die Asylanten. Die Küche würde zusammenbrechen, wenn sie nicht dastünden. ({40}) Also bitte weniger Selbstgerechtigkeit und weniger Heuchelei bei diesem Thema! Beim Umweltschutz sind die Kommunen in besonderer Weise berührt und auch gefordert. Die Kommunen sind die wichtigsten öffentlichen Umweltschutzinvestoren. Wir wollen dazu einen Anstoß geben, den Sie offenbar gering einschätzen, Herr Dregger. Vielleicht können Sie dazu einiges sagen, wenn Sie gleich reden. Auf kommunaler Ebene werden einerseits die meisten Umweltprobleme verursacht, andererseits ist hier auch diejenige umweltpolitische Ebene, auf der die Maßnahmen ansetzen müssen. Wir geben in vielfacher Weise Planungshilfen zur Bewältigung der kommunalen Umweltprobleme. Das Umweltbundesamt steht als Serviceeinrichtung den Kommunen zur Verfügung. Sie wird auch genutzt. Die stärkere ökologische Ausrichtung umweltpolitischer Strategien und Maßnahmen ist notwendig, um das Ziel einer durchgreifenden Verbesserung der Umwelt zu erreichen. Hier gibt es eine Reihe ungelöster Probleme. Herr Kollege Kiehm hat schon auf das Verkehrslärmschutzgesetz hingewiesen. Es ist in der letzten Legislaturperiode gescheitert. Ich würde an Ihrer Stelle nicht so ohne weiteres über dieses Thema hinweggehen. Ich bin mir der finanziellen Schwierigkeiten sehr wohl bewußt, die sich hier insbesondere für die Altstraßen stellen. Aber ich meine, im Interesse der Rechtssicherheit sollten wir uns bemühen, eine Regelung zu finden, möglicherweise nur für die neuen oder für die neu auszubauenden Straßen. Das Thema ist jedenfalls noch nicht vom Tisch, das Problem auf keinen Fall. Daß viele Bürger in unseren Städten, insbesondere diejenigen, die sich keine teure Wohnung leisten können, vom Verkehrslärm beeinträchtigt werden, ist doch nicht zu bestreiten. Der Gewässerschutz spielt bei den kommunalen Investitionen eine große Rolle. Darauf gehen wir in unserer Antwort besonders ein. Hier gibt es große Anstrengungen der Gemeinden im Kläranlagenbau. Dies möchte ich ausdrücklich würdigen. Ich möchte dies auch auf das umstrittene Abwasserabgabengesetz zurückführen. Mich erreichen immer noch Briefe und Stellungnahmen von Kommunen, die sich über dieses Gesetz beklagen. Ich kann sie nur dringend auffordern, wenigstens dieses Gesetz, das ja nicht alle Wünsche der Umweltschützer und auch nicht alle meine Wünsche erfüllt hat, zu erfüllen. Industrie und Wirtschaft haben sich darauf eingestellt. ({41}) Der Staat muß dies auch tun. Die Gemeinden müssen sich so verhalten, daß sie ein Vorbild für Wirtschaft und Industrie sind. Mit diesem Gesetz wurde in marktwirtschaftlicher Weise für Gewässerverschmutzung ein Preis gesetzt, der einen weitgehenden Verzicht auf diese Verschmutzungen finanziell interessant macht. Als Ergänzung der wasserrechtlichen Instrumente unterstützt der Bund die Gemeinden im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten in ganz erheblichem Maße durch Finanzierungshilfen, die in der Antwort im einzelnen dargelegt sind. Die Klärschlammverordnung, die wir vorgelegt haben, kann nicht die Grundprobleme der Schadstoffbelastung der kommunalen Abwässer lösen. Dieses Grundproblem, das ich meine, erfordert eine massive Abwasservermeidungsmaßnahme an der Quelle der Schadstoffbelastung, also beispielsweise bei den an die städtischen Kanalisation angeschlossenen Industriefirmen. Hier sind die Gemeinden in der Pflicht, alles zu tun, um die kanalbenutzenden Unternehmen dazu anzuhalten, die Einleitung von Schadstoffen wie Cadmium und Quecksilber zu vermeiden. Ich meine, daß sich hier eine Verschärfung der Einleitungsbedingungen und möglicherweise eine verursachergerechte und schädlichkeitsbezogene Umgestaltung der erhobenen Gebühren anbieten. Das haben einige Gemeinden gemacht und damit guten Erfolg erzielt. Es dürfte einleuchtend sein, wenn die Entwässerungsgebühren nicht mehr wie bisher nahezu ausschließlich nach der umweltpolitisch wenig aussagekräftigen Wassermenge, sondern nach der Schädlichkeit des Abwassers bemessen würden. Wenn nicht bald derartige wirtschaftlich vernünftige und umweltpolitisch wirksame Maßnahmen auf breiter Front eingesetzt werden, werden wir Investitionen in sehr großer Höhe erbingen müssen, um aufwendige Klärschlammbeseitigungsanlagen zu bauen. Eine abfallwirtschaftlich erfreuliche Entwicklung ist insbesondere im Hausmüllbereich zu verzeichnen, wo der Anteil der verwerteten, also der im Wirtschaftskreislauf weiter verwendeten Abfälle systematisch ansteigt. Dieser positive Trend ist auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung die Entwicklung und Erprobung neuer Konzepte der Abfallbehandlung seit Jahren intensiv fördert und damit den Kommunen als Trägern der Abfallbeseitigung wertvolle Hilfestellung gibt. Ich erinnere an die Abfallmessen, die inzwischen stattfinden; ich erinnere beispielsweise an spektakuläre Vorhaben in Neuss. Hier findet ein unmittelbarer Kontakt der Bundesregierung mit den Gemeinden statt, um das Abfallproblem zu bewältigen. Nach wie vor ist die Verringerung des Abfallaufkommens aus Getränkeverpackungen insgesamt aus Umweltschutz- und EnergieeinsparungsgrünBundesminister Baum den eine Schwerpunktaufgabe im Bereich der Abfallwirtschaft. Herr Kollege Waffenschmidt, ich wäre dankbar, wenn mich alle Kollegen Ihrer Fraktion, die sich so sehr um Kommunalpolitik bemühen, beispielsweise bei meinem Bemühen unterstützen würden, die Mehrwegflasche vom Markt etwas wegzudrängen und die Verpackungen etwas weniger materialaufwendig zu gestalten. Da sind Sie als Kommunalpolitiker mit gefragt. Ich würde mich freuen, wenn Sie dazu in der nächsten Debatte zum Umweltschutz Stellung nähmen. Die Verbandsklage ist angesprochen worden. Sie ist inzwischen ein Reizthema. Ich bin nicht der Meinung, daß sie ein Reizthema sein muß. Ich weiß, da gibt es viele Skeptiker. Wir wollen sie j a gar nicht allgemein einführen, sondern nur - ich sage wirklich „nur"; ich meine das ernst - für einen Bereich, der in besonderer Weise dafür geeignet ist, nämlich für den Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes, wo es für eine ganze Reihe von Vorhaben keine Betroffenen gibt, die sich zur Wehr setzen könnten. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre negative Stellungnahme aufrechterhalten können, Herr Waffenschmidt, wenn Sie sich einmal intensiv mit den Erfahrungen auseinandersetzen, die die Schweiz gemacht hat. Wo es keine den öffentlichen Umweltschutzinteressen gleichgelagerten Individualrechte gibt, wie im Naturschutz, ist das doch zumindest erwägenswert. Ich bin nicht der Meinung, daß wir uns damit rechtliche oder verfassungsrechtliche Schwierigkeiten einhandeln. Die Verbandsklage im Bereich des Naturschutzrechts und der Landschaftspflege ist nämlich lediglich ein zusätzlicher Auslösungsmechanismus für verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle. Die jeweiligen Handlungs-, Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse der staatlichen Exekutive und der Parlamente bleiben unberührt. Einige Sätze zur Kulturarbeit, zur Kulturpolitik. Die Gemeinden haben hier eine große Last zu tragen. Stuttgarts Oberbürgermeister Rommel hat zu Recht davon gesprochen, daß Kulturpolitik in der Bundesrepublik in erster Linie Kommunalpolitik sei. Das merken wir, wenn in den kommunalen Haushalten jetzt einmal das Verhältnis der einzelnen Ausgabenpositionen dargestellt wird. Das muß man anerkennen. Die Kommunen sind der Hauptträger der Kulturförderung in unserem Lande. So ist es. Nach wie vor gilt, daß die Gemeinden mehr als 60 % aller Kulturausgaben erbringen. Was damit erreicht wird, zeigen 17 Millionen Theaterbesucher jährlich, 17 Millionen Besucher von Museen usw. usw. Unsere Städte stehen damit in der guten deutschen Tradition einer dezentralisierten und damit vielfältigen kulturellen Entwicklung. Hier sind der Nährboden für das kulturelle Geschehen in unserem Lande und die Grundlage für herausragende Institutionen von Weltruf. Unsere Gemeinden unterhalten ja kulturelle Institutionen, die in anderen Ländern nur vom Gesamtstaat und nur einmal in der Hauptstadt unterhalten werden. In unserem Lande geschieht das in vielfältiger Weise. ({42}) Bei allem Verständnis für die Finanznöte der Gemeinden meine ich, daß sie in die Mittel für die Kulturarbeit jedenfalls nicht überproportional eingreifen sollten. ({43}) - Das gilt für Bundes- und Landeszuschüsse; für Landeszuschüsse auch. - Gerade in einer Zeit, in der sich die Menschen von einer starken materiellen Lebensorientierung etwas wegbegeben, hat die Kulturpolitik einen besonderen Stellenwert. Dem sollten wir gemeinsam Rechnung tragen. Ich möchte erwähnen, daß der Bund j a auch für die Kulturarbeit der Städte mit bescheidenen Mitteln - von den Ländern im übrigen immer wieder bestritten, Herr Kollege Kühbacher - einiges leistet, etwa durch Förderung von gesamtstaatlichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Einrichtungen in den Städten, von Bayreuth bis Recklinghausen. ({44}) Vergleichbares gilt für den Sport. Die Gemeinden tragen die Hauptlast der Sportförderung. Hier sind in besonderem Maße die 60 000 Vereine in unserem Lande betroffen. Ich möchte Ihnen nicht verschweigen, daß gerade jetzt, nachdem die Haushaltspläne in den Gemeinden aufgestellt worden sind, der Deutsche Sportbund sich wiederholt auch an uns gewandt und seiner Sorge über die Entwicklung der Sportförderung Ausdruck gegeben hat. Ich habe Erfahrungen, daß sich der deutsche Sport den Sparnotwendigkeiten keineswegs verschließt. Das haben wir in bezug auf den Bundeshaushalt, Herr Kühbacher, im letzten Jahr gesehen. Er zeigt sich als verantwortungsbewußter Teil unserer Gesellschaft durchaus solidarisch. Ich kann auch im einzelnen die Sparbeschlüsse von Ländern und Gemeinden nicht beurteilen und bewerten. Die Gemeinden sollten nur darauf achten, daß Kernbereiche der Sportförderung nicht angetastet werden. ({45}) Wir haben als ständiges Diskussionsthema die Bürgerbeteiligung, die Bürgernähe, gerade angesichts von schwierigen, umstrittenen Vorhaben. Auch auf dem gemeindlichen Sektor wird es uns darum gehen müssen, die Bürger auch ganz unkonventionell zu beteiligen, uns nicht zu verschließen vor spontanen Zusammenschlüssen der Bürger, das ständige Gespräch zu führen, die frühzeitige Information zu pflegen. Dies ist gerade jetzt notwendig, nachdem die Gebietsreform so viel gemeindliche Selbstverwaltung unnötigerweise beseitigt hat. Meine Damen und Herren, es wäre noch ein Wort zum kommunalen Wahlrecht zu sagen. Ich habe mir mit Interesse noch einmal vor Augen geführt, daß bei der letzten Kommunalwahl in Baden-Württemberg über 90 % der Wähler von der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens Gebrauch gemacht haben. Sie haben also differenziert gewählt. Ich glaube, diese Zahl macht das starke Interesse unserer Bürger an dieser Art bürgergerechter und bürgernaher Wahl besonders deutlich. Lassen Sie uns bei aller Unterschiedlichkeit der Ansichten in diesem Hohen Hause immer dann zu5014 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 84. Sitzung. Bonn, Freitag, den b. Februar 1982 sammenarbeiten, meine Kollegen, wenn es um das Wohl unserer Städte und Gemeinden geht, aber, Herr Kollege Waffenschmidt, in Abwägung mit allen Zielen, die uns hier gestellt sind, als Vertreter der deutschen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt auch andere Ziele, und hier muß ein Interessenausgleich stattfinden. Das muß man auch in dieser Debatte beweisen, wenn man glaubwürdig sein will. Wenn es also irgend geht, finden Sie auch mich persönlich auf der Seite der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung, auf der Seite der Städte und Gemeinden. ({46})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in meinem Beitrag - wenn ich es einmal salopp ausdrücken darf - auf jede Gemeinde-Lyrik, die in der Rede des Innenministers eine so große Rolle gespielt hat, verzichten. Ich möchte auch darauf verzichten, über viele andere wichtige Dinge zu plaudern. Ich möchte mich im Rahmen der in der Fraktion abgesprochenen Arbeitsteilung auf einen Punkt konzentrieren, auf den Nervus rerum, auf die Gemeindefinanzen. In der Tat, die Gemeinden haben weniger Schulden gemacht als die Bundesregierung. ({0}) Von 1969 bis 1981 stiegen die Schulden der Gemeinden immerhin um das 2,3fache, was schlimm genug ist, die des Bundes um das 5,3fache, ({1}) was katastrophal ist, weil dadurch der Gesamtstaat finanziell handlungsunfähig geworden ist. ({2}) Aber im Grunde geht es nur um Abweichungen im Rahmen des Negativen. Rechtfertigen es diese Abweichungen, den Bund aus seiner finanzwirtschaftlichen Gesamtverantwortung, auch für die Gemeindefinanzen, zu entlassen? Ich meine nein, aus mehreren Gründen. Zunächst: Es kommt weniger auf die hinter uns liegende als auf die zu erwartende Entwicklung an. ({3}) Bei dieser Prognose werden die Gemeindefinanzen deshalb besonders zu würdigen sein, weil die Gemeinden die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bundes nur erleiden, aber nicht beeinflussen können. ({4}) Was in Bonn falsch gemacht wird - und im letzten Jahrzehnt ist Schreckliches falsch gemacht worden -, kann in den Gemeindeparlamenten von Bonn oder von Köln oder von Kassel nicht wiedergutgemacht werden. ({5}) Ferner sind die Gemeinden - die Zahl wurde schon mehrfach genannt - mit zwei Drittel der öffentlichen Investition Hauptträger der Konjunktur, insbesondere der Baukonjunktur. Was hat es für einen Sinn, in Bonn ein Beschäftigungsprogramm zusammenzuklauben, wenn gleichzeitig die Gemeinden investitionsunfähig werden? ({6})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Dr. Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Vergnügen.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dregger, um abzuchecken, wie ernst Ihre erste Aussage bezüglich der kommunalen Finanzausstattung ist, darf ich Sie fragen: Waren Sie für oder gegen die Lohnsummensteuerabschaffung? Darf ich Sie fragen: Sind Sie für oder gegen die Abschaffung der Gewerbesteuer nach Kapital und Ertrag?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich war für die Abschaffung der Lohnsummensteuer bei vollem Ausgleich. Ich bin gegen die Abschaffung der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital. ({0}) Ich sagte es schon: Mit zwei Dritteln der öffentlichen Investitionen sind die Gemeinden Hauptträger der Baukonjunktur. Was an kommunalen Investitionen verlorengeht, kann durch Beschäftigungsprogramme des Bundes von 6 oder 10 Milliarden DM nicht wieder ausgeglichen werden. Schließlich: Wenn nicht nur einzelne Gemeinden in Schwierigkeiten geraten, wenn jetzt nahezu alle Gemeinden gezwungen sind, das konjunkturpolitisch Falsche zu tun, nämlich die Abgabenlast zu erhöhen, den Kapitalmarkt noch stärker in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig die Investitionen zu kürzen, dann kann das nicht örtlich verursacht sein, dann muß das an den Rahmendaten liegen, die der Bund setzt, dann ist das eine Niederlage nicht nur für die örtliche, sondern auch für die Volkswirtschaft, dann ist das eine Niederlage, für die nicht die Gemeinden verantwortlich sind, sondern die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit. Wie wird sich die Finanzlage der Gemeinden weiter entwickeln? In ihrer Antwort hat die Bundesregierung das Jahr 1980 zur Grundlage ihrer vergleichenden Wertung gemacht. Dieses Jahr ist dafür besonders ungeeignet, weil es völlig atypisch ist. Im Jahre 1980 kamen verschiedene für die Gemeinden günstige Sonderfaktoren zusammen, die sich nicht wiederholen werden. Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer wurde damals erhöht, die Gewerbesteuerumlage der Gemeinden wurde gesenkt. Dafür fiel die Lohnsummensteuer weg, aber es gab 1980 noch ein Restaufkommen an Lohnsummensteuer, das dann auslief. Schließlich haben es geschickte Stadtkämmerer geschafft, daß Gewerbesteuerzahlungen von 1979 auf 1980 verlagert wurden, um auf diese Weise in den Genuß der verminderten Gewerbesteuerumlage zu kommen. Das war das Jahr 1980. Das von der Bundesregierung nicht mehr gewertete Jahr 1981 war ein Übergangsjahr mit bereits negativen Tendenzen. Die Steuereinnahmen und die Investitionen der Gemeinden gingen zurück, die Verschuldung nahm zu. Mit dem Jahr 1982 werden die negativen Tendenzen dramatisch. Das zeigen die für die Gesamtentwicklung unserer Volkswirtschaft wichtigen Investitionen. Nachdem sie bereits 1981 um 3 % gekürzt wurden, werden sie 1982 noch einmal um 12,5 % zurückgehen. Bei dieser Entwicklung kann kein Zweifel sein: das Jahr 1983 wird zum Debakel für die Gemeindefinanzen, wenn es nicht zu einer völligen Neuorientierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik kommt. ({1}) Für die dramatische Verschlechterung der Gemeindefinanzen sind neben der miserablen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung auch langfristige Fehlentwicklungen im Bereich der Personalkosten und der Transferleistungen verantwortlich. Meine Damen und Herren, in den 70er Jahren hat sich die Zahl der Staatsdiener um 1,1 Millionen erhöht, während die Zahl der in der Privatwirtschaft Beschäftigten um 1,3 Millionen zurückgegangen ist. ({2}) Die Belastung der Gemeindehaushalte mit Personalausgaben stieg dementsprechend von 15 Milliarden im Jahre 1970 auf knapp 44 Milliarden im Jahre 1981, also auf rund das Dreifache. ({3}) - Das kommt jetzt. In Ihrer Antwort auf die Frage 7 unserer Anfrage - sie befaßt sich mit dem Einfluß von Bundesgesetzen auf die Gemeindefinanzen - will die Regierung glauben machen, nur 2,6 % der zusätzlichen Personallasten seien direkt auf den Einfluß des Bundes zurückzuführen. Die Regierung zitiert das von ihr angeführte Gutachten jedoch so unvollständig, daß es einer Täuschung nahekommt. ({4}) Weggelassen wird der Eingangssatz zu dem zitierten Satz, aus dem hervorgeht, daß es sich bei den 2,6 % um die „chemisch reinen", „monokausalen Ursachen" einer Personalvermehrung bei den Gemeinden - so bezeichnen es die Gutachter - handelt. Eine Ziffer weiter heißt es dann - ebenfalls nicht in das Zitat aufgenommen - wörtlich: Insgesamt hat das Bundesrecht bei 36 % der Stellenneubeschaffungen in den Jahren 1970 bis 1977 eine mehr oder weniger große Rolle gespielt. ({5}) In Ziffer 5 dieses Gutachtens, das der Antwort der Bundesregierung zugrunde liegt, heißt es schließlich, daß die größten Stellenvermehrungen der Gemeinden dort stattgefunden haben, wo auch die höchste Zahl bundesrechtlich ausgelöster Stellen zu verzeichnen ist. ({6}) Besonders stark stieg der zweite große Ausgabenblock der Gemeinden, die Sozialausgaben, nämlich von 4,43 Milliarden DM im Jahre 1970 auf 17,1 Milliarden DM 1981, also nicht - wie bei den Personalkosten - „nur" auf das Dreifache, sondern sogar auf das Vierfache. Für das laufende Jahr wird ein weiterer Anstieg von 2 Milliarden DM erwartet. Noch weniger als die Personalkosten können die Sozialausgaben von den Gemeinden beeinflußt werden. ({7}) Sie sind weitgehend bundesgesetzlich bestimmt. Die Gemeinden haben keinen Einfluß auf das Bundessozialhilfegesetz, ({8}) auf die originäre Arbeitslosenhilfe und auf das Kindergeld. Wenn sich auf Grund bundesgesetzlicher Regelungen die Betroffenen bei den Arbeitsämtern ab- und bei den Sozialämtern der Gemeinden anmelden, ({9}) bleibt den Gemeinden nichts anderes übrig, als zu zahlen. ({10}) Wenn sich die Bundesregierung um die Beschaffung der dafür notwendigen Einnahmen nicht kümmert und dadurch die Gemeinden zwingt, in dieser Konjunkturlage die Schulden und die Steuerlasten zu erhöhen und die Investitionen zu kürzen, ist das, meine Damen und Herren, auch volkswirtschaftlich unverantwortlich. ({11}) Was für die Gemeinden jetzt notwendig ist, ist auch für den Gesamtstaat, für die Volkswirtschaft und die Vollbeschäftigung notwendig: Erstens. Steuererhöhungen, auch kommunale Steuererhöhungen, müssen vermieden und die normale Investitionsquote muß aufrechterhalten werden. Das ist schwer. Das setzt eine Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte voraus: Weg vom Übermaß an Personalausgaben und Transferleistungen! Nur so kann das Tempo der Neuverschuldung und der Ausgabenerhöhung gestoppt und Raum für Investitionen zurückgewonnen werden. Diese Umstrukturierung kann nur vom Bund eingeleitet werden. Die Führungsaufgabe obliegt der Bundesregierung. Diese ist ihrer Aufgabe bisher nicht einmal in Ansätzen gerecht geworden. ({12}) In einem bemerkenswerten Kommentar schreibt die „Frankfurter Rundschau" am 20. Januar 1982: In einer ... parlamentarischen Demokratie werden Regierungen mit Mehrheiten ausgestattet, damit sie regieren und nicht, damit sie ihre Wähler - oder die Opposition - fragen, was sie tun sollen. ({13}) Wenn sie dazu nicht mehr imstande sind, müssen sie abtreten. ({14}) Die Schuldigen außerhalb ihres eigenen Verantwortungsbereiches zu suchen, zeugt von Unfähigkeit ... So die „Frankfurter Rundschau"; dem ist nichts hinzuzufügen. ({15}) Noch kurz vor der Bundestagswahl, um nur ein Beispiel zu nehmen, wollte die Koalition den Gemeinden durch ein neues Jugendhilferecht 14 000 zusätzliche Sozialhelfer mit einem jährlichen Kostenaufwand von knapp 1 Milliarde DM verordnen. ({16}) - Das war auch Unsinn. - Nur dem wohltätigen Einfluß des Bundesrates ist es zu verdanken, daß dieser Unsinn verhindert worden ist. ({17}) Meine Damen und Herren, nur eine Politik, die Steuern und Abgaben begrenzt und Spielraum für Investitionen schafft, kann die Volkswirtschaft in Bewegung bringen, kann Vollbeschäftigung schaffen und zugleich den Gemeinden den Rang zurückgeben, den sie verfassungsrechtlich haben sollten, nämlich eigenverantwortliche Träger der örtlichen Gemeinschaft zu sein. ({18})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist das alte Lied der und das alte Leid mit der CDU/ CSU, daß sie Bilder von unserem Lande und heute von unseren Städten malt, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. ({0}) Die zweite Methode, längst abgegriffen, ist die: Für alle aktuellen Probleme, ob in der Wirtschaft, in den Gemeinden, in den Ländern oder wo auch immer sie entstehen, gibt es nur einen Schuldigen, nämlich die derzeitige Bundesregierung. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was ist das für eine Methode? Merken Sie nicht, daß Sie unglaubwürdig werden? Wo leben Sie eigentlich? Merken Sie nicht, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land es besser wissen und auch viel differenzierter denken, als Sie es tun? Das ist eine schlechte Meinung, die Sie vom informierten und vom denkenden Bürger haben. Warum unterlassen Sie es in einer solchen Debatte, die wir Sozialdemokraten begrüßen, zunächst einmal festzustellen, daß wir auch im Bereich unserer Städte, Gemeinden und Kreise auf die gemeinsam geschaffenen Leistungen stolz sein können? ({2}) Warum unterlassen Sie es, zunächst einmal festzustellen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Städten und Gemeinden, mit ihren Kreisen, mit ihren Industrie- und ihren ländlichen Gebieten sehen lassen kann und daß jeder ausländische Besucher von der Qualität, von der Infrastruktur und von dem Dienstleistungsangebot unserer Städte tief beeindruckt ist? ({3}) Statt daß Sie sagen, da haben wir mitgewirkt, darauf können wir gemeinsam stolz sein, malen Sie hier ein Bild, als stünden auch Städte und Kreise vorm Bankrott. ({4}) Das ist doch eine ganz schlechte Methode; sie fällt auf Sie zurück. Herr Dr. Waffenschmidt, Sie wissen, ich schätze Sie als Kommunalpolitiker und als Kollegen im Städtetag und im Landkreistag. Aber die Art, wie Sie als Sprecher der Kreise und Gemeinden mit der Bundesregierung glauben umgehen zu können, ist ein schlechter Stil. ({5}) Wolfram ({6}) So geht man mit einem Partner, mit dem man vertrauensvoll zusammenarbeiten soll, zusammenarbeiten muß und zusammenarbeiten will, nicht um. ({7}) Sie schaden den Gemeinden, wenn Sie meinen, die Interessen der Gemeinden auf diese Art vertreten zu müssen. ({8}) Ich hatte gestern Horror davor gehabt, was der Herr Dr. Dregger uns wohl zum Ausländerproblem bieten wird. Ich habe mir heute gedacht: Was wird er uns heute bieten, wenn er zur Lage der Städte und Gemeinden spricht? ({9}) Seine heutige Rede - zur gestrigen will ich mich nicht äußern; da gibt es ja genug öffentliche Kommentare, vor allem heute früh, von ausländischen Mitbürgern, die zugehört haben ({10}) hat sich von Ihrer Attacke, Herr Kollege Waffenschmidt, wohltuend abgesetzt und unterschieden. Sie haben ein Redemanuskript aus der bayerischen CSU-Parteizentrale übernommen, aber nicht für die Gemeinden und für die Städte gesprochen. ({11}) - Aber Herr Kollege, ich hatte die Hoffnung, daß die, die kommunalpolitische Erfahrung haben und die in diesem Parlament auch heute noch kommunalpolitisch engagiert sind - dazu zählen Sie, dazu zählen Freunde aus meiner Fraktion und Kolleginnen und Kollegen aus der FDP -, versuchen, den Grundkonsens in dieser Frage herzustellen, und wissen: Da gibt es zwischen Bund, Ländern und Gemeinden Probleme; da haben die Gemeinden viele akute Probleme und auch Zukunftssorgen; ({12}) und jetzt müssen wir gemeinsam überlegen: Wo liegen diese Probleme? Wer trägt dafür die Verantwortung? Welche Lösungsmöglichkeiten können wir, die kommunalpolitischen Sprecher in diesem Parlament, der Bundesregierung in fairer Partnerschaft anbieten? ({13}) Das kann man doch nicht in der Art des undifferenzierten Draufhauens vornehmen, wie Sie es wieder einmal gemacht haben. ({14}) - Das will ich Ihnen gern sagen. Haben Sie ein bißchen Geduld! Es tut Ihnen natürlich weh, daß man Ihnen zunächst einmal den Spiegel vors Gesicht hält. Ich werde Ihnen die wichtigsten Probleme aufzeigen. ({15}) Lassen Sie mich zunächst noch eine Feststellung treffen: Wir alle haben nach dem Krieg gemeinsame Aufbauleistungen in den Städten und Gemeinden erbracht. Aber es kann nicht bestritten werden, daß die Städte und Gemeinden gerade in den 70er Jahren einen ungeheuren Sprung nach vorn getan haben. ({16}) Es gab nie ein Jahrzehnt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in der Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, das so vorbildlich und so vorteilhaft für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes war wie das Jahrzehnt, in dem diese Bundesregierung regierte. ({17}) Das gilt für alle Länder. ({18}) Das gilt vor allem für die Länder, in denen Sozialdemokraten oder Sozialdemokraten und Liberale gemeinsam regieren. ({19}) Denn die können nachweisen, daß sie sich bei der Einschätzung der Rolle der Gemeinden im Verhältnis Länder zu Gemeinden von den CDU/CSU-geführten Ländern wohltuend abheben. ({20}) Dafür könnte ich Ihnen viele Beispiele anführen. Herr Dr. Waffenschmidt, Sie würden glaubwürdiger sein, wenn Sie das anerkennen würden. ({21}) - Ja, das kann ich Ihnen sagen. Nordrhein-Westfalen steht beim Verbundsatz an der Spitze. ({22}) Bei dem Problem, das in der gestrigen Debatte hier eine große Rolle gespielt hat, nämlich bei der Behandlung der Asylanten, ist Nordrhein-Westfalen das einzige Land oder eines der wenigen Länder, die die Gemeinden zu 100 % entlasten. Polemisieren Sie hier doch nicht gegen die Länder schlechthin, sondern nennen Sie Roß und Reiter! Ziehen Sie vor allem in die von der CDU/CSU regierten Länder und bringen Sie die auf Vordermann, bevor Sie uns Vorwürfe machen! ({23}) Von einem Abgeordneten, der für die sozialdemokratische Fraktion spricht und selber Oberbürgermeister einer Stadt ist, werden die Bürgermeister5018 Wolfram ({24}) und Oberbürgermeisterkollegen selbstverständlich erwarten, daß er in das Klagelied der Kämmerer und die Kritik von vielen Bürgermeistern einstimmt, die oft zu Recht geäußert wird. Ich werde mich davor hüten, weil ich der Meinung bin: Wir tragen alle die Verantwortung, ein Höchstmaß an Probleminformation unseren Bürgern zu übermitteln und nicht undifferenziert den Eindruck zu erwecken, als liege die Schuld für diese Misere nur beim Bund ({25}) und als seien nicht auch wir selber verantwortlich. Wenn Sie, verehrter Herr Dr. Dregger, gegen die Personalentwicklung zu Recht angehen, muß ich Ihnen sagen: Da müssen wir an die eigene Brust klopfen; denn jede Stelle, die neu geschaffen wurde, haben wir in den Kommunalparlamenten beschlossen. ({26}) Wir müssen erkennen und feststellen, daß es nicht mehr so weitergeht, ({27}) und wir müssen das den Bürgern und Bürgerinnen sagen. Ich habe es in unserer Stadt gesagt. In jedem unserer Kinderspielbusse, die wir in unserer Stadt eingesetzt haben, sitzen zwei Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter. Demnächst wird es nur einer sein. Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern bisher nicht nur die Straßen gereinigt, sondern auch die Gehsteige gefegt und ihnen die Mülleimer aus der Box geholt. Wenn wir sagen, gut, wenn wir alle sparen müssen, können wir erwarten, daß ihr selber euren Mülleimer vor die Tür stellt und euren Gehsteig fegt, dann ist das der richtige Weg, und dann werden wir dort, wo wir die Verantwortung tragen, zu Kostensenkungen kommen. ({28}) Ich will noch ein Wort zur Rolle des Bundes gegenüber den Gemeinden sagen. Es hätte der CDU/ CSU-Opposition und deren Sprechern gut angestanden, wenn sie festgestellt hätten, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, zu einem großen Teil sogar unter Ihrer Mitwirkung, viel Gutes für die Gemeinden getan haben. Wir haben uns in diesen Tagen über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unterhalten, und wir werden es weiter tun. Warum sagt keiner Ihrer Sprecher, daß das ERP-Kreditprogramm, von dem die Gemeinden profitieren, eine gute Sache ist? ({29}) Und warum sind wir uns nicht in der Forderung einig, die Mittel für dieses Programm, so weit wie nur möglich, im Haushalt aufzustocken, ({30}) auch hinsichtlich des Anteils, der an die Gemeinden fließt? Das soll geschehen. Zweiter Punkt: Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist für uns keine schlechte Sache. Hier beteiligt sich der Bund in anerkennenswerter Weise an der Finanzierung verkehrlicher Aufgaben in den Gemeinden. Dazu ist kein Wort von Ihnen zu hören! Dasselbe gilt für das Programm für Zukunftsinvestitionen. Sie ziehen durchs Land und sagen: nur Mitnehmereffekte. Ich muß Ihnen sagen: Ihre eigenen Parteifreunde in den Städten und Gemeinden, die Mittel aus diesem Programm in Anspruch genommen haben, müßten Sie in die Wüste schicken, wenn Sie dieses Programm so kritisieren. ({31}) Wir alle haben davon Gebrauch gemacht. Wir haben den Nutzen und den Vorteil, weil wir Zukunftsinvestitionen mit Hilfe des Bundes finanzieren konnten. ({32}) - Wenn es Ihre Städte nicht getan haben, dann sind sie selber schuld daran, dann sind Sie unfähig, dort zu regieren. ({33}) Das jüngst verabschiedete 1,2 Milliarden-Fernwärme-Programm - gegen langen Widerstand von Schleswig-Holstein durchgesetzt - bringt den Gemeinden die Möglichkeit, ihre Energieversorgungsstruktur zu verbessern und die Umweltqualität zu erhöhen. Sie haben kein Wort dafür gefunden. Wir nutzen diese Mittel. Meine Bitte an die Bundesregierung ist: Wenn es irgendwie möglich ist, stockt dieses Programm auf! Es verbessert die Energieversorgung, es verbessert die Umweltqualität. In Nordrhein-Westfalen gibt es das „Aktionsprogramm Ruhr". Wir wissen zu schätzen, was es bedeutet, daß wir alte Zechengelände wieder aufbereiten und bereitstellen können. Kein Wort von Ihnen zu der guten Einrichtung des Bund-Länder-Programms zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur! ({34}) Das werten Sie alles ab mit dem Hinweis: „Mitnehmereffekte". Wissen Sie, was der Bundesrechnungshof eigentlich tun müßte? Er müßte Sie fragen: Wo sind denn Ihre Beispiele von den Mitnehmereffekten? Ein Unternehmer, der aus diesem Programm Mittel in Anspruch genommen hat und dem Sie vorhalten, sein Handeln sei ein Mitnehmereffekt, weil er zu Unrecht etwas eingesteckt hat, ({35}) müßte dann - nach Ihrer Argumentation - eigentlich angeklagt werden. ({36}) Was ist das für eine Methode, wie Sie mit unserer Wirtschaft und mit unseren Bürgerinnen und Bürgern umgehen?! ({37}) Wolfram ({38}) - Ja, das sage ich Ihnen. Es fällt Ihnen schwer, das entgegenzunehmen. Der Innenminister hat dankenswerterweise etwas zur Kulturpolitik gesagt. Ich bin ein leidgeprüfter Oberbürgermeister, der Gott sei Dank eine so schwache Opposition hat, daß sie bis zum Jahre 2000 keine Chance hat, die Mehrheit zu bekommen. ({39}) Wenn ich mir aber Ihre Kulturpolitik vor Ort anschaue - wirklich beinahe etwas aus dem vergangenen Jahrhundert -, dann muß ich Ihnen sagen: Ich bin dankbar dafür, daß sich der Bund direkt und indirekt für die kommunale Kulturpolitik mitverantwortlich fühlt. Herr Bundesinnenminister, wir haben zur Zeit in Recklinghausen Ihre Ausstellung „Bundesbesitz". Vielen Dank dafür! Schicken Sie uns noch ein paar Mark mehr für die Ruhrfestspiele! Das ist ein einmaliges sozialkulturelles Werk. Sie brauchen nicht nur immer kulturelle Spektakelveranstaltungen mitzufinanzieren. Solide Einrichtungen, vor allem, wenn sie an die Adresse der Arbeitnehmerschaft gehen, sind ebenso förderungswürdig. ({40}) Meine Damen und Herren, ich könnte noch eine ganze Reihe von Beispielen aufführen, die beweisen, daß wir allen Anlaß haben, auch als Kommunalpolitiker zu erwarten, daß bei der Verteilung der Gesamtfinanzmasse die Gemeinden noch besser bedient werden. Aber ziehen Sie einmal an einer Dekke, die zu kurz ist. Es wurde schon auf die internationalen Verpflichtungen und vieles andere hingewiesen, was indirekt und direkt auch unseren Bürgerinnen und Bürgern in den Städten und Gemeinden zugute kommt. Es ist nicht zu bestreiten, daß sich von 1970 bis heute der Anteil der Gemeinden am Gesamtsteueraufkommen von gut 10 % auf rund 13 % erhöht hat. ({41}) Wir könnten auch 15 % gebrauchen. Herr Dr. Waffenschmidt, die Art, wie Sie mit diesem Thema umgehen, ist doch eine völlig verkehrte Methode. Ich habe bewußt Herrn Dr. Dregger die Frage gestellt: Wie hielten Sie es denn mit der Lohnsummensteuer? Er hat gesagt, er war für die Abschaffung. Das ist sein gutes Recht. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Hätten die Ruhrgebietsstädte heute das Lohnsummensteueraufkommen, hätten sie keine H aushaltsprobleme. ({42}) - Das ist die Wahrheit. Mich hat in den zehn Jahren, in denen ich Oberbürgermeister bin, noch kein Unternehmer, der sich bei uns niederlassen wollte, gefragt: „Was habt ihr denn für einen Gewerbesteuerhebesatz?" oder „Wie schaut es denn mit der Lohnsummensteuer aus?" ({43}) Das ist doch ein Popanz, den Sie aufbauen! Für eine unternehmerische Standortentscheidung gibt's einen riesigen Katalog von Kriterien. Da mag für den einen oder anderen der Gewerbesteuerhebesatz oder - früher - die Lohnsummensteuer eine Rolle gespielt haben. Aber das ist doch nur ein Teilaspekt von vielen anderen! Standortentscheidungen fallen primär unter ganz anderen Gesichtspunkten. - Ich sehe, das mir die Zeit wegrennt. ({44}) Ich will noch darauf hinweisen, daß wir gemeinsam gut beraten sind, wenn wir im Dialog und in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages, in dem anerkannt zunehmenden Dialog zwischen den Vertretungen der Städte und Gemeinden und der Bundesregierung im Vorfeld der Gesetzgebung überlegen und nach Lösungen suchen, wie wir mit den Problemen der 80er Jahre fertig werden. Gestern stand die Ausländer-Problematik zur Debatte, ein Thema, das wir nicht ernst genug nehmen können und bei dem wir vor allem vor Ort in der größten Pflicht und Verantwortung sind. Ich füge gleich hinzu: Täglich kommen dank unserer Politik Tausende von Spätaussiedlern aus Osteuropa in unser Land. Ich appelliere an alle, vor allem an die Bürgerinnen und Bürger, sich dieser Mitbürger, die 35, 37 Jahre nach Kriegsende in die Bundesrepublik kommen, anzunehmen, denn sie haben Anspruch auf unsere Solidarität wie jeder andere auch. ({45}) Ich stelle mit Freude fest, daß in den Städten und Gemeinden die Behindertenpolitik, wie sie zum erstenmal in dieser Regierungszeit konzipiert worden ist, enorme Fortschritte gemacht hat - vom öffentlichen Problembewußtsein bis hin zu öffentlichen Einrichtungen, die behindertengerecht sind. Ich fordere die Gemeinden und Städte auf, trotz ihrer schwierigen Situation ihren Beitrag zur Vermehrung des Ausbildungsangebots zu leisten. Und ich habe ein Beispiel dafür, wie die Kooperation zwischen Bund und Ländern funktioniert. Als wir dem Bildungsminister Engholm im Dezember gesagt haben: wir dürfen keine Gärtnergehilfen ausbilden, weil das nach den Richtlinien nicht geht, hat er innerhalb von vier Wochen dafür gesorgt, daß wir die Ausbildungsgenehmigung erhalten. Sie sehen, es gibt viele Beispiele, wie man konstruktiv zusammenarbeiten kann. Wir haben uns um die kommunale und regionale Energieversorgung noch viel stärker als bisher zu kümmern. Ich glaube, gerade das, was von unserer Seite zu diesem Thema vorgeschlagen wird, ist sowohl für eine rationelle und sparsame Energieverwendung geeignet wie auch dazu angetan, die Umweltqualität zu verbessern. Wir erwarten, im Rahmen neuer Programme auch die Mittel zu bekommen, die wir brauchen, um die Städte sanieren zu können, und zwar nicht nur die Innen-, sondern auch die Außenstadtteile, daß wir Betriebe aus den Ballungsgebieten der Städte und Gemeinden verlagern können. Wir erwarten vor al5020 Wolfram ({46}) lem auch, daß sich der Bund noch stärker als bisher mitverantwortlich fühlt für den ÖPNV, den öffentlichen Personennahverkehr, auch wenn das nicht primär seine Aufgabe ist. Noch eine letzte Bemerkung zu diesem Punkt. Was auch immer an Programmen kommt: ich würde mir das eine oder andere in Auswirkung auf unsere eigenen Städte und Gemeinden weniger wünschen, dafür, wenn es geht, eine hundertprozentige Finanzierung. Denn wenn Sie die Anteile zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nach dem Schlüssel 50:30:20 aufteilen, werden viele Gemeinden nein sagen müssen, obwohl sie die entsprechende Maßnahme dringend benötigen. Ich bitte um Verständnis, daß ich zu vielen Bereichen, etwa zur Bildungspolitik, zum Bildungsangebot, zu europäischen Städtepartnerschaften, nichts mehr sagen kann. Ich will mir noch einen letzten Hinweis erlauben.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich bedanke mich für Ihre Toleranz und für Ihre Großzügigkeit. Ich will noch ein letztes Wort sagen. Bei all dem, was wir an Sorgen und Nöten haben, bei all dem, was sich an gesellschaftlichen Konflikten ({0}) - nun hören Sie doch noch einen Moment zu! - vor Ort in den Gemeinden tut und was dort zu bewältigen ist: die Bürgerinnen und Bürger können Vertrauen zu uns, zu unserer Führungskraft im Bund und zu sozialdemokratischer Kommunalpolitik haben. Und im übrigen würde ich meinen, wir tun alle gut daran, wenn wir auch bei solchen Debatten einen Blick über die Grenzen unseres Landes werfen und daran denken, daß die Menschen in der Dritten Welt glücklich wären, wenn sie nur einen Schritt - und dazu müssen wir Ihnen helfen - in die Richtung tun könnten, in der wir mit unserem Land und unserem Volk seit langem sind. - Ich bedanke mich. ({1})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.

Dr. Rolf Böhme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000221

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise steht ganz zu Beginn ein Bekenntnis zur Selbstverwaltung und eine Bestätigung der besonderen Bedeutung, die unsere Städte, Gemeinden und Kreise im Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland haben. Wenn ich heute für den Bundesfinanzminister besonders die Finanzprobleme in den Gemeinden in der aktuellen Wirtschaftslage darzustellen habe, möchte ich ebenfalls ganz bewußt an den Anfang meiner Ausführungen das Bekenntnis zur kommunalen Selbstverwaltung setzen und die Entschlossenheit der Bundesregierung bekunden, auch künftig als guter Partner für die Gemeinden aufzutreten, und zwar nicht als Wohltat für die Gemeinden, sondern als Grundvoraussetzungen für die Kraft der Demokratie in unserem Lande, für die Erhaltung und Wahrung des sozialen Friedens in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Wir alle wissen, daß die Städte, Gemeinden und Kreise dem Bund und den Ländern die Grundlage für die öffentliche Verwaltung liefern. Ein Teil der kommunalen Verwaltung wird durch die Ausführungen von Bundes- und Landesrecht gebunden. Deshalb will die Bundesregierung auch heute den Städten, Gemeinden und Kreisen für diese Leistung danken, welche die kommunale Selbstverwaltung für den Bürger erbringt. Gerade heute in einer Zeit sinkenden Wachstums, einer sich weltweit vollziehenden Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und in einer Zeit, wo viele Bürger zu Recht oder zu Unrecht die Überzeugung haben, daß die Überschaubarkeit und die eigene Beeinflußbarkeit ihrer Verhältnisse verlorengegangen ist, wo vielen ihr Leben völlig verplant und verbürokratisiert erscheint, muß der Staat in der kommunalen Selbstverwaltung die Chance nutzen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen beim Bürger zu erwerben und das staatliche Recht bürgerfreundlich, ortsnah und kostensparend zu vollziehen, wie es in den Gemeinden tatsächlich der Fall ist. Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Teil der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ist der Finanzausstattung der Gemeinden gewidmet. Ich möchte speziell diesen Teil aufgreifen und zunächst den Blick auf die Ausgangspositionen richten, nämlich einerseits die finanzverfassungsrechtlichen Grundsätze darstellen und dann die faktische Finanzausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden in den letzten Jahren kurz skizzieren. Dies sind Fakten, Herr Dregger, und es ist wichtig, auch hier den Blick zurück zu richten. In der Diskussion über die Finanzlage der Kommunen wird zuweilen der Eindruck erweckt, als ob der Bund für die gesamte Finanzausstattung der Kommunen allein verantwortlich sei. Tatsächlich jedoch gehören die Gemeinden nach dem zweistufigen Staatsaufbau der Bundesrepublik zum Verantwortungsbereich der Länder. Nach dieser Ausgangslage gemäß Art. 106 ff. des Grundgesetzes ist deutlich, daß die Hauptverantwortung für die Finanzausstattung der Gemeinden bei den Ländern liegt. Dies ist natürlich sehr unterschiedlich; dies ergibt sich auch aus dem Finanzausgleich. Hier ist gerade im Anschluß an die Ausführungen von Herrn Kollegen Wolfram darauf hinzuweisen, daß bei dem viel beschworenen Finanzausgleich die Hauptzahlenden neben dem Land Baden-Württemberg als CDU- und uniongeführtes Bundesland alle anderen zahlenden Länder sozialliberal regierte Länder sind, nämlich Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg. Die ausgleichsberechtigten Länder, also diejenigen, die tatsächlich Zahlungen bekommen, sind mit Ausnahme von Bremen ausschließlich CDU/CSU-geführte Bundesländer: Bayern an der Spitze zusamParl. Staatssekretär Dr. Böhme men mit Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und dem Saarland. ({0}) Dies ist ein Hinweis darauf, daß hier in erster Linie die Länder verantwortlich und die Unterschiede ganz erheblich sind. Die Zuständigkeit des Bundes für die kommunalen Finanzen ist auf globale gesetzgeberische Maßnahmen beschränkt. Hierbei ist festzustellen, daß der Bund durch die Gemeindefinanzreform in den 70er Jahren maßgeblich den Grundstein für eine positive Entwicklung der Gemeindefinanzen gelegt hat. Die damalige Reform hat qualitativ und quantitativ die Finanzautonomie der Städte und Gemeinden dauerhaft gestärkt. Welche Wirkungen diese Gemeindefinanzreform hatte, ({1}) läßt sich an den Mehreinnahmen nachweisen, welche die Gemeinden durch den Austausch eines Teils der Gewerbesteuer gegen die Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer erzielen konnten. Die Mehreinnahmen betrugen im Jahr 1970 2,4 Milliarden DM und beziffern sich im Haushaltsjahr 1982, also 12 Jahre später, auf 16,8 Milliarden DM. Für den gesamten Zeitraum von 1970 bis 1982 summieren sich die Mehreinnahmen auf über 100 Milliarden DM. Diese Entwicklung ist jedem Kommunalpolitiker aus dem Haushalt seiner Stadt bekannt. Die Gemeindefinanzreform aus dem Jahre 1970 ist zum Rückgrat der kommunalen Finanzausstattung geworden. Hinzu kommen die Finanzhilfen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes und die Leistungen nach den sogenannten gesetzlichen Regelungen, nämlich z. B. nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, Städtebauförderungsgesetz und Krankenhausfinanzierungsgesetz. Werden diese zusätzlichen mittelbaren oder unmittelbaren finanziellen Verbindungen zwischen dem Bund und den Gemeinden in Zahlen ausgedrückt, so summieren sich die Beträge allein im Jahre 1980 auf über 8,8 Milliarden DM. Herr Dregger, 1980 ist das letzte Jahr, für das uns vollständige Angaben vorliegen; die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage datiert vom September letzten Jahres, folglich konnte die Bundesregierung überhaupt nur auf Zahlen bis zum Jahre 1980 zurückgreifen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß sich gerade die Bemühungen des Bundes zur Umstrukturierung seines Haushalts durch Streichung von konsumtiven Ausgaben und Stärkung von investitionsfördernden Maßnahmen besonders im Bereich der Finanzhilfen niederschlagen. ({2}) Während die Länder mit ihren Kürzungen vielfach bei den Investitionszuweisungen an die Gemeinden ansetzen, wird der Bund im Jahre 1982 gegenüber dem Vorjahr seine Ausgaben in diesem Bereich noch einmal um 4,9 % erhöhen, so daß zur Verfügung stehen - ich nenne diese Beträge jetzt ganz bewußt -: für die Gemeindeverkehrsfinanzierung insgesamt 2,260 Milliarden DM, für die Krankenhausfinanzierung insgesamt 820 Millionen DM und für die Städtebauförderung insgesamt 380 Millionen DM. Das Fazit dieser Leistungen des Bundes wird in einer Analyse der längerfristigen Finanzentwicklung von Bund, Ländern und Gemeinden deutlich. Hier ergibt sich, daß die Bandbreite bei den Ausgaben praktisch außerordentlich eng ist. Wenn man den Zeitraum von 1970 bis 1981 nimmt, dann zeigt sich, daß die durchschnittliche Ausgabenentwicklung bei Bund, Ländern und Gemeinden praktisch identisch ist; die Quote liegt bei rund 9 %. Demgegenüber - das ist das Wichtige jetzt in dieser Debatte - ist im Unterschied zu dieser Ausgabenentwicklung die Einnahmenentwicklung in dem Elfjahreszeitraum von 1970 bis 1981 höchst unterschiedlich. Die Einnahmen des Bundes sind nämlich wesentlich geringer angewachsen als die Einnahmen der Länder und Gemeinden. Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Gesamteinnahmen ist auch bei den Steuern zu beobachten mit der Folge, daß der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen entsprechend zurückging, während er bei den Ländern und Gemeinden von 1970 bis 1981 ständig anstieg. Weil es sich um eine Schlüsselzahl handelt, möchte ich sie hier nennen. Der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen betrug 1970 rund 53 %, der der Gemeinden 10,8 %. Bis 1981 hat sich dieses Verhältnis dramatisch verändert. Der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen betrug nur noch 49,2 % - das waren also 3,8 % weniger -, während die Gemeinden eine Steigerung von 1,5 % aufweisen konnten, nämlich von 10,8 % im Jahre 1970 auf 12,3% im Jahre 1981. Ich stelle diesen Zusammenhang dar, weil hier der Grund dafür zu suchen ist, daß sich die Nettokreditaufnahme des öffentlichen Gesamthaushalts bis 1978 und auch danach mehr und mehr auf den Bund verlagerte. Die Größen, in denen dies ausgedrückt wird, sind die Kreditfinanzierungsquote - Nettokreditaufnahme im Verhältnis zu den Gesamtausgaben - und die Deckungsquote, die das Verhältnis, inwieweit die gesamten Ausgaben durch die gesamten Einnahmen gedeckt sind, wiedergibt. Hier stellen wir fest, daß die Kreditfinanzierungsquote beim Bund von 1970 bis 1980 nach oben geschnellt ist, nämlich von 1,8 % im Jahre 1970 auf 16 % im Jahre 1981, während die Deckungsquote in dem gleichen Zeitraum bei Bund von 92,2 % auf 83,7 % absackte. Umgekehrt ist bei den Gemeinden z. B. bei der Kreditfinanzierungsquote ein Rückgang zu verzeichnen. 1970 betrug diese Quote bei den Gemeinden 6,3 %; sie sank im Jahre 1981 bundesweit auf 4 %, d. h., die Kreditaufnahme ist bei den Gemeinden nach den bundesweiten Zahlen relativ gesunken. Dies weist auch die Deckungsquote aus. Die Gemeinden hatten 1974 eine Deckungsquote von rund 91 %. Diese Deckungsquote stieg 1981 auf rund 96 % an. Das ist eine erhebliche Verbesserung. Was ich hier vortrage, entspricht auch dem Urteil der Länder. Herr Dregger, Sie haben vorhin einige Zitate gebracht. Ich möchte jetzt auch einige bringen, und zwar als Beleg dafür, daß die Aussage, die an Hand dieser Zahlen zu machen ist, nämlich daß die Gemeinden nach den bundesweiten Durchschnittszahlen unter den öffentlichen Ebenen am besten gestellt sind, auch dem Urteil der Länder entspricht. So hat z. B. der bayerische Innenminister Tandler im Januar 1982 zur Finanzlage der öffentlichen Hand vorgetragen - ich zitiere -: Die der Gemeinden ist noch am besten. Am schlechtesten ist die des Bundes. Mittelprächtig geht es uns noch in Bayern. Herr Späth hat in der „Stuttgarter Zeitung" am 15. Januar dieses Jahres formuliert: Die baden-württembergischen Gemeinden haben in bezug auf das Steueraufkommen „eine absolute Spitzenstellung". ({3}) Schließlich eine Stimme aus Rheinland-Pfalz vom Januar 1982. Hier hat ein CDU-Abgeordneter in der Haushaltsdebatte des Landtages ausgeführt: Der Anteil der Kommunen mit unausgeglichenen Haushalten ging seit 1978 um drei Viertel zurück. Zitat aus der „Mainzer Zeitung" vom 29. Januar 1982. Was ich hier vortragen konnte, steht natürlich, Herr Dregger, in eklatantem Widerspruch zu dem, was Sie hier vorgetragen haben, ({4}) als Sie ausschließlich ein schwarzes Bild der Gemeindefinanzen gemalt haben. ({5}) Aber es ist ja deutlich geworden, daß es Ihnen nicht darum ging, zu den Gemeinden zu sprechen, sondern daß es Ihnen darum ging, scheinheilig über die Lage der Gemeinden zu sprechen und damit gleichzeitig Bundespolitik zu machen. Ihr Hauptbegriff, den Sie heute morgen bei der Beurteilung der Gemeindelage gebracht haben, war: Abtreten der Bundesregierung. Darum geht es Ihnen und nicht um die Lage der Städte und Gemeinden. Das ist alles eine scheinheilige Argumentation, ({6}) über die Gemeinden miese Stimmung zusätzlich zu verbreiten, um bundespolitischen Profit daraus zu ziehen. Das ist der Hintergrund Ihrer Rede und nicht die Sorge um die Städte und Gemeinden. ({7}) Richtig ist, daß diese Zahlen bundesweite Zahlen sind und daß die Lage von Gemeinde zu Gemeinde höchst unterschiedlich ist. Diese Zahlen drücken im übrigen nicht nur das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aus, sondern sind zugleich Spiegelbild einer tiefergehenden Entwicklung, welche die Änderungen der wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrifft. Die Daten dieser geänderten Rahmenbedingungen sind bekannt: Weltweit erleben wir heute ein stagnierendes Wachstum, eine steigende Arbeitslosigkeit, eine zu hohe Inflationsrate und einen Währungsverfall mit hohen Defiziten in allen öffentlichen Haushalten. Hier ist eine besondere Herausforderung die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Sie ist auch der Grund für die in dieser Woche von der Bundesregierung beschlossene Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität. Meine Damen und Herren, die Herausforderung, Arbeitsplätze und Wachstum sowie Stabilität zu sichern, richtet sich an alle. Die Vorstellung, daß der Staat die strukturelle Gesundung der deutschen Volkswirtschaft allein zustande bringen könnte, ist unzutreffend. Ebenso ist aber die umgekehrte Vorstellung abwegig, daß die Gesundung eintreten könnte, wenn der Staat nichts tut. Der Staat sind hier Bund, Länder und Gemeinden. Notwendig ist eine gemeinsame Anstrengung aller öffentlichen Ebenen und aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen in unserem Land. Es liegt mir daran, die Beschlüsse der Bundesregierung vom 3. Februar, also vom Mittwoch dieser Woche, in den Gesamtzusammenhang zu stellen und mit der Operation '82 zu verbinden, also mit den Beschlüssen, die bereits Anfang dieses Jahres in Kraft getreten sind. Beide Teile zusammen bedeuten Wachstums- und Beschäftigungsimpulse von 40 Milliarden DM in den Jahren 1982 bis 1985. Allein im Rahmen der Operation '82 sind haushalts- und steuerpolitische Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von rund 27 Milliarden DM für die Jahre 1982 bis 1985 beschlossen worden, von denen beschäftigungspolitische Wirkungen in der Stahlindustrie, im Baubereich und bei der Energieeinsparung ausgehen. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen wurden durch die Verbesserung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter und durch die Verbesserung des Verlustrücktrags wesentlich verbessert. Durch die Beschlüsse vom 3. Februar werden weitere Investitionsimpulse vermittelt. Das gilt besonders für die Investitionszulage, die Aufstockung der Kreditprogramme des ERP-Sondervermögens und der KfW; alles zusammen ergibt ein Finanzvolumen von rund 12 Milliarden DM. Die hierdurch ausgelösten Investitionen werden noch weitaus höher sein können. Allein mit der Investitionszulage wird ein Investitionsvolumen von 40 Milliarden DM gefördert werden können. Auch die Gemeinden werden maßgeblich an diesen Beschlüssen partizipieren können. Dies gilt auch für die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Natürlich ist es ein Märchen, wenn hier vorgetragen wird, daß die Gemeinden durch die Erhöhung der MehrParl. Staatssekretär Dr. Böhme wertsteuer netto belastet würden. Selbstverständlich partizipieren die Gemeinden über den Finanzausgleich und die Beteiligung der Länder an der Erhöhung der Mehrwertsteuer. ({8}) Was Sie hier vortragen, stimmt doch mit der Wirklichkeit überhaupt nicht überein. Das gilt auch für die anderen Punkte, beispielsweise für die Umweltschutzinvestitionen und die Möglichkeiten, öffentliche Investitionen über die Kreditprogramme von ERP und über die KfW anzuregen. Das sind Fakten, die man hier doch nicht einfach wegdiskutieren kann, wie Sie es tun. ({9}) Weil dies so ist, richten sich die Maßnahmen der Bundesregierung an alle öffentlichen Hände, um den Weg in die Konsolidierung zu eröffnen und größeren Spielraum für wachstumsfördernde Maßnahmen zu schaffen. Gleichwohl haben die Maßnahmen, vor allen Dingen bei der Operation 82, zu Kritik unter den Kommunen geführt. Ich will darauf eingehen. Zunächst zum Thema der Lastenverschiebung, also zu dem berühmten „Verschiebebahnhof", Herr Waffenschmidt. Wie sind die Fakten? Die gesamten Maßnahmen aus der Operation 82 haben zu einer kommunalen Entlastung mit einem Volumen von einer halben Milliarde DM geführt. Richtig ist sicher, daß die Überprüfung von Ausgaben durch den Bund vor allem Auswirkungen im Bundesetat hat. Dies ergibt sich aus dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik, daß Eingriffe in den Bundeshaushalt und die Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts eben nicht gleichzeitig und unmittelbar Auswirkungen auf die Länderhaushalte haben können. Wegen der föderativen Zuständigkeitsverteilung kann es auch - wie in einem System kommunizierender Röhren - zu Kostenverlagerungen kommen. Dies ist alles richtig. Vor diesem Dilemma standen und stehen heute auch die CDU/CSU insgesamt und die unionsgeführten Bundesländer mit ihren Vorschlägen zur Leistungseinschränkung beim BAföG oder im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit - durch Einschränkung beim Arbeitslosengeld - oder bei der Arbeitslosenhilfe. Es kann doch nicht bestritten werden, daß das Ergebnis im Vermittlungsausschuß, auf das Sie sich hier berufen und auch mit Recht berufen können, weil es von uns gemeinsam erarbeitet worden ist, mit einer kommunalen Entlastung um rund eine halbe Milliarde DM nur deshalb zustande gekommen ist, weil die Anträge der CDU- bzw. CSU-geführten Länder fast alle abgelehnt wurden. Die Anträge der CDU/CSU auf Kürzung beim BAföG oder des Arbeitslosengelds hätten zu beträchtlichen Mehrbelastungen bei der Sozialhilfe geführt, von den sozialen Auswirkungen ganz zu schweigen. Das, was Sie hier unter dem Stichwort „Verschiebebahnhof" kritisieren, sind exakt Ihre Vorschläge. ({10}) In der Öffentlichkeit berühmen Sie sich, durch die Kürzung von Arbeitslosengeld, BAföG oder anderen Dingen den Gemeinden Hilfe zu geben. In Wirklichkeit bedeutet dies exakt etwas anderes. ({11}) Ich kritisiere das nicht; es ist eine Folge des förderativen Aufbaus. Das habe ich vorhin schon gesagt. Aber man muß hier die Dinge beim Namen nennen und bei der Wahrheit bleiben. Wenn ich höre, daß gestern die Ministerpräsidenten von CDU bzw. CSU, an ihrer Spitze natürlich Herr Strauß, wieder den Unionsvorschlag auf den Tisch gelegt haben, die BAföG-Leistungen für Schüler weitgehend zu streichen, dann möchte ich die Auswirkungen einmal vorrechnen. Das ist eine Gelegenheit für die Gemeinden, zu den Fakten vorzustoßen und nicht nur heiße Luft abzulassen. ({12}) - Nein, ich bleibe bei den Fakten. Nach der Kostenschätzung der Union im Finanzausschuß des Bundesrats sollen bei diesem Vorschlag 750 Millionen DM Einsparungen für den Bund und 450 Millionen DM Einsparungen für die Länder herauskommen. Da 80 % der BAföG-empfangenden Schüler jedoch aus Familien mit einem monatlichen Einkommen von unter 2 000 DM kommen, wäre der nächste Schritt eine erhebliche Belastung der Sozialhilfe. Das würde bedeuten, daß die Einsparung der Länder in Höhe von 450 Millionen DM weitgehend zu Lasten der Kommunen ginge, die nach unseren Berechnungen mindestens 300 Millionen DM mehr an Sozialhilfe an die betroffenen Kinder zu leisten hätten. ({13}) Ich möchte nicht über die sozialen Auswirkungen sprechen, denn hier könnte man keine schöne Rechnung aufmachen: Sie haben die Kürzung des Kindergeldes um 20 DM für das zweite und dritte Kind zum Gegenstand heftiger Kritik gemacht, während Ihre „sozialen" Kürzungsvorschläge beim BAföG bedeuten würden, daß Familien mit mehreren Kindern Hunderte von D-Mark verlören. Das ist überhaupt kein Vergleich zu dem, was beim Kindergeld gekürzt worden ist. Das bedeutet, mit Ihren Vorschlägen praktizieren Sie exakt das, was Sie der Bundesregierung vorwerfen, nämlich den berühmten „Verschiebebahnhof". Das ist die Wahrheit, so ist das Faktum. ({14}) Ich will Sie insofern auch nicht kritisieren, sondern ich sage nur: Das ist eine Folge des förderativen Staatsaufbaus. Das gilt für Ihre Vorschläge genauso wie für unsere. Gleichzeitig ist auf die besondere Verantwortung der Länder für die kommunale Finanzausstattung hinzuweisen. Ich will nicht das bekannte SchwarzePeter-Spiel zwischen Bund und Ländern fortsetzen. Das ist heute wirklich nicht der Punkt. Aber eines geht allerdings nicht: Auf Landesebene, z. B. in Bayern und Baden-Württemberg, werden die kommunalen Etats zugunsten des Landeshaushalts belastet, und das mit der Begründung, den Gemeinden im süddeutschen Raum gehe es besser als dem Land. Gleichzeitig wird aber von denselben Ländern in Richtung Bonn lautstark geklagt - maßgeblich Herr Strauß und Herr Späth tun das -, der Bund entlaste die kommunalen Haushalte nicht genug. Das geht nicht. Wenn man Vorwürfe in Richtung Bonn erhebt, muß man zuvor zu Hause selber dafür sorgen, daß die Kommunen auch ihren Teil im Zuge der Gesamtoperation bekommen. Man darf sie dann nicht durch eigene landespolitische Entscheidungen noch zusätzlich belasten. Das ist keine Politik, sondern sind lediglich doppelzüngige Aussagen. Richtig ist, daß die Gemeinden auch von den Änderungen der Rahmenbedingungen getroffen werden. Ebensowenig wie die Bundesrepublik als Gesamtstaat können sich die Länder und Gemeinden von der allgemeinen Entwicklung abschotten. Das bedeutet, daß sich auch die Kommunalpolitik jeder Gemeinde auf die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einstellen muß. Von der Durchforstung der bisherigen Prioritäten können sich die Kommunen nicht ausnehmen. Das gilt besonders für die kommunalen Investitionen. Lassen Sie mich auch hier zur Versachlichung der Debatte einen Blick auf die Zahlen und Fakten werfen. Die kommunalen Sachinvestitionen betrugen 1977 rund 28 Milliarden DM. Nicht zuletzt wegen des berühmten Programms des Bundes für die Zukunftsinvestitionen - ZIP - stiegen sie 1980 auf 41 Milliarden DM. Das war ein gewaltiger Investitionsschub. Diese Tatsache wird besonders daran deutlich, daß das kommunale Investitionsniveau in den sieben Jahren von 1970 bis 1977 um rund 30 % stieg, während es in den sich daran anschließenden drei Jahren von 1978 bis 1980 um fast 50 % wuchs. Auf Grund dieser Anstrengungen wurde in vielen klassischen Investitionsbereichen - der sozialen Infrastruktur, aber auch im Verkehrsbereich - ein Versorgungsniveau geschaffen, das weitere Steigerungen nicht mehr erwarten läßt, weil ein entsprechender Bedarf fehlt. Daher besteht jetzt die Aufgabe, neue Dringlichkeitsbereiche zu ermitteln und die kommunalen Investitionsaufgaben umzustrukturieren. Ich stimme Ihnen voll zu, Herr Waffenschmidt, daß es sich dabei um Maßnahmen der Stadt- und Dorferneuerung oder um Investitionen im Bereich der Versorgung oder Entsorgung handeln muß. Das bedeutet aber auch, daß das künftige Investitionsverhalten an diesen Prioritäten auszurichten ist. Hier sind qualitative Änderungen vorzunehmen. Allein das Starren auf die berühmten 40 Milliarden DM als Investitionssumme im Jahre 1980 genügt nicht. In diesem Zusammenhang auch ein Wort zu einem Komplex, der immer wieder - auch heute morgen - der Kritik ausgesetzt ist, nämlich zur Sozialhilfe. Die Ausgabensteigerungen - das ist besonders zu unterstreichen - werden hier im wesentlichen durch den Bereich der sogenannten Hilfe für besondere Lebenslagen, nicht aber durch den Bereich der Hilfe zum allgemeinen Lebensunterhalt verursacht. Diese Hilfe für besondere Lebenslagen betrifft vor allem die Entwicklung der Pflegesätze in den Krankenhäusern und Altenhilfeeinrichtungen, von Arzthonoraren und Medikamentenpreisen. Zur Kostenentwicklung im Bereich des Gesundheitswesens hat die Union mit Blick auf die Sozialhife jedoch weder im Bundestag noch über den Bundesrat Vorschläge gemacht. Sie versucht vielmehr, Vorurteile gegen die allgemeine Sozialhilfe, also die Hilfe zum Lebensunterhalt, zu mobilisieren, und zwar mit Berechnungsbeispielen, welche beweisen sollen, daß sich Arbeit nicht mehr lohne. Diese Vergleiche verfälschen jedoch das wahre Bild, weil sie bewußt nur auf einen Teil der Sozialhilfe abstellen, nämlich auf die Hilfe zum Lebensunterhalt, und außerdem als Beispiel immer nur eine Familie mit drei oder mehr Kindern angeführt wird. Tatsächlich sind derartige Großfamilien mit drei oder mehr Kindern aber nur 2,2 % aller Sozialhilfe empfangenden Haushalte, also völlig unrepräsentativ für den Empfängerkreis von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Dieser Kreis setzt sich vornehmlich aus Rentnern, Alleinerziehenden mit Kindern, Behinderten usw. zusammen. Noch eines: Betrachtet man die Bruttoleistungen der Gemeinden für die eigentliche Sozialhilfe im Jahre 1980, also für die Hilfe zum Lebensunterhalt, so ergibt sich bundesweit ein Betrag von 4,3 Milliarden DM. Dies ist der Bruttobetrag. Davon ist gut ein Drittel abzuziehen, das den Gemeinden von den Sozialversicherungsträgern erstattet wird, so daß wir 1980 auf einen Betrag von rund 3 Milliarden DM als Nettobelastung für die Gemeinden kommen. Ich sage hier in allem Freimut: Dieser Betrag ist abzuwägen gegenüber der Funktion der Sozialhilfe, Garant für den Bürger zu sein, frei von unmittelbarer Not ein menschenwürdiges Leben in der Gesellschaft führen zu können. Diese soziale Grundorientierung als Fundament des sozialen Friedens in unserem Lande darf nicht mit falschen Zahlen und falschen Argumenten diffamiert werden. ({15}) Einstellen auf die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auf sinkendes Wachstum und niedrigere Steuereinnahmen - diese Herausforderungen bestehen auch für die Gemeinden. Wie kann man den Gemeinden hier helfen? Drei Punkte möchte ich zum Abschluß nennen. Erstens. Im Bereich der Finanzausstattung ist an erster Stelle die Stetigkeit, die Berechenbarkeit und die Verläßlichkeit der Kommunalfinanzen zu nennen. Deshalb sind die eigenen Einnahmen der Gemeinden zu erhalten und die Finanzautonomie als Grundlage der Selbstverwaltung zu stärken. Hier, meine Damen und Herren vor allen Dingen von der CDU/CSU, bewährt sich eine gemeindefreundliche Politik, bei der diese Grundlage der SelbstverwalParl. Staatssekretär Dr. Böhme tung, nämlich die Finanzautonomie, nicht dauernd in Frage gestellt und endlich aufgehört wird, ständig aus Ihren Reihen nach einer Abschaffung der Gewerbesteuer zu rufen. Die Gewerbesteuer ist und bleibt ein Hauptpfeiler des kommunalen Steuersystems. ({16}) Zweitens. Die Änderung der künftigen Dringlichkeitsbereiche kommunaler Investitionspolitik setzt eine Stärkung der Selbstverwaltung voraus, weil über die neuen Schwerpunkte in der Stadtentwicklung und im Wohnungswesen sinnvoll nur vor Ort wirklich entschieden werden kann. ({17}) Dies muß für die qualitative Finanzausstattung Folgen haben. Damit ist die Frage der Zweckzuweisungen und der Mitfinanzierung angesprochen. Zunächst zu den Zweckzuweisungen: Hier kann die Antwort, Herr Waffenschmidt, doch nicht lauten, daß der Bund seine Finanzhilfen künftig an die Gemeinden pauschal gewährt. Die Finanzverfassung setzt dem Bund bei der Mitfinanzierung kommunaler Aufgaben enge Grenzen. Die Bedingungen sind in Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes definiert. Der Bund kann nach dieser Verfassungsregel überhaupt nicht direkt an die Gemeinden zahlen, sondern Mittel nur an die Länder übertragen. Grundsätzlich erhalten die Länder die Mittel vom Bund pauschal, d. h. prinzipiell nach der Einwohnerzahl. Daraus ergibt sich, daß der Adressat dieser kommunalen Forderungen nach Abbau der speziellen Finanzzuweisungen zugunsten von mehr allgemeinen Finanzzuweisungen, wofür ich viel Verständnis habe, die Länder sind. Die Mehrzahl - das wissen auch Sie - der finanziellen Transaktionen finden nicht zwischen dem Bund und den Gemeinden, sondern zwischen den Ländern und den Gemeinden statt. Hier wäre es sehr nützlich, tatsächlich einmal eine Durchforstung vorzunehmen. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung hat hierzu vor einiger Zeit einige Daten veröffentlicht. ({18}) - Ja. „Sehr gut", sagen Sie. So ermittelte die Kommission für den Abbau von Staatsaufgaben im Freistaat Bayern z. B. nach dem Stand vom April 1979 insgesamt - man höre und staune - 318 Zuwendungsarten an Kommunen. Die Debatte um einen sinnvollen Abbau der Zweckzuweisungen ist deshalb dort zu führen, wo sie hingehört, nämlich in den Landtagen der einzelnen Bundesländer. ({19}) Der Bund ist hier der falsche Adressat. Wenn das in den Landtagen gemacht wird, ist das eine gute Sache. Zum Problem der Mischfinanzierung nur so viel: Der Bund ist für konkrete Vorschläge offen, wobei Grundlage ist, daß bei einem Abbau der Mischfinanzierung keine der öffentlichen Ebenen ein „Geschäft" machen kann, das heißt, der Abbau der Mischfinanzierung muß in geeigneter Weise im Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern berücksichtigt werden. Zum Schluß möchte ich - wenn Sie erlauben, etwas aus der finanziellen Sicht auszubrechen - darauf hinweisen: Die Stärkung der Selbstverwaltung bedeutet nach meiner Überzeugung nicht nur eine qualitative Verbesserung der Finanzausstattung, ist nicht nur ein Blick zum Stadtsäckel, sondern ist auch eine neuerliche Besinnung auf die urbane Funktion der Städte und die Aufgaben der Gemeinden, den inneren und den sozialen Frieden unter den Bürgern zu erhalten. In vielen Städten und Gemeinden sind neue Probleme entstanden und neue Fragen zu lösen. Offensichtlich funktionieren die bisherigen Ziele und Hoffnungen unserer Gesellschaft, welche auf jährlich steigendes Wachstum angelegt waren, nicht mehr. Für viele jüngere, aber auch für ältere Bürger sind viele bisherige Ziele und Hoffnungen fragwürdig geworden. Dies zeigen die Auseinandersetzungen in vielen Städten um Industrieanlagen und um Straßenbauvorhaben, von großtechnologischen Anlagen wie auf dem Gebiete der Kernenergie ganz zu schweigen. Diese Fragen sind mit Finanzargumenten allein nicht zu beantworten. Es sind letztlich politisch-inhaltliche Fragen und verlangen entsprechend politische Antworten oder genauer: Diese Fragen sind eine Aufforderung zur Fortsetzung einer Politik von qualitativen Reformen. Beispielhaft möchte ich hier das schon mehrfach erwähnte Verkehrslärmschutzgesetz anführen. Ich würde gern Herrn Dregger fragen - er ist jetzt nicht mehr hier -, wie eigentlich seine konkrete Aussage zu diesem Verkehrslärmschutzgesetz ist. Der Deutsche Städtetag hat hier völlig zu recht gefordert: Gerade die Finanznot der öffentlichen Hand soll den Gesetzgeber zum Handeln veranlassen. Unsere Städte brauchen gesetzliche Vorgaben, damit feste, verbindliche und in der Finanzauswirkung berechenbare Grenzwerte festgelegt werden. Gerade das Verkehrslärmschutzgesetz, welches häufig dazu herhalten muß, den Vorwurf der angeblichen Belastung der Gemeinden durch Bundesgesetze zu untermauern, ist ein Beweis für die Not der Fortführung qualitativer Reformen. Ein endgültiges Scheitern des Gesetzes widerspräche eklatant den Interessen unserer Städte und Gemeinden. Dasselbe gilt für Vorhaben im Bau- und Bodenrecht. Die Neufestsetzung von Einheitswerten ist nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit überfällig, sondern auch kommunalpolitisch geboten, weil die Unterbewertung der Grundstücke wesentlich zu den Verzerrungen an unseren Bodenmärkten beigetragen hat. Diese Liste könnte ich jetzt beliebig verlängern. Herr Kollege Baum hat mehrere Beispiele aus den Bereichen vom Gewässerschutz und der Abf all-beseitigung genannt. Entscheidend ist jedoch die Einsicht, daß die komplizierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen einer hochentwickelten Industriege5026 sellschaft wie in der Bundesrepublik Deutschland in ständiger Fortentwicklung begriffen sind und deshalb staatliches Handeln die richtigen Grundlinien braucht, und zwar in Inhalt und Form. Für das letztere, für die Form, für die Organisation der staatlichen Verwaltung bedeutet dies, daß das Prinzip der Selbstverwaltung nach wie vor Geltung beanspruchen muß, weil gerade unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft autonome Bereiche und dezentrale Kompetenzen ein notwendiges Gegengewicht zu den großen Apparaturen der Bürokratie im Staat und in der Wirtschaft sind. Deshalb ist das Bekenntnis der Bundesregierung, das ich eingangs hier besonders betont habe, nämlich guter Partner der Gemeinden sein zu wollen, nicht nur ein Gebot unserer Verfassung, sondern die Grundlage unserer Demokratie im Alltag, in der die Einzelinteressen am Gemeinwohl ausgerichtet sind und daher auch in der Gemeinde am besten ausgeglichen werden können. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Wagner. Staatsminister Dr. Wagner ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ganz richtig, daß ein Vertreter der Länder an dieser Debatte teilnimmt und ein paar Bemerkungen macht, weil die Länder in Beziehung zu den Gemeinden, wie heute mehrfach unterstrichen wurde, eine besondere Verantwortung haben. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage die Ansicht - diese wurde soeben von Herrn Staatssekretär Böhme wiederholt -, die von der Verfassung geforderte ausgewogene Finanzausstattung zwischen dem Bund einerseits und den Ländern und Gemeinden andererseits sei bereits seit Jahren zu Lasten des Bundes gestört. Herr Kollege Böhme, Sie haben hierfür auch ein Zahlenwerk angeführt, das in sich richtig ist. Trotzdem kann ich in der Schlußfolgerung dieser Behauptung in der Antwort und auch in Ihrer Rede nicht zustimmen. ({1}) Denn es ist zwar richtig, daß der Bund vor allem in seiner Verschuldungspolitik der letzten Jahre zum Spitzenreiter der öffentlichen Ebenen geworden ist; dies ist aber zu allererst das Ergebnis seiner eigenen Haushaltswirtschaft, ({2}) und es geht deswegen nicht an, daß der Bund nunmehr anstrebt, die dadurch entstandenen Probleme auch auf Kosten der Länder und Gemeinden zu lösen. Wenn die Gemeinden und Gemeindeverbände in den letzten Jahren eine solidere und vielleicht auch vorsichtigere Haushalts- und Finanzpolitik betrieben haben, so ist dies in erster Linie ihr eigenes Verdienst. Es ist aber, wie ich glaube sagen zu dürfen, auch ein Stück Verdienst der Bundesländer, deren Leistungen an die Kommunen beträchtlich gewachsen sind. Diese Leistungen an die Kommunen sind in allen Ländern beträchtlich gewachsen. Herr Kollege Wolfram, Sie haben darauf angespielt, haben allerdings auch den Schlenker gemacht, in den von SPD und FDP regierten Ländern sei das alles sehr viel besser gewesen, ({3}) und bedeutend schlechter Beie es in den Ländern, die von CDU und CSU regiert werden. ({4}) - Nun, Sie wiederholen das hier. ({5}) Ich beziehe mich jetzt für eine bundesweite Betrachtung - natürlich bin ich auch gern bereit, über mein eigenes Land zu reden - auf den Gemeindefinanzbericht 1981 - auf Unterlagen des Städtetages - und stelle fest, daß die Leistungen innerhalb und außerhalb des Finanzausgleichs sich von 1970 bis 1980 - ich sagte es - überall erheblich gesteigert haben; der Bundesdurchschnitt liegt bei ca. 300 %. Ich muß Ihnen aber sagen, daß nach diesen Unterlagen die beiden Länder, die in diesem Zehnjahreszeitraum ihre Leistungen an die Gemeinden am wenigsten gesteigert haben, die Länder, Hessen und Nordrhein-Westfalen sind. ({6}) Es sind dies, meine Damen und Herren, die beiden einzigen Flächenstaaten, ({7}) die gegenwärtig noch ({8}) von SPD und FDP regiert werden. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wollen Sie hier miteinander reden, oder wollen wir den Finanzminister sprechen lassen? - Bitte! Staatsminister Dr. Wagner ({0}): In aller Bescheidenheit darf ich noch einen landespolitischen Hinweis anfügen: Das Land, dessen Leistungen an die Gemeinden in den letzten zehn Jahren am meisten gestiegen sind, ist das Land RheinlandPfalz. ({1}) Staatsminister Dr. Wagner ({2}) - Meine Damen und Herren, es sind nicht meine Zahlen - obwohl die Zahlen des rheinland-pfälzischen Finanzministeriums auch immer richtig sind -, es sind die Zahlen des Städtetages, und ich nehme an, daß die stimmen. Herr Kollege Wolfram, ich möchte auch anmerken, daß es ganz richtig ist - und natürlich sollen wir uns über das, was erreicht wurde, freuen, und wir können auf das, was erreicht wurde, auch gemeinsam stolz sein; dem stimme ich zu -, daß das Jahrzehnt, das hinter uns liegt, die 70er Jahre, im ganzen ein gutes Jahrzehnt für die Gemeinden war, ({3}) und zwar in vielen Beziehungen, auch finanziell. Natürlich haben daran alle Anteil. Auch der Bund hat daran seinen Anteil; Anteil daran haben die allgemeine Wirtschaftslage, die in der ersten Hälfte des Jahrzehnts gut war, die Länder mit ihren Finanzausgleichsleistungen - ich habe sie erwähnt - und die Gemeinden selber mit ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik. Eines aber möchte ich unterstreichen: Soweit sich in diesem Jahrzehnt günstige Auswirkungen der Bundespolitik gezeigt haben, müssen wir doch objektiverweise einräumen: Es sind dies insbesondere Auswirkungen der Gemeindefinanzreform von 1969. ({4}) Diese Reform wurde in der Großen Koalition durchgeführt und ist mit dem Namen des damaligen Bundesfinanzministers Franz Josef Strauß verbunden. Warum das nicht erwähnen, da es j a doch so ist? Zu den Finanzausgleichsleistungen der Länder habe ich schon etwas gesagt. Die Länder stehen in der Tat noch in einer besonderen verfassungsrechtlichen Verantwortung gegenüber den Gemeinden. Sie bestreiten sie nicht, sie nehmen sie wahr. Sie nehmen sie nach innen wahr, so gut sie können. Sie nehmen sie allerdings auch - ich glaube, dies ist nicht nur ihr Recht, sondern es ist auch ihre Pflicht - in der Treuhänderschaft gegenüber dem Bund wahr. Wenn wir uns hier in Bonn, im Bundesrat, in der Konferenz der Ministerpräsidenten, in der Konferenz der Finanzminister mit diesen Fragen der Gemeinden beschäftigen, dann tun wir das, weil wir die Gemeinden gegenüber dem Bund zu vertreten haben und weil auch die Finanzlage der Länder selber mitbestimmend dafür ist, was die Länder für die Gemeinden tun können. Wir tun selbstverständlich gern so viel für die Gemeinden, wie es nur geht. Aber Voraussetzung dafür ist eine angemessene Verteilung der Finanzmassen zwischen dem Bund auf der einen und den Ländern und Gemeinden auf der anderen Seite. Wir als Länder können die verfassungsmäßigen Aufgaben gegenüber den Kommunen nur dann wahrnehmen, wenn die bundesstaatliche Finanzverteilung uns die materielle Grundlage gibt. Dies zu gewährleisten gehört mit zum gesamtstaatlichen Verantwortungsbereich des Bundes. Herr Staatssekretär Böhme hat hier Ausführungen zur Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben auf den drei Ebenen im vergangenen Jahrzehnt gemacht. Ich will mich aktuelleren Fragen zuwenden, nämlich den Einflüssen auf die Finanzverteilung, die Ressourcenverteilung, die Belastungsverteilung auf die drei Ebenen, die von der sogenannten Operation 1982 sowie von dem ausgehen, was vorher schon im Jahre 1981 vom Bund bewirkt wurde. Darüber hinaus will ich mich mit dem befassen, womit wir auf Grund der Vorschläge, die seit vorgestern bekannt sind, zu rechnen haben. Ich muß leider sagen, daß die gesamtstaatliche Verantwortung für die Finanzen nach meiner Überzeugung und nach dem, was ich sehen kann, nicht das Leitmotiv des Handelns für die Bundesregierung bei der Vorbereitung der Operation 1982 war. Die Bundesregierung hat dabei zu sehr an sich gedacht. Ich muß unterstreichen, daß nach dem Vorschlag der Bundesregierung von der Entlastungswirkung der Operation 1982 88 % zugunsten des Bundes und nur 12 % zugunsten der Länder und Gemeinden, also zugunsten beider, gehen sollten. ({5}) Von diesen 12 % sollten nur 2 % den Gemeindehaushalten zugute kommen. Hier kann man nicht von einer ausreichenden finanzpolitischen Rücksicht auf die Partner im gesamtstaatlichen Finanzverbund sprechen. ({6}) Dies kann man vor allen Dingen dann nicht, wenn ich daran erinnere, daß ja schon vorab im Frühjahr die Operation 1981 gelaufen war, die Steuererhöhungen, die die Erhöhung der Postablieferung ganz überwiegend, zu mehr als 90 %, zugunsten des Bundes gebracht hatte; eine Ausnahme bilden hier lediglich die den Subventionsabbau betreffenden Regelungen. Bei der Operation 1982 war es für den Bundesrat nicht zuletzt der Gesichtspunkt der unzureichenden Verteilung der Lasten und Entlastungen, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Wir haben dort einiges erreicht. Ich möchte allerdings sagen, daß wir mit dem Erreichten durchaus nicht zufrieden sind; denn das Ergebnis ist begrenzt. Das Ergebnis war - ich will jetzt nur auf diese Verteilungsfrage eingehen -, daß sich der Anteil des Bundes von 88 % Entlastungswirkung auf 84 % verringert, also immer noch ungewöhnlich hoch bleibt. Der Anteil der Länder hat sich von 10 % auf 13 %, der Anteil der Gemeinden von 2 % auf 3 % erhöht. Wir haben zu dieser Entlastungswirkung bei den Gemeinden insbesondere dadurch beigetragen, daß wir den Antieg der Sozialausgaben gebremst haben. Natürlich läßt sich, wie Herr Staatssekretär Böhme es hier wieder getan hat, auch gegen dieses Bremsen des Anstiegs der Sozialausgaben, der Sozialhilfe argumentativ etwas einwenden. Gegen jeden Eingriff in ein Leistungsgesetz läßt sich argumentieren; das ist selbstverständlich. Herr Staatssekretär Böhme Staatsminister Dr. Wagner ({7}) hat versucht, uns hier mehr oder weniger darzustellen, daß das ungut ist. ({8}) - Er hat auch wieder so argumentiert, daß das eigentlich ungut ist. Dasselbe hat er zum BAföG gesagt, nämlich daß man das überhaupt nicht vertreten kann. Ich bestreite übrigens, Herr Staatssekretär Böhme, Ihre Berechnung, daß eine weitgehende Kürzung oder Streichung des BAföG für Schüler zu Mehrausgaben bei der Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinden in Höhe von 300 Millionen DM führen würde. Das müßte uns erst mal vorgerechnet werden. Ich halte das für eine gegriffene Zahl, mit der wir nichts anfangen können. Es dürfte weit, weit darunter liegen. Jedenfalls führt diese Argumentation, daß nie etwas geht, dazu, daß man am Ende ist und daß dann aber eines immer noch geht, nämlich Steuererhöhungen. Die sind dann der letzte Ausweg. Das kann man zumuten, weil man sich nicht traut, Kürzungen bei Leistungsgesetzen zuzumuten. ({9}) So sieht es j a nun auch bei den im Beschäftigungsprogramm vorgeschlagenen Maßnahmen aus. Ich will dieses Beschäftigungsprogramm hier nicht im einzelnen behandeln. Dazu werden wir noch Gelegenheit haben. Die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder haben sich gestern schon dazu geäußert. Auch hier muß ich sagen: 1983 würden sich aus diesen Steuerrechtsänderungen und der Einführung einer Investitionszulage, wenn die Steuerrechtsänderungen so kämen - danach sieht es ja nun freilich nicht aus -, folgende Auswirkungen des Pakets auf Länder und Gemeinden ergeben. 1983 würden sich aus diesem Paket per Saldo für den Bund Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden DM, für die Länder Mehreinnahmen von 170 Millionen und für die Kommunen Mindereinnahmen von 150 Millionen ergeben. ({10}) Das setzt sich fort. In der Rechnung sind - das muß ich hinzufügen - nicht die Mehreinnahmen der Kommunen enthalten, die sich dadurch ergeben, daß die erhöhte Mehrwertsteuer in den Verbund eingeht. Sie können aber davon ausgehen, daß das Mehraufkommen an Mehrwertsteuer auf diesem Umweg über den Steuerverbund unter 10 % des gesamten Mehraufkommens liegt. Wenn Sie sich die Verbundsätze und den Länderanteil an der Umsatzsteuer angucken, kommen Sie zu diesem Ergebnis. Das ist weniger als 10 % und wird mehr als aufgewogen durch die zwingenden Mehrausgaben, die auf die Gemeinden im Gefolge der Preissteigerungen und Gehaltssteigerungen zukämen, die mit einer Mehrwertsteuererhöhung verbunden wären. Darauf weise ich nachdrücklich hin. Ich habe wirklich ein bißchen die Sorge, daß auch bei diesem Beschäftigungsprogramm versucht wird, die gute alte deutsche Regel „Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch" ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen und das so zu organisieren, daß die, die die Musik bestellen, sie nur zum Teil, vielleicht sogar nur zum kleineren Teil bezahlen. Zusammenfassend: Es ist nicht zu bestreiten, daß sich im vorigen Jahrzehnt die Gemeindefinanzen im großen und ganzen vorteilhaft entwickelt haben. Die Gründe dafür habe ich genannt. Sie entwickeln sich aber in dieser allerletzten Zeit sehr bedrohlich, ({11}) und die Zukunftsperspektiven sind noch bedrohlicher. ({12}) Was ich nun sage, ist keine Polemik, sondern betrifft ein wirkliches Problem. Sie haben j a aufgefordert, Herr Kollege Wolfram, nicht zu polemisieren, sondern die Probleme zu nennen. Ich nenne die Probleme. Hierzu haben die finanzpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit im vorigen Jahr erheblich beigetragen, die eben im wesentlichen - ganz überwiegend in einem drastischen Mißverhältnis der Notwendigkeiten zueinander - hauptsächlich das Retten der Bundesfinanzen aus den sie bedrohenden Schwierigkeiten im Auge hatten und die auf die gesamtstaatliche Verantwortung, nämlich auf den Blick auch auf die Finanzen der Länder und damit indirekt und auch direkt auf die Finanzen der Gemeinden, viel zu wenig Rücksicht genommen haben. Dies ist leider meine Überzeugung. Ich möchte hier versichern - ({13}) - Ich habe die Beträge genannt, als ich Ihnen vorhin gesagt habe: Die Entlastungswirkung beträgt 84 % für den Bund und 16% für die Länder und Gemeinden. Das spricht für sich. Ich möchte Ihnen versichern, daß wir weiter mit allen Kräften bemüht sein werden, finanzpolitischen Entwicklungen, die in diese Richtung gehen, entgegenzuwirken. Es kommt darauf an, daß eine gesamtstaatlich verantwortbare, d. h. gegenüber allen Ebenen korrekte, aufeinander Rücksicht nehmende Haushalts- und Finanzpolitik verwirklicht wird. Dies ist in den letzten ein, zwei Jahren nicht der Fall gewesen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rentrop.

Friedhelm Rentrop (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001824, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre sicherlich reizvoll, die Zahlenspiele von beiden Seiten heute morgen fortzusetzen - ich hatte eigentlich auch ein Programm darauf zugeschnitten gehabt -, die wegen ständiger Unvollständigkeiten auf der Linie Wagemanns „Kleine Lügen/große Lügen und Statistik" liegen. Ich bin auch dem Staatssekretär Böhme sehr dankbar, daß er die Zahlenreihen, die Ihnen zur Argumentation nützlich erschienen, einigermaßen richtiggestellt hat. ({0}) Es ergibt sich die Frage - und darauf möchte ich mich kurz konzentrieren -: Hat uns die Verfolgung der Ziele der Gemeindefinanzreform immer den richtigen Weg gewiesen? Haben Mischfinanzierungen, Gemeinschaftsfinanzierungen, auch Graubereiche der Bundesfinanzierung, die heute schon anklangen, nicht Begehrlichkeiten geweckt, denen wir heute nicht mehr nachkommen können? Hat diese Gemeindefinanzreform es nicht auch bei den Finanzausgleichen vielfach bei den Empfängern den Blick für die Wirklichkeit verstellt? Dies führt zu der Frage: Steht nicht mehr denn je vor uns die Frage einer Reform der Finanzverfassung? Wir Freien Demokraten haben uns dieser Frage gestellt. Wir haben uns dazu bereits auf unserem Bundesparteitag 1978 bekannt. Auch wenn wir nicht die stärkste Fraktion in den Rathäusern stellen, werden wir nicht müde, an die Gemeinsamkeit zu appellieren, soweit das eine solche Finanzverfassungsreform erfordert. Wir haben in Verfolgung dieser Gedanken eine Kommission „Föderalismus und Finanzverfassung" eingesetzt. Sie hat ihre Arbeit aufgenommen. Wir hoffen, Sie in nicht zu großer Ferne mit Unterlagen versehen zu können, damit wir zu einem gemeinsamen Weg kommen. Wir stoßen auch in diesem Hause immer wieder an Grenzen der Verteilung auf die Gebietskörperschaften. Allein aus der relativ kurzen Zeit meiner Zugehörigkeit zu diesem Hause denke ich an das Thema der Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer, die daran scheiterte, bei sonst gemeinsamem Verständnis hierfür. Ich denke an die Reform der Grunderwerbsteuer, in die diese Frage hineinspielt, und nicht zuletzt an die heute morgen hier schon angesprochene Gewerbesteuer. Es geht um eine bessere, eine einfache Verteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um eine Verminderung der Finanzausgleiche vertikal und horizontal. Hierbei sind wir Freien Demokraten durchaus bereit und entschlossen, auch die Gewerbesteuer immer wieder zur Disposition zu stellen. Gewerbesteuer gibt es in Europa nur noch in Österreich und Luxemburg. Sie führt zu Verzerrungen im internationalen Wettbewerb. Sie wirft auch Fragen der Verfassungsmäßigkeit auf. Müßten wir nicht gerade, um die Gemeindeebene finanziell besser auszustatten, wieder dazu kommen, daß der Bürger weiß, aus seinem Steuerbescheid erfährt, was ihn seine Gemeinde, was das Land und der Bund kosten, und zwar nicht nur Grundbesitzer durch die Abgaben für Grundstücke oder in immer geringer werdendem Teil die Gewerbetreibenden durch die Gewerbesteuer, sondern möglichst alle Bürger? Allen sollte man bewußt machen, was sie ihre Gemeinde kostet. Dann wird der Bürger auch bewußter reagieren und sich interessieren, wenn neue, zusätzliche Einrichtungen wie Rathäuser, Schwimmbäder oder Theater geschaffen werden. Dann wird vielleicht auch begonnen, über die Folgekosten intensiver nachzudenken. Dies hat auch schon begonnen. Ein Beispiel aus der Stadt, in der wir tagen, mag das verdeutlichen, einer Stadt, in deren Parlament Ihre Partei, meine Damen und Herren von der CDU - wie in so vielen Parlamenten, worauf Sie heute morgen hingewiesen haben -, die stärkste Fraktion stellt. Hier wurde im Hinblick auf die überwiegende Finanzierung durch den Bund im Rahmen des Bonn-Vertrages noch 1981 tatsächlich die Forderung nach dem Bau neuer Theaterwerkstätten - einschließlich Grunderwerb für 10 Millionen DM, der als gewerbliches Vorratsgelände sicher sinnvoll war - für 40 Millionen DM gestellt. Hierin war ein vollständiges neues Bühnenhaus mit Schnürboden zur bühnentechnischen Aufhängung von Dekorationen enthalten. Meine Fraktion im Stadtrat wurde beschimpft, weil sie sich dagegen wandte. Aber die 280 000 Bonner Bürger wissen gar nicht, daß allein diese Ausgabe sie mit 150 DM pro Kopf, ob Mann, ob Frau, ob Kind, belastet hätte. Hier gilt es nach unserer Meinung, den Bürger wieder bewußter zu machen. Dies sollte auch ein Beitrag sein, den eine Finanzverfassungsreform auch für die Länderebene stiften sollte. Ich meine, es gibt gute Wege, die den Gemeinden wieder mehr Eigenständigkeit ihrer Finanzierung bieten. - Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht um die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise. Im Laufe des Vormittags habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, es geht um die Frage: wer trägt mehr Schuld an der Überschuldung der Gemeinden, die Gemeinden selbst, die Länder oder der Bund? Der Kollege Wolfram hat erklärt, das letzte Jahrzehnt sei für die Städte und Gemeinden wohl das glücklichste Jahrzehnt gewesen. ({0}) - Der Finanzminister Wagner hat es im Prinzip bestätigt. ({1}) Aber es ist noch nicht die Frage beantwortet, weshalb die Gemeinden Anfang der 70er Jahre in diese „glückliche Lage" gekommen sind ({2}) und weshalb sie in der gleichen Zeit ihre Sozialausgaben vervierfacht und ihre Personalausgaben verdreifacht haben. Erinnern wir uns: 1969 Finanzverfassungsreform und kommunale Finanzreform. Damals erhielten die Gemeinden erstmals einen Anteil am Aufkommen aus der Einkommensteuer. Dies sollte der erste Schritt sein. Es sollten weitere folgen. Der Anteil sollte angehoben werden. Genau das aber ist unterblieben, wie auch eine Steuer- und Finanzreform überhaupt unterblieben ist. ({3}) Der damalige Oberbürgermeister von München -1971 -, Hans-Jochen Vogel, ({4}) hat als Präsident des Deutschen Städtetages im Sommer 1971 den Fanfarenstoß gemacht: „Rettet die Städte jetzt!" Warum hat er das getan? - Weil durch die übertriebene Ausgabenpolitik des Bundes und auf Grund neuer gesetzlicher Auflagen der Push, den es damals zugunsten der Gemeinden gegeben hat, bereits 1971 unwirksam geworden war. In der Tat: Die Wohltat der Finanzverfassungsreform, der Gemeindefinanzreform wurde durch die verfehlte Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik des Bundes wieder zunichte gemacht. Und man kann doch wirklich nicht sagen, daß das Ergebnis der letzten zehn Jahre erfreulich wäre. Das Ergebnis ist doch, daß die Gemeinden heute nicht mehr in der Lage sind, eine antizyklische Konjunkturpolitik zu betreiben, ({5}) mehr zu investieren. Wir haben die Gemeinden handlungsunfähig gemacht. Die Gemeinden sind gar nicht mehr in der Lage, die Zuwendungen, die als Stimulierung für eine neue Konjunktur auf dem Baumarkt gedacht sind, zu nutzen, weil sie die Komplementärmittel nicht aufbringen können. Das muß man eindeutig sehen. Herr Kollege Wolfram, Sie haben an die Adresse des Kollegen Waffenschmidt gemeint, er habe offensichtlich das Manuskript seiner Rede in der bayerischen CSU-Parteizentrale formuliert, formulieren lassen oder sonstwie geistig befruchten lassen. ({6}) Er hat das nicht getan, weil der Kollege Waffenschmidt keine geistigen Darlehen aufzunehmen braucht. Er hat selber genügend in seiner Schatulle. Hätte er es aber getan, dann wäre seine Rede vielleicht noch besser gewesen. ({7}) Der Umgang mit der CSU dient immer der politischen Verfestigung, geistigen Bereicherung, ({8}) und er ist immer ein Schritt dazu, die Wirklichkeit sicherer und klarer zu sehen. Wer sich nur eine Stunde in der CSU-Parteizentrale aufhält, hat mehrere Stunden politischen Realismus für sich gewonnen. ({9}) Dann wurde gefragt - da wurde natürlich gesagt: Bayern -, welche Länder hervorragend gearbeitet hätten. Es gibt in Deutschland eine allgemeine Sehnsucht, die man fast als Desiderium Bavariae bezeichnen könnte, eine Sehnsucht nach Bayern. So würde Bayern bei einem Wettbewerb auf die Frage, wo man am liebsten lebte, vermutlich am besten abschneiden, und zwar trotz dieser wunderschönen anderen Bundesländer, die wir haben. So ist auch die Schönste die Siegerin unter den Schönen. Wenn einer von Bayern spricht, dann sollte er es nicht mit einem etwas abträglichen Soupçon tun, auch nicht im Zusammenhang mit der Kommunalpolitik. ({10}) München ist unsere heimliche Hauptstadt, und die Sehnsucht nach München wird durch keine Sehnsucht nach einer anderen Stadt übertrumpft. ({11}) Ich möchte jetzt weiter zur Sache sprechen. Der Kollege Dregger ist kritisiert worden. Der Kollege Dregger war ein angesehener und erfolgreicher Präsident des Deutschen Städtetages. ({12}) Er hat im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der kommunalen Finanzreform große und bleibende Verdienste. Verehrter Herr Kollege Wolfram, wenn Sie Ihre Rede, die Sie hier gehalten haben, im Präsidium des Deutschen Städtetages oder vor dem Hauptausschuß so hielten und Ihre positiven Apostrophierungen in bezug auf die Bundesrepublik so lautstark wiederholten, fänden Sie sicherlich keinen Beifall, sondern - da bin ich ganz sicher - erheblichen Widerspruch. ({13}) Sie haben hier als weißer Rabe vor dem Bundestag gesprochen. ({14}) Sie haben Ihre roten Federn dabei weggelassen, aber ich bin ganz sicher, daß Sie dies im Kreise Ihrer Kollegen, im Rahmen der Kommunalpolitiker und der Oberbürgermeister, nicht beibehalten könnten. ({15}) Sodann zum Aktuellen: Der Beschluß der Bundesregierung vom 3. Februar 1982 hat auch für die Städte- und Wohnungsbaupolitik Bedeutung. Ich möchte freimütig anerkennen, daß wir es begrüßen, daß die Bundesregierung nunmehr unseren Vorschlag zu den Zeitmietverträgen übernommen hat. ({16}) Wäre dies bereits vor einem Dreivierteljahr geschehen, wären die segensvollen Wirkungen, die davon ausgehen, schon spürbar. Aber spät kommt ihr, doch ihr kommt, und die Reue kommt nie zu spät, selbst in der 11. Stunde ist sie noch wirkungsvoll, in biblischer Auslegung. ({17}) Die Staffelmietverträge, die Sie vorschlagen, werden konjunkturpolitisch ohne jede Wirkung bleiben, weil sie sich nur auf Mietverträge für neu erstellte Wohnungen und nicht auf Neuabschlüsse von Mietverträgen im Altbestand beziehen. Nur wenn dies der Fall wäre, hätte auch die Staffelmiete eine Wirkung. Wir begrüßen sie dennoch, weil sie ein Schritt auf dem Weg zu mehr Vertragsfreiheit ist. Allerdings werden sonst keine sonderlichen Anreize für den Neubau geschaffen, auch wenn damit die Wirtschaftlichkeit in der Wohnungspolitik verbessert worden ist. Aber es ist jedenfalls eine Reform innerhalb eines Systems, das prinzipiell falsch ist, weil es die Vertragsfreiheit nicht wiederherstellt und damit die Möglichkeit zu einem sozial abgesicherten marktwirtschaftlichen Verhalten nicht eröffnet. Zu dem weiteren Gedanken, im Vorgriff baureife unbebaute Grundstücke neu zu bewerten, um die Grundsteuer für diese Grundstücke zu erhöhen, muß etwas gesagt werden. Prinzipiell lehnen auch wir die steuerliche Privilegierung von Grundvermögen ab. Die letzte Hauptfeststellung war am 1. Januar 1964. Die Bundesregierung hat es zu verantworten, daß die Fortschreibung der Hauptfeststellung bisher unterblieben ist. Es sollen alle Grundstücke im Wege einer neuen Hauptfeststellung neu bewertet werden. Wir haben immer zeitnahe Einheitswerte verlangt, denn nur auf Grund zeitnaher Einheitswerte ist eine sachgerechte, abgewogene und differenzierte Grundstücksbesteuerung möglich. Der Gedanke, unbebaute baureife Grundstücke jetzt vorweg neu zu belasten, erinnert ein wenig an die alte Baulandsteuer C. Ich weiß, was Sie vorschlagen wollen - das Gesetz liegt noch nicht ausformuliert vor -, unterscheidet sich davon. Der Unterschied liegt darin, daß Sie zunächst eine Neubewertung vornehmen wollen. Wir werden aber größten Wert darauf legen, daß die Neubewertung sachgerecht erfolgt. Dann ist zu beachten, daß, wenn diese Grundstücke neu bewertet sind und die Einheitswerte beträchtich ansteigen, auch die dazu gehörige Steuermeßzahl reduziert wird. Im Augenblick beträgt die Grundsteuer für baureife unbebaute Grundstücke etwa 1 % des Einheitswertes. Dies ist bisher der Schlüssel. Auch eine neue Gesetzgebung darf die Grundstücke in den Kommunen nicht mehr belasten. Eine weitere Belastung trüge natürlich die Gefahr in sich, daß sie zu einem enteignungsgleichen Eingriff führt. Die Grundsteuer als Realsteuer ist unabhängig vom Einkommen des jeweiligen Eigentümers zu leisten. Ein Grundstück, das nur 1 000 qm groß ist, einen Einheitswert von 400 DM hat - in der Großstadt sofort zu haben -, bringt einen Einheitswert von insgesamt 400 000 DM. Bei einer Steuermeßzahl von 3,5 v. T. bedeutet dies 1 400 DM Steuermeßbetrag. Hebesätze bis zu 400 % ergeben dann eine Grundsteuerbelastung von 5 400 DM pro Jahr für ein Grundstück von 1 000 DM - ({18}) - Von 1 000 qm, Entschuldigung. ({19}) - Herr Wolfram, ich hätte beinahe gesagt, wenn man - - Ich unterlasse es. Ich wollte ein figürliches Spiel mit Nullen machen, bei denen man in Verwirrung kommen könnte, weil sie optisch vor einem stehen. - Meine Damen und Herren, auch heute sind die Grundeigentümer in Großstädten steuerlich keineswegs privilegiert- auch wenn ich mich für zeitnahe Einheitswerte ausspreche -; denn sie haben noch 90 % der Erschließungsleistungen zu bezahlen, und sie haben jährlich kommunale Abgaben, Gebühren und Beiträge, abzuliefern. Warnen möchte ich allerdings davor, zu glauben, diese neue vorgezogene Grundstücksbewertung sei für die Eigentümer ein Stimulans zu bauen. Warum bebauen denn die Eigentümer diese Grundstücke nicht? Weil beim Mietwohnungsbau die Rentabilität seit langem verlorengegangen ist. Selbst die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmungen sind finanziell, wirtschaftlich außerstande, ihre Grundstücke zu bebauen, weil die Baukosten, die Kostenmieten in keinem Verhältnis zu den erzielbaren Mieten stehen, trotz Wohngeld. Warum baut der private Eigennutzer nicht? Die Beschlüsse der Bundesregierung vom 3. Februar 1982 werden auch wohnungspolitisch kein Stimulans darstellen, weil Sie nichts gegen die Hochzinsphase unternehmen und weil Sie insbesondere auch den Eigennutzer, der bauen will, nicht entlasten, indem Sie ihm in der gegenwärtigen Hochzinsphase einen Schuldzinsenabzug ermöglichen. Wer also will, daß der Eigenheimer baut und auch in den Städten sein Grundstück bebaut, der muß ihn finanziell-steuerlich in die Lage versetzen, daß er ihm mindestens einen begrenzten Schuldzinsenabzug für sein eigengenutztes Eigenheim gestattet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Schmitt, bitte zur Zwischenfrage.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schneider, sind Sie bereit, einzuräumen, daß die unbebauten baureifen Grundstücke in den Ballungsgebieten in den letzten Jahren eine Wertsteigerung erfahren haben, die weit über die Wertsteigerung anderer Objekte hinausgeht? Sind Sie weiter bereit, einzuräumen, daß in diesen hohen Grundstückspreisen in den Ballungsgebieten ein wesentliches Investitionshemmnis für den Wohnungsbau besteht? Sind Sie schließlich bereit, mitzuwirken, daß dieses Investitionshemmnis so schnell wie möglich abgebaut wird? ({0})

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Niemand kann bestreiten, daß wir auf dem Grundstücksmarkt eine we5032 sentliche Preisentwicklung nach oben hatten. Deswegen haben wir schon im Jahre 1975 beantragt, die Bundesregierung solle eine neue Hauptfeststellung durchführen. Aber die Bundesregierung hat diese neue Hauptfeststellung unterlassen. Der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wird wissen, daß die Bundesregierung auch jetzt noch nicht in der Lage ist, morgen die Hauptfeststellung voll in Gang zu setzen. Mir ist es zwar klar - und ich weiß es auch -, daß Probebewertungen voranlaufen und daß man einiges vorbereitet hat. Aber die systematische Vorbereitug ist noch nicht abgeschlossen. Die letzte Hauptfeststellung war zum 1. Januar 1964. Heute schreiben wir 1982. Wir haben den Termin längst überzogen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme?

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Rolf Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß jahrelange Vorbereitungen für eine Neubewertung des Grundvermögens getroffen worden sind, daß diese 1979 bereits abgeschlossen waren und daß es der Freistaat Bayern war, der eine völlige Neuaufrollung der gesamten bis dahin abgeschlossenen Planungsvorbereitungen durchgesetzt hat? ({0})

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Einspruch des Freistaates Bayern bezog sich nicht auf die baureifen unbebauten Grundstücke. Grund war der bekannte Streit, ob man bei Wohngrundstücken das Rohmietverfahren oder das Sachwertverfahren wählt. Jetzt wird sich das Rohmietverfahren durchsetzen und nicht das Sachwertverfahren, weil nur das Rohmietverfahren die Eigentümer von Wohngrundstücken vor Überbesteuerung schützt. Wir Bayern treten dafür ein, daß man die Eigentümer von Wohngrundstücken nicht überbesteuert. Das war der Grund. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Schneider, Sie haben noch einige Minuten Redezeit.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine 15 Minuten Redezeit sind am Ende. Ich darf eine Schlußbemerkung machen. Meine Damen und Herren, der Bundesgesetzgeber kann sehr viel tun, den Gemeinden zu helfen, die örtlichen Aufgaben zu lösen, wenn er aufhört, die Gemeinden mit einem noch engmaschigeren Netz von neuen Gesetzen zu überziehen. Die Gemeinden sind nur dann in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen, wenn die kommunale Selbstverwaltung durch Bundesgesetze nicht weiter gegängelt wird. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die Zwischenfrage und durch den Beitrag des Kollegen Dr. Schneider sind wir schon auf die Probleme der Baulandbeschaffung gekommen. In unserer Großen Anfrage haben wir auch dazu der Bundesregierung einige Fragen gestellt. Die Antworten, die die Bundesregierung dazu gegeben hat, sind kläglich, teilweise für die Verfasser sogar peinlich. ({0}) Sie werden der Bedeutung dieser Frage für die Bauwirtschaft und für die augenblickliche Baukonjunktur und für die kommunale Praxis in keiner Weise gerecht. In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung auf die sogenannte Baulandnovelle, die wir zur Zeit im Städtebauausschuß beraten. Die Antwort der Bundesregierung und der Hinweis auf die Baulandnovelle sind treffende Beweise für die Konzeptionslosigkeit der Regierung einerseits und andererseits dafür, daß der Mangel an vernünftigen Lösungsvorschlägen durch einen neuen Wust perfektionistischer Normen im Bundesbaugesetz verschleiert wird. ({1}) Wir brauchen im Baurecht nicht mehr Gesetze, schon gar nicht mehr Bestimmungen, die kein Mensch mehr verstehen kann. Wir brauchen vielmehr ein lesbares und durchgreifendes Instrumentarium für die Praktiker in der Kommunalverwaltung und natürlich auch für die Bauwilligen. ({2}) Das Baurecht ist nämlich längst zu einem Bauverhinderungsrecht geworden. ({3}) Der Berliner Senator Dr. Blüm hat in der vorletzten Woche in der Debatte über das Zweite Haushaltsstrukturgesetz dazu einige anschauliche Beispiele gegeben. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur Lage der Bauwirtschaft mußte die Regierung in diesen Tagen feststellen, daß 1981 gegenüber 1980 40 000 Bauarbeiter zusätzlich arbeitslos geworden sind. Dann folgt die Feststellung der Regierung: Diese arbeitslosen Bauarbeiter kosten den Staat rund 800 Millionen DM. Inzwischen ist diese Zahl der zusätzlich arbeitslos gewordenen Bauarbeiter auf 90 000 gestiegen. Sie kosten also nach dieser Feststellung den Staat 1,8 Milliarden DM. Aber nicht nur die gestiegenen Baupreise und die Baulandkosten sind schuld an dieser Misere, sondern auch der unüberbietbare Bürokratismus allzu vieler und, wie wir feststellen müssen, auch zu schlechter Gesetze. ({4}) Dieser Trend wird durch die Baulandnovelle nicht nur bestätigt, sondern mehr und mehr beschleunigt. Mit neuen Instrumenten wie der erweiterten Umlegung und den gemeindlichen Entwicklungsmaßnahmen soll das Angebot an verfügbarem Bauland verDr. Möller größert und sollen Preissteigerungen verhindert werden. Meine Damen und Herren; keines dieser Ziele ist mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Katalog von Maßnahmen auch nur annähernd zu erreichen. ({5}) In dieser Feststellung und in dieser Bewertung sind sich inzwischen alle von dem Entwurf betroffenen Institutionen, Gruppen und Verbände einig. Auch in der Wissenschaft regt sich scharfer Widerspruch. Der Deutsche Städtetag schreibt dazu, daß die vorgesehenen Maßnahmen nicht - erst recht nicht in der gegenwärtigen Lage - geeignet sind, in der Praxis das Baulandangebot für den Wohnungsbau nennenswert zu erhöhen. Die Schwierigkeiten im Bausektor liegen ja nicht nur im Bereich der rechtlichen Instrumente, sondern haben andere, vor allem wirtschaftliche und psychologische Ursachen, und diese werden durch den Entwurf in keiner Weise beseitigt; im Gegenteil: Sie werden verstärkt. ({6}) Meine Damen und Herren, die Bundesnotarkammer weist in ihrer Stellungnahme auf die verfassungsrechtlichen, auf die rechtssystematischen und auf die ordnungspolitischen Fehler des Entwurfs hin. Sie sagt, die Gesamtheit der vorgesehenen Regelungen greife in massiver Weise in die vom Grundgesetz geschützte Eigentumsordnung ein. Die öffentliche Hand wird damit wieder einmal zum Umverteiler des Eigentums an Grund und Boden; Privatrecht wird durch öffentliches Recht ersetzt; d. h. wiederum: mehr Staat. ({7}) Ganz besonders hart geht der Deutsche Anwaltverein mit dem Entwurf zur Baulandnovelle ins Gericht. Dem Gesetzentwurf fehlten, so heißt es, die politischen Entscheidungen. Er wolle die vorhandenen Mängel auf dem Bau- und Wohnungsmarkt mit rechtstechnischen Instrumenten verwirklichen. Es heißt weiter, sie könnten aber politsche Entscheidungen nicht ersetzen. Ferner heißt es beim Deutschen Anwaltverein, aber auch in ihrer gesetzes-technischen Ausgestaltung seien die Vorschläge unbrauchbar. ({8}) Der Entwurf sei nur Stückwerk. Ihm fehle auch jedes Gespür für die praktische Vollziehbarkeit gesetzlicher Regelungen. Dann folgt die Aussage, die Bestimmungen würden totes Papier bleiben. Meine Damen und Herren, der Bundestag sollte aber nicht totes Papier produzieren und leere Formeln aufstellen, sondern praktikables, verständliches und anwendbares Recht schaffen. ({9}) Das Recht darf nicht zum Orakel werden und mit Kartenlegen und Bleigießen auf eine Stufe gestellt werden. Wenn dieser Entwurf mit seinen überaus komplizierten Regelungen trotz der vernichtenden Fachkritik Gesetz würde, wäre eine weitere Quelle geöffnet für zahllose und langandauernde Prozesse mit unvorhersehbarem Ausgang. Justiz und Verwaltung müßten verzweifeln. Bauwillige Bürger und investitionsbereite Unternehmer werden mutlos und verzagt ihren Bauwunsch beerdigen. Weitere Staatsverdrossenheit ist programmiert. Gesetze mit immer mehr Geboten und immer mehr Verboten schaffen weder Bauland noch verfügbare Wohnungen ({10}) und können schon gar nicht die Preise nach unten beeinflussen. Wenn die Zahl der Gesetze mit der Zahl der gebauten Wohnungen verglichen wird, drängt sich die Erkenntnis auf: Je mehr Gesetze, desto weniger Wohnungen. 1967 mußten für eine Baugenehmigung 48 Gesetze und Verordnungen beachtet werden. Heute sind es sage und schreibe 225 Gesetze und Verordnungen. ({11}) Aber damals, 1967, wurden 600 000 Wohnungen gebaut, heute nicht einmal mehr 400 000. Die Devise muß also lauten: Weniger Gesetze und mehr Wohnungen. ({12}) Der Deutsche Bundestag sollte sich erst dann wieder mit dem Bundesbaugesetz befassen, wenn eine Gesamtnovellierung einschließlich der Probleme, die auf dem Tisch liegen, in Sicht ist und wenn die Zahl der Einzelbestimmungen verringert werden kann. Innerhalb von fünf Jahren drei größere Novellen - das verkraften die Verwaltung und die Justiz nicht mehr. Weil wir zu viele Gesetze haben, läuft nichts mehr. Weniger wäre deshalb mehr. Unser Appell geht deshalb an die Bundesregierung: Ziehen Sie die Baulandnovelle unverzüglich zurück. ({13}) Die Beratung des Entwurfs wäre nur ein Beschäftigungsprogramm für die Bundesregierung, sonst aber lediglich unnütze Zeitverschwendung. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schneider und Herr Dr. Möller haben die Städtebau- und Wohnungsprobleme in unseren Städten und Gemeinden angesprochen. Mittlerweile habe ich allerdings den Eindruck, daß wir jetzt so etwas wie eine Ausschußsitzung erleben; denn in den Beiträgen wurde doch sehr speziell auf die einzelnen Punkte eingegangen. Die Sozialdemokraten sind bereit - das darf ich sagen -, im zuständigen Ausschuß mit aller Akribie und mit aller Sorgfalt die Dinge aufzunehmen und zu diskutieren, die Sie vorgetragen haben. Wir sind natürlich der Meinung, daß beide Punkte, die Sie angesprochen haben - einmal die vorgezogene er5034 höhte Besteuerung des unbebauten baureifen Baulandes und zum anderen die Baulandnovelle -, im Gesamtkonzept durchaus eine Rolle spielen. Zu dem Gesamtkonzept will ich gleich etwas sagen, weil ich glaube, daß die Reduzierung der Problematik auf die Ausschnitte, die Sie geliefert haben, eigentlich nicht wiedergibt, wie die Situation im Wohnungs- und Städtebau in unseren Städten und Gemeinden ist. Mehr Menschen als jemals zuvor haben in unserem Land angemessene Wohnungen. Das Mietrecht hat sich bewährt. In vielen Städten, Gemeinden und Dörfern sind Erneuerungs- und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt worden, die unsere Städte und Gemeinden in den letzten zehn Jahren ein gutes Stück vorangebracht haben. Der Kollege Wolfram hat das schon mit allem Nachdruck betont. Ich kann das, was er gesagt hat, nur unterstreichen. Trotzdem gibt es in unseren Städten und Gemeinden Probleme. Diese Probleme, die sich ganz besonders in den großen Städten in Form des Wohnungsmangels zeigen, haben ihren Grund darin, daß der Neubau stagniert, rückläufig ist und der Bestand an Wohnungen nicht in dem Ausmaß gesichert wird, wie es nötig wäre. Der Neubau stagniert - ganz richtig, Herr Dr. Möller -, weil die Zinsen und die Baukosten entgegenstehen, aber auch weil es die Baulandproblematik gibt. Der Grundstücksmangel in den großen Städten ist ein ganz zentrales Investitionshemmnis. Darüber wird nicht gesprochen. Sie sprechen sonst immer soviel von Investitionshemmnissen. Das ist ein ganz zentrales Investitionshemmnis, und deshalb müssen wir versuchen, Instrumente zu finden, die es ermöglichen, es zu bekämpfen. Dazu gehören die beiden Punkte, die angesprochen worden sind. Von der Baulandnovelle versprechen wir uns nicht, daß sie die riesengroße Bodenreform wird, die sich Sozialdemokraten vorgenommen haben. Aber diese Novelle könnte doch Partikelchen enthalten, die den Gemeinden und Städten helfen könnten, ein Stück der Problematik aufzufangen. Ich appelliere noch einmal an die Städte und Gemeinden, an die Spitzenverbände, den Deutschen Städtetag und den Deutschen Städte- und Gemeindebund, mit uns darüber zu sprechen, wie das praktikabel gemacht werden kann. Die Sozialdemokraten sind bereit, vor Verabschiedung der Baulandnovelle im Bundestag vor Ort gemeinsam mit jenen, die das Gesetz praktizieren müssen, zu klären, wie es funktioniert und wie man es machen sollte. Dabei unterstelle ich, daß Sie mit uns zusammen der Meinung sind: Wir müssen den Städten und Gemeinden helfen, mehr als bisher Bauland zu mobiliseren. Das ist doch das Ziel des Unternehmens. ({0}) Daher geht mein dringender Appell noch einmal an die Kommunalpolitiker und ihre Spitzenverbände, mit uns gemeinsam im Gespräch Lösungen zu finden, damit dann im Gesetz das seinen Niederschlag findet, was wirklich notwendig und praktikabel ist. Uns geht es nicht darum, irgend etwas zu beschließen, was die Gemeinden belastet. Wir wollen ihnen Instrumente zur Verfügung stellen. Wir sind bereit, diese Instrumente zusammen mit den Gemeinden zu erarbeiten. Zur vorgezogenen Erhöhung der Besteuerung für unbebaute baureife Grundstücke: Uns wäre es natürlich auch lieber, Herr Dr. Schneider, wenn die Neufeststellung der Einheitswerte zu diesem Zeitpunkt schon möglich wäre. Weil es nun so ist, wie es ist, meinen wir, daß man zunächst darangehen sollte, diesen Punkt vorab zu beschließen und unter Dach und Fach zu bringen. Was Sie zur erhöhten Besteuerung der unbebauten baureifen Grundstücke gesagt haben, hat mich deshalb ein bißchen gewundert, weil es 1973 doch einen Beschluß der CSU gegeben hat. Der Name dieser bekannten Partei ist heute morgen schon mehrfach gefallen. Sie haben damals gesagt, Sie wollten einen Planungswertausgleich haben. Das hat die CSU beschlossen. Anschließend hat man gedacht: Die Sozialdemokraten wollen das auch, das scheint wohl etwas zu sein, was wir nicht wollen sollten. Dann hat man sich nicht mehr dazu bekannt. Anschließend hat man eine erhöhte Grundsteuer gefordert - alles Dinge, die Sie seitens Ihrer Partei vorgetragen haben. Jetzt auf einmal bekennt man sich nicht mehr dazu. Auch in diesem Punkt sagen wir: Wir sind bereit, über die Modalitäten zu sprechen. Aber eine erhöhte Besteuerung von unbebauten baureifen Grundstükken wäre ein Instrument, um den Gemeinden zu helfen. Übrigens, Herr Dr. Waffenschmidt - weil Sie heute morgen gesagt haben, wir sollten keine Gesetze mehr beschließen, die die Gemeinden finanziell belasteten -, dies sind Gesetze, die die Gemeinden entlasten. Da kommt etwas in die Gemeindekassen. Ehe Sie all das abwehren, was wir am 3. 2. 1982 beschlossen haben, ({1}) ehe Sie sagen, daß Sie das nicht wollten, sollten Sie sagen: Wir sind bereit mit den Sozialdemokraten und den Liberalen zusammen daraus das Bestmögliche zu machen. - Wir sind dazu bereit. Das würde auch zugunsten der Gemeinden laufen. ({2}) Lassen Sie uns also ganz konstruktiv daran weiterarbeiten, die erhöhte Besteuerung unbebauter baureifer Grundstücke möglichst schnell unter Dach und Fach zu bekommen. ({3}) Ein letztes Wort zu einem Bereich, der hier viel zu kurz gekommen ist: Neben dem Neubau spielt der Bestand eine große Rolle. Es geht zuviel an Bestand in unserem Land verloren. ({4}) Zwischen 1972 und 1978 sind 1,5 Millionen Wohnungen mit einem und zwei Zimmern verschwunden. Jedes Jahr verschwinden 50 000 bis 100 000 Wohnungen durch Zusammenlegung, durch Abriß, durch Leerstand, durch Umnutzung, all die Dinge, die da eine Rolle spielen. ({5}) Das ist ein Punkt, den wir weiterverfolgen müssen. Der ist jetzt nicht in den konkreten Gesetzesvorlagen enthalten, wir wollen und müssen ihn aber aufnehmen. Unsere Steuergesetzgebung führt dazu, daß heute mehr als bisher das Kapitalinteresse, das Investitionsinteresse sich auf den Bestand richtet. Auch da noch einmal die Einladung und der Appell an alle die, die Kommunalpolitik machen: Laßt uns zusammen Instrumente suchen, die ein Stück von dem, was sich da an Investitionsinteresse auf den Bestand konzentriert, in den Neubau lenken. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der bei uns Interesse findet, an dem wir arbeiten und den wir miteinander aufnehmen sollten, um da zu guten Entscheidungen zu kommen. Ich meine. gerade der Wohnungs- und Städtebau ist ein Bereich, wo der Bundestag quer durch alle Fraktionen hindurch gemeinsam Konzepte suchen und finden sollte - zusammen mit den Gemeinden, zum Wohle der Gemeinden. Es geht nicht darum, Kontroversen zu finden, sondern es geht darum, für die Gemeinden die richtigen Konzepte zu finden. Herzliche Bitte an Sie: Sperren Sie sich nicht gegen vernünftige Dinge, die jetzt von uns in den Gesetzesvorlagen vorgegeben sind, nur weil Ihre Oberstrategen meinen, das passe nicht in das Gesamtbild und man müsse jetzt durchs Land ziehen und in den Gemeinden und Städten verkünden, es sei alles ganz schlimm auf dieser Welt, besonders in den Städten und Gemeinden, und daran hätten natürlich die Sozialdemokraten schuld. - Das ist alles ganz anders. Sie wissen auch, daß das anders ist. Lassen Sie das deshalb ganz konstruktiv weiterlaufen, ganz besonders auch, was Städte- und Wohnungsbau angeht. - Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Bundesminister Dr. Haack.

Dr. Dieter Haack (Minister:in)

Politiker ID: 11000757

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine kurze Bemerkung zum gegenwärtigen Stand der Debatte machen, weil von Herrn Kollegen Schneider und auch von Herrn Kollegen Möller die Fragen des Bodenrechts, des Städtebaus und Wohnungsbaus angesprochen worden sind. Herr Kollege Müntefering hat gerade schon einiges dazu gesagt, was hier auch gesagt werden mußte. Herr Kollege Möller, ich wundere mich wirklich, daß von Ihrer Seite in bestimmten Bereichen pausenlos von einer Investitionsbremse gesprochen wird, z. B. von der Investitionsbremse Mietrecht. Sie haben heute die Investitionsbremse Gesetzgebung allgemein hier angeführt. Aber hinsichtlich anderer Bereiche wie dem Baulandmangel, dem Zustand in unserem Bodenrecht, der nachgewiesenermaßen eine Investitionsbremse ist, wird von Ihnen nicht von Bremsen gesprochen. ({0}) Auf Grund der langen Diskussion der letzten Monate gerade auch in einer schwierigen Situation unserer Baukonjunktur habe ich langsam wirklich das Gefühl, daß das Argument der Investitionsbremse nur noch von bestimmten politischen Gruppierungen verwendet wird, um gesellschaftliche Reformen zu verhindern oder unter Umständen sogar noch zurückzudrehen. ({1}) Wenn Sie über Investitionsbremsen gerade im Bereich des Bauens glaubwürdig sprechen wollen, müssen Sie doch das Bodenrecht mit einführen, sonst ist die Diskussion nicht mehr glaubwürdig. ({2}) Ich nenne Ihnen zwei Zahlen. Im Jahre 1980 ist im Vergleich zum Jahr 1979 die für Bauzwecke in der Bundesrepublik verkaufte Fläche um 14 % zurückgegangen. Nur in einem Jahr sind von der Fläche her 14 % weniger verkauft worden. ({3}) Die Preise sind aber nicht zurückgegangen. Das hat dazu geführt, daß wir einen Baulandmangel haben. Warum haben wir einen Baulandmangel? Weil vorhandene baureife Grundstücke gehortet werden, spekulativ zurückgehalten werden, obwohl wir sie in der Baulandnutzung brauchen. ({4}) Eine zweite Zahl. Sie können doch an der Preissituation nicht vorbeigehen. Auch hier gebe ich Ihnen die Vergleichszahl des Jahres 1980 gegenüber dem Jahre 1979. Wir hatten eine Steigerung der Baulandpreise in den Städten, wo wir einen besonderen Baulandmangel haben - das beginnt schon bei den Mittelstädten und setzt sich in den Großstädten fort -, in einem Jahr in einer Größenordnung von etwa 25 %. Das ist nach wie vor die Situation auf unserem Bodenmarkt. Wir haben ein zu geringes Angebot an Bauland. Das Bauland, das angeboten wird, wird enorm teuer angeboten, und von daher haben wir weniger Investitionen, als wir sonst eigentlich hätten, und zwar unabhängig von der Finanzierung. Es ist z. B. nicht richtig, daß die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser im letzten Jahr - Herr Möller, hören Sie bitte einmal zu, das ist ein ganz wichtiges Argument - nur deshalb drastisch zurückgegangen sei, nämlich um 25 %, weil die Leute nicht mehr finanzieren könnten. Das ist zwar ein ganz wesentlicher Grund, aber es ist nicht der alleinige Grund. Wir haben nach wie vor Fälle, wo die Bürger finanzieren könnten, wo sie aber dort, wo sie bauen wollen, kein Bauland bekommen, obwohl das Gelände als Baugebiet ausgewiesen ist. Die Grundstückseigentümer erklären sich nämlich nicht bereit, solche Grundstücke tatsächlich zu verkaufen. 5036 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 84. Sitzung. Bonn, Freitag, den b. Februar 1982 Hätten wir in der Bundesrepublik Deutschland genügend Bauland, würden trotz der gegenwärtigen schwierigen Finanzierungsverhältnisse nach meiner Berechnung rund 100 000 Einfamilienhäuser mehr gebaut werden können. ({5}) Hier geht es um ein Investitionsvolumen in der Größenordnung von 30 Milliarden DM. Ich habe deshalb die herzliche Bitte, wenn Sie über Investitionsbremsen sprechen und wenn Sie sagen, wir müßten der Bauwirtschaft helfen, nicht von dem Problem des Bodenrechts abzulenken und mit einer gängigen, populären Formulierung zu versuchen, die Diskussion zu bestreiten, wie Sie es vorhin getan haben, als Sie sagten, die Hauptinvestitionsbremse seien zu viele Gesetze. Das sind doch Stammtischargumente, Herr Möller. Damit können Sie doch hier als Fachmann nicht diskutieren. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?

Dr. Friedrich Adolf Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, da Sie von den Investitionshemmnissen reden, habe ich die Frage: Sind Sie bereit, zuzugestehen, daß die Bundesregierung im Mai vergangenen Jahres die steuerlichen Anreize im Wohnungsbau abgelehnt und erst im September einen Grundsatzbeschluß hierzu gefaßt hat und dann auf die Linie der Union eingeschwenkt ist und daß dadurch der Tatbestand eingetreten ist, daß die Bauindustrie ein Dreivierteljahr nachhinkt? Dies alles hätte früher geschehen können. ({0})

Dr. Dieter Haack (Minister:in)

Politiker ID: 11000757

Wir haben im Mai nichts abgelehnt, sondern haben uns im Mai, weil es unterschiedliche Auffassungen gibt, noch nicht zu all den Entscheidungen zusammengefunden, die wir etwa im September getroffen haben. Das ist nach meiner Auffassung ein völlig legitimer Prozeß. Eines können Sie aber nicht machen, Herr Kollege Jahn, daß Sie, wie es der Kollege Möller vorhin getan, hier das Instrument der Zeitmietverträge in die Diskussion einführen ({0}) - dann war es der Kollege Schneider; einer von Ihnen beiden muß es gewesen sein - und dann sagen, wenn die Regierung damals beschlossen hätte, was sie jetzt vor wenigen Tagen beschlossen hat, dann hätten wir das Instrument schon. Das stimmt nicht. Selbst wenn wir es im letzten Jahr seitens der Bundesregierung beschlossen hätten, wäre es nach wie vor in der Gesetzesberatung des Bundestages. Sie haben erst vorgestern Ihr Hearing abgehalten. ({1}) Es könnte frühestens in diesem Jahr beschlossen werden. Ich bitte also, hier glaubwürdig zu argumentieren. Die letzte Bemerkung meinerseits, weil Sie, Herr Kollege Möller, hier mehrmals den Städtetag und seine kritischen Einwendungen gegenüber unserer Baugesetznovelle in die Diskussion gebracht haben: Diese Einwendungen sind mir bekannt, aber Sie können doch jetzt nicht den Städtetag als Zeugen dafür anrufen, daß er auch dagegen sei, daß sich insgesamt im bodenrechtlichen Bereich etwas bewegt, wenn er nur gegen einen vorgelegten Gesetzentwurf bestimmte Einwendungen erhoben hat. Erst vor wenigen Wochen hatte ich ein Gespräch mit den Präsidenten der drei kommunalen Spitzenverbände und ich habe mit diesen über die Baulandproblematik gesprochen. Es gab in diesem Kreise keinen Widerspruch gegen Überlegungen, auch über den steuerlichen Bereich Bauland zu mobilisieren. In der letzten Nummer der Zeitschrift des Deutschen Städtetages wird über die Bodenpolitik diskutiert und in einem Artikel von Herrn Thiemann, der ein Experte ist, über die Baulandpreise gesprochen. Die Schlußfolgerungen von Herrn Thiemann mache ich mir voll zu eigen, und ich zitiere sie hier. Er sagt: Da nach allgemeiner Auffassung der Baulandbedarf langfristig auch in Zukunft trotz Rückgangs der Bevölkerungzahlen anhalten wird und mit einem Nachwachsen der Nachfrage gerechnet werden muß, - in dieser Analyse sind wir uns ja auch einig ist es notwendig, nach bodenpolitischen Wegen zu suchen, mit denen einerseits Bauland bereitgestellt wird und andererseits die Preise des Baulands bei Anerkennung ihrer Verteilungsfunktion in Grenzen gehalten werden. Das erforderliche Angebot an Bauland kann nicht allein durch planerische Ausweitung bewirkt werden. Das begründet er noch. Er fährt dann fort: Wollte man die Baulandnot nur auf diese Weise beheben, - nämlich nur durch einen Appell an die Gemeinden, mehr Bauland auszuweisen so würden auf die Gemeinden unverhältnismäßige finanzielle Belastungen durch die Finanzierung der Erschließung zukommen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, daß das Horten von Bauland - darum geht es nämlich und damit auch der Baulücken heute noch eine der besten Kapitalanlagen darstellt. Ein wesentliches bodenpolitisches Ziel muß daher in der Mobilisierung des jeweils vorhandenen Vorrates an Bauland liegen, um dem gestörten Marktgleichgewicht entgegenzuwirken. Da die seinerzeit angestrebte Bodenwertabschöpfung aus der politischen Diskussion ist, dürften u. a. langBundesminister Dr. Haack fristig steuerliche Maßnahmen zu erwägen sein. ({2}) Das ist genau der Ansatz, den auch wir vertreten. Ich stelle jetzt an Sie die abschließende Frage, ob Sie überhaupt bereit sind, in diesem Bereich etwas mitzumachen. ({3}) Die neue Baulandnovelle, die wir Ihnen vorgelegt haben, lehnen Sie ab. Sie hat nicht nur die Inhalte, die Sie erwähnt haben - Umlegungsverfahren -, sondern auch etwa den gesamten Gebotsteil. ({4}) Steuerliche Überlegungen lehnen Sie ab. Da wir aber wissen, daß wir auch in diesem Bereich nur unter Berücksichtigung der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen im Bundesrat weiterkommen, hätte ich die herzliche Bitte, daß Sie von seiten der CDU/CSU - wenn Sie die Rufe, der Bauwirtschaft zu helfen, ehrlich meinen - hier möglichst bald Ihre Vorstellungen zu der notwendigen Reform vorlegen. Herr Kollege Schneider, ich wäre schon dankbar, wenn Sie bei diesen Vorschlägen auf die Vorschläge der CSU von 1973 zurückgreifen würden. Bei Ihrer Rede habe ich das Gefühl gehabt, daß Ihnen diese Vorschläge nicht mehr präsent sind. Deshalb werde ich mir erlauben, Ihnen diese Vorschläge jetzt wieder zu überreichen und sie mit der Bitte in Ihr Gedächtnis zurückzurufen, sie hier möglichst bald als Gesetzentwurf der Oppositionsfraktion vorzulegen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Braun.

Gerhard Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Wenn wir heute Gelegenheit haben, über die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen, sollten wir im Rahmen dieser Diskussion nicht nur die Leistungen der Kommunen im sozialen Bereich würdigen, sondern gleichzeitig auch Überlegungen darüber anstellen, wie in Zukunft auf sozialem Gebiet eine gerechtere Verteilung der aufzubringenden Mittel erfolgen kann. Herr Staatssekretär Böhme, hier geht es nicht um den Aufbau von Vorurteilen gegenüber der Sozialhilfe und gegenüber den Sozialhilfeempfängern, sondern einfach darum - ich wiederhole das -, wie hier eine gerechtere Verteilung der insgesamt aufzubringenden Mittel erfolgen kann. ({0}) Untersuchen wir, wofür die Sozialhilfeleistungen aufgebracht werden, so stellen wir fest, daß sich die Praxis von dem Geist und Wollen des Bundessozialhilfegesetzes aus dem Jahre 1961 immer mehr entfernt hat. Heute gibt es in der Sozialhilfe zwei große Ausgabenblöcke: einerseits erhebliche Kosten für die Hilfe zur Pflege, andererseits für die Unterbringung und den Unterhalt der Asylanten. Hierüber ist gestern breit diskutiert worden. Ich darf nur noch einmal die eindrucksvollen Zahlen in Erinnerung rufen, die Senator Fink aus Berlin hier zu diesem Thema, bezüglich dieser Ausgaben genannt hat. ({1}) Meine Damen und Herren, aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage geht hervor, daß die Ausgaben für die Sozialhilfe - ich beziehe mich jetzt ausschließlich auf die Zahlen, die in der Antwort angegeben worden sind - im Jahre 1970 rund 3,3 Milliarden DM betrugen und im Jahre 1980 die Rekordmarke von rund 13,1 Milliarden DM erreichten. Ich würde hier selbst als Oppositionspolitiker nicht den Schluß ziehen, daß sich Armut und Not in Zeiten der jetzigen Koalition, die sich gern die sozialliberale nennt, etwa vervierfacht haben. Es kann auch nicht alleine daran liegen, daß ein Anspruchsdenken Platz gegriffen hat, das mit dem Geist des Bundessozialhilfegesetzes nicht in Einklang steht. ({2}) Nach wie vor wird das Gesetz vom Grundsatz der Nachrangigkeit bestimmt. Das heißt, daß die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Hilfsmöglichkeiten, auch innerhalb der eigenen Familie, erschöpft sind. ({3}) Ich habe vorhin auf den stark gestiegenen Sozialhilfeaufwand hingewiesen. Hierzu muß auch gesagt werden, daß die in der Antwort angegebenen Zahlen nicht die Gesamtkosten für die Sozialhilfe sind. Das Statistische Bundesamt stellt in den Vorbemerkungen zum Bericht über Sozialhilfe ausdrücklich fest - ich zitiere aus diesen Vorbemerkungen -: Aus erhebungstechnischen Gründen und zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung werden dabei von den berichtspflichtigen örtlichen und überörtlichen Trägern der Sozialhilfe nur die Geld- und Sachleistungen als Sozialhilfe nachgewiesen, nicht dagegen - so heißt es in den Vorbemerkungen weiter die zum Teil erheblichen Leistungen, die in Form von pesönlicher Hilfe und Beratung erbracht werden. ({4}) - Herr Jaunich, ich bitte um Nachsicht - einige Kollegen wollen noch nach mir sprechen -, daß ich Zwischenfragen jetzt nicht zulassen möchte. - Durch Verschweigen dieser Tatsache werden wei5038 tere von den Gemeinden aufgebrachte Millionenbeträge überhaupt nicht erwähnt, erfaßt ({5}) und dementsprechend auch nicht in eine Teilerstattung einbezogen. ({6}) Nur damit keine Mißdeutungen auftreten können, meine Damen und Herren, sei erwähnt, daß der Hinweis auf Seite 28 der Antwort der Bundesregierung schlicht falsch ist, ({7}) wo gesagt wird, den Kommunen als Sozialhilfeträgern würden „rund 23 v. H. der Bruttoaufwendungen für soziale Leistungen insgesamt" als Einnahmen wieder zufließen. Sozialhilfe ist nur ein Teil der Sozialhilfeleistungen insgesamt. Die Gemeinden leisten auf sozialem Gebeit erheblich mehr, als die Sozialhilfestatistik ausweist. Was diese finanziell nicht erfaßbare persönliche Hilfe und Beratung betrifft, möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Sozialämtern für ihre Arbeit und ihren Einsatz heute herzlich danken. Gerade in diesen Tagen mit den Neuerungen und Kürzungen im Sozialhilfebereich sollten wir an die denken, die dies alles vor Ort umzusetzen und dabei auch manches zu ertragen haben. ({8}) Nun, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu unserem Entschließungsantrag auf Drucksache 9/1304, der Ihnen vorgelegt ist, einige Berner-kungen bezüglich der Aufforderung an die Bundesregierung, über die bisherige Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit dem Titel „Aufbau und Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegedienste" zu berichten. Sie kennen das Anliegen, das hinter diesem Begriff und hinter diesem Namen steht. Finanziell gesehen, machen heute die Kosten für die Hilfe zur Pflege über ein Drittel der Gesamtkosten der Sozialhilfe aus. Die menschlichen Probleme wiegen aber noch schwerer. Vor einigen Jahren, nämlich bei der Debatte über die Lage der älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, habe ich auf die veränderte Bevölkerungsstruktur und gleichzeitig auf die damit auftretenden und zu lösenden Probleme hingewiesen. Sie sind bespielsweise: Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Die Zahl der Hochbetagten und damit der Pflegebedürftigen vergrößerte sich erheblich. Infolge anhaltender Kostensteigerungen reichen heute in den meisten Fällen eine noch so hohe Rente und eine noch so schöne Pension nicht mehr aus, um die Pflegekosten bei einer Heimunterbringung zu decken. Der einzige Ausweg kann - Rechtsanspruch hin, Rechtsanspruch her - nicht sein, nach einem arbeitsreichen Leben auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Die Notwendigkeit einer Kostenregelung ist anläßlich der 48. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder im November letzten Jahres in Berlin in Form der dort verabschiedeten Entschließung zum Ausdruck gekommen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen finanz- und wirtschaftspolitischen Situation können Verbesserungen bei der Absicherung der Pflegebedürftigkeit sicher nur schrittweise angegangen und durchgesetzt werden. Die Berliner Entschließung der Gesundheitsminister, verbunden mit dem vom Land Berlin inzwischen an das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen vergebenen Gutachtenauftrag zum Thema „Ausgewogene Absicherung der Gesundheitsrisiken", bedeutet jedoch nicht, daß man dieses Problem vor sich herschieben darf. Die Entschließung spricht vielmehr gerade die Erwartung aus, daß die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern die notwendigen Klärungen herbeiführt, die eine politische Entscheidung ermöglichen. Da die Bund-Länder-Arbeitsgruppe seit längerer Zeit ihre Arbeit durchführt und bereits seit März 1980, also seit nunmehr fast zwei Jahren, ein Bericht vorliegt, aber seitens der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag noch keine konkreten Ergebnisse vorgelegt wurden, erscheint es dringend geboten, nunmehr den Deutschen Bundestag an den politischen Entscheidungen zu beteiligen. Wenn die Bundesregierung bis Ende Juni 1982 den Bericht vorlegt, wird es möglich sein, das vorhin von mir erwähnte vorliegende Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen in die Arbeit einzubeziehen. Vor einigen Wochen wurde in einem Fernsehbericht das von mir aufgezeigte Problem als „Die vergessene Reform" bezeichnet. Die vom Volk gewählten Vertreter - wir - haben sich um Lösungen zu bemühen. Ich bitte Sie daher, der Überweisung der von uns vorgelegten Entschließung zuzustimmen. Ich bitte gleichzeitig den federführenden Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse um zügige Beratung, damit wir den Bericht von der Bundesregierung pünktlich bekommen. Denken wir daran, daß wir für eine Generation handeln, der wir Dank und Anerkennung schulden, die nach dem Zusammenbruch 1945 durch ihre Arbeit die Grundlagen für unseren heutigen Wohlstand geschaffen hat. - Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst ein Wort zum Wohnungsbauminister Haack. Wir brauchen kein neues Baulandrecht, Herr Minister. Wir brauchen mehr Gestaltungsfreiheit für die Gemeinden. Dann wären viele Investitionen möglich. In Nordrhein-Westfalen ist es z. B. so: Wenn sie nicht sofort einen Anschluß an eine vollbiologische Kläranlage haben, dürfen Sie nicht einmal auf einem, als Bauland ausgewiesenen Gelände bauen. Sie dürfen es einfach nicht. Selbst wenn Sie ein Haus abreißen, dürfen Sie unter diesen Voraussetzungen kein neues Haus bauen. Wir waren dieser Tage bei einer großen Bundesanstalt, die uns erklärt hat, es wäre unproblematisch und wünschenswert, wenn für eine gewisse Übergangszeit wieder Drei-Kammer-Klärgruben möglich wären, nur um bestimmte Bauinvestitionen zu ermöglichen. Das müßte doch möglich sein. Es ist teilweise Aufgabe der Länder. Aber hier den Weg freizuschaufeln für wünschenswerte Investitionen in Millionen- und Milliardenhöhe, besonders im ländlichen Raum, ist ein Wunsch und eine Aufforderung, die wir hier noch einmal vortragen möchten. ({0}) Die Städte leben nicht nur vom Wohnungsbau und vom Geld, sie leben vor allem aus der Kraft der einzelnen Bürger und aus den kleinen lebendigen Zellen, den vielen Gemeinschaften. Dies ist mein Thema. Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß die Aufgaben des Staates in den vergangenen Jahren wohl unbestrittenerweise erheblich gewachsen sind. Die Aktivität des Staates steigt. Doch die zunehmende Verlagerung von öffentlichen Aufgaben auf den Staat ist problematisch. Das erkennen die Bürger mehr und mehr. Viele Bedürfnisse des einzelnen, die früher von privaten Einrichtungen befriedigt wurden, werden es heute wie selbstverständlich vom Staat; die Aufgaben werden auf ihn übertragen, oder aber der Staat hat sich diese Aufgaben zu eigen gemacht. In vielen Bereichen, wie Erziehung, Ausbildung, Arbeitsplatzbeschaffung, Gesundheit, Wohnung, Altersversorgung usw., gewinnt er immer mehr an Einfluß und Macht; ({1}) „leider", müßte man hinzufügen. ({2}) Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, daß zunächst einmal die Politik auf der Anklagebank sitzt. Die Bürger spüren, daß es nicht nur eine wirtschaftliche Krise gibt, sondern auch eine Krise des Wohlfahrtsstaates. ({3}) Es ist dies eine Orientierungskrise infolge eines übertriebenen Anspruchs auf Machbarkeit aller Dinge, auch ausgelöst durch die Politik der vergangenen Jahre, die nun zu einem Prozeß der Enttäuschung führt. ({4}) Die Politik ist sozusagen zum Letztadressaten für viele Bürger geworden. Wenn es nicht klappt, ist die Politik schuld. Da wird auch nicht groß differenziert. Es heißt dann einfach „die Politiker". Darüber muß man nachdenken. ({5}) - Es spricht der Bürgermeister einer Stadt, Herr Kollege, die seit 1978, d. h. jetzt im fünften Etat, keinen Pfennig Kredit aufgenommen hat, keinen Pfennig Schulden gemacht hat - im Gegenteil weniger -, die den Bürgern sehr viel zugetraut hat, die sehr viel privatisiert hat, die nicht Ihre Politik verfolgt hat, sondern die davon ausgegangen ist: Nicht eine Regierung oder der Staat können alles besser, sondern die Bürger können es allemal besser. ({6}) - Sie sind herzlich eingeladen. Bringen Sie den Finanzminister gleich mit, dann kann er sich einige Informationen darüber holen. . ({7}) - Das ist eben der Unterschied. Herr Wolfram, bei Ihnen müssen die städtischen Arbeiter für viel Geld die Grünanlagen der Schulen pflegen. Bei uns machen das die Schüler selbst. Dadurch haben wir einen mehrfachen Vorteil: Erstens. Die Schüler wissen, worum es geht. Zweitens. Es geht nicht nur ums Geld, aber wir sparen auch Geld dabei. Drittens. Die Hälfte dessen, was Ihre Arbeiter kosten, kriegen bei uns die Schulen zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensbereiche. ({8}) Das bringt zwar noch nicht viel Geld. Aber wir haben auch Schwimmbäder und ganze Sportanlagen privatisiert, viele Dinge in die Verantwortung der Bürger gegeben. Wir brauchen unsere Steuern und Abgaben auch 1982 nicht zu erhöhen und haben einen ausgeglichenen Etat. Die Politik, zumal die Politik dieser Bundesregierung, sitzt auf der Anklagebank. Die Bürger spüren, wie gesagt, daß es nicht nur eine wirtschaftliche Krise, sondern auch eine Krise des Wohlfahrtsstaates gibt. Der Wohlfahrtsstaat produziert Instabilität in dem Maße, in dem er sich vor Fragen gestellt findet, die er selbst verursacht, aber nicht vorausgesehen hat. Er wollte dem Bürger viele soziale Wohltaten zugute kommen lassen und steht heute vor der Frage: Wer soll das bezahlen? Der Wohlfahrtsstaat läuft sozusagen von selbst. Es ist fast unmöglich, diese Entwicklung zu kritisieren, ohne in die fundamentale Struktur dieses Systems einzugreifen. Große Erwartungen sind geweckt worden. Vieles konnte nicht erfüllt werden. Wir stehen vor einer Selbstüberforderung des politischen Systems. Und nun will man dem einzelnen Bürger Härte und Opfer zumuten, ohne das Vertrauen in die Demokratie zu zerstören? ({9}) Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Welche Bedeutung haben die freien Träger? ({10}) Freie Träger bieten Alternativen, fordern Konkurrenz und sind Konkurrenz. Und dies braucht der Staat heute dringender denn je. ({11}) Die freien Träger sind es, die den Bürger ansprechen und aktivieren, die ihn bereit machen, soziale Verantwortung zu übernehmen. Sie fordern ihn heraus. Sie bilden mit ihm Gemeinschaften. Sie übertragen viel Verantwortung auf den einzelnen. Es muß doch zu denken geben, daß viele Bürger heute über zuviel Bürokratie klagen, zuviel Zentralismus, Perfektionismus, Bevormundung. Auch die Gemeinden sind in den vergangenen Jahren nicht nur finanziell geschwächt, sondern leider auch immer stärker bevormundet worden. ({12}) Es ist überhaupt ein Merkmal dieser Bundesregierung, ständig auf dem Wege der Bevormundung der Bürger zu sein, weil sie meint, sie könne alles besser. Es stellt sich aber heraus, daß dies nicht der Fall ist. Die Bürger in unserem Lande wollen auch nicht bevormundet werden. Sie sind eben keine Patienten, die sich in ständiger Behandlung des Staates befinden. Sie sind eigenverantwortliche Bürger, ({13}) die auf der Suche nach mehr Freiheit, nach mehr Verantwortung bei der Gestaltung ihrer eigenen Lebensformen sind. ({14}) - Daß ein Kollege der SPD aus der Großstadt Köln sich bei diesen Ausführungen zu dem Zwischenruf „Zum Thema" gedrängt fühlt, beweist, wie weit Sie bereits vom Bürger weggetreten sind. ({15}) Es ist wirklich eine politische Wende notwendig, um wieder eine Ordnung zu schaffen, die am Beginn der Politik der Union stand und die den Menschen, Herr Gilges, zum Mittelpunkt hat, die ihm die gesellschaftliche Macht mit dem machtverteilenden Prinzip des Wettbewerbs dienstbar macht und ihn seine sozialen Aufgaben nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe bewältigen läßt. ({16}) Wir sehen unsere politische Aufgabe von heute und morgen darin, die Befreiung des arbeitenden Menschen aus einer Vielzahl von Zwängen und Bevormundungen zu erreichen. Dazu gehört aber eine andere Politik, und dazu gehört - das ist unsere These - ein bescheidenerer Staat. Dazu gehört mehr Vertrauen in die Bürger, in ihre Phantasie, ({17}) in ihre Leistungsbereitschaft, in ihr Können, ({18}) und in ihren guten Willen, in ihre Bereitschaft zur Solidarität. Jeder Bürger, dem so geholfen wird, ist ein Partner, und dieser Partner braucht Hilfe, um sein Leben eigenverantwortlich und auch in Verantwortung für das Allgemeinwohl zu gestalten. ({19}) - Das sind Grundsätze und Prinzipien, die in Ihr Bewußtsein, Herr Gilges, sicherlich so schnell leider nicht dringen werden. ({20}) - Es ist schon ein Unterschied, ob man praktische Erfahrung hat oder nicht und ob man dem Staat oder dem Bürger mehr zutraut. ({21}) Die Union plädiert eben für weniger direkten politischen Einfluß. Sie plädiert für einen bescheidenen Staat, der dem Bürger wieder mehr zutraut, der ihn herausfordert. Sie plädiert für Dezentralität und Subsidiarität, d. h. Hilfe zur Selbsthilfe. ({22}) Ohne freie Träger geht es nicht. Ihre Arbeit umfaßt in der Regel auch die geistig-seelische Sphäre. ({23}) - Daß Sie auch das nicht verstehen, ist nun wirklich betrüblich. Hier sind staatliche und auch kommunale Einrichtungen überfordert. Frau Huber hat dieser Tage gesagt - wenn Sie auch das nicht verstehen, muß sie Ihnen selbst Unterricht erteilen -, ({24}) sie beklage die Kälte des Staates, und es sei in diesem Staat kalt geworden. Wenn Sie berücksichtigen, daß der Bundeskanzler die Wasserrechnung nicht mehr versteht und daß er sich heute darüber ausläßt, daß er auch die kommunale Neuordnung für einen Fehlschlag hält, dann wissen Sie, daß Frau Huber nicht so unrecht hat. Die Frage ist, wie man dem begegnet, nicht mit noch mehr Kommunalisierung, noch mehr Staat, noch mehr Abhängigkeit, sondern mit mehr Subsidiarität, mit einer Wende im Vertrauen auf den Bürger. Freie Träger sind Garanten der Kontinuität, auch der Kontinuität des persönlichen Kontakts. Dies ist besonders auch da der Fall, wo es um die Überwindung der menschlichen Vereinsamung geht. Wir möchten in dieser Debatte, wo viel über Finanzen, Grundstücke und Wohnungsbau gesprochen worden ist, einmal den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern im sozialen Bereich ein ausdrückliches Dankeschön sagen. ({25}) Wir sind für die vielfältigen Initiativen dankbar, und wir sind für die großartige Bereitschaft vieler, vieler junger Menschen dankbar, zu helfen, ({26}) solidarisch zu sein, in die Solidarität mit den Älteren zu treten, zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen, in die Landeskrankenhäuser zu gehen. Das muß auch von diesem Pult aus öfter gesagt werden, ({27}) damit das Weinerliche und Klagende aufhört. Diese Jugend in diesem Land ist besser, als sie oftmals auch von dieser Regierung dargestellt wird. ({28}) Wir möchten die vielen freien Initiativen in diesem Lande in ihrer Haltung ermutigen, wohl wissend, daß diese Bereitschaft nur in einem bescheidenen Staat wachsen kann, der sein Handeln auf das Vertrauen in die Bürger gründet. ({29}) Wir brauchen ein neues Gleichgewicht zwischen Bürger und Staat. Deswegen brauchen wir mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung, deswegen brauchen wir auch mehr Vertrauen in die kommunale Selbstverantwortung, und deswegen brauchen wir auch mehr Vertrauen in die Mitverantwortung der freien Träger. Dafür plädiert die Union. Deswegen hat sie einen entsprechenden Antrag vorgelegt und bittet um zügige Beratung im Interesse des Staates selbst, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern im Interesse des Ganzen und des Gemeinwesens; denn die Bürger sind nicht nur willig, sie sind bereit, sie wollen Ziele und Perspektiven erkennen. Damit dies möglich ist, brauchen sie wieder mehr Freiraum und Gestaltungsmöglichkeit, sie brauchen Herausforderung und, wie gesagt, einen Staat, der nicht meint, er könne alles besser, sondern der hinter das zurücktritt, was die Bürger selbst können. Deswegen wäre Hilfe zur Selbsthilfe, Vertrauen und Herausforderung die beste Maxime für die Gestaltung der Zukunft. - Herzlichen Dank. ({30})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, ehe ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich gern eine Mitteilung machen, damit Sie über die Geschäftslage informiert sind. Mir liegen zu diesem Tagesordnungspunkt, zur aufgerufenen Großen Anfrage, noch sechs Wortmeldungen vor. Es ist jetzt 13 Uhr. Wir legen jetzt keine Mittagspause ein, sondern führen die Debatte fort, bis sie beendet ist. Dann werden wir in eine Pause eintreten, bis die Nachmittagssitzung eröffnet wird. - Kein Widerspruch. Das Wort hat der Herr Kollege Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei meiner Zeitvorgabe, aber auch von dem Inhalt dessen, was der Vorredner vorgetragen hat, verzichte ich darauf, in irgendeiner Form darauf einzugehen, es lohnt sich auch nicht. ({0}) Einige von uns sind und viele von uns waren in der Kommunalpolitik tätig. Ich hoffe auf die Zustimmung all derer, die bereits im kommunalpolitischen Bereich gearbeitet haben oder noch arbeiten, wenn ich feststelle, daß Kommunalpolitik auch Sozialpolitik beinhaltet und daß Sozialpolitik in diesem Zusammenhang nicht nur als Last empfunden wird, wie es die Fragen der Opposition zu diesem Thema - sprich Sozialhilfe - vermuten und erahnen lassen. Über das Instrument Bundessozialhilfegesetz besteht ein beachtlicher sozialpolitischer Gestaltungsraum für die Gemeinden. Dies sollten die Redner der Opposition, wenn sie nicht sachkundig genug sind wie heute morgen Herr Dregger, ({1}) erst einmal verinnerlichen. Schauen Sie bitte einmal in das Gesetz hinein, über das hier auch geredet wird, nämlich in das Bundessozialhilfegesetz. Dann werden Sie sehen, welch enormer Handlungsspielraum für die Gemeinden darin begründet ist. Bitte erinnern Sie sich doch auch - ich habe den Eindruck, daß das bei Ihnen immer mehr nachläßt -, daß das Bundessozialhilfegesetz im Jahre 1961 mit einer beachtlichen Mehrheit verabschiedet wurde. Mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet war die CDU/CSU in diesem Hause. Das ist ein Gesetz, das von Ihnen gekommen ist, das Sie getragen haben ({2}) und bei dem die Finanzierung so festgeschrieben worden ist. Ich darf daran erinnern, daß wir alle gemeinsam die nachfolgenden Leistungsverbesserungsnovellen hierzu getragen haben. Ich darf Sie weiter daran erinnern, daß wir uns in der letzten Wahlperiode im Rahmen der 4. Novelle um weitere Leistungsverbesserungen bemüht haben. Wir konnten nicht alles realisieren. Sowohl die Sprecher der CDU/CSU als auch ich für meine Fraktion mußten als Mangel feststellen, daß es uns nicht möglich ist, die Sozialhilfeempfänger zumindest am Zuwachs der Kindergeldleistungen zu beteiligen. Dies alles können Sie doch nicht verdrängen; das kann doch nicht vom einen auf den anderen Tag beiseite geschoben werden. Das Bundessozialhilfegesetz ist seit jüngster Zeit Gegenstand kontroverser Diskussion, die sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht und die oftmals ohne die erforderliche Kenntnis von Fakten und Zusammenhängen bestritten wird. In Teilen der Öffentlichkeit herrscht unverkennbar die Neigung vor, Stammtischkolportagen über die Sozialhilfe für bare Münze zu nehmen und daran politische Bewertungen zu knüpfen. Schuld daran, daß dies so ist, sind auch Politiker, die es zwar eigentlich besser wissen müßten, die gleichwohl aber den vielen Falschinformationen nicht widersprechen, sondern auf der Welle der Kritik, die von falschen Voraussetzungen ausgeht, mitschwimmen. ({3}) Räumen wir doch endlich einmal mit dem Vorurteil auf, als gehe es um Penner und Drückeberger, wenn von Sozialhilfe gesprochen wird. ({4}) Schauen Sie einmal in der Sozialhilfestatistik nach, um welche menschlichen Schicksale es hier geht. Dann werden Sie feststellen, daß es vorwiegend alte Menschen und hier insbesondere Frauen sind, die auf Grund fehlender Alterssicherung in die Verlegenheit geraten, Sozialhilfe beziehen zu müssen. Die Äußerungen, die Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender auf dem Hamburger Parteitag zu diesem Thema gemacht hat, sind nicht geeignet, diesen falschen Eindruck zu verwischen. Da wird z. B. der Eindruck erweckt, als könnten sich Sozialhilfeempfänger auf Kosten der Steuerzahler gewissermaßen ein gutes Leben machen. ({5}) - Das können einzelne - das will ich überhaupt nicht bestreiten -, aber es kommt doch auf den Entscheidungsspielraum an, den die Kommune hierbei hat. Den hat sie, und den muß sie in sinnvoller Weise nutzen. Dafür brauchen wir keine gesetzlichen Anderungen. Wer an dieser Masche mitstrickt, dem kann ich nur empfehlen, probeweise einen Monat lang seinen Unterhalt aus dem Warenkorb zu bestreiten, der seit 1970 unverändert der Berechnung des sogenannten Regelsatzes zugrunde liegt. ({6}) Ich bin sicher, daß dies zu einer Korrektur entsprechender Vorurteile führen würde. Ein anderes Beispiel. Da werden verschiedentlich Einkommensvergleiche zwischen Familien von Sozialhilfeempfängern und Arbeitnehmern in den untersten Lohn- und Gehaltsgruppen angestellt. Abgesehen davon, daß die meisten dieser Rechnungen Fehler aufweisen, wird so getan, als sei es für manchen einträglicher, die Hände in den Schoß zu legen und zum Sozialamt zu gehen, anstatt zu arbeiten. In Wahrheit gibt es diese Alternative nicht. Denn nach den einschlägigen Bestimmungen hat derjenige, der sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Bei nachgewiesener Arbeitsunwilligkeit kann der Sozialhilfeträger die Zahlung von Sozialhilfe ablehnen oder seine Hilfe bis auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche einschränken. Im übrigen kann er auch statt Barleistungen ausschließlich Sachleistungen erbringen, und so wird in der Praxis auch verfahren. Es ist ja nicht so, als würden die Gemeinden und Gemeindeverbände hier falsch handeln. Dies muß sich auch Herr Dr. Waffenschmidt, der das heute morgen ähnlich beschrieben hat, sagen lassen. Diese Beispiele zeigen: wir alle wären gut beraten, wenn wir den Menschen in unserem Lande klarmachten, was Sozialhilfe wirklich bedeutet, anstatt Gerüchte über die Sozialhilfe zu verbreiten. Deswegen bin ich dankbar für die Gelegenheit, im Rahmen dieser Großen Anfrage darauf hinweisen zu können. Ich bin als Sozialdemokrat froh darüber und stolz darauf, daß wir daran haben mitwirken können, die Sozialhilfe rechtsansprüchlich ausgestaltet zu schaffen, um den Menschen zu helfen, die ihre Notlage nicht aus eigener Kraft überwinden können. Ich bin aber auch betrübt darüber, daß wir, die wir entscheidende Verbesserungen mit bewirken konnten, im Rahmen der Operation '82 Abstriche bei der Sozialhilfe hinnehmen mußten. Wir haben entsprechende Vorschläge nicht in die Gesetzgebung eingebracht. Diese haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, über die Mehrheit im Bundesrat hineingebracht und mit ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuß bis hier in dieses Parlament transportiert. ({7}) Uns wäre nur die Alternative geblieben, die gesamte Operation '82 scheitern zu lassen. Deswegen haben wir die Leistungsverschlechterung bei der Sozialhilfe hingenommen, die an den falschen Punkten ansetzt. Die Belastung für die Gemeinden ergibt sich nicht aus der Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern aus der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Herr Kollege Braun, Sie haben ein Beispiel genannt. Ich kann Ihnen an dieser Stelle gleich versichern: Die Beratung im Ausschuß über Ihren Antrag kann innerhalb weniger Minuten geschehen. Da gibt es keinen Unterschied zwischen uns. Die Bundesregierung kann innerhalb weniger Tage diesen Bericht liefern; denn der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe liegt ja vor. Er zeigt auch Alternativen. Hier rennen Sie offene Türen ein. Keine Frage. Zurück zur Operation '82 und den bewirkten Leistungsverschlechterungen. Was ist eigentlich von Ihnen, meine Damen und Herren der Union, zu halten? ({8}) Sie bringen zunächst über die Mehrheit im Bundesrat Kürzungsvorschläge ein. Wenn dann Widerstand dagegen deutlich wird, wie es bei der Kürzung des Zusatztaschengeldes der Fall ist, dann sagt Herr Senator Blüm von Berlin in einer Boulevardzeitung dazu, das müsse weg, das sei so nicht in Ordnung. ({9}) Nun, ich kann dem Senator Blüm nur raten, er möge das Problem für sich in Berlin in Ordnung bringen. Dort kann er es in Ordnung bringen. Ich meine, primär geht es nicht darum, das Zusatztaschengeld wieder mehreren Personen zur Verfügung zu stellen. Es muß vielmehr dafür gesorgt werden, daß das Grundtaschengeld, das jeder Heimbewohner erhält, bedarfsgerecht ausgestattet ist. Keine Privilegierung jener, die ohnehin noch zusätzliche Einnahmen haben! ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin leider auf Grund der verkürzten Redezeit nicht mehr in der Lage, mich den Problemen zu widmen, die von der Struktur her die Sozialhilfeleistungen der Gemeinden in starkem Maße haben anwachsen lassen. Ich kann mich da etwa dem anschließen, was der Kollege Braun gesagt hat. Ich möchte zum Schluß kurz zusammenfassend feststellen. Erstens. Sozialhilfe wird auch in Zukunft eine Aufgabe der Gemeinden und Gemeindeverbände sein, eine Aufgabe, die sie nicht als Last empfinden werden, sondern wo sie ihre Gestaltungsspielräume freudig erkennen und nutzen werden. Zweitens. Die Gemeinden und Gemeindeverbände werden zu überlegen haben, ob sie ihre vorbeugenden Hilfen im Rahmen des BSHG insbesondere für Obdachlose und Nicht-Seßhafte ausbauen müßten, weil hierin auch der Schlüssel dafür liegt, die künftigen Belastungen nicht anwachsen zu lassen. Drittens. Es wird auch im Zusammenhang mit der Pflegekostenproblematik darum gehen, verstärkt ambulante Dienste vorzuhalten, ohne Vollprofessionalisierung, füge ich hinzu, damit den alten und pflegebedürftigen Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, so lange es eben geht, in ihrer eigenen Häuslichkeit zu bleiben, weil dies der humanste Weg ist, der obendrein sicherlich kostengünstiger ist. ({11})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Sick.

Willi Peter Sick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister meinte, wir sollten keine Schuldzuweisungen vornehmen, sondern uns um Probleme kümmern. Ich weiß nicht, wie er das gemeint hat. Ich sehe, daß die Regierungsbank nicht gerade voll besetzt ist. ({0}) Danach scheint es mir auch zu gehen: herkommen, lange und inhaltsleere Reden halten und dann weglaufen. ({1}) - Sie sind dann einer, der das noch viel schmerzlicher erlebt hat, Herr Wehner. ({2}) - Ich stelle fest, daß der Fraktionsvorsitzende der SPD meint, es sei eine Phrase, wenn sich die Regierung nicht um das kümmert, worauf sie hier selbst antwortet. Das nehmen wir entsprechend zur Kenntnis. ({3}) Im übrigen habe ich wegen der Zeit, die hier zum Teil durch Überflüssiges verplempert wurde, nur die Möglichkeit, in kurzen Zügen auf einige Punkte hinzuweisen. ({4}) - Auf Sie komme ich noch gezielt, Herr Wolfram. Sie haben mich nämlich auf etwas gebracht. ({5}) Die Punkte Verkehr und Raumordnungsstruktur können wir im einzelnen nicht ausdiskutieren. Herr Wolfram, Sie sprachen als Vertreter eines Ballungsraums auch die dortigen Probleme an. Ich möchte als Vertreter eines ländlichen Raums aber auch die Probleme solcher Regionen ansprechen, weil ich sehe, daß die Politik der Bundesregierung extrem flächenfeindlich ist. ({6}) Das begann mit der Erhöhung der Mineralölsteuer, mit weniger Straßenbau und dem Abbau des Schienenverkehrs. Es ist richtig, Herr Wolfram, daß sich die Standortbedingungen aus vielen Einzelkomponenten zusammensetzen. Aber der Verkehr ist ein ganz wichtiger Faktor. Wie sollen wir in den ländlichen Gebieten Lehrstellen und Arbeitsplätze schaffen, wenn dieser wichtige Standortfaktor immer mehr beschädigt wird? ({7}) Es geht nicht nur um die Mineralölsteuer und den Abbau der Gasölbetriebsbeihilfe. Unsere Bauern werden arm gemacht. Das sind bisher für uns die wichtigsten Investoren gewesen. ({8}) Ich kann es hier nur sehr kurz machen und meine, daß alles dies dazu führt, daß wir auch noch unser System beschädigen. Ich greife einmal das Stichwort „Verbandsklage" auf. Wir machen unser föderalistisches System und unsere Selbstverwaltung zu einer Farce, wenn wir immer weiter die Entscheidungsmöglichkeiten aushöhlen und hinterher praktisch nichts mehr zu melden haben. ({9}) Lassen Sie mich kurz zusammenfassen. Damit wir unseren Auftrag aus dem Grundgesetz und aus dem Bundesraumordnungsgesetz erfüllen können, vergleichbare Lebensbedingungen überall zu schaffen, auch um der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt dieses Landes willen, ({10}) aber auch um des Erhalts unseres Föderalismus willen, um einer lebendigen Selbstverwaltung und der Entwicklung aller Räume im Bundesgebiet willen wird es höchste Zeit, daß in diesem Land die Regierung gewechselt wird. ({11})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Schroeder ({0}).

Dr. Conrad Schroeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002075, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion weist die Bundesregierung darauf hin, daß die kommunalen Haushalte in den letzten Jahren einen erheblichen Konsolidierungsvorsprung vor den Ländern, insbesondere auch vor dem Bund gewinnen konnte. Wir wollen die Zahlen gar nicht in Frage stellen. Die Antwort der Bundesregierung zur kommunalen Finanzausstattung krankt aber leider daran, daß sie lediglich die Entwicklung der Kommunalfinanzen in der Vergangenheit darstellt und kaum auf die aktuelle Situation und darauf eingeht, wie es eigentlich weitergehen soll. Auch heute ist in dieser langen Debatte keine schlüssige Beantwortung gegeben worden, wie es in der Zukunft aussehen soll. ({0}) Herr Staatssekretär Dr. Böhme hat sich wie auch die anderen Redner der Koalition in den Ergebnissen der Gemeindefinanzreform von 1969 gesonnt, die Franz Josef Strauß damals als Finanzminister in der Großen Koalition durchgesetzt hat. ({1}) Allein die segensreichen Folgen der Gemeindefinanzreform von 1969 haben bis heute Schlimmeres bei den Kommunalfinanzen verhindert. ({2}) Wegen der besonderen Struktur der kommunalen Finanzen erleben wir jetzt teilweise einen drastischen Verfall der Steuereinnahmen. Der Rekord an Insolvenzen der Unternehmen schlägt mit schweren Einbrüchen voll auf die konjunkturabhängige Gewerbesteuer durch. Der Anteil der Gemeinden an der Einkommen- und Lohnsteuer stagniert zunehmend wegen der bedrohlich wachsenden Zahl der Arbeitslosen. Nach den jüngsten Steuerschätzungen wird die Entwicklung der Steuereinnahmen der Kommunen ab 1982 erheblich hinter der des Bundes und der Länder liegen. Herr Kollege Dr. Dregger und Herr Dr. Waffenschmidt haben bereits auf die drastische Verschlechterung hingewiesen. Die Situation der Gemeinden wird noch zusätzlich verschärft durch die deutlich gesunkenen, hier soviel gepriesenen Investitionszuweisungen von Bund und Ländern. Alarmierend ist nicht nur, daß der Bund im Bereich der Mischfinanzierung seine Zuweisungen zu Lasten der Gemeinden kürzt. Der zusätzliche Rückzug des Bundes aus der Finanzierung von sogenannten Pilotprojekten oder Modellvorhaben in den Gemeinden ist ein ganz besonders trauriges Kapitel Bonner Politik. Das führt vielfach dazu, daß die Kommunen auf halbfertigen Objekten sitzen bleiben ({3}) oder unerwartete Folgekosten zu tragen haben. Zu einem Trauma ganz besonderer Art sind für Gemeinden und Kreise auch die sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geworden. Nach dem Auslaufen der Bundesfinanzierung bleibt häufig nichts anderes übrig als Übernahme und Finanzierung durch die Gemeinden mit der Folge einer starken Personalstellenvermehrung zu Lasten der Verwaltungshaushalte. ({4}) Besonders deutlich wird der Bankrott der Bonner Finanzpolitik neuerdings dadurch, daß vordringliche kommunale Straßenbaumaßnahmen, für die Zuschüsse des Bundes nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zustehen, von den Kommunen auf Jahre hinaus vorfinanziert oder anderenfalls als „ewige Baustellen" beschildert werden müssen. Man sollte dann am besten gleich ein zusätzliches Schild anbringen, daß die Verantwortung aufzeigt. Herr Staatssekretär Dr. Böhme weiß genau, wie es draußen aussieht, auch in der Stadt, in der er sich jetzt anzuschicken versucht, OB zu werden. ({5}) Herr Staatssekretär Dr. Böhme hat vorhin in der Debatte ausgeführt, daß zum Bereich der Finanzausstattung der Gemeinden die Forderung nach Stetigkeit, Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der Kommunalfinanzen gehört. Herr Dr. Böhme, ich kann diesen Satz nur voll unterstreichen. Aber Wunsch und Wirklichkeit sehen doch völlig anders aus. Die CDU/CSU-Fraktion hat angesichts der aufgezeigten Entwicklung Sorge, daß die Finanzautonomie und damit die Selbstverwaltung der Gemeinden zunehmend auf der Strecke bleiben. Unser zentrales Anliegen in der heutigen schwierigen Situation ist nicht ausschließlich nur auf die quantitative kommunale Finanzausstattung, sondern insbesondere auf deren qualitative Verbesserung sowie auf Beständigkeit und Berechenbarkeit der kommunalen Einnahmen ausgerichtet. Deshalb hält die CDU/ CSU-Fraktion für unerläßlich: Erstens. Die Ziele der 1969 begonnenen Gemeindefinanzreform müssen weiterverfolgt werden, ({6}) um eine aufgabengerechte langfristige Finanzausstattung der Gemeinden sicherzustellen. ({7}) Die Schere zwischen kommunalen Aufgaben und kommunaler Finanzausstattung darf nicht laufend größer werden. Der Bund kommt seiner gesamtstaatlichen Verpflichtung nicht nach, wenn über 8 000 Gemeinden, die die Hauptlast der Investitionen tragen, im Jahre 1982 nur mit einer Einnahmeverbesserung von 5,5 Milliarden DM rechnen können, der Bund jedoch mit 17,5 Milliarden DM. Zweitens. Zu einer deutlichen qualitativen Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung würde eine Beteiligung der Gemeinden an der weitgehend konjunkturunabhängigen Umsatzsteuer führen. Wir Dr. Schroeder ({8}) sehen die Probleme einer Umschichtung, halten aber dennoch für unverzichtbar, daß, jedenfalls langfristig, eine solche Beteiligung weiter geprüft wird. Drittens. Als ein wichtiges Ziel der Fortführung der Gemeindefinanzreform betrachten wir auch den Abbau von Mischfinanzierungen, eine Verringerung der „Töpfchen-Wirtschaft" und mehr Autonomie für eigene kommunalpolitische Entscheidungen. ({9}) - Es ist sachgerechter, Herr Kollege Rösch, Zweckzuweisungen durch pauschalierte Zuweisungen abzulösen. In der Regel wissen Gemeindeparlamente und Gemeindeverwaltungen besser, wann und wo sie investieren müssen; denn sie stehen in täglicher Verbindung mit dem Bürger und kennen daher Bedürfnisse und Notwendigkeiten besser als eine ferne Ministerialbürokratie. ({10}) Viertens. Die Gemeinden, Städte und Kreise müssen sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben darauf verlassen können, daß nicht ständig neue finanzpolitische Verschiebungen zu ihren Lasten entstehen. ({11}) Zusätzliche erhebliche finanzwirtschaftliche Belastungen dürfen den Kommunen daher im Rahmen der künftigen Gesetzgebung des Bundes ohne einen entsprechenden finanziellen Ausgleich nicht mehr zugemutet werden. Genau diese Ziele verfolgen die finanzpolitischen Entschließungsanträge meiner Fraktion, für die ich Sie um Unterstützung bitte. ({12})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Thema der Finanzsituation der Gemeinden, das vom Kollegen Waffenschmidt angesprochen worden ist, möchte ich nur einige kurze Ausführungen machen und dann zu unserem Entschließungsantrag etwas sagen. Sie haben hier so getan - auch einige andere Redner der Opposition -, als sei für die Finanzausstattung der Gemeinden der Bund zuständig. Das ist natürlich völlig falsch. Für die Finanzausstattung der Gemeinden sind die Länder zuständig: Art. 106 ff. des Grundgesetzes. ({0}) Nun möchte ich Ihnen einmal sagen, Herr Kollege Waffenschmidt, was ich als Jurist im ersten Semester gelernt habe: „Die Kenntnis des Gesetzes erleichtert die Rechtsfindung ungemein!" ({1}) Ich möchte jetzt zu dem Thema der Gemeindefinanzreform kommen. Da ist hier von dem Kollegen aus Bayern - er ist wohl nicht mehr da - der Name Strauß sehr lobend erwähnt worden. Das ist natürlich historisch völlig falsch. Die Sozialdemokraten sind in die Große Koalition mit den Christdemokraten 1966 unter der Bedingung eingetreten, daß eine vernünftige Gemeindefinanzreform gemacht werden sollte. Und nun möchte ich Ihnen sagen, wessen Name wirklich mit der Gemeindefinanzreform verbunden ist: das ist nämlich der Name eines Sozialdemokraten gewesen: Alex Möller. ({2}) Wissen Sie, wer das, was ich eben gesagt habe, bestätigt hat? Das war der von Ihnen genannte Kollege Franz Josef Strauß. Der hat Alex Möller als den Vater der Gemeindefinanzreform bezeichnet. ({3}) - Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Die Wahrheit ist manchmal schmerzlich: Alex Möller ist der Vater der Gemeindefinanzreform, Herr Waffenschmidt. ({4}) Dann hat der Kollege Schneider davon gesprochen, daß man, nachdem man ins CSU-Hauptquartier gegangen und wieder herausgekommen ist, sehr viel klüger sei. Das gilt ganz offenbar nicht für den CSU-Oberbürgermeister von Landshut, den Herrn Deimer. Wissen Sie, was der zu dem Thema „Verantwortung des Landes Bayern für die Gemeidefinanzen" gesagt hat? Er hat laut Mitteilung der „Süddeutschen Zeitung" vom 29. Januar 1982 gesagt: Der Freistaat stiehlt sich aus Gründen einer besseren Schuldenoptik aus seiner Verantwortung. ({5}) - Ich stimme dem Kollegen von der FDP da völlig zu: Unerhört. Wenn ich mir die Rede des Kollegen Kroll-Schlüter vor Augen führe, der von der Privatisierung und den Segnungen der Privatisierung gesprochen hat, ({6}) dann möchte ich sagen: Herr Kollege Kroll-Schlüter, Sie sollten einmal das erleben, was Ihre Kollegin Frau Breuel in Niedersachsen, dem Land, aus dem ich komme, macht. Privatisierung z. B. bei der Reinigung von Schulen und öffentlichen Gebäuden führt dazu, daß diejenigen Frauen, die bisher als Arbeiterinnen im öffentlichen Dienst diese Arbeit vernünftig und gut bezahlt machen konnten, jetzt von privaten Reinigungsfirmen ausgebeutet werden. Nichts anderes erreicht die Privatisierung. ({7}) Weil ich als Niedersachse nun gerade das Wort habe, möchte ich noch betonen: Die niedersächsische Landesregierung ({8}) kürzt ihre Zuweisungen an die Kommunen, obwohl sie z. B. aus dem Förderzinsaufkommen eine Finanzsituation zu verzeichnen hat, die wesentlich besser ist als die Finanzsituation der anderen Länder. ({9}) Das Schlimme in dieser Situation ist, daß sich die Landesregierung sogar weigert, bei einem Förderzinsaufkommen von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1982 ({10}) gegenüber 167 Millionen DM im Jahre 1976 - das ist also eine Verzehnfachung -, die Forderung der SPD-Landtagsfraktion nach einem 500-MillionenDM-Beschäftigungsprogramm zu unterstützen. Sie trägt ihre Entschuldungspolitik auf dem Rücken der Arbeitnehmer des Landes Niedersachsen aus. Die Wähler in Niedersachsen werden der Regierung Albrecht am 21. März schon zeigen, was das für eine Politik ist. ({11}) Jetzt zu unserem Entschließungsantrag. Die Koalitionsfraktionen halten es in ihrer Entschließung für sinnvoll, alle Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden aufzufordern, sich gemeinsam der kommunalen Probleme anzunehmen. Wir gehen davon aus, daß sich der Deutsche Bundestag noch stärker als in der Vergangenheit zurückhält, wenn mit Gesetzgebungsakten finanzielle und verwaltungsbedingte Mehrbelastungen verbunden sind. Wir empfehlen den Ländern, im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeiten für ihre Gemeinden genauso zu verfahren. Wie auch andere Gebietskörperschaften werden sich die Kommunen nicht der Aufgabe entziehen können, bei großer Sparsamkeit insbesondere im konsumtiven Bereich ihre eigenen Ausgaben entsprechend der veränderten Aufgabenstellung umzustrukturieren und den Investitionen zur Verbesserung der Beschäftigungslage ein verstärktes Gewicht zukommen zu lassen. Die Bundesregierung soll vom Deutschen Bundestag aufgefordert werden, entsprechend den veränderten Aufgabenstellungen und Finanzierungsstrukturen für alle drei Ebenen eine Aufzeichnung zu erstellen, sobald die finanziellen Auswirkungen der Umstellungsprozesse absehbar sind. Wir gehen davon aus, daß dazu insbesondere die Darstellung der alle drei Ebenen berührenden Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungstatbestände gehört. Die weltwirtschaftlich bedingten Schwierigkeiten, die sich natürlich auch in der Finanzsituation der Gemeinden niederschlagen, verlangen von den Gemeinden, daß sie sich mittel- und langfristig beim volkswirtschaftlichen Wachstum und bei den Steuereinnahmen auf weniger hohe Zuwachsraten einstellen. Das bedeutet Umdenken und Setzen neuer Prioritäten, das heißt Abschiednehmen von mancherlei Lieblingskindern kommunalpolitischen Handelns. Eine neue Qualität für die Kommunalpolitik ist gefordert. Die Politiker in den Kreisen, Städten und Gemeinden und die Bürger können sich dabei auf die solidarische Hilfe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion verlassen. ({12})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Herkenrath das Wort.

Dr. h. c. Adolf Herkenrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000880, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen. Herr Struck, wenn ich gleich mit Ihnen beginnen darf, so muß ich annehmen, daß Sie davon ausgehen, daß in Niedersachsen die Menschen ausgebeutet werden. Das glauben Sie sicher selbst nicht. Diese „armen ausgebeuteten Menschen" wählen mehr und mehr und immer besser die richtige Partei. Das kann also nicht wahr sein, was Sie da vorgetragen haben. ({0}) - Bitte schön.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Struck? - Bitte sehr.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Herkenrath, würden Sie bereit sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nur im Rahmen der Privatisierungsbestrebungen der niedersächsischen Landesregierung von Ausbeutung gesprochen habe? ({0})

Dr. h. c. Adolf Herkenrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000880, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sprachen von den Frauen, von den vielen Menschen, die da ausgebeutet würden, und auf die habe ich mich auch bezogen, weil mir bekannt ist, auch aus meiner kommunalpolitischen Tätigkeit, daß gerade Niedersachsen und die Landesregierung in Niedersachsen, was ihre Freundlichkeit gegenüber den Kommunen betrifft, sehr beispielgebend ist. Davon sollten sich andere Länder wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen eine Scheibe abschneiden. ({0}) Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, mir ist die Aufgabe zugewiesen, als letzter Redner der Opposition zum Schluß noch ein paar Anmerkungen zu machen. ({1}) - Ja, das Schlußlicht wird rot sein: Der langjährige Oberbürgermeister von Wiesbaden wird noch Gelegenheit haben, auch etwas dazu zu sagen. Ich meine, ich sollte noch einmal unterstreichen: Wir haben heute hier in mehr als vier Stunden das hohe Lied der kommunalen Selbstverwaltung gesungen. Alle Vertreter aller Parteien waren sich wohl darin einig, daß die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden müsse, daß sie nicht weiter ausgehöhlt, daß sie nicht weiter eingeengt werden dürfe. Nun will ich gar nicht alles, was dazu gesagt worden ist, wiederholen, sondern Ihnen nur ein ganz kleines Beispiel vortragen, bei dem wir in einer gemeinsamen Aktion dafür sorgen könnten, daß keine weitere Einengung der kommunalen Selbstverwaltung stattfindet. Ich greife das Stichwort, das Herr Sick schon genannt hat, auf: das Thema Verbandsklage. Verehrteste, hier haben alle erklärt: Die kommunale Selbstverwaltung bedarf der Stärkung. Am Thema „Verbandsklage" kann man deutlich machen - Herr Struck, es tut mir leid, daß ich das ganz klar sagen muß -, daß zwischen den Worten der Bundesregierung, die wir auch heute hier gehört haben, und den Taten eben ein riesengroßer Unterschied besteht. ({2}) Denn es gibt inzwischen einen Entwurf der Bundesregierung zum Thema „Verbandsklage". Ich möchte hier am Schluß dieser kommunalpolitischen Debatte feststellen, daß die Politiker der Union mit Nachdruck gegen ein solches Sonderrecht sind. ({3}) Ich möchte eigentlich die Kommunalpolitiker aus allen Parteien auffordern, mit uns dagegen anzugehen, daß ein solches Sonderrecht Wirklichkeit wird, und ich erwarte ihren Beifall dazu. ({4}) Lassen Sie es mich kurz machen. ({5}) Wir hoffen im Kampf gegen diese neue Schikane auf dem Gebiet der kommunalen Selbstverwaltung auf Ihre Unterstützung, Herr Wolfram, denn auf Dauer würde ein solches Sonderrecht wie die Verbandsklage - das wissen doch alle Kommunalpolitiker - zur Selbstaufgabe und zur Selbstauflösung unserer staatlichen Verfassung und unserer Kommunen durch außerparlamentarische Kompetenzträger führen, und das System der kommunalen Selbstverwaltung würde dadurch ausgehöhlt. ({6}) Denn durch die Verbandsklage wird eben - und das muß hier, glaube ich, am Schluß einer solchen Debatte noch einmal aufgezeigt werden - privaten Interessenverbänden die Möglichkeit eingeräumt, Interessen durchzusetzen, ohne selbst politisch Verantwortung zu übernehmen, ({7}) Verbänden, die nur von spezifischer und subjektiver Betrachtungsweise geleitet sind. Das geschieht dann auf dem Wege der gerichtlichen Auseinandersetzung, und dadurch schwindet die Bereitschaft der Bürger, ein kommunales Mandat zu übernehmen, eine Bereitschaft, die wir alle wünschen und unterstrichen haben. ({8}) Damit ist die Verbandsklage auch ein Schlag gegen die bürgerliche Mitbeteiligung. ({9}) Dazu sollten wir hier, so meine ich, nein sagen. Hier kann wirklich einmal - noch ist es Zeit - bewiesen werden, daß nicht Worte, sondern Taten ausschlaggebend sind. Verehrte Damen und Herren, es kommt nicht von ungefähr, daß die kommunalen Spitzenverbände, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks gemeinsam bereits am 10. Februar 1981 an den Bundeskanzler geschrieben haben, und ich darf aus diesem Brief nur einen Satz zitieren. Er heißt: „Wir lehnen eine solche Einrichtung ausdrücklich ab." Ich meine, auch wir sollten eine solche Einrichtung, da sie sich gegen grundlegende Prinzipien der repräsentativen Demokratie auswirken wird, ablehnen, zumal in einer Zeit, in der sich Bundesregierung und Parteien darum bemühen, Beschäftigungspolitik zu machen und Investitionsanreize zu geben. Es ist doch ganz eindeutig, daß durch solche Sonderrechte, die in den Kommunen Entscheidungen, die notwendig sind, nur verzögern werden, auch die Investitionsanreize weiter geschwächt, zurückgedrängt, vermindert werden, und dagegen müssen wir Front machen! ({10}) Schließlich ist es auch schlimm, wenn die Befürworter einer solchen Verbandsklage eigentlich unterstellen, daß unsere kommunalen Parlamente und unsere kommunalen Verwaltungen, die ja parlamentarisch kontrolliert werden, nicht in der Lage sein sollen, selbst eine ordnungsgemäße und gemeinwohlorientierte Entscheidung zu treffen, weshalb man durch das Institut der Verbandsklage private Organisationen praktisch zu Aufsehern über unsere kommunalen Verwaltungen und Räte bestellen möchte. Ich möchte also sagen, wir müssen entschieden dagegen Front machen - und hier könnten wir Taten statt Worte zeigen -, daß durch die Einführung des Verbandsklagerechts die politische Verantwortung der gewählten Volksvertretungen und Behörden angegriffen und in Frage gestellt wird. Wir müssen dafür sorgen, daß dies verhindert wird. Schließlich ist es absurd und politisch völlig unverständlich, durch eben diese geplante Einführung einer Verbandsklage neue Bremsen, neue Hindernisse für die kommunale Selbstverwaltung ein- bzw. aufzubauen und Investitionen zu verhindern. ({11}) Es wäre vielleicht richtiger, diejenigen, die diese notwendigen, für unsere Volkswirtschaft dringend benötigten Investitionen stoppen und behindern, zum Schadensersatz heranzuziehen, ({12}) um ihnen deutlich werden zu lassen, welchen Schaden sie für die Volkswirtschaft und auch für das Gemeinwohl verursachen. ({13}) Meine Damen und Herren, ich appelliere heute an den Deutschen Bundestag, einen solchen Gesetzentwurf betreffend eine Verbandsklage von Anfang an abzulehnen. Denn dieses schlimme, verhängnisvolle Institut sollte verhindert werden. Ich hoffe darauf, daß Herr Schmitt mir jetzt zustimmen wird. ({14})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Schmitt ist soeben als Schlußlicht bezeichnet worden. ({0}) Ich nehme an, er hat das nicht als Kränkung empfunden - dies um so weniger, als er das Licht schon oft vor anderen hergetragen hat. ({1}) Er hat das Wort.

Rudi Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Ich empfinde mich hier weder als rotes Stopp- noch als rotes Schlußlicht. ({0}) Diese Debatte und die Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage der CDU/CSU sollten grünes Licht für freie und sichere Fahrt für die kommunale Selbstverwaltung in unserer Republik geben. Die Antwort und die Debatte heute haben ja gezeigt, daß die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in unserer Republik keine andere sein kann, nicht besser und nicht schlechter sein kann als die unserer Gesellschaft und des Gesamtstaates. Gemeinden, Länder und Bund, sie sitzen in einem Boot. Unsere Bürger können von den drei Ebenen in unserem Staat - welche sie auch ansprechen - erwarten, daß diese ihre Verantwortung, die ihnen von der Verfassung gegeben ist, ernst nehmen und ihr eigenes Versagen nicht durch gegenseitige Schuldzuweisungen auszugleichen versuchen, durch Schuldzuweisungen, wie wir sie in Hessen jetzt immer wieder erleben, wo neue CDU-Mehrheiten nach kommunalen Machtwechseln oft keine Antworten auf ihnen gestellte Fragen haben und dann lediglich nach Bonn weisen und sagen, daß von dort alles Übel ausgehe, das der Entfaltung der kommunalen Selbstverwaltung im Wege liege. ({1}) So ist das in Hessen, das erleben wir Tag für Tag. Das Gegenteil ist richtig, meine Damen und Herren. Heute haben wir in der Diskussion j a auch von der CDU/CSU gehört: Da gibt es eine Gemeindeidylle im Sauerland, einmalig, glänzend finanziert; da gibt es kommunale Schwierigkeiten, mit denen man nicht fertig wird. So vielfältig wie die Widersprüche ist auch - das sei zugegeben - die kommunale Situation in der Bundesrepublik. Aber eines darf man doch festhalten, meine Damen und Herren: daß die kommunale Selbstverwaltung in der Bundesrepublik trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, trotz des Auf und Ab in den letzten Jahren die Lebensverhältnisse der Bürger in den Städten und Gemeinden vor allem im letzten Jahrzehnt wesentlich verbessert hat, daß sie - vor allem auch im letzten Jahrzehnt - Fehlentwicklungen, die sich in der Bau- und Verkehrspolitik während der ersten Nachkriegsphase ergeben haben, korrigieren konnte. Ich habe das, was Herr Finanzminister Wagner, ehemals Oberbürgermeister von Trier, hier vorgetragen hat, als eine ruhige, angemessene Würdigung der Leistungen angesehen, die Kommunalpolitiker in dieser Zeit mit Unterstützung der Bundesregierung und der sozialliberalen Mehrheit in diesem Hause vollbracht haben. Ein weiteres, meine Damen und Herren - das sollten wir auch in dieser Diskussion hier nicht vergessen -: Die kommunale Selbstverwaltung, so wie wir sie in den Ländern nach dem Kriege geschaffen haben, ihr System, aber auch ihre Erfolge sind ein hervorragender Exportartikel des deutschen kommunalen Leistungsvermögens, der Verwaltungskraft. Denn wir stellen j a immer wieder fest, daß wir mit unserem System der kommunalen Selbstverwaltung Vorbild, Beispiel - wir haben das erst jetzt wieder in Madrid erlebt - für die europäischen Kommunalpolitiker sein können, die in ihren Ländern für Gemeindefreiheit und -autonomie kämpfen. Wir dürfen auch feststellen, meine Damen und Herren, daß der Ruf des Deutschen Städtetages - einstmals von München, von Jochen Vogel ausgegangen - „Rettet die Städte jetzt!" nicht ungehört verhallt ist. Herr Dr. Schneider, es ging damals nicht nur um die Finanzen, sondern es ging auch um die Stadtentwicklung und die Lebensfähigkeit der Städte überhaupt. Seit Sozialdemokraten im Bund Mitverantwortung tragen und in der sozialliberalen Koalition nicht nur Gehör, sondern auch einen Partner gefunden haben, der diesen Problemen positiv gegenübersteht, kann man feststellen, daß wir in den Kommunen im letzten Jahrzehnt eine gute Aufbauleistung erbracht haben - ich denke dabei auch an die vielen ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, seien es die in den Parteien, seien es diejenigen, die in freien Verbänden tätig sind-, auf die man nicht nur verweisen sollte, sondern die man in die positive Schmitt ({2}) Bilanz gerade auch der Bundespolitik der letzten zehn Jahre aufnehmen muß. ({3}) Diese positive Bilanz für die Städte und Gemeinden ist gut. Sie ist besser, als es heute in der Schwarzmalerei der Opposition hier zum Ausdruck gekommen ist. Ich glaube auch, daß unsere Kommunalpolitiker, vor allem die in den kommunalen Spitzenverbänden, wissen, daß sie sich nicht in Klagen und Anklagen erschöpfen dürfen, sondern ihre eigene Antwort auf die Probleme unserer Zeit finden müssen. Diese Antwort der Kommunalpolitiker der 80er Jahre sehen wir Sozialdemokraten in der Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen in unseren Gemeinden, ({4}) in der Konzentration auf den Bau notwendiger Wohnungen, die Verbesserung des Wohnumfelds, die Verkehrsberuhigung, den ganzen Bereich der Energieeinsparung mit den kommunalen Versorgungskonzepten - hier hat die kommunale Selbstverwaltung eine große Aufgabe, die dem Gesamtstaat und auch den wesentlichen Problemen gilt - und - auch das betone ich nochmals - auf die Sorge für die junge Generation und die älteren Menschen. Die kommunale Selbstverwaltung darf sich nicht aus einer eigenständigen Sozialpolitik abmelden. Entscheidend für uns ist, daß gerade Kommunalpolitik uns in die Lage versetzt, den Bürger am öffentlichen Geschehen zu beteiligen. „Bürgernahe Verwaltung" heißt unmittelbare Mitarbeit und Mitbestimmung des Bürgers in der Gemeinde. Denn wo können demokratische Praktiken besser erfahren und erprobt werden als in der unmittelbaren Selbstverwaltung? Wir sind deswegen auch für eine unmittelbare Einflußnahme und Mitwirkung der Bürger bei der Gestaltung ihrer eigenen Umwelt: ihrer Gemeinde. Aber auch wir wissen, daß das alles nur möglich ist, wenn eine ausreichende kommunale Finanzausstattung gewährleistet ist. Wir dürfen sagen: Hier hat sich in den letzten zehn Jahren Entscheidendes zugunsten der Gemeinden verbessert. Aber wir schließen nicht aus, daß es - das gehört nun einmal zur kommunalen Selbstverwaltung - auch hier wesentliche Unterschiede von Stadt zu Stadt, von Gemeinde zu Gemeinde gibt. Aber auch dies sollte man an dieser Stelle noch einmal sagen: Kommunale Selbstverwaltung kann nicht bedeuten, immer nur von anderen - von Ländern oder vom Bund - etwas zu fordern. Kommunale Selbstverwaltung muß auch bedeuten, die zugewiesene eigene Steuerkraft auszuschöpfen und den Bürgern auch klar zu sagen, daß sie für die Leistungen, die sie von der Kommune erwarten, auch entsprechende eigene Leistungen - auch mit Steuern, auch mit Gebühren oder natürlich auch in Form von Selbsthilfe - zu erbringen haben. ({5}) - Sehr verehrter Herr Kollege, in Großstädten gilt nun einmal die Arbeitszeitordnung. Es gilt auch die Mitbestimmung, in Hessen beispielsweise der Eltern. Diese Mitbestimmung der Eltern läßt es z. B. nicht zu, daß Schüler in der Pause Papier vom Schulhof aufheben. Auch so weit kann man das treiben. Das sind Besonderheiten aus Hessen. Aber sie zeigen die Problematik. Ich komme zur Zusammenfassung: Wir sind der Meinung, daß es unsere Aufgabe im Bundestag ist, auf die Länder einzuwirken, daß sie ihre Verantwortung gegenüber den Gemeinden erkennen, und wir nicht nur in Philosophie, Anträgen und Bekundungen über die kommunale Selbstverwaltung reden, sondern bei jeder einzelnen Gesetzesentscheidung und bei den Haushaltsberatungen der kommunalen Selbstverwaltung den Raum zu geben, den sie zur Bewältigung ihrer Probleme braucht. Die Antwort der Bundesregierung zeigt dazu den Weg. ({6}) - Das sagen wir später, Herr Kollege. ({7}) Da wollen wir erst einmal die hessischen Erfahrungen abwarten. Dort ist das Gesetz seit einem Jahr in Kraft. Wir wollen uns erst einmal mit Erfahrungen auseinandersetzen, ehe wir vorab ein Urteil fällen. Meine Damen und Herren, abschließend bitte ich Sie, den Entschließungsantrag auf Drucksache 9/1320 dem Innenausschuß - federführend - und den Ausschüssen für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, für Jugend, Familie und Gesundheit sowie dem Finanzausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Danke. ({8})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Zu der Großen Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise liegen vier Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Drucksachen 9/1301 bis 9/1304 und ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/1320 vor. Ich rufe zunächst die Entschließungsanträge der CDU/CSU auf den Drucksachen 9/1301 und 9/1302 auf. In einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen wird vorgeschlagen, sie zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1303 auf. Es wird vorgeschlagen, ihn zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? 5050 Vizepräsident Dr. h. c. Leber Ich sehe auch hier keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Drucksache 9/1304 der Fraktion der CDU/CSU. Hier wird folgende Überweisung vorgeschlagen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Ist das Haus damit einverstanden? - Die Überweisung ist beschlossen. Ich rufe nun den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 9/1320 auf. Interfraktionell ist vereinbart worden, wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Das Haus ist einverstanden. Dann ist es entsprechend beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Vormittagssitzung angelangt. Wir treten nun in eine Pause ein. Die Sitzung wird um 15 Uhr mit der Beratung des Antrags des Herrn Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf: Antrag des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes - Drucksache 9/1312 Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Recht, das der Art. 68 des Grundgesetzes dem Bundeskanzler gegeben hat, habe ich am Mittwoch die Vertrauensfrage gestellt. Bevor die Mitglieder des Bundestages heute darüber entscheiden, will ich meinen Antrag begründen. Als die Vertrauensfrage im September 1972 von Willy Brandt zum erstenmal gestellt wurde, ging es darum, nach einer nicht vom Wähler legitimierten, sondern durch Fraktionswechsel mehrerer damaliger Abgeordneter zustande gekommenen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse, den Weg zur Neuwahl aller Abgeordneten frei zu machen. Diesmal geht es bei der Vertrauensfrage um etwas ganz anderes, nämlich darum, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, die gerade in schwieriger Zeit Anspruch darauf haben, und der internationalen Öffentlichkeit ein Signal der Klarheit zu geben. ({0}) Wer den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten am 5. Oktober 1980 seine Stimme gegeben hat, weil er die Politik der sozialliberalen Koalition fortgesetzt sehen wollte, der braucht Gewißheit darüber, daß die Regierung ihr für vier Jahre erteiltes Mandat auch tatsächlich ausüben wird, gestützt auf eine solide parlamentarische Mehrheit der beiden Parteien SPD und FDP. ({1}) Auch unsere Verbündeten im Westen müssen Klarheit darüber haben, woran sie mit der Bundesrepublik sind. Auch die Staaten im Osten, mit denen die sozialliberale Koalition Verträge zustande gebracht hat, mit denen sie Ausgleich und Versöhnung sucht, müssen wissen, woran sie sind. ({2}) Unsere Partner in der Dritten Welt sollen keinen Zweifel daran haben, daß unsere Politik des fairen Interessenausgleichs fortgesetzt wird. ({3}) Die notwendige Klarheit war in den zurückliegenden Tagen, Wochen und Monaten nicht immer hinreichend vorhanden. ({4}) - Ich sehe, ich habe auch für Ihre Gemütsbefriedigung vorgesorgt. ({5}) Man sprach in der Mitte des vergangenen Jahres vom „Sommertheater". Einige haben jetzt auf ein „Wintertheater" gehofft. ({6}) Es gab auch Spekulationen über den Kurs der Friedens- und Sicherheitspolitik. Manche Vorkommnisse haben in der Tat den Kurs der Bundesregierung und den Zusammenhalt der sozialliberalen Koalition zeitweise unklar erscheinen lassen, und niemand in der Koalition wird sich von Schuld hieran gänzlich freisprechen wollen. Auch die von weniger Berufenen angestellten Überlegungen, ob die sozialliberale Koalition nun ein Bündnis oder ob sie eine Zweckehe sei, haben Verwirrung gestiftet. Alle solche Überlegungen gehen am Kern der Sache vorbei. Die sozialliberale Koalition steht für die Fortsetzung der von Willy Brandt und Walter Scheel durchgesetzten, von Hans-Dietrich Genscher und mir fortgeführten, von der CDU/CSU damals wie heute bekämpften Politik des Dialogs und der Kooperation mit dem Osten, für die Bewahrung des sozialen Friedens, für die Sicherung der Beschäftigung, ({7}) des sozialen Netzes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. ({8}) SPD und FDP sind verschiedene Parteien. Sie haben unterschiedliche Programme und verschiedene Wege in der deutschen Geschichte. Jeder weiß, der Bundeskanzler ist ein Sozialdemokrat. ({9}) Aber jeder weiß auch, der Bundeskanzler muß sich dafür verantwortlich fühlen, daß Meinungsverschiedenheiten ,zu einem Kompromiß geführt werden. ({10}) Wenn dies letztere schon innerhalb einer einzigen Fraktion gilt, gilt es um so mehr zwischen zwei Fraktionen. Dabei kann niemand sich oder seine Interessen allein durchsetzen. Vielmehr muß man einander entgegenkommen, und das ist auch immer tatsächlich erreicht worden. In der Bündnispolitik, in der Ostpolitik, in der Sicherheits- und Friedenspolitik insgesamt war das oft leichter als in den Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aber auch auf diesem letzteren Feld haben wir dies immer wieder, auch in der gegenwärtigen Woche, möglich gemacht. Wir haben seit 12 Jahren gemeinsam nicht nur erfolgreich Frieden und Verständigung, sondern ebenso erfolgreich soziale Sicherheit, wirtschaftlichen Fortschritt, Solidarität und sozialen Konsensus gesichert. ({11}) Durch die heutige Abstimmung soll dieser gemeinsame Weg für jedermann wieder eindeutig werden: für alle, die auf die sozialliberale Koalition setzen, und auch für diejenigen, die darauf hoffen, uns aus der Verantwortung herauszudrängen. Es besteht kein Zweifel, daß wir es nach außen wie nach innen mit einer politisch zerklüfteten Wegstrecke zu tun haben. Die tiefreichenden Verwerfungen des Systems weltwirtschaftlicher Beziehungen haben ihre Spuren auch bei uns hinterlassen. Kein Industrieland, auch kein Land des kommunistischen Systems, kein Land im Entwicklungsprozeß hat sich dem Druck der Anpassung an die weltweit neuen ökonomischen Bedingungen entziehen können. Gleichgültig, welche Kräfte, welche Parteien in den verschiedenen Regierungen der verschiedenen Staaten Verantwortung tragen, die Herausforderung an alle Regierungen ist die gleiche, nämlich Kampf der Arbeitslosigkeit, Eindämmung der Inflation, Strukturwandel und Modernisierung der Produktion, Bewahrung des freien Handels und schrittweiser Abbau des überhöhten internationalen Zinsniveaus. ({12}) Die Bundesregierung steht vor den gleichen Herausforderungen. Sie will sich diesen Herausforderungen nicht entziehen. Parallel zu den wirtschaftspolitischen Verwerfungen in der Welt unterliegen die internationalen Beziehungen besonders im West-Ost-Verhältnis gegenwärtig harten Belastungsproben. Entwicklungen, die Menschenrechte und friedlichen Wandel verwirklichen sollen, werden gewaltsam unterdrückt. Bereits gebahnte Pfade der Verständigung, des Dialogs und der Verhandlungen drohen von neuen Konfliktherden überwuchert zu werden. Es besteht die Gefahr einer weltweiten Rüstungsspirale. Die Bundesrepublik hat sich in dieser Weltlage ihrer Position, ihrer Interessen und ihrer politischen Möglichkeiten auf diesen Feldern erneut vergewissern müssen. Das Ergebnis dieser Vergewisserung ist die Beibehaltung des Kurses der sozialliberalen Bundesregierung. ({13}) Der Kurs richtet sich nicht auf Wochen oder Monate, sondern auf lange Frist. In der Weltwirtschaft gibt es von den mehr als 160 Nationen der Völkergemeinschaft nur sehr, sehr wenige, die in der Beschäftigung, in Sachen Preisstabilität oder im Lebensstandard nicht gerne mit den Deutschen tauschen würden. Es ist der Bundesrepublik gelungen, mit den Problemen bisher besser als ihre vergleichbaren Partner in der Weltwirtschaft fertig zu werden. ({14}) Dies festzustellen, darf nicht bedeuten, sich beruhigt zurückzulehnen; dies festzustellen, heißt vielmehr, sich des Ausmaßes und des Charakters der internationalen Herausforderung an die nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken bewußt zu werden. Wenn einer die Augen davor verschließt, daß die Bundesrepublik als zweitgrößte Handelsnation der Welt sich weder von der Weltwirtschaftsrezession noch von dem weltweiten Hochzinsniveau abschirmen kann, dann kann er schuldhaft schwere Fehler begehen. Die in allen westlichen Industrieländern stark ansteigende Arbeitslosigkeit wird bei uns zusätzlich dadurch beeinflußt, daß geburtenstarke Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen. Es ist deshalb ein gemeinsames Handeln aller in Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragenden Personen, Gruppen und Institutionen notwendig. Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der Beratung des Jahreswirtschaftsberichts für dieses Jahr eine Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität beschlossen. Dieser Beschluß stellt den zweiten Teil eines Gesamtprogramms dar, dessen erster Teil, auch Operation '82 genannt, schon im letzten Jahr beschlossen und zu Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist. Schon mit der Operation '82 haben Bundestag und Bundesregierung Maßnahmen zur Verbesserung von Wirtschaftsstruktur und Beschäftigung in einem Umfange von annähernd 28 Milliarden DM für die Jahre 1982 bis 1985 beschlossen. Zusammen mit der jetzt verabschiedeten Gemeinschaftsinitiative werden für diesen Zeitraum insgesamt Finanzierungsmittel in Höhe von etwa 40 Milliarden DM zur Verfügung stehen, um zur Lösung der Struktur- und Arbeitsmarktprobleme beizutragen. Der staatliche Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative besteht dabei in einer zeitlich begrenzten Investitionszulage sowie in anderen Förderungen von privaten und öffentlichen Investitionen, nämlich durch die Kreditprogramme des ERP-Sondervermögens und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, in der Aufstockung der Bundesmittel für Maßnahmen im Hochbau, in Neuregelungen im Mietrecht, die darauf abzielen, Investitionen im frei finanzierten Wohnungsbau anzuregen, in gezielten Mitteln zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und schließlich in einer Prüfung von Vorschlägen zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Der Schwerpunkt dieser Beschlüsse liegt eindeutig bei der Förderung privater und öffentlicher Investitionen. Es wird an diesen Beschlüssen erneut deutlich, wie schwierig es ist - und wie schwer es manchem fällt -, im konkreten Fall das ökonomisch Notwendige, finanzwirtschaftlich Mögliche zu tun und zugleich doch dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit zu entsprechen. Von einigen Verbänden sind die beschlossenen Maßnahmen kritisiert worden, weil sie durch ihre Finanzierung aus der Mehrwertsteuererhöhung nur eine Umschichtung der Nachfrage darstellten. Die Umlenkung von Teilen des Sozialprodukts vom Verbrauch in die Investition ist allerdings unsere Absicht. Gerade diese Umlenkung ist notwendig. Wie anders als durch vermehrte Investitionen sollen denn Arbeitsplätze neu geschaffen werden? ({15}) Zwar führt nicht jede Investition notwendigerweise zu einem neuen Dauerarbeitsplatz, aber ohne zusätzliche Investitionen können zusätzliche Arbeitsplätze nicht geschaffen werden. Unabhängig von den beschlossenen Maßnahmen der Regierung ist es die Überzeugung der Bundesregierung, daß der wirksamste Schritt zur Schaffung von Arbeitsplätzen gegenwärtig eine deutliche und dauerhafte weitere Zinssenkung wäre. Die Gestaltung des Haushalts 1982 innerhalb unserer eigenen Volkswirtschaft zielt darauf hin, die Voraussetzungen für die Zinssenkung zu schaffen. Wir ändern diesen Kurs nicht. Deshalb wollen wir Investitionshilfen des Staates nicht durch zusätzlich aufzunehmenden Staatskredit finanzieren. Deshalb müssen wir uns weiter für den Abbau des Leistungsbilanzdefizits in der deutschen Zahlungsbilanz einsetzen. Dieser Prozeß ist dank einer ausgezeichneten Exportentwicklung auf gutem Wege. ({16}) Es bleibt auch heute unsere Überzeugung, daß die Vergrößerung des geldpolitischen Spielraums für die Bundesbank in Richtung auf Zinssenkungen Vorrang behält. Der Jahreswirtschaftsbericht legt die Beiträge dar, welche Bundestag und Bundesrat zur wirtschaftlichen Gesundung leisten müssen. Die Gemeinschaftsinitiative setzt zugleich den Rahmen, innerhalb dessen alle Verantwortung tragenden Personen und Gruppen sich der Herausforderung stellen können und stellen müssen. Ihnen allen gilt mein eindringlicher Appell. Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik mehrfach die Erfahrung machen können, daß wir großen Herausforderungen gewachsen waren - vorausgesetzt wir haben sie als Aufgaben begriffen, die der Gemeinschaft gestellt und die deshalb nur gemeinsam und nur solidarisch zu bewältigen sind. ({17}) Ich nenne in meinem Appell als erste die Gewerkschaften. Ich will dem DGB auch von dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, daß er durch seine Aktivität die Öffentlichkeit über das Ausmaß und den Charakter der arbeitsmarktpolitischen Herausforderung aufgeklärt hat. ({18}) Die Gewerkschaften sind erneut einer Verantwortung nachgekommen, die sie für die Entwicklung unseres Staates schon oft wahrgenommen haben, nämlich als freie und eigenverantwortliche Vertretung der Arbeitnehmer zu handeln. Ohne unsere freien Einheitsgewerkschaften hätten wir die hohe Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Industrie niemals erreichen können. ({19}) Ohne freie Gewerkschaften gäbe es keine funktionsfähige Demokratie. ({20}) Als am 18. Dezember der Bundestag über die polnische Tragödie debattierte, habe ich diesem Hause erklärt: Ich stehe mit ganzem Herzen auf der Seite der Arbeiter. Alle drei Fraktionen des Hauses werden verstehen: Was für polnische Arbeiter gilt, das gilt erst recht für deutsche Arbeitnehmer und deutsche Gewerkschaften. ({21}) Ich bin überzeugt, daß die Gewerkschaften und ihre Tarifpartner ihrer Verantwortung auch in der bevorstehenden Lohnrunde gerecht werden. Wo das Gemeinwohl aufgerufen ist, baue ich darauf, daß die freien Gewerkschaften ihren Beitrag zur Gemeinschaftsinitiative leisten werden. ({22}) Ich appelliere zugleich an die Unternehmen und an die Unternehmensvorstände, ihren Beitrag durch Mut zur Investition und durch Preisdisziplin zu leisten. ({23}) Sicherlich gilt für die Unternehmungen wie für die Gewerkschaften, daß beide bei den diesjährigen Tarifabschlüssen unseren engen wirtschaftlichen Spielraum berücksichtigen müssen. Besonders eindringlich möchte ich an die gewerbliche Wirtschaft, an die Mittel- und Kleinbetriebe, an den Einzelhandel, an das Handwerk appellieren, alle Anstrengungen zu unternehmen, um neue Lehrstellen und Ausbildungsplätze zu schaffen. ({24}) Dies liegt auch in ihrem eigenen Interesse. Wenn die Bundesrepublik in Zukunft ihre wirtschaftliche Stellung in der Welt halten oder verbessern will, dann muß in diesem Sommer mehr getan werden, um jungen Menschen eine fachliche Ausbildung zu ermöglichen. Man darf den Leistungswillen junger Menschen nicht enttäuschen. ({25}) Auch von der Bundesbank erwarten wir Unterstützung für die Gemeinschaftsinitiative. Ihr Beitrag sollte darin bestehen, daß sie in ihrer Geldpolitik den oberen Zielkorridor ansteuert und daß sie die Spielräume, die sich aus der internationalen Entwicklung ergeben, tatsächlich für eine Senkung der Zinsen nutzt. ({26}) Aber ich rufe auch jeden einzelnen Bürger im Lande auf. Wir werden uns den Herausforderungen dann gemeinsam gewachsen zeigen, wenn jeder bereit ist, unvermeidliche Einbußen solidarisch im Interesse der Gesamtheit und der Gemeinschaft mitzutragen. Das gilt für Rentner wie für Arbeitnehmer, für Beamte wie für Landwirte. ({27}) Ich appelliere mit Ernst an alle drei Fraktionen, daß auch der Bundestag sich der Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität nicht entzieht. Dazu ist es notwendig, die Gesetzgebungsvorhaben zügig zu verwirklichen. ({28}) Es ist oft nicht leicht zu bitten. Es fällt besonders dann schwer, wenn - wie heute - im Falle einiger CDU- bzw. CSU-regierter Bundesländer allzu-schnelle öffentliche Festlegungen bereits erfolgt zu sein scheinen. Verweigerung und Ablehnung können nicht das letzte Wort dieser Landesregierungen sein. ({29}) Im Interesse unseres Landes, seiner Zukunft, im Interesse unseres sozialen Friedens wende ich mich deshalb auch an den Bundesrat und bitte ihn, seinen Beitrag zu leisten und sich den notwendigen Gesetzgebungen nicht in den Weg zu legen. ({30}) Soweit man es aus öffentlichen Äußerungen entnehmen kann, weiß ich, daß es - ähnlich wie innerhalb der sozialliberalen Koalition - auch innerhalb der Parteien CDU und CSU Meinungsverschiedenheiten über die wirtschafts-, beschäftigungs- und finanzpolitisch zweckmäßigen Schritte gegeben hat und vielleicht noch heute gibt. Ich kann dies gut verstehen. ({31}) - Ich meine, was ich sage. Ich kann es gut verstehen. Ich verstehe deshalb auch, daß diese beiden Parteien selbst bisher keine Gesetzentwürfe angekündigt oder vorgelegt haben. ({32}) Auch wir in der sozialliberalen Koalition haben es damit nicht leicht gehabt. Aber, meine Damen und Herren von der CDU und der CSU, der Zeitpunkt zum Handeln ist jetzt gekommen. ({33}) Eine weitere Verlängerung der öffentlichen Debatte wäre schädlich für das Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung und schädlich für die Investitionen. ({34}) Wenn ich mir die hoch überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen oder im Saarland vor Augen halte, dann fällt es mir schwer zu glauben, ({35}) daß die Ministerpräsidenten Stoltenberg oder Albrecht oder Zeyer die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, für Wachstum und Stabilität tatsächlich verhindern wollen. ({36}) Ich kann mir auch von dem Regierenden Bürgermeister in Berlin nicht vorstellen, daß er diese Gemeinschaftsinitiative verhindern will. ({37}) Die politische Linie, für die ich heute den Bundestag um Erneuerung seines Vertrauens bitte, betrifft nicht nur die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Die Vertrauensfrage gilt auch dem außenpolitischen Kurs der von mir geführten Bundesregierung und Ihrer Sicherheits- und Friedenspolitik. ({38}) Dieser Kurs ist seit der Einleitung einer aktiven Ostpolitik durch die erste sozialliberale Bundesregierung klar abgesteckt. Unsere Linie ist aber nicht nur deutsche Politik, sondern sie ist gemeinsame Politik des Bündnisses: mit unserer sehr maßgeblichen Mitwirkung im Bündnis entwickelte und vom Bündnis getragene gemeinsame Politik. ({39}) Sie beruht auf der Verteidigungsfähigkeit und dem Verteidigungswillen des Bündnisses, gleichzeitig auf der Gesprächsbereitschaft Richtung Osten und dem Willen zur Kooperation. Daran hat sich auch nichts geändert, als nach und nach in allen unseren westlichen Partnerländern die Regierungen mehrfach gewechselt haben. Wir haben dazu beigetragen, im partnerschaftlichen Ver5054 bund des Bündnisses beide Komponenten der Politik des Bündnisses zu pflegen, und wir tun das weiterhin. Dabei konnte nicht ausbleiben, daß die Stetigkeit in den internationalen Beziehungen bisweilen Belastungsproben unterworfen wurde. Der Kurs der Bundesregierung ist dabei zeitweilig auch Mißverständnissen ausgesetzt gewesen. ({40}) Ich appelliere an jedes Mitglied des Bundestages, solchen Fehldeutungen keine Nahrung zu liefern. ({41}) In der Tat hat unsere auf militärisches Gleichgewicht ebenso wie auf Dialog und Kooperationsbereitschaft abgestellte Friedenspolitik auch aus dem Auslande Kritik erfahren. Wir nehmen das ohne Wehleidigkeit zur Kenntnis, auch ohne Selbstüberschätzung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Satz des amerikanischen Präsidenten Harry Truman, den er anläßlich der Unterzeichnung des Nordatlantikpaktes 1949 gesagt hat - ich zitiere -: Wir sind der Überzeugung, daß es möglich ist, daß sich Länder über die großen Prinzipien der menschlichen Freiheit und Gerechtigkeit einig sind und daß sie in anderer Hinsicht zugleich die große Vielfalt erlauben, deren der menschliche Geist fähig ist. ({42}) An unserer festen Position in der Gemeinschaft der Völker, die sich in jenem Pakt zusammengeschlossen haben, gibt es nichts zu deuteln. Wir sehen in diesem Bündnis nicht einfach eine gepanzerte Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, sondern vor allem den Verbund freier Völker auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Zielvorstellungen. Sie umfassen auch die Freiheit der wirtschaftlichen Initiative, die Freiheit zur Kritik und Gegenkritik, die Freiheit der Arbeitnehmer, sich zur Vertretung ihrer Interessen zusammenzuschließen. Wir wissen, daß nur mit diesen Freiheiten eine gerechte und solidarische Gesellschaft angestrebt werden kann, eine Gesellschaft, die dauerhaft den Frieden nach innen wahren und den Frieden nach außen sichern kann. ({43}) Die Bundesregierung weiß, daß ihr außenpolitischer Spielraum und ihr außenpolitisches Gewicht abhängig sind von der politischen Kraft des Bündnisses und von der Rolle, welche die Bundesrepublik im Bündnis spielt. Deshalb machen wir unsere politischen Positionen im Bündnis deutlich und stimmen uns mit unseren Partnern ab. Es gehört zum besonderen Verdienst des Außenministers Genscher, daß dies in hohem Maße gelungen ist. ({44}) Mißverständnisse haben zuletzt unsere Haltung zu Polen betroffen. Inzwischen ist überall verstanden worden, daß wir Deutschen in unserer Solidarität mit dem polnischen Volk hinter niemandem auf der Welt zurückstehen. ({45}) Dies entspricht unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrecht. Es ist auch Ausdruck der schuldbeladenen deutsch-polnischen Geschichte. Frühere deutsche Schuld verpflichtet uns Deutsche heute, uns im Tone zu mäßigen. Zudem ändert keine Empörung etwas an den Kräfteverhältnissen unseres in zwei Blöcke zerteilten Europa. Keine Empörung ändert etwas daran, daß hier in Europa große Rüstungspotentiale gegeneinander gerichtet sind. Um eine Umkehr des Trends zu immer neuen Waffen und immer neuen Vernichtungsmitteln zu erreichen, gibt es nur den Weg des Verhandelns. ({46}) Der ermordete Präsident Kennedy hat das in seiner Antrittsrede vor 21 Jahren schon mit Recht so formuliert: „Laßt uns nie aus Furcht verhandeln, aber laßt uns niemals fürchten, zu verhandeln." ({47}) Zum Verhandeln gehört, daß man die eigene Position in aller Deutlichkeit darstellt, daß man seinen Verhandlungswillen aber nie in Zweifel geraten läßt. Sicherheit gibt es nur durch bindende Verträge. Verträge sind nur dann akzeptabel und nur dann dauerhaft, wenn sie militärisches Gleichgewicht festschreiben. Dauerhafte Regelungen müssen ein möglichst niedriges militärisches Niveau anstreben. Voraussetzung zu Verhandlungen ist der Wille zum Gespräch und der Wille zum Ausgleich. Voraussetzung für Verträge ist Gleichgewicht. Darin liegt der Sinn der Sicherheitspartnerschaft. ({48}) Wir haben diese Linie in allen Gesprächen - auch gegenüber dem sowjetischen Generalsekretär Breschnew - eingehalten. Nur auf diesem Wege sind die Genfer Verhandlungen zu erreichen gewesen, die darauf abzielen, die schwerwiegende Bedrohung der Bundesrepublik durch sowjetische Mittelstreckenraketen zu vermindern oder zu beseitigen. Weder wären die Genfer Verhandlungen ohne den Brüsseler Doppelbeschluß je begonnen worden, noch würden sie ohne ihn Aussicht auf Erfolg haben. ({49}) Die Ereignisse seither haben noch deutlicher gemacht, daß dieser Beschluß der den Problemen angemessene Ausdruck der Grundlinie des Nordatlantischen Bündnisses ist, nämlich auf der einen Seite die eigene militärische Sicherheit zu wahren und auf der anderen Seite gleichzeitig Verhandlung und Vertrag mit dem Osten zu suchen. Ich begrüße, daß Präsident Ronald Reagan in dieser Woche der sowjetischen Seite einen Vertragsentwurf für eine beiderseitige Null-Lösung hat vorlegen lassen. Dies liegt auch im deutschen Interesse, und wir Deutschen hatten es so vorgeschlagen. ({50}) Die Bundesregierung verfolgt ihren friedenspolitischen Kurs mit Augenmaß, aber ebenso mit Stetigkeit und Verläßlichkeit. Auch für unsere Friedenspolitik bitte ich um erneute Bestätigung durch den Bundestag. Ich weiß, daß wir dabei auf die Unterstützung einer sehr großen Mehrheit der Deutschen zählen können. ({51}) Ich bitte um Vertrauen. Ich bitte um Vertrauen in meine außen- und innenpolitische Stetigkeit und Verläßlichkeit. Ich bitte um Vertrauen für die von den Fraktionen der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten gemeinsam getragene Bundesregierung. ({52}) Bitte zeigen Sie, daß wir auch in rauhem Wetter nicht daran denken zu schwanken, sondern daß wir ähnlich einer Kompaßnadel - gleich von welchem Ort aus - unverrückbar dem gleichen gemeinsamen Ziel zustreben. ({53}) Unsere Aufgabe heute ist eine solidarische gemeinschaftliche Initiative. Nur gemeinsam können wir Arbeit und Ausbildung schaffen für die, die einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz suchen. Keineswegs geht das ohne eigene Opfer; aber es ist in einer freien Gesellschaft des gesicherten Friedens durchaus möglich, es ist durchaus erreichbar. Dabei wird unser aller wirtschafts- und friedenspolitische Vernunft den Wagen nicht aus der Spur geraten lassen. Weil aber die Wegstrecke, die vor uns liegt, uneben und steil ist, vertraue ich darauf, daß alle mit in die Speichen greifen. ({54}) Hören wir auf, meine Damen und Herren, mit dem Zerreden von Maßnahmen, ehe diese überhaupt wirksam werden können! ({55}) Machen wir uns gemeinsam an die Arbeit. Gemeinsam können wir es schaffen, und wir werden das auch schaffen! ({56})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl. ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, als eben der Beifallsorkan Ihrer Freunde aus der SPD hier im Saal erklang, dachte ich doch: Was können Sie eigentlich davon halten, daß sie hier klatschen und draußen außerhalb des Saales ganz anders abstimmen? ({0}) Damit sind wir bereits beim Problem. Zu Beginn der Wahlperiode dieses Bundestages, am 24. November 1980, haben Sie, Herr Bundeskanzler, als Thema über Ihre Regierungserklärung geschrieben „Mut zur Zukunft". Heute, auf den Tag genau 16 Monate nach der Bundestagswahl, nach einer Wahl, in der die Koalition von SPD und FDP eine Mehrheit von 45 Mandaten erhielt, stellen Sie die Vertrauensfrage. Nun, Herr Bundeskanzler, lange hat Ihr Mut nicht angehalten. ({1}) Herr Bundeskanzler, Sie haben ja nicht einmal den Mut, die Vertrauensfrage mit einem bestimmten politischen Vorhaben zu verbinden. ({2}) Sie wünschen eine Generalvollmacht der Koalition für Ihre Gesamtpolitik, und doch bleibt Ihre Politik - das ist auch heute wieder spürbar geworden - nebelhaft. Sie spüren vor allem den rapiden Verfall Ihrer Autorität, und zwar nicht nur bei unseren Mitbürgern, die von den Ergebnissen Ihrer Politik tief enttäuscht sind, sondern auch in Ihrer eigenen Partei. Viele Parteitage bezeugen dies, vor wenigen Tagen erst der Parteitag in Hamburg, wo Sie in Ihrer Heimatpartei eine bittere und schwere Niederlage erlitten haben. ({3}) - Nun, Herr Kollege Wehner, Hamburg ist auch Ihre Heimat. Auch Sie haben dann - wenn Sie das noch mit hinzufügen wollen - diese Niederlage mit erlitten. ({4}) Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau: Was immer heute in diesem Saal vonstatten geht, des Rückhalts Ihrer eigenen Kollegen in der SPD-Fraktion sind Sie längst nicht mehr sicher. ({5}) Die Abstimmung, die heute hier vorgenommen wird, soll deshalb eine allgemeine Zustimmung vorspiegeln, eine Zustimmung, die Sie in den konkreten Sachfragen deutscher Politik längst nicht mehr besitzen. ({6}) Ganz offenkundig ist das in den beiden zentralen Bereichen der deutschen Politik, in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik. Sie haben den Antrag auf Vertrauenserweis hier mit dem Erfordernis begründet, daß die Stetigkeit und das Ansehen auch der Politik der Bundesregierung im Ausland unterstützt werden. Nun, Herr Bundeskanzler, es gibt in diesem Saal niemanden in verantwortlicher Stellung, der in den letzten Monaten so viel dazu beigetragen hat, daß die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ins Zwielicht geriet, wie Sie dies getan haben. ({7}) Auf Ihre Äußerungen zu den Vorkommnissen in Polen will ich jetzt nicht mehr eingehen; wir haben das hier in den letzten Wochen so oft getan. Aber Sie - gerade Sie im verantwortlichen, entscheidenden Amt der deutschen Politik - haben mehr als jeder andere deutsche Politiker dazu beigetragen, daß in Amerika, daß in Frankreich, daß in den Benelux-Ländern, daß in Großbritannien der Eindruck entstanden ist: Auf die Deutschen kann man sicher nicht mehr bauen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, sonst gar nichts! ({8}) Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier an jedes Mitglied des Hauses appellieren, es solle bei dem, was es sagt und tut, bedenken, was für eine Auswirkung das auf die Politik der Bundesregierung hat, hätte ich mir gewünscht, daß Sie in der gemeinsamen Presseerklärung nach Ihrem Gespräch mit Herrn Honecker daran gedacht hätten, was das für eine Wirkung in der Welt hat. ({9}) Sie können es doch in Wahrheit gar nicht wagen, auf Ihrem Bundesparteitag in wenigen Wochen in München in Ihrer eigenen Partei eine unmißverständliche, eindeutige und von keinem Flügel Ihrer Partei unterschiedlich interpretierbare Entschließung zu dem Doppelbeschluß der NATO vom Dezember 1979 zur Abstimmung zu stellen. Sie sprachen zu Recht - ich will das unterstützen und unterstreichen - von einer breiten Mehrheit der deutschen Bevölkerung in dieser Frage. Sie können in dieser Frage auch zu Recht von einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages sprechen. Aber diese Mehrheit wird im Kern von der CDU/CSU und nicht von Ihrer Fraktion gebildet. ({10}) Herr Bundeskanzler, warum weisen Sie uns in diesem Saale darauf hin, daß in dieser Frage Geschlossenheit am Platze sei? Vor knapp zwei Wochen fand in Hamburg der Landesparteitag der Hamburger Sozialdemokraten statt. Zeitungsberichten zufolge - an diesem Parteitag nahmen Sie und unser Kollege Apel teil - haben Sie dort insgesamt beinahe vier Stunden mit den Delegierten um die Abstimmung diskutiert und gerungen. Das Ergebnis war dann ein Beschluß für ein Moratorium und eine atomwaffenfreie Zone in Europa, der im klaren, entschiedenen Widerspruch zur erklärten Sicherheitspolitik Ihrer eigenen Regierung steht. Herr Bundeskanzler, ist das eine verläßliche Politik für das Ausland, wenn es hierher schaut? Nicht nur Ihre Bundespartei, sondern auch Ihr eigener Landesverband ist inzwischen doch so weit nach links abgeglitten, daß Sie dort keine Mehrheit mehr haben. ({11}) Sie mögen es als Trost empfunden haben - wir haben es als blanken Hohn empfunden -, wenn der Bürgermeister von Hamburg, Herr von Dohnanyi, dieses Ergebnis dann als eine Panne bezeichnet hat. ({12}) Meine Damen und Herren, das alles ist doch kein Einzelfall. Was in Hamburg geschehen ist, geschah zuvor in Schleswig-Holstein, im Saarland, in München, in Baden-Württemberg. Sie sprachen von Vertrauen im Ausland für uns. Sie warben dafür, daß wir Gemeinsamkeit pflegen. Nun, Herr Bundeskanzler, ich habe von Ihnen in diesen Tagen kein Wort gehört, als gerade vor zwei Tagen Ihr Präsidiumsmitglied - das sage ich jetzt dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, Helmut Schmidt - Erhard Eppler hier in Bonn zu neuen Demonstrationen gegen den amerikanischen Präsidenten aufgerufen und - wörtlich - „den Gegendruck von der Straße her" gefordert hat. ({13}) Herr Bundeskanzler, das ist doch die Politik Ihrer eigenen Partei. Sie vertreten mit Ihren Meinungen doch gar nicht mehr Ihre eigene Partei. ({14}) Dieser törichte und für die Republik lebensgefährliche Antiamerikanismus ist doch vom äußersten linken Flügel längst in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands eingewandert. ({15}) Herr Bundeskanzler, Sie appellieren hier an die Unternehmer, an die kleinen und mittelständischen Unternehmer; Sie werben um Vertrauen. Nun, was sollen diese Mitbürger denken, wenn - ebenfalls in diesen Tagen - ein anderer Hamburger Landsmann von Ihnen, der frühere Bürgermeister Klose, seine Partei aufgefordert hat, die gegenwärtige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zur Diskussion zu stellen? Glauben Sie im Ernst, daß dies vertrauensbildende Maßnahmen sind? ({16}) Was soll denn, meine Damen und Herren, die heutige sogenannte Vertrauensabstimmung an dieser Lagebeschreibung Ihrer Regierung und Ihrer Partei ändern können? Wie ist denn die Lage im Bereich unserer Wirtschaft, in der Sozialpolitik? Im nunmehr achten Jahr - das ist die Zeit Ihrer Regierung - verzeichnen wir zu Jahresbeginn mehr als eine Million Arbeitslose. Ende Januar 1982 erreichte diese Zahl die Schwelle von zwei Millionen. Zwei Millionen Menschen ohne Arbeit, das ist eine Zahl, die jedermann betroffen machen muß. So viele Arbeitslose gab es zuletzt vor 32 Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen schrecklichen Folgen. ({17}) - Herr Kollege Ehmke, dann stellt sich angesichts dieser Situation, die vor allem er zu verantworten hat, der stellvertretende SPD-Vorsitzende Helmut Schmidt, der Bundeskanzler der Bundesrepublik, an dieses Pult und spricht von der Sorge und der Solidarität mit den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik. ({18}) In all diesen Jahren seit 1949 hat keine Bundesregierung solch katastrophale Ergebnisse ihrer Politik herbeigeführt wie die von Ihnen geführte. Und Sie tragen dafür die Verantwortung. Und das muß deutlich werden, wer die Verantwortung trägt. ({19}) Sie appellieren heute und in Ihrem vorgelegten Programm an den Mittelstand. Nun, Herr Bundeskanzler, im vorigen Jahr - auch das ist ein Signum Ihrer Regierungszeit; denn das gab es nie zuvor - mußten annähernd 11 000 Betriebe, darunter kleine und mittelständische Betriebe in großer Zahl, Konkurs anmelden. Viele mühsam aufgebaute Existenzen wurden ruiniert. Hunderttausende von Arbeitsplätzen gingen verloren. Diese Arbeitsplätze kommen nicht mit Appellen wieder. Sie kommen nur dann wieder, wenn Sie endlich bereit sind, wirklich eine Politik der Sozialen Marktwirtschaft in unserem Land zu führen. ({20}) Wenn Sie heute Bilanz aufmachen, Bilanz Ihrer Regierungszeit und Bilanz der letzten 16 Monate, dann gilt auch der Satz: Es ist keine Vorsorge für die Zukunft im Blick auf die technische Entwicklung und die Forschung getroffen, einst der Stolz der Deutschen. Heute sind wir ein Land, das Patente und Lizenzen im Ausland kauft, statt sie zu exportieren. ({21}) Herr Bundeskanzler, dies ist das Ergebnis nicht zuletzt jener Pseudopädagogik, die aus Ihren politischen Kreisen kommt und in weiten Kreisen der jungen Generation eine Art Technikfurcht herbeigeführt hat, die viele Talente davon abhält, technische Berufe zu ergreifen. Herr Bundeskanzler, es sind nicht zuletzt Ihre politischen Freunde - ich nehme Sie persönlich hier ausdrücklich aus -, die durch ihre Beiträge zu Demonstration und Blockade einen wesentlichen Anteil daran haben, daß wir keine Vorsorge im Bereich der Energiepolitik getroffen haben. ({22}) Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen hier eine Antwort auf eine Äußerung an den Kollegen Zimmermann in der letzten Debatte und an den Kollegen Franz Josef Strauß geben. Sie sagten damals: Was tut ihr denn eigentlich in Bayern? Wenn Sie in den letzten Tagen die Diskussion unserer Freunde von der CSU in der Oberpfalz vorn an der Basis mit den Mitgliedern, mit den Wählern verfolgt haben, frage ich Sie: Wo waren Sie denn in Hamburg, als es darum ging, für Brokdorf einzutreten? ({23}) Der Staat ist überschuldet. Die Wirtschaft stagniert. Die Finanzgrundlagen des sozialen Sicherungssystems sind zerrüttet. Die Furcht vor einer weiter wachsenden Arbeitslosigkeit, vor allem die geburtenstarken Jahrgänge betreffend, geht überall um. Sie haben recht und ich stimme Ihnen zu: In dieser Lage sind alle politisch Verantwortlichen aufgerufen, ihren Beitrag zur Beseitigung, zur Dämmung dieser tiefgreifenden Strukturkrise einzubringen. Diese Anstrengungen können von der Politik vor allem die Jungen erwarten, deren Zukunft durch die beispielhafte Schuldenwirtschaft Ihrer Regierung schon genug belastet ist. ({24}) Damit sind wir bei dem anderen großen Thema dieser Tage. ({25}) Sie sprachen vom sogenannten Sommertheater des vergangenen Jahres. Sie müßten dann auch von der mißglückten Haushaltsoperation '82 sprechen. Binnen weniger Monate müssen Sie nun zum dritten-mal vor die deutsche Öffentlichkeit gehen und eingestehen, daß alles das, was Sie getan haben, nichts gebracht hat. Fast zwei Millionen Arbeitslose sind eine große Herausforderung. Aber bloßer „Aktionismus" ist nicht die richtige Antwort. Das Wort, meine Damen und Herren, stammt nicht von mir. Sie, Herr Bundeskanzler, sind derjenige, der es in die Diskussion gebracht hat - vor wenig mehr als zwölf Wochen. ({26}) - Meine Damen und Herren von der SPD, man wird Ihnen doch wohl noch sagen dürfen, was Sie bis gestern gesagt haben, nachdem man heute nicht mehr darauf setzen kann, was Sie sagen. ({27}) Vor Ihrer eigenen Partei erklärten Sie Anfang Oktober 1981 - ich sage noch einmal: vor wenigen Wochen - wörtlich: Das, was wir für 1982 tun können, haben wir getan. Wenn die gegenwärtigen Beschlüsse im Gesetzblatt stehen; das haben wir getan. Alles andere ist Aktionismus, was man zusätzlich noch empfiehlt, ist Aktionismus. Entweder müßt ihr die Steuern erhöhen, um Zusätzliches zu finanzieren, oder, wenn wir Kredite aufnähmen, müßten wir in Kauf nehmen, daß die Zinsen so hoch bleiben, wie sie sind oder noch höher steigen. ({28}) Herr Bundeskanzler, die Druckerschwärze der Gesetzblätter ist noch nicht einmal trocken geworden, dann stehen Sie schon wieder hier und reden 5058 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 84. Sitzung. Bonn, Freitag, dein 5. Februar 1982 von Vorschlägen, die übrigens noch kein Mensch hier im Haus gesehen hat. Sie reden davon, daß Gesetze vorliegen; gar nichts liegt zur heutigen Stunde vor. ({29}) Warum gilt das, was Sie da klugerweise Anfang Oktober gesagt haben, Herr Bundeskanzler, eigentlich heute nicht mehr? Warum war das, was Sie jetzt tun, aus Ihrer damaligen Sicht Aktionismus, und ist heute hohe staatsmännische Kunst, vor der man sich ehrfürchtig verneigen muß? ({30}) Sie selbst haben doch gesagt: mit diesen Dingen bewirken wir gar nichts. Was noch viel schlimmer ist: Sie sprachen dauernd vom Vertrauen. Das ist richtig. Seit Ludwig Erhard wissen wir, daß in einer modernen freien Volkswirtschaft Vertrauen in die Regierenden wichtigste Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Wirtschaft ist. ({31}) - Ich würde bei dem Stichwort „Erhard" an Ihrer Stelle keine Zwischenrufe machen. Die Deutschen erinnern sich wehmütig an jene Jahre, ({32}) als wir uns um ganz wenige Arbeitslose zu kümmern hatten. ({33}) Ihre Regierungszeit ist die Regierungszeit der Schulden und der Arbeitslosen. ({34}) Die monatelange Debatte, die dieser jetzigen Vorlage vorausging, hat doch kein Vertrauen geschaffen. Sie war gekennzeichnet durch eine totale Konfusion, durch zahlreiche, sich regelmäßig widersprechende Vorschläge. Einer wie ich hatte große Mühe, dauernd von der Presse angeforderte Erklärungen abzugeben, nur den dpa-Ticker rechtzeitig abzunehmen, weil stündlich neue, sich widersprechende Meldungen kamen. Glauben Sie im Ernst, Herr Bundeskanzler, daß das Vertrauen gebildet hat? Ich sage ganz klar: Einzelne der Maßnahmen dieses jetzigen Pakets, wie z. B. die vorgesehenen Erleichterungen beim Mietrecht, die Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Betriebs- und Wohngebäude, Investitionen bei der Bundespost, sind Schritte in die richtige Richtung. Ich frage nur, Herr Bundeskanzler: Warum machen Sie diese Schritte erst heute? Wir sagen Ihnen das seit Jahr und Tag. ({35}) Sie haben vorhin beklagt: „Wo sind Ihre Vorlagen?" Nun, ich habe jetzt eine mitgebracht. Sie haben weite Teile unserer Gesetzesvorschläge vom 22. Mai 1981 jetzt schlicht übernommen. Ich bin darüber nicht böse. Da gilt nicht das Prinzip des Plagiats, sondern das Prinzip der Vernunft. Ich bin auch nicht böse, daß Sie das nicht gelesen haben. Ich überreiche es Ihnen nachher. Ich will Ihnen nur sagen: Seit neun Monaten liegt das auf dem Tisch. Nur, Sie haben es blockiert. Das war die Wahrheit in diesen Jahren. ({36}) Wenn Sie bereit gewesen wären, die Einsicht von heute im Mai des vergangenen Jahres zu üben, dann meine Damen und Herren, wären wir ein wesentliches Stück weiter gekommen in Sachen Wohnungsbaupolitik. Auch das gehört ja zum Resümee Ihrer politischen Leistung, oder besser gesagt: Nichtleistung, daß wir nach den Jahren der sogenannten SPD/FDP-Koalition Wohnungsnot in Deutschland haben. Insgesamt ist festzustellen: Der Gesamtumfang des Programms gleicht die im Haushalt 1982 vorgenommenen und die in der Mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Kürzungen der Investitionsausgaben, vor allem im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben, überhaupt nicht aus. Und die beabsichtigte Investitionszulage wird auf Grund ihrer zeitlichen Begrenzung doch nur einen Strohfeuer- oder Mitnahmeeffekt auslösen. Glauben Sie im Ernst, daß eine zeitliche Begrenzung wie die, die Sie jetzt in Ihren Papieren haben, wirklich etwas bewegen kann? Das ist doch wider jede wirtschaftliche Vernunft. ({37}) Spätestens nach den Erfahrungn mit dem Gesetz von 1974/75 sollten Sie das doch einsehen. Und, Herr Bundeskanzler, damit auch das klar ist: Eindeutig schädlich ist die beabsichtigte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie treibt die Preise und die Kosten an. Sie ist ein falsches Signal für die laufende Lohnrunde. Wie können Sie eigentlich die Tarifpartner heute hier zur Vernunft mahnen, wenn Sie gleichzeitig ein Zeichen geben für die Tariferhöhungen? ({38}) Die Erhöhung der Mehrwertsteuer verstärkt auch die Tendenz zum Steuer- und Abgabenstaat. Da Sie selbst ja bekanntlich eine besonders hohe Meinung von Ihren ökonomischen Einsichten haben, will ich Sie darauf ansprechen. Ich bitte Sie wirklich, vielleicht einmal den ökonomischen Sachverstand Ihrer Kollegen zu Rate zu ziehen. ({39}) Da sitzt beispielsweise der Kollege Matthöfer, ein Mann, dem ja die Staatskasse anvertraut ist und der sich auch redlich bemüht, seinem Geschäft nachzukommen. Kein besonders erfreuliches Geschäft! Nun hat der Kollege Matthöfer - nicht irgendwann, meine Damen und Herren, sondern heute vor elf Tagen; wenigstens ein Zitat von vor elf Tagen wird man ja hier noch erwähnen dürfen - in einem Memorandum an die Mitglieder des Kabinetts folgendes niedergeschrieben - ich zitiere -: Auch eine Änderung des Einkommensteuertarifs oder eine Heraufsetzung des Mehrwertsteuersatzes mit dem ausschließlichen Ziel eines erhöhten Aufkommens für Bund, Länder und GeDr. Kohl meinden sollte aus konjunkturellen Gründen ausscheiden. ({40}) Eine Mehrwertsteuererhöhung würde zudem Preissteigerungen auslösen, ({41}) ohne zu den gewünschten Strukturveränderungen beizutragen. Ein Entzug von Kaufkraft aus dem Kreislauf, der nur der Mittelbeschaffung dient, nicht aber zu notwendigen Umstrukturierungen beiträgt, wäre konjunkturell unerwünscht, vielleicht sogar kontraproduktiv. ({42}) Herr Bundeskanzler, das ist das richtige Wort. Das, was Sie tun, ist kontraproduktiv. ({43}) Ich frage mich nur, Herr Kollege Matthöfer: Wie kann ein Mann mit Ihrer Reputation dann letztendlich einer Sache zustimmen, die Sie in einer solch klaren, beinahe klassischen Weise verrissen haben? ({44}) Ich frage Sie auch: Welche Meinung gilt jetzt eigentlich? Das ist j a unser Problem mit Ihnen allen. Gilt die von vor acht Tagen, vor 14 Tagen? Ich komme noch auf andere Beispiele, nicht nur auf dieser Seite des Hauses. Welche Meinung gilt denn jetzt eigentlich? Wie soll der Bürger Ihnen bei einem solchen Wechselbad von Meinungen glauben, wenn Sie dann gleichzeitig versprechen, daß die Bundesregierung zum Ausgleich der Mehrwertsteuererhöhung ab 1984 die Lohn- und Einkommensteuer senken wird? Wir haben dazu kein Vertrauen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, würden Sie so liebenswürdig sein, den vollständigen Text zu zitieren? Ich habe nämlich auch dargelegt, daß es sehr wohl Formen der Mehrwertsteuererhöhung gibt, bei denen der von Ihnen beschriebene Effekt nicht stattfindet, ({0}) und daß es sich bei dem vorliegenden Vorschlag genau um eine solche Erhöhung handelt. ({1})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist die alte Frage, ob es ein bißchen Schwangerschaft geben kann, Herr Kollege Matthöfer. ({0})

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie bitte meine Frage beantworten: Ist es richtig, daß in dem Papier, das Sie zitieren, steht, daß diese Form der vorgeschlagenen Mehrwertsteuererhöhung die Wirkungen, die Sie gerade vorgetragen haben, nicht hat? ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für mich ist es völlig eindeutig, daß in diesem Papier mit diesem Zitat ein völlig richtiger Sachverhalt beschrieben ist. ({0}) - Meine Damen und Herren, freuen Sie sich nicht zu früh! Wir werden in wenigen Tagen den Jahreswirtschaftsbericht miteinander diskutieren. Bei der Gelegenheit werden wir das ganze Matthöfer-Papier hier zur Debatte stellen. Da werden sie sich wundern. ({1}) Herr Bundeskanzler, aus diesen Gründen lehnen wir, die Christlich Demokratische und die ChristlichSoziale Union - Sie haben das von gestern korrekt zitiert -, im Deutschen Bundestag wie im Bundesrat diese Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, weil sie für ein vernünftiges Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für eine Wiederbelebung der Wirtschaft schädlich ist. ({2}) Was Sie jetzt hier tun, indem Sie die einzelnen Kollegen aus den Ländern ansprechen, ist auch eine alte, von Ihnen häufig geübte Praxis. Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan eigenen Ranges. ({3}) - Es mag j a sein, daß bei Ihnen inzwischen das Verfassungsverständnis schon so weit verkommen ist, daß allein das Erwähnen dieses Begriffes Ihnen unangenehm ist. ({4}) Es entspricht nicht dem Verfassungsverständnis der Bundesrepublik Deutschland, daß das Verfassungsorgan Bundesrat vom Verfassungsorgan Bundesregierung Befehle entgegennimmt. ({5}) Ich sage das aus meiner langjährigen Erfahrung in der zweiten Kammer dieses Hauses. Wenn Sie die Kollegen schon angehen und hinsichtlich Ihrer Haltung bestimmte Erwartungen herausstellen, sollten Sie solche Äußerungen hier lassen, Herr Bundeskanzler. Es gab eine CDU-geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein, und es gab eine CDU-geführte Landesregierung im Saarland. Ich erwähne diese beiden Regierungen, weil sie schon damals, zur Regierungszeit von Adenauer, Erhard und Kiesinger, von CDU-Ministerpräsidenten geführt wurden. Damals war es nie notwendig, daß der Versuch einer solchen Pression unternommen wurde, weil die Bonner Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik diese betrüblichen Ergebnisse nicht hatte, die Ihre Politik heute gezeitigt hat. ({6}) Ich weiß, daß Sie ein beachtliches Kapital auf den Markt bringen können in des Wortes eigentlicher Bedeutung, wenn es darum geht, Kampagnen gegen uns zu führen. ({7}) Aber Sie werden wenig Glück haben. Die Bürger im Saarland, die Bürger in Niedersachsen, die Bürger in Schleswig-Holstein und im übrigen gerade auch die Bürger in Berlin wissen, ({8}) wem sie ihre schlechte wirtschaftliche Entwicklung zu verdanken haben. ({9}) Wir werden eine vernünftige Politik zur Verbesserung der Beschäftigungslage unterstützen, aber die von Ihnen vorgesehene Finanzierung durch Steuererhöhungen - das wissen Sie im übrigen so gut wie ich - schadet mehr, als das ganze Programm nutzen kann. Meine Damen und Herren, Sie haben wieder nach unseren Gesetzen und Texten und Vorschlägen gefragt. Herr Bundeskanzler, wir haben im letzten Herbst eine ganze Serie von Vorschlägen vorgelegt. Einige dieser Vorschläge, die damals als der Inbegriff sozialer Demontage diffamiert wurden, finden sich heute - einige Wochen später - bei Ihnen wieder. Ich frage Sie beispielsweise einmal ganz konkret nach einem Sachverhalt, der uns nicht leichtgefallen ist. Ich spreche das Beispiel unseres Antrags an, über 800 Millionen DM jährlich beim Schüler-BAföG für jene Schüler zu streichen, die am Wohnort ihrer Eltern zur Schule gehen und wo wir eben glauben, daß es kein unzumutbares Opfer ist. Das Schüler-BAföG erklärten Sie bei der letzten Runde für tabu. Als es im Vermittlungsausschuß darum ging, für behinderte junge Leute Geld zu retten, war es sogar kaum möglich, Ihre eigenen politischen Freunde davon zu überzeugen, daß es in der Alternative für behinderte junge Leute oder für gesunde junge Leute, die am Schulort zu Hause wohnen können, eine klare Priorität zugunsten der Behinderten geben muß. ({10}) Nun wenden Sie in dem Programm, das Sie heute hier so dramatisch vorgestellt haben, für vier Jahre insgesamt je 100 Millionen DM zur Förderung arbeitsloser Jugendlicher auf. Herr Bundeskanzler, der Gesamtertrag der Mehrwertsteuererhöhung - die ja nicht kommt - liegt bei knapp 2 Milliarden DM. Sie könnten einen gewaltigen konsumtiven Betrag allein beim Schüler-BAföG einsparen, wenn Sie den Mut hätten, von der ideologischen Ausrichtung Ihrer eigenen Partei abzugehen. ({11}) Uns fällt dieser Vorschlag zur Streichung des BAföG auch nicht leicht. Aber in der Alternative, arbeitslose junge Leute an Arbeits- und Ausbildungsplätzen zu bringen oder BAföG als Unterstützung an Schüler zu geben, die zu Hause im Elternhaus wohnen können, muß doch die Entscheidung für jeden gerecht und sozial Denkenden einwandfrei sein. ({12}) Meine Damen und Herren, ein wahres Miraculum ist ja nun die Haltung der Kollegen von der FDP in diesen Wochen. ({13}) Da sitzt vor mir der von mir besonders geschätzte Kollege Hoppe. ({14}) Der sagte hier von dieser Stelle vor 14 Tagen - es war offensichtlich gar keine schlechte Rede, denn im Deutschen Fernsehen konnte man dann erfahren, daß der Kanzler ihn dafür gerügt hat ({15}) wörtlich auf meine Frage: Die Freien Demokraten werden auf ihrer Position beharren, die da lautet: Wer beschäftigungswirksame Maßnahmen über Kredite oder Steuererhöhungen finanzieren will, gefährdet die Grundlagen solider Finanzpolitik. ({16}) Was Herrn Hoppe billig ist, ist Graf Lambsdorff natürlich recht. Der sagte in der gleichen Debatte einen Tag später, er sei nach gründlicher Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, daß die Nachteile der Steuererhöhungen die Vorteile überwiegen, wenn eine auf das Jahr 1982 beschränkte Investitionszulage durch eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt finanziert werde. Meine Damen und Herren, natürlich macht es mir Freude, den Herrn Hoppe und den Kollegen Lambsdorff anzusprechen, aber es macht mir natürlich auch Freude, den Kollegen Genscher anzusprechen. Herr Kollege Genscher, es darf doch bei einer solchen Gelegenheit wenigsten gefragt werden, was sich ereignet hat, daß all das, was Sie in den letzten Wochen sagten und was eine so breite, sympathische Zustimmung bei uns gefunden hat, jetzt nicht mehr gilt. Da sagten Sie im August, daß Ausgabenminderung der bessere Weg ist als Einnahmenerhöhung. Da kann ich nur sagen: ganz richtig. ({17}) Da sagten Sie im Oktober: „Wir mußten verhindern" - das war natürlich auf die Sozialdemokraten mit ihren linken Umtrieben gemeint -, ({18}) „daß weitere Steuererhöhungen kommen. Wir mußten verhindern, daß ein kostenaufwendiges, in der Sache unwirksames Beschäftigungsprogramm vorgelegt wird." ({19}) Dann sagten Sie, Herr Kollege Genscher - das war im November -, in der gegenwärtigen Lage würden alle staatlichen Beschäftigungsprogramme allenfalls ein Strohfeuer sein. ({20}) Dann sagten Sie, Herr Kollege Genscher - ich zitiere Sie wirklich wörtlich; wer uns beide kennt, weiß auch, ohne jeden Soupçon - ({21}) - Ja doch, natürlich, das ärgert Sie in der SPD. Aber ich sage es trotzdem. Da sagten Sie: „Die FDP vertritt die Linie des wirtschaftlichen Sachverstands in unserem Land." ({22}) Herr Kollege Genscher, bei dem, was heute vorliegt, frage ich Sie: Welcher wirtschaftliche Sachverstand gilt? ({23}) Der vom August? Der vom Oktober? Der vom November? Der vom Januar? Der vom Februar? Aber das Jahr hat zwölf Monate, meine Damen und Herren. ({24}) - Herr Kollege Genscher, damit kein Zweifel aufkommt: Die Mehrheit der SPD-Fraktion hat an diesem Beifall eben mehr Freude gehabt, als Sie. ({25}) Herr Bundeskanzler, bei all dem, was ich Ihnen sagen muß, ist deutlich, daß Sie auf dem falschen Wege sind, daß auf Ihre Politik kein Verlaß ist. Sie sind auf dem falschen Wege, weil Sie nicht die Kraft haben, eine wirkliche Konsolidierung der Staatsfinanzen herbeizuführen; und das ist die entscheidende Voraussetzung für eine Wende zum Besseren. ({26}) Sie sind auf dem falschen Wege, weil Sie nicht den Mut haben, die konsumtiven Ausgaben des Staates zugunsten der investiven zurückzuschneiden. ({27}) Die meisten Bürger wären zu Opfern bereit, wenn sie die Überzeugung haben könnten, daß diese Opfer gerecht verteilt werden und dazu dienen, daß es wieder aufwärts geht. ({28}) Sie sind auf diesem falschen Wege - bei manchen richtigen Ansätzen -, weil Sie Rücksicht auf die Linken in Ihrer eigenen Partei nehmen müssen, ({29}) weil Sie die Blockaden in Ihrer eigenen Partei nicht wegräumen können. ({30}) In der regionalen Wirtschaftsförderung, in der Verbesserung der Agrarstruktur, im Krankenhausbau, im Hochschulbau, im Straßenbau können ganz rasch erhebliche Investitionen freigesetzt werden. Wenn Sie es mir nicht glauben, fragen Sie die Kollegen Ministerpräsidenten auf der Bundesratsbank. Aber das alles kommt nicht voran, weil Sie gelegentlich das Richtige tun wollen, aber weil Sie daran gehindert werden. Wer alle paar Monate seinen Kurs ändert, wer heute tut, was er gestern als falsch bezeichnet hat, der ist für niemanden berechenbar, der verdient kein Vertrauen. Das ist der Sachverhalt. ({31}) Wer sich so benimmt, der zwingt alle diejenigen in eine Position des Abwartens, ohne deren Initiative und Unternehmungsgeist nichts geht. Viele Mitbürger fühlen sich von Ihnen getäuscht, viele Mitbürger, denen Sie vor anderthalb Jahren bei der Wahl versprochen haben, die Deutschen könnten es schaffen, immer weniger zu leisten und gleichzeitig immer besser zu leben. ({32}) Herr Bundeskanzler, Sie verpfänden dabei nicht nur Ihre Amtsautorität, sondern auch Ihre persönliche Autorität. Nach vielen Rücktrittsdrohungen haben Sie sich jetzt entschlossen, diesen Antrag im Bundestag zu stellen. Ich frage Sie: Was bezwecken Sie damit? Das Votum, das Sie heute anstreben, wird Ihnen die Regierungsarbeit in Wahrheit nicht leichter machen. Der Erkenntniswert dieser Abstimmung ist gleich null. ({33}) Da die Geschäftsordnung des Bundestags bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage eine geheime Abstimmung nicht vorsieht, werden sich Ihre Gegner in der eigenen Partei leicht bedeckt halten können. ({34}) Deshalb werden Sie auch heute nicht mehr erfahren als das, was die Mitglieder Ihrer Fraktion schon am Mittwochabend dem deutschen Fernsehpublikum erklärt haben: daß sie auch weiterhin und auf jeden Fall an der Macht bleiben wollen. Das ist es, um was es heute geht. ({35}) Dennoch besteht zwischen Ihrer Vertrauensfrage und dem Maßnahmenkatalog ein Zusammenhang. Es ist doch offenkundig - und Sie wußten das -, daß Sie weder in Ihrem Kabinett noch in Ihrer Fraktion mit Ihren wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen überzeugen können. Sie selbst sind ja auch nicht davon überzeugt; denn sonst hätten Sie das, was Sie jetzt tun, nicht noch vor kurzer Zeit als blanken „Aktionismus" bezeichnet. Deshalb müssen Sie mit Ihrem Rücktritt drohen. Deshalb haben Sie bei den Programmberatungen Ihre Fraktion übergangen und setzen Sie sie jetzt mit der Vertrauensfrage unter Druck. Natürlich werden Sie auch das leugnen. Aber wir haben das ja alles in diesen Tagen miterlebt. Es ist klar - meine Reverenz dazu -: Die Einpeitscher in den beiden Fraktionen haben natürlich auf den heutigen Tag ganze Arbeit geleistet. ({36}) Die Propagandaabteilungen von SPD und FDP werden morgen diesen „Erfolg" hinausposaunen. Aber, meine Damen und Herren, der Umweg über die heutige Abstimmung bringt Ihnen gar nichts! ({37}) Herr Bundeskanzler, er täuscht ein Vertrauen vor, das Sie für den konkreten Inhalt Ihrer Politik in Ihrer eigenen Fraktion und Partei längst nicht mehr besitzen. Wie wollen Sie denn draußen den Menschen Vertrauen geben, den Unternehmern und den Arbeitnehmern, den Selbständigen, den Menschen, die noch Arbeit haben, und jenen, die dringend Arbeit suchen? Sie haben das Vertrauen der Mehrheit der Deutschen nicht nur enttäuscht; Sie haben es verloren. ({38}) Ihr Taktieren mit der Vertrauensfrage nützt weder Ihnen, noch nützt es dem Land; denn die Lage ist zu ernst, als daß sie mit solchen Manövern zu meistern wäre. ({39}) Eine schwache Regierung, die nur noch ein Ziel hat, nämlich in den Sesseln zu bleiben, deprimiert das Land. Das Land braucht eine Regierung, die die Wahrheit sagt, die Mut hat, die das Notwendige tut. ({40}) Das Land, unsere Bundesrepublik Deutschland, braucht eine Regierung, die Vertrauen verdient. Ihre Regierung verdient dieses Vertrauen nicht! ({41})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man braucht nicht im Deutschen Bundestag zu sitzen, um zu wissen: Politik handelt nicht nur von dem Außergewöhnlichen und dem Wesentlichen, sondern über weite Strecken auch von dem Alltäglichen und gelegentlich von dem Überflüssigen. ({0}) Mir erscheint es höchst überflüssig, an einem eindeutigen Recht, an einem eindeutigen verfassungsrechtlichen Anspruch des Bundeskanzlers herumzupolemisieren. ({1}) Der Bundeskanzler hat es für geboten gehalten, vom Artikel 68 unserer Verfassung Gebrauch zu machen. Nun will ich einmal, Herr Kollege Kohl, da Sie andere mit Äußerungen aus den letzten Monaten zitiert haben, Ihren Stellvertreter, den Kollegen Zimmermann, mit einer Äußerung zitieren, die er vor wenigen Monaten gemacht hat. Vor mir liegt eine Sonntagszeitung aus dem Oktober des zurückliegenden Jahres. Die Meldung wird sogar aufgemacht mit dem Zitat einer Forderung, die Herr Zimmermann an den Bundeskanzler richtet: „Stellen Sie die Vertrauensfrage!" ({2}) - Einen Augenblick, Herr Kollege Zimmermann. - Dann heißt es im letzten Satz dieses Ihres Interviews mit der erwähnten Sonntagszeitung: Helmut Schmidt sollte den Mut haben, diesem Verfahren zuzustimmen. Jetzt tut er es, und jetzt ist es auch nicht richtig. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wären Sie so freundlich, Herr Kollege Brandt, zur Kenntnis zu nehmen, daß aus dem Gesamtzusammenhang dieses Interviews hervorgeht, ({0}) daß diese Vertrauensabstimmung mit einem Programm verbunden werden sollte, was heute nicht geschieht, wie Sie wissen? ({1})

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann nicht finden, daß ich falsch zitiert habe. ({0}) Wer hier für seine Partei und Fraktion spricht, hat der Öffentlichkeit klarzumachen, wie er und seine politischen Freunde zu dem vom Bundeskanzler erbetenen Vertrauensvotum stehen. Wir Sozialdemokraten und unsere Bundestagsfraktion - für die gesamte Sozialdemokratische Partei Deutschlands - sagen dazu: Ja, der Bundeskanzler hat unser Vertrauen. ({1}) Nun hat niemand von uns erwartet, daß Herr Kohl bekanntgeben würde, seine Fraktion werde auch ja sagen oder sich der Stimme enthalten. Doch niemand hätte sich der Illusion hingeben dürfen, er könne uns auseinanderdividieren und uns daran hindern, unser Vertrauen in namentlicher Abstimmung - die ich beantrage, Herr Präsident - auszusprechen. Sie werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Unionsparteien, zur Kenntnis zu nehmen haben: Unser Vertrauen ist eindeutig, und es ist einmütig. ({2}) Wir verbinden damit den Wunsch, daß der Bundeskanzler seine verdienstvolle und aufopfernde Arbeit an der Spitze der Bundesregierung im Interesse der breiten Schichten unseres Volkes noch lange fortsetzen möge. ({3}) Der in diesem Augenblick spricht, hat seine eigenen Erfahrungen mit der Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag. Der Bundeskanzler hat daran erinnert. Damals, vor zehn Jahren, verfügte die Koalition aus Gründen, die jetzt nicht näher erörtert zu werden brauchen, ({4}) nicht mehr über eine parlamentarische Mehrheit. Wenige Monate später konnte durch die Entscheidung der Bürgerinnen und der Bürger in der Bundesrepublik eine wieder voll handlungsfähige Regierung gebildet werden. Die heutige Lage ist eine andere. ({5}) Die Regierung der sozialliberalen Koalition verfügt durch den Wählerentscheid vom Herbst 1980 über eine klare Mehrheit. Diesmal dient die Vertrauensfrage offenkundig dem Ziel, die volle Handlungsfähigkeit der Regierung vor der deutschen, europäischen und internationalen Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen ({6}) und, indem wir dies tun, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die von der Opposition und von Teilen der veröffentlichten Meinung genährten Zweifel nachdrücklich zu widerlegen. ({7}) Ich spreche vom Vertrauen zur Regierung der sozialliberalen Koalition. Doch hier im Parlament, zumal in einer solchen Frage, spricht jeder von uns in seiner eigenen Verantwortung. Die Kollegen von der Freien Demokratischen Partei werden gewiß ihr Votum begründen. Für meine Partei und für meine Fraktion will ich sagen: Wenn wir deutschen Sozialdemokraten dem Bundeskanzler Helmut Schmidt unser Vertrauen nach Art. 68 des Grundgesetzes bestätigen, unterstreichen wir zugleich den Wunsch und den politischen Willen, die bewährte Zusammenarbeit mit den Freien Demokraten, also die sozialliberale Koalition, fortzusetzen. ({8}) Damit haben uns die Wähler beauftragt, und wir haben weder die Absicht noch hätten wir das Recht, vor diesem Wählerauftrag davonzulaufen. Es gibt dazu keine vernünftige Alternative. Und für mich hat das, was mein Vorredner beizutragen hatte, diese Erkenntnis bestätigt. ({9}) Trotzdem, meine Kolleginnen und Kollegen, und bei aller unvermeidlichen Rivalität der Parteien fragt man sich, welchem vernünftigen Zweck es dienen soll, wenn eine so starke Partei wie die Union - zwei eigentlich, die CDU mit der bayerischen CSU - immer wieder in die Rolle des Nein-Sagers flüchtet, um sich dann in dieser Rolle selbst gefangenzunehmen. ({10}) Der Bundeskanzler hat gesagt - und ich unterstreiche es -: Die Mehrheit unseres Volkes ist für die Politik der Besonnenheit, an die sich die Regierung Schmidt/Genscher gerade auch während der Polen-Krise gehalten hat. ({11}) Ich unterstreiche dann jeden einzelnen Satz, den der Bundeskanzler zu diesem Thema wohlabgewogen in seiner heutigen Erklärung uns vorgetragen hat. ({12}) Verehrter Herr Kollege Kohl, mit dem Wort, das ja weit über diesen Raum hinausgeht, auf die Deutschen sei kein Verlaß, sind Sie Ihrem Anspruch als Träger nationaler Verantwortung nicht gerecht geworden. ({13}) Die Mehrheit des Volkes ist dafür, daß wir im westlichen Bündnis weiterhin unsere konstruktiven Beiträge leisten. ({14}) Und ich sage für die deutschen Sozialdemokraten, Herr Kollege Kohl: Die SPD macht sich das Leben nicht immer leicht. ({15}) Wer wüßte das besser als ich? Aber eines bringt sie immer wieder fertig: die Sorgen der Bürger bei sich aufzunehmen und durchzudiskutieren. ({16}) und dabei auch in einem zuweilen schmerzlichen Prozeß auseinanderzuhalten, was heute geboten ist und was gleichwohl für morgen und übermorgen oder auf längere Sicht in Europa und in der Welt anzustreben ist. ({17}) Die Mehrheit unseres Volkes ist nicht nur hierfür, sondern dafür - wie es die Regierung versucht -, die Europäische Gemeinschaft nicht zugrunde gehen zu lassen, und daß wir jede mögliche Anstrengung machen, um dem drohenden Rückfall in den Kalten Krieg entgegenzuwirken ({18}) und - trotz allem - auf eine Begrenzung der Rüstungen zwischen den Weltmächten und zwischen den beiden Blöcken hinzuwirken. ({19}) Ich möchte gerne eine Zusatzbemerkung auf eigene Rechnung machen dürfen. Als ich an einem Abend der vorigen Woche in London mit dem früheren konservativen Premierminister Macmillan im Wagen zu einer Vortragsveranstaltung fuhr, sagte dieser mittlerweile 88jährige britische Staatsmann zu mir: „Wir haben heute eine Wirtschaftskrise in West und Ost, in den Entwicklungsländern" - ({20}) - Ich finde, ein 88jähriger Konservativer hat auch Anspruch auf Ihren Respekt. ({21}) Er sagte also: „Wir haben heute eine Wirtschaftskrise in West und Ost, in den Entwicklungsländern, in allen Teilen der Welt. Dafür muß es doch gemeinsame Ursachen geben." Ich habe geantwortet und wiederhole es hier: „Zusätzlich zu anderen wohlbekannten Erklärungen spricht die Vermutung dafür, daß das inzwischen erreichte Ausmaß an Ressourcen, die für Rüstungen aufgewendet werden - 560 Milliarden Dollar in diesem Jahr -, in sich zu einem die Weltwirtschaft schwer belastenden und sogar vergiftenden Faktor geworden ist." ({22}) Da unterliegt nun mancher in unserem Lande dem Irrtum, hieran könnte man allein etwas ändern. Aber man muß es als Problem vor sich haben, um zu versuchen, sich mit anderen an ein Problem gemeinsamen Interesses heranzuarbeiten. Zurück zu meinem Vorredner. Ich glaube nicht, Herr Kollege Kohl, daß wir einander und daß wir unserem Volk helfen, wenn sachliche Kritik durch übersteigerte Polemik erdrückt wird. ({23}) Die Regierung der sozialliberalen Koalition hat gezeigt, daß sie gerade auch in einer viel schwieriger gewordenen Zeit gut in der Lage ist, die deutschen Interessen wirksam zu vertreten. Der Führer der Opposition hat sich, wie es richtig war, auch zu den jüngsten wirtschaftspolitischen Beschlüssen der Regierung geäußert. Er hat sich überwiegend kritisch bis negativ dazu geäußert. Das „Handelsblatt", dem man eigentlich sozialdemokratische Neigungen nicht nachsagen kann, setzt dies heute früh unter die Überschrift: „Im Nein vereint". Ich halte das für bedauerlich; denn angesichts der Weltwirtschaftskrise und der Tatsache, Herr Kollege Kohl, daß wir es mit 2 Millionen Arbeitslosen zu tun haben, sind wir objektiv alle miteinander gefordert. ({24}) Durch die Verweigerung gegenüber dem Bundeskanzler und der von ihm geführten Regierung kommt kein einziger Mann, kommt keine einzige Frau wieder in Arbeit oder kriegt einen neuen Arbeitsplatz. ({25}) Herr Kollege Kohl, wenn die Lage so ernst ist, wie Sie sie auch beschrieben haben, dann war Ihre Reaktion darauf zu klein. ({26}) Wir Sozialdemokraten hätten es wie Heinz Oskar Vetter und seine Kollegen begrüßt, wenn es schon in den hinter uns liegenden Monaten möglich gewesen wäre, die im Haushalt 1982 vorgesehenen, leider bisher unter Wert verkauften Maßnahmen durch zusätzliche wirtschaftsfördernde, beschäftigungspolitische Initiativen zu ergänzen. Jetzt begrüßen wir - und wir begrüßen es sehr -, daß die Regierung einen ansehnlichen Maßnahmenkatalog auf den Weg gebracht hat. ({27}) Wir stützen nachdrücklich den Gedanken und die Motivierung einer Gemeinschaftsinitiative. Aber wenn wir uns dabei an die Sozialpartner, an die Bundesbank und an andere wenden, sind wir auch selbst gefordert, müssen wir natürlich selber tun, was zu tun im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden jeweils möglich ist. Für uns Sozialdemokraten ist es übrigens eine prinzipielle Entscheidung, mit der wir es zu tun haben, eine prinzipielle Entscheidung insofern, als sich der Staat in einer schwierigeren Lage nicht etwa aus seiner Mitverantwortung zurückzieht, sondern die Herausforderung im Kampf um Beschäftigung und wirtschaftliche Entfaltung annimmt, insofern, als er dies als große gemeinschaftliche Aufgabe auffaßt und von hier aus dem ganzen Volk vermittelt. ({28}) Niemand wird sich darüber wundern, daß nicht alle Bestandteile des jetzt Vorgeschlagenen mit gleichem Beifall bedacht werden. Natürlich wird man sich fragen dürfen, sich ehrlicherweise sogar fragen müssen, ob nicht die Aufgabe, die strukturellen Schwächen unserer Volkswirtschaft zu überwinden, zu einem wesentlichen Teil erst noch vor uns liegt. Aktueller betrachtet, stehen wir ohnehin - etwa bei den Mieten - noch vor ernster gesetzgeberischer Arbeit. Es ist jedoch wirklich nicht leicht zu begreifen, was die Union in Bund und Ländern bisher und was gewisse Verbandssprecher veranlaßt, selbst dann nein zu sagen, wenn Investitionen gefördert werden und dafür Mittel aufgebracht werden sollen, an denen der Schlosser ebensoviel Anteil hat wie der Generaldirektor, ({29}) wenn Mittel für zinsverbilligte Kredite aufgestockt werden, die der mittelständischen Wirtschaft und Maßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes zugute kommen, wenn Bundesmittel für den Hochbau, die wohl zu stark gekürzt worden waren, wieder freigemacht werden, oder wenn Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ergriffen werden und kurzfristig geprüft wird, wie und in welchen Bereichen die Verkürzung der Lebensarbeitszeit bewirkt werden kann. ({30}) Verehrte Kollegen von der Opposition, glauben Sie etwa, es macht uns Spaß, die vorgesehene Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung um ein Jahr vorzuziehen? Doch ich weiß, gerade bei den Rentnern gibt es manches Verständnis für ein Programm, das nicht nur Populäres enthalten kann und das im Konkreten den Zusammenhang mit der Einkommensentwicklung derer, die aktiv im Arbeitsprozeß stehen, nicht aus dem Auge verliert. Wir Sozialdemokraten stellen uns der Pflicht, uns auch mit solchen Maßnahmen zu befassen, die der Sache nach natürlich nicht nur populär sein können, ({31}) und wir lassen uns von dieser Pflicht ebensowenig abbringen wie von der konzeptionellen und der ins Detail gehenden Arbeit, die weiter vor uns liegt. Wenn es dabei bleibt, daß die Mehrheit des Bundesrates gegen das vorliegende Programm in Front gebracht wird, wird darüber in den Ländern ebenso deutlich wie hier im Bundestag zu reden sein. ({32}) Ich kann nicht verstehen, Herr Kollege Kohl, was der ernste und ehrliche Aufruf zur Gemeinsamkeit mit Druck zu tun haben soll. Ich sage vielmehr: Nicht zuletzt der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht wird sich fragen lassen müssen, ob er es mit seinen Reden genug sein lassen oder ob er der Bundesregierung Knüppel zwischen die Beine werfen will. ({33}) Ich vermute im übrigen, meine Herren von der Union: Eine Blockadefront wird sich kaum halten lassen. Im ganzen geht es wirklich darum - davon handelt die heutige Regierungserklärung -, Arbeit zu schaffen und den Frieden zu sichern. ({34}) Nachdem sich der Bundeskanzler entschlossen hat, dem Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, ist es für seine Partei und Fraktion eine selbstverständliche Pflicht, ihm vor dem eigenen Volk und zugleich vor der europäischen und internationalen Öffentlichkeit zu bekunden: Jawohl, der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat unser Vertrauen. ({35})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Weil wir Freien Demokraten zur Regierung Schmidt/Genscher und zur Regierungserklärung vom 24. November 1980 stehen, stimmen wir dem von Ihnen, Herr Bundeskanzler, gestellten Vertrauensantrag zu. ({0}) Ich bin überzeugt: Wenn die Abstimmung gewesen ist, werden sich die Nebelgespinste aus der Gerüchteküche der letzten Tage und Wochen in Nichts auflösen. Für unsere Entscheidung sprechen gute Gründe: An erster Stelle steht die gemeinsame Sicherung unserer auf Verständigung und Frieden ausgerichteten Politik. ({1}) Freie Demokraten und Sozialdemokraten haben die in den 60er Jahren auf dem Nullpunkt angekommene Deutschlandpolitik gegen den hinhaltenden Widerstand der Union zu einem immer besser greifenden Instrument des Miteinanders und der menschlichen Erleichterungen und Begegnungen für die Deutschen in Ost und West gemacht; das wollen wir fortsetzen. ({2}) Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Berlin als permanenter Konfliktherd im Ost-West-Gegensatz entschärft wurde und daß heute alle Kraft in Berlin auf die Zukunftssicherung eingestellt werden kann. ({3}) Wir haben mit unserer Politik des Ausgleichs und der Entspannung gegenüber dem Osten auf der Grundlage des militärischen Gleichgewichts zu einem Mehr an Sicherheit und an Stabilität in Europa beigetragen; das wollen wir fortsetzen. ({4}) Meine Damen und Herren, die Entwicklung in Polen widerlegt diese Politik nicht, sondern sie macht deutlich, daß die von uns vertretenen Prinzipien der Freiheit und der Menschenrechte - nicht zuletzt durch die Entspannungspolitik und, ganz konkret, durch die Schlußakte von Helsinki - immer mehr Resonanz auch in Osteuropa gefunden haben; das ist doch unbestreitbar. ({5}) Wir werden gerade in dieser prekären Situation, die durch den Ausnahmezustand in Polen ausgelöst wurde, weiterhin zum Dialog, aber nicht zur Konfrontation bereit sein. ({6}) Wir werden zugleich entschieden darauf drängen, daß die Verhandlungen über Mittelstreckenraketen in Europa weitergehen. Bundeskanzler Schmidt und Bundesaußenminister Genscher haben doch gerade auf diesem Feld mit beispielhaftem Engagement dafür gesorgt, daß die beiden Supermächte aus der Sprachlosigkeit herausgekommen sind und, wie sich jetzt zeigt, die Amerikaner unsere Vorschläge einge5066 bracht und damit zum Verhandlungsgegenstand gemacht haben. ({7}) Wer dann davon spricht, damit sei Unsicherheit in das Bündnis getragen worden, schafft selber Unsicherheit und nicht Sicherheit im Bündnis. ({8}) In der Innenpolitik haben Freie Demokraten und Sozialdemokraten über die Jahre hin bewiesen, ({9}) daß sie die Stärkung der Rechte des einzelnen Bürgers gleichermaßen wichtig nehmen wie die Sicherung des sozialen Friedens. Wir haben die Mitbestimmung im Betrieb und auf Unternehmensebene ausgebaut. Wir haben durch die rechtspolitischen Reformen Bevormundungen des Bürgers abgebaut. Wir haben den Umweltschutz Schritt für Schritt zu einem international beispielhaften System entwikkelt. Das alles sind Beweise, warum wir das Vertrauen heute aussprechen. ({10}) Wir haben dafür gesorgt, daß eben kein Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie hergestellt wurde, sondern in unseren Entscheidungen klargestellt, daß Soziale Marktwirtschaft als Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems und wirksame Umweltpolitik gemeinsamer Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind und bleiben werden. ({11}) Wir haben gegen so manchen Widerstand aus der Union durch die Verschärfung des gesetzlichen Instrumentariums für die Sicherung eines wirksamen Wettbewerbs in der Wirtschaft und damit für den Verbraucher gesorgt. Heute wurde so viel zitiert. Ich erinnere mich, wie schwer es Ludwig Erhard hatte, ja wie es ihm unmöglich gemacht wurde, in den 60er Jahren das Wettbewerbsrecht so zu entwickeln, wie es inzwischen durch die sozialliberale Koalition geschehen ist. ({12}) Wir haben die schwerwiegenden Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Krise durch gezielte arbeitspolitische Maßnahmen und durch zusätzliche Investitionsanreize besser mildern können als fast alle vergleichbaren Staaten. Ich sage nicht: Wir haben sie verhindern können. Aber wir haben sie mildern können und damit bewiesen, daß unsere Politik besser war als die in vielen anderen Ländern, die gleichartige Wirtschaftssysteme wie wir haben. ({13}) Wir stehen auch jetzt wieder in der Bewährung, die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Das ist natürlich die derzeit größte innenpolitische Herausforderung. Wir brauchen dazu den Konsens aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen. Wir brauchen den Pakt der wirtschaftlichen Vernunft. Weil dies alles so ist, haben wir heute eine Vertrauensabstimmung. Dazu hat es zweifelnde Stimmen aus dem Lager der Opposition gegeben. ({14}) Ich kann dazu nur sagen, daß es für die parlamentarische Demokratie gewiß besser ist, unnötige Spekulationen möglichst im Keim zu ersticken, als eine notwendige Auseinandersetzung zu verhindern, wie es durch die Union im Jahr 1966 geschah, als die Forderung, Erhard solle den Vertrauensantrag stellen, durch die Union nicht mitgetragen worden ist und der Vertrauensantrag nicht gestellt worden ist. Ganz nebenbei: Er wurde nicht gestellt, und nach 22 Tagen wurde der Kanzler Erhard von seiner eigenen Fraktion gestürzt. Dies zeigt doch, daß diejenigen, die jetzt hier diese Kritik an der Vertrauensfrage aufgehängt haben, etwas mehr ihre eigenen Äußerungen im Gedächtnis behalten sollten. ({15}) Es ist vorhin schon darauf hingewiesen worden, daß der Kollege Zimmermann im Zusammenhang mit der Sicherheitspolitik verlangt hat, die Vertrauensfrage zu stellen. Der Kollege Kohl hat im Februar im Zusammenhang mit der Energiepolitik die Forderung aufgestellt, die Vertrauensfrage zu stellen. ({16}) Damit Sie nun nicht bei jeder Gelegenheit alle vier Wochen dasselbe fordern müssen, wird jetzt umfassend die Vertrauensfrage gestellt und beantwortet. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Mischnick, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, halten Sie es für intellektuell redlich - ich sage das sehr hart -, so zu formulieren, wie Sie formuliert haben, ohne konkret zu zitieren, daß ich den Bundeskanzler im Zusammenhang mit Brokdorf und der Energiepolitik aufgefordert habe, die Vertrauensfrage zu stellen, ({0}) und stimmen Sie mir zu, daß das, was Sie eben sagten, in gar keinem Zusammenhang mit diesem Zitat steht? Denn heute wird j a nicht im konkreten Zusammenhang zur Politik eine Frage gestellt. ({1})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe bewußt gesagt: „im Zusammenhang mit der Energiepolitik". Sie haben recht, daß das in diesem Zusammenhang von Ihnen gesagt worden ist. Ich habe dazu festgestellt: Weil ich davon ausgehe, daß Sie möglicherweise noch bei sehr vielen Punkten die gleiche Frage richten werMischnick den, wollen wir heute umfassend die Vertrauensfrage beantworten. Mehr nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, gestern hielt es der bayerische Ministerpräsident für richtig, den freien Demokraten Unzuverlässigkeit zu unterstellen. Ich kann nur sagen: Wie töricht und einfältig! Auf der anderen Seite hätte es mich ja gewundert, wenn von Herrn Strauß dieser Vorwurf nicht gekommen wäre. Ganz nebenbei: Seine Meinung zu Beschäftigungsinitiativen und deren Deckung wechselte er in den letzten 14 Tagen häufiger als sonst jemand, der in dieser Diskussion mitgewirkt hatte. Ich wollte eigentlich den folgenden Teil nicht bringen, aber als Antwort ist er nötig. - Wenn ich jetzt im einzelnen darlegen sollte, was zu dieser Frage die Kollegen - ich meine alle, auch außerhalb des Hauses - Kiep und Biedenkopf als Unterstützung für die Verständigungspolitik der Bundesregierung gesagt haben, was Strauß verdammt und zugesagt hat, was Sie, Herr Kollege Kohl, nicht festlegend geäußert haben, was Stoltenberg von der Krediterhöhung gesprochen hat, was Kiep dann dagegengehalten hat, daß Stoltenberg nun nicht mehr davon spricht, was Rommel von Steuererhöhung - nicht nur der Gewerbesteuer, sondern auch von einer Ergänzungsabgabe - gesprochen hat und was der Kollege Pieroth heute gesagt hat - er wolle an die Berliner Wirtschaft appellieren, von der vom Kabinet beschlossenen Investitionszulage vollen Gebrauch zu machen -, ({1}) dann kann ich nur feststellen, ({2}) daß bei Ihnen die Diskussion über verschiedene Möglichkeiten genauso stattgefunden hat und stattfindet, wie sie bei uns stattfindet. Ich beklage eine Diskussion nicht. Aber Sie sollten nicht so tun, als wären Sie nicht auch dabei, zu prüfen: Was sind die richtigen, was sind die falschen Entscheidungen? ({3}) Heute hat nun der Kollege Strauß - um auf den bayerischen Ministerpräsidenten zurückzukommen - in der „Welt" angedeutet, der Herr Bundeskanzler werde bei der heutigen Abstimmung nur deshalb die Mehrheit erhalten - ich halte mich da ganz genau an das, was er gesagt hat -, „weil die Abstimmung offen und nicht geheim durchgeführt wird". Wenn Sie dieser Auffassung sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, warum gehen Sie dann nicht den Weg des konstruktiven Mißtrauens-votums? ({4}) Herr Kollege Brandt hat einen englischen Konservativen zitiert. Ich darf den früheren italienischen Ministerpräsidenten Andreotti zitieren. Er hat gesagt: „Die Macht nutzt nur denjenigen ab, der sie nicht hat." ({5}) Meine Damen und Herren, das, was wir in den letzten Tagen zu all den Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, erlebt haben, war in vielem ein schlichtes Nein zur Regierungspolitik. So haben wir das gestern wieder beim Zusammentreffen der unionsregierten Länder erleben können. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Kohl - ich habe es noch einmal genau nachgelesen -, haben Sie darauf aufmerksam gemacht, daß der Bundesrat ein Verfassungsorgan ist - völlig unbestritten -, dem man keine Befehle erteilen kann - völlig unbestritten. Nun hat der Herr Bundeskanzler wörtlich gesagt - Seite 17, wenn es gesucht wird -: Es fällt oft nicht leicht zu bitten. Es fällt besonders dann schwer, wenn - wie im Falle einiger CDU/CSU-regierter Länder - allzu schnelle Festlegungen bereits erfolgt sind. Verweigerung und Ablehnung können nicht das letzte Wort dieser Landesregierungen sein. Im Interesse unseres Landes, seiner Zukunft und seines sozialen Friedens wende ich mich deshalb auch an den Bundesrat und bitte ihn, seinen Beitrag zu leisten, sich der notwendigen Gesetzgebung nicht in den Weg zu stellen. ({6}) Wenn ich nun Ihren Vergleich mit dem Befehl sehe, gibt es in diesem Fall nicht zwei, sondern drei Möglichkeiten. Entweder haben Sie das überhört, überlesen; dafür habe ich Verständnis. Oder Sie haben es gehört und gelesen und trotzdem von „Befehl" gesprochen; dann würde ich das als eine sehr verfälschende Auslegung der Rede des Bundeskanzlers ansehen. ({7}) Aber es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit. Es kann natürlich sein, daß der Respekt vor der Autorität des Bundeskanzlers so groß ist, daß Sie eine Bitte von ihm schon als einen Befehl ansehen; dann kann ich es auch nicht ändern. ({8}) Wir werden mit Fairneß und mit gleichzeitiger Rücksichtnahme diese Koalition fortsetzen. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Mischnick, einen Augenblick! - Ich darf bitten, daß alle Damen und Herren Abgeordneten die Plätze einnehmen oder die Unterhaltung außerhalb des Plenarsaals durchführen. ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, wir werden in Fairneß und mit gegenseitiger Rücksichtnahme diese Koalition fortsetzen. 5068 Deutscher Bundestag 9. Wahlperiode Mischnick In für mich erfreulicher Einmütigkeit haben vorgestern der DGB-Vorsitzende Vetter und der BDIPräsident Rodenstock die beschäftigungspolitischen Beschlüsse der Bundesregierung als Schritte in die richtige Richtung bezeichnet. Ich habe auch hier wörtlich zitiert, damit nicht unterstellt wird, es wäre etwas anderes gesagt worden. Das ist der Pakt der Vernunft, den wir anstreben, den wir in dieser schwierigen Phase der bereits begonnenen Strukturanpassungen unserer Wirtschaft brauchen und dem sich, so hoffe ich, die Union nicht gänzlich verschließen wird, wie aus einer dpa-Meldung über Ministerpräsident Albrecht hervorgeht, der allerdings zum Ausdruck gebracht hat, er werde die Mehrwertsteuererhöhung nicht mittragen. Wenn wir beispielsweise durch das Vermittlungsausschußergebnis nicht eine Milliarde DM an Konsolidierungsmasse pro Jahr verloren hätten, so würde das allein für die Jahre 1982, 1983 und 1984 drei Milliarden DM bedeuten, also 75 % von dem, was die Mehrwertsteuer ausmachen würde. Das haben Sie mit Ihrer Entscheidung im Vermittlungsausschuß verhindert. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben den Wahlkampf 1980 mit dem Ziel geführt, die Regierung Schmidt/Genscher fortzusetzen. Der Wähler hat uns dazu den Auftrag gegeben; wir erfüllen diesen Auftrag. Damit haben wir gewollt Verantwortung übernommen. Wir werden uns weiter bemühen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. In sonnigen Zeiten Verantwortung zu tragen bringt selten Probleme mit sich. Wir sind auch bereit, in schwierigen Zeiten Verantwortung zu tragen. Wir zieren uns nicht, wenn es wenig Lob, aber viel Kritik gibt, weil wir zu dem stehen, was wir im Interesse dieses Landes für notwendig halten. ({1}) Mit diesem Ja unterstreichen wir unsere unveränderte Auffassung, daß die auf der Grundlage des Regierungsprogramms von 1980 von der Regierung Schmidt/Genscher postulierte Politik von uns konsequent fortgesetzt wird. Deshalb ist unser Ja auch ein Ja zu dem im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht vorgelegten Paket von Maßnahmen. Wir stehen dazu; wir wollen sie schnellstmöglich umsetzen. Ich habe mit Interesse gelesen, daß fünf Kollegen der FDP-Fraktion nicht zugestimmt hätten, und das sei doch prozentual sehr viel mehr als beispielsweise in der SPD. Dazu kann ich nur sagen: Von den fünf haben vier erklärt: Wir werden im Plenum dem Paket auf jeden Fall zustimmen, weil wir die Gesamtpolitik unterstützen und unsere persönlichen Bedenken in Einzelfragen zurückstellen. ({2}) Das heißt, die Kollegen wissen durchaus zwischen dem, was in Einzelfragen an Bedenken schwerwiegend sein kann, und dem zu unterscheiden, was im Gesamtkonzept als Paket von Maßnahmen im Gesamtinteresse notwendig ist. ({3}) Ich kann nur hoffen, daß die so oft beschworene gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern - wir wissen, daß wir den Bundesrat für bestimmte Dinge brauchen -, bei den praktischen Entscheidungen sichtbar wird. Das gilt auch für uns, für die Fortsetzung der Haushaltspolitik auf der Grundlage der Operation '82. Wir unterstützen insbesondere die Bundesregierung dabei, die staatliche Neuverschuldung allmählich, stetig und nachhaltig zu verringern und deshalb Subventionen, Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und sonstige Leistungen auch mit dem Ziel zu überprüfen, die wachstumsfördernden Impulse des Haushalts zu verstärken. In gemeinsamen Anstrengungen haben wir im Dezember 1981 10 % des Haushalts umstrukturiert. Zusammen mit den Kabinettsbeschlüssen vom Mittwoch werden wir ein weiteres Investitionsvolumen in großem Umfang anregen. Die sozialliberale Koalition hat immer wieder bewiesen, daß sie auch unter schwierigen Umständen handlungsfähig ist. Gemeinsam werden wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland erhalten und ausbauen. Eine solide Reformpolitik ist heute genauso wichtig wie zur Zeit von Brandt und Scheel als Bundeskanzler und Außenminister. Herr Bundeskanzler, die Freien Demokraten stehen zu ihrer Koalitionsaussage, sie stehen zum gemeinsamen Regierungsprogramm. Wir stimmen dem Vertrauensantrag zu. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Liedtke, ich erteile Ihnen für den Ausdruck „Falschmünzer" - bezogen auf ein Mitglied dieses Hauses - einen Ordnungsruf. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.

Manfred Coppik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000337, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das verfassungsmäßige Recht des Bundeskanzlers, die Vertrauensfrage zu stellen. Dennoch haben viele mit Spannung auf die Begründung gewartet, warum er sie stellt. Er hat heute gesagt, er habe sie gestellt, um Klarheit nach innen und außen zu schaffen. Ich frage mich: Welche Klarheit hat er gemeint? Denn die Abstimmung über die Vertrauensfrage kann eigentlich nur Klarheit über die Mehrheitsverhältnisse in diesem Bundestag schaffen. Diese Klarheit konnte eigentlich jeder in der letzten Sitzungswoche bei den Haushaltsplanberatungen feststellen. ({0}) Deswegen kann eigentlich die heutige Abstimmung kein wesentlich anderes Ergebnis haben, freilich sagt sie auch nichts darüber aus, wie es in einigen Monaten aussehen wird. Wenn ich den aktuellen Anlaß nehme, den einzigen aktuellen Anlaß, den es seit der letzten Sitzungswoche gegeben hat, dann ist es das sogenannte Beschäftigungsprogramm, das inzwischen verkündet wurde. Dazu hat der Bundeskanzler eigentlich sehr wenig gesagt. Deswegen blieb nach wie vor die Frage offen, welche Gründe es eigentlich sind, die den Bundeskanzler bewogen haben, von dem schwerwiegenden Instrument der Vertrauensfrage in diesem Parlament Gebrauch zu machen. Fürchtet etwa der Bundeskanzler, daß er keine hinreichende Zustimmung für das sogenannte Beschäftigungsprogramm aus den Reihen der Koalitionsfraktionen bekommen wird? Das wäre eine abwegige Befürchtung. In Anbetracht des Inhalts des Programms gibt es für die FDP-Fraktion im Gesamtergebnis wohl kaum nennenswerte Gründe, dagegen zu sein. Was die SPD-Fraktion betrifft, Herr Kohl, muß ich Ihnen sagen: Sie kennen die SPD-Fraktion nicht. Da gibt es nichts, was die Treue der SPD-Fraktion zu ihrem Kanzler in Frage stellen könnte. ({1}) - Insofern macht der Applaus einen Kommentar überflüssig. Da kommt es auf Inhalte der Regierungspolitik schon längst nicht mehr an; ({2}) da wird Solidarität mit Gefolgschaftstreue verwechselt. Das werden wir sicherlich auch heute hier wieder erleben. Daher können die Zweifel an einer hinreichenden Zustimmung zu diesem Programm auch nicht der Grund für die Vertrauensfrage sein. Aber was ist es dann? Aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers konnte man entnehmen, daß er das Beschäftigungsprogramm oder die „Gemeinschaftsinitiative", wie es sich nennt, in Anbetracht der Arbeitslosigkeit für sehr wichtig hält und daß er die Bedeutung der Angelegenheit durch die Vertrauensfrage hervorheben möchte. Das ist ein sehr ehrenwertes Motiv, weil für Sozialdemokraten die Arbeitslosigkeit ein großes und schwerwiegendes Problem ist. Der Bundeskanzler ist aber ohne größere Mühe in der Lage, zu erkennen, daß das, was hier als Beschäftigungsprogramm angeboten wird, mitnichten auch nur annähernd in der Lage ist, die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu beseitigen, sondern im wesentlichen ein Geschenkprogramm für die Unternehmer ist, verbunden mit weiterem sozialem Abbau für breite Bevölkerungsschichten. Schauen wir es uns noch einmal in einigen Punkten etwas näher an. Zehnprozentige Investitionszulage! Alle Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß eine nach dem Gießkannenprinzip verteilte Investitionszulage wegen ihrer hohen Mitnahmeeffekte, wegen ihrer beschäftigungspolitisch sich gegenseitig aufhebenden Wirkungen und ihrer großen sozialen Ungerechtigkeit kein geeignetes Mittel der Beschäftigungspolitik ist. Kann man denn heute als Sozialdemokrat wirklich eine Regelung vertreten, nach der dem gut verdienenden Unternehmer oder Arzt beim Kauf eines Pkw 10 % vom Staat geschenkt werden und das Geld dafür jeweils von zehn Arbeitnehmern eingeholt wird, die beim Kauf ihres Pkw je 1% mehr Mehrwertsteuer bezahlen müssen? Das ist nur ein Beispiel für dieses Programm. Das ganze Prinzip dieses Programms beruht darauf, das Geld von den breiten Schichten der Bevölkerung zu holen und den Reichen in den Hintern zu blasen. Der Herr Bundeskanzler hat dargelegt, daß es die weltwirtschaftliche Situation ist, die ihn dazu zwingt, solche Programme vorzulegen. Nun will ich überhaupt nicht bestreiten, daß die weltwirtschaftliche Situation ihren Beitrag dazu leisten mag, daß auch bei uns ein sinkendes Volkseinkommen vorhanden ist. Aber gerade dann stellt sich die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Die Frage, ob das Einkommen der Zahnärzte eingeschränkt wird oder ob die unteren Einkommensschichten belastet werden, ist keine Frage der Weltwirtschaft, sondern das ist eine Frage innenpolitischer Entscheidungen, Herr Bundeskanzler. Herr Bundeskanzler, es gibt keinen naturgesetzlichen Gegensatz zwischen dem ökonomisch Notwendigen und dem sozial Gerechten, wie Sie das hier dargestellt haben, es sei denn, daß man die ökonomischen Kriterien des kapitalistischen Wirtschaftssystems als unabänderliche Naturgesetze betrachtet und etwa die Forderung des Godesberger Programms der SPD nach einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung längst in den Papierkorb geworfen hat. So sieht es denn dann aber auch aus. Die sozialen Regelungen des Mietrechts, eine der wenigen noch verbliebenen Errungenschaften der sozialliberalen Koalition werden ohne jegliche beschäftigungspolitische Wirkung den Besitzenden zuliebe abgebaut. ({3}) Die Rentner sind wieder einmal dran. Sie werden durch die faktische Rentenkürzung und die Erhöhung der Mehrwertsteuer gleich doppelt belastet. Die wenigen positiven Punkte in dem Programm sind schon von ihrer Größenordnung her so mickrig, daß sie nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Ein Beschäftigungsprogramm, das an den Bedürfnissen der Bevölkerung und an der regionalen und sektoralen Aufteilung der Arbeitslosenzahlen orientiert wäre und sozial gerecht durch Abgaben der Spitzenverdiener finanziert würde, ist das, was uns hier vorliegt, jedenfalls nicht. Das, was uns vorliegt, verdient den Namen Beschäftigungsprogramm nicht. Es ist höchstens das programmierte arbeitsmarktpolitische Versagen der Bundesregierung. Das weiß sie auch selbst. Das ist sicherlich mit ein Grund dafür, daß sie sich in allgemeine außenpolitische Ausführungen flüchtet, was - wir wissen es aus der Geschichte - auch ein alter Trick ist, wenn die Situation innenpolitisch schwierig wird. So nach dem Motto: „Wenn du für den Frieden bist, mußt du auch für soziale Ungerechtigkeit im Inneren sein." Eine absurde Quintessenz der Kanzlerrede! Was wir heute hier über uns ergehen lassen, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein vom Bundeskanzler inszenierter theatralischer Akt, um die Bevölkerung hinter sich zu scharen und von den Inhalten der Politik abzulenken. Es ist jener uralte Trick: Wenn die Politik in der Sache miserabel wird, soll an die Stelle der Diskussion zur Sache die Loyalität zu einer populären Führungspersönlichkeit treten. Die Men5070 schen sollen nicht darüber nachdenken, daß sie Einkommenskürzungen und sozialen Abbau hinnehmen sollen, um Geschenke an die Unternehmer zu finanzieren; nein, sie sollen treu zu ihrem Kanzler stehen. Gleichzeitig wird versucht, mit dem großen Wort „Vertrauensfrage" in allzu billiger Weise an die Emotionen vieler Menschen anzuknüpfen, die sie mit der Vertrauensfrage 1972 von Willy Brandt verbinden. Dabei ist die Situation von damals mit der von heute überhaupt nicht vergleichbar. Die Erinnerung an damals kann allenfalls an die Hoffnungen und Träume erinnern, die damals mit den Reformabsichten der sozialliberalen Koalition verbunden waren, und Trauer und Enttäuschung wecken, wenn man sich die heutige Politik der Koalition anschaut. Die Wahlentscheidung 1980 war sicher auch ein Vertrauensbeweis für Helmut Schmidt, aber auch ein Bekenntnis zu den politischen Inhalten, für die die SPD und die FDP jeweils mit ihren unterschiedlichen Wählergewichten einstanden. Ich habe 1980 Helmut Schmidt zum drittenmal zum Bundeskanzler mit gewählt. Es wäre aber eine unglaubliche Vereinfachung und geistige Beschränktheit, wenn man den Wählerauftrag von 1980 so auslegen würde, daß der Bundeskanzler damit einen Freibrief und, welche Politik er auch macht, immer Anspruch auf Vertrauen hat. Dann wäre dieses Parlament überflüssig. Insbesondere ergibt sich aber aus dem Wählerauftrag nicht, daß ich, wann immer der Herr Bundeskanzler es wünschen, mich an einer theatralischdramatischen Schauinszenierung beteilige, um die wirklichen Probleme der Menschen in unserem Land auf diese Weise zu verschleiern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Coppik, ich bitte Sie, sich zu mäßigen. Der Bundeskanzler macht von einem in der Verfassung festgelegten Recht Gebrauch. ({0})

Manfred Coppik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000337, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich habe meine politische Wertung dazu vorgenommen und gesagt, daß ich das als theatralischen Akt ansehe. Ich möchte für mich persönlich - ganz subjektiv - erklären, daß ich diese Schau nicht mitmache. Ich werde mich ebenso wie der Kollege Hansen an dieser Abstimmung nicht beteiligen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich bitte, noch Platz zu behalten. Ich muß den Text des Art. 68 des Grundgesetzes verlesen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes. Bevor ich die Abstimmung eröffne, verlese ich zunächst den Wortlaut von Art. 68 des Grundgesetzes. Abs. 1 lautet: Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt. Abs. 2 lautet: Zwischen dem Antrage und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen. Ich stelle fest, daß die Frist von 48 Stunden zwischen dem Antrag und der Abstimmung gewahrt ist. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung. ({0}) - Meine Damen und Herren, der Beifall gilt dem von schweren Verletzungen heute wenigstens so weit wieder genesenen Kollegen Rohde, daß er an der Abstimmung teilnehmen kann. Er verdient den Beifall des ganzen Hauses. ({1}) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, wünscht noch ein Mitglied des Hauses, sich an der Abstimmung zu beteiligen? Haben alle Mitglieder, die abzustimmen wünschen, ihre Stimmkarte abgegeben? - Dann kann ich die Abstimmung schließen. Die Abstimmung ist geschlossen. Meine Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. Ich habe die Absicht, das Abstimmungsergebnis bekanntzugeben. - Ich wiederhole meine Bitte. Das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers nach Art. 68 des Grundgesetzes auf Drucksache 9/1312 lautet: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 495 ihre Stimme abgegeben; davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 269 Abgeordnete gestimmt. ({2}) - Meine Damen und Herren, dies war erst der erste Teil des Abstimmungsergebnisses. ({3}) Mit Nein haben 226 Abgeordnete gestimmt. ({4}) Enthaltungen: keine. Präsident Stücklen 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 11 Abgeordnete gestimmt. ({5}) Mit Nein haben 10 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: keine. Nach Art. 68 des Grundgesetzes ist für die Annahme des Antrags des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich. Ich stelle fest, daß die erforderliche Mehrheit von 249 Stimmen erreicht ist. Der Antrag des Bundeskanzlers nach Art. 68 des Grundgesetzes ist damit angenommen. ({6}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 493 und 22 Berliner Abgeordnete; davon j a: 269 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 224 und 11 Berliner Abgeordnete Ja SPD Dr. Ahrens Amling Antretter Dr. Apel Auch Baack Bahr Bamberg Dr. Bardens Becker ({7}) Bernrath Berschkeit Biermann Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({8}) Börnsen Brandt ({9}) Brück Büchler ({10}) Büchner ({11}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Frau Dr. DäublerGmelin Daubertshäuser Dreßler Duve Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Esters Ewen Feile Fiebig Fischer ({12}) Fischer ({13}) Franke ({14}) Frau Fuchs Gansel Gerstl ({15}) Dr. Geßner Gilges Ginnuttis Glombig Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar Haase ({16}) Haehser Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Heistermann Herberholz Herterich Heyenn Hoffmann ({17}) Hofmann ({18}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({19}) Jahn ({20}) Jansen Dr. Jens Junghans Jungmann Kiehm Kirschner Klein ({21}) Dr. Klejdzinski Kolbow Kretkowski Dr. Kreutzmann Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Dr. h. c. Leber Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Leuschner Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meinike ({22}) Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({23}) Möhring Müller ({24}) Müller ({25}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({26}) Neumann ({27}) Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Pensky Peter ({28}) Polkehn Poß Purps Rapp ({29}) Rappe ({30}) Rayer Frau Renger Reschke Reuschenbach Reuter Rohde Rosenthal Roth Sander Dr. Schachtschabel Schäfer ({31}) Schätz Dr. Scheer Schirmer Schlaga Schlatter Schluckebier Frau Schmedt ({32}) Dr. Schmidt ({33}) Schmidt ({34}) Schmidt ({35}) Frau Schmidt ({36}) Schmidt ({37}) Schmidt ({38}) Schmitt ({39}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber ({40}) Schreiner Schröder ({41}) Schröer ({42}) Schulte ({43}) Dr. Schwenk ({44}) Sielaff Sieler Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({45}) Dr. Steger Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stockleben Stöckl Dr. Struck Frau Terborg Thüsing Tietjen Frau Dr. Timm Topmann Frau Traupe Dr. Ueberschär Urbaniak Vogelsang Voigt ({46}) Vosen Wallow Waltemathe Walther Wehner Weinhofer Weisskirchen ({47}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({48}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({49}) Wimmer ({50}) Wischnewski Witek Dr. de With Wolfram ({51}) Wrede Würtz Wuttke Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({52}) Dr. Dübber Egert Hitzigrath Löffler Frau Luuk Männing Dr. Mitzscherling Wartenberg ({53}) FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Beckmann Bergerowski Frau von Braun-Stützer Bredehorn Cronenberg Eimer ({54}) Frau Dr. Engel Engelhard Ertl Dr. Feldmann Frau Fromm Funke Gärtner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Präsident Stücklen Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hölscher Holsteg Jung ({55}) Kleinert Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Frau Matthäus-Maier Merker Mischnick Möllemann Neuhausen Frau Noth Paintner Popp Dr. Riemer Rösch Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({56}) Schmidt ({57}) von Schoeler Frau Schuchardt Dr. Solms Timm Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({58}) Wurbs Dr. Zumpfort Zywietz Berliner Abgeordneter Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Althammer Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Frau Benedix-Engler Berger ({59}) Biehle Böhm ({60}) Dr. Bötsch Bohl Borchert Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({61}) Dr. Bugl Carstens ({62}) Clemens Conrad ({63}) Dr. Czaja Dallmeyer Daweke Deres Dörflinger Dr. Dollinger Doss Dr. Dregger Echternach Eigen Engelsberger Erhard ({64}) Eymer ({65}) Dr. Faltlhauser Feinendegen Fellner Frau Fischer Fischer ({66}) Francke ({67}) Franke Dr. Friedmann Funk ({68}) Ganz ({69}) Frau Geier Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({70}) Gerstein Gerster ({71}) Glos Dr. Götz Günther Haase ({72}) Dr. Häfele Handlos Hanz ({73}) Hartmann Hauser ({74}) Hauser ({75}) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath von der Heydt Freiherr von Massenbach Hinsken Höffkes Höpfinger Frau Hoffmann ({76}) Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({77}) Jagoda Dr. Jahn ({78}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({79}) Dr. Jobst Jung ({80}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kiechle Kiep Dr. Klein ({81}) Klein ({82}) Dr. Köhler ({83}) Dr. Köhler ({84}) Köster Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({85}) Lamers Dr. Lammert Lampersbach Landré Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({86}) Lenzer Link Linsmeier Lintner Löher Louven Lowack Maaß Magin Dr. Marx Dr. Mertes ({87}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({88}) Müller ({89}) Müller ({90}) Nelle Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Picard Dr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({91}) Dr. Riesenhuber Röhner Frau Roitzsch Dr. Rose Rossmanith Rühe Ruf Sauer ({92}) Sauer ({93}) Sauter ({94}) Sauter ({95}) Dr. Schäuble Schartz ({96}) Schmitz ({97}) Schmöle Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder ({98}) Schröder ({99}) Schröder ({100}) Dr. Schulte ({101}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({102}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({103}) Vogt ({104}) Volmer Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Weirich Weiskirch ({105}) Weiß Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({106}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Dr. Wittmann Dr. Wörner Baron von Wrangel Würzbach Dr. Wulff Zierer Zink Berliner Abgeordnete Bahner Frau Berger ({107}) Boroffka Buschbom Dolata Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Lorenz Schulze ({108}) Straßmeir Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung angelangt. ({109}) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Februar 1982, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.