Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Eine erfreuliche amtliche Feststellung: Der Herr Abgeordnete Junghans hat am 27. Januar 1982 seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die herzlichsten Glückwünsche des Hauses überbringen.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um einen Zusatzpunkt ergänzt werden. Dieser Zusatzpunkt ist in der Mitteilung „Zusatzpunkt zur Tagesordnung" aufgeführt, die Ihnen vorliegt:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen ({1}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Erklärung der Bundesregierung vom 14. Januar 1982
- Drucksachen 9/1265 ({2}), 9/1313 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen
dazu
Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/1314 Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Dr. Friedmann
Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Fragestunde voll, d. h. bis 15.30 Uhr, abgewickelt werden unbeschadet dessen, daß die Fraktion der CDU/CSU ab 14.30 Uhr eine Fraktionssitzung abhält. Der Wiederbeginn der Plenarsitzung wird rechtzeitig im Laufe dieser Sitzung - natürlich vor der Unterbrechung - bekanntgegeben.
Am 3. Februar 1982 hat der Bundeskanzler gemäß Art. 68 Abs. 1 des Grundgesetzes den Antrag gestellt, ihm das Vertrauen auszusprechen. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wird die morgige Tagesordnung um die Beratung dieses Antrags erweitert.
Gemäß Art. 68 Abs. 2 des Grundgesetzes müssen zwischen dem Antrag und der Abstimmung 48 Stunden liegen. Da nach § 123 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung bei der Berechnung der Fristen der Tag der Verteilung nicht mitgerechnet wird, wird auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung vorgeschlagen, gemäß § 126 der Geschäftsordnung von der Regelung des § 123 Abs. 1 abzuweichen und die Frist mit der abgeschlossenen Verteilung des Antrags des Bundeskanzlers auf Drucksache 9/1312 beginnen zu lassen.
Für die Abweichung von der Geschäftsordnung ist gemäß § 126 eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages erforderlich. Erhebt sich gegen diese interfraktionelle Vereinbarung Widerspruch? - Dies ist nicht der Fall. So ist diese Änderung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen.
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Da die Drucksache 9/1312 gestern, Mittwoch, den 3. Februar 1982, um 17.02 Uhr verteilt worden ist, darf die Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers frühestens am Freitag um 17.02 Uhr erfolgen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. ({5})
- Herr Abgeordneter, darf ich bitten, daß ich erst einmal die Tagesordnung aufrufe und Sie dann die Diskussion führen.
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Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen ({7}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur Erklärung der Bundesregierung vom 14. Januar 1982
- Drucksachen 9/1265 ({8}), 9/1313 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen
dazu
Präsident Stücklen
Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/1314 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Dr. Friedmann
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf Drucksache 9/1313, ab 8. Februar 1982, befristet bis 30. Juni 1982, für Geschenkpakete privater Versender nach Polen von den Einlieferern keine Gebühr zu erheben, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brandt ({10}), Dreßler, Egert, Dr. Emmerlich, Glombig, Poß, Schröer ({11}), Frau Steinhauer, Urbaniak, von der Wiesche, Bergerowski, Frau Dr. Engel, Frau von Braun-Stützer, Engelhard, Dr. Hirsch, Hölscher, Dr. Wendig und der Fraktionen der SPD und FDP
Ausländerpolitik
- Drucksache 9/1154 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - Federführung offen -
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Ausländerpolitik
- Drucksache 9/1288 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - Federführung offen -
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
c) Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP
Zur Ausländerpolitik
- Drucksache 9/1306 Der Ältestenrat hat für die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c eine verbundene Debatte vereinbart. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen und die Opposition haben für die heutige Debatte Entschließungsanträge eingebracht. Ich begrüße es außerordentlich, daß dies dem Parlament nach langer Zeit wieder einmal Gelegenheit gibt, die sicherlich brennenden ausländerpolitischen Fragen eingehend zu diskutieren. Seit unserer letzten Debatte gab es eine Reihe von Entwicklungen, die uns Sorge bereiten und die nicht nur die Regierung, die bekanntlich eine Reihe von Entscheidungen getroffen hat, sondern auch den Deutschen Bundestag beschäftigen müssen. In dem Entschließungsantrag der Koalition, den ich hier für meine Fraktion einzubringen habe, machen wir noch einmal unsere ausländerpolitischen Grundpositionen sehr deutich.
Wir sind, um es gleich vorweg zu sagen - das ist unsere Position -, für Integration und Konsolidierung. Es gibt weder zu der Integrationspolitik noch zu der von der Bundesregierung betriebenen Begrenzungspolitik eine Alternative. Wer sich einer recht verstandenen Begrenzungspolitik verweigert, wird die integrationspolitischen Ziele, wie wir meinen, verfehlen. Wir haben das in unserem Entschließungsantrag ganz klar herausgestellt. Er sieht, wie ich meine, im Gegensatz zum Oppositionsantrag beide Bereiche in einem ebenso ausgewogenen wie untrennbaren Zusammenhang. Wenn eine dieser beiden tragenden Säulen der Ausländerpolitik bricht, stürzt das ganze Gebäude. Gerade diese ausländerpolitische Sicht ist auf Grund einiger Entwicklungen in den letzten Jahren noch unabdingbarer geworden. Ich greife nur einige Daten heraus.
Allein in den letzten drei Jahren hat sich die ausländische Wohnbevölkerung um mehr als 600 000 erhöht. Das ist die Bevölkerung einer Großstadt. Deutliches Zeichen dafür ist die Zuwanderung, die nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Abwanderungen steht. In früheren Jahren hatten wir hier eine stärkere Abwanderung, soweit sich Konjunkturbewegungen negativer Art bei uns ergeben haben. Die Bereitschaft zur Rückkehr war weitaus größer. Dennoch stellen wir heute fest, daß es in den Ländern, aus denen diese Menschen zu uns gekommen sind, wohl überhaupt keine oder nur ganz geringe wirtschaftliche Perspektiven gibt. In den Jahren, die wir gerade in dieser Zuwanderungsbewegung besonders zu beachten haben, ist dafür gesorgt worden, daß sich die Zahl der Ausländer bei uns durch den Anwerbungsstopp stabilisierte.
Besonders zu beachten ist die Struktur der Zuwanderung nach Altersgruppen, handelt es sich doch per saldo fast ausschließlich um Kinder und Jugendliche, die im Rahmen des Familiennachzuges zu uns gekommen sind. Ihre Zahl erhöhte sich zwischen 1974 und 1981 um 400 000. Wenn man berücksichtigt, daß sich hierunter - insbesondere nach Abschaffung des sogenannten Stichtages - eine große Zahl von Späteinsteigern befindet, so wird sicherlich deutlich, vor welchen Problemen wir in unserem BilUrbaniak
dungssystem stehen und welche Anstrengungen hier notwendig sind. Während eine deutliche Abnahme der Zahl der hier tätigen Ausländer mit bestimmten Nationalitäten in den letzten Jahren registriert werden konnte, erhöhte sich die Zahl der türkischen Wohnbevölkerung gegenüber 1974 um mehr als eine halbe Million. Uns allen ist bekannt, daß wir gerade bei dieser Bevölkerungsgruppe vor besonders schwierigen integrationspolitischen Problemen stehen. Das spüren wir vor allen Dingen in den Ballungsgebieten, in den Städten und in den Gemeinden.
In einer insgesamt schwierigen Beschäftigungssituation sind die Ausländer schon seit längerem in ganz besonders hohem Maße auch von Arbeitslosigkeit betroffen. So betrug ihre durchschnittliche Arbeitslosenquote im Dezember 11 %, bei den Türken sogar 14 %. Dennoch muß man feststellen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der deutsche Bergbau lebt von ihnen. Von den 100 000 im Steinkohlenbergbau unter Tage Beschäftigten sind fast 23 000 Ausländer, darunter 87 % Türken. In der Autoindustrie lebt Ford in Köln von ihnen, wie wir meinen. Dort haben wir über 26 000 Mitarbeiter. Davon sind 10 000 ausländische Arbeitnehmer, darunter 80 % Türken. Ähnlich ist die Situation in Rüsselsheim. Wir wissen auch, daß viele Ausländer verschiedener Nationalität in den Gaststätten tätig sind. Viele schwere Arbeiten werden in den Städten von ausländischen Arbeitnehmern verrichtet; bei der gegenwärtigen Situation können wir auf die Mitarbeit dieser Ausländer nicht verzichten. Auf der Werft Blohm + Voss in Hamburg gibt es 1700 Ausländer, darunter 1 000 Türken. So können wir generell sagen, daß es trotz der Situation im Bereich der Arbeitslosigkeit in unserem Lande eine ganze Reihe von Branchen gibt, in denen wir, wenn die Ausländer dort nicht mehr beschäftigt würden, die Lücke mit eigenen Kräften wohl nicht schließen können. Die Ausländer tragen in diesen Branchen entscheidend dazu bei, daß die Konkurrenzfähigkeit und das Absatzfeld für die dort produzierten Güter auch erhalten bleiben.
Wir kennen die starken räumlichen Konzentrationen, die eine angemessene Eingliederung in Beruf und Gesellschaft erfordern. Vor diesem Hintergrund ist unsere ausländerpolitische Grundposition der Integration und Konsolidierung zu sehen.
Zunächst einige Bemerkungen zur Integration: Für uns ist Integration bestmögliche Eingliederung des Ausländers in Gesellschaft und Beruf. In der aktuellen Situation lege ich gerade auf das letzte Wort großen Wert. Wir haben, wie ich meine, für unsere ausländischen Arbeitnehmer eine hohe beschäftigungspolitische Verantwortung übernommen, der wir uns nicht entziehen können. Deshalb erteilen wir jeder Politik eines „Ausländer raus" eine klare, eindeutige Absage.
({0})
Diese beschäftigungspolitische Verantwortung besteht natürlich ganz besonders gegenüber der groben Zahl von ausländischen Jugendlichen, die hier in unserem Lande geboren und aufgewachsen sind. Überhaupt ist es für uns wichtig, einen Schwerpunkt
in unseren integrationspolitischen Bemühungen bei der zweiten, j a zum Teil schon der dritten Generation der Ausländer zu setzen. Hier bedarf es noch weiterer erheblicher Anstrengungen, insbesondere - ich erwähnte es schon - im Bereich des Bildungssystems. Hierzu enthält unser Entschließungsantrag klare Aussagen an die entsprechenden Adressaten der öffentlichen Hand. Das sind vor allem die Länder. Die vom Bund eingeleiteten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer müssen weiter ausgebaut werden. Ich hoffe, daß hierfür auch hinreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen. Nach Durchsicht des Bundeshaushalts 1982 können wir uns bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses und des Arbeitsministeriums bedanken, daß die Ansätze für diese Arbeit ausgeweitet werden konnten. Zu den MBSE können wir feststellen: Seitdem diese Maßnahmen laufen, gibt es tatsächlich gute berufliche Chancen für jugendliche Ausländer. Man kann sich nur dazu beglückwünschen, daß sowohl das Ministerium wie auch wir Abgeordnete diese Maßnahmen erfunden und finanziell so ausgestattet haben, daß sie heute gut praktiziert werden können. Sonst wäre die Arbeitslosigkeit unter den jungen ausländischen Arbeitnehmern noch viel größer.
({1})
Besonderen Wert legen wir auf die weitere Absicherung des aufenthaltsrechtlichen Status. Wir begrüßen es daher, daß der Bundesminister in diesem Jahr den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes vorlegen wird, durch das das Ermessen der Ausländerämter bei der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und insbesondere der Aufenthaltsberechtigung eingeschränkt wird. Bei allem Erfolg der ausländerrechtlichen Regelung von 1978 macht doch das starke Auseinanderklaffen der rechtlichen Absicherung bei der Arbeitserlaubnis und bei der Aufenthaltserlaubnis deutlich, daß im aufenthaltsrechtlichen Bereich noch eine Reihe von großen Unsicherheiten besteht. Da wollen wir diese Lücken schließen, vor allen Dingen durch klare Rechtspositionen.
Einbürgerung ist der formale Abschluß der Integration. Sicher sind damit für den Neubürger noch nicht alle Integrationsprobleme gelöst. Auf der anderen Seite sind aber die Weichen dann für alle zukünftigen Lebensentscheidungen richtig gestellt. Die labile Entscheidungslage, in der sich mancher Ausländer zwischen Verbleibe- und Rückkehrwunsch befindet, ist dann ein für allemal und auch für die nachfolgende Generation gelöst.
Wir halten es daher für außerordentlich wichtig, daß vor allem der jungen Generation ein besonderes Einbürgerungsangebot gemacht wird, wie dies in dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Ausdruck kommt. Ich betone, daß wir sagen: Angebot zu einem freiwilligen Schritt, über den die davon Betroffenen selber entscheiden müssen. Sie haben das Angebot zu prüfen und daraus ihre Schlüsse zu ziehen.
Schließlich noch ein Wort zur Beteiligung der Ausländer an den politischen Entscheidungsprozes4890
sen. Wir alle sind wohl der Meinung, daß die Zeit für die Einräumung des kommunalen Wahlrechts noch sehr verfrüht ist. Ich könnte mir vorstellen, daß es viel richtiger wäre, eine Lösung dieser Frage in der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Wir sollten aber ebenso einer Meinung sein, daß auf dem Gebiet einer tätigen Mitarbeit ausländischer Bürger in Beiräten, Kommissionen, als Sachverständige auf gemeindlicher Ebene noch sehr viel mehr getan werden kann und muß.
Die Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Kirchen, den Gewerkschaften, den Nachbarschaftshilfen und den positiven Initiativen, die wir im Lande vorfinden, begrüßen wir außerordentlich. Denn gerade diese Einrichtungen haben sich auf einem schweren Feld bisher in hervorragender Weise bewährt. Wir wollen ihnen an dieser Stelle Anerkennung und Dank für ihre Arbeit aussprechen.
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Auch hier danke ich dem Haushaltsausschuß, der die finanzielle Ausstattung dieser Institutionen ausgeweitet hat, damit die schwere Arbeit nicht unter den finanziellen Gegebenheiten leiden muß.
Wir dürfen aber auch feststellen, daß die Mitarbeit im Bereich der Arbeitswelt sich doch anders stellt. Hier arbeiten deutsche und ausländische Arbeitnehmer in sehr guter Weise zusammen. Ausländer wie Deutsche sind gut gewerkschaftlich organisiert und arbeiten in gewerkschaftlichen Institutionen, bei den Vertrauensleuten. Es hat sich als richtig erwiesen, daß wir 1972 im Betriebsverfassungsgesetz die Entscheidung getroffen haben, den ausländischen Mitarbeitern über die Vertretung in den Betriebsräten Möglichkeiten zu eröffnen. Hier haben wir in der Zwischenzeit schon eine langjährige Mitarbeit in Form des Betriebsrats festzustellen. Das hat sich bezüglich Verständigung und Abschleifung von Schwierigkeiten in den Betrieben und Unternehmen sehr gut entwickelt. Sie sehen: Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben schon 1972 ihre entsprechende Vorstellung realisiert.
Das sind die Schwerpunkte unserer Integrationspolitik. Nun zur Konsolidierungspolitik, von der ich sagte, daß sie bei Vernachlässigung der integrationspolitischen Anstrengungen ins Leere ginge. Beide Punkte sind zu beachten. Ich möchte nur das Wichtigste herausstellen.
Es soll in diesem Hause keinen Zweifel daran geben, daß der Anwerbestopp uneingeschränkt aufrechtzuerhalten ist. Das gilt ohne Wenn und Aber auch für die Ablehnung eines Saisonstatuts, durch das so manche Branche und so manche Länderinitiative vor einiger Zeit Verwirrung gestiftet haben. Einige Branchen fordern Ausnahmen und bestürmen uns diesbezüglich weiter. Wir wollen und müssen, um auf dem Felde der Integration noch besser voranzukommen, klar beim Anwerbestopp bleiben. Ausnahmen sind nicht möglich.
Wir stellen uns uneingeschränkt hinter die Maßnahmen der Bundesregierung für eine sozial verantwortliche Steuerung des Familiennachzugs und hoffen, daß die Länder dies geschlossen mitmachen.
Wir akzeptieren nicht solche Ausrutscher, wie sie sich z. B. in Berlin ereignet haben, wo die Opposition im Abgeordnetenhaus die scharfen Spitzen aus dem Erlaß herausnehmen konnte. Dafür danken wir besonders unseren Kollegen im Abgeordnetenhaus des Landes Berlin.
({3})
Mit der Regierung gehen wir davon aus - auch das gehört dazu -, daß in Beratungen mit der Türkei und entsprechenden Verhandlungen der EG eine Regelung gefunden werden muß, die nicht zu einem Neuzugang türkischer Arbeitnehmer in das Bundesgebiet führt. Wir wären damit völlig überfordert; denn die Belastungsgrenze - das müssen wir auch den Staaten sagen, um die es hier geht - wäre damit überschritten. Das wäre für beide Bevölkerungsteile in unserem Lande unverantwortlich und liefe jeder Integration entgegen.
Mit der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des illegalen Aufenthalts von Ausländern muß nunmehr im Verein aller beteiligten Behörden wirksam begonnen werden, nachdem der Bundesgesetzgeber das Seine getan und das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung verabschiedet hat.
Dies, meine Damen und Herren, waren einige wichtige Hinweise zur Bestimmung unserer Position. Ich möchte allerdings noch bemerken, daß natürlich auch die Regierungen der hier in Frage kommenden Länder eigene Anstrengungen unternehmen müssen, um diesen Menschen, die eigentlich ihre Mitbürger sind, die Rückkehr zu ermöglichen und sie zur Rückkehr bereit zu machen. Sie müssen in ihrem Land den eigenen Bürgern ausreichende Lebensverhältnisse und der jungen Generation eine berufliche und wirtschaftliche Perspektive geben. Dazu muß man alles tun, vor allen Dingen auch, wie ich meine, in der Türkei.
Unser Antrag spricht auch das Asylproblem an, von dem wir meinen, daß es von der Problematik der ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Familien sorgfältig getrennt werden muß. Eine Vermengung dieser Bereiche wäre unverantwortlich und schädlich. Da wir im Bundestag j a zur Zeit gesetzliche Regelungen behandeln, sage ich noch einmal
({4})
- dazu wird sehr klar Stellung genommen werden -: Bitte vermengen Sie diese Probleme nicht, damit wir diese beiden Bereiche in ordentlicher Weise behandeln und hier vorankommen können. Für die Lösungsvorstellungen wäre es nur schädlich. Ich kann insofern nur an die Opposition appellieren.
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Zunächst darf ich zu Ihrem Entschließungsantrag feststellen, daß in der Opposition seit Dezember offensichtlich ein Lernprozeß stattgefunden hat. Wir hatten uns schon gewundert, warum Sie mit Ihrem Antrag nicht so recht herübergekommen sind. Die Verschiebung des Termins für diese Debatte hat nun
doch dazu geführt, daß Ihr Antrag wesentlich ausgewogener wurde und nicht nur, wie das ursprünglich ja wohl entworfen war, mit dem Holzhammer der Begrenzungspolitik gearbeitet wird. So bin ich in der Lage, in dem Oppositionsantrag manches Gemeinsame zu entdecken, so in den Fragen des Anwerbestopps, der illegalen Beschäftigung, der EG-Assoziierung, aber auch in manchen Vorschlägen zur Integrationspolitik.
Übereinstimmung sehe ich auch hinsichtlich der These, daß der Aufenthalt zur Ausbildung und zum Studium nicht zur Dauerniederlassung führen darf. Das liefe auch unseren immer wieder erklärten entwicklungspolitischen Zielen zuwider.
Keinen Dissens gibt es hinsichtlich der Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung und der Sozialdienste. Wir hoffen in diesem Zusammenhang allerdings sehr, daß das auch für die CDU/CSU-regierten Länder ein Ansporn sein wird, sich mehr als bisher etwa an der Finanzierung von Intensivsprachkursen oder des Sozialberaternetzes zu beteiligen. Es geht doch nicht an, daß sich ein Land wie Niedersachsen nur mit 10 % an den Kosten der dort tätigen Sozialarbeiter und -berater beteiligt.
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Leider enthält der Oppositionsantrag auch manches Trennende. Wir stimmen nicht mit der These überein, daß es für die Einbürgerung insbesondere von jugendlichen Ausländern bereits ausreichende Regelungen gebe.
Für zynisch halten wir die Formulierung zum Familiennachzug. Meint die Opposition wirklich ernsthaft, daß die Zusammenführung von Familien in erster Linie durch Förderung der Rückkehr in die Heimat bewirkt werden soll?
Schließlich haben wir auch die Aussagen zur nationalen Identität der Ausländer - was immer damit gemeint sein mag - als sehr widersprüchlich zu erkennen. Sind nun die Bemühungen der Ausländer um Erhaltung ihrer Nationalität anzuerkennen oder ist die Wahrung der nationalen und kulturellen Eigenständigkeit, wie es bei Ihnen im Antrag später heißt, weder möglich noch wünschenswert?
Noch etwas zu einem Satz der Begründung, den wir so auf gar keine Weise hinnehmen können. Sie machen in Ihrem Antrag die Bundesregierung und damit auch uns für die derzeitige Situation verantwortlich.
({7})
Welche Regierung hat denn aber die zahlreichen Anwerbevereinbarungen mit den Herkunftsländern der Ausländer geschlossen?
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Welche Regierung hat denn in großem Umfang diese Ausländer aus beschäftigungspolitischen Gründen ins Land geholt? Wir haben doch keine neue Anwerbung beschlossen. Ich stelle das nur fest mit Blick
auf den historischen Ablauf. Das werden Sie anerkennen müssen.
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Sie wissen auch, daß Ihr Vorwurf, die Bundesregierung habe keine ausländerpolitische Konzeption, ebenso unbegründet ist. Oder haben Sie etwa die Beschlüsse der Bund-Länder-Kommission von 1977 und die Beschlüsse der Bundesregierung vom März 1980 zur Weiterentwicklung der Ausländerpolitik gar nicht gelesen? Wie viele Anstrengungen waren denn nötig, um zu einem Konsens mit den Ländern zu kommen! Die Koalitionsfraktionen haben doch die Bund-Länder-Kommission und die Ministerrunde immer gedrängt, zu einem Gleichklang in diesen Fragen zu kommen.
Meine Damen und Herren, viele Probleme der Ausländerpolitik liegen auf der Hand und erlauben bereits jetzt grundsätzliche Aussagen, wie wir sie Ihnen mit unserem Entschließungsantrag vorgeschlagen haben. Eine ganze Reihe von Problemen sollte jedoch noch weiter vertieft werden. Daher haben die Koalitionsfraktionen eine Große Anfrage an die Regierung gerichtet. Wir hoffen, daß wir daraufhin umfangreiches Material haben werden, auf Grund dessen wir im Frühsommer eine weitere Debatte über Einzelheiten der Ausländerpolitik führen können.
Meine Damen und Herren, ich habe es in der Vergangenheit immer begrüßt, daß zwischen den Parteien und auch zwischen den gesellschaftlichen Gruppen - von den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden bis hin zu den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden - ein sehr weitgehender Grundkonsens in der Ausländerpolitik vorhanden war. Ich halte das für außerordentlich wichtig. Dies ist ausbaufähig. Ausländerpolitische Grundsatzentscheidungen sollten auch im Hinblick auf eine wachsende Abwehrhaltung in der Bevölkerung von allen Beteiligten - auch von uns - gemeinsam getragen werden.
Ich meine, es müßte möglich sein, daß auch die Opposition zu diesem Grundkonsens zurückkehrt. Wir haben uns bemüht, mit unserem Entschließungsantrag ausländerpolitische Prioritäten zu setzen, die eigentlich auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, akzeptiert werden müßten. Ich hoffe daher, daß der Koalitionsantrag nach Beratung in den Ausschüssen eine breite Zustimmung findet.
Wir alle - das möchte ich am Schluß sehr klar feststellen - sind gefordert, der Ausländerfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten
({10})
und sie abzuwehren. Dazu fordere ich Sie auf.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Daß Regierung und Koalition in der Ausländerpolitik nicht erfolgreich waren, daß sie versagt haben, ist - jeden4892
falls in der Publizistik - unbestritten. Auch mir fällt es schwer, plausible Entschuldigungsgründe für ein Jahrzehnt regierungsamtlicher Untätigkeit zu finden.
({0})
Die Regierung hat die Dinge treiben lassen, hat die Probleme verdrängt und hat die Lasten auf andere abgewälzt, insbesondere auf Länder und Gemeinden.
({1})
Der Innenminister hat nicht selten vor Ausländerfeindlichkeit gewarnt, was manchmal peinlich wirkte, weil er nichts getan hat, um dieser Ausländerfeindlichkeit vorzubeugen,
({2})
es sei denn, man hält Mahnungen an das Volk ohne Taten der Regierung für Politik.
Die Untätigkeit der Bundesregierung ist um so unverzeihlicher, als die Opposition - natürlich nicht im Interesse der Regierung, aber im Interesse des Landes - alles getan hat, um hier wie auf dem Felde der Energiepolitik und auf dem der Sicherheitspolitik der Regierung die Arbeit zu erleichtern. Aber auch in der Ausländerpolitik wurden unsere Warnungen in den Wind geschlagen, unsere Motive wurden verdächtigt, und unsere seit 1977 immer dringender werdenden Initiativen wurden zurückgewiesen.
Erst jetzt, nachdem die Entwicklung den von uns vorausgesehenen und vorausgesagten Verlauf genommen hat, erst jetzt, nachdem die Arbeitslosigkeit ein immer dramatischeres Ausmaß annimmt, erst jetzt, nachdem Ausländer auch auf dem Arbeitsmarkt zunehmend als Konkurrenten empfunden werden, erst jetzt wachen Regierung und Koalition auf und beginnen nachzudenken.
({3})
Schon zu Beginn der 70er Jahre hätten die Alarmglocken schrillen und zu mehr als dem 1973 vereinbarten Anwerbestopp führen müssen, der allein das Problem nicht lösen konnte.
Dazu ein Vergleich. Die offizielle Einwanderungsquote der Vereinigten Staaten von Amerika beträgt 290 000 Menschen. 1970 nahm die kleine Bundesrepublik Deutschland die dreifache Zahl, nämlich 900 000 Ausländer auf. Zehn Jahre später beträgt der Ausländeranteil in Frankfurt und in Offenbach, aber auch in kleineren und mittleren Städten wie Rüsselsheim und Bietigheim ca. 20 %; in Stuttgart und München sind es ca. 17 %.
Die schlimmen Folgen dieses Jahrzehnts des Treibenlassens gegenüber einem immer brennender werdenden Problem können nur dann gemildert werden, wenn die Dinge jetzt endlich beim Namen genannt werden, wenn nicht nur an den Augenblick, sondern an die mittel- und langfristigen Folgen heutiger Entscheidungen und Nichtentscheidungen gedacht wird
({4})
und wenn neben den berechtigten Interessen der Ausländer auch die berechtigten Interessen der Deutschen beachtet werden.
({5})
Eine zweite grundsätzliche Überlegung ist notwendig. Es ist immer falsch, bei politischen Entscheidungen die menschliche Natur und die Denkweise der Menschen zu mißachten. Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese läßt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen. Je näher die Ausländer dem aufnehmenden Volk stehen, um so mehr können es sein. Ich warne davor, die Welt in Inländer und Ausländer einzuteilen. Das ist zu simpel. Das berücksichtigt nicht die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländergruppen.
({6})
Ich unterscheide vier: Menschen mit einer fremden Staatsangehörigkeit, aber deutscher Sprache und Kultur verursachen keinerlei Integrationsprobleme, ob sie nun aus Südtirol, aus Österreich oder aus der Schweiz kommen. Wir nehmen sie gern auf. Sie leisten, ohne daß sie als solche überhaupt in Erscheinung treten, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes, zu seiner Kultur und seinem Sozialprodukt.
Der zweite Kreis von Ausländern entstammt nicht dem deutschen, aber doch dem europäischen Kulturkreis. Ihre Muttersprache ist zwar nicht die unsere, aber die kulturellen Gemeinsamkeiten sind groß. Sie beruhen auf der gemeinsamen christlichen Wurzel der europäischen Kultur, auf ihren Ausprägungen in Wissenschaft, Kunst und Literatur, die die innereuropäischen Grenzen immer übersprungen haben, auf dem jahrhundertelangen Zusammenleben in übernationalen oder multinationalen staatlichen Verbänden
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und einer zwar häufig verletzten, aber im Prinzip doch von allen immer anerkannten europäischen Völkerrechtsgemeinschaft. Diese Ausländer aus dem europäischen Kulturkreis zu integrieren und schließlich zu assimilieren, ist möglich. Die Nachfahren der Polen, die im Zug der ersten industriellen Revolution in das Ruhrgebiet gekommen sind, und der hugenottischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich sind längst zu Deutschen geworden, und keiner möchte sie hier missen.
Innerhalb der Ausländer aus dem europäischen Kulturkreis bilden diejenigen eine besondere Gruppe, die aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommen. Sie stellen mit 1,2 Millionen Menschen nach den Türken die zweitgrößte Ausländergruppe. Sie genießen in der Europäischen Gemeinschaft wie wir das Recht der Freizügigkeit. Wenn sich daraus in der Praxis Probleme ergeben, dann
nur deshalb, weil der Entwicklungsstand und der Lebensstandard in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft so außerordentlich unterschiedlich ist. Die sich daraus ergebenden einseitigen Bevölkerungsbewegungen schaden im Grunde allen. Die zu entwickelnden Regionen der Europäischen Gemeinschaft verlieren viele ihrer aktiven Menschen, und die bereits übervölkerten Regionen werden noch weiter verdichtet. Meine Damen und Herren, es wäre besser, die Maschinen zu den Menschen zu bringen als die Menschen zu den Maschinen zu bringen und das noch zu fördern.
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Leider war die Europäische Gemeinschaft bis heute nicht in der Lage, eine wirksame Regionalpolitik zu betreiben, die dieser einseitigen Bevölkerungsverschiebung hätte entgegenwirken können. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft darauf hinwirken muß, daß diese einseitigen Bevölkerungsverschiebungen vermieden werden. Freizügigkeit bedeutet nicht notwendigerweise die Einräumung eines Dauerwohnrechts.
Die größte Ausländergruppe in Deutschland sind die Türken. Von 4,6 Millionen Ausländern sind es zirka 1,5 Millionen - nahezu ein Drittel. Von den Ausländern unter 16 Jahren stellen die Türken fast die Hälfte. Der Anteil der Türken unter den Ausländern wächst weiter durch eine hohe Geburtenrate und durch Zuwanderung. In den letzten Jahren stellten die Türken die Hälfte aller Zuwanderer. Gleichzeitig hatten die Türken in Deutschland mit 11,2 % die höchste Erwerbslosenquote zu beklagen. Sie überstieg den Durchschnitt um mehr als das Doppelte.
Die Türkei ist der Europäischen Gemeinschaft assoziiert. Für 1986 - das ist jetzt eine ganz wichtige Aussage - erwartet die türkische Regierung auf Grund interpretationsfähiger Vereinbarungen im Assoziierungsvertrag für ihre Bürger die volle Freizügigkeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. In der Türkei warten Millionen Menschen auf diesen Tag. Wenn diese Welle über uns hereinbräche, bräche zugleich unser Sozialstaat, der ohnehin wegen finanzieller Erschöpfung aufs höchste gefährdet ist, zusammen.
({9})
- Hören Sie doch einmal zu und denken Sie einmal über dieses Problem nach. Spätestens 1986 werden auch Sie es begriffen haben!
({10})
Wir können doch nicht erst 1986 über dieses Problem reden. Politik besteht doch darin, vorauszusehen und vermeidbare Dinge auszuschließen!
({11})
Meine Damen und Herren, dieses Problem ergibt sich völlig unabhängig von kulturellen und Mentalitätsunterschieden zwischen Türken und Deutschen im Alltag. Es entstünde auch jedem anderen europäischen Volk gegenüber. Aber diese kulturellen und Mentalitätsunterschiede kommen hinzu. Das türkische Volk wurde nicht vom Christentum, sondern vom Islam, einer anderen Hochkultur - ich betone: Hochkultur -, geprägt. Die Tatsache, daß der von Atatürk 1918 gegründete Staat laizistisch und nach seinem Selbstverständnis europäisch ist, ändert daran ebensowenig wie die Tatsache, daß auch unser Staat laizistisch ist, anders z. B. als das frühere Heilige Römische Reich. Auch in säkularisierter Form wirken die kulturellen Impulse der christlichen und der islamischen Hochkultur auf unsere Völker nach. Das trägt neben einem ausgeprägten Nationalstolz der Türken dazu bei, daß sie - von Ausnahmen abgesehen - nicht zu assimilieren sind. Sie wollen bleiben, was sie sind, nämlich Türken. Und das sollten wir respektieren.
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Türken sind aber - von Ausnahmen abgesehen - nicht nur nicht zu assimilieren, sie sind auch nur schwer zu integrieren. Von denen, die über zehn Jahre bei uns leben, sind es nach eigener Einschätzung nur 25 %, die mit ihren Deutschkenntnissen selbst zurechtkommen; 78 % von ihnen haben nie einen Deutschkursus besucht. Selbst von den Kindern bleiben vier von fünf trotz Besuchs deutscher Schulen in ihren Sprach- und Kontaktgewohnheiten eindeutig Türken. Sie wollen trotzdem bleiben, und zwar wegen der materiellen Vorteile, die unser Land bietet.
Ich stütze mich bei diesen Zahlen auf den Bericht eines türkischen Sachverständigen, der im „Spiegel" vom 9. November 1981 veröffentlicht worden ist.
Da die Türken in Kultur und Mentalität anders sind und anders bleiben wollen als die Deutschen, ist es nur natürlich, daß sie in Deutschland Nachbarschaft mit ihresgleichen suchen. Das heißt, daß in unseren Großstädten Türkenviertel entstehen, auch Gettos genannt. Das könnte nur durch Zwang verhindert werden, nicht durch Sozialhilfe oder Ermahnungen.
Die Türkei, meine Damen und Herren, ist unser Verbündeter in der NATO. Unsere Völker verbindet eine alte Freundschaft. Diese Freundschaft wird nach meiner Überzeugung auf das höchste gefährdet, wenn Millionen Türken in deutschen Städten Gettos bilden. Auch umgekehrt würde die Bildung deutscher Gettos in der Türkei in dieser Größenordnung von den Türken nicht akzeptiert werden.
Wir halten es daher für notwendig, daß die Bundesregierung im Hinblick auf die von der türkischen Regierung für 1986 auf Grund interpretationsfähiger Bestimmungen im Assoziierungsabkommen erwartete volle Freizügigkeit für ihre Mitbürger auf Verhandlungen mit der türkischen Regierung hinwirkt, die zu einer Regelung unter Beachtung der Interessen beider Seiten führt. Das muß jetzt begonnen werden.
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Das darf man nicht erst 1985 oder 1986 beginnen.
({14})
Wir sind der Meinung, daß das mit der Organisierung einer Wirtschaftshilfe für die Türkei verbunden werden sollte. Ich bedaure, daß die Anregung unseres früheren Hamburger Kollegen Damm, eine Marshallplanhilfe für die Verbündeten an der Südflanke der NATO zu organisieren - unsere Fraktion hatte das unterstützt -, von den Regierungen nicht aufgegriffen worden ist. Es wäre besser, diese Milliarden unseren Verbündeten zuzuführen, als sie in den Ostblock zu pumpen.
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- Meine Damen und Herren von der SPD, Sie lächeln immer, weil Sie das Problem offenbar noch gar nicht begriffen haben.
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84 % der nicht in der Türkei arbeitenden Türken arbeiten in Deutschland; auch das ist eine wichtige Zahl. Es handelt sich hier also vor allem um ein deutsch-türkisches Problem. Deshalb kann die Bundesregierung hier nicht im Schlepptau anderer EG-Regierungen schwimmen. Sie muß die deutschen Interessen in diesem Zusammenhang wahrnehmen.
({17})
Eine vierte Ausländergruppe, der wir begegnen, sind die Menschen aus den asiatischen und den afrikanischen Ländern. Es sind zur Zeit zirka 190 000. In Großbritannien sind es 1920 000. Soweit diese Menschen asiatischer und afrikanischer Herkunft in Großbritannien den britischen Paß haben - das ist bei den meisten der Fall -, genießen auch sie das Recht der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Wenn die Fremdenfeindlichkeit in Großbritannien zunehmen sollte, dann ist damit zu rechnen, daß auch diese Menschen demnächst hier in Deutschland erscheinen werden. Auch diese Menschen entstammen anderen Kulturkreisen. Auch sie werfen bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme auf. Ein Blick auf Großbritannien und die Niederlande genügt, um zu erkennen, was das für Folgen haben kann.
Ich wiederhole daher meine in einer früheren Debatte geäußerte Anregung an die Bundesregierung, die UNO aufzufordern, in allen Kontinenten und Kulturkreisen Aufnahmemöglichkeiten für politische Flüchtlinge zu schaffen. Unser Land ist jedenfalls außerstande, zum Einwanderungsland für Menschen aus aller Welt zu werden. Das ist nicht nur eine Frage unserer nationalen Identität, sondern vor allem auch eine Frage des Arbeitsmarktes und nicht zuletzt der Besiedlungsdichte unseres kleinen und in zwei Weltkriegen verstümmelten Landes. Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg 12 Millionen deutsche Menschen, die - gegen alles Völkerrecht - aus ihrer alten Heimat vertrieben worden sind, und danach noch einmal 3 Millionen
Flüchtlinge und Aussiedler aus Mittel- und Osteuropa und der großen Sowjetunion aufgenommen. Wir haben damit die größte Integrationsleistung der Weltgeschichte erbracht.
({18})
Wir haben daher auch keinen Anlaß, uns von in- oder ausländischen Kritikern Fremdenfeindlichkeit vorwerfen zu lassen,
({19})
wenn wir darauf bestehen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht zum Einwanderungsland wird. Meine Damen und Herren, wer diesem natürlichen und berechtigten Gefühl unserer Mitbürger zuwiderhandelt, bereitet einem neuen Rechtsradikalismus den Weg. Dazu sind wir nicht bereit, das lassen wir nicht zu.
({20})
Aus dieser Analyse ergeben sich politische Konsequenzen und Forderungen, die in unserem Entschließungsantrag enthalten sind und die im Anschluß von meinen Kollegen im einzelnen begründet werden. Ich möchte dem noch einige grundsätzliche Überlegungen voranstellen.
Erstens. Es muß für die Zukunft vermieden werden, daß aus jedem Aufenthalt zu Erwerbs- oder Bildungszwecken ein Anspruch auf Daueraufenthalt mit Familiennachzug erwächst.
({21})
Wer wünscht, daß unser Land für Ausländer auch in der Zukunft offenbleibt - und wir wünschen das -, muß fordern, daß die Rückkehr der Ausländer in die Heimat die Regel ist; denn sonst können in Zukunft keine mehr kommen.
({22})
Das zu fordern ist keineswegs unmoralisch.
Die von uns ins Land gerufenen Ausländer - nicht alle sind gerufen worden - sind dem Ruf natürlich in ihrem eigenen Interesse gefolgt; so wird es auch in Zukunft sein. Ihnen wurden und werden ein im Vergleich zu ihren Heimatländern attraktiver Arbeitsplatz sowie ein überaus attraktives Sozialsystem angeboten. Für ihre Heimatländer sind diese Ausländer eine wichtige Devisenquelle. Schon Anfang der 70er Jahre kamen 70 % der Deviseneinnahmen der Türkei aus den Überweisungen ihrer Gastarbeiter.
Die ursprünglich vereinbarte Rotation der ausländischen Arbeiter wurde für den deutschen Produktionsprozeß bald als unbequem empfunden. Es ist natürlich einfacher, die einmal ins Land geholten Ausländer zu behalten, als von Zeit zu Zeit neue auszubilden. Dann wurde diese Rotation auch als angeblich unmenschlich diskreditiert. Dabei wurde nur an das Interesse der Wirtschaft sowie an das Interesse der Ausländer gedacht, die bereits hier sind, nicht aber an das Interesse der Ausländer, die in Zukunft - wenn auch nur vorübergehend - von den Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten in unserem Land Gebrauch machen möchten und die jetzt wegen Überfüllung konsequent abgewiesen werden
müssen. Diese Ausländer wurden vergessen. Ich meine, die Frage einer vernünftigen und humanen Rotation muß noch einmal überdacht und darf nicht allein im Hinblick auf die Interessen der Wirtschaft oder gar mit gefühlsbezogenen Totschlagsargumenten vom Tisch gewischt werden. Das Ausländerrecht der urdemokratischen Schweiz kann uns in dieser Hinsicht wertvolle Anregungen geben, meine Damen und Herren.
({23})
Zweitens. Es entspricht unserer Grundauffassung, daß wir die Bemühungen der Ausländer um die Erhaltung ihrer nationalen Identität anerkennen; wir wollen niemanden germanisieren. Wer Deutscher werden kann und will, soll Gelegenheit dazu erhalten. Einen Anspruch auf Einbürgerung lehnen wir jedoch ab.
({24})
Was keinem Verein zugemutet wird, nämlich daß Außenstehende einen Anspruch auf Mitgliedschaft erhalten, kann auch unserem Staat nicht zugemutet werden.
({25})
Wie das Beispiel gerade der Türken zeigt, gibt es auch in der zweiten Generation Ausländer, die nach Mentalität und Sprachgewohnheit Ausländer geblieben sind und bleiben wollen. Ist das der Fall, kann eine Einbürgerung nicht in Frage kommen.
Drittens. Die soziale Integration der unter uns lebenden Ausländer muß gefördert werden. Meine Damen und Herren, soziale Integration ist etwas anderes als Assimilation. Wir sollten in der Diskussion diese beiden Begriffe unterscheiden. Die Aufgabe der sozialen Integration stellt sich gerade bei den Ausländern, die nicht Deutsche werden wollen, die aus anderen Kulturkreisen stammen und die ihre Eigenart bewahren wollen. Bei dieser schwierigen und nicht immer zu erfüllenden Aufgabe kann auf die Mithilfe karitativer Organisationen nicht verzichtet werden. Sie bedürfen der staatlichen Unterstützung und verdienen unseren Dank; denn sie haben Großes geleistet in den hinter uns liegenden Jahren.
({26})
Besondere menschliche Verpflichtungen haben wir gegenüber den Kindern der Ausländer. Bei ihnen konkurrieren die Einflüsse der Heimat ihrer Eltern und der neuen Umgebung. Für diese jungen Menschen sind Bildung und Ausbildung von entscheidender Bedeutung. Das gilt unabhängig davon, ob sie in Deutschland bleiben wollen oder ob sie -hoffentlich als unsere Freunde - eines Tages in ihre Heimat zurückkehren werden.
Soziale Integration setzt Deutschkenntnisse voraus. Diese sind auch eine unentbehrliche Voraussetzung für integrierte Klassen von Ausländern und Deutschen an unseren Schulen. Die Interessen der deutschen Kinder werden aufs schwerste verletzt, wenn sie als Minderheit unter Ausländern ausgebildet werden, die keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben.
({27})
Für Ausländerkinder, die nicht ausreichend Deutsch können, muß es im Interesse beider Seiten auch Ausländerklassen geben, wobei unter anderem durch verstärkte Lehrerzuweisung darauf hingewirkt werden muß, ihre Integrationsbereitschaft zu fördern und zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, unsere Vorlage bietet zusammen mit der Vorlage der Koalition dem Parlament die Möglichkeit, das Ausländerproblem zu erörtern und der Bundesregierung Vorgaben zu machen, die sie offensichtlich dringend benötigt. Es wird vom Stil unserer Debatte abhängen, ob sie zur Lösung der Probleme beiträgt und ob es gelingt, unser Verhältnis zu den Ausländern und ihren Heimatländern von vermeidbaren Belastungen freizuhalten. Das halte ich für ganz wichtig.
Ausländer, die in Deutschland gelebt haben und in ihre Heimat zurückkehren, sollten als Freunde Deutschlands in ihre Heimat zurückkehren. Das setzt Respekt vor ihrer Mentalität und vor ihrer Kultur voraus, insbesondere wenn es sich um andere Kulturkreise handelt. Wir sollten das zu ihnen geknüpfte Band pflegen, auch wenn sie in ihre Heimat zurückgekehrt sind, und sollten ihnen z. B. Obdach gewähren, wenn sie verfolgt werden; denn viele von ihnen sehen ja in Deutschland ihre zweite, ihre geistige Heimat.
Meine Damen und Herren, das alles geht nicht ohne Unbefangenheit, auch uns und unserem Volk gegenüber. Selbstachtung der Deutschen vor ihrem eigenen Volk und Verzicht auf jede Heuchelei sind gerade in dieser Frage von großer Bedeutung. Nur so können wir gelassen und souverän die Lage durchdenken und ehrlich und anständig handeln - den Ausländern gegenüber, aber auch unserem eigenen Volk gegenüber. Dazu wollen wir Christlichen Demokraten und Christlich-Sozialen weiterhin unseren Beitrag leisten. - Danke.
({28})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, die Koalitionsfraktionen, bekräftigen mit unserem Antrag zur Ausländerpolitik die Auffassung, daß die ausländischen Arbeitnehmer einen ganz bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland leisten und geleistet haben.
({0})
Damit haben sie zur Verbesserung des Lebensstandards in unserem Lande beigetragen. Die Bundesrepublik Deutschland hat deshalb auch in beschäftigungspolitisch schwierigen Zeiten eine besondere Verantwortung für die hier lebenden Ausländer.
Wir bekennen uns zum Angebot der Integration für die in Deutschland auf Dauer lebenden Ausländer. Dabei verkennen wir allerdings nicht, daß der
starke Anstieg der Ausländerzahlen den Integrationsprozeß sehr erschwert hat und daß unsere Anstrengungen nur erfolgreich sein können, wenn die Ausländerzahl durch neue Regelungen beim Familienzuzug begrenzt bleibt.
Um jedoch die Situation der Ausländer in Deutschland sowie die abschätzbaren Entwicklungen für politische Entscheidungen richtig bewerten zu können, müssen wir einfach mehr wissen. Deshalb haben wir neben dem Entschließungsantrag zur Ausländerpolitik eine Große Anfrage an die Bundesregierung eingebracht. Ich will zu dieser Stunde der Antwort der Bundesregierung nicht vorgreifen und werde deshalb in dieser ersten Runde, in der Grundsatzrunde, der heutigen ganztätigen Debatte eine Gesamtbewertung unserer Ausländerpolitik versuchen.
Es liegt auch ein Antrag der CDU/CSU-Opposition vor, zu dem soeben der Kollege Dregger gesprochen hat. Hiermit will ich mich zunächst befassen. Ich muß feststellen, daß dieser Antrag eine fundamentale Umkehrung der Ausländerpolitik darstellt, wie sie eigentlich bis zur Stunde von uns gemeinsam, einschließlich der CDU/CSU, betrieben wurde. Ich denke, dies wird schon in der Rednerauswahl der Fraktionen deutlich; denn für uns ist die Ausländerproblematik keine Frage von law and order, sondern in erster Linie ein gesellschaftspolitisches, ein sozialpolitisches Anliegen.
({1})
Dabei wäre gerade in dieser für unsere Gesellschaft so brisanten Angelegenheit ein Konsens zwischen den Parteien wirklich notwendig. Aber leider wollen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrem Antrag, den Eindruck erwecken, es gäbe für uns eine Option - ich sage das ganz offen -, die Zahl der hier lebenden Ausländer entscheidend zu senken. Sie weisen der Bundesregierung die Schuld für die derzeitige Situation zu und übersehen ganz, daß Ihr Antrag wirklich eine völlige Abkehr von der auch von Ihnen bisher befürworteten Ausländerpolitik bedeutet. Nach Ihrer Vorlage hat nicht mehr die Integration, sondern eine Politik - ich komme im einzelnen noch darauf zu sprechen - Priorität, die von Abwehr bis Abschiebung reicht.
Noch 1978 haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, in Ihrem Grundsatzprogramm erklärt - ich zitiere Ihr Parteiprogramm -:
Die Grundwertbindung unserer Politik verpflichtet uns zur sozialen Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in unserer Gesellschaft sowie zur Erhaltung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der Förderung ihrer Kontakte zum Heimatland.
Davon ist in Ihrem Antrag nichts mehr zu finden.
({2})
Ich denke, es ehrt die Sozialausschüsse der CDU, daß sie sich laut einer dpa-Meldung am Mittwoch von Ihrem Entschließungsantrag distanziert haben,
({3})
Mit Recht stellen die CDU-Sozialausschüsse fest, daß die soziale Integration nicht nur auf den einzelnen Ausländer, sondern auf die Familie abzielen muß und daß das Recht der Familie zusammenzubleiben, vorrangige Bedeutung haben muß. So argumentierten die Sozialausschüsse. Ausländern, so die dpa-Meldung, die in der Bundesrepublik bleiben wollten, müßte eine vorbehaltlose und dauerhafte Integration geboten werden.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bringen dagegen das genaue Gegenteil. Nach Ihrem Willen soll die Zusammenführung von Familien - das ist ja der Kernsatz Ihres Antrags - in erster Linie durch Rückkehr in die Heimat bewirkt werden.
({4})
Dies erinnert mich ganz fatal an die Argumentation der DDR oder der Sowjetunion,
({5})
die in der Regel in Frage der Familienzusammenführung darauf hinweisen, daß der Angehörige aus dem Westen bitte schön in den Osten, auf das Territorium des anderen Staates kommen soll. Hier ist für mich kein fundamentaler Unterschied.
({6})
Um jedoch Ihren Antrag - ({7})
- Darf ich vorlesen? Vielleicht wissen Sie nicht, was in Ihrem Antrag steht. Dort steht nichts mehr von Integration, sondern hier steht: Familienzusammenführung bedeutet Rückkehr in das Heimatland; Familienzusammenführung hat in erster Linie im Heimatland stattzufinden, nicht hier.
({8})
Erläutern Sie bitte, wie es sonst zu verstehen wäre.
Um jedoch Ihren Antrag differenziert bewerten zu können, muß man ihn mit dem Entwurf vergleichen, der im Dezember vorigen Jahres schon einmal in der Presse veröffentlicht wurde. Ich begrüße es, daß Sie - das habe ich bei dem Vergleich beider Entwürfe festgestellt - die völkische Komponente mit Ihrem Verzicht auf die Warnung vor dem Vielvölkerstaat
- dies stand in Ihrem ersten Entwurf noch darin - herausgenommen haben. Die Assoziationen zu unserer unseligen Vergangenheit wären auch zu deutlich gewesen.
({9})
- Ich will Sie j a loben.
Sie verlangen auch nicht mehr die Ausweisung von Ausländern, die wegen x-beliebiger Delikte straffällig geworden sind, unabhängig davon, ob eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, bringen aber in anHölscher
deren Punkten eine erhebliche Verschärfung gegenüber der ursprünglichen Fassung herein. Während Sie im Dezember das Wahlrecht für Ausländer -auch das auf kommunaler Ebene - noch einer europäischen Regelung vorbehalten wollten, lehnen Sie es jetzt kategorisch ab. Über Familienzusammenführung hier auf deutschem Boden ist in Ihrem Antrag kein einziges Wort zu finden. Demnach muß ich davon ausgehen, daß nach dem Willen der CDU/ CSU-Fraktion in der Zukunft z. B. kein einziges Kind - gleich, welchen Alters - mehr zu seinen Eltern nach Deutschland einreisen darf.
({10})
Es kommt noch schlimmer - dies ist allerdings eine Frage, mit der sich die Außenpolitiker einmal bef assen müssen -:
({11})
Sie fordern den Deutschen Bundestag praktisch auf, einen Bruch der Römischen Verträge zu beschließen. Wie anders ist Ihre Forderung unter I 5 zu verstehen - ich zitiere -:
Die Bundesregierung soll darauf hinwirken, daß durch EG-Assoziierungen oder weitere Beitritte zur EG eine weitere Aufnahme von Ausländern nicht erfolgt.
Gemeint sein kann hier ja wohl nicht die Türkei, auch nicht Griechenland. Mit diesen Ländern gibt es Verträge. Sie können j a nur Portugal und Spanien meinen. Ich weiß, daß Vertreter der portugiesischen Botschaft diese Debatte heute hier auf der Diplomatentribüne verfolgen. Ich möchte gerade in Anwesenheit der Vertreter dieser Nation, aber auch den Vertretern Spaniens hier in aller Deutlichkeit sagen: Für uns ist die Freizügigkeit in der Europäischen Gemeinschaft eines ihrer Wesenselemente. Wir müssen selbstverständlich darüber verhandeln, ob im beiderseitigen Interesse Freizügigkeit nicht im Wege eines Stufenplans herbeigeführt werden sollte. Die generelle Ablehnung der Aufnahme von Ausländern aus EG-Staaten, wie sie in Ihrem Antrag angesprochen wird, ist nicht Politik dieser Koalitionsfraktion und auch nicht dieser Bundesregierung.
({12})
Ich frage mich auch, was die Opposition dazu gebracht hat, die Ausländerfrage ausgerechnet auch noch mit der Deutschlandpolitik zu belasten, indem sie eine historische und verfassungsrechtliche Verantwortung für die deutsche Nation anspricht. Ich weiß, woher das kommt. Sie greifen hier nämlich einen Gedanken des Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes, Herrn Schilling, auf, welcher die Integrationsmaßnahmen für Ausländer als eine Zäsur in der deutschen Nation betrachtet. Es ist Aufgabe der Deutschlandpolitiker - dies als Hinweis von mir an dieser Stelle -,
({13})
sich mit dieser doch etwas absonderlichen These zu
befassen. Ich weiß im übrigen, daß diese Formulierung in Ihren eigenen Reihen umstritten ist. Das spricht für Sie.
Der Antrag der Opposition enthält aber auch einige sachliche Unrichtigkeiten, von denen ich nur die folgenden beispielhaft herausgreifen will. Die Bundesregierung wird aufgefordert, der anhaltenden Flut von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen Einhalt zu gebieten. Andere Redner werden in der Debatte auf das Asylantenproblem noch besonders eingehen. Ich frage allerdings schon jetzt: Was meint die Opposition denn eigentlich mit der „anhaltenden Flut von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen"? Wir haben doch einen drastischen Rückgang zu verzeichnen.
({14})
Die Ursachen dafür sind die Versagung der Arbeitserlaubnis und die Einführung des Visumzwanges. Herr Kollege Dregger, der Rückgang beträgt bei den Türken und den Leuten aus Bangladesch 89 %.
({15})
Wir haben allerdings eine steigende Flut von Asylanten aus Polen, auch aus Afghanistan, aus zwei Ländern, die, da sind wir uns einig, unter einer kommunistischen Unterdrückung stehen. Was soll das in Ihrem Antrag, der doch von dieser oder der vorigen Woche ist? Heißt das - das wollen Sie doch wohl nicht -, daß wir ausgerechnet die Polen in dieser Situation, in der sich Polen heute befindet, abschieben, nach Polen zurückschicken? Bitte, erläutern Sie es!
({16})
Meine Damen und Herren, die Zahl von 2 Millionen erwerbstätigen Ausländern bringt die Opposition in der Begründung Ihres Antrags in unmittelbaren Zusammenhang mit der Feststellung, daß mehr als 90 % aller Anträge auf Asylgewährung als unbegründet zurückgewiesen werden. Ich sehe auch hier den Zusammenhang nicht; denn Asylbewerber haben wir doch nur etwa 200 000, gegenüber 4,7 Millionen anderen Ausländern. Gerade weil Sie dies, die Zahl der Beschäftigten und das Asylantenproblem, in diesen unmittelbaren Zusammenhang stellen, werde ich den schlimmen Verdacht nicht los, daß es Politiker gibt, die auf leichtfertige, j a unverantwortliche Weise Kapital schlagen wollen aus der zweifellos vorhandenen Ausländerfeindlichkeit in einem Teil unserer Bevölkerung.
({17})
Aber, meine Damen und Herren, gerade wir Deutschen, in der Verantwortung vor der eigenen nationalen Geschichte, müssen uns, auch wenn dies unpopulär ist, Strömungen bei einem Teil unserer Mitbürger entgegenstellen.
({18})
Sonst muß sich jeder verantwortliche Politiker fragen, ob er die Geister, die er mit derartiger Argumentation und Zusammenstellung von Argumenten
ruft, noch los wird. - Ich hoffe, er will sie loswerden.
Ein Beispiel für meine Befürchtungen ist auch die sehr vordergründige Bewertung der Kriminalität von Ausländern. Auch da wird in die Kerbe eines Klischees gehauen, welches zwar draußen weit verbreitet ist, aber einer sehr behutsamen und differenzierten Betrachtungsweise bedarf. Warum sagen Sie eigentlich nichts - es hätte nur einiger Worte bedurft - zu den Ursachen von Ausländerkriminalität? Wir tun dies in unserer Großen Anfrage.
Die Kriminalität erwachsener Ausländer ist im übrigen nicht höher als die Kriminalität erwachsener Deutscher. Anders sieht es allerdings bei den Ausländern unter 25 Jahren aus. Diese werden in erheblich höherem Maße straffällig als Deutsche in dieser Altersgruppe. Die Frage ist aber, ob nicht etwa junge Deutsche, die in einer vergleichbaren Situation wie die jungen Ausländer leben, ebenfalls eine hohe Kriminalitätsrate aufweisen;
({19})
denn je schlimmer die persönliche Lage ist, um so größer wird auch die Gefahr, mit den Gesetzen in Konflikt zu kommen. Wir, wie gesagt, wollen mit unserer Großen Anfrage ausdrücklich von der Bundesregierung wissen, wo nach dem Stand der heutigen Erkenntnisse die Ursachen der Ausländerkriminalität liegen. Zu vermuten ist eben, daß ein junger Ausländer mit einem Leben ohne Perspektive, mit Verständigungsschwierigkeiten, nicht nur in seiner Umwelt, sondern, in der zweiten und dritten Generation, auch im eigenen Elternhaus, ein Jugendlicher ohne Schulabschluß, ohne Berufsausbildung, arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht, nun einmal in besonderem Maße gefährdet und insofern auch anders zu bewerten ist.
Im übrigen, Herr Kollege Dregger, etwas zu Ihren Schuldzuweisungen an die Bundesregierung: Ich glaube, Sie machen es sich zu einfach. Wer hat denn eigentlich den Anwerbestopp so lax angewendet und Ausnahmen zugelassen? Das waren doch wohl die Länder. Wer ist denn zuständig für die Bekämpfung des illegalen Aufenthalts und der illegalen Beschäftigung? Doch wohl die Länder.
({20})
Wer hat sich denn kürzlich - so lange ist das gar nicht her - gegen die Forderung des Bundesinnenministers gewandt, der die Saisonarbeiter in Bayern ausweisen wollte? Das war die Bayerische Staatsregierung.
({21})
Wer hat sich denn überhaupt gegen den Anwerbe-stopp gewandt? Wo waren denn die Länderinitiativen zu einer anderen Ausländerpolitik in den letzten zehn Jahren? Wenn Sie meinen, es hätte etwas getan werden müssen: Wo sind die Initiativen? Sie haben doch schon seit einiger Zeit die Mehrheit im Bundesrat. - Ich will mich eigentlich auf diese Ebene nicht begeben; denn die Ursachen für die zweifellos vorhandenen Probleme sind. auch im Rückblick, mit
Schuldzuweisungen kaum zu klären. Ich müßte sonst fragen, wer in den 50er und 60er Jahren eigentlich in diesem Hause die Hauptverantwortung getragen hat, als die Anwerbung begann.
Ich möchte allerdings fragen, was eigentlich die Länder, was die Gemeinden hinsichtlich der Schulsituation ausländischer Kinder getan haben. Jedenfalls wurden über die Hälfte aller in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen Kinder und Jugendlichen bei der Geburt in deutsche Standesregister eingetragen und waren daher bereits sechs Jahre vor ihrer Einschulung als künftige Schüler bekannt. Wie haben die Schulverwaltungen da eigentlich reagiert?
Die Ursachen liegen aber bereits fast 27 Jahre zurück. Die Anwerbung begann ja schon im Jahre 1955. Damals hatten wir alle - alle! - die Vorstellung, daß die im Zeichen des konjunkturellen Aufschwungs so dringend benötigten ausländischen Arbeitnehmer nur für kurze Zeit kommen würden. Ja, die ausländischen Arbeitnehmer selber betrachteten ihren Aufenthalt als nur vorübergehend. Damals war das Rotationsprinzip sogar vorgesehen und unumstritten. Dennoch funktionierte es nicht, unter anderem auch deshalb, weil die deutschen Unternehmer kein Interesse daran hatten, einen einmal angelernten ausländischen Arbeiter wieder zu verlieren.
({22})
- Ich rede von den 50er Jahren, Herr Dregger.
Außerdem verbesserten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern nicht in dem erhofften Maße. Je länger also der Aufenthalt des Ausländers hier dauerte, um so stärker wurde sein Bedürfnis - menschlich verständlich -, seine Familie nachzuholen. Dennoch gab es bis in die 70er Jahre - das ist sehr interessant - eine ganz beträchtliche Rückwanderungsquote. Man wußte, man konnte j a für Monate, auch für Jahre wieder in das Heimatland zurückkehren. Man konnte sich aber jederzeit wieder anwerben lassen, also zurückkommen.
({23})
Eine Folge des Anwerbestopps 1973 ist auch in der dann einsetzenden bewußten Einrichtung der Ausländer auf einen längeren Aufenthalt zu sehen. Denn wer länger als ein Vierteljahr die Bundesrepublik verließ, verlor j a auch immer seine Arbeitserlaubnis. Zwangsläufig schoben die meisten Ausländer die Entscheidung, ob sie hierbleiben wollten oder zurückkehren wollten, immer weiter vor sich her, holten aber in verstärktem Maße, soweit es nicht schon geschehen war, ihre Familie nach.
Wie ist die Situation heute? Wir haben 4,7 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik, davon allein 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche - das dürfen wir nie vergessen - für die wir in besonderem Maße eine Verantwortung tragen. Von diesen Jugendlichen wurden allein 630 000 bereits hier in Deutschland geboren. Mit 7 % Ausländeranteil liegt die BunHölscher
desrepublik gar nicht einmal an der Spitze mit vergleichbaren westlichen Staaten. Die Schweiz hat 14 %, Belgien 9 %, Frankreich 7,7 %. Dennoch scheint das Problem nirgendwo so gravierend zu sein wie bei uns.
Da gibt es den müßigen Streit, ob wir nun ein Einwanderungsland sind oder nicht. Dazu möchte ich den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Professor Zeidler, zitieren, der mit Recht erklärt hat, daß diese Frage nicht bündig mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Ich meine, für die Ausländer, die mit ihren Familien seit vielen, vielen Jahren hier leben, ist die Bundesrepublik faktisch ein Einwanderungsland geworden. Es ist eine Selbsttäuschung, der wir uns hingeben, wenn wir eine Gebetsmühle drehen. Möglicherweise gibt es auch eine Selbsttäuschung bei den Ausländern, die sehr lange hier leben und immer noch glauben, sie würden zurückkehren. Wahrscheinlich tun sie es nicht, jedenfalls nicht freiwillig.
Leider ist festzustellen: Das Hauptproblem ist die Unsicherheit auf allen Seiten. Dazu hat auch die Emotionalisierung der Diskussion beigetragen. Die beiden extremen Positionen - die eine „Ausländer heraus", man kann es auch diplomatisch verkleiden und sagen „Familienzusammenführung hat im Herkunftsland stattzufinden"; aber auch die andere Position, wir könnten einen weiteren großzügigen Zuzug von Ausländern problemlos bewältigen -, diese beiden extremen Positionen versperren eben den Durchblick zu Lösungen, die sowohl realistisch als auch menschlich vertretbar sind.
Unsere ausländischen Mitbürger wissen nicht mehr, auf was sie sich einrichten sollen. Sie können ihre Zukunft nicht mehr planen. Sie wissen z. B. nicht, ob sie die Bundesrepublik demnächst verlassen müssen, obwohl sie seit Jahren mit ihren Kindern hier sind, nur weil sie in einen Verkehrsunfall verwickelt sind, nur weil sie arbeitslos geworden sind, nur weil sie einen Antrag auf Sozialhilfe gestellt haben. So groß ist die Unsicherheit geworden. Sie sehen, daß sie von Land zu Land unterschiedlich behandelt werden, daß die regionale Ausländerquote maßgebend ist für den Grad des Schutzes für Ehe und Familie. Sie sehen, daß in Berlin ein Ausländerkind ausgewiesen werden kann, wenn es bei Vollendung des 18. Lebensjahres noch nicht fünf Jahre in der Bundesrepublik war und kein Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis nachgewiesen werden kann.
Es macht sie ratlos, wenn die Wohnraumüberprüfung zur Ausweisung führen könnte - diese Fragen kommen, und der Bundestag hat sich bereits damit befaßt -, nur weil die Familie inzwischen durch Geburt oder Nachzug größer geworden ist. Ich finde es erschreckend, wenn uns mitgeteilt wird - einige von Ihnen aus dem sozialpolitischen Bereich haben, wie ich weiß, diese Informationen erhalten -, daß in Beratungsstellen ausländische Frauen Landesvorschriften über den nachzuweisenden Wohnraum als Grund für den gewünschten Schwangerschaftsabbruch anführen.
Wollen wir uns eigentlich demnächst international wegen Verletzung der Menschenrechte anklagen lassen, ausgerechnet wir, die wir doch mit Recht auf Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands und sonst auf der Welt immer wieder hinweisen? Ich denke, wir brauchen vor allem eine klare, berechenbare Ausländerpolitik im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden.
({24})
Meine Damen und Herren, unsere Ausländerpolitik muß sich von dem Grundsatz leiten lassen, den die Beauftragte der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, Frau Funcke, wie folgt formuliert hat - ich zitiere -: „frei sein von Diskriminierung und Eingliederung in die Gesellschaft und in das Berufsleben, mit Respekt vor der nationalen, kulturellen und religiösen Eigenart der Ausländer".
Frau Funcke, ich darf Sie bei dieser Gelegenheit ansprechen. Ich bedauere es sehr, daß Sie auf der Diplomatentribüne Platz nehmen mußten, weil es die Geschäftsordnung dieses Hauses weder erlaubt, daß Sie hier reden können, noch daß Sie auf der Regierungsbank sitzen.
({25})
Frau Funcke, ich möchte mich bei dieser Gelegenheit im Namen meiner Fraktion - ich bedauere, daß der Kollege der SPD dies zweifellos vergessen hat - sehr herzlich für Ihr Engagement im Zusammenhang mit der Integration unserer ausländischen Mitbürger bedanken.
({26})
Ich weiß, wieviel Geduld und wieviel Beharrlichkeit Sie in Ihrem schweren Amt aufbringen müssen. Ich weiß, welch hohes Vertrauen gerade unsere ausländischen Mitbürger Ihnen entgegenbringen. Ich weiß auch, wie hoch die Erwartungen sind, die unsere Ausländer mit Ihrem Amt verbinden.
({27})
Wir wissen alle, wie sehr Sie sich bemühen, einerseits bei den deutschen Bürgern das Verständnis für die ausländischen Mitmenschen zu fördern, und wie Sie andererseits bemüht sind, Ausländern aus ihrer Isolation herauszuhelfen. Ihr wichtiges Amt ist leider nicht mit Kompetenzen ausgestattet. Um so notwendiger wäre eine bessere Koordination und Kooperation mit den für die Ausländerpolitik zuständigen Ministerien. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich diese Bemerkung als Kritik an den Häusern verstanden wissen möchte.
Meine Damen und Herren, wenn es hier Dank abzustatten gilt, dürfen nicht die vielen Menschen vergessen werden, die sich um unsere ausländischen Mitbürger bemühen. Ich meine die Lehrer an den Schulen, die Erzieherinnen in den Kindergärten, die vielen Idealisten bei der Hausaufgabenbetreuung, auch die Ausländerorganisationen, vor allem aber auch die karitativen Verbände und nicht zuletzt die beiden großen Kirchen, die in den letzten Wochen und Monaten in einer Situation, in der für Bekennt4900
nisse zur sozialen Verantwortung unseren ausländischen Mitbürgern gegenüber, für das Eintreten für Menschenrecht und Menschenwürde bestimmt kein Beifall zu erwarten war, klar und eindeutig Stellung bezogen haben. Das gilt sowohl für die evangelische als auch für die katholische Kirche.
({28})
Ich sagte schon: Wir müssen eine klare, berechenbare Ausländerpolitik betreiben. Ich füge hinzu: eine realistische Ausländerpolitik. Das heißt, nur wenn wir die Familienzusammenführung für die Zukunft neu regeln, haben wir Chancen, in der Integration der hier lebenden Ausländer weiterzukommen. Die Bundesregierung hat ja mit ihrem Beschluß vom Dezember 1981 den Ländern hierzu Empfehlungen unterbreitet. Diese sind bekannt; ich will sie hier nicht im einzelnen wiederholen. Entscheidend ist allerdings, daß wir schnellstens zu einer einheitlichen Regelung in allen ausländerrechtlichen Fragen und hinsichtlich aller sozialpolitischer Maßnahmen kommen, damit unsere Ausländer endlich wissen, wie sie ihre Zukunft auf Dauer gestalten können.
Die Sprecher meiner Fraktion werden im Verlauf der Debatte zu den einzelnen Sachgebieten noch konkrete Aussagen machen. Ich will mich deshalb an dieser Stelle auf eine Auflistung und eine allgemeine Bewertung der eingeleiteten und auch noch denkbaren Maßnahmen beschränken.
Wir brauchen eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts. Nach acht Jahren sollte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden. Wir müssen den Rechtsstatus der Ausländer verläßlich regeln, d. h., wir brauchen nicht nur einheitliche Regelungen für den Familienzuzug, wir brauchen auch eine Verstärkung des Ausweisungs- und Abschiebeschutzes. Nur indem wir die ausländischen Mitbürger von ihrer Unsicherheit in der Gestaltung der Zukunft befreien, nur indem wir unsere Angebote zur Integration verstärken, können wir auch einen Beitrag zur Überwindung der Ausländerfeindlichkeit leisten.
Die Anstöße zu einer wirksamen, verstärkten Integration müssen von uns ausgehen; denn wir, die Deutschen, bestimmen die Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Wir können es uns nicht leisten, daß Millionen hier geborener Menschen auf Dauer außerhalb unseres Gemeinwesens stehen.
({29})
Zur Integration gehört aber auch die Erleichterung der Einbürgerung. Sie ist Teil der Integration und nicht deren Ergebnis, wie die Opposition meint. Einbürgerung ist ja nicht Ziel an sich, sondern Mittel zur Integration im Interesse der Betroffenen und im Interesse unserer Gesellschaft. Unser Ziel muß es sein, vor allem mit Blick auf die hier geborenen ausländischen Jugendlichen, die Bereitschaft zu fördern, aus den Ausländern gleichberechtigte Bürger unseres Staates werden zu lassen.
Natürlich werden die Anpassungszeiträume je nach Nationalität kürzer oder länger sein. Je mehr es aber z. B. gelingen wird, Deutsche dazu zu bewegen, ihre Wohnung in Wohngebieten mit hohem Anteil von Ausländern zu nehmen, indem wir Anreize für den Zuzug von Deutschen und den Auszug von Ausländern schaffen, um so schneller wird der Integrationsprozeß ablaufen.
Dennoch - das ist meine persönliche Meinung; hier spreche ich nicht für meine Fraktion - müssen wir auch Minoritäten, die derzeit in einer selbst gewählten Isolation leben wollen, in einer freien Gesellschaft ertragen können. Muß denn Kreuzberg unter allen Umständen zwangsintegriert oder zwangsassimiliert werden?
({30})
Lebt New York mit seinem Little Italy und seiner Chinatown nicht auch ganz gut? Macht das nicht sogar einen gewissen Reiz dieser Stadt aus?
({31})
- Ihre Aufregung verstehe ich ja. Ich habe doch gesagt - ich will meine Fraktion gar nicht in Schwierigkeiten bringen -, daß das ein ganz persönlicher Gedanke sei.
({32})
Bei unseren Integrationsbemühungen müssen wir allerdings vor allem bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Das muß im Kindergarten beginnen. Je früher, desto besser. Gar nichts halten wir von Nationalitätenklassen. Nur über gemischte Klassen erreichen wir die Bereitschaft zum notwendigen Miteinander. Das heißt natürlich nicht, daß nicht deutschsprachige Defizite durch Zusatzunterrichtung ausgeglichen werden sollen. Andererseits darf auch nicht der sprachliche und kulturelle Kontakt zum Herkunftsland im Rahmen des Schulsystems abgelehnt werden. Beides ist wichtig. Ich möchte allerdings auch auf die Probleme, die in einer Überforderung der Kinder liegen könnten, hinweisen. Das Ergebnis der schulischen Angebote darf aber nicht darin bestehen, daß ein ausländisches Kind in Deutschland ein Fremder bleibt, aber auch im Herkunftsland seiner Eltern, weil es beide Sprachen nicht ausreichend beherrscht.
Besonders wichtig ist die Hilfe bei der beruflichen Eingliederung ausländischer Jugendlicher. Ich begrüße es gerade heute sehr, daß auch im Rahmen der in dieser Woche von der Bundesregierung beschlossenen Initiativen entsprechende Maßnahmen und deren Finanzierung vorgesehen sind.
Das alles bedeutet nicht, daß wir eine Rückkehrförderung ablehnen. Nur dürfen wir auch hier die Möglichkeiten nicht überschätzen, wenn wir nicht die Zwangsabschiebung wollen. Nach einer Befragung leben 65% aller Ausländer schon länger hier, als sie selbst ursprünglich wollten. Es wird sehr schwer sein, ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien zu einer freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in den HerHölscher
kunftsländern sind in der Regel schlecht. Die Heimatländer sind nicht in der Lage, eine größere Zahl Rückkehrwilliger aufzunehmen und ihnen eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Eltern ausländischer Kinder werden es sich eben überlegen, ob sie es verantworten können, die Schulausbildung ihrer Kinder zu unterbrechen. Da ist auch die Eingewöhnung in die Umwelt, vor allem bei den Kindern, die doch in der Regel nicht nur perfekt deutsch sprechen, sondern längst den schwäbischen, den bayerischen oder den westfälischen Dialekt angenommen haben, die Muttersprache ihrer Eltern aber gar nicht mehr so gut beherrschen.
Auch der Verlust der Anwartschaften in der Rentenversicherung - wenn die 15 Jahre noch nicht erfüllt sind - ist bei einer Rückkehrforderung ein Hindernis. Dennoch muß man über Anreize reden. Die Kapitalisierung von Ansprüchen an die Rentenversicherung oder an die Arbeitslosenversicherung zieht natürlich nicht nur Finanzierungsprobleme nach sich, sondern auch rechtliche Hürden müssen überwunden werden. Ich verweise auf die bestehenden Sozialversicherungsabkommen und beim Arbeitslosengeld z. B. auf die rechtliche Voraussetzung, daß man dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muß. Dennoch sind wir für derartige Überlegungen offen.
Meine Damen und Herren, eine zwangsweise Rückführung kann allerdings nicht in Betracht kommen.
({33})
Eine Ausnahme stellen diejenigen dar, die sich illegal hier aufhalten. Ich möchte an die Länder appellieren, doch gerade in diesem Bereich ihrer Verantwortung besser gerecht zu werden. Grundsätzlich muß sich aber der Ausländer frei entscheiden können, ob er zurückkehren will, ob er hierbleiben will, ob er Deutscher werden will, ob er Ausländer bleiben will.
Zum Schluß meiner Ausführungen möchte ich - und zwar nicht in Absprache, aber doch stellvertretend für die Beauftragte der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, Frau Funcke, die j a hier nicht selbst sprechen kann - aus einem ihrer Artikel zitieren und damit unsere Position noch einmal deutlich machen. Frau Funcke sagt:
Die Vorstellung, ausländische Arbeitnehmer im Laufe einer Generation zu Deutschen machen zu können oder zu wollen, ist eine Illusion.
({34})
Die Mehrzahl der von der deutschen Wirtschaft angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer möchte verständlicherweise in das Heimatland zurückkehren. Aber die Möglichkeiten - etwa in der Türkei oder in Jugoslawien -, angemessene Arbeitsmöglichkeiten zu finden, sind gering. So lebt der ausländische Arbeitnehmer in Deutschland von Tag zu Tag ins Ungewisse. Darf er bleiben - kann er zurückkehren?
Frau Funcke fährt fort:
Unsere Welt ist in Bewegung. Täglich überschreiten viele Menschen die nationalen Grenzen. Kulturen begegnen sich im Nahbereich, die früher getrennt waren. Das bringt Spannungen, Herausforderung und Bereicherung! Kultur kann sich nur lebendig fortentwickeln, wenn sie herausgefordert wird. Sonst erstarrt sie zu Formeln und tradierten Lebensordnungen. Die Anwesenheit von Ausländern in unserem Land kann zu positiven Auseinandersetzungen genutzt werden.
Dazu sind drei Voraussetzungen unabdingbar:
1. Toleranz gegenüber dem nationalen, kulturellen und religiösen Selbstverständnis der Zugereisten,
2. Bereitschaft zur Aufnahme der Rechtsordnung und der Lebensbedingungen im Gastland seitens der Einwanderer,
3. verstärkte Bemühungen um Kontakt zwischen Einheimischen und Einwanderern.
Gesetze und Verordnungen können hierfür nur den Rahmen schaffen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von beiden Seiten können sie jedoch nicht erzwingen.
Es hängt daher die Lösung der gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme im Zusammenhang von deutschen und ausländischen Familien entscheidend davon ab, wie offen die deutsche Bevölkerung für die Integration ausländischer Arbeitnehmer, und das heißt, wie bereit sie ist, die berufliche, schulische und gesellschaftliche Eingliederung der Ausländer im Respekt vor der nationalen, kulturellen und religiösen Eigenständigkeit der ausländischen Mitbürger zu akzeptieren und mitzutragen.
Frau Funcke schließt mit den Worten:
Deutschland hat als Land der Mitte in Europa vielfältige Einwanderungen und Einflüsse von den Grenzen her erfahren und verarbeitet. Seine Kultur ist aus der Begegnung unterschiedlicher Kulturen erwachsen. Diese Erfahrung verpflichtet zur Offenheit.
Dem schließe ich mich an. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Zwischenrufe wirken belebend, Herr Haase.
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- Sie haben etwas gesagt; aber nichts zur Sache.
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Meine Damen und Herren! Ich glaube,
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der bisherige Verlauf der Debatte -
Herr Innenminister! Herr Abgeordneter Haase, was der Herr Innenminister gesagt hat, war, obwohl Sie keinen Zwischenruf gemacht hatten, schon belebend.
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Na gut. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, der bisherige Verlauf der Debatte hat uns vor Augen geführt, mit welch schwierigen Fragen wir es zu tun haben. Wir neigen ja in diesem Parlament sehr leicht zu abstrakten Debatten und zu Begriffen wie Rückkehranreize, Verfahrensbeschleunigung, Integrationsmodelle usw. Das darf uns nicht den Blick dafür verstellen, daß wir es mit Menschenschicksalen zu tun haben, Herr Dregger; natürlich auch mit deutschen Interessen und deutschen Belangen - dafür sind wir deutsche Politiker -, aber auch mit den Interessen und Belangen von 4,6 Millionen ausländischen Mitbürgern. Daran sollten wir hier denken.
({0})
Es ist für alle Seiten relativ einfach, Prinzipien aufzustellen. Aber es ist natürlich sehr schwer, im Angesicht eines einzelnen Betroffenen diese Prinzipien zu verwirklichen.
Deshalb möchte ich am Beginn meiner Ausführungen, meine Kollegen, jenen im Land danken, die sich der ausländischen Mitbürger annehmen, seien sie in den Kirchen tätig, seien sie an der Grenze tätig, seien sie in den Wohlfahrtsverbänden tätig. Wir haben allen Anlaß, diesen Menschen zu danken, die beispielsweise jetzt, während wir hier debattieren, ausländischen Kindern bei ihren Hausarbeiten helfen, damit sie die gleichen Chancen wie die Deutschen bekommen, denn diese Menschen tragen eine Last
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und ermöglichen es dadurch, den Prozeß „gleiche Lebenschancen, Integration" überhaupt fortzuführen.
Auch ich möchte der Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer, Frau Funcke, im Namen der Bundesregierung für ihre bisherige Tätigkeit und ihr engagiertes Eintreten für die Sache sehr herzlich danken. Meine Damen und Herren der Opposition, dem können Sie sich sicher nicht entziehen.
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Die heutige Debatte, Herr Kollege Dregger, hat von Ihrer Seite einige Spitzen gehabt.
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- Sie sagen: sehr milde. Ich sage, sie hat einige Spitzen gehabt.
Ich möchte hinzufügen: Ihr Beitrag entspricht eigentlich nicht ganz dem Konsens, den Bund und Länder in der Ausländerfrage bisher gehabt haben, und zwar alle Länder mit dem Bund zusammen. Da gibt es auch Meinungsverschiedenheiten. Aber im Grund sind wir uns einig - und das sollte für alle staatlichen Ebenen gelten -: Den Stein der Weisen haben wir nicht gefunden, und es gibt auf allen staatlichen Ebenen von den Gemeinden über die Länder bis zum Bund Defizite an Entscheidung in Ausländersachen. Hier sitzt jeder im Glashaus, und hier sollte keiner dem anderen Vorwürfe machen. Das Ausländerproblem eignet sich, Herr Kollege Dregger, nicht als parteipolitischer Knüppel.
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- Sie haben ihn heute auch nicht geschwungen. Ich habe von „Spitzen" gesprochen.
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- Die Städte haben viel getan. Die Länder haben viel getan. Aber auch der Bund war nicht untätig, Herr Dregger. Das muß doch hier deutlich gesagt werden.
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- Ich werde das hier im einzelnen ausführen.
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Die zahlenmäßige Entwicklung des Ausländerproblems war in den letzten Jahren vor allem durch zwei Umstände bestimmt:
Zum einen haben wir einen sehr starken Zuzug von Familienangehörigen und den Anstieg der Geburten. Hier ist eine Zahl zu nennen. 1978 bis 1981 waren es 649 000 Personen. Das heißt, nach einer relativ konstanten Periode gibt es beim Familiennachzug einen deutlichen Anstieg. Dieser Anstieg hat sich inzwischen verlangsamt. Er betrug 1981 3,8 % gegenüber noch 7,4 % im Jahre 1980.
Das zweite Element ist die Entwicklung der Asylbewerberzahlen. Hier gibt es in der Tat - Herr Kollege Dregger, wir haben oft darüber diskutiert - einen dramatischen Anstieg im Jahre 1980; es waren etwa 108 000 Asylbewerber. Der große Anteil von ihnen war Türken, die auf unseren Arbeitsmarkt kommen wollten. Diese Bundesregierung - die Sie angreifen - hat im Bereich der Asylpolitik Maßnahmen getroffen mit der Folge, daß die Zahl der Asylbewerber im Jahre 1981 um 55 % zurückgegangen ist. Herr Kollege Dregger, Sie müssen anerkennen, daß die Maßnahmen, die wir getroffen haben, dazu geführt haben, daß die Zahl der Asylbewerber um 55% zurückgegangen ist. Dabei handelt es sich bei den Asylbewerbern des Jahres 1981 zu einem Drittel um Flüchtlinge aus Osteuropa. Die will keiner von uns zurückschicken. Das muß man nüchtern und ehrlich sagen, wenn man über das Problem der AsylbewerBundesminister Baum
ber spricht. Man muß genauso hinzufügen, daß weitere 6 % aus Afghanistan kommen, ein Land, dem wir nicht nur rhetorisch Hilfe geben sollten, sondern den Flüchtlingen aus Afghanistan sollte hier Asyl gewährt werden. Das ist meine politische Meinung.
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Es reduziert sich also das Problem der Asylbewerber auf Armutsflüchtlinge aus der Dritten Welt. Hier, Herr Kollege Dregger - ich komme gleich noch darauf zu sprechen -,
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gilt es natürlich, dem Mißbrauch entgegenzuwirken, aber doch bitte nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und mit dieser selbstgerechten Attitüde, wie das zum Teil in unserem Lande geschieht. Das sind doch Menschen, die aus bitterer Armut hier hinkommen, und die kommen doch nicht zum Vergnügen aus dem Sudan oder Sri Lanka,
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sondern sie kommen, weil sie kein menschenwürdiges Leben führen können. Natürlich können wir sie nicht aufnehmen, aber wir sollten doch wenigstens ihre Motive respektieren, meine Damen und Herren.
Die Ausländerquote in unserem Lande - darauf hat Herr Kollege Hölscher schon hingewiesen - beträgt jetzt 7,5 %. Vergleichbare westliche Industriestaaten haben höhere Ausländerqouten; die Schweiz hat 13,9 %, Belgien 9 % und Frankreich 7,7 %.
Wir sollten auch nicht verkennen - auch darauf ist schon hingewiesen worden -, daß 1,4 Millionen der Ausländer aus EG-Staaten kommen und aus Österreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten. Ich habe Ihre Eingruppierungsbemühungen hier aufmerksam nachvollzogen, Herr Dregger; da gibt es natürlich Unterschiede in der Integrationsfähigkeit. Ich glaube, um diese 1,4 Millionen Ausländer brauchen wir uns nicht so intensiv zu kümmern, obwohl es da auch Probleme gibt, die zu lösen sind.
Mit Recht wurde im Laufe der Debatte immer wieder auf den Anteil der Türken hingewiesen. Mit 1,5 Millionen Menschen stellen die Türken den größten Anteil an der ausländischen Bevölkerung. Bei den unter 16jährigen Ausländern betrug ihr Anteil im September 1980 bereits 47,6 %. Das ist ein schwieriges Problem.
Es besteht, meine ich, Einigkeit in diesem Hause, daß wir Verantwortung tragen für die ausländischen Mitbürger, die in diesem Lande leben. Beide Entschließungsanträge betonen dies. Ich meine, daß wir uns dieser Verantwortung auch in beschäftigungspolitisch schweren Zeiten, wie Herr Urbaniak es gesagt hat, nicht entziehen können. Wir bekennen uns zu dieser Verantwortung aus der verpflichtenden Humanität unserer christlich-abendländischen Tradition und aus der besonderen Verpflichtung unserer jüngsten Vergangenheit. Wir werden nämlich daran gemessen, Herr Dregger, wie wir mit Minderheiten in unserem Lande umgehen, und wir bekennen uns zu Artikel 16 des Grundgesetzes. Die Bundesregierung wird Artikel 16, der aus den bitteren
Erfahrungen. der Nazi-Zeit heraus entstanden ist, nicht abändern.
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Wir gewähren jedem politisches Asyl, der es hier begehrt.
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Wir bekennen uns zu dieser Verantwortung gegenüber den ausländischen Mitbürgern auch ganz schlicht deshalb, weil wir die Arbeitnehmer j a schließlich um unseres Vorteils willen ins Land geholt haben. Sie sind j a nicht spontan gekommen, sondern wir haben sie von 1955 an in dieses Land geholt. Es geht also um die Solidarität mit Menschen, die einen wesentlichen Anteil am Aufbau unserer Volkswirtschaft und an der Sicherung unseres sozialen Systems haben. Auch wenn sie arbeitslos sind, haben wir ihnen gegenüber Verpflichtungen. Es ist richtig, was Max Frisch einmal über die Schweiz geschrieben hat:
Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf. Im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerläßlich.
Das gilt auch heute noch. Herr Dregger, ich bin mit Ihnen der Meinung: Wo es geht, sollte man im Ausland investieren. Aber deutsche Bergwerke lassen sich nicht exportieren und die Steuerkraft der Stadt Köln beruht nun einmal darauf, daß die Firma Ford in Köln produziert und nicht in Ankara.
Vor diesem Hintergrund ist die Ausländerpolitik der Bundesregierung darauf gerichtet, 1. die weitere Zuwanderung von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland wirksam zu begrenzen, 2. die wirtschaftliche und soziale Integration der seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden und arbeitenden Ausländer und ihr Aufenthaltsrecht zu sichern und 3. die Rückkehrbereitschaft der ausländischen Mitbürger zu stärken wo sie besteht.
Das Bundeskabinett hat diese drei Punkte gestern bestätigt. Die Bundesregierung steht damit in der Kontinuität ihrer bisherigen ausländerpolitischen Entscheidungen. Ich meine, daß diese Kabinettsentscheidung - wie auch schon frühere - Teil einer von Bund und Ländern gemeinsam zu tragenden Konzeption sein sollte; denn Ausländerpolitik erfordert die Verantwortung aller staatlichen Ebenen.
Die Aufnahme von Ausländern zu einem längerfristigen Aufenthalt ist eine Politik, die einer Langzeitperspektive bedarf. Wir müssen uns hier einmal damit auseinandersetzen: Was sind wir eigentlich unseren ausländischen Mitbürgern schuldig? In welcher Lage befinden sie sich eigentlich in unserem Land?
Ich meine zunächst, daß wir ihnen ganz konsequent die Möglichkeit zur Integration geben müssen. Dieser Begriff wird oft gebraucht. Ihm werden unterschiedliche Bedeutungen beigelegt. Integration muß aus meiner Sicht heißen: Schaffung der Voraussetzungen für die Gleichberechtigung der bei uns lebenden Ausländer in den Bereichen Wohnen,
Schule, Ausbildung und Beruf. Frau Funcke hat gesagt: „Freisein von Diskriminierung und Eingliederung in die Gesellschaft und in das Berufsleben im Respekt vor der nationalen, kulturellen und religiösen Eigenart der Ausländer". Dem stimme ich zu.
Dies setzt voraus, daß wir auf die Ausländer zugehen. Es setzt aber auch voraus, daß die Ausländer auf uns zugehen. Wir müssen es den Ausländern erleichtern, in unserer Gesellschaft zu leben. Die Ausländer sollten ihrerseits alles tun, um in unserer Gesellschaft leben zu können. Dazu gehört das Erlernen unserer Sprache, ohne die es keine gleichberechtigten sozialen Chancen gibt. Das Sichabkapseln, das hier schon kritisiert worden ist, läuft den Integrationsbemühungen entgegen.
Ich will ein Beispiel nennen. Die integrationsfeindliche Erziehung in den türkischen Koranschulen, meine Damen und Herren, findet nicht unsere Zustimmung.
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Ich verteidige die Religionsfreiheit auch der Türken. Aber ich möchte, daß die jungen türkischen Mitbürger nicht gegen unsere Gesellschaft erzogen werden, daß nicht zusätzliche Hürden aufgebaut werden, sondern daß diesen Menschen das Leben in dieser Gesellschaft leichter gemacht wird;
({14}) aber das tun die Koranschulen nicht.
Voraussetzung für die Integration - Herr Kollege Dregger, da stimme ich mit Ihnen überein - ist die Begrenzung des Zuzugs. Wenn wir einen ungehemmten Zuzug zulassen, werden wir nicht in der Lage sein, das Integrationsziel auch nur annähernd zu erreichen. Wenn wir den Zuzug begrenzen, handeln wir also auch im Interesse der hier lebenden Ausländer.
Wir können auch nicht daran vorbeigehen, daß ein überdurchschnittlich großer Teil der Ausländer arbeitslos ist. Wir müssen den Ausländern sagen, daß wir an der Grenze unserer Aufnahme- und Integrationskapazität angelangt sind, daß ein weiterer Zuzug, insbesondere durch unbegrenzten Familiennachzug, zu Lasten der Integration derjenigen geht, die hier sind.
Nun haben Sie sich, Herr Kollege Dregger, sehr eingehend mit den Verhandlungen zwischen der Bundesregierung, der EG und der Türkei in bezug auf die endgültige Regelung der Freizügigkeit befaßt. Das hat mich etwas verwundert. Sie haben hier Forderungen auch in Form eines Vorwurfs an die Bundesregierung aufgestellt, die nicht gerechtfertigt sind. Die Bundesregierung hat gestern noch einmal beschlossen: Die Bundesregierung will in den Verhandlungen zwischen der EG und der Türkei über die endgültige Regelung der Freizügigkeit im Rahmen der bestehenden Assoziation der Türkei an die EG eine Regelung erreichen, die den weiteren Zuzug von Arbeitnehmern aus der Türkei ausschließt. Dies ist eine Position, Herr Dregger, die wir seit längerem einnehmen
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und die auch im Sinne des Ziels liegt, den Zuzug im Interesse der Integration der hier lebenden Ausländer zu begrenzen.
Im übrigen stehe ich dazu, Herr Kollege Dregger, daß wir der Türkei - Sie sind offenbar auch der Meinung - geholfen haben. Wir stehen an der Spitze aller Gläubigerländer der Türkei; wir haben sehr intensiv Wirtschaftshilfe geleistet. Aber das schließt doch nicht aus - diesen Seitenhieb, Herr Kollege Dregger, hätten Sie sich sparen können -, daß wir auch versucht haben, den Polen zu helfen; die Bundesregierung wird dies nicht in Frage stellen lassen. Wir haben alles versucht, auch durch Kredite der deutschen Banken, um den Polen zu helfen. Das war unsere Pflicht, meine Damen und Herren, und dazu stehen wir.
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Wir müssen den Anwerbestopp - dies ist hier schon mehrfach gesagt worden - uneingeschränkt beibehalten. Wir müssen auch die illegale Arbeitsaufnahme bekämpfen; dies ist eine Aufgabe vor allem der Länder.
Wir, die Bundesregierung, setzen uns auch für eine sozial verantwortbare Steuerung des Familiennachzugs ein. Hierzu hat das Bundeskabinett am 2. Dezember des vergangenen Jahres Empfehlungen beschlossen, Empfehlungen, die auch die Zustimmung der Länder gefunden haben - im wesentlichen jedenfalls. Zu diesen Maßnahmen gehört der Ausschluß des Familiennachzugs für 16- und 17jährige ausländische Jugendliche. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß dies Kritik gefunden hat. Aber die Einreise dieser Jugendlichen, die also erst mit 16 oder 17 Jahren in unser Land gekommen sind, hat große Probleme verursacht. Sie kamen ohne Deutschkenntnisse und ohne eine ausreichende berufliche Ausbildung. Sie hatten angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktlage nur eine geringe Ausbildungs- und Arbeitsplatzchance. Wir wollen nicht, daß der Nachzug von Heranwachsenden im Alter von 16 Jahren und darüber unter dem Etikett Familienzusammenführung nur deshalb stattfindet, um den Anwerbestopp zu umgehen. Diese 16- bis 17jährigen, meine Damen und Herren, sind beim besten Willen nicht integrationsfähig; wir tun ihnen keinen Gefallen. Jemand, der in diesem Alter in unsere Gesellschaft kommt, hat keine gleichen beruflichen und anderen Chancen. WE läuft Gefahr, zu einem Subproletariat zu werden. Wir haben die Verpflichtung, den türkischen und den anderen Eltern zu sagen: Holt eure Kinder früher und gebt ihnen damit eine Chance in unserer Gesellschaft! Mit 16 und 17 Jahren ist es zu spät!
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Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür setzen, daß die Kinder in einem noch integrationsfähigen Alter einreisen, so daß also realistische IntegraBundesminister Baum
tionsvoraussetzungen gegeben sind. Hier waren wir - mit Ausnahme von Berlin - zwischen Bund und Ländern einig. Meine Damen und Herren, eine Ausweisungsdrohung für Jugendliche, die an den persönlichen Tatbestand der Arbeitslosigkeit anknüpft, eine Regelung, wie sie nur in Berlin und in sonst keinem anderen Bundesland eingeführt worden ist, das ist nicht unsere Politik. Ein Jugendlicher, der vorher legal ins Land gekommen ist und der dann mit 18 Jahren nur deshalb ausgewiesen wird, weil er keine Arbeit hat, wird ungerecht, inhuman behandelt. Deshalb haben wir uns der Regelung von Berlin nicht angeschlossen.
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65 % aller Ausländer leben bereits länger hier, als sie ursprünglich beabsichtigt haben. Wir müssen ihnen daher auch sagen, daß ihre Vorstellung, nach kurzer Zeit in die Heimatländer zurückzukehren, eben vielfach eine Selbsttäuschung war.
Die Feststellung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland, wurde bis vor kurzem laut und häufig, in der letzten Zeit - Herr Kollege Hölscher hat schon darauf hingewiesen - nur noch leise und gelegentlich geäußert. Die Frage nach dem Einwanderungsland kann nicht bündig mit einem Ja oder mit einem Nein beantwortet werden; denn der Begriff Einwanderungsland ist mehrdeutig. Klassische Einwanderungsländer wie die Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien betrieben und betreiben ihre Aufnahmepolitik eben nicht nur unter dem Aspekt der Deckung des Arbeitnehmerbedarfs. Aufnahmepolitik ist für sie vielmehr auch ein Instrument zur Bevölkerungsvermehrung in relativ leeren Räumen. Diese Verhältnisse sind auf unser Land sicher nicht übertragbar. Anders als die klassischen Einwanderungsländer haben wir ebenso wie die Betroffenen selbst nicht von vornherein daran gedacht, daß die gerufenen Arbeitnehmer auf Dauer bei uns bleiben würden. Meine Damen und Herren, darüber müssen wir uns doch im klaren sein. Wir haben gedacht, es sind Gastarbeiter, die nach einer überschaubaren Zeit dieses Land wieder verlassen.
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Dies ist eben nicht mehr der Fall, und auf diese neue Situation müssen wir uns einstellen, Herr Kollege Spranger.
Wir haben die Aufenthaltserlaubnis in der Vergangenheit verfestigt. Wir haben für den Familiennachzug Regelungen getroffen.
Wir sind im übrigen auch aus Gründen der inneren Sicherheit, Herr Kollege Spranger, der Meinung, daß es besser ist, keine Rotation zu haben. Kriminalität und Extremismus gedeihen dort weniger, wo sich die Menschen auf eine lang dauernde Periode des Aufenthalts einrichten und wo sie in unserer Gesellschaft Chancen haben. Auch unter dem Gesichtspunkt der inneren Sicherheit ist es nicht gut, immer wieder neue Ausländer hereinzuholen und hinauszuschicken.
Zwei Drittel der Türken, meine Kollegen, wohnen heute länger als fünf Jahre bei uns - zwei Drittel
der Türken länger als fünf Jahre! - und 30 % sogar schon länger als zehn Jahre. Hier ist also die ursprüngliche Lebensplanung von der Wirklichkeit überholt worden. Das haben sie sich wohl selber nicht vorgestellt. Wir müssen uns fragen, ob wir diese Menschen noch als Gastarbeiter bezeichnen können. Meinungsumfragen unter den ausländischen Arbeitnehmern ergeben, daß die Vorstellung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren, zwar mit steigender Verweildauer abnimmt, insgesamt aber bei einem relativ hohen Anteil erhalten bleibt. Sie wollen also irgendwann zurückgehen. Ich habe Zweifel, ob alle, die das sagen, das eines Tages auch tun werden. Fast alle wünschen nämlich eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Bereits ein Drittel der rund 2,6 Millionen Nicht-EG-Ausländer hat diese unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Wir müssen den ausländischen Mitbürgern daher sagen, daß sie, nachdem sie vielfach schon lange hier sind, jetzt die Grundlage für ihre Lebensplanung legen müssen. Mit anderen Worten: Sie müssen sich entscheiden - in ihrem eigenen Interesse, aber auch aus der Verantwortung für ihre Kinder heraus.
Meine Damen und Herren, wir sind kein Einwanderungsland in dem Sinne, daß wir eine gezielte Werbung für eine Daueransiedlung betrieben haben oder daß wir die weitere Neuaufnahme von Arbeitswilligen anstreben. Wir sind für eine Begrenzung des Zuzugs. Andererseits dürfen wir uns nicht der Erkenntnis verschließen, daß wir für einen Teil der in der Vergangenheit aufgenommenen, im Lande befindlichen Arbeitnehmer faktisch zum Einwanderungsland geworden sind. Jetzt geht es nur darum, welche Konsequenzen wir daraus ziehen und welche Konsequenzen die Betroffenen selber daraus ziehen. In diesem Umbruchprozeß, in dieser Phase befinden wir uns jetzt, und zwar beide Seiten.
Ich habe Bedenken, ob es möglich ist, Menschen auf Dauer gleichzeitig in zwei Kulturen, in zwei Gesellschaften leben und aufwachsen zu lassen. Dies mag für die erste Generation noch angehen. Für die zweite und die folgenden Generationen, die hier geboren und aufgewachsen sind, sehe ich erhebliche Schwierigkeiten.
Aus diesem Grunde haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Erleichterung der Einbürgerung für diese Ausländergruppe vorsieht, nämlich für die Jugendlichen. Die Behandlung dieses Antrages im Plenum des Bundesrates ist für den 12. Februar vorgesehen. Herr Kollege Herzog, ich wäre dankbar, wenn sich der Bundesrat, insbesondere die CDU/CSU-regierten Länder, intensiv mit Ziel und Sinn unseres Vorschlags befassen könnten, nämlich jungen Menschen, die hier eine lange Zeit gelebt haben, die Einbürgerung zu erleichtern.
Vielleicht ist es Ihnen von Nutzen, Herr Kollege Herzog, daß sich die Sozialausschüsse der Union gestern hier in Bonn positiv zu diesem Vorschlag geäußert haben. Ich begrüße das, was Alfons Müller, unser Kollege hier in Bonn, gesagt hat. Die Stellungnahme der CDA ist überhaupt bemerkenswert. Dort wird mehr Toleranz und eine intensive Integration gefordert. Herr Kollege Dregger, ich stimme dem
ausdrücklich zu. Vielleicht sollten Sie sich mit diesem Papier auch einmal befassen.
Wir wollen diese erleichterte Einbürgerungsmöglichkeit, weil es sich die Bundesrepublik nicht leisten kann, mehrere Millionen Menschen der nachgezogenen oder hier geborenen Generation auf Dauer außerhalb der staatsbürgerlichen Gemeinschaft stehenzulassen. Wir müssen diese Einbürgerungsangebote auch attraktiv machen, damit sie nicht auf dem Papier stehenbleiben.
Der Integration dient auch die für dieses Jahr geplante Novellierung des Ausländergesetzes. Im Rahmen dieser Novellierung werden vor allem unbestimmte Rechtsbegriffe, wie „Belange der Bundesrepublik Deutschland", konkretisiert werden, und es werden Kriterien für die Ermessensausübung der ausführenden Behörden im Gesetz festgelegt. Damit soll der aufenthaltsrechtliche Status für bestimmte Ausländergruppen gesetzlich differenziert, präzisiert und verfestigt werden. Das künftige Schweizer Ausländergesetz ist dafür ein geeignetes Vorbild. Auch die Grenzen des Familiennachzugs sollen gesetzlich fixiert werden. Es geht darum, das Maß der Vorhersehbarkeit für die Betroffenen zu vergrößern und den Ausländern eine Zukunftsplanung zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang ist auch eine Neuregelung der Abschiebungstatbestände in Betracht gezogen worden, wobei Verschärfungen nicht ausgeschlossen werden dürfen. Dies gilt insbesondere in Fällen des politischen Extremismus, des Rauschgifthandels und sonstiger schwerster Straftaten. Ich meine, daß die Diskussion über die Ausländerpolitik in einer ganzen Reihe von Fällen in unserem Lande mit zuviel Emotion, Polemik und auch Aggressivität geführt wird. Wir sollten uns bei diesem Thema eine besondere Zurückhaltung auferlegen. Sonst ist nämlich sehr schnell der Zustand erreicht, wo Haß zu lodern beginnt.
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Es gibt eine Verantwortung aller politischen Parteien.
Ich will Ihnen ein Beispiel für das nennen, was ich soeben gesagt habe. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist vor einigen Tagen ausgeführt worden, das Asylgrundrecht verstoße selbst gegen die Verfassung. Der Verfasser des Artikels scheute nicht einmal davor zurück, es als einen Skandal zu bezeichnen, daß auch ausländische Straftäter, die Asylbewerber sind, Rechte haben. Das habe ich nämlich öffentlich gesagt. Ich habe es gesagt, weil es der Verfassung und der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland entspricht.
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Auch Asylbewerber, die Straftäter sind, haben in unserem Land Rechte. Der Verfasser verunglimpft nur scheinbar den Liberalismus, in Wahrheit aber unsere Verfassung, als „Komplizen des Todes und des Verbrechens", wie er sich ausdrückt. Ich vermag eine solche unmenschliche und damit nicht ungefährliche Polemik nicht zu teilen. Ich sage es noch einmal - wir sollten alle den Mut haben, das zu sagen, Herr
Kollege Dregger -, das Asylgrundrecht gilt grundsätzlich auch für straffällig gewordene Ausländer. Ihre Abschiebung in einen Staat, in dem sie politischer Verfolgung preisgegeben würden, beispielsweise der Todesstrafe, um einmal die härteste Drohung zu nennen, kann nach der Rechtsprechung unserer Gerichte immer nur als letztes Mittel dann in Betracht kommen, wenn der Straftäter eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeutet oder eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt. Hier werden wir uns auch grundsätzlich nicht scheuen, von dem Mittel der Abschiebung Gebrauch zu machen.
Über diese Voraussetzungen wird nicht in einem Artikel, wie er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" polemisch verfaßt worden ist, sondern im Einzelfall entschieden.
Der Berliner Innensenator hat für die in dem „FAZ"-Bericht angesprochenen Fälle von Rauschgiftkriminalität trotz Aufforderung leider derartige Umstände, die die Abschiebung nach unserer Rechtslage rechtfertigen können, bisher nicht dargelegt.
Ein Wort zum Asylverfahren. Die Bundesregierung hat gestern festgestellt, daß sie erwartet, daß Bundesrat und Bundestag die Beratungen über die Novelle zum Asylverfahren unverzüglich zum Abschluß bringen. Wir sind also daran interessiert, daß diese Beratungen unverzüglich zum Abschluß gebracht werden. Wir sind also daran interessiert, daß sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Bundesrat so schnell wie möglich über diese schwierige Materie einigen. Denn wir sind daran interessiert, daß das Verfahren beschleunigt wird und daß man schneller als bisher feststellen kann, wann, in welchen Fällen das Asylgrundrecht mißbraucht wird.
({22})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Gerne!
Herr Minister, könnten Sie so freundlich sein, uns alle darüber aufzuklären, aus welchem Grunde Sie eine Aufforderung an den Bundesrat gerichtet haben, der seine Auffassung ja bereits im vorigen Jahr dargelegt und Anfang dieses Jahres hier vorgetragen hat, und weshalb in den Ausschüssen seitdem nichts läuft?
Herr Kollege Erhard, es ist richtig, daß der Bundesrat seine Vorschläge gemacht hat. Er hat sie sehr viel früher als der Bundestag gemacht.
({0})
- Natürlich gibt es einen Vorschlag im Innenausschuß, der Ihnen im Rechtsausschuß auch bekannt ist. Es kommt jetzt aber doch darauf an, daß man sich von teilweise sehr unterschiedlichen Positionen
aufeinander zubewegt. Das wollen wir bewirken. Dazu möchten wir auch unsere Hilfe geben, die Hilfe der Bundesregierung, der zuständigen Ressorts, des Justizressorts und meines Ressorts, damit diese Verfahrensnovelle so schnell wie möglich in Kraft treten kann. Das Ergebnis, Herr Kollege Erhard, wird doch dann nicht eine Lösung sein, die 100%ig dem Bundesratsvorschlag entspricht - wir haben z. B. Bedenken, was die Verlagerung der Kompetenzen auf die Ausländerbehörden angeht -, und nicht eine Lösung, die 100%ig den Vorstellungen des Deutschen Bundestages entspricht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Herr Bundesminister, könnten Sie uns, wenn Sie schon eine Übereinstimmung suchen, vielleicht auch noch erklären, warum die Beratungen über eine Übereinstimmung ausschließlich im Bereich der Koalition und nicht mit der CDU/CSU geführt werden?
Herr Kollege Erhard, mir ist bekannt, daß es hier im Hause Kontakte zwischen den beiden Gruppierungen gibt; und es gibt einen sehr intensiven Kontakt, nämlich einen Antrag aller Länder, also der SPD/ FDP-regierten Länder einerseits und der von CDU bzw. CSU regierten Länder andererseits. Es gibt also Kontakte; sonst wäre es zu einem solchen Entwurf nicht gekommen. Allerdings gibt es hier im Hause Bedenken gegen diesen Entwurf. Deshalb muß man darüber jetzt reden. Wir erwarten, daß dies möglichst bald geschieht. Dieser Erwartung gebe ich hier Ausdruck.
Es geht aber nicht nur um das Recht, um die verfahrensrechtlichen Regelungen. Es geht auch um eine Beschleunigung der Arbeit in den Gerichtskanzleien. Es geht um eine Beschleunigung der Übermittlung der Anträge. Für meinen Verantwortungsbereich möchte ich sagen, daß die Zeit für die Bearbeitung der Asylanträge im Durchschnitt nur sechs Monate beträgt. Im Bereich der Ausländerbehörde in Zirndorf beträgt die Bearbeitungszeit im Durchschnitt nur noch sechs Monate. Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeitern dieses Amtes ausdrücklich dafür danken, daß sie so effektiv arbeiten.
({0})
- Die Gerichtsverfahren dauern leider sehr viel länger. Das ist ja Gegenstand unserer gemeinsamen Sorgen, die hier zum Ausdruck kommen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Asylbewerberstrom gebremst worden ist. Wir haben einen Rückgang von 108 000 im Jahre 1980 auf 49 391 im Jahre 1981, also einen Rückgang um fast 55 % zu verzeichnen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß in diesen Zahlen des Jahres 1981 30 % Flüchtlinge aus den Staaten Osteuropas und noch einmal 6 % aus Afghanistan enthalten sind. Wenn wir die Zahl 49 000 vor Augen haben, müssen wir
bitte auch berücksichtigen, daß unser Nachbarland Österreich im letzten Jahr allein 30 000 polnische Flüchtlinge aufgenommen hat. Man sollte also unsere Belastung immer auch zur Belastung anderer Länder in Relation setzen.
Sehr wichtig ist der Rückgang der Zahl der Asylbewerber aus der Türkei und aus Bangladesch um fast 90 % von 1980 auf 1981. Damit ist die ständige Aufwärtsentwicklung der Asylbewerberzahlen erstmals unterbrochen worden.
Nach alledem, Herr Kollege Dregger, weise ich den Vorwurf der Untätigkeit und der Unentschlossenheit der Bundesregierung zurück.
({1})
Wir sollten uns, statt uns Vorwürfe zu machen, zunächst einmal auf Gemeinsamkeiten besinnen.
({2})
Ich meine, wenn man die bisherige Praxis der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sieht, überwiegen die Gemeinsamkeiten. Es gibt sie auch in den beiden Entschließungsanträgen, die dem Hause vorliegen.
Wir sind uns einig, daß die Aufnahmekapazität erreicht ist und die künftige Entwicklung sowohl durch Integrationsmaßnahmen als auch durch eine Begrenzung des Zuzugs bestimmt sein muß, wir sind uns einig, daß wir der sozialen Isolation der hier lebenden Ausländer entgegenwirken müssen, und wir sind uns einig, daß wir die Rückkehrbereitschaft derjenigen, die zurückkehren wollen, stärken müssen.
In Einzelpunkten gibt es Unterschiede. Die Punkte, in denen wir uns von der Opposition unterscheiden, sind folgende: Wir sind nicht der Meinung der Opposition, daß die geltenden Einbürgerungsregelungen ausreichen. Wir wollen, daß der zweiten und der dritten Ausländergeneration die Möglichkeit der Einbürgerung erleichtert wird.
Wir sind nicht der Meinung, daß die Zusammenführung von Familien in erster Linie durch die Förderung der Rückkehr in die Heimat bewirkt werden sollte, Herr Kollege Dregger. Dies würde den Ausländer vor die Wahl stellen, entweder hierzubleiben und seine engste Familie auseinanderzureißen oder nach Hause zurückzukehren.
({3})
- Nein, in der Heimat ist es sicher nicht schön, wenn es dort wie in der Türkei 5 Millionen Arbeitslose gibt, Herr Kollege Dregger.
({4})
Und wenn Sie den Arbeitnehmer nach zehn Jahren Aufenthalt hier vor die Frage stellen, entweder Familie oder Arbeit, dann ist das schlicht unmenschlich, sage ich Ihnen.
({5})
Die Deutsche Bischofskonferenz hat durch ihren Ausländerreferenten, Bischof Wittier, in der Frage der Koppelung von Rückkehr und Familienzusammenführung vor Eingriffen in grundlegende Rechte der Familie gewarnt, und die Deutsche Bischofskonferenz, meine Damen und Herren, hat recht; denn sie kann sich auch auf Art. 6 unserer Verfassung beziehen: Schutz von Ehe und Familie. Dies gilt nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen, die im Geltungsbereich unseres Grundgesetzes leben, und das sollte wohl Maßstab für eine christliche Partei sein.
({6})
Wir stehen in dieser Debatte, in der wir unseren Bürgern unsere Position verdeutlichen wollen, in einer besonderen öffentlichen Verantwortung. Die dargelegten Gemeinsamkeiten machen es uns leichter. Diese Debatte, meine ich, soll Vorurteile, Emotionen abbauen und nicht eine Stimmung, wie sie teilweise in unserem Lande vorhanden ist, anheizen. Es ist doch erstaunlich, daß Menschen, die mit Ausländern überhaupt nichts zu tun haben, die keinen einzigen Ausländer kennen, sich in eine solche Stimmung bringen lassen. Man kann Stimmungen auch machen, meine Damen und Herren; man kann sie hochreden. Man kann aber auch in gemeinsamer Verantwortung die Bürger zur Vernunft ermahnen und ihnen in Nüchternheit die Situation schildern.
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Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat, der äußerste Behutsamkeit verlangt. Die Ausländer-
und die Asylfrage dürfen nicht noch stärker zu einem Negativ-Thema in unserem Land werden.
Wir sehen mit Sorge, daß das Wort Asylant beinahe schon zu einem Schimpfwort verkommen ist. Das Ausländerthema darf nicht zu gegenseitigen Schuldzuweisungen in Wahlkampfmanier führen. Das tun schon andere, meine Damen und Herren. Ich habe hier eben eine Reihe von Flugblättern gelesen, beispielsweise der NPD. In diese Sprache der Unmenschen wollen wir doch nicht zurückfallen.
({8})
Wir werden nach zwölf Jahren Unrechtsherrschaft doch daran gemessen, wie wir mit Minderheiten umgehen und wie wir mit Menschen umgehen, die eine andere Religion haben und anders leben wollen, auch in unserem Lande, als wir.
Ich weiß, daß die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nicht ausländerfeindlich ist. Aber wir müssen sehen, daß es Überfremdungsängste in Teilen der Bevölkerung gibt. Wir müssen gemeinsam dazu beitragen, diese Ängste abzubauen. Wir müssen verhindern, daß solche Ängste zunehmend in Ausländerfeindlichkeit umschlagen - geschürt und genutzt von verantwortungslosen Agitatoren, die mit der Parole „Ausländer raus" agitieren.
Dazu gehört, daß wir die Bevölkerung über Tatsachen aufklären. Dazu gehört, daß wir uns einer menschlichen Sprache bedienen, nicht „Asylbetrüger" beispielsweise, nicht „Scheinasylanten", nicht „Wirtschaftsasylanten", nicht diese abschätzige Benutzung des Wortes „Asylant", meine Damen und
Herren. Die Deutsche Bischofskonferenz spricht von „Armutsflüchtlingen". Ich glaube, das ist zutreffender.
Wir werden auch weiterhin den Flüchtlingen in der Welt Hilfe leisten. Wir können sie hier nicht aufnehmen. Um so mehr werden wir uns bemühen, den Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bei seiner schweren Arbeit zu unterstützen. Wir verweisen auch auf die deutsche Initiative in der UNO, wo wir 1980 vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung neuer Flüchtlingsströme vorgeschlagen haben.
Wir werden die Probleme letztlich erst dann lösen können, meine Kollegen, wenn wir das unerträgliche Gefälle zwischen Industrieländern und der Dritten Welt abbauen, wenn wir also den Menschen dazu verhelfen, in ihren Heimatländern ein menschenwürdiges Leben zu führen. Eine Voraussetzung dafür ist sicherlich, daß die unsinnigen Ausgaben für Rüstung auf der Welt verringert werden.
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Eine weitere Voraussetzung ist aber, daß die Konflikte in der Dritten Welt abgebaut werden, die u. a. dadurch entstehen, daß Staaten von außen sich einmischen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Ausländerkriminalität sagen. Ich meine, wir sollten dieses Thema ernst nehmen, aber wir dürfen es nicht hochspielen. Die Zahlen zeigen, daß es natürlich extremistische Organisationen und Gruppierungen in unserem Lande gibt, Organisationen, die uns Sorge machen. Es gibt natürlich auch einen Anteil der Ausländer bei der allgemeinen Kriminalität. Aber eines müssen wir hier feststellen: Der übergroße Teil aller Ausländer in unserem Lande verhält sich nach Recht und Gesetz, ist genauso gesetzestreu wie unsere deutschen Mitbürger. Hier ein allgemeines Vorurteil aufzubauen wäre falsch.
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Dennoch, wir werden Ausländerextremismus und Ausländerkriminalität weiter nachdrücklich bekämpfen. Die Bundesrepublik Deutschland darf nicht zum Feld gewalttätiger politischer Auseinandersetzungen rivalisierender extremistischer Ausländergruppierungen werden.
Zum Schluß ein Wort zu der Verknüpfung von . Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. Diese bereitet mir in der Tat große Sorgen. Ich sage noch einmal: Unsere Vergangenheit verpflichtet uns hier zu besonderer Wachsamkeit. Was heute oftmals unbedachte geschmacklose Witze zu Lasten der Ausländer sind, meine Kollegen, kann morgen schon sehr viel mehr sein. Die Anschläge der Aktionsgruppe Röder auf Asylantenwohnheime, die Menschenleben gefordert haben, sind auch eine Realität in unserem Lande. In dem Prozeß, der jetzt in Stammheim durchgeführt wird, hat einer der Angeklagten eben eine ganze Reihe dieser Anschläge gestanden. Hier ist die Saat des bornierten, stupid-primitiven Hasses auf alles Andersartige und Fremde aufgegangen. Völkische Parolen, ob in Primitivform oder im pseudowissenschaftlichen Gewande, sind Zeichen eines Ungeistes, den wir überwunden zu haBundesminister Baum
ben glaubten. Das sogenannte Heidelberger Manifest, von Professoren unterschrieben, basiert auf diesem völkischen und rassistischen Gedankengut.
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„Wie soll das Ziel der Wiedervereinigung möglich bleiben, wenn sich die Teilgebiete ethnisch fremd werden?", heißt es da. - Ich möchte Sie im übrigen, Herr Kollege Dregger, bitten, den Teil Ihres Antrages noch einmal durchzulesen, der so ähnlich klingt; nicht gleichlautend ist, aber doch so ähnlich klingt. Eine Deutschtümelei dieser Art sollte Ihnen doch fremd sein.
Wo ist denn die „Überfremdung unserer Sprache und unserer Kultur und unseres Volkstums", wo sind denn „die ethnischen Katastrophen multikultureller Gesellschaften in diesem Lande", von denen das „Heidelberger Manifest" spricht? Wir kennen diese Sprache, und wir lehnen sie ab. Ausländerfeindlichkeit darf nicht zur Basis eines neuerwachenden Rechtsradikalismus werden.
Ich weiß, wir dürfen das Vermögen unserer Bürger zur Anpassung an fremde Sprachen und Gebräuche nicht überschätzen. Es ist einfacher, heute hier über Integration zu reden, als selber in einem Türkenviertel zu wohnen. Was wir aber erwarten können und müssen, ist Toleranz. Jeder Ausländer hat Anspruch auf Toleranz, auch und gerade wenn er den kulturellen Traditionen seiner Herkunft treu bleiben will, ebenso wie seine Freiheit zum religiösen Bekenntnis verfassungskräftig garantiert ist. Ich weiß, daß der ganz überwiegende Teil unserer Bevölkerung diese Toleranz nicht nur besitzt, sondern daß er diese Toleranz auch praktiziert. Tragen wir dazu bei, daß es dabei bleibt!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin eigentlich recht froh, daß ich nach der Rede des Kollegen Dregger hier an das Pult kommen kann, weil ich mich dann endlich geläutert und problembewußt dem Thema nähern kann:
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denn einige Fragen, die Sie hier aufgeworfen haben, sind es sicherlich wert, aufgegriffen zu werden.
Zunächst einmal aber eine allgemeine Bemerkung. Sie haben der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, daß sie in dieser Frage über lange Zeit untätig gewesen sei. Nun war ich außerordentlich gespannt, aus Ihrer Rede zu hören, was Sie denn eigentlich vorschlagen. Ich muß sagen: Ich habe dabei davon nichts gemerkt.
Sie haben z. B. gesagt, daß deutschsprachige Ausländer bei uns besser zu integrieren seien als andere. Dazu muß ich sagen: Darauf wären wir von selber wahrscheinlich nie gekommen!
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Sie haben weiter gesagt, es sei besser, die Maschinen zu den Menschen zu bringen statt die Menschen zu den Maschinen. Das ist ein sehr schönes Schlagwort. Allerdings ist seine politische Umsetzung ein bißchen schwieriger, als man es hier sagen kann. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, daß es einigermaßen schwierig ist, etwa die deutschen Kohlenflöze in die Türkei zu transportieren, um sie dort abbauen zu lassen. Das Problem hat also etwas mehr Facetten, als Sie es mit diesen Schlagworten ausdrückten.
Sie haben beispielsweise auch gesagt, Sie hielten die Rotation für vernünftig. Nun muß ich aber einmal in allem Ernst fragen: Wen wollen Sie denn auf die Walz schicken? Wer soll denn heute rotieren? Diejenigen, die seit zehn oder zwölf Jahren hier sind? Diejenigen, die hier geboren oder hier aufgewachsen sind? Wer ist es denn, der in die Rotation hineingenommen werden soll?
Sie haben auf die Schweiz hingewiesen. Ich darf Sie, verehrter Herr Dregger, darauf aufmerksam machen, daß es ein bißchen problematisch ist, die Schweiz als Vorbild zu nehmen; denn die Schweiz hat einen Ausländeranteil von 14 %, während dieser Anteil bei uns bei 7 % liegt.
Ich will hier noch einmal auf einen Gesichtspunkt eingehen, der eben schon eine Rolle spielte, der mir wichtig genug erscheint, daß man ihn hier noch einmal aufgreift, die Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Fremdenhaß. Das ist bekanntlich eine Erscheinung, die alle Gesellschaften zu allen Zeiten irgendwann einmal berührt hat, für die sie in der Geschichte anfällig waren. Der Glaube, daß etwa naturrechtliche Überzeugungen oder humanistische oder aufklärerische Philosophien daran grundsätzlich etwas ändern könnten, war wohl irrig. Wir erleben auch in der Gegenwart - nicht so sehr bei uns, aber insgesamt auf der Welt - viele Beispiele von Fremdenverfolgung, von Fremdenhaß, sogar von Zerstörung Andersgläubiger oder Andersdenkender, jedenfalls solcher, die einem nicht passen.
Die Vorstellung und der großartige Gedanke, der in der Geschichte eine Rolle gespielt hat, Menschen seien eben Menschen und grundsätzlich gleich, und zwar nicht nur vor Gott, sondern auch in ihrer personalen Würde, hat noch keine volle Entsprechung in unserer Wirklichkeit gefunden.
Was unsere Politik betrifft, so kann sie natürlich die eine oder andere Seite fördern. Sie kann sich entschließen, der einen oder der anderen Seite mehr Unterstützung zu geben. Politik ist also in der Tat gefragt; das bestreitet niemand.
Professor Korte hat vor einiger Zeit in einem Vortrag über die Ausländerpolitik gesagt, die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung sei nicht grundsätzlich fremdenfeindlich. Man sei allerdings beunruhigt und besorgt - Deutsche und Ausländer gleichermaßen - über eine Reihe von Problemen und Schwierigkeiten. Diese Probleme und Schwierigkeiten haben in den vergangenen Jahren sicherlich nicht abgenommen. Die psychologische Situation hat sich seither weiter zugespitzt, obwohl sich die Zahl der Ausländer innerhalb des vergangenen Jahrzehnts nicht so entscheidend verändert hat, daß
Brandt ({2})
allein daraus eine Erklärung herzuleiten wäre. Immerhin hatten wir 1973 schon 4,2 Millionen Ausländer bei uns.
Korte fährt übrigens fort:
Bleiben aber in einer solchen Situation politische Lösungen aus, wird es zu gegenseitiger Aversion und Aggression in breiten Schichten der Bevölkerung kommen. Der Grund ist dann aber nicht in einem schlichten Nationalcharakter, sondern im Versagen der Politiker zu suchen.
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- Herr Spranger, Sie sind auch einer. ({4})
- Ich habe das etwas allgemeiner gemeint.
Obwohl schon, Herr Fellner, ein bißchen abgehärtet und daran gewöhnt, daß alles Ungemach der Welt gewöhnlich den Politikern übergeschüttet wird - einmal den einen, einmal den anderen; Sie sind davon auch nicht ausgenommen -, möchte ich mich dennoch dazu bekennen, daß natürlich die Politik gefragt ist, d. h. Bund, Länder und Kommunen einschließlich der Gruppen: Kirchen, Gewerkschaften, alle diejenigen, die übrigens auch fleißig mitgeholfen, oft sogar veranlaßt haben, Ausländer in das Land zu holen, nämlich die industriellen Arbeitgeber; sie tun so, als ginge sie das, was hier geschieht, alles nichts an.
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Die einseitige Zuweisung der Verantwortlichkeit an die Bundesregierung geht also ein bißchen an den Tatsachen vorbei und ist nicht geeignet, die Aufgabe zu lösen, die uns insgesamt gestellt ist.
Wenn wir diese Verantwortlichkeit der Politik, der Gesellschaft insgesamt als Verpflichtung anerkennen, können wir es uns nicht leisten, uns über diese Frage etwa heillos zu zerstreiten. Der Erfolg der Politik gegenüber den Ausländern und mit den Ausländern bei uns in Deutschland hängt auch von der Geschlossenheit und der Formulierung der Politik ab, von ihrer Konsistenz, d. h. auch der Schlüssigkeit in sich und der Beharrlichkeit, mit der sie verfolgt wird. Die Ziele unseres Antrags vom Dezember des vergangenen Jahres und ihres Antrags vom Januar dieses Jahres liegen jedenfalls nicht so weit auseinander, als daß sich daraus nicht eine gemeinsame Politik formulieren ließe.
Der Wille zur Formulierung einer gemeinsamen Politik sollte deshalb auch schon diese Debatte mit beherrschen. Aber gerade deshalb bedarf es wohl einiger Grundentscheidungen.
In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich die Gesamtzahl der Ausländer bei uns um etwa eine halbe Million vergrößert. Aber die Struktur hat sich sehr stark verändert, d. h., die ausländische Erwerbsbevölkerung ist ständig zurückgegangen, während das, was man mitunter auch als Mantelbevölkerung bezeichnet, also die Familienangehörigen, zugenommen hat. Allein daraus können wir, glaube ich, ein
deutliches Zeichen dafür ablesen, daß sich ein großer Teil der Ausländer darauf eingerichtet hat, auf längere Zeit bei uns zu bleiben, wenn nicht gar für immer. Das ist eine der Voraussetzungen, mit denen wir zu rechnen haben.
Der Anwerbestopp von Anfang der 70er Jahre hatte schon eine Wirkung, und zwar die erwünschte. Er muß auch - darauf ist schon hingewiesen worden - beibehalten werden. Er darf auch nicht durch partielle Durchlöcherungen in Frage gestellt werden. Das ist die eine Seite, über die wir uns einig sein sollten.
Wir sollten uns auch über etwas anderes einig sein: daß wir uns nicht selber in die Gefahr begeben, das sicherlich schwierige Asylproblem mit der allgemeinen Ausländerfrage zu vermengen, über die wir heute insbesondere zu reden haben.
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Ich verkenne die Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Asylgewährung nicht. Aber manchmal wird über Asyl vordergründig diskutiert, und gemeint ist tatsächlich das gesamte Ausländerproblem. Ich bin deshalb auch nicht so sehr glücklich darüber, daß der Bundesminister des Innern in seiner Rede gerade der Asylproblematik einen so breiten Raum eingeräumt hat. Meine Bitte ist, hier nicht eine Asyldebatte aufkommen zu lassen. Damit würden wir einige Probleme verdecken, über die wir noch reden müssen. Wären wir uns über diese beiden Punkte einig, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
Dann müßten wir uns auf die Frage konzentrieren, welches Konzept denn nun tragfähig ist. Wir meinen, daß das einzige tragfähige Konzept, auf das man sich politisch einigen muß, das der Integration ist, das durchgeführt und umgesetzt werden muß in Handlungskonzepte.
Nun gibt es über den Begriff der Integration einige Irritationen. Was ist damit eigentlich gemeint? In der Tat ist nicht zu bestreiten, daß verschiedene Menschen, die es gebrauchen, darunter Unterschiedliches verstehen. Ich bin deshalb in der Pflicht, zu sagen, wie wir diesen Begriff verstehen, wie wir diesen Begriff in unserem Antrag verstanden wissen wollen. Wir verstehen unter Integration, daß Ausländer bei uns unter dem Dach des Staates aufgenommen und daß sie als Gleichberechtigte in das rechtliche und soziale System dieses Staates eingegliedert werden.
Meine Damen und Herren, es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, sich in diesem Zusammenhang nun über Einbürgerungsfragen zu streiten. Wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, Einbürgerung dürfe nicht Mittel zur Integration oder Assimilation sein, sondern nur deren Ergebnis, so ist das ein Satz, der nicht allzuviel besagt;
({7}) denn es wird immer so sein,
({8})
daß Einbürgerung von formalisierten Kriterien abhängig gemacht wird, von Zeitabläufen, von Beherrschung der Sprache, von der Vertrautheit mit den
Brandt ({9})
Lebensverhältnissen. Ich denke, daß Einbürgerung am Ende eines bestimmten Prozesses steht, aber auch Mittel innerhalb eines längeren Prozesses sein kann, immer aber von dem Willen des Betroffenen abhängig ist. Man kann niemandem eine Einbürgerung aufzwingen.
Sie selber haben in Ihrem Antrag zwischen Integration und Assimilation unterschieden. Auch wir halten diese Unterscheidung für richtig, weil Assimilation weit über das, was Integration umfaßt, hinausgeht; sie umfaßt den gesamten kulturellen Bereich.
Jedes Integrationskonzept wird indessen, so meinen wir, empfindlich gestört - über einen Aspekt hat Bundesminister Baum eben gesprochen; ich nehme einen anderen mit hinzu -, wenn wir zulassen, daß politische Auseinandersetzungen der Heimatländer bis in die Bundesrepublik verlängert werden. Ich meine, die müssen unterbunden werden. Extremistische Gruppierungen, die bei uns längst verboten wären, handelte es sich um deutsche Parteien oder um deutsche Gruppierungen, können wir hier nicht dulden. Das gilt nicht nur, aber insbesondere für faschistisch strukturierte Gruppierungen bei Türken, etwa für die MHP mit ihren „Grauen Wölfen". Wir haben uns zu diesem Problem wiederholt geäußert, und wir sind nach wie vor der Meinung, daß solche Gruppierungen verboten werden müßten. Türken, die meinen, sich solchen Zielen verpflichtet sehen zu müssen, haben hier bei uns keinen Platz.
({10})
Meine Damen und Herren, es ist gewiß richtig, daß wir kein Einwanderungsland sind. Genauso richtig ist aber, daß wir es eine Zeitlang de facto waren. Wir haben uns dieser Problematik eben zu stellen. Ganz allgemein wird man annehmen dürfen, daß der Rückkehrwille um so geringer werden wird, je länger die Aufenthaltsdauer bei uns schon währt, je älter die hier geborenen oder großgewordenen Kinder werden und je mehr die mit ihren Erlebnissen noch in der Heimat verankerte Generation ausstirbt.
Daran muß sich, so meine ich, unsere Politik wesentlich orientieren, und deshalb ist es meines Erachtens nicht möglich, zu versuchen, zwei gegensätzliche Ziele gleichzeitig zu erreichen, also zu hoffen, man könne sowohl das eine wie das andere erreichen. Das Ergebnis wird sein, daß man weder das eine noch das andere erreicht. Man kann nicht ein Integrationskonzept mit einem ausgesprochenen Rückkehrkonzept verbinden.
({11})
Beides geht nicht. Das heißt nicht, daß wir denjenigen, die zurückkehren wollen, nicht praktische Hilfe geben sollen; natürlich sollen wir die geben, natürlich sollen wir hier niemanden festhalten wollen, der zurückgehen will; praktische Hilfe also auch in solchen Fällen! Nur kann das kein innerstaatliches Konzept sein, auf das sich unsere gesamte Politik konzentriert. Man muß, glaube ich, sich doch einmal darüber klar werden, was es bedeutete, wollte man beides machen. Wir brauchen für diese Integration bei uns auch ein bißchen mehr Geduld und Beharrlichkeit, die - getragen von der Verständnisbereitschaft - allemal vonnöten sind. Dies ist für uns eine der wichtigsten Fragen.
Zwei Punkte habe ich angeschnitten: Erstens ist es eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Integration, den Zuzug von außen wirksam zu verhindern; zweitens geht es um die entschiedene Bekämpfung des Extremismus, des Ausländerextremismus wie auch desjenigen bei uns, nicht nur aus diesen, aber auch aus diesen Gründen.
Gestatten Sie mir eine Schlußbemerkung. Wir müssen eine dritte Bedingung anschließen, nämlich den Versuch, den Widerstand gegen das eigene Vorurteil zu organisieren.
Das Schlimme ist,
- so hat Fritz Erler einmal formuliert daß Vorurteile in unserer Zeit sehr leicht den Charakter von Glaubenswerten annehmen und daß infolgedessen jede Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Gruppen und erst recht auch zwischen Völkern oder gar Gruppen von Völkern in eine Glaubensauseinandersetzung entartet, bei der jeder auf seiner Seite nicht nur von der Rechtmäßigkeit seines Tuns, sondern sogar von der moralischen Überlegenheit seiner Sache überzeugt ist.
Ich nehme diesen Gedanken gern auf und betone hier die Verantwortung der Innenpolitik - auch für die Außenpolitik - im Psychologischen: Je mehr wir einen Interessengegensatz - der in manchen Fragen unvermeidbar ist - auf die Ebene der persönlichen Feindschaft heben, um so schwerer läßt er sich lösen. Über die Begrenzung des politischen Handlungsspielraums durch eigengesetzte psychologische Schranken wird meines Erachtens auch in diesem Zusammenhang, den wir hier diskutieren, nicht genug nachgedacht.
Zuletzt noch einmal Fritz Erler:
Politisch einsichtige Kräfte sollten in Zeiten internationaler Spannungen
- man kann das auf unseren Fall übertragen die Presse nicht zum Verbreiten politischer Vorurteile mißbrauchen, auch wenn man das für die eigene Politik als ganz nützlich empfinden könnte.
Das ist ein Satz, der in den Zusammenhang gehört, den wir hier diskutieren, weil die Öffentlichkeitswirkung verbreiteter Vorurteile verheerend sein kann und weil durch noch so gute rationale Argumentation nicht mehr in die Emotionalität hineingelangt werden kann.
Die Selbstabgemessenheit des politischen Handelns wird durch ausländerfeindliche Einstellungen und Haltungen so sehr verkürzt, daß sie schließlich einfach nicht mehr ausreicht, das Ziel zu erreichen. Die Selbstbescheidung und die Konzentration auf das eigene Handeln sind wichtiger als die Entrüstung über das Handeln anderer. Im übrigen steckt in einer solchen Selbstbescheidung mehr Klugheit und nationale Würde als in dem Fingerzeigen auf andere.
Brandt ({12})
Zum Schluß ein kurzes Zitat. Karl Georg von Stakkelberg sagt in einem recht amüsant zu lesenden Büchlein „Alle Kreter lügen":
Wir werden auch die Aggressionen als einen wesentlichen Bestandteil des menschlichen Wesens und auch als wichtige Antriebskräfte nicht forträumen können. Aber es wäre vielleicht schon ein Vorteil, wenn es die erhobenen Zeigefinger nicht mehr gäbe. Vielleicht sollten wir künftig über die erhobenen Zeigefinger lächeln. Dann würden sie vermutlich schnell verschwinden. Denn die geistig Halbstarken sind unsicher.
Ich wünsche, er hätte recht. Vielleicht können auch wir etwas dazu tun.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts dessen was die Sprecher von SPD und FDP aufgeworfen haben, drängen sich vor allem zwei Fragen nach vorn.
Die erste Frage: Warum haben Sie das, was Sie heute an Vorschlägen und Ideen unterbreitet haben, eigentlich nicht schon längst politisch umgesetzt und praktiziert, nachdem Sie seit 1969 in Bonn die Regierung stellen?
({0})
Die zweite Frage: Warum haben Sie angesichts dieser wohlklingenden Reden nichts dagegen unternommen, daß diese Probleme, die wir heute einmütig feststellen und diagnostizieren, in den letzten fünf, zehn Jahren sukzessive entstanden sind?
Herr Kollege, Brandt, Ihre staatsphilosophischen Erörterungen hier sind zwar in literarischen Kreisen sicher angenehm zu hören,
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doch für praktische Politik gerade in diesem Bereich sind sie wenig hilfreich.
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Wir haben 4,7 bis - wenn man die Illegalen und die Dunkelziffer einbezieht - etwa 5 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Der Anteil beträgt je nach den einzelnen Bereichen 8 bis 25 % der Gesamtbevölkerung. Der Anstieg seit 1978 beläuft sich auf etwa 650 000; das sind über 16 %. Über 80 % sind - das haben statistische Untersuchungen ergeben - nicht mehr rückkehrwillig. Das bedeutet - dies ist auch betont worden -, daß Deutschland praktisch zum Einwanderungsland geworden ist. Deutsch ist in vielen Schulen zur Minderheitensprache geworden. Der Anteil der ausländischen Straftatverdächtigen - das sollte man auch nicht herunterspielen - beträgt nun einmal im Jahre 1980 15 % und in bestimmten Deliktsbereichen bis 25 %. Daß der Mißbrauch unseres Sozialstaats, des Asylrechts, des Aufenthaltsrecht in weiten Bereichen unerträglich geworden ist, wissen unsere
Mitbürger; das sollten auch wir hier im Bundestag als Grundlage unserer Diskussion nehmen.
Wir müssen feststellen, daß sich Untätigkeit bitter gerächt hat, daß die Bundesregierung ein ausländerpolitisches Konzept weder entwickelt noch durchgesetzt hat, daß sich darüber alle Kommentatoren in der veröffentlichten Meinung einig sind. Meine Damen und Herren, schöne Reden helfen uns hier nicht. Es steht in der Bibel: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
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Das ist hier auf die Bundesregierung anwendbar.
Meine Damen und Herren, daran läßt sich auch mit irgendwelchen Selbstverständlichkeiten, die hier zum Ausdruck gebracht werden, nichts ändern. Wenn hier die Kollegen sagen, man müsse die Verdienste der Ausländer und unsere humanitären Verpflichtungen ihnen gegenüber anerkennen: Kein Mensch in diesem Hause oder von irgend einer Partei hat dies bestritten oder leugnet die Verantwortung für die ausländischen Mitbürger, aber Tatsache ist doch auch, daß sie zu uns gekommen sind, ohne daß man sie dazu gezwungen hat, daß sie nach Deutschland gekommen sind, um hier Arbeit, Brot und Auskommen zu finden, und daß auch die Deutschen einen Anspruch darauf haben, daß die Bundesregierung ihre Interessen durch entsprechende Entscheidungen berücksichtigt.
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Der Herr Bundesinnenminister hat dann den Personen, die sich im karikativen Bereich zugunsten der Ausländer eingesetzt haben, Anerkennung ausgesprochen. Auch das ist eine Selbstverständlichkeit. Niemand verweigert den betroffenen Personen diese Anerkennung, aber deswegen kann die Bundesregierung ihre Untätigkeit doch nicht mit der Tätigkeit dieser karikativen Organisationen entschuldigen. Sie entbindet die Bundesregierung nicht davon, ihrerseits die Verantwortung und die Möglichkeit zu nutzen, die sie in der Ausländerpolitik hat, die sie allerdings nicht wahrgenommen hat.
Noch ein Wort zum Bundesinnenminister. Herr Bundesinnenminister, wer die Haushaltsdebatte nachgelesen und heute Ihre Rede verfolgt hat, der kann eines feststellen: Sie versuchen mit banalen Fragen und mit überflüssigen Selbstverständlichkeiten über die Runden zu kommen.
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Wenn Sie in der Haushaltsdebatte Fragen aufwerfen und damit Ihre Ausländerkonzeption scheinbar zu bestreiten versuchen, indem Sie sagen: Wie halten wir es mit den Ausländern?, was ist das für ein Phänomen?, haben wir den Mut zu ehrlichen Lösungen?, dann ist das für mich eine peinliche Banalität, weil sonst nichts kommt. Auch heute haben Sie zum Ausdruck gebracht: Wir haben es mit Menschenschicksalen zu tun; den Stein der Weisen haben wir nicht gefunden. - Das sind Dinge, die so selbstverSpranger
ständlich sind, daß man sie im Grunde hier von diesem Podium nicht vortragen sollte.
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Was wir von Ihnen verlangen, ist eine Politik, die die Probleme angreift, anpackt und löst und sie nicht so schleifen läßt, wie es im Bereich Umwelt, innere Sicherheit und Energiepolitik zum Kennzeichen Ihrer Politik insgesamt geworden ist. Auf Sie ist das Wort von Schiller anwendbar:
Zu schlimmer Tat schön reden ist nicht gut, Das heißt Gerechtigkeit und Tugend höhnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, von den Tatsachen ausgehend müssen wir feststellen, daß die Grenzen der wirtschaftlichen, strukturellen, sozialen und psychischen Belastbarkeit des deutschen Volkes durch die Ausländer überschritten sind und daß das in der Vergangenheit vorbildliche Verhältnis zwischen Ausländern und Deutschen nachhaltig gestört ist, da sich - das haben alle betont - Ausländerfeindlichkeit breit macht. Nur, eines muß man doch sagen: Diese Stimmung in der Bevölkerung ist doch nicht Ausdruck einer nationalistischen Überheblichkeit oder einer rassistischen Unbelehrbarkeit der Deutschen, diese Ausländerfeindlichkeit beruht doch nicht auf einer ausländerfeindlichen Haltung der Deutschen,
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sondern auf der Politik der Bundesregierung,
({8})
die die Ursachen für diese Stimmung gesetzt hat.
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Diese Meinung ist ja, wie Herr Kollege Brandt erwähnt hat, auch von dem Sachverständigen Professor Korte auf dem Deutschen Städtetag im Oktober 1980 vertreten worden, der zu Recht die Gründe dieser Aversion, dieser Aggression in breiten Schichten der Bevölkerung geschildert und begründet hat.
Wenn Sie sagen, er habe von „den" Politikern gesprochen, so müssen wir immer noch davon ausgehen, daß die CDU/CSU an dieser Bundesregierung - ich kann sagen: Gott sei Dank - seit 1969 nicht beteiligt ist,
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daß also Sie die Verantwortung für die ausländerpolitischen Möglichkeiten zu tragen haben. - Ihr Verhältnis zur Religion, Herr Wehner, würde ich hier nicht ins Gespräch bringen; das wäre doch ein bißchen peinlich.
Meine Damen und Herren, ausländerfeindlich und inhuman ist doch zweifelsohne eine Politik des Dahinwurschtelns, wie wir sie erlebt haben, eine Politik, die die Probleme schleifen läßt und die Lösungen vertagt. Ausländerfeindlich ist es auch, immer mehr Ausländer ins Land zu lassen, ohne ihnen
rechtzeitig zu sagen, was sie erwartet, wie es weitergehen soll.
Wenn Herr Kollege Hölscher die große Unsicherheit der Ausländer beklagt, so ist das zweifelsohne richtig. Aber die Ursachen haben doch nicht diejenigen gesetzt, die diese Unsicherheit nun beklagen und konkrete Lösungen zur Beseitigung dieser Unsicherheit fordern. Wenn Herr Hölscher sagt, wir brauchten eine klare und berechenbare Politik, dann bin ich damit einverstanden; aber dann sollte doch die Bundesregierung damit beginnen.
Einige kurze Bemerkungen zum Antrag von SPD und FDP. Er steht unter der Maxime: Eingliederung, Integration, Assimilation aller Ausländer nahezu um jeden Preis. Es wird nicht gesagt, mit welchem finanziellen Aufwand und mit welchen konkreten Methoden dieses Ziel erreicht werden soll. Es wird auch nicht die Tatsache berücksichtigt, daß bestimmte große Ausländergruppen wie die Türken, die Asiaten und die Afrikaner nicht integrierbar sind und auch nicht zwangsgermanisiert werden wollen. Es wird nicht gesagt, daß angesichts riesiger Wanderungs- und Flüchtlingsströme die Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen schlichtweg überfordert ist. Es wird nicht gesagt, daß die Integrationsbemühungen der 70er Jahre trotz eines enormen finanziellen und personellen Aufwands gescheitert sind; das hat selbst der „Spiegel" in seiner Novemberausgabe einräumen müssen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe die Bitte, meine kurze Redezeit für meine eigenen Darlegungen verwenden zu können.
Die Integration als Form friedlichen und spannungsfreien Zusammenlebens will doch zweifelsohne jeder. Nur ist es schlichtweg irreal, davon auszugehen, daß über 5 Millionen Ausländer hier integriert oder assimiliert werden könnten. Das Beispiel Großbritanniens beweist doch klar das Gegenteil. Wir sollten nicht so anmaßend sein, und so tun, als gingen uns die Erfahrungen in Großbritannien nichts an.
Ich darf hier den Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Schilling, aus seinem Aufsatz im „Rheinischen Merkur" vom 9. Januar 1981 zitieren:
Man muß Sorge empfinden, wenn sich ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit darauf versteift, die Integration werde gelingen, weil sie gelingen muß. In voller Würdigung des humanen Impetus, der zu dieser kategorischen Haltung drängt und der Respekt verdient - die intellektuelle Qualität solcher Versuche ist um nichts besser als der fatale Satz, der noch in den Ohren gellt: „Wir werden siegen, weil wir siegen müssen."
Seine Forderung daraus: Keine humanitätsseligen
Träume; man muß das Mengenproblem lösen; man
muß die Zahl der Ausländer senken; man muß vor allem die Reintegration in den Heimatländern fördern.
Dem entsprechen auch die Ausführungen des Soziologen Professor Fürstenberg von der Universität Linz. Nach einer halbjährigen Untersuchung in Berlin-Kreuzberg hat er auf einem Seminar in Arnoldshain vor wenigen Monaten festgestellt, daß eine gründliche deutsche Integrationsforderung inhuman sei, daß das Recht der Ausländer auf eigene Lebensgestaltung erhalten werden müsse. Das ist auch der Kern der Kritik der CDU/CSU-Fraktion am Modell der SPD /FDP.
Die zweite grundsätzliche falsche Weichenstellung ist das Bemühen um Erleichterung der Einbürgerung. Wenn Herr Urbaniak sagt, Einbürgerung sei ein formaler Akt, dann liegt darin der grundsätzliche Unterschied zu unserer Auffassung. Wir sind der Meinung: Einbürgerung muß am Ende eines längeren Prozesses stehen, in dem die Werte, die Normen, die Fertigkeiten unseres Kulturkreises von dem Ausländer bei uns akzeptiert, aufgenommen und übernommen werden. Aber durch vorzeitige Einbürgerung läßt sich dieser Prozeß nicht abkürzen. Es würde hier eine größere Gruppe fremdsprachiger Minderheiten mit deutscher Staatsangehörigkeit entstehen, die eine Reihe größter innen- und außenpolitischer Probleme schafft.
({0})
Lassen Sie mich zum Konzept der CDU/CSU kommen, die versucht, den Interessen und Problemen der Ausländer und der Deutschen gleichermaßen in humaner und realistischer Weise Rechnung zu tragen. Wir tun dies in vier Abschnitten.
Der erste Grundsatz besteht darin, daß die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sein darf. Nur, dieser Satz darf nicht - wie heute - auf dem Papier stehen, er muß politisch wieder vollzogen werden. Seine Umgehung durch ungesteuerten Zuzug, durch Mißbrauch des Asylrechts, durch Umgehung des Anwerbestopps muß mit allen legalen und humanitär vertretbaren Mitteln unterbunden werden. Illegale Einreise, Arbeitsaufnahme und Aufenthalt, der Mißbrauch von Pässen durch Namens- und Geburtsdatenänderung müssen durch schnellen und effizienteren Einsatz der entsprechenden Ministerien, der Arbeitsämter und der Ausländerbehörden verhindert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn an vielen Baustellen Ausländer zu Billigtarifen, ohne Steuern und Sozialabgaben zu zahlen, arbeiten, während ihre deutschen Kollegen arbeitslos sind, dann ist dies eine unerträgliche Belastung für das soziale Gefüge in der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
- Das Dazwischenrufen ändert nichts an diesen
Fakten. Sie sollten sich einmal öfter mit Arbeitnehmern unterhalten, Herr Schäfer, dann würden Sie auf die Probleme stoßen. ({2})
Die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte sind gefordert, und zwar deshalb, weil sie in der Vergangenheit, vor allem in den oberinstanzlichen Gerichtsentscheidungen, die von Politikern gelassenen Gesetzeslücken leider in einer Weise ausgefüllt haben, die nicht mehr den Interessen der deutschen Bevölkerung entsprach. Die Bundesregierung muß
in Abstimmung mit den Ländern und Gemeinden - endlich festlegen, bis zu welcher Größenordnung Ausländer nun aufgenommen werden, damit nicht irreparable Schäden - nicht nur für Deutsche, sondern vor allem auch für Ausländer selbst - für das soziale Umfeld, im zwischenmenschlichen Bereich und für die Wirtschafts- und Sozialstruktur entstehen.
In einem zweiten Abschnitt fordern wir wirksame Maßnahmen gegen die soziale Isolation der Ausländer durch eine aktive Familien-, Jugend- und Kulturpolitik; im einzelnen werden meine Kollegen das anschließend noch darstellen. Natürlich muß die Frage der Integration und Assimilation - das ist hier ja auch schon betont worden - aus der Verantwortung gegenüber den Ausländern und ihren Familien, die hier seßhaft geworden sind, entschieden werden. Doch kann die Zuwanderung immer nur in dem Rahmen stattfinden, der von der Assimilierungskraft einer Nation gesteckt wird. Außerdem haben wir - das betonen wir hier auch ausdrücklich - als Teil des gespaltenen Deutschlands eine historische und verfassungsrechtliche Verantwortung für die gesamte deutsche Nation. Deutschland kann nach seiner Geschichte und seinem Selbstverständnis kein Vielvölkerstaat sein oder werden. Bund, Länder und Gemeinden sind gemeinsam aufgerufen, der Gettobildung durch Maßnahmen im Bereich von Unterricht und Bildung entgegenzuwirken; auch das wird dann nachfolgend erörtert werden.
Wir halten die Forderung nach Beteiligung von Ausländern in Deutschland an Wahlen für eine Scheinlösung, die den Ausländern nicht hilft. Wir teilen auch die Bedenken der Rechtsprechung und der Rechtslehre, die eine solche Lösung im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes für verfassungswidrig halten. Wir sind allerdings für eine Mitwirkung, für eine beratende Mitwirkung der Ausländer in den sie berührenden Fragen im kommunalen Bereich. Genauso sollen sie die Möglichkeit wahrnehmen können, sich in den Gewerkschaften zu organisieren, am Arbeitskampf teilzunehmen und die Vereinigungsfreiheit zu nutzen.
Schließlich sagen wir in einem dritten Abschnitt: Wir dürfen nicht dem Tabu ausweichen und müssen uns aktiv dafür einsetzen, die Rückkehrfähigkeit der Ausländer zu erhalten und ihre Rückkehrbereitschaft zu stärken. Ich verweise hier auf das Beispiel der Schweiz, das auch Herr Dr. Dregger schon in die Debatte eingebracht hat. Hier kommen die Gesichtspunkte in Betracht, daß die Rückkehr durch Entwicklung und Durchsetzung entsprechender Förderprogramme mit den Herkunftsländern, durch KapiSpranger
talisierung der erworbenen Rentenanwartschaften, der Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung und der beschäftigungspolitischen Nutzung des hier angesammelten Sparkapitals erleichtert werden soll. Es ist unsere Überzeugung, daß dadurch nicht nur den hier lebenden Menschen, sondern auch den Menschen in der Heimat und den Herkunftsländern selbst geholfen wird. Das wäre Entwicklungspolitik im besten Sinne.
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Wir müssen - auch wenn hier Kritik vorgetragen wird - erneut über das Rotationsprinzip nachdenken. Darunter versteht man die Ausreise ausländischer Arbeitnehmer - ohne genauere Bestimmung des Wer, wie Herr Brandt gefordert hat; das läßt sich aus der früheren Praxis noch nachvollziehen - nach mehreren Jahren Aufenthalt und Ersatz durch Deutsche oder Ausländer an dem entsprechenden Arbeitsplatz. Das bietet die Gewähr, daß ausländische Arbeitnehmer nach einigen Jahren das bei uns erworbene Geld in ihre Heimat mit zurücknehmen und dort investieren, daß sie ihre erlernten Fähigkeiten in ihrem Herkunftsland sinnvoll einsetzen. Sie ermöglichen dadurch, daß andere Ausländer in die Bundesrepublik Deutschland kommen und die gleichen Möglichkeiten haben, wie sie Fähigkeiten zu erwerben und zu erlernen. Damit wären die Probleme, die wir zur Zeit beklagen, vermeidbar, weil das ganze steuerbar wäre.
Wir halten das Festhalten der Ausländer, wie es jetzt geschieht, für eine Privilegierung der hier lebenden und eine Benachteiligung der anderen Ausländer in den Herkunftsländern.
Thema Familienzusammenführung.
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- Es ist richtig, daß ich Ihre Logik sehr schwer nachvollziehen kann, Herr Urbaniak. Das habe ich bei Ihrer Rede auch schon gemerkt. Deshalb hat es keinen Sinn, wenn wir hier diskutieren.
Wir bejahen die Familienzusammenführung aus humanen und familienpolitischen Gründen. Sie muß jedoch auch in eine andere Richtung gehen. Wir wollen sie nicht ausschließlich in Richtung aus dem Herkunftsland, sondern wir wollen sie in erster Linie in Richtung in das Herkunftsland - das steht in unserem Antrag drin; wir haben das reiflich bedacht -, weil es angesichts der anhaltenden ungünstigen Wirtschaftlage, angesichts von etwa 600 000 nachzugsberechtigten Ehegatten in der Türkei, angesichts der Hunderttausende von Kindern aus den verschiedenen Herkunftsländern, angesichts des Nachzugs von Heiratswilligen aus den Herkunftsländern in die Bundesrepublik Deutschland schlichtweg unverantwortlich wäre, den Familiennachzug in gleicher Weise fortzuführen, wie wir ihn in den siebziger und achtziger Jahren praktiziert haben.
Schließlich brauchen wir eine Politik, die auf Einhaltung der Gastpflichten, auf Einhaltung von Recht und Gesetz unseres Landes besteht. Kriminalität und politischer Extremismus von Ausländern sind ein Verstoß gegen das Gastrecht und müssen nachhaltig bekämpft werden. Auch hier darf ich auf meine nachfolgenden Redner verweisen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Maßnahmen, die wir in unserem Entschließungsantrag vorsehen, müssen rasch und nachhaltig in Abstimmung mit Ländern und Gemeinden getroffen werden. Wir können uns Entschlußlosigkeit und Untätigkeit nicht mehr leisten. Ein weiteres Hinausschieben notwendiger politischer Entscheidungen wäre inhuman. Humane Ausländerpolitik zwingt zu schnellen und realistischen Entscheidungen im Interesse der Ausländer, vor allem auch im Interesse der deutschen Bevölkerung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Ausführungen des Kollegen Spranger gehört hat, möchte man meinen, daß er an der gesamten bisherigen Debatte nicht teilgenommen oder ihr nicht zugehört hat.
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Eines ist aus vielen Reden völlig klargeworden, nämlich daß das Ausländerproblem, dem wir uns gegenübersehen, eine Folge wirtschaftlicher Tatbestände und einer gezielten Anwerbung von Arbeitskräften aus den Mittelmeerländern ist, die wir - nicht diese Bundesregierung, sondern die Wirtschaft - seit Mitte der fünfziger Jahre betrieben haben. Wir sehen uns nach wie vor einem Einwanderungsdruck gegenüber. Offenbar beurteilen die Länder, um die es geht, die wirtschaftlichen Zustände in der Bundesrepublik besser als die Opposition dieses Landes.
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Wir sehen uns nach wie vor einem solchen Einwanderungsdruck gegenüber. Wir halten es für völlig illusorisch, das Rotationsprinzip als Therapie dafür anzusehen - Herr Spranger wollte das eben tun - oder zu glauben, daß man durch Anreize irgendwelcher Art - welcher Art? Wieviel soll das kosten? -Sie haben das eben gesagt - im namhaften Umfang die Hauptausländergruppen, die sich bei uns befinden - fast die Hälfte sind Türken -, dazu bewegen könnte, in ihr Land zurückzukehren. Das ist sicherlich eine Illusion. Der Hinweis auf die Schweiz kann einfach nicht ziehen, weil die Mehrzahl der ausländischen Arbeitnehmer in der Schweiz nicht Türken, sondern Italiener, Franzosen und Deutsche sind. Das ist also eine ganz andere Situation.
Herr Dregger, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es sehr viel besser und auf Dauer sehr viel nützlicher wäre, Arbeitsmöglichkeiten in den Ländern zu schaffen, aus denen diese Menschen kommen. Das ist zweifellos richtig. Das ist ein Ge4916
danke - er stammt nicht von Ihnen -, mit dem wir seit vielen Jahren für die Erhöhung der Entwicklungshilfe werben. Ich habe mich auch darüber gefreut, daß Sie hier einen Vorschlag wiederholt haben, den ich vor vielen Jahren unter dem Gelächter Ihrer Parteifreunde im nordrhein-westfälischen Landtag gemacht habe, nämlich daß gerade für Flüchtlinge aus fernen Ländern, z. B. aus dem asiatischen Raum, die Möglichkeit geschaffen werden müßte, in ihrem eigenen Kulturkreis eine Lebensmöglichkeit zu finden. Dieser Vorschlag wurde dann von Bargatzky aufgegriffen. Wir haben aber gemerkt, daß die Verwirklichung dieses Vorschlages kaum möglich ist. Diesen Tatbestand mag man bedauern, aber man muß ihn auch zur Kenntnis nehmen. Sie haben mit Recht auf die großen Integrationsleistungen der Vergangenheit, auf die Hugenotten hingewiesen. Das Edikt von Potsdam von 1685 hat immerhin 500 000 Hugenotten mit der Folge nach Preußen gebracht, daß ein Drittel aller Einwohner Berlins Hugenotten waren. Die Zahlen in Magdeburg, Halle, Leipzig waren nicht viel anders. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine große Einwanderungswelle aus Westpreußen, Ostpreußen, Polen und Schlesien mit Integrationsfolgen hatten, an denen im Ruhrgebiet noch heute gearbeitet wird, wie man aus der Sprengkraft des Wortes „Glabotki" ablesen kann. Darum sage ich Ihnen: Wir sollten bei einer notwendigen Aufgabe, die wir erkennen, nicht so kleinmütig sein, sondern sollten eine wirksame Integrationspolitik für die Ausländer betreiben, die bei uns sind, die wir selber hierhergeholt haben, deren Familien wir als Christen einen Zusammenzug bei uns ermöglicht haben. Wir sollten nicht so schnell und so leicht in der Verantwortung diesen Menschen gegenüber resignieren, ihnen hier eine Lebensmöglichkeit zu schaffen.
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Herr Brandt hat recht, wenn er sagt, daß man dieses Problem nicht mit dem Problem des Asylrechts vermischen darf. Ich sage hierzu nur ein paar Worte, weil ich annehme, daß von der Länderseite dazu etwas gesagt werden wird. Man muß einmal die Größenordnung sehen. Wir haben in der Bundesrepublik - das ist wiederholt dargestellt worden - 4,63 Millionen Ausländer mit steigender Tendenz wegen der höheren Geburtenzahlen als bei der deutschen Bevölkerung. Das ist der Tatbestand. Fast 1,2 Millionen dieser Ausländer sind unter 16 Jahren, und 650 000 sind hier geborene Ausländer. Wollen Sie die rotieren lassen, Herr Spranger? Das kann ich nicht verstehen. Wir haben also 4,63 Millionen Ausländer. Seit 1950 haben wir in der ganzen Bundesrepublik dagegen nur 375 000 Asylbewerber. Davon sind 76 000 anerkannt worden. Ich halte das nicht für eine unmenschliche Integrationsverpflichtung, die aus unserem Asylrecht folgt.
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94 000 Verfahren sind anhängig, und der Rest macht 205 000 aus. Wir haben gefragt, wie viele von diesen 205 000 von den Ausländerbehörden der Länder ins Ausland gebracht worden sind. Ich habe die Vermutung - vielleicht können Sie die bestätigen -, daß
gut 50 % dieser Ausländer, wahrscheinlich mehr, in der Bundesrepublik geblieben sind, obwohl sie rechtskräftig nicht als Asylbewerber anerkannt worden sind. Man muß sich einmal darüber unterhalten, warum das so ist. Bei folgendem können Sie ganz sicher sein; die Frage kam vorhin von Herrn Erhard. Wir sind im Innenausschuß mit der Beratung des Asylrechts fertig. Der Bundesratsentwurf hat sich in vielen Punkten einfach als nicht zulänglich erwiesen, wie der Bericht der von Bund und Ländern gemeinsam eingesetzten Arbeitsgruppe gezeigt hat. Wiederholungsanträge, Identifizierung, Verteilungsverfahren, Sammellager, Zustellungsprobleme, alles das ist in diesem Entwurf nicht geregelt gewesen. Ich hoffe, daß wir die letzte übriggebliebene Frage im Rechtsausschuß in Kürze regeln können.
Zurück zum Ausländerrecht, und zwar zur Notwendigkeit der Integration. Ich glaube, daß nach den Zahlen und nach den Erklärungen der Ausländer selber, die zu mehr als der Hälfte über zehn Jahre bei uns wohnen, alle Überlegungen, zum Rotationsprinzip zurückzukehren, gegenstandslos sind. Sie werden nicht funktionieren. Sie werden von der Wirtschaft selber mit großer Heftigkeit bekämpft werden, wie das in der Vergangenheit auch der Fall war, weil sich hier j a humanitäre Zielsetzungen mit wirtschaftlichen Interessen in sehr angenehmer Weise verbinden. Das werden wir auch in Zukunft nicht ändern können. Wir müssen akzeptieren, daß wir in wenigen Jahren auch wieder eine höhere Zahl ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik brauchen werden, wie Herr Urbaniak vorhin angedeutet hat. Wir haben also in Wirklichkeit zu einer wirksamen Integration, die allerdings voraussetzt - hier stimme ich Ihnen zu, auch dem, was die Ausländerbeauftragte mehrfach dargestellt hat -, daß es in der Frage des Anwerbestopps und des Verhinderns der illegalen Einwanderung keine Ausnahmen geben darf, keine Alternative. Wir haben in diesem Hause die Möglichkeiten der illegalen Beschäftigung in den vergangenen Monaten mit einem entsprechenden Gesetz drastisch eingeschränkt. Ich bin der Meinung, daß man außerdem auch die zeitliche Begrenzung der Ausbildungsaufenthalte wirklich durchhalten muß, weil es immer wieder Versuche gibt, über eine Verlängerung von Ausbildungszeiten schließlich in der Bundesrepublik zu bleiben. Ich denke, daß wir das Ausländerrecht diesem Tatbestand der gesteigerten Integrationserfordernisse anpassen müssen. Es ist sicherlich geradezu zynisch - das muß ich sagen -, ein Aufenthaltsrecht nach acht Jahren z. B. nicht nur an den Nachweis von Sprachkenntnissen, sondern auch an den Nachweis einer vernünftigen Wohnung zu binden. Ich glaube, daß wir davon herunter müssen.
Zu dem Problem der Jugendlichen: In diesem Bereich sind insbesondere die Länder angesprochen. Es geht z. B. um die Frage, ob die schulischen Voraussetzungen für die Integration der jungen Menschen, die hier geboren oder hier aufgewachsen sind, wirklich erfüllt sind. Ich bestreite das. Wir haben außerordentliche Probleme auf Grund der Tatsache, daß gerade im Grund- und Hauptschulbereich eine Ballung der Ausländerkinder in den Klassen, die
nicht notwendig ist, die nicht gottgegeben ist, zu verzeichnen ist. Ich habe mir sagen lassen, daß man in Köln, wenn man - wie es nach dem Schulrecht notwendig wäre - alle türkischen Kinder aus den katholischen Bekenntnisschulen herausnähme, ein Drittel aller katholischen Bekenntnisschulen wegen Kindermangel schließen müßte. Dann würde in der Tat die Frage entstehen, ob in den auf diese Weise etwa 25 leerstehenden Bekenntnisschulen islamische Konfessionsschulen eingerichtet werden müßten. Es gibt ganz andere Modelle einer Integration, z. B. in Krefeld, einer integrativen Erziehung in den Klassen unter Einbeziehung der Eltern, die sich als wirksam und sinnvoll erwiesen haben.
Wir werden die Länder auch um Mitteilung bitten - oder vielleicht werden sie von sich aus etwa sagen -, wie es um die Erfüllung der Schulpflicht steht. Ich kenne eine Untersuchung aus Baden-Württemberg aus dem Jahre 1980, nach der nur 65 % der ausländischen Kinder und Jugendlichen der Schulpflicht folgen, also 45 000 Kinder - bekannte, registrierte Kinder - die Schulpflicht nicht erfüllen. In Nordrhein-Westfalen sind die Zahlen nicht allzuviel besser. Sie sind etwas besser, aber trotz unserer Bemühungen um die sprachliche und schulische Integration dieser Kinder weist diese Integration einen erheblichen Rückstand auf, der schnell aufgeholt werden muß, wenn wir unsere Pflichten diesen Kindern gegenüber erfüllen wollen.
Nun komme ich zu einem Thema, das Herr Spranger noch angeschnitten hat, der Kriminalität. Wenn man sich die Untersuchungen über die Kriminalitätsentwicklung der Ausländer ansieht, muß man feststellen, daß die Kriminalbelastungszahlen der Türken, Griechen und Jugoslawen unter denen der deutschen Bevölkerung liegen. Das ist eindeutig belegt. Es sind steigende Zahlen, aber sie liegen unter denen für die deutsche Bevölkerung. Das ist nicht bei allen Ausländergruppen so, aber bei diesen Hauptgruppen ist das der Fall.
Problematisch ist die Entwicklung der Kriminalität der Ausländer der zweiten Generation. Auch die deutsche Jugendkriminalität ist nicht gerade klein - das muß man sagen. Aber bei der zweiten Generation der Ausländer ist es bedenklich. Das ist eine Folge der von uns nicht bewältigten Integration, im schulischen Bereich, im beruflichen Bereich, im Bereich der Freizeit. Das sind junge Menschen, die niemals in ihrem Leben die Möglichkeit gehabt haben, ihren eigenen Lebensweg zu wählen - die haben doch nicht gewählt, ob sie als Türken in Deutschland geboren werden wollen oder in Anatolien oder ob sie vielleicht als Deutsche in Deutschland geboren werden wollen. Wir haben ihnen niemals die Möglichkeit gegeben, auch nur einmal selber zu entscheiden, welchen Lebensweg sie gehen wollen. Daher ist es von so großer Bedeutung, daß wir auch in der Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes etwas beweglicher werden und uns von einigen Vorurteilen freimachen.
Wir müssen, glaube ich, diesen Menschen - ein entsprechender Gesetzentwurf liegt vor - die Möglichkeit geben, selber einmal zu entscheiden, ob sie in dieser Gesellschaft in der Bundesrepublik leben
wollen, mit allen Rechten und Pflichten, oder nicht. Das ist der Gesichtspunkt dieses Gesetzentwurfes, den wir hier behandeln werden und um dessen Unterstützung ich werben möchte.
Das Problem, von dem wir ausgegangen sind, war ein wirtschaftliches: der unglaublich ungleich verteilte Wohlstand auf dieser Erde, von dem wir wissen, daß er weiter auseinanderläuft, wenn wir nicht entschiedene Anstrengungen unternehmen, das zu bekämpfen. Wir handeln hier mit Folgeproblemen, und wir müssen darauf achten, daß wir diese Folgeprobleme richtig, menschlich und christlich lösen.
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Das Wort hat der Herr Senator für Gesundheit des Landes Berlin.
Senator Fink ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich hier im Deutschen Bundestag für das Land Berlin das Wort nehme, so deshalb, weil Berlin die Stadt unter den deutschen Großstädten ist, in der die meisten Ausländer leben. Über 240 000 sind es mittlerweile. Ein internationaler Vergleich: In unserer Stadt leben halb so viele Ausländer wie in ganz Schweden, das flächenmäßig etwa tausendmal so groß wie das Gebiet von West-Berlin ist und viermal so viele Einwohner hat.
Wie notwendig es ist, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen, zeigen mir auch die Debattenbeiträge der Abgeordneten Hirsch und Hölscher. Herr Hirsch hat auf die Hugenotten hingewiesen, mit Recht. Allerdings war die Zahlenangabe nicht ganz richtig, und er hat verschwiegen, daß es über hundert Jahre gedauert hat, bis der Integrationsprozeß vollzogen gewesen ist. Der Abgeordnete Hölscher hat den Kreuzberger Mitbürgern empfohlen, sie mögen es doch gut finden, so, wie es sei. Das ist sein gutes Recht. Die Frage ist nur: Hat er je mit den Kreuzberger Mitbürgern darüber gesprochen?
({1})
Lassen Sie mich einige Fakten nennen, die zeigen, wie die Situation tatsächlich ist. Der Zustrom von Ausländern in unsere Stadt hat sich in den letzten Jahren stark erhöht. 1965, als das Ausländergesetz erlassen wurde, lebten 40 000 Ausländer in Berlin. 1973, zum Zeitpunkt des Anwerbestopps, hielten sich 178 000 Ausländer bei uns auf. Jetzt sind es, wie gesagt, über 240000. Jeder Achte in Berlin ist mittlerweile ein Ausländer. Zu dieser Entwicklung hat das überproportionale Ansteigen der Zahl der Türken entscheidend beigetragen, von denen jetzt 120 000 in unserer Stadt leben. Fazit: der Anwerbestopp, so richtig er war, hat den Zustrom nicht stoppen können. Familiennachzug und Zuheirat haben die Zahlen dennoch steigen lassen. Viele Nachziehende kommen erst in einem Alter nach Beendigung der Schulpflicht zu uns. Sie können nur unter ungeheuren Schwierigkeiten überhaupt noch integriert werden.
Daraus folgt: erfolgversprechende Integrationsversuche in Berlin drohen im Meer der großen Zahl unterzugehen. Immer mehr konzentrieren sich die
Senator Fink ({2})
Ausländer, besonders die Türken, auf die drei Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding. Mittlerweile leben dort schon die Hälfte aller Berliner Türken, während die Zahl der dort lebenden Deutschen sinkt.
Integration ist ohne schulische Bildung nicht denkbar. Aber wie soll Integration vollzogen werden, wenn in den Ausländerballungsgebieten zum Teil bis 80% der Schulanfänger ausländische Kinder sind? Auch wissen wir bereits jetzt, daß im Schuljahr 1983/84 die absolute Zahl der Ausländerkinder in den Hauptschulen Berlins größer als die Zahl der deutschen Schüler sein wird. Da hilft auch kein hussing mehr - also der Pendelverkehr mit dem Bus -, um das der Kreuzberger Bezirksbürgermeister in einem beschwörenden Appell meine Kollegin Laurien bittet. Ganz abgesehen von der Problematik des hussing.
Was uns besonders bedrückt, ist die fortschreitende Gettoisierung. Das Problem der Koranschulen ist bekannt. So sehr wir die Religonsfreiheit und die Freiheit der religiösen Erziehung auch bei Ausländern achten wollen - bedenklich wird die Sache dann, wenn in den Ausländerzentren zunehmend von selbsternannten Hodschas eine strenge soziale Kontrolle über die Lebensgewohnheiten der muslemischen Familien ausgeübt wird.
Was ist zu tun? Der weitere Zustrom von Ausländern muß im Interesse des partnerschaftlichen Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern unter Berücksichtigung der sozialen und humanen Gesichtspunkte gestoppt werden.
({3})
Wir haben in Berlin das Problem des Familiennachzugs in diesem Sinne gelöst. Ich weiß, das hat manche Besorgnis und Befürchtung ausgelöst. Tatsache aber ist, daß diese Maßnahmen in ihrer endgültigen Form richtig und notwendig waren, nicht zuletzt auch im Interesse der hier seit längerer Zeit lebenden Ausländer selbst.
({4})
Diese Regelungen sind mittlerweile von fast allen Ländern übernommen worden.
Ich füge noch eines hinzu: diese Maßnahmen sind noch nicht ausreichend. Das Einreisealter für nachziehende Kinder muß deutlich gesenkt werden, damit Integration überhaupt möglich wird. Dies setzt eine Änderung des Ausländergesetzes durch den Deutschen Bundestag voraus, um die wir bitten. Wir wollen damit den Ausländern nicht den familiären Zusammenhalt nehmen, der gerade in einem fremden Land besonders wichtig ist. Aber die Dinge liegen eben deutlich anders, wenn die Kinder nach dem Schulbesuch in der Türkei hierhergeholt werden, um eine meist unqualifizierte Arbeit aufzunehmen und den Anwerbestopp zu unterlaufen.
Ein weiterer Problemkreis: Dringend notwendig ist die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Beschleunigung des Asylverfahrens.
({5})
Der entsprechende Gesetzentwurf des Bundesrates liegt seit langem vor. Das Land Berlin bittet dringend darum, dieses Gesetz nun wirklich bald zu verabschieden. Bei uns in Berlin leben mittlerweile schon 21 000 Asylbewerber. Sie kosten die Sozialhilfe jährlich 60 Millionen DM. Das ist ein Betrag, der ausreichen würde, 1 500 Stellen für Menschen zu finanzieren, die sich die Integration zur Aufgabe machen.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
- Bitte.
Herr Senator, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Bericht der BundLänder-Arbeitsgruppe, der zahlreiche notwendigerweise zu regelnde Positionen enthielt, erst im Juni des vorigen Jahres vorgelegen
({0})
- natürlich - und unverzüglich zu den Beratungen geführt hat, die dann zur Einbringung des Gesetzes im September des vergangenen Jahres geführt haben?
({1})
- Wie lange wollen Sie denn an einem Gesetz arbeiten? Oder wollen Sie alle zwei Jahre oder alle drei Monate ein neues Gesetz machen? Wie stellen Sie sich das vor?
Senator Fink ({2}): Herr Abgeordneter Hirsch, sonst höre ich immer von seiten der Bundesregierung, daß sich der Bundesrat und die Länder in solchen Angelegenheiten, die der Regelung durch den Bund unterliegen, etwas zurückhalten sollten. Nun höre ich von Ihnen, daß es geradezu andersherum sein soll, nämlich daß die Bundesregierung erst dann handelt, wenn alle möglichen Bund-LänderKommissionen getagt haben. Ich finde das sehr richtig; nur müßte diese Erkenntnis dann überall gelten.
({3})
Herr Senator, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bötsch?
Herr Senator, wären Sie bereit, dem Kollegen Hirsch mitzuteilen, daß der Bundesrat bereits am 19. Dezember 1980 seinen Gesetzentwurf verabschiedet hat, der hier im Deutschen Bundestag bereits im März 1981 in erster Lesung beraten wurde, so daß zumindest dieser Entwurf längst entscheidungsreif wäre?
({0})
Senator Fink ({1}): Ich habe keinen Anlaß, an diesen Aussagen zu zweifeln.
Ich darf noch einmal den Gedanken von vorhin wiederholen. Die Asylbewerber in Berlin kosten die Sozialhilfe 60 Millionen DM; ein Betrag, der ausreichen würde, 1 500 Stellen für Menschen zu finanzieren, die sich die Integration zur Aufgabe machen. Was noch wichtiger ist: Niemand tut diesen MänSenator Fink ({2})
nern und Frauen einen Gefallen, der sie in einen völlig anderen Kulturkreis lockt. Im Grunde ist das Handeln der Schlepper ein Verbrechen an der Menschlichkeit.
({3})
Ich freue mich, daß der Innenausschuß des Deutschen Bundestages meiner Einladung folgen und sich am 10. Februar in Berlin ein Bild darüber machen wird, wie die Situation wirklich ist.
Viele Ausländer werden bei uns bleiben, aber die freiwillige Rückkehr muß ermöglicht und erleichtert werden. Ich betone: Es kann sich hierbei nur um ein freiwilliges Angebot handeln. Auch hier muß es zu einer gesetzlichen Regelung kommen. Es wäre hilfreich, wenn die Bundesregierung, die alle Bundesländer, also auch Berlin, außenpolitisch vertritt, Abkommen mit den Herkunftsländern anstrebte, die die Rückkehrhemmnisse mindern.
({4})
Zugleich wäre damit ein besonders wirkungsvoller Beitrag zur personellen Entwicklungshilfe geleistet.
({5})
Ein dritter Gesetzentwurf befaßt sich mit der Einbürgerung. Berlin hält eine erleichterte und rechtlich abgesicherte Einbürgerung für richtig. Allerdings: Die ausländischen Bürger, die die Einbürgerung wünschen, müssen auch integrationswillig und -fähig sein. Wir wollen eine liberale Integrationsvermutung, die in begründeten Fällen nicht Platz greift. Eine Postkarteneinbürgerung halten wir nicht für richtig. Die Staatsbürgerschaft ist uns zu wichtig, als daß wir sie zum Gegenstand einer Postkarte machen wollten.
({6})
Für uns steht im Vordergrund, daß sich Bund und Länder auf klare gemeinsame Inhalte in der Ausländerpolitik verständigen. In der Regierungserklärung Richard von Weizsäckers hat Berlin sein inhaltliches Angebot für eine solche gemeinsame Politik formuliert - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
Notwendig ist es, daß unsere ausländischen Mitbürger Lebensentscheidungen treffen. Notwendig für uns ist es, wirkliche Lebensbrücken zu den integrationswilligen Ausländern zu bauen.
Nach Auffassung des Senats müssen unsere ausländischen Mitbürger auf die Dauer zwischen zwei Möglichkeiten wählen: entweder Rückkehr in die alte Heimat oder Verbleib in Berlin. Dies schließt die Entscheidung ein, auf die Dauer Deutscher zu werden.
Keine Dauerlösung ist ein dritter Weg, nämlich hierzubleiben, aber nicht und nie Berliner - und ich füge hinzu: Deutscher - werden zu wollen.
({7})
Diese Debatte des Deutschen Bundestags ist eine große Chance, den deutschen und den ausländischen Bürgern Klarheit zu verschaffen. Der Senat von Berlin sieht in der Debatte den Ausdruck gewachsener Erkenntnis, daß das Ausländerproblem neben der Arbeitslosigkeit heute das zentrale Problem der deutschen Innenpolitik ist. Er hätte es begrüßt, wenn diese Erkenntnis schon früher Platz gegriffen hätte.
Er bittet dringend darum, daß nunmehr auch die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen im Deutschen Bundestag gezogen werden
Ich danke.
({8})
Das Wort hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
Minister Dr. Schnoor ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwa zwei Wochen hatte ich ein Gespräch mit den Vertretern aller jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, u. a. über Sicherheitsfragen. Am Ende dieses Gesprächs legte mir einer der Teilnehmer eine anonyme Karte mit Schmähungen in „Stürmer"-Manier vor. Am selben Tage hatte ich einen Bericht über die Sicherheitslage gelesen. Darin ist über Wandschmierereien bei uns berichtet worden. Ich will einmal ein Beispiel geben - ich nenne das zum erstenmal -: „Gegen Tierversuche - nehmt Türken!"
Das Gespräch mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden - der Termin war von diesen Gesprächspartnern bestimmt worden - fand am 20. Januar 1982 statt. Das war der 40. Jahrestag der sogenannten Wannsee-Konferenz. Wir haben natürlich auch darüber gesprochen.
In Briefen, Aufrufen, Gesprächen, die ich führe, oder Leserbriefen, die ich lese, spürt man Ausländerfeindlichkeit. Das, was ich eingangs zitiert habe, bedrückt einen deutschen Innenminister, insbesondere dann, wenn er so etwas selber miterleben muß. Aber das ist es nicht, was mich eigentlich besorgt macht. Mich machen nicht so sehr dieser „Stürmer"-Jargon und das besorgt, was man von Ewiggestrigen erlebt. Das macht mich nicht besorgt.
Mich beunruhigt und macht besorgt das, was ich in vielen Briefen von Bürgern lesen muß, die sich dagegen wehren, mit der NPD in einen Topf geworfen zu werden, die sich dagegen verwahren, daß man ihnen Ausländerfeindlichkeit unterstelle, die aber gleichzeitig sagen: Die Türken müssen raus. Sie begründen das damit, daß ihr Arbeitsplatz gefährdet sei, daß die Kinder endlich deutsche Schulen besuchen müßten; außerdem wolle man nicht mehr in der Türkensiedlung leben.
Es gibt viele Politikbereiche, in denen man dem Rechtsextremismus ein Tor öffnen kann. Ich glaube, hier ist ein solcher Politikbereich.
({1})
- Nein, nicht durch Untätigkeit, Herr Dregger. Wir können es uns nicht so einfach machen.
({2})
Minister Dr. Schnoor ({3})
Ich mache es keinem dieser Bürger in Duisburg oder Dortmund zum Vorwurf - und wir wollen überhaupt nicht verschweigen, daß es sich zum Teil um unsere Wähler handelt, zum Teil auch um Ihre Wähler, Herr Dregger -, daß er die Probleme, denen er sich gegenübersieht, für sich nicht für lösbar hält und uns anklagt. Wir haben unsere Bürger lange Zeit mit ihren Sorgen alleine gelassen. Wir haben Grundsätze verkündet. Aber wie sie im täglichen Leben umgesetzt werden sollten, hat jedenfalls für uns
- ich schließe mich ausdrücklich ein - nicht im Vordergrund gestanden. Wir haben politische Ziele aufgestellt, aber die Last der Integrationspolitik unseren Wählern in den alten Arbeiterquartieren aufgebürdet. Wir selbst wohnen dort ja nicht.
({4})
- Aber ich wohne dort nicht.
Ich meine, wir haben die Probleme der Ausländerpolitik wohl zu spät so ernst genommen, wie sie wirklich sind. Als erste wurden unsere Kommunalpolitiker mit der Gastarbeiterfrage konfrontiert. Wir gingen von der Fiktion aus, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland.
Die Probleme waren anfangs auch nicht so groß. Der türkische Kumpel im Bergbau in der Zeche Osterfeld war und ist ein geschätzter Kollege, und es gab - das muß man ganz deutlich sagen - trotz der Türken keine Türkenprobleme. Erst die große Zahl der ausländischen Arbeitnehmer, ihre Konzentration in bestimmten Stadtteilen mit der Gefahr der Gettoisierung, die Probleme des Familiennachzugs und die Re-Islamisierung, die stattgefunden hat - Koranschulen usw. -, haben uns die Probleme gebracht. Wir müssen umdenken, und ich sage ausdrücklich: ich beziehe mich da mit ein.
Fast zwei Drittel der ausländischen Arbeitnehmer wollen, wenn man den Umfragen glauben darf, in der Bundesrepublik bleiben. Sie holen ihre Familien nach. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, stehen wir am Anfang einer breiten öffentlichen Diskussion über die Ausländerpolitik. Nach einer Zeitungsmeldung soll sich aus einer Umfrage ergeben haben, daß die Bereitschaft der Bundesbürger, Ausländer im Bundesgebiet aufzunehmen, in den letzten Jahren drastisch gesunken sei, und auch unsere verstärkten Integrationsbemühungen stießen nicht mehr so auf Sympathie wie in der Vergangenheit. Wir stehen am Anfang einer draußen weitgehend auch emotional geführten Diskussion, und ich glaube, daß die wirklichen Probleme in der Ausländerpolitik noch vor uns liegen.
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Meine Damen und Herren, antidemokratische Kräfte versuchen, sich diese Situation zunutze zu machen. Ich spreche dies ganz betont als Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen aus, eines Landes, in dem zur Zeit ein entsprechender Versuch gestartet wird. Es ist übrigens der zweite Versuch; der erste Versuch hat im Frühjahr des letzten Jahres stattgefunden. Herr Kollege Urbaniak, entschuldigen Sie meine Erregung, wenn ich dies hier so darstelle. Dies ist ein Problem, das uns alle beschäftigt, das uns alle hier im Hause beschäftigen muß.
({6})
Hier wollen nämlich antidemokratische Kräfte unter dem Deckmantel der Sorge um die Bildungschancen deutscher Kinder eine sogenannte Entflechtung der Nationalitäten in der Schule einführen: Die Kinder von Ausländern sollen nicht zusammen mit den deutschen Kindern unterrichtet werden, sie sollen nach den Vorstellungen dieser Personen getrennt gehalten werden, um, wie es heißt, die Rückkehrbereitschaft der ausländischen Arbeitnehmer zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, durchsichtiger und gefährlicher kann die berechtigte Sorge - das will ich ganz deutlich sagen: die berechtigte Sorge - verantwortungsvoller Eltern um eine optimale Schulbildung ihrer Kinder nicht vor den Karren längst vergangen geglaubter Ideologien gespannt werden!
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Die NPD, die vorhin schon vom Herrn Bundesminister des Innern zitiert worden ist, unterstützt j a die sogenannte Bürgerinitiative Ausländerstopp, die in Nordrhein-Westfalen ein Volksbegehren zur Einrichtung getrennter Schulklassen für deutsche und ausländische Schulkinder anstrebt. Dieses Volksbegehren muß in seiner wahren Zielrichtung entlarvt werden, und es muß entschieden bekämpft werden.
Dazu will ich ausdrücklich sagen, daß wir hierzu entschlossen sind. Meine Damen und Herren, dies sage ich ausdrücklich auch für die CDU des Landtages von Nordrhein-Westfalen, denn zur Stunde findet der Versuch statt, eine gemeinsame Entschließung zu Fragen der Ausländerpolitik im Landtag zu formulieren. Die Standpunkte in Fragen der Schulpolitik sind j a - das wissen Sie - in Nordrhein-Westfalen zwischen den beiden Parteien ansonsten weiß Gott kontrovers.
Hierzu gehört also, daß wir auf der einen Seite die faschistischen Drahtzieher entlarven. Aber das genügt den Eltern gegenüber nicht. Vielmehr muß ihnen auch eine Politik der Demokraten - ich meine, eine gemeinsame Politik - deutlich gemacht werden.
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Wir alle müssen uns der Gefahren bewußt sein, die darin liegen, daß Rechtsextremisten versuchen, hier ein Gebräu aus Sorge um Arbeitsplätze, Sorge der Eltern um die Schulbildung ihrer Kinder und latenter Ausländerfeindlichkeit, die es unabhängig davon gibt - Zusammenleben ist schon immer schwierig gewesen, und Zusammenleben mit Fremden ist ohnehin suspekt -, anzurühren. Ich möchte hier noch den Hinweis auf ein Rundschreiben des NPD-Bundesvorstands vom 23. Januar 1982 - zwei Tage nach dem 40. Jahrestag der sogenannten Wannsee-Konferenz - anbringen, in dem es heißt, daß die „ideologisch verblendeten Bonner Kartellparteien" - mir kommt die Diktion so bekannt vor ({9})
Minister Dr. Schnoor ({10})
natürlich die Probleme nicht lösen könnten; man müsse den Bürgern endlich einmal die Wahrheit sagen.
Was können wir gemeinsam tun?
Ich meine zunächst einmal: Wir müssen unsere gesamte Politik darauf richten, daß die bei uns lebenden Ausländer als Mitmenschen bei uns angenommen werden. Das ist sehr schwer. Ich meine, wenn es so etwas wie die Kultur eines Volkes oder die ethische Reife eines Volkes gibt, dann ist jedenfalls der Gradmesser dafür, wie man mit Schwachen und Minderheiten umgeht. Ich glaube, dies müssen wir an den Anfang stellen.
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Es sollte für uns ferner nicht streitig sein, daß diejenigen ausländischen Mitbürger, die wir zu uns geholt haben und die jetzt arbeitslos werden oder zu werden drohen, unserer Solidarität genauso wie die deutschen Kollegen bedürfen.
Drittens - auch dies betone ich ausdrücklich - muß es unser gemeinsames Ziel sein, daß politisch Verfolgten in jedem Fall, ganz gleich, wo sie herkommen, Schutz gewährt wird. Das ist eine Frage nicht nur des Asylrechts, sondern eine Frage auch der Aufnahmefähigkeit und der Aufnahmebereitschaft der deutschen Bürger.
Auch müssen wir gemeinsam dafür sorgen, daß die latent vorhandene Ausländerfeindlichkeit nicht zum Nährboden rechtsextremistischen Gedankenguts wird. Hier haben wir alle gemeinsam Verantwortung vor unserer Geschichte.
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Wir müssen auch an die Bürger in den betroffenen Stadtteilen denken. Wir müssen verhindern, daß unsere Bürger mit ihren Sorgen alleingelassen werden und daß das Ausländerproblem - entschuldigen Sie, daß ich das jetzt hier so sage - ein Klassenproblem wird.
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Der letzte Punkt hierzu: Das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern - Herr Kollege Hirsch hat vorhin schon darauf hingewiesen - wird von der jeweiligen aktuellen wirtschaftlichen und damit aktuellen sozialen Situation, in der wir uns befinden, ganz wesentlich bestimmt. Die wirtschaftliche Lage ist natürlich Schwankungen, ist einer Wellenbewegung unterworfen.
Ausländerpolitik darf aber keine schwankende Politik sein. Worauf es ankommt, sind Kontinuität, Offenheit, Überzeugungskraft, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit für alle Beteiligten. Wir dürfen unsere Ausländerpolitik also nicht nach der jeweiligen wirtschaftlichen Situation einrichten.
Wir alle haben bisher in der Ausländerpolitik den Schwerpunkt zu recht auf die Integration gesetzt. Aber wir müssen uns auch fragen, ob unsere Erwartungen da nicht zu hoch waren. Gleichwohl müssen wir bei dem Ziel der Integration bleiben. Es muß im Mittelpunkt unserer Politik stehen. Aber - auch das will ich sagen - das kostet Geld; das kostet viel Geld.
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Ich will dazu nur eine Zahl nennen. Die Debatte in diesem Haus wird ja wahrscheinlich auch morgen hierüber geführt werden, wenn über Kommunalfinanzen gesprochen wird; ich gehe davon aus, daß sich dieses Thema dann wieder auf der Tagesordnung befindet. Das Land Nordrhein-Westfalen erstattet seinen Gemeinden die Kosten der Sozialhilfe für die Asylbewerber. Die Gemeinden sagen, das reiche nicht; es müsse auch die anderen Kosten zahlen. Wir erstatten sie jedenfalls für die Asylbewerber. Das Land Nordrhein-Westfalen hat hierfür allein im Jahr 1981 mehr als 190 Millionen DM - neben den sonstigen Kosten aufgewendet. Ich will hier nur diese eine Zahl nennen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns in der Ausländerpolitik die Fähigkeit erhalten, zwischen verschiedenen Tatbeständen zu differenzieren. Auch dies ist wichtig. Ausländer, das sind einmal Touristen, das sind ausländische Studenten, das sind angeworbene Arbeitnehmer, und das sind echte politische Flüchtlinge. So verschieden die Aufenthaltszwecke sind, so verschieden müssen auch die Lösungsmöglichkeiten sein. Dies darf man nicht alles in einen Topf werfen. Deswegen, meine Damen und Herren von der CDU, halte ich es für problematisch, die Probleme der Integration ausländischer Arbeitnehmer mit dem Problem der ungerechtfertigten Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl für, wie Herr Kollege Baum sagte, Armutsflüchtlinge zu vermischen.
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Im Mittelpunkt muß das Angebot der Integration stehen. Ich will jetzt wegen der vorgerückten Zeit nicht auf die Einzelheiten eingehen, sondern nur skizzieren. Vorhin ist das Problem des Familiennachzugs genannt worden. Herr Kollege Baum hat darauf hingewiesen, daß die Entscheidung der Eltern eigentlich früher einsetzen müßte als beim 16. Lebensjahr des Kindes. Ich bin auch der Meinung, daß diese Entscheidung früher einsetzen muß. Aber wenn wir konkret werden, wird es dann natürlich auch nicht ganz unproblematisch. Die Entscheidung müßte nämlich dann - ich bekenne mich jetzt deutlich dazu - einsetzen, wenn die Kinder in die Vorschulerziehung kommen.
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Das sind jedoch Probleme, die wir nur gemeinsam lösen können. Wir können sie nicht im politischen Streit lösen, denn dann würden wir uns gegenseitig verteufeln. Wir müssen vielmehr fragen, ob die Eltern, wenn die Kinder in die Vorschulerziehung kommen, vor die Alternative gestellt werden sollen, ob sie die Kinder in Deutschland erzogen wissen wollen, damit sie hier alle Chancen haben, oder ob sie das nicht wollen. Dann müssen sich die Eltern entscheiden, ob sie dann nicht ihre Pflichten aus Art. 6 des Grundgesetzes auf andere Art und Weise wahrzunehmen haben, nicht in der Weise, daß die Kinder hierher kommen, sondern dann müssen sie zu ihren Kindern gehen, wenn die im Ausland blei4922
Minister Dr. Schnoor ({17})
ben sollen. Aber ich sage: Das hier angesprochene Problem ist außerordentlich schwierig.
Es ist fraglich, ob man desselbe auch bei Eheschließungen zwischen Ausländern der zweiten Generation machen kann. Da wird es wahrscheinlich noch problematischer. Aber ich meine, wir müßten über diese Dinge nachdenken.
Ich bin eigentlich zu diesen zugegebenermaßen etwas unorthodoxen Vorschlägen gekommen, nachdem mir klargworden ist, welche Brisanz gerade angesichts der Erfahrungen und der Verantwortung, die wir vor unserer jüngsten Geschichte haben, in diesem Thema liegt, und was für ein Gebräu von einigen angerührt wird. Ich frage mich, ob wir nicht gerade deswegen auch zu rigiden Maßnahmen kommen müssen, um auf der einen Seite die Integration zu ermöglichen und auf der anderen Seite zu verhindern, daß sich die Rattenfänger Verbündete suchen.
({18})
Es ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Assoziierung der Türkei mit den EG-Staaten und die Frage der Freizügigkeit angesprochen worden. Ich muß sagen: Freizügigkeit ist für mich in erster Linie ein Problem einzelner; jedenfalls hat man es wohl so gedacht. Man hat eigentlich nicht so sehr daran gedacht, daß ganze Volksteile wandern. Ich glaube, hier könnte durchaus ein Ansatzpunkt liegen, um zu einer anderen Interpretation zu kommen.
({19})
Zum Ausländerextremismus und zur Ausländerkriminalität nur folgende Bemerkung. Das Thema ist viel zu kompliziert, um es jetzt im Detail zu behandeln. Ich will nur auf folgende Probleme ganz kurz eingehen.
Ein Problem ist der Konflikt, der entsteht, wenn Jugendliche kriminell werden. Ich las neulich in der Zeitung, zwei Banden jugendlicher Türken seien von der Polizei sistiert worden. Meine erste Überlegung war: Da muß ausgewiesen werden. Aber sofort wurde mir von dem Referenten gesagt: „Herr Minister, Sie haben eine ganz andere Entscheidung getroffen. Es ist nämlich entschieden, daß Jugendliche anders behandelt werden." Das ist richtig. Wir müssen uns hüten, diese Grundsätze nun einfach preiszugeben.
Zweitens will ich - Herr Kollege Brandt wies darauf hin - das Thema extremistischer Ausländerorganisationen erwähnen. Ich muß ganz deutlich sagen: Ich hätte die sogenannten Grauen Wölfe gern verboten.
({20})
Aber zu den Problemen muß ich gleich etwas hinzufügen; es ist sicherlich im Innenausschuß eingehend diskutiert worden, als es um das Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann ging. Herr Kollege Hirsch, Sie erinnern sich an die Debatten und die für Sie manchmal schwierigen Diskussionen im nordrhein-westfälischen Landtag, wenn die SPD Sie aufforderte, die Gruppe gefälligst zu verbieten.
Ich sage erstens: Ein Verbot muß gerichtsfest sein. Nichts wäre schlimmer, als ein Verbot auszusprechen, das nicht gerichtsfest ist. Um nicht politischen Schaden anzurichten, sollte man über diesen Punkt nicht allzu deutlich diskutieren.
Zweitens schafft uns ein Verbot noch nicht die Extremisten vom Hals. Hier gibt es auch Opportunitätserwägungen. Aber das ist ein ernstes Problem, das in der Tat auch so ernst behandelt werden muß.
({21})
- Ach, wissen Sie, Herr Kollege, für mich wäre es politisch viel leichter, wenn ich sagen würde: Verbieten wir doch die Grauen Wölfe! Denn ich werde in erster Linie von den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten dazu aufgefordert; von Ihrer Seite bin ich noch nie aufgefordert worden, die zu verbieten.
({22})
- Nein, nein! Das wäre für mich viel einfacher; dann könnte ich mich politisch viel leichter bewegen. Ich muß meinen Parteifreunden Rede und Antwort stehen, auch jetzt am Sonntag wieder auf dem Parteitag Niederrhein. Ich weiß schon: Der Antrag wird dort einstimmig durchgehen.
({23})
- Ach, wissen Sie, ich hatte gedacht, das Thema sei
zu ernst, um es hier mit billiger Polemik zu salzen.
({24})
Zu einer abgewogenen Integration gehört auch das angemessene Angebot zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Denn diejenigen Ausländer der zweiten und dritten Generation, die hier geboren und aufgewachsen sind, diese Kinder und Jugendlichen sind ohne ihr Zutun, zwangsläufig ihrem Heimatstaat und seinen Lebensverhältnissen entfremdet worden. Denen müssen wir ein langfristiges Angebot machen, auf das sie sich verlassen können. Dazu gehört eine entsprechende Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts.
({25})
Die Ermessenseinbürgerung reicht dazu nicht aus. Ich glaube, meine Damen und Herren, damit löst sich auch manches Problem hinsichtlich der Wahlberechtigung der Ausländer. Manches Problem wird dadurch auch leichter.
Zu Beschleunigung des Asylverfahrens möchte ich nur zwei kurze Beiträge liefern.
({26})
Einmal sage ich etwas zur Entscheidungsfindung in der Frage, ob das Bundesamt oder die Ausländerbehörden zuständig sein sollen. Ich habe dazu meine feste Meinung. Ich bin für die Zuständigkeit des Bundesamts. Ihnen könnte die Zustimmung vielleicht etwas leichter werden, wenn ich Ihnen folMinister Dr. Schnoor ({27})
gende Zahlen nenne. In Nordrhein-Westfalen sind 1981 von den Verwaltungsgerichten insgesamt 9 440 Verfahren abgeschlossen worden. In 64 Fällen - das sind 1,5 % der Fälle - ist abweichend von der Vorentscheidung in Zirndorf entschieden worden. Das ist eine Bestätigung dafür, daß Zirndorf richtig arbeitet. Das ist der erste Punkt. Bei den Ausländerbehörden sehe ich wegen der sehr diffizilen Probleme Schwierigkeiten. Man müßte bei den Ausländerbehörden sonst Spezialisten haben. Da habe ich, obwohl ich sehr für eine Stärkung der Landeskompetenz bin, etwas Sorge.
Zweitens. Wenn die Zweigstellen eingerichtet sind, dann haben wir die erforderliche Beschleunigung.
Dringend erforderlich ist, daß jetzt eine Entscheidung wegen der Gerichtsverfahren und der Gerichtsinstanz fällt. Auch hierzu zwei Zahlen: Bei den nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten waren am 1. Januar 1981 11 405 Verfahren anhängig. Die Zugänge im Jahre 1981 betrugen 23 633 Fälle; erledigt wurden 9 440 Fälle. Damit wird deutlich: Die daraus zu ziehende Bilanz weist - trotz der Erledigung von mehr als 9 000 Fällen - einen beträchtlichen Zuwachs aus, nämlich von rund 11 400 Fällen auf mehr als 14 000 Fälle.
Gestatten Sie mir zum Inhalt der Integrationspolitik noch einen Hinweis auf die Schulproblematik, weil die hier mehrfach angesprochen worden ist. Ich sagte bereits, daß beide Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags dabei sind, eine Entschließung zu formulieren mit dem Ziel, daß Nationalklassen und Nationalschulen grundsätzlich nicht in Betracht kommen, daß aber in Ausnahmefällen die Einrichtung von zweisprachigen Klassen kurzfristig ermöglicht wird, um nicht dadurch - Herr Kollege Hirsch, Sie verwiesen vorhin auf die Konfessionsschulen -, daß Eltern ihre Kinder ummelden, also einen Wechsel der Schulart vornehmen können, im Grunde durch die Abstimmung mit den Füßen aus der Gemeinschaftshauptschule eine reinrassige Schule für Türken zu machen.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, sind auch Fragen und Vorwürfe an die Länder gerichtet worden. Herr Kollege Hölscher war, wenn ich ihn recht verstanden habe, der Meinung, die Leistungen der Länder im Schulbereich reichten nicht aus; ich stimme dem zu. Aber was ist denn hier erforderlich? Es sind z. B. mehr Lehrer erforderlich; der Kultusminister fordert sie ständig. Ich kann der sachlichen Notwendigkeit gar nicht widersprechen. Nur, meine Damen und Herren, wenn Sie Forderungen stellen, die etwas mit den Ausgaben der Länder zu tun haben, dann müssen Sie auch dafür sorgen, daß wir Länder die entsprechenden Einnahmen bekommen. Denn leider fehlt uns die Autonomie, über unsere Einnahmen selbst zu entscheiden. Sonst würde in Fragen des Steuerrechts usw. manche Entscheidung anders fallen. Wir sind an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit gekommen. Ich bitte, das auch mit zu bedenken. Aber vielleicht kommen wir noch einmal auf dieses Thema zurück, wenn es um die Einnahmen der Länder und Gemeinden geht.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem Vorwurf, der hier früher einmal laut geworden ist, die Länder wüßten nicht, was sich bei den Ausländern abspiele; sie verlangten vom Bund, er möge Gesetze erlassen, während sie selber die Ausländer nicht abschöben. Ich habe daraufhin eine Erhebung bei den Ausländerbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen veranlaßt. Ich will Ihnen - Herr Kollege Hirsch, Sie haben j a auch darauf abgehoben - einmal ganz rasch die wichtigsten Zahlen nennen.
Zunächst einmal: Was tun die Länder? In Nordrhein-Westfalen sind im Jahre 1981 als Maßnahme gegen illegal lebende Ausländer Kontrollen an besonderen Brennpunkten durchgeführt worden, und zwar 1 100 Kontrollen. Dabei wurden rund 13 000 Ausländer überprüft und rund 800 davon. gleich 6 %, als illegal festgestellt. Dies waren, wie gesagt, Kontrollen an besonderen Brennpunkten. Ich gehe deshalb davon aus, daß der Durchschnitt tatsächlich geringer liegt.
Zweite Zahl: In Nordrhein-Westfalen hielten sich am 30. September 1980 50 662 Asylbewerber auf. Am 30. September 1981 waren es 50 544. Das heißt: Zugang und Abgang halten sich die Waage. Außerdem muß man sagen, daß seit 1973 insgesamt rund 30 000 Asylbewerber aus Nordrhein-Westfalen ausgereist sein müssen. Bei dieser Erhebung hat sich unsere Vermutung bestätigt, daß ein sehr großer Teil der erfolglosen Asylbewerber das Land freiwillig verläßt. Man muß sich ja darüber im klaren sein, daß die Abschiebung so etwas wie eine Zwangsvollstreckung, eine Zwangsmaßnahme ist.
(Zuruf des Abg. Dr. Bötsch ({28})
- Bitte?
({29})
- Nein, nein, sie verlassen es nicht, um dann in ein anderes Bundesland zu gehen. Herr Kollege Herzog kann ja sagen, ob er die alle von mir bekommen hat. Von den rund 13 000 im Zeitraum vom 30. September 1980 bis 30. September 1981 abgelehnten Asylbewerbern sind freiwillig ausgereist - daß sie freiwillig ausgereist sind, können wir feststellen - gut 4 500, also 35%. Ich will Ihnen nicht alle Zahlen vorlesen. Ich kann sie nachher gerne zu Protokoll geben oder Ihnen zur Verfügung stellen. Bemerkenswert ist, daß vor Abschluß des Asylverfahrens bereits 4 288 Asylbewerber ausgereist sind. Sie haben das Land verlassen. Es gibt übrigens auch hier sehr viele, die andere Gründe hatten, hierzubleiben, beispielsweise solche, die aus Ostblockländern kamen und vorher Asylanträge gestellt hatten.
Es kommen von Ihnen Klagen über das Fehlverhalten der Länder. Mich erreichen viele Briefe von Kollegen - auch aus dem Bundestag -, und zwar immer dann, wenn Ausländer abgeschoben werden sollen. Es wird dann heftig kritisiert, daß der Betreffende abgeschoben wird. Man erkennt plötzlich - meine Damen und Herren, das sage ich jetzt nicht als Kritik -, daß es ja nicht der sogenannte Scheinasylant ist, sondern daß es ein Mensch ist, der unter
Minister Dr. Schnoor ({30})
uns gelebt hat und plötzlich weg muß. Herr Spranger, Sie haben vorhin auf die Äußerung des Innenministers hingewiesen. Wir haben es hier mit Menschen zu tun.
({31})
- Es wird aber immer ganz pauschal gesprochen; es heißt „die Asylbewerber", „die Scheinasylanten", „die Länder müssen" und „Integration".
Worum es dem Bundesinnenminister geht, ist, klarzumachen, daß es doch ganz ernste Probleme sind, die sehr schwierig zu lösen sind. Das war doch das Problem. Wenn man an einen Einzelfall geht, merkt man: Das ist ein Mensch - ein Mensch, der ausgewiesen werden muß. Dann sagen Kollegen aus allen Bundestagsfraktionen, auch aus der CDU/ CSU-Fraktion: Muß der ausgewiesen werden? Ich kritisiere das gar nicht. Ich meine, wir müßten uns diese Menschlichkeit bewahren.
Ein allerletzter Satz. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bitte denken Sie noch einmal über die Ziffer II.1 Ihres Antrages nach. Ich weiß nicht, ob darin nicht doch zum Ausdruck kommen könnte „Deutschland den Deutschen". Ich meine das jetzt wirklich nicht polemisch. Sie sollten aber nochmals darüber nachdenken.
({32})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde.
({0})
Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/1297 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Abgeordneter Klein ({0}) hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 54 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Herr Abgeordnete Herberholz hat ebenfalls um schriftliche Beantwortung seiner Frage 3 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatssekretär Lahnstein steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragestellter der Fragen 9 und 10, Herr Abgeordneter Miltner, der Fragen 11 und 12, Herr Abgeordneter Dr. Jentsch ({1}), und der Fragen 13 und 14, Herr Abgeordneter Broll, haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Trifft es zu, daß der BND in einem nach dem 13. Dezember an das Bundeskanzleramt gerichteten Bericht gemeldet hat, daß der SED-Generalsekretär am 13. Dezember von der Machtübernahme des Militärs in Polen nicht überrascht sein konnte?
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage wie folgt. Eine solche Veröffentlichung ist in der Zeitung „Die Welt" vom 21. Januar 1982 erschienen. Ich darf mir den ergänzenden Hinweis erlauben, daß sie in der heutigen Ausgabe der Zeitung „Die Zeit" kommentiert worden ist. Diese Meldung aus der Zeitung „Die Welt" ist nicht zutreffend.
Der Hergang war folgender. Zwei Tage nach der Rückkehr des Bundeskanzlers aus der DDR traf am frühen Nachmittag des 15. Dezember 1981 ein Bericht eines BND-Mitarbeiters zum Treffen des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden im Bundeskanzleramt ein. Dieser Bericht entsprach in Form und Inhalt nicht den vorhergehenden schriftlichen und mündlichen Vorträgen des BND zur gleichen Frage. Er widersprach sogar in Form und Inhalt dem Vortrag des BND, der im Bundeskanzleramt um die Mittagszeit des gleichen Tages vom Vorgesetzten des betreffenden Mitarbeiters erstattet worden war.
In Kenntnis aller Meldungen und Wertungen und in Kenntnis der Prozedur, wie es wirklich zu der Terminabsprache für den Besuch des Bundeskanzlers in der DDR gekommen war, hat der zuständige Beamte im Bundeskanzleramt auf meinen Wunsch hin den Leiter der Abteilung Auswertung im BND darauf hingewiesen, daß der Aufbau dieses Berichts nicht schlüssig sei und die Formulierung zum Besuchstermin unzutreffend sei. Zu diesem zweiten Punkt, Herr Abgeordneter Werner, also zum Besuchstermin, erbat das Bundeskanzleramt vom zuständigen Leiter des BND in künftigen Fällen einen Anruf vor der Formulierung einer derartigen Vermutung. Nicht mehr und nicht weniger stand zur Diskussion, und so ist im übrigen auch das Verständnis im BND selbst. Der Grund für dieses Vorgehen ist einfach. Ein Anruf bei uns hätte genügt, um den betreffenden Spezialisten im Bundesnachrichtendienst über einen Hergang zu informieren, der bei uns im Bundeskanzleramt bestens bekannt war.
Im übrigen verfügte und verfügt die Bundesregierung über keine derartigen Erkenntnisse, wie sie in dem von mir bereits zitierten Artikel der Zeitung „Die Welt" vom 21. Januar 1981 aufgeführt sind. Das gilt im übrigen, was den Termin der Verhängung des Kriegsrechtzustands angeht, nicht nur für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, ich möchte in zwei Punkten um eine präzisere Auskunft bitten. Trifft es zu, daß der Bericht eine Aussage darüber enthielt, daß Staatssicherheitsbedienstete der
DDR im Hinblick auf die Vorgänge in Polen vor diesem Berichtstermin, d. h. auch vor dem Termin der Reise des Bundeskanzlers, speziell abgeordnet worden waren?
Herr Abgeordneter Werner, diese Frage deckt sich mit der Frage 19 von Herrn Jäger. Ich will aber darauf hinweisen, daß der von Ihnen zitierte Bericht einen derartigen Hinweis nicht enthalten hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
Eine zweite Frage: Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin in Verbindung mit diesem Bericht von anderen Vorträgen, die stattgefunden hätten. Ist denn im Zusammenhang mit dem von Ihnen vorhin erwähnten Berichten und den Vorträgen eine Information gegeben worden, und zwar dergestalt, daß Generalsekretär Erich Honekker am 13. Dezember tatsächlich im Besitz einer Information oder Vorinformation bezüglich der in Polen zu erwartenden Vorgänge - Verhängung des Kriegsrechtes - hat sein können?
Herr Abgeordneter Werner, Sie sprechen vom 13. Dezember. Das ist der Tag, an dem das Kriegsrecht verhängt worden ist.
({0})
An diesem Tag wußten wir alle von diesem Umstand. Es hat keinen Hinweis in den von mir erwähnten sonstigen Berichten oder Informationen des BND gegeben, der darauf schließen ließ oder läßt, daß Generalsekretär Honecker vor dem 13. Dezember über die Verhängung des Kriegsrechtes informiert gewesen sei.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß andere Nachrichtendienste wie beispielsweise der französische, der amerikanische und sogar der italienische Geheimdienst viel, viel besser über die Vorgänge in Polen informiert waren, und sind Sie bereit, mir weiterhin zuzugestehen, daß in diesen Berichten etwas gestanden hat, was Sie auf die Frage des Herrn Kollegen Werner hin gerade abgestritten haben?
Ich werde hier nicht über die interne Arbeit des eigenen Dienstes und schon gar nicht, Herr Abgeordneter Voss - dafür bitte ich sehr um Verständnis -, über die interne Arbeit befreundeter Partnerdienste berichten. Ich kann Ihnen aber versichern, daß der Informationsstand unseres Dienstes, des Bundesnachrichtendienstes, in der hier in Frage stehenden Problematik um keinen Deut schlechter war als der Informationsstand der von Ihnen zitierten Dienste.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).
Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, sind auch Regierungsfraktionen an mehr Informationen immer sehr interessiert. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht helfen könnten, daß auch Mitgliedern der Regierungskoalition Informationen und Indiskretionen aus Geheimdiensten zugänglich gemacht werden, die der Opposition offensichtlich zugänglich sind.
Herr Abgeordneter Voigt, die Zusage kann ich und werde ich -
Eine Sekunde! Der letzte Teil Ihrer Frage war keine Frage, sondern eine Behauptung. Diese kann ich nicht akzeptieren.
Ich wollte in der gleichen Richtung antworten, Frau Präsident. Was aber den hier in Rede stehenden Vorgang angeht, Herr Abgeordneter Voigt, so haben wir vorgestern in dem dafür zuständigen Gremium, der Parlamentarischen Kontrollkommission, die beiden in Frage kommenden Texte allen Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission voll zur Kenntnis gebracht, also sowohl denjenigen, die der Koalition angehören, als auch selbstverständlich denjenigen, die der Opposition angehören.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Trifft es zu, daß der zuständige Beamte im Bundeskanzleramt den Bericht kritisierte und verlangte, diesen den Nachrichtendiensten der Verbündeten gegenüber als unrichtig zu bezeichnen, und anordnete, daß in Zukunft vor Abfassung derartiger Berichte eine Rücksprache zu erfolgen habe'?
Ich beantworte die Frage 16 wie folgt. In einem Brief an den Leiter der Auswertungsabteilung des BND hat, wie ich bei der Beantwortung der vorhergehenden Frage bereits gesagt habe, der von Ihnen genannte Beamte im Bundeskanzleramt unter direktem Bezug auf Teile des bereits erwähnten Berichtes und im Zusammenhang mit den darin enthaltenen Behauptungen über das Zustandekommen des Besuchstermins angeregt, in solchen Fällen telefonisch zurückzurufen. Es ging und es geht, Herr Abgeordneter Werner, allein darum, daß der Bundesnachrichtendienst sich künftig über im Bundeskanzleramt der Natur der Sache nach besser bekannte Sachverhalte informieren sollte, anstatt darüber unnötige Vermutungen zu äußern. An eine Änderung der Praxis der Zusammenarbeit oder gar an eine Zensur der BND-Berichte ist selbstverständlich nicht gedacht. Darüber gibt es auch gar keine Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeskanzleramt und dem BND.
Ich will an dieser Stelle hinzufügen, was mir im Interesse der Mitarbeiter der BND zu liegen scheint: In der Zeit der sozialliberalen Koalition hat es keine irgendwie geartete politische Gängelung des Nachrichtendienstes oder seiner Mitarbeiter gegeben, und so wird es auch bleiben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen jetzt wiederum von der Form: Muß ich demzufolge davon ausgehen, daß Sie und Ihr Amt auch im Hinblick auf die inhaltliche Berichterstattung seitens der Mitarbeiter des BND von einer Ihrerseits straff vorgegebenen Form und Gliederung formeller Art auch und gerade bezüglich des Inhalts ausgehen?
Selbstverständlich nicht, Herr Abgeordneter Werner. Der Bundesnachrichtendienst ist - das sagt schon der Name - darauf angewiesen, Nachrichten zu sammeln und sie für die Bundesregierung insgesamt auszuwerten. Er ist in diesem Prozeß völlig frei. Das wird auch so bleiben. Das gilt insbesondere gegenüber der Aufsichtsbehörde, die wir nun einmal sind. Ihrerseits muß natürlich die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit behalten, ihre sich auf die Form oder das Vorgehen im einzelnen beziehende Kritik zu äußern. Sonst wäre sie keine Aufsichtsbehörde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
In der Antwort auf die zweite Frage haben Sie soeben auch davon gesprochen, daß es ratsam sei, wenn die Behörde vorher Rücksprache im Hinblick auf den laufenden Informationsstand nehme: Gehen Sie demzufolge davon aus, daß der BND zunächst die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Inhalts von Berichten bei Ihnen im Bundeskanzleramt zu überprüfen habe?
Selbstverständlich nicht, Herr Abgeordneter Werner. Ich habe das Wort „Rücksprache" auch nicht verwendet. Ich habe das Wort „Rückfrage" verwendet und habe es eindeutig auf einen Umstand hin präzisiert - das Zustandekommen des Termins für den Besuch des Bundeskanzlers bei Generalsekretär Honecker -, einen Umstand, der im Bundeskanzleramt nun einmal besser bekannt sein mußte als beim zuständigen Mitarbeiter des BND. Die Bitte um Rückfrage diente ausschließlich dem Ziel, den Mitarbeiter vor Vermutungen zu bewahren, die er durch einen Telefonanruf in eine Nachricht - wenn Sie so wollen - hätte umwandeln können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin von der Beanstandung von Vermutungen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Beamte bei der Auswertung der Erkenntnisse, die er gewonnen hat, verpflichtet ist, nach bestem Wissen und Gewissen die notwendigen Schlüsse ohne Rückfragen mitzuteilen?
Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Abgeordneter. Sie haben selber den Begriff „nach bestem Wissen" gebraucht. Das ist völlig richtig. Zum besten Wissen hätte es gehört, sich Wissen zu beschaffen, ehe man Vermutungen anstellt. Dieses Wissen hätte er durch einen einfachen Telefonanruf bei uns bekommen können.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voss.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß der Bundeskanzler über den Grad der Informationen, die er über den Zustand in Polen erhielt, nicht gerade erfreut war und daß es deswegen ein Gespräch mit dem Präsidenten des BND gegeben hat, wo auf die Gründe etwas eingegangen worden ist?
Das ist zwar nicht ganz der gleiche Zusammenhang, aber ich bin sehr froh, Ihre Frage beantworten zu können.
({0})
Der Bundeskanzler ist ständig auch darüber informiert worden, warum bestimmte Informationsstände, übrigens nicht nur beim BND, sondern bei den westlichen Nachrichtendiensten insgesamt, so waren, wie sie waren. Lassen Sie mich hier bitte nicht in die Einzelheiten gehen.
Aber das von Ihnen erwähnte Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes hat es nicht gegeben. Ich bin sehr froh, dieses richtigstellen zu können.
Ich rufe Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
({0})
Ist es zutreffend, daß der Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, Dr. Ritzel, sich im Zusammenhang mit der BND-Berichterstattung über die Verhängung des Kriegsrechts in Polen ohne Wissen des BND-Präsidenten Kinkel an den Leiter der BND-Abteilung „Auswertung" wandte und verlangte, daß Meldungen über Polen vor der Abfassung mit ihm abgesprochen werden müßten?
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Voss wie folgt beantworten: Ich habe das Wesentliche bereits in den Antworten auf die beiden vorhergehenden Fragen gesagt und darf mich deshalb - wenn Sie einverstanden sind - auf den Satzteil, in dem es heißt „ohne Wissen des BND-Präsidenten Kinkel", beziehen.
Es muß möglich sein und dient der Effektivität, insbesondere zu einem Zeitpunkt, wo der Präsident Kinkel aus anderen zwingenden dienstlichen Gründen überhaupt nicht am Sitz des BND anwesend ist, daß sich der zuständige Abteilungsleiter des Bundeskanzleramtes mit Wünschen, Anregungen und Fragen auch unmittelbar an Abteilungsleiter des BND wendet; ebenso, wie dies übrigens auch umgekehrt geschieht.
Die Berichterstattung, die wir durch den BND bekommen, erfolgt j a auch nicht in allen Fällen durch den Präsidenten direkt. Das läßt sich nach Lage der Dinge auch nicht machen. Es ist dann Sache des
Adressaten, seinen Vorgesetzten zu unterrichten oder dessen Weisungen einzuholen, soweit dies erforderlich ist. Auch dies gilt in beiden Richtungen. Herr Ritzel kommt zu mir, und der zuständige Abteilungsleiter geht zu seinem Präsidenten. Über dieses Verfahren besteht im übrigen volles Einvernehmen zwischen der Leitung des BND und dem Bundeskanzleramt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, vermögen Sie mir zu sagen, seit wann es üblich ist, daß ein im Bundeskanzleramt für den BND zuständiger Beamter sich ohne Wissen des Präsidenten an Beamte des BND wendet? Vermögen Sie mir da ein paar Beispiele vielleicht aus der Vergangenheit zu sagen?
Da die Beispiele in die tägliche Arbeit eingreifen und es sich um eine sensible Materie handelt, werde ich das nicht tun können. Ich bitte Sie dafür um Verständnis.
Zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen mit einem Wort antworten: dies passiert regelmäßig.
Weitere Zusatzfrage. Herr Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, darf ich dann fragen, ob es bei früheren Präsidenten ähnliche Vorgehensweisen gegeben hat?
Ich vermute ja, da dies eine ganz normale Behördenpraxis zwischen einer Aufsichtsbehörde und einer selbständigen Bundesoberbehörde ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß es zur Wahrung des Pflichtenbereichs des zuständigen meldenden Beamten gehört, wenn er selbst Meldungen vor der Abfassung mit einem anderen Beamten, einem vorgesetzten Beamten, absprechen muß?
Dem stimme ich völlig zu, Herr Abgeordneter Czaja - was hier in dem vorliegenden Fall nicht geschehen war. Aber ich will hier nicht in aller Öffentlichkeit die Arbeit eines ansonsten von uns sehr geschätzten Mitarbeiters des BND kritisieren.
Ich rufe Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Hat Ministerialdirektor Dr. Ritzel vom BND verlangt, daß der Bericht gegenüber den NATO-Staaten für unrichtig erklärt werde, und was ist tatsächlich geschehen?
Frau Präsident, meine Damen und Herren, ich beantworte die Frage wie folgt. Der zuständige Beamte im Bundeskanzleramt hat den BND gebeten, bei nächster Gelegenheit den Sachverhalt bei den Empfängern - soweit die Empfänger Partnerdienste sind - in geeigneter Weise noch einmal aufzunehmen und zu korrigieren. Da der Bericht - aus Gründen, die in der Verantwortung des BND liegen - den Partnerdiensten nicht zur Verfügung gestellt worden ist, war diese Korrektur nicht notwendig.
Zusatzfrage, Herr Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, ist gegen den Beamten im BND, der den Bericht erstellt hat, irgendwie disziplinarisch oder sonstwie vorgegangen worden?
Gegen ihn ist in keiner Weise dienst- oder disziplinarrechtlich vorgegangen worden. Ich sagte eben in der Antwort auf die Frage von Herrn Abgeordneten Dr. Czaja, daß es sich um einen durchaus geschätzten Beamten des Bundesnachrichtendienstes handelt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, ist zwischen dem Umstand, daß dieser Bericht erstellt wurde, und dem Umstand, daß er an die NATO und sonstige befreundete Dienste weitergegeben worden ist, unterschieden worden?
Ich habe in meiner Antwort darauf hinzuweisen versucht, daß die Bitte um Korrektur sich auf den Tatbestand der Übersendung an andere Nachrichtendienste bezog. Die anderen Bitten hatte ich in meinen Antworten auf die vorhergehenden Fragen zu erläutern versucht.
Ich sage es noch einmal: es handelte sich darum, darauf hinzuweisen, daß man durch die Beschaffung von bestem Wissen bestimmte Vermutungen manchmal nicht mehr notwendig hat.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß die DDR Regierung im Zuge der Vorbereitung der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 500 bis 600 Angehörige des Staatssicherheitsdienstes u. a. für fernmeldetechnische Dienste abgestellt hat, und sind der Bundesregierung noch andere Maßnahmen der DDR Regierung in diesem Zusammenhang bekannt?
Frau Präsident, meine Damen und Herren, ich beantworte die Frage wie folgt. Das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium der Verteidigung haben am 28. Dezember 1981 zu der von Ihnen erfragten Problematik, Herr Abgeordneter Jäger, eine kurze Vorabinformation erhalten, die übrigens keine Zahlenangaben enthielt. Die Information deckte sich nicht ganz mit dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt. In den Tagen danach sind an der Glaubwürdigkeit dieser Information Zweifel entstanden, so daß die betreffenden Dienste diese Information dann nicht mehr an andere Stellen herausgegeben haben. Die Bun4928
desregierung hat keine Erkenntnisse über andere entsprechende Maßnahmen der DDR.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Bedeutet das, Herr Staatssekretär, daß diese Erkenntnisse, nach denen ich gefragt habe, nicht bestehen, oder bedeutet dies nur, daß infolge der von Ihnen erwähnten Zweifel bei der Bundesregierung Ungewißheit besteht und Sie insofern keine Bestätigung geben können, oder bedeutet das ein klares Dementi?
Ich kann die Informationen, die Ihrer Frage zugrunde liegen, nicht dementieren, aber ich kann sie auch nicht bestätigen. Es ist so, daß wir begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Meldung haben. Aber damit kann ich sie nicht rundheraus dementieren.
Zweite Zusatzfrage, Herr Jäger.
Welche Nachforschungen hat denn der Bundesnachrichtendienst oder welche Nachforschungen hat auch das Bundeskanzleramt unternommen, nachdem es nun über Vorgänge dieser Art gewisse Informationen bekommen hatte, um das zu verifizieren? Haben sich diese Nachforschungen auf alle zugänglichen Erkenntnisquellen einschließlich der Beobachtungen von Diensten verbündeter Staaten erstreckt?
Ich werde - dafür bitte ich um Verständnis - keine Einzelheiten aus der operativen Tätigkeit der Nachrichtendienste in die Fragestunde des Deutschen Bundestags einführen. Ich habe versucht, darauf hinzuweisen, daß wir eine erste Vorabinformation, die wir erhalten hatten, mit aller gebotenen Sorgfalt überprüften. Von daher sind ja die Zweifel an der Glaubwürdigkeit überhaupt erst entstanden.
Ich darf hinzufügen - das ist nicht so geheim, daß man es hier nicht sagen könnte -, daß gerade in einer so sensiblen und komplizierten Frage wie der Entwicklung in Polen selbstverständlich eine enge Zusammenarbeit auch mit Stellen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gepflegt wird. Aber erwarten Sie von mir nicht, daß ich hier in technische Einzelheiten gehe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, trifft es also vor dem Hintergrund dieses nun angesammelten Materials und vor dem Hintergrund des vorhin diskutierten BND-Berichts zu, daß Generalsekretär Erich Honecker bereits am Tage des Gesprächs mit Bundeskanzler Schmidt, also am 13. Dezember, im Kenntnisstand über die Vorgänge in Polen gewesen sein kann, auch vor dem Hintergrund der Mitwirkung von SSD-Behörden?
Herr Abgeordneter, ich muß mich hier auf die Informationen abstützen, die wir haben. Das sind diejenigen, die ich Ihnen zu geben versucht habe. Ich kann hier keine darüber hinausgehenden Spekulationen in irgendeiner Richtung anstellen. Wir haben keinen Zweifel daran, daß das, was in diesem Zusammenhang an anderer Stelle - auch hier im Deutschen Bundestag - gesagt worden ist, etwa nicht zutreffend gewesen sei oder nicht zutreffend sei.
Zusatzfrage, Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, da Sie den Sachverhalt, der der Frage des Kollegen Jäger zugrunde liegt, weder dementieren noch bestätigen können, darf ich Sie fragen, woher Sie noch herzuleiten vermögen, daß der Bundeskanzler den Eindruck haben konnte, Herr Honecker sei über die Verhängung des Kriegsrechts ebenso bestürzt wie er selbst.
Herr Abgeordneter Voss, ich darf Sie darauf hinweisen, daß ich in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Jäger das Daturn der Vorabinformation erwähnt habe. Das Daturn war der 28. Dezember 1981.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt.
Wir gehen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen über. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Corterier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Hansen auf.
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Verletzungen der menschlichen Freiheiten und Gewaltakte, die in El Salvador mit Beteiligung der USA geschehen sind oder noch geschehen, und wenn ja, wird die Bundesregierung aktiv werden, um die Länder der Europäischen Gemeinschaft zu veranlassen, innerhalb der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen tätig zu werden, um diese Verletzungen der menschlichen Freiheiten und Gewaltakte nachdrücklich zu rügen?
Solche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. Im Gegenteil: Der amerikanische Außenminister Haig hat erst vorgestern vor dem auswärtigen Ausschuß des Senats bekräftigt, daß die amerikanische Regierung die von allen Seiten in El Salvador begangenen Gewaltakte verurteilt und auf die salvadorianische Regierung Einfluß nimmt, ihrerseits gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.
Ich weise im übrigen darauf hin, daß es im amerikanischen Kongreß zur Zeit eine lebhafte Debatte über die Frage der Menschenrechtsverletzungen in El Salvador gibt. Ich habe die Hoffnung, daß diese Debatte dazu beiträgt, daß die amerikanische Regierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf die Regierung von El Salvador einwirkt, um Menschenrechtsverletzungen in El Salvador zu verhindern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, da Sie sich auf Herrn Haig berufen haben, daß Sie auch die Meinung von Herrn Haig, wie sie dem von Ihnen erwähnten Senatsausschuß vorgetragen wurde, teilen, daß die Junta in El Salvador sich um die Einhaltung der Menschenrechte in El Salvador bemüht, trotz der bekanntgewordenen Massaker, von denen wir gerade in den letzten Tagen gelesen haben?
Mir liegt diese Äußerung des amerikanischen Außenministers nicht vor. Ich möchte mich auf die Aussage beschränken, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Ihnen nicht entgangen sein wird, daß wesentliche Teile meiner Frage dem Punkt 9 des Kommuniques der Außenministerkonferenz der Europäischen Gemeinschaft zu Polen vom 6. Januar 1982 entnommen sind, möchte ich Sie fragen: Besteht nicht Veranlassung, ähnliche Maßnahmen wie in Punkt 9 aufgeführt gegenüber den USA wegen ihrer Beteiligung in El Salvador ins Auge zu fassen, wenn man davon ausgeht, daß in El Salvador Völkermord stattfindet, mit Billigung - und zum Teil mit Hilfe der Militärhilfe - der USA?
({0})
Herr Abgeordneter, wenn ich Ihre Frage wörtlich nehme, muß ich antworten, daß es für uns einen solchen Anlaß nicht gibt; denn Sie haben j a danach gefragt, ob wir eine Beteiligung der Vereinigten Staaten an der Verletzung menschlicher Freiheiten und an Gewaltakten in El Salvador unterstellen und ob wir, das zugrunde gelegt, die von Ihnen genannten Schritte ergreifen wollen.
Ich möchte Sie aber unabhängig davon darauf hinweisen, daß die Vereinten Nationen am 16. Dezember 1981 eine Resolution über die Situation der Menschenrechte in El Salvador verabschiedet haben, die sehr klare und eindeutige Aussagen enthält. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieser Resolution zugestimmt. In dieser Resolution wird unter Punkt 9 im übrigen gefordert, daß sich die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen auf ihrer bevorstehenden 38. Sitzung gründlich mit der Situation der Menschenrechte in El Salvador befassen solle. Wir haben auch diesem Punkt zugestimmt. Diese Befassung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen wird in wenigen Wochen - noch in diesem Monat - in Genf stattfinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob einmal untersucht worden ist, aus welchem Land die Waffen stammen, mit denen die fürchterlichen Massaker in El Salvador durchgeführt worden sind, und könnte es sein, daß diese Waffen aus den Waffenlieferungen der USA stammen?
Herr Abgeordneter, wenn Sie fragen, woher die Waffen stammen, dann hängt das nicht unmittelbar mit der ursprünglichen Frage zusammen. Sie haben hier nach einer Mitwirkung der Vereinigten Staaten gefragt. Das hängt nicht unmittelbar damit zusammen. Es tut mir leid.
({0})
- Nein, das hängt nicht mit der Frage zusammen, das ist in der Frage nicht beinhaltet. Es tut mir leid.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, befürchtet die Bundesregierung die Beteiligung der USA an Menschenrechtsverletzungen - wie mit der Frage des Fragestellers gefragt - im Zusammenhang mit der augenblicklich durchgeführten Ausbildung von Soldaten aus El Salvador, nachdem das einzige bisher in den Vereinigten Staaten ausgebildete Regiment Atlacatl des mehrhundertfachen Mordes bezichtigt wird?
Herr Abgeordneter, mir liegen derartige Informationen nicht vor. Ich verlasse mich auf die Aussage der amerikanischen Regierung, die ich zitiert habe.
Ich möchte wiederholen, daß im Augenblick im amerikanischen Kongreß eine intensive Debatte über die Frage der Menschenrechte in El Salvador stattfindet. Auch der Auswärtige Ausschuß des Repräsentantenhauses wird sich in der nächsten Woche mit dieser Frage befassen. Er wird möglicherweise auch Beschlüsse im Zusammenhang mit dieser Frage fassen, so daß ich davon ausgehe: Die Aufmerksamkeit für dieses Problem ist in den Vereinigten Staaten so groß, daß sich die Regierung und der Kongreß auch in Zukunft in besonderem Maße mit dieser Frage befassen werden. Dies wird sicherlich dazu führen, daß die amerikanische Regierung die Einwirkungsmöglichkeiten, die es gegenüber der salvadorianischen Regierung gibt, auch voll ausnützen wird.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Welche weiteren Maßnahmen wird die Bundesregierung auf Grund der Entwicklung der Lage in El Salvador anregen?
Die Bundesregierung steht wegen der krisenhaften Entwicklung in El Salvador in engem Meinungsaustausch mit den Regierungen ihrer europäischen Partnerländer, der Vereinigten Staaten und Kanadas. Sie vertritt dabei die Auffassung, daß zur Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzung im Lande eine Verständigung aller demokratischen Kräfte erforderlich ist, um die Durchführung der teilweise schon begonnenen wirtschaftlichen Reformen zu ermöglichen und auf dem Wege über freie Wahlen dem Volk El Salvadors die Möglichkeit zu geben, über die Entwicklung des
Landes ohne Einmischung von außerhalb selbst zu entscheiden.
Die Möglichkeiten der Bundesregierung zu direkter Einflußnahme sind begrenzt. Die Bundesregierung ermutigt aber gerade die demokratischen Länder der dortigen Region, ihrerseits Einfluß zu nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Welche Haltung wird die Bundesregierung angesichts der Tatsache einnehmen, daß die USA ihre Wirtschafts- und Militärhilfe für die Junta in El Salvador auf über 300 Millionen Dollar verdoppeln wollen?
Ich muß sagen, ich sehe keinen Zusammenhang mit der Frage.
Ich sehe den schon! Aber dann darf ich anders fragen: -
Nein! Sie haben eine zweite Frage. Bitte!
Gut, dann werde ich eine zweite Frage stellen.
Wird die Bundesregierung, falls die USA, wie der Außenminister Haig auf der Sitzung, die Sie eben schon angesprochen haben, verkündet hat, zu einer Blockade Kubas und zu einer direkten militärischen Intervention in El Salvador übergehen wollen, weiter kritiklos an der Seite der USA dem zuschauen?
Herr Kollege, bei allem guten Willen: Dies hat mit der Fragestellung nichts zu tun.
({0})
- Nein, es tut mir leid, dies kann ich hier nicht weitergeben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich Frage 22 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Richtlinien bestehen für die Botschaften und Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland bezüglich einer Unterstützung der Exportbemühungen der deutschen Industrie?
Das Auswärtige Amt hat schon seit Jahren verstärktes Gewicht auf die Exportförderung durch die Auslandsvertretungen gelegt und mit den „Richtlinien für die Arbeit der Auslandsvertretungen auf den Gebieten der Außenwirtschafts-, Integrations- und Entwicklungspolitik" vom 1. August 1972 umfangreiche Anleitungen für die Wirtschaftsdienste gegeben.
Die in den Richtlinien enthaltenen Weisungen für die Unterstützung der Exportbemühungen der deutschen Industrie wurden mit Runderlassen vom 7. Mai 1976 und vom 30. Januar 1979 weiter präzisiert. Danach steht die Förderung der außenwirtschaftlichen Interessen der deutschen Wirtschaft gleichberechtigt neben den anderen Aufgaben der Auslandsvertretungen. Die Richtlinien enthalten
dazu Anweisungen über die konkreten Möglichkeiten für die Außenhandelsförderung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Verhältnisse in den einzelnen Ländern und Ländergruppen sehr unterschiedlich sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Staatsminister, können Sie sagen, in welcher Form die deutsche Industrie an der Konzeption dieser Richtlinien beteiligt worden ist, damit auch der Sachverstand hinsichtlich der praktischen Handhabung vor Ort dort einbezogen werden konnte?
Es gibt einen ständigen Dialog mit den zuständigen Gremien der deutschen Wirtschaft über diese Fragen.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Sie dann fragen, wie Sie es beurteilen, daß es angesichts der Praxis, die sich in verschiedenen Fällen eingebürgert hat, offensichtlich doch Beschwerden gegeben hat?
Ich kann Ihre Auffassung, daß es hier offenbar eine Häufung von Beschwerden gibt, nicht teilen. Es hat in der Vergangenheit öfter Beschwerden gegeben; seither sind aber Verbesserungen vorgenommen worden. Es gibt erhöhte Anstrengungen des Auswärtigen Amtes, unsere Arbeit in diesem Bereich zu verbessern, und die tragen ihre Früchte. Aber natürlich will ich nicht ausschließen, daß es immer noch einzelne Vorbehalte geben mag.
Ich rufe Frage 23 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik aus Kreisen der deutschen Exportwirtschaft, daß sich z. B. die Wirtschaftsreferenten der deutschen Auslandsvertretungen weigerten, deutsche Unternehmen bei ihren Exportbemühungen zu unterstützen?
Von einer generellen Kritik dieser Art kann nicht die Rede sein. Die deutsche Wirtschaft erkennt die Bemühungen der Auslandsvertretungen um Exportförderung an.
Sofern das Auswärtige Amt konkrete Beschwerden erhält, werden sie sorgfältig geprüft. Dabei zeigt sich häufig, daß die Vorstellungen einzelner Firmenvertreter über die Möglichkeiten der Auslandsvertretung zur Förderung konkreter Ausfuhrvorhaben den Realitäten nicht gerecht werden.
Zum einen ist immer noch nicht allgemein bekannt, daß nicht nur die Auslandsvertretungen, sondern auch die Auslandshandelskammern sowie die Bundesstelle für Außenhandelsinformation und ihre Auslandskorrespondenten mit der Exportförderung befaßt sind.
Zum anderen setzt die Stellenknappheit bei den Auslandsvertretungen Grenzen. Es wird darauf hinStaatsminister Dr. Corterier
gewiesen, daß von insgesamt 190 bilateralen Vertretungen nur 62 über Mitarbeiter des höheren Dienstes, die sich ausschließlich mit Wirtschaftsfragen befassen, verfügen. Diese Wirtschaftsreferenten haben auch die Aufgabe, über die wirtschaftspolitische Entwicklung des Gastlandes zu berichten, und können deshalb ihre Arbeitskraft nicht ausschließlich der Handelsförderung widmen. Die übrigen 128 Vertretungen verfügen über eine so begrenzte Anzahl von Mitarbeitern des höheren Dienstes, daß diese auch andere als Wirtschaftsfragen bearbeiten müssen.
Schließlich wird nicht immer beachtet, daß die Auslandsvertretungen bei der Exportförderung auch die Situation der Konkurrenz zwischen deutschen Unternehmen berücksichtigen müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Staatsminister, würden Sie das folgende Zitat aus der „Wirtschaftswoche" vom 15. Januar 1982 - das ich mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsident, bringen kann - als einen Einzelfall bezeichnen, der einer Überprüfung nicht standhält? Das Zitat lautet:
Auf der einen Seite soll die deutsche Wirtschaft durch mehr Exporte den Karren aus dem Dreck ziehen, und dann ist die Unterstützung durch die Botschaft gleich Null.
Wir haben uns in einem Leserbrief an die „Wirtschaftswoche" gewandt. Ich kann nicht akzeptieren, daß das eine richtige Beschreibung unserer Arbeit und der Tätigkeit unserer Wirtschaftsreferenten ist.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, darf ich als Ergebnis unseres kurzen Dialogs festhalten, daß Sie auch heute keine Notwendigkeit sehen, die von Ihnen zitierten Richtlinien zu ändern, und daß der Auswärtige Dienst im Rahmen seiner Möglichkeiten auch zur Unterstützung der deutschen Exportwirtschaft zur Verfügung steht?
So weit würde ich nicht gehen. Wir müssen unsere Richtlinien und Weisungen ständig überprüfen, ob sie auch im Licht der neuesten Entwicklungen noch in Ordnung sind oder ob sie angepaßt werden müssen. So ist zur Zeit ein solcher Prozeß der Anpassung im Gang. Die einschlägigen Richtlinien und Erlasse werden überarbeitet. Das Auswärtige Amt hält dazu Kontakt mit den Wirtschaftsverbänden sowie den anderen in der Außenhandelsförderung tätigen Stellen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß es wegen der Schwierigkeiten im Exportgeschäft, z. B. der non tariff barriers und ähnlicher Dinge, eine Art Flurbereinigungsabkommen zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt gibt, nämlich derart, daß die Außenhandelskammern des Deutschen Industrie-
und Handelstags viele dieser Aufgaben übernehmen, zu denen sich die Botschaften, gebunden an bestimmte andere Aufgaben, u. U. nicht in der Lage sehen können?
Das kann ich bestätigen.
({0})
Kooperativ! Herr Kollege Jäger ({0}), Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, könnten Sie bei Zurückweisung der in solchen Pressestimmen lautgewordenen Kritik dem Haus einmal darstellen, in welcher Weise die, wie Sie j a dargestellt haben, in den Auslandsvertretungen zu spärlich vertretenen für diese Aufgabe abgestellten Diplomaten für diesen speziellen Zweck ausgebildet und fortgebildet werden?
Ja. Ich kann Ihnen dazu folgendes sagen. Das Auswärtige Amt veranstaltet regelmäßig Fortbildungsseminare für Wirtschaftsreferenten, die jeweils etwa zehn Tage dauern. Das Fortbildungsseminar in diesem Jahr wird speziell der Frage der Exportförderung gewidmet sein. Die Seminare werden in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden durchgeführt. Dabei ergibt sich auch die Gelegenheit zu unmittelbaren Gesprächen über Vorstellungen und Wünsche der deutschen Wirtschaft. Allerdings setzt auch hier die Mittelknappheit Grenzen, vor allem bei der Zahl der Teilnehmer. Die Attaché-Ausbildung enthält einen dreimonatigen Lehrgang über Wirtschaftsfragen. Attachés mit juristischer Vorbildung absolvieren daneben noch eine Industrie-Stage bei Handelskammern und Unternehmen.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Sind Pressemeldungen ({1}), in denen der Wortlaut einer Verordnung der polnischen Militärregierung über die Errichtung von „Isolations-Zentren" für politische Häftlinge zitiert wird, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zutreffend, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung sonst über diese Konzentrationslager und die dort herrschenden Haftbedingungen?
Die Pressemeldungen zu der Verordnung Nr. 50/81 des polnischen Justizministeriums vom 13. Dezember 1981 zur Bildung sogenannter „Isolierungszentren" sind zutreffend.
Die Erkenntnismöglichkeiten sind auf Grund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Botschaft begrenzt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat, wie Sie wohl wissen, einige Lager besucht. Hierüber gibt es Presseberichte, auf die ich verweise. Das IKRK hat nun auch die Erlaubnis erhalten, alle 49 Lager zu besuchen. Dies ist eine gute
Nachricht. Auch wenn die Berichte über Lagerbesuche des IKRK im allgemeinen vertraulich sind und wir daher das Ergebnis nicht erfahren werden, so ist doch zu hoffen, daß die Tatsache dieser Besuche und das Ergebnis ihrer Feststellungen zu einer Verbesserung der Lage der „Internierten" führt.
Lassen Sie mich bitte hinzufügen, daß sich aus anderen verläßlichen Quellen ergibt, daß sich die Haftbedingungen gegenüber den anfänglichen Zuständen verbessert haben und im allgemeinen den Mindestanforderungen entsprechen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, steht die Art und Weise, wie die polnische Regierung diese Isolations- oder Isolierungszentren eingerichtet hat, auch nach Auffassung der Bundesregierung in krassem Widerspruch zu den Bestimmungen der internationalen Menschenrechtspakte, wonach Freiheitsentzug nur dann zulässig ist, wenn er innerhalb einer bestimmten Zeit danach richterlich überprüft wird?
Die Bundesregierung wird sich mit der Tatsache der Einrichtung solcher Zentren nicht abfinden, und sie wird deshalb auch in Zukunft mit ihren Verbündeten fordern, daß alle Verhafteten freigelassen werden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß sich diese Isolationszentren, die j a sehr lebhaft an die berühmte „Schutzhaft" des Dritten Reiches erinnern, mit der dann die Konzentrationslagerbewegung der Nazis begonnen hat, auch wenn sich inzwischen manche besonderen Kraßheiten des Anfangs gemildert haben, in dem, was den Menschen dort zugefügt wird, himmelweit von dem unterscheiden, was selbst für einen Notstand da und dort noch unter humanitären Gesichtspunkten hingenommen werden könnte?
Herr Abgeordneter, ich habe bereits gesagt, die Bundesregierung nimmt die Tatsache der Einrichtung dieser Zentren nicht hin, und sie fordert zusammen mit ihren Verbündeten, daß die Verhafteten freigelassen werden. Dem möchte ich nichts hinzufügen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer ersten Antwort von der Bewegungsbeschränkung unserer Botschaft gesprochen. Können Sie uns sagen, worin diese Bewegungsbeschränkung für unsere Botschaft besteht?
Mir liegen die Einzelheiten im Moment nicht vor. Ich werde sie Ihnen gerne mitteilen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Graf Stauffenberg und Frage 27 des Abgeordneten Engelsberger sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf.
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung gegen die aggressive Propagandathese vom „Berufsverbot" in der Bundesrepublik Deutschland während der Rede des obersten polnischen Kriegsherren Jaruzelski am 25. Januar vor dem polnischen Sejm Stellung zu nehmen?
Die Auffassung der Bundesregierung zum Thema des sogenannten „Berufsverbots" ist bekannt und wiederholt dargelegt worden. Die Bundesregierung hat sich hierzu insbesondere in der für Fragen des Arbeitslebens zuständigen Internationalen Arbeitsorganisation geäußert und dort für ihre Auffassung Verständnis gefunden.
Die Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, auf jede einschlägige Äußerung - wie die von Ihnen zu Recht als „Propagandathese" bezeichnete Aussage von General Jaruzelski - zu reagieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, ist es die Gewohnheit des Auswärtigen Amtes, auf eine falsche These in einer offiziellen Erklärung eines Regierungschefs durch Schweigen zu reagieren?
Das ist nicht die Gewohnheit des Auswärtigen Amtes. Auf der anderen Seite, glaube ich, wären wir überbeschäftigt, wenn wir auf jede nicht zutreffende Äußerung eines Regierungsvertreters eines anderen Landes eingehen würden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Können Sie mir darin zustimmen, Herr Staatsminister, daß gerade von dieser Rede des polnischen obersten Kriegsherrn im Sejm ein Signal erwartet wurde und daß deswegen Anlaß gewesen wäre, auf Grund dieser Einlassung durch unseren Botschafter in Warschau gegen diese Lügenbehauptung Protest zu erheben?
Wir haben uns zu dieser Rede mit aller gebotenen Deutlichkeit geäußert. Ich glaube, es liegt auf der Hand, daß diese Passage ein ziemlich durchsichtiges Ablenkungsmanöver darstellt. Wir haben das nicht so ernst genommen, als daß Anlaß bestanden hätte, hier in besonderer Weise zu reagieren.
Zusatzfrage, Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, die vom Fragesteller gewählte Formulierung „oberster polnischer Kriegsherr" zu korrigieren?
Entschuldigen Sie, ich muß Ihnen leider sagen, daß die Fragestellung zugelassen worden ist. Es ist jetzt nicht möglich, das zu korrigieren oder dazu Stellung zu nehmen.
({0})
Herr Abgeordneter Jäger ({1}) zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist denn nicht gerade in diesem speziellen Fall ein ausdrücklicher Protest geboten, da j a die Propagandathese von den „Berufsverboten", die dort in der erwähnten Rede aufgegriffen worden ist, leider in der kommunistischen Propaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland so häufig auftaucht, daß man nicht mehr sagen kann, dies sei nur eine zufällige oder einmalige Entgleisung, sondern daß man doch sagen muß, daß dies bereits Bestandteil einer seit langem geführten Kampagne ist, in die sich nun auch die polnische Regierung eingeschaltet hat?
Ich glaube, daß diese Äußerung angesichts der Situation, wie sie in Polen zur Zeit leider gegeben ist, niemand beeindrucken kann und von daher auch nicht die Gefahr besteht, daß hier irgendein Nachteil für die Bundesrepublik Deutschland eintritt.
Frau Simonis, bitte, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es gewisse Regime unter Umständen aufwerten würde, wenn wir auf jede Propagandarede eingingen?
Ich teile diese Auffassung.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hennig wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Schlecht zur Verfügung.
Die Fragen 55 des Abgeordneten Doss, 57 und 58 des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy und 59 des Abgeordneten Milz werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 56 des Abgeordneten Würtz ist zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Lorenz auf:
Weshalb konnten die Gespräche und Verhandlungen mit der DDR über den künftigen Umfang des Überziehungskredits beim Zahlungssaldo des innerdeutschen Handels nicht bis zum Ablauf der bisherigen Regelung am 31. Dezember 1981 abgeschlossen werden, so daß es einer Verlängerung um ein halbes Jahr bedurfte, und welche Gegenleistung hat die DDR-Regierung für den einseitigen weiteren Zinsverzicht der Bundesrepublik Deutschland im Zuge dieser Verlängerung zugesagt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat immer betont, daß der Überziehungskredit im Handel mit der DDR, d. h. der sogenannte Swing, im Gesamtzusammenhang der innerdeutschen Beziehungen gesehen werden muß. Diesen Gesamtzusammenhang der anderen Seite deutlich zu machen war ein wichtiges Ziel der Gespräche mit der DDR. Aus diesem Grund wurden die an sich zum Jahresende 1981 fälligen Verhandlungen über eine längerfristige Swing-Regelung nicht vor Beginn der Gespräche am Werbellinsee aufgenommen. Damit ergab sich die Notwendigkeit, die bis Ende 1981 befristete Swing-Vereinbarung um sechs Monate zu verlängern. Bei den Swing-Gesprächen hat sich die Bundesregierung an dem bekannten politischen Gesamtzusammenhang orientiert und wird es auch weiterhin tun.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lorenz.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung mit dem Begriff „Gesamtzusammenhang" offenbar auch meint, daß ein Zusammenhang zwischen der Verlängerung des Kredits einerseits und der Änderung der Mindestumtauschsätze andererseits besteht, frage ich: Konnte man nicht, wenn man dieses Ziel, nämlich eine Verhaltensänderung der Regierung der DDR, erreichen wollte, für kurze Zeit den Kredit von unserer Seite aus verlängern, ohne darüber ein neues Abkommen zu schließen?
Die geltende Regelung ist um sechs Monate verlängert worden, um darüber zu verhandeln.
Aber was den Sinn Ihrer Frage anlangt, so will ich doch noch einmal sagen, daß der DDR-Führung bei dem Treffen des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR deutlich gemacht wurde, daß, je besser die Gesamtbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten seien, desto mehr Aussicht bestehe, in den nächsten sechs Monaten eine längerfristige Swing-Regelung zu finden, die den Interessen der beiden Seiten gerecht wird. Ich unterstreiche ausdrücklich, daß zu den Gesamtbeziehungen auch die Fragen des Reise- und Besucherverkehrs einschließlich des Mindestumtausches gehören. Dies ist, glaube ich, auch verstanden worden.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lorenz.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, wenn ich Ihrer Antwort entnehme, daß es der Bundesregierung seit der drastischen Erhöhung
des Mindestumtausches bis zum Ablauf der Swing-Vereinbarung nicht gelungen ist, der DDR diese Gesichtspunkte so deutlich zu machen, daß man bis zum 31. Dezember eine befriedigende Regelung hätte erwarten können?
Mit den Gesprächen in der DDR wurden diese Dinge in den richtigen Gesamtzusammenhang gestellt und müssen in den nächsten Monaten verhandelt werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, können Sie uns einiges darüber sagen, was bezüglich des zweiten Punktes erreicht wurde, der in der Frage des Kollegen Lorenz enthalten war, welche Gegenleistungen also die Bundesregierung für den um ein weiteres halbes Jahr gewährten Zinsvorteil angesichts des höheren Plafonds in der Swing-Vereinbarung erhalten hat?
Wie ich bereits betont habe, ist bei den Gesprächen in der DDR der Gesamtzusammenhang deutlich geworden und wird darüber in den nächsten Monaten verhandelt. Im übrigen hätte - dies muß man, wenn Sie von Zinsvorteil der DDR sprechen, dabei auch sehen - bei einer Rückführung des Swing am 31. Dezember auf 200 Millionen Rechnungseinheiten die DDR ihre entsprechenden Aufträge in der Bundesrepublik natürlich strecken, kürzen oder stornieren müssen. Dies hätte auch dazu geführt, daß bei einer Fülle gerade auch kleiner und mittlerer Unternehmen in der Bundesrepublik die Aufträge ausgeblieben wären.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Lorenz auf:
Welche zwingenden Gründe erforderten nach Auffassung der Bundesregierung eine Umbenennung der Treuhandstelle für den Interzonenhandel angesichts der Bestimmungen in Nummer II Ziffer 1 des Zusatzprotokolls zum Grundlagenvertrag, wonach der Handel auf der Grundlage der bestehenden Abkommen entwickelt wird?
Herr Abgeordneter, wie mein Kollege von Würzen bereits auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Lindner schriftlich mitgeteilt hat, trägt die Änderung der Bezeichnung „Treuhandstelle für den Interzonenhandel" der Tatsache Rechnung, daß der innerdeutsche Handel mit der Bezeichnung „Interzonenhandel" nicht mehr korrekt beschrieben ist. Bei der veränderten Bezeichnung der Treuhandstelle legte die Bundesregierung einmal Wert darauf, den Aufgabenbereich dieser Stelle sachgemäß zu umschreiben; dies geschieht eben durch die Worte „Treuhandstelle für Industrie und Handel". Da die Treuhandstelle aber nicht nur Verhandlungsorgan mit der DDR in Handels- und Wirtschaftsfragen ist, sondern in dieser Eigenschaft auch Vereinbarungen mit der anderen Seite abschließt, erschien es andererseits zweckmäßig, eine Bezeichnung zu wählen, die Schwierigkeiten in der praktischen Arbeit vermeidet. Wie Sie wissen, hat die DDR den Begriff „innerdeutsch" bekanntlich schon im Grundlagenvertrag nicht akzeptiert. Dies gehört zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen in grundsätzlichen Fragen, die - wie schon bei Abschluß des Grundlagenvertrages - auch heute nicht gelöst werden können.
Ich möchte hinzufügen, Herr Abgeordneter, daß die Namensänderung der Treuhandstelle der von Ihnen zitierten Bestimmung des Grundlagenvertrages nicht entgegensteht. Diese Bestimmung besagt, daß der innerdeutsche Handel auf der Grundlage der bestehenden Abkommen, also auf der Basis des Berliner Abkommens, entwickelt wird. Das Berliner Abkommen spricht in seinem Art. XIII lediglich von - ich zitiere - „beauftragten Stellen", ohne diese Stellen näher zu bezeichnen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lorenz.
Ihrer Antwort entnehme ich, Herr Staatssekretär, daß man der DDR mit der Änderung der Bezeichnung offenbar entgegengekommen ist. Denn an sich wäre die Bezeichnung „Treuhandstelle für den innerdeutschen Handel" ja wohl die zweckmäßigste.
Mit der Bezeichnung hat man sich an die derzeitigen Gegebenheiten angepaßt, um eine richtige Bezeichnung für die Handelsverhandlungen und -vereinbarungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu finden.
Herr Lorenz, bitte.
Herr Staatssekretär, konnte man, wenn man nun schon meinte, der DDR entgegenkommen zu müssen, mit einem solchen Entgegenkommen nicht wenigstens warten, bis das endgültige Ergebnis der Verhandlungen über einen längerfristigen Abschluß für den innerdeutschen Handel vorliegt, und mußte man neben dem Zugeständnis, dieses Abkommen um ein halbes Jahr zu verlängern und der DDR einen zusätzlichen Zinsgewinn zu geben, nun gleichzeitig auch noch das Zugeständnis machen, den Namen zu ändern?
Zwischen den weiteren Verhandlungen und dieser Namensänderung hat die Bundesregierung keinen inneren Zusammenhang gesehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade davon sprachen, daß dieser Behörde der richtige, der zutreffende Name gegeben werden sollte, der ja ganz zweifellos wohl auch nach Meinung der Bundesregierung mit dem Begriff „innerdeutsch" zu umschreiben wäre, da andererseits die Stelle bisher nach den Auskünften, die wir von der Regierung immer bekommen haben, trotz ihres bisherigen altertümlichen Namens hervorragend gearbeitet hat und wegen ihres Namens auch keine Schwierigkeiten mit der DDR hatte, möchte ich doch noch einmal ein bißchen tiefer, als Sie das bisher geJäger ({0})
tan haben, erklärt haben, warum jetzt eine zwingende Notwendigkeit bestand, diesen Namen zu ändern.
({1})
Die Notwendigkeit bestand darin, praktische Schwierigkeiten im innerdeutschen Handel zu vermeiden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß wir durch Beibehaltung des alten Begriffes der Wiedervereinigung einen Schritt näherkämen?
Nein.
({0})
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage 62 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Friedmann, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welchen Umfang hat die technologische und finanzielle Beteiligung aus der Bundesrepublik Deutschland an der Exploration der Öl-, Uran- und Erdgasvorkommen in den kanadischen Westprovinzen, und ist deutscherseits eine verstärkte Beteiligung an der Exploration von Rohstoffen in diesem Bereich möglich?
Herr Abgeordneter, deutsche Erdölgesellschaften sind in den kanadischen Westprovinzen bisher nur bei kleineren Erdöl- und Erdgasexplorationsprojekten tätig. Die DEMINEX hat sich seit 1970 an Explorationsvorhaben im Nordwesten Kanadas beteiligt. Sie hat nichts gefunden und ihre Beteiligungen dann im wesentlichen wieder aufgegeben.
Im Bereich der Uranexploration führten deutsche Bergbaugesellschaften in Kanada im letzten Jahr 18 Projekte durch; davon lagen elf Projekte in Westkanada. Der Bund unterstützt diese Explorationsbemühungen mit seinem Förderprogramm. Für 1982 sind wiederum 18 Projekte angemeldet, für die ebenfalls eine finanzielle Förderung beantragt worden ist.
Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, könnten Sie andeuten, welchen großen unausgeschöpften Möglichkeiten die deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen noch bieten, da es bei der Exploration nicht nur um Exploration durch deutsche Firmen, sondern auch um Beteiligung deutscher Unternehmen an Maschinen- und Röhrenlieferungen und ähnliches geht?
Herr Abgeordneter Czaja, ich gehe bei der Antwort auf die Frage 64 darauf ein. Sind Sie damit einverstanden?
Können wir es so machen, oder haben Sie jetzt zu Frage 63 noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, sind verstärkte wirtschaftliche, finanzielle und technologische Beziehungen mit Kanada nicht auch ganz besonders wegen der hohen politischen und wirtschaftlichen Stabilität und der freiheitlichen Politik Kanadas wichtig, vielleicht sogar wichtiger als Beziehungen mit Staatshandelsländern und Ostblockstaaten?
Ich möchte dies bestätigen. Dem stehen einige Schwierigkeiten auf kanadischer Seite entgegen. Aber auch darauf gehe ich in der Antwort auf die Frage 64 ein.
Dann rufe ich jetzt die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Czaja auf:
Muß die Bundesrepublik Deutschland nicht aus Gründen der Diversifizierung ganz besonders an einer stärkeren energiepolitischen Zusammenarbeit mit Kanada interessiert sein?
Herr Abgeordneter, wie ich gerade gesagt habe, ist die Bundesregierung in der Tat an der Verstärkung der energiepolitischen Zusammenarbeit mit Kanada besonders interessiert aus den Gründen, die Sie gerade selber genannt haben. Sie steht hierbei mit der kanadischen Bundesregierung bilateral und multilateral im Rahmen der Internationalen Energieagentur in einem ständigen Dialog. Ihre bilateralen Kontakte hat sie in letzter Zeit intensiviert, auch auf der Ebene der Regierungschefs. Die Bundesregierung hält eine Verstärkung der Zusammenarbeit auch bei der Erschließung westkanadischer Kohlevorkommen sowie bei der Gewinnung von Schweröl und 01 aus Teersanden für besonders zukunftsträchtig. Daneben kann auch der Bezug von arktischem Erdgas aus Kanada längerfristig bedeutsam werden.
Ich muß nun hinzufügen: Es gibt, was kurzfristige Erfolge anlangt, zwei Schwierigkeiten. Einmal muß in den angesprochenen Bereichen weitgehend technisches Neuland betreten werden. Vor einer Projektrealisierung stehen daher häufig langwierige Forschungsvorhaben. Man muß dies also in einer längeren Perspektive angehen. Zum anderen ergeben sich aus dem neuen kanadischen Energieprogramm für Beteiligungen deutscher Unternehmen im Energiebereich Kanadas besondere Probleme. Die angestrebte Kanadisierung der Ö1- und Gasproduktion mit einer künftig vorgeschriebenen fünf zigprozentigen kanadischen Mindestbeteiligung und einer Bevorzugung kanadischer Unternehmen bei den finanziellen Förderungen sowie schwer abschätzbare Auflagen und Kontrollen und die Genehmigungspflicht für den Export von Erdöl und Erdgas erschweren naturgemäß deutsche Investitionsentscheidungen. Gleichwohl wird sich die Bundesregierung gegenüber der kanadischen Regierung für eine Beschleunigung und eine größere Transparenz der
Staatssekretär Dr. Schlecht Investitionsentscheidungsverfahren und für klarere Aussagen der kanadischen Regierung zur Frage der Erteilung von Exportlizenzen einsetzen, und zwar aus den Gründen, die ich einleitend genannt habe und die auch Ihrer Frage zugrunde liegen.
Hoffentlich haben Sie das alles verstanden.
({0}) Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind nicht solche Schwierigkeiten, insbesondere auf technischem Neuland, dazu da, daß sie überwunden werden, wie man das j a auch bei Kooperationen mit den Ostblockländern tut, und ist nicht auch die fünfzigprozentige Inlandsbeteiligung bei solchen Projekten bei Staatshandelsländern ohne weiteres üblich? Warum sollen dadurch bei Zusammenarbeit mit Ländern mit freiheitlicher Wirtschaftsordnung besondere Schwierigkeiten entstehen?
Herr Abgeordneter, ich habe bereits gesagt, daß die Bundesregierung alles tun wird, um die Zusammenarbeit mit Kanada zu intensivieren. Ich habe nur darauf aufmerksam gemacht, daß aus den Gründen, die ich genannt habe, kurzfristige spektakuläre Erfolge nicht vorzuzeigen sind. Wir werden aber das mögliche tun. Es ist nicht bloß die 50 %ige Beteiligung; auch eine Reihe von anderen Auflagen und Erschwernissen ist noch zu überwinden. Aber wir stehen, wie gesagt, mit der kanadischen Regierung, und die interessierten Unternehmen stehen mit ihren Partnern in Verbindung, um den Ausbau voranzutreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, sind wirtschaftspolitische Bemühungen in dieser Richtung nicht auch geboten, weil sich Kanada politisch eindeutig und uneingeschränkt zum Selbstbestimmungsrecht der Deutschen bekannt hat und in der Weltpolitik in den letzten Jahren auch öfter erfolgreich als Vermittler aufgetreten ist?
Herr Abgeordneter, ich will gern bestätigen, daß dies mit ein Grund für die Intensivierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern sein kann; aber in erster Linie müssen natürlich die Unternehmen Geschäfte machen und selber entscheiden, ob sie es für aussichtsreich halten, in Kanada tätig zu sein, oder nicht.
({0})
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, ich versuche, auf eine einfache Frage von Ihnen eine nicht komplizierte Antwort zu bekommen. Ist es möglich, daß angesichts des halbjährigen Lieferstopps bei Uran durch Kanada unter Umständen auch bei Diversifizierung, wie sie vom Herrn Kollegen Czaja angesprochen wurde, Schwierigkeiten in der Energieversorgung auftreten?
Frau Abgeordnete, dies ist eine von mehreren Schwierigkeiten, die bisher einer Intensivierung entgegenstanden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, hat es nicht eine gewisse Zurückhaltung von deutschen Rohstoffunternehmen aus dem von der Frau Abgeordneten Simonis genannten Grund gegeben, sich in Kanada weiter zu engagieren, und war nicht der Grund für einen Teil dieses Lieferstopps auch der Versuch der kanadischen Regierung oder der kanadischen Rohstoffproduzenten, aus Altverträgen mit sehr niedrigen Preisen herauszukommen, um neue Verträge mit höheren Preisen zu erreichen?
Frau Abgeordnete, ich kenne die Motive deutscher Unternehmen nicht, aber ich halte dies für denkbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, hat Kanada gegenüber deutschen Unternehmen Investitionsbeschränkungen erlassen, oder gibt es in dieser Hinsicht, z. B. auf dem Energiesektor, auch einen freien Kapitalverkehr?
Herr Abgeordneter, es gibt keine speziellen Beschränkungen gegenüber deutschen Unternehmen. Ich habe gesagt, daß die Kanadier unter dem Begriff der Kanadisierung eine Reihe von Hürden aufgestellt haben, und von daher ist die Sache etwas schwierig.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der neuen Arbeitslosenzahlen die Kriterien für die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" neu zu überlegen, nachdem eine Reihe von Regionen nicht gefördert wird, obwohl die Arbeitslosenquote über 10 v. H. beträgt?
Herr Abgeordneter, der Bund-Länder-Ausschuß hat die Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung" zum 10. Rahmenplan 1981 auf der Grundlage eines für alle 179 Arbeitsmarktregionen nach einheitlichen Kriterien berechneten Gesamtindikators abgegrenzt. Dieser Gesamtindikator setzt sich aus fünf Teilindikatoren zusammen, von denen je zwei die Arbeitsmarkt- und die Einkommenslage und ein Indikator die Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen widerspiegeln. Einer der beiden Arbeitsmarktindikatoren ist - darauf zielt Ihre Frage - die regionale Arbeitslosenquote aus den Durchschnittswerten der Jahre 1976 bis 1980. Dieser mehrjährige Durchschnitt der regionalen Arbeitslosenquote wurde ganz bewußt verwendet, um den strukStaatssekretär Dr. Schlecht
turellen Kern der regionalen Arbeitslosigkeit zu erfassen und kurzfristige Ausschläge auszuschalten. Arbeitsmarkt- und Einkommensaspekt gehen also mit gleichem Gewicht und der Infrastrukturindikator mit halbem Gewicht in den Gesamtindikator ein. Bei den Verhandlungen hat der Bund den Vorschlag gemacht, den Arbeitsmarktaspekt stärker als den Einkommensaspekt zu gewichten. Dieser Vorschlag wurde aber von der Ländermehrheit abgelehnt. Wie Sie wissen, hat der Bund im Ausschuß 11 Stimmen und haben auch die Länder 11 Stimmen, und es bedarf einer Mehrheit von 17 Stimmen.
Bund und Länder, auch die meisten Wissenschaftler, die uns dabei geholfen haben, sind der Meinung, daß die jetzt gefundene Lösung trotz aller Unzulänglichkeiten die beste ist, um die bestehende und die sich mutmaßlich entwickelnde Wirtschaftskraft der einzelnen Regionen neu abzubilden und gleichzeitig auch die regionalen Abweichungen von den angestrebten regionalpolitischen Zielen anzuzeigen.
Kurzum: Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit, die im BundLänder-Gremium einvernehmlich festgelegten Abgrenzungskriterien bereits knapp ein Jahr nach der Neuabgrenzung der Fördergebiete in Frage zu stellen. Noch einmal: Regionale Wirtschaftsförderung greift erheblich weiter als kurzfristige Arbeitsmarktpolitik.
Von „kurzum" konnte eben nicht die Rede sein.
Bitte schön, Herr Thüsing, Sie haben zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, erscheint es Ihnen nicht doch notwendig, daß die Bundesregierung, was die stärkere Betonung der arbeitsmarktpolitischen Aspekte angeht, weiter aktiv bleibt angesichts der Tatsache, daß, um ein Beispiel zu nennen, solche Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, mit einer Arbeitslosenquote von über 10 %, wie Gelsenkirchen, eine städtische Region, und der Arbeitsamtsbezirk Paderborn, eine ländliche Region, in Nordrhein-Westfalen, auch wenn es bei dieser Arbeitslosenquote von 10 % über die nächsten Jahre bleiben sollte, wegen der anderen Indikatoren - gerade der Infrastrukturindiaktoren - keine Chance haben, jemals im Rahmen des hier angesprochenen Programms gefördert zu werden?
Herr Abgeordneter, wir müsen Arbeitslosigkeit natürlich zunächst mit allgemeinen Mitteln der Wirtschaftspolitik und mit der speziellen Arbeitsmarktpolitik bekämpfen. Ich habe bereits betont, daß wir es nicht für sinnvoll halten, bereits ein Jahr nach der Neuabgrenzung die Indikatoren wieder zu verändern. Wir werden diese Indikatoren regelmäßig an die veränderte Lage anpassen, aber in einem Abstand von drei bis vier Jahren. Wir werden selbstverständlich erneut versuchen, den Arbeitsmarktaspekt stärker zu gewichten und dafür eine Mehrheit der Länder zu gewinnen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, um die Frage des Abgeordneten Thüsing fortzusetzen: Halten Sie es nicht doch für notwendig, einen Teil jener Quotienten, die die Arbeitslosenquote berücksichtigen, nämlich die Prognose der Arbeitslosigkeit, deswegen neu zu überdenken oder neu abzuschätzen, weil diese Prognose auf einer Strukturprognose beruht, die mehr als zehn Jahre alt ist und insofern kaum korrekt die Strukturprobleme der Regionen berücksichtigen kann? Dies zielt nicht auf eine erneute Diskussion über die gesamten Kriterien ab, sondern auf eine neue Definition des zugrunde liegenden Datenmaterials.
Wir werden diese Überlegungen bei den Vorbereitungen für die nächste Neuabgrenzung und Indikatoraufbereitung mit einbeziehen, aber ich habe bereits gesagt, daß wir es nicht für sinnvoll und auch nicht für durchsetzbar halten, die Indikatoren bereits nach kurzer Zeit wieder zu verändern.
({0})
Frau Kollegin, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß die bestehende Präferenzstruktur aufrechterhalten werden soll, auch wenn es momentan überall Probleme gibt. Ich frage Sie aber konkret: Wird im Rahmen des gestern verabschiedeten Beschäftigungsprogramms die Investitionszulage kumulativ zu den bisherigen regionalen Investitionszulagen gegeben, oder ist an eine alternative oder an eine Anrechnungsregelung gedacht?
Herr Abgeordneter, die gestern vom Kabinett beschlossene befristete Investitionszulage wird kumulativ zu regionalen Investitionszulagen, zu Energiezulagen und zu der Stahlzulage gewährt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, könnte langfristig die rein regionale Beurteilung einer Bezuschussung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe durch eine sektorale Untermauerung verbessert werden?
Wenn ich Ihre Frage richtig verstanden habe, Frau Abgeordnete, muß ich sie mit Nein beantworten. Wir trennen sektorale Förderung aus guten Gründen säuberlich von regionaler Förderung. Regionale Wirtschaftsförderung hat Standortnachteile in strukturschwachen Regionen abzumildern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie angesichts der ursprünglichen
Immer ({0})
Fragestellung nach den Quotierungen und den Berücksichtigungen in strukturschwachen Gebieten die Initiative des Landes Niedersachsen, die Kompetenz des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe durch eine Gesetzesnovelle erheblich zu beschneiden, so daß der Bund überhaupt keine Möglichkeiten hat, seinen Einfluß geltend zu machen?
Diese Initiative beurteile ich negativ. Sie wird aber auch bei den Ländern, auch bei den CDU-geführten Ländern, keine Mehrheit finden.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Bindig auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß von Fachleuten die DIN 70 030, die zur Ermittlung des Benzinverbrauchs bei Automobilen dient, als zweifelhaft, weil wenig praxisgerechte Werte vermittelnd, angesehen wird, und sieht die Bundesregierung es daher für zweckmäßig an, auf eine Änderung der DIN 70 030 in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der realen Bedingungen des Straßenverkehrs hinzuwirken?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß der Praxisbezug der DIN 70 030 für die Ermittlung des Benzinverbrauchs gelegentlich in Zweifel gezogen wird, wie ich weiß, auch hier im Verkehrsausschuß des Bundestages. Die Bundesregierung hat deshalb diese Frage bereits mehrfach aufgegriffen und ist ihr nachgegangen. Dabei hat sich gezeigt, daß die 1978 eingeführte Dreiteilung der Verbrauchswerte sowie das ihrer Ermittlung zugrunde liegende Meßverfahren unter Berücksichtigung von Fahrpraxis, Meßaufwand usw. optimale Realitätsnähe aufweisen. Die Norm geht auf eine internationale Empfehlung zurück und ist in der Europäischen Gemeinschaft verbindlich festgelegt.
Nach Auffassung der Bundesregierung kann es im Hinblik auf die Vielzahl der den Kraftstoffverbrauch beeinflussenden Faktoren nicht Aufgabe einer solchen Norm sein, einen für jeden Einzelfall zutreffenden Maßstab abzugeben. Die Bundesregierung sieht deshalb den Hauptzweck dieser Norm darin, dem Verbraucher beim Autokauf einen differenzierten Vergleich verschiedener Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Verbrauchswerte zu ermöglichen. Diesem Ziel trägt die Norm, wie wir meinen, in vollem Umfange Rechnung. Wir haben deshalb nicht die Absicht, auf ihre Änderung hinzuwirken.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, kann denn wirklich davon gesprochen werden, daß es eine optimale Information über die Verbrauchswerte gibt, wenn nur bei einer konstanten Fahrgeschwindigkeit gemessen wird, während in der Verkehrspraxis regelmäßig ganz andere Bedingungen vorherrschen?
Herr Abgeordneter, die meisten dieser Werte werden in TÜV-Verfahren festgestellt. Wir glauben, daß es zwar sicher einige Unzulänglichkeiten gibt, daß das aber der beste aller denkbaren Wege ist.
Zusatzfrage.
Der Kern meiner Frage war, daß doch eine Reihe von Fachleuten erhebliche Zweifel hat, ob die angegebenen Verbrauchswerte überhaupt in der Nähe der wirklichen Verbräuche liegen, und diese Fachleute von daher zu der Überlegung gekommen sind, daß es zu einer Revision der bisherigen Prüfpraxis kommen müsse.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Frage nachgegangen und hat eine Vielzahl von Fachleuten gefragt. Die Mehrheit der Fachleute, im übrigen - jedenfalls dem Grundsatz nach - auch der ADAC, sind der Meinung, daß wir bei der Praxis bleiben sollten.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Bindig auf:
Sind der Bundesregierung die Testergebnisse der französischen Zeitschrift „L' Automobile" ({0}) bekannt, wonach die von vielen Automobilherstellern angegebenen Benzinverbrauchswerte ({1}) geschönt - teilweise um mehr als 18 Prozent - werden, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, einer solchen Handhabung zum Schutze des energiesparenden Verbrauchers entgegenzuwirken?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung sind die Testergebnisse der französichen Zeitschrift „L'Automobile" über die Kraftstoffverbrauchsangaben der Hersteller nur insoweit bekannt, als sie in der „Süddeutschen Zeitung" vom 9110. Januar wiedergegeben sind. Sie kann auf dieser Grundlage nicht beurteilen, ob es sich um repräsentative Untersuchungen handelt. Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte vor, aus denen geschlossen werden könnte, daß die Automobilhersteller Kraftstoffverbrauchsmessungen nicht vorschriftsgemäß durchführen. Sie geht im übrigen davon aus, daß in der Automobilindustrie schon aus Wettbewerbsgründen eine weitgehende effiziente Selbstkontrolle erfolgt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, sollte nicht, wenn Überprüfungen erheblich abweichende Verbrauchswerte ergeben, das zum Anlaß genommen werden, daß man von seiten der Bundesregierung vermehrte Überprüfungen, z. B. durch Einschaltung der Stiftung Warentest, anregt?
Herr Abgeordneter, wir sind der Sache natürlich nachgegangen. Das Ergebnis war, daß wir keinen Grund haben, daran zu zweifeln, daß die Messungen vorschriftsmäßig durchgeführt werden. Viele Automobilunternehmen bedienen sich dafür der TÜV-Stellen. Auch von daher besteht Gewähr für eine hohe Zuverlässigkeit.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, liegen Serienuntersuchungen vor, so daß Sie hier die Aussage machen können, daß das bisher schon sehr sorgfältig erfolge?
Ich kann Ihnen diese Frage jetzt nicht beantworten. Ich werde ihr nachgehen und Ihnen eine schriftliche Antwort geben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre vorletzte Antwort auf die Frage des Kollegen Bindig so verstehen, daß wir die Stiftung Warentest abschaffen könnten, weil wir uns auf die Daten der Hersteller verlassen könnten, was den Verbrauch oder sonstige Werte bei bestimmten Produkten betrifft?
Nein, meine Antwort dürfen Sie nicht so verstehen.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Frage 68 des Herrn Abgeordneten Kirschner ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 69 des Herrn Abgeordneten Eigen:
Empfindet die Bundesregierung nicht selbst die Anhebung der Förderschwelle der einzelbetrieblichen Förderung auf 30 500 DM je Arbeitskraft als unrealistisch angesichts der Tatsache, daß das Durchschnittseinkommen auf 18 500 DM je Arbeitskraft gesunken ist?
Herr Kollege, die Bundesregierung empfindet die Anhebung der Förderschwelle auf 30 500 DM je Arbeitskraft nicht als unrealistisch. Zur Verdeutlichung verweist sie dazu auf folgendes.
Erstens. Die Förderschwelle von 30 500 DM je Arbeitskraft für das Jahr 1982 leitet sich als Schätzgröße aus außerlandwirtschaftlichen Arbeitseinkommen ab.
Zweitens. Dieser für die Bundesrepublik Deutschland festgelegte Wert ist allerdings eher eine kalkulatorische Ausgangsgröße. Angesichts der ungünstigen Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft wurden 1981 eine Reihe von Erleichterungen eingeführt. Die wichtigste davon besteht in der Möglichkeit, Abschläge von insgesamt 15 % vorzunehmen. Dies führt dazu, daß die für die antragstellenden Landwirte tatsächlich relevante Förderschwelle für das Jahr 1982 mit 25 925 DM noch unter das Niveau der Förderschwelle von 1979 sinkt. Allerdings ist auch dieser Wert keine Eingangsschwelle zur Förderung, sondern er muß unter Berücksichtigung einer geringfügigen jährlichen Fortschreibung erst am Ende des Betriebsentwicklungsplanes erreicht werden. Damit enthält er bereits das Einkommen, das aus der geförderten Investition resultiert. Erfahrungsgemäß führt die Investitionsförderung und die damit verbundene Produktionssteigerung zu einer Einkommenssteigerung um rund ein Drittel. Bei kleineren Betrieben ist die Einkommencsteigerung in der Regel noch höher. Damit können -- ausgehend vom Bundesdurchschnitt - Betriebe gefördert werden, die laut Betriebsentwicklungsplan im Ausgangsjahr 1982 ein Arbeitseinkommen von 20 000 DM bis 21 000 DM erreichen.
Auch diese Zahlen gelten jedoch nur im Bundesdurchschnitt. Bekanntermaßen haben wir eine regionalisierte Förderschwelle. Von den 27 Regionen liegen lediglich acht über dem Bundesdurchschnitt, im wesentlichen die Regionen Hamburg, Berlin, Köln-Aachen, einige Weinbauregionen sowie die Räume Frankfurt, Stuttgart und München. Allein 15 Regionen haben eine Förderschwelle, die unter 95 % des Bundesdurchschnitts liegt; in besonders schwierigen Regionen sind es weniger als 80 %, so daß hier ein Arbeitseinkommen im Antragsjahr von rund 16 000 DM hinreichend ist, um von der Einkommensseite her die Voraussetzung für die Förderungsmöglichkeit im Rahmen des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms zu erfüllen.
Schließlich können bei diesem Einkommen auch außerlandwirtschaftliche Einkommen einbezogen werden. Einkommen aus der Forstwirtschaft und die Ausgleichszulage werden voll angerechnet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, bedeutet die Rücknahme der Förderschwelle um 15 % nicht, daß die Bundesregierung schon selber einsieht, daß dieser Bezug auf eine andere Größe als auf eine landwirtschaftliche nicht vernünftig sein kann?
Herr Kollege, dies ist ein relativer Maßstab. Dafür haben wir uns eingesetzt. Er dient der Erleichterung der Gesamtsituation.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, ist nicht diese Zielschwelle eine Ursache mit dafür, daß in vielen Bereichen der Bundesrepublik gerade klein-
und mittelbäuerliche Betriebe nicht genügend gefördert werden konnten, so daß die an sich falsche und unsinnige Nord-Süd-Diskussion entstanden ist?
Herr Kollege, ich glaube das nicht. Denn wenn die Förderschwelle, die ja auf EG-Ebene festgelegt wird - und davon gibt es dann Abschläge, wie ich ausgeführt habe -, als Maßstab oder als Kriterium nicht vorhanden wäre, müßte ein neues Kriterium eingeführt werden, z. B. ein mehrjähriger Buchführungsabschluß oder ähnliches. Ich bin sicher, daß auch dies einer erheblichen Kritik begegnen würde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Frau Präsidentin, sind Sie bereit, den Herrn Staatssekretär zu bitten, seine Vorlesegeschwindigkeit auf eine normale Perzeptionsfähig4940
keit abzustellen, damit wir alle etwas davon haben?
({0})
Das schaffe ich nicht. Das versuche ich schon viele Jahre. Das ist nicht zu schaffen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({1}).
Herr Staatssekretär, gibt es Bundesländer, die von der Möglichkeit der Regionalisierung nicht oder kaum Gebrauch machen?
Von der Möglichkeit Regionalisierung, Herr Kollege, wird sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht. Das beste Beispiel sind Bayern und Baden-Württemberg. Baden-Württemberg hat nur zwei Regionen, Bayern hat, glaube ich, acht oder zehn.
Herr Staatssekretär, wenn ich davon ausgehe, daß die Förderschwelle deshalb notwendig ist, damit der Landwirt nicht in Fehlinvestitionen, die er später nicht tragen kann, hineinschlittert, darf ich Sie fragen, ob nicht entgegen der Meinung des Herrn Kollegen Eigen gerade diese Abschlagsmöglichkeiten geeignet sind, die regionalen Besonderheiten bei den verschiedenen Betrieben zu berücksichtigen und damit zu einer höheren Effizienz zu führen?
Herr Kollege, ich kann das bestätigen, insbesondere was das Land Niedersachsen angeht. Das Land Niedersachsen legt sehr großen Wert darauf, daß nur effiziente Betriebe zum Zug kommen, während in anderen Gebieten, in denen es viele kleine und mittlere Betriebe gibt, eine umgekehrte Schau der Dinge vorherrscht.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bewußt, daß die Milcherzeugerabgabe an die Europäische Gemeinschaft in Höhe von ca. 1,6 Pfennig je Liter Milch von den betroffenen Landwirten als eine Sondersteuer für die Europäische Gemeinschaft in Höhe von 5 bis 50 v. H. ihres Einkommens angesehen wird, und wann tritt die Bundesregierung endlich in Brüssel im Ministerrat der EG energisch für eine Abschaffung oder Aussetzung der Milcherzeugerabgabe ein?
Frau Präsident, ich will Ihrem Wunsch und dem Wunsch der Kollegen gern nachkommen, aber meine Beamten haben mir wieder zuviel aufgeschrieben, es dauert dann länger.
Können Sie das nicht ein bißchen kürzen? Ich sehe, das ist eine ganze Seite.
Frau Präsident, im Bereich der Agrarpolitik ist das sehr schwierig.
({0})
Herr Kollege, die Mitverantwortungsabgabe wurde im Jahre 1977 wegen der Überschußsituation im Milchbereich und der dadurch verursachten Kosten als Maßnahme im Rahmen der Milchmarktordnung eingeführt. Die Abgabe dient dazu, ein besseres Verhältnis zwischen Erzeugung und Marktbedarf schrittweise wiederherzustellen und die erheblichen finanziellen Lasten, die sich aus den beträchtlichen Überschüssen für die Gemeinschaft ergeben, zu mildern. Die Mittel werden zur Erweiterung der Märkte und zum Absatz der Überschüsse auf dem Markt der Gemeinschaft und auf dem Weltmarkt im Milchbereich verwendet. Die Abgabe stellt daher keine Sondersteuer dar.
Da die Überschußsituation nach wie vor anhält - zur Zeit müssen jährlich rund 21 Millionen t Milchwert verbilligt auf dem EG-Binnenmarkt abgesetzt und rund 16 Millionen t Milchwert exportiert werden -, sind die Aufwendungen der Gemeinschaft für den Milchmarkt im Verhältnis zu denen für sonstige Erzeugnisse überproportional hoch, so daß die Beibehaltung der MVA weiterhin erforderlich ist.
Die Erhebung der Abgabe hat im Verein mit einer vorsichtigen Preispolitik dazu geführt, daß der Anstieg der Milchanlieferung im Jahre 1981 geringer geworden ist als in den Vorjahren. Durch die Erweiterung der Absatzmöglichkeiten auf dem Weltmarkt im Verlauf der letzten zwei Jahre und den damit verbundenen Anstieg der Weltmarktpreise haben sich zwar die Ausgaben für die Marktordnung verringert, sie betrugen jedoch im Jahre 1981 unter Berücksichtigung der Einnahmen aus der MVA noch rund 31 % der gesamten Marktordnungsausgaben des EAGFL; ohne Berücksichtigung der Einnahmen aus der MVA hätten sie 35 % dieser Ausgaben betragen. Dagegen beträgt der Beitrag der Milcherzeugung zum Einkommen der Landwirte in der Gemeinschaft rund 20 %.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir und dem Hohen Haus bitte mitteilen, wieviel dieser Mittel der EG-Sondersteuer für milcherzeugende Landwirte nicht verbraucht wurden, sondern noch vorhanden sind? Wie sollen nach Meinung der Bundesregierung diese Mittel verwandt werden, und was gedenkt die Bundesregierung in Brüssel zu unternehmen?
Herr Kollege, Sie wissen genauso wie ich, daß es sich hier nicht um nicht verbrauchte Mittel dreht. Es kann sich höchstens um diejenigen Mittel drehen, die für bestimmte Maßnahmen nicht ausgegeben werden konnten und deshalb überführt werden. An sich geht man im Haushalt der EG so vor, daß die Einnahmen aus der MVA als Rotbuchung in bezug auf die Gesamtausgaben für die MVA gewertet werden. Mit anderen Worten: Wenn beispielsweise 3 oder 5 Milliarden ECU - ich nenne eine gegriffene Zahl - aufgewendet werParl. Staatssekretär Gallus
den müßten, müßten rund 500 Millionen ECU abgezogen werden, wodurch auf der anderen Seite weniger Haushaltsmittel eingesetzt werden müssen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Heißt das also, daß diese erhebliche Belastung, die von den Landwirten selbst als eine ungerechte Sondersteuer angesehen wird, nach Meinung der Bundesregierung weiterhin in ähnlicher Höhe bestehen bleiben sollte, und darf ich Sie so verstehen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung die Verwendung der Mittel als allgemeine Haushaltsmittel der EG nicht nur nicht verhindern kann, sondern sogar will?
Herr Kollege, wie Sie wissen, werden Entscheidungen in der EWG nicht von einem einzigen Staat getroffen, sondern von allen gemeinsam. Das als Antwort auf die Frage, ob wir etwas billigen oder nicht.
Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung der Auffassung, daß durch eine vorsichtige Preispolitik und die weitere Erhebung der Mitverantwortungsabgabe im Laufe der Zeit erreicht werden soll, daß wir einen ausgeglichenen Markt bei Milchprodukten in der EWG bekommen. Dadurch würde natürlich auch der Kostenanteil am EAGFL gesenkt. Dann kann man sich sehr wohl darüber unterhalten - vielleicht geschieht das schon bei der jetzigen Preisrunde -, ob die Mitverantwortungsabgabe gesenkt werden kann oder nicht. Die Bundesregierung hielte es auf der anderen Seite aber für falsch, angesichts der Tatsache, daß wir in den Lägern kaum mehr Butter haben, die Mitverantwortungsabgabe abzuschaffen. Das würde die Situation auf diesem Sektor in der EWG nur verschärfen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, um wieviel Prozent ist eigentlich die Milchproduktion auf europäischer Ebene höher als der Verbrauch, und wie teuer ist die Milchmarktordnung, die ja aus Steuermitteln bezahlt werden muß? Denken Sie bitte daran, daß ich eine norddeutsche Abgeordnete bin, und versuchen Sie, wenn es möglich ist, mir langsam und deutlich zu antworten. - Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin, Sie verlangen von mir Zahlen, die ich im Augenblick im einzelnen nicht präsent habe. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen alle diese Fragen schriftlich zu beantworten. Die Überschußsituation ist in den einzelnen Ländern der EG jedenfalls unterschiedlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herberholz.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, dem Hohen Haus mitzuteilen, für welche Art von landwirtschaftlichem Betrieb 1,6 Pfennig
Milcherzeugerabgabe je Liter 50 % des Einkommens ausmachen, wie Kollege Eigen behauptet?
({0})
Wenn man alle möglichen Rechenkunststücke vollführt, kommt man natürlich auf unterschiedliche Prozentsätze. Auf jeden Fall hat Herr Eigen das so gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Landwirtschaft die Mitverantwortungsabgabe nicht als Sondersteuer, sondern durchaus als einen eigenen Beitrag zur Lösung der Probleme aus ihrer Mitverantwortung betrachtet, der sicherstellt, daß den Landwirten die Produktion von Milch erhalten bleibt, zu der sie oft keine Alternative haben?
Ich bin durchaus Ihrer Meinung, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, sind die Vorräte an Milchprodukten augenblicklich deshalb so niedrig, weil weniger produziert wird, weil mehr verbraucht wird oder weil mehr exportiert worden ist mit entsprechenden Geldern?
Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, daß die Expansion in der Milcherzeugung zurückgegangen ist. Das ist sicher auch auf die Einführung der Mitverantwortungsabgabe zurückzuführen.
Andererseits haben wir bei den einzelnen Produkten keine Zunahme des Verbrauchs zu verzeichnen. Wir können aber feststellen, daß nur deshalb weniger Butter in den Lägern liegt, weil die Kommission im vergangenen Jahr - endlich - nicht mehr den Fehler gemacht hat, Butter das ganze Jahr über zu horten, sondern die Überschüsse laufend an Drittländer vermarktet hat. Dadurch sind Kosten gespart worden.
Allerdings muß man auch sagen, daß die Weltmarktsituation dem EG-Markt in bezug auf den Export gewissermaßen entgegengekommen ist. Der Weltmarktpreis für Butter ist nämlich seit 1977 von 800 Dollar pro Tonne über 2 600 Dollar pro Tonne im Mai 1981 auf gegenwärtig 2 200 bis 2 300 Dollar pro Tonne gestiegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, hier schließt meine Frage an. Wenn man beurteilen soll, ob die Mitverantwortungsabgabe weiter erhoben werden sollte, muß man ja fragen: Wird sich die Weltmarktsituation weiterhin positiv entwickeln, oder könnte es sein, daß sich in absehbarer Zeit für den europäischen Export wieder Einbrüche ergeben,
Immer ({0})
etwa auf Grund von Anstrengungen Amerikas oder anderer Länder, nun auch ihrerseits diesen günstigeren Weltmarkt zu beliefern?
Herr Kollege, ich bin kein Prophet. Aber eines steht fest: daß auf dem Buttersektor neben den Überschüssen in Europa auch noch Überschüsse in Amerika für den Weltmarkt zur Verfügung stehen. Außerdem kann noch nicht abgesehen werden, wie sich die gewaltige Zunahme der Sojaernte auswirkt, die ja für die Milchproduktion in der Welt eine erhebliche Rolle spielt. Es ist anzunehmen, daß durch eine Verbilligung auf dem Sojamarkt die Milchproduktion in der Welt weiterhin angekurbelt wird und daß es von daher durchaus ratsam ist, mit der Mitverantwortungsabgabe - wenn ich darauf jetzt zurückkommen darf - vorsichtig umzugehen.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist - es tut mir leid, Frau Kollegin Zutt - damit beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 92 und 96 des Herrn Abgeordneten Wimmer ({0}), 152 und 153 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann, 177 und 178 des Herrn Abgeordneten Auch, 179 und 180 der Frau Abgeordneten Terborg sowie 183 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Da die Bundestagsfraktion der CDU/CSU noch tagt, unterbreche ich jetzt die Sitzung, und zwar voraussichtlich bis 16 Uhr. Über unsere Möglichkeiten einer Verständigung erhalten Sie Nachricht. - Danke schön.
({1})
Die unterbrochene Beratung wird wiederaufgenommen.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Beratung habe ich Ihnen auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung eine Mitteilung zu machen. Auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen wurde heute vormittag die Tagesordnung der morgigen Plenarsitzung erweitert. Ferner hat der Bundestag dabei über die interfraktionelle Vereinbarung abgestimmt, gemäß § 126 der Geschäftsordnung von den Regeln des § 123 Abs. 1 der Geschäftsordnung abzuweichen und die Frist mit der abgeschlossenen Verteilung des Antrags des Bundeskanzlers auf Drucksache 9/1312 beginnen zu lassen. Da die Abstimmung über die Ergänzung der Tagesordnung, die Abweichung von der Geschäftsordnung, vielen Mitgliedern des Bundestages nicht bekannt war, schlägt der Ältestenrat eine Wiederholung der Abstimmung vor.
Bestehen bezüglich der Erweiterung der Tagesordnung für morgen Bedenken? Ich muß darüber abstimmen lassen. Wer der Erweiterung der morgigen Tagesordnung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist die Erweiterung der Tagesordnung so beschlossen. Ich stelle fest, daß das Haus der Erweiterung der morgigen Tagesordnung mit Mehrheit zugestimmt hat.
Die Abweichung von der Geschäftsordnung bedarf nach § 126 der Geschäftsordnung einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages. Wer für die Abweichung von § 123 der Geschäftsordnung, über die heute vormittag bereits abgestimmt wurde, ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einer Gegenstimme und einer Reihe von Enthaltungen wurde das Zweidrittelquorum erreicht. Es ist so beschlossen. Ich stelle fest, daß die nach § 126 der Geschäftsordnung erforderliche Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder erreicht ist.
Wir fahren nunmehr in der verbundenen Debatte zu Punkt 2 der Tagesordnung, Ausländerpolitik, fort.
Das Wort hat der Herr Innenminister des Landes Baden-Württemberg.
Minister Dr. Herzog ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum ein Thema, das sich so wenig für abstrakte Erörterungen eignet wie das Thema unserer Ausländerpolitik. Es gibt keine Doktrin - hier stimme ich mit dem Bundesinnenminister völlig überein -, von der aus wir diese Problematik generell und nahtlos lösen könnten. Es gibt allerdings auch keine Doktrin, von der aus man auf jede Ausländerpolitik verzichten könnte, wie uns das gelegentlich nicht nur aus dem politischen Raum - ich meine die SPD -, sondern auch aus dem gesellschaftlichen Raum entgegenschallt. Es gibt kaum ein Gebiet, in dem der Satz, daß nicht alles, was gut gemeint ist, deswegen auch schon gut sein muß, so seine Richtigkeit hätte wie in der Ausländerpolitik.
Ich will Ihnen vorweg nur einige Zahlen aus meinem Erfahrungsbereich nennen. Vorhin ist von einem der Redner hier in Richtung auf die Länder die Frage der Abschiebung angesprochen worden. Ich kann die von dem Kollegen Schnoor aus Nordrhein-Westfalen, der eine der sachlichsten Reden zur Ausländerpolitik gehalten hat, die ich von seiten einer SPD-geführten Regierung gehört habe, genannten Zahlen für Baden-Württemberg bestätigen. Ich will angesichts der ewigen und sicher auch nicht völlig unbegründeten kritischen Anfragen gegenüber den Ländern, was sie im Schulwesen tun, wenigstens eine Zahl nennen, Herr Kollege Hirsch. Baden-Württemberg hat in Sondermaßnahmen für ausländische Schüler - dies betrifft also nicht den normalen Unterricht - 1 300 Lehrerdeputate aufgestellt. Sie bedingen immerhin Personalkosten von 65 Millionen DM jährlich. Wenn Sie sich die Situation in anderen Bundesländern ansehen, so werden Sie bei dem geringeren Wohlstand dort zwar gewisse Abstriche, aber im Prinzip das gleiche feststellen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wenigstens noch die eine Zahl nennen. Ich bin Innenminister eines Bundeslandes, in dem es nicht mehr nur um einen Ausländerbestand von 7 %, sondern um eiMinister Dr. Herzog ({1})
nen Ausländerbestand von über 10 % geht. Je nachdem, wie man rechnet, sind es 10,1 oder 10,3 %.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Minister Dr. Herzog ({0}): Bitte sehr.
Herr Kollege, ich bitte um Nachsicht. Ich hatte vorhin nicht gefragt, welche Sondermaßnahmen das Land Baden-Württemberg ergreift. Könnten Sie die Zahl bestätigen, die ich einer Untersuchung aus dem Jahre 1980 entnommen habe, daß die Schulpflicht in Baden-Württemberg von weniger als 80 %, von wohl nur 60 % der ausländischen Kinder erfüllt wird? Das ist die Frage gewesen, die ich an die Länder und damit auch an Sie richte.
Minister Dr. Herzog ({0}): Da ich in Baden-Württemberg nicht mehr Kultusminister, sondern Innenminister bin, kann ich diese Zahl aus dem hohlen Bauch jetzt weder bestätigen noch widerlegen.
({1})
- Es gibt sogar solche mit hohlem Kopf, aber zu denen gehöre ich nicht.
({2})
Herr Kollege Hirsch, man muß - egal, wie man über diese Zahlen diskutiert - natürlich die Frage stellen, in welchem Schulalter das passiert. Der Bundesinnenminister hat heute die Frage angesprochen, in welchem Lebensalter junge Ausländer eigentlich richtigerweise hierherkommen sollten. Ich kann mir eine Zahl in der von Ihnen genannten Höhe - wenn sie überhaupt richtig sein sollte, was ich jetzt nicht weiß - überhaupt nur unter Einbeziehung derjenigen vorstellen, die noch mit 13, 14 oder 15 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland kommen. Ich will mich gern sachkundig machen, aber darauf wird es wohl hinauslaufen.
Mir geht es im Augenblick um folgendes. Ich habe in einem Land zu arbeiten und Verantwortung zu tragen, in dem mehr als 10 % der Einwohner Ausländer sind. Ich sage Ihnen - ohne daß ich dies jetzt im einzelnen wissenschaftlich belegen könnte -: Ich gehe davon aus, daß damit die äußerste Grenze der Belastbarkeit, jedenfalls für mein Bundesland Baden-Württemberg, erreicht ist.
({3})
Ich will Ihnen sagen, welche Konsequenzen ich daraus ziehen würde, jedenfalls für die Diskussion hier und für ein von mir dringend erwünschtes gemeinsames Zusammengehen aller Parteien in diesem Staat.
Die erste Folgerung - ganz primitiv -: möglichst keine Zugänge mehr. Ich lasse mit mir immer über ein paar Stellen hinter dem Komma verhandeln. Das kann nicht auf Punkt und Komma gehen. Aber trotzdem: möglichst keine Zugänge mehr. Deswegen
müssen wir eben in der Frage der Asylbewerber weitermachen. Es nützt uns auch nichts, wenn wir sagen, daß das Asylantenproblem etwas anderes sei als das Gastarbeiterproblem. Am Ende werden Köpfe gezählt und nicht Rechtsgründe der Anwesenheit.
({4})
Ich kann Ihnen nur sagen, wie es mir in Baden-Württemberg gegangen ist. Wir haben im Frühjahr 1980 Sammelunterkünfte eingeführt und damit natürlich einen gewissen Abschreckungserfolg erzielt. Wenn der Bundesinnenminister sagt, von 1980 auf 1981 sei die Zahl der Asylzugänge auf 55 % gesunken, kann ich feststellen: In Baden-Württemberg sind sie auf 14 % gesunken.
({5})
Wir sind in der ganzen Bundesrepublik dafür verprügelt worden, daß wir das gemacht haben. Heute hat sich Hessen angeschlossen. - Die Leute sind dann nicht in Stuttgart aus dem Flugzeug gestiegen, sondern nach Frankfurt weitergeflogen. Deshalb mußte sich Hessen anschließen. Heute schließt sich Hamburg an, heute wird die Frage der Sammelunterkünfte in Nordrhein-Westfalen diskutiert.
Ich weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, welche Probleme es mit solchen Einrichtungen gibt. Trotzdem wäre es mir lieb gewesen, über uns wäre damals nicht zunächst in Kübeln die Scheinhumanität und die Scheinheiligkeit ausgegossen worden,
({6})
sondern wir hätten gleich rational miteinander gesprochen und das alles gemeinsam getragen.
Bei der Familienzusammenführung ist es genauso gegangen. Glauben Sie denn, daß es für einen Familienvater, einen Menschen, der den Art. 6 des Grundgesetzes ernst nimmt, eine Kleinigkeit ist, die Maßnahmen zu treffen, die wir im Bereich der Familienzusammenführung getroffen haben? Aber wie ist es denn gegangen? Baden-Württemberg hat diese Maßnahmen Ende August 1981 beschlossen, offenbar wegen der Ferienzeit noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Man hat uns nichts Böses getan. Dann haben es die Berliner gemacht. Die haben die vollen Prügel bezogen. Am Ende hat uns am 3. Dezember die Bundesregierung zum gleichen aufgefordert, und wir konnten die Hände an die Hosennaht nehmen und sagen: Wir waren schon da. Es sind doch letzten Endes unsere Vorschläge. Das hätte man doch gleich so machen können und es nicht immer verschleppen müssen.
Herr Minister, der Herr Abgeordnete Hölscher möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Minister Dr. Herzog ({0}): Gern.
Bitte, Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Minister, ich will Ihnen gern bestätigen, daß Sie durch die Art und Weise der Einrichtung von Lagern in Baden-Württemberg einen
sehr großen Abschreckungseffekt erzielt haben. Aber halten Sie es eigentlich für nach unseren Grundsätzen von Humanität und Menschlichkeit verantwortbar, daß ein Teil der Abschreckung auch darin besteht, daß Sie die Kinder von Asylanten von deutschen Schulen ferngehalten haben und noch fernhalten, es sei denn, es lägen Sprachvoraussetzungen vor, und halten Sie es für vertretbar, daß durch von Ihnen als Minister zu verantwortende Handlungen deutsche Bürger in Horb in einen Hungerstreik getreten sind, weil sie nicht mehr mit ansehen konnten, was dort mit ausländischen Familien geschah?
({0})
Minister Dr. Herzog ({1}): Also, deutsche Bürger haben alle Grundrechte. Die können auch in einen Hungerstreik treten. Das ist gar kein Problem. - Im übrigen ist die Sache mit der Schule gelöst.
Ich komme im Zusammenhang mit dem Asylverfahrensgesetz genau auf die Frage noch einmal zurück. Hätten wir ein Asylverfahren, wo innerhalb weniger Monate Klarheit geschaffen würde, dann hätten wir das Problem mit der Einschulung nicht.
({2})
Denn natürlich ist eine Einschulung - so sehr ich dafür bin, und das wird jetzt gemacht - ein erster Ansatz zur Integration, die wir bei unberechtigter Berufung auf den Art. 16 des Grundgesetzes gerade nicht wollen können.
({3})
Ich ziehe die zweite Folge, meine Damen und Herren. Da geht es jetzt nicht um die Millionen von Ausländern, die wir selbst ins Land geholt haben, die seit 16, 17 oder 18 Jahren hier arbeiten und die wir in unseren eigenen Versammlungen und Sprechstunden zum Teil gar nicht mehr von unseren deutschen Mitbürgern unterscheiden können. Es ist notwendig, in aller Vorsicht zu versuchen, die Zahl der im Bundesgebiet vorhandenen Ausländer soweit wie möglich auf freiwilliger Basis zu reduzieren.
Da kann ich zunächst einmal - und insofern muß ich die „freiwillige Basis" wieder streichen - nur dringend appellieren, daß wir jetzt endlich ein greifendes Verfahrensgesetz hinsichtlich der Prozesse um die Anerkennung als Asylbewerber bekommen. Meine Damen und Herren, das Jahr 1980 hindurch ist zwischen den elf Bundesländern eine Bundesratsinitiative verhandelt worden. Dann ist, wie heute der Kollege Hirsch gesagt hat - und er hat das dargestellt, als ob das der Gipfelpunkt von Pfiffigkeit und der Gipfelpunkt von Arbeitsintensität gewesen wäre -, schon im Juni darauf von irgendeiner Kommission ein Haufen Vorschläge gekommen. Und siehe da, nach drei weiteren Monaten ist es sogar zu einer weiteren Bundesratsinitiative gekommen. Ich kann nur sagen, ich warte immer noch darauf. Ich warte in großer Ungeduld ab, was jetzt im Augenblick in den Ausschüssen des Bundestages entstehen mag. Ich bin in jedem einzelnen Punkt - ob das Ausländerbehörde oder Zirndorf ist, ob das Einzelrichter oder sonst was ist -, ich bin in jedem einzelnen Punkt gesprächsbereit, wenn am Ende ein Ergebnis steht, bei dem mir gesagt wird: innerhalb von einem Jahr nach dem Auftreten des einzelnen Asylbewerbers ist auch bei dem längsten Gerichtsverfahren eine rechtskräftige Entscheidung da.
({4})
Wenn Sie mir ein Verfahrensgesetz garantieren, in dem die einzelnen Instanzen innerhalb von 14 Tagen entscheiden, können Sie noch fünf Instanzen einbauen. Nur das Ergebnis muß sein - auch um der Menschen willen, im übrigen auch wegen unserer finanziellen Lasten -: es muß höchstens in einem Jahr Klarheit geschaffen werden.
({5})
Lassen Sie mich den finanziellen Gesichtspunkt nennen. Der Kollege Fink aus Berlin hat heute gesagt, ihn in Berlin kosten die Asylbewerber, deren Verfahren noch laufen, 60 Millionen DM. Der Kollege Schnoor berichtet aus Nordrhein-Westfalen, es seien dort 190 Millionen DM. Das stimmt in der Größenordnung genau: wir in Baden-Württemberg haben 100 Millionen DM im Haushalt. Auch die könnten sinnvoller genau auf dem Gebiet, über das wir heute sprechen, eingesetzt werden.
({6})
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Friedmann zu?
Minister Dr. Herzog ({0}): Einen kurzen Satz noch, weil er so wichtig. ist. Ich möchte an Sie dringend appellieren: mir geht es nicht darum, welche Verkürzung und wo die Verkürzung am Verfahren angesetzt wird. Ich bin bereit, alle Positionen, die von der einen oder von der anderen Seite aufgebaut worden sind, mit schleifen zu helfen, wenn das eine Ergebnis da ist: ein Jahr nach dem Auftreten ist Rechtskraft - und wenn nötig, aus Berlin vom Bundesverwaltungsgericht - vorhanden. Aber das will ich glauben können. Sonst kann ich nicht zustimmen.
({1})
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Dr. Friedmann!
Herr Minister, könnten Sie sich vorstellen, daß viele Ausländer zur freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland bewogen werden könnten, wenn man z. B. ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder auf Renten kapitalisiert? Und könnten Sie sich auch vorstellen, daß Ihr Land, das auch mein Land ist, notfalls eine entsprechende Bundesratsinitiative veranlaßt?
Minister Dr. Herzog ({0}): Ihre Frage paßt zeitlich wunderbar. Es ist der nächste Punkt, den ich ansprechen wollte. Herr Kollege Friedmann, wir müssen auch in allem Ernst über Rückkehrmöglichkeiten reden. Es ist doch klar: die 4,6 Millionen ausländische Mitbürger, die wir in der
Minister Dr. Herzog ({1}) Bundesrepublik haben, bekommen wir durch solche Maßnahmen nicht nach Hause. Aber ich habe 950 000 im Land Baden-Württemberg. Es wäre für mich eine gewaltige Hilfe, wenn ich auf diese Weise, die Herr Friedmann jetzt anspricht, etwa 100 000 nach Hause bekäme. Ich wäre dann sogar imstande, bei Härten in der Familienzusammenführung wieder 20 000 oder 30 000 hereinzulassen. Es geht ja wirklich nicht um Stellen hinter dem Komma. Deswegen ist auch die Frage ernsthaft zu überlegen.
Ob es zu einer Bundesratsinitiative kommt, Herr Kollege Friedmann, hängt davon ab, ob wir die Chance sehen, mehrheitsfähig in dieser Frage zu werden. Allerdings muß ich auch hinzufügen: Baden-Württemberg hat das 1974 bei Audi-NSU in Nekkarsulm gemacht, und vier oder fünf Monate später waren zum Teil die gleichen Leute wieder auf der Matte gestanden.
({2})
- Ja, gut. Aber lassen Sie uns doch in aller Ruhe darüber reden, ob man so jemanden, wenn er wiederkommt, dann auch sofort und nicht mit aufschiebender. Wirkung von Rechtsmitteln wieder nach Hause schicken kann. Es geht doch wirklich darum, diese Fragen zu ventilieren. Vor allem in Ländern wie Berlin und Baden-Württemberg steht uns das Wasser bis zum Hals. Da ist man nicht von vornherein bereit, sich wegen irgendwelcher aus der Luft geschnappten Gesichtspunkte die Beratung und die Überlegung von ernsthaft gemeinten Vorschlägen aus der Hand schlagen zu lassen.
Dritter Punkt. Man kann die Ausländerzahlen - und das wird jetzt vielleicht den einen oder anderen überraschen - auch dadurch reduzieren, daß man in der zweiten oder dritten Ausländergeneration junge Menschen, die hier geboren sind oder die hier jedenfalls seit jüngsten Jugendjahren in der Bundesrepublik Deutschland leben, einbürgert. Ich bin bereit, auch über diese Sache voll zu reden.
({3})
- Herr Hölscher, so einfach geht das nicht. Ich sehe nämlich das Problem ganz anders als Sie in Ihrer theoretischen Abstraktionshöhe. Wir streiten in den nächsten Wochen möglicherweise darüber, ob wir die Erweiterung der Einbürgerungsmöglichkeiten, die ich auch für richtig halte, in Verwaltungsvorschriften, in Richtlinien oder in einem Gesetz regeln. Wir streiten darüber, ob wir einen Anspruch geben oder nicht. Den Anspruch würde ich ablehnen, aber darüber streiten wir, während uns unsere praktische Erfahrung sagt: Die stellen doch die Einbürgerungsanträge gar nicht. Natürlich habe ich mit Einbürgerungsanträgen Probleme, aber eben - lassen Sie mich das überspitzt sagen - bei den türkischen oder iranischen Ärzten, die auf dieser Grundlage noch eine freie Zulassung wollen, aber doch nicht bei den Fabrikarbeitern von Audi-NSU oder Daimler-Benz. Die kommen doch gar nicht und stellen die Anträge. Die Frage stellt sich vielmehr von der anderen Seite: Was macht man eigentlich mit Leuten, denen wir die Einbürgerung zu geben bereit sind, die aber dieses Angebot ausschlagen? Sollen die eigentlich unter
diesen Voraussetzungen auch noch in der Bundesrepublik bleiben können?
Das ist doch die Frage. Eine ähnliche Frage hat der Kollege Schnoor heute früh angesprochen. Wenn wir ein ernsthaftes Angebot zur Einbürgerung machen, dieses Angebot aber nicht angenommen wird, weil der Betreffende zur Bundeswehr oder zum Ersatzdienst muß, ist doch zu fragen, ob man ihn dann auch noch in der Bundesrepublik lassen muß. Wir müssen den Klärungsprozeß gerade in den Zwischenbereichen durchführen, wo jeder von uns sagt: Der ist eigentlich schon zur Hälfte oder zu drei Vierteln ein Deutscher.
Diese Frage stellt sich für eine Familie - lassen Sie mich das noch einmal sagen; Herr Schnoor ist derselben Meinung - zum erstenmal dann, wenn sie ihre Kinder zum erstenmal in die Schule schickt. Ich habe es von diesem Pult aus schon einmal gesagt, und ich wiederhole es jetzt bewußt: Die Lebenslüge unserer Ausländerpolitik ist die Einbildung, wir könnten sechsjährige zarte Kinder so unterrichten, daß sie gleichzeitig Deutsche werden können und Türken bleiben können. Wenn Sie diese Vorstellung wörtlich nehmen, bedeutet das den normalen Unterricht in der Schule, zusätzlich zehn Stunden, weil sie Türken sind und Deutsch lernen müssen, weitere zehn Stunden, weil sie Türken sind, aber unter Deutschen aufwachsen. Dann bekommen sie noch den Koranunterricht, über den ich wie meine Vorredner denke. Das alles verkaufen wir dann unter der Überschrift „Schulstreß bei deutschen Kindern".
Hier ist zum erstenmal die Frage an eine Familie zu stellen: Was willst du eigentlich? Nach welcher Schiene willst du behandelt werden? Die Frage stellt sich zum zweitenmal spätestens in dem Augenblick, in dem es um das Einbürgerungsangebot geht, für das ich mich noch einmal ausspreche. Wenn einer halt nicht will, was ich ja respektiere, kann man ihn zwar noch eine Zeitlang hier lassen, aber jemand, der Deutscher werden könnte, es aber nicht will, jemand, der vielleicht auch gar nicht integrationsbereit ist - ich respektiere das -, kann eben nicht erwarten, daß wir ihn auf Dauer in unserem Land behalten, jedenfalls nicht in solcher Zahl wie bisher.
Es geht mir hier nicht um harte Positionen. Wissen Sie, die harten Positionen verlernt man sehr schnell, wenn man viele Einzelfälle konkret entscheiden muß, und bei jedem Einzelfall steckt ein menschliches Schicksal dahinter. Das verlernt ein SPD-Innenminister, das verlernt ein FDP-Innenminister - Herr Kollege Hirsch -, das verlernt ein CDU- oder CSU-Innenminister relativ rasch.
Von dieser konkreten Betrachtungsweise aus müßte es möglich sein, zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Bisher ist die Regierung, der ich angehöre, meistens vorausgegangen. Sie ist beschimpft und geschlagen worden, aber am Ende hat man genau das gemacht, was sie vorexerziert hatte. Ich will mich in dieser Frage nicht mit irgendwelchen Kränzen schmücken. Dazu ist diese Frage viel zu ernst und geht viel zu sehr ins Menschliche. Es wäre schon schön - das sage ich auch an das Bundesinnenministerium gerichtet -, wenn sich einmal diejenigen, die es mit großen Ausländermengen zu
Minister Dr. Herzog ({4})
tun haben - die anderen können immer noch den feinen Max spielen -, zusammensetzen und vorurteilslos zu Lösungen kommen könnten. Sie werden immer schwierig sein. Es wird immer ein Vorwärtstasten sein. Aber es wäre des Schweißes der Edlen wert. Baden-Württemberg ist dazu bereit. Wenn das nicht geht, werden wir weiter unseren eigenen Weg gehen. Die Bundeseinheitlichkeit hört natürlich dort auf, wo einem selber das Wasser bis zum Hals steht. - Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Spranger hat heute morgen in seinem Beitrag zum Antrag von SPD und FDP vor dem Hohen Hause u. a. folgenden Satz gesagt - ich zitiere -:
Er steht unter der Maxime: Eingliederung, Integration, Assimilation aller Ausländer nahezu um jeden Preis.
Herr Kollege Spranger, ich hatte heute morgen mit Hilfe einer Zwischenfrage versucht, Sie zu bitten - wozu ich dann nicht gekommen bin, weil Sie sie nicht zugelassen haben, wohl aus Zeitgründen -, den Koalitionsfraktionen einmal die Stelle im Antrag der SPD und der FDP zu nennen, die die Richtigkeit dieses Satzes beweist.
Ich denke, Sie haben noch die Chance, Ihre Kollegen auf die Stelle hinzuweisen. Dann könnte Ihre Fraktion das hier belegen. Ich meine, das ist eine faire Sache. Ich bitte Sie herzlich darum. Wenn Sie es nicht können, Herr Spranger, muß ich allerdings sagen: Ich finde, es ist dem Thema unangemessen, mit solchen Sätzen ganz bestimmte Emotionen wekken zu wollen, die der Sache schaden.
({0})
Die parlamentarische Opposition muß erkennen, daß die Entwicklung einer ausländerpolitischen Gesamtkonzeption, wie sie sie in ihrem Antrag gefordert hat, gerade in ihren eigenen Reihen, nämlich in den Reihen der CDU/CSU, mehrere Voraussetzungen bedingt, zum Beispiel erstens die einheitliche Abkehr von der Vorstellung, es handele sich um eine bloße beschäftigungspolitische und arbeitsmarktorientierte Betrachtungsweise der Ausländerproblematik, und z. B. zweitens die Überzeugung, daß die Ausländerbeschäftigung eine soziale Problematik darstellt, die angemessen beantwortet werden muß. Angemessen kann aber nicht bedeuten: Alle Menschen sind gleich, aber die Deutschen sind immer gleicher.
Institutionen, Verbände, sich für die Sache engagierende Menschen haben einen Ansatz gefunden, der erfreulicherweise ein hohes Maß an Übereinstimmung im Grundsätzlichen feststellen läßt. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hält es für notwendig, auf eine positive Einstellung zu den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern hinzuwirken. In den Vorschlägen der „Gemeinsamen Konferenz" der Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK wird festgestellt, daß die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ein Problem aller westeuropäischen Industriestaaten ist. Und weiter:
In keinem dieser Länder ist die Situation der Ausländer und ihrer Familien befriedigend gelöst.
Und an anderer Stelle:
Die sich stellenden Probleme sind nicht dadurch überwindbar, daß die Bundesrepublik die
Ausländer in ihre Heimatländer zurückdrängt.
Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland sagt in den Materialien zu den Ausländertagen:
Ein Zusammenleben mit Minderheiten stellt für jede Gesellschaft eine Herausforderung dar. Auf deutschem Boden gab es schon immer Minderheiten ({1}). Alle gesellschaftlichen Gruppen haben eine Mitverantwortung, zum gegenseitigen Wohl beizutragen. Erinnerungen an die Verbrechen gegenüber Juden und Zigeunern sollten dazu verpflichten, ein verantwortungsvolles Verhalten gegenüber Minderheiten durchzusetzen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fügt sich in diese Stellungnahmen nahtlos ein. Gerade die Gewerkschaftsbewegung sollte der Politik auch in dieser Frage ein wichtiger Ratgeber sein.
In diesem Zusammenhang ist es für mich beruhigend, daß der niedersächsische Ministerpräsident noch am 6. Januar dieses Jahres erklärt hat: Das letzte, was sich die Deutschen leisten könnten, sei eine neue Ausländerfeindlichkeit.
Im Thesenpapier der Sozialausschüsse der CDU lesen wir schließlich die Forderung, Ausländerpolitik so zu gestalten, „daß sie den Ausländern, die in der Bundesrepublik Deutschland bleiben wollen, eine vorbehaltlose und dauerhafte Integration bietet".
Es besteht also eine weitgehende und vielfache grundsätzliche Einigkeit in den Erklärungen und Schriften. Uneinigkeit besteht nach meinem Eindruck grundsätzlich in der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages. Nach der Stellungnahme der Sozialausschüsse des Berliner Senators Norbert Blüm, stellvertretender Vorsitzender der CDU von ge stern,
({2})
und nach den Erklärungen des bayerischen Innenministers, die sicherlich auch mit für die CSU gelten, ist die Frage angebracht, meine Damen und Herren von der Opposition, ob der Antrag Ihrer Fraktion, der diesem Hause vorliegt, heute überhaupt noch eine Mehrheit in Ihren eigenen Reihen findet? Ich denke, es wäre kein politischer Verlust, sondern ein politischer Gewinn, wenn wenigstens in dieser Frage die Union über ihren eigenen Schatten springen könnte.
Jüngste Vorkommnisse in unserem Land müßten uns alle - über Parteigrenzen hinweg - wachsam
werden lassen. Der Innenminister des Landes Baden-Württemberg hat in seiner heutigen Rede diesen Vorgang ausgespart. In den letzten Wochen wurde nämlich ein Machwerk öffentlich bekannt, das mit wissenschaftlichem Anspruch schlimmste Erinnerungen an unsere jüngste Vergangenheit weckt. Unter dem Titel „Heidelberger Manifest" wagen sich sogenannte Akademiker mit Aufassungen an die Öffentlichkeit, die verhängnisvolle Gedankenverknüpfungen an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte beinhalten.
({3})
Gerade weil dieses Papier von Professoren unterzeichnet ist, gilt es zu warnen. Es ist nämlich mehr als eine Vermutung, daß der Titel „Professor" Wissenschaftlichkeit ausweist. Latente und offene Ausländerfeindlichkeit - gerade bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten wirksam - wird durch professorale Unterzeichner achtbar gemacht.
Dieses Machwerk, verbunden mit dem Namen der Stadt Heidelberg, beruft sich ausgerechnet auf das Grundgesetz. Dieses gehe vom Begriff „Volk" aus, und zwar vom deutschen Volk. Die jetzt praktizierte Ausländerpolitik widerspreche dem Grundgesetz, das alle Deutschen zur Bewahrung und Verteidigung der Lebensrechte unseres Volkes verpflichte. Es folgt die These von „erhaltenswerten Völkern und Nationen", was logischerweise die Antithese von nicht erhaltenswerten Völkern und Nationen herausfordert. Hinzu kommt die Beschwörung ethnischer Katastrophen, welche mit multikulturellen Gesellschaften verbunden sind.
Es ist heute schon soweit, daß ein Schweizer Staatsrechtler, der ehemalige Präsident der Mainzer Universität Professor Dr. Peter Schneider, in den letzten Tagen anmerken muß: „Einrassige Gesellschaft, monokulturelle gegen vielrassige Gesellschaft, monokulturelle gegen multikulturelle, Naturrecht auf Identität im Sinne der Einrassigkeit, gerät man da nicht in die Gefahrenzone des Wortes ,Nein, es gibt nur ein heiligstes Menschenrecht ..., dafür zu sorgen, daß das Blut rein erhalten bleibt` ", „Mein Kampf", Seite 444.
Wo sind jetzt die deutschen Professoren, die ihren im Geist verwirrt scheinenden Kollegen klarmachen, daß es das Bundesverfassungsgericht war, das in einer Entscheidung zum Grundlagenvertrag vom Begriff der „politischen Nation" ausgegangen ist, daß keine Rede von Einschwörung auf das Volk als auf eine einrassige Gesellschaft gewesen ist?
„Nach 1945", so schreibt Günter Grass, „hat es eine Einwanderungswelle gegeben. Es waren über neun Millionen Flüchtlinge, die aus den verlorenen Ostprovinzen, auch aus anderen Ländern des Ostens, nach Westen strömten. Und ich behaupte hier" - so Grass -, „daß die Reaktion eines Großteils der westdeutschen Bevölkerung auf diese Ostflüchtlinge die Reaktion war wie auf Ausländer, obgleich es sich um Deutsche handelte. Dennoch hat man politisch richtig gehandelt. Diese neun Millionen Flüchtlinge sind nicht in Lager gesperrt worden. Man hat sehr rasch begriffen, daß diese Flüchtlinge mit einem Nichts im
Hintergrund natürlich der Motor gewesen sind für das, was man später das Wirtschaftswunder genannt hat. Ein Jahrzehnt später begann dieses Wirtschaftswunder Arbeitskräftemängel aufzuzeigen. Es wurden Ausländer in erster Linie aus Italien, aber auch aus anderen Ländern, ins Land gerufen. Der Boom der Wirtschaft, die beständigen Zuwachsraten ließen die Zahl der Gastarbeiter anschwellen und anschwellen. Und erst, als es Anfang der 70er Jahre nach der ersten Erdölkrise auf einmal hieß, mit dem Zuwachs ist auf Dauer nicht zu rechnen, war man sehr rasch bereit, die Leute wieder abschieben zu wollen, denen man einen großen Teil des Wirtschaftswunders verdankt. Es wird sich heute nicht mehr so machen lassen!"
Mir ist die genaue Zahl jener Deutschen, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mußten, nicht bekannt. Aber ich denke, man darf sie auf viele Millionen schätzen. Müssen nicht gerade Deutsche deshalb verstehen - j a, besser verstehen -, daß Flucht vor Arbeitslosigkeit ohne soziale Rahmengesetzgebung, daß Flucht vor Hunger, daß Flucht vor existentieller Bedrohung andere Antworten verdient als Vorschläge, die Deportationscharakter haben? Besonders bestürzt muß sich jedes Mitglied dieses Hauses darüber fühlen, daß zu den Unterzeichnern des Heidelberger Manifests der ehemalige CDU-Bundesminister Oberländer zählt; sicher nur einer unter 15, aber einer, der mit dem Zusatz „Bundesminister a. D." Aufwertung erschleichen will, die man als verwerflich bezeichnen muß.
Dem böswilligen Versuch, den deutschen Arbeitern einzureden oder Aufklärung darüber zu unterlassen, wenn Ausländer zu Sündenböcken für die auch in der Bundesrepublik Deutschland steigende Arbeitslosigkeit gemacht werden, ist entgegenzutreten. Die Arbeitslosenzahlen sind keine deutsche Besonderheit.
Die deutsche Volkswirtschaft hat von der Arbeitskraft ausländischer Arbeitnehmer profitiert,
({4})
und sie tut es noch heute. Unsere Volkswirtschaft hat in den Jahren wirtschaftlichen Wachstums keine nennenswerte soziale Folgelast tragen müssen. Es kann doch nicht bestritten werden, daß ausländische Arbeitnehmer erheblich dazu beigetragen haben, den Lebensstandard bei uns zu erhöhen, die Arbeitszeit zu verkürzen und den wirtschaftlichen Abstand gerade zu den Ländern, aus denen wir sie geholt haben, zu vergrößern. Sie haben Beiträge innerhalb unseres Sozialsystems gezahlt. Wir haben die „Gleichheit im Geben" als die selbstverständlichste Sache der Welt betrachtet.
Und nun haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Sozialdemokraten sind aber nicht bereit, deshalb die Jahre vorher zu verdrängen. Wir stellen uns den daraus erwachsenden Problemen. Unser gemeinsamer Antrag mit den Freien Demokraten zur Ausländerpolitik stellt genau diese Tatsache an den Anfang.
Es ist doch heute nicht der Deutsche Gewerkschaftsbund allein, der vor dem Irrglauben einer Ersetzung ausländischer Arbeitnehmer durch deut4948
sehe warnt. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erklärte: „Die Tätigkeitsmerkmale und Qualifikationsunterschiede der Arbeitsplätze von Deutschen und Ausländern stimmen oft nicht überein; deshalb wäre eine Substitution durch Deutsche kaum in größerem Umfang möglich." Und es wird wohl niemand in diesem Hause geben, der sich anmaßt, das Gegenteil belegen zu können.
Wenn die Fakten also stimmen und wenn die in der Sache tätigen Experten sich einig sind, kommt es für uns auf folgendes an: Die Integrationspolitik ist so auszurichten, daß sie den Ausländern die Möglichkeit der Rückkehr in ihre Heimatländer offenläßt.
Mit einer gewissen Befriedigung entnehme ich dem Unionsantrag, daß der Anwerbestopp in der CDU/CSU nicht mehr umstritten ist und daß in diesem Punkt endlich der Auffassung der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen von SPD und FDP gefolgt wird.
Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen der Opposition jetzt noch untereinander klarwerden könnten, zwischen den Verfassern des Antrags, den sie eingebracht haben, und der Gruppe um Norbert Blüm und Alfons Müller sozusagen eine Bereinigungssitzung auf der Blüm/Müller-Linie vorzunehmen, dann steht einer Einvernehmlichkeit des Bundestages nichts mehr im Weg.
Diese Einvernehmlichkeit hat der Innenminister des Landes Baden-Württemberg gefordert. Diese Einvernehmlichkeit hat der Berliner Senat gefordert. Die Einvernehmlichkeit hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen gefordert.
Die in vielen wichtigen Politikfeldern registrierte Verweigerungsstrategie der Opposition des Bundestages
({5})
- das können Sie doch nicht bestreiten - hätte sich mit der Ausländerpolitik eines der am wenigsten geeigneten Themen zusätzlich reserviert.
({6})
- Sie können das doch nicht bestreiten. Ich nenne Ihnen nur ein Stichwort: Beschäftigungspolitik.
({7})
Aber lassen Sie mich zum Schluß kommen.
Dennoch erscheint mir der Appell angebracht, daß die CDU/CSU-Fraktion bei den Beratungen in den Ausschüssen und bei der Beschlußfassung des Deutschen Bundestages sich weniger an Sonthofen erinnert, sich nicht auf parteitaktisches Verhalten beschränkt,
({8})
sich von ideologischem Ballast befreit und gemeinsam mit den Fraktionen der SPD und der FDP, mit der Regierung, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, mit den Kirchen, mit den Verbänden und Institutionen für die Menschen in Deutschland, und zwar im Ergebnis für die deutschen und die ausländischen Menschen, eine Politik mitzugestalten hilft, die uns auch weiterhin den gesellschaftlichen Frieden erhält und den rechtsradikalen Herumlungerern in unserem Staat nicht die Spur einer Chance läßt. Ich denke, es ist Aufgabe des deutschen Parlaments, sich in erster Linie den Blick freizuhalten, aus den Anforderungen, die an uns gestellt werden, eine Offensive werden zu lassen, die niemanden zweifeln lassen muß, daß wir aus der deutschen Vergangenheit Lehren gezogen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?
Bitte.
Bitte, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Dreßler, nachdem Sie meine Kritik an dem umfassenden Integrationsmodell der Koalition beanstandet haben, frage ich Sie: Sind von Ihnen noch irgendwelche Vorschläge zur Begrenzung dieser Integration in Ihrer Rede zu erwarten?
Herr Kollege Spranger, ich darf Sie zunächst korrigieren. Ich habe einleitend darum gebeten, vor dem Bundestag den Beweis für den Satz zum Antrag von FDP und SPD anzutreten: „Er steht unter der Maxime: Eingliederung, Integration, Assimilation aller Ausländer nahezu um jeden Preis." Ich habe gesagt: Wenn Sie den Beweis nicht antreten können, dann bitte ich Sie, Ihren Kollegen, die Ihnen als Redner noch folgen werden, zu sagen, daß Sie sich geirrt haben, nicht mehr und nicht weniger. Ich weiß nicht, wie Sie auf den Zusammenhang kommen, den Sie gerade hier hereingebracht haben.
({0})
Herr Abgeordneter, Sie sind am Schluß Ihrer Redezeit. Ich gehe deswegen davon aus, daß Sie eine weitere Zusatzfrage nicht mehr zulassen.
Doch, ich lasse sie zu; wenn Herr Spranger möchte, sicherlich.
({0})
Herr Abgeordneter Spranger, bitte.
Herr Dreßler, hielten Sie es nicht für korrekt und sinnvoll, den Vorwurf, den Sie mir machen, in irgendeiner Form zu begründen, nämlich mit der Andeutung einer Art von Begrenzung der Integration, die Sie nach der Interpretation Ihres Papiers in bezug auf die Ausländer als Programm dem Bundestag hier vorgelegt haben?
Herr Spranger, ich gehe doch davon aus, daß Sie den Antrag der Koalitionsfraktionen gelesen haben. Ich habe nur festgestellt: Die Behauptung, die Sie hier aufgestellt haben, ist an keinem Punkt unseres Antrags zu belegen. Wenn Sie es hier
behaupten, belegen Sie es! Ansonsten nehmen Sie es zurück!
({0})
Im übrigen finden Sie unter III. unseres Antrages exakt unsere Vorstellungen. Daß die sich von Ihren unterscheiden, haben mehrere Redner meiner Fraktion und der FDP-Fraktion heute morgen deutlich gemacht.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Seehofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, ich bin Ihren Ausführungen sehr aufmerksam gefolgt, aber ich konnte nicht erkennen, wen Sie und was Sie mit Ihrer Rede eigentlich gemeint haben.
({0})
Sie haben eigentlich an den Problemen völlig vorbeigeredet. Sie haben nur Geister beschwört.
({1})
- Herr Kollege Wehner, die Probleme, die uns heute bedrücken, werde ich Ihnen gleich nennen.
({2})
- Sie reden vielleicht nur mit Funktionären, Herr Kollege Dreßler, und nicht mit den Arbeitnehmern, die draußen vor Ort noch tätig sind.
Sie können doch nicht übersehen, daß wir in den letzten Jahren nicht nur eine Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung gehabt haben - es handelte sich um eine rapide Steigerung -, sondern auch einen kräftigen Anstieg der Ausländerbeschäftigung. Allein Anfang 1978 betrug die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in unserem Lande 1,85 Millionen, Mitte 1980 waren es bereits 2,1 Millionen. Das sind 250 000 oder über 13% mehr. In dieser Zahl ist die vermutete starke Zunahme der illegalen Beschäftigung, der Schwarzarbeit, noch nicht berücksichtigt. Dieses wachsende ausländische Erwerbspersonenpotential ist auf ein schrumpfendes Arbeitsplatzangebot getroffen. Das hat dazu geführt, daß die Ausländerarbeitslosigkeit dramatisch angestiegen ist, allein in einem Jahr um 64 %.
230 000 Arbeitslose allein im Dezember des letzten Jahres bedeuten, daß jeder siebente Ausländer arbeitslos ist, obwohl die Ausländer von den abhängig Beschäftigten nur etwa 10 % stellen. Dies ist unser Problem. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die jetzige Situation im Trend fortsetzen wird, ja, daß sich der Problemdruck eher noch verstärken wird.
In unserem Lande wohnen derzeit etwa 1,2 Millionen ausländische Kinder unter 16 Jahren. 300 000 davon werden etwa bis zum Jahre 1985 in das Erwerbsleben hineinwachsen, zusätzlich zu den 650 000 deutschen Kindern. Allein die Zahl der potentiellen Familiennachzügler, die im Wege der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland kommen und nach Ablauf der Wartefrist auf den Arbeitsmarkt drängen werden, wird auf mindestens 1 Million geschätzt. Daß diese Zahl nicht zu hoch gegriffen ist, verdeutlicht die Tatsache, daß die Bundesanstalt für Arbeit derzeit allein für 780 000 Kinder von Ausländern, die noch in ihren Heimatländern leben, Kindergeld zahlt. Diese sind natürlich ein Potential, das in allererster Linie für einen Nachzug in die Bundesrepublik Deutschland in Frage kommt. Schon heute hat sich, auch bedingt durch den Zustrom von Asylbewerbern in den letzten Jahren, ein Arbeitskräftepotential von rund 250 000 in unserem Land lebenden Ausländern aufgestaut, das nach Ablauf der Wartefrist ebenfalls auf den Arbeitsmarkt kommen wird.
Aber mit diesen Zahlen noch nicht genug! Der Zustrom von Asylbewerbern hält an, wenn auch mit reduzierten Zuwachsraten. Es steht die Regelung der Freizügigkeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei ab 1986 an. Griechenland erhält ab 1988 die Freizügigkeit. Auch Spanien und Portugal streben in die Europäische Gemeinschaft mit dem verständlichen Ziel, für ihre Arbeitskräfte die freie Wanderung zu erlangen. Dies sind doch unsere aktuellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt.
Es liegt auf der Hand, daß diese drohende Entwicklung zu einer Belastung des Arbeitsmarkts und des Sozialsystems führt, die wir einfach nicht verkraften können. Das muß man so deutlich aussprechen.
({3})
Dies wird, Herr Kollege Dreßler, mit Sicherheit auch zu einer neuen Blüte der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung in unserem Land führen.
({4})
Deshalb sind rasche und wirksame Steuerungsmaßnahmen unerläßlich, damit dieser gefährliche Sprengsatz entschärft wird. Die Bundesrepublik kann nicht zum Sozialamt und zum Arbeitsamt für die ganze Welt werden.
Ich verkenne dabei nicht, daß wir eine Verantwortung für die Ausländer haben, die von uns angeworben wurden, insbesondere für die Kinder, die bei uns aufgewachsen sind. Das ist nicht das Problem; dieses Feindbild besteht nicht.
Ich verkenne auch nicht, daß unsere Volkswirtschaft gegenwärtig und wohl auch künftig Gastarbeiter benötigen wird. Ich denke hier nur an Bereiche wie Gießereien, Bergbau, Fahrzeugindustrie, deren Beschäftigte zu einem erheblichen Teil Ausländer sind.
Herr Kollege Dreßler, ich stimme ihnen zu, daß Ausländerpolitik nicht nur eine Variante der Beschäftigungspolitik sein kann. Aber Ausländerpolitik ist auch Bestandteil der Beschäftigungspolitik.
Wo es 2 Millionen Arbeitslose gibt, hat der Staat die Pflicht, in allererster Linie dafür zu sorgen, daß seine Bürger Arbeit haben.
({5})
Dies erfordert, daß wir den weiteren Zustrom von Arbeitskräften auf die humanitären und internationalen Verpflichtungen beschränken.
Es ist geradezu paradox, wenn wir auf der einen Seite Beschäftigungsprogramme auflegen, weil es nicht genug Arbeit gibt, auf der anderen Seite aber ständig neue Arbeitskräfte aus dem Ausland aufnehmen. Jedes Beschäftigungsprogramm wird dadurch in seiner Wirkung geschmälert, wenn nicht sogar aufgehoben.
Es ist deshalb bei der aktuellen Arbeitsmarktlage nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch ein Gebot der Vernunft, dem ungesteuerten Zustrom von Ausländern ein Ende zu setzen.
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- Warten Sie ab! Unser Antrag enthält dafür umfangreiche Maßnahmen und Forderungen.
Mir scheint, es ist besonders vordringlich - das kann man nicht von der ganzen Ausländerproblematik trennen -, daß wir endlich die Flut der Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlinge eindämmen. Es ist sicher richtig, daß die Zuwanderungsraten hier im Jahre 1981 im Vergleich zum Jahre 1980 zurückgeführt wurden. Aber dies ist doch nicht das Problem! Das Problem liegt doch darin, daß die Verfahren fünf, sechs, sieben Jahre und mehr dauern. Das bedeutet: Wenn im Jahre 1983 50 000 Asylbewerber kommen, dann sind die 50 000 aus dem Jahre 1982 nicht bereits wieder in ihrer Heimat, sondern noch in unserem Lande. Wir müssen also die fünf, sechs oder sieben Jahre im Zusammenhang sehen, und dann sind es immerhin 300 000 oder 350 000, die nach der Wartezeitregelung - natürlich zusätzlich - nach Arbeit suchen werden.
Es kommt auch ganz entscheidend darauf an, daß wir den Familiennachzug auf seinen humanitären Kern beschränken. Für mich ist es kein Familiennachzug, wenn ein ausländischer Jugendlicher mit dem primären Ziel in die Bundesrepublik kommt, Arbeit zu finden, und zu diesem Zweck nur von einem Elternteil zum anderen Elternteil wechselt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Herr Präsident, ich habe von meinen insgesamt zehn Minuten nur noch eine Minute. - Ich hätte meine Gedanken, Herr Kollege, in Anbetracht meiner kurzen Redezeit gern zu Ende geführt.
Ein weiteres: Wir müssen auch die Mißbräuche des Ausländerrechts, hier insbesondere die illegale Beschäftigung, die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt, wirkungsvoller als heute bekämpfen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir können die Frage der Ausländerpolitik nur lösen, wenn wir die Problematik quantitativ begrenzen. Es liegt auch im Interesse der Ausländer, daß sie die Aufnahmefähigkeit eines Gastlandes nicht überfordern. Sie, die Ausländer, sind es j a zuallererst, die von einer Störung des inneren Friedens, von einer gelähmten Integrationsbereitschaft der deutschen Bevölkerung bis hin zu Fremdenfeindlichkeit am meisten betroffen werden.
Wir haben heute deshalb große Schwierigkeiten, weil die Bundesregierung in der Vergangenheit oft falsch, oft überhaupt nicht und oft nicht rechtzeitig gehandelt hat. Wer aber in der Ausländerpolitik die Realität nicht wahrhaben will, wer notwendige Entscheidungen stets verschleppt, wer Schönfärberei betreibt und Illusionen nährt, hilft bei dieser Problematik letztlich niemandem: weder den Deutschen noch den Ausländern. Er hilft niemandem, er setzt nur verderbliche Fehlsignale für Hunderttausende von Menschenschicksalen. - Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Engel.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Ein Vergleich der beiden vorliegenden Anträge, die ja ein Beitrag zur praktischen Ausländerpolitik sein wollen, wie der Minister von Baden-Württemberg zu Recht verlangt, läßt - bei aller Übereinstimmung in einzelnen Punkten - eine grundlegend unterschiedliche Akzentsetzung in der Einschätzung des Problems, seiner Lösungserfordernisse und -möglichkeiten erkennen; das wurde in der Debatte bereits sehr deutlich.
Auch wenn ich mich in meinem Beitrag vor allem auf die bildungs- und ausbildungspolitischen Aspekte der ausländischen Arbeitnehmerkinder konzentrieren will, so kann ich doch nicht umhin, einige Anmerkungen zu dem Tenor Ihres Antrags zu machen. Auf einen schlichten Nenner gebracht, meine Herren und Damen, möchte ich sagen: Wir vermissen in Ihrem Antrag die humane und die moralische Dimension,
({0})
die Verantwortung denjenigen Menschen gegenüber, deren Schicksal - ob wir es wollen oder nicht - mit unserem so eng verflochten ist und die seit Jahren in unserem Lande leben. Mit diesem Tenor nämlich provozieren Sie genau die „emotionalisierte Diskussion", wie Sie es zu Recht nennen, „die die zusätzliche Gefahr der Ausländerfeindlichkeit heraufbeschwört." So steht es bei Ihnen.
Auch die Ausländerpolitik ist für Sie, wie Herr Kollege Spranger hier heute morgen in schöner Einfachheit dargestellt hat, bedauerlicherweise ein Anlaß, die Politik der Bundesregierung zu diffamieren und damit eine latente, höchst gefährliche Strömung in unserer Bevölkerung parteipolitischen Zielen nutzbar zu machen.
Sie müßten doch wissen - und Sie wissen es auch -, daß wir es mit dem Ergebnis einer Entwicklung zu tun haben, auf die eine Bundesregierung nur
einen sehr begrenzten Einfluß hat. Das Beziehungsgeflecht, in dem sich die große Völkerwanderung des 20. Jahrhunderts abspielt und in dem auch die jetzige Situation mit ihren Erfordernissen und Bedingtheiten gesehen werden muß, wird damit schlicht ignoriert. Sie stellen lapidar fest, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland, und übersehen, daß eine solche Feststellung de facto für ungezählte Mitbürger in unserem Lande, die zunächst als Gäste, dann als unentbehrlich, inzwischen als scheinbar entbehrliche, um nicht zu sagen Störelemente in unserer Gesellschaft unter uns leben, völlig unrealistisch ist.
In der Bildungspolitik wie in der Familienpolitik sehen Sie lediglich Instrumente, um diese inzwischen unbequem gewordenen Menschen in ihre Heimatländer zurückzubefördern. In der Vermengung mit dem Asylantenproblem und dem Hinweis auf die Beteiligung von Ausländern an kriminellen Delikten und gewalttätigen Aktionen verengen Sie den Blick auf in der Tat gefährlichen und beunruhigenden Randerscheinungen
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und verstellen damit die Sicht auf die höchstmenschliche Aufgabe, denjenigen Ausländern, die seit Jahren hier leben, und die, wie es in unserem Antrag heißt,
einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland leisten und geleistet haben,
zu ermöglichen, zu vollwertigen Mitgliedern in unserer Gesellschaft zu werden.
Immerhin sind von den 1,2 Millionen Ausländerkindern unter 16 Jahren mehr als die Hälfte hier geboren, und ihre Eltern, von denen die meisten ursprünglich mit dem Ziel hierher gekommen sind, sich eines Tages mit dem hier verdienten Geld in ihrem Heimatland eine Existenz zu gründen, haben diesen Rückkehrwunsch längst aufgegeben, aufgeben müssen. Sie werden hierbleiben und ihre Kinder auch.
Deshalb liegt für uns der Hauptakzent der Ausländerpolitik in dem Bemühen um die Eingliederung der auf Dauer bei uns lebenden Ausländer und ihrer Kinder. Schon aus egoistischen Gründen - wenn man den humanen und moralischen Gesichtspunkt nicht gelten lassen will - kann es keinen Zweifel daran geben, meine Herren und Damen, daß der künftige soziale Frieden in unserer Gesellschaft davon abhängt, daß dieser Prozeß gelingt.
Natürlich brauchen wir ein „umfassendes Konzept zur Lösung des Ausländerproblems". Darin stimmen wir voll mit Ihnen überein. Aber auch das beste Konzept kann nur greifen, wenn alle Beteiligten - Bund, Länder, Gemeinden, Kirchen, Verbände, aber vor allem auch jeder einzelne Bürger - an seiner Verwirklichung mitwirken. Eine negative Programmierung des geistigen Klimas in unserem Land wäre die denkbar schlechteste Voraussetzung.
Wir alle wissen doch, daß gerade in den Teilen unserer Bevölkerung, die von dem Beschäftigungsproblem besonders hart getroffen sind, Existenzängste nur zu leicht in Vorurteile und Aggressionen gegen die ungeliebten Fremden umschlagen, was durchaus verständlich ist, was aber auf keinen Fall bestärkt werden darf.
Die Erkenntnis, daß das Schicksal dieser Menschen auch unser eigenes Problem ist, ist in den letzten Jahren allerdings wesentlich gewachsen. Sie stellte sich aber erst ein, als alarmierende Fehlentwicklungen nicht mehr länger zu übersehen waren, beispielsweise als sich zeigte, daß weit über 50 % der Ausländerkinder die Schule ohne Hauptschulabschluß verließen. Außerdem wuchs der Anteil der Ausländerkinder in den Schulen der Ballungsräume derartig an, daß die einzelnen Schulen völlig überfordert waren. Die Länder antworteten unterschiedlich auf das immer brennender werdende Problem. Die Kultusministerkonferenz nahm sich erst spät und recht unscharf der Aufgabe an, einen pädagogischen Rahmen zu entwickeln, der konkrete Hilfen für die betroffenen Pädagogen hätte abgeben können.
Es fehlte eine Konzeption, was bei der Vielschichtigkeit der Aufgabe allerdings leichter gesagt als getan war. Denn mit dem Begriff „Ausländerkinder" war und ist eine in sich äußerst heterogene Gruppe bezeichnet. Sowohl der Kulturkreis, aus dem die einzelnen kamen, als auch die familiäre Situation, das Alter, in dem sie eingewandert waren, die Erwartungshaltung hinsichtlich einer möglichen Rückkehr, alles das prägte die zu bewältigenden Schwierigkeiten. Was die Kultusminister erst allmählich in den Griff zu bekommen versuchen, mußten die Lehrer vor Ort täglich bewältigen, ohne hinreichende Vorbereitung, ohne organisatorische Hilfen und klare Richtlinien und ohne geeignete Lehrmittel, verwiesen auf ihr pädagogisches Engagement und ihre Kreativität. Ich glaube, man sollte das einmal mit allem Nachdruck und sehr viel Dank feststellen! Daß trotz großer individueller Anstrengungen sowohl bei den Lehrern als auch bei den Schülern das Ziel in vielen Fällen nicht erreicht werden konnte, führte bei den Betroffenen zu schlimmen Frustrationen. Die Zukunftschancen derjenigen jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluß verließen, waren ohne alle Perspektiven.
Der Berufsbildungsbericht von 1981 stellt das ganz schonungslos dar und zieht die Konsequenzen aus der Situation. Das sogenannte MBSE-Programm leitet eine Reihe von Maßnahmen ein, die die Defizite aufarbeiten sollen. Sehr zu begrüßen sind in diesem Zusammenhang die gestern vorgestellten Beschlüsse der Bundesregierung zur Wirtschafts-
und Finanzpolitik, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß eine Aufstockung des Programms zur sozialen und beruflichen Eingliederung junger Ausländer vorgenommen werden soll.
Wir teilen die Auffassung der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, daß Integrationspolitik die Orientierungslinie ist, an der alle konkreten Maßnahmen ausgerichtet werden müssen. Wir stimmen mit ihr auch darin überein, daß In4952
tegration nicht mit Germanisierung gleichzusetzen ist, sondern daß sich die soziale und berufliche Eingliederung in unserer Gesellschaft sehr wohl mit der Bewahrung der kulturellen Eigenart der Ausländer verträgt und das diese wiederum zur Erweiterung und Vertiefung unserer eigenen Identität beiträgt.
Überall dort, wo partnerschaftliches Neben- und Miteinander mit den ausländischen Mitbürgern gelebt wird, wird das gegenseitige Geben und Nehmen deutlich. Es gibt gerade in kleineren Orten viele Beispiele dafür, daß das möglich ist. Es war auf Grund der weitschauenden menschlichen und engagierten Arbeit karitativer und kirchlicher Vereinigungen möglich. Sie haben früher als die Politiker in den ausländischen Mitbürgern die Mitmenschen erkannt und ihnen geholfen, im kühlen Klima unserer Bundesrepublik ihren schwierigen Weg zu finden.
Es ist inzwischen unbestritten, welche Bedeutung die Beherrschung der Sprache hat, sowohl die des Gastlandes als auch die des Herkunftslandes, und zwar nicht nur für den Schulerfolg, sondern auch für die Identitätsfindung der Ausländerkinder. Die schlimme Erfahrung der zweisprachigen Analphabeten war ein warnendes Signal.
Deshalb hat der Kindergartenbesuch eine unersetzliche Bedeutung. 80 % der Schulprobleme sind gelöst, wenn die Weichen im Vorschulalter richtig gestellt werden. Das läßt sich nachweisen. Frau Funcke weist zu Recht darauf hin, daß die ausländischen Eltern entsprechend informiert werden müssen.
Auf die zentrale Bedeutung der Erlernung der Muttersprache für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder wurde erstmals auf der Ad-hoc-Konferenz der europäischen Erziehungsminister in Straßburg 1974 hingewiesen. Versammelt waren sowohl die Minister der aufnehmenden als auch der entsendenden Länder. Dieses Problem betrifft ja keineswegs nur die Bundesrepublik. In harter Selbstkritik wies der Generalberichterstatter, der schwedische Professor Gösta Rehn, darauf hin, daß sich die bisherigen Schulversuche in den einzelnen europäischen Aufnahmeländern als völlig unzureichend erwiesen haben, um die zweifellos notwendigen gemeinsamen Zielvorstellungen erarbeiten zu können.
Der Beschluß der Kultusministerkonferenz von 1977 empfiehlt daher, daß den Kindern nach Möglichkeit die Gelegenheit gegeben werden soll, neben dem Besuch der deutschen Regelschule Unterricht in ihrer Muttersprache zu erhalten. Die Integration muß Priorität haben; darin stimmen wir mit dem KMK-Beschluß überein. In diesem Zusammenhang erscheint die Empfehlung der Ausländerbeauftragten als sehr wichtig, die Sprache des Herkunftslandes in den Schulen, in denen das möglich ist, als erste Fremdsprache anzuerkennen.
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Die Bildungs- und Ausbildungssituation der Ausländerkinder in unserer Gesellschaft hat eine Reihe von Phasen durchlaufen, an denen sich die Entwicklung des Problems der Ausländerpolitik sehr genau ablesen läßt. Man könnte sagen, vom Laisser-faire über den Handlungszwang zur Konzeption.
Diese Konzeption liegt inzwischen vor. Sie auszuführen, wird große Anstrengungen erfordern, und es wird viel Geld kosten. Darauf wurde heute morgen zu Recht hingewiesen. Aber wir alle sollten uns vor Augen führen: Dieses Geld ist nicht nur aus humanen Gründen gut angelegt, es ist auch aus wirtschaftlichen Gründen notwendig! Denn eines ist sicher, meine Herren und Damen: Wenn es uns nicht gelingt, diese große gesellschaftspolitische Aufgabe zu lösen, werden die Folgekosten wesentlich höher werden.
Unter der Schlagzeile „Überraschung aus Stuttgart" veröffentlichte vor ziemlich genau einem Jahr die „Frankfurter Rundschau" bemerkenswerte Thesen zur Ausländerpolitik. Der Verfasser war der baden-württembergische Ministerpräsident. Unter Punkt 7 heißt es dort:
Eine nachhaltige Verbesserung der Lebenschancen der Ausländerkinder in der Bundesrepublik ist nur auf dem Boden einer konsequenten Eingliederungspolitik denkbar, d. h. einer Politik, die von staatlicher Seite den Maßnahmen zur Eingliederung der ausländischen Kinder in die deutsche Gesellschaft den eindeutigen Vorrang gibt.
Da es sich um einen CDU-Ministerpräsidenten handelt, hoffen wir, daß es doch noch zu einer gemeinsamen Lösung diese Problems kommen wird. - Ich danke Ihnen.
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Ich erteile dem Abgeordneten Schröer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich im Dezember den Antragsentwurf der CDU/CSU-Fraktion auf den Tisch bekam, fühlte ich mich in die Zeiten des Prinzen Eugen zurückversetzt. Im Traum schien mir die Opposition bereits die Pferde zu satteln, um im Aufgalopp den Ansturm der Muselmanen vor den Toren Bonns zu brechen.
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- Regen Sie sich doch nicht auf. Wenn Sie Ihre Alpträume in Antragsform gießen, darf ich doch noch träumen.
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Im Fegefeuer Ihrer Fraktionsberatungen ist dem Antrag sein missionarischer Impetus abgebrannt worden, und das ist gut so. Offensichtlich ist auch Ihnen klargeworden: Die Zeiten des Prinzen Eugen sind vorbei.
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- Wenn Sie natürlich noch der monarchischen Tradition anhängen, ist das ein anderes Thema. Das steht jetzt nicht zur Debatte.
Gleichwohl findet sich in dem Antrag, den Sie jetzt vorlegen, eine merkwürdige Gewichtung: in 15 Zeilen beschäftigen Sie sich mit dem Thema Ausländerkriminalität. Für den großen Bereich von Schule und
Schröer ({3})
Berufsbildung hatten Sie ganze sechs magere Zeilen übrig.
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Ich will Ihnen dies nicht als Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung vorhalten; mir wäre aber wohler gewesen, wenn Sie den 15 Zeilen eine 16. Zeile angefügt hätten, nämlich: „Die wirksamste Präventivmaßnahme zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität ist eine gute Schul- und Berufsausbildung für ausländische Kinder und Jugendliche."
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Was hier versäumt wird, werden Sie nämlich durch noch so ausgeklügelte und perfekte Polizeimaßnahmen nicht mehr zurechtbiegen können.
Meine Damen und Herren, tatsächlich entscheidet sich im Kindergarten, in der Schule und in der Berufsausbildung, ob Integration gelingt. Jedenfalls die der zweiten und dritten Ausländergeneration. Ich gehöre nicht zu denen, die den Begriff der Integration für eine Zauberformel halten. Ich habe eher die Sorge, daß sie zunehmend zu einer Rechtfertigungsformel verkommt; denn immer häufiger begegnet mir der Satz: „Die wollen sich ja gar nicht integrieren lassen." Hier findet eine Schuldzuweisung aus Enttäuschung statt. Auch viele von uns haben zu spät begriffen, daß der Weg von Anatolien nach Hannover weiter ist als der von München nach San Francisco. Weil manche von uns zu schnell zu viel wollten und zu optimistisch hinsichtlich der Integrationsfähigkeit der Ausländer waren, sprechen sie nun resignativ von „Bildungs- und Integrationsunwilligkeit" ausländischer Jugendlicher. Ich bestreite nicht, daß es so etwas gibt; das gibt es übrigens auch bei deutschen Jugendlichen. Ich weiß aber auch, daß die Nachfrage nach den MBSE-Kursen um 40 % höher liegt als das Angebot, daß sich zu den Intensivsprachkursen dreimal soviel Jugendliche melden, wie Plätze vorhanden sind. Solange dies so ist, solange wir es nicht schaffen, jedem ausländischen Jugendlichen ein adäquates Bildungsangebot zu machen, halte ich die Diskussion über Bildungsunwilligkeit für eine Ausflucht, mit der sich herauszureden niemandem erlaubt sein darf.
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Meine Damen und Herren, nur rund 50 % der 15-bis 24jährigen Ausländer, die in der Bundesrepublik eine Schule besucht haben, haben einen Schulabschluß erreicht. Bei der besonderen Problemgruppe der Türken sind es nur 27 %. Rund 75% der berufsschulpflichtigen Ausländer erhalten keine Berufsausbildung, und 30 % davon sind sogar beschäftigungslos. Nur 57 % der jugendlichen Ausländer kommen ihrer Berufsschulpflicht nach. Ich denke, daß diese Zahlen für uns alle eine politische Herausforderung sind und daß alle, die Verantwortung für Kindergarten, für Schule und für Berufsausbildung tragen, noch mehr Phantasie, noch mehr Engagement und vor allen Dingen noch mehr Geld aufwenden müßten, damit unser Bildungssystem dieser Herausforderung gerecht werden kann. Eines darf allerdings nicht geschehen: daß ausländische Kinder Schule als Verschiebebahnhof erfahren, auf dem
Lebenschancen zugeteilt werden, und daß für sie dabei nur die Einbahnstraße in soziale Benachteiligungen übrigbleibt.
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Neben dem Negativen muß man allerdings auch die ermutigenden Ansätze sehen. Ich will einige herausgreifen:
Unter den 1,3 Millionen ausländischen Kindern, die in der Bundesrepublik leben, steigt die Zahl derjenigen, die hier geboren sind und von Anfang an in unsere Gesellschaft hineinwachsen. So ist die Kindergartenbesuchsquote bei ausländischen Kindern in den letzten drei Jahren von 30 auf 50 % gestiegen. Alle Untersuchungen zeigen, daß ein ausländisches Kind, das neun Jahre lang eine deutsche Schule besucht, die gleichen Chancen hat, einen Hauptschulabschluß zu erlangen wie seine deutschen Mitschüler. Die Übergangsquote ausländischer Kinder zur Realschule, zum Gymnasium und zur Gesamtschule steigt ständig an. Bei den jugoslawischen Kindern übersteigt sie inzwischen bereits die Übergangsquote von deutschen Kindern aus Arbeiterfamilien.
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Die Ausbildungssituation ausländischer Jugendlicher hat sich - ich zitiere - „zweifellos erkennbar verbessert". So schreibt „Position", das Berufsbildungsmagazin der Industrie- und Handelskammern, Nr. 4/81.
Dem entspricht, daß der Anteil der Facharbeiter unter den ausländischen Arbeitnehmern von 16 % 1968 auf 26 % 1980 angestiegen ist. Der Anteil der ungelernten Arbeiter ist dagegen von 45 % in 1972 auf 31 % in 1980 gefallen.
Eine Befragung der Industrie- und Handelskammer Münster hat ergeben, daß 80 % der Betriebe bereit sind, ausländische Jugendliche auszubilden, wenn sie die deutsche Sprache hinreichend beherrschen.
Nun muß ich gleich anfügen dürfen: Bereitschaft zeigen ist gut, entsprechendes Handeln wäre besser. Denn tatsächlich ist es immer noch so, daß sich zu wenige Betriebe wirklich bereit finden, ausländische Jugendliche auszubilden. Wir müssen deshalb immer wieder an das Handwerk und die Industriebetriebe appellieren, den ausländischen Jugendlichen eine Chance zu geben.
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Und wir müssen zugleich mehr deutlich machen, daß dies auch eine Chance für die Betriebe selber ist; denn sie können sich heute die Facharbeiter ausbilden, auf die sie in den 90er Jahren dringend angewiesen sein werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung leistet mit den vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft finanzierten Modellversuchen für ausländische Kinder und Jugendliche einen wichtigen Beitrag zur Integration der Ausländer. Von diesen Modellversuchen geht eine große innovatorische Kraft aus. Hier werden Trampelpfade geschlagen, auf denen andere nachfolgen können. Ich weiß nicht,
Schröer ({10})
ob die Opposition vor dem Hintergrund der heutigen Debatte bereit ist, ihre bislang sehr ignorante Haltung gegenüber diesen Modellversuchen neu zu überdenken. Wünschenswert wäre es jedenfalls. Sie täten sich damit selbst einen Dienst. Die SPD-Fraktion dankt jedenfalls ausdrücklich dem zuständigen Bundesminister dafür, daß er trotz der erheblichen Kürzungen in seinem Etat mehr Geld für diese Modellversuche bereitgestellt hat.
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1977 war es i Million DM, in diesem Jahr werden es 23,4 Millionen DM sein. Der Anteil an dem gesamten Haushaltstitel für Modellversuche hat sich damit innerhalb von fünf Jahren von 1,2 % auf 30,3 % erhöht.
Eine der Hauptschwierigkeiten - hier mehrfach angesprochen - sind die Quantitätsprobleme in den Schulen der Ballungsräume. Ich verstehe sehr gut, daß diese Entwicklung bei deutschen Eltern zunehmend Ängste auslöst. Wo in Grundschul- und zum Teil auch in Hauptschulklassen 60 %, 70 %, ja 80 % der Schüler Ausländer sind, muß die Frage aufkommen: wer integriert hier wen? Nun empfehlen uns einige, das Quantitätsproblem durch die Errichtung nationaler Klassen oder gar durch die Errichtung von Nationalitätenschulen zu lösen. Ich halte dies für den falschen Weg, und unser Antrag sagt das gleiche. Die Nationalitätenschule entlastet zwar die deutschen Regelklassen, aber sie verhindert die Integration der Ausländerkinder. Sie verlagert nämlich das Problem von der Schule in die berufliche Ausbildung mit, wie ich fürchte, katastrophalen Folgewirkungen.
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Nebenbei: Daß die NPD in Nordrhein-Westfalen ein Volksbegehren zur Errichtung nationaler Klassen initiiert hat, sollte jeden hellhörig werden lassen. Hier wird in heuchlerischer Manier versucht, das „Wohl der Ausländerkinder" vorzuschieben, um tatsächlich doch nur den alten Fremdenhaß zu propagieren. Man spekuliert dabei auf den Beifall bierseliger Stammtische. Ich fürchte, man wird diesen Beifall sogar bekommen.
Ich empfehle den Verantwortlichen in den besonders belasteten Gemeinden, statt dessen unbefangener als bisher über ein „bussing system" nachzudenken. Ich kenne und akzeptiere in vielem die Vorbehalte dagegen. Aber ich muß auch sagen: Atlanta liegt nicht in der Bundesrepublik.
Eines darf dabei allerdings nicht passieren: daß wir zu einer bürokratischen Quotierung kommen, die Ausländer gleich Ausländer zählt, wie uns dies gegenwärtig in Berlin vorexerziert wird. Bei der Quotierung darf nicht der Paß das Kriterium sein, sondern allein die individuelle Sprachfähigkeit des Kindes und der Grad seiner Sozialisierung in unserer Gesellschaft.
Wie immer die Quantitätsprobleme vor Ort gelöst werden können, ein Grundsatz darf nicht durchbrochen werden: ausländische Kinder gehören in deutsche Regelklassen. Jeder andere Weg bringt uns
dem Ziel der Integration nicht näher, sondern führt uns von diesem Ziel weg.
Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Heute morgen sind hier wiederholt apokalyptische Schreckensvisionen dargestellt worden, insonderheit in Teilen der Rede von Herrn Spranger. Mir kam der Gedanke, daß Hieronymus Bosch sich veranlaßt gesehen hätte, dazu Illustrationen zu liefern. Aber weil so viel die Rede von der schlimmen Wirklichkeit war, meine ich, täte es uns auch gut - ({13})
- Ich wohne in einem Haus mit drei ausländischen Familien, in einer Stadt mit einem überdurchschnittlichen Ausländeranteil.
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- Das ist sein Problem.
Neben dieser schlimmen Wirklichkeit gibt es auch eine andere: Es gibt auch das türkische Mädchen mit hervorragendem Abiturzeugnis, den türkischen Schülersprecher an der Realschule, es gibt türkische Eltern in Elternbeiräten. Das sind wenige, gewiß. Aber da sind auch Zehntausende von Lehrern, Sozialpädagogen und Ausbildern, die sich mit großem persönlichen Engagement für „ihre" ausländischen Kinder und Jugendlichen einsetzen. Da gibt es deutsche Eltern, die Hausaufgabenhilfe für Ausländerkinder organisieren, kirchliche Gruppen, Sportvereine, freie Initiativen, die im Freizeitbereich praktische Integrationsarbeit leisten. All das gibt es auch. Wir tun gut daran, es nicht zu übersehen. Denn hier werden Wege zu guter Nachbarschaft, zum Miteinander gewiesen. Ich denke, wir haben Gurnd, den vielen Bürgern, die sich auf solche Weise engagieren, zu danken und sie in ihrer Arbeit zu ermutigen.
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Leise füge ich an: Das deutsche Volk ist besser als sein von Ihnen, Herr Kollege Spranger, heute morgen verbreiteter Ruf.
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Wir alle sind, was die Integration der Ausländer in unsere Gesellschaft angeht, auf die Vernunft und Menschlichkeit unserer Mitbürger angewiesen. Wir sollten durch unser eigenes vernünftiges Handeln und durch unsere eigene Menschlichkeit ein Beispiel für andere geben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn mein Herr Vorredner, Herr Schröer, mit dem guten Beispiel geschlossen hat, so meine ich, daß es ein gutes Beispiel gewesen wäre, den Entwurf der Opposition auch tatsächlich durchzulesen, bevor er seine Rede vorgetragen hat. Denn hier steht schwarz auf weiß - nachdem beschrieben ist, daß
Ausländerpolitik nicht nur Arbeitsmarktpolitik, sondern auch Familien-, Jugend- und Kulturpolitik ist -, daß Unterricht und Bildung an deutschen Schulen den berechtigten Interessen der ausländischen Kinder Rechnung tragen sollen, daß Bemühungen der Länder um verstärkten Deutschunterricht, muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und Religionsunterricht zu unterstützen, daß wirksame Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung fortzusetzen sind. Dies steht ganz klar in unserem Papier.
Der Grund, warum der Antrag nicht noch weitere Ausführungen enthält, ist klar: Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern und nicht beim Bund.
In einem 1981 herausgegebenen „Didaktischen Brief" des Pädagogischen Instituts der Stadt Nürnberg schreibt Adelbert Ruschel zum Thema „Ausländerkinder in der Schule und Berufsausbildung": „Die Schule kann Versäumnisse der Ausländer-, der Sozial- und der Arbeitsmarktpolitik nicht ausgleichen und schon gar nicht ungeschehen machen."
Wie ein roter Faden hat sich durch die heutige Diskussion bei den Rednern von SPD und FDP die Unsicherheit gezogen, daß auf der einen Seite zugegeben wird, was auch im Koalitionsantrag steht:
Der Deutsche Bundestag beobachtet mit großer Sorge, daß der erhebliche Anstieg der Zahl der hier lebenden Ausländer, vor allem in den letzten Jahren, alle auf die Integration gerichteten Bemühungen erschwert.
Dies ist ein optimistischer Ausdruck; manchmal werden diese Bemühungen nahezu unmöglich gemacht. In demselben Papier wird aber gefordert, ausländische Kinder in deutsche Regelklassen einzuschulen und auf nationale Schulklassen zu verzichten, weil sie dem Ziel der Integration zuwiderlaufen.
Die Antwort auf die Frage, wie die Prinzipien und die Durchführung der Prinzipien vor Ort in Einklang gebracht werden sollen, wird schamhaft verschwiegen. Der Schwarze Peter liegt hier bei den Ländern und nicht beim Bund. Es wurde mehrfach angesprochen, daß es um Menschen geht, um Chancen von jungen Menschen. Da sollte der Schwarze Peter nicht zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben werden, sondern hier sind Phantasie und Maßnahmenvielfalt gefragt, nicht Doktrin. Diese Tatsache ist für kaum jemanden so offensichtlich wie für Eltern. Als Elternvertreter mit einer langjährigen Erfahrung darf ich vielleicht aus diesem Bereich einige Beobachtungen berichten.
Gerade in engagierten Elternkreisen war die Bemühung um die Integration ausländischer Miteltern und Mitschüler besonders stark. Die wichtigsten Erfahrungen sind folgende. Wenn Kinder schon den Kindergarten besuchen, ist das Sprach- und damit das Schulproblem meist bereits gelöst. Allerdings ist dafür die Voraussetzung, daß wenige ausländische Kinder in einem Kindergarten mit vielen Deutschen sind.
Der Widerstand vieler Ausländereltern gegen deutsche Schuleinrichtungen konnte abgebaut werden, wenn z. B. in den jeweiligen Sprachen zum Elternabend eingeladen und mit Hilfe von Dolmetschern diskutiert wurde. Am allerwichtigsten aber waren gemeinsame Veranstaltungen wie Schul-, Sport- und Heimatfeste, bei denen die soziale Integration nicht nur praktiziert wurde, sondern bei denen die Eigenkultur der Gäste ebenfalls positiv zur Geltung kam.
Leider sind in den letzten Jahren Klagen, Unmut und Resignation auf dem Vormarsch. Die häufigsten Klagen: daß der Anteil des Kindergartenbesuchs - insbesondere bei Eltern islamischen Glaubens - absinkt und deshalb die spätere Integration erschwert wird; daß in Ballungsgebieten schon in der Grundschule Klassen mit Ausländermehrheiten entstehen, die Hauptschulen sogar zu nahezu reinen Ausländerschulen werden, ohne dazu ausgerüstet zu sein - die „Wer integriert wen?"-Frage ist einfach nur zu verständlich, wenn z. B. drei Deutsche 27 Türken gegenübersitzen -; daß bei manchen Nationalitäten die deutsche Schule geradezu abgelehnt wird - ich erinnere mich an die Aufregung eines Elternbeirats, daß eine türkische Zeitung umlief, in der stand „Die Deutschen sind Nazis von Anbeginn; nur: Hitler hat den Leib getötet, heute töten sie die Seele"; auch damit muß man sich auseinandersetzen -; daß Stütz- und Fördermaßnahmen für deutsche Kinder unterbleiben, weil alle verfügbaren Stunden im Ausländerbereich eingesetzt werden müssen; daß „Quereinsteiger" ohne Sprachkenntnisse den Unterricht blockieren; daß innernationale Extremismen das Gespräch der Lehrer mit den ausländischen Gruppen ständig erschweren; daß ein Klima des Mißtrauens entsteht, das Desintegration, Bandenunwesen, ja Jugendkriminalität fördert; daß in der Ausbildung die Meister erst Sprachübungen betreiben müssen und mit Sicherheit Gefährdungen der Auszubildenden eintreten, wenn nicht einmal die Sicherheitsbestimmungen erklärt werden können. Übrigens sind die berühmten MBSE-Maßnahmen gar nicht so positiv zu sehen, wie sie dargestellt wurden. Hierzu gibt es auch sehr kritische Stimmen. Ich habe in einem Rundschreiben des Arbeitsministeriums gelesen, daß man selbst dort weiß, daß diese Maßnahmen umstritten sind.
Schließlich wird immer wieder berichtet, daß diejenigen Ausländerkinder schwer überfordert würden, die, um die heimische Kultur zu pflegen, Konsularunterricht oder Koranschulen besuchten, sozusagen als Zweitschulen neben den deutschen Regelklassen.
In diesem Zusammenhang kann den Ländern nur gedankt werden, die auf ganz und gar unterschiedliche Situationen - in manchen ländlichen Bereichen ergeben sich nämlich überhaupt keine Schwierigkeiten - auch unterschiedlich reagiert haben. So hat etwa in Elternkreisen vor Ort die bayerische Lösung viel Anerkennung gefunden, bei Kindern und Jugendlichen, die überhaupt noch kein Deutsch können, erst einmal die Voraussetzung dafür zu schaffen, in sprachhomogenen Klassen Deutsch als Fremdsprache zu erlernen, bevor Schritt für Schritt der Unterricht insgesamt auf deutsch gehalten wird und die Klassen im Sinne deutscher Regelklassen
gemischt werden können. Nur törichte Dogmatiker und Ideologen können hier von „Apartheid" sprechen.
({0})
Das ist im Bundestag nicht geschehen. Aber draußen vor Ort ist das leider manchmal vorgekommen.
Das hier sehr kurz dargestellte Befundbild sollte nun zu folgenden Überlegungen Anlaß geben. Das Integrationskonzept droht an zwei Hauptschwierigkeiten zu scheitern: am Willen der Betroffenen, der um so ernster zu nehmen ist, als unser Grundgesetz Pflege und Erziehung der Kinder als zuvörderst den Eltern zustehendes Recht und ihre Pflicht beschreibt; an Wohnverhältnissen, die de facto zu ausländischen oder sogar zu nationalen Klassen und Schulen führen, die de jure aber als integrierte deutsche Regelklassen und Schulen mit dem Erfolg geführt werden, daß ein Lehrer Unterricht auf deutsch vor Kindern hält, die dieses Deutsch manchmal gar nicht verstehen.
Aus diesem Grunde müßten die Rahmenbedingungen der Ausländerpolitik so gestaltet werden, daß langfristig endgültige schulpolitische Zielvorstellungen dann auch möglich werden: Diejenige Gruppe, die ihre Kinder einmal deutsche Staatsbürger werden lassen will, sollte dazu auch alle schulischen Integrationshilfen erhalten, d. h. aber, daß Eltern in Gebieten mit hohem Ausländeranteil, mit hoher Ausländerkonzentration auch das Recht gegeben sein muß, ihre Kinder auf Landschulen mit niedrigem Ausländeranteil zu schicken.
Deutsche Staatsbürger dürfen als Schüler in ihrem Fortkommen nicht beeinträchtigt werden. Auch das muß in der Konsequenz zur Freigabe des Elternwillens führen, deutsche Kinder aus Klassen herauszunehmen, in denen diese Kinder in der Minderheit sind.
Es muß der Grundsatz gelten, die Rückkehrwilligkeit zu fördern. Das ist in allen Papieren enthalten. Dann müßten diese Rückkehrwilligen aber auch schulische Angebote wählen können, die die Rückkehr erleichtern und nicht erschweren.
Ich darf abschließend aus einer Erklärung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken zur Bildungs- und Lebenssituation der ausländischen Kinder und Jugendlichen vom 9. Dezember 1981 zitieren, in der das Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern und die Zukunft der ausländischen Kinder als zentrales Problem dargestellt wird. In dieser Erklärung werden die Probleme sehr gut beschrieben, aber auch die Notwendigkeit differenzierter Maßnahmen zu deren Lösung. Zur Frage Regelklasse oder muttersprachliche Klassen steht hier der Satz:
Dem Elternwillen kommt bei der Entscheidung, ob muttersprachliche Klassen einzurichten sind oder die Kinder in die deutsche Regelklasse kommen sollen, vor allem auch im Hinblick auf die Rückkehrabsicht eine besondere Bedeutung zu.
Genau hier scheint mir der zentrale Punkt zu liegen. Die von der Bundesrepublik zu setzenden Rahmenbedingungen der Ausländerpolitik müssen so sein, daß sich Elternwille im Hinblick auf die gemeinsame Zukunftsplanung bildet und in der Praxis auch durchgesetzt werden kann. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung der Bundesregierung zu den Grundsatzpositionen der Ausländerpolitik betont neben der notwendigen Begrenzung der weiteren Zuwanderung auch die Verpflichtung zur wirtschaftlichen und sozialen Integration der in der Bundesrepublik bereits lebenden ausländischen Bevölkerung. Gezielte bildungspolitische Maßnahmen, die das Recht der ausländischen Kinder und Jugendlichen auf gleiche schulische und berufliche Bildung sichern, sind ein zentraler Bestandteil dieser Politik. Ohne die bildungspolitischen Initiativen, die Bund und Länder in den letzten Jahren ergriffen haben, wäre der schon jetzt erreichte Stand der Integration der vielen bei uns lebenden ausländischen Mitbürger nicht erreicht worden,
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und ohne eine verstärkte Fortführung dieser Initiativen würde Integrationspolitik überhaupt in Frage gestellt.
Die Bundesregierung hat in ihren Beschlüssen zur Weiterentwicklung der Ausländerpolitik vom 19. März 1980 daraus in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Ländern praktische Konsequenzen gezogen. Der vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und FDP trägt dieser Einsicht mit seinen Hinweisen zu den notwendigen Maßnahmen im Bildungsbereich auch Rechnung.
Der Entschließungsantrag der Opposition geht darauf, Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil, nur sehr spärlich ein, und dies, obwohl j a Bund und Länder - auch die CDU-regierten Länder - darin übereinstimmen, daß die Kindergärten, die Schulen, die ausbildenden Betriebe und die überbetrieblichen Ausbildungsstätten zu den zentralen Orten zählen, an denen die Aufgabe der Integration der zweiten und der dritten Ausländergeneration bewältigt werden muß.
Ich halte es für ein bißchen gefährlich, wenn bei Ihnen, in Ihrem Antrag, die Schwergewichte so sehr einseitig auf den Bereich der Innenpolitik verlegt werden.
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- Herr Kollege Daweke, wir diskutieren in diesem Hause sehr häufig auch über Maßnahmen, die nur die Länder durchführen können, und wir haben uns angewöhnt, in diesem Parlament gemeinsam dort,
wo wir es politisch für notwendig halten, wenigstens zu Empfehlungen zu kommen. Sonst sind auch Sie da nicht so vorsichtig, wie Sie es hier jetzt gerne darstellen möchten.
Die Länder haben für die Verbesserung der Bildungssituation der ausländischen Kinder und Jugendlichen in den letzten Jahren sehr viel und Beachtenswertes geleistet. Zum Ausruhen allerdings besteht noch lange kein Anlaß. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat eine Vielzahl von Vorschlägen und Initiativen eingebracht und beteiligt sich mit insgesamt mehr als 50 % an den Kosten der Entwicklung und Erprobung solcher Maßnahmen im Bildungswesen. Dazu gehören j a auch die schon vom Kollegen Thomas Schröer angesprochenen Modellversuche, die immer wieder auf den Widerstand der Union in diesem Hause treffen.
Wo Bundeszuständigkeiten gegeben sind, z. B. in der betrieblichen Berufsausbildung, hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft eigene Programme entwickelt. Es ist j a nicht ganz so, wie das heute morgen mehrfach behauptet worden ist, daß der Bund der Entwicklung tatenlos zugesehen hätte. Die Beschlüsse der Bundesregierung vom 19. März 1980 haben mindestens und mit Sicherheit in dem Bereich, den ich hier zu vertreten habe, zu Konsequenzen geführt. Bund und Länder haben gemeinsam ein Schwerpunktprogramm zur Eingliederung ausländischer Kinder und Jugendlicher ins Bildungssystem ausgearbeitet. Auf der Grundlage dieses Programms hat der Bund die Modellversuchsmittel verstärkt für diese Aufgaben eingesetzt, und wir wollen das auch fortsetzen.
Für die Förderung der Integration ausländischer Mitbürger in Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstätten, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft allein 1980 und 1981 mehr als 35 Millionen DM zur Verfügung gestellt, und auch 1982 werden es trotz angespannter Haushaltslage wieder rund 25 Millionen DM sein.
Im Rahmen unseres Programms zur Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen kamen darüber hinaus 1981 fast 8 Millionen DM ausländischen Jugendlichen zugute, die sonst keine Chance einer beruflichen Ausbildung gehabt hätten. 1982 werden es 20 Millionen DM sein.
Das sind jeweils etwa 40 % der gesamten Mittel aus diesen Programmen, und im Rahmen der gestern im Kabinett beschlossenen beschäftigungspolitischen Maßnahmen werden dafür noch zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen.
Lassen Sie mich an einigen Beispielen deutlich machen, wie die Umsetzung der Beschlüsse vom März 1980 in die Praxis aussieht. Da gibt es z. B. in mehreren nordrhein-westfälischen Städten in Kindergärten in Stadtteilen mit hohem Anteil türkischer Bevölkerung ein Modell, in dem erprobt wird, wie türkische Eltern mehr Vertrauen zu den Kindergärten gewinnen können, um stärker von diesem Angebot Gebrauch zu machen. In mehreren Modellversuchen werden Lehrmaterialien für Grund- und Hauptschule entwickelt und erprobt, die auf die
Zweisprachigkeit der ausländischen Schüler und die Spannung zwischen heimatlicher und deutscher Kultur Rücksicht nehmen.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Politik zur Integration im Bildungswesen ist der Ausbau der Beratungs- und Informationssysteme für alle, die mit ausländischen Kindern, mit Jugendlichen und mit deren Eltern pädagogisch arbeiten. Der Bundesbildungsminister fördert neben einer Reihe von lokalen und regionalen Beratungsangeboten die Entwicklung einer zentralen Informations- und Beratungsstelle für Erzieher, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Fachberater und kommunale Planungsgruppen in München.
Besondere Probleme haben die spät eingereisten Jugendlichen, die ohne Kenntnisse der deutschen Sprache und Umwelt ihren Platz bei uns suchen. Deshalb wird erprobt, wie diese Gruppe ihren Hauptschulabschluß erreichen oder nachholen kann.
Ein Schwerpunkt unserer Modellvorhabenförderung ist die Lehrerausbildung und -fortbildung. Hier kommen vor allem Möglichkeiten der Medien zum Zug. Solche Angebote richten sich an Lehrer aller Schularten.
Ein wichtiges Vorhaben, in das auch Angebote zur Lehrerausbildung und -weiterbildung integriert sind, sind die regionalen Arbeitsstellen zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher, die der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im Rahmen des Ruhrgebietsprogramms in acht Städten des Ruhrgebiets fördert. Dort werden verschiedene Maßnahmen zugunsten der Eingliederung ausländischer Kinder und Jugendlicher innerhalb und außerhalb der Bildungseinrichtungen, also in Kindergarten, Schule, beruflicher Bildung und außerschulischer Bildung, zusammengeführt und dadurch wesentlich verstärkt.
In den von mir beispielhaft genannten Schwerpunkten werden gegenwärtig 56 Modellvorhaben gefördert.
Darüber hinaus gibt es ein Modellversuchsprogramm, in dem ausländische Jugendliche die Möglichkeit einer vollen Berufsausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen erhalten. Wir haben gegenwärtig 15 Modellvorhaben dieses Programms mit mehr als 400 ausländischen Jugendlichen, die in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden. Wir wollen da gemeinsam mit den Betrieben zeigen, daß auch junge Ausländer, die noch Sprachschwierigkeiten haben, erfolgreich ausgebildet werden können und wie man das mit sozialpädagogischer Förderung erreichen kann. Mehr als 80 Betriebe beteiligen sich an diesem Programm. Mehr als 100 Ausbilder und Sozialbetreuer werden auf ihre Arbeit mit ausländischen Auszubildenden vorbereitet und entsprechend fortgebildet.
Durch das Programm zur Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen können auch junge Ausländer, die im Anschluß an berufsvorbereitende Maßnahmen keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, eine Berufsausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen erhalten. Aus4958
Bilder, Lehrer und Sozialpädagogen bemühen sich gemeinsam etwa durch Sprachunterricht, Nachholen von fehlender Allgemeinbildung, Unterstützung beim Erlernen der Fachtheorie, die besonderen Schwierigkeiten so weit zu beheben, daß die Ausbildung nach dem ersten überbetrieblichen Jahr in einem Ausbildungsbetrieb fortgesetzt werden kann. Von den knapp 600 Teilnehmern des ersten Probelaufs war ca. ein Drittel ausländische Jugendliche. Mit dem Beginn des jetzt laufenden Jahres sind knapp 900 junge Ausländer dazugekommen.
Das garantiert noch lange nicht allen ausländischen Jugendlichen eine berufliche Vollausbildung. Aber es kann auch anderen Betrieben Mut machen, sich um die Ausbildung junger Ausländer zu bemühen. Solche Beispiele, wie sie hier gegeben werden, müssen multipliziert werden.
Das gilt übrigens auch für den Tarifvertrag, den die Industriegewerkschaft Chemie jetzt mit den Arbeitgebern in der Chemieindustrie abgeschlossen hat
({2})
und in dem eine einjährige Eingliederungszeit vor einer beruflichen Vollausbildung für junge Ausländer abgesichert worden ist. Solche Beispiele sollten Schule machen.
({3})
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang an die appellieren, die über Ausbildungsplätze verfügen. Wer auch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ausreichend qualifizierte Gesellen und Facharbeiter zur Verfügung haben will, sollte sich heute schon um die Ausbildung auch von jungen Ausländern energisch bemühen.
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- Herr Kollege Daweke, lassen Sie mich doch weiterreden!
({5})
- Ich habe hier niemandem vorgeworfen, er tue da zuwenig. Aber ich habe von allen verlangt, daß sie in Zukunft auch im eigenen Interesse noch mehr tun.
Entsprechend den Beschlüssen der Bundesregierung wird das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Kürze eine Verordnung über die berufliche Fortbildung zum Geprüften Sozialberater bzw. zur Geprüften Sozialberaterin für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien erlassen.
Wesentliche bildungspolitische Beschlüsse der Bundesregierung vom März 1980 sind damit zügig und konsequent in praktische Maßnahmen umgesetzt worden. Wir können inzwischen Erfolge erkennen, die uns ermutigen, diesen Weg fortzusetzen.
Nachdem die Integrationsprobleme heute in vielen Beiträgen sehr düster dargestellt worden sind,
möchte ich gern über einige positive Tendenzen sprechen. Im Bildungsbereich macht die Integration Fortschritte. So steigt inzwischen bei Ausländerkindern der Anteil derer, die auf eine Realschule, ein Gymnasium oder eine Gesamtschule gehen. Bei den jugoslawischen Kindern - darauf hat der Kollege Schröer schon hingewiesen - ist dieser Prozeß besonders weit fortgeschritten. Soweit sie hier geboren und hier eingeschult wurden, gehen bereits mehr als 34 % zu einer Realschule und mehr als 21 % auf ein Gymnasium über. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich aber auch in anderen Nationalitätengruppen ab. So gehen z. B. nach einer baden-württembergischen Untersuchung auch von den türkischen Schülern, die in Deutschland geboren worden sind und die die Grundschule von Anfang an durchlaufen haben, mehr als 11 % auf ein Gymnasium und etwa 19 % auf eine Realschule über. Hier gibt es kaum noch wesentliche Unterschiede zur Bildungsbeteiligung der Kinder aus deutschen Arbeiterfamilien.
Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch bei der Wahrnehmung der Schulpflicht ab. 1970 besuchten nur 50 % der schulpflichtigen ausländischen Kinder eine Schule, 1978 waren es schon 75% und 1980 mehr als 92 %. Das gilt auch für die türkischen Kinder, die die Schulpflicht inzwischen zu mehr als 82 % erfüllen. Das heißt: Die Durchsetzung der Schulpflicht ist auch ohne Zwangsmaßnahme durch Einsicht und wachsende Zustimmung der ausländischen Eltern gelungen.
Im Vorschulbereich ist der Anteil der drei- bis sechsjährigen ausländischen Kinder, die einen Kindergarten besuchen, von 20 bis 25% noch im Jahre 1970 auf inzwischen fast 50% gestiegen. Damit liegt er immer noch deutlich unter der Quote bei den deutschen Kindern mit etwa 80 %, aber er hat sich doch mit sehr positiver Tendenz entwickelt.
Natürlich sind damit die Probleme der Integration im Bildungsbereich bei weitem noch nicht gelöst. Die erreichten Ergebnisse erlauben uns aber, daß wir uns in den nächsten Jahren auf die besonderen Problemgruppen konzentrieren können. Das sind vor allem die Probleme der Späteinsteiger und Seiteneinsteiger, aber auch das Problem der Entwicklung von Förderungsmöglichkeiten für deutsche und ausländische Kinder in Schulbezirken mit besonders hohem Ausländeranteil. Das ist auch heute hier schon angesprochen worden.
Insgesamt aber zeigen die Zahlen und Beispiele, daß die klassischen Bildungsbarrieren für die hier lebenden Ausländer nicht unübersteigbar oder unüberwindbar sind. Wir müssen nur den politischen Willen haben, diese Aufgabe zu meistern und die entsprechenden personellen und sachlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Meine Damen und Herren, im Antrag der Opposition kommen mir die individuellen Ansprüche der hier lebenden ausländischen Kinder und Jugendlichen zu kurz. Ich sage das auch mit Blick auf die Interessen der deutschen Kinder und Jugendlichen, denn je mehr wir die Ansprüche der ausländischen Kinder und Jugendlichen anerkennen und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen, um so mehr verbessern wir auch deren Möglichkeit zur
problemlosen Teilnahme an den Bildungsangeboten, und um so mehr tun wir auch für die Belange ihrer deutschen Mitschüler, die mit ihnen gemeinsam lernen und leben sollen.
Zum Abschluß noch eine Bemerkung zu den heute auch schon vielfach angesprochenen Koranschulen. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft beobachtet seit langer Zeit mit wachsender Sorge die Belastungen, denen türkische Schüler durch den zusätzlichen Besuch solcher Einrichtungen ausgesetzt sind. Die Skepsis gegenüber diesen Einrichtungen ist j a schon von mehreren Sprechern heute zum Ausdruck gebracht worden. Selbstverständlich haben auch türkische Eltern wie alle Eltern das Recht, ihre Kinder in dem von ihnen gewünschten Sinne religiös unterweisen zu lassen, aber dabei sollte auch bedacht werden, welche außerordentliche Belastung es bedeutet, wenn sechs- bis siebenjährige Kinder zusätzlich zum normalen Unterricht und zum muttersprachlichen Ergänzungsunterricht häufig an fünf Tagen in der Woche jeweils zwei bis dreieinhalb Stunden in Koranschulen unterrichtet werden. Nach Berichten von Lehrern sind Leistungsabfall und Ermüdungserscheinungen die unvermeidlichen Folgen. Allein schon das erschwert auch die Integration dieser Kinder, wobei ich auf die inhaltlichen Widersprüche zwischen deutscher Schule und Erziehung in Koranschulen hier gar nicht näher eingehen möchte. Aber, meine Damen und Herren, alle Versuche, junge Ausländer am Vormittag in der öffentlichen Schule zu Toleranz und Humanität zu erziehen, müssen scheitern, wenn ihnen am Nachmittag das Gegenteil gepredigt wird.
Wir müssen gemeinsam in den Ländern und auch vom Bund aus, soweit er dazu Möglichkeiten hat, im Gespräch mit den Eltern und türkischen Verbänden nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Eine davon wäre der islamische Religionsunterricht auch als Regelangebot deutscher Schulen.
Ich möchte Ihnen zum Abschluß für die Aufmerksamkeit danken, die Sie auch den Integrationsproblemen im Bildungsbereich gewidmet haben, und ich hoffe, daß diese Debatte auch für diese Aufgaben noch mehr Problembewußtsein bei all denjenigen geschaffen hat, die politisch darüber entscheiden, ob hier finanziell und personell aufgestockt wird. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Begriff „Integration" zieht sich wie ein roter Faden durch die heutige Debatte. Er ist geradezu zum Schlüsselwort für die Ausländerpolitik geworden. Ich will hier versuchen, uns einmal ganz konkret mit Blick auf die Menschen vor Augen zu führen, wovon wir da reden, wenn wir das Wort „Integration" verwenden.
Soziale Integration, meine Damen und Herren, ist die gutgemeinte und sicher richtige humanitäre Antwort auf die zahlreichen Probleme ausländischer
Familien, um die sich Wohlfahrtsverbände, kirchliche Gemeinden und hilfsbereite deutsche Bürger engagiert bemühen. Soziale Integration - das darf man nicht verkennen - ist ein Begriff, der bei nicht wenigen unserer Landsleute Ängste auslöst, weil sie fürchten, Integration habe bei so hohem Ausländeranteil negative Auswirkungen auf die nationale und kulturelle Identität unseres eigenen Volkes. Soziale Integration ist in den Herkunftsländern Griechenland, Jugoslawien und vor allem Türkei ein Begriff, der Abwehr und Widerstand auslöst.
Dies wurde uns bei zwei Delegationsreisen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung nach Griechenland, Jugoslawien und in die Türkei deutlich. Unsere Gesprächspartner aus Regierungen und Parlamenten verstanden darunter das, was wir Assimilation nennen, also den Versuch, die ausländischen Familien ihrer Sprache, Kultur, Mentalität und Religion zu entfremden und sie einzudeutschen.
Die Delegation des Deutschen Bundestages hat immer wieder beredt dargelegt, daß sich unser Land um die gesellschaftliche Eingliederung und gute Nachbarschaft für unsere ausländischen Mitbürger bemüht. Meine Damen und Herren, wir haben sehr viel Mühe darauf verschwendet, unseren ausländischen Gesprächspartnern einmal deutlich zu machen, wie schwierig dieses Problem ist.
Das Konzept der Integration ist human und richtig, bei vielen Gastarbeitern aus dem europäischen Ausland auch erfreulich realisiert. Heute morgen hat Herr Dr. Dregger dies bereits gesagt.
Vor dem Hintergrund dessen, was heute hier von meinen Fraktionskollegen vorgetragen wurde, will ich nun am Schicksal der Frauen aus der Türkei -doch vieles gilt gleichermaßen für Jugoslawinnen, sogar auch für Griechinnen aus ländlichen Herkunftsbereichen - einmal schonungslos darstellen, wieweit wir vom Ziel der sozialen Integration noch entfernt sind.
Hunderttausende ausländischer Familien sind schon seit über 20 Jahren in der Bundesrepublik. Doch sie leben weithin als Fremde im fremdem Land, besonders die Frauen. Eine große Zahl türkischer Ehefrauen kam vor ihren Ehemännern nach Deutschland. Das Vorschicken der Ehefrauen war Anfang der 70er Jahre für viele Türken die einzige Hoffnung, selber in die Bundesrepublik zu kommen, da damals von der Industrie verstärkt Frauen angeworben wurden. Für die Frauen, auch diejenigen, die später im Rahmen der Familienzusammenführung nachkamen, bedeutete dies, daß sie erstmals aus ihrem häuslichen Bereich herauskamen, daß sie auch zum erstenmal die Berührung mit Industriearbeit hatten.
Sie kamen aus Gesellschaften, in denen die Welten von Männern und Frauen noch streng getrennt sind. Plötzlich sollten sie ihre Familien ernähren. Was fanden sie vor? Schlechte Bezahlung, oft harte Akkordbedingungen, nicht selten nach Feierabend eine weitere - meist illegale - Arbeit und dazu die ganze Last der häuslichen Pflichten, während der Arbeitszeit die Sorge um die Kinder, katastrophal
enge Wohnungen, in denen sich hierzulande auch die Familienaktivitäten abspielen, die im Heimatland außerhalb des Wohnraums stattfanden. Die heimatlichen Speisen sind umständlich zuzubereiten, die benötigten speziellen Zutaten oft schwer zu beschaffen. Kindergärten werden nicht selten gemieden, teils aus Angst vor Entfremdung der Kinder, aber auch aus finanziellen Gründen. Die Folge: Ältere Töchter werden aus der Schule ferngehalten - auch heute noch -, um die kleineren Geschwister zu versorgen. Zu Hause, im Heimatland, gibt es ja nur eine fünfjährige Schulpflicht und für Mädchen sowieso nur Unterweisung in späterer Haushaltsführung.
Das Leben der nichterwerbstätigen türkischen Frauen ist keineswegs leichter. Häufig verbietet ihnen der Ehemann, das Haus zu verlassen. Außenkontakte beschränken sich auf Einkäufe zusammen mit dem Ehemann und auf gemeinsame Besuche bei Landsleuten. Im Heimatland gibt es ein Netz von sozialen Beziehungen der Frauen untereinander, die in Schwierigkeiten und Konflikten Hilfe geben. Hier gibt es kaum Hilfe von der deutschen Gesellschaft, der deutschen Nachbarschaft, nur - überwiegend anonyme - öffentliche Einrichtungen, die zudem wegen der Sprachschwierigkeiten der meisten türkischen Frauen kaum in der Lage sind, ihnen zu helfen.
Der oft unterschiedliche soziale Integrationsgrad von Eltern und Kindern führt zu Spannungen in der Familie. Die Frauen sollen in familiären Spannungssituationen zwischen Vätern und Kindern vermitteln. Das führt zu enormen psychischen Belastungen der Frauen, für die es keine Kompensationsmöglichkeit gibt. Ehemänner flüchten nicht selten ins Wirtshaus, verprügeln ihre Frauen; die wenigsten sind bereit, familiäre Pflichten zu übernehmen. Das widerspräche dem traditionellen Rollenverständnis der Ehemänner, auch dem der türkischen Frauen selbst.
Als Mütter sind die ausländischen Frauen in besonderem Maße in Frage gestellt. Denn die herkömmliche Aufgabe der Mütter, den Kindern die Sprache, die Religion und die Sitten des Landes zu vermitteln, wird durch die soziale Isolation und die neuen Umwelt- und Lebensbedingungen stark beeinträchtigt.
Das wirkt sich auch ungünstig auf die Entwicklung der Kinder aus. Kleinkinder werden oft falsch ernährt, die Bedeutung des Spiels wird verkannt. Kindergärten werden bestenfalls als Bewahranstalten für Kleinkinder, nicht als Erziehungseinrichtungen angesehen. Zu den älteren Kindern, die in der Schule soziale Kontakte zu deutschen Kindern knüpfen, deutsche Sprachkenntnisse erwerben und sich somit schneller auf die Umwelt einstellen, entsteht oft soziale Distanz. Anpassungshilfen, etwa bei Arzt- und Behördenbesuchen, werden eher von den Kindern an die Mütter vermittelt als umgekehrt - für die Frauen eine deprimierende Erfahrung.
Schicht- oder Montagearbeit des Mannes und der älteren Kinder, eigene Erwerbstätigkeit und/oder Schwarzarbeit bringen ungewohnte Hektik in den Haushalt und die Familie. Heimwehreaktionen, Entwurzelungsdepressionen und daraus resultierende psychosomatische Störungen sind bei ausländischen Frauen keine Seltenheit.
Auch die nachziehenden Ehefrauen haben ihre speziellen Probleme. Nach jahrelanger Trennung müssen sie mit Entfremdungserscheinungen in der Ehe und großer Verunsicherung fertig werden. Doch bei wem sollen sie ihre Probleme abladen? Die Männer haben die Kollegen am Arbeitsplatz, mit denen sie zudem einen großen Teil der Freizeit verbringen.
Auf diese massiven Konflikte der Menschen zwischen den verschiedenen Kulturen hingewiesen zu haben, ist das Verdienst vor allem kirchlicher Gruppierungen, kirchlicher Frauenorganisationen und Beratungsstellen. Es gibt inzwischen eine Fülle von Schriften über die Integrationsprobleme, die natürlich auch Wege aufweisen, was zu geschehen habe. Zumeist wird dafür plädiert, den Ausländern eigene Räume und Begegnungszentren zur Verfügung zu stellen, in denen sich auch Frauen treffen können. Wo in Ballungsgebieten größere landsmannschaftliche Gruppen leben, ist das sicherlich eine wichtige und realisierbare Hilfe; die Integration fördert das allerdings nicht.
Alles Trennende besser kennen- und verstehen zu lernen, das kann auch der Weg sein, sich um ein besseres Zusammenleben von Deutschen und Ausländern zu bemühen. Allen, die sich darum bemühen, ist herzlich zu danken, wissen wir doch, daß die meisten ausländischen Mitbürger, die heute hier leben, in unserem Land bleiben werden. Eins ist zu bedenken: Die unbewältigten Probleme der Eltern, vor allem die unbewältigten Probleme der Mütter, wirken in der zweiten Generation, auch wenn diese hier geboren ist oder früh genug in unser Land kam, noch nach.
Soziale Integration, liebe Kolleginnen und Kollegen - ein Ziel, ein Weg, oft nur ein Anfang! Von Alarmglocken war heute hier die Rede. Ich wünsche mir, daß diese Debatte aufrüttelt. Die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden, die Engagierten in Kirche und Gesellschaft - wir alle tragen Mitverantwortung für die ausländischen Familien, die hier seßhaft geworden sind. Die Isolation vieler Ausländergruppen ist eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserem Lande. Das wollte ich mit meinem Beitrag noch einmal auf eine andere Weise hier aufzeigen.
({0})
Wir sollten uns über den Ernst der Lage nicht länger Illusionen machen. Die soziale Zeitbombe tickt. Eine Politik, die die menschlichen Realitäten aus dem Auge verliert, muß scheitern.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Eine Zeitlang hatte ich bei den Debattenbeiträgen der Oppositionsredner den Eindruck, als ginge es bei dieser wirklich
nicht einfachen Problematik der Ausländerfragen nur darum, Emotionen anzuheizen.
({0})
Wenn ich einige Debattenbeiträge Revue passieren lasse, dann glaube ich, Frau Verhülsdonk, die Verständigungsschwierigkeiten gibt es nicht nur in der Türkei, sondern auch in Kreisen der Oppositionsfraktion.
({1})
Denn hier wurde auch sehr häufig einiges zusammengewürfelt und durcheinandergeworfen.
Frau Verhülsdonk, Sie haben einen großen Teil Ihrer Rede auf die Familienzusammenführung, insbesondere auf die Problematik der türkischen Frauen, verwendet. Ich hatte dabei allerdings den Eindruck, daß Sie das ein bißchen bedauernd sagten, daß die türkischen Frauen ihren Männern nachgefolgt sind. Ich glaube, obwohl Sie sonst an sich familienfreundlich sind, würden Sie hier die Familientrennung gerne wieder unterstützen,
({2}) oder aber Sie wollen die „Zwangsrotation".
({3})
Man muß aber einige Oppositionsreden - das darf ich hier kurz anfügen - differenzierter betrachten. Es gibt einige in Ihrer Fraktion - das ist auch von einigen Rednern von uns heute schon gesagt worden -, deren Beschlüsse, Darlegungen und sonstigen Aktivitäten differenzierter sind. Das betrifft nicht nur dieses Haus, sondern auch einige Ihnen nahestehende Institutionen und Verbände. Ich darf insbesondere an die letzten Äußerungen der CDA erinnern.
In der heutigen Debatte hat die Verschiedenartigkeit der Probleme bei den Ausländern eine große Rolle gespielt, insbesondere auch das Aufenthaltsrecht, die Frage des Arbeitsmarktes und in der letzten Diskussionsrunde insbesondere die soziale Integration. Auch ich möchte mich mit diesem Thema in meinen Ausführungen ein wenig beschäftigen.
Ich darf noch einmal ausdrücklich betonen: Nicht Assimililation, sondern Bestandsintegration, d. h. soziale Eingliederung derjenigen ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Familien, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten - so lautet unser Konzept bei dem Versuch, die Ausländerproblematik zu bewältigen. Ich sage ganz deutlich: Patentrezepte gibt es da nicht. Bestandsintegration bedeutet - das sage ich auch ganz deutlich, weil es hier offensichtlich Verständigungsschwierigkeiten gab - Beibehaltung des Anwerbestopps. Ich betone, Integration und Begrenzungspolitik stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang.
Dabei geht es insbesondere darum, die ausländischen Mitbürger und deren Kinder zur Eingliederung in das Gesellschaftsgefüge der Bundesrepublik zu befähigen, sofern sie es wünschen. Wir wollen den
Ausländern Hilfestellung anbieten, damit sie die gleichen Chancen, unter uns leben zu können, haben. Das heißt - auch das muß ich noch einmal klar herausstellen, weil es hier verschiedentlich bestritten wurde -, es kann keine extreme Politik der „Zwangsgermanisierung" betrieben werden, auf der anderen Seite aber auch keine extreme Politik der „Zwangsrotation". Vielmehr muß jedem Ausländer, der bei uns lebt, die Möglichkeit gegeben werden, sich sozial zu integrieren. Wenn er es wünscht, muß er aber auch die Möglichkeit haben, in sein Heimatland zurückzukehren.
Das Prinzip der sozialen Bestandsintegration ist auch wesentlicher Faktor der Bildungspolitik. Darüber sind hier schon ausführlichere Darlegungen gemacht worden. Insbesondere die Problematik der Eingliederung der ausländischen Jugendlichen, vor allem in beruflicher Hinsicht, hat eine generelle Bedeutung. Speziell mache ich hier auf die Schwierigkeiten derjenigen Jugendlichen - auch das kam hier schon in einigen Ausführungen zum Ausdruck
- aufmerksam, die in ihrem Heimatland die Schule besucht haben und ihren Eltern erst danach nach Deutschland gefolgt sind.
({4})
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit besonders ins Bewußtsein rufen, daß wir hier seit einiger Zeit
- auch das ist vom Staatssekretär hier in etwa dargelegt worden - mit Mitteln der sogenannten Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Eingliederung, kurz MBSE genannt, gerade diesen Jugendlichen Hilfe zuteil werden lassen und sie beruflich qualifizieren wollen. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig die Kenntnisse der deutschen Sprache sind.
Dabei möchte ich zwei Probleme nicht unerwähnt lassen. Zum einen ist es gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation schwierig, den MBSE-Teilnehmern nach Abschluß der Maßnahme einen geeigneten Ausbildungsplatz anzubieten. Zum anderen kann man aber feststellen, daß eine nicht unerhebliche Zahl von MBSE-Absolventen keinen Ausbildungsplatz anstreben. Sie streben vielmehr sofort ein Arbeitsverhältnis an, das ihnen mehr Geld als eine im Augenblick materiell nicht so lohnende Ausbildung bringt. Den Gründen dafür muß man vielleicht einmal genauer nachgehen. Teilweise wird die Begründung angegeben, daß man schnell Geld verdienen müsse, damit man mit dem verdienten Geld einen eventuell anstehenden Militärdienst ablösen könne.
Ein besonderes Problem scheint mir - Frau Verhülsdonk hat auf die Türkinnen hingewiesen - gerade die kulturelle Situation der Türkinnen im Heimatland zu sein. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß wir dies bei der Beschäftigung der Türkinnen bei uns ganz genau beobachten müssen, damit es keinen Rückschritt bei der so mühsam eingeleiteten Chancengleichheit der deutschen Arbeitnehmerinnen gibt.
Wie ich bereits zu Anfang erwähnt habe, ist die Frage der sozialen Bestandsintegration der ausländischen Mitbürger ein Thema, das uns alle in diesem Lande angeht. Keiner kann sich ihm entziehen. Da4962
bei möchte ich auch die ausländischen Mitbürger mit einbeziehen. Ich meine, daß sich insbesondere die ausländischen Mitbürger aus den Anwerbeländern, die schon länger bei uns sind und der deutschen Sprache mächtig sind, die einen gewissen beruflichen Status erreicht haben, hier verpflichtet fühlen müssen, ihren jeweiligen Landsleuten unterstützend zur Seite zu stehen.
Wir haben mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 eine Mitbestimmung, Mitwirkung der ausländischen Kollegen im Betrieb durchgesetzt.
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- Das geschah gegen die CDU/CSU - ich danke für den Hinweis -, was ich hier ausdrücklich betonen möchte.
Wir müssen auch sehen, daß wir im kommunalen Bereich eine gewisse Mitwirkung schaffen. Dabei gibt es genügend Beispiele für gut funktionierende Ausländerbeiräte auf kommunaler Ebene. Das aktive und passive kommunale Wahlrecht, zu dem sich meine Partei im Europawahlprogramm bekannt hat, läßt sich meines Erachtens nur durch eine gesamteuropäische Lösung erreichen.
Der Antrag der Opposition, der dieser Debatte zugrunde liegt, spricht sich dafür aus, die Rückführung der ausländischen Arbeitnehmer zu forcieren. Bei den Beratungen der Anträge in den Ausschüssen werden wir gerade dieses Thema sehr intensiv zu diskutieren haben. Ich sage das ganz bewußt völlig wertfrei. Ich betone jedoch noch einmal: Eine zwangsweise Rückführung lehnen wir aus humanitären und sozialen Erwägungen nachdrücklich ab. Die verschiedenen besonderen Programme, die wir auch im Rahmen unserer Entwicklungspolitik durchführen und die letztendlich das Ziel haben, einen Teil der ausländischen Mitbürger wieder in ihr Heimatland zurückzuführen und dort zu integrieren, müssen, wie ich meine, unterstützt werden.
Wir müßten dabei aber auch einmal untersuchen, wie sich die sogenannten Arbeitnehmergesellschaften, die in verschiedenen Ländern gegründet wurden, bewährt haben. Eine Koordinierung der gesamten Maßnahmen scheint mir auf Grund der verschiedensten Diskussionen dringend notwendig.
Meine Herren und Damen, Entscheidungen, die zu Beginn der Ausländeranwerbungen versäumt wurden, können wir heute angesichts der großen Zahl der hier lebenden ausländischen Mitbürger nicht mehr einfach nachholen. Ich glaube, daß die von uns betriebene Politik, den hier wohnenden und tätigen Arbeitnehmern aus dem Ausland eine bessere soziale Integration zu ermöglichen, nicht zurückgeschraubt und geändert werden darf. Die Anwerbung wurde seinerzeit unter dem Aspekt vorgenommen, Arbeitnehmer nach hier zu holen, die ihren Aufenthalt nur vorübergehend in der Bundesrepublik nehmen sollten und auch wollten. Die Entwicklung führte dann aber zu einer ganz anderen Situation. Es kamen Menschen mit ihren Familien und Problemen hierher, obwohl nur Arbeitnehmer angeworben werden sollten.
Grundsätzlich möchte ich feststellen, daß wir hier auch einmal ein bißchen gemäß dem Verursacherprinzip forschen sollten. Den Arbeitgebern war ja manchmal die Anwerbung der Bundesanstalt für Arbeit nicht genug. Sie haben eigene Anwerbungen in den Ländern vorgenommen.
({6})
Dies muß man doch einmal in die Erinnerung zurückrufen. Es ist leicht, immer nach dem Staat zu rufen.
Ich meine, die Beurteilung darf auch nicht nach der heutigen wirtschaftlichen Situation erfolgen. Man muß Versuchungen widerstehen, die schwierigen Aufgaben, die sich aus der sozialen Verpflichtung ergeben, einfach zurückzustellen. Natürlich soll es nicht zu einer Bevorzugung, wohl aber zu einer Chancengleichheit mit den anderen hier lebenden Bürgern kommen. Schließlich zahlen die ausländischen Mitbürger j a ihre Steuern und Sozialabgaben wie alle anderen Arbeitnehmer auch. Das muß man denen einmal sagen, die über Ausländer polemisieren, obwohl sie selbst es durchaus als schick ansehen, Steuern zu hinterziehen.
Ich bin mir bewußt, daß es - auch bei Arbeitnehmern - sehr viele Vorurteile zu überwinden gibt. Ich bewege mich schließlich tagtäglich in Arbeitnehmerkreisen. Wir haben die nicht sehr leichte Aufgabe zu erfüllen, einer immer stärker werdenden Ausländerfeindlichkeit entgegenzutreten.
Aus vielen Wirtschaftszweigen - das muß auch noch einmal deutlich betont werden - lassen sich die Ausländer auch heute noch überhaupt nicht mehr wegdenken. Dies gilt kurz- und mittelfristig.
Ich darf schließlich noch darauf hinweisen, daß die Ausländer in nicht unerheblichem Umfange Devisen in ihre Heimatländer überweisen und insofern zur wirtschaftlichen Unterstützung dort beitragen. Im Jahre 1980 waren dies immerhin über 6 Milliarden DM.
Verzeihung, Frau Abgeordnete; ich bitte zum Schluß zu kommen. Sie haben die Redezeit schon überschritten.
Ich komme sofort zum Schluß.
Gestatten Sie mir noch einige Worte zu einem Problem, das in Ihrem Antrag angesprochen wurde und das auch in der Debatte heute eine Rolle spielte: die Kapitalisierung der Renten und sogar der Arbeitslosengelder. Meine Herren und Damen, dies widerspricht absolut dem Grundgedanken der sozialen Sicherung in unserem Lande. Ich behaupte, daß ein solches Verfahren letztendlich den Generationenvertrag der Rentenversicherung überhaupt in Frage stellt.
({0})
Es widerspricht dem Solidaritätsprinzip, das unserer sozialen Sicherung zugrunde liegt. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder, der seine Arbeit aufgibt, einen Anspruch auf Kapitalisierung hätte? Ich frage mich: Soll das ein Einstieg in die Auflösung der sozialen Sicherung sein?
Ich hatte vor, noch einiges zu den Wohnungsfragen zu sagen. Das scheint- mir sehr wichtig zu sein.
Lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen. Die hier angesprochenen Fragen sind sehr ernste Fragen. Ich meine, daß wir den hier vorliegenden Antrag der Fraktionen von SPD und FDP gemeinsam als positive Grundlage für die Beratungen in den Ausschüssen und als Grundlage für die weitere Arbeit nehmen können. Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sollten, wie ich meine, auf keinen Fall als Spielball für parteipolitische Auseinandersetzungen benutzt werden. Wer dies will, wird in diesem Lande sozialen Unfrieden stiften. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren jetzt über sechs Stunden ein sehr komplexes Thema. Und wir alle spüren: Da ist eine Menge Sprengstoff drin. Ich möchte als Bürgermeister einer Stadt mit hohem Ausländeranteil, einer Stadt, die weitgehend von einer Arbeiterbevölkerung geprägt ist, Ihnen einmal sagen, wie das unten vor Ort läuft. Wir erleben unten die ganze Härte der Ausländerproblematik hautnah, direkt, unmittelbar.
In einer Zeit, in der wir zwei Millionen Arbeitslose zählen, haben es natürlich diejenigen leicht, die die Ausländer zum Sündenbock für alles abstempeln. Verehrter Kollege Dreßler, auch ich bin erschrocken über das, was im Heidelberger Manifest zu lesen ist. Diese Kälte, dieser Mangel an Mitmenschlichkeit und Solidarität sollten uns alle zutiefst betroffen machen. Ich denke, wir hätten gemeinsam einiges zu tun, um der einsetzenden Ausländerfeindlichkeit entgegenzutreten.
({0})
Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hat heute morgen von der Toleranz und von der Menschlichkeit gesprochen. Verehrter Herr Minister, ich habe aber nicht feststellen können, was denn jetzt konkret geschehen soll, um mit den Problemen fertig zu werden, die uns unten vor Ort drükken. Ich meine, auch Sie müßten erkennen, daß Sie das innenpolitische Treibhausklima, in dem wir diese Fragen diskutieren, mit zu verantworten haben, weil jahrelang Probleme liegengelassen wurden, weil jahrelang eine Konzeption nicht erkennbar war und weil jahrelang die Probleme ausgeklammert, verschleppt wurden.
({1})
Wir müßten uns über eines verständigen: daß wir die Aufnahmefähigkeit in unserem Lande erreicht haben.
({2})
- Aber der Anwerbestopp, Kollege Urbaniak, ist
umgangen worden. Das ist das Problem. Sie haben
1973 versäumt, vernünftige Regelungen für den Familiennachzug zu treffen. Sonst wäre es so weit nicht gekommen.
Wenn der Kollege Adolf Schmidt, Vorsitzender der IG Bergbau und Energie, sagt, das Ruhrgebiet sei randvoll, trifft das, meine ich, voll zu.
Durch das lange Nichtstun hat uns die Bundesregierung in eine Lage gebracht, in der die Probleme einfach härter und entschlossener angepackt werden müssen, als das SPD und FDP mit ihrem Antrag tun.
({3})
Meine Damen und Herren, der Antrag meiner Fraktion schlägt deshalb heute jene Maßnahmen und Schritte vor, die unbedingt notwendig sind, um eine Eskalation des Ausländerproblems zu verhindern. Ich meine, wir sollten die anstehenden Fragen so lösen, wie es dem moralischen Anspruch des Grundgesetzes entspricht.
Lassen Sie mich deshalb auf einige Probleme eingehen, die uns in den Kommunen besonders hart bedrängen:
Der ungebrochene Zustrom von Asylbewerbern stellt die Städte und Gemeinden vor unlösbare Probleme. Ich erlebe das unten vor Ort so, daß auch wir hier erklären müssen: Die Aufnahmemöglichkeiten der Städte und Gemeinden sind erschöpft. Meine Damen und Herren, wer aber das Asylrecht für politisch Verfolgte dauerhaft sichern will, muß heute wirksame Maßnahmen zur Beschleunigung der Verfahren ergreifen. Das ist der Punkt.
({4})
Die Solidarität unserer Mitbürger darf nicht überstrapaziert werden. Herr Minister Baum, es kann doch nicht richtig sein, daß beispielsweise in Nordrhein-Westfalen immer mehr Asylbewerber in Hotels eingewiesen werden müssen, weil keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten mehr gegeben sind. Nachdem die Stadt Köln fast tausend Asylbewerber in Hotels untergebracht hat,
({5})
hat die Stadtverwaltung ihre Tore dichtgemacht. Was passiert? Jetzt drängen die Asylbewerber in die Umlandgemeinden, auch in meine Stadt. Jetzt lesen wir jede Woche in den Zeitungen: Kein Platz mehr für Asylbewerber, es geht nichts mehr rein - in Frechen, in Brühl, in den Städten, die um Köln herum liegen. Ich sage das nur beispielhaft und muß erklären: jetzt geht auch da nichts mehr.
So werden Menschen hin- und hergeschoben und die Kommunen hoffnungslos überfordert. Darf ich es einmal so formulieren, wie ich es empfinde: Ich empfinde es als eine Augenwischerei, wenn sich die Bundesregierung den Anschein der Humanität gibt, während die Kommunen mit ihrem Bemühen, den Menschen zu helfen, an die Grenzen des Machbaren stoßen. Das ist die Situation.
({6})
Maller ({7})
Die ständig steigenden Aufwendungen für die Sozialhilfe sprengen alle Vorausberechnungen. Innenminister Schnoor hat heute morgen die Zahl 190 Millionen DM genannt, die in Nordrhein-Westfalen gezahlt werden. Gestern hat der Bonner „General-Anzeiger" gemeldet, im Jahr 1980 habe sich die Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger gegenüber dem Vorjahr um 50 % erhöht.
Ich lasse mich von niemandem übertreffen, sozial zu sein. Aber so beklagenswert das Schicksal jedes einzelnen Menschen ist, so muß ich als Kommunalpolitiker doch erklären: Wir können mit unseren kommunalen Möglichkeiten und mit der Sozialhilfe nicht das Elend der ganzen Welt beseitigen. Das muß Aufgabe der Entwicklungshilfe sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen Brief von Bürgermeister Koschnick zitieren, in dem es heißt: „Wir brauchen jetzt klare Positionen vom Innenminister, der ist im Augenblick am Zuge." Und Koschnick sagt weiter: „Ich bin eigentlich ein bißchen bestürzt, wie fahrlässig auch im Bundestag die Probleme der Gemeinden gesehen werden, daß man nicht sagt: Wir brauchen ein schnelleres Verfahren zur Anerkennung oder auch zur Ablehnung." So weit der Kollege Koschnick.
Wenn meine Fraktion ein konsequentes Einschreiten gegen den Mißbrauch des Asylrechts und gegen die illegalen Ausländer in der Bundesrepublik fordert, dann deshalb, weil wir das als eine unverzichtbare Voraussetzung ansehen, um die Probleme derjenigen Ausländer in Ruhe und Besonnenheit zu lösen, die wir selber als Arbeitskräfte in unser Land geholt haben und für die wir eine besondere Verantwortung tragen. Das will ich hier ganz deutlich sagen.
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Deshalb ist Ausländerpolitik für uns nicht nur Arbeitsmarktpolitik, sondern muß auch Familien-, Jugend- und Kulturpolitik sein. Wir sollten mit dafür sorgen, daß diese Menschen nicht mit denen in einen Topf geworfen werden, die unsere Gesetze mißachten.
Ich möchte etwas zu dem Thema soziale Integration sagen. Dieses Thema müßten wir wesentlich differenzierter angehen, als es bisher geschehen ist. Hier kann es nicht um ein Entweder-oder gehen, bei dem die Befürworter einer allumfassenden Integration auch noch so tun, als wenn sie die bessere Moral für sich gepachtet hätten. Wer Illusionen pflegt, ist keineswegs moralischer als der, der die Dinge realistisch betrachtet. Das sollten wir alle miteinander tun.
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Deswegen sage ich: zu den Menschenrechten gehört auch das Recht auf nationale und kulturelle Identität. Wir sollten endlich aufhören, zu glauben, daß alle Ausländer Deutsche werden oder nach unserer Fasson leben wollen.
({10}) - Dann sind wir einig.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt deshalb eine Integrationspolitik ab, die auf Assimilation gegen den Willen der Betroffenen abzielt.
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Es sind Wege notwendig, die bei aller Unterschiedlichkeit zu einem geregelten Miteinander führen.
Ganz wichtig ist nach meinen Erfahrungen, daß wir energisch vorbeugend etwas gegen die Isolation und die Gettobildung von Ausländern tun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Herr Kollege Dreßler, wir haben uns verständigt, daß wir alle nur zehn Minuten haben. Ich bitte, daß Sie mir gestatten, meinen Gedankengang zu Ende zu führen.
In Städten mit hohem Ausländeranteil gibt es inzwischen Stadtviertel, in denen kaum ein Deutscher mehr leben will, weil er sie als anders, als fremd empfindet. Die Deutschen ziehen aus, neue Ausländer ziehen ein. Die Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern verringern sich und schwinden oft ganz. Wir wissen aus Erfahrung: wer keinen Kontakt hat, fühlt sich nicht ermuntert, Deutsch zu lernen. Wer nicht Deutsch spricht, kann sich nicht qualifizieren, und wer nicht qualifiziert ist, bekommt keine Arbeit. Damit schließt sich der Teufelskreis.
Genauso geht es vielen ausländischen Jugendlichen, die erst nach Abschluß der Schulpflicht aus ihren Heimatländern hierher kommen. Ich möchte hier ein deutliches Bekenntnis zur Familie ablegen. Das Recht der Familie, zusammenzubleiben, ist ein vorrangiges Recht. Es ist überhaupt kein Widerspruch, wenn meine Fraktion sagt, dies könne in erster Linie durch die Förderung der Rückkehr erfolgen.
Ich möchte das ganz klar differenzieren. Diejenigen, die wir geholt haben, die hierbleiben wollen, sollen das können. Aber das schließt nicht aus, daß wir auch für die Rückkehr einiges mehr tun, als bisher geschehen ist. Denn wir müssen sehen, daß die Regelungen des Familiennachzugs oft mißbraucht werden, daß junge Erwachsene einreisen, angeblich, um zu ihrem hier tätigen Vater zu ziehen, daß sie in Wirklichkeit aber bei uns nur Arbeit suchen. Das überfordert den Arbeitsmarkt immer mehr.
Meine Damen und Herren, es muß uns gelingen, Maßnahmen zu finden, die ein langfristig gesichertes Miteinander von deutscher und ausländischer Bevölkerung gewährleisten.
In vielen Kommunen wird die Ausländerkonzentration durch Gebiete mit schlechter Bausubstanz gefördert. Erfahrungsgemäß sind ausländische Arbeitnehmer in erster Linie an billigen Wohnungen interessiert. Wenn wir die Gettobildung verhindern wollen, müssen wir energischer die Sanierung der alten Stadtviertel in Angriff nehmen. Wenn in diesen Tagen hier überlegt und diskutiert wird, wie wir einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten können, dann möchte ich saMüller ({0})
gen: Laßt uns darangehen, die alten Stadtviertel zu sanieren und dafür zu sorgen, daß auch unsere ausländischen Mitbürger menschenwürdige Wohnungen erhalten können. Das können die Kommunen allein nicht leisten; hier muß die Hilfe der Länder und des Bundes hinzukommen.
Mit Recht werden die Kommunen „Stätten der Integration" genannt. Es ist von meinen Vorrednern dazu bereits vieles gesagt worden. Es gibt eine Reihe hervorragender Beispiele, die deutlich machen, daß gute Integrationsarbeit geleistet wird. Zahlreiche Kultur- und Sportvereine bemühen sich mit großem Erfolg, Ausländer zur aktiven Mitwirkung zu bewegen. Ich möchte ein Wort des Dankes allen freien gemeinnützigen Trägern sagen, die sich in hervorragender Weise in den vergangenen Jahren engagiert haben. Und ich möchte ein ganz deutliches Wort des Dankes für die Arbeit der Kirchen sagen. Gerade weil die Politik oft nicht in der Lage ist, schwierige Entwicklungen positiv zu beeinflussen, verdient diese Arbeit hohe Anerkennung.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß in aller Eindringlichkeit darauf hinweisen, daß ich die Lösung der Ausländerprobleme als d a s wichtige innenpolitische Thema und als die sozialpolitische Großaufgabe der nächsten Zeit ansehe. Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Die Lösung der Ausländerfrage bei uns wird langfristig nur dann möglich sein, wenn wir uns in der Entwicklungspolitik stärker engagieren und wenn die Bundesregierung endlich entschlossener handelt. Ich denke, das ist notwendig.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Ausländerpolitik wurde heute ausschließlich unter innenpolitischen Aspekten diskutiert. Ich glaube, man muß darauf hinweisen, daß das Ausländerproblem bei uns eine Folge der jeweiligen Situation in den Heimatländern dieser Menschen ist, und zwar eine Folge der dortigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation. Ich glaube, deswegen sollte man gerade diesem Gedanken ein paar Minuten widmen.
Wir gehen immer noch davon aus, daß sich im wesentlichen zwei Zweige der Migration zeigen. Der eine Zweig sind die traditionellen Einwanderungen, die es ja zu jeder Zeit gab. Diese Menschen gehen in ein anderes Land mit dem Willen, dort zu bleiben. Der zweite Zweig sind die Saisonarbeiter, also jene Menschen, die auf Zeit irgendwohin gehen, um möglichst viel Geld zu verdienen, und die dann wieder zurückkehren.
Auf dieser Grundlage - und das ist das Problem - findet auch noch heute die Diskussion in der Forschung und, wie man sieht, auch in der politischen Auseinandersetzung statt. Ich glaube, daß die Unterschiede in den beiden Anträgen wohl daran festzumachen sind.
Nur: Wir haben tatsächlich seit Anfang der 70er Jahre eine neue Entwicklung, nämlich daß sich der Saisonarbeiter zur Niederlassung entschließt, d. h., er will nicht mehr in möglichst kurzer Zeit möglichst viel verdienen, um dann zurückzugehen, sondern sein Interesse geht dahin, möglichst lange zu bleiben, weil es ihm hier in jedem Fall besser geht als in seinem Heimatland. Diese Gruppe hat dann eben nicht, obwohl sie länger hierbleiben will, den Integrationswillen, sondern sie hat ganz im Gegenteil den Willen, ihre eigene Identität zu bewahren. Das ist, glaube ich, das Problem, mit dem wir es im Augenblick zu tun haben. Sowohl Herr Müller als auch Frau Verhülsdonk haben ganz ohne Frage auf dieses Thema hingewiesen.
An dieser Stelle muß man allerdings betonen, daß es sich nicht um solche Menschen handelt - oder auch um Frauen; Sie haben diesen speziellen Kreis angesprochen, Frau Verhülsdonk -, die zwangsweise hier sind. Vielmehr haben sie sich als Individuen freiwillig entschieden, hier zu bleiben, weil sie der Auffassung sind, daß die Situation in ihren Heimatländern ihnen den Aufenthalt dort nicht erlaubt. Wir müssen also davon ausgehen, daß wir es heute mit einer internationalen Wanderung weg von der Armut und hin zum Reichtum zu tun haben. Man fragt gar nicht mehr danach - wie das früher traditionell der Fall war -, ob man dorthin gehen soll, wo es einen Arbeitsplatz gibt, sondern man geht selbst dorthin, wo es einen Arbeitsplatz nicht gibt. Genau das ist das Problem heute. Wir haben es daher mit einer Völkerwanderung aus Not zu tun.
Nun ist doch die Frage, wie wir darauf reagieren können. Können wir diesem Phänomen wirklich durch innenpolitische Blockierungen begegnen? Oder müssen wir nicht vielmehr davon ausgehen, daß es keinen hinreichenden Schutz gegen Einwanderung bietet, wenn die Mauern um unser Land herum so hoch gebaut werden, daß keiner über sie hinweg kann. Das würde letztlich zwangsläufig dazu führen, daß wir uns selber unfrei machen. Das Ziel kann doch nur sein, an internationale Überlegungen anzuknüpfen, die dahin gehen, die Ursache des Problems im Heimatland zu bekämpfen. Hier kann es nur darum gehen, die Zustände erträglich zu machen, die durch diese Völkerwanderung hervorgerufen werden.
Die Bundesrepublik ist ein bevorzugtes Land für Einwanderer. Mit demselben Problem sind aber auch unsere westeuropäischen Partnerländer konfrontiert. Gleichwohl gibt es auf westeuropäischer Ebene kein Konzept, wie man dieser Entwicklung langfristig begegnen kann. Ich meine, daß die Bundesrepublik eine Initiative ergreifen muß, die dahin geht, das Problem der internationalen Wanderungen durch ein Programm der Bevölkerungsentwicklung, d. h. generell auf höherer Ebene zu lösen.
Ich bin der Auffassung, wir stehen erst am Anfang einer enormen Völkerwanderung, die wir noch vor uns haben. Angesichts dieser Perspektive müssen wir uns von dem Konzept befreien, das aus einer Mischung von restriktiver Schlechterbehandlung der
Menschen hier - sie sollen gar nicht erst kommen - und im Grunde doch unpolitischer Sozialhilfe besteht. Beides muß erfolglos bleiben. Abgesehen davon ist es natürlich auch inhuman.
Ich glaube, man muß schlicht und einfach feststellen, daß der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme nur in den Heimatländern liegen kann. Natürlich ist es einfach zu sagen, wir müßten die Arbeit zu den Menschen bringen. Aber haben wir uns wirklich schon einmal gefragt, warum in der Vergangenheit die Arbeitskräfte immer nur zu den Maschinen wandern mußten oder zum Kapital? Warum hat der umgekehrte Weg nicht geklappt? Können wir eigentlich generell davon ausgehen, daß die Kapitalwanderung immer den entsprechenden Erfolg bringt? All diese Fragen müssen grundsätzlich erörtert werden, wobei wir uns davon lösen müssen, das allein aus innenpolitischer Sicht zu tun.
Eines ist allerdings sicher: Viele Menschen verlassen ihr Land ja nicht freiwillig, sondern aus wirtschaftlicher Not. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich betonen, daß ich mir nicht die Unterscheidung zwischen politischen und Wirtschaftsasylanten zu eigen mache; denn ich finde, daß die Entscheidung derjenigen, die wirtschaftlicher Not enteilen, auch etwas mit den politischen Verhältnissen in den jeweiligen Heimatländern zu tun hat.
Solange wir leben, wird es vermutlich immer Wanderungsbewegungen, bedingt durch die enormen Verdienstunterschiede, geben. Als ein reiches Land muß es jedoch unsere Aufgabe sein, unseren Teil dazu beizutragen, daß der Grund, das Land aus Not zu verlassen, nicht mehr gelten kann. Hier stellt sich die Frage: Tun wir wirklich das Nötige? Herr Müller hat bereits darauf hingewiesen, daß die Kommunen nicht das leisten können, was die Entwicklungspolitik versäumt. Als Entwicklungspolitiker müssen wir immer wieder vor der verbreiteten Ansicht warnen, wir könnten, wenn es um Entwicklungspolitik gehe, in wirtschaftlich schwierigen Situationen gewisse Leistungen nicht erbringen; denn dabei wird gerne vergessen, welche Folgekosten wir für die Versäumnisse aufzubringen haben, die wir selbst einmal verschuldet haben. Insofern glaube ich, daß dieser Aspekt dringend ist und hoffentlich auch in Erinnerung bleibt, wenn es darum geht, diesen anderen politischen Bereich zu besprechen.
Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die die Rückkehrbereitschaft betreffen. Zum einen liegt es in unserem eigenen Interesse, den Grund für die Auswanderung in unser Land zu bekämpfen. Gleichzeitig müssen wir aber auch versuchen, die Rückkehrbereitschaft, die ja ohne Frage da ist, zu nutzen. Leider stellt sich heraus, daß für viele Menschen, die gern wieder in ihr Heimatland zurückgehen, trotz der enormen Kapitalausstattung, die sie dann haben, die Reintegration in ihre Heimatländer außerordentlich schwierig ist und daß dann, wenn die Integration einigermaßen gelungen ist, ihr eigenes Kapital häufig weggefrühstückt ist. Dies spricht sich natürlich herum, und das ist ein Grund dafür, daß die Rückkehrmotivation derer, die noch hier sind, natürlich ununterbrochen geringer wird.
Ich glaube, deshalb müssen wir die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und humanen Gesichtspunkten entsprechende Rückkehr schaffen. Die Bundesrepublik sollte für Rückwanderungswillige eine Vielzahl von Informationen - natürlich in Zusammenarbeit mit den Heimatländern - bereitstellen, die den Betroffenen positive Möglichkeiten der Existenz in ihrem Heimatland aufzeigen. Mir scheint, hier sind die Arbeitnehmergesellschaften sicherlich ein geeigneter Anreiz, und deshalb möchte ich zu diesem Punkt noch einiges sagen; danach, Herr Präsident, komme ich zum Schluß.
Es ist sehr erfreulich, daß bei einer Reihe von Türken die Bereitschaft vorhanden ist - und ich glaube, das sollte auf andere Gruppen ausgedehnt werden -, sich mit ihrem eigenen Geld an Investitionen in ihrem Heimatort zu beteiligen. Außerdem ist es sehr erfreulich, zu beobachten, daß solche Investitionen dann sehr häufig in Regionen stattfinden, in die z. B. die offizielle türkische Entwicklungspolitik gar nicht kommt. Dies sind gute Ansätze.
Nur ist es bisher offenbar nicht gelungen, mit den relativ hohen Investitionskosten tatsächlich auch dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Man muß wohl sagen, daß die Hochzinspolitik in der Türkei im Augenblick eher den Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft unterstützt, womit den kleineren und den mittleren Unternehmen praktisch der Atem genommen wird. Davon sind leider auch die Arbeitnehmergesellschaften betroffen.
Es sollte also unser Ziel sein, die Chancen, die in den Arbeitnehmergesellschaften liegen, konstruktiv zu nutzen. Aber gleichzeitig sollten wir bereit sein, die Mittel, auch die öffentlichen Mittel, dafür bereitzustellen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Lande, die notwendig sind, zu schaffen. Wir sollten mithelfen, darauf hinzuwirken, daß diesen kleinen Gesellschaften für ihre Existenz der notwendige Atem gegeben wird.
Ich denke, daß man an dieser Stelle die Frage ansprechen muß, ob eigentlich die Auflagen des Internationalen Währungsfonds geeignet sind, in dieser Sache fruchtbar zu wirken.
({0})
Ich bezweifle dies. Der entwicklungspolitische Aspekt ist da den globalen wirtschaftlichen Aspekten eindeutig untergeordnet worden. Ich glaube, daß wir alle aufgerufen sind, dem zu begegnen.
Ich möchte hier sagen, daß sich der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der nächsten Woche mit diesem Thema eingehend befassen wird und ich kann nur hoffen, daß wir alle zu der Überzeugung kommen, daß die wirkliche Antwort auf diese Fragen nicht in einer Abschottungs- und Abschreckungsstrategie vom Inland her, sondern nur in einer massiven Unterstützung gerade der Länder bestehen kann, in denen Menschen meinen, aus Existenznot das Land verlassen und zu uns kommen zu müssen.
Deshalb möchte ich Sie ganz herzlich bitten, sich an diese Debatte auch dann noch zu erinnern, wenn es um diese Fragen geht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ausflug in die Entwicklungspolitik möchte ich ins Inland zurückkehren und einige Sätze auf unsere Ballungsgebiete verwenden, allerdings auch auf das Verhalten der Politiker nicht nur in den Ballungsgebieten, sondern überhaupt in der Bundesrepublik hinsichtlich der Frage: Wie stellen wir uns dem Ausländerproblem?
Vorher möchte ich freilich zwei Vorbemerkungen loswerden.
Mir ist heute aufgefallen, daß man mit leiser Stimme Grausamkeiten aussprechen kann. Das ist mir aufgefallen, als ich den Kollegen Seehofer gehört habe. Ganz sachlich und ruhig hat er eigentlich die größten Grausamkeiten losgelassen. Ich fand das sehr bemerkenswert.
Sehr wohltuend hob sich gegen ihn der Kollege Graf von Waldburg-Zeil ab. Er registrierte Unsicherheit bei SPD und FDP. Aber, Herr Graf von Waldburg-Zeil, verwechseln Sie nicht Unsicherheit mit Sensibilität? Im übrigen muß ich Ihnen allen Ernstes sagen: Das Thema kann doch Unsicherheit schaffen, kann doch Betroffenheit hervorrufen. Und wer von uns will denn behaupten, er habe hier Patentrezepte? Auch der Koalitionsantrag ist nur ein Ansatz, um die Probleme, die wir in unseren Städten haben, aufzuarbeiten. Um mehr kann es hier doch nicht gehen. Der Herr Müller hat davon gesprochen, wir müßten noch härter und entschlossener vorgehen. Ich muß fragen: Was heißt das denn: härter und entschlossener?
({0})
- Ja nun, das ist man von Vertretern dieser politischen Richtung der Union j a gewöhnt, daß sie ständig ihre Meinung wechseln. Aber gut.
({1})
Ich möchte jetzt zu der wesentlichen Frage kommen - sie geht zwar alle Organisationen an, die hier immer zitiert wurden; sie geht aber zuvorderst die Politiker an -: Wie nehmen wir die Ausländerproblematik an?
Da muß man Selbstkritik äußern. Wir müssen diese Problematik bewußter, offensiver annehmen, als wir es bisher gemacht haben. Wir dürfen gar nicht den Versuch einer Verdrängung unternehmen.
({2})
Sonst kommen wir Problemlösungsansätzen nicht näher.
Die ganz entscheidende Frage wurde mehrfach angesprochen, allerdings nicht so deutlich, wie ich es gewünscht hatte. Die Union spricht davon, wir würden Illusionen pflegen, Utopien nachlaufen. Ich muß fragen: Wer pflegt denn hier Illusionen? Wer hat denn oder pflegt oder erzeugt Utopien? Die Union erzeugt Utopien, wenn sie gegenüber unseren Bürgern den Eindruck erweckt, wir könnten quasi von heute auf morgen oder mittelfristig das Problem dadurch lösen, daß wir massenweise z. B. Türken zurückbringen. Das ist angesichts der Zustände in der Türkei ein abenteuerliches Unterfangen, dem wir uns doch entschieden widersetzen müssen ({3})
bei aller Berechtigung der Frage, die die Kollegin Vorrednerin hinsichtlich der langfristigen Lösungsansätze eingebracht hat. Die großen Illusionisten sitzen auf der politischen Rechten und nicht bei uns. Das muß man ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
({4})
Nach Umfrageergebnissen möchten inzwischen zwei Drittel der Bundesbürger die Rückkehr der Ausländer. Vor zwei Jahren war es lediglich ein Drittel. Das zeigt, wie sehr der Druck steigt. Das gilt in besonderer Weise für die Ballungsgebiete, in denen die Konzentration der Ausländer neben vielen anderen Problemen eine fast explosionsartige Stimmung erzeugt.
Ich weiß, worüber ich rede, weil ich beinahe tagtäglich mit Deutschen, aber auch Ausländern z. B. in meinem Wahlkreis im Ruhrgebiet rede. Ich habe den Eindruck, daß heute hier einige gesprochen haben, die gar nicht wußten, worüber sie zu sprechen hatten und worüber sie gesprochen haben.
({5})
Dabei muß man feststellen, daß die Stimmungslage der Deutschen wie auch der Ausländer diffus ist. Bei den Deutschen findet man nicht unbedingt einen Fremdenhaß, aber doch zumindest die Tendenz zu nationalistischem Egoismus. Jedenfalls beginnt eine solche Tendenz sich durchzusetzen. Wir tun gut daran, Obacht zu geben, daß wir nicht selber an diesem Egoismus scheitern.
Bisher haben sich die Konflikte in den Ballungsgebieten im wesentlichen in Wohnbereichen abgespielt. Das wird inzwischen anders. So bahnen sich auf unseren Pütts, in den Zechen neue Konflikte in der Arbeitswelt an - nicht immer so offen, sondern auch verdeckt. Man spürt das in den Gesprächen z. B. in den Schachtanlagen, in den großen Fabriken. Da war jahrelang Ruhe an der Front. Dies zeigt an, wie sehr der Problemdruck auch in diesen Bereichen wächst.
Zwei Schlagzeilen der letzten Tage als Beispiel - Herr Müller hat ja in einigem recht, was er angesprochen hat -: Ausländer strömen immer stärker
ins Revier; Sozialhilfe fließt stärker an Ausländer. - Das wird j a von unseren Bürgern registriert. Daraus ist, glaube ich, abzuleiten, meine Damen und Herren, daß wir bei der Aufarbeitung der Probleme, mit denen wir es zu tun haben, nicht nur sachliche Schwerpunkte bilden müssen - die sind auch notwendig -, sondern wir sie mit regionalen Schwerpunkten ergänzen müssen. Das heißt: Wir müssen da verstärkt ansetzen und fördern, wo die Defizite am höchsten sind. Ich habe den Eindruck, daß auch insgesamt - das ist gar nicht parteipolitisch gemeint - die Defizitsituation in einigen Ballungsgebieten, z. B. im Ruhrgebiet, gedanklich noch nicht voll realisiert wurde.
Die betroffenen Städte dürfen nicht alleingelassen werden. Wir müssen alles verhindern, meine Damen und Herren, daß die negative Strömung, die wir ja antreffen, in der Breite der Bevölkerung zu einem reißenden Strom wird. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Das setzt ein Zusammenwirken aller Beteiligten und Verantwortlichen voraus; das wurde schon herausgestellt. Aber ich meine, die Politiker sind in erster Linie anzusprechen. Wir als Politiker müssen nämlich genau das Gegenteil von dem tun, was hier z. B. Herr Spranger praktiziert hat. Dann verhalten wir uns, glaube ich, richtig.
Ich möchte Herrn Spranger fragen, wie oft er denn z. B. mit Türken gesprochen hat. Damit meine ich jetzt keine „Regierungstürken", sondern ich meine einfache Menschen, Arbeitnehmer. Ich hatte bei der Rede, die er hier gehalten hat, den Eindruck: Der hat mit denen wirklich noch nicht gesprochen. So ist es, wenn ein Blinder von der Farbe redet. Das Ergebnis kann nicht gut sein. Das Verhalten der Politiker muß sich wohltuend von den wilden Reden, wie sie Spranger & Co hier halten, abheben. Ich glaube, es ist auch eine wichtige Aufgabe, dies der Öffentlichkeit zu verdeutlichen.
({6})
Die Politiker haben eine Führungsaufgabe. Sie müssen dieser Stimmung massiv gegensteuern und diese Stimmung nicht noch schüren. Es ist verantwortungslos, eine solche Stimmung noch zu schüren.
({7})
Führungsaufgabe heißt auch, durch mühselige Überzeugungsarbeit gegenüber Deutschen und Ausländern daran mitzuwirken, daß unsere Landsleute in dem Ausländer den Mitbürger sehen. Diese Aufgabe besteht weiterhin, wenn wir sagen: Integration, auch wenn wir den Zuzug stoppen und abkoppeln wollen.
Ein Letztes - ich meine das nicht parteipolitisch und auch nicht polemisch -: Die von mir beschriebene negative Stimmung geht quer durch alle Generationen. Eine Erfahrung habe ich allerdings gemacht, zugegebenermaßen bei Anhängern meiner eigenen Partei - das soll jetzt kein Schuldvorwurf gegen eine bestimmte Generation sein -: Die größten Vorbehalte gegenüber Ausländern finde ich in Gesprächen in der Generation, die im Dritten Reich groß geworden ist. Ich meine, meine Damen und Herren - das ist wirklich kein Schuldvorwurf -,
das sollte uns zu denken geben. Wir alle sind aufgerufen, darüber nachzudenken. - Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohlmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir scheint, wir sollten das Thema Ausländerpolitik nicht mit Deklamationen und mit Bekenntnissen behandeln. Hier ist jetzt die praktische Politik gefragt, nachdem diese Bundesregierung dieses Thema in dem letzten Jahrzehnt verschleppt, verzögert, verlagert hat.
({0})
Ich stimme der Frau Kollegin Schuchardt darin zu, daß wir hier über die Ausländerproblematik nicht ausschließlich unter dem innenpolitischem Aspekt diskutieren sollten. Ich bin Ihnen dafür dankbar, Frau Schuchardt, daß Sie angerissen haben, daß wir uns mit den Verhältnissen in den Heimatländern beschäftigen müssen; denn wir müssen der Frage nachgehen, warum diese Millionen von Menschen in diesem unserem Jahrhundert in unser Land und in unsere westlichen Nachbarländer hineinströmen. Diese Menschen wollen ihren Heimatländern, dem Elend, der Arbeitslosigkeit und einem Leben ohne Zukunft dort entfliehen.
Es ist beschämend und entlarvend für unsere Politik, daß wir das Ausländerthema erst unter dem Druck der nicht mehr zu meisternden finanziellen und sozialen Folgen in unserem Lande diskutieren. Es genügt auch nicht, hier jetzt nach Heilmitteln und Abwehrmaßnahmen zu rufen, weil wir in unserem Lande mit den Folgeproblemen des Ausländerdramas nicht mehr fertig werden. Die moderne Völkerwanderung aus den armen in die vermeintlich reicheren Länder
({1})
konfrontiert uns direkt mit dem Entwicklungsproblem, das viele allzuleicht verdrängen oder von dem man sich freikaufen zu können glaubt.
Das Beispiel Türkei, das uns in diesem Zusammenhang besonders beschäftigt, führt uns in erschreckendem Ausmaß vor Augen, wie verheerend sich ein Menschenexport auf Dauer auch auf das außenpolitische Verhältnis zu befreundeten Ländern auswirken kann.
({2})
In der türkischen Öffentlichkeit werden wir, die Bundesrepublik, hart attackiert, weil wir unsere Grenzen für den Bevölkerungsdruck Anatoliens dicht machen. Aber ich möchte bei unseren türkischen Freunden um Verständnis dafür werben - und fordere die Bundesregierung auf, das auch mit ihren Mitteln und auf allen Wegen zu tun -, daß Menschenexport keine Lösung für die Probleme dieses Landes und vergleichbarer Länder darstellen kann.
Wir haben in der Vergangenheit viel getan, um der Türkei in ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und in ihrer Misere zu helfen und sie vor dem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch zu schützen. Wir sind auch bereit, dafür weiterhin Opfer zu bringen. Wir wissen aber auch, daß mit dem jährlichen Zuwachs von 1 Million junger Menschen, arbeitswilligen, leistungsfähigen jungen Türken bei etwa 45 Millionen Einwohnern in diesem Lande ein schier auswegloses Problem entsteht. Aber glauben wir doch nicht, daß es jetzt darauf ankommen könnte, diese Menschen in eine ihnen völlig fremde Kulturwelt zu verpflanzen. Das kann nicht der richtige Weg sein.
({3})
Aus eigener Kraft und mit intensiver Entwicklungspolitik der Bundesrepublik und anderer Länder muß in Anatolien, in der ganzen Türkei und in vergleichbaren Ländern ein wirtschaftlicher Aufschwung bewirkt werden, der diesen Menschen im eigenen Lande Arbeitsmöglichkeiten und Lebensperspektiven eröffnet.
({4})
In dem Antrag der Koalition vermisse ich einen breiter angelegten Passus über die Rückkehrmöglichkeiten, d. h. die Verstärkung der Rückkehrförderung.
({5})
Sie erwähnen das in einem Schlußabschnitt und haben das soeben angehängt.
({6})
Frau Schuchardt hat vorhin auch darauf hingewiesen, daß wir, wenn wir praktische Ausländerpolitik machen wollen, hier ansetzen müssen und ein umfassenderes Programm zur Motivation für die Rückkehr ins Werk setzen müssen, das wir diesem unserem Lande schuldig sind. Nur dadurch können wir den Ausländern bei uns auf Dauer durchgreifend helfen.
({7})
Rückkehrer sind die besten Entwicklungshelfer. Sie bringen häufig aus langjähriger Tätigkeit in der deutschen Industrie nicht nur technisches Können und Wissen mit, sondern auch Verhaltensweisen und Arbeitshaltungen sowie auch eine Wirtschaftsgesinnung, die als Grundlage und Motor für die Entwicklung in ihren Heimatländern unentbehrlich sind.
Ich möchte an dieser Stelle zu einem wichtigen praktischen Instrument der Rückkehrförderung doch noch etwas mehr sagen, als es Frau Schuchardt am Ende ihrer Rede vorhin getan hat, nämlich zu dem Instrument der Arbeitnehmergesellschaften. In unserem Lande, in der Bundesrepublik Deutschland, haben etwa 250 000 türkische Arbeitnehmer etwa 1,7 Milliarden DM Sparkapital in den letzten Jahren aufgebracht, mit dem über das ganze Land der Türkei gestreut kleinere und mittlere Industriebetriebe gegründet werden. Etwa 100 solcher Vorhaben sind in diesem Lande bereits realisiert. Damit sind dort in den letzten vier, fünf Jahren 10 000 bis 11 000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Wir haben also Ansatzpunkte, wir haben Möglichkeiten, diese Instrumente - ich spreche mich mit Nachdruck dafür aus - zu verbessern, sie umfassender zu gestalten und daraus ein Rückkehrförderungsinstrument umfassender Art zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, die Türken, die Türkei selbst, auch die Regierung muß erkennen, daß sie mit diesem Instrument, wenn sie die Rückkehr fördert - ({8})
- Ich forderte es ja, sehr geehrter Herr Kollege, auch von Ihnen, daß sie das erkennen,
({9})
daß sie ihre eigenen Instrumente nutzen, daß sie als Partner die Kapitalisierung dieser Mittel sowie die Kapitalausstattung verbessern, daß sie die organisierte Beratungshilfe vermehrt in Anspruch nehmen, die wir ihnen leisten wollen.
Meine Damen und Herren, die praktische Durchführung dieser Projekte - es gibt Probleme, erhebliche Probleme dabei; Frau Schuchardt weiß das, sie hat auf einige hingewiesen; wir wollen das ja gar nicht verschweigen ({10})
hat gezeigt, daß eine Unternehmensgründung in der Hand einer solchen Arbeitnehmergesellschaft vor allem dann erfolgreich ist, wenn der Standort direkt in der Heimatregion einer kleineren oder größeren Gruppe von Türken, die zurückkehren, liegt und wenn dort von einem solchen Kern von Rückkehrern aus, die mit ihrem technischen Know-how in ihre Heimat zurückkehren, eine breiter gestreute Entwicklungswirkung in einer Region - meinetwegen im östlichen Anatolien - ausgeht. Ich fordere die Bundesregierung deswegen auf, das Instrument der Arbeitnehmergesellschaften weiter auszubauen, es organisatorisch und finanziell so auszugestalten, daß wesentlich mehr Türken als bisher von dieser Rückkehrmöglichkeit Gebrauch machen.
Gewiß sind die Arbeitnehmergesellschaften primär ein entwicklungspolitisches Instrument. Aber es wird daran deutlich, daß richtig angefaßte Entwicklungspolitik ein Mittel ist, um den Menschenüberdruck auch im eigenen Lande, also hier in der Türkei und in vergleichbaren Ländern, zu mildern. Wenn dieser gemildert wird, wird damit gleichzeitig auch ein Anreiz für die Türken und ihre Familien bei uns geboten, in ihre Heimat zurückzukehren.
Meine Damen und Herren, wir erreichen das mit relativ bescheidenen Finanzhilfen. Auf eine Investition einer Arbeitnehmergesellschaft in Höhe von 1 Million DM kommt nach dem Schnitt der letzten Jahre ein Förderungsbetrag von 11 000 DM. Das ist also wenig mehr als 1 %. Für die Schaffung eines Arbeitsplatzes werden hier 1 000 DM an Förderung
1 aufgewandt. Mir scheint, daß wir hier auch von einer Kosten-Nutzen-Analyse her zu einem hervorragenden Ergebnis der Entwicklungspolitik kommen.
Nötig ist aber, daß die Arbeitnehmergesellschaften hier bei uns im Lande unter den Türken stärker propagiert werden, daß wir die Beratungshilfe intensivieren und die schwierigen Vorbereitungen einer Unternehmensgründung in diesem Lande besser und nachhaltiger betreuen. Der Haushaltsausschuß hat in seinen Beratungen der letzten Wochen im Bereich der Türkei-Hilfe durch eine Umschichtung erfreulicherweise weitere Mittel für diese Arbeit bereitgestellt. Aber die Bundesregierung muß jetzt entschlossen an die Verwirklichung herangehen.
Wir sollten dieses Instrument der. Rückkehrmotivierung durch Arbeitnehmergesellschaften auch in anderen südeuropäischen Ländern vermehrt einsetzen, beispielsweise in Griechenland. Regierungsverhandlungen dafür haben stattgefunden; das Abkommen ist noch nicht ratifiziert. Portugal müßte überprüft werden, Jugoslawien und vielleicht auch noch andere Länder.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch ganz kurz auf ein weiteres Problem eingehen dürfen. Das Asylantenproblem ist hier in dieser Debatte heute vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung der Abkürzung der Antragszeit usw. diskutiert worden. Es könnte hier aber auch noch mehr geschehen, um die einigen 100 000 unechten Asylbewerber, die wir in der Bundesrepublik haben, in ihre Heimat zurückzuführen.
) Hier gibt es ein Instrument einer Genfer Institution, die Rückkehr von Asylbewerbern in ihre Heimatländer mit relativ bescheidenen Mitteln zu fördern. Die Bundesregierung ist aufgefordert, auch dieses Instrument verstärkt zu nutzen, weil wir damit natürlich sehr viel Finanzmittel sparen können, die wir sonst in der Sozialhilfe aufwenden müßten, Herr Müller hat davon gesprochen.
Meine Damen und Herren, eine letzte Aufgabe, die in der Reintegration von Ausländern bei uns eine Rolle spielen sollte und die heute, glaube ich, hier noch nicht angesprochen worden ist, betrifft Studierende aus Entwicklungsländern in der Bundesrepublik. Wir haben rund 33 000 Studierende aus Entwicklungsländern. Diese Studierenden kennen häufig nach dem schwierigen Eingewöhnungsprozeß kein anderes Ziel mehr, als mit ihren in der Bundesrepublik erworbenen Fähigkeiten und Zeugnissen hierzubleiben - Ärzte, Ingenieure. Meine Damen und Herren, wir verschwenden hier menschliches Kapital. Wir müssen alles daran setzen und Mittel und Instrumente entwickeln, die Akademiker aus den Entwicklungsländern auf jeden Fall zur Rückkehr zu bewegen.
({11})
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.
Dazu ist zu fordern, daß in die Studieninhalte solche Angebote eingebaut
werden und dazu sind studienbegleitende Veranstaltungen notwendig.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich meine also, daß wir durch ein umfassendes Programm - und darin möchte ich ausdrücklich der Frau Kollegin Schuchardt beipflichten - der Rückkehrförderung und Reintegration zu einer wesentlichen Entzerrung der Ausländerproblematik bei uns beitragen können. Ich betrachte das als einen notwendigen praktischen Beitrag zu diesem sicher sehr schwierigen und dramatischen Kapitel unserer Politik und unserer Zeitgeschichte. - Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Peter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Je weiter die Debatte fortschreitet, desto größer. wird eigentlich die Unlust, Dinge, die gesprochen worden sind, mit Variationen zu wiederholen. Deshalb möchte ich am Schluß der Debatte nicht die Ausführungen über die Inhalte künftiger Ausländerpolitik um eine weitere Facette bereichern, sondern ich möchte ein Problem ansprechen, das mich schon im Laufe des ganzen Tages bei der Debatte bewegt, nämlich das Wissen, daß die Problematik in der deutschen Bevölkerung anders diskutiert als hier bei uns im Raume und daß in der ausländischen Bevölkerung das Problem ebenfalls anders diskutiert wird als hier im Raume. Wir haben heute eigentlich noch gar nicht darüber gesprochen, wie Ausländer und Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik über das denken, was wir über sie und nicht mit ihnen besprechen.
Ich habe das im eigenen Wahlkreis, der ein Wahlkreis mit einem hohen Anteil ausländischer Bevölkerung ist, mehrfach im Wechselbad am eigenen Leibe erfahren. Eine Erfahrung an einem Tag: Ich war nachmittags in einer Versammlung mit Vertrauensleuten eines Großbetriebs und abends in einer Diskussionsveranstaltung, die vom Ausländerbeirat der Stadt Kassel veranstaltet wurde. Hier gab es trotz aller Gewerkschaftsbeschlüsse auf offizieller Ebene die Erfahrung, daß Ausländer in der Diskussion bei den Arbeitnehmern und auch in anderen Teilen der Bevölkerung eine Sündenbockrolle einnehmen, ob es uns gefällt oder nicht, und dort bei den Ausländern selbst eine radikale Ablehnung beispielsweise auch der Beschlüsse der Bundesregierung erfolgt. Von dem Papier der Opposition wurde dort gar nicht geredet; da war offensichtlich gar kein Gesprächspartner vorhanden. Es führte zu der Erkenntnis, daß bei den Ausländern gegenüber unseren Beschlüssen Ängste bestehen. Dort wird unter dem Wort Integration tatsächlich häufig Germanisierung befürchtet, während Ausländer, wenn sie von Integration und Integrationsbereitschaft sprechen, Teilhabe an unserem Leben und die Freiheit meinen, sich in der Bundesrepublik bei Bewahrung kultureller Eigenständigkeit eine Lebensperspektive auftauen zu können.
Peter ({0})
Als das drängendste Kernproblem gilt das Problem der Familienzusammenführung. Heute ist der „Frankfurter Rundschau" zu entnehmen, daß sich das Internationale Forum ausländischer Arbeitnehmervereinigungen sehr kritisch zu unserer heutigen Diskussion äußert.
Allerdings habe ich auch Verständnis für das Problem gefunden, daß die Lösung der Schwierigkeiten ausländischer Mitbürger im Lande schwieriger wird, wenn der Zustrom permanent zunimmt. Das wird bei vielen, die die Diskussion im Bereich der Ausländer führen, durchaus gesehen. Somit muß diese Problematik bei uns auf die Menschenrechte und die Grundrechte und die Familienzusammenführung bezogen werden, wo es die meisten Schwierigkeiten zu geben scheint.
In der Bevölkerung gibt es also zwei Trends: Vorurteile auf der einen Seite, Befürchtungen und Ängste, die in Aggression umschlagen können, auf der anderen Seite schaffen eine explosive Stimmung. Es hat dabei wenig Zweck, nach den Verursachern zu suchen, weil das Verursacherprinzip in dieser Frage einfach nicht auf der Tagesordnung steht, gleichgültig ob man über die Unternehmen spricht, die die Ausländer als Arbeitskräfte ins Land gerufen haben, oder ob man über Fragen spricht, an welcher Stelle was und wie von Politikern gemacht worden ist.
Die Forderung richtet sich vielmehr an uns alle, als Politiker dafür zu sorgen, daß eine wesentliche Rahmenbedingung für Integration im Bewußtsein der Menschen liegt und daß wir die Verantwortung und die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß dabei um das richtige Bewußtsein der Menschen gerungen wird. Es liegt an uns, wie wir in Versammlungen den Vorurteilen, die vorhanden sind, entgegentreten. Auch wenn ein Diskussionsteilnehmer noch so energisch und aggressiv ein Vorurteil formuliert, gleichgültig ob es sich um eine Mißbrauchsdiskussion oder um ein anderes Thema handelt, scheint mir die Forderung berechtigt zu sein, daß wir eine differenzierte Beschreibung des Problems dagegenhalten, wobei klargemacht werden muß, daß der Ausländer der Kollege, der Mitbürger, der Mitbewohner des Stadtteils, der Mitschüler ist. Ich habe kein Verständnis dafür, daß in einem Stadtteil mit einem hohen Ausländeranteil die Forderung lautet, die weiterführenden Schulen woanders zu besuchen, wenn es die Möglichkeit gibt, beispielsweise in Gesamtschulen wesentliche Integration herbeizuführen und zu leisten.
Die Regelung der Probleme muß durch das Gespräch mit den Ausländern und auch durch die Beteiligung der Ausländer an politischen Entscheidungen vorangetrieben werden. Es gibt unterhalb der Ebene des kommunalen Wahlrechts viele Beteiligungsmöglichkeiten. Ich weiß nicht, ob die Möglichkeiten Ausländerbeiräte einzurichten und andere Arten der Teilhabe zu schaffen, in allen Kommunen ausgenutzt werden. Kommunales Wahlrecht kann nur eine Zielperspektive sein. Mir sind Zweifel gekommen, ob Integration überhaupt möglich ist, wenn wir als Gesetzgeber den ausländischen Mitbürgern als Obrigkeit entgegentreten, wenn wir über Ausländer statt mit den Ausländern reden. Ich
weiß nicht, wie das zu realisieren ist. Ich kann das Problem beschreiben. Ich könnte es ausführen. Nur ein Denkanstoß: Wir haben schon bei vielen Gesetzesvorhaben - es stehen ja einige gesetzliche Regelungen an - die Betroffenen gehört. Müßten wir nicht auch im Bereich der jetzt von uns diskutierten Gesetze über andere, die keine politischen Mitwirkungsrechte haben, nach Wegen suchen, die Betroffenen zu hören? - Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einen kurzen Beitrag zu dem Thema Ausländerpolitik und innere Sicherheit liefern; denn wir müssen auch bei dem Thema Ausländerpolitik die innere Sicherheit im Auge behalten. Wir müssen feststellen, daß die Kriminalitätsquote der Ausländer in der Bundesrepublik höher ist als die der deutschen Bevölkerung. 1980 betrug sie 15 %. Es waren also 15 % aller Tatverdächtigen Nichtdeutsche, und der Bevölkerungsanteil der Ausländer betrug zu diesem Zeitpunkt 6,9 %. Eine ganz große Sorge muß uns in diesem Zusammenhang die Kriminalität jugendlicher und heranwachsender Ausländer bereiten. Auffallend ist nämlich, daß bei ihnen gerade die sogenannten Aggressionsdelikte wie gefährliche schwere Körperverletzung oder Raub sehr stark vorkommen.
Ich habe heute vormittag die Frage des Kollegen Hölscher von der FDP an unsere Adresse gehört, warum wir in unserem Antrag nicht auch etwas über die Ursachen gesagt hätten. Ich habe dann im Antrag der Koalition nachgesehen und festgestellt, daß zu dem Thema Kriminalität und gerade zu der Kriminalität bei den Jugendlichen überhaupt nichts ausgesagt ist. Ich muß mich also sehr wundern, daß diese Frage an uns gerichtet ist.
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Ich werde darauf aber noch in einem kurzen Satz zurückkommen.
Um Ihnen an einem Beispiel zu zeigen, wie stark die Jugendkriminalität bei den Ausländern ausgeprägt ist: Die Belastungszahl bei Raub - jeweils bezogen auf 100 000 Personen dieser Altersgruppen - liegt bei den ausländischen Jugendlichen bei 466 und im Vergleich dazu bei den deutschen Jugendlichen bei 174, bei den Heranwachsenden liegt die Zahl bei 752 bei den Ausländern und bei 249 bei den Deutschen. Natürlich geht es so ähnlich auch weiter bei der schweren und gefährlichen Körperverletzung, beim einfachen Diebstahl und bei der Sachbeschädigung.
Aber jetzt ein Wort zu den Ursachen. Die Ursachen dieser erhöhten Kriminalität müssen genau untersucht und beurteilt werden. Es kann bezweifelt werden, daß diese Ursachen ausländerspezifische Kriterien aufweisen. Es muß eher angenommen werden, daß die Ursachen Kennzeichen haben, die durch die spezifischen Lebensverhältnisse der jugendlichen Ausländer hier bei uns geprägt sind. Die notwendigen Konsequenzen zum Abbau dieser Kri4972
minalität liegen also nicht so sehr auf dem polizeilichen Sektor, sondern vielmehr auf dem Gebiet der gesellschaftlichen, der sozialen Integration. Entscheidend wird es also darauf ankommen, ob es uns gelingt, die jugendlichen Ausländer zu integrieren und ihnen überhaupt eine faire Chance in unserer Gesellschaft zu geben.
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Nun noch ein Wort zur Kriminalität der erwachsenen Ausländer im Bereich der Rauschgiftdelikte. Hier haben wir einen hohen Anteil der Ausländer festzustellen. Wie das Bundeskriminalamt in einer kriminologischen Untersuchung ausführt, dominieren im Heroinhandel auf der mittleren und der höheren Ebene Ausländer. Es gibt sogar Hinweise auf eine mafiose Organisation gerade bei dem Heroinhandel.
Nun noch ein kurzes Wort zum Ausländerextremismus. Wir haben seit 1970 auch eine steigende Zahl von Mitgliedern extremistischer Gruppen. 1970 betrug die Anzahl ausländischer Extremisten 50 000, 1980 waren es 109 600, also eine Verdopplung in zehn Jahren. Davon sind 63 000 Mitglieder orthodox-kommunistischer Gruppen, 31 000 Mitglieder rechtsextremistischer Gruppen, und 14 000 zählen wir zu den Neuen Linken.
Vielleicht darf man an dieser Stelle noch hervorheben - wie es der Verfassungsschutzbericht getan hat -, daß viele Ausländer nicht deshalb in diesen extremistischen Organisationen sind, weil sie sich mit ihren Zielen identifizieren, sondern weil sie glauben, eben dort Hilfe und Unterstützung im Hinblick auf ihre Lebensverhältnisse hier bei uns im Gastland zu haben. Bestimmend für die Aktivitäten der ausländischen Extremisten sind nach wie vor in erster Linie die politischen Verhältnisse und Konfliktsituationen in ihren Heimatländern.
Noch ein Wort zu den terroristischen Anschlägen in der Bundesrepublik: Sie drohen nach wie vor in hohem Maße von palästinensischen Organisationen sowie von Kommandogruppen oder Einzeltätern, die beauftragt sind, Regimegegner außerhalb der jeweiligen Länder aufzuspüren und zu töten.
In diesem Zusammenhang möchte ich heute auch einmal auf ein aufsehenerregendes Urteil des Saarbrücker Schwurgerichts hinweisen, das in seinem Tatsachenteil die Urheberschaft eines Mordauftrages jugoslawischen amtlichen Stellen zuweist. Ich möchte das gerade auch an die Adresse des Herrn Bundesinnenministers richten, der ja gelegentlich mit dem jugoslawischen Innenminister zusammentrifft und ihm diese Tatsache bestimmt auch unterbreitet hat oder unterbreiten muß.
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Ein Alarmzeichen ist auch die wachsende Zusammenarbeit z. B. zwischen türkischen und deutschen extremistischen Gruppen. So sehen insbesondere deutsche Organisationen der Neuen Linken in der Zusammenarbeit mit türkischen Gesinnungsgenossen eine Chance, ihr schwächer gewordenes Potential bei bestimmten Anlässen zu verstärken.
In Zukunft müssen wir also von der Möglichkeit, extremistische Ausländervereinigungen zu verbieten, stärker Gebrauch machen. Es kann nicht hingenommen werden, daß Ausländer die politischen Gegensätze ihres Heimatlandes auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland austragen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Kriminalität und der politische Extremismus sind Verstöße gegen das Gastrecht.
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In allererster Linie stehen aber und müssen stehen unsere Bemühungen zur Integration, um die Kriminalität zu verhindern. Wo das nicht ausreicht, müssen natürlich auch repressive Maßnahmen ergriffen werden. Wir haben sie in unserem Antrag auch genannt.
Erstens. Politisch motivierte Gewalttäter, politische Extremisten und zu Freiheitsstrafen verurteilte Rechtsbrecher müssen ausgewiesen werden.
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Zweitens. Ausländervereinigungen mit politisch extremistischen Zielsetzungen müssen verstärkt überwacht werden, und wenn sie den inneren Frieden in unserem Land verletzen, müssen sie auch verboten werden.
Drittens. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit unseren Ausländerbehörden muß verbessert werden, aber auch die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden mit uns befreundeter Nachbarstaaten, damit wir auf diese Weise eine Verbesserung bei der Bekämpfung der Ausländerkriminalität und des Ausländerextremismus überhaupt erreichen.
Die Eindämmung der Kriminalität der Ausländer und die Eindämmung des Ausländerextremismus liegen nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern auch im Interesse der gesetzestreuen und der anständigen ausländischen Mitbürger hier bei uns. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Hauptfehler dieser langen Debatte scheint mir zu sein, daß die Opposition, abgesehen von sehr vielen Wiederholungen, Tatsachen und Meinungen als kontrovers darzustellen versucht, über die im ganzen Haus in Wirklichkeit Übereinstimmung besteht.
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- Ich bringe Ihnen die Beispiele, Herr Spranger. Wozu schildern Sie eine lange Reihe von Zahlen und Tatsachen, die bekannt und gar nicht umstritten sind? Warum begründen Sie z. B. so vielfältig und dramatisch die Notwendigkeit, den Zuzug aus dem Ausland zu beschränken, wenn doch die Bundesregierung den Ländern schon entsprechende konkrete Maßnahmen empfohlen hat und diese Maßnahmen
auch gleichmäßig oder fast gleichmäßig überall befolgt werden? Gerade Herr Minister Herzog aus Baden-Württemberg, der Ihrer Partei angehört, hat darauf hingewiesen, daß die Länder, ganz gleich, wer sie regiert, das Ermessen bei der Familienzusammenführung auch praktisch gleichmäßig handhaben. Ich verstehe auch nicht, warum Sie behaupten, daß die Familienzusammenführung jedes Jahr größere Zahlen nach Deutschland bringt. Herr Minister Baum hat hier ganz klar mit konkreten Zahlen dargetan, daß die Zahlen im letzten Jahr, also 1981 gegenüber 1980, zurückgegangen sind. Niemand von Ihnen hat diese Zahlen bestritten. Sie können doch diese Wirklichkeit hier nicht ignorieren. Ich bin der Meinung, Sie müßten erst einmal abwarten, wenigstens kurze Zeit abwarten, wie die Zahlen 1982 aussehen, ehe Sie so schreckliche Folgerungen ziehen.
Auch bei der Asylproblematik erwähnen Sie eine ganze Reihe von Tatsachen, die bekannt sind und die sicherlich sehr bald in diesem Haus abschließend behandelt werden.
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- Ich hoffe es nicht nur, Herr Spranger, sondern ich bin sicher, daß das bald kommt, obwohl ich Ihnen zugebe, es hätte vielleicht auch schon etwas eher sein können.
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- Ja, Propheten waren Sie 1978 nicht und wir auch nicht. Ich halte es jedenfalls nicht für richtig, die Dringlichkeit dieses Problems, die j a gar nicht strittig ist, hier noch einmal so ausführlich darzulegen.
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Ich halte es auch nicht für sinnvoll, diese Debatte, die nach unserer Überzeugung bald kommt, hier heute vollkommen vorwegzunehmen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal darauf hinweisen - mehr will ich jetzt zu dem Asylproblem nicht sagen -, daß die Gesamtzahl aller Asylbewerber, ob ihr Antrag sich nun als berechtigt oder als nicht berechtigt herausstellen wird, aus diesem Jahr und aus dem vorigen Jahr und aus den vorhergehenden Jahren nicht einmal 3 % der Ausländer beträgt, die sich legal in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Bei aller Wichtigkeit des Asylproblems erscheint es mir nicht angemessen, daß für diese 3 % der Ausländer, über die wir demnächst hier abschließend und ausführlich reden werden, fast 50 % der ganzen Zeit aufgewendet wird, die heute für die Ausländerdebatte verwandt wird.
Ich möchte noch kurz zwei Punkte erwähnen, über die sicherlich ein Dissens besteht. Das ist einmal Ihre Behauptung, Herr Spranger, die Türken ließen sich gar nicht integrieren. Herr Dregger hat das - entsprechend dem ganzen Gestus seiner Rede - etwas vorsichtiger gesagt. Ich glaube, so ein Pauschalurteil über ein ganzes Volk ist auch ein Pauschalvorurteil. Die Türken sind Individuen genauso wie die Deutschen und die Angehörigen jedes anderen Volkes auch. Meine Freunde haben hier eine große Zahl
von eindrucksvollen Beispielen dargelegt, wie eine Reihe von Türken sich gut und trotz aller Widrigkeiten, die man anerkennen muß, in eine fremde Umwelt hineingefunden haben. Man kann auch nicht ernstlich bestreiten, daß die Zahl dieser guten Beispiele zunimmt. Wir sollten dazu helfen, daß diese Zahl der guten Beispiele wächst.
Wenn man nicht will, daß die Gettos anwachsen, dann darf man die Türken, die eine normale Wohnung haben wollen und die auch eine relativ höhere Miete, eine „normale Miete" zahlen wollen, nicht zurückweisen und darf sie bei der Wohnungssuche nicht diskriminieren. Es gibt z. B. eine Untersuchung des Senats von Berlin, wonach eine größere Zahl von Türken durchaus bereit ist, eine höhere Miete zu zahlen. Sie wollen dann natürlich auch wissen, daß sie auf Dauer hier bleiben können, und möchten von der Unsicherheit, die teilweise auf ihnen lastet, befreit werden. Dann soll man ihnen dadurch helfen, daß man sie bei der Wohnungssuche auch wirklich gleichberechtigt behandelt.
Eine solche Hilfe für die jungen Leute ist auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Das wollen die Regierungsparteien, aber die CDU/CSU will das in ihrem Antrag nicht. Es ist aber doch nichts Ungewöhnliches im internationalen Recht, daß eine Staatsangehörigkeit auf diese Weise erworben wird. In sehr vielen Ländern der Welt - ich glaube, es sind über 50, darunter beispielsweise die Vereinigten Staaten - genügt die bloße Geburt im Gastland, um die Staatsangehörigkeit zu erwerben. Wenn die Bundesrepublik Deutschland den Ausländern nur soweit entgegengehen will, jemandem, der hier geboren ist, sich lange Jahre hier aufgehalten und seine Schulbildung erworben hat, auf seinen Wunsch hin die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen, dann sollte man das für vernünftig halten und nicht so geringschätzig von der „Postkarteneinbürgerung" sprechen. Es ist doch wirklich nur vernünftig, wenn man die Anstrengungen, die die Ausländer unternommen haben, auch entsprechend würdigt.
Zum Schluß möchte ich noch eine geradezu gespenstische Behauptung zurückweisen in der Hoffnung, daß dieses Gespenst hier zum letztenmal auftaucht. Dieses Gespenst hat zunächst Herr Dregger beschworen, nämlich daß uns eine Invasion von Asiaten und Afrikanern bevorsteht. Das ist die allerneueste Version, die uns hier aufgetischt wird, wie bedroht wir seien. Ich glaube, wir haben genug Probleme und sollten hier nicht ein solches Scheinproblem hochziehen.
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Ich hoffe, daß dieses Gespenst zum letztenmal hier aufgetaucht ist. Ich komme auch auf Sie, Herr Spranger, weil Sie es auch beschworen haben.
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- Ich meine die schwarze Hautfarbe. In das Innere eines Menschen kann man j a nicht sehen.
Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Behauptung von Herrn Dregger, daß britische Staatsangehörige mit schwarzer Haut4974
farbe in Massen in die Bundesrepublik Deutschland kommen könnten. Das wäre übrigens, wenn dies die Belange unseres Staats beeinträchtigte, auch unter dem Recht der Europäischen Gemeinschaft durchaus zu verhindern.
Herr Spranger, Sie sagten, Afrikaner und Asiaten seien überhaupt nicht zu integrieren. Das sagten Sie ganz abrupt. Ich will unterstellen, daß die von Herrn Dregger genannte Zahl von 190 000 richtig ist. Sie ist aber in Relation zu den 4 600 000 gar nicht so erheblich. Wen wollen Sie denn, Herr Kollege Spranger, als „nicht integrierbaren" Asiaten oder Afrikaner wieder abschieben? Etwa die Vietnamesen, für deren Aufnahme Sie sich doch sicher auch eingesetzt haben und die für ihre Anpassungswilligkeit und -fähigkeit gelobt werden? Wollen Sie, da wir bei den Asiaten sind, vielleicht die Afghanen wieder nach Hause schicken und ihnen in ihrer Heimat ein tragisches Schicksal bereiten? Einige tausend Afghanen halten sich, wie Herr Baum dargelegt hat, in der Bundesrepublik Deutschland auf. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
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- Sie haben pauschal von Asiaten und Afrikanern gesprochen. Ich habe Ihnen dargelegt, was unter diese Begriffe fällt und welche Beispiele Sie damit heraufbeschwören.
Ich glaube jedenfalls, daß diese Beispiele genügen, um zu zeigen, in welche Übersteigerungen sich die Opposition zum Teil begeben hat. Es ist sicher Zeit, wieder auf den Boden der Tatsachen und der Vernunft zurückzukehren. Das könnte einer Problemlösung nur dienlich sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Ihnen aus zeitlichen Gründen die Debatte vielleicht zu lange dauert, dann habe ich dafür Verständnis.
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- Aber wir haben es ganz im Griff, Herr Kollege Urbaniak, auch ohne Herrn Dregger. Wir haben es voll im Griff für unsere Fraktion. Sie brauchen sich da keine Sorgen zu machen.
Ich habe den leisen Verdacht, daß es Ihnen eigentlich nicht so sehr um die fortgeschrittene Zeit geht, sondern daß Ihnen gerade der Themenbereich, der in dieser Debatte immer wieder angeklungen ist und über den ich noch einige Sätze verlieren möchte, nämlich die Frage „Wie halten wir es mit dem Asylrecht?" oder „Wie halten wir es mit einer vernünftigen Regelung unseres Asylrechtsverfahrens?", nicht ganz angenehm ist.
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Beim Kollegen Bühling ist dies sogar durchgeklungen, als er meinte, man hätte das ganze Verfahren
im Bundestag etwas schneller gestalten können, bis man zu einer Verabschiedung der Gesetze, die notwendig sind, kommt.
Heute vormittag ist zweimal von den Alarmglokken gesprochen worden, die schon zu Beginn der 70er Jahre erklungen seien.
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- Ja, spätestens ab dem Jahre 1977 waren es Sirenen, Herr Kollege Bühling,
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die wir in der Form von Gesetzesvorschlägen hier im Hause haben ertönen lassen.
Der Kollege Hölscher hat uns am Vormittag den Vorwurf gemacht - was ich nicht ganz verstehe -, wir sprächen in unserem Papier das Asylrecht in unangemessener Weise an. Vielleicht richtet es ihm einer aus: Bei uns steht „Mißbrauch des Asylrechts". Wer will, kann das doch sicherlich lesen.
Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie sich in Ihrem Papier dagegen wenden, daß die beiden Dinge zusammen behandelt werden, sind wir sehr wohl der Auffassung, daß die Probleme zusammen gesehen werden müssen. Wenn ich den Herrn Bundesinnenminister im September des vergangenen Jahres richtig verstanden habe, als er zu dem Koalitionsentwurf über das Asylverfahrensgesetz sprach, hat er damals auch von dem großen Zusammenhang, den man sehen müsse, geredet. Allerdings hat er damals auch eine Ankündigung gemacht, von der wir heute und auch in den vergangenen Monaten nicht viel gemerkt haben, nämlich daß jetzt der große Wurf komme, mit dem alle diese Probleme gelöst würden.
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Im Gegenteil: Herr Minister Baum hat heute meines Erachtens überpointiert dargestellt, daß die Probleme nicht mehr so gravierend seien; denn die Durchschnittszahlen seien zurückgegangen. Zugestanden, aber auch die Zahl von 45 000, die wir im vergangenen Jahr erreicht haben und die wir nach den jetzigen Monatszahlen in diesem Jahr ebenfalls erreichen werden, ist noch groß genug, so daß wir die Probleme durch schnellere Verfahren werden lösen müssen.
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Auch die 107 000 aus dem Jahr 1980 sind j a zum großen Teil noch da, und die Verfahren harren der Erledigung. Aber bei der Bundesregierung ging es dann nach dem Motto „Es gibt genug zu tun - lassen wir es liegen".
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Das ist im Grunde das Motto, das man hierüber setzen kann.
Ich wiederhole das, was ich vor wenigen Monaten schon einmal gesagt habe - es hätte der Ermahnung des Herrn Innenministers gar nicht bedurft -: Art. 16 des Grundgesetzes ist unbestritten. Da gibt es eine Äußerung eines Landesministers, die Sie uns unter die Nase halten können. Natürlich, das weiß
ich auch. Aber darüber gibt es überhaupt nichts zu debattieren, wenn auch nicht übersehen werden darf, daß die Väter des Grundgesetzes natürlich nicht an Massenfluchtbewegungen gedacht haben, sondern an Einzelschicksale, die man auf Grund unserer leidvollen Erfahrung mit Art. 16 in den Griff bekommen wollte. Daran gibt es nichts zu rütteln, auch wenn es mehr sind, als die Väter des Grundgesetzes damals gedacht haben.
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Herr Kollege Dreßler, die Geisterbeschwörung, die Sie heute in einer sicherlich theoretisch interessanten Vorlesung gebracht haben, führt uns überhaupt nicht weiter.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Emmerlich?
Ja, bitte.
Herr Kollege Bötsch, stimmen Sie mir zu, daß es auch dann um Einzelschicksale geht, wenn der Asylantrag nicht von nur wenigen, sondern von zahlreichen Menschen gestellt wird?
Ja, ich stimme dem durchaus zu. Aber die Väter des Grundgesetzes haben natürlich nicht daran gedacht, daß es notwendig sein würde, die Verfahren schneller zu gestalten, weil die Belastung für die Bevölkerung natürlich überhaupt nicht ins Gewicht fällt, wenn bei einem einzelnen ein Verfahren fünf bis sieben Jahre dauert. Wenn es sich jedoch um Massen von Asylanten handelt, ist das der Fall.
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- Ich bitte um Verständnis, wenn ich es bei dieser Zwischenfrage belasse. Wir haben uns auf zehn Minuten Redezeit geeinigt, und ich habe nur noch vier Minuten.
Herr Kollege Poß, auch die politische Gesäßgeographie, die Sie mit rechts/ links aufgemacht haben, führt uns überhaupt nicht weiter. Sie haben das mit lauter Stimme verkündet, was sicherlich einen Gegensatz zu den von Ihnen wahrgenommenen - ich habe sie nicht gehört - angeblichen leisen Grausamkeiten meines Kollegen Seehofer darstellt.
Überhaupt ist es heute in einigen Beiträgen wieder so durchgeklungen, als seien das die Ewiggestrigen, die sich so mit dem Problem auseinandersetzten. Das kommt mir so ähnlich vor wie die Briefe, die der Herr Bundeskanzler hier vor einigen Wochen beschworen hat und die inzwischen offenbar in der Reißmaschine vernichtet oder durch den Kamin des Bundeskanzleramtes in die Luft gejagt worden sind,
weil Sie ihnen doch nicht die Bedeutung beigemessen haben, die sie eigentlich erfordert hätten.
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Herr Schnoor aus Nordrhein-Westfalen hat offensichtlich vergessen, daß auch Nordrhein-Westfalen dem Gesetzentwurf des Bundesrates zugestimmt hat. Jedenfalls weiß ich nicht, warum er gegen einzelne dieser Bestimmungen gesprochen hat. Dieser Gesetzentwurf des Bundesrates hätte eine praktikable Lösung gebracht, wenn man bereit gewesen wäre, sich im Detail mit ihm zu beschäftigen. Aber jetzt, wo wir eigentlich - im Innenausschuß hat man schon abgestimmt - im Rechtsausschuß soweit gewesen wären, braucht man plötzlich noch ein Hearing, wo doch - da stimme ich Herrn Bühling zu
die Tatsachen, die zu der Gesetzesnovelle führen müssen, längst bekannt sind. Da frage ich mich: warum dann eigentlich noch ein Hearing?
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Die Frage konnte mir leider nicht beantwortet werden.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nur - auch wenn es wie eine tibetanische Gebetsmühle klingt - folgendes sagen: Wenn wir heute diese Debatte so ausführlich führen mußten, dann natürlich deswegen, weil sich die Koalition seit fünf Vierteljahren nicht in vernünftiger Weise zu einer Lösung durchringen konnte.
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Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie: Bedenken Sie bitte, daß der Bundesrat hierzu gebraucht wird. Wir alle haben vor wenigen Wochen die Rede des Kollegen Conradi gehört - ich darf für mich persönlich sagen: eigentlich mit Sympathie, nicht gegenüber ihrem Inhalt,
({5}) aber bezüglich der formalen Seite,
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nicht also bezüglich ihres Inhalts, mit dem sie die Maßnahme kritisiert hat, sondern hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Teils, der uns doch zumindest Anlaß zu Bedenken geben sollte.
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Ich meine, wir sollten hier versuchen, eine gemeinsame vernünftige Lösung zu finden, damit wir, die wir nicht dem Vermittlungsausschuß angehören, nicht wieder staunend vor den Türen stehen und auf das warten, was herauskommt; und am Freitag um 14.30 Uhr stimmen wir dann hier so oder so ab.
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Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu zweien meiner Vorredner einige kurze Bemerkungen: Kollege Bötsch, das war wieder einmal voll aus dem gesamten Asylkatalog aufgeblättert, und Vorschläge, das Problem in den Griff zu bekommen, sind j a wirklich genügend vorhanden. Aber tun wir doch nicht so, als ob wir uns nicht einig wären! Sie kennen genau wie wir die Mängel des Bundesratsentwurfs. In besonders schwierigen Sachen, letzthin etwa bei der Neuordnung des Betäubungsmittelrechts, sind wir darangegangen, uns schon vorher mit der anderen Seite abzustimmen. Es wäre ganz gut gewesen, wenn sich auch einmal der Bundesrat noch etwas stärker bei uns vorgetastet hätte, so wie auch wir jetzt bereit sind, bei ihm abzutasten, was insgesamt geht. Und auf sonst gar nichts kommt es an!
Bei dieser Gelegenheit hat natürlich auch das Hearing seine Bedeutung. Sie fragen „warum?"; Sie sagen „jeder weiß Bescheid". Ich sage Ihnen auf den Kopf zu, daß Sie ebenso wenig wie ich Bescheid wissen.
({0})
Denn wenn ich mich recht erinnere, waren Sie auch neulich mit dem Rechtsausschuß in Berlin und konnten erleben, was dort namhafte Richter und der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin uns gesagt haben. Wir waren uns doch darüber einig, daß dies - diese widersprüchlichen Stellungnahmen, dieses völlige Auseinanderlaufen - ein Ausgangspunkt nicht sein kann. Deswegen jetzt in einem konzentrierten Hearing nochmals Richter, die mit den Problemen befaßt sind, anzuhören und von ihnen eine Stellungnahme zu erbitten, das ist keine ungebührliche zeitliche Verzögerung.
Herr Kollege Dr. Miltner, nur eine kurze Anmerkung: Man sollte das, was Sie eingangs sagten, nicht so im Raume stehenlassen, nämlich daß die Kriminalität der Ausländer höher ist als die der Deutschen. Man muß das etwas aufgliedern. Wir haben ja heute auch das Gegenteil gehört; die Zahlen habe ich jetzt im einzelnen nicht parat. Wir wissen aber eines: daß, viele Jahre zurückliegend, die Kriminalität bei den Gastarbeitern, obwohl diese hauptsächlich Männer waren, bei denen die Kriminalität erfahrungsgemäß höher liegt, und obwohl sie fast ausschließlich in einem Alter waren, in dem die Kriminalität höher liegt als bei älteren Menschen, weit niedriger gelegen hat als bei der deutschen Bevölkerung.
Mittlerweile ist allerdings folgende Änderung zu verzeichnen. Wir müssen die Kriminalität der illegal hier anwesenden Ausländer ausgliedern, die natürlich schon auf Grund ihrer Lebenssituation häufig in hohem Maß kriminell sind. Zunehmend sind wir jetzt - ein Blick in die USA und andere Länder, die viele Jahrzehnte vorher bereits mit diesen Fragen konfrontiert waren, sollte immer angezeigt sein - mit der Kriminalität der zweiten und der dritten Generation konfrontiert. Sie allerdings muß uns fürchten machen.
Ich möchte als der letzte Redner der heutigen langen Debatte einige Fragen aufgreifen.
Ich stelle mir die Frage: Welchen Sinn hatte diese Debatte? Ich glaube, sie hat ihren Sinn dann gehabt, wenn sie dazu beigetragen hat, daß wir uns der Größe des Problems stärker bewußt geworden sind, und wenn wir uns bemühen wollen, eine realistische Sicht des Problems zu gewinnen.
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Aus dieser realistischen Sicht müssen sich dann die Lösungen für die Zukunft ableiten.
Deswegen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist dieses Thema für die Konfrontation nicht geeignet. Die blinde Konfrontation trübt den Blick. Wir brauchen den klaren Blick, um die Zukunft bewältigen zu können.
Ich hatte heute den Eindruck, daß der Kollege Dr. Dregger das erkannt hat. Er hat ja nur einige Pflichtübungen eines Konfrontationsversuchs gemacht. Umgekehrt ist der Kollege Spranger sich ganz treu geblieben.
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Das trägt sicher nicht dazu bei, daß wir erkennen - was ich Realismus nenne -, daß wir es mit einem selbstgeschaffenen Problem zu tun haben.
Das existiert ja nicht erst seit gestern. Es kann von Ihnen auch nicht etwa auf das Jahr 1969 zurückgeführt werden. Vielmehr gab es die ersten Anwerbungsvereinbarungen 1955 und den geregelten Familiennachzug 1965.
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Man muß einmal aufblättern. - Herr Kollege Spranger, können wir nicht zusammenkommen? Ich meine das nicht unter dem Motto: Wir wollen alle gemeinsam schuld sein. Vielmehr müssen wir doch von der Verursachung her erkennen, daß hier der Bund und alle Bundesregierungen, beginnend mit dem zweiten Kabinett Konrad Adenauers, daran beteiligt waren, die ersten Schritte und die ersten Ursachen zu setzen, weiterführend über die Länder. Die türkische Stadt Kreuzberg ist j a nicht durch Bundeszwang entstanden.
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Darüber müßte man einmal nachdenken. Denken wir auch an die Gemeinden und die Unternehmen und an die einzelnen Bürger, die sich die Hände nicht mehr schmutzig machen wollten und hocherfreut gesehen haben, daß es bequemer ist, sich bei unangenehmer Arbeit bedienen zu lassen.
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Herr Kollege, ich glaube, nur dies kann ein vernünftiger Ausgangspunkt und eine realistische Betrachtungsweise sein. Dafür, daß wir an dem Problem in all den Jahren völlig vorbeigegangen sind, ist für mich ein deutliches Indiz, daß - dem MinisteEngelhard
rium und seinem Ansehen tue ich mit dieser Feststellung keinen Abbruch - bis zum heutigen Tag das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung federführend ist. Seit den Anfängen, als man erst Zehntausende, dann Hunderttausende und schließlich Millionen ausländischer Staatsbürger ins Land genommen hat, hat man übersehen, daß das eine zentrale Frage von staatspolitischer Bedeutung ist. Vielleicht hängt es mit unserer jüngeren Geschichte - der trüben - zusammen, daß wir nicht rechtzeitig bereit waren, zu sehen, daß ein Staat eben mehr ist als ein großer Produktionsbetrieb, der auf Umsatz, auf Arbeitskräfte und auf einiges mehr zu sehen hat, daß die staatspolitische Bedeutung nicht gestrichen werden kann, wenn man nicht an den Problemen vorbeigehen will. Erst wenn man sich bewußt ist, daß man das Problem nicht ausradieren kann und daß hier in der ganzen Breite durch die Jahrzehnte Fehler gemacht wurden, gelangt man zu einer realistischen Sicht. Und die kann, Herr Kollege Dregger und Herr Spranger - er ist noch da -, niemals die Rückkehr zum Rotationsprinzip bedeuten. Ich meine, das, was hier heute von Ihnen aufgeführt wurde, ist in der Tat unrealistische Gaukelei, die der Bevölkerung Sand in die Augen streut,
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Hoffnungen in ihr erweckt, Visionen der guten alten Zeit heraufbeschwört, die nicht wiederkommt und nicht wiederkommen kann. Sie wissen es doch genau.
Ich habe mich in diesen Tagen an eine Debatte erinnert, die ich im Münchener Stadtrat geführt habe, als noch unter Oberbürgermeister Dr. Vogel eine Problemstudie - so dick! - über all diese Fragen erstellt wurde. Als wir debattierten, war uns klar, daß uns nur Integration bei gleichzeitiger strikter Drosselung des weiteren Zuzugs eine Lösung ermöglicht und daß die Drosselung des Zuzugs die Voraussetzung für eine Integration ist. Zehn Jahre sind ins Land gegangen, ohne daß das Entscheidende geschehen ist. Daher müssen wir uns jetzt auf den Weg machen, nun wirklich gemeinsam die Probleme anzupacken und sie vernünftig zu lösen.
Ich muß zum Schluß kommen und will lediglich, wenn der Herr Präsident es gestattet, eine letzte Bemerkung machen. Es ist heute wiederholt von der Ausländerfeindlichkeit gesprochen worden. Manches, was in diesem Bereich gesagt wurde, hat mir nicht besonders gefallen. Unser Problem sind nicht die kriminellen Aggressoren - die Polizei und die Gerichte werden dafür sorgen, sie dorthin zu bringen, wo sie hingehören -, unser Problem ist, auch in den Ballungsgebieten eine solche Atmosphäre zu schaffen, daß bei der einheimischen Bevölkerung die Überfremdungsängste nicht überhand nehmen. Überlegen wir einmal: Diese Bevölkerung hat über die Jahre mit den ausländischen Mitbürgern zusammengelebt. Sie war doch tolerant. Und was hat sich innerhalb von noch überschaubaren Jahren geändert! Noch keine 40 Jahre ist es her, daß der Durchschnitt deutscher Bürger einen andersfarbigen Menschen in seinem Leben nie zu Gesicht bekommen hat - vielleicht auf einem Jahrmarkt; aber da war es meist kein echter, sondern ein zurechtgemachter Gaukler aus der nahegelegenen Vorstadt. Das macht heute die Dimension deutlich, was gerade ältere Menschen mit Toleranz und Verständnis hingenommen haben und wie sie ihr Leben zu gestalten gewußt haben. Ich glaube, es gehört auch zur Politik, die Menschen nicht immer zu überfordern. Der Appell, das Unmögliche von ihnen zu verlangen, ist meines Erachtens auch inhuman. So wie dieser Staat für die Lebensbedingungen der Ausländer zu sorgen hat, so hat er auch die Sorge dafür zu tragen, daß seine eigenen Bürger im eigenen Lande den Anschluß finden,
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um die Kraft und die Bereitschaft aufrechterhalten zu können, mit ausländischen Bürgern in Frieden zusammenzuleben.
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Das Wort hat der Bundesminister Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige so lange, diesem so ernsten Problem gewidmete Debatte hat, glaube ich, wenn man geneigt ist, die Tatsache zu übersehen, daß der Kollege Spranger sich selbst treu geblieben ist, und auch einige Akzente bei dem Kollegen Bötsch - deutlich werden lassen - es war nach dem Antrag der Opposition anfangs nicht zu erwarten -, daß bei diesem so schwierigen Thema in diesem Hohen Haus viel mehr Gemeinsamkeit vorhanden ist, als in Einzeläußerungen oft zum Ausdruck kommt. Ich halte das für ein sehr positives, ein gutes Ergebnis dieser Debatte.
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Wenn das auch für die Öffentlichkeit deutlicher wird, dann haben wir, glaube ich, schon sehr viel gewonnen.
Ich kann nur unterstreichen, was hier zum Abschluß Herr Kollege Engelhard gesagt hat - ich habe in dieser Debatte eigentlich überall dieses Ziel herausgehört, wenn auch mit unterschiedlicher Ausrichtung im einzelnen -, daß eine unserer schwierigsten Aufgaben darin liegt, latente oder auch schon deutlich spürbare Ausländerfeindlichkeit zu verhindern und dem entgegenzuwirken, daß so etwas im deutschen Volk um sich greift.
Ich möchte für die Bundesregierung hier noch einmal ausdrücklich betonen: Zur Integrationspolitik gibt es keine Alternative.
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Aber wir müssen ebenso deutlich und ebenso unmißverständlich sagen, daß die Integrationspolitik erfolgreich nur fortgesetzt werden kann, wenn es uns gelingt, den Familiennachzug, ohne das Recht darauf anzutasten, sozial verantwortlich zu steuern.
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Ich brauche hier auf die Einzelheiten der Beschlüsse der Bundesregierung dazu nicht einzugehen. Kollege Baum und mehrere Sprecher der Koalitionsfraktionen haben das ausführlich dargestellt.
Ich sehe mit Hoffnung auf die Konferenz der Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler am 5. März, auf der wir einen ersten konkreten Bericht darüber erwarten, wie die Beschlüsse der Bundesregierung vom 11. November und vom 2. Dezember in den Ländern umgesetzt werden; hierauf kommt es jetzt in erster Linie an.
Um auf dem Wege zu dem Ziel - der Integration der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich hier befinden - weiterzukommen und eine sozial verantwortliche Steuerung des Familiennachzugs durchzuführen, ist es wenig hilfreich, wenn jetzt Versäumnisse der Vergangenheit beklagt und hochgespielt werden. Wenn hier Herr Kollege Dregger einleitend beispielsweise von jenen Millionen Türken gesprochen hat, die da stehen und warten, von jener Welle, die über uns hereinzubrechen drohe, und in diesem Zusammenhang der Bundesregierung mangelnde Vorausschau vorgeworfen hat, so muß doch in aller Bescheidenheit daran erinnert werden: Das Assoziierungsabkommen mit der Türkei trägt die Unterschrift von Gerhard Schröder und ist am 12. September 1963 abgeschlossen worden.
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Ich werde dem damaligen Außenminister Schröder nie einen Vorwurf daraus machen, daß so etwas zu diesen Zeiten gemacht worden ist. Aber ich würde um ähnliche Fairneß bei der Opposition für die Zeit von 1970 bis heute bitten.
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- Als das Assoziierungsabkommen geschlossen wurde, geschah es j a mit dem Ziel, den Türken beim Zugang zum Arbeitsmarkt eine ähnliche Stellung einzuräumen wie EG-Staatsangehörigen. Verehrter Herr Kollege, ich bitte Sie, es nachzulesen, damit Sie es wissen.
Die Bundesregierung hat die Kommission in Brüssel sehr nachdrücklich ersucht, das noch geltende Recht dahin gehend zu ändern, daß der ab 1986 sonst drohende Zuzug abgestellt wird. Damit Sie wissen, wie konkret wir das getan haben, möchte ich Ihnen einen Satz aus dem Schreiben des Bundesaußenministers an den Präsidenten der Europäischen Kommission vom 1. Juni 1981 vorlesen. Dort heißt es:
Die Bundesregierung geht bei ihren Überlegungen davon aus, daß die Arbeitsmarktlage und die sich auf Grund zunehmender Ausländerbevölkerung verschärfenden Integrationsprobleme es ausschließen, Türken ab 1986 generell ein Recht einzuräumen, Arbeitsplätze in der Gemeinschaft einzunehmen.
Das heißt: Wir unternehmen den ernsthaften, im Rahmen der europäischen Möglichkeiten zu vollziehenden Versuch, das 1963 geschlossene Assoziierungsabkommen hinsichtlich der Freizügigkeit außer Kraft zu setzen. Bei diesem Entschluß muß es
bleiben; die Bundesregierung hat ihn gerade gestern noch einmal bekräftigt.
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- Die Unterschrift ist die Gerhard Schröders, verehrte Frau Kollegin.
({6})
Was die acht Anwerbeabkommen angeht, die es gibt, geschlossen zwischen 1955 und 1968: Wenn man damals ein wenig vorausschauender gewesen wäre und beispielsweise nicht nur eine lächerliche Anwerbeprämie von 165 DM erhoben, sondern auch die Vielzahl der sozialen Folgekosten, die den Gemeinden, den Ländern und dem Bund angelastet worden sind, jenen Unternehmen zugerechnet hätte, die ausländische Arbeitnehmer für ihre Produktion benötigt haben, dann hätte man damit gleichzeitig eine Bremse hinsichtlich des Zuzugs gehabt und der deutschen Volkswirtschaft eine Vielzahl von Strukturproblemen, die sie heute hat, erspart, weil die deutschen Unternehmen damals mangels billiger Arbeitskräfte sehr viel schneller auf neue Technologien hätten umstellen müssen. Das ist versäumt worden, das ist nicht nachzuholen.
Wir haben aus der Veränderung der Beschäftigungslage 1973 mit dem Anwerbestopp die nötigen Konsequenzen gezogen. Daß das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium schon gegriffen hat, mögen Sie bitte daraus ersehen, daß wir 1972 eine ausländische Erwerbsbevölkerung - Erwerbsbevölkerung! - von 2,6 Millionen, 1980 von 2,16 Millionen und 1981 von 2,08 Millionen Menschen hatten. Die Erwerbsbevölkerung ist seit 1973 zurückgegangen, gestiegen ist - durch Familiennachzug und Geburt - die Gesamtbevölkerung. Hier liegt das heute ja auch so deutlich angesprochene Problem.
Die Bundesregierung wird ihre abgewogene Politik der Integration und der sozial verantwortbaren Begrenzung des Zuzugs fortsetzen. Sie wird sich nach wie vor ganz besonders um die Integration der zweiten Ausländergeneration bemühen. Auch aus dem gestern beschlossenen 400 Millionen-DM-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wird ein wesentlicher Teil für Hilfen zur Berufsausbildung junger ausländischer Menschen eingesetzt.
({7})
Wir werden die Verhandlungen der Europäischen Kommission mit der Türkei zur Veränderung des Assoziierungsabkommens mit Nachdruck unterstützen. Ich glaube, man kann guten Gewissens sagen, daß durch die jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung erstens wichtige Schritte zur Umsetzung der ausländerpolitischen Konzeption eingeleitet worden sind und daß zweitens die nachhaltige Begrenzung des Zugangs unverzichtbar ist, wenn wir die Integrationspolitik erfolgreich fortsetzen wollen.
Der vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP unterstützt diese PoliBundesminister Dr. Ehrenberg
tik der Bundesregierung. Ich bedanke mich hierfür. Ich bedanke mich auch für die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen, die weit ins Detail gehende Fragen stellt und die Gelegenheit geben wird, diese Sachfragen hier im Hause in aller Breite zu behandeln. - Herzlichen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Anträge zur Ausländerpolitik auf den Drucksachen 9/1154 und 9/1288 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Auswärtigen Ausschuß, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. November 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung
- Drucksache 9/1119 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 9/1284 Berichterstatter:
Abgeordnete Volmer Frau Dr. Hartenstein
({1})
Im Ältestenrat ist für diese Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wurde von allen Fraktionen im Innenausschuß einstimmig angenommen. Trotzdem möchte ich die kritischen Bemerkungen, die ich dazu im Innenausschuß gemacht habe, an den Anfang meiner kurzen Ausführungen stellen. Das vorliegende Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung wurde bereits am 13. November 1979 in Genf von der Bundesregierung unterzeichnet. In einer Entschließung haben
sich die Vertragsparteien bei der Unterzeichnung verpflichtet, das Übereinkommen bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig anzuwenden. Erst zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens wurde von der Bundesregierung mit Drucksache 9/1119 das erforderliche Ratifizierungsgesetz eingebracht und am 10. Dezember 1981 dem Innenausschuß zur Beratung überwiesen.
Man muß sich natürlich fragen, warum die Bundesregierung so viel Zeit verstreichen ließ, bevor sie dem Deutschen Bundestag diesen Gesetzentwurf vorlegte, der dann beschließen soll, was seit zwei Jahren praktiziert wird. Die CDU/CSU erwartet von der Regierung, daß sie sich stärker darum bemüht, solche Vorlagen in Zukunft rechtzeitig, früher im Parlament einzubringen, damit das Parlament Übereinkommen terminnäher diskutieren kann. Daß dies möglich ist, beweist die Tatsache, daß bis Ende 1981 zwölf andere beteiligte Länder ihre Ratifizierungsurkunden bereits hinterlegt haben.
Das Übereinkommen selbst, das wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ratifizieren wollen, wird von der CDU/CSU-Fraktion begrüßt. Wir haben immer die Meinung vertreten, daß es zur internationalen Wettbewerbsverzerrung führen kann, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland notwendige umweltschutzpolitische Maßnahmen beschließen, die Mehrkosten verursachen, die benachbarten Staaten ähnliche Umweltschutzmaßnahmen aber noch nicht vorgesehen haben. Ich denke hier an die Salzfracht im Rhein, an S02-Verunreinigungen der Luft, die zu sauren Wässern führen, und andere grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt auf dem Wege zu gleichen Regelungen in benachbarten Staaten. Allerdings befaßt er sich nur mit der grenzüberschreitenden Luftverunreinigung. Die Fraktion der CDU/CSU ermuntert daher die Bundesregierung, ähnliche Abkommen auch für andere Bereiche des Umweltschutzes anzustreben. Diese Abkommen dienen der Ausgewogenheit von Ökologie und Ökonomie.
Nach dem Abkommen wollen die beteiligten Länder Politiken und Strategien entwickeln, die der Bekämpfung der Emissionen von luftverunreinigenden Stoffen dienen. Dazu gehört sicherlich, daß Informationen ausgetauscht und Forschungsarbeiten mit gegenseitiger Konsultation aufgenommen werden. Es ist auch richtig, die besten verfügbaren und wirtschaftlich vertretbaren Technologien einzusetzen. Aber dies allein reicht nicht aus. Zwischen den besten verfügbaren und den wirtschaftlich vertretbaren Technologien liegt ein weiter Ermessensspielraum, der unter Umständen das Problem nicht löst. Die besten verfügbaren Technologien sind nicht immer die wirtschaftlich vertretbaren. Ich denke hier an den Begriff „Stand der Technik" in unserem Bundesimmissionsschutzgesetz, der uns eigentlich zwingt, die besten verfügbaren Technologien bei den Regelungen zugrunde zu legen, während das benachbarte Ausland möglicherweise jedoch von den wirtschaftlich vertretbaren Technologien ausgeht. Deshalb sollte der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in dem im Übereinkommen vorgese4980
hen Exekutivorgan darauf hinwirken, daß in den Signatarstaaten vergleichbare Technologien angewendet werden. Zu den vergleichbaren Technologien gehört auch, daß die Meß- und Prüfverfahren, die der Kontrolle der Luftreinhaltung dienen, von gleichen Grundlagen und gleichen oder vergleichbaren Meßeinheiten ausgehen.
({0})
In Art. 9 des Übereinkommens wird betont, daß die Vertragsparteien die Durchführung des bestehenden Programms über die Zusammenarbeit bei der Messung und Bewertung der weiträumigen Übertragung von luftverunreinigenden Stoffen in Europa als notwendig bezeichnen und es voll anwenden wollen. Dieses Programm ist auf Grund der KSZE-Schlußakte von Helsinki entstanden, und es soll von der ECE koordiniert werden. Aus dieser Sicht ist die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, Drucksache 9/1270 ({1}), zu verstehen, die sich mit der drohenden Verschlechterung der Luftqualität in Berlin ({2}) durch Kraftwerksbau in der DDR befaßt.
Ohne auf Einzelheiten der Kleinen Anfrage, die Sie sicher alle gelesen haben, einzugehen, möchte ich die Bundesregierung bitten, sich nicht mit einer rein theoretischen Antwort zu begnügen, sondern im Hinblick auf das zitierte ECE-Programm alles zu tun, damit in Berlin eine Belastung durch luftverunreinigende Stoffe aus der DDR möglichst unterbleibt. Da die DDR zu den Unterzeichnerstaaten der KSZE-Akte von Helsinki gehört, muß sie sich an dem Programm über die Messung und Bewertung der weiträumigen Übertragung von luftverunreinigenden Stoffen in Europa beteiligen. Mit Interesse sehen wir daher der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage entgegen, die unter Ziffer 8 die Frage nach der Beteiligung der DDR enthält.
In der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist uns mitgeteilt worden, daß die Bundesregierung angeregt hat, Schwermetalle und kanzerogene Stoffe in dem vorhandenen Meßnetz mitzumessen.
Das Übereinkommen - ich sagte es vorhin schon - ist ein erster Schritt auf dem richtigen Weg. Darum stimmen wir dem Ratifizierungsgesetz zu.
Ohne - damit komme ich zum Schluß, meine Damen und Herren - die Vorlage eines neuen Berichtes zu einem bestimmten Zeitpunkt beantragen zu wollen, damit nicht immer mehr Beamte mit immer neuen Berichten beschäftigt werden, die dann mangels Zeit in den Ausschüssen nicht beraten werden können, bitte ich die Bundesregierung, dem Innenausschuß gelegentlich die Erfahrungen mitzuteilen, die die Bundesregierung hinsichtlich der Bemühungen gemacht hat, auf EG-Ebene eine Rahmenrichtlinie zum Stand der Technik vorzubereiten. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist offenbar auch zu später
Stunde ein unvermeidliches Ritual, daß man als Redner der Opposition der Bundesregierung etwas am Zeug flicken muß. Wenn dies schon in der Sache nicht möglich ist - wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns j a im Ausschuß uneingeschränkt und einmütig zu dieser Vorlage bekannt -, dann ist eben der Zeitpunkt nicht richtig, zu dem dieses Vertragsgesetz vorgelegt wird. Ich denke, die Bundesregierung wird dieser Kritik mit großer Gelassenheit begegnen können. Sie haben j a mindestens partiell selber die Antwort gegeben, Herr Kollege Volmer. Die Vertragsparteien haben sich in einer Entschließung zu diesem Übereinkommen verpflichtet, die Bestimmungen schon vor Inkrafttreten des Gesetzes einzuhalten. Dieser Entschließung sind sie auch nachgekommen; das gilt insbesondere auch für die Bundesrepublik. Ich komme darauf noch zurück.
Nach unserer Auffassung ist dieses Vertragsgesetz ein notwendiger erster Schritt, und es ist, alles in allem genommen, eine hervorragende Sache. Warum? Es zieht erstmalig die Konsequenz aus der Tatsache, daß Luftverschmutzungen eben nicht an den Landesgrenzen haltmachen. Infolgedessen müssen internationale Maßnahmen ergriffen werden, wenn man dieser Problematik zu Leibe rücken will. Inzwischen ist ja bekannt, daß z. B. Schwefeldioxidemissionen, die in Form des „sauren Regens" unsere Wälder bedrohen, in großen Höhen bis zu 1 000 km und weiter transportiert werden. Je nach Windrichtung und klimatischen Gegebenheiten schieben die Industrieländer die von ihnen produzierten „Luftverschmutzungspakete" jeweils dem Nachbarn zu. Norwegische Fjorde sind daher ebenso gefährdet wie Zehntausende von schwedischen Seen, die Tannen des Schwarzwaldes ebenso wie der Bayerische Wald.
Es ist recht interessant, in einem OECD-Bericht von 1978 zu lesen, daß die Schwefeldioxidbelastung über der Bundesrepublik nur zu 50 % aus unseren eigenen Quellen stammt. Die andere Hälfte wird gewissermaßen importiert. In Schweden ist das Verhältnis noch krasser. Dort ist der Anteil der Fremdbelastung doppelt so hoch wie die im Lande selbst entstehende Eigenbelastung. In Norwegen beträgt der Import an Schadstoffen sogar mehr als das Fünffache dessen, was aus den eigenen Kaminen kommt.
Nicht umsonst waren es deshalb gerade die skandinavischen Länder - das darf ich hier ergänzen -, die darauf gedrängt haben, daß in den Umweltkorb der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 das Thema der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung aufgenommen wurde. Sie haben in der KSZE-Nachfolge einen Konventionsentwurf erarbeitet, der dann im November 1979 in Genf von 35 Staaten unterzeichnet worden ist - wahrhaftig ein bemerkenswerter Erfolg.
Was sind nun die Hauptziele des Übereinkommens? Es sieht u. a. vor: Aufbau und Ausbau eines Europäischen Luftüberwachungsprogramms, einen ständigen Informationsaustausch, die Verstärkung der Forschung über die Auswirkungen luftverschmutzender Stoffe, die Entwicklung von neuen, „sauberen" Technologien und die Möglichkeit der
gegenseitigen Konsultation bei Anlagen, von denen Luftverunreinigungen ausgehen können, die das Hoheitsgebiet eines anderen Landes betreffen. Dies alles sind unverzichtbare Maßnahmen, unverzichtbare Voraussetzungen, wenn gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Luftverschmutzung verwirklicht werden sollen.
Mit Abstand die wichtigste Bestimmung ist aber, daß sich alle Vertragsparteien verpflichten, bei der Emissionsbekämpfung die besten verfügbaren Technologien einzusetzen, soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist. Insbesondere sollen neue oder umgebaute Anlagen nach dem neuesten Stand der Umwelttechnik ausgerüstet werden. Mit dieser Verpflichtung in Art. 6, so meinen wir, ist ein kaum zu überschätzender Fortschritt gelungen, denn es hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß konsequent an der Emissionsseite angesetzt werden muß, wenn die bedenkliche Belastungssituation verbessert werden soll. Das bedeutet: Es müssen erstens die schädlichen Emissionen aus Industrie, Kraftwerken, Hausbrand und Kraftfahrzeugverkehr so weit wie möglich und so schnell wie möglich reduziert werden. Es müssen zweitens die technisch machbaren Schritte zur Verringerung der Schadstoffe international harmonisiert werden. Es muß drittens ein international gut funktionierendes Überwachungssystem aufgebaut werden.
Künftig darf also nicht weiterhin - wenn das Gesetz von allen beteiligten Staaten erfüllt wird - nach dem Sankt-Florians-Prinzip verfahren werden. Ich denke, es ist wohl auch in den Beziehungen der Staaten untereinander ratsam, die alte volkstümliche Lebensregel zu beherzigen, die man schon den Kindern beibringt und die da lautet: Was du nicht willst, daß man dir tu', das mut' auch keinem andern zu!
Eine Reihe von Staaten - Sie haben das schon erwähnt -, darunter auch die UdSSR, Ungarn, Portugal, haben das Abkommen bereits ratifiziert. In zahlreichen anderen Ländern läuft das Verfahren. Unabhängig davon haben sich die Vertragsparteien nicht nur verpflichtet, sondern seit 1979 auch bemüht, das Übereinkommen anzuwenden.
So hat das Umweltbundesamt im Auftrag der Bundesregierung ein Meßnetz mit insgesamt elf Meßstationen aufgebaut, die alle Daten über die Schadstoffe in der Luft erfassen. Es ist ein Emissionskataster erstellt worden, der auf der Datenerhebung von 60 europäischen Meßstationen fußt und der Aussagen ermöglicht über Herkunft, über Transportwege und über regionale Konzentrationen der Schadstoffe. Vorrangig wird dabei die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und andere Schwefelverbindungen registriert.
Gerade diese Problematik ist es, an der sich am deutlichsten und am schärfsten die weiträumige Luftverschmutzung darstellt, die übrigens, wie wir alle wissen, das in der Öffentlichkeit zur Zeit am heißesten diskutierte Thema ist.
Ober dem Gebiet der Bundesrepublik gehen jährlich 3,5 Millionen t Schwefeldioxid nieder. Umgerechnet entfallen damit auf jeden Quadratkilometer
528 kg Schwefel pro Jahr. Damit haben wir nach der DDR und nach Belgien die dritthöchste Belastung in der Reihe der Industrieländer.
({0})
- Da liegen mir keine Zahlen vor.
Wir wissen - und wir sehen es übrigens auch -, daß unsere Wälder krank sind. Das Wort vom Tannensterben macht die Runde. Allein in Baden-Württemberg sind von den 120 000 ha Tannen- und Fichtenbeständen bzw. gemischten Beständen ca. 64 000 ha betroffen, also mehr als die Hälfte. Gewiß handelt es sich dabei um eine sogenannte Komplexkrankheit, d. h. um eine Erkrankung, die mehrere Ursachen haben kann; aber zahlreiche Indizien sprechen doch dafür, daß die sauren Niederschläge zu den Hauptschuldigen gehören. Übersäuerte Böden und ein absterbendes Leben in den Gewässern sind weitere Folgen. Auch die Fassaden unserer historischen Bauwerke bleiben nicht verschont. Nicht zuletzt leidet auch die Gesundheit der Menschen darunter - zu nennen sind erhöhte Asthma-Anfälligkeit, Bronchitis und andere Erkrankungen der Atemwege.
Alles in allem wohl Grund genug, um ernsthaft darüber nachzudenken, wie wirksame Abhilfe geschaffen werden kann. Dies muß auch im Zusammenhang mit der Neufassung der TA Luft Berücksichtigung finden.
Es ist in den letzten Jahren zwar gelungen - und dies soll hier positiv erwähnt werden -, für die Ballungsgebiete eine gewisse Entlastung zu schaffen, aber der Erfolg auf der einen Seite mußte bezahlt werden mit einer spürbaren Zunahme der Belastung in industriefernen Gebieten; dabei sind vor allen Dingen unsere Wälder in Mitleidenschaft gezogen worden.
Es zeigt sich, daß das Problem auf dem Weg, den man bisher eingeschlagen hat, nämlich durch den Bau hoher Schornsteine die Schadstoffe entsprechend zu verteilen, nicht gelöst werden kann. Mittelfristig kann nur - und das wird immer deutlicher - eine Senkung der Emissionen an der Quelle weiterhelfen. Es gibt gangbare Wege dafür: Einbau von Rauchgasentschwefelungsanlagen bei Großemittenten, Entgiftung der Kfz-Abgase, Verminderung der Anzahl der Hausfeuerungen. Dazu wäre z. B. der konsequente Ausbau der Fernwärmeversorgung ein guter Weg.
Es versteht sich von selbst, daß dies schon aus Kostengründen nicht von heute auf morgen zu verwirklichen ist, sondern nur im Rahmen eines Stufenplanes. Aber andererseits sollte nicht vergessen werden, daß mit einer systematischen Luftreinhaltepolitik nicht nur die Umweltbedingungen verbessert, sondern auch zukunftsorientierte Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Das Genfer Übereinkommen setzt einen guten Anfang. Es entspricht in seinen Zielen voll der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft und stellt ein geeignetes Fundament für eine intensivere internationale Zusammenarbeit dar, und zwar weit über die EG hinaus, sowohl mit unseren westlichen
als auch mit unseren östlichen Nachbarn; denn es macht vor der Ost-West-Grenze nicht halt.
Auf Grund seiner Konzeption könnte es sogar Signalwirkung für weitere internationale Initiativen auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben, sei es im Bereich der Gewässer, des Bodens oder der Erhaltung der Pflanzen- und Tierwelt. Deshalb ist es aus unserer Sicht uneingeschränkt zu begrüßen, da sind wir uns wieder einig. Wir möchten die Bundesregierung ermuntern, auf diesem Wege fortzufahren. - Danke schön.
({1})
Meine Damen und Herren, in Abweichung von der Regel macht der nächste Redner von seinem Recht nach § 34 Gebrauch und wird seine Debattenrede vom Saalmikrophon aus halten.
({0})
Ich hoffe, die Damen und Herren werden ihm an seinem Platz folgen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Kollege Volmer, es hat inzwischen schon wieder zwei Reden vom zentralen Mikrophon gegeben. Ich wollte einfach nur dieser kleinen Runde die Gelegenheit geben, die Geschlossenheit und die Intimität zu wahren.
({0})
- Ja, das ist ein wichtiger Punkt, den wir dann auch in unserer Kommission, die ja schon seit vielen Jahren tagt und sich mit der Gestaltung des Plenarsaals beschäftigt, vortragen müssen.
Ich kann an die letzten Worte der Kollegin Dr. Hartenstein anknüpfen und sagen, daß die FDP sich voll diesen Wünschen anschließt. Leider sind die Dinge noch nicht so, daß wir das in Kürze erwarten können. Auch im nationalen Bereich können wir das nicht in Kürze erwarten. Die Witterung ist zwar im Augenblick so, daß wir vielleicht mit Mörike sagen können, daß der Frühling demnächst sein blaues Band wieder flattern läßt durch gelbe Lüfte, Schwefellüfte, die wir hier haben. Deswegen sind die ersten ahnungsvollen Düfte nach wie vor für uns ein Anlaß, uns um die Verbesserung der Luft zu bemühen.
Ich muß aber anmerken - das trifft die Regierung wie das Parlament gleichermaßen, sicher auch die Organisation bei uns, den Ältestenrat und damit unmittelbar auch mich, wenn Sie so wollen -, daß ein unterzeichnetes Übereinkommen vom 13. November 1979 uns stärker hätte beflügeln können. Das gilt vor allem, wenn ich in der Vorlage sehe, daß die UdSSR, die Ukraine - sie tritt hier anscheinend als selbständige Größe auf -, Weißrußland, Ungarn und Portugal inzwischen ratifiziert haben. Bei den anderen steht das noch aus. Wir hätten uns da ganz gut gestellt, wenn wir das rascher betrieben hätten.
({1})
Wir sollten dieses erste große internationale Vertragswerk in diesem Bereich zwischen Ost und West sehr begrüßen. Es betrifft uns alle. Kleine Staaten wie Schweden - jedenfalls nach der Bevölkerungszahl - und große Staaten wie in dem Falle die Bundesrepublik produzieren ihren sauren Regen selber. Die Kollegin Hartenstein hat das mit den 50 % Einwirkung aus dem Ausland deutlich beschrieben; aber 50 % machen wir selber. Das bedeutet, daß wir in der Verbesserung der TA Luft nicht nachlassen dürfen.
({2})
Wir müssen die Regierung intensiv ermuntern, ihre Bemühungen um die Novellierung der TA Luft, die sie Ende März hier nachweisen will, nachdrücklich weiter zu betreiben, damit wir weitere Schritte auch im nationalen Bereich vorweisen können.
({3})
- Herr Kollege, er hat es uns mitgeteilt. Er hat einen wichtigen Termin. Der letzte Redner, der ja in besonderer Weise davon betroffen wäre, hat keine Einwendungen.
Was natürlich ein bißchen Wasser in den Wein gießt, ist die Einschränkung „nach dem neuesten Stand der Umwelttechnik, allerdings nur, soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist". Die Relation ist etwas entmutigend und wird uns sicher noch in der Ausfüllung nach der Ratifizierung dahin bringen, schleunigst die schärfere inländische Position auf der Basis der TA Luft auch im EG-Bereich zu verankern.
Übrigens wissen wir, daß wir den Zeitraum nicht unterschätzen dürfen. Wenn ich an die Rheinschutzkonferenz und ihre Realisierung denke, erinnere ich mich daran, daß einem westlichen Nachbarn noch einiges ins Haus steht.
({4})
Ich meine, wir sollten darauf achten, daß auch die vierte Sprache vertreten ist. Dieser Vertrag ist viersprachig und nicht, wie es in Ihrer Vorlage steht, dreisprachig. Warum sollen wir die vierte Sprache diskriminieren? In Art. 18 ist niedergelegt, daß es eine Urschrift in englischer, französischer, russischer und deutscher Sprache gibt. Wir sollten die copcon-Liste nicht so eng auslegen, daß die entsprechenden russisch schreibenden Schreibmaschinen unter das US-Lieferverbot fallen.
Es ist manchmal ganz interessant, bei Vertragsabschluß festzustellen, wie man aus einem Vertrag wieder herauskommen kann. Art. 17 weist aus, daß dies nach fünf Jahren geschehen kann, wenn der Vertrag nicht wirksam wurde. Vielleicht sollten wir hier auch einmal festhalten, daß man im Umweltschutzbereich eine Demonstrationsposition deutlich machen kann, indem man einen Vertrag kündigt, wenn er nur auf dem Papier steht, ohne ihn in die Realität umzusetzen.
Wolfgramm ({5})
Ich meine, daß wir im nationalen Bereich viel tun müssen. Wir wollen die Regierung zu weiteren Schritten ermutigen.
Ich möchte aber, da die Luftverbesserung eine Verbesserung der Lebensqualität darstellt, den Kollegen sagen, daß ich meine Redezeit von zehn Minuten nicht ausschöpfen und damit auch eine Verbesserung der Lebensqualität herbeiführen möchte.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung des Agrarberichts 1981 der Bundesregierung
- Drucksachen 9/293, 9/1266 Berichterstatter: Abgeordneter Holsteg
dazu
Bericht des Haushaltsausschusse ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/1285 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Dr. Zumpfort
Schmitz ({2})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Wer wünscht als erster Redner das Wort? - Herr Bayha, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen um Entschuldigung dafür bitten, daß wir zu so später Stunde noch einmal einen Tagesordnungspunkt Landwirtschaft haben. Aber da ja das ganze Jahr über die Landwirtschaft und die Agrarpolitik geschimpft wird und wir ohnehin sehr wenig von der Gelegenheit Gebrauch machen, in diesem Hohen Hause zu reden, schien uns doch der Tagesordnungspunkt Agrarbericht des letzten Jahres und Beschlußfassung über die Entschließungsanträge so wichtig, daß wir einiges dazu sagen sollten.
Am 15. Februar 1981, also vor rund einem Jahr, ist dieser Bericht von der Bundesregierung vorgelegt worden. Am 2. April 1981 hat der Deutsche Bundestag diesen Agrarbericht beraten. Grundlage war die wirtschaftliche Situation der deutschen Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1979/80, die die Bundesregierung damals in diesem Bericht als außerordentlich schwierig bezeichnet hat und die im Jahre 1981 ja noch viel schwieriger wurde.
Zu den Beratungen dieses Berichtes hat die CDU/ CSU-Fraktion deshalb bereits am 1. April 1981 einen Entschließungsantrag mit elf Punkten eingebracht, dessen Ziel es war, die Lage der Landwirtschaft schneller zu verbessern. Dieser Entschließungsantrag war mehrfach Gegenstand von Erörterungen im Fachausschuß. Nunmehr, fast ein Jahr später, ist es endlich so weit, daß sich auch der Deutsche Bundestag damit befaßt.
Ich möchte an dieser Stelle eine kritische Anmerkung machen. Ich glaube, es ist keine gute Sache, wenn die Behandlung eines Berichtes der größten Fraktion im Deutschen Bundestag so lange verzögert wird, daß er erst nach einem Jahr im Plenum beraten werden kann.
({0})
Es ist einfach nicht gut, wenn wir heute, ein Jahr danach, Konsequenzen beraten, die eigentlich bereits ein Jahr vorher hätten gezogen werden müssen.
({1})
Wie recht die Opposition mit Ihrem Entschließungsantrag hatte, möchte ich jetzt an Hand einzelner Punkte noch einmal verdeutlichen. Ich werde das sehr gerafft machen und mich sehr kurz fassen, d. h. wesentlich weniger sagen, als ich eigentlich vorhatte.
Im Wirtschaftsjahr 1979/80 war ein Rückgang der landwirtschaftlichen Einkommen von durchschnittlich 1,9 % zu verzeichnen. Für das Wirtschaftsjahr 1980/81 ergeben die Buchführungsergebnisse, die nunmehr vollständig vorliegen und auch ausgewertet sind, eine Vorausschätzung eines noch wesentlich höheren Einkommensrückgangs von 12,6 %. Damit ist die deutsche Landwirtschaft wieder auf das Einkommensniveau des Wirtschaftsjahres 1974/75 zurückgefallen. Ich glaube, das ist eine ganz schlimme Sache. Ich frage: Welchem anderen Berufsstand mutet man so etwas sonst noch zu?
({2})
Berücksichtigt man bei diesen Zahlen noch die Inflationsrate, dann ist der Einkommensrückgang noch wesentlich größer, dann liegt er bei 17 bis 18 %.
Für das laufende Wirtschaftsjahr 1981/82 ist leider keine wesentliche Besserung zu verzeichnen. Ich wundere mich, daß unser Minister Ertl vorgestern bei der Vorstellung des neuen Grünen Berichtes vor der Presse eine recht optimistische Prognose gewagt hat. Sie ist meiner Ansicht nach viel zu optimistisch. Das gilt um so mehr, als wir noch mitten im Wirtschaftsjahr stehen.
Die ungünstigen Einkommensverhältnisse der letzten Jahre sind wesentlich auf die stark gestiegenen Kosten zurückzuführen. Auch hier zeichnet sich leider keine Wende ab. Aber unseren Vorschlag Nr. 1 in diesem Entschließungsantrag, zu dem ich rede 4984
unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen -, erklärten SPD und FDP und damit auch die Bundesregierung schon damals für erledigt. Auch das ist eine schlimme Sache.
({3})
Wir haben die Bundesregierung in unserem zweiten Punkt aufgefordert, gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen wie Preisstabilität, Vollbeschäftigung, wirtschaftliches Wachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, solide Staatsfinanzen zu setzen, Daten, die es der Land- und Forstwirtschaft ermöglichen sollten, ihre Probleme selbst zu lösen. Es zeugt entweder von einer ziemlich großen Überheblichkeit oder einer kaum noch zu überbietenden Verantwortungslosigkeit im politischen Bereich, wenn die Fraktionen von SPD und FDP auch diese der Bundesregierung von uns gestellte Aufgabe im Ausschuß schlicht für erledigt erklärt haben. Offenbar haben sie überhaupt nicht begriffen, wie eng die Probleme der Landwirtschaft mit der Gesamtwirtschaft verbunden sind. Es ist doch nun einmal Tatsache: unsere Wirtschaft stagniert, die Nachfrage ist gering, die Inflationsrate liegt bei 6 %, Geld ist knapp und teuer, Investitionsbereitschaft in allen Bereichen fehlt oder ist nicht möglich, und die Arbeitslosenzahl liegt bei 2 Millionen.
Die Auswirkungen dieser erschreckenden gesamtwirtschaftlichen Situation haben sich auf die Landwirtschaft besonders stark niedergeschlagen.
({4})
Innerhalb eines Wirtschaftsjahres sind die Einkaufspreise für landwirtschaftliche Betriebsmittel ganz gewaltig gestiegen. Sie verteuerten sich im September 1981 gegenüber dem Vorjahr um 10 %. Im einzelnen: Düngemittel 11,3 %, Futtermittel 10,6 %, Pflanzenschutzmittel 18,4 %, Brenn- und Treibstoffe sogar um 27,5 %. Allein die Treibstoffverteuerung kostet die deutsche Landwirtschaft pro Jahr 1 Milliarde DM.
Preissteigerung bei anderen Betriebsmitteln, z. B. bei Neubauten oder Maschinen, die nur bei 3,9 % liegen, sind doch nur deshalb so bescheiden ausgefallen, weil die Landwirtschaft auf diesem Gebiet überhaupt nicht mehr investieren kann. Der neue Grüne Bericht, der nun vorgelegt wird, zeigt, daß die Nettoinvestitionen in der Landwirtschaft von rund 2,3 Milliarden im Jahr zuvor auf sage und schreibe 90 Millionen DM zurückgegangen sind. Das sind erschreckende Zahlen. Das sind auch erschreckende volkswirtschaftliche Daten für den ländlichen Raum.
Einkommensmindernd in der Landwirtschaft wirkt sich zusätzlich auch noch die Änderung des Einkommensteuergesetzes aus, das die Landwirtschaft mehr belastet, und die Mehrbelastung auf den Gebieten der Sozialpolitik, die uns im letzten Jahr die sozialliberale Regierung beschert hat.
Wir haben damals die Bundesregierung aufgefordert, die Agrarpreisvorschläge der EG- Kommission abzulehnen. Das war ein wesentlicher Punkt, um darauf hinzuwirken, daß das deutsche Agrarpreisniveau wenigstens um den Inflationsausgleich angehoben würde. Auch dies ist nicht möglich gewesen.
Auf der Einnahmeseite können die deutschen Landwirte schon über einen längeren Zeitraum hinweg keine wesentlichen Verbesserungen verbuchen. Die Preisbeschlüsse vom April des letzten Jahres brachten nur theoretisch eine Anhebung von 4,8 %; theoretisch deshalb, weil das bei einer Inflationsrate von 6 % in diesem Jahr in unseren Betrieben überhaupt nicht ankommt.
({5})
Tatsache ist, daß sich die Einkommenssituation in der Landwirtschaft infolge steigender Kosten und stagnierender Erzeugerpreise dramatisch verschlechtert hat. Da ändert auch die Tatsache nichts, daß die Fleischpreise jetzt seit einigen Wochen etwas stabiler geworden sind.
({6})
Lediglich die Vorsteuerpauschale ist am 1. Januar um 0,5 % auf 7,5 % erhöht worden. Das ist genau ein halbes Prozent zuwenig und damit eine Viertelmilliarde für die Landwirtschaft zuwenig.
({7})
Die Bundesregierung enthält der Landwirtschaft schon die ihr berechtigterweise zustehende Summe vor und diskutiert bereits darüber, daß demnächst die Mehrwertsteuer erneut erhöht werden soll, damit sie ihre finanziellen Löcher stopfen kann.
({8})
Festzuhalten ist, daß durch strukturpolitische Maßnahmen und Rationalisierung keine Einkommensverbesserungen bei der Landwirtschaft mehr zu erzielen sind, daß die Belastungen im Bereich der Agrarsozialpolitik ständig steigen, daß der Kostendruck gewaltig ist, daß er auch nicht annähernd mehr aufgefangen werden kann und daß die Erzeugerpreise völlig unzureichend sind.
Meine Damen und Herren, ich neige wirklich nicht zu Übertreibungen. Dafür bin ich bekannt. Dies alles hat aber dazu geführt, daß sich die Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft im letzten Jahr dramatisch zugespitzt hat. Viele Betriebe sind total verschuldet. Die Betriebsleiter sind ratlos. Insbesondere unsere jungen Landwirte resignieren.
Die im Entschließungsantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion enthaltenen Anträge - ich habe ja nicht alle jetzt behandelt, und zwar mit Rücksicht auf die Zeit - waren maßvoll und hilfreich formuliert, um dem Bundeslandwirtschaftsminister und damit der Land- und Forstwirtschaft zu helfen. Bedauerlicherweise scheint der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten diesen konstruktiven Beitrag der CDU/CSU-Fraktion zur Lösung des Agrarproblems völlig mißverstanden zu haben. Sonst wäre er wenigstens kürzlich in der Debatte zum Bundeshaushalt darauf eingegangen. Unseren Vorschlag, im Ernährungsausschuß am 1. Oktober zu berichten, hat er ohnehin ignoriert.
Noch eine kritische Bemerkung zum Schluß, und zwar in Anspielung auf die jüngste Debatte hier bei der Beratung des Einzelplans 10, die mich als relativen Neuling in diesem Haus - ich gehöre ihm erst fünf Jahre an ({9})
etwas merkwürdig berührt hat. Wenn wir als Landwirte in diesem Parlament von den anderen Kollegen und vor allem von der Öffentlichkeit auch in Zukunft ernst genommen werden wollen, dürfen wir uns eine Vorstellung wie in dieser Debatte nicht noch einmal leisten.
({10})
Dieses Parlament ist letzten Endes nicht der Kommödienstadel von München.
({11})
Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Entschließungsantrag in der Form der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksache 9/1266 - nicht zustimmen.
({12})
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Wimmer ({0}) das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ja Verständnis dafür, daß der Kollege Bayha die Dauer der Zeit zwischen der Einbringung der Entschließung und der abschließenden Beratung etwas kritisiert. Aber man kann j a als Parallele dazu bemerken, daß der Agrarbericht im März debattiert wird und sein Berichtszeitraum mit dem 30. Juni des Vorjahres abschließt. Hier haben wir etwa die gleiche Zeitverschiebung. Es ist also nicht so dramatisch, wenn die Entschließung mit der gleichen Verschiebung behandelt wird.
Es ist notwendig und richtig, praktische Politik zu machen. Die haben wir in diesem Zeitraum geleistet.
({0})
Es ist nicht zu bestreiten, daß sich die Bundesrepublik wirtschaftlich in einer schwierigen Entwicklung befindet. Das gilt auch für die Landwirtschaft.
({1})
Wenn die Opposition die bekannten Vorwürfe, vor allem im Hinblick auf die Sozialpolitik, wiederholt und wenn man lautstark von Demontage spricht, meine ich: Wenn man betrachtet, daß 1982 wieder 3,743 Milliarden DM für die Agrarsozialpolitik ausgegeben werden und es 1969 nur 875 Millionen waren, dann muß man feststellen, daß sich diese sozialliberale Koalition mit ihrer Agrarsozialpolitik sehen lassen kann.
({2})
Die Rezepte, die die Opposition anbietet, sind immer die gleichen. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Landwirtschaft. Man müsse insgesamt mehr sparen und mehr Geld ausgeben, aber für die ganz eigenen Gruppen. Man müsse die Verschuldung abbauen und gleichzeitig Steuererleichterungen gewähren. Wer so argumentiert und solche Rezepte vorschlägt, denkt nicht daran, daß er in absehbarer Zeit die Regierung übernehmen muß.
({3})
Sonst würde er solche Behauptungen nicht aufstellen und solche Möglichkeiten nicht vorschlagen.
({4})
Es gibt j a konservative Rezepte, Landwirtschaftspolitik zu machen. Ich denke an die Vereinigten Staaten. Ich denke auch an die Auswirkungen in England. Das sind nicht Rezepte, die wir in der Bundesrepublik wollen. Das muß ganz klar herausgestellt werden.
({5})
Die Bundesregierung und die Koalition haben in dieser Zeit gehandelt und eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen. Sie haben auch frühzeitig mit der Beratung des Haushalts 1982 begonnen und dabei die Probleme der Landwirtschaft einbezogen, weil sie auch in dieser schwierigen Zeit unlösbar mit der anderen Wirtschaft verbunden ist.
Die Sprecher der Opposition verhalten sich so, als sei die Landwirtschaft eine Insel und als gebe es keine Interessen der anderen EG-Staaten und keine Debatten in der Bevölkerung über die EG-Ausgaben. Die CDU/CSU tut so, als müsse man nur Einkommenspolitik für die Landwirte betreiben und als könne man die wirtschaftliche und soziale Situation der übrigen Bevölkerung gänzlich außer acht lassen.
({6})
Der Entschließungsantrag sollte der CDU/CSU wieder Gelegenheit geben, eine Reihe von Reden über ihre Vorstellungen zu halten.
Wenn ich im einzelnen darauf eingehen darf, muß ich sagen: Die Punkte eins bis vier sind eigentlich erledigt.
Herr Kollege Wimmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?
Ja, gern.
Herr Kollege Wimmer, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man bei solchen Betrachtungen immer die gesamte Kosten-Nutzen-Analyse der Volkswirtschaft vornehmen muß, und
daß man dann feststellt, daß die Bundesrepublik Deutschland bei der Kosten-Nutzen-Analyse doch sehr gut dasteht?
({0})
Herr Kollege Eigen, Sie haben sicherlich recht, daß die Bundesrepublik insgesamt gut dasteht.
({0})
Das gilt auch, wenn man das Verhältnis der deutschen Landwirtschaft zu anderen Landwirtschaften betrachtet. Man kann ja auch bei der Debatte nicht immer nur das Negative herausstellen - es ist herausgehoben worden, daß im letzten Jahr ein Minus von 12,6 % bestand -; es wäre auch sicherlich fair, wenn man heraustellen würde, daß 1972/73 ein Plus von 18,3 %, 1975/76 ein Plus von 20,2 %
({1})
und 1977/78 ein Plus von 10,3% erwirtschaftet wurde. Ich glaube, daß wir uns insgesamt in einem ganz vernünftigen Schnitt bewegen.
({2})
Sicher sind einige unserer Ansätze auch im Vermittlungsausschuß wieder verwässert worden. Ich denke hierbei vor allen Dingen an die Beitragsentlastung der kleineren Landwirte im Rahmen der Sozialpolitik. Ich meine, daß wir gerade das Thema der Beitragsstaffelung nicht aufgeben und auch in der nächsten Zeit wieder mit aller Kraft einbringen werden, weil wir glauben, daß derjenige in der Landwirtschaft, der mehr für seine eigene soziale Lage leisten kann, auch mehr leisten muß, zum Vorteil der Kleineren in der Landwirtschaft.
({3})
Wenn man die jetzt bereits bekannten Zahlen für das laufende Wirtschaftsjahr betrachtet, dann kann man auch feststellen, daß in diesem Jahr nach der Vorausschätzung wahrscheinlich ein Plus von 9% erreicht wird. Wir waren mit den Maßnahmen der letzten Monate auf dem richtigen Weg, weil in diesem Jahr mit Sicherheit ein Plus zu verzeichnen sein wird.
Zu einigen Punkten, die angesprochen worden sind: Die Mehrwertsteuerpauschale wurde nach den allgemeinen rechtlichen Verpflichtungen und auch nach den finanzwirtschaftlichen Möglichkeiten erhöht. Es gab keinen Antrag, auch keinen Antrag eines CDU-geführten Landes, im Bundesrat, der verlangt hätte, auch im Vermittlungsverfahren die Vorsteuerpauschale um mehr als 0,5 % anzuheben.
({4}) - Es gab keinen Antrag.
Herr Kollege Wimmer, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Eigen?
Meine Redezeit ist leider auf zehn Minuten begrenzt, aber wir werden uns j a in etwa drei bis vier Wochen in der Agrardebatte
sehr eingehend mit den Problemen beschäftigen. Ich meine, daß wir hier dann die Möglichkeit wahrnehmen sollten, das zu erörtern.
({0})
- Sie haben ja dann die Möglichkeit, den gestellten Antrag schriftlich vorzulegen.
({1})
Ich glaube, daß wir auch gut daran tun, wenn wir die Forderung der CDU und der CSU nach der Herabsetzung des betriebsnotwendigen Arbeitskräftebesatzes bei der Durchschnittsbesteuerung ablehnen, weil damit wieder ein Teil dessen, was wir als eine gerechtere Einkommensbesteuerung betrachten, zunichte gemacht würde.
Die Forderungen im Entschließungsantrag der CDU/CSU nach einer höheren Gasöl-Betriebsbeihilfe ist ein schlagendes Beispiel für die einseitige Interessenpolitik. Es gibt viele auch im Lager der Opposition, die dies nicht ernst nehmen.
({2})
Der Beschluß des Ernährungsausschusses unter Ziffer 7 stellt eindeutig fest, daß wir wollen, daß in diesem Bereich die gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen wie in den anderen Ländern. Wir werden uns bemühen, das auch zu erreichen.
({3})
Die Forderung nach der Änderung der Strukturrichtlinien der EG für einzelbetriebliche Förderung zeigt, wie wenig konsequent die Haltung der Opposition gegenüber den Problemen der EG-Agrarpolitik ist. Darauf ist heute auch bereits in der Fragestunde sehr ausführlich eingegangen worden.
Mit den Beschlüssen des Ernährungsausschusses wird gesagt, was zu tun ist. In Ziffer 9 der Entschließung heißt es: Es ist
darauf hinzuwirken, daß die einzelbetriebliche Förderung von Investitionen in landwirtschaftlichen Überschußbereichen solange in allen EG-Ländern ausgesetzt wird, bis ein Marktgleichgewicht annähernd erreicht ist. Davon unberührt bleiben sollen Agrarstrukturmaßnahmen im öffentlichen Interesse wie z. B. Aussiedlung und Althofsanierung im Zuge der Dorferneuerung.
Die Bundesregierung wird weiterhin in der Vorlage des Ausschusses ersucht, im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben für eine stärkere Koordinierung zu sorgen. Wir haben in der Entschließung auch festgelegt, daß die Probleme der Fischerei den geänderten Voraussetzungen Rechnung tragen müssen und daß genau zu beobachten ist, welche Hilfsmaßnahmen fortzusetzen sind, „wenn dies zur Erhaltung einer leistungsfähigen deutschen Fischereiflotte und zur Sicherung der nachgelagerten Wirtschaftsbereiche erforderlich ist".
Wimmer ({4})
Wir haben in Kenntnis der Probleme, die auch in der Land- und Forstwirtschaft vorhanden sind, der Entschließung die Ziffern 12 bis 16 angefügt, die, wie aus dem Bericht ersichtlich ist, den Widerspruch der Opposition fanden.
Wir meinen, daß es notwendig ist, gerade im sozialen Bereich die Solidargemeinschaft stärker in die eigene Pflicht zu nehmen. Es ist notwendig, alle Anstrengungen auch darauf zu richten, daß der Strukturwandel, der auch in der Zukunft in der Landwirtschaft fortgesetzt wird, sozial tragbar bleibt. Da ist zu prüfen, wie die Berufsberatung in der Landwirtschaft für heranwachsende Jugendliche und die Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche für Landwirte, die zur Nebenerwerbslandwirtschaft übergehen wollen, verbessert werden können. Es ist sicherlich in die Überlegungen auch einzubeziehen, daß die europäische Agrar- und Strukturpolititk darauf hinzuwirken hat, daß alle Anstrengungen unternommen werden, das Agrarmarktsystem so sinnvoll und kostengünstig wie möglich zu gestalten.
Der vorgelegte Entschließungsantrag enthält die Aufforderung, die Ziele europäischer Agrarstrukturpolitik klarer zu bestimmen. In der EG gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen zur künftigen EG-Agrarpolitik. Der Begriff der „bäuerlichen Landwirtschaft" wird für sehr verschiedene sozial-ökonomische Strukturen verwendet. Die Schwierigkeiten der Verständigung sind bei der Diskussion über die Leitlinien der Kommission sehr deutlich geworden. Zielsetzung für uns ist die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft, verbunden mit den allgemeinen Arbeitsplatz- und Beschäftigungsproblemen und mit den Fragen der Versorgungssicherheit der Landwirtschaft und auch mit der Sicherheit der Ökologie.
Die Opposition macht sich des Nachdenkens wenig Mühe.
({5})
Meistens heftet sie der Agrarpolitik der Bundesregierung das Etikett an: „Wachsen oder weichen". Ich meine, das ist eine törichte Feststellung.
Für uns wird die Agrarsozialpolitik weiterhin eine große Bedeutung behalten. Wir werden nach wie vor darauf drängen, daß die öffentlichen Mittel so einzusetzen sind, daß die Lasten sozial gerechter verteilt werden. Wir werden dafür sorgen, daß sich die Opposition an den Fragen der Solidarität innerhalb der Landwirtschaft nicht vorbeimogeln kann.
({6})
An dem vermeintlichen Erfolg der Verhinderung der Beitragsklassen werden die Kollegen aus der Opposition auf die Dauer sicherlich keine Freude haben.
Der in Kürze vorliegende Agrarbericht wird eine Möglichkeit bieten, sich eingehend mit der Agrarpolitik auseinanderzusetzen. Wir werden dort unsere Vorstellungen einbringen, wie wir glauben, daß die EG-Agrarpolitik verbessert werden kann.
({7})
- Wenn Sie sich bemühen, können Sie sich darüber Kenntnis verschaffen.
Eines ist sicher: Die Land- und Forstwirtschaft kann sich auch in Zukunft darauf verlassen, daß ihre Interessen von der SPD/ FDP-Koalition vertreten werden. Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag in der Ausschußfassung anzunehmen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Holsteg.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben uns heute abend hier im Plenum mit einem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 1981 zu befassen, der nun in einem mit dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fast identischen Expertenkreis nochmals behandelt wird,
({0})
verstärkt durch einige wichtige Persönlichkeiten und Damen und Herren Abgeordnete dieses Hohen Hauses. Das möchte ich besonders erwähnen. Das ist immerhin dankenswert.
({1})
In vier Sitzungen hat sich dieser Fachausschuß eingehend mit dem Antrag befaßt. Aus diesem Grunde und vor allem auch im Hinblick auf die Tatsache, daß wir voraussichtlich in genau fünf Wochen den Agrarbericht 1982 in diesem Hause in erster Lesung behandeln werden, möchte ich für die FDP zur Begründung der von der Koalitionsmehrheit im Fachausschuß durchgesetzten Änderungen zum Antrag der CDU/CSU folgendes ausführen.
Verehrter Herr Bayha, verehrte Kollegen der Union dieses Fachausschusses, in der Drucksache 9/1266 wird in sachlicher Darlegung berichtet, was aus diesem Antrag gemacht wurde und wie er behandelt wurde. Sie ist nicht in allen Punkten mit Ihrem Einvernehmen zustande gekommen; einzelne Punkte sind geändert, erweitert worden. Ich glaube, daß aus Ihrem Antrag - im Interesse der Landwirtschaft - insgesamt doch etwas sachlich Gutes, so wie es jetzt vorliegt, herausgekommen ist.
({2})
Das möchte ich Herrn Bayha doch erwidern. Im übrigen konnte j a der Inhalt einzelner Punkte einvernehmlich, mit Ihrer Zustimmung geregelt werden.
Sie erheben in dem von Ihnen eingebrachten Entschließungsantrag mit Bezug auf das Landwirtschaftsgesetz die Forderung, unverzüglich Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der deutschen Land- und Forstwirtschaft einzuleiten.
({3})
Daß wir es in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig - zum Teil weltweit - mit einer stagnierenden Wirtschaftsentwicklung, erheblicher Arbeitslosigkeit und sinkenden staatlichen Einnah4988
men aus Steuern und Sozialbeiträgen, daß wir es derzeit also beileibe nicht mit einer fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft, wie es im Landwirtschaftsgesetz heißt, als einer wachsenden und prosperierenden Wirtschaft, an deren Entwicklung der Landwirtschaft nach der Maßgabe des Gesetzes von 1955 die Teilnahme zu sichern sei, zu tun haben, ist inzwischen wohl jedem Bürger und damit auch jedem Landwirt in unserem Lande schmerzlich bewußt geworden.
({4})
Für uns Freie Demokraten mußte daher auch bei der Beratung des von Ihnen eingebrachten Antrags im Vordergrund stehen, daß wir jetzt Ernst machen mit dem Bemühen, den Bundeshaushalt umzuschichten und langfristig zu konsolidieren.
({5})
Mit dieser Aktion verbessern wir ohne Erhöhung der Nettokreditaufnahme die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie es auch von Ihnen im Interesse der Landwirtschaft gefordert wird.
({6})
Soziale Ausgaben und Vergünstigungen, die in einer Zeit des Wachstums des Sozialprodukts beschlossen worden sind, weitgehend zu erhalten - bekanntlich sind die Sozialaufwendungen insgesamt nur geringfügig gekürzt worden -, erfordert allerdings weit mehr Mut und Entschlossenheit, als den entgegengesetzten, populären Weg zu wählen und immer neue Forderungen zu erheben. Ich glaube, daß wir diesen Mut auch als Agrarpolitiker aufbringen müssen und dabei die derzeitige allgemeine wirtschaftliche Lage nicht außer acht lassen dürfen.
({7})
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen, die über die Probleme des Agrarsektors hinausreichen, haben die Agrarpolitiker der FDP darauf verzichtet, sich den Forderungen der Opposition z. B. nach Erhöhung der Gasöl-Betriebsbeihilfe oder nach einkommensteuerlichen Verbesserungen anzuschließen, wohlwissend, daß wir vom Berufsstand dafür keinen Dank erwarten können.
({8})
Ich bin überzeugt, daß wir durch diese Haushaltskürzungen und zum Teil auch Einnahmeverbesserungen wie im Falle der Mineralölsteueranhebung zum 1. April 1981 unseren Teil dazu beigetragen haben, daß das Zinsniveau mittelfristig wieder sinken wird. Es ist doch eine Tatsache, daß die Ursache für den Anstieg der landwirtschaftlichen Produktionskosten - neben der Ölpreiserhöhung und den Wechselkursveränderungen - u. a. auch die hohe Zinsbelastung für Bauern und Landhandel ist. Nur den
Zins können wir national direkt beeinflussen. Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen.
({9})
Lassen Sie mich nach diesen sehr grundsätzlichen Feststellungen über die uns durch die Haushaltskonsolidierung gezogenen Grenzen noch ein paar Bemerkungen zu einigen weiteren Punkten der vorliegenden Beschlußempfehlung machen. Es ist doch so, daß der Vermittlungsausschuß hinsichtlich der Vorsteuerpauschale den Vorschlag der Bundesregierung bestätigt hat, die landwirtschaftliche Vorsteuerpauschale zum 1. Januar 1982 um 0,5 Prozentpunkte anzuheben, aber auch nicht mehr, wie Sie sicherlich festgestellt haben.
Herr Kollege Holsteg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Eigen?
Wenn nach Ablauf meiner Rede noch Zeit zur Verfügung steht, bin ich gerne bereit, Herr Eigen, Fragen zuzulassen. In meinen zehn Minuten - ursprünglich waren 15 Minuten angesetzt - bin ich dazu kaum in der Lage. Nachher bin ich, wenn noch Zeit bleibt, gerne bereit.
({0})
In der Frage der künftigen Verfahrensweise verweise ich auf die Formulierungen der vorliegenden Beschlußempfehlung, die im Ausschuß einvernehmlich zustande gekommen ist.
Zur Agrarpolitik: Von der Union wird in ihrem Antrag wieder einmal eine generelle Abschaffung der Förderschwelle gefordert. Bekanntlich ist dies j a schon seit längerem ein strittiger Punkt der zwischen Koalition und Opposition - zumindest im Fachausschuß - gar nicht so unterschiedlichen agrarpolitischen Grundkonzeption, sehen wir einmal von höheren finanziellen Forderungen für die Landwirtschaft ab, wie man sie als Opposition sehr viel leichter und lauter fordern kann. Sicherlich trifft es zu, daß eine Förderschwelle immer eine Auswahl darstellt, die stärker an gewissen objektiven Voraussetzungen und agrarstrukturellen Zielvorstellungen orientiert ist. Damit können sicherlich auch nicht in jedem Fall die Entwicklungspotentiale eines Einzelbetriebes in wünschenswerter Weise gefördert werden. Wir müssen doch feststellen, daß es bisher einfach keine brauchbare Alternative zu diesem Konzept der im übrigen alles andere als starren Förderschwelle gibt, wenn man an dem Prinzip einer gezielten Förderung festhalten will.
Demgegenüber scheitert doch eine individuelle Beurteilung der Betriebe und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten - z. B. an Hand der Eigenkapitalbildung, wie Sie es vorschlagen - bisher in den meisten Bundesländern an der Tatsache, daß zu wenig Betriebe über eine ordnungsgemäße Buchführung verfügen, die die notwendige Voraussetzung für eine derartige Beurteilung wäre. Die Forderung, die die Opposition als Punkt 9 in ihrer Entschließung in dieHolsteg
ser Richtung erhebt, halten wir daher für theoretisch und bisher unpraktikabel.
({1})
Nach unserer Meinung müssen die gekürzten Haushaltsmittel in der Gemeinschaftsaufgabe wie auch die Überschüsse in einigen Produktbereichen innerhalb der EG vielmehr zu ganz anderen Überlegungen führen, nämlich, wie es vorhin der Kollege Wimmer bereits angeführt hat, für die Überschußbereiche im Rahmen der einzelbetrieblichen Förderung die Investitionen EG-weit vorübergehend ganz abzuschaffen bei entsprechenden Ausnahmen, die es immer gegeben hat. In der vorliegenden Beschlußempfehlung wird das von der SPD/ FDPKoalition auch so gefordert.
Zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung möchte ich kurz folgendes bemerken. Die Zuschüsse des Bundes zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind im Rahmen der Beschlüsse über die mittelfristige Finanzplanung um jährlich 60 Millionen DM abgesenkt worden. Nach unserer Meinung können aber nur objektive, nachprüfbare Zahlen, die die sogenannte alte Last ermitteln und die Risiko- und Beitragsstruktur erfassen, Grundlage für eine politische Entscheidung über die finanziellen Zuwendungen an die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sein.
({2})
Die SPD/ FDP-Koalition fordert daher in dem vorliegenden Antrag eine Untersuchung über die Altlast der Landwirtschaft in der Berufsgenossenschaft als Voraussetzung für eine ausgewogene Entscheidung, bei der die schwierige Einkommenssituation der Landwirtschaft gebührend zu berücksichtigen ist.
Lassen Sie mich als letztes zur Agrarpolitik in der EG sagen: Sie alle kennen die Probleme, die gerade in jüngster Zeit beim Versuch sowohl der Regierungschefs als auch der Außenminister, Korrekturen und Einsparungen bei der EG-Agrarpolitik zu erreichen, zutage getreten sind. Dennoch - lassen Sie mich das ganz klar sagen - halte ich es aus haushalts- und marktpolitischen Gründen für unerläßlich, hier weitere Anstrengungen zu unternehmen.
Der FDP liegt dabei auch in Zukunft die Erhaltung der flächenbezogenen bäuerlichen Landwirtschaft besonders am Herzen.
({3})
Dieses Leitbild unserer Agrarpolitik wollen wir auch angesichts des gewaltigen züchterischen und technischen Fortschritts aufrechterhalten und ersuchen daher die Bundesregierung, zu prüfen, ob die Einführung von Höchstbestandsgrenzen oder ähnlichen Maßnahmen ein geeignetes Instrument darstellt, den bäuerlichen Veredelungsbetrieben Hilf estellung und Schutz vor außerlandwirtschaftlichem Kapital und weiterem Verdrängungs- und Intensivierungswettbewerb
({4})
mit all seinen negativen Folgen für Umwelt, Gesellschaft, Dorfstruktur, Produktqualität und Energieverbrauch zu bieten. - Ich danke Ihnen.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1266 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Das ist mit großer Mehrheit angenommen.
({0})
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger ({1}), Böhm ({2}), Graf Huyn, Werner, Schulze ({3}), Lamers, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dallmeyer, Lowack, Frau Geier, Dr. Hennig, Berger ({4}), Sauer ({5}), Dr. Kunz ({6}), Dr. Hüsch, Dr. Todenhöfer, Dr. Köhler ({7}), Dr. Marx, Dr. Hornhues, Dr. Hupka, Rühe, Repnik, Dr. Mertes ({8}), Lintner, Gerster ({9}), Dr. Abelein, Straßmeir, Clemens, Dr. Arnold, Würzbach und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 9/926 Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Eymer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion „Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland" fordert die Bundesregierung auf, mit der DDR eine Vereinbarung zu schließen, auf Grund derer Deutschen aus der DDR, die noch nicht im Rentenalter stehen, auch ohne Vorliegen sogenannter dringender Familienangelegenheiten künftig auf Antrag regelmäßig erlaubt wird, aus der DDR auszureisen, um Mitglieder ihrer Familie zu besuchen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Im Rahmen der Vertragspolitik gegenüber der DDR sind eine Reihe von humanitären Erleichterungen angekündigt worden, die bisher nur teilweise, in eingeschränkter Form oder überhaupt nicht praktiziert werden und teilweise wieder zurückgenommen worden sind. Es gilt daher, die bestehenden
Eymer ({0})
Ansätze und Möglichkeiten im Interesse der Menschen konsequent zu nutzen, auszubauen und neue Grundlagen für eine Verbesserung der Lebensbedingungen im geteilten Deutschland zu schaffen.
({1})
Als Maßstäbe haben dabei jene Bestimmungen des Grundlagenvertrages zu dienen, wonach zum Wohle der Menschen normale gutnachbarliche Beziehungen entwickelt und die Menschenrechte gewahrt werden sollen.
Menschliche Erleichterungen sind kein Ersatz für die Gewährung von Menschenrechten. Dennoch tragen sie dazu bei, die Folgen der deutschen Teilung zu mildern, und schaffen Voraussetzungen für den Zusammenhalt des deutschen Volkes. Deutschlandpolitik bedeutet daher auch das ständige Bemühen, ein Höchstmaß an menschlichen Begegnungen und Möglichkeiten zum Austausch von Meinungen und Informationen im geteilten Deutschland zu verwirklichen sowie die Lage der Deutschen in der DDR und in den Ostblockstaaten zu erleichtern.
Die Erfahrung hat leider gezeigt, daß die DDR-Machthaber gerade diese Zielsetzung durch Abgrenzungsmaßnahmen zu unterlaufen versuchen.
({2})
Daher muß ihnen mit Nachdruck klargemacht werden, daß der menschlichen Zusammenhalt der Deutschen ein essentielles Ziel der innerdeutschen Beziehungen ist, dessen Blockierung den gegenseitigen Beziehungen die Grundlage und Motivation entziehen würde.
({3})
Wenn Sie einmal die Zahlen von Reisen von Bewohnern der DDR unter dem Tagesordnungspunkt „Besuche in dringenden Familienangelegenheiten" aus dem Jahre 1981 mit dem Vorjahr vergleichen, sehen Sie eine 10%ige Abnahme dieser Besuche. Wir hatten im Jahr 1980 40 455 und im Jahre 1981 36 767 Besuche. Diese Abnahme der Zahl der Genehmigungen zu Reisen in dringenden Familienangelegenheiten ist im Rahmen der Abgrenzungspolitik der DDR zu sehen.
Als Begründung, gleich ob diese im Einzelfall gegeben wird oder nicht, dienen in erster Linie sogenannte Sicherheitsbedenken. Diese erscheinen sowohl dem hiesigen, freien Teil Deutschlands als auch den eigenen Bürgern plausibel vertretbar. Die SED bedient sich zur Erreichung der gewünschten Einschränkung derartigen Reiseverkehrs vor allem folgender Maßnahmen: Ausdehnung des Personenkreises, dem als „Geheimnisträger" derartige Reisen verboten sind, Verlangen nach vorsorglicher schriftlicher Bestätigung der Kenntnisnahme, daß Westkontakte, mithin auch derartige Reisen, nicht stattfinden sollen, und Anregung zu einer Linientreue bekundenden Selbstverpflichtung, Westkontakte, mithin auch derartige Reisen, zu unterlassen. Es kann festgestellt werden, daß mit der Zulassung der Reisen in sogenannten dringenden Familienangelegenheiten bei der DDR in Verfolg ihrer Abgrenzungspolitik eine Entwicklung einsetzte, die die Wirkung der Vergünstigung teilweise aufheben sollte und aufgehoben hat.
({4})
Die Deutschlandpolitik hat auch und insbesondere das Ziel, den Deutschen in der DDR zu einem erträglicheren Leben zu verhelfen. Dazu gehört nicht nur die Verbesserung der materiellen Situation, nicht nur das Schaffen von menschlichen Erleichterungen, sondern auch der Versuch, auf Gewährung eines größeren persönlichen Freiraums hinzuwirken. Insbesondere gehört dazu das zähe Ringen um jedes Mehr an praktizierten Menschenrechten in der DDR.
({5})
Die Bundesrepublik Deutschland kann sich dabei auf folgende bindende Vereinbarungen und politische Absichtserklärungen berufen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Internationale Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966, Art. 2 des Grundlagenvertrages, Prinzip VII und Korb III der KSZE-Schlußakte.
Zur Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen erklären die Teilnehmerstaaten der KSZE ihre Bereitschaft, die weitere Entwicklung von Kontakten zu fördern. Es heißt wörtlich:
Um die weitere Entwicklung von Kontakten auf der Grundlage familiärer Bindungen zu fördern, werden die Teilnehmerstaaten Gesuche auf Reisen wohlwollend prüfen mit dem Ziel, Personen zu erlauben, in ihr Territorium zeitweilig und, wenn gewünscht, regelmäßig einzureisen oder aus ihm auszureisen, um Mitglieder ihrer Familien zu besuchen.
Wenn die KSZE-Schlußakte auch an vielen Stellen unpräzise formuliert, so heißt es hier doch klar und deutlich:
Gesuche auf zeitweilige Besuchsreisen zum Zweck von Begegnungen mit Mitgliedern ihrer Familien werden ohne Unterschied hinsichtlich des Herkunfts- oder Bestimmungslandes behandelt .
({6})
Der Handlungsauftrag der Bundesregierung ergibt sich auf Grund des Abschnitts „Folgen der Konferenz". Die Teilnehmerstaaten erklären ihre Entschlossenheit, in der Folgezeit der Konferenz die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz gebührend zu berücksichtigen und sie anzuwenden. Nach Ziffer 1 Buchst. b der Schlußakte können ihre Bestimmungen auch bilateral durch Verhandlungen mit anderen Teilnehmerstaaten angewendet werden.
({7})
Die Regierung der DDR wendet entgegen den Vereinbarungen von Helsinki für die unter ihrer Staatsgewalt lebenden Deutschen die vorgesehene Familienbesuchsregelung nicht von sich aus an.
Eymer ({8})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, zu versuchen, im Rahmen ihrer Schutzpflicht für alle Deutschen eine bilaterale Verwirklichung der Bestimmungen in Korb III Ziffer 1 Buchst. a der KSZE-Schlußakte zu erreichen.
({9})
Ich darf zum Schluß Außenminister Genscher zitieren, der am 25. Juli 1975 zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit für die Bundesregierung in diesem Hause erklärte:
Bei Korb III, meine Damen und Herren, geht es um Fragen, die das Leben und das Schicksal unzähliger Menschen unmittelbar berühren. Es geht darum, ob Menschen ihre Angehörigen besuchen können, ob Familien, die auseinandergerissen sind, zusammenkommen, ... ob die Menschen überall in Europa mehr voneinander erfahren, ob sie einander besser verstehen können. An den praktischen Auswirkungen gerade dieser Aussagen wird die Bundesregierung den Wert der Konferenzergebnisse messen ... Und, meine Damen und Herren, sie wird wie ihre Freunde den Willen jedes Teilnehmerstaates zu echter Entspannung danach beurteilen, wie er diese Zusagen erfüllt . .. Konzentrieren wir uns also nach der Konferenz auf die Frage der Durchführung der Konferenzbeschlüsse gerade im Bereich des Korbes III.
({10})
Erklärungen sind gut, Handeln ist besser. Die CDU/ CSU fordert die Bundesregierung auf zu handeln. Tausende deutscher Familien haben einen Anspruch auf entsprechende Anstrengungen der Bundesregierung. - Ich danke Ihnen.
({11})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Weinhofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich sehr erfreulich, feststellen zu können, daß die CDU/CSU den Deutschen Bundestag mit einem derartigen Antrag beschäftigt. Es ist außerordentlich erfreulich, feststellen zu können, daß sich die CDU/CSU bei dem uns zur Beratung vorliegenden Antrag auf die geschaffenen Tatsachen und Leitlinien der KSZE-Schlußakte beruft, die von ihr am 25. Juli 1975 abgelehnt wurden.
({0})
Es ist sehr interessant, sich dieses Papier vor Augen zu halten und zu lesen, wie dieser Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU damals begründet wurde. Um mir die Zeit zu sparen, will ich nur den Anfang vorlesen:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen.
Um so erstaunlicher und erfreulicher ist es für mich, daß die CDU/CSU doch einen Lernprozeß durchgemacht hat.
({1})
In Gegensatz zu Ihrem damaligen Verhalten hat auch der Europarat eine Erklärung über die KSZE abgegeben. Ich zitiere aus dem Punkt 3:
Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten in Europa, die vor allem durch den Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin und des Vertrags zwischen den beiden deutschen Staaten gefördert worden ist, hat die Einberufung der Konferenz ermöglicht. Jedoch hat diese Verbesserung die Unterschiede in den Ideologien und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen nicht ausgeräumt.
Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren - und ich meine damit alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien - treten nach wie vor für die Freizügigkeit aller Deutschen ein.
({2})
Dazu gehört vor allem der ungehinderte Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten.
({3})
- Warten Sie einen Augenblick, Sie hören sofort das Entsprechende.
Wir sollten uns, um sachlich hier diskutieren zu können, die Pflicht auferlegen, festzustellen, was vor 1969 war und was heute ist. Es ist ganz interessant, wenn man als Neuling mal in den alten Drucksachen des Deutschen Bundestages stöbert. Ich bin da auf eine Drucksache, auf einen gemeinsamen Entschließungsentwurf aller damals im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen vom 1. Oktober 1958, gestoßen, in dem unter 2. festgestellt wurde:
Der Deutsche Bundestag erhebt besonders Einspruch gegen die kaltherzige und heimtückische Knebelung der Freizügigkeit, durch die den Einwohnern der sowjetisch besetzten Zone das Reisen über die Zonengrenze hinweg nahezu unmöglich gemacht ist.
({4})
Das krasseste Zeichen der Unterbrechung der menschlichen Beziehungen ist der Rückgang des Reiseverkehrs um fast 85% gegenüber dem Vorjahr. Der Deutsche Bundestag wiederholt sein Verlangen, allen Deutschen das Reisen innerhalb Deutschlands endlich freizugeben. Daß von den Besuchern die jeweils im anderen Teil Deutschlands geltenden gesetzlichen und behördlichen Vorschriften zu beachten sind, ist eine Selbstverständlichkeit.
Dies war unmittelbar nach der Ungarn-Krise - um weiter nichts dazu zu sagen.
Heute stellen wir fest, daß der Reiseverkehr sehr große Fortschritte gemacht hat. Wenn ich die Zahlen aus dem Jahre 1980, also vor den Ereignissen in Polen, hernehme, so ist festzustellen, daß 1980 2,7 Millionen Bürger aus der Bundesrepublik Deutschland Verwandte und Bekannte in der DDR besucht haben.
({5})
- Herr Kollege Jäger, ich bitte Sie, die Zahlen, die Ihnen vorliegen, mal richtig zu interpretieren
({6})
und die richtigen Konsequenzen und logischen Schlüsse daraus zu ziehen.
({7})
Im Vergleich zum Jahre 1971 - vor dem Verkehrsvertrag also - sind das ca. 1,4 Millionen mehr. Aus der DDR sind 1980 1,55 Millionen Bewohner im Rentenalter in die Bundesrepublik Deutschland und nach West-Berlin gereist.
Herr Kollege Weinhofer, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja. bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege, wären Sie bereit, um der Objektivität willen - und nur darum geht es mir -, nachdem Sie die Zahlen derjenigen, die aus der DDR 1957 und jetzt zu uns kommen konnten, vergleichsweise aufgezeigt haben, zu sagen, was 1957
({0})
- 1958, einverstanden, Herr Kollege - aus dem Bundeshaushalt auf den verschiedensten Kanälen an die DDR gezahlt worden ist und was heute an die DDR geleistet wird?
Ich weiß nicht, ob Sie richtig liegen, wenn Sie einen derartigen Sachzusammenhang glauben zimmern zu sollen.
({0})
Ich sehe zwischen dem, was vor 1958 gelaufen ist, und dem, was heute läuft, keinen Sachzusammenhang.
({1})
Wir können heute sachlich feststellen, daß sich die Besucherziffern auf Grund der erfolgreichen Deutschland- und Ostpolitik erstaunlich entwickelt haben,
({2})
im Gegensatz zu dem, was war, als Sie die Regierungsverantwortung trugen.
Seit 1973 haben die Bewohner grenznaher Kreise die Möglichkeit, in die grenznahen Gebiete der DDR zu reisen. Im Jahr 1980 machten davon fast 400 000 Reisende Gebrauch. Im April 1980 wurde der Kreis derjenigen, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen können, noch vergrößert.
Im Touristikbereich wurden 1972/73 zirka 5 000 Reisende festgestellt. 1980 wurden 150 000 touristische Reisen, also mehr als das 30fache, von den Reisebüros in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin vermittelt.
Ich meine - hier müßte der Konsens hergestellt werden -, daß diese Zahlen Beweis genug dafür sind, daß eine Vielzahl von Abkommen, Vereinbarungen und Verträgen zu einer Politik der deutschdeutschen Annäherung, zu einer Verbesserung der Beziehungen führte, deren Auswirkungen für die Bundesrepublik Deutschland und für ihre Legitimitätsgrundlagen wie u. a. die Freizügigkeit des Menschen unproblematisch sind, jedoch für die DDR und das Legitimationsverständnis der DDR mehr und mehr disfunktional wirken.
({3})
Alle Versuche der Anerkennung der Leitlinien, insbesondere hinsichtlich der Menschenrechtsbestimmungen, basierend auf der KSZE-Schlußakte von Helsinki, problematisieren die Legitimität des DDR-Systems im Innen- und Außenverhältnis. Gerade in Zeiten politischer Gärungs- und Veränderungsprozesse in Europa reagieren SED und Staat in der DDR zum Zwecke ihrer Bestandserhaltung verschärft repressiv nach innen wie nach außen. Ich glaube, daß wir aufgefordert sind - alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag -, dabei mitzuhelfen, dieses Abgrenzungstrauma der DDR zu überwinden.
({4})
Um den Betroffenen zu helfen, für die ein freier Reiseverkehr notwendig und deshalb wünschenswert ist, nimmt die Bundesregierung alle sich bietenden Gelegenheiten zu Sondierungen, Gesprächen und Verhandlungen wahr. Darüber hinaus bezieht sie sich jedoch hauptsächlich auf die Schlußakte von Helsinki - die Sie abgelehnt haben -,
({5})
die Maßstäbe für die Entwicklung der Beziehungen auf Gebieten setzt wie z. B. für die Fragen der menschlichen Kontakte in Korb III, wo es noch keine oder näher ins einzelne gehende bilaterale Regelungen gibt.
Das Verlangen der CDU/CSU, gebieterisch gegenüber der DDR aufzutreten, wie es in der Begründung dieses Antrages zum Vorschein kommt und durchschimmert, verschüttet meiner Meinung und unserer Meinung nach die Möglichkeiten der positiven Einwirkung. Die SPD kann deshalb dem Antrag der CDU/CSU nicht nähertreten und wird nach einer
sorgfältigen Überprüfung Ihres Antrages im innerdeutschen Ausschuß diesen Antrag weiterhin zur Beratung stellen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will gar nicht bestreiten, daß der Antrag, den die Opposition hier vorgelegt hat,
({0})
in der Tendenz ein richtiges Ziel ansteuert, das im Grunde genommen bei allen Fraktionen dieses Hauses unumstritten ist.
Gleichwohl habe ich mir beim Lesen Ihres Antrags zunächst die Frage vorgelegt, was Sie mit diesem Antrag nun eigentlich ganz konkret bezwecken. Halten Sie einen Vertrag mit der DDR auf der Grundlage von Helsinki über die Freizügigkeit ihrer Bewohner für relativ leicht erreichbar? Wenn das so wäre, müßte man sich in der Tat die Frage stellen, warum die Bundesregierung nicht schon längst derartige Verhandlungen aufgenommen hat.
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Oder will die Opposition etwa aufzuzeigen versuchen, daß die Schlußakte von Helsinki im Grunde nichts bringt? Das wäre der Versuch einer späten Bestätigung einer im Juli 1975 eingenommenen Haltung. Aber ich will hierüber keine näheren Überlegungen anstellen, sondern für mich und meine Fraktion in aller Kürze folgendes feststellen.
Erstens. Die Freizügigkeit aller Deutschen, also auch der Bürger in der DDR, ist ein politisches Ziel, das, wenn ich es recht sehe, von allen Fraktionen dieses Hauses angestrebt wird. Bei allen Schwierigkeiten, die bei der politischen Interessenlage der Verantwortlichen in der DDR bestehen, läßt auch die Bundesregierung mit ihrer Deutschlandpolitik dieses Ziel, wie ich meine, nicht aus dem Auge.
Zweitens. Neben anderen Verträgen und Vereinbarungen bietet auch nach meiner Überzeugung die Schlußakte von Helsinki - hier Korb III - eine wichtige Grundlage, auf der mit der DDR Gespräche zu führen wären.
({2}) Dies ist auch die Auffassung meiner Fraktion.
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- Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. - Wir sind der Überzeugung, daß die DDR sich in ihrem Verhalten an den von ihr mit unterschriebenen Bestimmungen der Schlußakte letztendlich - ich sage: letztendlich - messen lassen muß.
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Die Frage kann daher nur sein, meine Damen und Herren auch von der Opposition, auf welchen Wegen dieses soeben genannte politische Ziel in sinnvoller Weise angegangen werden kann. Hier bin ich der Auffassung - und alle deutschlandpolitische Erf ah-rung bestätigt dies -, daß nur im Rahmen anderer Vereinbarungen auf den verschiedensten Gebieten auch die Herabsetzung des Reisealters, schließlich sogar dessen Aufhebung, sinnvoll eingebracht werden kann.
Hoffentlich gelingt es, daß im Anschluß an den Besuch des Herrn Bundeskanzlers in der DDR im Dezember des vergangenen Jahres Gespräche über viele anstehende Themen nicht nur in Gang kommen, sondern auch zum Erfolg führen. Eine isolierte Behandlung des Reiseverkehrs, wie sie den Antragstellern mit der Berufung auf die Schlußakte von Helsinki vorzuschweben scheint, verspricht nach meiner Überzeugung kaum Erfolg.
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Nur in einem größeren Gesamtzusammenhang sind Fortschritte vorstellbar.
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Die Bundesregierung wird gebeten, hier alle sich bietenden Gelegenheiten auszuschöpfen. Publizitätswirksame Vorankündigungen, wie sie mit dem Antrag der CDU/CSU zwangsläufig verbunden sein können, erreichen vielleicht eher das Gegenteil.
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Mit einer solchen Bewertung will ich die Bedeutung der Schlußakte von Helsinki mit ihrem Korb III keineswegs kleinschreiben. Gestatten Sie mir ein paar allgemeine Bemerkungen zu diesem Thema:
Im Gegenteil: Die Tatsache, daß auf der Grundlage von Helsinki fast überall in Europa über Menschenrechte offen diskutiert wird - nicht nur auf den Folgekonferenzen -, zeigt schon heute, in welchem Maße die Frage der Menschenrechte in das Bewußtsein der Völker eingedrungen ist.
Herr Kollege Wendig, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte, gern.
Bitte schön.
Sie haben schon auf die Nachfolgekonferenzen hingewiesen. Sind Sie mit mir der Auffassung, daß gerade diese Nachfolgekonferenzen im Rahmen der KSZE vorzüglich geeignet wären, immer wieder auf diesen Tatbestand hinzuweisen, und den idealen Anknüpfungspunkt böten, auch im Rahmen zusammenfassender größerer Gesprächsbereiche diesen von uns angesprochenen Bereich ganz konkret und unmittelbar und hartnäckig immer wieder aufzugreifen und zu verfolgen?
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In bestimmten größeren Zusammenhängen sicherlich. Gleichwohl muß ich Ihnen, Herr Kollege, sagen, daß Sie kein multilaterales Vorgehen, wie es die Folgekonferenzen darstellen, beantragen, sondern in ihrem Antrag wird ein bilaterales Vorgehen zwischen beiden deutschen Staaten vorgeschlagen. Ich schließe damit aber nicht aus, daß im gegebenen Rahmen natürlich auch dieses ein Thema für Folgekonferenzen sein kann und möglicherweise sein muß.
Ich will da noch einmal anknüpfen. Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß als Folge von Helsinki über Menschenrechte überall in Europa diskutiert wird, ist ein Prozeß, der in das Bewußtsein der Völker eingedrungen ist. Ich meine, daß dies eine Entwicklung ist, der auf die Dauer auch keine Regierung widerstehen kann.
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Das ist der Prozeß, den wir mit Helsinki im Grunde genommen als eingeleitet ansehen. Das ist aber keine vor der Geschichte oder einer historischen Instanz auf den Tag einklagbare Forderung. Das ist der Unterschied.
Wir wissen schließlich alle - bitte, machen wir uns doch nichts vor -, daß in bestimmten Teilen Europas die Voraussetzungen des Korbes III von Helsinki von Anfang an nicht vorgelegen haben. Wir wissen ferner, daß kein Mensch ernsthaft angenommen hat, gestützt auf die Schlußakte bestimmte Staaten in multilateralen oder bilateralen Gesprächen sozusagen unverzüglich zu einer Veränderung ihres politischen Systems veranlassen zu können. Das ist doch das, was hinter Ihrem Antrag steckt. Das wäre illusionär. Hier handelt es sich um einen langsam sich entwickelnden Prozeß, der nur durch Beharrlichkeit und Ausdauer in unsere politische Vorstellungswelt gelenkt werden kann.
Wir werden über den Antrag der Opposition im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen noch zu beraten haben. Schon jetzt möchte ich für mich und meine Fraktion erklären, daß wir mit Vertrauen die Bemühungen der Bundesregierung begleiten, in dem schwierigen Entwicklungsprozeß, den ich soeben skizziert habe, auch der Frage der Freizügigkeit für alle Deutschen ihren gebührenden Platz einzuräumen. - Danke schön.
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Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/926 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 7. Juli 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von
Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten
- Drucksache 9/670-Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0})
- Drucksache 9/1269 Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
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Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Einzelabstimmung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Dr. Riedl ({2}), Klein ({3}), Kraus, Dr. Faltlhauser, Dr. Kunz ({4}), Dr. Müller, Röhner, Linsmeier, Lowack, Dr. Kreile, Sauter ({5}), Dr. Waffenschmidt, Niegel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die verbilligte Veräußerung, Vermietung und Verpachtung von bundeseigenen Grundstücken
- Drucksache 9/938 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
- Drucksache 9/1280 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Carstens ({7})
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Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1280, den Antrag auf Drucksache 9/938 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 152 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1979 über den Arbeitsschutz bei der Hafenarbeit
- Drucksache 9/1227 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Ich sehe, dem wird nicht widersprochen. Damit ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 26 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/1132 -
b) Beratung der Sammelübersicht 27 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/1162 -
c) Beratung der Sammelübersicht 28 des Petitionsausschusses ({11}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/1260 Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 9/1132, 9/1162 und 9/1260 zuzustimmen wünscht, die in den Sammelübersichten 26 bis 28 enthaltenen Anträge anzunehmen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall. Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Bundeseigenes Krankenhaus in Bad Pyrmont, Maulbeerallee 4; Veräußerung an das Land Niedersachsen
- Drucksache 9/1229 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrages an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 bis 13 auf:
11. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 25 02 Tit. 882 02
- Wohnungsbauprämien nach dem Wohnungsbauprämiengesetz -- Drucksachen 9/1128, 9/1276 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler
Hauser ({13})
12. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 10 02 Tit. 656 55
- Krankenversicherung der Landwirte - im Haushaltsjahr 1981
- Drucksachen 9/1087, 9/1277 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({15}) Frau Zutt
Dr. Zumpfort
13. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1981 bei Kap. 14 12 Tit. 698 02
- Entschädigungen auf Grund des Fluglärmgesetzes -Drucksachen 9/1077, 9/1278 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Stavenhagen Frau Traupe
Dr. Zumpfort
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 9/1276, 9/1277 und 9/1278, von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen auf den Drucksachen 9/1128, 9/1087 und 9/1077 Kenntnis zu nehmen. - Ich stelle fest, daß das Haus davon Kenntnis genommen hat.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({17}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Bundeseigenes Gelände in Hannover-Langenhagen; Veräußerung einer insgesamt 10,89.21 ha großen Teilfläche an
a) die Landeshauptstadt Hannover und
b) die Fa. VDO Meß- und Regeltechnik GmbH, Hannover
- Drucksachen 9/1071, 9/1279 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Carstens ({18})
Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/1279 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen Entlastung der Bundesregie4996
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
rung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1980 ({19})
- Drucksache 9/1259 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrages an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; das Haus ist einverstanden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 bis 20 auf:
16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erzeugergemeinschaften und ihre Vereinigungen im Baumwollsektor
- Drucksachen 9/887 Nr. 6, 9/1167 Berichterstatter: Abgeordneter Eigen
17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({22}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({23}) Nr. 2511/69 über Sondermaßnahmen zur Verbesserung der Erzeugung und Vermarktung von Zitrusfrüchten der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/1041 Nr. 5, 9/1175 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({24})
18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({26}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({27}) Nr. 2358/71 zur Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Saatgut, der Verordnung ({28}) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide und der Verordnung ({29}) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif
Vorschlag für eine Verordnung ({30}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({31}) Nr. 1660/81 zur Festsetzung der für Saatgut gewährten Beihilfe für die Wirtschaftsjahre 1982/83 und 1983/84
- Drucksachen 9/961 Nr. 10, 9/1225 Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder ({32})
19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({33}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat über die sozialen Aspekte der Seefischerei in der Europäischen Gemeinschaft
- Drucksachen 9/257, 9/1237 Berichterstatter: Abgeordneter Pohlmann
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({34}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({35}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({36}) Nr. 1035/72 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse hinsichtlich der Erzeugerorganisationen
Vorschlag einer Verordnung ({37}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({38}) Nr. 1035/72 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse
- Drucksachen 9/1041 Nr. 8, 9/1268 Berichterstatter: Abgeordneter Michels
Ich sehe, das Wort dazu wird nicht gewünscht. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 9/1167, 9/1175, 9/1225, 9/1237 und 9/1268 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Das ist nicht der Fall. Damit sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Februar 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.