Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir fahren fort mit der Aussprache und Beschlußfassung in der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1982.
Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksache 9/1188 Berichterstatter:
Abgeordnete Grobecker Dr. Hackel
Einzelplan 32 Bundesschuld
- Drucksache 9/1203 Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Carstens ({0})
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 9/1207 Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler
Dr. Dübber
Hoffmann ({1}) Hoppe
Carstens ({2})
Einzelplan 20 Bundesrechnungshof
- Drucksache 9/1197 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Dr. Hackel
dazu
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1981 bis 1985
- Drucksachen 9/771, 9/967, 9/1261 Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Hoppe
Dr. Riedl ({4})
Im Ältestenrat ist verbundene Beratung der Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 sowie des Finanzplans des Bundes 1981 bis 1985 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Dies ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens ({5}).
({6})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren. Aus guten Gründen hat man den Staatshaushalt auch als das Schicksalsbuch der Nation bezeichnet. Um den Inhalt dieses Buches ist es nun seit Jahren schon nicht gut bestellt.
({0})
Aber mehr als in allen Jahren zuvor spiegelt der Bundeshaushalt 1982 die katastrophale Lage unserer Volkswirtschaft wider.
({1})
Man möchte sich geradezu verwundert fragen, wie diese Entwicklung überhaupt möglich gewesen ist. Das eine steht fest: Während der Regierungszeit der SPD/FDP-Koalition hat die Bundesrepublik Deutschland unzweifelhaft eine Entwicklung durchgemacht, die man, historisch gesehen, sicher einmal als Phase der großen Versäumnisse und Fehler bezeichnen wird.
({2})
Carstens ({3})
Die Erfahrung ist längst zur Gewißheit geworden. Die sogenannte sozialliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik ist schlecht für unser Land.
({4})
Sie ist unfähig, den erreichten Wohlstand zu halten, geschweige denn, ihn zu vermehren.
({5})
Bei ihrem Regierungsantritt 1969/70 hat die Koalition eine gesunde Wirtschaft, solide Staatsfinanzen und ein stabiles Netz sozialer Sicherheiten übernehmen können. Für 1982 erwartet unser Land bis zu zwei Millionen Arbeitslose, Rekordziffern bei Konkursen und Vergleichen und eine sich dramatisch zuspitzende Staatsverschuldung mit ständig zunehmender Auslandsverschuldung. Die Wirtschaft schrumpft. Die D-Mark wird schwächer. Die negativen Entwicklungen nehmen noch vor Jahren nie für möglich gehaltene Ausmaße an. Wir stehen eindeutig vor der gravierendsten finanziellen und wirtschaftlichen Krise in der Geschichte der Bundesrepublik,
({6}) deren Bewältigung noch aussteht.
({7})
Nach der bisherigen Beratung des Haushalts 1982 im Plenum und auch im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages ist mir klargeworden, daß diese Phase der großen Versäumnisse und Fehler mit all den negativen Folgen für unser Volk nicht eher aufhören wird, bis diese Bundesregierung abgelöst wird.
({8})
Der Bundeshaushalt 1982 weist nicht den Weg, um aus diesem Dilemma herauszukommen.
({9})
Er ist nach rückwärts gerichtet und zeigt keine Zukunft auf. Der Haushalt beschränkt sich darauf, den Mangel zu verwalten. Die Bundesregierung ist entweder nicht willens oder aber nicht in der Lage, den bestehenden Teufelskreis, den Circulus vitiosus
({10})
ihrer Schulden- und Abgabenpolitik zu durchbrechen. Lassen Sie sich eins sagen, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition:
({11})
Ohne durchgreifende Sanierung der Staatsfinanzen gibt es keine Lösung der Probleme.
({12})
Der Haushalt 1982 geht nicht den Weg in diese Richtung; ganz im Gegenteil.
An verbalen Kraftakten hat es nicht gefehlt, auch nicht an gesetzgeberischem Fleiß und an Kleinarbeit. Der gesetzgeberische Aufwand war sogar gewaltig. Es bedurfte sieben schwerwiegender Gesetze
- darunter ein Artikel-Gesetz mit allein 37 Artikeln -, um einen einzigen Haushalt gerade über den Tag hinaus zum Ausgleich zu bringen.
Ich möchte den Kollegen von SPD und FPD gerne bestätigen, daß sie sich bemüht haben, im Ausschuß gute Arbeit zu leisten.
({13})
Wir haben uns gemeinsam bemüht, aus dem schlechten Haushaltsentwurf des Bundesministers das Beste zu machen.
({14})
Aber alles, das, was wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß und bei der Beratung der den Haushalt begleitenden Gesetze gemeinsam bewirkt haben, hat an Ausgabekürzungen nur soviel gebracht, um damit gerade die zusätzlichen Zinsbelastungen des Jahres 1982 ausgleichen zu können.
({15})
Es ist eine dramatische Entwicklung, die wir durchmachen und auf die wir uns einzustellen haben.
Der Bundeshaushalt 1982 ist darüber hinaus eine Zumutung für dieses Parlament. In diesen Stunden, d. h. zur Zeit der Haushaltsberatungen, müssen wir miterleben, wie auf Kabinettsebene, neben dem Kabinett, irgendwo hinter verschlossenen Türen Gespräche darüber geführt werden, ob es im Jahre 1982 irgendein Beschäftigungsprogramm geben solle. Als ob das alles mit dem Haushalt und mit dem Parlament nichts zu tun hätte! Man hat fast den Eindruck, daß sich das deswegen hinter verschlossenen Türen abspielt, damit die Arbeitnehmer nicht erfahren, was für sie beschlossen bzw. über sie entschieden wird.
({16})
Wir haben darüber hinaus damit zu rechnen, daß in wenigen Wochen der Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt wird. Alle Welt geht davon aus, daß dieser Jahreswirtschaftsbericht noch negativere Zahlen zum Ausdruck bringen wird, als für den Haushalt 1982 zugrunde gelegt worden sind.
({17})
So muß die Erwartung sein; denn die Fachwelt weiß j a, daß die Zahlen nicht eingehalten werden können, von denen Sie für das Jahr 1982 ausgehen.
({18})
Niemand glaubt Ihnen noch, daß es im Jahresdurchschnitt nur 1,6 Mio. Arbeitslose geben wird. Die Zahl wird doch höher liegen. Die Wachstumsraten, die Sie vorausschätzen, werden nicht erreicht werden können. Es ist doch nichts anderes als Theaterdonner, ja ein Zirkusspiel, das sich hier abspielt: Wir beraten den Haushalt, und gleichzeitig weiß alle Welt, daß die Zahlen, von denen wir für das Jahr 1982 ausgehen, nicht stimmen werden.
({19})
Carstens ({20})
Von diesen Unklarheiten sind die Beratungen im Haushaltsausschuß wesentlich geprägt worden.
({21})
Es fing mit der Prognose des Wirtschaftswachstums an. Da gab es nämlich drei Schätzungen, im März, Juni und Dezember.
Es waren drei Korrekturen nach unten. Zunächst ging man von 7,2 % aus, zuletzt nur noch von 5,4 %. Aber auch das ist noch eine zu optimistische Schätzung. Vieles wurde hin und her geschoben, erhöht und nochmals erhöht oder auch umgekehrt. Manchmal wurden Angaben auf dem Weg der Zettelwirtschaft innerhalb von wenigen Stunden geändert.
Stichwort Steuerschätzung: drei Prognosen, drei Korrekturen nach unten. Dennoch wird für 1982 seitens der Regierung mit einer Zunahme des Steueraufkommens in Höhe von 5,5 % gerechnet. Hier lauert bereits die zweite Gefahr: Was ist, wenn diese Wachstums- und Steuerschätzung um einen Punkt, um anderthalb oder zwei Punkte verfehlt wird? Das ist wiederum ein Risiko in Milliardenhöhe.
Ein weiteres Stichwort: Bundesbankgewinn; dreimal hingeschaut, dreimal zugelangt. Erst waren es 7 Mrd. DM, zum Schluß 10,5 Mrd. DM. Dabei war die Zahl von 10,4 Mrd. DM auch noch handschriftlich auf 10,5 Mrd. DM durchgeändert. Das ist eine typische Verhaltensweise unseres Ministers. Ich habe im Ausschuß einmal gesagt: Wenn sich irgendein Gemeindekämmerer so verhalten hätte wie unser Minister, wäre er wegen Unfähigkeit sofort entlassen worden!
({22})
Richtig wäre das gewesen, was wir von der Bundesregierung gefordert haben. Wir haben gesagt, der Minister solle den Haushalt zurückziehen, um ihn noch einmal zu überarbeiten. Der Haushalt müßte in der Tat noch einmal gründlich überarbeitet werden; aber es ist nicht gemacht worden. Nun beraten wir einen total unzulänglichen Haushalt. Wir halten es für unzumutbar, hierzu auch nur einen Änderungsantrag zu stellen, weil der Haushalt es nicht wert ist, daß von uns auch nur ein Antrag dazu kommt. So schlecht ist dieser Bundeshaushalt 1982!
({23})
Meine Damen und Herren, es handelt sich in der Tat um einen miserablen Haushalt. Er leitet, Herr Kollege Löffler, keine Wende in der Finanzpolitik ein. Mit ihm werden die Fehler der Vergangenheit eher verstärkt fortgeführt. Der Haushalt trägt auch nicht zur Verringerung, sondern eher zur Vermehrung der Arbeitslosigkeit bei. Ich will das gern an Hand von Fakten beweisen.
({24})
Der beste Beweis für die „Qualität" des Haushalts 1982 ist ein Vergleich mit dem Haushalt 1981; denn
die Journalisten, die Fachleute, die Experten, wir alle sind uns darüber einig gewesen, daß es sich bei dem Haushalt 1981 um den bisher schlechtesten Bundeshaushalt überhaupt gehandelt hat.
({25})
Er begann im Entwurf mit einer Nettoneuverschuldung von etwa 27 Milliarden DM und entwickelte sich dann bis zum Dezember 1981 zu einem Haushalt mit einer Nettoneuverschuldung von 37,6 Milliarden DM.
Dabei ist zu bedenken, daß noch 700 Millionen DM auf den Verschiebebahnhof Deutsche Bundesbahn gebracht wurden, so daß man im Grunde von einer Neuverschuldung in Höhe von 38,3 Milliarden DM sprechen muß.
({26})
Das sind 10 bis 11 Milliarden DM mehr, als im Haushaltsentwurf vorgesehen war.
({27})
Dann erleben wir im Haushaltsausschuß - die Kollegen des Ausschusses werden es bestätigen können -, daß sich die Regierung noch erdreistet, dies als Erfolg auszugeben, weil ja die Zahl von 40 Milliarden DM nicht erreicht worden sei. Das ist ein tolles Stück, das wir im Ausschuß miterleben mußten!
({28})
Die Verschuldung 1982 nimmt sich im Haushalt mit 26,8 Milliarden DM zunächst noch einigermaßen passabel aus, aber eben nur zunächst.
({29})
Da die Abführung des Bundesbankgewinns von 10,5 Milliarden DM volkswirtschaftlich genauso bewertet werden muß wie eine Neuverschuldung - das bestätigt ja die Deutsche Bundesbank -, wird das Ergebnis 1982 unter Einbeziehung nur der sicher erkennbaren Risiken, von denen ich eben gesprochen habe, eher zu einer höheren volkswirtschaftlichen Neuverschuldung führen, als das beim Etat 1981 der Fall gewesen ist. Das heißt, wenn der Etat 1982 schlechter ist als der schlechteste Haushalt bisher, dann darf man bewußt sagen: Der Haushalt 1982 ist ein miserabler Haushalt!
({30})
Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Abgeordneter Löffler, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Carstens, nachdem Sie den Haushaltsentwurf 1982 eben in der der Opposition eigenen Art charakterisiert haben, darf ich Sie fragen, warum die Opposition bei
den Sparvorschlägen der Regierung ihre Zustimmung nur für Einsparungen in Höhe von etwa 5 Milliarden DM hier in diesem Hause gegeben hat.
Herr Kollege Löffler, Sie sind als Haushaltsexperte bei uns durchaus angesehen; aber Sie wissen, daß wir uns bei der Beratung des Haushaltsentwurfes über einige Wochen hinweg Mühe gegeben haben, Sie davon zu überzeugen, daß es unbedingt notwendig und richtig gewesen wäre, unserem Vorschlag nachzukommen, nämlich lineare Kürzungen in Höhe von 5 % bei Leistungsgesetzen und bei Subventionen mitzumachen. Das haben Sie abgelehnt.
({0})
Bevor ich zu einer weiteren Zwischenfrage das Wort erteile, möchte ich Sie, Herr Abgeordneter Löffler, ganz besonders freundlich ansprechen. Sie haben diesen großartigen kollegialen Umgangston mit „sehr verehrter Herr Kollege" gewählt. Das ist wohltuend.
({0})
Sie haben noch eine Zwischenfrage? - Bitte schön.
Ich möchte die Anrede ein wenig variieren und sagen: Lieber Herr Carstens, ist Ihre allgemeine Antwort vielleicht darauf zurückzuführen, daß Sie jetzt nicht den entsprechenden Sprechzettel finden?
({0})
Ach, Herr Kollege Löffler, das ist nicht so liebenswürdig, wie Sie sich eben dargestellt haben. Wenn wir im Ausschuß und im Plenum des Parlaments die Mehrheit gehabt hätten, hätten wir uns so verhalten, wie wir es im Ausschuß angekündigt haben.
({0})
Herr Abgeordneter Löffler, schade, schade für die zweite Zwischenfrage.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Verehrter Herr Kollege Carstens, darf ich fragen, ob Sie die große Güte hätten,
({0})
das etwas verblassende Erinnerungsvermögen des Kollegen Löffler aufzufrischen und ihm deutlich zu machen, daß es der Koalition im Zusammenhang mit den Unionsanträgen nicht einmal möglich gewesen ist, bei BAföG noch 100 Millionen DM zu kürzen,
sondern daß die Koalition genötigt war, den Witwen in Heimen das Taschengeld
({1})
- jawohl, den Witwen in den Heimen das Taschengeld wegzunehmen.
({2})
Herr Kollege Haushaltsausschußvorsitzender,
({0})
der Kollege Löffler ist bei allen Beratungen im Haushaltsausschuß dabeigewesen. Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß das genauso stimmt, wie Sie es hier zum Ausdruck gebracht haben.
({1})
Daß der Kollege Löffler glaubt, sich nicht mehr daran erinnern zu müssen, liegt wahrscheinlich daran, daß er nun nicht mehr zum Haushaltsausschuß gehört, sondern in höhere Regionen abgewandert ist; dann erinnert es sich schwerer als bisher.
({2})
Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, das kann man mit einem Zwischenruf machen.
Bitte schön, es ist Ihr gutes Recht.
({0})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bei der Stellungnahme zum 81er Haushalt - und diese Stellungnahme gehört wohl zu der Debatte - stimmt es nachdenklich, daß schon wieder, und zwar in ganz erheblichem Maße, die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes überschritten wurde. Wir haben es im Haushalt 1981 mit Investitionen in Höhe von 30,5 Milliarden DM zu tun gehabt. Der Art. 115 des Grundgesetzes - ein schwerwiegender Artikel - schreibt vor, daß Kredite die Summe der Investitionen nicht überschreiten dürfen, und wenn, dann nur zur Abwendung oder Beseitigung einer gesamtwirtschaftlichen Störung. Die in dieser Vorschrift gesetzte Grenze ist um mehr als 7 Milliarden DM überschritten worden, eine fast kaum noch vorstellbare Summe. Ich weiß nicht, Herr Minister Matthöfer, wie Sie diese Verschuldung überhaupt noch verantworten können. Die Minister Möller und Schiller haben diese Entwicklung auf sich zukommen sehen. Sie sind nicht bereit gewesen, die Verantwortung dafür zu tragen. Sie aber türmen Schulden auf Schulden, vermehren die Arbeitslosigkeit und bringen über das Volk eine Belastung, die es nur schwer abarbeiten kann. Ich weiß nicht, wie Sie dabei nachts überhaupt noch ruhig schlafen können, Herr Minister.
({0})
Carstens ({1})
Der Haushalt 1982 verringert, wie gesagt, nicht die Arbeitslosigkeit.
Ich möchte in diesem Zusammenhang folgendes zum Ausdruck bringen. Die Bundesbank weitet die Geldmenge alljährlich um einige Prozente aus, um eine Entwicklung der Wirtschaft zu ermöglichen. Jetzt hat sie sich für 1982 ein Geldmengenziel von 4 bis 7 % gesetzt. Das ist ihr eigenes abgestecktes Ziel. Da dieser Bundesbankgewinn in Höhe von 10,5 Milliarden DM an den Bund abgeführt wird, wird diese Geldmengenausweitung allein hierdurch voll und ganz in Anspruch genommen.
({2})
Es verbleibt keine Mark mehr für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Das ist schon dadurch eindeutig ausgeschöpft, daß diese 10,5 Milliarden DM abgeführt werden.
Es kommt hinzu, daß der Anteil der Investitionen ständig abnimmt. Der ehemalige Bundeskanzler Brandt hat gestern zum Ausdruck gebracht, daß aus dem Haushalt 1982 erhebliche Impulse für die Wirtschaft im Jahre 1982 kommen würden.
({3})
Um welche Impulse soll es sich denn überhaupt handeln,
({4})
wenn der gesamte Haushaltszuwachs für die zusätzlichen Zinsen und für die Arbeitslosengelder benötigt wird, die gezahlt werden müssen?
({5})
Für Investitionen bleibt nichts übrig; der Anteil der Investitionen liegt noch bei 13,5 %. Vor einigen Jahren betrug der Anteil noch 17 %. Bedenken Sie dabei bitte, daß noch so manches unter Investitionen geführt wird, was im Grunde volkswirtschaftlich gar keine Investition ist, Herr Kollege Haase. Zum Beispiel sind hierin Darlehen enthalten, die man im Rahmen von BAföG zahlt. Da gibt es noch eine Menge solcher Zahlen. Bei einem Haushaltsvolumen von über 240 Milliarden DM haben wir noch knapp 30 Milliarden DM Investitionen, und davon sind im letzten Jahr nicht einmal 5 % ausgegeben worden, nämlich 1,5 Milliarden DM. Jetzt spricht die Regierung von einem neuen Programm. Sie sollte erst einmal die Investitionen tätigen, die im normalen Haushalt stehen.
({6})
Fast der gesamte Zuwachs des Haushalts muß für Schuldzinsen und Arbeitslosengeld verwendet werden. Die Zinsen steigen jetzt im Jahr 1982 im Vergleich zu 1981 im Soll von 17 Milliarden auf 23 Milliarden DM.
({7})
Das ist ein Anstieg in Höhe von 35 %. Das macht tatsächlich fast zwei Drittel des gesamten Zuwachses
des Haushaltsvolumens aus. Immer mehr Zinsen
müssen mittlerweile an das Ausland gezahlt werden. Das ist eine dauerhafte Belastung für unsere Leistungsbilanz. Schon 1982 erreichen die Zinsen fast die Höhe der Neuverschuldung. Der Kollege Hoppe hat das Verdienst, gestern darauf hingewiesen zu haben, daß sich die Linien schon 1983 kreuzen; dann sind nämlich die Zinsen höher als die gesamte vorgesehene Neuverschuldung. Das ist eine totale Bankrotterklärung der Politik, die Minister Matthöfer und Co.
({8}) zu vertreten und zu verantworten haben.
({9})
Ende 1982 werden wir annähernd 300 Milliarden DM Schulden beim Bund aufgetürmt haben. Um sich die nötigen Mittel zu beschaffen, muß der Bund nicht nur zu hohe Zinsen bieten, sondern vor allem auf immer kürzere Laufzeiten umsteigen. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, bezogen auf die zukünftigen Belastungen. Über die Hälfte der Neuverschuldung, zirka 51 % bei den Wertpapieren und 56 % bei den Schuldscheindarlehen, wird durch Titel mit Laufzeiten bis zu vier Jahren finanziert. Das dreht sich sehr schnell um, und alljährlich wird die Bruttoneuverschuldung so ansteigen, daß man davon ausgehen kann, daß man in Kürze allein beim Bund schon an die 100-Milliarden-DM-Grenze herankommen wird. Das ist für den deutschen Kapitalmarkt für die nächsten Jahre unwahrscheinlich schwierig und unwahrscheinlich belastend.
1982 werden die Zinsen aller öffentlichen Haushalte erstmals die öffentlichen Investitionen übersteigen. Das heißt, zum erstenmal übersteigt der Ballast vergangener Schuldenpolitik das, was wir noch in Form von Investitionen für die Zukunft zu leisten vermögen. Die Bruttokreditaufnahme des Staates übersteigt gegenwärtig sogar die gesamte private Geldvermögensbildung. In Nettorechnung heißt das: Obwohl der Staat nur etwa 15 % aller volkswirtschaftlichen Investitionen bestreitet, nimmt er etwa 55 % aller privaten Sparkapitalien in Anspruch. Das ist eine gewaltige Fehlleitung marktwirtschaftlicher Kräfte.
({10})
Es gibt hierzu eine interessante Strukturuntersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaft für die nächsten Jahre. Darin steht: Jedes Prozent Ausgabenanstieg der öffentlichen Haushalte ist mit einer 3 %igen Steigerung des Zinsaufwandes, aber nur mit einer 0,6%igen Steigerung der Sachinvestitionen verbunden. Schon 1984 wird der Bund dreimal soviel für Zinszahlungen auszugeben haben wir für Sachinvestitionen.
Diese ungeheuerliche Zukunftsbelastung ist unverantwortlich. Die spätere Generation wird dies einmal schmerzlich auszubaden haben. Ihr verbleibt nur die Reue; den Genuß hatten nicht einmal andere, meine Damen und Herren.
Wie nachhaltig die staatliche Verschuldung die Einkommensverteilung verschlechtert, kann folgendes Beispiel verdeutlichen. Das ist ein interessantes Beispiel gerade auch für die Kollegen, die Gewerk4598
Carstens ({11})
schaften angehören und glauben, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Was die Gewerkschaften jährlich für die Gesamtheit der Arbeitnehmer an zusätzlichem Bruttolohn bei den Tarifauseinandersetzungen erstreiten, kommt an jenen Betrag nicht einmal heran, der aus den öffentlichen Haushalten allein für den Zinsendienst aufgebracht werden muß.
({12})
Um solch eine Größenordnung handelt es sich mittlerweile.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Schuldenpolitik schon heute ein Heer von Arbeitslosen zu verantworten. Es wäre ein Verhängnis, wenn diese Politik durch neue Pläne und Vorhaben der Bundesregierung auf fatale Weise fortgeführt würde. Zur Zeit haben wir 1,7 Millionen Arbeitslose. In der heutigen Presse spricht man davon, daß schon die Zahl von 1,8 bis 1,9 Millionen erreicht ist. Man geht allgemein davon aus, daß wir an die Zwei-Millionen-Grenze herankommen werden. Hiervon sind vor allen Dingen, Ungelernte, Jugendliche, Behinderte und Frauen betroffen. Wir rücken in der europäischen Arbeitslosenstatistik in die Spitzengruppe auf.
({13})
Wir werden in diesem Winter 8 % und mehr Arbeitslosigkeit erreichen. Noch vor wenigen Monaten, bei der ersten Lesung des Haushaltes, glaubten einige Kollegen von SPD und FDP, naserümpfend auf die Zahlen im europäischen Ausland hinweisen zu müssen.
({14})
So schnell, meine Damen und Herren, können sich die Zeiten ändern.
({15})
Und dann haben wir über Jahre hinweg Werbeprospekte und Wahlanzeigen der SPD wie die folgenden mitansehen müssen. Zum Beispiel 1972: „Deutschland hat sichere Arbeitsplätze", „Wir haben die sichersten Arbeitsplätze in Europa". Und:
So sah 1966/67 die Rezession aus: 673 000 Arbeitslose, und Millionen von Familienvätern hatten Angst um ihre Existenz. Die CDU/CSU hatte diese Rezession gewollt. Die CDU/CSU ist bereit, eine Arbeitslosenquote von 2 % in Kauf zu nehmen.
({16})
Jeder Deutsche soll wissen, was das bedeuten würde: eine halbe Million Arbeitslose, Existenzangst, Radikalismus. Dazu darf es nicht kommen. Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiterregieren, dann bleiben die Arbeitsplätze sicher.
({17})
Das alles stand wörtlich unter der Aussage des damaligen Finanz- und Wirtschaftsministers Helmut
Schmidt: „Dies ist eine ernste Warnung vor Strauß und Barzel."
({18})
Jetzt haben wir nicht 2 %, sondern annähernd 8 % Arbeitslose.
Ich kann mich noch erinnern, wie damals im Ruhrgebiet die Gewerkschaften mit schwarzen Fahnen unterwegs waren. Und ich kann mich daran erinnern, wie an der Spitze der jetzige DGB-Chef Vetter marschierte. Jetzt sitzt er hinter verschlossenen Türen und verhandelt mit der Regierung, ist absolut regierungstreu. Ich sage hier ungeschützt als meine persönliche Meinung: Für meine Begriffe ist das blamables parteiisches Verhalten.
({19})
Weite Teile der Bevölkerung sind von der Arbeitslosigkeit hart betroffen. In vielen Familien wird es immer schwieriger, überhaupt noch mit den finanziellen Problemen zurechtzukommen. Denken Sie an die Preise von Heizöl und Gas. Denken Sie an die Steuer- und Abgabenerhöhungen und an das gekürzte Kindergeld. Jetzt müssen diese fleißigen Arbeitnehmer in Deutschland sich noch mit anhören, wie von der Regierungsseite im Zusammenhang mit den Haushaltsgesetzen gesagt wurde, die deutsche Bevölkerung habe zeitweise j a auch über ihre Verhältnisse gelebt; sie müssen nun kürzer treten.
({20})
- Meine Damen und Herren, nicht die fleißigen Arbeiter in Deutschland haben über ihre Verhältnisse gelebt, sondern die, die in der Bundesregierung die Verantwortung für die Schuldenpolitik tragen, haben über ihre Verhältnisse gelebt.
({21})
Willy Brandt hat einmal gesagt: Wir werden wirtschaftliche Probleme nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer austragen. - Jetzt tun sie es aber, meine verehrten Damen und Herren.
({22})
Wenn Sie sagen, in anderen Ländern gehe es den Arbeitern noch viel schlechter, so ist das ein geringer Trost für die deutschen Arbeitnehmer, die unter der jetzigen Lage zu leiden haben.
({23})
Bedauerlicherweise leitet der Bundeshaushalt 1982 keine finanzpolitische Wende ein. Die Fehler der Vergangenheit werden weiter gemacht. Im Grunde begann es mit der unverzeihlichen Aussage von Helmut Schmidt: 5 % Inflation sind mir lieber als 5 % Arbeitslosigkeit. - Dieser Satz wird an seinen Fersen haftenbleiben. Er wird als Grundstein für seine Entwicklung zum Schulden- und Arbeitslosenkanzler der Bundesrepublik Deutschland gewertet werden.
({24})
Im Grunde ging dieser Satz in seinem Inhalt davon
aus, daß man glaubte, über eine ausreichende NachCarstens ({25})
fragepolitik, auch wenn sie kreditfinanziert à la Keynes ist, immer mit den Wirtschaftsproblemen fertig werden zu können, die Arbeitslosigkeit auf Dauer bannen zu können. Diese Politik ist schmählich gescheitert. Ein Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm folgte dem anderen. Es hatte fast den Anschein, als ob die Arbeitslosigkeit in dem Maße mit anstieg, in dem beim Bund die Verschuldung anstieg. Man kann förmlich davon sprechen, daß es sich um Programme zur weiteren Schrumpfung der Wirtschaft gehandelt hat. Je mehr Schulden, desto mehr Arbeitslosigkeit. Herr Minister, wieviel Schulden wollen Sie noch machen, wieviel zig Milliarden wollen Sie noch aufnehmen, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden? Konjunkturprogramme können nicht zur langfristigen Gesundung der Wirtschaft beitragen. Sie wirken wie Strohfeuer und sind schnell verpufft. Die Arbeitsplätze sind nur so lange gesichert, wie Arbeitnehmer beschäftigt sind, um Baumaßnahmen, um die es z. B. geht, zu vollenden. Sobald aber die Maßnahmen abgewickelt sind, kommen die Folgekosten, die Zinsen und sonstigen Folgekosten, und verhindern geradezu in die Zukunft hinein, daß es zu einem neuen Konjunkturaufschwung kommen kann.
({26})
Der jetzige Streit um ein neues Programm kommt mir bei den leeren Staatskassen, die wir haben, ungefähr so vor, als wenn ein Landwirt seine letzte Milchkuh verkaufte, um sich dafür eine Melkmaschine anzuschaffen.
({27})
Man muß einfach Abschied davon nehmen, zu glauben, durch Staatsprogramme, durch staatliche Eingriffe die Arbeitslosigkeit beseitigen zu können. Wenn man Freiheit und Wohlstand aufrechterhalten und beibehalten will, kann man nur den Weg über die privatwirtschaftliche Initiative gehen. Sie können z. B. durch einen staatlichen Eingriff sehr schnell die Arbeitslosigkeit abbauen. Das schafft die Landwirtschaft ganz allein. Man brauchte nur zu der Vorschrift zu kommen, daß es ab 1. März 1982 verboten ist, Mähdrescher und Trecker in der Landwirtschaft weiterhin einzusetzen. Wir benötigten im Laufe des Jahres dann alle Arbeitslosen, um mit der Erntearbeit fertig zu werden. Aber so geht es j a nicht. Das wäre ein Schritt weit zurück in die 50er Jahre. Wenn Sie den Wohlstand erhalten wollen und wenn Sie die Freiheit erhalten wollen, dann muß der Aufschwung über die private Wirtschaft kommen. Sonst werden Sie ihn nie zustande bringen.
({28})
Wenn wir von den aktuellen Arbeitslosenzahlen abrücken und den Vergleich anstellen, wie viele Erwerbspersonen in den letzten zehn Jahren in den Wirtschaftsablauf eingegliedert werden konnten, dann stellen wir fest, daß wir in der Bundesrepublik ganz schlecht dastehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist ein sehr interessanter Vergleich.
({29})
Die USA, auf die Sie mit Fingern zeigen, haben seit 1970 nicht weniger als 17,3 Millionen Menschen in das Wirtschaftsleben integrieren können. Das ist ein Plus von 22 %. Die Japaner schafften 5 Millionen. Das ist ein Plus von 15%. Im westlichen Ausland Europas - mit Ausnahme der Bundesrepublik also - hat man ebenfalls Zuwächse zu verzeichnen. Aber die Bundesrepublik hat nicht einmal den Status quo des Jahres 1970 halten können. Wir haben weniger Erwerbstätige in unserem Lande als vor zehn, zwölf Jahren.
({30})
Ausgehend von 14 Millionen im Jahre 1950 ist die Zahl auf über 22 Millionen Erwerbstätige bis 1970 in Deutschland angestiegen. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland zwischen 21 und 22 Millionen. Wir haben langfristig gesehen im Gegensatz zum gesamten europäischen Ausland, Japan und den Vereinigten Staaten, nicht einen einzigen Arbeitsplatz mit Ihrer Schuldenpolitik zusätzlich schaffen können, die Arbeitsplätze, die da waren, nicht einmal erhalten können, fast eine Million - zu diesem Zeitpunkt - abgebaut.
({31})
Ähnlich schlecht sieht es aus, wenn man die Reallöhne vergleicht. Die Reallöhne sind seit 1976 nur noch um knapp 1% gestiegen. Im Jahre 1981 sind sie gesunken, im Jahre 1982 werden sie wiederum massiv sinken. In den 60er Jahren hat es bei den Löhnen einen durchschnittlichen realen Zuwachs von über 4 % in Deutschland gegeben - bei einer Politik, in der die Soziale Marktwirtschaft oben anstand, eine Politik, die von CDU/CSU-geführten Bundesregierungen gemacht wurde.
({32})
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht durch den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen noch dafür gesorgt hätten, daß die Lohnsteuer nicht so stark zuschlägt, wie sie ansonsten zugeschlagen hätte, wäre aus diesem Plus von 1 % in den letzten Jahren sogar ein Minus geworden - die Folge Ihrer schlechten Politik der letzten Jahre.
({33})
Mittlerweile sind die Folgen Ihrer Schuldenpolitik zu den eigentlichen Hindernissen für eine konjunkturelle Belebung geworden. Sie bewirkten nicht zuletzt das hohe Leistungsbilanzdefizit und die hohen Zinsen. Nicht das böse Ausland und die Bundesbank haben das bewirkt. Ohne den Abbau des Leistungsbilanzdefizits und ohne Rückführung der Neuverschuldung gibt es nicht den Spielraum für Zinssenkungen. Ohne niedrige Zinsen wird kaum ein nachhaltiger Konjunkturaufschwung zu erreichen sein. Darunter leidet vor allem die Bauwirtschaft. Darunter leiden Privatleute. Darunter leiden alle die, die zum Mittelstand gehören, zu Handel, Handwerk und Gewerbe. Und da muß man sich nicht wundern,
Carstens ({34})
wenn es dazu kommt, daß 11500 Konkurse und Vergleiche eintreten.
Die Zahl derjenigen, die selbständig sind und selbständig bleiben wollen, wird immer geringer. Man muß bedenken, daß unsere zukünftige Freiheit nicht zuletzt davon abhängt, daß wir viele Leute haben, die bereit sind, im wirtschaftlichen Leben Verantwortung zu tragen.
({35})
Hinsichtlich Existenzgründungen genügen nicht Geburts-, Start- und Lebenshilfen, den Unternehmungen muß auch die Luft zum Atmen bleiben.
({36})
Sie müssen auch in der Lage sein, in Zukunft bestehen zu können. Aber die Belastungen werden für sie viel zu hoch. Sie können sie kaum noch tragen.
Den Unternehmungen muß es einigermaßen gut gehen. Dann können sie investieren und neue Arbeitsplätze schaffen sowie den Arbeitnehmern ordentliche Löhne und Gehälter zahlen. Das ist besser als jede andere Sozialpolitik, die man sich einfallen lassen könnte.
({37})
Es wird höchste Zeit, meine Damen und Herren, daß diese Entwicklung beendet wird. Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung müssen nicht sein. Wir müssen uns von der jetzigen verheerenden Wirtschafts- und Finanzpolitik abkehren. Die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft sind eindeutig und unerläßlich zu beachten. Nur dadurch kann wieder Vertrauen in die deutsche Wirtschaft hineinkommen. Dieses Vertrauen hat die Bundesregierung verloren. Deswegen wird sie es nie wieder schaffen, zu einem Aufschwung in der deutschen Wirtschaft zu kommen.
({38})
Wenn das Vertrauen zurückkehrte, würde die volle Leistungskraft der deutschen Bevölkerung schnell wieder zum Tragen kommen.
({39})
Wenn allein die Investitionshemmnisse beseitigt würden, würde es zu vielen -zig Milliarden Investitionen und zur Schaffung von vielen Arbeitsplätzen kommen. Sicher geht das nicht schnell, von heute auf morgen.
({40})
Die große Masse des Volkes muß mitmachen, muß bereit sein, bei der Erneuerung mitzuwirken. Fleiß, Strebsamkeit und Privatinitiative müssen wieder Platz haben.
({41})
Sicher muß auch eine Reaktivierung der christlichen Grundwerte hinzukommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({42})
Das deutsche Volk ist willens und bereit mitzuhelfen. Das deutsche Volk hat Verstand und Geist, will und kann arbeiten. Es muß nur die richtige Politik für dieses Können des deutschen Volkes gemacht werden.
({43})
Dazu gehört dann eben, daß die Leute, die etwas leisten und arbeiten - das sind die meisten in unserem Volk -, auch etwas davon haben, daß sie etwas leisten und arbeiten.
({44})
Die, die nicht leisten und nicht arbeiten können, müssen an der wirtschaftlichen Entwicklung angemessen teilhaben; das gehört zur Sozialen Marktwirtschaft dazu. Aber die, die arbeiten und etwas leisten können, aber glauben, daß sie es nicht nötig haben,
({45})
können nicht noch bessergestellt sein als die, die 40 Stunden in der Woche hart arbeiten.
({46})
Wir müssen zu neuen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, wir müssen zu einer Umstrukturierung der öffentlichen Ausgaben kommen.
({47})
Wir müssen dafür sorgen, daß es für die private Wirtschaft und für die Arbeitnehmer wieder Freiräume gibt.
({48})
Wir haben im Haushaltsausschuß den Vorschlag gemacht, bei staatlichen Ausgaben und bei Subventionsausgaben linear zu kürzen.
({49})
Nehmen Sie diesen Vorschlag doch ernst! Wir wollen doch nicht sparen um des Sparens willen,
({50})
sondern wir wollen damit Freiräume für einen neuen konjunkturellen Aufschwung in Deutschland schaffen.
({51})
Ich weiß mit Sicherheit, daß das deutsche Volk bereit ist zu sparen, wenn es erkennt, daß alle angemessen und ausgewogen beteiligt werden, und wenn es erkennt, daß es dann irgendwann auch wieder bergauf geht. Es muß nur den Mut zur Zukunft haCarstens ({52})
ben und glauben können, daß die Regierung es auch schaffen kann, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
({53})
Mit dem Haushalt 1982 hat die Bundesregierung ihre wohl letzte Chance zur Konsolidierung der Staatsfinanzen vertan. Schade! Die wirtschaftliche Entwicklung wird entsprechend sein. Meine Hoffnung, meine Damen und Herren, geht dahin, daß den bisherigen Schuldenpolitikern und Arbeitslosenpolitikern der Koalition die Verantwortung für die Erstellung des Bundeshaushaltes, des Schicksalsbuches der Nation, schon möglichst bald durch eine eindeutige Entscheidung der Wähler entzogen wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin hier heute Stellvertreter für meinen Kollegen und Obmann, Rudi Walther,
({0})
der sonst an dieser Stelle Herrn Carstens geantwortet hätte. Er liegt, wie viele von uns wissen, im Krankenhaus in Koblenz.
({1})
- Das sage ich gleich, keine Sorge. - Ich kann erfreulicherweise sagen, daß er seine Operation gut überstanden hat.
({2})
Ich denke, wir sind uns einig, daß wir ihm von hier aus unsere Grüße und besten Genesungswünsche übermitteln. Er hat mir heute morgen gesagt, er sei schon wieder guter Laune. Ob er das nach der Rede von Herrn Carstens noch ist, da bin ich nicht so ganz sicher.
({3})
- Ob er es nach meiner Rede noch ist, muß er selber beurteilen und nicht ich; sehr richtig.
Meine Damen und Herren, unser jetzt zu erfüllender parlamentarisch-politischer Auftrag, diesen Haushalt 1982 zu verabschieden, ist deshalb so wichtig, weil die Feststellung der Daten, der Zahlen und Größenordnungen für die Ausgabe- und Einnahmeplanung des Jahres 1982, für die Kreditaufnahme und auch für die Investitionen eine ganz maßgebliche Voraussetzung für unsere innenpolitische Hauptaufgabe dieses Jahres ist, nämlich für eine Politik zum Abbau überhöhter Arbeitslosigkeit. Die seit der Aufstellung des Entwurfs dieses Haushalts praktisch fast unverändert eingehaltenen Rahmendaten des Etats - also ein Volumen von 240 1/2 Milliarden DM, eine geringe Steigerungsrate, mit 4 % im Sollvergleich oder 3,2 %, wenn man das Soll 1982 mit dem jetzt schon überschaubaren Ist des Jahres 1981 vergleicht, und eine Begrenzung der Nettokreditaufnahme auf 26,8 Milliarden DM - geben für die Wirtschaft, für den Kapitalmarkt, für in- und ausländische Geldanleger bedeutsame Signale. Sie demonstrieren unsere Handlungsfähigkeit trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Bedingungen. Sie zeigen, daß Regierung und Koalition gewillt sind, den Modernisierungsprozeß unserer Wirtschaft und auch den Prozeß des „Weg vom 01" unserer Wirtschaft voranzutreiben. Sie machen deutlich, daß hier bei uns bei den staatlichen Entscheidungsträgern stabilitätsorientiert und nicht leichtfertig inflationierend entschieden wird.
Meine Damen und Herren, es ist leicht dahingesagt: Die Rahmendaten wurden eingehalten. Verbal ist das ein einfacher Satz. Aber was dahinter an Leistung steht, das verdient, hier einmal festgehalten zu werden.
({4})
Erstens. In einer enormen Anstrengung wurde die Haushaltsstruktur durch gesetzliche und haushaltsmäßige Veränderungen so verbessert, daß eine Belastung in zweistelliger Milliardenhöhe, die sonst nur durch zusätzliche Verschuldung hätte gedeckt werden können, entfällt. Im Zuge dieser Operation „'82", wie wir uns angewöhnt haben, sie zu nennen, wurde der im Haushaltsjahr 1981 konkret eingeleitete Abbau von Subventionen entschlossen fortgesetzt. Die Entlastung des Haushalts wirkt - Herr Carstens, da haben Sie unrecht mit Ihrer Anmerkung - nicht nur für 1982, wirkt längerfristig, nicht nur für ein Jahr. Das können Sie aus den Gesetzen, die wir gemacht haben, ablesen. Er wirkt im übrigen auch bei Ländern und Gemeinden.
Zweitens. Die sich im Spätherbst 1981 konkretisierenden Voraussagen der Wirtschaftswissenschaft, daß eine Verbesserung der konjunkturellen Entwicklung erst im Herbst 1982 stattfinden würde, verschlechterten nicht nur das Abschlußbild der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden für 1981 in einer bedrückenden Art und Weise, sondern verlangten von Regierung und Koalition sofortiges, erneutes finanzpolitisches Handeln. Erneut wurde im Spätherbst eine Belastung von etwa 8 Milliarden DM durch gesetzliche und auch haushaltsmäßige Entscheidungen vermieden und die sonst zwangsläufige Zusatzverschuldung, die dadurch entstanden wäre, abgewendet.
Drittens. Schließlich mußte der Haushaltsausschuß im Zusammenwirken mit dem Bundesfinanzminister auch noch die eine Milliarde Mark abdekken, die am Einsparvolumen deshalb fehlte, weil sich die Ansichten der Bundesratsmehrheit zum Teil zu Lasten des Bundes im Resultat des Vermittlungsverfahrens über die „Operation '82" niedergeschlagen hatten.
Viertens. Nimmt man hinzu, daß die Beschlüsse des Haushaltsausschusses, über die wir hier abschließend zu befinden haben, auch noch die im Regierungsentwurf und in Zusatzbeschlüssen der Regierung enthaltene globale Minderausgabe von 1,42 Milliarden DM auf 0,8 Milliarden DM gesenkt haben
und damit die für die Empfänger von Bundesmitteln so unangenehmen Bewirtschaftungsmaßnahmen des Bundesfinanzministers praktisch unnötig machten, dann kann auch der Laie ermessen, welche gewaltige finanzpolitische und arbeitsintensive Anstrengung hinter dem Zahlenwerk steht, das uns nun nach etwa fünfmonatiger Beratung zur Verabschiedung vorliegt.
Diese Leistung, den Konsolidierungskurs durchzuhalten, die Nettokreditaufnahme tatsächlich, wie im Finanzplanungsrat für 1982 mit den Ländern und Gemeinden vereinbart, unter die Ist-Neuverschuldung des Jahres 1980 zu drücken, ist eine Leistung der Koalition; denn weder die Opposition hier im Hause noch der Bundesrat mit seiner konservativ bestimmten Mehrheit haben dabei wirklich geholfen.
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Herr Carstens, ich werde gerne anerkennen, daß Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, daß sich Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß kooperativ verhalten und sich den harten Zwängen des Zeitplans mit uns unterworfen haben, j a, auch darauf verzichtet haben, Möglichkeiten der Geschäftsordnung zu nutzen, um den Gang der Beratungen etwa zu stoppen oder zu bremsen.
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Wenn es aber um die Beurteilung der inhaltlichen Aussagen und Verhaltensweisen der Opposition geht, dann klafft eine erhebliche Diskrepanz zwischen den öffentlichen Äußerungen und dem tatsächlichen Verhalten.
Wenn wir uns z. B. bei der „Operation '82" nach den Anträgen der CDU/CSU-geführten Länder im Bundesrat gerichtet hätten, dann fehlten uns jetzt etwa 6 Milliarden DM, die nur durch höhere Verschuldung gedeckt werden können.
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Wenn man sich die Stellungnahme des Bundesrates zum Haushaltsentwurf im ersten Durchgang genauer betrachtet, dann stellt man fest, daß sie nicht weniger als ein Dutzend Positionen enthält, in denen Mehrausgaben des Bundes gefordert werden und nicht etwa Einsparungen. Wenn ich dann nochmals - Herr Carstens hat auch darauf abgehoben - auf die mit tiefem Ernst von meinem CDU/CSU-Kollegen im Haushaltsausschuß vorgetragene Forderung zu sprechen komme, nach der wir 5 % von allen Leistungen und Subventionen, was immer das definitorisch heißen soll, streichen sollten, ohne je zu erleben, daß diese Forderung an irgendeiner Stelle, Herr Carstens, konkretisiert wurde oder sich zu einem echten Subventionsstreichungsantrag verdichtet und ausgeformt hätte,
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dann kann ich nur noch einmal, wie ich das schon an
anderer Stelle getan habe, feststellen, daß die Opposition auf öffentliche Wirkung zielende Leerformeln
benutzt hat, und „Leerformeln" wird in diesem Fall mit zwei e geschrieben.
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Eine Hilfe beim Sparen war die Opposition nicht. Dies wird auch nicht dadurch anders - ich hätte gern in dieser Sache Herrn Kohl direkt angesprochen, nachdem er gestern zu solchen Fragen gesprochen hat -, daß er gestern noch einmal hervorgehoben hat, es sei die Absicht der CDU/CSU-Fraktion gewesen, dadurch zu sparen, daß sie auch noch die Rentner belasten wollte, oder daß sie sich nun eindeutig, wie es Herr Kohl gestern getan hat - vorher war das bei der CDU/CSU nicht so eindeutig -, zu Karenztagen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bekannt haben, die mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen sind,
({10})
und daß Sie in wirklich unzutreffender Darstellung - ich meine Herrn Kohl - eine vom Bundesrat vorgeschlagene Kürzung des Zusatztaschengeldes für Heimbewohner gegen die von Ihnen angestrebte Demontage des Schüler-BAföG auszuspielen versucht haben.
Die Senkung des Arbeitslosengeldes, die auch in der Rede von Herrn Kohl gestern angestrebt und noch einmal als Sparmöglichkeit angedeutet wurde, hat er bei der Mißbrauchsbekämpfung eingeordnet. Das ist schon ein starkes Stück. Denken Sie doch bitte z. B. einmal an die 1 700 Beschäftigten der Firma Videocolor in Ulm,
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die gestern erfuhren, daß sie in einer Art Nacht-undNebel-Aktion von dem französischen Konzern Thomson-Brandt auf die Straße gesetzt werden sollen,
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ohne daß wir rechtliche Mittel haben, eine solche Aktion, hinter der eine ziemlich brutale Konzernstrategie steht, abwenden zu können.
({13})
Meine Damen und Herren, ich bringe das in einen Zusammenhang mit dem, was Herr Kohl zur Arbeitslosengeldfrage gesagt hat. Müßten es die von dieser Aktion betroffenen 1 700 Arbeitnehmer, z. B Familienväter, Frauen, Männer, die über Jahre, manche sicher über Jahrzehnte ihren Arbeitslosenversicherungsbeitrag gezahlt haben, nicht als Hohn empfinden, wenn dieser Gesetzgeber, konservativen Vorstellungen folgend, ihr Arbeitslosengeld einfach auf einen niedrigeren Prozentsatz herunterschrauben würde?
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Herr Abgeordneter Westphal, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Kollege Westphal, ist Ihnen wirklich nicht mehr in Erinnerung, daß Herr Dr. Kohl in seiner Rede gestern gerade ganz bewußt zwischen echten Arbeitslosen und deren Schicksal einerseits und denen, die das Arbeitslosengeld und andere soziale Leistungen in unserem Staate ausnutzen,
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andererseits unterschieden hat, und, Herr Kollege Westphal, darf ich Sie darüber hinaus fragen: Halten Sie es wirklich für hilfreich, daß Sie das, was Sie, die Koalition und die Regierung, an Einschnitten vornehmen, als notwendige Beseitigung von Auswüchsen bezeichnen und das, was wir vorschlagen, als soziale Demontage hinzustellen versuchen?
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Ich habe den Begriff „soziale Demontage" nicht benutzt.
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Dies habe ich Herrn Stoltenberg im Vermittlungsausschuß zugesagt, und dann halte ich das auch durch.
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Diese Unterscheidung zwischen Mißbrauchsbekämpfung und echten, tiefergehenden Einschnitten in unser soziales Leistungsrecht, die Herr Kohl gemacht hat, habe ich hier nicht in einer auch nur irgendwie gearteten Weise überhört, aber seine Tendenz war „Senkung von Arbeitslosengeld", und genau dort geht es eben nicht um Mißbrauchsbekämpfung. Mißbrauchsbekämpfung in diesem Bereich haben wir in einer ganz erheblichen Weise durchgeführt; davon hat Herr Kohl kein Wort erwähnt.
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Herr Kollege Riedl und Herr Kollege Carstens, in Ihrer jüngsten Presseäußerung vom 12. Januar 1982 lese ich, daß Sie den Haushalt auch deswegen ablehnen wollen, weil wir an einer ganzen Reihe bestimmter Stellen zuviel gekürzt haben.
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- Aha! Mir geht es nur darum, deutlich zu machen - und zwar für draußen, denn das muß klar sein Ihre Oppositionsspararien erweisen sich immer wieder als eine Art Bürgertäuschung.
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Kritischen Beobachtern ist es nun möglich, den Haushalt durchzugehen und nachzuprüfen, daß die von uns zum notwendigen Ziel erklärte Absicht eingehalten worden Ist, konsumtive Ausgaben einzuschränken, um künftig investive Ausgaben zu ermöglichen. Der Umschichtungsvorgang von konsumtiven zu investiven Leistungen wird besonders deutlich, wenn man in das 2. Haushaltsstrukturgesetz hineinsieht, wird eben aber auch an anderen Stellen deutlich, insbesondere - das ist uns nicht leichtgefallen - im Bereich der Arbeitsförderung, und wird noch deutlicher beim Einschneiden ins Kindergeld, bei anderen Sozialleistungen und ebenso bei den Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst
All denjenigen, die immer noch weiter von Kürzungen bei den Leistungsgesetzen reden und dort den Schlüssel für alle Probleme sehen - da fällt mir insbesondere Herr Stoltenberg erneut ein -, möchte ich mit großer Entschiedenheit sagen: Dies, was jetzt war, war es denn auch. Hier geht es jetzt nicht weiter. Uns ist das alles, was nun an Einschränkungen für viele Bürger in Kraft tritt, sehr schwergefallen. Die mittelfristige Planung zeigt, daß der Aufwuchs der Leistungsgesetze gebremst ist. Das gilt für das Wohngeld, das gilt für das Kindergeld, das gilt für Mutterschutzleistungen, und das gilt auch für BAföG. Dort kann man auch ablesen, daß die „Operation 82" keine Einjahresaktion, sondern eine fortwirkende ist.
Meine Damen und Herren, wenn hier noch einmal - Herr Carstens hat das auch gemacht, und Herr Stoltenberg tut es mit Vorliebe; ich muß ihn noch einmal zitieren - vom weiteren Abbau von Investitionshemmnissen die Rede Ist, so möchte ich einen der Punkte gern einmal herausgreifen. Das, was Sie unter der Beseitigung von „Investitionshemmnissen" im Bereich des Wohnungsbaus verstehen, ist doch nichts weiter als der Versuch, das soziale Mietrecht abzubauen, und da werden Sie auf unseren Widerstand stoßen.
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Wer in diesen Bereichen oder auch im Sektor Arbeitslosenversicherung weiter streichen will, setzt an sozial nicht vertretbaren Stellen an, bewirkt nichts an wirklichen Einsparungen, geht unsozial vor und verschiebt Lasten auf die Gemeinden, die diese nicht tragen können. Auch dies bitte ich im Blick zu halten.
Hier stoßen doch Welten aufeinander. Wer Steuer-und Sozialpolitik nicht mehr zur sozial gerechten Umverteilung nutzen will, wer sein hohes Ziel in der Senkung der Staatsquote und der Einschränkung von Transferleistungen sieht, wendet sich von der Erfüllung des Verfassungsauftrages ab, der von uns allen den Ausbau des sozialen Rechtsstaats verlangt. Dies muß hier mal gesagt werden.
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Ich bin durchaus mit all denen einig, die fordern, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei der Steigerung der Investitionen anzusetzen. Kein Zweifel: Dort muß es geschehen. Aber das kann und darf doch wohl nicht heißen, daß wir die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu Rahmenbedingungen - also hinten ohne „en" - für die Bezieher hoher Einkommen, sozusagen zum Absahnen von Steuerprivilegien, weiterentwickeln und gleichzeitig Sozi4604
alleistungen über das erträgliche Maß hinaus einschränken.
Tun wir doch nicht so, als ob für die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nichts geschehen wäre! Allein in den Jahren 1980 bis 1982 gab es die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer und Gewerbekapitalsteuer, die Abschaffung der Lohnsummensteuer - für Gemeinden noch heute ein dickes Problem -, die Einführung eines Freibetrags für die Hinzurechnung von Dauerschulden bei der Gewerbekapitalsteuer, die Obernahme ertragsteuerlicher Werte für Pensionsrückstellungen bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, erweiterte Abschreibemöglichkeiten für Umweltschutzinvestitionen, eine zweimalige Anhebung des Vorwegabzugs für die soziale Sicherung insbesondere der Selbständigen und dazu noch die Tarifreform in der Einkommensteuer.
Und nun fügen wir in der Operation 82 hinzu: Erhöhung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter, Anhebung der degressiven Abschreibung für Wohn- und Betriebsgebäude, Ausdehnung des Carry-back, ein ganzes Stahlprogramm mit Investitionszulagen, ein neues Programm für den Bau von Fernwärmenutzung und Kohleheizkraftwerken, die Fortentwicklung des Heizenergiesparprogramms, zusätzliche Mittel für die Förderung von Mikroelektronik und optische Nachrichtentechnik.
Hinzu kommen die Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus, also Anhebung der Abschreibungshöchstsätze nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes, verbunden mit einer Kinderkomponente, Ausdehnung der Bausparförderung auf die Mietermodernisierung, Mobilisierung von Wohnungsbaumitteln bei den Ländern durch Maßnahmen zum Abbau von Fehlbelegung und Fehlsubventionierung älterer Sozialwohnungen.
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- Ich weiß, Sie sagen: Herr Späth hat das erfunden. Wir fügen hinzu: Die bayerische Staatsregierung hat
- ich freue mich darüber - als erste entschieden, daß in München und in Nürnberg die Fehlbelegungsabgabe, die wir da hineingebracht haben, angewendet wird, weil sie weiß, daß es notwendig ist.
({8})
- Okay. Dann handelt doch danach!
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Aus all dem lassen sich erkennbar machen erstens unser bereits vorhandenes Engagement zur Wirtschaftsbelebung und zweitens unsere Umschichtung in Richtung investiver Ausgaben oder neuer dort wirkender Steuererleichterungen.
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- Ja; genau das will ich soeben erklären, Herr Riedl.
Im übrigen wird bei nüchterner Betrachtung hierbei auch deutlich, daß ein verstärktes staatliches Engagement zur Investitionsförderung über den Weg von Steuervergünstigungen, also mit der Folge, daß es beim Haushalt weniger Einnahmen gibt, eben auch bedeutet, daß die Investitionsquote im Haushalt als Ausgabenteil nicht gleichzeitig noch wesentlich weiter ansteigen kann. Dies ist eine Logik, die sich wirtschafts- und haushaltsrechtlich ergibt.
Da meinen viele nicht zu Unrecht, daß Investitionsförderung über den öffentlichen Haushalt zwar verwaltungsintensiver, aber eben auch gleichzeitig gezielter und ohne so hohe Mitnehmereffekte vonstatten gehen könnte. Man kann ja auch so herum denken. Aber wir haben uns in diesem Fall anders entschieden.
Mir lag daran, hier deutlich zu machen, daß dieser Haushalt und seine Begleitgesetze in ganz beachtlicher Weise einen Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen nehmen. Wir setzen Daten für eine positive Reaktion der Finanzmärkte, wir engagieren uns selbst mit neuen öffentlichen Investitionen und Kapitalaufstockungen, wir schichten um von konsumtiv zu investiv, und wir dehnen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erheblich aus, um privatwirtschaftliche Investitionen anzuregen, die Arbeitsplätze sichern und schaffen können.
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Es ist ja auch spürbar, daß sich Wirkungen zeigen. Die Tendenz zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits ist deutlich erkennbar. Der DM-Wert ist im Vergleich zu anderen Währungen gestiegen. Und - Herr Carstens, ich zitiere -: „Erstmals seit längerer Zeit haben sich auch die Terms of Trade wieder zugunsten der bundesdeutschen Wirtschaft verändert." Das stand in der „Wirtschaftswoche" vom 15. Januar 1982. Man kann vielleicht noch hinzufügen: Beim Preisauftrieb scheint die Spitze gebrochen zu sein.
Das heißt also, es gibt wichtige Voraussetzungen, die wir bewirkt haben und auch weiter bewirken und die für die Möglichkeiten einer Zinssenkung sprechen. Darin besteht unter allen Beteiligten ja Einigkeit: daß in einer spürbaren Senkung des Zinsniveaus die stärkste Anregung für mehr investives Engagement der Unternehmen liegt. Die Signale, die wir durch die Verabschiedung des von mir so geschilderten Haushalts setzen, werden wohl auch von denen gesehen und verstanden werden, die unabhängig über den Wert unseres Geldes wachen, über das Zinsniveau und die Geldmenge entscheiden.
Wenn die deutschen Gewerkschaften mit Recht gefordert haben, daß jeder seinen Teil zur Überwindung der für unser Land zu hohen Arbeitslosigkeit beiträgt, also Staat, Unternehmer und die Gewerkschaften selbst, dann gehört auch die Bundesbank zu denen, die hier gefordert sind. Wir Parlamentarier haben gerade dann ein Recht darauf, das auch von der Bundesbank zu fordern, wenn man so wie
ich aus einem Wahlkreis mit hohen Arbeitslosenzahlen kommt.
({12})
Herr Carstens, eine Bemerkung noch zu Ihrer für mich unverständlichen und so nicht hinnehmbaren Äußerung über den Gewerkschaftsvorsitzenden Heinz Oskar Vetter. Blamables parteiisches Verhalten haben Sie ihm vorgeworfen. Dieser Mann ist zusammen mit allen Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften auch zu Ihnen, der CDU, gekommen, um mit Ihnen über die Fragen zu reden, um die es in dieser Sache jetzt geht. Er hat eben nicht hinter der Tür verhandelt, sondern hat mit allen, auch mit Ihrer Partei, auch mit der CSU, geredet. Das hat ja sogar dazu geführt, daß Herr Strauß auf dem DGB-Kongreß in Bayern etwas Positives über ein Beschäftigungsprogramm gesagt hat. Zwei Tage später klang es dann schon wieder anders - aber, na ja.
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Auch wenn ich ausführlich dargestellt habe, was wir getan haben und tun, bleibt die Frage, ob dies wirklich ausreicht. Die Antwort der Wirtschaftswissenschaftler ist doch bedrückend, wenn sie einerseits sagen, die Zeichen stünden nicht so schlecht, in der zweiten Hälfte des Jahres würden sich positive Daten in der Wirtschaft abzeichnen, andererseits aber hinzufügen: Die Zahl der Arbeitslosen bleibt aber hoch. Das ist doch bedrückend. Ökonomisch kann ich das j a vielleicht gerade noch begreifen. Aber sollen wir dies auch politisch hinnehmen?
Ich kann mir das nicht denken. Ich beziehe mich da auf den Auftrag meiner Wähler. Ich bin sicher, daß unsere Regierung das genauso sieht. Sie braucht die Haushaltsentscheidungen dieser Woche und deren schon geschilderte Signalwirkungen als Voraussetzung für ihr Handeln in Sachen innenpolitische Hauptaufgabe dieses Jahres: Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit.
Die seltsame, plötzlich neu vorgetragene Absicht der Opposition, die Haushaltsberatungen nicht abzuschließen - Sie haben das heute schon nicht mehr erwähnt; ich hatte den Eindruck, das war ein Gag während der Beratungen im Haushaltsausschuß -, sondern sie sozusagen neu zu eröffnen, auf einen Zeitpunkt nach der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts zu vertagen, zeigt einerseits die ganze Widersprüchlichkeit Ihres Oppositionsverhaltens in den Haushaltsberatungen - das gilt insbesondere im Hinblick auf Ihr sonstiges Drängen, schnell und rechtzeitig fertig zu werden; ein ganzes Verfassungsgerichtsurteil haben Sie uns ins Haus geliefert, dessen Richtigkeit man anerkennen muß -, andererseits aber auch die ganze Unklarheit Ihrer oppositionellen Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Man hat ja sehen können, daß bei der Opposition nicht einmal klar ist, ob auf hohe Arbeitslosenzahlen überhaupt reagiert werden soll. Nehmen wir Herrn Barzel, der wie immer pathetisch, aber inhaltlich wenig konkret vor ein paar Tagen in der Zeitung „Die Welt" seine Aussage machte. Da steht wörtlich: „Nicht ein solches Programm" - gemeint ist ein Beschäftigungsprogramm -, „eine neue Politik muß her." - Nun wissen wir es!
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Es ist doch wohl erlaubt zu fragen: Welche Politik?
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- Dies möchte ich gern differenzieren; dazu brauche ich noch ein paar Minuten.
Ist mit dem, was Herr Barzel dort andeutete, die Politik von Herrn Kiep gemeint, der ganz dagegen ist, etwas zu tun, und das sozusagen als eine Sache ansieht, bei der Attentismus entsteht, obwohl es doch gerade darum geht, vorhandenen Attentismus zu überwinden?
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Oder meinen Sie die Politik von Herrn Albrecht, der sagte, im Grunde habe es keinen Sinn, etwas zu tun, aber im Wahljahr könne auch ein Konservativer nicht dagegen sein?
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- Ich komme noch auf Herrn Hoppe zurück.
Oder meinen Sie die Politik von Herrn Stoltenberg, der eingesehen hat, daß eine Neuverschuldung in konjunkturellen Schwächezeiten noch immer eine richtige Antwort sein kann, aber mit Recht an die Wiedereinsparung hinterher erinnert? Damit habe ich allerdings nur den positiveren Teil der vielen Interviews von Herrn Stoltenberg in Erwägung gezogen.
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Oder meinen Sie Herrn Strauß, der zumindest dann, wenn er eine DGB-Konferenz besucht, beschäftigungspolitischen Initiativen nicht völlig abgeneigt gegenübersteht?
Oder meinen Sie die Position des doch wohl auch zur CDU gehörenden Herrn Rommel, der erkannt hat, daß eine zeitweilige Höherbesteuerung der Bezieher hoher Einkommen noch längst nicht bedeutet, daß dadurch Investitionen eingeschränkt werden? Ich finde es gut, was er gesagt hat.
({19})
Meine Damen und Herren, ich habe ja gar nichts dagegen, wenn in der Opposition so differenzierte Standpunkte in der Diskussion einer wichtigen und schwierigen Frage zum Ausdruck kommen.
Herr Abgeordneter Westphal, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ich habe nur noch eine Minute Redezeit.
Wenn Sie wollen, können Sie die Zwischenfrage genehmigen.
Herr Haase, ich glaube, ich antworte sowieso auf das, was Sie fragen wollen. Lassen
Sie mir die Chance, schneller zum Ende zu kommen.
({0})
- Ich wußte ja, daß Sie damit kommen, Herr Haase.
Ich habe nichts dagegen, wenn innerhalb der Opposition oder der Länderregierungen - auch dort, wo Sie nicht in der Opposition sind - diese unterschiedlichen Positionen in der Diskussion einer wichtigen und schwierigen Frage vertreten werden. Mich stört nur der Vorwurf, wir in der Koalition seien zu gegebener Zeit nicht handlungsfähig, weil es in der Phase der Diskussion um die richtige Beschäftigungspolitik und der Reaktionen der Finanzpolitik darauf mehrere Standpunkte gebe.
Wir haben gestern hier auch erlebt, daß es bei unseren FDP-Kollegen unterschiedliche Betonungen zu Einzelfragen gab. Ich leugne dies auch nicht für die Mitglieder meiner Fraktion. Herr Hoppe, dessen Rede ich sonst in weiten Teilen zugestimmt habe und der ich auch Beifall gezollt habe, konnte bei seiner starren Position hinsichtlich der Aufbringung der Mittel für die Beschäftigungspolitik eben nicht unseren Beifall finden.
({1})
Da fanden wir das, was vorher Herr Mischnick in einem Interview gesagt hat, viel hilfreicher.
({2})
Daraus können wir auch schließen, daß es nach einer Diskussion in der Koalition gelingen wird, zu einem gemeinsamen Handeln zu finden.
Wer es als einen wichtigen Aspekt von Demokratie ansieht, daß die Entscheidungen in offener Diskussion heranwachsen, ärgert sich mehr über Medienäußerungen, die gleich ganze Fraktionen festlegen, wenn sich ein einzelner Abgeordneter entschlossen hat, seine Meinung zur Diskussion beizutragen, und die daraus gleich wieder den dicken, neuen koalitionssprengenden Streit voraussagen, statt darüber zu berichten, daß man miteinander redet, weil es noch keine fertigen Konzepte gibt. Das Datum, zu dem sich diese Regierung äußern wird, ist uns inzwischen allen bekannt und wurde hier mehrfach erwähnt.
Abschließend kann ich für meine Fraktion zu dieser entscheidenden wichtigen Frage feststellen:
Erstens. Wir halten über das hinaus, was bereits durch diesen Haushalt und seine Begleitgesetze geschieht, Schritte für erforderlich, die zu einer höheren Beschäftigung, d. h. zu mehr Arbeitsplätzen, führen.
({3})
Zweitens. Wir erwarten dazu konkrete Aussagen und Vorschläge der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Vorlage und Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes.
Drittens. Wir haben begrüßt, daß die Gewerkschaften mit allen Beteiligten Gespräche über die beschäftigungspolitische Initiative geführt haben, und hoffen, daß aus der nun erfolgenden Zusammenführung der Ergebnisse auch ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten erwächst, das den notwendigen solidarischen Charakter mit denen, die keine Arbeit haben und arbeiten wollen, deutlich erkennen läßt.
Viertens. Wir schaffen durch unsere Etatbeschlüsse in dieser Woche wichtige Voraussetzungen für die darauf aufbauenden Aktionen zur Belebung unserer Wirtschaft und des Arbeitsmarkts. - Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Westphal, Sie hatten eben darauf hingewiesen, daß es in Ihren Reihen bei dem Vortrag des Kollegen Hoppe in Sachen Kreditfinanzierung oder Steuererhöhung Schwierigkeiten gegeben hat. Wenn ich den Meldungen trauen darf, die man über den Ticker lesen kann, dann hätten mindestens an dieser Stelle der Bundesfinanzminister und der Bundeskanzler zustimmend genickt. Ich meine, das ist j a wenigstens ein Hinweis dafür - und ich bin Ihnen im Grunde dankbar -, daß man noch nicht am Ende der Überlegungen ist. Ich empfinde es für ein Parlament ja nun als nicht schlimm, daß man wenigstens dort noch offen darüber debattiert, ob diese oder jene Lösung die akzeptable ist.
({0})
Daß der Kollege Kohl gestern versuchte, über dieses Thema, ich sag mal, so etwas wie eine Profilierung in haushaltspolitischen Grundsatzfragen zu erreichen, indem er die FDP sozusagen abfeierte nach dem Motto: Genscher hier da, Lambsdorff da anders und Verheugen immer etwas anderes, hat mich dazu geführt, daß ich den Kollegen Verheugen angerufen und gefragt habe, ob das denn stimme. Also, er hatte an diesem Tag ausnahmsweise keine Erklärung abgegeben,
({1})
so daß, um das klar zu sagen, der Kollege Kohl gestern zwar ein Gag hatte, aber in der Sache völlig falsch gelegen hat. Aber das soll ja nichts Neues sein.
({2})
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann? - Hier, halb links steht er.
Herr Kollege Gärtner, darf ich Sie fragen, warum Sie bisher prinzipiell die
Finanzierung eines Beschäftigungsprogramms über Steuererhöhungen ausgeschlossen haben, während Sie eben die Diskussion als offen bezeichnet haben?
Ich habe gesagt - und ich glaube, das ist richtig -, daß es Überlegungen nach der oder jener Art innerhalb der Regierung gibt, auch innerhalb der Fraktionen. Innerhalb der Opposition gibt es, wie vom Kollegen Westphal zutreffend vorgetragen, auch diese und jene Überlegungen. Ich kann nur sagen, ich halte es für richtig, daß man darüber offen diskutiert und über die Vor- und Nachteile einer Finanzierung, ob über Kredite oder Steuererhöhungen oder über welche Steuerart beispielsweise, nachdenkt. Ich sage, ich habe dazu meine Meinung. Ich halte auch sehr viel davon, daß man nicht schon jetzt nach der einen oder anderen Seite abschließende Erklärungen abgibt, wo die Regierung das, was sie Jahreswirtschaftsbericht nennt, in den nächsten Wochen vor dem Parlament diskutieren läßt.
({0})
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Riedl?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gärtner, hätten Sie die Liebenswürdigkeit, uns vielleicht auch mitzuteilen, was Herr Verheugen zu den Ausführungen von Herrn Hoppe gestern hier gesagt hat?
Ich habe ja darauf hingewiesen, daß er sich zu dieser Frage nicht geäußert hat.
({0})
Ich würde sagen, Herr Kollege Riedl, die Position, die wir zu diesem Thema einnehmen, ist zunächst völlig klar.
({1})
Wir sagen, daß man sinnvollerweise irgendein Thema nicht nur deshalb diskutieren sollte, weil man diskutieren und sich beschäftigen will. Ich sage auch nicht, daß es ein Gespenst gibt, das hier herumgeht, nach dem Motto: Das Beschäftigungsprogramm ist ein Gespenst. Ich sage auch nicht, daß jemand, der sich in dieser Frage, wo man eine Finanzierung findet, ernsthaft bemüht, von vornherein falsch liegt. Aber ich sage, daß wir der Meinung sind, daß man, bevor man über Steuererhöhungen und Kreditfinanzierung nachdenkt, jede andere Finanzierungsart für eine wie immer geartete Beschäftigungsprogrammatik, die im Haushalt ansetzt, vorzieht. Ich bin der Meinung, daß man über das Sparen
eher zu Geldmitteln kommt, um Investitionen auf den Weg zu bringen.
({2})
- Nein, ich sage, es ist sinnvoller, zunächst über dieses Thema nachzudenken.
({3})
- Nein, Herr Kollege Glos. Ich finde Ihre Zwischenrufe sonst ganz amüsant, aber im Augenblick sind sie noch nicht einmal der Jahreszeit entsprechend lustig.
({4})
Im Rheinland dürften Sie sich in dieser Zeit ein bißchen lustiger benehmen; aber das kommt heute morgen auch nicht gut an.
Ich sage es noch einmal, daß es über das Sparen sinnvoller wäre. Ich halte es nach wie vor auch für sinnvoller, zunächst über Sparoperationen nachzudenken, um dann überhaupt Investitionsprogramme auf den Weg zu bringen.
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Das ist im übrigen auch die Position des Sachverständigenrates. Der Sachverständigenrat hat dazu deutlich gemacht, daß man, wenn man überhaupt über Kreditfinanzierung nachdenkt, zunächst eine Sparoperation ganz gewaltigen Umfangs auf den Weg bringen muß. Die Kollegen, die sich zum Sachverständigenrat immer so zustimmend äußern, sollten alle Teile des Gutachtens verinnerlichen und akzeptieren. In dem Gutachten steht, daß wir gezwungen sind, in den nächsten Jahren ein strukturelles Defizit abzubauen, das bei den öffentlichen Haushalten bei über 40 Milliarden DM angelangt ist. Es ist der erste Schritt, dieses zunächst in die Sparoperation einzubeziehen. Ich wünsche uns allen dafür gemeinsam viel Mut. Auch das Durchhalten der wenigen Sparoperationen, die wir bis jetzt gemacht haben, war schon relativ schwierig.
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Gern.
Herr Kollege Gärtner, stimmen Sie mir darin zu, daß der Sachverständigenrat sowohl in seinem Sommergutachten als auch in seinem Hauptgutachten vom November/Dezember 1981 betont hat, daß er glaubt, eine Konsolidierung von 10 Milliarden DM liege an der Grenze dessen, was man konjunkturpolitisch derzeit machen soll, und stimmen Sie mir ferner darin zu, daß die Konsolidierung, die wir in .der Koalition vereinbart haben, etwas höher ist?
Herr Kollege Roth, ich finde, daß man bei diesem Thema eine Zustimmung im Plenum des Bundestages von allen erwarten könnte. Diese Koalition hat ein Sparkonzept auf den Weg ge4608
bracht, das in der jüngeren Geschichte in diesem Lande relativ einzigartig ist.
({0})
Wir haben den ersten Schritt getan, und daher sind wir auch in der Lage, jede weitere Diskussion offensiv zu führen. Wenn es dieses Zweite Haushaltsstrukturgesetz nicht gegeben hätte, könnten wir über solche Themen, über die wir uns heute unterhalten, überhaupt nicht reden.
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Wir haben die Voraussetzungen für die Möglichkeit geschaffen, überhaupt über Investitionsprogramme und so etwas zu reden. Wenn wir dieses Haushaltsstrukturgesetz nicht gemacht hätten, könnten wir darüber noch nicht einmal reden.
Sie haben natürlich den Vorteil, daß Sie hier im Plenum des Deutschen Bundestages in der Minderheit und daher auch nicht gezwungen sind, Gesetzen bis zum Schluß in der Abstimmung die Zustimmung zu geben. Aber wir selbst haben dieses Thema in der Koalition sehr ernsthaft diskutiert und in den Beratungen des Haushaltsausschusses auch sehr schmerzhaft behandeln müssen. Die Haushaltspolitiker haben noch nie viele Freunde im Plenum des Deutschen Bundestages gehabt, und die Sparoperation hat den Kreis der Freunde insgesamt eher verkleinert. Von daher hat das nicht unbedingt dafür gesorgt, daß man gegenüber Kollegen noch mehr als nette Worte - ({2})
- Die Haushaltspolitiker verstehen sich untereinander offenbar besser als manche Parteifreunde, die einer Fraktion angehören.
({3})
Manchmal ist es etwas schwieriger, als nur über das Sparen zu reden, dies in der Praxis auch durchzusetzen, da man dann jemandem mit der Entscheidung weh tun muß, ob man 10, 20 oder 30 Millionen DM bewilligt. Das ist das Los der Haushälter. Aber ich finde, es macht Spaß, daß die Arbeit von Kollegen wenigstens noch gewürdigt wird - wenn auch negativ.
({4})
Bei der Gelegenheit möchte ich dem Regierungschef folgendes mitteilen. Wenn er schon im Plenum des Bundestages den Bundesfinanzminister lobt, sollte er wenigstens zur Kenntnis nehmen - er muß es nicht unbedingt immer deutlich machen -, daß der Haushaltsausschuß einen Großteil derArbeit erledigt hat, die die Regierung nicht in allen Teilen erledigen konnte.
({5})
Immerhin - das kann man für diejenigen, die es nachlesen wollen, zu Protokoll geben - hat der Haushaltsausschuß es erreicht, daß die von der Regierung eingesetzte globale Minderausgabe auf eine Größenordnung zurückgeführt worden ist, die dem Bundesfinanzminister die Mühe erspart, sich mit
Kabinettskollegen über § 41 der Bundeshaushaltsordnung über Gebühr zu unterhalten. Wir haben jedenfalls diese Operation hingekriegt und sind zum erstenmal, meine ich, fast in der Lage, einen in seinen Positionen so ehrlichen Haushalt vorzulegen, daß er gefahren werden kann.
({6})
- Aber sicher, Herr Kollege Haase.
({7})
- Ich weiß, Herr Friedmann, Ihre Reisen nach Nürnberg sind teuer und sorgen für sehr viel Aufregung. Ich bin mal gespannt, was morgen früh in der Debatte über den Einzelplan 11 neuerdings wieder von Ihnen erzählt werden wird. Was die Öffentlichkeitswirksamkeit angeht, sind Sie in der letzten Zeit um ein Vielfaches deutlicher geworden als der Kollege Stingl, der das sonst monatlich immer noch versucht. Sie haben das jedenfalls gut hingekriegt.
Ich darf den Kollegen Carstens wirklich bitten, einige Formulierungen nicht wieder zu gebrauchen.
({8})
Ich finde es nicht fair, daß man hier im Plenum des Bundestages oder auch draußen bei der Bezeichung des Regierungschefs das Stichwort „Schuldenkanzler" in die Diskussion bringt.
({9})
- Bevor Sie so laut rufen, sollten Sie wissen: Sie sitzen im Glashaus. Von uns redet doch keiner davon, daß Stoltenberg der „Schulden-Gerhard des Nordens" ist.
({10})
Was soll denn das? Ich meine, wer die Verschuldensliste der Bundesländer anführt, ist kein guter Ratgeber für solche Bezeichnungen des Bundeskanzlers.
({11})
- Ich kenne die Differenzierungen zwischen Oldenburg und dem norddeutschen Raum ein bißchen besser als vielleicht die übrigen Kollegen. Vielleicht sollte man das mal veröffentlichen. Das ist eine interessante Geschichte. Das geht hin bis zum Saarland, habe ich mir sagen lassen; da gibt es auch noch einen Teil.
({12})
Ich finde, auch ein Zweites sollte man nicht machen: hier so über dieses Land reden, Herr Kollege Carstens, daß viele fragen: Welches Land meinen Sie eigentlich bei Ihrer Beschreibung? Sie beschreiben die Zustände in diesem Lande so, als ginge es hier sozusagen drunter und drüber, als wäre man kurz vor dem Bankrott. Das sagen Sie auch gelegentlich. Ich finde das nicht fair. Es ist auch keine richtige BeGärtner
schreibung dieses Landes. Wenn Sie sich gelegentlich einmal außerhalb der Landesgrenzen bewegen, treffen Sie mehr Leute, die auf das, was wir in unserem Lande erreicht haben, neidisch sind,
({13})
als Sie vielleicht wahrhaben wollen.
({14})
- Ich verlange j a von Ihnen nicht zuviel, nur daß Sie vielleicht zuhören und die Tatsachen akzeptieren. Und die Tatsachen sind doch die folgenden.
Ich finde, in diesem Lande können alle, die daran beteiligt waren, stolz sein - das gilt für Unternehmer wie für Arbeitnehmer, das gilt für alle, egal welcher Partei sie angehören -, daß wir die 70er Jahre erheblich besser überstanden haben als alle Länder um uns herum. Auch die Diskussion über Sparsamkeit bei öffentlichen Finanzmitteln und der entsprechende Entscheidungsprozeß sind in diesem Lande früher angefangen worden als in allen Ländern um uns herum. Auch das wird eine Voraussetzung dafür sein, daß wir am Ende der 80er Jahre viel besser aus den Schwierigkeiten herausgekommen sein werden.
Ich finde, diesen Prozeß sollten Sie von der Union zwar kritisch begleiten, dabei sollten Sie uns die Entscheidung aber vielleicht manchmal dadurch schwermachen, das Sie sachliche, sehr fundierte Argumente vortragen und uns dadurch als Regierungsmehrheit in einen Entscheidungszwang bringen. Es wäre für Sie doch einfach gewesen, z. B. während der zweiten Lesung des Haushalts hier Einsparungsanträge einzubringen.
({15})
Sie hätten von Einzelplan zu Einzelplan entsprechende Vorschläge machen können. Aber im Gegensatz zu früher haben Sie keinen einzigen Antrag gestellt.
({16})
Selbst den traditionellen Kürzungsantrag zur Öffentlichkeitsarbeit vermisse ich. Er ist nicht mehr vorhanden. Selbst daran haben Sie gespart, Herr Kollege Haase.
({17})
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase? - Bitte sehr.
Verehrter Herr Kollege Gärtner, Sie rufen gerade zu einer fairen Beurteilung der wirtschaftlichen Sachverhalte auf. Darf ich im Zusammenhang mit Ihrem Hinweis, wir hätten die 70er Jahre im Vergleich mit dem Ausland doch noch relativ gut bewältigt, fragen: Hat man nicht gerade seitens der Koalition, seitens der Bundesregierung in jenen 70er Jahren permanent jene gravierenden Fehler - ich beziehe mich darauf, daß
man in diesem Lande über seine Verhältnisse gelebt hat - gemacht, die dann dazu geführt haben, daß wir uns jetzt in einer Situation befinden, in der wir diese Kümmernisse haben, weil wir das ganze Pulver verschossen haben, das wir vielleicht brauchten, um jetzt intervenieren zu können? Haben wir nicht in den 70er Jahren jene gravierenden Fehler gemacht? Das möchte ich Sie fragen.
Herr Kollege Haase, ich bin sicher, daß wir in den 60er Jahren genauso entscheidende Fehler gemacht haben. Herr Kollege Kohl hat gestern, wenn ich ihn richtig verstanden habe, von der Überalterung der deutschen Investitionsstruktur gesprochen. Damit ist wohl auch der Zeitraum gemeint gewesen, als die deutsche Industrie von der angeblich unwirtschaftlichen Steinkohle auf das so billige Produkt „Rohöl" umgestellt hat. Das ist in den 60er Jahren passiert.
({0})
Das war die Zeit, als z. B. das Land Baden-Württemberg seine Kohlekraftwerke dichtgemacht und nur noch Ölkraftwerke genehmigt hat. Ich werfe das niemandem vor. Ich sage nur: Solche Entscheidungen sind früher getroffen worden. Die Probleme in den 70er Jahren sind von uns schließlich nicht erfunden worden, sondern sie sind auf dieses Land gekommen, ohne daß wir uns entsprechend schnell wehren konnten. Das Hauptproblem war die Verteuerung des Rohstoffes „Rohöl".
Die Rohölpreisexplosion der 70er Jahre, Herr Kollege Haase, läßt sich an einem Beispiel besonders drastisch darstellen. Den rohölexportierenden Ländern ist es innerhalb von zehn Jahren gelungen, den Preis für ihr Produkt um 1 000 % zu erhöhen. Den Industrienationen ist es demgegenüber nur gelungen, ihre Industriegüterpreise um gerade 200 % zu erhöhen. Aus der Differenz erkennen Sie, daß es hier einen Transfer gegeben hat. Daß wir darauf nicht so schnell reagieren konnten, liegt eben daran, daß Investitionsgüter in diesem Land nicht in fünf Jahren abgeschrieben werden. Hier sind vielmehr in früheren Jahren Grundentscheidungen getroffen worden, mit denen wir jetzt - das ist gar keine Frage - Schwierigkeiten haben.
({1})
Keine Regierung kann von heute auf morgen eine ganze Produktionspalette umstoßen.
Wir selbst haben die Hinweise gegeben, wie man finanziell entsprechende Umstrukturierungshilfen geben kann. Der Kollege Westphal hat eine Menge genannt. Ich nenne das von der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufgelegte 6,3-Milliarden-Programm noch einmal. Dieses Programm ist im Juli aufgelegt worden. Es ist allerdings zugegebenermaßen nicht bis zum Ende gezeichnet.
({2})
- Aber warum? Weil zwischenzeitlich auf das, was wir Sparoperation `82 nennen, auch der Kapitalmarkt reagiert hat, der Zins nach unten gegangen ist und die Bedingungen dieses Programms deshalb im
Grunde nicht mehr so attraktiv sind. Es ist j a immerhin ein Beitrag, daß nicht der Haushalt, sondern der normale Kapitalmarkt diese Leistung zu vollbringen hat. Daß wir auf diese Art und Weise ein besseres Verhältnis herbeigeführt haben, ist immerhin unsere Leistung. Ich finde, darauf kann man gelegentlich auch stolz sein.
({3})
Der Kollege Haase hat das Thema angesprochen, daß wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Das dies so war, erkennt man im Augenblick daran, wie schwierig es ist, von bestimmten Wohlstandsniveaus wieder herunterzukommen. Wir alle erleben gerade die Diskussion über das Thema des Zuwachses der Ausgaben für den öffentlichen Dienst. Die Frage, wie die Tarifverhandlungen zu Ende geführt werden sollen, kann natürlich hier im Plenum am allerwenigsten beantwortet werden. Mich hat allerdings gewundert, daß von der Union gestern niemand etwas zu diesem Thema gesagt hat. Heute morgen hat der Kollege Carstens über alles mögliche geredet, aber zu maßvollen Tarifabschlüssen hat auch er keinen einzigen Satz gesagt.
({4})
Ich will nur sagen: Im Rahmen der Themen, zu denen gestern Ausführungen gemacht wurden, wurde hierzu nichts gesagt. Dazu hat sich immerhin der Vorsitzende der SPD geäußert. Zuvor hatte sich auch der Bundesvorsitzende der FDP geäußert. Es wäre ganz sinnvoll gewesen, wenn sich der Bundesvorsitzende der CDU dazu auch einmal geäußert hätte.
({5})
- Er hat sich dazu aber nicht geäußert. Er hat sich wie immer sehr lange, aber nicht sehr konkret geäußert.
({6})
Das Thema der Zuwachsraten der Ausgaben für den öffentlichen Dienst ist schon deshalb eine Diskussion wert, weil es scheint, daß ein Teil der öffentlichen Arbeitgeber, die Kommunen, aus der Front der Arbeitgeber ausbrechen will. Ich kann nur sagen: Die Klagen der Kommunen über ihre mangelnde Finanzausstattung werden durch ein solches Verhalten - wenn es Realität ist - nicht glaubwürdiger.
({7})
- Ich nehme das gerne an.
({8})
Es wird mit Sicherheit in dieser Gesellschaft schwieriger werden, wenn es weniger zu verteilen gibt. Wenn eine Gesellschaft ihre Fähigkeit zum demokratischen Prozeß und zur demokratischen Konfliktlösung in diesen Zeiten fast zu verlieren scheint, muß man eigentlich für die nächsten Jahre Schwierigkeiten vermuten: denn, wie gesagt, in den nächsten Jahren wird es nicht viel mehr an Zuwachsraten zu verteilen geben. Ich meine, wir sind alle aufgerufen, auch zu diesem Thema mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen und nicht in einer Zeit, in der es 1,7 Millionen Arbeitslose gibt, im öffentlichen Dienst mit Streik zu drohen,
({9})
wo es nur darum geht, daß der Zuwachs eingeschränkt wird und das Thema noch nicht einmal das wahrhaft Eingemachte ist.
Natürlich hat es die Union in der Debatte über den Haushalt manchmal etwas leichter als die Regierung. Sie macht es sich auch, wenn man so die Angriffspositionen, auch die vom Kollegen Zimmermann gestern, sieht, etwas sehr einfach. Daß der Kollege Zimmermann die außenpolitische Landschaft verwüstet, war immer schon bekannt, und innenpolitisch hat er auch nicht immer viel Erfolg gehabt.
({10})
Wer aber wie der Kollege Zimmermann bei dem Thema Kernkraftwerke immer noch vom Investitionsstau redet, muß doch wohl langsam einmal in sich gehen - wenn ich all das verfolge, was zu dem Thema Stau beim Bau von Kernkraftwerken und Investitionsstau in Unterlagen des Parlaments nachzulesen ist. Der Kollege Zimmermann sollte das mal machen.
Ich darf das einfach einmal den Kollegen mitteilen: Das beginnt in Bayern. Für das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld/Main, Betreiber Bayernwerk, hat der Innenminister der Inbetriebnahme zugestimmt. In Baden-Württemberg läuft derzeit vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim das Verfahren zu Wyhl. Die Landesbehörde und die Betreiber warten ab, obwohl die erste Teilerrichtungsgenehmigung vollziehbar ist. Für das Kernkraftwerk Grohnde/Weser ist der Baubeginn 1976 gewesen. Einen Baustopp infolge Gerichtsbeschluß gab es von 1977 bis 1979. Die Bauarbeiten sind derzeit im Gange. Inbetriebnahme wird für 1984 erwartet. Es gibt eine Menge von Kraftwerken, wo die Situation ähnlich ist.
({11})
- Ich wollte Ihnen die Liste j a nicht vollständig vorlesen. Lassen Sie doch wenigstens einmal den Hinweis gelten, Herr Haase. Ich habe Ihnen die ersten drei vorgelesen. Den Rest können Sie selbst lesen.
Sie finden da eine ganze Menge von Kraftwerken, die genehmigt, die im Prinzip akzeptiert sind, wo aber z. B. Unterlagen fehlen. Zum Beispiel liegen Sicherheitsbericht und Gutachten für das Kraftwerk Hamm/Lippe noch nicht vor.
({12})
Von den VEW ist der Antrag gestellt worden, Sicherheitsbericht und Gutachten liegen noch nicht vor. In Baden-Württemberg liegt für das Kernkraftwerk Neckarwestheim das Konzeptgutachten noch nicht vor.
Ich will damit nur sagen: Der Begriff Investitionsstau erfreut sich großer Beliebtheit, wenn man sich aber nach den konkreten Einzelheiten erkundigt, stellt man fest, daß die Projekte auch von den Betreibern nicht so behandelt worden sind, daß sie genehmigungsfähig sind.
({13})
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Ich will die letzten fünf Minuten für meine Ausführungen verwenden.
({0})
Herr Kollege Glos hat doch heute mittag die Gelegenheit, beim Einzelplan 09 den Versuch zu machen, seinen Kollegen Zimmermann zu verteidigen.
Wenn Sie hier auch mit Hurra-Patriotismus die Kernenergie befürworten: Lassen Sie es doch wenigstens noch zu, daß man in diesem Parlament über Entsorgungsfragen kritisch diskutieren kann!
({1})
Wer von Ihnen allen hat denn die Entsorgung sicher in der Tasche?
Auch bei den traditionellen Kraftwerken gibt es auch innerhalb der Union gelegentlich Streit im lokalen Bereich. Ich kenne das zufällig aus meinem Wahlkreis.
({2})
In Meerbusch ist die CDU konsequent gegen das Kraftwerk, das in Krefeld mit Zustimmung der CDU betrieben wird. Dabei handelt es sich um ein Kohlekraftwerk. Man muß den Leuten doch wirklich klar sagen, daß es auch diese und jene abweichende Meinung gibt, ohne daß man, wie Sie das gelegentlich tun, jeden, der einen Funken Kritik in Sachen Kernenergie übt, in eine bestimmte Ecke stellt und behauptet: Der ist ohnehin gegen jede Arbeitsplatzbeschaffung, der ist gegen alles und nur für den Sozialismus. Das sind doch Ihre Formulierungen, die Sie auch in Wahlkämpfen immer verwenden.
Es gibt im übrigen auch eine Menge anderer Investitionshindernisse, die z. B. auch von Ihnen in der Union mitverantwortet werden müssen. Ich erinnere hier z. B. daran, daß das Fernwärmeprogramm zwei Jahre lang zwischen den Ländern hin und her geschoben worden ist,
({3})
daß das „Genehmigungsverfahren" ein halbes Jahr gedauert hat, bis die letzte Landesregierung nach Kabinettsentscheidung ihre Unterschrift unter eine Vereinbarung gesetzt hat. Es soll also niemand von Ihnen hier herkommen und von Investitionsstau, Genehmigungsschwierigkeiten usw. reden, wenn man die Probleme manchmal auch bei sich selbst zu suchen hat.
Man muß auch, bitte schön, insgesamt ein bißchen fairer mit denjenigen umgehen, die sich bei der Verteilung des Bruttosozialprodukts etwas anderes vorstellen können, als wir in unsere Haushalte hineinschreiben; da haben wir j a auch ein Problem. Was heißt: Investitionen sind alle sinnvoll? Die Folgekosten von Investitionen belasten die öffentlichen Haushalte heute bis zum letzten. Erst haben wir z. B. Straßen gebaut und gesagt, es ist alles in Ordnung. Jetzt bauen wir die Lärmschutzwände und feiern das auch noch als positive Fortschreibung des Bruttosozialproduktes. Ich meine, es muß die Frage zulässig sein, ob man bei jeder Investition gleich aus dem Anzug springt. In Bayern, wo es um den Rhein-Main-Donau-Kanal geht, wird es im Augenblick gemacht. Obwohl diese Entscheidung bei genauem Nachrechnen nicht rentabel ist, sagen Sie, diese Investition sichert Arbeitsplätze. Die Folgekosten allerdings lasten Sie nachher wahrscheinlich dem Bund an.
({4})
Gestern ist auch viel über Folgekosten unternehmerischer Entscheidungen geredet worden. Herr Kollege Glos, es ist gesagt worden, daß die Konkurszahlen in diesem Land im Augenblick sehr hoch angestiegen sind. Herr Kollege Haase, auch ich bedaure das. Aber man kann Marktwirtschaft nicht nur als Schönwetterveranstaltung verstehen.
({5})
Wenn jemand Schierigkeiten hat, Finanzierungen durchzuhalten, die er, so möchte ich einmal sagen, ein bißchen wackelig angefangen hat, dann gehört das zur Marktwirtschaft. Das, was allerdings nicht zur Marktwirtschaft gehören darf, ist, daß man ab einer bestimmten Größenordnung nicht mehr Pleite machen darf.
({6})
Deshalb muß klar sein: Nicht jede „Elefantenhochzeit" - bei allen regionalpolitischen Interessen, die man gelegentlich so zu vertreten hat -, die angekündigt wird, wird im Ergebnis von uns begrüßt. Es findet dabei zwar immer viel Getöse auf sehr hoher Ebene statt, aber das Ergebnis ist meistens beklagenswert.
Wir sollten zu dem Thema, wie wir unsere Wachstumsraten in den nächsten Jahren verteilen, ein bißchen offensiver diskutieren dürfen nach dem Motto: Nicht alles, was gewünscht ist, wird in den nächsten Jahren von uns finanziert werden können. Wir sollten uns bei allen unseren Debattenbeiträgen überlegen, daß wir zu der Hälfte dieser Welt gehören, der es ungleich besser geht als der anderen Hälfte dieser Welt.
({7})
Wir sollten uns eher auf das Thema konzentrieren, Herr Kollege Haase, ob wir über mehr finanzielle Hilfe und Zusammenarbeit mit den Ländern, denen es schlechter geht als uns, für die Sicherheit und den
Frieden nicht mehr tun, als wenn wir hier diese gespenstische Debatte über die 3 % oder 20 Milliarden DM führen, die dem Kollegen Wörner offenbar beim Verteidigungshaushalt fehlen.
({8})
Ich meine, Sicherheit in diesem Lande mit der Addition oder Subtraktion von Soldaten, Sprengköpfen und Raketen zu verwechseln, wird den Problemen, vor denen wir stehen, nicht gerecht. Wenn wir heute abend in die Debatte des Einzelplans 23 mit dieser Zuversicht hineingehen, dann werden wir - trotz aller Schwierigkeiten hinsichtlich der Höhe der Steigerungsrate - vielleicht doch noch zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. - Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben - wie immer - versucht, diesen Haushalt und seine Gestaltung in die Notwendigkeiten einzuordnen, die uns durch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise aufgezwungen werden; wir haben das auch schon 1980 und 1981 getan. Vor dem Hintergrund der schwierigen weltwirtschaftlichen Lage und der sich abzeichnenden Beschäftigungs- und Wachstumsprobleme der deutschen Wirtschaft haben wir damals mit dem Subventionsabbau begonnen und im allgemeinen die erforderlichen finanzwirtschaftlichen Maßnahmen ergriffen. Diesen Weg haben wir mit der Operation 1982 konsequent fortgesetzt. Ziel dieser geschlossenen, zukunftweisenden Operation war es, die Dynamik der öffentlichen Konsum- und sozialen Transferleistungen und damit die Neuverschuldung der Haushalte zu begrenzen und die Wirtschaftstätigkeit, insbesondere auf dem Gebiet der Innovationen und Investitionen, anzuregen und zu stärken. Dieses Ziel haben wir mit den Einsparungen im Haushaltsverfahren erreicht. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich beim Haushaltsausschuß. Ich bedanke mich insbesondere auch bei den Oppositionsabgeordneten im Haushaltsausschuß
({0})
für die Terminabstimmung mit der Regierungskoalition. Denn es wäre wohl ungeheuer schwierig gewesen, den Haushalt rechtzeitig fertigzustellen, wenn nicht alle mitgearbeitet hätten, auch über das hinaus, was normalerweise an Zeitplanung vorgesehen ist.
({1})
Wir haben mit dem Haushalt und mit den Begleitgesetzen eine ganze Menge erreicht. Immerhin enthält dieses Gesetzespaket fast 150 Einzelmaßnahmen. Das ist eines der umfangreichsten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Auf das Jahr 1982 bezogen werden Bund, Länder und Gemeinden insgesamt mit etwa 181/2 Milliarden DM entlastet. Unter Berücksichtigung der Einsparungen
im Haushaltsverfahren erhöht sich dieser Betrag um weitere 4 Milliarden DM auf etwa 221/2 Milliarden DM. Allein für den Bund bedeutet das, daß die Nettokreditaufnahme von rund 261/2 Milliarden DM ohne diese Operation 1982 um weitere 18 Milliarden DM hätte erhöht werden müssen. Wenn man sich nun fragt: welche Vorschläge hat denn die Opposition eigentlich dazu beigetragen, daß diese Operation erfolgreich sein konnte, dann bleibt relativ wenig. Es ist in dieser Debatte immer darauf hingewiesen worden, die Opposition habe ja vorgeschlagen, 5 % der Subventionen zu kürzen; das sei nicht akzeptiert worden; es seien doch konstruktive Vorschläge gemacht worden.
Ich darf Ihnen einmal von einem Briefwechsel Kenntnis geben,
({2})
den ich mit dem Herrn Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Helmut Kohl, gehabt habe. Ich werde Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten zunächst den größten Teil meines ersten Briefes vorlesen. Ich habe geschrieben:
Sehr geehrter Herr Kollege, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in ihrer Stellungnahme vom 3. 9. die Forderung erhoben, „Leistungen und Subventionen um insgesamt 5 %" zu kürzen. Sie haben diesen Vorschlag in mehreren Reden, auch vor dem Bundestag, bekräftigt.
Nun war ich daran interessiert, herauszufinden, wie man das denn auffassen solle. Ich schrieb also weiter:
Wie Sie wissen, hat es in der Folge Ihrer Pressekonferenz eine Reihe offener Fragen gegeben, die ohne Antwort geblieben sind. So ist unklar geblieben, auf welche Subventionen und Leistungen sich dieser Kürzungsvorschlag konkret beziehen sollte, ob der Prozentsatz linear auf jede einzelne Subvention angewendet werden sollte oder ob ein 5 %iges Einsparvolumen durch differenziertere Einschnitte erzielt werden sollte und ob diese Kürzungen zusätzlich zu den schon von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen vorgenommen werden sollen.
Nachdem nun diese Forderung mehrfach in der Öffentlichkeit erneuert worden ist und ich auch in der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 22. 10. 1981 von Mitgliedern Ihrer Fraktion sehr nachdrücklich auf diese Forderung hingewiesen worden bin, sehe ich mich veranlaßt, Sie um eine Konkretisierung Ihrer Vorstellungen zu bitten. Ich bin gerne bereit, auf zusätzliche Sparvorschläge einzugehen, kann aber noch nicht erkennen, auf welche Weise dies durch eine 5 %ige Kürzung von Leistungen und Subventionen geschehen könnte.
Sie wissen, daß dies ein ernstzunehmendes Angebot war. Wenn Sie einen vernünftigen Vorschlag machen, bin ich bisher immer noch darauf eingegangen. Wir sind uns auch oft einig geworden. Es wäre
auch hier möglich gewesen, zu einer Zusammenarbeit zu kommen.
({3})
Selbstverständlich wäre es dem Bundesfinanzminister angenehm, wenn die CDU/CSU-Fraktion eine solche Forderung wirklich ernsthaft mitgetragen hätte.
Ich schrieb also Ihrem Herrn Vorsitzenden:
Insbesondere bin ich nach wie vor im unklaren, ob sich Ihr Vorschlag auf die im Subventionsbericht erfaßten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen bezieht oder ob Sie weitere Tatbestände einbeziehen und gegebenenfalls, wie ein weiterer Rahmen zu ziehen wäre. In der Sitzung des Haushaltsausschusses sind so unterschiedliche Dinge wie das Kindergeld, die Berlin-Förderung und sogar die Verteidigungsausgaben einbezogen worden, so daß ich die von Ihnen angestrebte Abgrenzung noch nicht erkennen kann.
Nach wie vor offen ist auch die Frage, ob der Kürzungsmaßstab 5 % linear auf alle Subventionen und Leistungen angewandt werden soll. Hier sähe ich erhebliche gesetzestechnische und rechtliche Schwierigkeiten, aber auch die Frage, wie sich eine solche schematische Vorgehensweise mit den bisherigen, sachbezogenen Beratungen nicht zuletzt auch in den Ausschüssen des Bundestages vertragen soll.
Ich möchte Sie deshalb bitten, mir eine Prüfung und Beratung Ihrer Vorschläge zu ermöglichen.
Das ist doch wohl keine ungehörige Bitte.
Falls Sie es für einen gangbaren Weg halten, bin ich auch gerne bereit, Mitarbeiter meines Ministeriums zur Verfügung zu stellen, damit in Gesprächen mit Mitgliedern oder Mitarbeitern Ihrer Fraktion Zweifelsfragen geklärt und die Verwirklichungsmöglichkeiten Ihrer Vorschläge geprüft werden können.
Nachdem Ihr Sparvorschlag in Ihrer Politik und in der öffentlichen Diskussion eine so wichtige Rolle einnimmt, halte ich es für notwendig, diese Möglichkeit so gründlich wie möglich auszuloten. Ich bin zu jeder konstruktiven Mitwirkung bereit und würde mich freuen, wenn sich hieraus möglichst rasch eine zusätzliche Einsparung erarbeiten ließe.
Mit freundlichen Grüßen Matthöfer
Dies war ein Brief, den ich am 26. Oktober geschrieben habe.
Der Herr Vorsitzende hat mir sehr schnell zurückgeschrieben - ich habe das zu schätzen gewußt -, und zwar unter dem 6. November.
({4})
- Nein, nur ein Satz.
({5})
- Ich bin gerne bereit, den Brief vorzulesen. ({6})
- Gut:
Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 26. Oktober 1981 wegen des 5%-Kürzungsvorschlags.
({7})
- Ja, „Herr Minister Matthöfer". ({8})
Aber ich hatte das als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.
Meine Fraktion hat im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages den Vorschlag erläutert und zur Abstimmung gebracht. Leider hat die SPD/FDP-Mehrheit den Antrag abgelehnt.
({9})
- Zu der ich nicht gehöre. Ich bin hier Vertreter eines anderen Bundesorgans, der Bundesregierung, und habe als solcher, als Bundesminister der Finanzen, mein Angebot gemacht.
({10})
- Nun hören Sie mal weiter zu:
Danach hatte die CDU/CSU die Bereitschaft erklärt, eine 5%ige Kürzung aller Subventionsausgaben und aller Ausgaben auf Grund von Leistungsgesetzen mitzutragen.
({11})
- Nun, gut, das ist aber keine Antwort auf meine technische Frage: Was bedeutet denn das?
({12})
Falls die SPD/FDP-Mehrheit das gleiche Einsparungsvolumen durch unterschiedliche Kürzungen hätte erzielen wollen, wäre auch dies in Betracht gekommen.
({13})
Da Ausgaben zu kürzen und nicht Steuern zu erhöhen sind, fallen darunter nicht steuerliche Tatbestände.
- Das fällt also schon einmal weg.
({14})
- Ja, sicher. Dann kommt der letzte Satz:
Ich bedaure, daß die SPD/FDP-Mehrheit im Haushaltsausschuß unseren Antrag abgelehnt hat.
({15})
Betrachten Sie das als Antwort auf eine höfliche Frage, wie denn Ihr Vorschlag gesetzestechnisch überhaupt umgesetzt werden kann?
({16})
Wie Sie wissen, bin ich aus Westfalen und deshalb relativ zäh. Ich habe noch einmal geschrieben. Ich habe geschrieben: „Sehr geehrter Herr Vorsitzender" usw., und habe die Fragen noch einmal technisch dargestellt und versucht, dem Herrn Vorsitzenden klarzumachen, daß wir wirklich mit dem Vorschlag einer Kürzung um 5 % nichts anfangen können, daß man den konkretisieren muß, wenn er ernstgenommen werden soll. Daraufhin habe ich dann nicht von dem Herrn Vorsitzenden, auch nicht von dem in diesem Sachbereich stellvertretenden Herrn Kiep, sondern von dem mir persönlich sehr angenehmen Herrn Häfele einen Brief bekommen.
({17})
- Den will ich gar nicht vorlesen. Ich will nur den letzten Satz - ({18})
- Hier ist j a keine Briefverlesestunde.
({19})
Herr Dr. Häfele, die Zwiesprache wäre zwar sehr interessant und hilfreich, aber ich möchte mich gerne an die Geschäftsordnung halten. Sie wünschen also eine Zwischenfrage. Herr Minister Matthöfer, Sie gestatten sie?
Sobald ich den letzten Satz des Häfele-Briefes vorgelesen habe, Herr Präsident, und der schließt folgendermaßen:
({0})
Es stünde Ihnen gut an, das konstruktive Mitwirken der Opposition anzuerkennen und den Pfad der Unwahrheiten zu verlassen.
({1})
Dies ist das Ende einer ernsthaften Bemühung, herauszubekommen, was denn seriös unter dem Vorschlag zu verstehen ist.
({2})
Ich will Ihnen sagen, was das ist: Das ist eine große gelbe Tüte
({3}) voll Wind. Sonst ist überhaupt nichts dahinter!
({4})
Herr Abgeordneter Häfele zu einer Zwischenfrage, bitte.
Herr Minister, nachdem Sie den Antwortbrief nicht voll haben vorlesen wollen, wollen Sie wohl auch darauf verzichten, Ihren eigenen Brief vorzulesen. Darf ich das annehmen?
Ja, ich habe ihn nicht vorgelesen. Ich hatte meine Fragen wiederholt, und Sie können nun wirklich nicht sagen, daß diese Fragen ganz unnütz waren oder daß das Angebot, mit Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums in Zusammenarbeit mit dem Sachverstand Ihrer Fraktion die Substanz Ihrer Vorschläge herauszubekommen, ein Angebot war, das man nun dadurch ablehnen muß, daß man erst einmal sagt „Ihr habt unseren Antrag abgelehnt, damit basta" und nachher zweitens sagt, ich solle den Pfad der Unwahrheiten verlassen.
Ich bleibe dabei: Dies war kein seriös gemeinter Vorschlag, und Sie täten gut daran, ihn nicht zu wiederholen.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Ja, sehr gerne.
Bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Finanzminister, könnten Sie bitte richtigstellen, daß es sich hier wohl keinesfalls um eine gelbe, sondern allenfalls um eine schwarze Tüte - und nicht nur mit Wind, sondern mit einem Windei - gehandelt hat?
({0})
Verehrte Frau Abgeordnete, bei mir sind im Unterbewußtsein die langen Jahre in Amerika durchgeschlagen. Dort sagt man „a big yellow bag of wind", und in der amerikanischen Sprache verbinden sich mit „gelb" andere Assoziationen als bei uns. Ich bitte um Entschuldigung!
({0})
Herr Bundesminister, wir haben eine Live-Übertragung im Fernsehen. Ich habe fast die Vermutung, daß nicht alle, die zuschauen und zuhören, Englisch verstehen. Wären Sie so freundlich, das ins Deutsche zu übersetzen?
Ich bin gern bereit, das zu übersetzen und zu wiederholen: Ich halte den CDU/CSU-Vorschlag, Subventionen um 5 % zu kürzen, da er nicht seriös konkretisiert wurde, für eine große gelbe Tüte voller Wind.
({0})
- Herr Westphal, wir wollen ja heute morgen zügig verfahren!
Klopfen wir einmal ab, was denn an Vorschlägen kam. Dann kam als weiterer Vorschlag immer die Sache mit den Kraftwerken. Der Herr Kollege Gärtner hat schon Entsprechendes dazu gesagt. Herr Zimmermann hat das auch angesprochen. Ich habe einmal nachgefragt. Sie wissen ja, der Bund ist an den Bayernwerken beteiligt, und wir versuchen, Isar II genehmigt zu bekommen. Das Problem liegt nicht bei der bayerischen Staatsregierung; sie verhält sich sehr kooperativ. Der CSU-Oberbürgermeister von Landshut, Herr Deimer, ist natürlich dagegen. Der Abgeordnete dieses Wahlkreises, Herr Dr. Zimmermann, hat sich bisher noch nicht geäußert.
({1})
Jedenfalls ist mir eine solche Äußerung nicht bekannt. Ich wäre dankbar, wenn Herr Dr. Zimmermann in seinem Wahlkreis auf seine eigene Parteiorganisation einwirken würde, damit wir in Zukunft mit dem Bau von Isar II zügig vorankommen.
({2})
Dann kommt der dritte Vorschlag mit der Kommunikationstechnologie. Sie wissen, daß es da keine technischen Widerstände mehr gibt, daß die Post zur Zeit enorm viel in die Verkabelung investiert.
Dies alles sind also Dinge, die, wenn man sie untersucht, keiner seriösen Prüfung standhalten.
Ein Weiteres ist, daß Sie uns immer auf ausländische Beispiele verweisen; in letzter Zeit weniger, aber früher hat es immer geheißen: „unsere Politik wird so sein wie die von Großbritannien" oder: „Strauß" - das war der Kanzlerkandidat, für den sich Herr Kohl so aufopferungsbereit eingesetzt hat - „begrüßt Reagans Finanz- und Wirtschaftspolitik" usw. Dies sind Ihre Beispiele gewesen, die Sie uns vorgehalten haben.
Nun habe ich Ihnen schon in der vergangenen Debatte gesagt, was daraus geworden ist. Großbritannien hat fast drei Jahre eine konservative Regierung, und dort steht man jetzt bei etwa 3 Millionen Arbeitslosen. Die Aussichten für das nächste Jahr sind nicht besser.
({3})
Und dann kam der Herr Kiep und sagte: Da ist auch noch Labour dran schuld, also die Sozialdemokraten.
({4})
Ich hab mal nachgeguckt, wie hoch denn die Inflationsrate war, die die Regierung Callaghan von der Regierung Heath übernommen hat. Herr Kiep, ich empfehle Ihnen sehr, das, bevor Sie diese Behauptung noch einmal aufstellen, in der Geschichte genau nachzuprüfen, damit Sie das nicht wiederholen.
Ähnlich ist es mit dem Hinweis auf die ideale Politik des Präsidenten Reagan. Es steht mir nicht zu, irgendwelche Kritik zu üben. Ich denke, die Amerikaner wählen ihre eigene Regierung. Die macht die Politik, die sie für Amerika für gut hält. Ich werde mich dazu nicht äußern.
Wenn Sie aber sagen, wie Sie es getan haben, diese Politik wäre auch für die Bundesrepublik gut
({5})
- Strauß begrüßt und empfiehlt Reagans Wirtschafts- und Finanzpolitik -, dann muß ich Sie auf die Ergebnisse hinweisen. Davor hat es geheißen: Wir wollen einen ausgeglichenen Haushalt anstreben.
({6})
- Für 1984.
Mit den gleichen Argumenten, wie sie Herr Carstens heute vorgetragen hat
({7})
- Besinnung auf die Grundwerte; Hindernisse für die freie Wirtschaft beseitigen; Optimismus; Mut; das wird kommen, wenn die neue Regierung da ist -, kam der Herr Stockman - wie in einem Artikel im „Atlantic Monthly" auf Grund seiner Interviews geschrieben wurde - ins Amt. Er hat dann seine Vorschläge in den Computer des Haushaltsbüros eingefüttert. Da kam heraus: Ein Riesendefizit für 1984. Herr Stockman hat gesagt: Das kann doch wohl nicht sein. Dann haben sie die einzelnen Elastizitäten und Koeffizienten des Programms so lange geändert, bis ein Wirtschaftsaufschwung als Prognose herauskam. Das Problem war nur: Die Realität hat sich nicht verändert. Und die Computer in der Wall Street waren nicht gleichgeschaltet, sondern haben immer noch die alten pessimistischen Prognosen herausgegeben.
Der Erfolg war, daß bei seiner letzten Einvernahme vor dem entsprechenden Ausschuß im Kongreß der Herr Stockman gesagt hat: Was einmal die Bemühung sein sollte, 1984 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, besteht jetzt darin, zu verhindern, daß 1984 das Haushaltsdefizit über die Rekordmarke von 100 Milliarden Dollar geht.
Dies ist das Ergebnis von Politiken, wie Sie sie uns empfehlen. Ihre Politik ist unseriös, theoretisch nicht abgesichert, steht nicht in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und gründet sich allein auf die feste Überzeugung und den starken konservativen Willen, man werde das schon anders machen.
Ich weiß heute schon, was passieren wird, falls das deutsche Volk jemals das Unglück haben sollte, eine CDU/CSU-Bundesregierung zu bekommen.
({8})
Wenn Sie die deutsche Wirtschaft ins Chaos gestürzt haben
({9})
und wenn Sie mit den Rezepten, die Sie heute morgen hier vertreten, Herr Zimmermann, in der Bundesrepublik Massenarbeitslosigkeit angerichtet haben, dann werden Sie genauso, wie Sie heute auf Labour verweisen, sagen: Die Sozialdemokraten sind schuld; das haben wir euch ja immer gesagt.
({10})
Ich verstehe das nicht.
({11})
Einerseits verweisen Sie ständig auf Ihre großen ausländischen Vorbilder.
({12})
Andererseits: Wenn wir sagen, aber vergleicht doch bitte mal die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland mit der Wirtschaft der andern,
({13})
dann lehnt der Herr Zimmermann das ab.
({14})
Eine Wirtschaft, die 30 % ihres Sozialproduktes im Austausch mit anderen Ländern erwirtschaftet,
({15})
soll ihre Leistungen nicht mit dem vergleichen dürfen, was andere zustande gebracht haben? Nehmen Sie einmal die Zahlen für die gesamte OECD,
({16})
also alle demokratisch organisierten westlichen Industrieländer. Lassen wir die Japaner einmal außer Betracht; ich nehme nicht an, daß wir 60 oder 80% mehr arbeiten wollen; das würde selbst Herr Graf Lambsdorff nicht vorschlagen; das ist nicht vergleichbar. Der Durchschnitt aller anderen Länder hat mehr als doppelt so hohe Preissteigerungen wie wir. Und wir haben eine Million Arbeitslose weniger als der Durchschnitt aller anderen Länder. Das ist das Ergebnis unserer Politik: Eine Million Arbeitslose weniger als andere!
({17})
Ich kann wirklich nur hoffen, daß Sie mit Ihrer Voodoo-Finanzpolitik nie richtig zum Zuge kommen.
Herr Zimmermann und Herr Kohl haben gestern - in einer Haushaltsdebatte! - ein Vermummungsverbot für Demonstranten gefordert. Was wir viel eher brauchten, wäre ein von den CDU/CSU-Abgeordneten sich selbst auferlegtes Verdummungsverbot in Haushaltsdebatten.
({18})
- Ich hatte eine ganz andere Rede aufgeschrieben. Aber nach der Rede von Herrn Carstens heute morgen muß ich erst einmal einiges zurechtrücken.
({19})
- Ich kehre hiermit, Herr Kollege Carstens, zum sachlichen Teil zurück.
({20})
Wir haben durch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen Leistungen abgebaut.
({21})
- Herr Abgeordneter Friedmann, ich habe noch im Ohr, was Sie hier über die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz vorgetragen haben. Alles, was Sie vorgetragen haben, war falsch.
({22})
- Natürlich. Lesen Sie es nach.
Wir sind auf dem besten Wege, unser Leistungsbilanzdefizit abzubauen - mit Hilfe unserer Politik und mit Hilfe von Maßnahmen, die Sie abgelehnt haben.
({23})
- Ich werde es nachlesen.
Wir haben durch eine Reihe von Maßnahmen Leistungen abgebaut, für die es keine sachliche Begründung mehr gibt oder die mißbräuchlich in Anspruch genommen wurden. Den Kernbereich der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit haben wir unangetastet gelassen. Wer seinen Arbeitsplatz ohne eigenes Verschulden verliert, erhält auch weiterhin sein Arbeitslosengeld in voller Höhe von 68 % des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts. Gleiches gilt grundsätzlich für das Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeld.
Wer arbeitslos ist oder von Arbeitslosigkeit bedroht ist, keinen beruflichen Abschluß hat oder einen Mangelberuf ergreifen will, kann auch künftig die berufliche Bildung in Anspruch nehmen. Mit Einschränkungen gilt das auch für Arbeitnehmer, die einen beruflichen Aufstieg anstreben.
Trotz der Einschränkungen im Bereich der beruflichen Rehabilitation werden die Behinderten auch in Zukunft alle Hilfen erhalten, die erforderlich sind, um sie umfassend und dauerhaft einzugliedern. Zur beruflichen Eingliederung schwer vermittelbarer Arbeitnehmer können auch weiterhin Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme gewährt werden.
Dann haben wir eine sehr schmerzliche Kürzung des Kindergeldes vornehmen müssen: um 20 DM für Zweit- und Drittkinder. Dabei sind nicht, wie Herr Zimmermann gestern gesagt hat, die Leistungen, die am 1. Februar vergangenen Jahres wirksam wurden, rückgängig gemacht worden, sondern nur ein Teil der damaligen Erhöhungen. Wir hätten das gerne anders gemacht, aber das war bei Ihrer Mehrheit im Bundesrat j a nicht durchzusetzen.
Im Unternehmensbereich haben wir Steuervergünstigungen abgebaut, die nicht mehr zu rechtfertigen waren, und gleichzeitig die steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen verbessert. Herr Kollege Carstens, wenn man das nun nicht nur in enger haushaltswirtschaftlicher Sicht sieht, sondern volkswirtschaftlich betrachtet, können Sie bei Ihren Berechnungen nicht nur den Investitionsbegriff zugrunde legen, auf den wir uns alle, Bund, Länder und Gemeinden, geeinigt haben, um das vergleichbar zu machen, sondern dann müssen Sie wohl alle zukunftsbezogenen innovationsfördernden, investitionsfördernden Maßnahmen in Betracht ziehen. Dazu gehört auch die Einnahmeseite, dazu gehört selbstverständlich auch das, was wir zur Verbesserung der Abschreibungen getan haben.
Die Übertragung von Veräußerungsgewinnen aus bestimmten Reinvestitionen wird für Gewinne begrenzt, die nicht aus der Veräußerung von Grundstücken und Gebäuden erzielt worden sind. Die Möglichkeit der Bildung steuerfreier Rücklagen für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern haben wir abgeschafft, da die mit dem Gesetz verbundene Zielvorstellung in der Praxis nicht realisiert worden ist. Aber wir haben eine Menge getan, um Investitionen zu fördern. Hierzu zählen die Erhöhung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter, die Ausdehnung des Verlustrücktrages sowie die Investitionszulage für die Eisen- und Stahlindustrie.
Besonders hervorzuheben sind die steuerlichen Erleichterungen zur Anregung von Investitionen im Wohnungsbau. Das gilt für die Anhebung der degressiven Abschreibung für Gebäude, für die Verbesserung der 7 b-Abschreibung einschließlich der Kinderkomponente; das gilt vor allem auch für die wohnungsbaupolitischen Maßnahmen. Der Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungsbau versetzt die Länder in die Lage, in erheblichem Maße freiwerdende Mittel für den Wohnungsbau einzusetzen, wodurch in den nächsten Jahren 30 000 Sozialwohnungen gefördert werden können. Wir können nur hoffen, daß die Länder auch wirklich kräftig das tun, was wir gemeinsam wollen.
Herr Abgeordneter Carstens, fasse ich alle im Bundeshaushalt enthaltenen und im Rahmen der „Operation '82" beschlossenen beschäftigungswirksamen Maßnahmen auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite zusammen, dann ergibt sich bis 1985 ein Betrag von 26,3 Milliarden DM, davon beim Bund 10,8 Milliarden DM. Das müssen Sie wohl, wenn Sie Kritik üben, schon mit anrechnen.
({24})
Ich möchte als Klammerbemerkung noch etwas zu Ihrer Milchmädchenrechnung bezüglich der Zinsen und der Nettokreditaufnahme sagen. Wenn Sie sagen, die Zinsen seien jetzt fast so hoch wie die Nettokreditaufnahme, dann ist das doch eine Milchmädchenrechnung; denn je niedriger die Nettokreditaufnahme ist, je stärker wir sie herunterdrücken, desto eher erreichen wir den glorreichen Tag, an dem die Zinsausgaben doppelt so hoch sind wie die Nettokreditaufnahme.
({25})
Der Haushalt 1982 steht auf drei wichtigen Fundamenten, die ich abschließend zusammenfasse. Es ist uns erstens gelungen, trotz aller widrigen Umstände die Nettokreditaufnahme in vertretbarem Rahmen zu halten und mit 26,8 Milliarden DM Neuverschuldung eine spürbare mittelfristige Verminderung der Nettokreditaufnahme einzuleiten.
Es ist zweitens darüber hinaus gelungen, über die Begleitgesetze zum Bundeshaushalt und durch die Haushaltsverhandlungen selbst die Dynamik der öffentlichen Ausgaben wirksam einzudämmen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Nettokreditaufnahme mittelfristig zurückgeführt werden kann.
Schließlich ist es uns drittens gelungen - das ist ein entscheidender Teil des Bundeshaushalts 1982 -, nicht nur einen Sparhaushalt vorzulegen, sondern gleichzeitig ein Bündel von Maßnahmen zu verabschieden, deren beschäftigungswirksame Folgen nicht lange auf sich warten lassen werden.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({26})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen ist vorgeschlagen worden, auch den Einzelplan 09 des Bundesministers für Wirtschaft in die verbundene Debatte einzufügen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich rufe dann auch auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksache 9/1189 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Frau Simonis
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Wir setzen die Debatte fort. Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Riedl das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat eben einen geradezu unglaublichen Vergleich mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan gebracht. Der amerikanische Präsident Reagan ist fast auf den Tag genau ein Jahr im Amt und versucht, mit desolaten wirtschaftlichen Zuständen in seinem Land fertig zu werden. Aber Sie sind seit 12 Jahren an der Regierung und haben eine völlig gesunde Volkswirtschaft kaputtgemacht, Herr Bundesfinanzminister.
({0})
Hier sind ohnehin im Laufe dieses Vormittags einige tolle Behauptungen aufgestellt worden.
Herr Abgeordneter Riedl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Herr Minister, bitte sehr.
Herr Abgeordneter Riedl, Sie sagten, wir seien 12 Jahre im Amt. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Sozialdemokraten seit über 16 Jahren im Amt sind und daß wir 1966 eingetreten sind, als die CDU/CSU-Fraktion wirtschafts- und finanzpolitisch nicht mehr weiter konnte?
({0})
Herr Kollege Matthöfer, das einzige, was ich Ihnen konzediere, ist, daß damals, als Ihr damaliger Wirtschaftsminister Schiller mit unserem Franz Josef Strauß als Finanzminister noch die Verantwortung hatte, die Dinge noch weitgehend in Ordnung waren. Es ist das einzige, was ich Ihnen zugebe.
({0})
Meine Damen und Herren, heute vormittag sind ohnehin einige tolle Behauptungen aufgestellt worden. Ich darf aus der Fülle dieser Behauptungen nur einmal die Geschichte mit den Kernkraftwerken herausnehmen. Der Kollege Gärtner hat gesagt: Denken Sie an Grafenrheinfeld. Er hat wahrscheinlich an den Kollegen Glos aus Schweinfurt gedacht. In Grafenrheinfeld im Bereich Schweinfurt - Herr Gärtner, da sollten Sie mal hinfahren, es ist im übrigen eine ganz nette Gegend - ist gegen den erbitterten Widerstand der FDP das Kernkraftwerk in Betrieb genommen worden. So ist die Wahrheit.
({1})
Und wie schauen die Dinge beim Kollegen Zimmermann im Wahlkreis Landshut aus? Meine Damen und Herren, der Kollege Zimmermann hat in seinem Wahlkreis Landshut - mit in den Bereichern der Bundesrepublik, wo es die allerersten Kernkraftwerke gab - ein Kernkraftwerk gehabt, das inzwischen eingestellt worden ist. Ein zweites ist ir Betrieb, und für ein drittes liegen bereits die Genehmigungen vor. Dann hat der Kollege Zimmermann gesagt: Muß denn alles in den Wahlkreis Landshut Und da hat er recht.
Herr Kollege Gärtner, so ist die Wahrheit draußen Sie sollten zusammen mit Herrn Matthöfer dies€ Diskussion etwas versachlichen, wo doch die FDP seit ich die FDP in bezug auf Kernkraftwerke kenne immer an der Spitze aller Demonstrationen gegen den Bau von Kernkraftwerken war.
({2})
- Daß der Herr Matthöfer bei solchen Sachen im mer dabei ist,
({3})
das weiß ich schon lange; da brauchen Sie gar nicht mit dem Finger hinzuzeigen.
Herr Abgeordnete] Riedl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?
Herr Kolleg( Schröder, gern.
Herr Kolleg( Riedl, ist Ihnen auch bekannt, daß im Landkreis Lü chow-Dannenberg bezüglich der geplanten Kern energieanlage Gorleben die FDP, abgesehen vor den Grünen, die einzige Partei ist, die sich von An fang an bis zum heutigen Tage gegen diese Anlag( ausgesprochen hat?
({0})
Dr. Riedl ({1}): Herr Kollege Schröder, das ist mir nicht nur bekannt, ich habe der FDP auch ga: nichts anderes zugetraut.
({2})
Herr Abgeordnete Riedl, erlauben Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Präsident ich habe ja immer Probleme mit der Redezeit, aber wenn es angerechnet wird - -. Wer hat denn schon die Gelegenheit, sich mit einem Grafen ständig in Parlament zu unterhalten? Ich mache das gern.
({0})
Herr Kollege Riedl, dar ich Sie fragen, wenn Sie meinen, daß die FDP immer an der Spitze der Demonstrationszüge gegen Kern energie gewesen sei, ob Sie mir damit vorhalten wol
len, ich hätte vermummt an solchen Demonstrationen teilgenommen?
({0})
Also, ein vermummter Graf, das wäre mal ganz was Neues im Bereich der Demonstranten.
({0})
Herr Baron, alles in Ordnung.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf im übrigen bei dieser Gelegenheit eine persönliche Bemerkung anbringen. Meine Fraktion, vor allen Dingen die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, möchte dem Kollegen Rudi Walther, der, wie wir gehört haben, wegen einer Operation an dieser Debatte leider nicht teilnehmen kann, von dieser Stelle aus - und wir hoffen, daß er über Fernsehen zusehen kann - die besten Genesungswünsche übermitteln.
({2})
Ich kann dem Kollegen Walther nur sagen: Kommen Sie bald wieder; denn offensichtlich hat er durch seine Abwesenheit in die Reihen seiner Fraktion ein so großes Loch gerissen, daß die Haushaltsexperten, die wir bisher heute von der SPD gehört haben, den Kollegen Walther jedenfalls nicht ersetzen konnten.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wie die meisten, die auch heute hier sind, den gestrigen Tag bis in die späten Abendstunden mit großer Aufmerksamkeit verfolgt hat - wir haben ja um 22.20 Uhr Schluß gemacht, und es konnte dann jeder schon um 22.30 Uhr die „Tagesthemen" sehen - und dann in den „Tagesthemen" den außerordentlich eindrucksvollen Filmbericht aus Gelsenkirchen miterleben konnte, wo über die Krise im Stahlbereich berichtet wurde und wo ein gestandenes Mannsbild, ein Stahlkocher, mit Tränen in den Augen die drohende Arbeitslosigkeit vor aller Augen beklagt hat, der muß die gestrige und heutige Debatte, vor allen Dingen die Beiträge von SPD, FDP und der Bundesregierung, als eine gespenstische Debatte empfinden.
({4})
Draußen im Lande gibt es 1,7 Millionen Arbeitslose, und das ist die seit 1956 größte Arbeitslosenzahl. Draußen im Lande warten Hunderttausende junger Leute am Beginn ihres beruflichen Lebensweges auf Brot und Arbeit, und diese Menschen haben deshalb begründete Angst vor der Zukunft. Draußen, wo einst das Wirtschaftswunder blühte, wird nur noch - ({5})
- Herr Kollege Wehner, passen Sie auf! Der Präsident hat seine Strichliste dabei! Sie kriegen wieder einen Ordnungsruf.
({6})
Wenn Sie sich mit mir einlassen, kriegen Sie Ordnungsrufe. Aber Sie bekommen Ihre 100 Ordnungsrufe in diesem Parlament noch voll, Herr Wehner, da bin ich sicher.
({7})
Draußen - ich wiederhole es noch einmal -, wo einst das Wirtschaftswunder blühte, wird nur noch zum Rückzug geblasen. Erstmals seit 30 Jahren sind dank sozialdemokratischer Politik mit Unterstützung der FDP die Realverdienste der Arbeitnehmer rückläufig. Erstmals gibt es in unserem Land in einem noch nie dagewesenen Ausmaß Ertragseinbrüche bei den Unternehmen, und zwar in den letzten beiden Jahren um real 25 %. Dann haben SPD und FDP - ich habe mir dieses Adjektiv sehr gut überlegt - den geradezu unmoralischen Mut,
({8})
nach monatelangem Gerede von der notwendigen Wende, von angeblicher Entschlußfreudigkeit der Regierung und von Verantwortung für den Menschen, für den arbeitenden, für den jungen Menschen, einen Bundeshaushalt 1982 vorzulegen und zu verabschieden, der sich in den wesentlichen Eckdaten höchstens in negativer Richtung von seinen Vorgängern unterscheidet und der damit - Herr Finanzminister, dazu können Sie alle Zahlen nennen, die Sie wollen - neue Rekordmarken an hohen Staatsausgaben, an Staatsverschuldung, an Investitionsschwäche und an Wirtschaftsflaute setzt.
Dies - wir sollten dies miteinander hier im Ernst feststellen - ist eine gespenstische Debatte, weil SPD und FDP, aus welchen Gründen auch immer - ich will hier gar nicht polemisieren -,
({9})
einen Bundeshaushalt verabschieden, von dem jedermann weiß, daß die Eckdaten dieses Haushalts durch die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Monaten, wahrscheinlich schon durch den Jahreswirtschaftsbericht belegt, der in der nächsten Woche kommt, überholt sein werden
({10})
und daß er mit seiner bis jetzt ausgewiesenen Nettokreditaufnahme von fraglich vielen Milliarden DM nicht auskommen wird. Dabei geht das Rechnen los. Auf dem Papier stehen 26,8 Milliarden DM. Dann kommen die Ergebnisse des Goldesels Deutsche Bundesbank hinzu - das ist der Bundesbankgewinn von mindestens 10,5 Milliarden DM -, und damit haben wir schon 37,3 Milliarden DM. Die Postablieferung habe ich noch nicht hineingerechnet; denn es ist Ihr Verdienst, den Postbenutzer mit zur Finanzierung Ihrer Haushaltsmisere heranzuziehen. Ich habe auch noch nicht die Verlagerung von Beiträgen aus der Rentenversicherung in die Arbeitslosenversicherung eingerechnet. Somit haben Sie jetzt schon
Dr. Riedl ({11})
eine faktische Nettokreditaufnahme von fast 40 Milliarden DM.
({12})
Die Höhe der Bruttokreditaufnahme ist in dieser Debatte überhaupt noch nicht genannt worden.
({13})
Sie wollen ständig sinkende Zinsen haben, und Sie gehen den Ursachen dafür nicht nach.
({14})
- Es ist die alte Empfehlung aller Politiker: Sie sollten nicht den Kehlkopf, sondern das strapazieren, was darüber ist.
({15})
Ich will es noch einmal sagen; vielleicht verstehen Sie es beim zweitenmal. Die für den Kreditmarkt wichtigere Zahl, nämlich die Bruttokreditaufnahme des Bundes für 1982, liegt heute schon bei 73 Milliarden DM. In dieser Lage macht der Finanzminister hier, wem auch immer - ich glaube, daß das draußen kein Mensch mehr annimmt -, Hoffnungen auf kommende Zinssenkungen. Diese Regierung ist doch - das ist eine blanke Wahrheit - zu einem Gefangenen ihrer eigenen Politik geworden. Am Ende dieses Jahres 1982 wird es soweit sein: An der Grenze von 300 Milliarden DM Verschuldung im Laufe dieses Jahres hat diese Regierung
({16})
- lieber Herr Löffler, das ist doch genau Ihr Problem, in dem Sie sich gefangen fühlen - jeden, auch den letzten Handlungsspielraum für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verloren.
({17})
Der letzte Handlungsspielraum ist weg. Da braucht man keine Milchmädchenrechnungen, da braucht man auch nicht studiert zu haben, braucht kein Studium der Volks- oder Betriebswirtschaft; da genügt in allen Fällen die Volkshochschule, um das zu begreifen. Sie haben in diesem Haushalt nicht eine einzige Mark mehr frei. Beim Schach würde man sagen: Sie sind schachmatt. Ihr Name gibt da jetzt Gelegenheit zu einer schönen Floskel: Sie sind der Herr Schachmatthöfer. Da gibt es überhaupt keine Frage mehr.
({18})
Meine Damen und Herren, Franz Josef Strauß hat vor einigen Jahren an dieser Stelle einmal einen Vergleich gebracht, den ich wiederholen möchte, und zwar noch zu den Zeiten, als wir ein steigendes wirtschaftliches Wachstum hatten.
({19})
Franz Josef Strauß hat nämlich damals gesagt, daß die Sozialdemokraten mit dem Geld ebensowenig umgehen können, wie ein Hund in der Lage ist, sich einen Wurstvorrat anzulegen. Kaum gibt man Ihnen
etwas in die Hand, schwupp, ist es weg, wird verteilt!
({20})
Die SPD ist die Verteilerpartei, Helfershelfer ist die FDP. Das ist klar, die sind immer dabei.
({21})
Wir haben ja in der Satzung der CSU die Möglichkeit vorgesehen, Gastmitglieder aufzunehmen. Daran mußte ich gestern denken, als der Kollege Hoppe hier gesprochen hat. In jeder Haushaltsdebatte geht Herr Hoppe hier ans Podium. Er kommt mir dann immer so vor, als gäbe er eine Beitrittserklärung als Gastmitglied für die CSU ab. Dann redet er eine halbe Stunde, völlig konform mit CDU und CSU. Wir könnten ihn als Gastmitglied sogar akzeptieren. Wenn er dann aber vom Pult weggeht, ist wieder alles anders.
({22})
- Herr Kollege Gärtner, ich weiß schon, warum der Herr Verheugen zu den Ausführungen von Herrn Hoppe nichts mehr gesagt hat. Dem ist nämlich die Sprache weggeblieben, der konnte gar nichts mehr sagen. Das ist mir schon klar.
({23})
Meine Damen und Herren, bei diesem Haushalt und bei dieser Arbeitslosenzahl - ({24})
- Wenn ich Gewerkschaftsfunktionär wie Sie und sozialdemokratischer Abgeordneter wäre, - ({25})
- Herr Wehner, ich konnte es vom Lebensalter her noch gar nicht sein, aber ich bin 1952 als 19jähriger in eine Gewerkschaft eingetreten. Da brauchen Sie mir gar nicht als Vorreiter zu dienen. Ich weiß nicht, wo Sie als 19jähriger hineingetreten sind.
({26})
Meine Damen und Herren, was mich als Gewerkschaftler und als Sozialdemokrat in der Tat beunruhigen würde, wäre die Tatsache, daß ich mit meiner Stimme eine Bundesregierung unterstütze, die offensichtlich auch nicht mehr in der Lage ist, auf wirtschaftspolitische Veränderungen in unserem Land rechtzeitig zu reagieren, geschweige denn rechtzeitig richtig zu handeln. Denn die jetzige Arbeitslosigkeit war seit Jahren, auch in dieser Höhe - man müßte sonst schon von allen Seiten mit Scheuklappen versehen gewesen sein - vorauszusehen. Wenn die Bundesregierung mit ihrem riesigen Behördenapparat - Wirtschaftsministerium, Finanzministerium, Arbeitsministerium, Bundesanstalt für Arbeit, Sachverständigengutachten, Obergutachten - nicht in der Lage war, diese Entwicklung im voraus zu erkennen - unterstellen wir einmal, daß auch dies noch zu akzeptieren gewesen wäre -, hätte die Bundesregierung jedenfalls dem Großteil der wirtschaftspolitischen Fachjournalisten in diesem Lande, vielleicht aber auch der OppoDr. Riedl ({27})
sition in diesem Hause, die dies jahrelang gepredigt hat, folgen und die dramatische Entwicklung erkennen müssen. Diese Regierung hatte ausreichend Zeit, sich auf die heutige Lage vorzubereiten. Nun sitzen die Regierungsmitglieder mit leeren Händen und leeren Beuteln da. Nichts ist da! Sie haben nicht einmal Schubladenprogramme. Dabei dachte ich als großer Anhänger der Marktwirtschaft immer: Die Sozialisten haben, wenn sie an der Regierung sind, wenigstens Programme. Früher hat es immer geheißen - das haben wir an der Hochschule gelernt -: Sozialisten sind die großen Programmatiker. Nichts! Sie haben nicht einmal Programme. Das ist etwas, was mir jede Hoffnung genommen hat, daß Sie, wenn Sie noch länger an der Regierung bleiben, uns den Karren wieder aus dem Dreck ziehen.
({28})
Deshalb verwundert es einen nicht, daß es Nachtsitzungen gibt, daß es ein Interview nach dem anderen gibt. Es ist jetzt 11.30 Uhr; seit heute früh gibt es auch schon wieder zwei Meldungen. Bis heute nachmittag werden noch drei kommen. Jede ist anders. Jeder sagt etwas anderes. Ich bin ja auch für Meinungsvielfalt in unserem Land. Ich bin auch dafür, daß jeder sagt, was er denkt. Aber wenn man an der Regierung ist, muß man auch handeln können. Handlungsfähigkeit setzt voraus, daß die politische Gruppierung, die die Regierung trägt, nämlich die Fraktionen von SPD und FDP, eine klare politische Linie hat. Diese Linie fehlt Ihnen aber, meine Damen und Herren.
({29})
Sie müssen ja nicht immer unbedingt nach dem „Bayernkurier" gehen, wenn Sie bestimmte wirtschaftspolitische Einsichten haben wollen.
({30})
- Deshalb zitiere ich jetzt einmal aus einer Zeitung, nämlich die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit", in deren Impressum nicht Franz Josef Strauß und auch nicht die CSU stehen. Ich zitiere aus einem meiner Ansicht nach ganz ausgezeichneten Leitartikel von Michael Jungblut aus der „Zeit" vom 15. Januar 1982, einer Wochenzeitung, die Ihnen - wenigstens in der Vergangenheit - näherstand als uns.
In diesem Leitartikel sind in knapper, übersichtlicher Form die Ursachen dieser Krise dargestellt. Wer die Ursachen nicht kennt, kann auch die Krise nicht bewältigen. Michael Jungblut schreibt in der „Zeit":
Die heutige Misere hat ganz andere Ursachen. Manche, wie die drastische Erhöhung der Energiepreise, sind uns von außen aufgezwungen worden; andere Probleme haben wir uns ganz allein eingebrockt.
Der Staat hat bei dem mutwilligen Versuch, die „Belastbarkeit der Wirtschaft zu erproben", die zulässigen Grenzen überschritten. Jahrelang wurde eine Steuer-, Sozial- und Subventionspolitik betrieben, die Leistung bestraft, aber die Ausbeutung der Gesellschaft durch clevere Zeitgenossen belohnt. Es wurde ein Wust von Verordnungen und Gesetzen erlassen, und die Bürokratie durfte so ungehemmt wuchern, daß sie die private Intitiative immer mehr erstickt.
Zudem haben wir die Löhne so rasch steigen lassen, daß viele Arbeitsplätze unrentabel wurden. Zu allem Überfluß ließen wir auch noch Millionen Gastarbeiter ins Land - selbst zu einem Zeitpunkt noch, als alle Verantwortlichen längst hätten wissen müssen, daß in den achtziger Jahren auch ohne Wirtschaftskrise ein gefährliches Gedrängel am Arbeitsmarkt herrschen würde. Denn während der Babyboom der sechziger Jahre jetzt sehr starke Jahrgänge von Jugendlichen auf den Arbeitsmarkt bringt, scheiden in den achtziger Jahren nur die im Kriege dezimierten Altersgruppen aus dem Berufsleben aus. Allein aus diesem Grund müßten in den kommenden Jahren zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, in einer knapperen und übersichtlicheren Form kann man die Ursachen dieser Krise und die von Ihnen eingeleitete Fehlentwicklung überhaupt nicht darstellen.
({31})
Sie waren es j a, die die Belastbarkeit der Wirtschaft erproben wollten.
({32})
Die Jungsozialisten, die Wirtschaftsexperten der SPD waren es. Den einen Beweis haben wir: Wir haben unsere Wirtschaft erprobt, und wir sind damit baden gegangen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Jetzt will ich auch einmal etwas zu der Hauptausrede von SPD und FDP, aber auch des Bundeskanzlers sagen, das böse Ausland sei immer schuld. Ich habe dies vor einem Jahr hier schon gesagt: Als in den 50er Jahren bis Mitte der 60er Jahre die CDU/ CSU zusammen mit der FDP an der Regierung war, gab es in Deutschland einen stabilen Weg zur stabilen Währung. Ich denke jetzt einmal an die Inflationsraten, die damals in aller Regel vorn eine Null, höchstens einmal eine 1 hatten. Wir hatten absolut stabile Währungsverhältnisse.
({33})
- Es tut mir leid, gnädige Frau, daß Sie damals noch in der Wiege lagen. Ich bewundere Ihr jugendliches Alter. Über diesen Bereich können Sie qua anno leider Gottes nicht aktuell mitreden.
Meine Damen und Herren, wir hatten damals in Deutschland stabile Währungsverhältnisse,
({34})
obwohl um uns herum in den Volkswirtschaften Italiens, Frankreichs, Englands, und wie sie alle heißen, eine Inflation die andere jagte. Wir hatten unser Haus ordentlich bestellt. Deshalb hat uns die Inflation damals nicht angesteckt.
({35})
Wie war es denn mit der Arbeitslosigkeit? Wir tun jetzt so, als ob in Frankreich, in Italien, in England,
Dr. Riedl ({36})
in Holland, in Belgien die Arbeitslosigkeit etwas ganz Neues wäre. Die gibt es dort seit 1945. Und wir hatten Vollbeschäftigung und Überbeschäftigung, weil wir unser Haus ordentlich bestellt hatten. Das ist doch die Wahrheit. Hören Sie doch endlich mit dem Unfug auf, zu behaupten, wir würden alle Miseren und Kalamitäten vom Ausland importieren!
({37})
Meine Damen und Herren, daß dies in bestimmtem Umfang der Fall ist, will niemand bestreiten,
({38})
aber was die Deutsche Bundesbank vor wenigen Monaten festgestellt hat, will ich Ihnen auch einmal vorlesen, und zwar aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom April 1981 zu der Frage des Zusammenhangs von Ölverteuerung und Wirtschaftsentwicklungen in unserem Land. Die Deutsche Bundesbank hat festgestellt und nachgewiesen, daß die Ölverteuerung erstens nur rund ein Drittel der Verschlechterung der Leistungsbilanz bis 1980 von etwa 50 Milliarden DM bewirkt hat - demgegenüber sind zwei Drittel, gemäß der Deutschen Bundesbank, auf andere Faktoren, insbesondere die Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsposition zurückzuführen -, zweitens die Preissteigerung der allgemeinen Lebenshaltung nur zu rund einem Viertel verursacht hat, drittens die Beschäftigung - und jetzt kommt der zentrale Punkt; ich sage mir manchmal, daß ein guter Bundeskanzler auch nicht alles lesen kann, daß er aber bei der Vielzahl seiner Mitarbeiter doch einen dabei haben müßte, der ihm so etwas anstreicht - nur um rund 150 000 bis Ende 1980 vermindert hat, d. h., daß nur ein Siebentel bzw. nur ein Achtel der bis zum Jahresende 1980 vorhanden gewesenen Arbeitslosigkeit von 1,12 Millionen auf die Auswirkungen der Ölverteuerung zurückzuführen ist.
({39})
Diese Fragen nach den Wirkungen der Ölverteuerung und dem Haushalt habe ich dem Minister vor einem halben Jahr gestellt. Er hat bis heute nicht geantwortet. Aber er mußte doch den Artikel kennen. Verkaufen Sie doch bitte die Leute draußen nicht für so dumm, daß sie diese Zusammenhänge nicht erkennen, meine Damen und Herren!
({40})
Herr Kollege Riedl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?
Herr Präsident, selbstverständlich gerne, aber immer mit der Maßgabe, daß dies auf die Redezeit angerechnet wird.
Ich kann Ihre Redezeit nicht verlängern. Das tut mir leid. Das gilt für alle Redner.
Herr Hoffmann, machen wir es trotzdem. Vielleicht kommen wir doch hin. - Bitte sehr.
Darf ich Sie, da Sie jetzt Zahlenreihen genannt und auch Zahlen zur Steigerung der Arbeitslosigkeit angeführt haben, daran erinnern - und ich bitte Sie, das zu werten -, daß wir beispielsweise 1974 in sämtlichen Industriestaaten der Europäischen Gemeinschaft Arbeitslosenquoten zwischen 2,2 und 2,4 % - wenn Sie mal die kleinen Länder ausnehmen - hatten - in der Bundesrepublik waren es 2,2 %, bei den anderen 2,3, 2,4 % - und daß wir von diesem Zeitpunkt bis heute bei einem geschätzten Durchschnitt von 4,8 % liegen - das ist eine Verdoppelung -, während die entsprechenden Zahlen für die anderen Länder bei 11,6, 8,2, 7,8, 10,2 und 9,7 % liegen? Bedeutet diese Zahlenreihe - weil wir 1974 dieselbe Arbeitslosenquote als Ausgangsbasis hatten -, daß die Bundesrepublik schlechter gefahren ist oder daß wir - nach diesen internationalen Zahlen - weitaus besser als der Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft liegen?
Herr Kollege Hoffmann, ich weiß, daß diese Antwort auf Ihre Frage etwas schwierig ist. Rufen Sie doch den Stahlkocher in Gelsenkirchen, von dem ich heute bei Beginn meiner Rede gesprochen habe, einmal an und fragen Sie ihn, ob ihn beruhigt, was Sie hier an Zahlen genannt haben.
({0})
Herr Kollege Riedl, Herr Abgeordneter Röhner möchte auch noch eine Frage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Riedl, Sie haben vorhin den Bundeskanzler angesprochen, der nicht da ist. Ich frage Sie deshalb, ob Ihnen als Sprecher in dieser Debatte bekannt ist, warum der Bundeskanzler nicht da ist. Haben Sie Kenntnisse darüber, warum der Vizekanzler Genscher nicht da ist, warum der Justizminister Schmude nicht da ist, der Innenminister Baum abwesend ist?
({0})
Der Ernährungsminister Ertl?
({1})
Der Verkehrsminister Hauff? Der Postminister Gscheidle? Der Wohnungsbauminister Haack? Der Entwicklungsminister Offergeld?
({2})
Und der Minister für innerdeutsche Beziehungen, Franke?
({3})
Warum also fast das ganze Kabinett, bei dieser Budgetdebatte des Deutschen Bundestages nicht anwesend ist?
({4})
Herr Kollege Röhner, ich stelle dies, so wie Sie, fest. Ich bin im Augenblick außerstande, nachzufragen, wo sich die Herren aufhalten.
({0})
Ich muß allerdings der Fairneß halber sagen, daß im Ältestenrat in der letzten Woche bekanntgegeben wurde, daß der Herr Bundeskanzler am heutigen Tag öfter abwesend sein muß, weil er dringende Termine hat. Ich weiß aber nicht, ob das eine ausreichende Entschuldigung für das Fernbleiben des gesamten Kabinetts ist.
({1})
Jedenfalls zeigt Ihre Frage, daß diese Regierung mit diesem Haushalt ganz offensichtlich in große Peinlichkeiten und große Schwierigkeiten geraten ist, die sie durch Anwesenheit hier im Deutschen Bundestag unterstreichen könnte, und daß die Abwesenheit von der Regierungsbank dieser Regierung bestimmte Peinlichkeiten erspart.
Herr Kollege Riedl, der Herr Abgeordnete Röhner meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.
({0})
Ich mache darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit bald abgelaufen ist.
Herr Kollege Riedl, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Abwesenheit fast des ganzen Kabinetts einer Mißachtung des Parlaments zumindest sehr nahekommt?
Ich persönlich habe ja ein dickes Fell. Es gibt kaum irgend etwas, was mich so schnell beleidigen und erregen kann. Aber wenn ich an das gesamte Parlament und daran denke, daß die gewählten Volksvertreter dieser Regierung die Gelder der Steuerzahler zu bewilligen, zu genehmigen haben, dann halte ich es im Prinzip für eine große Unverfrorenheit und für einen hohen Grad an Arroganz, das Parlament derart zu brüskieren; da gebe ich Ihnen recht.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Redezeit geht bei diesen Zwischenfragen leider Gottes natürlich etwas rasch zu Ende. Aber ich möchte an dieser Stelle doch noch eine Passage, eine Ausführung bringen, die ich nicht untergehen lassen möchte. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Einbringungsrede zum Haushalt 1982 am 16. September 1981, also vor fast genau 4 Monaten, wörtlich gesagt:
In einem Land, das von der Arbeit seiner Men- schen lebt, muß Vollbeschäftigung das erste Zie: der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Ich
- Matthöfer bin der Meinung, daß man Arbeitslosenzahler nicht wie Verkehrsdurchsagen hinnehmen. darf.
({1})
Meine Damen und Herren, wer diese Einsichten hat und dann völlig konträr handelt, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er politische Arbeit gegen seinen Diensteid leistet.
({2})
Wer diese Erkenntnisse hat, einen solchen Haushall vorlegt und solche Zahlen derart beschönigt, wie dei Bundesfinanzminister es hier und wie der Bundes kanzler es mit seiner flapsigen Bemerkung in dei Regierungserklärung vom November 1980 gemacht hat, der von einem möglicherweise leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit gesprochen hat, kann doch beschäftigungspolitisch, wirtschaftspolitisch und fi nanzpolitisch nicht mehr ernstgenommen werden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat in dieser Debatte bisher sehr deutlich und ausführlich - sie wird dies auch noch durch ihre weiteren Red ner tun - eine Gesamtkonzeption zur Überwindung der Krisen in Wirtschaft, Finanzen und Beschäftigung vorgelegt. Ich empfehle Ihnen einmal, das nachzulesen, was der Kollege Häfele in einer ganz ausgezeichneten Weise im „Handelsblatt" darüber veröffentlicht hat, was die Politik der CDU/CSU für einen Neubeginn in diesem Lande sein soll. Es wird nicht einmal hier, einmal da etwas aus der Schub lade genommen. Mit Ihnen kann man diese Kris( nicht überwinden, meine Damen und Herren, Sie müssen im Prinzip weg. Ich habe das gestern schor einmal an anderer Stelle gesagt: Das beste Beschäftigungsprogramm ist der Rücktritt dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren.
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Wie wollen Sie mit Ihrer stümperhaften Politik re parieren, was Sie in zehn Jahren Finanz- und Wirtschaftspolitik angerichtet haben? Denn eines is eine unumstößliche Tatsache - dies darf ich am Schluß meiner Ausführungen zusammenfassend darstellen -: SPD und FDP sind voll mitverantwortlich dafür, daß der Gesamtschuldenstand des Bun des von heute rund 270 Milliarden DM und bis End( des Jahres von 300 Milliarden DM da ist, daß fast 1,7 Millionen Arbeitslose eine Arbeitslosenquote vor 7,3 % - mit steigender Tendenz - in diesem Land( hervorgebracht haben, daß die Insolvenzen in die sem Jahr die Zahl 11 000 überschreiten - das sind 25% mehr als 1980 -, daß die Inflationsrate von 6,3% ansteigt, das Leistungsbilanzdefizit zwischen 20 und 25 Milliarden DM liegt, die Auslandsverschuldung des Bundes mehr als 50 Milliarden Mark beträgt, de ren Schuldendienst eine schwere Hypothek für di( Zukunft ist - 4624
Herr Kollege Riedl, ich muß Sie leider darauf aufmerksam machen, Ihre Redezeit ist auch bei großzügiger Bemessung schon abgelaufen.
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Herr Präsident, ich weiß Ihre Großzügigkeit sehr zu schätzen. Ich komme auch zum Ende meiner Ausführungen.
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SPD und FDP sind voll mitverantwortlich dafür, daß die Staatsquote von rund 36 % 1969 auf rund 48 % 1981 gestiegen ist und daß die Abgabequote von 33% in den 60er Jahren auf fast 39 % 1981 emporgeschnellt ist und die Leistungsbereitschaft unserer Bürger und unserer Unternehmen, die Leistungsbereitschaft dieser gesamten Gesellschaft zerstört hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU lehnt diesen Bundeshaushalt 1982 mit aller Entschiedenheit ab. Sie können dieses Land vor weiterem Schaden nur bewahren, wenn Sie sich schnellstmöglich in die Verantwortung zurückziehen, wo Sie vielleicht noch einigermaßen Tauglichkeiten aufbringen könnten, nämlich auf die Bänke der Opposition. - Ich bedanke mich.
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Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Grobecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Riedl! Diesen Gefallen werden wir Ihnen natürlich nicht tun. Sie müssen schon mit uns leben - mindestens bis 1984. Aber ich denke, es wird noch ein bißchen länger dauern.
Sie haben gesagt, diese Debatte sei gespenstisch, Herr Riedl. Ich weiß nicht, ob wir dem Ältestenrat vielleicht vorschlagen sollen, eine Stereoanlage hier einzubauen. Denn die Reden, die Sie hier halten, sind j a alle gleich - heute morgen eine, heute mittag eine und wahrscheinlich heute nachmittag noch so eine. Dann können wir die vielleicht gleichzeitig hören, das vereinfacht das Verfahren. Ich verstehe nicht, was an dem, was Sie hier betreiben, noch Debatte ist.
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Es mag ja sein, daß ich ein altmodisches Verständnis von Parlament habe, obwohl ich noch gar nicht so lange dabei bin, aber immerhin schon lange genug. Dies hier ist keine Debatte. Sie verlesen hier Schreiben. Das finde ich nicht so gut.
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Herr Riedl, ich will Ihnen noch etwas sagen, weil wir j a im Haushaltsausschuß nicht nur zusammenarbeiten müssen, sondern auch wirklich gut zusammenarbeiten wollen. Ich finde das gut, wie Sie etwas
sagen; mich amüsiert Ihr Charme auch. Aber das, was Sie sagen, ist natürlich Makulatur. Offensichtlich haben Sie diese Debatte nicht verstanden. Sie wäre in der Tat weniger gespenstisch, sie wäre ehrlicher, Herr Kollege Riedl und Sie, Kollegen von der Opposition - ich feilsche nicht darum -,
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wenn Sie erklärten, daß Sie zumindest anerkennen - nicht begrüßen, anerkennen! -, was für ein schmerzhafter Prozeß, an dem Sie ja partiell beteiligt waren - nicht in der Sache, aber was die Form angeht -, sich in diesem Herbst im Haushaltsausschuß abgespielt hat bei den ungeheuren Kürzungen, die wir haben vornehmen müssen bei dem Vorhaben, die Kreditaufnahme von nicht ganz 38 Milliarden DM im Jahre 1981 auf 26,5 Milliarden DM im Haushaltsplan 1982 zurückzufahren. Der Finanzminister hat eben die Daten noch einmal genannt. 18 Milliarden DM im Verhältnis zu dem, was sonst notwendig gewesen wäre - das ist ein schmerzhafter Prozeß gewesen. Wir haben uns angewöhnt, das „Operation 82" zu nennen. Keine Anerkennung, eine Würdigung, Herr Riedl, was das für uns bedeutet, insbesondere wo es bei uns noch viele Kollegen gibt - ich gehöre dazu -, die meinen, daß es bei dem, was wir im sozialen Bereich haben tun müssen und was wir an Steuervergünstigungen zurückgeschnitten haben, mit der Symmetrie noch nicht ganz stimmt. Diesen schmerzhaften Prozeß, an dem Sie teilweise der Form nach beteiligt waren, hätten Sie würdigen müssen, finde ich. Es hat bei uns in der Koalition ein Knirschen gegeben, es hat bei uns natürlich auch im Gebälk gedonnert, was unser Verhältnis zu den Gewerkschaften angeht. Jeder einzelne Kollege von uns wird deshalb im Wahlkreis in die Mangel genommen - ich weiß gar nicht, wie das bei Ihnen ist - und muß erklären, warum das alles notwendig wird.
Sie reden statt dessen hier vom Phantomhaushalt, wollen sogar die Beratungen verschieben. Das haben Sie letzte Woche noch gesagt. Sie werfen dem Finanzminister vor, er rede nicht zur Sache, und machen auf ganz billige Polemik. Das gilt besonders für Ihre Rede hier mit den Daten und Vergleichen. Wir können auch Vergleiche zum Kaiserreich anstellen, was Preissteigerungsraten oder Einflüsse von außen und Zusammenhänge mit außen angeht. Sie vergleichen z. B. Aufbauzeiten und ignorieren - das haben wir hier genügend ausgetauscht -, was seit 1974 passiert ist, als ob das alles, was wir hier in Gang zu bringen versuchen, nichts wäre. Ich gönne Ihnen diesen Spaß, von dem Sie glauben, daß Sie ihn sich gönnen können.
Es hat bei uns Schwierigkeiten gegeben und es wird weiter Schwierigkeiten geben, in der Koalition, auch mit unseren Partnern draußen, weil wir diese Operation nicht nur durchziehen wollen und müssen, weil wir diesen Haushalt so ohne Änderung verabschieden und weil sich die Wirkungen einstellen werden. Auch in der Wirtschaft werden sich Wirkungen einstellen, die sich unmittelbar aus dem Haushalt ergeben. Das ist heute morgen noch einmal referiert worden. Ich will das nicht wiederholen.
Nur so viel noch einmal, weil wir hier nicht nur unter uns reden: Es ist ja wohl überflüssig, zu glauben, daß Sie dem Haushalt zustimmen, egal was darin steht oder was hier geredet wird. Das ist parlamentarischer Brauch, das will ich gar nicht kritisieren. Aber kein Mensch soll glauben, wenigstens draußen nicht, daß wir hier auch noch versuchen, uns mit dem, was wir vortragen, gegenseitig zu überzeugen. Ich will nur noch einmal deutlich machen, daß diese schwierige Operation notwendig geworden ist, nicht weil die Kreditaufnahme des Staates, für sich genommen, unseriös oder amoralisch ist oder weil die Staatsfinanzen zerrüttet sind, sondern weil wir bei der gegenwärtigen Lage sowohl im investiven Bereich - Arbeitsbeschaffung - als auch im konsumtiven Bereich darauf achten müssen, daß die Zinsenlast des Bundeshaushaltes nicht höher wird, daß der Haushalt vorsichtiger gefahren werden muß. Bei der Höhe der Kreditaufnahme müssen wir darauf achten, daß uns die Zinsenlast des Bundeshaushaltes uns nicht die notwendigen operativen Mittel nimmt. Das ist der Grund, weshalb wir diese Operation haben machen müssen.
Sie wissen auch - es ist eine Binsenweisheit -, daß Schulden der öffentlichen Hand nicht amoralisch oder unseriös an sich sind. Wir müssen mit den Krediten zurück, weil die Höhe der Zinsen uns sonst den Haushalt kaputtmacht. Wir müssen und wollen dazu beitragen, daß die Zinslast, das Grundübel der wirtschaftlichen Lage, in der wir uns befinden, gedrückt werden muß. Die Zinslast drückt auf den Bundeshaushalt wie auf die Haushalte von Ländern und Gemeinden, wie auf die Wirtschaft und die privaten Haushalte. Die abnorme Zinshöhe entzieht der öffentlichen Hand wie der privaten Wirtschaft die verfügbaren Mittel, die für Investitionen und auch für Transferleistungen notwendig sind.
Die Ursachen für diese Zinshöhe sind jedoch für Sie überhaupt nicht erörterungswürdig, die ignorieren Sie.
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Da holen Sie die Reden des letzten Jahres wieder heraus. Die Ursache für diese Zinshöhe ist unser Leistungsbilanzdefizit, und das hängt unmittelbar mit unserer Ölrechnung zusammen. Mir selber kommt es auch schon zu den Ohren heraus, aber wenn Sie so reden, wie Sie eben geredet haben, ist es dringend notwendig, darauf hinzuweisen, daß nicht ignoriert werden darf, daß die Kosten für die Rohstoffeinfuhren, insbesondere für die Öleinfuhren, ungeheuer in die Höhe gegangen sind und daß das die Ursache für unser Leistungsbilanzdefizit ist. Solange dieses Leistungsbilanzdefizit nicht wieder ausgeglichen ist, müssen wir diese Zinsen ertragen. Ich ertrage sie - insbesondere im Blick auf die Investitionen - genauso wenig gern wie Sie.
Das also ist der Grund für die schmerzhafte Operation, und ich rede da auch zu meinen eigenen Kollegen, zu den Kollegen hier in meiner eigenen Fraktion wie zu den Kollegen draußen, Weil dieser Zusammenhang oft nicht klar wird.
Was diese Lage angeht, lassen wir uns den Erfolg, der ja erreicht werden soll und der mit dem Haushalt 1982 schon sichtbar ist, nicht zerreden. Es ist sichtbar, daß die Leistungsbilanzdefizite - wenn ich in diesem Zusammenhang einmal das Wort „Trendwende" benutzen darf - eine Trendwende zeigen, daß sich die Leistungsbilanz erholt, und es ist als Erfolg dieses Haushalts und dieser Operation schon sichtbar, daß sich die D-Mark in ihrem Wert gesteigert hat.
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Meine Damen und Herren, beide Faktoren geben der Bundesbank Raum für dringend notwendige Zinssenkungen, die dann entsprechende Investitionen nach sich ziehen. Ich will das Finanzministerium nicht in einen Konflikt mit der Bundesbank treiben, aber ich bin fest davon überzeugt, daß die Bundesbank schon heute mehr Raum für Zinssenkungen hätte, als sie tatsächlich praktiziert.
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Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß dies so ist, und ich kann nur sagen, wenn die Bundesbank ihre Spielräume für Zinssenkungen aus vordergründigen politischen Motiven nicht nutzt, bevor die Tarifverträge des Frühjahrs unter Dach und Fach sind, ist das ein gefährliches Spiel mit der Tarifautonomie.
Was Sie uns in dieser Lage raten, ist der Rückzug des Staates aus der Verantwortung für Wirtschaft, Beschäftigung, Soziales, Bildung und Gesundheitswesen. Ihr Rat ist: zurück zum friderizianischen Budget, zur Privatisierung des Staates. Diesen Rat können und wollen wir nicht annehmen. Das hieße nämlich, daß der Haushalt zukünftig nur noch Ausgaben für die allgemeine Hofhaltung, für die Armee und Almosen für die Armen enthalten würde. Das wollen wir nicht.
Wir alle sind Zeugen dafür, daß dieses Staatsverständnis und diese Finanzpolitik - in diesen Tagen historisch belegt - gescheitert sind. Wer von Ihnen wollte leugnen, daß es in den Ländern, in denen dieses Prinzip angewandt wird - Finanzminister Matthöfer ist vorhin kurz darauf eingegangen -, z. B. in den USA und in Großbritannien, ungleich höhere Arbeitslosigkeit, ungleich höhere Inflationsraten und ungleich mehr sozialen Sprengstoff gibt, der eine Gefahr für die Gesellschaft generell ist?
Trotzdem, meine Damen und Herren, gibt es z. B. im amerikanischen Budget - wir beraten hier unser Budget, aber ich erwähne das Beispiel - in der Zwischenzeit, von der Aufstellung im Oktober bis zum Januar, eine Erhöhung der Schulden von 30 Milliarden auf fast 110 Milliarden Dollar - trotz dieser Politik, die Sie uns raten. Dies werden wir nicht tun!
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- Ich bin schon fast am Schluß! Ich möchte ganz gerne zur Belebung der Debatte beitragen, und deshalb darf ich es kurz machen, Herr Schröder.
Erlauben Sie also keine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte das eben zu Ende bringen; ich bin gleich damit durch.
Lassen Sie mich nur noch einmal darauf hinweisen, daß der Vorwurf, den Sie gemacht haben, wir berieten über einen Phantomhaushalt, dessen Zahlen nicht stimmten, falsch ist. Ich leugne nicht und niemand von uns leugnet, daß dieser Haushalt selbstverständlich Risiken hat, besonders hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung, Herr Friedmann, worüber wir ja morgen nochmals beraten werden. Aber ich frage: Welcher Haushalt hatte das nicht? Was die Risiken des Haushalts angeht, ist es ein Nachteil, daß man den Haushalt so früh berät und verabschiedet. Es ist freilich verfassungsgemäß. Es gibt dazu ein Urteil. Eigentlich hätten wir den Haushalt im vorigen Dezember verabschieden müssen. Was die Regel der früheren Jahre angeht, sind wir mit der Beratung des Haushalts diesmal sehr früh fertig, nämlich schon im Januar. Es ist allerdings ein Nachteil, daß man das Jahr im Januar noch nicht so übersehen kann, wie man es könnte, wenn wir die zweite und dritte Lesung erst im Mai oder Juni hätten.
Nehmen Sie also den Vorwurf zurück, dieser Haushalt sei mit Risiken behaftet, die nicht normal seien! Es sind normale Risiken, die wir natürlich besser erkennen würden, wenn wir im Mai oder Juni beraten würden. Das kann aber nicht bedeuten, daß wir den Haushalt künftig im Dezember nachträglich beraten, wo wir wissen, was das Jahr über passiert ist und wo es natürlich keine Risiken mehr gibt. Der Vorwurf mit den Risiken ist also völliger Unsinn. Aber es gibt natürliche Risiken, die noch nicht abschätzbar sind. Wie gesagt, die Debatte morgen zum Einzelplan 11 wird das wiederholen.
Wenn jetzt die Daten auf dem Tisch sind, die von 1,7 Millionen Arbeitslosen sprechen, und die Vermutungen dahin gehen, daß diese Zahl auf 1,8 Millionen steigt, dann bedeutet das nicht, Herr Riedl, daß wir die Durchschnittsdaten, die hier angenommen worden sind, überschritten haben. Sie kennen j a die Perioden; das ist im Januar und Februar immer so. Die Durchschnittsdaten sind dadurch noch nicht überholt.
Im übrigen werden wir in den nächsten Monaten auch den Jahreswirtschaftsbericht beraten. Ich will nur noch auf eines hinweisen. Die zeitliche Kollision der Verabschiedung des Haushalts mit der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts haben wir jedes Jahr. Ich habe mir schon einmal erlaubt, zu fragen, ob es nicht eine Regelung geben könnte, wonach der Jahreswirtschaftsbericht vor der Verabschiedung des Haushalts beraten wird, damit man etwaige neue Erkenntnisse, die es im Jahreswirtschaftsbericht gibt, in die Beratung des Bundeshaushalts einführen kann. Darüber müßte man ganz sachlich vielleicht im Ältestenrat oder unter den Fachleuten reden.
Im übrigen: Tun Sie nicht so, als sei ein Nachtragshaushalt etwas Unanständiges. Er ist ein legitimes, verfassungsmäßiges Mittel, das natürlich auch von uns angewendet wird, wenn es notwendig ist. Wenn wir im Februar den Jahreswirtschaftsbericht beraten haben und wenn sich, was ich hoffe und für notwendig halte, aus dem Jahreswirtschaftsbericht
bestimmte Konsequenzen in Richtung auf Beschäftigungsinitiativen ergeben,
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dann werden wir, sofern wir dafür den Haushalt in Anspruch nehmen müssen, selbstverständlich einen Nachtragshaushalt haben und beraten.
Wir werden die Einzelpläne 08, 32 und 60 annehmen. Der Grund ist nicht nur, daß wir in aller Schnelle und Kürze einen gültigen Haushalt haben wollen, auf den alles in diesem Land wartet. Heinz Westphal sagt dazu immer: Wir müssen den Haushalt jetzt in trockene Tücher packen. Wir werden dem Haushalt auch deshalb zustimmen, weil wir großes Vertrauen in Finanzminister Matthöfer setzen und weil wir glauben, daß dieser Weg, den wir mit dem Haushalt 1982 beschritten haben, dazu führen wird, die Beschäftigung zu verbessern. Wenn wir im nächsten Monat - da sehen wir uns ja alle wieder - über den Jahreswirtschaftsbericht reden werden, erwarten wir die Vorschläge des Wirtschaftsministers, dessen Etat wir heute selbstverständlich genauso vertrauensvoll verabschieden werden. - Vielen Dank.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns heute in der Haushaltsdebatte. Ich habe das Gefühl, diese Diskussion krankt wie die meisten Diskussionen in den letzten Monaten - aber die heute ganz besonders - an einem Mißstand, nämlich daran, daß die Opposition diesen Haushalts nicht detailliert, sachlich, konkret, im einzelnen kritisiert und Vorschläge macht, wo man etwas anders machen könnte, sondern die Regierung wieder frontal angreift.
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Herr Carstens, Sie haben heute morgen gesagt: Es wird sich nichts ändern, bevor diese Regierung nicht abgelöst ist.
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Diese Bewertung muß ich Ihnen überlassen. Sie können allerdings ruhig so fortfahren; denn mir scheint folgendes klar zu sein: Erstens wird die Strategie, die Ihr Fraktions- und Bundesvorsitzender Herr Kohl zu Beginn dieser Legislaturperiode ausgegeben hat, nämlich detaillierte, sachliche, konkrete Oppositionsarbeit zu leisten, damit ad absurdum geführt. Zweitens ist es meine feste Überzeugung - insofern ist das für mich ganz beruhigend -: Je länger Sie diese Frontalangriffe reiten, statt zu konkreter, sachlicher Oppositionsarbeit
überzugehen, um so länger werden Sie die Bänke der Opposition drücken.
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Übrigens zwingen Sie die Koalition damit, die Oppositionsarbeit, die j a sinnvoll ist, in den eigenen Reihen der Koalition selber vollführen zu müssen. Das ist kein einfaches Stück Arbeit, aber wir haben das bereits getan und werden das auch zukünftig mit erledigen. Sie wissen, daß wir diese Oppositionsarbeit oft genug durch Kritik an der eigenen Koalition und an der eigenen Regierung wahrgenommen haben.
Sie haben zweitens gesagt, dieser Haushalt sei der schlechteste, der jemals vorgelegt worden sei - Sie werden jetzt wieder klatschen, weil ich wiederhole, was Herr Carstens gesagt hat; das führt uns aber auch nicht weiter -, er sei miserabel. Auch hier möchte ich Sie in Ihrem eigenen Interesse warnen. Wer derart übertreibt, wer derart überzieht, kann nicht damit rechnen, daß ihm draußen geglaubt wird. Irgendwann einmal haben Sie keine Steigerungsform mehr. Wenn etwas immer das Schlechteste war, kann ja etwas Schlechteres nicht mehr kommen. Dann merken die Bürger, daß etwas nicht stimmt.
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Ein Drittes, Herr Carstens. Sie haben kritisch gesagt, um diesen Haushalt so vorzulegen, wie es geschehen ist, habe es eines umfangreichen ArtikelGesetzes mit 37 Gesetzesänderungen bedurft. Was soll das denn eigentlich? Wir haben ein Haushaltsstrukturgesetz verabschiedet; übrigens mit Ihrer Hilfe. Alle haben Ihnen für Ihre Mitwirkung gedankt. Das tue ich auch. Ich füge aber noch hinzu: Sie haben durch Ihre Mitwirkung am Artikel-Gesetz, am Haushaltskonsolidierungsgesetz leider dazu beigetragen, daß wir insgesamt 1,2 Milliarden DM weniger eingespart haben, als wir einsparen wollten.
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- Das ist richtig.
Überlegen Sie sich doch einmal, welche Strategie Sie nun verfolgen wollen. Wenige Minuten nach Ihnen kommt nämlich Herr Riedl hierher und sagt: Sie haben noch viel zuwenig gespart, die Schulden sind noch viel zu hoch, Sie müssen mit dem Sparen weitermachen. Sie hingegen diffamieren dieses Haushaltsstrukturgesetz, weil mit ihm in so vielen Einzelpositionen etwas eingespart wird. Beides zusammen geht nun einmal nicht.
Wir sollten dieses Haushaltsstrukturgesetz als das bewerten, was es trotz aller Kritik an Einzelpunkten, die auch ich habe, die ich auch öffentlich geäußert habe, ist: eine ganz beachtliche Leistung, um Subventionen, Mißbräuche, Transfergesetze einzuschränken, um die Devise Umschichtung von
konsumtiven in investive Bereiche in die Wirklichkeit umzusetzen.
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Daß das auch Erfolge zeitigt, können Sie aus dem neuesten Subventionsbericht ersehen, den wir ja noch beraten werden. In ihm ist dankenswerterweise einmal die sogenannte Subventionsquote dargestellt worden, also das Verhältnis der Subventionen zum Bruttosozialprodukt. Es stellt sich heraus, daß diese Subventionsquote - nach jahrelangem dauernden Ansteigen - in den Jahren 1981/82 zum erstenmal stagniert, ja sogar sinkt.
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Das ist doch zweifellos ein Erfolg dieser Konsolidierungspolitik.
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Wenn wir mit dem Haushaltsstrukturgesetz erreicht haben, daß wir die Neuverschuldung im Rahmen dieses Haushalts unter der Marke von 27 Milliarden DM halten, können wir uns das alles zwar nicht als endgültigen Erfolg - denn wir werden weitermachen müssen -, aber doch als Zwischenerfolg zugute halten.
Ein Wort zur Kreditaufnahme. Sie wissen, daß wir als Liberale immer wieder betont haben - diese Aussage besteht auch heute -: Wir sind der Ansicht, daß der bequeme Weg über eine Erhöhung der Neuverschuldung zur Finanzierung von noch so sinnvollen Ausgaben kein guter Weg ist.
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Warum halten wir daran so fest? - Wir halten daran nicht fest, weil wir, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, Fiskalisten sind, die nur den Haushalt und die Nettokreditaufnahme sehen, nicht aber die gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten.
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Wir glauben, daß diese Aussage richtig ist, weil nach unserer Ansicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Zinssenkung der wichtigste beschäftigungspolitische Impuls ist, meine Damen und Herren.
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Wenn Sie berücksichtigen, daß die deutsche Wirtschaft mit über 700 Milliarden DM verschuldet ist
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- es fehlt nur, daß Sie, Herr Kollege, sagen, daran seien wir auch noch schuld; darüber könnte ich nur lachen -, dann können Sie sich ausrechnen, was eine Zinssenkung um nur einen einzigen Prozentpunkt bedeuten würde.
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Dies setzt mehr Geld frei, das sinnvoll für Investitionen genutzt werden kann, als jedes staatliche Ausgabenprogramm es tun könnte. Um diese Politik aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, daß auch in den
4628 Deutscher - Bundestag 9 Wahlperiode 79 Sitzung Bonn, Mittwoch den 20. Januar 1982
kommenden Monaten und Jahren der Staat Zurückhaltung auf den Kapitalmärkten übt.
Meine Damen und Herren, aller Voraussicht nach werden die Zinsen in den Vereinigten Staaten leider hoch bleiben. Die Bewegungsfreiheit der Bundesbank wird von dieser Seite her also weiter eingeengt. Soll dennoch eine Zinssenkung möglich bleiben, so braucht die Zentralbank Unterstützung von der Finanzpolitik,
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d. h. straffe Haushaltsführung und Begrenzung der Kreditaufnahme. Wir haben das unsrige dazu beigetragen.
Eine Entscheidung in den nächsten Wochen, die Kreditaufnahme des Bundes über die geplanten knapp 27 Milliarden DM hinaus anzuheben, um damit z. B. Beschäftigungsmaßnahmen zu finanzieren, würde auf den Finanzmärkten als Signal verstanden, die Bundesregierung gehe von ihrem Kurs der Konsolidierung ab, und das wäre nicht gut.
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Deswegen bringt es auch nichts, wenn wir, wie in früheren Jahren, als es sinnvoll war, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme auflegen. Ich betone das, weil es Kollegen gibt, die meinen, nur weil es heute nicht richtig ist, war dies immer falsch; eine solche Politik lehne ich ab. Was hilft es denn der Wirtschaft und uns allen, wenn wir kreditfinanzierte Milliarden an Aufträgen in die Wirtschaft geben, um anzukurbeln, und gleichzeitig die dadurch höheren Zinsen dazu führen, daß die Erträge bei den Unternehmen genauso sind wie vorher? Das konterkariert ein solches Ziel.
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Andererseits, meine Damen und Herren, wissen wir: Wir brauchen eine Ausweitung der privaten und der öffentlichen Investitionen. Da gibt es ja auch noch genug zu tun, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Ich erinnere an die Fernwärmeversorgung, an einen verbesserten Lärmschutz, an die Abwasserbeseitigung, an Müllverwertung und Müllverbrennung, an Investitionen der Bundesbahn, an den Ausbau von Nahverkehrssystemen, an die Energieeinsparung in privaten Haushalten wie in den Industriebetrieben. All das brauchen wir. Wir brauchen nur Investitionen, in erster Linie privater, aber auch öffentlicher Art.
Die Frage kann also doch nur lauten: Wie können wir dies finanzieren? Ich muß Ihnen sagen: Ich halte für einen sehr attraktiven und interessanten Vorschlag, was der Sachverständigenrat unter der Überschrift „Alternative" hier vorgelegt hat. Kurz zusammengefaßt besagt diese Alternative folgendes.
Erstens. Diese Regierung und diese Koalition leiten so schnell wie möglich weitere Konsolidierungsmaßnahmen für die Folgejahre ein.
Zweitens. Bei den Tarifabschlüssen erreichen wir eine maßvolle Lohnpolitik. - Ich darf daran erinnern, daß 1 % Änderung bei der Tarifrunde rund 8 Milliarden DM an Mehr- oder Minderkosten bedeuten. Ich füge hier hinzu: Das setzt natürlich auch eine Preisdisziplin der Unternehmen voraus. Ich wehre mich dagegen, immer nur auf die Arbeitnehmer zu starren, ohne zu sagen, daß Arbeitgeber und Unternehmer hier ebenfalls eine Aufgabe haben.
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Der Sachverständigenrat sagt weiter: Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, die Konsolidierungsmaßnahmen aber erst 1983/84 greifen können, weil der Gesetzgeber vorher gar nicht fertig werden kann, ist es erlaubt, im Jahre 1982 im Vorgriff auf das, was 1983 an Konsolidierung geschieht, eine höhere Kreditaufnahme in Kauf zu nehmen, um öffentliche und private Investitionen in Gang zu setzen bzw. zu stimulieren. Deswegen kann unter diesem Gesichtspunkt die Grenze von knapp 27 Milliarden DM Neuverschuldung kein Tabu sein.
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Ich habe das hier so sorgfältig dargelegt, weil ich gelernt habe, daß es leider in den Nachrichten und im Rundfunk oft so läuft: Aha, FDP fällt um, Kreditfinanzierung ist weiter möglich.
Ich meine, unter diesen genau spezifizierten Bedingungen in der gegenwärtigen Wirtschaftslage wäre dieser Vorschlag des Sachverständigenrates ein Modell, mit dem alle leben können - die Gewerkschaften, die Unternehmen, wir in der Politik und die Deutsche Bundesbank. Das politische Ziel der FDP wird es sein, darauf hinzuarbeiten. Unter der Überschrift „Umschichten von konsumtiv auf investiv" werden wir in den nächsten Monaten und Jahren unsere Volkwirtschaft umstrukturieren müssen und damit auch mehr Arbeitsplätze schaffen.
Dies setzt natürlich weiteren Subventionsabbau voraus, meine Damen und Herren. Ich werde das an dieser Stelle nicht vertiefen. Ich habe das sehr oft getan, wie Sie wissen. Aber eines lassen Sie mich hier richtigstellen. Herr Matthöfer zitierte aus dem Brief von Herrn Kohl an ihn betreffend die von der Opposition geforderte 5%-Absenkung bei den Subventionen. Dort wird in einem kleinen Nebensatz so nebenbei gesagt, unter diese fünfprozentige Kürzung fielen, da Ausgaben zu kürzen und nicht Steuern zu erhöhen seien, nicht steuerliche Tatbestände. Das muß ich natürlich zurückweisen.
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Soll denn Kürzung von Subventionen, soll denn Konsolidierung heißen, daß wir nur an die Leistungsgesetze im Sozialbereich herangehen und daß die ganzen steuerlichen Subventionen, die steuerlichen Vergünstigungen im Unternehmensbereich unangetastet bleiben?
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- Herr Riedl, so geht das natürlich nicht. Im Finanzausschuß und anderswo sagen Ihre Kollegen immer:
Vergünstigungen im Bereich der Wirtschaft zur BeFrau Matthäus-Maier
lebung und aus sonstigen Gründen dürfen möglichst nicht über direkte Finanzhilfen gegeben werden, sondern der bessere Weg ist die Steuervergünstigung. Wir sind da anderer Ansicht, das wissen Sie. Aber Sie sagen das. Gleichzeitig sagen Sie in diesem Brief: Da jede Streichung von Steuervergünstigungen eine Steuererhöhung wäre, dürfen wir das nicht tun. Das heißt, erst treiben Sie die steuerlichen Vergünstigungen hoch, halten das für das richtige Mittel, und dann sind Sie nicht bereit, da wieder abzubauen. Das ist natürlich eine Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer, die in erster Linie von Kürzungen im Sozialbereich betroffen sind. Das können wir nicht akzeptieren.
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Abschließend folgendes zu diesem Bereich. Die FDP - das wiederhole ich hier - ist bereit, solche Konsolidierungsmaßnahmen mit in Gang zu setzen und zu initiieren und auch Maßnahmen in die Diskussion einzubringen, die ihr selber recht unangenehm sind. Ich glaube, die Bevölkerung ist bereit, auf diesem Weg weiterzumachen, jedenfalls viel mehr bereit als viele Funktionäre von Verbänden.
({21})
Wenn ich denn da lese, daß z. B. in der jetzigen Tarifrunde im öffentlichen Dienst die kommunalen Arbeitgeber ihre Bereitschaft signalisiert haben, möglicherweise aus der gemeinsamen Front der öffentlichen Arbeitgeber auszubrechen, um Herrn Klunkker hier entgegenzukommen - ich will es sehr vorsichtig sagen, weil das ja eine schwebende Angelegenheit ist -, dann kann ich davor nur warnen.
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Erstens wäre ein solches Aufbröckeln der öffentlichen Arbeitgeber das erste Mal seit vielen, vielen Jahren. Zweitens würde es die Position der Regierung schwächen, nicht nur der Bundesregierung - das wäre dem Herrn Lorenser vielleicht egal -, sondern das schwächt doch auch die Position der Landesregierungen, die von der CDU/CSU geführt sind. Das schwächt die Verwaltung in den Kommunen. Wenn hier noch einmal Kommunalpolitiker hinkommen und uns Bundespolitikern erzählen wollen, ihre Haushalte seien so schlecht in Schuß, weil wir bei der Bundespolitik angeblich auf ihre Kosten sparten, und wenn ich nun sehe, was der Herr Lorenser als kommunaler Arbeitgeber schon zuzugestehen bereit ist, dann kann ich nur sagen, sie sollen lieber nicht kommen, ich würde ihnen schon die passenden Worte entgegenhalten.
({23})
- Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß hier auch die Opposition klatscht. Ich wäre dankbar, wenn dieser Beifall bis zu Herrn Lorenser durchdringen könnte.
({24})
Nun komme ich zu der anderen Möglichkeit der Finanzierung, nämlich zur Mehrwertsteuererhöhung, die in den letzten Tagen eine größere Rolle gespielt hat. Sie wissen - es ist hier mehrfach zitiert worden -, das FDP-Präsidium hat eine Einführung einer Investitionszulage, finanziert durch eine 1 %ige Mehrwertsteuererhöhung in der zweiten Hälfte des Jahres 1983, als diskussionswürdiges Modell bezeichnet. Wenn der Wirtschaftsminister einen solchen Vorschlag in die Welt gesetzt oder darüber laut nachgedacht hat, dann ist es wohl nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht eines Parteigremiums, so etwas in der gegenwärtigen politischen Landschaft sehr genau zu prüfen und die Argumente pro und kontra sorgfältig abzuwägen.
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Das Nachdenken darf in diesem Lande doch wohl nicht verboten werden.
Lassen Sie mich aber auch folgendes deutlich sagen. Ich meine - dies ist auch die Meinung des Bundesvorsitzenden der FDP -, die Argumente, die für eine solche Mehrwertsteueranhebung sprechen, wiegen nicht so stark wie die Argumente, die dagegen sprechen. Ich glaube also, die Kontra-Argumente sind stärker. Lassen Sie mich einige nennen: Natürlich würden die Lebenshaltungskosten deutlich ansteigen. Auswirkungen, die wir nicht wünschen, auf die Tarifrunde wären zu erwarten. Und bei der Kaufkraft würde eine deutliche Abschöpfung vorgenommen, die konjunkturell gar nicht wünschenswert ist. Es führt nämlich konjunkturell nicht zu einem Aufschwung, wenn wir Brötchen, Möbel, Automobile, Maschinen, was Bürger und Unternehmen durchaus kaufen sollen, verteuerten. Und zusätzlich: Es ist nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell nich sinnvoll. z. B. Wärmepumpen, Solaranlagen, wärmedämmende Maßnahmen, Umsteigen auf Diesel-PKW, Einbau energieeinsparender Heizungsanlagen zu verteuern.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte schön.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, können Sie mir darin zustimmen, daß es bei einem sinnvollen Einsatz einer Investitionszulage, die zu Steuerausfällen im Einkommen- und Körperschaftsteuerbereich führt, als Alternative zu überlegen wäre, ob man nicht Steuersubventionen in diesem Bereich, z. B. Bewirtungsspesen, viel besser gegen-rechnen könnte, statt das über die Mehrwertsteuer zu finanzieren?
Herr Kühbacher, die Überschrift meiner Rede könnte lauten: Umschichten von dem konsumtiven Teil des Haushalts auf den investiven. Darunter könnte man das, was Sie vorschlagen, durchaus subsumieren. Sie haben sicher gemerkt, daß ich in dieser Rede keine Einzelvorschläge behandeln will. Ich glaube, wir müssen das in diesen Wochen durchdiskutieren und möglichst bald zu einem Ergebnis kommen, damit der Attentismus in der Wirtschaft, der durch solche Dis4630
kussionen natürlich verstärkt wird, möglichst bald ein Ende hat.
Strukturell ist es viel sinnvoller, den Energieverbrauch über den Preis möglichst unattraktiv zu machen; denn unser Hauptproblem in dieser volkswirtschaftlichen Situation und auch einer der entscheidenden Gründe für unsere Arbeitslosigkeit ist die Belastung unserer Volkswirtschaft mit der enorm hohen Ölrechnung. Dafür mußten allein im letzten Jahr 75 Milliarden DM gezahlt werden, und diese 75 Milliarden DM sind nicht wieder zu verteilen. Dieses Geld können weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer noch die Regierung oder sonst ein Vierter tragen. Diese Milliarden haben wir alle gemeinsam nicht zur Verfügung. Dagegen gibt es nur eine strukturelle Strategie, nämlich die Fortsetzung der Strategie „Weg vom Öl". Wir haben hier entscheidende Erfolge erzielt, und wir werden weitermachen. Ein Teil dieser Erfolge ist allerdings nur kurzfristig, da er auf ein Brachliegen der Konjunktur zurückzuführen ist. Wenn Unternehmen nicht produzieren, brauchen sie keine Energie, und sobald wieder produziert wird, wird auch wieder Energie verbraucht. Deswegen scheint mir nach wie vor das Gebot der Stunde zu sein, 01 einzusparen und energieeinsparende Investitionen im öffentlichen und privaten Bereich zu unterstützen. Dies hätte gleichzeitig den Vorteil, daß industrielle Kapazitäten in diesem Bereich in diesem Land ausgelastet würden. Außerdem würde unser Leistungsbilanzdefizit abgebaut, wenn wir zu einer noch deutlich geringeren Einfuhr von 01 kommen.
Bei all dem und bei der jetzigen Diskussion sollten wir folgendes nicht vergessen. In diesen Tagen fragte mich ein Journalist: Wollen Sie nicht endlich etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun? Ich erwiderte: Ihre Frage erweckt den Eindruck, als hätten wir noch nichts getan. Er gab dann zu, daß das nicht stimme. Es ist daran zu erinnern, daß wir zusammen erst vor wenigen Wochen in diesem Haushaltsstrukturgesetz umfangreiche Maßnahmen beschlossen haben: deutliche Abschreibungsverbesserungen allgemeiner Art, Abschreibungsverbesserungen im Wohnungsbau, eine Änderung der Wohnungsbaugesetzgebung mit dem Ergebnis, daß Milliardensummen in die Länder fließen, mit denen mehr Sozialwohnungen gebaut werden können, Verbesserungen des Verlustrücktrags und anderes mehr. Bitte, meine Damen und Herren, machen wir doch nicht den Fehler, das, was wir gerade erst getan haben, zu zerreden mit der Folge, daß es gar nicht wirksam werden kann!
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Ich bitte also darum, diese Maßnahmen wirken zu lassen, möglichst bald zu einem Ende der jetzigen Diskussion zu kommen und als letztes nicht zu vergessen: Es gibt kein Patentrezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in dieser Situation. Es gibt kein kurzfristig wirkendes Rezept.
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Wir werden mit diesen Zahlen eine ganze Zeitlang leben müssen.
({2})
- Ich weiß nicht, auf wen Sie immer verweisen. Der Kanzler hat das gesagt, der Finanzminister hat es gesagt, viele Sprecher der Koalition haben es gesagt. Wenn auch Sie das sagen, dann ist es j a fein, daß wir hier einig sind.
Es kann nur um ein Zusammenwirken vieler verschiedener Einzelmaßnahmen gehen, zu denen auch die Verkürzung der Lebensarbeitszeit sowohl im Tarifbereich als auch per Gesetz, die Verbesserung der beruflichen Qualifizierung und vieles mehr gehören. Lassen Sie uns dies möglichst bald angehen! Ich glaube, dann kommen wir alle ein Stück weiter. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier hat eine sehr muntere Rede gehalten, wie wir es von ihr gewöhnt sind. Es war auch eine typische FDP-Rede. Bundesminister Graf Lambsdorff hätte sie genauso halten können. Es ist immer wieder das gleiche: große Worte, kleine Taten! Man wird am Schluß nicht an seinen Reden hier im Parlament gemessen, sondern an dem, was man in der Politik letztendlich durchsetzt.
({0})
Als Haushälter möchte ich am Anfang ganz kurz auf den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers eingehen. Diese Haushaltsberatungen verliefen ja in diesem Jahr leicht chaotisch. Daran tragen allerdings weder der Minister noch die Mitarbeiter seines Hauses direkte Schuld, sondern das liegt daran, Herr Minister, daß Ihre „Freunde" in der Koalition gespürt haben, daß Ihr Durchsetzungsvermögen im Schwinden ist. Die sind mit Ihnen deswegen Schlitten gefahren, obwohl damals noch gar kein Schnee lag.
({1})
Am 2. August haben Sie demonstrativ vorzeitig das Ergebnis der sogenannten Chefgespräche zum Einzelplan 09 veröffentlicht. Noch bevor das Kabinett darüber beschlossen hatte, haben Sie sich für eine angebliche Einsparung in Höhe von 25,6 % als Sparkommissar feiern lassen. Manche Zeitungen sind darauf hereingefallen.
Mit Ihrer vorzeitigen Ankündigung haben Sie dann immerhin bewirkt, daß sich der Haushaltsausschuß ganz intensiv mit Ihrem Etat befaßt hat, auch fündig geworden ist und entsprechend gestrichen hat. Danach ging es allerdings wieder aufwärts. Es gab eine erneute Kabinettsitzung. Sie haben um 500 Millionen DM nachgebessert - so heißt das neuerdings, glaube ich. Dann sind Sie wieder Ihren „Freunden" in die Hände gefallen, und die haben davon wieder 274 Millionen DM weggenommen, so daß
am Schluß jetzt ein Etat von 4,6 Milliarden DM übrigbleibt.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Ursache dieser Absenkung echtes Sparen gewesen wäre, könnten wir alle miteinander darüber glücklich sein. Aber leider war es kein echtes Sparen, sondern diese Absenkung ist nur der Tatsache zu verdanken, daß die Weltenergiepreise gestiegen sind, insbesondere bei der Kohle, und daß der Wert der D-Mark gegenüber dem Dollar stark zurückgegangen ist. Was uns ganz besonders schmerzt, ist die Tatsache, daß bei dieser Konsolidierung auch notwendige Bevorratungen dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Deswegen glaube ich, daß in dem Ansatz von 570 Millionen DM für die Kokskohle diesmal ein Haushaltsrisiko steckt, weil die Weltkohlepreise und auch die Frachtraten bekanntlich rückläufig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Wettbewerbshilfe für die deutsche Steinkohle ausreicht.
Gegen unseren erbitterten Widerstand hat es der Koalition auch gefallen, die Mittel für die Rohölbevorratung gänzlich zusammenzustreichen, obwohl das Bevorratungsziel von 10 Millionen t noch lange nicht erreicht ist.
({3})
- Wir haben einen Deckungsvorschlag gemacht. Verehrter Herr Kollege, Sie waren j a bei den Beratungen nicht dabei. Deswegen verzeihe ich Ihnen diesen Zwischenruf.
Wir stehen hier mit unserem Verhalten im krassen Gegensatz zum Verhalten der Vereinigten Staaten, die jetzt ihre Rohölreserve auf 100 Millionen t aufstocken - und das, obwohl sie auch Schwierigkeiten mit ihrem Haushalt haben. Angesichts der Tatsache, daß die Lage auf dem Weltmarkt im Moment so locker ist, daß man günstig einkaufen kann, halte ich eine Absenkung der Rohölbevorratungstitel für einen sträflichen Leichtsinn.
({4})
Das ist Sparen am falschen Platz zum falschen Zeitpunkt.
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Solche Streichungen bedeuten keine echten Einsparungen, sondern bedeuten Wechsel auf unsere Zukunft, die irgendwann eingelöst werden müssen. Bilden wir uns doch nicht ein, daß die Verhältnisse auf dem Rohölmarkt immer so bleiben! Schon eine politische Veränderung im Nahen Osten kann alles sehr leicht wieder ins Gegenteil verkehren.
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In diesem Zusammenhang möchte ich allen Mitbürgern sehr herzlich danken, die durch ihren sparsamen Umgang mit dem teuren Produkt „Rohöl" dazu beigetragen haben, daß der 01- und Benzinverbrauch abgesenkt worden ist.
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Die leidgeprüften Autofahrer, über die so viel geschimpft wird, waren hier ganz besonders vorbildlich. Sie sind jetzt dank der Marktwirtschaft auch in den Genuß von Preissenkungen gekommen. Die 8 Pfennig, die ihnen der Herr Matthöfer verordnet hat, sind ihnen allerdings erhalten geblieben. Daran stottern sie heute noch. Ihre Vorstellung, daß man noch mehr drauflegen könnte, deckt sich nicht mit der Vorstellung der Mehrheit der Bürger in unserem Land. Fragen Sie einmal die Fernpendler, die das Auto noch ständig benötigen, um zu ihren Arbeitsplatz zu kommen!
({8})
Die Autofeindlichkeit der SPD treibt überhaupt seltsame Blüten. Mit Recht hat Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff über die Pläne der SPD-Kommission „Verkehr und Umwelt" gesagt: „Der beste Aufbewahrungsort für solche Pläne ist der Papierkorb."
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Wir stimmen Ihnen hier zu, Herr Bundesminister.
Trotz solcher forschen Sprüche sind Sie aber, wie ich glaube, insgesamt nicht in einer beneidenswerten Lage. Wir stehen mitten in einer sehr schwierigen und ernsten Phase unserer Nachkriegszeit, in die wir von der Koalition - selbstverständlich unter tätiger Mithilfe des Bundeswirtschaftsministers - hineinmanövriert worden sind. Unsere Schwierigkeiten sind mit der mißglückten Operation '82 noch lange nicht beendet. Auch der vorliegende frisierte, geschönte Haushalt löst die Probleme nicht.
({10})
Unsere Bürger haben es sehr schmerzlich gespürt, was uns das Jahr 1981 gebracht hat. Es hat uns 1,7 Millionen Arbeitslose gebracht. Die neuen Zahlen, die über dpa heute früh umgegangen sind, sprechen bereits von 1,9 Millionen Arbeitslosen. Es hat uns einen traurigen Nachkriegsrekord an Firmenzusammenbrüchen - weit über 11000 - gebracht. Es hat uns eine Inflationsrate von 6,3 % - die zweithöchste Inflationsrate in der Nachkriegsgeschichte - gebracht. Es hat uns vor allen Dingen einen traurigen Schuldenrekord gebracht: 75 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden zusammen. Hinzu kam ein neuer Zinsgipfel. Die Zinsen erreichten eine ungeahnte Höhe. Es gab des weiteren nie dagewesene Ertragseinbrüche bei den Unternehmen.
Wen wundert es, daß unsere Bürger angesichts dieser Entwicklung Unsicherheit, Angst und Sorge um die wirtschaftliche Zukunft empfinden und ihre Erwartungen sehr zurückgeschraubt haben?
Das Jahr 1982, für das uns die Wende versprochen worden ist, scheint sich auch nicht besser anzulassen. Im Gegenteil. Die regierungsamtlichen Prognosen sind wie immer - wir sind es ja schon gewohnt - geschönt. 1 bis 1,5 % Wachstum werden in diesem Jahr kaum erreicht werden. Mit dieser optimistischen, ich würde meinen: zu optimistischen Prognose, stehen Sie im Gegensatz zu vielen Vorausschätzungen. Ich denke z. B. an das „Institut für Weltwirtschaft" in Kiel, das von einem realen Schrumpfungsprozeß gesprochen hat. Man sieht also, daß hier bei
Ihnen wie immer absichtlich danebengegriffen worden ist.
Sie haben uns ja schon einmal die Wende versprochen. Wenn ich mich erinnere, hieß es, die Wende komme im zweiten Halbjahr 1981. Die Wende ist nicht gekommen. Es ist nicht aufwärtsgegangen. Ich meine, daß auch solche Fehlprognosen das Vertrauen in die Regierung, das Vertrauen in die Zukunft und damit das Vertrauen, das für Investitionen nötig ist, leichtsinnig untergraben.
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Unsere Wirtschaft brauchte doch nichts dringlicher als Zuversicht und Vertrauen in die weitere wirtschaftliche Entwicklung, damit verstärkt Investitionen und Innovationen gewagt werden. Überzogene Erwartungen, die hinterher wieder reduziert werden müssen, lassen das Restvertrauen auf null absinken. Der sich gegenwärtig breitmachende Pessimismus ist auch eine Folge davon. Kaum jemand glaubt noch an einen Aufschwung. Kaum jemand in der Wirtschaft glaubt noch dieser Bundesregierung.
Und wenn es auch schon ein paarmal gesagt worden ist, ich muß es wiederholen: Deswegen wäre ein Regierungswechsel das beste Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm.
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Die Bundesregierung hat keine Chance ausgelassen, um das Vertrauen der Wirtschaft und der Investoren in unserem Land zu zerstören.
Investoren sind nicht nur große Firmen mit eigenen volkswirtschaftlichen Abteilungen, die auf Grund langfristiger Marktprognosen und Absatzstrategien ihre Investitionspläne aufstellen, Investoren bei uns im Land sind auch die kleinen Handwerker, die privaten Bauherren, ja, ist jeder, der ein längerlebiges Gut erwirbt. Und wenn der nicht an die Zukunft glaubt, dann wird eben nichts investiert.
({13})
Diese Investoren werden selbstverstänlich vom allgemeinen Klima beeinflußt. Sie werden von dem beeinflußt, was die Politiker sagen, und von dem, was sie dann hinterher nicht in die Tat umsetzen.
Auch die jetzt wieder stärker werdende Sparneigung, die an sich ein erfreuliches Zeichen wäre, entspricht dieser wirtschaftlichen Zukunftsangst. Täuschen wir uns nicht darüber hinweg! Und wir müssen ja noch dankbar sein um die vielen kleinen Sparer, die ihr Geld auf die Sparbücher tragen,
({14})
damit es der Wirtschaft wieder zur Verfügung gestellt werden kann. Viele Besitzer großer Vermögen schaffen es schon lange ins Ausland, weil sie kein Vertrauen mehr in diese Bundesregierung haben. Die ausländischen Investoren, die wir gebraucht, die unser Wirtschaftswunder mit bewirkt haben, indem sie uns ihr Kapital zur Verfügung gestellt haben, ziehen sich ebenfalls langsam aus einem Land zurück,
in dem das Vertrauen in die Durchsetzungskraft der Regierung immer mehr schwindet.
({15})
Herr Kollege Glos, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Traupe?
Sehr gerne.
Herr Kollege Glos, Sie sagten, daß die großen Financiers ihr Geld ins Ausland trügen, weil ihnen für eine Anlage in Deutschland das Vertrauen fehle. Wie verträgt sich damit, daß umgekehrt ausländische Investoren bei uns investieren? Und stimmen Sie mir zu, daß viele ihr Geld ins Ausland bringen, z. B. nach Kanada, nach Florida oder auf die Kanarischen Inseln, weil sie dort für einen sehr geringen Betrag wertvolles Land kaufen können, das nach mehreren Jahren dann einen um ein Vielfaches höheren Verkaufserlös bringt?
({0})
Verehrte Frau Kollegin, ich habe in meiner letzten Haushaltsrede gesagt, daß, wenn wir in unserem Land wieder vernünftigere Bedingungen hätten, z. B. beim Mietwohnungsbau, ein Mietrecht, das dem Eigner wieder Verfügungsgewalt über sein Eigentum gibt,
({0})
die Wohnungen nicht in Florida oder in Kanada gebaut werden würden, sondern wieder in CastropRauxel, in Nürnberg oder was weiß ich wo, dort, wo sie gebraucht werden.
({1})
Selbstverständlich gibt es noch Ausländer, die hier ihr Geld anlegen. Es gibt Gott sei Dank auch noch Leute in unserem Land, die über Kapital verfügen und es hier bei uns lassen. Nur hat sich der erwähnte Trend sehr, sehr verstärkt.
({2})
Dazu hat nicht nur die SPD beigetragen, sondern auch die FDP, die an der Seite der SPD ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dies erkannt und sich deswegen im November mit Rücktrittsabsichten getragen. Dies stand in allen soliden Zeitungen nachzulesen. Er hat sicher auch allen Grund dazu gehabt; denn er hat mit seiner Partei, der FDP, in der selbst erwählten Bremserrolle in Sachen Sozialismus - die hat man sich immer als Etikett umgehängt - versagt. Denn mit Ihrer Zustimmung, Herr Bundesminister Graf Lambsdorff, haben die Bundesregierung und die Mehrheit des Deutschen Bundestages solche wirtschafts- und arbeitsmarktfeindlichen Maßnahmen wie den Wegfall der 390-DM-Regelung für geringfügig Beschäftigte oder den Wegfall des Vorsteuerabzugs für Teile des Betriebsvermögens als Einstieg in eine Investitionssteuer und weitere investitionsfeindliche MaßnahGlos
men beschlossen; ich will sie hier nicht alle aufzählen.
({3})
Verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, ich darf Sie an einen Brief erinnern, den Sie an Selbständige geschrieben haben, allerdings vor der Bundestagswahl. In diesem Brief - Sie kennen ihn sicher - steht u. a.:
Nur wenn die Freien Demokraten ihr relatives Gewicht in der Bonner Koalition halten können, dann gelingt es, den Einfluß der SPD in den entscheidenden Fragen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik einzudämmen.
Damals waren Sie allerdings noch Kandidat, Herr Bundeswirtschaftsminister. Robert Lembke hat unlängst über Kandidaten gesagt:
Ein Kandidat ist ein Politiker, der für das einsteht, auf das, wie er glaubt, die Wähler hereinfallen.
Die Wähler sind darauf hereingefallen. Es hat der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat bedurft, um den größten Teil des gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Unsinns wieder wegzuräumen, der in diesem Programm gestanden hat.
({4})
Leider können wir als Mehrheit im Bundesrat nicht alles verhindern. Wir können auch nicht aus schlechten Gesetzen gute machen. Aber Ihre Glaubwürdigkeit, Herr Bundeswirtschaftsminister, hat darunter sehr gelitten.
Noch im Juni 1981 haben Sie zur Inanspruchnahme der Bundesbankgewinne zum Ausgleich des Bundeshaushalts erklärt, der Staat besorge sich Geld zum Nulltarif, so als ob er im Keller des Bundesfinanzministers Geldscheine druckt. Nun, Herr Bundesminister, stehen Sie selbst am Kellereingang Schmiere für dieses Verhalten.
({5})
Durch Ihr Eintreten für diese Sache und durch das Abdecken dieses Handstreichs des Herrn Matthöfer auf die Bundesbank, der damit unsere D-Mark aushöhlt und dringende Strukturmaßnahmen mit der Vorlage eines solches Haushalts aufschiebt, machen Sie sich der politischen Hehlerei mitschuldig, und über die Hehler hat der Volksmund - ich will's hier nicht zitieren - seine eigene Meinung.
({6})
Aber die Politik der Bundesregierung ist nicht die einzige Bremse für weiteres Wachstum und für bessere Beschäftigung in unserem Land. Auch die Tarifpartner sind ihrer Verantwortung in den letzten Jahren nicht gerecht geworden. Die Lohn- und Tariferhöhungen in den letzten Jahren waren zu hoch. Es ist ständig mehr verteilt worden, als zugewachsen ist.
({7})
Der größere Schluck aus der Pulle, den Willy Brandt empfohlen hatte, rächt sich heute. Peter Gillies schreibt in der „Welt" mit Recht: „Was die Tarifpartner verjubeln, kann der Staat nicht schaffen."
Ich will hier keine Agrardebatte führen, obwohl der Bundeskanzler gestern das Beispiel mit den Kühen gebracht und gesagt hat, die deutschen Gewerkschaften seien so kundig, daß sie wüßten, daß die Kühe, die man melken will, nicht geschlachtet werden dürfen. Sicher, die Kühe sind zwar nicht geschlachtet, aber sie sind in den letzten Jahren sehr schlecht gefüttert worden. Sie sind, wie man in der Landwirtschaft sagt, vom Fleisch gefallen; deswegen geben sie keine Milch mehr.
({8})
Die Unternehmensgewinne, so sagt die Bundesbank, sind um 25 % zurückgegangen. Das ist der höchste Ertragseinbruch in der Nachkriegsgeschichte. Die Kostensteigerung lag wieder beträchtlich über der Produktivitätssteigerung.
Unser, wie ich meine, bedeutendster Wettbewerber auf den Weltmärkten, nämlich Japan, ist mit den weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten und den ölpreisbedingten Kostensteigerungen auch deshalb besser fertig geworden, weil der Verteilungsspielraum dort in den letzten Jahren nicht überstrapaziert worden ist.
({9})
Die Arbeitskosten lagen dort, vor allen Dingen in ihrer Steigerungsrate, beträchtlich unter dem Anstieg des Bruttosozialprodukts. Dadurch, Herr Kollege Wolfram, hat die japanische Industrie, haben die japanischen Unternehmen ihre Position am Weltmarkt stärken und mit diesen Gewinnen die nötigen Investitionen durchführen können, die man braucht, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben und um die Arbeitsplätze abzusichern.
Herr Kollege Glos, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Aber bitte sehr.
Verehrter Herr Kollege Glos, wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß japanische wirtschafts- und gesellschaftspolitische Verhältnisse für unser Land Vorbild sein sollten, und würden Sie es weiter für vorbildhaft halten, daß die Staatsquote in Japan mehr als 30 % beträgt
({0})
und daß die Verschuldung der japanischen öffentlichen Hände mehr als viermal so hoch ist wie in der Bundesrepublik Deutschland?
Dazu müßte man sehr lange Stellung nehmen, Herr Kollege Reuschenbach.
({0})
- Ich bin gern bereit, dies zu tun. Erstens sind dort die Schulden für Investitionen gemacht worden, nicht für Konsum, wie in unserem Land. Das ist ein grundliegender Unterschied.
({1})
Zweitens muß man ein Modell nicht total übernehmen; man kann sich das Gute davon aussuchen, und man kann lernen. Und wir können von den Japanern hier sehr viel lernen. Seien wir uns doch darüber im klaren!
({2})
Herr Kollege Reuschenbach, Sie kommen doch aus dem Ruhrpott. Sie wissen doch, was da los ist. Nehmen wir einmal ein Beispiel.
({3})
Nehmen wir das Beispiel Stahl. - Lassen Sie mich das zu Ende bringen, dann können Sie wieder fragen. - In Japan betragen die Lohnkosten pro Tonne Rohstahl - das steht in einer sehr soliden Wirtschaftszeitung, der FAZ - 76 DM und bei uns 208 DM. Japans Kostenvorsprung ist doch die Ursache der Krise, in der wir uns befinden und in der sich gerade das Gebiet befindet, aus dem Sie kommen, Herr Kollege Reuschenbach. Hier rächt sich doch bitter die Investitionslücke der 70er Jahre, die von Ihnen verursacht worden ist, weil der Schluck aus der Pulle zu groß war.
({4})
Herr Glos, erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Ja, bitte.
Ohne Vertiefung der Debatte über die Verhältnisse in Japan frage ich: Darf ich aus einer Bemerkung von Ihnen die Schlußfolgerung ziehen, daß Sie eine höhere Staatsverschuldung, wenn sie für Investitionen verwandt wird, für richtig und für nötig halten?
Verehrter Herr Kollege Reuschenbach, auch das will ich sehr gerne beantworten. Japan kann sich deswegen eine hohe Staatsverschuldung leisten, weil internationales Vertrauen in die japanische Wirtschaft und in den japanischen Yen vorhanden ist und die Japaner ohne Schwierigkeiten Geld auf den Finanzmärkten zusammenborgen können, wie sie es brauchen. Wir bekommen doch Kredite nur noch unter erschwerten Bedingungen und zu hohen Zinsen. Wir wissen doch, daß der Kreditspielraum erschöpft ist. Es ist nichts mehr drin. Es gibt doch nichts mehr zu pumpen und zu borgen. Ich habe vorhin schon gesagt: Die Struktur der bisherigen Schulden in Japan ist anders. Trotzdem macht sich Japan jetzt daran, sehr scharfe Konsolidierungssmaßnahmen einzuleiten.
Einen anderen Teil Ihrer Frage hatte ich vorhin vergessen. Ich will gerne sagen, daß ich die Staatsquote bei uns für zu hoch halte. Ich glaube, wir sollten uns auch hier an Japan ein Vorbild nehmen und unsere Staatsquote absenken.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Röhner? - Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Glos, nachdem der Kollege Reuschenbach mit einem kritischen Unterton u. a. festgestellt hat - Geräusche gemacht hat -, daß Japan eine Staatsquote von 30 % zu verzeichnen hat, frage ich: Sind Sie mit mir der Meinung, daß man zu dieser Feststellung anbetrachts dessen, daß wir es in der Bundesrepublik Deutschland in der Zwischenzeit - Gott sei's geklagt! - auf eine Staatsquote von rund 50 % gebracht haben, nur sagen kann: „Glückliches Japan!"?
({0})
Ich kann Ihnen völlig recht geben, verehrter Herr Kollege Röhner. Es ist in der Tat ein trauriger Zustand, daß wir eine Staatsquote von fast 50 % erreicht haben. Wir sollten gemeinsam versuchen, sie wieder herunterzudrücken. Auch das gehört dazu, wenn wir wollen, daß wieder mehr private Investitionen getätigt werden können.
({0})
Für alle Unternehmen - angefangen vom Großkonzern, bis hin zum Pizzabäcker - bleiben die Eigenmittel eine wichtige Voraussetzung für Investitionen. Dies gilt ganz besonders für schwierige wirtschaftliche Zeiten mit hoher Zinsbelastung und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Wir wissen alle: Eigenmittel fallen nicht vom Himmel, sondern müssen im harten Wettbewerb durch ausreichende Gewinne erwirtschaftet werden. Was nach Abzug von Steuern übrigbleibt, kann zur Anschaffung oder zum Bau moderner Gebäude, Fabriken, Werkstätten, Maschinen usw. verwendet werden. Die flankierend dazu aufgenommenen teuren Fremdmittel müssen aus den in der Zukunft erwarteten Gewinnen wieder zurückgezahlt werden. Wer sich darüber hinaus noch einen Nutzen verspricht, wird so unvorsichtig sein, in unserem Land unter dieser Regierung noch zu investieren und sein Geld hier anzulegen.
Wir erleben es immer mehr, daß vorsichtige Kaufleute, auch große Konzerne, ihr Geld in Rentenpapieren anlegen. Sie bekommen hier ohne Arbeit viel risikoloser ständig Ertrag. Ich habe vorhin von den vorsichtigen Mitbürgern gesprochen, die das Kapital ins Ausland schaffen. Wenn man dann mit solchen Vorschlägen kommt, wie ich sie gestern vom steuerpolitischen Sprecher der SPD gelesen habe, jetzt noch die Quellensteuer für die Zinsen einzuführen, dann können Sie was erleben. Dann fehlt nicht nur der entgangene Steueranteil aus diesen Zinsen, der möglicherweise nicht abgeführt wird, sondern dann geht das Kapital ganz und gar fort und wird dort angelegt, wo es sich dem Griff des Fiskus entzieht. Ich halte dieses Verhalten zwar nicht für richtig, aber ich warne vor solchen Experimenten.
({1})
Wir brauchen in diesem Land Gewinn oder, wenn Sie wollen, Profit - ich nehme auch das Wort gern in den Mund -, und zwar viel stärker. Nur mit den Gewinnen der Unternehmen können bestehende
Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ganz abgesehen von den Steuern, die von diesen Gewinnen gezahlt werden. Diesen simplen Zusammenhang wieder einmal nach außen deutlich zu machen wäre eine Aufgabe aller Verantwortlichen in unserem Land. Ich denke auch an die Gewerkschaften, an die Wirtschaftsverbände, an die Schulen, Universitäten usw. Daß dies nicht ausreichend geschehen ist, ist nicht allein Schuld der Bundesregierung, aber sicher Schuld der ideologischen Verblendung der die Bundesregierung tragenden Parteien.
Mich hat auch sehr erschreckt, als ich kürzlich eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer Koblenz zum Thema „Gewinn" gelesen habe. Dabei kamen ganz schlimme Ergebnisse zum Vorschein. Im Durchschnitt schätzten die befragten Bürger den Gewinn der Industrie auf 36 % des Umsatzes. Eine Sonderbefragung für Studierende der Fachhochschule hat ergeben: Nur ein Fünftel der Studenten schätzt die Gewinnmargen richtig ein. Ganz besonders haben sich die Sozialwissenschaftler ausgezeichnet; denn dort hat nur jeder dritte Student „ungefähr" Bescheid gewußt: Jeder dritte Student hat gesagt, die Hälfte des Umsatzes sei Gewinn.
({2})
Wir lachen mit Recht über dieses Ergebnis, aber die „FAZ" schreibt - und ich teile diese Sorge -:
Da werden Scharen von Bürgern durch fehlende Informationen auf einen Weg getrieben, an dessen Ende Barrikaden und zertrümmerte Schaufenster liegen. Wer des guten Glaubens ist, daß die Wirtschaft an 100 DM Umsatz 36 DM verdient, der geht mit berechtigter Wut auf die Straße, um für mehr Arbeitsplätze und preiswerten Wohnraum zu demonstrieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, wir müssen uns hier alle an die Brust klopfen und müssen auch die Funktion des Gewinns wieder mutiger nach außen erläutern.
({3})
Ich darf daran erinnern, daß es nicht Versammlungen der Jungen Union sind, in der die Unternehmer als Ausbeuter und Profitgeier beschimpft werden, und die Aktion „Gelber Punkt" ist auch nicht von der CSU erfunden worden.
({4})
Die Initiatoren solcher Dinge - das ist gar nicht so lange her - sitzen heute teilweise im Bundestag, wenn ich an den ehemaligen Juso-Chef Roth denke.
Es stellt sich in der Tat die Frage: Will man eigentlich den wirtschaftlich aufgeklärten Arbeitnehmer? Für Sie stellt sich dann wieder die Frage: Wie verhalten sich diese wirtschaftlich aufgeklärten Arbeitnehmer, wenn sie erfahren, was diese großen Verteilungskämpfe mit zuviel Verteilung für sie in der Vergangenheit eigentlich bewirkt haben? Würden sich nicht auch - ich muß diese Frage hier auch stellen - manche Gewerkschaftsfunktionäre schwerer tun, ihre Mitglieder bei der Stange zu halten? Scheut
man die wirtschaftliche Aufklärung, weil man möglicherweise Angst hat, seine Pfründe zu verlieren? Ernst Günter Vetter - nicht zu verwechseln mit Heinz Oskar Vetter - schreibt dazu in der „FAZ":
Zu oft haben Politiker empfohlen, man solle weniger leisten und dafür kräftiger fordern. Sozialisten haben es geschafft, den sozialen Staat durch Maßlosigkeit zu pervertieren, eine freie Wirtschaft bis zum Kollaps zu testen und dem Staat Verpflichtungen aufzuladen, die ihn bis an die Grenze der Handlungsfähigkeit treiben.
Die Grenze der finanziellen und sozialen Handlungsfähigkeit ist nicht nur erreicht, sondern überschritten. Wir leben auf Pump, über unsere Verhältnisse. Wir müssen endlich die bürokratischen und administrativen Bremsklötze wegnehmen. Wir müssen durch eine Änderung der Verteilung unseres Sozialprodukts wieder mehr Raum für Investitionen lassen. Wenn der Herr Bundeskanzler hier einmal gesagt hat, er könne seine Gasrechnung nicht lesen, das sei schon zu bürokratisch,
({5})
- es war die Wasserrechnung, vielen Dank - dann kann ich ihm nur raten, doch einmal einen Bauplan bei einer deutschen Bauverhinderungsbehörde einzureichen. Dann würde er sich wundern, und dann würde er wissen, warum viele Geschäftsleute in unserem Lande, auch kleine, das Investieren satt haben.
({6})
Ich kann Ihnen auch aufzeigen, wo es Spielraum gibt. Bei 450 Milliarden DM Sozialausgaben in unserem Lande würde eine Verlagerung z. B. um 10 jährlich eine Summe von 45 Milliarden DM für Investitionen freimachen.
Das Thema „Lohn und" - vor allen Dingen -„Lohnnebenkosten" ist die Schlüsselfrage für unsere Wettbewerbsfähigkeit.
({7})
Wir haben hier unter den bedeutenden westlichen Industrieländern einen sehr traurigen Rekord erreicht. Durch die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 4 % haben wir diesen hohen Kosten noch neue Kosten hinzugefügt. Deswegen - um von diesen hohen Nebenkosten herunterzukommen - müssen wir uns auch überlegen, ob wir nicht wieder mehr über das Thema „Risikobeteiligung" - z. B. im Gesundheitswesen - diskutieren müssen. Wir wissen doch, daß heute viele Mitbürger mit noch so unbedeutenden Wehwehchen deshalb zum Arzt gehen oder sich gar krankschreiben lassen, weil es nichts kostet, weil alles zum Nulltarif geht. Ich bin der Meinung, auch an diesen Kosten kranken wir.
Es bleibt die bange Sorge, die unsere Mitbürger bewegt: Wie kommen wir wieder aus dieser wirtschaftlichen Misere heraus? Denn sie spüren, daß der bisherige Weg nur in eine Sackgasse geführt hat.
Wir wissen auch, daß 20 staatliche Konjunkturprogramme mit einem Volumen von 80 Milliar4636
den DM verraucht sind, daß sie sich in Nichts aufgelöst haben und daß wir heute noch an diesen Milliardenschulden herumstottern. Deswegen ist es uns einfach unverständlich, daß man wieder in die Mottenkiste greift, um ein neues staatliches Beschäftigungsprogramm
({8})
aufzulegen. Dieser Bundeshaushalt, den wir jetzt zu verabschieden haben, hätte ja die Chance geboten, mehr vom konsumtiven in den investiven Bereich umzuschichten; das hätte z. B. der Bauwirtschaft die Krise, in der wir uns befinden, ersparen können. Wir müssen hier also mehr umschichten, und dies nicht erst dann, wenn der Jahreswirtschaftsbericht vorliegt. Wir hätten es vielmehr in diesem Haushalt tun müssen. Aber das ist versäumt worden.
Zum Stichwort „Wohnungsbau": Bayern und Baden-Württemberg haben gehandelt. Dort hat man die Erhöhung der Zinsen - die Fehlbelegungsabgabe - eingeführt. Nordrhein-Westfalen, wo der Herr Farthmann ein 80-Milliarden-DM-Konjunkturprogramm verlangt, zögert,
({9})
und wie ich gehört habe, denken die überhaupt nicht daran, das in diesem Jahr einzuführen.
({10})
Es gibt keine Patentrezepte zur Wiederherstellung einer besseren Beschäftigungslage, aber wir können doch, um es ganz simpel auf drei Punkte zu bringen, folgendes sagen. Die zeitliche Abfolge muß lauten: erstens mehr Wettbewerbsfähigkeit auf in-und ausländischen Märkten durch Kostenentlastung;
({11})
zweitens mehr Investitionen; nur dann gibt es wieder Erträge, und eben diese Erträge können dann verwendet werden, um drittens Arbeitsplätze zu schaffen.
Dann, wenn wir als Folge dieser Politik mehr Leute beschäftigen können, sind wir einem wichtigen Ziel einen Schritt nähergekommen. Jeder andere Weg ist von Übel. Unsere derzeitigen Probleme sind Strukturprobleme; die sind nicht mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen allein zu lösen. Das ist genauso falsch, wie wenn man einem Todkranken, der Schmerzen hat und der dringend einen chirurgischen Eingriff braucht, Morphium gibt; wenn er aus diesem Trancezustand wieder aufwacht, ist er erstens rauschgiftsüchtig und zweitens kränker als vorher.
Bisher haben wir gewußt, daß wir uns auf diesem Wege mit der FDP einig sind. Die Reden von Herrn Hoppe und von Frau Matthäus geben uns auch die Hoffnung, daß wir auf diesem Wege mit der FDP einig bleiben. Wir erwarten heute, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, endlich klar Stellung nehmen. Ihr Ansprechpartner hier ist der Deutsche Bundestag!
({12})
Wir haben keine Ständedemokratie. Ich halte nichts davon, daß überall mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen diskutiert wird, daß der Herr Bundeskanzler, statt hierher zu kommen, eine Interessengruppe unseres Volkes nach der anderen empfängt, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber und was weiß ich wen,
({13})
statt hier, im Parlament, das zuständig ist, über die Beschäftigung zu diskutieren.
({14})
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich erwarte von Ihnen, daß Sie heute Klartext reden. Es gibt genug widersprüchliche Äußerungen aus der Vergangenheit. Wir sind gespannt, ob hier aus Opportunismus oder aus Koalitionsräson - oder wie immer man es nennen will - wieder faule Kompromisse geschlossen werden. Ich kann nur sagen: Einen politischen Kuhhandel zwischen der SPD und der FDP, der möglicherweise so aussieht: Tolerierung eines Beschäftigungsprogramms alter Prägung und dann vielleicht Beendigung der Hatz auf den Bundeswirtschaftsminister, werden wir nicht hinnehmen. Nur eine konsequente Rückkehr zur Marktwirtschaft wird uns aus diesen Schwierigkeiten herausführen. Und in die Marktwirtschaft muß auch der Preis für Arbeit wieder einbezogen werden.
({15})
Der Wirtschaftssprecher der SPD und ehemalige Juso-Vorsitzende Roth hat ebenso wie heute der Kollege Grobecker sich darin zu profilieren versucht, daß er sich ständig an der Bundesbank reibt. Roth hat jüngst im „Handelsblatt" behauptet, nicht die Löhne, sondern die Zinsen seien zu hoch und die eigentliche Ursache der Misere. Er macht sich mit solchen Aussagen vielleicht beim DGB beliebt. Aber an der Wirklichkeit redet er vorbei.
({16})
Es ist nicht das Geschäft der Opposition, die Bundesbank vor unqualifizierten Angriffen von Regierungsabgeordneten in Schutz zu nehmen. Aber von einer Überregierung oder einem chaotischen Kurs zu sprechen, wie es Herr Roth getan hat, geht zu weit. Es ist ein mißlungener Versuch, Ursache und Wirkung zu verwechseln.
Ich fasse zusammen: Die hohen staatlichen Defizite, ausgelöst durch die hemmungslose Schuldenpolitik nach dem Motto „Nach uns die Sintflut", sind die wahren Ursachen des hohen Zinsniveaus
({17})
und der sich lähmend auf unsere Wirtschaft legenden Investitionsschwäche.
({18})
Eine Absenkung dieser Defizite wäre das allerbeste Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm. Ich kann nur sagen: Solange diese stabilitätspolitischen Aussteiger wie der Herr Matthöfer auf der Regierungsbank sitzen, habe ich nur schwache Hoffnung, daß dies besser wird.
Vielleicht liegt auch darin der Grund, daß immer weniger Menschen in unserem Land Lust haben, sich selbständig zu machen. Vor allem die Kinder der Selbständigen haben die Nase voll und steigen hier aus. Es ist heute doch viel risikoloser, irgendwo in den öffentlichen Dienst zum Staat zu gehen. Vom BAföG direkt zur Pensionsberechtigung: das ist es, was man sich heute in unserem Land wünscht.
({19})
Das alles sind alarmierende Zeichen. Unser Land ist groß geworden, weil durch Erfindergeist, durch Unternehmertum in Waschküchen, in Hinterhöfen Unternehmen entstanden sind, die heute Weltgeltung haben.
Dazu gehört auch, daß wir nicht die Aussteiger oder die Grünen in den Mittelpunkt unserer gesellschaftlichen Betrachtungen stellen, sondern auch Fleiß und Leistung wieder stärker anerkennen.
({20})
Die „Financial Times" schreibt über die Bundesrepublik:
Im Ausland entwickelt die Bundesrepublik gegenwärtig ein neues Image. Es ist das eines alternden Boxchampions, der ein bißchen fetter und viel langsamer geworden ist, der murmelt, daß er immer noch der Größte sei, auch wenn er schon längst groggy in den Seilen hängt.
({21})
Die FDP hat einst das Kabinett Erhard wegen unüberbrückbarer Gegensätze anläßlich einer Dekkungslücke von nur drei Milliarden DM verlassen. Heute sind es 40 Milliarden Defizit allein beim Bund. Aber man macht munter mit. Ich kann nur sagen: Steigen auch Sie aus! Kommen Sie rüber zu uns!
({22})
Treiben wir wieder eine bessere Politik! Dann kommen wir auch aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten heraus.
({23})
Meine Damen und Herren, zwischen den Fraktionen ist vereinbart, daß eine Mittagspause eingelegt wird. Die verbundene Debatte wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird wieder aufgenommen.
Wir fahren in der Beratung des Einzelplans 09, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, fort. Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie wenigstens noch gekommen sind, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit schon jetzt am Anfang meiner Rede; sonst wäre ich mit dem Präsidium ganz alleine gewesen.
({0})
Herr Kollege Grobecker hat heute morgen gesagt, er habe das Gefühl, hier werde in Stereo gesprochen. Die Stereoplatte hat offensichtlich einen Sprung; denn am laufenden Meter wiederholt sich dasselbe. Alle Ihre Redner haben fast das gleiche gesagt. Obendrein scheint es sich um eine Live-Aufnahme eines Happenings zu handeln; denn nach dem bekannten Strickmuster „ein 'schlicht, ein 'kraus" tritt von Ihrer Fraktion jeweils einer auf, der fordert, daß gespart werden müsse, und einer, der jammert, daß für bestimmte Dinge nicht genügend Geld ausgegeben worden sei.
Herr Glos ist natürlich Haushälter genug - das unterscheidet ihn von Herrn Wörner; nicht nur der Dialekt -, um so schlau zu sein, keine Zahlen zu nennen. Wenn ich das, was Sie gerne gehabt hätten, zusammenrechne, Herr Glos, so sind das zwar keine 20 Milliarden DM; aber auch Sie haben im Haushaltsausschuß natürlich Forderungen aufgestellt, die, hätte man sie insgesamt erfüllt, den Wirtschaftshaushalt ganz schön aufgebläht hätten. Wie wollen Sie diese Forderungen eigentlich mit Ihrer Forderung zum Sparen in Einklang bringen?
({1})
- Sie haben keine Deckungsvorschläge gemacht, lieber Herr Kollege Glos. Jedenfalls waren Sie nicht realistisch, weil das Geld schon an anderer Stelle von Ihren Kollegen verfrühstückt worden ist. Das ist ein Problem des Abstimmungsprozesses, der in Ihrer Partei nicht funktioniert. Als Deckungsvorschläge war das leider nicht zu gebrauchen.
Lieber Herr Kollege Riedl - er ist leider nicht da; vielleicht liest er es nach -,
({2})
ich finde es nicht fair, sich jetzt hierhin zu stellen und mit Krokodilstränen einer sachlichen Debatte über Arbeitslosigkeit zu begegnen. Plötzlich entdekken Sie nämlich die Arbeitslosen, nachdem Sie Wochen- und monatelang durch die Lande gelaufen sind und die deutschen Arbeitnehmer als faul beschimpft, als Leute bezeichnet haben, die in der Hängematte liegen.
({3})
- Genau das haben Sie gemacht. Wer hat denn das böse Wort von der Hängematte aufgebracht? Wer wollte denn die Karenztage einführen?
({4})
Wer wollte denn die Arbeitslosenunterstützung kürzen?
({5})
Wer hatte denn heute morgen als Antwort auf die von Herrn Hoffmann vorgebrachten Zahlen die Empfehlung zur Hand: „Gehen Sie doch mal hin zu dem Arbeitslosen und unterhalten Sie sich mit ihm", anstatt sachlich auf die Fragen einzugehen? Das waren doch Sie, das waren doch nicht wir.
({6})
Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?
Ja.
Frau Kollegin Simonis, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir in diesem Hohen Hause den Beweis für die Äußerungen lieferten, die Sie mir soeben unterstellt haben. Ich darf Ihnen versichern, daß ich solche Äußerungen nie gemacht habe. Darf ich Sie bitten, das entweder zu belegen oder Ihre Kritik an mir zurückzunehmen?
Herr Riedl, Sie sind ein bißchen spät in den Saal gekommen.
({0})
Ich habe Sie persönlich gar nicht angeguckt. ({1})
Herr Kollege Riedl, ich habe nur gesagt: Krokodilstränen hier zu vergießen
({2})
- Krokodilstränen -, nachdem Ihre Fraktion die ganze Zeit von der „sozialen Hängematte" geredet hat.
({3})
Dieses paßt irgendwo nicht ganz zusammen. Ich habe Sie gar nicht persönlich gemeint. Ich werde gern die entsprechenden Zeitungsartikel über Aussagen von Mitgliedern Ihrer Partei zusammenstellen lassen und Ihnen übersenden.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Ja, natürlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Glos.
Frau Kollegin, könnte es sein, daß Sie etwas zu sehr in die Ferne gedacht haben und die FDP schon auf der anderen Seite sehen, weil Sie sie so sehr beschimpfen? Würden Sie mir bitte bestätigen, daß es Herr Genscher war, der diesen Begriff der „sozialen Hängematte" in die allgemeine politische Diskussion eingeführt hat?
({0})
Wer denn noch? Genscher, Brandt, wer denn noch?
({0})
Herr Kollege Glos, soweit war ich gar nicht wie Sie. Bis Japan war ich noch gar nicht gekommen. Machen Sie es doch zuerst einmal untereinander aus, wer es alles gesagt haben soll. Jedenfalls war es Ihre Partei, die es gesagt hat.
({1})
Ich habe dem Kollegen Riedl j a schon angeboten, entsprechende Presseartikel zusammensuchen zu lassen. Ich schicke Ihnen davon gern eine Kopie.
({2})
Herr Glos, Sie waren heute morgen weit weg, nicht ich. Sie waren fernöstlich, Sie waren in Japan und haben das dortige Beispiel als Musterbeispiel für die deutsche Wirtschaftspolitik herangezogen. Sie waren sogar noch so tollkühn zu sagen, in Japan ginge alles so gut, weil die Leute mehr Vertrauen in die Wirtschaft ihres Landes haben.
Nein, in Japan geht alles so gut, weil dort eine soziale Sicherheit aufgebaut worden ist, die gleich Null ist. In Japan geht alles so gut, weil dort kein Mensch von Marktwirtschaft auch nur träumt, weil dort Unternehmer, Regierung und Banken eine ganz scharfe Planwirtschaft betreiben.
({3})
Wenn Sie das wollen, können wir uns darüber unterhalten. Nur: Es ist ein schlechtes Beispiel, für uns ausgerechnet Japan zu nennen, wenn Sie dauernd Eucken im Munde führen und predigen, daß wir uns an ihn halten sollen.
({4})
- Ich möchte nicht dorthin fahren. Sie können einmal dorthin fahren und sich dann um die Probleme dort kümmern.
({5})
In der Tat steht die deutsche Wirtschaft vor einem Anpassungsprozeß nicht geahnten Ausmaßes. Sie
haben heute morgen die Tatsache der internationalen Verflechtungen bestritten und in einer Art Stammtischmanier einer anökonomisierte Betrachtungsweise des Wirtschaftskreislaufs vorgetragen, der in umgekehrter Richtung als sonst vorgetragen lief. Das hätte eigentlich dazu führen müssen, daß einer aus Ihrer Partei aufsteht und sagt: Das kann doch alles nicht stimmen, was Sie heute morgen hier vorgetragen haben.
Da wird behauptet, daß die hohen Zinsen nicht vom Ausland beeinflußt sind, obgleich jeder weiß, daß eine so exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche sich natürlich am amerikanischen Zinsniveau orientieren muß
({6})
- sie muß nicht; die Bundesbank macht das -, damit nicht die Unternehmer ihr Geld ins Ausland bringen, statt in der Bundesrepublik zu investieren.
({7})
Das, was Sie heute morgen beschrieben haben, Herr Kollege Glos, ist genau unser Problem, nämlich daß die Unternehmer zu faul sind, um zu investieren, sondern lieber zu ihrem Anlageberater bei der Bank gehen und fragen: Wo kann ich denn am zinsgünstigsten mein Geld in Staatspapieren anlegen?
({8})
Das ist der Schumpetersche Unternehmer, von dem Sie dauernd reden! Ich meine, ein bißchen Risikofreudigkeit wäre vielleicht schon ganz angebracht, wenn man hier von einem wirklich wagemutigen Unternehmer sprechen möchte.
Herr Kollege Glos, ich habe Sie nicht persönlich gemeint. Ich weiß, daß Sie Ihre Mühle natürlich immer durch gute Investitionen auf der Höhe der Zeit halten.
({9})
- Im Moment bitte nicht; später vielleicht gern wieder.
Meines Erachtens sind nicht die beklagten, angeblich zu hohen Lohnabschlüsse der Konjunkturkiller Nummer eins, sondern die Zinsen. Welcher Unternehmer wird denn bei diesem prohibitiven Zinsniveau überhaupt auf die Idee kommen zu investieren? Obendrein kommt hinzu, daß die Deutsche Bundesbank abwechselnd sowohl an der Zinsschraube als auch an der Wechselkursschraube als auch an der Geldmengenschraube dreht.
({10})
Man kann sich im Grunde genommen bei dieser Gemengelage auf kein einziges Datum verlassen, das von dort als Signal herüberkommt.
Dies ist übrigens nicht nur meine Meinung, sondern das sonst normalerweise mit mir nie übereinstimmende Kieler Institut für Weltwirtschaft ist derselben Meinung. Es findet in einem der letzten Gutachten sogar ziemlich scharfe Worte zu der etwas
merkwürdigen Politik der Bundesbank. Wir sollen sie j a nicht angreifen, aber wir dürfen sie j a ein bißchen kritisieren.
({11})
Heute morgen ist wiederholt von Ihnen das amerikanische Beispiel vorgetragen worden, das wir als Rezeptur für die deutsche Wirtschaft gebrauchen sollten. Sind Sie ernsthaft der Meinung, daß das etwas ist, dem man nacheifern kann? In Amerika steigen die Zinsen, seit 1981 ist die Industrieproduktion um 6,5 % zurückgegangen, und das Bruttosozialprodukt hat im letzten Quartal des vorigen Jahres um 3 % abgenommen. Es steigt nicht nur die Inflationsrate, sondern es steigen auch die Arbeitslosenzahlen. Nach einer, fast muß man schon sagen, dramatischen Notsitzung westlicher Finanzminister hat nun auch die amerikanische Geschäftswelt leise Zweifel, ob der monetaristische Ansatz, an den Reagan offensichtlich genauso unbeirrbar wie Madame Thatcher glaubt, wirklich das Richtige ist. Eins zeichnet beide aus: Eine gewisse Dickköpfigkeit und Lernunfähigkeit, aus Daten und Signalen der Wirtschaft eine Art Trendwende der eigenen Politik herbeizuführen.
({12})
Diese Dickköpfigkeit scheint auch die CDU auszuzeichnen, wenn sie nicht begreifen will, daß das keine Rezeptur ist, die man unserer Wirtschaft überstülpen und dabei hoffen kann, daß auf diese Art und Weise sozialer Friede und Demokratie gewahrt bleiben können.
({13})
Ich hatte die Ansteckungsgefahr einer solchen Argumentation für geringer gehalten; denn immerhin beruht ja das Wissen über die Soziale Marktwirtschaft auf Theorien, die in Deutschland entwickelt wurden und die in der Tat das Gewicht mehr auf die Nachfrageseite - selbst bei Ordoliberalen -, nicht nur auf die Angebotsseite, gelegt hatte. Lohn und Einkommen sind nicht nur Kostenfaktoren, Lohn und Einkommen sind auch Nachfragefaktoren. Wer soll denn die schönen Produkte, die mit den angeblich billigen Löhnen und den billigen Zinsen produziert werden, kaufen, wenn wir nicht die entsprechende Nachfragekraft auf der anderen Seite schaffen? Die Kette kann doch nur heißen: Geringe Löhne, Produkte, die nicht verkauft werden, auf denen man dann sitzen bleibt, geringere Gewinnerwartung, und daraus schließen Sie: Dann müssen wieder die Löhne sinken. Der Kreislauf läuft und läuft und läuft. Ich halte dies für die falsche Rezeptur. Ich bin der Meinung, daß es genau umgekehrt laufen muß
({14})
- damit stehe ich übrigens nicht allein -, daß der Lohn ein Nachfragefaktor ist, der auf dem Markt den Unternehmern hilft, wieder zu kalkulieren, was sie verkaufen können, welche Marktanteile sie bei ihren Dispositionen auf die Dauer halten können.
({15})
- Ich bin überhaupt auf keinem Dampfer, ich stehe hier auf dem Podium vor dem Deutschen Bundestag.
({16})
Im übrigen werde ich auf Dampfern normalerweise so seekrank, daß ich nicht freiwillig darauf steigen würde.
({17})
Sie empfehlen uns als Rezeptur die Exporte, die j a in der Vergangenheit tatsächlich eine gewisse stabilisierende Wirkung gehabt haben; aber ich finde, daß dies nicht sehr realistisch ist. Immerhin hat uns Reagan bereits eine Art von Handelskrieg angedroht, natürlich in seiner vornehm zurückhaltenden Art und Weise, nicht sofort: Er läßt uns noch ein bißchen Zeit, Besserung zu zeigen. Aber immerhin, er sagt, er sehe sich zu Sanktionen gezwungen, wenn nicht Japaner und Europäer sofort und auf schnellstem Wege ihre Märkte für amerikanische Produkte öffneten. Das ist dann die „freie" Wirtschaft, wie sie in Amerika praktiziert wird, die Partner zu bedrohen und sich mit Sanktionen den Weg für die eigenen Waren frei zu machen, die man offensichtlich sonst nicht verkaufen kann.
({18})
- Natürlich, die „bösen" Amerikaner auf diesem Gebiet. Wer Handelskriege macht, und mit Sanktionen droht, der ist, wirtschaftspolitisch gesehen, tatsächlich ein „böser" Amerikaner.
({19})
Das ist wahr. Ich sehe das auch so.
Wir hängen in der Tat - auch dies ist heute morgen geleugnet worden, und ich möchte gerne einmal wissen, woher Sie diese Zahlen wieder haben - in noch viel zu starkem Maße von Importen von Ö1 aus den Ölländern ab. Der Anteil der Rechnung hat in diesem Jahr 4,5 % unseres Bruttosozialproduktes betragen, während er noch vor ein paar Jahren nur 1 % betrug. Der Anpassungsprozeß „Weg vom Öl", wie ihn die Kollegin Matthäus-Maier heute morgen als den einzig richtigen Weg bezeichnet hat, ist durch die künstliche Wechselkurspolitik der Bundesbank lange Zeit erschwert worden. Eine ganze Zeitlang wurden Importe verbilligt, auch Ölimporte, so daß es gar nicht nötig war, sich vom Öl wegzubewegen. Man konnte es noch relativ billiger einkaufen, und wir haben noch heute mit den strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Leider Gottes hat auch die öffentliche Hand diesen Anpassungsprozeß nicht schnell genug vorangetrieben. Der Ausbau von Fernwärme ist leider Gottes immer nur als ein Restposten im Haushaltsetat des Wirtschaftsministers stehengeblieben und nicht in genügendem Maße angelaufen.
Offensichtlich haben diese strukturellen Schwierigkeiten die Wirtschaftsinstitute, die uns j a beraten sollen, dazu verleitet, uns alle Vierteljahr eine neue Prognose auf den Tisch zu legen. Dann wird es natürlich nicht ganz einfach zu wissen, welchen Weg
man eigentlich einschlagen sollte. Hieß es heute noch: auf keinen Fall ein Programm, heißt es plötzlich: doch ein Beschäftigungsprogramm. Hieß es gestern: keine öffentliche Verschuldung, heißt es plötzlich: natürlich öffentliche Verschuldung. Waren gestern die Zinsen zu niedrig, sind sie heute plötzlich zu hoch. Wer um Gottes willen soll sich denn in diesem Zickzack und Hühott, Hin und Her zurechtfinden.
({20})
- Es handelt sich im übrigen, damit Sie nicht an der falschen Stelle klatschen,
({21})
immer um die gleichen Zahlen und die gleichen Institute, die lediglich jedes Vierteljahr bei gleichem Tatbestand zu einer anderen Erkenntnis kommen. Das macht es schwierig. Es kann sein, daß Sie jetzt Ihren Applaus zurückziehen.
({22})
Es mag verständlich sein, daß sich innerhalb dieses Zickzacks auch die CDU nicht mehr zurechtgefunden hat. Da ruft der Kollege Kiep den Kollegen Stoltenberg ganz energisch zurück, der vorsichtig anklingen ließ, daß er für eine höhere Nettoverschuldung und für ein Beschäftigungsprogramm sei. Dieser wiederum konnte glauben, daß ihn der Kollege Albrecht unterstützen würde; denn er hatte j a signalisiert, er würde im Bundesrat nicht widersprechen. Beide sahen sich plötzlich mit einer ganz neuen vermögenspolitischen Initiative des Kollegen Späth konfrontiert. Dann sagt Herr Kiep: Njet, da findet überhaupt nichts statt.
({23})
Ich nehme an, Sie waren alle zusammen wieder ein bißchen verwirrt, hatten den Abstimmungsprozeß noch nicht zu Ende gebracht, und es ging hier um zwei Denkschulen, nämlich die der Pragmatiker, die genau wissen, daß man etwas tun muß - sowohl Stoltenberg als auch Albrecht sind leider Gottes pleite, was ich bedauere -, und die der Generalisten, die hier versammelt sind,
({24})
die natürlich um des Prinzips willen hier nein sagen mußten.
Im übrigen mußte der Kollege Kiep nein sagen; denn er war da einmal im Kabinett. Was „Die Welt", die sich sonst immer damit beschäftigt, unsere Wirtschaftspolitik zu kritisieren, über die Wirtschaftspolitik des Landes Niedersachsen gesagt hat, reicht von „erschreckend" bis „katastrophal". Daran sind Sie noch mit schuld. Sie sind noch nicht lange genug hier, um zu sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Das können Sie vielleicht in vier Jahren sagen. An der katastrophalen Wirtschaftspolitik des Landes Niedersachsen, lieber Kollege Kiep, sind auch Sie mit beteiligt, und deswegen mußten Sie nein sagen und Presseartikel zurückweisen, die sich sehr kritisch mit der Wirtschaftspolitik des Landes
Niedersachsen auseinandersetzen. Es geht hier nicht um Denkschulen, sondern um das Abdunkeln einer Initiative des Kollegen Stoltenberg, der als Pragmatiker sehr wohl weiß, was er wollte.
Sie fördern einen Attentismus bei „Ihren Leuten", bei den Unternehmern. Diese Unternehmer brauchen bloß darauf zu warten, wer sich durchsetzt: Kiep oder Stoltenberg, Albrecht oder Späth. Passieren wird auf jeden Fall etwas - das wissen sie -, und auch Sie werden eines Tages nachgeben. Die Unternehmer werden sich hüten, jetzt zu investieren, wenn offensichtlich schon von gewichtigen Kollegen der CDU signalisiert wird, daß irgend etwas gemacht werden wird, wie es auch immer aussieht; es könnte eine Art von Beschäftigungs- oder Konjunkturprogramm werden. Deswegen kann man es ihnen nicht einmal zum Vorwurf machen, wenn sie in Ruhe abwarten, wann endlich die letzte Bastion des Widerstandes hier im Bundestag, nämlich die CDU/CSU, gegen die Integration von Arbeitslosen fallen wird.
({25})
- Ich rede von Ihnen und Ihrer Wirtschaftspolitik, die nämlich im Zickzack läuft und zwischen Hü und Hott wechselt.
({26})
Wir haben uns wenigstens bemüht, einen Pfad zu finden.
Ich sagte schon, daß es die einzige Entschuldigung, die ich dafür finden konnte, war, daß sich innerhalb der Daten, die uns von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten geliefert wurden, niemand so richtig zurechtfinden konnte. Im übrigen sind wir durch alle Parteien hindurch eigentlich alle der Meinung, daß zunächst die Unternehmer aufgefordert sind, für Arbeitsplätze zu sorgen. Das kann aber nicht so gehen, wie es uns heute morgen aus alarmierenden Nachrichten aus der Presse und in Telegrammen bekanntgegeben wurde, daß die fristlose Entlassung von über 1 000 Kollegen in Ulm womöglich noch als unternehmerische Initiative gefeiert werden wird, um sich zu sanieren und um so die verfehlte Politik dieses Unternehmens zu beenden. Nicht durch solche kurzfristigen Maßnahmen, auch nicht durch die dauernde Wiederholung, die Regierung müsse zurücktreten, auch nicht durch Hü und Hott, sondern nur durch eine Wirtschaftspolitik, die auf Grund sich verstetigender Daten Signale dort setzt, wo wir gern Aktivitäten hätten, können wir auf Dauer dafür sorgen, daß die 1,7 Millionen Arbeitslosen wieder untergebracht werden können.
({27})
- Sagen Sie doch einmal dem einen Arbeitslosen, den Herr Riedl heute morgen erwähnt hat, daß Sie alles, was Beschäftigungspolitik heißt, als Aktionismus abtun. Dann machen Sie sich bitte die Mühe
und machen den Herrn ausfindig, den Herr Riedl uns heute morgen „vorgeführt" hat!
({28})
Ich denke, bevor wir uns jetzt lange über Aktionismus streiten, sollten die Chancen dieses Haushalts wahrgenommen werden. Gerade im Haushalt des Wirtschaftsministers befinden sich ja einige Titel, mit denen man ganz gezielt strukturell, sektoral helfen kann. Angefangen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Regionalpolitik" bis hin zum Ausbau der Fernwärme könnten Mittel, die Jahr für Jahr stehenbleiben, direkt in die Wirtschaft hineinfließen und helfen, daß dort Arbeitsplätze geschaffen werden.
Warum dagegen beispielsweise immer noch Gelder eingesetzt werden, um deutschen Unternehmern bei der schnellen Einführung energiesparender Technologien und Produktionsprozesse zu helfen, will mir nicht ganz einleuchten. Das muß doch eines Tages mal aufhören. Angesichts einer sich dauernd verteuernden Energie glaube ich nicht, daß der Staat verpflichtet ist, weiterhin Gelder dafür auszugeben, daß Unternehmer aus ihrer Energierechnung endlich die richtigen Schlußfolgerungen ziehen, nämlich Energie zu sparen, bestimmte Technologien einzusetzen und sich das nicht immer erst durch Gelder aus dem Bundeshaushalt finanzieren zu lassen.
({29})
Ein bißchen Lernwilligkeit wird man doch wohl auch bei deutschen Unternehmern unterstellen dürfen, auch ein bißchen Lernfähigkeit.
Die Diskussion über die Verschuldung der öffentlichen Hände nahm heute morgen zum Teil, finde ich, die Form von „Kunst an sich", l'art pour l'art an, weil nicht mehr diskutiert wurde, warum und wieso diese Verschuldung entstanden ist. Der Vorwurf, die Bundesregierung hätte in Zeiten besserer Konjunktur ihren Haushalt konsolidieren sollen, zeugt eigentlich nur von der Kurzlebigkeit politischer Geschehnisse. Jeder von uns fühlte sich geschmeichelt, als auf dem Weltwirtschaftsgipfel die Deutschen plötzlich zur „Lokomotive" erklärt wurden und die die Weltkonjunktur wieder auf die Beine stellen sollten. Und wir sind darauf reingefallen, weil wir nämlich auf dem OECD-Weltwirtschaftsgipfel in Bremen den Kladderadatsch vermeiden und nicht mit der Bundeshaushaltsordnung sagen wollten: wir müssen jetzt sparen. Wir sind darauf hereingefallen und haben gesagt: Na gut, dann machen wir eben die „Lokomotive". Ich kann nur sagen: Wir hätten es lieber nicht machen sollen, wir hätten besser die anderen gezwungen, ihre eigenen Ideen, ihren eigenen Kopf, ihren eigenen wirtschaftlichen Sachverstand einzusetzen.
({30})
Wir haben die „Lokomotive" gemacht, statt mit der Konsolidierung die Mittel freizuschaufeln, die wir heute nötig hätten, um Arbeitsmarktprogramme zu finanzieren und damit vielleicht die Beschäftigung wieder anzukurbeln.
Ich kann mir vorstellen, daß der Bremer Weltwirtschaftsgipfel dann sehr viel unfreundlicher verlaufen wäre. Nun haben wir heute mit den Folgen zu
kämpfen. Das bedeutet auch, daß uns eine ganze Generation von Jugendlichen eines Tages fragen wird: Was habt ihr eigentlich getan, damit wir unsere Lebenschancen durch eine qualifizierte und vernünftige Ausbildung wahrnehmen konnten, um einmal selber unseren Lebensunterhalt verdienen zu können?
Und nebenbei: Von diesem Haushalt ging noch 1981 - so jedenfalls die Berechnungen des DIW - immerhin Nachfrageimpulse in Höhe von 14 Milliarden DM auf die deutsche Wirtschaft aus, deren Wirksamkeit doch nicht zu leugnen sind. Das einzige Problem war: sie wurden nicht gebündelt zur Bekämpfung der Rezession eingesetzt, sondern zerstreuten sich über den ganzen Haushalt und haben daher auch nicht geballt in bestimmten Sektoren wirken können.
Wenn der wirtschaftliche Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten dafür plädiert, daß wir weiterhin konsolidieren und gleichzeitig Kredite aufnehmen, so wird das ein bißchen schwierig. Er meint damit wohl eine Umstrukturierung der Schulden. Der Sachverständigenrat kann damit aber nicht meinen, daß wir durch blindes Streichen ausgerechnet jene Nachfrageimpulse kaputtmachen. Vielmehr müssen wir sie verstärken. Ich nehme an, genau dieser Zusammenhang, daß auch Schulden in bestimmten Situationen ihre positiven Wirkungen haben, wurde von dem von Ihnen so sehr verehrten und so oft zitierten Schumpeter gesehen, als er sagte: „Auf Schulden reitet das Genie zum Erfolg."
({31})
Wir hoffen, daß dieser Genius die Regierung beflügeln wird und daß sich der wirtschaftliche Erfolg im nächsten Jahr einstellen wird.
Ich darf Sie bitten, dem Haushalt des Wirtschaftsministers zuzustimmen. - Herzlichen Dank.
({32})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Essen noch starker bayerischer Tobak: Herr Glos nähert sich jetzt doch immer mehr dem Bayernkurier an. Ich möchte einfach einmal die kleinen Unverschämtheiten gegen den Bundeswirtschaftsminister zurückweisen.
({0})
Was an dem Beitrag meiner verehrten Kollegin bedauerlich war - ich versuchte es im letzten Jahr schon etwas zu ändern -, war das Tempo. Ich habe
bemerkt, daß die Süddeutschen nicht mehr in der Lage waren, ihre Zwischenrufe unterzubringen.
({1})
Nach mir wird kein geringerer als Herr Kiep, der Koordinator der Wirtschaftspolitik der Union, reden. Ich möchte ihm einige Fragen stellen,
({2})
weil die deutsche Wirtschaft natürlich nicht nur über verschiedene Aussagen der Koalition, sondern auch der Opposition, lieber Herr Riedl, verunsichert ist. Ich habe gelesen, daß Herr Stoltenberg zunächst für eine beschränkte Neuverschuldung wäre, Herr Albrecht Beschäftigungsprogramme nicht blockieren möchte und Herr Kiep das Ganze wieder eingesammelt hat. Zu guter Letzt hat sich dann Herr Rommel aus meinem Heimatland Baden-Württemberg gemeldet. Er hat den Gemeinden den Freibrief für eine Gewerbesteuererhöhung in Aussicht gestellt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, daß die mittelständischen Wirtschaftsverbände ihren Mitgliedern diese CDU-Politik zur Kenntnis bringen. Es ist hochinteressant, was hier gesagt wurde.
({4})
Aber damit nicht genug. Herr Rommel hat nicht nur uns, sondern auch den Sozialdemokraten gleichzeitig noch gezeigt, was eine Harke ist. Er hat nämlich flugs eine Sondersteuer für die besser Verdienenden ins Gespräch gebracht, etwa nach dem Motto: Diejenigen, die jetzt eigentlich investieren sollten, werden vorher noch einmal steuerlich bestraft. Es gibt also viel zu tun, Herr Kiep.
Ich denke in diesem Zusammenhang auch daran, daß Herr Abelein gestern sehr undifferenziert Wirtschaftssanktionen und insbesondere das Erdgasgeschäft der westeuropäischen Länder praktisch zur Diskussion gestellt hat. Er hat uns aufgefordert, von diesem Geschäft abzurücken. Ich persönlich bin der Meinung, Sie sollten als CDU-Politiker dem Deutschen Bundestag nachher sagen, wo die Union gerade in dieser zentralen Frage der Wirtschaftssanktionen steht.
Meine Damen und Herren, leider gibt es auch in der Koalition Mißverständnisse und Aufgeregtheiten.
({5})
Dies ist angesichts der Herausforderungen des Arbeitsmarkts, die die FDP sieht, höchst bedauerlich und darf so nicht bleiben. Ich glaube, es ist daher an dieser Stelle wichtig, daß ich - wie meine Kollegin Frau Matthäus-Maier - die Position der FDP nochmals verdeutliche.
({6})
- Ja, wir haben das Bedürfnis, das an dieser Stelle zu tun.
({7})
Wir sind nach wie vor - dies wird auch so bleiben - gegen jegliche kurzfristigen beschäftigungspolitischen Programme,
({8})
weil sie unserer Wirtschaft in ihrer gegenwärtigen strukturellen Anpassungskrise nicht helfen können.
({9})
Wir sind nicht bereit, uns einem auch noch so kunstvoll arrangierten Handlungszwang zu beugen, nur weil etwas getan werden müßte, wie so oft gesagt wird.
({10})
Wir sind der Meinung, nicht derjenige tut etwas für die Beschäftigung, der angesichts leerer Kassen täglich nach dem Staat ruft, sondern eher derjenige, der konsequent mit der Leidenschaft der Vernunft,
({11})
wie der Kanzler zu sagen pflegt, daran arbeitet, daß eine Zinssenkung möglich wird und daß mehr private Investitionen in Gang kommen. Dies ist und bleibt die FDP-Position.
({12})
Es ist doch ein schlechter Witz, daß einzelne CDU-und SPD-Politiker bereits in der Wirtschaftspause, Entschuldigung, in der Weihnachtspause - ({13})
- Meine Damen und Herren, dieser Versprecher eben ist mir deshalb unterlaufen, weil ich in der viel zu kurzen Mittagspause das gesamte Präsidium eines Wirtschaftsverbandes zu Gast hatte und auf die Frage, ob ich nicht die vier Gänge mitessen wolle, sagen mußte: Nein, Weihnachten wirft nach wie vor seine Falten.
({14})
- Ich höre da eine Menge billiger Zwischenrufe, die ich nicht nur aus Zeitgründen nicht beantworten möchte.
Ich fahre fort: Meine Damen und Herren, es ist ein schlechter Witz, daß bereits in der Weihnachtspause neue, zusätzliche Beschäftigungsschritte vom Staat gefordert wurden, obwohl die letzten Entscheidungen erst am 18. Dezember - ich wiederhole: am 18. Dezember - des letzten Jahres von uns selbst getroffen wurden. Dieses blinde Ankündigen schadet gewaltig und untergräbt darüber hinaus das Vertrauen in unser parlamentarisches Handeln: daß wir selbst nicht bereit sind, die Wirkungen unserer eigenen Entscheidungen überhaupt abzuwarten. Wie soll sich denn z. B. eine Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes nach zwei Wochen auswirken? Da muß man eben etwas Geduld haben und warten, was aus dieser Abschreibungserleichterung im Laufe des Sommers wird.
Ich möchte daher, was die Beschäftigungsdiskussion angeht, zumindest für meine Person, hier sagen,
({15})
- ich glaube, nach der ausführlichen Diskussion in der letzten Woche in meiner Fraktion spreche ich auch für die FDP-Fraktion -,
({16})
daß wir weder Anlaß noch Sinn darin erkennen können, weitere staatliche finanzwirksame Beschäftigungsprogramme zu erwägen, bevor nicht feststeht, welchen Beitrag der öffentliche Dienst und die Tarifabschlüsse in der privaten Wirtschaft leisten werden, um die Beschäftigungssituation zu verbessern.
({17})
Dort liegt im Moment der Schlüssel für mehr Beschäftigung. Dies ist die Verantwortlichkeit und die richtige zeitliche Reihenfolge. Die Freien Demokraten können nur vor der Illusion warnen, daß staatliche Steuer- und Ausgabenpolitik nachträglich falsche Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft wieder ausgleichen könnte.
An dieser Stelle muß aber auch an das erinnert werden, was Herr Genscher gestern gesagt hat. Er hat gesagt, eine beschäftigungsfreundliche Tarifpolitik führe zu schwierigen Verteilungsfragen,
({18})
die dringender denn je durch eine aktive Vermögensbildung gelöst werden müssen. Ich füge hinzu: Dazu gehört ebenso eine maßvolle Preispolitik der Unternehmer. Es ist nicht in Ordnung, wenn inzwischen dreimal im Jahr in bestimmten Branchen die Preise erhöht werden, einmal wegen der Lohnabschlüsse, dann wegen der Materialpreise, dann wegen der Zinsen. Das gehört in diese Diskussion.
({19})
Viele Arbeitnehmer und Gewerkschaftler, meine Herren und Damen, sind zu diesem Opfer in der Tarifpolitik um so eher bereit, je sicherer sie sein können, daß dies von der Bundesbank durch Zinssenkungen und damit die Chance zu mehr Beschäftigung vergolten wird.
Lassen Sie mich diesen Haushalt des Wirtschaftsministers zum Anlaß nehmen, noch auf eine weitere große Sorge meiner Fraktion hinzuweisen. Ich meine die ständig steigende Konzentration, die letztlich zu größeren Unternehmen, zu weniger Arbeitsplätzen führt. Leider gibt es für diese Konzentration sehr viele Ursachen: sicher auch eine von uns mit verursachte Zinspolitik, die eigenkapitalschwache Unternehmen zur Aufgabe zwingt, auch eine
staatliche und bankenmäßige Überlebensgarantie für viele große Unternehmen, während kleinen und mittleren Unternehmen von Banken und Landesregierungen oft nur noch eine höfliche Sterbehilfe gewährt wird,
({20})
sowie eine Branchenpolitik, z. B. staatlich sanktionierte Stahlpreiserhöhungen, die die Großen von schmerzlichen Umstellungs- und Nachschußpflichten zum Teil entlastet und den kleinen und mittleren Stahlverarbeitern gewaltige Opfer aufbürdet.
({21})
Dies führt zur Konzentration, meine Damen und Herren. Wir, Herr Kolb, können hier nur bedingt gegensteuern. Das sind ja immer große Koalitionen, an denen Ihre Kollegen ebenfalls beteiligt sind.
Wir können deshalb in diesem Haushalt des Wirtschaftsministers - darauf möchte ich abschließend noch zu sprechen kommen - nur zwei Dinge tun:
({22})
Wir können zum einen die Starthilfen für neue Unternehmen - ich meine konkret das Eigenkapitalhilfeprogramm - verbessern. Die Verbesserungen, die die FDP-Fraktion angeregt hat und die inzwischen erfolgt sind, werden begrüßt. Vergessen wir aber bei aller Pflege von neuen Unternehmen nicht, daß viele Unternehmen in hartem Wettbewerb stehen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, durch welche Verbesserungen der ertragsunabhängigen Steuerbestandteile wir die viel zu schmale Eigenkapitalbasis verbessern können.
Zum anderen können wir etwas im Bereich der Forschungsförderung tun. Meine Damen und Herren, es ist ein großer Erfolg; daß wir die 390 Millionen DM für die Personalkostenzuschüsse auch in der mittelfristigen Finanzplanung halten können. Ich möchte deshalb die Kollegen der Union herzlich auffordern, dies in ihren Wahlkreisen nicht als Kürzung zu bezeichnen, sondern zuzugeben, daß der Erfolg dieses Programms uns dazu gezwungen hat, die Voraussetzungen für dieses Programm zu ändern, d. h. die Größengrenze für die Unternehmen, die in den Genuß dieser Personalzulage kommen, herabzusetzen. Ich sage ganz ehrlich: Man hätte auch andere Anpassungen vornehmen können. Ich habe dazu konkrete Vorschläge gemacht. Leider wurde die Diskussion sowohl von der Opposition als auch von den Wirtschaftsverbänden, die sich heute darüber beklagen, verschlafen.
Meine Damen und Herren, am Ende möchte ich zweifachen Dank aussprechen: Ich möchte zum einen den drei Berichterstattern, den Mitarbeitern des Wirtschaftsministeriums sowie dem Wirtschaftsminister danken, daß sie auf Einsparmöglichkeiten im Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft hingewiesen haben - das ist nicht bei allen
Einzelhaushalten geschehen - und auch bereit waren, diese schmerzlichen Eingriffe zu vollziehen. Ich möchte zum anderen dem Wirtschaftsminister für seinen ständigen Einsatz gegen Protektionismus danken, meine Damen und Herren. Wenn man die aufgeregte nationale, deutsche Diskussion verfolgt, so könnte man glauben, daß das Heil nur noch in nationalen staatlichen Maßnahmen liegt. Viel mehr für die Beschäftigung wird aber auf vielen internationalen und europäischen Konferenzen getan, auf denen gegen Protektionismus vorgegangen wird. Hierzu, lieber Graf Lambsdorff, wünsche ich Ihnen weiter gute Nerven und die Unterstützung des gesamten Deutschen Bundestages. - Vielen Dank.
({23})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatten der letzten Jahre - man kann wohl sagen: der letzten sieben bis acht Jahre - haben eines gemeinsam: Wir sprechen über die Probleme, die die gleichen geblieben sind. Wir sprechen über die Schwierigkeiten und die wachsenden Probleme der Arbeitslosigkeit, der nachlassenden Investitionsbereitschaft, eines wachsenden Haushaltsdefizits und eines steigenden Bedarfs zur Haushaltskonsolidierung. Nur, von Jahr zu Jahr können wir leider nicht feststellen, daß sich in den angesprochenen Bereichen irgend etwas zum Positiven verändert, sondern wir müssen - im Gegenteil! - feststellen, daß sich unsere Position von Jahr zu Jahr verschlechtert hat.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Verbesserung und zur Erhöhung der Aussagekraft dieser Debatte am heutigen Tage hat auch die Rede des Bundesfinanzministers nicht beigetragen. Anstatt die Probleme und Risiken des Haushalts 1982 und die damit verbundenen Fragen in Nüchternheit und Sachlichkeit darzustellen, hat der Bundesfinanzminister es für richtig gehalten, mit einem ungewöhnlich hohen Maße von Unfehlbarkeitsanspruch und einem Mangel an Bescheidenheit hier so zu tun, als ob alle Argumente auf seiner Seite stünden und die Opposition hier von finanziellen Problemen spräche, die in Wirklichkeit nicht existierten.
Herr Matthöfer, Sie haben es in dieser Debatte dann auch nicht unterlassen - und das gehört zur Routine der letzten Jahre -, auf die amerikanische und die britische Wirtschaftspolitik hinzuweisen, auf Reagan und auf Thatcher, und der Opposition gewissermaßen vorzuwerfen, die Politik in diesen beiden Ländern sei gewissermaßen die Blaupause für die Politik der Union für die Bundesrepublik Deutschland. Ich weiß nicht, woher Sie diese Einsicht gewonnen haben. Keiner von uns, insbesondere auch nicht Franz Josef Strauß, hat zu irgendeinem Zeitpunkt jemals davon gesprochen, daß wir eine amerikanische oder britische Wirtschaftspolitik, auf diese beiden Länder zugeschnitten, gewisKiep
sermaßen auf die Bundesrepublik Deutschland in allen Einzelheiten übertragen könnten.
Wenn Sie schon Wirtschaftspolitiken befreundeter Länder kritisch heranziehen, wäre es vielleicht ein Gebot der Fairneß, daß gerade Sie als Sozialdemokrat in einer solchen Debatte auch einmal ein Wort über die Wirtschaftspolitik des Ihnen nahestehenden François Mitterrand sagen und einmal deutlich machen würden, ob das vielleicht die Politik ist, die sich nach Ihrer Sicht für unser Land empfiehlt.
({1})
Ich möchte Sie auch in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Matthöfer, daß es zwei Dinge sind, eine Politik zu konzipieren und sie dann in allen Teilen richtig durchzuführen. Sie wissen selber, daß die Politik des Monetarismus, auf die Sie sich auch hier wieder bezogen haben, nach Ansicht sehr vieler kundiger Kritiker in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien gerade deshalb nicht voll zum Zuge kommt, weil die Geldmengenpolitik in beiden Ländern nicht mit der notwendigen Konsequenz durchgesetzt worden ist.
({2})
Herr Kollege Matthöfer, erfreulicherweise haben Sie heute ein Argument ausgelassen: jene Namensgebung, mit der Sie uns in früheren Jahren immer beglückt haben; Sie haben von der CDU/CSU nicht mehr gesprochen als der Partei, die Brüning-Politik macht. Das gehörte früher zum Standardrepertoire Ihrer Reden. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß Sie auf Grund der finanzpolitischen Handlungsunfähigkeit unseres Staates gewissermaßen selber zum unfreiwilligen Brüning geworden sind. Denn die Tatsache, daß heute ein Handlungsbedarf besteht, wird von keinem Mitglied dieses Hauses geleugnet. Es ist nur die Unfähigkeit, diesem Handlungsbedarf nachzukommen, die Sie heute hier veranlaßt, Programme wie dem berühmten Arbeitsbeschaffungsprogramm und einer damit verbundenen Neuverschuldung eine Absage zu erteilen.
Ihre Unduldsamkeit gegenüber Kritik, verehrter Herr Kollege Matthöfer, erreicht neue Höhen. In einer DDP-Meldung, die verbreitet wurde, während Sie hier redeten, heißt es:
Bundesfinanzminister Hans Matthöfer hat damit gedroht, daß das unabhängige sozialwissenschaftliche Gutachtergremium, das die Bundesregierung in Konjunkturfragen berät, abzuschaffen sei.
Matthöfer sagte zur Illustrierten „Die Bunte" über die sogenannten fünf Weisen nach Angabe des Blattes vom Mittwoch:
Der Sachverständigenrat versteht sich mehr und mehr als politpädagogischer Lehrer. Wenn die so weitermachen, werde ich die zu ihrem 20jährigen Jubiläum abschaffen. Das ist dann mein Beitrag zur Konsolidierung.
({3})
Ich hoffe, verehrter Herr Matthöfer, daß Sie nicht in dem gleichen Schwung, den Sie in diesem Interview bewiesen haben, vielleicht auch noch die Bundesbank abschaffen wollen.
({4})
Denn dann wäre ein weiteres wichtiges kontrollierendes Organ in seiner Unabhängigkeit entscheidend beschnitten.
Herr Kollege Haussmann hat in seiner Rede unter Bezugnahme auf vorherige Reden etwas zu dem Thema der Gewerbesteuererhöhung gesagt. Ich kann, ohne die Einzelheiten des Zitats, auf das Sie sich beziehen, zu kennen, nur sagen, daß ich mich dort, wo ich danach gefragt worden bin, grundsätzlich insbesondere in der gegenwärtigen Wirtschaftslage gegen eine Gewerbesteuererhöhung ausgesprochen habe, weil ich glaube, daß das zu den Maßnahmen gehört, die die Investitionsbereitschaft und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen schwächen.
({5})
Was Sanktionen anbetrifft, so möchte ich nur auf das Bezug nehmen, was von verschiedenen Rednern bereits gesagt wurde. Verehrter Herr Haussmann, wir sind der Meinung, daß wir vor neuen wirtschaftlichen und finanziellen Leistungen an Polen und an die Sowjetunion auf die Erfüllung der Forderungen bestehen sollten, die hier verschiedentlich am gestrigen Tag vorgetragen worden sind und die j a auch Gegenstand des NATO-Beschlusses von Brüssel waren. Ich meine, solche Leistungen sind nur dann gerechtfertigt, wenn in Polen der Kriegszustand abgeschafft wird, wenn die Gefangenen freigelassen werden und wenn die Gespräche über die Reformmöglichkeiten zwischen „Solidarität", Kirche und Staat in Polen wieder fortgesetzt werden können.
({6})
Ich darf auf das Programm der Union und die Einigkeit in der Union in bezug auf die Frage nach Handlungsbedarf des Staates vielleicht in Kürze zu sprechen kommen. Dieser Punkt wurde sowohl von Ihnen als auch von Herrn Haussmann angesprochen.
Meine Damen und Herren, ich sagte schon, nach acht Jahren sprechen wir wieder über Arbeitslosigkeit, über Energiepreise, über Konsolidierung der Finanzen. Die Schwierigkeiten sind größer geworden. Die Arbeitslosenquote hat einen besorgniserregenden Punkt erreicht mit steigender Tendenz. Auch die Hoffnungen auf eine Stabilisierung der Preise und eine Reduzierung der Inflationsrate haben sich nach gewissen Hoffnungszeichen im Jahre 1977 nicht erfüllt. Wir liegen im Gegenteil bei einem Satz, der, von einem gewissen Höhepunkt im Jahre 1973 abgesehen, der höchste Inflationssatz seit 1951 ist. Die Investitionslücke hat sich weiter verstärkt. Wenn wir den Voraussagen glauben dürfen, dann werden die Bruttoanlageinvestitionen im Jahre 1982 nach Annahme des Sachverständigenrates um weitere 3,5 % zurückgehen. Wir haben in der Tat also eine düstere, schwierige, problematische Ausgangsposition.
Die Anpassung an die erhöhten Energie- und Rohstoffpreise ist in unserer Wirtschaft im wesentlichen in den Bilanzen der Unternehmen erfolgt. Dies ist mit ein Grund dafür, daß wir in den beiden letzten Jahren den schärfsten Ertragseinbruch der Nachkriegszeit überhaupt bei unseren Unternehmen feststellen müssen, einen Ertragseinbruch in der Größenordnung von 25 % mit der Folge, daß über 11 000 Pleiten im Jahre 1981 zu verzeichnen sind. Die Leidtragenden sind die Arbeitnehmer, sind die Bürger dieses Landes und ist unsere wirtschaftliche Zukunft.
({7})
Meine Vorredner haben schon verschiedentlich auf die Probleme hingewiesen, die nach meiner Einschätzung in die Kategorie der eher hausgemachten oder selbstbeeinflußten Probleme einzuordnen sind. Dazu gehört auch eine mangelhafte Energiepolitik, die in den vergangenen Jahren die Ansatzpunkte nicht gesehen hat, die gegeben waren, um vom 01 unabhängiger zu werden, unter anderem auch durch einen Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie - mit den Folgen für die Leistungsbilanz, die Sie alle kennen und über die hier auch schon gesprochen worden ist: seit 1979 60 Milliarden DM Leistungsbilanzdefizit. Es ist überhaupt nicht zu übersehen, daß dieses Leistungsbilanzdefizit sowie die Überbeanspruchung der Kapitalmärkte durch die öffentlichen Hände die beiden entscheidenden Gründe für die Hochzinspolitik der Bundesbank darstellen, also für eine Hochzinspolitik, die nach unser aller Meinung Wachstumsbremse Nummer eins in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist.
Der Export hat sich erfreulicherweise in den letzten 12 Monaten verbessert, und zwar um 14,3 %. Ich glaube aber, daß wir aus dieser außerordentlich erfreulichen Entwicklung, die uns ja auch eine gewisse Milderung des Leistungsbilanzdefizits gebracht hat, nicht den Schluß ziehen können, daß damit gewissermaßen die große Tendenz- und Trendwende eingetreten sei. Diese erfreuliche Exportbilanz ist nicht etwa die Folge einer verstärkten Leistungskraft der deutschen Wirtschaft, einer verstärkten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aus sich selbst heraus durch Verbesserung ihrer Kostenstruktur, sondern diese verbesserte Exportbilanz ist die Folge einer veränderten Währungsparität, ist die Folge einer Abwertung der D-Mark und damit einer Verbesserung unserer Preise auf ausländischen Märkten. Es besteht ja gar kein Zweifel daran, daß diese Abwertung, die unsere Waren künstlich billiger gemacht hat, in sich - wenn diese Entwicklung weiter fortschreitet - auch kein unbedingt und für alle erfreulicher Zustand ist. Darüber gibt es ja Aussagen, z. B. die Aussage des Instituts der Deutschen Wirtschaft, daß die reale D-Mark-Abwertung gleichzeitig die inneren Aufschwungkräfte der deutschen Wirtschaft lähmt. Die Importpreise, vor allen Dingen die für Rohstoffe und Energie, „galoppieren", so sagt das Industrie-Institut, „davon; die Zinsen kletterten in die Höhe, die Unternehmenserträge wurden zusammengedrückt."
Die Exporte reichen also, meine ich, nicht aus, daß man allein durch sie ein neues Anspringen der Inlandskonjunktur erwarten könnte. Es bleibt uns nicht erspart, daß wir die Dinge tun, die wir beeinflussen können, daß wir an die hausgemachten Ursachen unserer Problematik herangehen. Deshalb hat Graf Lambsdorff völlig zu Recht davon gesprochen, daß im Rahmen der Operation 82 „das Haus Bundesrepublik Deutschland in Ordnung gebracht werden müßte". Wenn ich die Reden zusammenfasse, die, gerade auch von den Vertretern der FDP, in diesen Tagen in der Haushaltsdebatte gehalten worden sind, glaube ich, daß es nicht völlig unangebracht ist, zu sagen, daß offensichtlich diese Arbeit an den hausgemachten Ursachen unserer Problematik keineswegs abgeschlossen ist, sondern neuer, weiterer, größerer Anstrengungen bedarf.
({8})
Es kann keine Rede von der „Wende" sein,
({9})
von der der Bundesaußenminister und Parteivorsitzende Hans-Dietrich Genscher in seinem berühmten Brief vom 20. August 1981 gleich dreimal gesprochen hat. Auch Graf Lambsdorff hat in dankenswerter Offenheit am 12. November 1981 erklärt, von einer Wende könne bisher „keine Rede sein".
Kontinuität der Politik, Verstetigung der Durchsetzung einer bestimmten politischen Richtung, das ist bei der FDP leider kaum festzustellen. Im Gegenteil, wir haben den Eindruck, als seien die Freien Demokraten im Begriff, an Vielfalt und widersprüchlichen Aussagen zur Wirtschaftspolitik ihren Koalitionspartner inzwischen voll einzuholen.
({10})
Kontinuität hätten wir auch vom Finanzminister hinsichtlich seiner Absage an weitere Gebühren-und Steuererhöhungen erwartet. Ich will Sie nicht mit den Zitaten langweilen, die j a alle sattsam bekannt sind; ich möchte nur daran erinnern, daß er sich in der Frage der Arbeitslosenversicherung gegenüber Bundesrat und Bundestag feierlich verpflichtet hat und daß nur einen Monat später die Ihnen allen bekannte Erhöhung durchgeführt wurde.
Ich glaube, es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß dieser Haushalt 1982, der uns jetzt vorliegt, mit Risiken belastet ist. Herr Bundesfinanzminister, ich hätte es gut gefunden, wenn Sie in Ihrer Rede auch ein wenig auf diese Risiken eingegangen wären.
({11})
Vielleicht wird das der Wirtschaftsminister in seiner Rede noch tun, die sich hier heute j a anschließt.
Ich glaube, daß in einer Reihe von wichtigen Punkten Risiken vorhanden sind, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob das Zahlenwerk, das uns heute vorgelegt wird, tatsächlich ein Zahlenwerk ist, das auch über die kommenden Monate hinweg Bestand haben wird und das allen in der Wirtschaft Tätigen auch Richtschnur für ihr eigenes Handeln sein kann.
Die Lernfähigkeit in ordnungspolitischen Fragen haben wir Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, in früheren Debatten attestiert. Was wir in Frage stellen müssen, ist Ihre Fähigkeit, solche Grundsätze auch in tatsächliche Politik umzusetzen.
({12})
Der Rückblick auf 1981 ist ein Rückblick in Trauer. Der Haushalt 1981 hat mit 10 Milliarden mehr Defizit abgeschlossen, als seinerzeit, als dieser Haushalt vorgelegt wurde, vorgesehen war, und dies trotz der Verlagerung auf andere, in den Bundeshaushalt nicht integrierte Haushalte in einer Reihe von Bereichen. Ich erinnere nur, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, an die Bundesbahn.
Das strukturelle Defizit - und das ist das Entscheidende -, mit dem wir es in den Haushalten der öffentlichen Hände zu tun haben, ist nach wie vor vorhanden: Bund, Länder und Gemeinden werden auch nach der Durchführung der Operation 82 laut Aussage des Sachverständigenrates im Jahre 1982 einen Betrag von 32 Milliarden aufweisen. 32 Milliarden strukturelles, also nicht konjunkturbedingtes, Defizit bei Bund, Ländern und Gemeinden im kommenden Jahr!
Der Haushalt 1982 stützt sich, wie Sie j a alle wissen, natürlich auf die Einbeziehung des Bundesbankgewinns. Die Behandlung dieses Themas müssen wir j a hier immer wieder vornehmen, weil Sie von der Regierung darüber nicht sprechen. Die Einbeziehung des Bundesbankgewinns, Graf Lambsdorff, ist natürlich gerade für Sie als Bundeswirtschaftsminister ein doch recht trauriges Kapitel.
({13})
Ich will jetzt nicht mit Zitaten wieder aufführen, wie Sie sich erst dagegen gewandt haben, daß das überhaupt geschieht.
({14})
Ich will Sie nicht an das sehr schöne und sehr griffige Zitat erinnern, daß Bundesminister Matthöfer durch die Inanspruchnahme des Bundesbankgewinns gewissermaßen im eigenen Keller jetzt Geld drucke, sondern ich möchte Sie nur daran erinnern, daß Sie mit dieser Einbeziehung des Bundesbankgewinns in den Haushalt 1982 praktisch eine Zeitbombe in diesen Haushalt gelegt haben, die früher oder später zu Maßnahmen führen muß, diesen Bundesbankgewinn, von dem wir ja hoffen, daß er zurückgeht, in den kommenden Jahren zu ersetzen. Denn - ich darf nochmal daran erinnern - dieser Bundesbankgewinn ist ja gewissermaßen die angenehme Begleiterscheinung eines unangenehmen Zustands. Er ist Ausdruck eines viel zu hohen Zinsniveaus in den Vereinigten Staaten;
({15})
er ist Ausdruck eines auch durch hausgemachte Gründe bedingten hohen Zinsniveaus zu Hause. Und wir haben ein Interesse, daß er zurückgeht.
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ({0})?
({1})
Aber selbstverständlich.
Herr Abgeordneter!
Wenn ich Sie sozusagen als Kompatriot anreden darf - auch Sie wollen ja demnächst in Hamburg erscheinen -:
({0})
Würden Sie zugeben - wenn ich vorausschicke, daß Sie recht haben: der Bundesbankgewinn ist Ausdruck zu hoher Zinsen -, daß es sich um den Ausdruck zu hoher Zinsen in den Vereinigten Staaten von Amerika handelt?
({1})
Herr Abgeordneter Schmidt ({0}), würden Sie entsprechend den Übungen des Hauses bitte auch die Antwort am Mikrofon entgegennehmen!
({1})
Herr Abgeordneter, selbstverständlich ist die Hochzinspolitik der Bundesbank zu einem wesentlichen Teil auch durch die hohen Zinsen in den Vereinigten Staaten bedingt. Aber ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß es hausgemachte Gründe gibt. Und einer der ganz wesentlichen und durch uns beeinflußbaren Gründe für die Hochzinspolitik ist die hohe Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch die öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt ({0})?
Selbstverständlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Kollege, da Sie der Antwort ausgewichen sind, möchte ich die Frage noch einmal stellen. Sie sprachen von der Höhe der Bundesbankgewinne, von denen Sie hoffen, daß sie in Zukunft nicht mehr so hoch seien, und führten sie auf die Hochzinspolitik zurück. Und ich fragte Sie - und möchte meine Frage wiederholen -, ob Sie mir zustimmen, daß die Höhe der Bundesbankgewinne im wesentlichen eine Folge der Tatsache ist, daß unsere Währungsreserven in amerikanischen Dollars angelegt sind und daß also die Höhe der Bundesbankgewinne im wesentlichen eine Konsequenz der amerikanischen Hochzinspolitik ist. Und würden Sie mir zweitens zustimmen, daß wir gern in Kauf
Schmidt ({0})
nähmen, daß die Bundesbankgewinne sinken, weil die Zinsen in den Vereinigten Staaten von Amerika sinken?
({1})
Ich würde mich mit Ihnen, Herr Abgeordneter, darüber freuen, wenn die Zinsen in Amerika sinken und damit unsere Bundesbankgewinne zurückgehen. Aber ich muß dabei bleiben, daß die amerikanische Hochzinspolitik, die j a ein Teil der amerikanischen Politik zur Inflationsbekämpfung ist, keineswegs die einzige Ursache für die hohen Zinsen und Gewinne der Bundesbank ist und
({0})
daß es also, wenn das, was Sie soeben mit mir zusammen gewünscht und gefordert haben, eintritt, dennoch für die deutsche Bundesbank einen Anlaß gäbe, hohe Zinsen zu fordern, es sei denn, wir würden die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden konsequent durchführen.
({1})
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ({0})?
({1})
Bitte.
Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Kollege, da Sie manchmal weniger antworten, als gefragt ist, und manchmal mehr antworten, als gefragt ist:
({0})
Können Sie denn wenigstens diese Frage mit Ja beantworten: Stimmt es, daß die Zinsfüße in der Bundesrepublik Deutschland deutlich niedriger sind als in den Vereinigten Staaten von Amerika?
Das kann ich nur mit Genugtuung und Freude bejahen.
Ich darf nach dieser außerordentlich interessanten Seminarveranstaltung weiter den Versuch unternehmen, unsere Lage, unserer Ausgangsposition und das, was wir zu tun haben, darzustellen. Die weitere Verbesserung des Leistungsbilanzdefizits ist eine der Voraussetzungen für die Senkung der hohen Zinsen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen bleibt eine Aufgabe, die auch durch die Operation '82 nicht gelöst ist. Herr Abgeordneter Hoppe hat in bewährter Weise - wie seit 1976 - wieder auf die Probleme hingewiesen. Er hat sie dargestellt. Er hat im Gegensatz zu anderen Rednern der Koalition die Notwendigkeit beschrieben, die besteht, hier weitere Eingriffe vorzunehmen.
Ich möchte feststellen, daß es die Finanzpolitik im Jahre 1981 versäumt hat, ihren entscheidenden Beitrag zum Wiederbeginn einer verstärkten wirtschaftlichen Tätigkeit zu leisten, und sie insoweit auch ein Investitionshemmnis erster Ordnung in unserem Lande geworden ist. Aus diesem Grunde bestehen wir j a auch auf der Notwendigkeit einer Konsolidierung, haben wir auch Vorschläge unterbreitet. Ich fand es nicht ganz fair, Herr Kollege Matthöfer,
({0})
daß Sie den Beitrag der Opposition heute durch partielles Verlesen von Briefen von Ihnen an Herrn Kollegen Kohl und umgekehrt eigentlich ein bißchen ins Lächerliche gezogen haben. Ich meine, daß wir einen ernst zu nehmenden Beitrag geleistet haben.
Ich prophezeie Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, daß Sie schon in absehbarer Zeit in diesem Hause wieder an uns appelieren werden müssen, um dafür sorgen zu können, daß in der Fortsetzung der Operation `82 das Notwendige im Jahre 1982 geschieht. Ich versichere Ihnen, daß wir zwar bereit sind, Vorschlage zu prüfen, Verantwortung mitzutragen. Aber Ihr Verhalten gegenüber unseren Sparvorschlägen hat uns nicht gerade ermutigt, diese Tätigkeit mit besonderer Intensität fortzusetzen.
({1})
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Herr Spöri, an sich furchtbar gern. Ich bin nur ein bißchen in Zeitdruck geraten durch das Gespräch mit Herrn Schmidt.
({0}) - Geht das ganz schnell? - Dann bitte.
Herr Kollege Kiep, wenn Sie jetzt so selbstgerecht über die Nettokreditaufnahmeentwicklung auf Bundesebene referieren,
({0})
möchte ich Sie fragen, wie sich denn die Nettokreditaufnahmeentwicklung in Niedersachsen in Ihrer Amtszeit als dortiger Finanzminister gestaltet hat.
Das kann ich Ihnen schnell sagen. Es ist mir trotz einer stark verschlechterten Einnahmesituation - auch verursacht durch eine Reihe von Steuerpaketen, die in diesem Hause verabschiedet worden sind - Gott sei Dank erspart geblieben, die höchste Neuverschuldung in der Geschichte des Landes Niedersachsen aus dem Jahre 1975 in den folgenden vier Jahren jemals wieder zu erreichen.
({0})
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Das muß ich ja. Bitte schön.
Herr Kollege Kiep, da Sie die Steuersenkungspakete dieser Koalition anFrau Matthäus-Maier
sprechen: Ist es nicht so, daß das Land Niedersachsen und auch die dortigen Kommunen jahrelang an dem sehr starken Zuwachs der Lohn- und Einkommensteuer partizipiert haben - selbstverständlich ohne sich darüber zu beklagen -, so daß es nur konsequent ist, wenn die Länder auch von den Steuerentlastungspaketen betroffen werden, und ist es nicht weiter so, daß Sie, wenn Sie wirklich Schwierigkeiten haben sollten, j a noch die Chance haben, die Abgabe auf die in Niedersachsen anfallenden Windfall-profits zu erhöhen, z. B. von 32 auf 40 %?
({0})
Diese Frage berührt mich natürlich ganz besonders, zumal ich als Finanzminister in Niedersachsen mit 5 % Windfall-profit angefangen und mit 22 % aufgehört habe. Aber, ich glaube, das ist eine Frage, die nun wirklich in die Kompetenz der gegenwärtigen niedersächsischen Landesregierung gehört. Ich möchte mich dazu nicht näher äußern.
Ich möchte nur eines feststellen: Die Länder sind in den letzten Jahren in zunehmendem Maße hinsichtlich ihrer Einnahmesituation eingeschränkt worden. Sie sind hinsichtlich ihrer Fähigkeit, zusammen mit den Gemeinden ihre landespolitischen, durch unsere föderalistische Ordnung vorgegebenen Aufgaben zu erfüllen, entscheidend beschnitten worden.
({0})
Herr Abgeordneter Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Bitte, es ist keine Disziplinierung, aber es geht wirklich nicht mehr. Ich bitte sehr um Entschuldigung; es geht wirklich nicht mehr.
({0})
- Das ist kein parlamentarischer Ausdruck. ({1})
Vielleicht können wir uns hinterher darüber unterhalten.
({2})
- Verehrter Herr Kühbacher, wenn Sie mich hier der Unwahrheit zeihen, dann sollen Sie das hier auch vor allen erklären.
Herr Abgeordneter Kühbacher, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Kiep, würden Sie dem Haus bestätigen, daß Ihre Aussage, daß die höchste Neuverschuldung im Jahre 1975 war, also nicht in Ihrer Amtszeit, falsch ist? Ausweislich des Finanzberichts des niedersächsischen Finanzministers betrug die Nettoneuverschuldung im Jahre 1980, also zu Ihrer Amtszeit, 2,415 Milliarden DM, die Gesamtkreditaufnahme 3,511 Milliarden DM. Das ist vom März 1981, Finanzminister Ritz über den Finanzminister Kiep. Stimmen die Zahlen aus dem
niedersächsischen Finanzplan, oder stimmen sie nicht?
Sie müssen mir einmal die Zahl vom Jahre 1975 vorlesen.
Das steht hier exakt. Es waren 2,106 Milliarden DM, also 300 Millionen DM weniger.
Verehrter Herr Kollege, ich glaube, soviel verstehen Sie j a wohl von Länderfinanzpolitik, daß Sie die Nettoneuverschuldung eines Landes oder einer Kommune - wie auch die des Bundes - immer auch sehen müssen in Relation zum Haushaltsvolumen. Das ist doch die entscheidende Frage.
({0})
Wenn Sie diesen Prozentsatz ermitteln, werden Sie feststellen, daß ich hier nicht die Unwahrheit gesagt habe.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zu der gegenwärtigen Debatte über die Frage von Beschäftigungsprogrammen zurückkommen, die auch von verschiedenen Rednern der Koalition angeschnitten wurde. Wir erleben zur Zeit eine Verunsicherungskampagne durch die Koalitionsparteien,
({2})
die sicherlich nicht dazu angetan ist, das Vertrauen der Bevölkerung und derjenigen, die investieren sollen, zu stärken.
Die Freien Demokraten betreiben seit vergangenen Montag ein erstaunliches Spiel, indem sie zunächst eine Mehrwertsteuererhöhung für die Finanzierung von Investitionszulagen in Aussicht stellten. Diese Aussage vom Montag ist inzwischen vom Bundeswirtschaftsminister, der an der Beratung teilgenommen hat, dementiert worden.
Wir fragen uns, was dieses Spiel eigentlich soll. Wenn ich dann auch noch erfahre, daß der Bundeswirtschaftsminister heute morgen in einem Interview erklärte, man habe darüber gesprochen, man habe den Gedanken ventiliert, man habe ihn zur Diskussion gestellt, während er heute mittag erklärte, nunmehr sei dieses Thema vom Tisch, dann frage ich mich, was eigentlich die Wirtschaft, was die arbeitenden Menschen, was auch diejenigen, die von der gegenwärtigen Wirtschaftskrise so besonders betroffen sind, von einer solchen Politik halten sollen.
Graf Lambsdorff, das FDP-Präsidium ist in diesem Augenblick doch kein Seminar, bei dem Gedanken ventiliert und in die Welt gesetzt werden, sondern es ist, wenn überhaupt, eine Vereinigung, die ihren Minister bei seinem Handeln im Interesse der Allgemeinheit zu unterstützen hat. Deshalb finde ich, daß uns dieser Beitrag in gar keiner Weise weiterhilft.
({3})
Das Schwarze-Peter-Spiel, das hier vorgeführt wurde, hat dazu geführt, daß ein nicht näher bekanntes Mitglied des FDP-Präsidiums nach dem Ende der Sitzung dieses Gremiums erklärt haben soll - ich zitiere -: „Was heute nicht richtig ist, kann morgen schon falsch sein."
({4})
Ich meine, daß wir mit solchen Aussagen dem Ernst der Lage in gar keiner Weise gerecht werden.
Nun behaupten einige Redner der Koalition, die CDU/CSU sei sich in bezug auf ein wie auch immer geartetes Programm nicht einig. Ich darf Sie daran erinnern, daß der CDU-Bundesvorstand am vergangenen Montag in Anwesenheit der Ministerpräsidenten Stoltenberg und Albrecht, des Fraktionsvorsitzenden Kohl, des Ministerpräsidenten Späth und auch in meiner Anwesenheit einen Beschluß gefaßt hat, der eine völlig eindeutige Position zu diesem Thema einnimmt.
({5})
- Dies ist veröffentlicht worden. Dies deckt sich auch voll und ganz mit der Meinung des Ministerpräsidenten von Bayern, Franz Josef Strauß.
({6})
Ich will dieses Papier hier nicht im einzelnen zitieren.
({7})
Sie können es ohne weiteres nachlesen. Ich darf Sie daran erinnern, daß es bei uns zu dieser Frage des Beschäftigungsprogramms sehr wohl die Bejahung der Notwendigkeit einer Handlungsbereitschaft für den Staat gibt. Keiner von uns - ich sagte es vorhin schon - ist angesichts steigender Arbeitslosenziffern in diesem Lande so töricht, so zu tun, als ob wir überhaupt nichts zu unternehmen brauchten.
({8})
Ich möchte Sie alle daran erinnern - auch im Hinblick auf Bemerkungen von heute morgen -, daß wir die Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes für ein Investitionsprogramm sehr ernst nehmen.
({9})
Ich lege Wert auf die Feststellung, daß dieses Investitionsprogramm nicht mehr eines dieser Beschäftigungsprogramme ist, wie wir sie früher oft hatten und von denen wir inzwischen gemeinsam feststellen, daß sie ja nichts bewirken.
({10})
- Es wäre ja noch schöner, es wäre unverständlich, wenn nicht Gewerkschaften, wenn nicht Parlament, wenn nicht Parteien angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit über Wege nachdächten, wie wir zur Lösung dieses Problems gemeinsam beitragen können.
({11})
Aber die entscheidende Frage bleibt doch: Wie wollen wir dieses Programm finanzieren?
({12})
Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir im CDU-Bundesvorstand gesagt und sage ich Ihnen heute hier: es gibt in der gegenwärtigen Situation ganz einfach keinen Weg an der Tatsache vorbei, daß zunächst die Konsolidierung der Staatsfinanzen festgelegt werden muß.
({13})
Der Sachverständigenrat mit seinem 7-MilliardenProgramm - eine ernst zu nehmende Vorstellung - hat davon gesprochen, daß zwei Prämissen erfüllt werden müßten, wenn wir einen Vorgriff auf die Mehreinnahmen der kommenden Jahre oder durch Neuverschuldung machen wollen. Erste Prämisse, es muß die mittelfristige Konsolidierung des Haushalts festgelegt sein. Diese Prämisse ist bis zur Stunde nicht erfüllt. Zweite Prämisse, die Gewerkschaften müssen sich auf eine Tarifpolitik verständigen, die unterhalb der Erhaltung der Realeinkommen der Arbeitnehmer liegt, eine, wie ich weiß, außerordentlich schwer zu erfüllende Forderung für die Gewerkschaften. Nur unter diesen Prämissen, meine Damen und Herren, haben sich die Sachverständigen letzten Endes bereit gefunden, einen Vorgriff zuzulassen.
({14})
Dieser Meinung haben sich ja wohl, wenn ich die Kommuniqués richtig verstehe, der Wirtschaftsminister, der Finanzminister, Herr Hoppe und auch der Bundeskanzler angeschlossen. Ich habe den Eindruck, daß wir vor dieser Hürde stehen: Wie wollen wir das finanzieren? Wenn wir uns darauf verständigen könnten, Finanzierungsmasse dafür zu finden, dann, glaube ich, haben wir eine Fülle von Programmvorschlägen, wie wir diese Mittel in einer möglichst effizienten Weise einsetzen könnten.
Ich wollte dies in aller Klarheit sagen, damit auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD, vielleicht aufhören, in Debatten so zu tun, als ob wir menschlich, politisch, gesellschaftlich, unberührt von dem Phänomen der Arbeitslosigkeit, der Meinung wären, hier könnte business as usual praktiziert werden.
({15})
Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß heute in dieser Debatte für die Bundesregierung, insbesondere für den Bundeswirtschaftsminister, die Gelegenheit gegeben ist, eine klare und deutliche Aussage über seine künftige Politik und über seine Überzeugungen in puncto Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu machen. Ich will dabei daran erinnern - auch das gehört in den Kontext einer solchen Rede -, daß der Tarifpolitik des kommenden Jahres selbstverständlich eine entscheidende Bedeutung zukommt. Bundesaußenminister Genscher hat gestern kritisch darauf hingewiesen, daß sich die Opposition zu diesem Thema eigentlich nicht geäußert habe. Ich möchte deshalb in aller
Deutlichkeit sagen, daß hier ein entscheidender, wenn nicht der entscheidendste Beitrag zur Erreichung unserer wirtschaftspolitischen Ziele in unserem gemeinsamen Interesse an der Erhaltung der Arbeitsplätze und Schaffung neuer Arbeitsplätze geleistet werden kann. Ich glaube, daß auch in weiten Kreisen der Bevölkerung - wenn man Umfragen glauben darf -, diese Einsicht inzwischen besteht und die Bereitschaft der Menschen, eine solche Politik mitzutragen, inzwischen weit verbreitet ist.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein letztes Wort zu dem Thema Vertrauen sagen. Der Bundeskanzler hat einmal, wie ich finde, völlig zu Recht, davon gesprochen
({16})
- wie meistens, immer -, daß bei einer gegebenen wirtschaftlichen Lage 50 % Fakten und Probleme und 50 % Psychologie und Vertrauen sind. Ich glaube, daß diese Aussage richtig ist. Ich habe den Eindruck, daß der Vertrauensprozentsatz, der notwendig ist, um die Dinge wieder in Gang zu bringen, heute sogar eher noch höher ist. Da möchte ich an die Bundesregierung appellieren zu erkennen, welche entscheidende Rolle sie in diesem Bereich zu spielen hat und wie sehr sie es bisher durch ihr Handeln, durch ihr Auftreten, durch ihre Selbstdarstellung versäumt hat, auch nur den Schatten eines Vertrauens in der Bevölkerung zu erwecken, daß es mit dieser Regierung einen notwendigen wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Neuanfang geben kann.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat anläßlich seiner Rede in Oslo nach den Bemerkungen über die psychologische Bedeutung des Vertrauens dann zum Schluß gesagt: „Vielleicht liegt dieser Mangel an Vertrauen daran, daß wir den Leuten nur sehr vorsichtig die Wahrheit sagen." Ich glaube, Herr Bundeskanzler, auch diese Aussage ist richtig, und ich meine, daß die Bundesregierung aufgefordert ist, nun hier in dieser Haushaltsdebatte 1982, wenn sie dazu imstande ist, Klarheit über den Kurs zu schaffen, mit einem Wintertheater nach einem Sommertheater Schluß zu machen. Ich möchte an die FDP appellieren, nun unter gar keinen Umständen nach der SPD im Sommertheater gewissermaßen die Regie im Wintertheater durch sich ständig widersprechende Aussagen zu übernehmen.
({17})
Wir haben, wie ich meine, eine Situation vor uns - ich glaube, auch das gehört zu der notwendigen Einsicht in dieser Stunde -, in der ohne jeden Zweifel gewaltige konkrete Probleme und Schwierigkeiten zu überwinden sind, die zu einem ganz großen Teil auch von außen auf uns eindringen, von denen aber auch ein großer Teil unser Handeln dort erfordert, wo wir es durch politische Entscheidungen zu Hause erbringen können. Gerade auch die von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, ständig gemachten Vergleiche mit dem Ausland, wo alles viel schlimmer sei, sollte eigentlich dazu führen, daß wir erkennen, daß wir auf Grund dieser besseren Position eine Chance haben, mit den Schwierigkeiten
auch tatsächlich fertig zu werden, wenn wir nur zu entschlossenem Handeln bereit sind. Dieser Eindruck ist im zurückliegenden Jahr 1981 durch das Handeln dieser Bundesregierung nicht entstanden. Die sie tragenden Parteien haben einen weiteren Vertrauensverlust zu verzeichnen. Die entscheidende Aufgabe der Haushaltskonsolidierung und der Festsetzung längerfristig gültiger Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft steht noch aus. Sie sind als Regierung aufgefordert zu handeln.
({18})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nicht weil es einer guten Übung, sondern weil es meiner Überzeugung entspricht, möchte ich mich zunächst beim Haushaltsausschuß für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung des Einzelhaushalts 09 sehr herzlich bedanken.
Herr Glos, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß das Volumen minus 20 % gegenüber dem Soll des Haushaltes 1981 ist. Es wird keine einfache Aufgabe sein, damit zurechtzukommen. Aber wir alle haben eingesehen, daß man von Konsolidierung nicht nur reden und sprechen kann, sondern daß man auch selber die Konsequenzen tragen und sich darum bemühen muß, dieser Notwendigkeit gerecht zu werden. Wir werden uns darum bemühen.
({0})
Ich bin mit Ihnen der Meinung, meine Damen und Herren - die Opposition hat das angesprochen -, daß es bedauerlich ist, daß im Rahmen dieser Konsolidierungsbemühungen gerade auch die Mittel für die Erdölbevorratung so arg zusammengestrichen werden mußten. Aber auch das fällt unter den Leitsatz, den ich eingangs gesagt habe. Wenn man wirklich ernsthaft sparen will, geht das leider nicht ab, ohne daß auch in Bereichen gespart wird, in denen es schmerzhaft ist.
Ich bin nicht der Meinung - aber das kann erst die Entwicklung dieses Jahres erweisen -, daß der Ansatz von 570 Millionen DM für die Kokskohle zu niedrig gewählt ist. Aber das kann, wie ich sagte, erst der Verlauf dieses Jahres erweisen, weil das von vielen außenwirtschaftlichen Faktoren abhängig ist, nämlich vom Weltmarktpreis der Kohle und vom DMark-Dollar-Verhältnis.
Ich möchte in aller Offenheit im Plenum wiederholen, was ich schon im Haushaltsausschuß gesagt habe: Man muß wählen einerseits zwischen der Gefahr, im Ansatz des Haushalts an der untersten Grenze dessen zu bleiben, was man für notwendig hält, und andererseits der Gefahr, die Ansätze vielleicht zu großzügig zu bemessen und damit nicht nur haushaltswirtschaftlich etwas zu tun, was nicht den Gesetzen dieser Zeit entspricht, sondern auch den Erwartungshorizont derer hebt, die eines Tages antreten, die Hand aufhalten und sagen: wir möchten die Mittel haben. Sie werden uns dann erklären: das steht j a schon im Haushalt drin, das ist j a schon ge4652
gessen; wir reden nur noch über das, was wir darüber hinaus brauchen.
In dem Sinne, Herr Kiep, möchte ich ausdrücklich bestätigen, daß es aus meiner Sicht im Haushalt 09 haushaltswirtschaftliche Risiken im Verlaufe des Jahres 1982 geben kann - nicht geben muß. Ich habe dem Haushaltsausschuß und erst recht dem Bundesfinanzminister gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht. Wir alle wissen doch zum Beispiel, wie schwierig die Situation in der deutschen Stahlindustrie ist. Wer wird sich unterfangen, heute zu sagen: dies ist auf die Mark genau der Betrag, mit dem wir da auskommen werden? Aber ihn zu hoch anzusetzen - ich wiederhole das -, heißt natürlich, die Vorstellung zu erwecken: das haben die schon ausgegeben, darüber brauchen wir eigentlich gar nicht mehr ernsthaft zu reden.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitische Diskussion dieser Tage wird ja nicht nur bei uns im Lande geführt, sie wird weltweit geführt. Es werden Vergleiche angestellt. Die wirtschaftspolitische Diskussion über die Bundesrepublik Deutschland endet bei sehr vielen Betrachtern und Beurteilern unserer Szene mit dem Ergebnis: Die haben sich trotz großer Wortgefechte seit vielen Jahren in der Bundesrepublik immer auf einem relativ mittleren Wege verständigt - Sozialpartner, politische Parteien, Regierung und Opposition -, und schlecht ist ihnen das nicht bekommen. Ich habe nichts gegen die Wortgefechte. Sie sind notwendig, um Klarheit zu schaffen, wo es Unklarheiten gibt. Aber ich meine, daß wir uns von Zeit zu Zeit - ich glaube, Herr Kiep, Ihre Rede war durchaus ein Beweis für die Richtigkeit dieser Grundhaltung - wieder darüber verständigen müßten und die Einsicht aufbringen sollten, daß wir, insgesamt gesehen, mit dem Ansatz, den wir in der Bundesrepublik seit vielen, vielen Jahren für die Wirtschaftspolitik und für unsere politische Diskussion auf diesem Felde gewählt haben, gar nicht so schlecht gefahren sind.
Nun ist es schwer, davon zu sprechen, man sei nicht schlecht gefahren, wenn man die bedrückenden Zahlen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, sieht.
Wir werden im Jahre 1982 - aber das soll dann der Jahreswirtschaftsbericht im einzelnen beantworten; ich will das nicht vorwegnehmen - eine bessere wirtschaftliche Entwicklung vor uns sehen.
Herr Glos, Sie haben heute morgen gesagt, das zweite Halbjahr 1981 habe uns enttäuscht. Das ist nicht richtig. Die Tatsache, daß wir 1981 einen Wachstumsverlust von nur 0,3 % - ich setze das „nur" gedanklich in Anführungsstriche - gehabt haben, ist darauf zurückzuführen, daß sich das zweite Halbjahr besser entwickelt hat, als wir gedacht hatten. Aber alles das ändert nichts daran - und deswegen ist Ihre Frage, Herr Kiep, zu Recht gestellt: wie sieht es denn mit den Vorstellungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus? -, daß wir nicht schnell von den hohen Arbeitslosenzahlen herunterkommen werden.
Obwohl das im Verlauf der Debatte hier schon mehrfach geschehen ist, muß ich Ihre Frage „Wollt ihr denn da nichts tun? Was habt ihr denn vor?" mit dem Hinweis beantworten: Erst am 1. Januar dieses Jahres, also vor knapp drei Wochen ist das Haushaltsstrukturgesetz in Kraft getreten. Niemand kann von einer solchen Gesetzgebung innerhalb von knapp drei Wochen Wunderbares erwarten. Der Kollege Haussmann hat es - wie viele andere auch - gesagt: Hier muß man Geduld und die notwendigen Nerven aufbringen, wenngleich das in dieser Lage und in dieser Diskussion schwerfällt.
Ich möchte, nachdem auch von Ihnen, Herr Kiep, mit großem Recht auf die Ernsthaftigkeit des Problems der Arbeitslosigkeit hingewiesen worden ist, eine persönliche Erfahrung beitragen, die mich davon überzeugt hat - Sie können auch sagen: die mich darüber belehrt hat -, daß es zwar nach wie vor richtig bleibt, Mißbrauchsmöglichkeiten abzubauen, einzuschränken und zu verhindern. Vieles davon ist ja am 1. Januar in Kraft getreten. Vieles von dem, was uns gestern in der Debatte als noch bestehende Mißbrauchsmöglichkeiten angekreidet wurde, ist - das ist von dem einen oder anderen Redner übersehen worden; es ist wirklich so, Herr Kohl - abgeschafft oder eingegrenzt worden,
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wenngleich wir alle wissen, daß es ein hundertprozentiges Abschotten der Inanspruchnahme von Leistungen, von Transferleistungen gegen Mißbrauch in keinem Bereich und niemals geben kann.
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Als ich vor einigen Monaten auf einer Betriebsversammlung der Hoesch-Werke - dort ist die Arbeitsplatzbedrohung nun wirklich groß und aktuell - war, habe ich nur ein einziges Mal lauten Widerspruch der 18 000 Versammlungsteilnehmer - so viele waren es, glaube ich - erfahren. Die Versammlungsteilnehmer haben mich im übrigen durch ihre Disziplin, ihre Ernsthaftigkeit und ihre Sachlichkeit stark beeindruckt. Als ich von den Mißbrauchsmöglichkeiten der Kombination von Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit und besser leben, wie man es landläufig in anderen Gegenden tut, gesprochen habe, kam plötzlich Widerspruch, nämlich von solchen Menschen, die damit rechnen müssen, alsbald arbeitslos zu werden, und die die für sie dann geltenden Regelungen nicht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs, sondern unter dem Gesichtspunkt des sehr notwendigen und rechtmäßigen Gebrauchs sehen.
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- Dort komme ich gerne hin. Das wissen Sie, Herr Reuschenbach. Wenn Sie mich einladen, komme ich immer.
Herr Kollege Kiep, ich möchte zu ein paar Punkten Stellung nehmen, die Sie heute eingebracht haben, bevor ich Ihre Grundfrage kurz zu beantworten versuche. Wir halten den Ertragseinbruch alle für kritisch. Ich glaube das jedenfalls, denn es bleibt ja
dabei: Nur gut verdienende Unternehmen können sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen.
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Ich lege hier Wert auf das Wort „schaffen". Wir brauchen in den nächsten Jahren zusätzliche, neue Arbeitsplätze. Es geht doch nicht um die Umverteilung der vorhandenen Arbeitsplätze.
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Bitte führen Sie diesen Ertragseinbruch aber nicht monokausal auf Erdöl und Energie zurück. Natürlich spielen auch - prozentual ist das schwer abzugrenzen - die hohen Zinsen eine Rolle. Ebenso spielen eine Rolle die Konkurrenz der Schwellenländer und - ich komme auf diesen Gesichtspunkt in einem anderen Zusammenhang noch zurück - die Tatsache, daß andere Länder sich heute in ähnlicher Weise darum bemühen, ihre Wettbewerbsfähigkeit an den internationalen Märkten zu erhalten, die das früher nicht so getan haben und denen gegenüber wir deshalb einen gewissen dauerhaften Vorsprung besessen haben.
Sie haben gesagt, die unverkennbare Exportverbesserung der deutschen Wirtschaft sei ausschließlich auf die verbesserten Wechselkurse - vor allem ausgedrückt im Verhältnis zwischen D-Mark und Dollar - zurückzuführen. Dies, so meine ich, unterschätzt und unterbewertet die Anstrengungen der deutschen Unternehmen und der Arbeitnehmer. Wenn es nicht die Mentalität gäbe, sich auf den Märkten der Welt zu behaupten, wären diese Verbesserungen der Wechselkurse in die Ertragssituation der Unternehmen eingegangen. Die Unternehmen hätten ihre Erträge verbessert. In Wahrheit haben sie aber bei dieser Lage die Mengenkonjunktur benutzt und unsere Exporte erhöht.
Schließlich zum Bundesbankgewinn. Es ist in der Tat richtig, daß ich zunächst der Auffassung war - dann bin ich von der Bundesbank, was ich im übrigen auch mehrfach öffentlich, sogar in einer Debatte hier, gesagt habe, aber in anderem Sinne überzeugt worden -, daß es sich um einen Vorgang der Geldmengenschöpfung handelt. Dies ist nicht richtig. Es ist vor allem deswegen nicht richtig, weil, wie sich in Ihrem Zwischenfragespiel mit dem Herrn Bundeskanzler zutreffend ergeben hat, der bei weitem größte Teil des Bundesbankgewinnes - und es kommt jetzt gar nicht darauf an, daß der gesetzlich abzuliefern ist; wir reden über die ökonomischen Konsequenzen - auf Zinseinnahmen zurückzuführen ist, nicht etwa auf die Höherbewertung stiller Reserven von Währungsbeständen und ähnlichem - dann müßte man in der Tat Fragezeichen setzen -, sondern auf echte Einnahmen, nämlich realisierte Kursgewinne und Zinseinnahmen. Dies ist, was Inflationswirkung und Geldmengenschöpfung anlangt, völlig in Ordnung. Es ist aber ein Problem darin enthalten - das sehen wir alle, das sieht auch die Bundesbank -, nämlich daß es eine Frage der Geldmengenvermehrung ist. Diese Frage wird die Bundesbank zu berücksichtigen haben. Sie hat erklärt, sie werde das tun. Es ist in konjunkturell schwieriger Zeit gerechtfertigt, diesen Bundesbankgewinn, der so entstanden ist, einzustellen.
Wenn wir mit unseren amerikanischen Freunden, wo unsere Hauptanlagen und die Währungsreserven der Bundesbank liegen, darüber sprechen: Senkt doch bitte eure Zinsen, dann betreiben wir eine Politik, die dazu führt, daß der Bundesfinanzminister im nächsten Jahr, wenn es gut geht, wenn diese Politik erfolgreich ist, weniger Zinseinnahmen und weniger Bundesbankgewinne zur Verfügung gestellt bekommt. Wir alle wollen das.
Nun zu Ihrer Frage, Herr Kiep: Ich glaube, daß die akute Wachstumsschwäche und die sich auch mittelfristig abzeichnenden Beschäftigungsprobleme nur durch eine mehrjährige wachstums- und beschäftigungspolitische Strategie überwunden werden können. Im Mittelpunkt dieser Strategie muß eine Verstärkung der Investitionen, der Innovationen und des Produktivitätsanstiegs stehen. Diese Aktivitäten müssen dabei die ganze Breite der volkswirtschaftlichen Angebotspalette erfassen. Nur durch eine solche breit angelegte Modernisierung und Ausweitung des Produktionspotentials können in den nächsten Jahren genügend Arbeitsplätze erhalten und, was wichtiger ist, neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
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Für die Investitions- und Innovationsentscheidungen in der Wirtschaft und die Abschätzung der Absatzchancen spielt nicht nur der tatsächlich gegebene Sachverhalt, sondern spielen die Perspektiven für die Entwicklung der Zins-, der Arbeits- und der Materialkosten sowie der Belastung durch die öffentliche Hand eine große Rolle. Sie beeinflussen und sie formen letztlich die Erwartungen und damit auch die Entscheidungen der Investoren. Die wachstums- und die beschäftigungspolitischen Bemühungen müssen deshalb vorrangig darauf gerichtet sein, das Vertrauen in eine positive Entwicklung dieser wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu stärken.
Eine dauerhafte Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung kann nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller für die Wirtschaft Verantwortlichen erzielt werden. Deshalb müssen sich alle staatlichen Ebenen, die Gewerkschaften, die Wirtschaftsverbände und erst recht die Unternehmen selbst an der Lösung dieser Aufgabe beteiligen. Niemand ist von der Verantwortung frei, in seinem Bereich auf Bedingungen hinzuarbeiten, die neues Wirtschaftswachstum und damit mehr Arbeitsplätze bringen.
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Dies, so meine ich, meine Damen und Herren, ist die sehr kurz zusammengefaßte Grundphilosophie. Ich will gerne noch fünf kurze Orientierungspunkte nennen.
Erstens. Um die notwendige Zinssenkung zu ermöglichen, müssen die durch Leistungsbilanzverbesserungen und Finanzpolitik geschaffenen Bedingungen für eine Entspannung an den Kapitalmärkten und eine größere Unabhängigkeit vom internationalen Zinsniveau verbessert und dauerhaft abgesichert werden.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie aber bitte darauf aufmerksam machen, daß dies nichts ist, was
hundertprozentig, ausschließlich und allein, in unserer Hand liegt? Wirtschaftlich, durch Anstrengung, durch Arbeit, durch Bemühen dem Rechnung zu tragen, das ist unsere Sache. Aber außenwirtschaftliche und politische Einflüsse, die wir nicht ausschalten können und die ihre wirtschaftlichen Konsequenzen haben, können Sie, meine Damen und Herren, in keiner Perspektive, in keiner Prognose, in keiner Beantwortung einer solchen Frage, wie Herr Kiep sie hier gestellt hat, einfangen.
Ich kann nicht vorhersagen - und Sie auch nicht -, wie sich der D-Mark-Dollar-Kurs wegen der Ereignisse in Polen entwickeln wird, was das für Auswirkungen auf die Zinsentwicklung haben kann. Man kann nicht vorhersagen - Sie haben das Thema Sanktionen in Richtung Polen angesprochen, Herr Kiep -, was das für Auswirkungen auf unsere wirtschaftliche Entwicklung haben kann.
Aber ich möchte doch zwei Bemerkungen dazu machen. Der Bundesaußenminister hat Herrn Wörner gestern gefragt, ob er im Zusammenhang mit den Sanktionsbemühungen, -bestrebungen und -überlegungen für einen Eingriff in abgeschlossene, gültige, schwebende Verträge sei oder nicht. Es würde uns schon interessieren, die Meinung der Opposition dazu zu erfahren.
Ich möchte eine weitere Überlegung anheimgeben, meine Damen und Herren, um deutlich zu machen, wie schwierig die Abgrenzung zwischen dem, was man für sanktionsfähig und -möglich halten kann, und dem ist, wo man dann anfängt, große Zweifel zu bekommen. Wir alle sagen: Nahrungsmittelhilfe: nicht daran rühren; humanitäre Hilfe: nicht daran rühren. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Ist die Lieferung von Ersatzteilen für den polnischen Bergbau oder für polnische Industrieanlagen, die sonst stehenbleiben, humanitäre Hilfe? Sie ist sicher keine Nahrungsmittelhilfe. Aber: Kommen die Ersatzteile nicht, geht die Produktion nicht weiter; läuft die Produktion nicht, wird keine Steinkohle gefördert; wird keine Steinkohle gefördert, fällt der wichtigste Exportartikel aus; hat man keinen Exportartikel, kann man keine Devisen einnehmen und keine Nahrungsmittel bezahlen. Dies, meine Damen und Herren, ist nur ein Fall der großen Schwierigkeiten, die Sie hinsichtlich aller Sanktions- und Beschränkungsvereinbarungen zu überlegen haben.
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Was immer wir vereinbaren und auf Papier schreiben - wir wollen uns, damit hier überhaupt kein Zweifel entsteht, an alle Vereinbarungen halten, die gemeinsam getragen werden; ich unterstreiche das Wort „gemeinsam" -, es bleibt letztlich eine von Fall zu Fall zu treffende politische Entscheidung. Den Nürnberger Trichter, in den man oben etwas hineinwirft und wo man unten die zutreffende Antwort bekommt, den gibt es auch hier nicht.
Zweiter zentraler Orientierungspunkt: Die durch die Finanzpolitik der Bundesregierung eingeleitete Umstrukturierung des Sozialproduktes von konsumtiven zu mehr investiven Verwendungen muß auch durch entsprechende Entscheidungen und Vereinbarungen der Tarifparteien fortgesetzt und unterstützt werden. Hier kann, Herr Kollege Kohl, vermögenspolitische Initiative in der Tat eine verteilungspolitische Erleichterung und verteilungspolitische Hilfe bringen; dies sei unbestritten. Sie haben gestern die Frage gestellt, was denn wohl die Initiativen, die auf dem Tisch gelegen haben und teilweise noch liegen, haushaltswirksam kosten könnten. Es gab verschiedene Initiativen; sie liegen alle etwa in der schwer abzuschätzenden Größenordnung von jährlichen Haushaltsbelastungen - verteilt auf Bund und Länder - von zweimal 0,5 Milliarden DM. Dies war j a auch der Grund, warum wir dann zum Ende der vorigen Legislaturperiode gesagt haben: Wir können zusätzliche Haushaltsbelastungen derzeit nicht auf uns nehmen. Das ändert nichts daran, daß man sich mit dieser grundlegenden Frage, ob man verteilungspolitische Hilfe anbieten kann, in einem Prozeß, der in diesem Jahr - die vorigen Jahre haben es schon gezeigt - wieder außerordentlich schwierig werden wird, nämlich im Prozeß der Einkommensverteilung, intensiv befassen muß und daß wir zu einer Diskussion hierzu bereit sind.
Aber man muß, wenn man hier ehrlich diskutieren will, auch die Frage hinzufügen, wie groß die praktischen Aussichten sind, mit solchen Initiativen Erfolg zu haben in einer Zeit, in der reale Einkommensverluste kaum zu vermeiden sind, der einzelne am Ende des Jahres also ohnehin weniger Kaufkraft mit nach Hause genommen hat und sich die Frage verstärkt stellen wird: Kannst du es dir denn - lassen Sie es mich einmal so sagen - aus Liquiditätsüberlegungen überhaupt leisten, nun auch noch auf Bargeld zu verzichten und vermögenspolitische Vorteile dafür in Anspruch zu nehmen?
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Ich sage das nur, um die ganze Palette abzurunden. Es ändert überhaupt nichts an meiner grundsätzlich positiven Einstellung.
Drittens. Aus Sicherheits-, Wettbewerbs- und Leistungsbilanzgründen muß der erfolgreich eingeleitete Prozeß der Einsparung von Energie sowie des Ausbaus und der Diversifizierung des Energieangebots fortgesetzt und verstärkt werden.
Viertens - und dies halte ich für ganz wichtig. Um die Ausbildungs- und Beschäftigungschancen für junge Menschen zu verbessern und die Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation generell zu verstärken, müssen die Bemühungen um eine vermehrte Bereitstellung von Ausbildungsplätzen sowie um die berufliche Fortbildung und Umschulung verstärkt werden.
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Und schließlich fünftens. Zur Verbesserung der Beschäftigungschancen und zur Erweiterung der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten sollten sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich flexiblere Arbeitszeit- und Beschäftigungsregelungen angestrebt werden. Dies ist Verteilung vorhandener Arbeitsplätze, es ist nicht die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber es kann wenigstens für einen
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Übergangszeitraum helfen, das eine oder andere Problem zu erleichtern. Es löst das Problem nicht.
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Meine Damen und Herren, wir werden zu Einzelheiten in diesem Sinne im Jahreswirtschaftsbericht Stellung nehmen und dann das, was Sie, Herr Kiep, gefragt haben, ausführlicher beantworten, als ich das hier in wenigen Worten und in der begrenzten Zeit, die zur Verfügung steht, tun kann.
Nun, meine Damen und Herren, ich muß leider - der Kollege Zimmermann ist zwar nicht hier - auf seine Eröffnungsrede in der Debatte zurückkommen, die ich zu beanstanden habe. Ich habe wieder zu beanstanden, daß die Zitierkünste von Herrn Zimmermann, deretwegen ich schon einmal mit ihm zusammengerasselt bin, sich nach wie vor nicht gebessert haben.
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Er hat es nicht nur in seiner Rede vorgetragen, sondern er hat bei der Rede des Kollegen Willy Brandt auch noch eine Zwischenfrage gestellt, in der er sich wie folgt geäußert hat. Es ging aus, meine Damen und Herren, vom 6,3-Milliarden-DM-Kreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau, das ich für richtig gehalten habe, dessen Zinsverbilligung ich beim Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank befürwortet habe. Es wird aus dem Haushalt bezuschußt. Herr Zimmermann hat gesagt und mich damit zitiert - angeblich -:
Von dem berühmten 6,3-Milliarden-Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau seien 2,5 Milliarden DM immer noch nicht abgerufen worden.
- Das hätte ich gesagt. Mit anderen Worten:
- wieder Zitat Lambsdorff, also mein Ausspruch Das Geld fließt nicht mehr ab. Die Bedingungen sind nicht attraktiv.
In Wahrheit habe ich gesagt:
Das Geld fließt nicht mehr ab. Die Bedingungen sind nicht mehr attraktiv.
Und dies genau ist der Punkt, meine Damen und Herren. Als wir dieses Programm aufgelegt haben, waren die Zinsen attraktiv. Inzwischen hat es eine Zinssenkung durch die Deutsche Bundesbank gegeben. Am Tage, an dem sich dort ein Zinssenkungstrend zeigte, ist die Nachfrage bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau nach diesem Programm, das vernünftig war - ich betone das noch einmal -, zurückgegangen, weil die Zinserwartungen der Investoren nach unten gerichtet sind. Aber so sollte man dann doch - wenn ich darum bitten darf - nicht zitieren. Denn mit dem einen ausgelassenen Wort wird der Sinn verdreht.
Nun, meine Damen und Herren, das Stichwort „Beschäftigungsprogramm" ist auch heute gefallen. Um Verwechslungen und Mißinterpretationen zu vermeiden, würde ich lieber von beschäftigungspolitischen Alternativen sprechen, über die nachgedacht werden muß. Auch diese Debatte hat ergeben daß auf der ganzen Breite des Hauses überhaupt kein Zweifel daran zu bestehen scheint, daß wir neben den privaten Investitionen, die die Wirtschaft und deren erwünschten Aufschwung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze tragen müssen, selbstverständlich auch öffentliche Investitionen brauchen Daß öffentliche Investitionen andererseits allein vom Volumen her die privaten Investitionen nicht ersetzen können, wird jemand, der noch einigermaßen rechnen kann, auch nicht bestreiten. Die Frage die sich stellt und die beantwortet werden muß, heißt aber: Wie denn nun finanzieren? Und hier Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuwägen, das, in der Tat, meine Damen und Herren, ist schwierig.
Sie haben einen Diskussionspunkt angesprochen Ich will dazu einige wenige Worte sagen, Herr Kiep Ich will ganz gewiß keine Verwirrung stiften, sondern Verwirrung aus der Welt bringen, wenn sie entstanden ist; denn Verwirrung ist schädlich, erzeugt Attentismus, und das ist etwas, was wir nicht brauchen.
Wir haben im Wirtschaftsministerium selbstverständlich in der Weihnachtspause darüber nachgedacht, was beschäftigungspolitisch sinnvoll getan und sauber finanziert werden könnte. Dazu sind wir schließlich da, insbesondere wenn es um die Vorbereitung des Jahreswirtschaftsberichts geht. Eine dieser Überlegungen - Frau Matthäus hat sie heute morgen angesprochen - ist auch öffentlich diskutiert worden, nämlich die Frage, ob eine auf das Jahr 1982 beschränkte Investitionszulage durch eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt per 1. Juli 1983 finanziert werden könnte, die am 1. Januar 1984 im Rahmen einer dann vielleicht nötigen Änderung bei der Lohn- und Einkommensteuer verrechnet werden könnte. Es sollte nicht etwa eine zusätzliche steuerliche Dauerbelastung übrigbleiben. Nach gründlicher Diskussion bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß auch bei diesem Modell die Nachteile die Vorteile überwiegen.
Dies scheint mir die Grundfrage zu sein, die wir uns von Fall zu Fall überlegen müssen: Finanzieren wir etwas auf eine Art und Weise, was dann in seinen Auswirkungen durch die Art der Finanzierung schädlicher und abträglicher dem ist, was wir eigentlich erreichen wollen? Das ist doch keine Frage von Ideologie, das ist auch keine Frage von vorgedruckten Programmen und auch keine Frage, die man aus einem Kochbuch ablesen kann. Auch der Jahreswirtschaftsbericht kann hierfür kein Rezeptbuch werden. Es ist vielmehr eine Frage von Zweckmäßigkeit, der Überlegung: Wie reagieren die Wirtschaftssubjekte? Dies ist heute - ich komme darauf sofort, meine Damen und Herren - eine der schwersten Fragen, die man gestellt bekommen kann.
Wir nehmen beschäftigungspolitische Anstöße ernst. Das gilt, ebenso wie Sie es für sich gesagt haben, Herr Kiep, für die Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das gilt auch für die Vorstellung, die 38 Professoren Anfang dieser Woche abgegeben haben. Aber ich sage auch da, mir fehlt bei diesem Vorschlag die Finanzierungsseite. Die Fi4656
nanzierungsseite, die dort genannt wird, nämlich Kreditaufnahme, sieht aus, als lebten wir ohne außenwirtschaftliche Bezüge. Die Schäden, die dann entstehen könnten, sind von den Professoren nicht behandelt worden.
Eines allerdings, meine Damen und Herren, hat mich in diesen Tagen amüsiert. Ich möchte Ihnen das nicht vorenthalten. Es gibt gelegentlich auch skurrile Argumente in der wirtschaftspolitischen Diskussion. Niemand hier im Hause wird meinen - ich glaube, auch Sie nicht -, daß sie sich zu den reinen Monetaristen zählen wollen. Wir sind in der Bundesrepublik übrigens ganz gut gefahren - ich habe vorhin vom Stil der Debatte auf einem mittleren Wege gesprochen -, daß wir weder reine Monetaristen noch reine Keynesianer gewesen sind, sondern uns auf eine pragmatische Mittellinie geeinigt haben. Aber wenn Professor Friedmann, der Altvater der Monetaristen im Interview einer Hamburger Illustrierten sagt: „Tatsache ist jedoch, daß die gegenwärtigen hohen Zinssätze nicht auf das Budget-Defizit in den Vereinigten Staaten zurückzuführen sind", und dann auf die Frage: „Welche Erklärung haben denn Sie für die hohen Zinssätze parat?" sagt: „Ich weiß nicht, wie die hohen Zinssätze in den vergangenen zwölf Monaten zu erklären sind, aber sie können weder durch die Budget-Defizite noch durch die Geldpolitik erklärt werden", dann, meine Damen und Herren, geht mir der Monetarismus etwas zu weit.
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Andererseits darf ich viele von uns und, wie ich glaube, auch viele von Ihnen, Herr Kohl und Herr Kiep, ohne daß ich das kritisch bemerken wollte - ich habe selbst dazugehört -, erinnern: Haben wir nicht alle vor zehn oder 15 Jahren gesagt - das liegt nun mehr auf der keynesianischen Seite -: Langfristige Investitionen muß man zu einem guten Teil auch durch Fremdmittel finanzieren, und wenn das Investitionen sind, die in die nächste Generation hineinreichen, dann muß auch die nächste Generation sie mitbezahlen; das ist doch korrekt, das ist doch vernünftig?
({14})
Wir haben gesehen, meine Damen und Herren, daß uns die Schulden schneller eingeholt haben, als die nächsten Generationen herangewachsen sind, und vor dem Problem stehen wir doch.
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Ich sage das ohne jeden kritischen Ansatz; denn, meine Damen und Herren, ich habe selber in diese Richtung gedacht und argumentiert und frage mich heute, ob das richtig war, ob man das fortsetzen darf.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ende noch folgende Gedanken ausführen. Es ist eines der eingängigsten Argumente in unserer wirtschaftspolitischen Diskussion - ich sage „eingängigsten", und zwar auch für die Menschen draußen
im Lande -, daß jemand sagt: Ihr zahlt da 10 oder 20 Milliarden DM für Arbeitslose. Warum um Himmels willen setzt ihr die Menschen mit diesem Geld nicht ein, warum finanziert ihr davon nicht Beschäftigungsprogramme? Denn das finanziert sich doch zu einem ganz großen Teil selbst. - Das ist eingängig.
({17})
Herr Warnke, ich will das gar nicht personifizieren.
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Da gibt es viele, ernst zu nehmende politische Diskutanten. Lassen wir das bitte doch zunächst einmal als eine unstreitige Behauptung stehen. Diese Diskussionsbeiträge gibt es von vielen Seiten.
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- Nein, nicht nur von einer Seite. Das stimmt nicht, Herr Warnke.
Nun haben unsere Institute, und zwar fast alle, an Hand von Modellen nachgerechnet, ob eine solche Rechnung eigentlich wirklich aufgeht. Ich kann Ihnen das hier nicht im einzelnen vortragen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat das getan, und das Rheinisch-Westfälische Institut hat es auch getan. Die Bundesbank hat eine dieser Rechnungen überprüft und kommt zu etwas abweichenden Ergebnissen. Alle Ergebnisse sind alles andere als ermutigend für eine solche Theorie.
Ich darf zwei Sätze zitieren, die das Ifo-Institut als Ergebnis seiner Untersuchungen zu Papier gebracht hat:
Unsere Modellrechnungen zeigen, daß möglicherweise auftretende Zinssteigerungen einen bedeutenden Teil der ursprünglichen Wachstums- und Beschäftigungswirkungen zunichte machen. Unter diesem Aspekt ist es bei angespannter außenwirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Situation in der Tat günstiger und für den Staat zweifellos billiger, die Voraussetzungen für die Möglichkeit von Zinssenkungen zu schaffen, als massive Beschäftigungsprogramme aufzulegen.
Dies, meine Damen und Herren, ist eine der Leitlinien, die die Bundesregierung, nicht zuletzt - nein, zuerst - der Bundeskanzler, immer wieder vertreten hat. Wir dürfen und können nichts tun, was den Zinssenkungsprozeß unterbricht.
({20})
Das beste Beschäftigungsprogramm ist eine nachhaltige und massive Zinssenkung.
({21})
Ich füge hinzu: Wer ein bißchen von Psychologie versteht, der enthalte sich - und, meine Damen und Herren, ich bitte herzlich darum, das zu befolgen Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
öffentlicher Kritik an der Bundesbank in dieser Frage!
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Diese Bitte äußere ich - das habe ich hier schon einmal gesagt - nicht, weil die Bundesbank sakrosankt wäre - sie ist autonom, aber nicht sakrosankt -, sondern weil Sie damit beim Zentralbankrat das genaue Gegenteil von dem erreichen, was Sie mit dieser Kritik erreichen wollen. Deswegen diese meine herzliche Bitte!
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Meine Damen und Herren, es kommt ein weiterer Umstand hinzu. Ich möchte davor warnen, die Erfahrungen der Vergangenheit, was beschäftigungspolitische Anstöße jeder Art angeht, auf unsere gegenwärtige Situation zu übertragen. Es hat sich nach meiner Überzeugung zuviel geändert, und deswegen treffen diese Überlegungen mindestens nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher zu.
Ich darf nur zwei Punkte erwähnen. International gesehen, gibt es Konjunkturschwäche bei unseren Handelspartnern und Strukturumbruch auch dort wegen Energie- und Technologieproblemen. Die Schwellenländer und Japan sind neue Konkurrenten. Es gibt Antiinflationspolitik in Ländern, die in dieser Frage immer etwas laxer waren als wir und uns unseren Stabilitätsvorsprung ließen, was für den Außenwert unserer Währung höchst wichtig war.
Eines möchte ich Ihnen, Frau Simonis, sagen. Geschmeichelt hat uns die Lokomotivtheorie auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1978 - den Sie, ich weiß nicht, aus welchen Gründen, nach Bremen verlegt haben; er hat hier in Bonn stattgefunden - wahrlich nicht.
Aber ich möchte noch einmal - vielleicht ein bißchen unter Berufung auf Bismarck, der mal gesagt hat: Bei den Deutschen ist nichts so kurz wie das Gedächtnis - an die Adresse aller sagen: Wir standen im Jahr 1978 bei diesem Bonner Weltwirtschaftsgipfel unter einem außenpolitischen Druck, der es aus vielen anderen Gründen - nicht aus ökonomischen; da waren wir nämlich nicht sehr begeistert und gar nicht geschmeichelt - unmöglich gemacht hat, uns der Forderung zu entziehen: Gebt mehr deficit spending in der Größe von einem Prozent eures Bruttosozialprodukts im Jahr 1979 aus.
Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Selbstverständlich; gern.
Herr Abgeordneter Glos.
Herr Bundeswirtschaftsminister, darf ich Sie fragen, ob Ihre Äußerung über das Direktorium der Deutschen Bundesbank und sein
Verhalten so zu verstehen ist, daß die 17 Experten ihre Entscheidung danach treffen, wie sich SPD-Abgeordnete über die Bundesbank äußern?
Herr Kollege Glos, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. Denn wenn dieser Eindruck aufkommen sollte, habe ich gleich Gelegenheit, ihn zu korrigieren. Das ist nicht der Fall. Aber Menschen sind auch Entscheidungsträger und auch Mitglieder eines solchen Gremiums. Und wenn man sie dauernd ärgert, werden sie nicht etwa bereitwilliger.
({0})
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Schluß machen. Früher - wir haben das ja 1967 erlebt, und nicht ohne Erfolg, und wir haben es 1974 erlebt - bedurfte die Wirtschaft nur eines Anstoßes, um vorhandene Kapazitäten wieder zu nutzen und Investitionen in gewohnter Richtung fortzusetzen oder einen Umstellungsprozeß mit dauerhaften Erfolgsaussichten in Angriff zu nehmen. Heute herrscht in der Wirtschaft wie auch bei uns die Meinung vor, daß es zu einem großen Teil einer grundlegenden Neuorientierung bedarf. Den alten Weg mit den alten, gewohnten Anstößen einfach fortzusetzen, das klappt nicht. Wir sehen es. Früher wurden Begünstigungen durch staatliche Programme als dauerhafte finanzielle Erleichterungen angesehen. Heute läuft die ganze öffentliche Diskussion dahin, daß die späteren Gegenforderungen und Folgekosten gefürchtet und gescheut werden. All das muß bei unseren Überlegungen berücksichtigt werden.
Wir werden auch in Zukunft die jetzt eingeleitete Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Basis des konsolidierten Bundeshaushalts führen, den wir Ihnen vorlegen, von dem wir wissen, daß Sie ihn ablehnen wollen, den wir aber unter großen Mühen zustande gebracht haben. Wir werden diese Politik fortsetzen. Wir werden nicht, Frau Simonis, dem von Ihnen gewählten Zitat des Herrn Schumpeter folgen: Auf Schulden reitet das Genie zum Erfolg. Wer nimmt schon für sich in Anspruch, das er ein Genie sei?
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Koordinator der Unionspolitiken hat es ja, was schon in der Natur der Sache liegt, verdammt schwer, seiner Aufgabe gerecht zu werden, weil er da zu koordinieren hit.
({0})
Schon der erste Versuch, sich und das Image seiner Partei von der früher als vorbildlich dargestellten Politik der konservativen Freunde in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien abzukoppeln,
ist in die Hose gegangen. Ihr Versuch, nachdem sich die Auswirkungen einer keineswegs vorbildlichen Politik deutlicher zeigen, widerspricht ganz schlicht und einfach den Feststellungen einer Reihe Ihrer Parteifreunde, die Sie besser zu koordinieren hätten. „Ich bin der deutsche Thatcher", so Franz Josef Strauß am 23. Juli 1979. Und als Herr Stoltenberg vor einem halben Jahr aus den Vereinigten Staaten zurückkam, sagte er:
„Positiv zu betrachten ist der entschiedene Versuch des amerikanischen Präsidenten, mit marktwirtschaftlichen Methoden die Krisenprobleme der Vereinigten Staaten zu lösen."
Wenn Sie das als vorbildliche Marktwirtschaft darstellen, möchten wir, obwohl auch wir alles andere als Planwirtschaftler sind, diesen Weg und das, was Sie als Vorbild bezeichnen, nicht nachvollziehen.
({1})
Aber auch auf einem zweiten Feld ist es Ihnen, verehrter Herr Koordinator, nicht gelungen, die verschiedenen Widersprüche Ihrer Kollegen, sowohl hier als auch draußen zum Ausdruck gekommen, auf einen Nenner zu bringen, obwohl Sie sich darum redlich bemüht haben.
({2})
Die Fragen, die Herr Haussmann Ihnen zu den Punkten gestellt hat, haben Sie nicht beantwortet. Sie konnten nicht sagen, was denn nun gemeint ist, wenn Ihr Kollege Strauß sagt: Jawohl, die Staatsausgaben müssen stark nach oben gehen - ist das nur Anbiederung auf dem DGB-Landeskongreß gewesen? -, oder wenn Herr Geißler sagt: Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich. Was Herrn Rommel angeht, haben Sie gesagt, Sie kennten sein Interview überhaupt nicht, und deswegen könnten Sie zu dessen Forderung nach Erhöhung der Gewerbesteuer leider nichts sagen.
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Dabei ist seine Begründung doch gar nicht so von der Hand zu weisen, nämlich um die Investitionsfähigkeit insbesondere der Städte zu stärken. Zu all dem konnten Sie sich nicht äußern, auch nicht zu Ihrem Exministerpräsidenten Albrecht
({4})
- ich meine: Ihr ehemaliger Ministerpräsident als Chef -,
({5})
der gesagt hat: Wenn der Bundesrat über ein beschäftigungspolitisches Programm zu entscheiden hat, werde ich mich dem nicht entgegenstellen.
Herrn Riedl sind die Löhne zu niedrig, und Herrn Glos sind sie zu hoch. Das alles, verehrter Herr Koordinator, auf einen Nenner zu bringen, ist Ihnen nicht gelungen.
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Offensichtlich hatten Sie in diesem Falle keinen Automaten, der das schafft.
Herr Abgeordneter Reuschenbach, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl zu?
Ja, selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Dr. Riedl.
Herr Kollege Reuschenbach, mich haben Sie richtig zitiert, den Kollegen Glos auch. Da ich aber das Wortprotokoll der Rede von Herrn Strauß auf dem DGB-Landesdelegiertenkongreß in Erlangen gelesen habe: Könnten Sie mir bitte einmal die Stelle vorlesen, wo Herr Strauß gesagt hat, die Staatsausgaben müßten rapide noch oben gehen?
Aber natürlich. Ich habe nicht seinen Text hier. Den haben Sie sogar als Pflichtlektüre zu lesen.
({0})
Aber ich habe Herrn Strauß zufällig im Fernsehen gesehen, wo er gesagt hat: Selbstverständlich muß der Staat, müssen die öffentlichen Hände jetzt mehr Geld bereitstellen
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- der Staat, die öffentlichen Hände, der Bund, die Länder und Gemeinden -, um Investitionen zu tätigen, z. B. - wie Herr Strauß sagt - für neue Krankenhäuser, für Infrastrukturmaßnahmen in den Gemeinden. Das ist doch nicht zu bestreiten, lieber Herr Riedl.
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Es ist ja auch gar nicht falsch, was er da gesagt hat. Aber es ist eben auch festzustellen, daß sich Herr Kiep jetzt seiner schämt.
({3})
Die anderthalb Tage gestern und heute haben zutage gefördert, daß die Opposition außer Lamento, einigen Selbstverständlichkeiten und manchen Wünschen nichts Nennenswertes als Beitrag zum wirtschaftspolitischen Kurs in der Zukunft beigetragen hat. Sprüche reichen da eben nicht; wie etwa: der Markt werde es schon machen, oder: die christlichen Grundsätze müßten wieder in die Wirtschaft eingeführt werden; man soll sich also wechselseitig nicht betrügen; das ist eh verboten. Es reicht auch nicht der Glaube der Union, würde sie nur regieren, würde sie Berge versetzen, oder alles werde überhaupt anders, wenn die derzeitige Regierung nicht mehr regiere. Wissen Sie, dieses nicht originelle
Lied von der SPD, die an allem schuld sei, hat Rudi Carrell schon früher und vor allen Dingen gefälliger gesungen, als Sie das jetzt versuchen zu tun.
Die Tatsache, daß in Westeuropa in den letzten sechs Jahren 20 Regierungen entweder abgewählt oder gestützt worden sind, zeigt, daß es nicht mit so billigen Rezepten geht, sondern daß die Aufgaben und die Probleme ungleich größer sind; und zwar deshalb, weil sie in den Augen der Bürger bzw. in den Augen der Parlamentarier insbesondere mit den ökonomischen Problemen nicht fertig geworden sind. 20 Regierungen gestürzt oder abgewählt!
({4})
- Das ist ja nun keine Behauptung, sondern Tatsache.
Wenn das in der Bundesrepublik Deutschland ganz anders ist, kann das an zwei Dringen liegen: Entweder sind die tatsächlichen ökonomischen Probleme hier nicht so schlimm wie in den meisten westeuropäischen Ländern - das wäre also zumindest ein relativer wirtschafts- und finanzpolitischer Erfolg dieser Regierung -, oder aber - und das schließt sich nicht einmal aus - die Kraft dieser Regierung ist ungleich stärker als die der 20 gestürzten und abgewählten Regierungen in Westeuropa. Gleichgültig, ob Sie sich diesen oder jenen Grund aussuchen - in beiden Fällen ist es eine vernünftige Feststellung, eine Tatsachenfeststellung, und wir wollen auch daran arbeiten, daß diese beiden Gründe maßgebend für die Arbeit dieser Regierung sind.
Dennoch wissen wir auch - das sollten auch Sie gelegentlich einräumen -, daß man sich nicht wie weiland Münchhausen mit nationalen Maßnahmen allein sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf der wirtschaftlichen Probleme herausziehen kann. Ohne Gesundung der internationalen Energieversorgungsstrukturen, ohne durchgreifende Belebung des Welthandels, ohne weltweite Reduzierung der Inflationsentwicklung und demzufolge deutliche Verringerung des Zinsniveaus ist es nicht möglich, durchgreifenden Erfolg zu haben, der aber durch nationale Maßnahmen flankiert werden muß.
Wir können und müssen einen Teil dazu beitragen, und zwar durch private und öffentliche Anstrengungen. Ich halte - die Mahnung geht nicht nur in eine Richtung - die Art und Weise, wie die öffentlichen Anstrengungen gegen die privaten Notwendigkeiten und andererseits die privaten Notwendigkeiten gegen die öffentlichen Bemühungen ausgespielt und gegeneinandergesetzt werden, wirklich für verhängnisvoll.
({5})
Sie schließen sich nicht wechselseitig aus - gleichgültig, wer welcher Seite die Präferenz einräumt -, sondern sie bedingen einander.
({6})
Beide müssen zusammenwirken. Die Sozialdemokraten werden jedenfalls nicht zulassen, daß unser
Staat in die Rolle des Nachtwächterstaats des vorigen Jahrhunderts zurückgedrängt wird.
({7})
Die politische Mitverantwortung ist ja nicht einmal eine ausschließlich sozialdemokratische Erfindung. Die Katholiken unter Ihnen sollten einmal in die katholische Soziallehre hineinschauen. Dort lesen Sie es Wort für Wort so ähnlich, wie es im Godesberger Programm steht, nämlich daß der Staat seine hohe Mitverantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung hat.
({8})
- Verehrter Herr Kollege Wissmann, Sie lachen. Sie lachen vielleicht aus Unwissenheit. Es gibt einen bemerkenswerten Aufsatz des Jesuitenpaters und Professors Nell-Breuning über das Verhältnis von katholischer Soziallehre und Godesberger Programm. Er schreibt an einer Stelle sinngemäß: Dieser Teil des Godesberger Programms - Wirtschafts-, Sozial-und Kulturpolitik - ist eigentlich ein kurzgefaßtes Repetitorium der katholischen Soziallehre.
Sie sollten in diesem Fall Ihre Geschichtskenntnisse ein bißchen aufmöbeln.
({9})
Mich hat die mit treuem Augenaufschlag vorgebrachte Mahnung von Herrn Kiep - ausgerechnet auch noch mit Blick auf die Sozialdemokratische Partei -, man könne bei dieser Arbeitslosigkeit nicht business as usual machen, etwas vom Stuhl gehauen. Ausgerechnet uns müssen Sie dies sagen, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit eine politische Aufgabe ist!
({10})
Ich kann Ihnen nur raten, Ihre Koordinationsbemühungen in den eigenen Reihen, in Ihrem eigenen Verein als eine unerläßliche und unverzichtbare Aufgabe zu betrachten,
({11})
um sich klar zu werden, wo ermuntert und geholfen werden muß, damit man auf den Pfad der Tugend findet.
Die Politik der Bundesregierung und der Koalition bietet und leistet ganz zweifellos den nötigen Beitrag zur Mobilisierung der ökonomischen Kräfte hierzulande. Wir verringern mit großem Erfolg die Importabhängigkeit unserer Ölversorgung und sind auch dabei, das Leistungsbilanzdefizit zu verringern. Wir haben in diesem Jahr in der Handelsbilanz ein Plus von 19 Milliarden DM; im vorigen Jahr waren es nur 8 Milliarden DM. Das ist doch eine schöne Verdoppelung, die außerdem der Behauptung aus Ihren Reihen widerspricht, die deutsche Wirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig. Wäre die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig, könnte sie dieses gute Ergebnis nicht halten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Frau Präsident, ich weiß nicht genau, wieviel Redezeit ich noch habe.
({0})
- Ich habe Sie jedenfalls nicht gefragt, Herr Glos.
Herr Kollege, es wird keine Zwischenfrage zugelassen. Es tut mir leid.
Herr Kollege, ich möchte wirklich keine Zwischenfragen zulassen, weil ich keine lange Redezeit mehr habe.
Dieser Erfolg bei der Außenwirtschaft berechtigt auch nach meiner Meinung, Herr Bundeswirtschaftsminister, zwar nicht zu ungerechtfertigter Kritik, aber zu der Erwartung, daß die Bundesbank anfängt, diesen Handlungsspielraum zu nutzen.
({0})
Es wäre sehr merkwürdig, wenn die, die in jenem Gremium entscheiden, anders entschieden, wenn sie bedrängt werden, als wenn sie nicht bedrängt werden. Es wäre auch eine merkwürdige Bundesregierung, wenn sie etwa so handelte, je nachdem, ob sie bedrängt wird oder nicht bedrängt wird. Wir gehen davon aus, daß die in der Bundesbank Verantwortlichen sachgerechte Entscheidungen treffen, unabhängig davon, ob sie zuvor gestreichelt, gelobt, kritisiert oder bedrängt worden sind.
({1})
Ich denke, das wird auch die Wirklichkeit werden.
Staat und Politik haben stark zu diesen Schritten nach vorn mit beigetragen, schon in der Vergangenheit; sie sind gelegentlich schon genannt worden. Nur muß ich sagen, daß die Union, wenn sie heute mehr auf dem Dampfer der Steuererleichterungen ihre Feste feiert, dann bitte auch gleichzeitig in den Ländern und Gemeinden mit Verantwortung dafür übernehmen muß, daß dort die Investitionsmöglichkeiten und -fähigkeiten verringert werden. Diese Linie kann nicht ohne weiteres durch immer neue Steuererleichterungspakete fortgesetzt werden. Die Union muß dann die Verantwortung dafür übernehmen, daß sie die Ebenen des Staates, die zu zwei Dritteln oder drei Vierteln öffentliche Investitionen tätigen, nämlich Länder und Gemeinden, außerstande setzt, diesen Teil ihrer Aufgaben wahrzunehmen.
Ich bin froh, daß im Zusammenhang mit den Maßnahmen, die über die bisherigen Anstrengungen hinaus ins Haus stehen, der für Wirtschaftspolitik verantwortliche Mann des Deutschen Gewerkschaftsbundes Alois Pfeiffer zu den Gesprächen mit der Bundesregierung gesagt hat: „Ich kann von dem gestrigen Gespräch sagen, daß zwischen der Regierung und uns weitgehende Übereinstimmung besteht über die Notwendigkeit einer beschäftigungspolitischen Strategie. Es besteht weitgehende Übereinstimmung - das haben wir auch immer wieder betont -, daß es dabei nicht um ein Strohfeuer und kurzfristige Maßnahmen gehen kann, sondern daß es um mittelfristige Dinge gehen muß, die also auch
nachhaltig Arbeitsplätze schaffen sowie Arbeitsplätze sichern."
Diese Zielsetzung in Übereinstimmung, wie er sagt, mit der Bundesregierung, hat der Wirtschaftsminister eben hier noch einmal fast mit den gleichen Worten wie im Interview mit Alois Pfeiffer unterstrichen. Wir denken, daß sich dies so oder so ähnlich im Jahreswirtschaftsbericht wiederzufinden hat. In dieser Woche geht es darum, den Haushalt zu verabschieden, daß da kein Aufschub des Vollzugs erfolgt und daß das Geld, das er für Investitionen und für beschäftigungswirksame Maßnahmen bereithält, auch zur Ausgabe gelangt und auf diese Art und Weise noch zusätzliche Voraussetzungen für Zinsbeschlüsse der Bundesbank gegegen sind. Das, was dieser Haushalt 1982 bis 1985 an beschäftigungswirksamen Maßnahmen beinhaltet - runde 26 Milliarden -, das ist kein Pappenstiel. Das ist das Gegenteil von Brüning.
Verehrter Herr Kiep, wenn Sie schon darauf aufmerksam machen, daß eine Vermutung, eine Prognose - wahrscheinlich oder unwahrscheinlich - lautet, daß die Anlageinvestitionen in 1981 um 3,5 oder 3,6 % niedriger seien als 1980, dann müssen Sie gerade ein ungewöhnlich großes Interesse daran haben, daß der Haushaltsvollzug schnell abläuft und nicht noch mit Ratschlägen, man möge auf die Verabschiedung des Bundeshaushaltes - ({2})
- Das haben nicht Sie persönlich gesagt, aber andere, und Ihre Aufgabe ist es doch, wie Sie selbst sagen, ordentlich zu koordinieren. Ich hoffe, das gelingt Ihnen denn auch.
Das, was dann noch zusätzlich nötig und möglich ist, muß breit und auf Dauer angelegt werden: Gezielte Investitionsanreize, gezielte strukturverbessernde und öffentliche Investitionen, Modernisierung der Wirtschaft. Ich füge hinzu: Bei dem Stand, den die Diskussion erreicht hat, muß klar sein, daß Beschlüsse dieser Art rückwirkend von Anfang dieses Jahres an gelten, um zu vermeiden, daß mit weiterem Ablauf von Zeit ein Attentismus eintritt, den wir nicht gebrauchen können.
Ich finde es gar nicht richtig - und mir liegt es fern, so etwas zu tun -, daß jeder einzelne so seine persönliche Vorliebe für die geeignete Finanzierungsart hier heute zu einem völlig ungeeigneten Zeitpunkt ausbreitet. Es kommt auch gar nicht in erster Linie darauf an, sich auf ein einziges Instrument einzustellen. Weder können allein Umschichtungen noch allein Steuererhöhungen noch allein eine höhere Verschuldung die Grundlage für die Finanzierung weiterer wirtschaftspolitischer Aufgaben sein, sondern es wird, wenn die Größenordnung klar ist, eine Kombination dieser verschiedenen Instrumente sein, um Arbeitslosigkeit weiter zu bekämpfen. Und das ist für uns kein x-beliebiges Thema.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, wobei ich von einer Bemerkung des Kollegen Carstens von heute morgen ausgehe. Er sagte unter Hinweis auf schwarze Fahnen in den Jahren 1966/67 im Ruhrgebiet, daß er sich wundere und es bedauere, daß es heute bei deutlich höherer Arbeitslosigkeit keine
Wiederauflage der damaligen Massenproteste und sozialen Eruptionen gebe. Nun, anders als damals gibt es auch nicht auf einen Schlag 8 bis 10 % Neofaschisten in den Länderparlamenten, die sich damals auf einer Welle des Protestes gegen ökonomische Einbrüche, gegen Arbeitslosigkeit hochschaukeln konnten. Aber mich wundert es, daß sich Herr Carstens darüber wundert; denn das ist einfach zu erklären. Das liegt daran, daß seither die soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, bei Kurzarbeit und bei Betriebskonkursen und die Mitwirkungsrechte der Betriebsräte so verbessert worden sind, daß solche wirtschaftspolitischen Einbrüche für den einzelnen nicht Not und Elend bedeuten, sondern daß sie trotz allem auch noch erträgliche Existenzgrundlagen haben.
({3})
Das ist die ganz schlichte und einfache Erklärung dafür, daß das - Herr Carstens bedauert es -, was 1966/67 bei einer zugegebenermaßen geringeren Arbeitslosigkeit auftrat, heute nicht in Erscheinung tritt. Heute kommt es nicht zu sozialen Eruptionen. Ich kann Neugierige nur warnen, die drauf und dran sind, dieses Netz der sozialen Sicherheit zu zerschlagen, was wieder dazu führen würde, daß es schwarze Fahnen gäbe. Die Union mag sich darüber wundern oder es bedauern, daß die Neuauflage nicht da ist. Aber wenn Ihre Politik auf dem Feld der sozialen Sicherung Wirklichkeit würde, so würde dies sehr bald dafür sorgen, daß Arbeitslosigkeit mit schwarzen Fahnen und sozialen Protesten Wirklichkeit würde.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens ({0})?
Ja, bitte sehr.
Kollege Reuschenbach, ich möchte Sie fragen, ob Sie heute morgen nicht gehört haben, daß ich mich darüber gewundert habe, daß diejenigen, die damals mit schwarzen Fahnen auf die Straße gegangen sind, heute mit den Verantwortlichen Fruchtsaft und Kaffee trinken, und daß ich nicht dazu aufgefordert habe, jetzt mit schwarzen Fahnen auf die Straße zu gehen.
Nein, Herr Carstens, ich habe auch nicht behauptet, daß Sie gefordert hätten, die Leute sollten mit schwarzen Fahnen auf die Straße gehen, sondern ich habe Ihre Verwunderung darüber angesprochen, daß bei heute größerer Arbeitslosigkeit nicht gleiche soziale Eruptionen wie 1966/67 entstünden. Ich habe Ihnen nur die einfache Erklärung dafür gegeben, daß es heute zu solchen sozialen Eruptionen nicht kommt.
({0})
- Mein lieber Ausschußkollege! - Ich lüge nicht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es gibt wenig Veranlassung, diese Verwirrungsspiele der Union, mal so rum, mal so rum, hier ernsthaft weiterzutreiben und etwa in unsere Betrachtungen aufzunehmen. Sie sagen selbst, Sie wollten keinen konkreten Beitrag und keine konkreten Vorschläge zur Wirtschaftspolitik leisten, weil es Sache der Bundesregierung und der Koalition sei, die ja regiere, die Politik zu formulieren. Dann werden wir das halt tun und Ihre Kommentare anhören und zur Kenntnis nehmen. Diese Kommentare ändern im Prinzip nichts daran, daß die Bundesrepublik ein Land ist, das mit einer hochentwickelten Infrastruktur, ordentlichen sozialen Verhältnissen, einer breiten Produktionspalette
({1})
und einem günstigen Klima für Preisstabilität eine gute Chance hat, diese weltwirtschaftlichen Verwerfungen zu bestehen. Wenn Sie den 50 %igen Anteil von Psychologie nicht mehr mit soviel Schwarzmalerei versähen, wären mancher Schritt und mancher Weg leichter zu gehen, als das heute der Fall ist. - Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hackel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Lambsdorff hat sich vorhin bei den Berichterstattern zum Einzelplan 09 dafür bedankt, daß in den Vorbereitungssitzungen eine so freundliche Atmosphäre geherrscht und eine gegenseitige Information stattgefunden hat. Bei den Berlin-Beratungen ist dies leider in keiner Weise der Fall gewesen. Das ist um so bedauerlicher, als alle diejenigen, die aus Berlin kommen und hier im Bundestag sind, sich in ihrer Argumentation, wenn sie sich zu Berlin-Leistungen des Bundes äußern, weit über die Maßstäbe hinaus begeben müssen, die man an haushaltsrechtliche Positionen anlegt.
Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war in diesem Jahr die Berlin-Hilfe, waren die gesetzlichen Regelungen für die Steuererleichterungen, waren die Zuschüsse für in Berlin ansässige Institutionen Gegenstand einer öffentlichen, einer sehr kontroversen Diskussion. Obwohl es dabei um die Frage ging, inwieweit auch mit Hilfe von Berlin-Zuschüssen die öffentlichen Finanzen des Bundes saniert werden können, waren die Auswirkungen nicht primär fiskalischer Art, sondern von grundsätzlicher politischer Bedeutung.
Wir Berliner, meine Damen und Herren, sind es inzwischen gewöhnt, Fragen zu hören, Fragen beantworten zu müssen, die recht nachdenklich stimmen. Da heißt es immer wieder: Braucht Berlin denn wirklich so viel Geld, wie jährlich aus dem Bundeshaushalt nach Berlin fließt? Ist Berlin ein Faß ohne Boden? Herrscht nicht, so lautet die Frage, in Berlin eine Subventionsmentalität vor, die dazu führt, auf Kosten anderer ganz gut leben zu wollen? Wir haben
uns als Berliner diese Fragen oft selbst gestellt, und ich glaube, wir können sagen: Wir haben sie uns auch selbst beantwortet. Dabei ist, insbesondere seit dem Mai letzten Jahres, vom Berliner Senat über das reine Theoretisieren zur Beantwortung dieser Frage hinausgehend praktisch gehandelt worden, und zwar in einem breit gefächerten Aktionsspektrum.
Aber die soeben erwähnte öffentliche Debatte über die Berlin-Zuschüsse und das, was damit zu tun hat, hat auch in Berlin selbst zu Fragen geführt, zu Fragen an die Bürger im übrigen Bundesgebiet, zu Fragen an die Bundesregierung, die etwa folgendermaßen lauten: Hat man wirklich vergessen oder verdrängt man bewußt, daß diese Stadt eben nicht mit einer normalen Gemeinde in Deutschland oder anderswo in Europa zu vergleichen ist? Wird Berlin in der Zwischenzeit nicht mehr als politisch existentieller Bestandteil unseres Landes, als einzige verbleibende Klammer zwischen beiden Teilen Deutschlands gesehen? Ist es nicht mehr möglich, zwischen der Solidarität zu Berlin einerseits und der Förderung anderer Regionen andererseits zu unterscheiden?
So wie diese Fragen, die aus Berlin gekommen sind, von der Bundesregierung und von manchen Presseorganen behandelt worden sind, haben sie uns mindestens genauso nachdenklich gemacht wie die Fragen, die an uns selbst gestellt worden sind, und gelegentlich haben sie uns auch betroffen gemacht. So mancher Abgeordneter, der in Berlin tätig ist und hier in Bonn die Interessen Berlins zu vertreten hat, hat in den letzten Monaten bei dieser Bundesregierung oft das Gefühl gehabt, nur wenig gelitten und manchmal ein lästiger Bittsteller zu sein. Diese Haltung wurde leider - bewußt oder unbewußt, ich weiß es nicht - auf die demokratisch gewählten Repräsentanten Berlins und auf Teile der Berliner Bevölkerung übertragen.
({0})
Wir hatten oft das Gefühl, daß Berlin immer nur und ausschließlich als eine nehmende
({1})
und in ihrer besonderen Funktion, Herr Kollege Löffler, bei Ihrer Fraktion und in der Regierung, dieser Bundesregierung, leider nicht mehr auch als gebende Stadt angesehen wird. Eine gebende Stadt aber ist sie nach wie vor.
({2})
- Herr Diederich, das ist nun leider so. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen.
({3})
Wir haben festgestellt, daß die Bundesregierung z. B. den Versuch unternommen hat, die Situation einer gewissen Berlin-Verdrossenheit, die durch Ihren Senat in Berlin, durch Ihre sozialliberal geführte Koalition ausgelöst worden ist, auszunutzen und, ohne den neuen Senat zu konsultieren, etwa im Bereich der Berlin-Förderung die Abnehmerpräfenz zu streichen oder zumindest erheblich einzuschränken Dies ist von den Berliner Abgeordneten der Fraktio nen gemeinsam noch verhindert worden. Der Ver such ist aber unternommen worden, obwohl auf de: Grundlage eines DIW-Gutachtens die Diskussioi über die Strukturveränderung eigentlich erst nocl beginnen sollte.
Herr Abgeordneter, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Bitte sehr.
Sehr verehrter Herr Kollege Di Hackel, würden Sie mir recht geben, wenn ich sage daß es wohl auch die Pflicht des Berliner Senats ist die Bundesregierung zu konsultieren, und daß es erheblicher Anstrengungen bedurft hat, damit de: Berliner Senat auf die Bundesregierung mit einen vernünftigen Verhandlungsangebot zuging?
Herr Kollege Löffler, Sie wissen ganz genau, daß die Voraussetzungen, die in diesem Jahr im Sommer in Berlin geherrscht haben etwas anderer Art waren als in den vergangenen Jahren,
({0})
daß aber wohl keine Regierung in der Lage gewesen wäre, im letzten Jahr in so kurzer Zeit einen so um fassenden und allgemein akzeptablen Haushaltsentwurf vorzulegen, wie es der neue Berliner Senat ge tan hat. Dieser Entwurf hat dann zu vernünftigen Verhandlungen mit der Bundesregierung geführt.
({1})
Herr Kollege Löffler, ich werde Ihnen noch ein an deres Beispiel nennen. Im Rahmen der Beratungen über das 2. Haushaltsstrukturgesetz ist über jene
80 Millionen DM Zuschuß für die AOK gesprochen worden.
({2})
Wir haben uns darüber lange unterhalten.
({3})
Was die Bundesregierung und was die Koalitionsfraktionen im Zusammenhang mit dieser Diskussion gemacht haben, kann man eigentlich - alles ir allem - nur als Ignoranz und zum Teil als Arroganz bezeichnen. Dies ist im Grunde genommen auch Ausdruck dessen, was große Teile der Berliner Bevölkerung empfinden und was z. B. am Verhalter des Geschäftsführers der AOK sehr deutlich wird Der Geschäftsführer der AOK Berlin, Herr Noetzel, ist, wie er selbst sagt, auf Grund einer totalen Nichtachtung seiner Wünsche, seiner Erklärungen, seine: Vorschläge etwa in Briefen, die er an Herbert Wehner und an Willy Brandt geschrieben hat und auf die er bis heute noch keine Antwort bekommen hat nach 27jähriger Mitgliedschaft - ({4})
- Herr Kollege Wehner, ich kann mich nur an das halten, was Herr Noetzel selbst sagt. Herr Noetzel selbst sagt, er habe keine Antwort von Ihnen und von Herrn Brandt bekommen.
({5})
Das ist der Grund - das hat er vor fünf Tagen der durchaus nicht erstaunten Öffentlichkeit in Berlin mitgeteilt -, warum er nach 27jähriger Mitgliedschaft in Ihrer Partei diese Partei verlassen hat. Er sagte zur Begründung, er halte es für unverantwortlich, in einer Partei zu bleiben, die einen verbrieften Zuschuß für die größte AOK in der Bundesrepublik gestrichen hat und 800 000 Versicherte sozialpolitisch fallenließ. Meine Damen und Herren, dies, von einem ehemaligen SPD-Abgeordneten in Berlin gesagt, spricht eigentlich für sich.
({6})
Bleiben wir aber noch einen Moment beim Thema der Sozialkosten und beim sogenannten Finanzmoloch Berlin. Diese Stadt ist nicht nur einer sich ständig verschlechternden Altersstruktur ausgesetzt, sondern diese Stadt ist auch einer sich ständig verändernden und verschlechternden Sozialstruktur ausgesetzt. Abwandernde Vertreter der Wirtschaft und gut ausgebildete Fachkräfte werden leider vielfach durch den Zustrom von Leistungsverweigerern, Wehrdienstunwilligen und Chaoten ersetzt. Einer der Mitverursacher dieser Entwicklung, der frühere Senator und kurzzeitige SPD-Landesvorsitzende Glotz, nannte Berlin - hoffentlich sehr selbstkritisch - eine mögliche „drop out city" von morgen. Die sozialen Kosten, meine Damen und Herren, hat Berlin heute schon zu tragen. So gesehen werden in unserer Stadt so manche Probleme biederer deutscher Klein- und Mittelstädte ausgetragen. Auch das, meine Damen und Herren, ist eine Leistung, wenn auch eine unfreiwillige Leistung, die Berlin für andere Teile des Bundesgebiets feilhält. Das wollen wir eigentlich ändern; denn wir haben Besseres zu schaffen. Wir haben Besseres vorzuzeigen. Wir haben das, was in den letzten Jahren versäumt worden ist, aufzuarbeiten. Dafür gibt es eine ganze Menge Ansatzpunkte.
Die Nettoneuverschuldung in Berlin ist in diesem Jahr erheblich gegenüber dem Vorjahr im Ansatz verringert. Es sollen in diesem Jahr 2000 Stellen im öffentlichen Dienst allein in dieser Stadt eingespart werden, bis 1985 3 500 Stellen. In Berlin sind Tariferhöhungen vorgenommen worden, die an die Grenze der Leistungsfähigkeit der Berliner Bevölkerung gehen. Insgesamt sollen bis 1985 3,6 Milliarden DM durch das Finanzkonzept des Senats eingespart werden.
Meine Damen und Herren, die Berliner Bevölkerung zeigt dafür Verständnis. Wer dabei noch von
Subventionsmentalität spricht, weiß wohl nicht, was Subventionsmentalität ist.
({7})
Dabei werden auch Prioritäten gesetzt. Sie wissen, Herr Kollege Löffler: 50 000 Wohnungen sollen bis 1985 gebaut werden - und sie werden gebaut werden. Wir haben den Null-Tarif, eine unsoziale Einrichtung des sozialdemokratischen Senats, aufgelöst und wollen ein Erziehungsgeld einführen.
Wir haben neue Vorschläge zur Berlin-Förderung gemacht, die in diesen Tagen auf den Tisch gekommen sind. Darüber werden wir uns in den nächsten Monaten unterhalten müssen. Darüber wird es noch so manche Diskussion geben. Aber das ist etwas, womit wir arbeiten können. Das ist eine diskussionsfähige und, wie ich hoffe, auch mehrheitsfähige Vorlage, die dort vom Berliner Senat gemacht worden ist.
Aber es geht nicht nur um die materiellen Dinge in Berlin, meine Damen und Herren. Von Berlin aus haben wir mit sehr großer Aufmerksamkeit auch den Besuch des Bundeskanzlers Schmidt bei Herrn Honecker verfolgt. Bisher ist für die Berliner, Herr Bundeskanzler, Greifbares nicht herausgekommen. Nun, wir warten auf die Verhandlungen. Wir sind gespannt, was der SED das 850-Millionen-DM-Geschenk, das Sie überreicht haben, wert ist. Wir werden aber auch - und das, Herr Bundeskanzler, ist sehr wichtig für uns Berliner -, wenn wir über die Zukunft dieser Stadt sprechen, nicht umhin können, davon zu reden, daß das Vertrauen zwischen Bonn und Berlin wiederhergestellt, wieder vergrößert werden muß. Dazu wird es notwendig sein, daß wir uns auch um die Erhaltung und die Stärkung des Sicherheitsgefühls in Berlin bemühen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Diederich?
Herr Kollege Diederich, ich habe bloß noch eine Minute Redezeit. Entschuldigen Sie, daß ich das noch zu Ende führe.
({0})
Von Berlin aus schaut man deshalb durchaus mit einer großen Sorge auf die Entwicklungen, wie sie sich zwischen Bonn und Washington ergeben haben.
({1})
Die aufgetretenen Spannungen zwischen diesen beiden Hauptstädten haben natürlich in Berlin Unmut und Unbehagen hervorgerufen. Auch wegen der Interessen, die Berlin selbst hat, auch wegen der Verantwortung, die Bonn für die zukünftige Entwicklung des geteilten Deutschlands hat, sollte - für jedermann sichtbar - schnellstens auch eine Entspannungspolitik in Richtung Westen erfolgen, um
Spannungen in bezug auf Berlin erst gar nicht entstehen zu lassen;
({2})
denn diese Stadt braucht Ruhe, diese Stadt braucht Ruhe in jeder Beziehung.
({3})
Nach innen und von innen her, Herr Löffler, ist in Berlin die Chance genutzt worden, die der Neubeginn im Mai letzten Jahres gebracht hat. Diese Chance wird um so größer werden und um so eher erfolgreich genutzt werden können, wenn diese Regierung bereit ist, den Bestand Berlins mit konsolidieren zu helfen und wieder das Vertrauensverhältnis aufzubauen, das im letzten halben Jahr doch gelitten hat. Dies zu bejahen wird notwendig sein. Diese Forderung uneingeschränkt zu unterstützen sind sicherlich die Aufgabe, das Ziel und der Wunsch aller drei Fraktionen hier in diesem Hause. - Vielen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf um ein Entgegenkommen der Damen und Herren Abgeordneten bitten. Wenn das Schild „Präsident" aufleuchtet, dann geht es meist darum, daß ein Mitglied des Hohen Hauses eine Zwischenfrage stellen möchte. Da es sehr schwierig ist, zu erkennen, wann der Gedankengang jeweils zu Ende ist, wäre ich außerordentlich dankbar, wenn der betreffende Abgeordnete mit einer leichten Neigung seines Kopfes zu erkennen gäbe, daß ich jetzt fragen darf, ob er eine Zwischenfrage zuläßt. - Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß der Beginn meiner kurzen Rede nicht sehr erfreulich ist. Denn ich muß Ihnen sagen, Herr Dr. Hackel, daß das, was Sie hier gesagt haben, eine böse Rede, eine sehr böse Rede war.
({0})
- Ich will auch begründen, warum. Es war eine böse Rede, weil Sie hier ein infames Doppelspiel vorgeführt haben.
({1})
Schauen Sie einmal auf die Bank hier; da sitzt niemand. Es war bisher Tradition dieses Hauses, daß man über die Finanzierung Berlins nicht in der Art von Kleinkrämern gestritten hat, weil das politische Ziel der Stabilisierung Berlins zu hoch ist, als daß man es zerredet und zerreißt;
({2}) man hat es im Ausschuß behandelt.
Und nun komme ich zu dem Doppelspiel. Der Finanzsenator von Berlin erklärt uns, daß er mit dem Kompromiß einverstanden ist, j a, er bedankt sich sogar. Ein Berliner Abgeordneter der Union dagegen tritt dann hier auf und äußert hier infame Unterstellungen,
({3})
als würde Berlin sozusagen verraten. Ich halte das für ein übles Stück.
({4})
Wenn Sie wünschen, daß wir Einzelheiten dieser Fragen klären, so bedienen Sie sich bitte einer anderen Form. Auf eine solche Art der Debatte werden wir uns hier nicht einlassen. Wir werden Ihnen im Haushaltsausschuß jederzeit bereitstehen. Da gibt es qualifizierte Kollegen, die Ihnen das im Detail erklären. Im übrigen sind wir selbstverständlich daran interessiert, daß das eine gemeinsame und eben nicht eine parteipolitisch zerstrittene Position ist.
({5})
- Ich habe da sehr genau zugehört.
Damit Sie nicht meinen, wir würden vor dem Thema insgesamt kneifen - es geht hier ja um die Finanzberatungen -,
({6})
darf ich Sie bitten, sich einmal den Etat anzuschauen. Sie werden dann feststellen: Für Berlin sind 10,2 Milliarden DM ausgewiesen.
({7})
Das ist ein Zuwachs von 4,8 %. Angesichts der Haushaltsschwierigkeiten, über die wir schon den ganzen Tag diskutieren, sollten Sie mit uns darin übereinstimmen, daß dieses Haus trotz der schwierigen Situation gemeinsam erhebliche Leistungen für Berlin erbringt, und zwar nicht deshalb, weil es das für eine mühsame Pflicht hält, sondern weil das unser aller Überzeugung ist.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte beim selben Einzelplan, beim Einzelplan 60, bleiben und einen Teilbereich herausgreifen, der in der Debatte hier und da zwar schon angeklungen, der aber noch nicht hinreichend behandelt ist. Ich darf das als Sozialdemokrat mit einer freudigen Mitteilung verbinden. Das Europäische Parlament hat einen neuen Präsidenten gewählt. Dies ist Pieter Dankert, ein niederländischer Sozialist. Ich freue mich, daß ich ihn sehr gut kenne, und möchte an Pieter Dankert, den neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments, im Namen der sozialdemokratischen Fraktion ganz herzliche Wünsche richten.
({9})
Gleichzeitig möchte ich auch - ich bin sicher, daß
alle hier in diesem Hause diesen Dank mittragen der scheidenden Präsidentin, Simone Veil, danken.
Hoffmann ({10})
Denn ich glaube, daß sie dem Europäischen Parlament und der europäischen Idee sehr viel genutzt hat.
({11})
Wenn man über den Einzelplan 60 spricht und dabei Europa anspricht, dann kommt man natürlich sehr leicht in Versuchung, zu schnell und zu vordergründig mit Zahlen zu argumentieren und dabei zu vergessen, daß das, was mit der Europäischen Gemeinschaft geschieht, ein historischer Modellfall ersten Ranges ist. Wir sollten also, selbst wenn ich nachher zwangsläufig in Zahlen einsteige, nicht vergessen, daß diese Zahlen nur die Oberfläche des eigentlichen Inhalts sind, nur die Oberfläche dessen, daß Europa von seiner Entstehung her eine phantastische, eine historisch einmalige Entwicklung ist. Ich sage das auch als Saarländer, der vor ein paar Tagen in seinem Land mitfeiern konnte, daß das Saarland seit 25 Jahren ein Bundesland der Bundesrepublik Deutschland ist - auch ein Ergebnis europäischer Politik und Verständigung. Ich glaube, an dieser Dimension sieht man, daß es hier nicht so sehr um ein Europa der Pfeffersäcke oder des alleinigen wirtschaftlichen Erfolges geht. Hier geht es vielmehr um eine weite politische Dimension.
Ich möchte nun auf den Zusammenhang der Wirtschaft- und Finanzdebatte, die wir führen, mit der europäischen Situation kommen.
Für jeden ist verständlich, daß das erste Problem Arbeitsmarktsituation heißt. Nun habe ich festgestellt, daß wir in dieser Frage auch heute schon teilweise eigentlich eine ziemlich zynische Diskussion geführt haben, eine zynische Diskussion, in der gesagt wurde: Erklären Sie mal dem einzelnen Arbeitslosen, der tatsächlich möglicherweise ein sehr schlimmes Schicksal hat, was ihr da alles in Bonn macht oder was diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen alles machen. Wenn man sich auf dieser Ebene der Diskussion bewegt und nicht versucht, tatsächlich Ursachen von Arbeitslosigkeit festzustellen, empfinde ich das als für eine parlamentarische Auseinandersetzung nicht sehr sinnvoll.
Ich möchte es deshalb einmal an einem Zahlenbeispiel deutlich machen. Ich habe versucht, das heute morgen in eine Frage an Herrn Riedl aufzunehmen. Er hat in der Weise geantwortet, wie es seinem Naturell entspricht. Aber ich sage Ihnen diese Zahlen trotzdem einmal.
Es ist hier immer gesagt worden, die Ausgangspositionen seien j a alle völlig unterschiedlich gewesen, was das Niveau an Arbeitslosigkeit angeht. Ich greife jetzt einmal ein Datum heraus: 1974 war die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik 2,2 %, in Frankreich 2,3 %, in Großbritannien 2,4 %. Das heißt, im Jahre 1974 hatten wir ungefähr dasselbe Niveau an Arbeitslosigkeit. Ich habe mir das Jahr 1974 herausgegriffen, weil es ein wirtschaftlich noch relativ glückliches Jahr war. Damals fing allerdings schon die Stahlkrise an.
({12})
- Ich habe dies mal genommen, weil es sich statistisch einfacher aufbereiten läßt; sonst müßte ich längere Zahlenreihen nennen.
Betrachten wir nun einmal die weitere Entwicklung. Ich gehe jetzt von Durchschnittswerten aus, nicht von den einzelnen Monatswerten. Von 1974 bis heute hat sich die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik etwas mehr als verdoppelt. In Frankreich stieg sie von 2,3 auf 7,8 %, in Großbritannien von 2,4 auf 10,2 % und in Belgien von 3,2 auf 11,6%. Ich könnte diese Zahlenreihen erweitern.
({13})
- Ich habe nur noch acht Minuten. Ich bitte um Entschuldigung. Wenn ich das nächste Mal etwas länger Zeit habe, dann herzlich gerne. Ich schätze Sie als Debattenredner sehr und als Fragesteller ebenfalls.
Während wir in der Bundesrepublik von 2,2 % auf etwas mehr als das Doppelte bei der Arbeitslosigkeit gekommen sind, haben andere Staaten in der Europäischen Gemeinschaft heute das Drei- bis Vierfache an Arbeitslosigkeit zu ertragen. Das bedeutet, daß alle kurzfristigen Argumente, die wir heute morgen in dieser Richtung von Ihnen gehört haben, überhaupt nicht ziehen, sondern Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß diese Zahlen das genaue Gegenteil der wirtschaftlichen Entwicklung aussagen.
Ich sage zu diesen Zahlen als Resumée: Wenn das kein Qualitätsnachweis für die deutschen Gewerkschaften, für die deutschen Arbeitnehmer, für die deutschen Unternehmen insgesamt und natürlich auch für die Bundesregierung ist, dann verstehe ich auch keine Zahleninterpretationen mehr.
({14})
Nun tue ich Ihnen einmal einen Gefallen. Ich zitiere etwas, was Ihnen in Teilbereichen sicherlich nahesteht.
({15})
- Nun hören Sie mal kurz zu. Ich habe nur noch sieben Minuten. Das ist nicht so viel, daß man auf alles eingehen kann.
Ich möchte auf einige Zahlen eingehen, die mit diesem Haushalt selbstverständlich zu tun haben. Denn alles das, was wir an die Europäische Gemeinschaft zahlen, entgeht uns für andere Zahlungen. Das ist doch ganz klar. Herr Kollege Haase, ich habe mir einmal den Jahreswirtschaftsbericht 1981/82 der EG-Kommission vorgenommen. Hier hat ja dankenswerterweise die Bundesregierung die Tradition aufgenommen, die in den anderen Staaten auch vorhanden ist, nämlich nicht parteipolitisch vorzugehen. Es ist beispielsweise Herr Narjes drin. Dieser Jahreswirtschaftsbericht, den Sie nachlesen können
- er ist ja noch sehr jungen Datums -, kommt zu folgenden Schlußfolgerungen - und da bitte ich Sie einmal um Aufmerksamkeit -: „Von den weltweiten Strukturverschiebungen, den Folgen der beiden Ölpreisschocks, den Turbulenzen der Zins- und
Hoffmann ({16})
Wechselkursentwicklungen, den Ungleichgewichten der öffentlichen Haushalte und Zahlungsbilanzen sind alle Industrieländer fast ohne Ausnahme getroffen worden."
Dann heißt es im Absatz bei der Schilderung der Situation der Bundesrepublik:
Zwar teilt die Bundesrepublik Deutschland diese Probleme mit anderen Ländern der Gemeinschaft, jedoch erscheinen die längerfristigen Aussichten hinsichtlich Wirtschaftswachstum und Inflation immer noch besser als andernorts, und dadurch könnte sich in verschiedenen Bereichen die Divergenz zwischen den Gemeinschaftsländern erweitern. Überwiegend dürften jedoch verbesserte Wachstumsaussichten in der Bundesrepublik Deutschland und für Europa vorteilhaft sein.
Wenn Sie diese parteipolitisch neutrale Stellungnahme einmal nehmen, dann merken Sie, daß fast alle Ihre Aussagen, die sich auf dieses Thema bezogen haben, wirklich nur noch blauer Dunst sind. Da haben Sie einmal eine Klassifizierung dessen, was man, wenn man ein bißchen über die eigene Nasenlänge hinaussieht, sehen kann.
Ich weiß, daß auf deutscher Seite viel Ärger besteht, wenn man über Europa-Finanzierung diskutiert, beispielsweise über Subventionswettbewerbe im Stahlbereich und in anderen Bereichen. Das ist ein Thema, das wir hier im Hause sicher noch öfter diskutieren werden.
Es gibt ein zweites Ärgernis, und dieses ärgert mich in doppelter Weise. „Handelsblatt" von dieser Woche: „Brüssel melkt Bonn." Man bezieht sich auf den neuen Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, weil sie sich dieses Thema einmal vorgenommen hat. Ich habe mir andere Zeitungen angesehen, und siehe da, überall kommt ein ähnlicher Tenor heraus, der nachher in der Zahlmeisterarie gipfelt.
Ich habe mir einmal den Bericht der Deutschen Bundesbank durchgelesen, der gerade erschienen ist. Und siehe da, von der Zahlmeisterei bleibt so viel nicht mehr übrig. Man muß vielmehr etwas fairer diskutieren. In der Tat, die Bundesrepublik Deutschland ist der größte Nettozahler der Gemeinschaft. In Zahlen heißt das: Wir zahlen jährlich brutto 14 Milliarden DM in die Europäische Gemeinschaft ein; das macht - im Vergleich - 6 % der Bundesausgaben aus. Von diesen 14 Milliarden DM - davon über die Hälfte aus der Mehrwertsteuer - fließen 8 Milliarden DM in die Bundesrepublik zurück - übrigens zu 80 % in den Agrarmarkt. Das macht eine Nettozahlung von 6 Milliarden DM.
Nun konfrontiere ich das - ich weiß, in dieser kurzen Zeit volkswirtschaftlich sicher nicht ausreichend begründet - mit dem Exportüberschuß der Bundesrepublik aus Exporten in die restlichen EG-Staaten. Er beträgt zur Zeit fast 12 Milliarden DM. Jetzt können Sie sich einmal die Dimension ausrechnen. Das, was wir als Nettozahlung machen, hat durchaus eine völlig andere Dimension. Es bedeutet, daß die Bundesbank zu dem Schluß kommt - sie ist heute einige Male zitiert worden, deshalb will ich das nicht fortsetzen, sondern nur im übertragenen
Sinne zitieren -, es sei falsch, aus der Nettozahlerposition der Bundesrepublik Deutschland einen Negativeffekt zu ziehen. Man müsse vielmehr abwägen, welche wirtschaftlichen Möglichkeiten, welche Wachstumschancen auf diese Art und Weise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gegeben werden. Das ist sehr nachlesenswert. Ich wünsche Ihnen, daß Sie das nachlesen können - ich habe das nicht nur an diese Seite des Hauses gesagt -, damit wir alle mit dem Begriff des Zahlmeisters ein bißchen distanzierter umgehen, weil wir sonst damit bei den europäischen Nachbarn mehr Porzellan zerschlagen als gutmachen können.
({17})
Da ich weiß, daß diese Zahlmeisterarie nicht nur von uns oder von Ihnen,
({18})
sondern auch von vielen Journalisten gesungen wird, möchte ich das auch an die Journalisten sagen, die die Arie in dieser Woche wieder gesungen haben, entgegen der Tendenz des Bundesbankberichts. Ich bitte also noch einmal, das entsprechend nachzulesen; dann sieht man auch, worauf der Bericht zielt.
Da wir, finanzmäßig orientiert, noch weiter mit Zahlen zu tun haben und damit wir nicht erschrekken: Der Einzahlungsbetrag der Bundesrepublik ist, gemessen als prozentualer Anteil am EG-Haushalt, nicht etwa gestiegen. Er hat im Jahre 1977 35,6 % ausgemacht, ist im Jahre 1980 auf 30 % gesunken und wird im Jahre 1982 voraussichtlich 28,3 % betragen. Das ist ebenfalls in den EG-Statistiken nachlesbar.
({19})
- Das ist brutto; die Rückzahlungen, die man dagegenrechnen muß, um auf den Nettobetrag zu kommen, haben in den letzten zwei Jahren stagniert. Die muß man gegenrechnen. Das habe ich vorhin mit dem Saldo von 6 Milliarden DM getan.
Jetzt möchte ich zu der Frage kommen: Wie soll sich die Bundesrepublik in dieser Frage verhalten? Da sagen einige, wir müssen erreichen, daß wir aus dieser einseitigen Nettozahlerposition dadurch herauskommen, und unseren Beitrag senken. Ich sage umgekehrt: bei den Aufgaben, die die Europäische Gemeinschaft hat, müssen wir erreichen, daß nicht wir und Großbritannien die zwei Nettozahler bleiben, sondern daß die Staaten, die von ihrem Lebensstandard und von ihrer volkswirtschaftlichen Kraft her ähnlich stark sind wie wir, herangezogen werden, um ebenfalls Nettozahlungen zu leisten. Dann werden wir die wirtschaftlichen und die regionalen Probleme, die vor uns stehen - ich erinnere nur an Portugal und Spanien und an den wachsenden Unterschied der Regionen in der Europäischen Gemeinschaft -, etwas besser aufgreifen können.
Meine Damen und Herren, da meine Redezeit gleich zu Ende ist und ich leider alles nicht mehr so vollziehen kann, wie ich es gerne getan hätte, möchte ich noch auf ein Zitat aus dem Bericht der Deutschen Bundesbank zu diesen Problemen zu sprechen kommen. Dort heißt es:
Hoffmann ({20})
Die volkswirtschaftlichen Wirkungen der EG-Mitgliedschaft lassen sich freilich nicht an dem negativen Saldo aus den Übertragungen der Europäischen Gemeinschaft messen,
({21})
wenngleich dieser, für sich betrachtet, einen Entzug an nationalem Einkommen darstellt. Zweifellos profitiert die Bundesrepublik erheblich von der wirtschaftlichen Integration. Dies hat sich in einem intensiven Güteraustausch und damit in einem höheren Lebensstandard ausgewirkt, und möglicherweise gehen auch noch heute, nach weitgehend vollzogener Integration des Warenhandels, weitere Wachstumsimpulse von der Mitgliedschaft in der EG aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß möchte ich deshalb nur noch einmal dazu auffordern, daß wir, wenn wir über europäische Finanzen reden, in dem Sinne darüber reden, daß wir diese Zahlungen als einen notwendigen und sinnvollen Beitrag begreifen, als einen Beitrag, der natürlich immer kontrolliert werden muß, und zwar europäisch kontrolliert werden muß, was bedeutet, daß das Europäische Parlament parlamentarische Kontrollfunktionen haben muß, die zwischen der nationalen und der internationalen Ebene verlorengegangen sind.
Wenn wir das in diesem Sinne tun, sind, glaube ich, europäische Finanzen im Rahmen der politischen Integration und damit einer Friedenssicherung - auch im Sinne der Nord-Süd-Frage, die ich hier leider nicht ausführen kann - zu sehen.
({22}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({23})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Bemerkungen des Kollegen Hoffmann anknüpfen, der deutlich gemacht hat, wie wichtig die europäische Integration ist, wie wichtig sie für unsere deutsche Exportwirtschaft ist und wie wichtig sie auch für den Abbau des Leistungsbilanzdefizits ist.
Die erheblichen Leistungsbilanzdefizite von 1980 und 1981 haben deutlich gemacht, daß wir in diesen beiden Jahren ganz erheblich über unsere Verhältnisse gelebt haben. Wenn die Schätzungen des Sachverständigenrats richtig sind, werden wir mit einem Leistungsbilanzdefizit von 10 Milliarden in diesem Jahr rechnen müssen. Auch dies macht deutlich, daß wir auch im Jahre 1982 wieder über unsere Verhältnisse leben. Das können wir auf Dauer nicht mehr hinnehmen.
({0})
Wir müssen also erhebliche strukturelle Änderungen in unserer Wirtschaft vornehmen.
Der deutsche Export ist sicherlich eine wertvolle Stütze der Konjunktur, die wir noch haben. Wir müssen diesen Export aber auch weiter steigern, um diese erheblichen Defizite auszugleichen. Wir müssen sowohl von der Qualität als auch vom Preis her konkurrenzfähig sein und bleiben.
({1})
Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, daß sich auch in der Einfuhr eine ganz erhebliche Strukturverschlechterung ergeben hat. Wir werden auf unserem eigenen Markt auf dem Gebiet der Investitionsgüter und der Fertigprodukte von unserer ausländischen Konkurrenz geschlagen. Der Anteil der Bundesrepublik am gesamten Weltexport ist in den letzten acht Jahren von 11,6% auf 9,5 % zurückgegangen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang müssen wir, meine ich, immer wieder darauf hinweisen - hier wegen der Zeit nur sehr verkürzt -, daß nur solche Unternehmen, die angemessene Gewinne erwirtschaften, bereit und in der Lage sind, zu investieren, auf diese Weise wieder Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen
({2})
und auf diese Weise Produkte, die sowohl vom Preis als auch von der Qualität her konkurrenzfähig sind, herzustellen.
Lassen Sie mich ein letztes Wort zu der Kritik von Frau Simonis an der Bundesbank sagen. Verehrte Frau Kollegin, die Bundesbank hat ja nicht nur die schlichten binnenkonjunkturellen Fragen zu berücksichtigen; sie muß auch auf die außenwirtschaftliche Absicherung achten und gleichzeitig die Grundsätze der Stabilitätspolitik beachten. Dies hat die Bundesbank, wie ich meine, im Jahr 1981 und jetzt am Anfang des Jahres 1982 sehr geschickt gemacht. Von einer wankelmütigen Politik, wie Sie es ausgedrückt haben, kann überhaupt keine Rede sein.
({3})
Wir sollten der Bundesbank eher unser Vertrauen geben, daß sie hier auch für die gesamte deutsche Volkswirtschaft die richtige Politik betreibt. - Vielen Dank.
({4})
Weitere Wortmeldungen zu den aufgerufenen Tagesordnungspunkten liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung in der auf der Tagesordnung aufgeführten Reihenfolge.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - auf. Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
({0})
Ich rufe den Einzelplan 32 - Bundesschuld - auf. Wer dem Einzelplan 32 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei4668
Vizepräsident Frau Renger
chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - auf. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - auf. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/1261 wird vom Haus zur Kenntnis genommen. Eine Abstimmung darüber ist nicht erforderlich.
Ich rufe den Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - auf. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 9/1190 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({1}) Frau Zutt
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({2}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoffmann, ich will doch auf Ihre Rede zurückkommen. Ich kann Ihnen bestätigen, daß Ihre Ausführungen und unsere Sicht im Grundsätzlichen eigentlich gar nicht so weit auseinanderliegen. Diese Frage ist demnächst auch für uns eine sehr wichtige Frage. Wir sollten vielleicht in gemeinsame Überlegungen eintreten.
({0})
Diese erste Bemerkung war positiv. Aber das, was Sie dann meinem Kollegen Hackel unterstellt haben, nämlich er habe hier eine etwas harte Rede gehalten, muß ich ein bißchen zurückweisen.
({1})
- Eine böse Rede? Es ist in der Tat so, daß auch bei uns das Empfinden herrscht, daß Sie sich, seit die Mehrheit in Berlin gewechselt hat, etwas schwertun, wenn die Zuschüsse für Berlin im Haushaltsausschuß behandelt werden.
({2})
Zum Einzelplan 10 möchte ich sagen: Hier kann eigentlich nur festgestellt werden, daß sich ein ähnliches Bild wie in der Vergangenheit zeigt. Seit Jahren sinkt das Volumen dieses Haushalts kontinuierlich. 1981 wurden 514 Millionen DM oder 7,8 % gestrichen. Drastisch wurde gekürzt.
Auch in diesem Jahr war eine erhebliche Kürzung von seiten der Regierung vorgesehen. 1982 sollte ebenfalls überproportional gekürzt werden, und dies angesichts einer Situation innerhalb der Landwirtschaft, die nun in der Tat nicht als rosig zu bezeichnen ist. Dafür, daß dies nicht in dem vorgesehenen Umfang geschehen ist, kann sich die Landwirtschaft bei der Opposition, insbesondere beim Bundesrat, und hier vor allen Dingen bei den unionsregierten Ländern, bedanken.
({3})
Die Union hat bekanntlich im Bundesrat den Bundeszuschuß zur landwirtschaftlichen Alterskasse nicht, wie von der Regierung vorgesehen, um 210 Millionen DM gekürzt, sondern es ist in den Verhandlungen gelungen, 105 Millionen DM davon zu retten. Unter dem Strich bleiben somit im laufenden Haushaltsjahr 1982 für den Agraretat 6,097 Milliarden DM übrig. Das bedeutet zwar eine sehr geringe Steigerungsrate; in der Sache aber, meine ich, ist dies eine Stagnation. Hiermit muß sich die Landwirtschaft angesichts der Tatsache zufriedengeben,
({4})
daß andere Haushalte wesentlich stärker steigen, gleichermaßen aber auch der Gesamthaushalt noch steigt.
Der Agrarhaushalt wurde in diesem Jahr vor allem in zwei Bereichen gekürzt, auf die hier näher eingegangen werden muß: im agrarsozialen und im agrarstrukturellen Bereich. Auf dem sozialen Sektor werden die Bundeszuschüsse an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 15 % auf 340 Millionen DM heruntergefahren. Zugleich erfolgt eine Kürzung der Bundesmittel für die landwirtschaftliche Altershilfe um nach wie vor 105 Millionen DM. Die beiden genannten Maßnahmen haben zur Folge, daß sich die Beiträge der Landwirte an die Berufsgenossenschaft bzw. an die Alterskasse bereits im laufenden Jahr drastisch erhöhen werden.
Abgesehen von dieser zusätzlichen Last, die unserer Meinung nach von der Landwirtschaft kaum noch verkraftet werden kann, stimmt es nachdenklich, daß ausgerechnet in einer Zeit, in der die Einkommensentwicklung in der deutschen Landwirtschaft nachgewiesenermaßen sehr, sehr negativ ist, hier eine soziale Demontage eingeleitet wird.
({5})
Am sozialen Netz, auf das Josef Ertl als Landwirtschaftsminister immer großen Wert gelegt hat, das er landauf, landab, immer als einen großen Erfolg der SPD/FDP-Koalition bezeichnet hat, was eigentSchmitz ({6})
lich nicht stimmt - das muß man einmal sagen; denn sie ist ja nicht die Erfinderin dieser ganzen Entwicklung -,
({7})
hat er im Kabinett empfindliche Abstriche hinnehmen müssen. Heute redet er nicht mehr von der Sicherung durch das soziale Netz.
({8})
Ich werde darauf nachher noch in einem anderen Zusammenhang zu sprechen kommen.
({9})
Auch auf einem anderen Sektor, nämlich dem der Agrarstruktur und der Gemeinschaftsausgabe, ist ein starker Einbruch zu verzeichnen. In diesem Jahr stehen dafür nur noch knapp 1 Milliarde DM an Bundesmitteln zur Verfügung; früher waren es 1,4 Milliarden DM. Dies bedeutet, daß auch die Komplementärmittel der Länder ausbleiben. Wegen des Fehlens dieser investiven Mittel wird eine Menge von Investitionen im ländlichen Raum unterbleiben müssen.
({10})
Dies bedeutet auch, daß keine neuen Anträge mehr in den Ländern gestellt werden, z. B. Anträge auf Zuschüsse zur Dorferneuerung oder zu Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur generell. Es ist politisch und ökonomisch falsch, daß die Verbesserung der Agrarstruktur zum Erliegen gekommen ist.
({11})
Die Landwirtschaft befindet sich insgesamt in einer schwierigen, sogar sehr schwierigen, existenzgefährdenden Situation.
({12})
Daran zweifelt auch das Bundeslandwirtschaftsministerium nicht mehr. Internen Informationen ist es zu entnehmen, daß dies auch im Agrarbericht deutlich werden soll,
({13})
den der Landwirtschaftsminister am 3. Februar dem Kabinett vorlegen will.
({14})
In diesem Bericht stellt sich die Lage der Landwirtschaft so dar, daß im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1980/81 ein Minus von 12,6 % je Familienarbeitskraft angesetzt werden muß.
({15})
Hierbei handelt es sich - wohlgemerkt - um einen nominalen Wert. Wenn wir das real hochrechnen, heißt dies, daß die durchschnittlichen Einkommensverluste der Landwirtschaft im abgelaufenen Jahr mehr als 17 % betragen haben werden. Welcher Berufszweig läßt das widerspruchslos mit sich machen?
({16})
Ich habe eben nur eine Zahl herausgegriffen, weil sie besonders aktuell ist. Grundsätzlich läßt sich jedoch sagen, daß der Abstieg der landwirtschaftlichen Einkommen bereits vor Jahren - konkret: Mitte der 70er Jahre - begonnen hat. Den Bauern und den landwirtschaftlichen Betrieben wurde in den letzten Jahren eine Anpassungsfähigkeit zugemutet, wie sie kaum einer anderen Unternehmung in der Bundesrepublik Deutschland zugemutet wird. Die Kosten stiegen um rund 20 %, während die Agrarpreise praktisch gleichblieben. Kosten 20 % gestiegen, Agrarpreise bleiben gleich! Ein Strukturwandel findet nicht mehr statt.
Die hohe Arbeitslosigkeit gerade auch in ländlichen Bereichen - im Schnitt wahrscheinlich Ende Januar 1,9 Millionen ({17})
bedeutet im Grunde genommen auch das Ende der Agrarstrukturpolitik. Der Arbeitsmarkt ist gerade in ländlichen Bereichen für ausscheidungswillige Bauern eigentlich total verstopft.
({18})
Steigende Kosten, gleichbleibendes Agrarpreisniveau und verstopfter Arbeitsmarkt machen es unmöglich, daß selbst gut geführte Betriebe Einkommensfortschritte zu erwarten haben. Seit rund 12 Jahren gibt es kaum noch reale, d. h. in Kaufkraft gemessene Einkommensverbesserungen für die Landwirtschaft. Das ist für meine Begriffe eine außerordentlich bedenkliche Situation.
({19})
Wer sich den Schuldenstand der Landwirtschaft einmal ansieht, der muß feststellen, daß 1978 noch 33,6 % der Betriebe, die durch die Landdata untersucht worden sind, Vermögensverluste aufwiesen, 1980/81 waren es bereits 43 %. Aus der Auswertung geht weiterhin hervor, daß selbst die Betriebe mit einer positiven Eigenkapitalbildung einen Rückgang ihres Gewinns in Höhe von 2 000 DM hinnehmen mußten. Die Betriebe mit Einkommensverlusten haben ihren Bedarf daher in sehr starkem Maße durch Schuldenaufnahme decken müssen.
({20})
- Rund 70 %, Herr Kollege. 70 % ihres Lebensstandards entstammt einer Aufnahme von weiteren Schulden. Dies, meine ich, ist auch eine sehr sehr bedenkliche Entwicklung. Man wird das im Verlauf der nächsten Jahre sehen.
In allen Betrieben ist auf die ungünstige Entwicklung naturgemäß dadurch reagiert worden - wie könnte es auch anders sein -, daß Investitionen einfach unterblieben. Wir spüren das ganz deutlich. Es hat auch einen arbeitsmarktpolitischen Effekt. Wir spüren es ganz deutlich bei der Landmaschinenindustrie. Kostenträchtige Investitionen werden einfach zurückgestellt oder überhaupt nicht getätigt 4670
Schmitz ({21})
eine außerordentlich problematische Angelegenheit.
({22})
Bei diesen genannten Zahlen ist es nicht verwunderlich, daß die Einkommensdisparität, also der Abstand der landwirtschaftlichen Einkommen zu den außerlandwirtschaftlichen Einkommen in diesem Wirtschaftsjahr 1980/81 aller Wahrscheinlichkeit nach einen negativen Rekord erreichen wird, einen Wert, den es in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht gegeben hat. Wurde bislang die höchste Disparität 1954/55 mit 17,2 % ausgewiesen, so wird aller Wahrscheinlichkeit nach für das Wirtschaftsjahr 1980/81 die Höchtstgrenze von sage und schreibe 22 % erreicht werden. Ein trauriges Kapitel der Agrarpolitik von SPD und FDP.
({23})
Das Ertl-Ministerium und die Leitung des Hauses haben in den letzten Monaten betont, daß die ungünstige Entwicklung nur auf die schlechte Lage der sogenannten kleinen und mittleren Vollerwerbsbetriebe zurückzuführen sei. Herr Kollege Gallus, der immer so schnell dabei ist, eine These aufzustellen, hat dann gesagt: Na gut, wenn das so ist - so einfach ist die Rechnung -, müssen halt 100 000 Betriebe verschwinden. Wir haben das noch vom letzten Jahr im Ohr. Die betroffenen Landwirte sollen einen außerlandwirtschaftlichen Erwerb anstreben.
({24})
Herr Kollege Gallus, zu Beginn der 70er Jahre, als die Kassen, die Sie aus der Großen Koalition übernommen haben, noch ein bißchen voller waren, hätten wir über diese These noch reden können; aber mittlerweile hat sie sich längst überholt. Das ist einfach deswegen nicht möglich, weil die wirtschaftlichen Eckwerte nicht mehr stimmen und es heute keinem Landwirt mehr zugemutet werden kann, seinen Betrieb aufzugeben, um das Heer der Arbeitslosen zu verstärken. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist die Chance gleich Null.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß ich vor ungefähr einem Jahr nicht gesagt habe, daß diese Betriebe verschwinden müssen, sondern daß sie auf Grund der Altersstruktur zwangsläufig auslaufen und ein Teil davon in den Nebenerwerb übergeht? Können Sie diesem Hohen Hause bestätigen, daß von 800 000 landwirtschaftlichen Betrieben nur ungefähr ein Viertel über 20 ha liegen? Das heißt, daß wir in Deutschland ungefähr 200 000 landwirtschaftliche Betriebe über 20 ha haben.
Herr Kollege, den letzten statistischen Wert kann ich Ihnen bestätigen. Nur habe ich volles Verständnis dafür, daß Sie von der Aussage des letzten Jahres schnell herunterwollen. Ich kann Ihnen nur sagen, diese These, die Sie damals aufgestellt haben, hat Ihnen ja in den Bauernversammlungen den richtigen Beifall eingebracht.
({0})
Deswegen muß die Aufforderung nach der Fortführung des Strukturwandels, die auch in dieser Zwischenfrage deutlich zum Ausdruck kam - Sie meinten zwar, Sie könnten sich jetzt davon entfernen, indem Sie das ein bißchen statistisch machen - und die, Herr Kollege Gallus, wie so oft von Ihnen kommt, bei den Betroffenen angesichts ihrer Zwangslage wie Hohn klingen.
({1})
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Ursache für die negative Einkommensentwicklung der Landwirtschaft vordergründig erst einmal in der immer weiter auseinanderklaffenden Preis-KostenSchere liegt. Das heißt, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in den letzten Jahren nicht in dem Verhältnis gewachsen sind, wie es eigentlich nach den Betriebsmittelpreissteigerungen erfolgen müßte. Die Hintergründe liegen in dem zum Erliegen gekommenen Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie in dem auf Grund steigender Arbeitslosenzahlen immer geringer werdenden Angebot an außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen. Dies sind die innenpolitischen Gründe.
Im europäischen Bereich - gemeint ist die EG-Agrarpolitik - führte nicht zuletzt die auch von der Bundesregierung propagierte vorsichtige Preispolitik, verbunden mit realen Erzeugerpreissenkungen, zu der heutigen schlimmen Situation der Einkommen innerhalb der Landwirtschaft.
({2})
Ich stelle die Frage: Was unternimmt diese Bundesregierung und insbesondere der zuständige Landwirtschaftsminister, um sich dieser immer mehr zuspitzenden Lage zu stellen und ihrer Herr zu werden?
({3})
Ich kann nur sagen, praktisch gesehen nichts. Hier ist Fehlanzeige. Null, meine Damen und Herren! Im Gegenteil, durch die falsche nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik und durch die in Brüssel eigentlich von Bonn mitgetragenen Entscheidungen, schliddert die Landwirtschaft gezwungenermaßen immer mehr in das Verderben.
Es ist nicht zu erwarten, daß die anstehenden Entscheidungen über die Agrarpreise in Brüssel daran Wesentliches ändern werden. Vielmehr ist es so, daß für die deutsche Landwirtschaft kaum noch Hoffnung auf eine Agrarpreisanhebung besteht; sehr bedauerlicherweise, muß man sagen!
({4})
Dies auch in einer Situation, in der sich viele mit der Reform der Agrarpolitik und ihrer Kosten beschäftigen. Herr Kollege Hoffmann hat das ebenfalls getan.
Schmitz ({5})
Dies wird immer mehr angesichts der leeren Kassen in der Bundesrepublik von vielen - oft falsch verstanden - als ein rein fiskalisches Problem betrachtet. Dabei sind es im wesentlichen die politischen Entscheidungen, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Oder besser gesagt, es sind die Entscheidungen, die im Ministerrat nicht getroffen wurden, die zu dieser schwierigen Situation beigetragen haben.
({6})
Auch der jüngste Bericht der Bundesbank weist auf diese Problematik hin, sagt aber gleichzeitig, daß das, was die Leistungsbilanz angeht, nicht nur ein finanzieller Aspekt ist, sondern daß auch die enormen Vorteile der deutschen Industrie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit eingerechnet werden müssen. Hier treffen wir uns wieder. Ich finde, dies darf in der Diskussion nicht untergehen.
({7})
Angesichts dieser Situation ist es natürlich „ausgezeichnet", wenn der Bundeslandwirtschaftsminister Ertl am vergangenen Donnerstag auf der Wintertagung der ehrenwerten Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, die 1985 100 Jahre alt wird - dann übernehmen Sie das Amt, Herr Kollege Ertl -, offiziell seinen Rücktritt auf Raten verkünden läßt.
({8})
Ich finde das recht seltsam. Deshalb erscheint es mir in der Tat einmal angebracht, die Politik und insbesondere die Agrarpolitik dieses Ministers einer kurzen Analyse zu unterziehen.
({9})
- Dies ist gewürdigt worden, Herr Kollege Riedl, und wir wissen, wie wir darüber zu denken haben.
Ausgangspunkt für diese sicherlich schwierige Situation sind vielleicht zwei programmatische Reden, die er 1969 - da waren Sie noch in der Opposition - und 1970 gehalten hat. In diesen Reden hat Josef Ertl eine Reihe von Schwerpunkten dargestellt. Herr Kollege Wehner, Sie schauen mich so skeptisch an. Ich habe nachgesehen, Sie haben an vielen Punkten „Sehr richtig!" gerufen, und das würden Sie heute an dieser Stelle nicht mehr tun.
({10})
- Dann habe ich wahrscheinlich Ihren finsteren Blick mißinterpretiert. Das kann sein; ich vermute das.
({11})
Josef Ertl hat damals erstens gesagt - es ist interessant, dies einmal nachzulesen -:
Die Landwirtschaft ist im Industriestaat ein bedeutender unentbehrlicher Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft.
Das ist okay; das ist ungefähr Politlyrik, und darüber brauchen wir uns nicht lange zu streiten.
Zweitens - jetzt muß man zuhören - hat er gesagt:
Die in der Landwirtschaft tätigen Menschen haben ein Anrecht, gleichberechtigt an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung teilzunehmen.
({12})
Diese These wird auch von der Union vertreten.
Wie sieht aber die Wirklichkeit aus? Wie heute schon erwähnt, erreichte die Disparität einen neuen Höchststand. Ertl zog daraus keine Konsequenzen, aber seine Beamten zogen offenbar Konsequenzen. Wie könnte es sonst möglich sein, daß sich laut Presseberichten Anfang Dezember letzten Jahres führende, hochbezahlte Ministerialbeamte in seinem Hause darüber unterhielten und auch philosophierten, ob es nicht vielleicht besser wäre, die „gleichrangige Teilnahme an der Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung" einfach fallenzulassen.
({13})
Ich kann nur festhalten: dies ist eine Bankrotterklärung. Die Tatsache, daß diese Zielstruktur überhaupt in die Diskussion gekommen ist, fällt in Ihre Verantwortung. Vorher hieß es:
Die in der Landwirtschaft tätigen Menschen haben ein Anrecht, gleichberechtigt an der allgemeinen Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung teilzunehmen.
Das war 1969/70, und heute gilt das nicht mehr. Drittens heißt es in den Reden:
Die Agrarpolitik innerhalb der EG darf nicht isoliert fortentwickelt werden.
Ich frage mich: Was ist geschehen? Weiß Gott stehen wir nach 12 Jahren Politik von Ertl fast wieder am Anfang. Was ist eigentlich auf diesem Gebiet geschehen? Die Antwort können Sie sich selbst geben, meine Damen und Herren. Da ist nicht viel passiert.
Viertens heißt es:
Eine gemeinsame Agrarpolitik ist, auf Dauer gesehen, nur möglich, wenn alle Bereiche der Wirtschaft, des Sozialen, der Finanzen usw. innerhalb der EG harmonisiert werden.
({14})
12 Jahre danach ist Fehlanzeige; es ist nicht allzu viel los.
({15})
- Herr Kollege, wenn Sie das als lachhaft empfinden, dann sollten Sie das von hier aus erklären.
({16})
Schmitz ({17})
Fünftens hat Josef Ertl gesagt:
Die Finanzierung der EG, insbesondere die Beseitigung der Überschüsse, ist nach dem Verursacherprinzip zu gestalten.
Herr Kollege Ertl, darüber läßt sich reden. Ich bin nicht der Meinung, daß da alles schlecht gewesen ist. Ich sage ab und zu auch etwas Positives.
Sechstens - auch hier muß man wieder gut zuhören - heißt es:
Die Agrarstrukturpolitik ist kein Ersatz für die Einkommenspolitik.
({18})
Herr Kollege Gallus, ich weiß nicht, wen Sie einmal beerben werden. In dem Zitat heißt es weiter:
Eine aktive Erzeugerpreispolitik ist in einer auf Wachstum abgestellten Volkswirtschaft unerläßlich.
({19})
- Dies ist die Frage. Dies sollen die Bauern einmal wissen. Hier ist, wie ich meine, in der Tat mit Philosophie nichts zu machen, sondern hier muß gehandelt werden. Dies ist nicht geschehen. Die Philosophie der differenzierten Preisfestsetzung auf Grund der innerwirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik Deutschland und anderer Staaten hat nichts gebracht.
Siebentens heißt es:
Eine moderne Landwirtschaft bedarf unbedingt der Privatinitiative.
Wenn ich die Verbandsklage, die überzogenen Vorstellungen beim Tierschutz, Naturschutz und einiges andere mehr sehe, so frage ich mich, wie es damit aussieht.
({20}) Und achtens:
Die Strukturpolitik ist langfristig und kontinuierlich im Wechsel der Generationen
({21})
- hören Sie gut zu, meine Damen und Herren so zu gestalten, daß die Erhaltung und die Schaffung lebensfähiger, rationell bewirtschafteter bäuerlicher Betriebe die Möglichkeit einer Kooperation auf der Grundlage der freiwilligen Zusammenarbeit fördert.
Okay! Aber es gibt j a noch einen B-Teil, und der lautet:
Die Bereitstellung von Dauerarbeitsplätzen, insbesondere in ländlichen Gebieten mit vorwiegend kleinbäuerlicher Struktur, muß erheblich gefördert werden.
Meine Damen und Herren, angesichts der Arbeitslosigkeit, die wir heute in ländlichen Gebieten haben, muß man auch diese Politik als gescheitert bezeichnen.
({22})
Auch von diesen Strukturplänen ist heute nicht mehr viel übriggeblieben. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" habe ich soeben einige Ausführungen dazu gemacht. Das wird heruntergefahren, nicht aufgebaut, meine Damen und Herren.
Vor kurzem - dies ist auch ein trauriges Kapitel - hat eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen ergeben, daß das so gepriesene einzelbetriebliche Förderungsprogramm immer weniger Landwirte fördert. Immer weniger Landwirte kommen in den Genuß dieses Programms. Und diese Analyse besagt, daß der Landwirt, der in den Genuß dieser Förderung gelangen will, durch einen Betriebsentwicklungsplan nachweisen muß, daß er vier, maximal sechs Jahre nach der Förderung ein Arbeitseinkommen erzielen könnte, das dem in außerlandwirtschaftlichen Berufen in dem betreffenden Gebiet erzielten Einkommen vergleichbar ist. Das ist nicht der Fall. Dies ist das Ergebnis einer Förderschwelle, über die immer mehr Betriebe stolpern. Denn 1975 belief sich die sogenannte Förderschwelle auf 22 000 DM, 1982 auf 30 500 DM. Ich kann nur sagen, daß die meisten Betriebe dort nicht mehr heranreichen.
Ertl sagt weiter als neunten Punkt - Sie haben das damals so schön gemacht, Herr Kollege Ertl -:
Die Erweiterung der Sechsergemeinschaft zu einer Zehnergemeinschaft schafft günstige Voraussetzungen für einen funktionierenden Agrarmarkt.
Darüber will ich nicht streiten. Man kann sich immer irren. Die Probleme haben Sie selber j a auch nicht geschaffen.
Unter Punkt 10 haben Sie auch einiges über das Problem des Absatzmarktes gesagt; aber das ist nicht so relevant.
Unter Punkt 11 heißt es dann:
Der Mensch ist auch in der Landwirtschaft allein entscheidend. Daher sind in Zukunft noch mehr als bisher die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
D'accord!
Und zwölftens sagen Sie:
Für die Menschen auf dem Lande werden in Zukunft die sozialen Sicherungsmaßnahmen immer dringlicher und bedeutender.
Ich frage Sie angesichts der Tatsache, daß Sie im Kabinett, was die sozialen Maßnahmen anlangt, in jedem Punkt hintenüber gefallen sind: Wie stehen Sie, der Sie damals so etwas vertreten haben, eigentlich heute zu dieser Problematik?
Es muß doch einmal festgehalten werden, daß auch in Ihrem Hause - wiederum laut Pressemeldungen - überlegt worden ist, dies als eine abgeschlossene Angelegenheit zu betrachten. Ich habe das ein bißchen nachgelesen. Da war offenbar die Rede von Konsolidierung. Was verstehen Sie eigentlich darunter? Heißt konsolidieren, daß man den Leuten das Geld abnimmt oder weniger Zuschüsse
Schmitz ({23})
gibt? Nennen Sie das konsolidieren? Meine Damen und Herren, für meine Begriffe ist das in der Tat eine außerordentlich problematische Entwicklung und ein außerordentlich problematischer Weg, den Sie da genommen haben.
Man erinnert sich natürlich oft nicht gern an das, was man früher gesagt hat. Dafür habe ich Verständnis. Aber wer schon seinen Rücktritt auf Raten verkündet, muß sich natürlich an dem messen lassen, was er ursprünglich einmal zum Eingang seiner Politik und am Beginn seiner Karriere gesagt hat. Dies können wir hier nicht unterschlagen. Deshalb, Herr Kollege Ertl, sage ich Ihnen das auch.
({24})
Als letzten Punkt, als Punkt 13, sagte der Kollege Ertl damals - jetzt kommt es -:
Schwerpunkte der nationalen Agrarpolitik müssen Förderungsmaßnahmen sein in einem langfristigen Strukturprogramm.
Er erklärte dann, wie das im einzelnen zu machen sei. Heute kann ich nur festhalten: Auch dies ist gescheitert.
Zusammenfassend erklärte Josef Ertl damals - und leider Gottes, Herr Kollege, haben Sie nicht recht behalten; ich hätte gewünscht, Sie hätten da recht behalten -:
Es ist nicht nur eine Reform bei der Agrarpolitik erforderlich. Insgesamt ist eine Reform der Agrarpolitik, speziell im EG-Bereich, erforderlich.
Wir unterhalten uns jetzt, zwölf Jahre nach diesen Äußerungen, genau über dasselbe Thema. Das ist genau die Forderung, die er damals als Prämisse für sein politisches Handeln aufgestellt hat.
Jetzt frage ich Sie wirklich: Ist dies als eine erfolgreiche Politik zu bezeichnen? Ist dies eine Politik gewesen, die Hoffnungen ausstrahlt?
({25})
- Herr Kollege Hoffmann, ich habe nur noch zwei Minuten Redezeit. Wenn Sie erlauben, machen wir es privat aus.
({26})
- Dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses kann ich es leider nicht abschlagen.
Verehrter Herr Kollege Schmitz, weil wir gerade über die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland, speziell über die Finanzen des Ernährungsetats reden, möchte ich Sie fragen, wie Sie den Sachverhalt beurteilen, daß nicht nur der Herr Bundeskanzler, sondern die gesamte Bundesregierung einschließlich des Bundesfinanzministers und seiner Staatssekretäre - mit Ausnahme von Herrn Ertl natürlich - dieser Beratung fernbleibt. Ich frage Sie, wie Sie diesen beschämenden Sachverhalt beurteilen.
({0})
Dem hochverehrten Vorsteher des Haushaltsausschusses kann ich diese Frage natürlich so beantworten, wie er sie wahrscheinlich auch gemeint hat. Es ist schon Verlassenheit, was sich hier auf der Regierungsbank ausdrückt: jemanden einfach im Stich zu lassen, wenn mit diesem Etat ein wichtiger Teil der Bevölkerung unseres Landes haushaltspolitisch behandelt wird.
({0})
Ich kann nur sagen: So läßt man die Leute nicht im Stich. Ich halte es in der Tat für unfair.
({1})
- Dies hat Josef Ertl auch nicht verdient, angesichts der Tatsache, daß er zu den Geburtshelfern dieser Koalition gehört hat.
({2})
Herr Kollege Schmitz, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hoffmann zu? Herr Gallus hat sich ebenfalls noch zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Herr Kollege Hoffmann, bitte.
Herr Kollege Schmitz, bevor Sie in Ihrem - so will ich es einmal nennen - Ablenkungseifer fortfahren, möchte ich eine Frage zu dem wichtigen Punkt stellen, den Sie gerade angesprochen haben, nämlich zur Reform der EG-Agrarpolitik. Sind Sie der Auffassung, daß daran, daß wir hier in der Tat in vielen Bereichen eine Stagnation zu verzeichnen haben, diese Bundesregierung schuld ist, die ihre Reformvorschläge auf den Tisch gelegt hat; ist es nicht vielmehr so, daß man Partner braucht, um solche Vorschläge durchzusetzen?
Herr Kollege Hoffmann, wenn das Papier, das man als DohnanyiPapier bezeichnen kann, welches in Brüssel vorgelegt worden und eigentlich klassisch an Herrn Ertl vorbeigezogen worden ist, die Vorschläge der Regierung zur Reform der Agrarpolitik enthalten soll, so kann ich nur sagen: Gnade Gott den Bauern, wenn das Wirklichkeit wird.
({0})
Das sind nicht unsere Vorstellungen über eine Reform der Agrarpolitik.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Aber sicher, Herr Staatssekretär; dafür werden Sie bezahlt.
Herr Kollege Schmitz, halten Sie es für fair, daß Sie in Ihrer Rede verschweigen, daß die Agrarpolitik letzten Endes nicht losgelöst von den
allgemeinen wirtschaftspolitischen Entwicklungen geführt werden kann und daß die heutigen Schwierigkeiten, die wir auch mit der Finanzierung der EG-Agrarpolitik haben, insbesondere daher rühren, daß dieses Hohe Haus am 27. Juni 1979 beschlossen hat, daß die Kosten der EG-Agrarpolitik nicht so stark steigen dürfen, daß bei den EG-Beiträgen das Limit von 1 % der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage überschritten wird, wobei ich anmerke, daß dem auch die Opposition - mit ganz wenigen Ausnahmen - voll zugestimmt hat?
({0})
Herr Kollege Gallus, natürlich gehöre ich nicht zu den Leuten, die hingehen und sagen, die Landwirtschafts- und Agrarpolitik vollziehe sich isoliert. Das wäre im Grunde genommen nicht richtig. So haben Sie aber auch nicht gefragt. Sie haben so gefragt, als ob Sie für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Lande nicht mit die volle Verantwortung trügen. Sie können doch nicht leugnen, daß es ein Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung ist, daß der Strukturwandel zum Erliegen gekommen ist. Das können Sie doch nicht leugnen!
({0})
Was die 1 %-Marke angeht: Dies war im Jahre 1979. Wir haben heute 1982. Ich gebe in der Tat zu überlegen, ob nicht im Grunde genommen etwas anderes Platz greifen sollte. Da ich den Finanzminister hinter Ihnen stehen sehe, darf ich das gleich vorwegnehmen. Es hat j a auch Zeiten gegeben, als der Bundeskanzler Schmidt Frau Thatcher 2,5 Milliarden DM aus der Haushaltskasse anbot. Es war nur auf den Widerstand der Haushälter zurückzuführen - Sie haben dabei mitgearbeitet -, daß es nicht dazu kam. Sonst stünden wir heute noch anders da. Meine Damen und Herren, es geht aber nicht an, daß Sie sich so einfach aus der Verantwortung stehlen und sagen: Jetzt müssen Sie uns sagen, wie es eigentlich weitergehen soll. - Das ist nicht der Punkt.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Aber gerne.
Herr Kollege Schmitz, gestatten Sie, daß ich den Herrn Kollegen Ertl von den hinteren Abgeordnetenbänken aus unterstütze, oder muß ich immer vorne sitzen?
Das ist eine Stilfrage, die Sie sich selbst beantworten müssen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wer diese Bilanz einmal Revue passieren läßt, wird feststellen, daß es hier nicht um die Person Josef Ertl geht - es geht überhaupt nicht um die Person Josef Ertl; da entbehrt es auch nicht hier und dort, so, wie es bei einem jeden ist, der einen oder. anderen Schwierigkeit -, sondern daß das Problem darin liegt, daß demnächst im Kabinett die Herren Matthöfer, Baum, Apel und andere mehr über die Agrarpolitik zu bestimmen haben werden als Josef Ertl. Dies ist kein beruhigendes Gefühl - weder für die Bauern noch eigentlich für diese Koalition. Ich meine, man hätte erwarten können, daß Josef Ertl ein anderer Abgang zuteil geworden wäre. Ich kann nur feststellen: Es entbehrt in dieser Situation nicht einer gewissen Tragikomik.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Zutt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmitz, vorab ein Wort zu Ihnen: Ich fand die Beratungen dieses Einzelplans außerordentlich sachlich und für mich hilfreich. Doch hatte ich die Protokolle der früheren Jahre gelesen und war deshalb nicht über Ihre Polemik erstaunt, die Sie heute vor allem gegen die Person des Landwirtschaftsministers gerichtet haben. So habe ich es empfunden. Verzeihen Sie, das darf ich sagen.
({0})
- Ich rede zum Herrn Schmitz, nicht zu dem, was andere Leute gesagt haben.
Zum zweiten: Sie haben zu einigen Punkten, die mit dem Haushalt zu tun haben, zwar nicht polemisch, aber sachlich unrichtig argumentiert. Ich werde in meinen Ausführungen darauf eingehen.
Zum dritten haben Sie eine Reihe von Punkten angesprochen, die meiner Ansicht nach weniger in die Debatte zum Haushalt als vielmehr in die Debatte zum Agrarbericht gehören.
({1})
Ich meine, es entspricht gutem parlamentarischem Brauch, daß man hier trennt.
({2})
Bevor ich zum Einzelplan 10 komme, möchte ich meinen Dank an das Landwirtschaftsministerium, an seine Beamten richten, die in der Diskussion um diesen Haushalt sehr hilfreich und offen waren.
({3})
Meine Damen und Herren, bekanntlich ist es das Ziel dieses Bundeshaushalts 1982 - das haben wir in den zwei Tagen oft gehört -, durch Sparen im konsumtiven Bereich zu einer verminderten Kreditnachfrage der öffentlichen Hand zu kommen, damit zur Zinssenkung beizutragen, um damit verbesserte Voraussetzungen für Investitionen in der Wirtschaft und eine Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Daran gemessen läßt sich für den Einzelplan des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorab zweierlei sagen:
Erstens. Der Regierungsentwurf stellte in seiner ursprünglichen Fassung ein besseres Instrument zur Erreichung dieser Ziele dar als der auf Grund der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses zum Haushaltsstrukturgesetz veränderte Etat. Dennoch ist auch der noch brauchbar. - Ich werde darauf zurückkommen.
Zweitens. Die Beratung des Entwurfs ergab durch Einsparungen im Einzelplan selbst bereits Möglichkeiten zu beschäftigungsstabilisierenden Hilfen.
Legt man die gerade veröffentlichten Zahlen über den Export 1981 der westdeutschen Agrarwirtschaft als Meßlatte für die Wettbewerbsfähigkeit an, so zeigt die Steigerung der Exporterlöse, daß die Agrarwirtschaft als Ganze durchaus wettbewerbsfähig ist. Die Zuwachsraten gegenüber dem Vorjahr betragen 26,6 %; das Volumen beläuft sich auf 21,8 Milliarden DM. Die Zahlen zeigen auch, daß gerade auf dem Agrarsektor der Export im vergangenen Jahr eine wichtige Konjunkturstütze war.
Trotz dieser günstigen Gesamtzahlen weiß ich, daß die Entwicklung nicht vorauszusehen ist. Denn gerade die Landwirtschaft ist - neben allen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten - noch vom Wetter und von anderem abhängig. Trotz dieser günstigen Gesamtzahlen für den Export ist die Preis-KostenRelation bei den Erzeugern, also der Landwirtschaft selbst, nicht günstig,
({4})
in vielen mittleren Betrieben sogar prekär.
({5})
Daher bringt die Anhebung der Vorsteuerpauschale um 0,5 %
({6})
innerbetrieblich eine gewisse Entlastung; sie ist ein richtiger Schritt.
({7})
Ich weiß, Teile der Opposition finden diese Anhebung ungenügend. Aber gleichwohl ist Herr Schmitz heute darauf nicht eingegangen.
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Doch ganz einig scheint man sich auch in den Reihen der Opposition nicht zu sein. Weder im Bundesrat noch im Vermittlungsausschuß wurde ein entsprechender Antrag auf stärkere Anhebung gestellt.
({9})
- Dann habe ich die Protokolle falsch gelesen.
({10})
- So, gut, gestellt und abgelehnt. Also haben Sie da
keine Mehrheit gefunden, obwohl Sie sie haben. Es
scheint da doch einen Mangel an Einigkeit zu geben.
({11})
Schwerpunkte im Einzelplan 10 sind: Sozialpolitik, Agrarstruktur, einkommenstabilisierende Maßnahmen und Forschung.
Die Ausgaben für Sozialpolitik machen mit insgesamt 3,744 Milliarden DM 61 % des gesamten Haushalts aus. Hier werden - Herr Kollege Schmitz hat darauf hingewiesen - in zwei Bereichen Kürzungen vorgenommen: bei der Unfallversicherung und der Altershilfe. Ich möchte auf beide eingehen.
Die Kürzung des freiwilligen Zuschusses zur Unfallversicherung um 60 Millionen DM auf dann noch verbleibende 340 Millionen DM für dieses Jahr ist angesichts der Finanzlage vertretbar. Wenn wir uns erinnern - Sie, meine Herren, sind ja viel länger dabei als ich -, daß dieser Zuschuß aus allgemeinen Steuermitteln gewährt wurde, um die Leistungen aus der Alten Last abzudecken, dann ist es heute wohl kein unbilliges Verlangen, nach genauen Angaben über Zahl der Personen und Höhe der Leistungen aus der Alten Last zu fragen, um festzustellen, ob dieser Zuschuß in der Höhe überhaupt noch nötig ist. Diese Zahlen beizubringen, sind sowohl das Ministerium - es ist, wie ich hörte, ein Gutachten in Auftrag gegeben worden - als aber auch die Selbstverwaltungsgremien der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gleichermaßen aufgefordert, um dafür sorgen zu können, daß die aus dem allgemeinen Steuertopf gewährten Mittel so gerecht wie möglich verteilt werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schartz?
Bitte.
Frau Kollegin, Sie sprechen die Kürzungen der Zuschüsse für die Berufsgenossenschaften an und begründen sie mit dem Nichtwissen hinsichtlich der Höhe der Alten Last. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es wohl richtiger und korrekter gewesen wäre, zuerst einmal die tatsächliche Belastung festzustellen, ehe man auf unbewiesene Annahmen hin Kürzungen vornimmt? Es ist durchaus möglich, daß die Alte Last angestiegen statt gesunken ist und insoweit jeder sachliche Grund fehlt, die Zuschüsse zu kürzen.
Ich kann Ihnen deshalb nicht zustimmen, weil bereits im vergangenen Jahr bei den 400 Millionen DM eine Kürzung bzw. eine Sperre von 40 Millionen DM vorgesehen war und bereits damals genügend Zeit vorhanden gewesen wäre, festzustellen, wie hoch die Alte Last ist.
({0})
Es tut mir leid, diese Zahlen habe ich aus dem Haushalt; dieses Geld wurde nicht ausbezahlt.
Da Sie vorhin groß von der „sozialen Demontage" gesprochen haben, möchte ich an dieser Stelle erwähnen: Durch höhere Ansätze bei der Krankenver4676
sicherung und der Landabgaberente steigen die Ausgaben im Sozialbereich - trotz der reduzierten Kürzung der Altershilfe - gegenüber dem Soll-Ansatz des letzten Jahres insgesamt an. Dies möchte ich hier gerade deshalb hervorheben, weil wir in den sonstigen Leistungsgesetzen überall Kürzungen vornehmen.
({1})
- Ich rede hier zur Sache und nicht davon, was mein oder Ihr Verdienst ist. Das ist, glaube ich, nicht Aufgabe eines Parlaments.
({2})
Jetzt möchte ich kurz auf die Altershilfe eingehen. Bei der Altershilfe sah der Regierungsentwurf eine Kürzung der Zuschüsse auf 2 Milliarden vor. Dies entsprach einer prozentualen Senkung - auf der Basis der Zuschüsse, die 1981 gewährt wurden - von 87,5% auf 79,5% im Jahre 1983. Eine stärkere Eigenbeteiligung der Landwirtschaft wäre daraus logisch die Konsequenz. Das bedeutet für den einzelnen Betrieb höhere Beiträge.
Geltendes Recht ist, daß jeder landwirtschaftliche Betrieb, gleich welcher Größe, einen gleichen Beitrag entrichtet, einen Einheitsbetrag, um in den Genuß einer Altersrente zu kommen.
({3})
Das gibt es sonst nirgends. - Sie bekommen auch die gleiche Rente, nur haben sie unterschiedlich große Höfe.
({4})
Der Beitrag beträgt für das Jahr 1981 75 Mark. Für 1982 würde er 94 Mark betragen und ab 1983 voraussichtlich 112 Mark. Nun ist nicht einzusehen, wieso ein kleiner Betrieb mit 10 ha den gleichen Beitrag wie Betriebe mit 50 oder mit über 100 ha bezahlen soll.
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Das ist jedoch geltendes Recht. So ist es vereinbart. Zum erstenmal hat man daher versucht, ab 1983 sozial gestaffelte Beiträge für Betriebe unter einem Wirtschaftswert von 48 000 Mark einzuführen. Nun kommen Sie nicht gleich mit dem Einwand, der Verwaltungsaufwand sei zu hoch. Denn ab einem Wirtschaftswert von 40 000 Mark sind die Betriebe buchführungspflichtig. Der Wirtschaftswert von 48 000 Mark ist also leicht zu ermitteln.
Dieser Schritt wäre für meine Begriffe ein erster überaus maßvoller Ansatz zu mehr Beitragsgerechtigkeit gewesen. Doch diese Anfänge einer Solidargemeinschaft auch in der Altershilfe für Landwirte haben CDU/CSU im Einvernehmen mit dem Deutschen Bauernverband und dem Bundesverband der Alterskassen im Vermittlungsausschuß zu Fall gebracht, begleitet von schriller Musik wie „systemwidrige Eingriffe" und „sozialistische Umverteilung". Während Sie in anderen Bereichen vom Mißbrauch des sozialen Netzes sprechen, betreiben Sie ihn hier selber.
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Denn Sie haben dafür gesorgt, daß auf diesem Sektor weiterhin Steuergelder als Subventionen gebraucht werden, und zwar von den Starken.
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Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Frau Kollegin Zutt, halten Sie das Prinzip „gleiche Beiträge, gleiche Leistungen" in der Altershilfe für nicht gerechtfertigt?
Ich halte es für inzwischen überholt, weil die Altersrente auch an der Dynamisierung in der Rentenversicherung teilnimmt und weil wir nach Einführung der Altershilfe z. B. auch die Rentenversicherung für Selbständige geöffnet haben, wo es aber selbstverständlich war, daß die Betreffenden 40 000 oder 60 000 Mark nachbezahlen mußten, wenn sie in den Genuß einer Rente kommen wollten. Nur bei den großen Bauern soll das nicht gehen!
({0})
- Meine Herren, ich habe doch gesagt: Es ist geltendes Recht; wir halten uns dran. Es gibt j a weiter die höheren Renten. Nur muß eine Sozialstaffel doch möglich sein.
({1})
Ein Viertel aller Betriebe hat einen Gewinn über 50 000 Mark, während drei Viertel aller bäuerlichen Betriebe einen Wirtschaftswert haben, der darunter liegt. Und dann sagen Sie, da sei keine Sozialstaffel möglich. Nur das ist die Frage.
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Ja, natürlich.
Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Meinung, daß es der Landwirtschaft gut zu Gesicht stehen würde, wenn sie von sich aus bereit wäre, zuzugestehen, daß die einkommensstarken Betriebe mehr zu ihrer eigenen Altersversorgung beitragen?
({0})
Ich würde es auch so sehen. Ich nehme auch an, daß sie es tun. Die Altershilfe für Landwirte ist aufgebaut als Ergänzung, weil die Struktur der bäuerlichen Betriebe so ist. Die haben noch ihren Altensitz und andere Absicherungen. Es ist eine bewußte Ergänzung.
({0})
Bitte, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Frau Kollegin, sind Sie der Meinung, daß wir die landwirtschaftliche Altershilfe zu einer Vollversorgung ausbauen könnten, oder sollten wir es bei der Grundsicherung lassen?
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, ich fühle mich im Moment zuwenig befugt und kompetent, um darauf eine erschöpfende Antwort zu geben.
({0})
Ich wollte dem Herrn Kollegen Schmitz sagen, daß ich diese Sozialstaffel ab 1983 als eine der sozialen Maßnahmen empfunden und gesehen habe, um kleinere bäuerliche Betriebe zu stärken und um einen Teil der Einkommensdisparitäten zumindest sozial erträglich zu machen.
({1})
- Natürlich gibt es andere, nur, diesen Weg haben Sie zu Fall gebracht, und der wäre in der Sache angemessen.
({2})
Ich konnte mich bei der Diskussion dieser Fragen nicht ganz des Eindrucks erwehren, als ob der Deutsche Bauernverband hier innerhalb der Landwirtschaft eine ähnliche Rolle spielt wie der Wirtschaftsrat der CDU, wenn es um Konflikte mit den Sozialausschüssen geht, die dann jeweils im Sinne des Wirtschaftsrates entschieden werden. Mit der Entscheidung im Vermittlungsausschuß haben wir uns im Interesse der Haushaltskonsolidierung zufrieden gegeben und die Sozialstaffel ab 1983 nicht eingeführt. Doch möchte ich an der Stelle sagen, damit ist die Sozialstaffel für die Koalitionsfraktionen nicht vom Tisch. Wir werden sie wieder vorlegen. Nur eines sei gesagt: Hier wurde eine Chance, Sparen mit einem kleinen Reformschritt zu verbinden, vertan.
Ich möchte noch einige wenige Bemerkungen zu Gemeinschaftsaufgaben und zu den Forschungsvorhaben machen.
Sie haben darauf hingewiesen, gekürzt wurde - angesichts der Haushaltslage - auch der Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes". Doch ist auch mit dem gekürzten Ansatz die Fortführung der begonnenen Maßnahmen sowie der Beginn einiger neuer Strukturmaßnahmen gewährleistet. Bei diesen neu zu beginnenden Maßnahmen sollte allerdings die Betonung entsprechend der Zielsetzung mehr auf „Gemeinschaftsaufgabe" liegen, also mehr Verbesserung der Infrastruktur im ländlichen Raum, z. B. Bau von Kläranlagen, also mehr überbetriebliche Förderung statt einzelbetrieblicher Förderung. Auf Grund der Haushaltslage ist auch hier eine Konzentration auf das Wesentliche notwendig, auch wenn ich mir - das sage ich ganz persönlich - für Problemgebiete wie bei Bergbauern und Bauern in benachteiligten Gebieten mehr Ausgleichszulagen gewünscht hätte, weil sie dort nach meiner Kenntnis besonders notwendig sind.
In diesem Zusammenhang gehört auch die durch die Kürzung während der Beratungen ermöglichte Sofortmaßnahme einer Strukturhilfe für die Hochsee- und Kutterfischerei. Das ist ein kleines Beispiel, wie durch Einsparungen im konsumtiven Bereich eine nicht etatisierte Strukturmaßnahme in der laufenden Beratung finanziert werden konnte. Wir hoffen, daß diese Maßnahme einen beschäftigungsstabilisierenden Effekt hat und damit in der Praxis widerlegt, was ein vorliegendes Gutachten über Kosten und Nutzen solcher Hilfen ausgesagt hatte.
Zur Forschung: Es wird im landwirtschaftlichen Bereich viel geforscht, sowohl in bundeseigenen Anstalten als auch durch Vergabe von Forschungsaufträgen.
({3})
Ich bin ein Freund der Forschung; das möchte ich sagen. Ob allerdings gezielt genug geforscht wird und ob sich die Organisation der Forschungsanstalten möglicherweise elastischer gestalten ließe, sind Fragen, die wir angesichts veränderter Wettbewerbs-und Finanzbedingungen stärker als bisher - wohl auch unter dem Gesichtspunkt der Effizienz - prüfen müssen. Das breit angelegte Forschungsprogramm „nachwachsende Rohstoffe", von dem sich viele in der Landwirtschaft und in der Industrie eine Lösung mancher Überschußprobleme versprechen, trifft bei einigen noch auf Bedenken, und ich gestehe offen: Auch ich gehöre noch zu den Zweiflern, lasse mich aber durch die laufenden Beratungen möglicherweise überzeugen.
Insgesamt stellt der Einzelplan 10 nach unserer Ansicht ein brauchbares Instrument nationaler Agrarpolitik dar. Ich möchte mit einem Zitat des Kollegen Mischnick von vor wenigen Tagen schließen. Er sagte, mit der Haushaltskonsolidierung seien die Voraussetzungen geschaffen, um den Strukturproblemen in unserer sich wandelnden Volkswirtschaft, auch in der Landwirtschaft, begegnen zu können. Er fügte hinzu: Es gibt keinen Stopp für Reformen; die sozialliberale Koalition ist auch weiter der Motor für zukunftsweisende Entwicklungen in unserem Land.
({4})
Danke sehr.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Schmitz, da Sie die Einkommenssituation angesprochen haben. Das ist eigentlich nicht das Thema der Haushaltsdebatte, aber Sie haben durchaus zu Recht gesagt: im letzten Wirtschaftsjahr minus 12,6 %. Das ist sicher richtig, aber es ist, glaube ich, redlich, wenn man dabei auch sagt, daß wir im laufenden Wirtschaftsjahr wieder deutlich ins Plus kommen werden. Denken Sie daran, daß wir seit sie4678
ben Monaten gerade bei der Schweineproduktion sehr gute Preise haben, daß wir gute Preise bei der _Rindfleischproduktion haben und daß wir im Bereich der Milch einen stetig steigenden Preis - mit heute 62 oder 63 Pfennigen für die Landwirte auf ihren Höfen - haben. Herr Schmitz, man sieht daran auch, daß es nicht unbedingt darauf ankommt, irgendwelche Beschlüsse über hohe Preise zu fassen; ganz allein entscheidend ist vielmehr der Markt. Der Markt muß funktionieren!
({0})
Die Landwirte sind nun einmal freie Unternehmer und nicht der Tarifpartner des Staates.
Aber nun zum Haushalt, zum Agraretat des Bundes 1982, zum Einzelplan 10. Er wird von 6,091 Milliarden DM im Jahre 1981 auf 6,097 Milliarden DM steigen und bleibt damit gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant.
({1})
Zusammen mit den EG-Marktordnungsausgaben von 6,340 Milliarden DM werden für den Bereich „Landwirtschaft" im Jahre 1982 also 12,438 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Das sind 2,5 % weniger als im Jahre 1981.
Angesichts der Tatsache, daß sich die landwirtschaftlichen Einkommen seit zwei Jahren rückläufig entwickeln, ist diese neuerliche Kürzung bzw. Stagnation des Mitteleinsatzes für die Landwirtschaft sicher schmerzlich und eine harte Sache für die Bauern.
({2})
Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, daß es das einzig Richtige war, jetzt mit der Konsolidierung des Bundeshaushalts Ernst zu machen und konsumtive und soziale Ausgaben des Staates an die Entwicklung unseres Sozialprodukts und unserer Volkswirtschaft anzupassen.
({3})
Ich verwahre mich gegen die Sichtweise der Opposition, die die Haushaltsansätze des Einzelplans 10 für 1982 losgelöst von den Anstrengungen der Koalition zur langfristigen Konsolidierung des Bundeshaushalts betrachtet. Es geht nicht an, einerseits, wie es der Präsident des Deutschen Bauernverbands noch in der vorigen Woche - ich zitiere aus „Agrareurop" - getan hat, von riesigen Schuldenbergen, die das Ergebnis einer Reformeuphorie in den 70er Jahren seien, zu sprechen und andererseits, wie es heute der Redner der Opposition, Herr Schmitz, getan hat, von sozialer Demontage der Agrarsozialpolitik zu sprechen.
({4})
Herr Schmitz, das habe ich gestern schon aufgeschrieben. Sie sind Ihrem Ruf hier durchaus gerecht geworden. Das muß ich sagen.
({5})
Diese Agrarsozialpolitik, die Sie hier beklagen, ist gerade in den 70er Jahren von Minister Josef Ertl und den Regierungsparteien zu dem agrarsozialen Sicherungssystem ausgebaut worden, um das uns heute die Berufskollegen im Ausland beneiden.
({6})
Tatsache ist, daß auch 1982 die Sozialausgaben des Einzelplans 10 gegenüber dem Vorjahr um 20 Millionen DM auf über 3,7 Milliarden DM steigen. Das heißt, 61 % des Haushalts gehen in diesen Bereich.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, ich sage Ihnen, daß auch ohne die Bundesmittelbegrenzung Beitragsanhebungen in dem landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystem unumgänglich gewesen wären. Eine der Ursachen hierfür ist die Anhebung der Altersgelder im Rahmen der Rentenanpassungsgesetze 1982 und 1983 um 5,8%. Ich bedauere hier ausdrücklich, daß bei der Finanzierung der landwirtschaftlichen Altershilfe die Einführung abgestufter Beitragsermäßigungen für wirtschafts- und einkommensschwächere Vollerwerbsbetriebe vorerst aufgeschoben werden mußte. Die CDU war nicht bereit, hier mitzumachen, obwohl Sie vorhin gerade diese 100 000 Betriebe Herrn Gallus angelastet haben. Gerade diesen 100 000 Betrieben wäre es zugute gekommen, wenn wir eine solche Regelung getroffen hätten.
({7})
Angesichts der großen Einkommensunterschiede der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe muß künftig ein zielgerechterer Einsatz von knappen öffentlichen Mitteln erreicht werden.
Wir Freien Demokraten halten die jetzt vorgenommene geringe nochmalige Kürzung bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für problematisch.
({8})
Nachdem bereits 1981 in diesem Bereich Kürzungen um 20 % vorgenommen worden waren, werden hier 1982 nochmals 45 Millionen DM - das sind 4 % - eingespart.
({9})
Somit werden für diesen Bereich 1982 vom Bund insgesamt 1,05 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Diese Mittel reichen aus, um alle rechtlichen Verpflichtungen einschließlich des Bergbauernprogramms abzudecken. Allerdings wurde damit der Bewilligungsspielraum für neue Maßnahmen nochmals eingeschränkt, die gerade aus agrarstrukturpolitischen, konjunkturpolitischen wie auch beschäftigungspolitischen Gründen im ländlichen Raum wünschenswert gewesen wären.
({10})
Auf dieser Grundlage konnten auch die von den Küstenländern geforderten zusätzlichen Mittel für den Deichbau leider nicht bereitgestellt werden. Es bleibt hier aber ganz klar festzustellen, daß Deichbau und Küstenschutz nicht von Kürzungen betroffen werden und für Schleswig-Holstein als von der
jüngsten Sturmflut besonders betroffenen Bereich aus Ausgaberesten zusätzlich 5,5 Millionen für den Küstenschutz, für den Deichbau zur Verfügung stehen.
({11})
Mit den knapper werdenden Mitteln im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe wurden eine Konzentration und Bündelung der Maßnahmen notwendig, die von der FDP ausdrücklich begrüßt werden. Mittelfristig müßte es möglich sein, nach dem Abbau hoher Altverpflichtungen wieder mehr Handlungsspielraum in der Agrarstrukturpolitik zu gewinnen.
Nach meiner Meinung müssen darüber hinaus aber auch in einzelnen Maßnahmebereichen, z. B. bei der einzelbetrieblichen Förderung, in Zukunft deutlichere Signale gesetzt werden. Das heißt konkret: Im Überschußbereich Milch muß die Förderung möglichst auf EG-Ebene vorübergehend ausgesetzt werden.
Wir begrüßen es ganz eindeutig, daß z. B. die Verpachtungsprämie ausgesetzt wird. Richtig ist auch die Einschränkung bei der einzelbetrieblichen Förderung in der Schweineproduktion auf nunmehr nur noch 700 Mastplätze.
Die Förderung von Milchleistungsprüfungen und Kontrollringen ist meines Erachtens sehr notwendig und hat sich auch sehr segensreich ausgewirkt. Ich glaube aber, dies kann doch nicht die Aufgabe des Bundes sein, sondern ist eine ureigene Aufgabe der Länder und muß in den nächsten Jahren dorthin zurückgeführt werden.
Ich möchte noch ausdrücklich begrüßen, daß es gelungen ist, die Zuschüsse für Erstaufforstungen für Laub- und Mischwald von 70 auf 80% bzw. von 60 auf 65 % anzuheben.
Das Sofortprogramm zur Anpassung und Umorientierung der Hochsee- und Kutterfischerei wird mit einem Volumen von 16 Millionen DM fortgesetzt. Die bisher gewährten Soforthilfen haben zur Anpassung und Umorientierung beigetragen und einen Zusammenbruch der Seefischerei verhindert. Die augenblickliche Fangsituation und die Ertragslage der Hochseefischerei machen es auch in diesem Jahr notwendig - wenn auch mit verringertem Volumen -, die Hilfen fortzuführen. Gemeinsam mit den Fischereiorganisationen werden wir uns bemühen, mit den augenblicklichen Schwierigkeiten fertig zu werden. Das sind wir den Menschen an der Küste, die um ihre Arbeitsplätze bangen, einfach schuldig.
({12})
Die anhaltende Verteuerung und langfristige Verknappung von Erdöl zwingen uns, nach alternativen Energien zu suchen. Einen kleinen Beitrag dazu kann über die sogenannten nachwachsenden Rohstoffe auch die Land- und Forstwirtschaft leisten.
({13})
Als Niedersachse bin ich besonders froh, daß es uns gelungen ist, im Einzelplan 10 für eine Beispielsanlage zur Herstellung von Äthanol aus Rüben, Kartoffeln und Getreide mit einer Jahreskapazität von 10 000 Tonnen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 18,5 Millionen DM einzustellen. Ich hoffe sehr, daß auch das Land Niedersachsen beim Aufbau dieser Beispielsanlage administrativ und finanziell mitzieht.
({14})
Insgesamt stelle ich im Namen meiner Fraktion zusammenfassend fest: Die FDP-Fraktion steht zu den gesamtwirtschaftlich notwendigen Einsparungen, die von allen gesellschaftlichen Gruppen in sozial gerechtem Umfang zu tragen sind. Unter diesem Vorzeichen, unter dem sämtliche Haushalte stehen, hat der zu beschließende Agrarhaushalt, so glauben wir, wie jeder andere Etat im Gesamthaushalt der Bundesregierung seinen Beitrag geleistet. Wir wissen, welche Probleme die Landwirtschaft drücken, sind aber überzeugt, daß die gegenwärtige schwierige Einkommenslage der Landwirtschaft bei den notwendigen Einsparungsbemühungen angemessen berücksichtigt worden ist.
Wir bedauern - lassen Sie mich das noch einmal ganz deutlich sagen -, daß die Sparmaßnahmen auf die Gemeinschaftsaufgabe durchschlagen, deren überwiegend investive Maßnahmen beachtliche Beschäftigungseffekte im ländlichen Raum haben, auf die wir gerade in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation nur schwer verzichten können. Aber erlauben Sie, daß ich mich zum Schluß der Einschätzung des Landesverbandes Schleswig-Holstein des Deutschen Bauernverbandes, in dem Sie, verehrter Herr Kollege Eigen, ja eine führende Rolle spielen, anschließe, in der es heißt - ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. August 1981 -: „Die Landwirte sind bei den Eckwertbeschlüssen zur Sanierung des Etats 1982 noch mit einem blauen Auge davongekommen." - Ich danke Ihnen.
({15})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Wenn ich richtig informiert bin, stehen mir nur acht Minuten Redezeit zu. Oder darf ich vielleicht einige Minuten länger reden?
Herr Minister, darüber gibt es klare Bestimmungen. Sie können so lange reden, wie Sie wollen; nur könnte dann möglicherweise die Debatte erneut eröffnet werden.
({0})
Ich bedanke mich.
Das würde Ihnen so passen, Herr Kollege Schmitz. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie meine Reden, dann sind Sie wenigstens vom Wissen her für eine gute Agrarpolitik gerüstet.
({0})
Einer Opposition, die sich im Regierungswartestand befindet, kann das j a nicht schaden. Herr Eigen, vielleicht lesen Sie das miteinander. Dann könnt Ihr zwei euch gegenseitig testen.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitz ({0})?
Immer, wenn er mich auch nicht sehr nett behandelt hat.
({0})
Aber das stört mich nicht. Ich bin es gewohnt, manches zu ertragen.
({1})
Allerdings habe ich meine Auffassung darüber, wie man im Parlament mit Kollegen umgeht. Von daher hätte ich mir das anders gewünscht.
({2})
Vielleicht darf ich auch noch hinzufügen: Ich bin kein Heiliger und habe mich sicherlich auch schon einmal vergaloppiert. Aber ich habe wenigstens die Kraft gehabt, mich nachher zu entschuldigen.
Jetzt gebe ich eine Frage frei.
Herr Kollege Ertl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mich mit Ihrer Politik, nicht mit Ihrer Person beschäftigt habe?
Nein, Sie haben mich sogar beleidigt, wenn ich das so sagen darf. Sie haben eine Frage, die für mich ein sehr wichtiges und ernstes Problem ist - menschlich, persönlich -, hier in diesem Saal polemisch behandelt. Das habe ich in diesen 20 Jahren nie erlebt.
({0})
Unabhängig davon muß, so glaube ich, ein Politiker so souverän sein, daß er selbst entscheidet, wann er die Zeit für gekommen hält, sich - aus welchen Notwendigkeiten heraus auch immer - zurückzuziehen. Das darf nicht Gegenstand einer Polemik sein.
({1})
- Ist schon vorbei! Aber ich habe das gesagt, weil ich immerhin ein klein wenig Wert darauf lege, daß Anstandskunde in diesem Haus gewahrt wird.
({2})
Entschuldigung, wollten Sie eine weitere Zwischenfrage stellen, Herr Abgeordneter?
Herr Präsident, ich wollte Herrn Minister Ertl fragen, an welcher Stelle ich ihn konkret beleidigt habe.
({0})
Herr Minister Ertl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitz?
Natürlich.
Herr Abgeordneter Schmitz, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zwischenfrage.
Herr Minister, können Sie mir konkret sagen, mit welcher Formulierung ich Sie beleidigt habe?
Jawohl; mit der Feststellung, ich hätte einen Rücktritt in Raten vorprogrammiert, um mich aus der Verantwortung zu ziehen. So habe ich das hier gehört und aufgefaßt. Sie kennen die Hintergründe, Herr Schmitz, und deshalb nehme ich es Ihnen übel.
({0})
Sie sind besser informiert - das weiß ich - als meine Fraktionskollegen, die nicht die Zahl 12,6 kennen. Das zeigt, wie gut der Draht von Gruppen meines Hauses zu Ihnen ist. Ich beglückwünsche Sie. Ich kenne die CDU-Kampfgruppe. Sie kennen das besser als ich. Ich erwarte mir mehr Diskretion,
({1})
damit Sie den Minister nicht in einen Loyalitätskonflikt zu vielen Mitarbeitern bringen.
({2})
Ich komme gleich zum nächsten Punkt, weil die Zeit eilt. Ich will mit zwei Zahlen die schwierige Frage der Sozialpolitik schildern.
({3})
Alle Beteiligten wissen um die Schwierigkeiten angesichts der Ertragslage in diesem Jahr. Ich bin neugierig darauf, was Herr Schmitz ({4}) im nächsten Jahr sagen wird, wenn die neuen Zahlen vorliegen.
Ich will Ihnen folgendes sagen, verehrter Herr Kollege. 1969 betrugen die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik 875 Millionen DM; 1982 werden es 3,743 Milliarden DM sein. Wer da von „soBundesminister Ertl
zialer Demontage" spricht, betreibt wirklich Polemik. Das muß man hier einmal sagen.
({5})
Es ist nicht geplant, das zu streichen; das dürfen Sie mir glauben. Wer sich in dieser Frage so wie Sie äußert - auch in diesem Ton -, muß sich wirklich gefallen lassen, daß man ihm sagt: Es geht ihm mehr darum, nach außen zu tönen, aber nicht darum, eine sachliche Kritik anzubringen, geschweige denn, einen konstruktiven Vorschlag zu machen.
({6})
Damit wir uns auch hier nicht täuschen: Natürlich war die Diskussion darüber schwierig, ob die Zuschüsse für die Berufsgenossenschaften gekürzt werden sollten. 1969 wurden 206 Millionen DM dafür gezahlt, 1982 werden es 340 Millionen DM sein. Ich will mich dessen nicht rühmen und damit auch nicht auftrumpfen, sondern damit nur verdeutlichen, daß man nicht von sozialer Demontage sprechen kann.
Ich habe hier zugehört. Ich bin heute zwar von Herrn Röhner angemahnt worden, muß dazu aber sagen: Ab und zu muß ich einige andere Dinge tun. So muß ich beispielsweise heute noch zur Grünen Woche nach Berlin fliegen. Aber ich höre immer, daß die Opposition gesagt hat: konsumtive Aufgaben kürzen. Ich habe gehört, daß Sie gesagt haben, Sie hätten einen Vorschlag gemacht, den die Regierung nicht aufgegriffen habe, global 5 % zu kürzen. Haben Sie schon mal ausgerechnet, was das in meinem Etat ausgemacht hätte?
({7})
Ich meine, irgendwo muß man doch bei der Wahrheit bleiben.
({8})
- Kollege Schmitz ({9}), ich habe es doch hier in der Debatte wiederholt gehört. Wir können das Protokoll miteinander durchlesen; machen wir diese Übung miteinander. Da können Sie doch nicht hergehen und es sich so einfach machen.
({10})
Sie dürfen nicht eine Rede für Bauernverband und landwirtschaftliche Wochenblätter halten, sondern Sie müssen eine seriöse Oppositionsrede halten,
({11})
vor allem, wenn Sie gern Minister werden wollen; da müssen Sie sich noch anstrengen.
({12})
Herr Minister, gestatten Sie dem Herrn Abgeordneten Schartz eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Schartz.
Herr Minister, Sie haben hier - ({0})
Schlecht, aber zahlendes Mitglied. Kann ja gar keine Aggressionen haben, zahle sogar.
Herr Minister, einen Augenblick.
Entschuldigung.
Sie haben gestattet, daß der Abgeordnete Schartz eine Zwischenfrage stellt. Ich habe dem Abgeordneten Schartz das Wort erteilt.
Ich wollte nur dem Kollegen -
Herr Minister, der Herr Abgeordnete Schartz hat jetzt das Wort.
({0})
Jawohl, Hände an die Hosennaht, was ich ungern tue -
Herr Abgeordneter Wehner, die Geschäftsordnung sieht vor, daß der Präsident das Wort erteilt. Das hat er getan. Der Abgeordnete Schartz hat das Wort.
Herr Minister - wenn Sie die Güte hätten, mir zuzuhören -, Sie haben eben die Beiträge des Bundes zur landwirtschaftlichen Sozialpolitik angezogen und dabei deutlich gemacht, daß die Zuschüsse gestiegen sind. Herr Minister, können Sie meine Aussage bestätigen, daß in bezug auf die echten Einkommen der Landwirtschaft trotzdem die Beiträge der Landwirtschaft zu ihrer eigenen Sozialversicherung nicht gesunken, sondern gestiegen sind? Die Bauern zahlen heute in bezug auf ihr Einkommen mehr als zu der Zeit, als Sie Ihr Regierungsamt angetreten haben.
({0})
Herr Abgeordneter Schartz, ich bitte Sie, die Antwort am Saalmikrofon entgegenzunehmen. Das entspricht unserer Übung.
Herr Kollege Schartz, von mir aus dürfen Sie auch sitzen bleiben; für mich ist das nicht so wichtig.
({0})
Selbstverständlich sind die Beiträge gestiegen; denn das würde j a bedeuten, daß inzwischen der Bund möglicherweise zu hundert Prozent die Rente für die Landwirte zahlt. Ich meine, er zahlt immer4682
hin noch 70 %. Ich bin nicht glücklich über die Absenkung; darüber braucht sich niemand Illusionen zu machen. Nur, ich muß Ihnen folgendes sagen, lieber Herr Kollege Schartz. Ich möchte wegen der Öffentlichkeit keine Ausführungen machen, aber ich biete Ihnen in diesem Falle meine Mitarbeiter an. Der Kollege Schmitz ({1}) nützt das ja auch oder sollte es mit gutem Grund nutzen. Ich biete Ihnen meine Mitarbeiter an und lasse Ihnen mal eine Liste übersenden, aus der Sie ersehen können, wie das mit dem Transfer in einer bäuerlichen Familie ausschaut: Beiträge und Leistungen. Wenn schon, dann muß man richtig rechnen, nicht einseitig. Man muß auch die Leistungen sehen, die Gesamtleistungen der Bilanz bis hin zum Kindergeld. Das ist alles in diesen Jahren passiert, oh ja, bis dahin, mit all diesen Leistungen. Sie werden dann sehen, Herr Kollege Schartz, daß Sie zu Ihrer Frage sehr viel nachzudenken haben. Ich will mir ersparen, die Zahlen hier zu nennen, und zwar aus gutem Grund. Manchmal können Fragen zu einer Sache gar nicht so nützlich sein. Aber das muß immer der Fragesteller wissen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horstmeier?
Herr Minister, wenn Sie schon so freundlich sind, uns dieses Material zukommen zu lassen: Wären Sie dann auch bereit, uns einmal einen EG-Vergleich über eigene Leistungen und Staatsleistungen in der Sozialversicherung der einzelnen Länder zukommen zu lassen?
Oh j a, dazu bin ich bereit. Soweit das Material vorliegt, können Sie alles Material haben. Sie wissen, ich habe noch nie jemand Material verweigert; im Gegenteil. Ich führe ein offenes Haus,
({0})
in Fortsetzung Erhardscher Politik der offenen Gesellschaft.
({1})
Weil meine Zeit so fortgeschritten ist, kann ich nicht mehr zum Sozialen sagen. Das würde eine Agrardebatte geben; dort werden wir Gelegenheit haben, diese Dinge noch mehr zu vertiefen. Nur, ich will mir gar nicht - schon gar nicht aus den Gründen, wie ich mich persönlich entschieden habe; ich bin ja ein klein bißchen jenseits von Gut und Böse - etwas anstecken; mir liegt also gar nicht daran, mir da eine besondere Ruhmesfeder hinzutun. Aber eines werden Sie nicht abstreiten können: Seitdem diese Regierung, diese Koalition auf dem agrarsozialen Sektor Verantwortung tragen, ist aus einem Taschengeld eine beachtliche Grundrente geworden.
({2})
Darüber hinaus ist den Alten das Krankheitsrisiko
abgenommen worden. Mir geht es nur darum, daß
hier nicht schiefe Lichter aufgestellt werden. Ich weiß, daß heute schon eine „Wochenblatt-Rede" gehalten worden ist. Ich möchte erreichen, daß auch meine Ausführungen in Wochenblättern veröffentlicht werden, damit die Landwirtschaft wenigstens ein bißchen informiert wird.
({3})
Ich komme zweitens zur Gemeinschaftsaufgabe. Ich habe, verehrter Herr Kollege Schmitz ({4})
({5})
- nein, ich denke nicht daran -, das Protokoll über die Rede des Kollegen Gallus nachgelesen. Ich sehe mich außerstande, ihn wortwörtlich zu zitieren; aber man wird dieses Protokoll ja wohl herbeischaffen können; Gott sei Dank wird in diesem Hohen Hause ja alles gedruckt. Er hat erstens gesagt: Es gibt 100 000 Problembetriebe. Das unterstreiche ich voll und ganz. Ich sage: Gott sei Dank nur noch 100 000; 1969 gab es mehr.
({6})
- Ja, 1969 gab es wesentlich mehr. Wenn Sie sich die Agrarstruktur anschauen, stellen Sie fest, daß ihre Zahl reduziert worden ist. Ich sage das nicht, um diese Entwicklung zu verherrlichen.
Zweitens hat er darauf hingewiesen, daß ein Teil der Landwirte aus Altersgründen ausgeschieden sei. Das ist völlig richtig. Ein anderer Teil ist auf Grund eigener, freier Entscheidung ausgeschieden; denn die wirtschaftlichen Rahmendaten müssen stimmen. Sie sind im Moment nicht besonders günstig, aber auch nicht sehr schlecht. Immerhin gab es 1981 in der Bundesrepublik Deutschland - lassen Sie mich das in Klammern sagen; Sie kennen diese Zahl auch - noch 780 442 landwirtschaftliche Betriebe.
({7})
Das waren 16 936 oder 2,1 % weniger als 1980. Dies bestätigt meine These. Deshalb bin ich auch nicht für eine völlige Aussetzung der einzelbetrieblichen Förderung. Hier findet ein Prozeß statt, bei dem der kleinere Teil die Chance hat, einen Vollerwerbsbetrieb zu erhalten, während der größere Teil sich langfristig auf landwirtschaftlichen Nebenerwerb umstellen muß.
Hier hat man gegen Herrn Gallus eine böse Polemik betrieben. Man hat ihm nämlich unterstellt - so wie heute einem anderen Redner das Wort „noch" -, er habe gesagt, die 100 000 Problembetriebe müßten verschwinden. Das hat er nicht gesagt, sondern er hat nur darauf hingewiesen, daß es sie gebe. Ich sage Ihnen sogar: Es wird immer Problembetriebe geben.
({8})
Das liegt in der Struktur einer Agrarwirtschaft mit einer Vielzahl von Einzelbetrieben und unterschiedlichen Eigentumsformen. Das reicht vom kleinsten bis zum größten Betrieb, wobei es relativ wenig
große gibt. Man sollte in diesem Lande damit aufhören, dem Größenfetischismus zu huldigen;
({9})
denn noch nicht einmal 1 % der Betriebe verfügt über mehr als 100 ha. Und dann wird bei uns immer von Konzentration gesprochen. Hier sollte sich jeder getroffen fühlen; ich kann dabei nach links, nach rechts oder zur Mitte deuten. Ich könnte Ihnen entsprechende Zitate bringen, soviel Sie wollen.
({10})
- Ich sage das auch gern dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, schon wegen meiner großen Bewunderung für ihn.
({11})
Die Gemeinschaftsaufgabe geht nicht nur den Bund etwas an, das möchte ich hier einmal festhalten -, sondern sie ist auch Sache der Länder. Sie ist eine zentrale politische Frage. Zwischen Bund und Ländern muß langfristig ein Konsens darüber gefunden werden, in welcher Form und in welchem Umfang die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" fortgeführt werden soll. Das ist eine Grundsatzfrage. Sie sollten einmal die Rede nachlesen - wenn hier schon Reden von mir zitiert werden -, die ich gehalten habe, als die Gemeinschaftsaufgabe beschlossen wurde.
({12})
Ich neige nicht ausschließlich zur überbetrieblichen Förderung, sondern wir werden hier eine dosierte Mischung brauchen. Daß vieles auch nützlich war, hat sich heuer erwiesen. Das will ich hier gerne anerkennen, wobei ich insbesondere den Aktiven an der Küste sehr danken möchte: alle neugebauten Deiche haben gehalten und viel Unheil von der Bevölkerung ferngehalten.
({13})
Ich möchte das an die Adresse jener richten, die sich manchmal, wie ich meine, nicht immer gerechtfertigte Kritik bezüglich des Küstenschutzes gefallen lassen müssen.
({14})
Das gilt für Behörden, das gilt aber auch für diejenigen, die die Arbeit vor Ort verrichten.
Aus Zeitgründen will ich versuchen, die weiteren Punkte möglichst kurz zusammenzufassen. Daß es in der Agrarpolitik Fortentwicklungen gegeben hat, ist ohne Zweifel. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, sie bis heute zu finanzieren. Daß dabei sogar Trends zu mehr Marktgleichgewicht herbeigeführt worden sind, ist offensichtlich; sonst wären die Kosten nicht gesunken. Daß die Finanzierbarkeit ein Anliegen des ganzen Hauses, also auch der Opposition ist, ist durch Beschlüsse klargelegt. Mit diesen
Beschlüssen muß sich aus gutem Grund auch der Minister nicht nur vertraut machen, sondern er muß sie auch einhalten. Ich meine den Beschluß aller Fraktionen über 1 % Mehrwertsteuer.
({15})
- Nein, ich sage j a: es hat sich sehr vieles zum Besseren gewendet, zumindest ist der Trend zum Besseren absehbar geworden. Daß die Agrarpolitik immer problematisch sein wird, solange es nicht gelingt, den gesamtwirtschaftlichen Rahmen abzustecken, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Vor der Ölpreisexplosion waren die volkswirtschaftlichen Rahmendaten für eine Harmonisierung auf dem Währungssektor enger beisammen und somit realistischer als nach der Ölpreisexplosion mit dem irren Inflationsgefälle in Europa.
({16})
Damit muß man aber leben, weil umgekehrt die EG-Agrarpolitik für wichtige Partnerstaaten ein unverzichtbares Element ist. Ohne diese Agrarpolitik wäre die Gemeinschaft möglicherweise für viele Partnerstaaten nicht mehr so interessant oder vielleicht uninteressant. Wenn die Europäer diese Torheit begehen wollten, dann würden sie die Gemeinschaft kaputtmachen. Dann wird allerdings jeder für sich hinterher größere Probleme haben, monetär, politisch und sonstwie. Das wollte ich zu diesem Punkt sagen.
Lassen Sie mich ein Letztes hinzufügen, nämlich daß wir in diesem Jahr in der Tat die 12,6 minus erreichen. Übrigens haben das meine Mitarbeiter voriges Jahr schon angekündigt.
({17})
Eines dürfen Sie mir glauben: Nach 12 Jahren ist man sehr sachkundig geworden, auch über die Strömungen.
({18})
Ich würde sagen: die Kampfgruppenströmungen. Und wenn es heißt: Jetzt könnten die anderen wieder drankommen, dann werden manche Beamten rühriger. Das ist ganz logisch. Ich kenne doch das Spiel. Das ist ja auch ganz menschlich, Freunde. Ich bin froh, in einer Welt zu leben, in der es menschelt.
({19})
Ich wollte eigentlich eine allerletzte Bemerkung machen, Herr Präsident.
({20})
- Nein, ich - ({21})
- Wollen Sie einen Witz hören?
({22})
Also, ich mache am Schluß noch einen Witz, damit Sie endlich einmal einen hören.
({23})
Jetzt hätten Sie mich wirklich beinahe durcheinandergebracht. - Der schaut mich immer an und meint, ich würde ihn gern beleidigen, d. h., das hätte er gerne.
Nein, lassen Sie mich eine allgemeine - ({24})
- ich gönne es ihm doch!
({25})
- Das haben schon viele gesagt.
({26})
Natürlich haben sich nicht nur die Energiekosten, sondern auch der Dollaranstieg ausgewirkt. Wir wollten doch einen Anstieg des Dollars. Ich muß jetzt zu meinem Kollegen Lambsdorff hinschauen. Ich orientiere mich ja auch an dessen Weisheit und noch mehr an der Weisheit seiner Mitarbeiter. Ich habe mir sagen lassen, daß der Dollar, als er bei 1,80 DM war, viel zu niedrig gewesen sei. Nun ist er bei 2,30 DM, und jetzt wird gesagt, das sei viel zu hoch. Ich weiß nicht, wo der Dollar richtig liegen muß.
({27})
Ich bin ja immer ein klassischer Mann der Mitte.
({28})
Ich bin für 2,10 oder 2,20; das ist so ähnlich wie Poker spielen. Aber die Realität heißt, je mehr der Dollar an Wert gewinnt, um so mehr müssen wir einsetzen, um zum Beispiel den nicht geringen Posten Futtermittel höher zu dotieren; denn in der Tat ist die Kostenexplosion das Element bei geringeren Erzeugerpreissteigerungen. Ein Teil ist inzwischen korrigiert. Hoffentlich hält es länger an. Das wünsche ich mir.
Das zweite sind witterungsbedingte Ausfälle. Dafür bin ich absolut unverantwortlich. Als es drei Wochen lang bei Herrn Eigen in Schleswig-Holstein geregnet hat, da hat mir das furchtbar leid getan. Dafür kann ich allerdings keine Bittprozession nach Schleswig-Holstein antreten.
({29})
- Mir gefällt es in dem Land. Ich wollte das nur noch hinzufügen. Alles andere bei der Agrardebatte.
Bevor ich hier abtrete, will ich Ihnen meinen Lieblingswitz erzählen. Wer ihn schon kennt, der soll sich melden; dann höre ich natürlich auf.
({30})
- Das können Sie nachher entscheiden; in pro und contra können Sie das machen. Wenn der Herr Präsident will, kann er darüber abstimmen lassen. Ich muß ihn natürlich auf bayerisch erzählen; der läuft nur auf bayerisch.
({31})
Herr Minister, nehmen Sie bitte Rücksicht auf die Stenographen.
({0})
Herr Präsident, ich bin aber in der Lage, die Übersetzung folgen zu lassen.
Ich bitte darum.
Ich mache es sowieso schon gemäßigt.
Der Franzl will ein Dreirad. Zu diesem Zweck geht er zur Mutter und sagt: „Mutter, alle meine Freunde, mit denen ich spiele, haben ein Dreirad."
({0})
Sagt die Mutter: „Bub, du weißt doch, wir haben gerade ein Haus gebaut." - Das müssen Schwaben gewesen sein. - „Wir haben nicht viel Geld; der Vater verdient jetzt nicht so viel; wir müssen sparen. Du bekommst kein Dreirad." - Der Bub sagt: „Aber alle meine Freunde haben ein Dreirad!" - Sagt die Mutter: „Aber ich kann jetzt nicht." - Sagt der Bub: „Spielst du denn mit mir Vater und Mutter?" Die Mutter denkt, mein Gott, ich kann doch den Bub nicht ganz frustrieren - wie man so schön auf Neudeutsch sagt -; deshalb sagt sie: „Ich spiele mit dir Vater und Mutter." - „Also", sagt der Bub, „fangen wir an. Du gehst rauf, ziehst dich aus legst dich ins Bett." Die Mutter denkt, was ist nur mit dem Bub passiert? Aber ich habe es ihm versprochen, also mache ich das. - Was macht der Bub? Er zieht sich Hose und Sakko vom Vater an, setzt den Hut auf, geht auch hinauf, macht die Tür auf, geht rein, macht die Tür zu und sagt: „Alte, steh auf, zieh dich an und kauf dem Bub ein Dreirad." - Danke schön, Herr Präsident!
({1})
Meine Damen und Herren, nach diesem Höhepunkt liegen weitere Wortmeldungen nicht mehr vor. Ich schließe deswegen die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10, Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem Einzelplan 10 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das HandzeiVizepräsident Windelen
chen. - Danke. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 10 ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir gehen über zu Tagesordnungspunkt I.16:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksache 9/1192 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({0}) Dr. Zumpfort
Schröder ({1})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann hat der Abgeordnete Schröder ({2}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl der Witz mit dem Dreirad schon den Übergang zum Verkehr geschaffen hat, möchte ich eine ganz persönliche Bemerkung vorausschicken, die ich nicht im Namen meiner Fraktion mache.
Ich frage mich, ob der Ablauf unserer Haushaltsberatungen, so, wie wir ihn bisher gestaltet haben, wirklich sinnvoll ist, ob wir jeden Einzelplan dazu benutzen sollten, die Grundsätze, Prinzipien und auch aktuellen Fragen aus dem gesamten Ressort zur Debatte zu stellen. Ich meine, das Präsidium sollte sich vielleicht überlegen, ob wir nicht im Laufe der Jahre doch einmal zu echten Haushaltsberatungen kommen könnten, die sich auf den Haushalt konzentrieren.
So will ich denn auch der Versuchung widerstehen, den Einzelplan 12 dazu zu benutzen, grundsätzliche Ausführungen und auch aktuelle Ausführungen zur Verkehrspolitik zu machen. Ich will mich vielmehr auf den Verkehrshaushalt beschränken. Ich gebe allerdings zu, daß mir das als Berichterstatter für den Einzelplan 12 relativ leichtgemacht wird; denn nicht nur haben wir in unserer Fraktion eine herausragend gute Crew von Verkehrspolitikern, sondern ich vermag bisher auch noch nicht ein verkehrspolitisches Konzept des Ministers zu erkennen.
({0})
- Was den Verkehrshaushalt anlangt, Herr Kollege, so besteht wohl auch in Ihren Reihen in der Zwischenzeit Klarheit darüber, daß er - und das ist eine sehr gemäßigte Form der Kritik - den verkehrswirtschaftlichen Notwendigkeiten in keiner Weise mehr entspricht.
({1})
Der Verkehrshaushalt ist seit 1979 - übrigens nicht nur real, sondern auch nominal - ein echter Schrumpfhaushalt geworden. Daß Sie selber die Erkenntnis haben, daß ein solcher Haushalt den verkehrswirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht mehr entspricht, entnehme ich daraus, daß am heutigen Tage überall in der Presse zu lesen war, daß, wenn es zu einem sogenannten Beschäftigungsprogramm
käme, vorrangig Mittel für die Deutsche Bundesbahn und für den Straßenbau zur Verfügung gestellt werden sollten. Dies, meine Damen und Herren, ist doch wohl ein Eingeständnis dafür, daß Sie selber sehen, daß diese beiden Bereiche nicht mehr ihren Anforderungen gemäß bedient werden.
Eine zweite generelle Bemerkung zum Haushalt des Verkehrsministeriums: Ich glaube, daß dieser Haushalt auch in besonderer Weise den ganzen Widerspruch der Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung widerspiegelt. Der Widerspruch der Finanzpolitik besteht darin, daß man sich auf der einen Seite hemmungslos verschuldet, auf Grund einer entsprechenden Ausweitung der Staatsausgaben, und trotzdem wegen des Rückgangs investiver Leistungen zu einem Anstieg der Beschäftigungslosigkeit in unserem Lande kommt.
({2})
Meine Damen und Herren, der Verkehrshaushalt wies vor knapp 20 Jahren immerhin noch einen Anteil von fast 70 % auf, der auf investive Leistungen entfiel, während es in diesem Jahr nur noch 47 % sind. Das heißt, weniger als die Hälfte der Mittel des Verkehrshaushalts entfallen noch auf investive Leistungen.
({3})
Ich glaube, hier wird der ganze Widerspruch der gesamten Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierung sehr deutlich.
Ein Weiteres kennzeichnet diesen Haushalt und unterstreicht die erste These, die ich aufgestellt habe, daß er die verkehrswirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht abdeckt, nicht widerspiegelt. Den Haushalt, den Einzelplan 12, muß man im Zusammenhang mit dem größten Schattenhaushalt sehen - ich benutze diese Vokabel in dem vollen Bewußtsein dessen, was sie haushaltspolitisch normalerweise bedeutet - der durch die Verkehrs- und Verkehrsfinanzpolitik dieser Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren aufgebaut worden ist und immer größer wird. Ich meine die Verschuldung der Bundesbahn. Meine Damen und Herren, die Verschuldung der Bundesbahn - darüber sind sich zumindest alle Haushälter in diesem Hause im klaren; davon gehe ich aus - ist auch für uns alle eine zukünftige Belastung des Bundeshaushalts, weil eine Ertragssituation bei der Bahn undenkbar geworden ist, die diese Größenordnung der Verschuldung jemals wieder zu bewältigen vermöchte.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf hier einmal die entsprechenden Zahlen nennen. In diesem Jahr erreichen wir bei der Bahn eine Verschuldung von mehr als 34 Milliarden DM. Für Mitte der 80er Jahre, 1985, hat der Verkehrsminister selber etwa 50 Milliarden DM vorausgesagt. Zum Ende dieses Jahrzehnts werden wir schätzungsweise bei fast 100 Milliarden DM Verschuldung bei der Bundesbahn liegen. Meine Damen und Herren, dieser nicht zu verantwortende Nebenhaushalt ist nicht zuletzt - ungeachtet des Umstandes, daß der Bundesbahn in re4686
Schröder ({5})
lativ guten Haushaltsjahren, die wir nun schon seit geraumer Zeit nicht mehr haben, investive Mittel zur Verfügung gestellt worden sind - dadurch entstanden, daß man die Bundesbahn immer dann, wenn die Kapitalmarktlage und auch die Lage des Bundeshaushalts kritisch waren, in die Verschuldung getrieben hat. Diese Entwicklung setzt sich j a, wie die vorgelegte mittelfristige Finanzplanung zeigt, zwangsläufig fort; man bürdet der Bundesbahn weiter zusätzliche Lasten auf.
Auch ist hier noch zu berücksichtigen - auch hier gibt es wieder einen Zusammenhang mit dem, was ich als erste Feststellung getroffen habe -, daß Teile von den ohnehin schon geringer gewordenen investiven Mitteln im Haushaltsvollzug, meine Damen und Herren, im nachhinein zur bloßen Verlustabdeckung umfunktioniert werden und daß darüber hinaus die investiven Mittel beispielsweise im Haushaltsvollzug des Jahres 1980 in einer Größenordnung von rund 1 Milliarde und im vergangenen Jahr in einer Größenordnung von rund 635 Millionen DM abgeschmolzen worden sind. Ich glaube, damit schließt sich hier der Kreis der Feststellungen, daß wir es nicht nur mit einem den verkehrswirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werdenden investiven Teil des Haushalts zu tun haben, sondern daß durch eine solche Politik natürlich auch dieser Schattenhaushalt oder, wie Herr Hoppe es einmal formulierte, diese Zeitbombe der Bundesbahnzuwendungen immer größer wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dem eine dritte Bemerkung aus der Sicht des Haushalts anschließen. Wenn kein Geld mehr in den Kassen ist und wir uns zumindest am Rande der Pleite bewegen, dann muß man sich überlegen: Wie schafft man gegebenenfalls anderenorts Spielräume, um den verkehrswirtschaftlichen Anforderungen wenigstens noch halbwegs gerecht zu werden? Das heißt: Wir müssen unvoreingenommen die Frage prüfen, ob wir nicht bestimmte Aufgaben der Verkehrspolitik ausgliedern. Ich formuliere das bewußt so vorsichtig, um nicht eine bestimmte Reizvokabel des linken Flügels der SPD-Fraktion hier in die Debatte zu werfen. Aber vielleicht können wir uns auf die Formel „ausgliedern" verständigen. In diesem Sinne haben wir - das will ich hier auch anerkennen - nach langen, mühsamen, gemeinsamen Erörterungen im Haushaltsausschuß erfreulicherweise einen Beschluß und eine Aufforderung zustande gebracht. Der Beschluß, den wir zustande gebracht haben, beinhaltet den Beginn der Ausgliederung der Naßbaggerei aus dem Aufgabenbereich der staatlichen Wasser- und Schiffahrtsverwaltung. Ich hoffe, daß dieser Grundsatzbeschluß, den wir nach fünf Gutachten und nach fünf Jahren zustande gebracht, mühsam zustande gebracht haben, nun auch zügig in die Tat umgesetzt wird und daß dann unter Beweis gestellt werden kann, wer es besser zuwege bringt.
Der zweite Beschluß, den wir im Haushaltsausschuß einvernehmlich nach manchen Geburtswehen zustande gebracht haben, bezieht sich wieder auf die Bundesbahn. Er beinhaltet die Aufforderung an die Regierung, auch in bezug auf die Bundesbahn
- deren Lage habe ich j a eben mit wenigen Strichen skizziert - einmal zu überprüfen, ob nicht bestimmte Aufgaben - etwa im Vorhaltungsbereich, im Stückgut- und Expreßgutverkehr, bei den Zentralämtern, in der Forschung und in der Entwicklung, bis hin zum Lkw-Fuhrpark - ausgegliedert werden können. Ich hoffe, daß das Bundesverkehrsministerium diesen Untersuchungsauftrag zügig erfüllt und daß wir, meine Damen und Herren Kollegen im Haushaltsausschuß, aber auch im Verkehrsausschuß, bei diesem Thema nicht wiederum fünf Jahre und fünf Gutachten brauchen, um zu einem Entschluß zu kommen.
({6})
Lassen Sie mich eine vierte Anmerkung zum Haushalt machen, meine Damen und Herren. Ich sehe mich dazu veranlaßt, nachdem auch in den letzten Tagen und Wochen weniger der Verkehrsminister - von dem habe ich nicht soviel gelesen -, aber der Finanzminister wiederholt mit Ideen und Vorschlägen für eine Erhöhung der Mineralölsteuer an die Öffentlichkeit getreten ist. Lassen Sie mich hier ganz klar und eindeutig - ich denke, im Namen meiner gesamten Fraktion - erklären, daß für uns als CDU/CSU-Fraktion die spezifische fiskalische Belastung der Verkehrswirtschaft eindeutig jetzt schon ausgereizt ist.
({7})
Wenn es der Finanzminister am Rande der von ihm zu verantwortenden haushaltspolitischen Lage für sinnvoll hält, erneut eine Mineralölsteuererhöhung ins Gespräch zu bringen, dann ist das nicht nur aus steuerpolitischen Gründen bedenklich, sondern macht darüber hinaus deutlich, meine Damen und Herren, daß zumindest für ihn, für den Finanzminister, der Verkehrshaushalt jetzt schon seine Reservekasse für den gesamten Bundeshaushalt geworden ist und offensichtlich auch weiter sein soll. Die Verkehrswirtschaft in ihrer Gesamtheit soll so etwas wie der Zahlmeister der Nation werden.
({8})
Meine Damen und Herren, das können wir nicht verantworten, nicht nur wegen der Verkehrswirtschaft, sondern aus volkswirtschaftlichen Gründen.
({9})
Eine fünfte finanzwirtschaftliche und haushaltspolitische Bemerkung zu einem weiteren Thema des Verkehrshaushalts. Der Bundesverkehrsminister, von dem ich, wie gesagt, ein Gesamtkonzept bisher noch nicht entdeckt habe, pflegt allerdings zugegebenermaßen über ein Thema in sehr herausragender Weise zumindest zu reden, und das ist der öffentliche Personennahverkehr, meine Damen und Herren. Ich habe gar nichts gegen die Priorität des öffentlichen Personennahverkehrs. Ich möchte aber auf diesem Feld - ich hoffe, ich sage das in Übereinstimmung zumindest mit meinen Verkehrspolitikern - nicht das erleben, was wir auf vielen anderen Politikfeldern unter dieser Regierung in den vergangeSchröder ({10})
nen Jahren bis zum heutigen Tage erlebt haben und erleben, nämlich eine Diskrepanz zwischen schönen Worten und schönen Plänen auf der einen Seite und der Frage „Wer zahlt das alles?" auf der anderen.
({11})
Hier beim öffentlichen Personennahverkehr ist es ja so, daß, wenn ich es richtig übersehe, nach allem bisher in Angriff Genommenen und Geplanten Folgekosten in einer Größenordnung von etwa 9 bis 10 Milliarden DM auf uns zukommen werden, von denen auf den Bund alleine die Hälfte entfällt. Das heißt aber mit anderen Worten: Die andere Hälfte, die gleiche Größenordnung, entfällt auf andere Gebietskörperschaften, nämlich auf die Länder und vor allen Dingen auf die Kommunen. Wenn der Bundesverkehrsminister solche Pläne hat, gegen die ich vom Konzeptionellen, vom Grundsätzlichen her nichts einzuwenden habe - ich denke, daß auch wir gegen die Priorität des öffentlichen Personennahverkehrs nichts sagen werden -, erwarten wir von ihm, daß er uns gleichzeitig sagt, wer die Investitionen und vor allen Dingen wer die Folgekosten jeweils zu übernehmen hat.
({12})
Meine Damen und Herren, eine vorletzte Bemerkung zum Luftverkehr.
({13})
- Nicht, Herr Kollege, zu den aktuellen Auseinandersetzungen bei der Lufthansa. Ich halte es nicht für gut, wenn von außen allzu sehr in unternehmensinterne Dinge hineingeredet wird. Deshalb kann ich nur hoffen, daß in diesem Unternehmen bald wieder klare und geordnete Verhältnisse herrschen.
({14})
Ich glaube, hier kommen große Probleme auf uns alle zu, die nicht nur einer klaren Unternehmensführung bedürfen, sondern die auch gegebenenfalls harte finanz- und verkehrspolitische Entscheidungen von uns erfordern.
Wir alle wissen, daß das Bilanzergebnis, daß das G-und-V-Ergebnis der Lufthansa in diesem Jahr gerade noch mit Mühe und Not mit Hilfe von Sonderabschreibungen ausgeglichen werden konnte. Wenn wir die Entwicklung auf dem Luftverkehrsmarkt betrachten, dann gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, daß wir uns am Ende dieses Jahres, wenn nicht einschneidende Maßnahmen durch das Unternehmen selbst und gegebenenfalls auch durch den Verkehrsminister erfolgen, unter Umständen auch bei diesem Unternehmen erstmals mit roten Zahlen und demgemäß auch Folgewirkungen auf den Bundeshaushalt auseinanderzusetzen haben. Dies wollen wir sicher alle gemeinsam nicht.
Deshalb eine letzte Bemerkung zum Luftverkehr. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Wirken unseres nationalen Luftverkehrsunternehmens, der Lufthansa, ist nicht zuletzt das Vorhandensein einer entsprechenden Infrastruktur im Luftverkehr. Hierzu gehört vor allen Dingen - ich habe dies schon einmal beim Haushalt '81 ausgesprochen, aber die Entwicklung veranlaßt
mich, es auch heute wieder auszusprechen -, daß wir alle gemeinsam dafür Sorge tragen und wir uns auch aus der bundespolitischen Verantwortung nicht hinausstehlen, daß es recht bald zu der verkehrswirtschaftlich und verkehrspolitisch notwendigen Erweiterung des Frankfurter Flughafens kommt, damit dieser seine Funktion nicht nur als größter deutscher, sondern als großer internationaler Flughafen wahren und erhalten kann.
({15})
Ein Allerletztes, Herr Minister. Sie haben in Ihren ersten Reden als Verkehrsminister nicht nur zu diesem oder jenem verkehrswirtschaftlichen Teilbereich etwas gesagt. Sie haben sich auch, wie ich finde, in sehr eindrucksvollen Worten ausgelassen - Sie haben auch Schirmherrschaften übernommen - über die Notwendigkeit verbesserter und verstärkter Verkehrssicherheit und Verkehrssicherheitsmaßnahmen. Über Ihre entsprechenden Worte gibt es sicher keine Meinungsverschiedenheiten. Nur ist auch das wieder so ein Fall; es macht sich natürlich hübsch, wenn man bei der Einweihung eines Verkehrskindergartens oder beim Fotografieren für eine Zeitschrift den Gurt anlegt oder kleinen Kindern sagt, wie sie sich im Verkehr zu verhalten haben. Dieses ist alles schön und richtig und notwendig. Es ist nur leider, wie ich sagen muß, wieder ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen Programm, zwischen schönen Worten auf der einen Seite und Taten auf der anderen Seite. Sie haben in diesem Bereich die Mittel - und das ist nun wirklich nicht viel bei einem Haushalt von fast 25 Milliarden DM -, die nun einmal notwendig sind, um Verkehrssicherheitsmaßnahmen auch konkret durchführen zu können, radikal gestrichen. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine Halbierung der Mittel - ja, Lothar Löffler -, eine Halbierung der Mittel für die Verkehrssicherheit von 20 Millionen DM im Haushaltsjahr 1975/76, wenn ich mich richtig erinnere, auf nunmehr nur noch 10 Millionen DM. Ich meine, dann, wenn Ihre verkehrspolitischen Maßnahmen einigermaßen synchron laufen sollen, gehört dazu in der Tat auch eine verstärkte Verkehrssicherheit. Darüber sind wir alle uns im klaren. Nur müssen Sie dann wenigstens bei diesem kleinen Etattitel - und da haben Sie die Mithilfe der Opposition - auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.
({16})
- Es ist mir vollkommen klar, daß man das nicht nur mit Geld machen kann, aber, verehrter Herr Kollege, Information, Aufklärung und Vorbildmaßnahmen erfordern nun einmal auch Geld. Das ist sicher auch bei Ihnen unstrittig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Dieser Haushalt wird den verkehrswirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht. Er verkörpert die für diese Bundesregierung typische Diskrepanz zwischen Programmen und Taten. Aus diesem Grunde sehen wir uns nicht in der Lage, dem
Schröder ({17})
Einzelplan 12 zuzustimmen, sondern empfehlen dem Hause, den Einzelplan 12 abzulehnen.
({18})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Wieczorek ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren - es sind ja nur noch wenige hier -! Herr Kollege Schröder, mir ist es natürlich gerade schwergefallen, zu erkennen, wie jetzt eine richtige Haushaltsrede eigentlich sein sollte. Sie haben so viel Kritik an Haushaltsreden geübt, und trotzdem habe ich auch bei Ihnen nicht erkennen können, daß wir uns im gleichen Stil unterhalten können, wie wir das normalerweise bei Haushaltsberatungen im Ausschuß tun.
({0})
Dessenungeachtet will ich versuchen, diesen Haushalt so darzustellen, wie er wirklich ist, und er ist - das muß man sagen - nach wie vor der größte Investitionshaushalt des Bundes überhaupt.
In diesem Jahr beträgt die Investitionssumme im Verkehrshaushalt 11,8 Milliarden DM. Das bedeutet - und ich versuche, den Bezug zur Arbeitsbeschaffung und zu dem, was wir mit den Ausgaben bewirken wollen, gleich herzustellen -, daß wir mit dieser Summe 250 000 bis 300 000 Arbeitsplätze direkt sichern.
Die größten Ausgabenblöcke sind - das haben Sie angedeutet - die Deutsche Bundesbahn mit immerhin 12,9 Milliarden DM, wovon 3,3 Milliarden DM für Investitionen vorgesehen sind, der Bundesfernstraßenbau mit rund 6 Milliarden DM - hier sind es 5 Milliarden DM, die für Investitionen vorgesehen sind - sowie noch 1,1 Milliarden DM Investitionen für den kommunalen Straßenbau und 1,3 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr.
Da wir gerade beim öffentlichen Personennahverkehr sind, darf ich Sie, Herr Kollege Schröder, daran erinnern, daß der Bund ungleich mehr für den öffentlichen Personennahverkehr ausgibt als die Länder und die Gemeinden zusammen. Lassen Sie mich ein paar Zahlen in Erinnerung rufen, die der Verkehrsminister auf eine Kleine Anfrage hier in diesem Hause bekanntgegeben hat. Im Jahre 1980 sind vom Bund 6,6 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr ausgegeben worden. Dem standen 4,6 Milliarden DM der Länder und der Gemeinden gegenüber. Ich darf daran erinnern, daß der öffentliche Personennahverkehr keine originäre Aufgabe des Bundes ist, sondern zur Daseinsvorsorge der Gemeinden gehört und damit im Bereich des Finanzausgleichs innerhalb der Länder und der Gemeinden anzusiedeln ist.
Lassen Sie mich aber in der Globalaufzählung fortfahren: Einen großen Ausgabenblock stellt der Wasserstraßenbau dar. Hier sind es immerhin 1,5 Milliarden, von denen 600 Millionen DM für Investitionen vorgesehen sind.
Meine Damen und Herren, mit dem Beschluß über den Haushalt werden nicht nur Zahlen beschlossen, sondern in diesen Zahlen wird die Politik deutlich. Wir befinden also hier über die Verkehrspolitik des Bundes, auch wenn Herr Schröder das Konzept nicht zu erkennen weiß.
Zwangsläufig hat sich allerdings auch dieser Haushalt mit den allgemeinen Haushaltsvorgaben auseinanderzusetzen, und auch der Verkehrshaushalt mußte seinen Beitrag zur Stabilisierung der Staatsfinanzen insgesamt erbringen.
Wie sieht es nun mit der Realisierung der Verkehrspolitik unter Beachtung der gesamtpolitischen Grundsätze aus? Lassen Sie mich dazu die aufgezeigten Schwerpunktbereiche untersuchen und lassen Sie mich auch ein deutliches Wort zur Deutschen Bundesbahn sagen.
Wir haben hier in diesem Haus am 26. November 1981 eine umfangreiche Bundesbahn-Debatte gehabt. Wir haben damals - und wir tun das wieder - den handfesten Neuanfang in der Bundesbahnpolitik begrüßt. Die sieben Punkte des Verkehrsministers sind auch für uns der richtige Weg zum Erfolg.
Patentrezepte, große Sprüche und langatmige Programme führen nicht sehr weit.
({1})
Hier kommt es darauf an, geduldig jede Chance wahrzunehmen, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens Bundesbahn zu stärken.
Wir brauchen die Bundesbahn. Unsere Wirtschaft, die Arbeitnehmer, unsere Bürger können nicht auf sie verzichten. Es gibt keine Eisenbahn der Welt, die ohne Subventionen zu betreiben wäre. Für uns, für den Verkehrsminister und auch für die Eisenbahner kommt es darauf an, das Ausmaß dieser staatlichen Subventionen in Grenzen zu halten.
Ich hatte leider keine Gelegenheit, bei der Debatte über den Bundeshaushalt hier aus der Sicht eines Haushälters Stellung zu nehmen. Ich will versuchen, das nachzuholen, und zu den sieben Punkten des Verkehrsministers einige Worte sagen.
Mit der gebotenen Zurückhaltung und auch mit der gebotenen Sachlichkeit muß man wiederum sagen, daß der Haushaltsausschuß und damit das Parlament die Deutsche Bundesbahn mit der gleichen Elle messen werden wie alle anderen Haushaltstitel. Insbesondere werden die Subventionen der Deutschen Bundesbahn mit den Eingriffen in die Leistungsgesetze zu vergleichen sein, die wir in den vergangenen Monaten gemeinsam schmerzlich durchführen mußten. Der Haushaltsausschuß wird vergleichen, werten und abwägen, ohne Vorurteil, mit der nötigen Gelassenheit, aber auch ohne Emotionen.
Ich möchte mich nicht dazu versteigen, dem neuen Vorstand Ratschläge zu geben. Aber die Dimension der Subventionen für die deutsche Bundesbahn ist überragend. Mehr als die Hälfte des Verkehrshaushalts, der immerhin rund 10 % des Gesamthaushalts ausmacht, muß an die Deutsche Bundesbahn weiterWieczorek ({2})
gegeben werden. Auf jeden Bürger entfallen pro Jahr rund 200 DM an Subventionen an die Deutsche Bundesbahn. Vergleichen wir dies mit den anderen großen Ausgabenblöcken des Haushalts, dann stellen wir fest, daß dies fast exakt so viel ist, wie wir für die Kriegsopferversorgung ausgeben, und daß es sehr nahe an drei Viertel des gesamten Kindergelds kommt. Die Subventionen an die Deutsche Bundesbahn werden sich auch in einzelnen Unternehmensbereichen oder - hier besser gesagt - bei den einzelnen Verkehrsarten am volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen und bei der Höhe der Kostenunterdekkung auch an den anderen Leistungsbereichen des Bundeshaushalts insgesamt messen lassen müssen.
Heute morgen ist von dem Kollegen Westphal nochmals sehr eindrucksvoll das Ringen um die Änderung des Schüler-BAföG geschildert worden. Es ging, wenn ich mich richtig erinnere, um 200 Millionen DM. Das ist genau die Hälfte des Zuschusses für den Expreßgutverkehr bei der Deutschen Bundesbahn. 1980 sind hier Selbstkosten von 934 Millionen DM entstanden, denen eigene Erlöse in der Größenordnung von 480 Millionen gegenüberstanden.
Nun zum Sieben-Punkte-Programm des Ministers. Vorher würde ich an dieser Stelle allerdings gern einen kleinen Einschub machen.
Herr Schröder, das - wie haben Sie es so nett ausgedrückt? - Ausgliedern öffentlicher Aufgaben und deren Zuordnung an andere haben natürlich nur da einen potentiellen Partner in der Wirtschaft, wo die Wirtschaft mit Gewinnerwartungen arbeitet. Verlustbereiche wird die Wirtschaft von uns sicher nicht übernehmen. Denn wir können ihr diese Bereiche j a nicht übertragen, ohne die gleichen Anforderungen stellen zu müssen, wie wir es auch gegenüber unseren eigenen Regiebetrieben tun.
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Von da gibt es schon ganz natürliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Aber wir sollten es versuchen, damit wir nicht in die Situation kommen, daß man unterstellen könnte, wir gäben Chancen zur besseren wirtschaftlichen Gestaltung des Unternehmensergebnisses ab.
Herr Abgeordneter Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ({0})?
Aber gern.
Herr Abgeordneter Schröder ({0}), bitte.
Lieber Herr Kollege Wieczorek, da ich mir bei der Wahl dieser Vokabel j a etwas gedacht habe und ich auch nicht Gefahr laufen will, daß in Kreisen Ihrer Fraktion diesbezügliche Überlegungen im Keim erstickt werden, frage ich Sie, ob Sie sich vorstellen können, daß „Ausgliedern" nicht nur Privatisieren heißt, sondern
auch andere rechtliche und wirtschaftliche Formen ermöglicht.
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Herr Kollege Schröder, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Mir kommt es darauf an, daß die öffentlichen Interessen gewahrt bleiben und daß unser Einfluß durchgehend sichergestellt ist.
Lassen Sie mich jetzt zu den sieben Punkten des Verkehrsministers kommen.
Der erste Punkt besagt, daß die Bundesbahn weiter modernisiert werden müsse. Gar keine Frage; dem muß man sich voll anschließen.
Zweitens. Die Verkehrssysteme müssen besser miteinander verknüpft werden. Auch hier kann es nur darum gehen, daß hierbei eine größere Wirtschaftlichkeit herauskommt. Bei knapperem Geld kommt es darauf an, die bessere Nutzung des Vorhandenen sicherzustellen; im Personennahverkehr z. B. durch die Einrichtung von Flughafenzügen und im Güterfernverkehr durch Förderung des kombinierten Verkehrs Schiene/Straße. Aber auch hier möchte ich mir die Anregung erlauben, daß wir auch beim Schienenpersonennahverkehr der Bundesbahn eine Veränderung unserer eigenen technischen Vorgaben vornehmen; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die Deutsche Bundesbahn mit anderem Gerät fahren muß als beispeilsweise die Stadtbahnen oder ähnliche innerstädtische Verkehrssysteme, die auf eigenen Bahnkörpern fahren. Hier sollten wir nicht immer unseren eigenen Normen hinterherlaufen, sondern wir sollten unsere Normen im Unternehmen so gestalten, daß sie der modernen Technik und den Anforderungen entsprechen.
Drittens. Die Bundesbahn muß die Erträge steigern. Das ist richtig. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben darf sich nicht weiter öffnen.
Viertens. Die Aufwandssteigerung muß verlangsamt werden. Hier möchte ich darauf hinweisen, daß wir den beispiellosen Kraftakt mit der Freisetzung von 87 000 Beschäftigten bei der Deutschen Bundesbahn sicherlich nicht fortsetzen dürfen. Trotzdem möchte ich den neuen Vorstand der Bahn bitten, zu untersuchen, ob in allen Bereichen ein gleichmäßiger Abbau des Personals stattgefunden hat. Es kann nicht angehen, daß wir in den unteren Bereichen mehr als 15 % des Personals abgebaut und uns in den Führungsbereichen auf 5 % beschränkt haben.
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Das geht einfach nicht. Wir können die Bundesbahn
nicht dadurch gesunden, daß wir die Strecken stillegen und die Verwaltung in gleicher Höhe belassen.
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Der fünfte Punkt beinhaltet, daß die Bundesbahn den Nahverkehr aktiv mitgestalten solle. Die Bundesbahn hat im Nahverkehr einen Kostendeckungsgrad von 22 %. Die Betriebe des öffentlichen Personennahverkehrs in den Gemeinden kommen immerhin auf einen Kostendeckungsgrad von 50 %. Ich
Wieczorek ({2})
glaube, daß die Bundesbahn ein größeres Mitspracherecht haben muß, wenn es darum geht, auf dem flachen Land den öffentlichen Personennahverkehr zu ordnen. Hier sollten wir der Bundesbahn eine aktivere Rolle zubilligen.
Sechstens. Der Bundesbahn muß Flankenschutz gegeben werden bei der Planung ihrer Möglichkeiten, Flankenschutz aber auch da, wo der Wettbewerb ausufert und in Bereiche vordringt, in denen die Bundesbahn nicht mehr mithalten kann. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie die Tarife vereinbart werden: Ob sie auf Grund einer ausgehandelten Marge politisch gestaltet oder auf Grund einer kalkulierten Kostenbasis auf allen Seiten der konkurrierenden Verkehrsträger festgelegt werden. Im Augenblick muß man die Befürchtung haben, daß das nicht in jedem Falle so geschieht.
Siebtens. Daß die Bundesbahn kaufmännisch geführt werden muß und nicht verwaltet werden darf, ist eine Selbstverständlichkeit. Darauf möchte ich nicht weiter eingehen.
Ich möchte noch kurz ein paar Worte zum öffentlichen Personennahverkehr sagen.
Obwohl in vielen Bereichen dieses Haushalts Einschnitte vorgenommen werden mußten, haben wir den öffentlichen Personennahverkehr in diesem Haushalt besser gestellt als in der Vergangenheit. Immerhin sind die Mittel auf 1,338 Milliarden DM aufgestockt worden.
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Hierbei haben wir die Gasölbetriebsbeihilfe kompensieren müssen. Wir haben alle Möglichkeiten genutzt.
Wir stehen - da gebe ich Ihnen recht - vor einem gewissen Dilemma. Die Nahverkehrsinvestitionen werden j a aus dem Mineralölsteueraufkommen finanziert.
Der Mineralölverbrauch geht zurück. Wir begrüßen das und müssen es auch anstreben. Gleichzeitig geht aber auch das Mineralölsteueraufkommen zurück. Damit stehen weniger Mittel für den Ausbau des Nahverkehrs zur Verfügung. Das ist aber gerade das Gegenteil dessen, was wir brauchen.
In einer Zeit, da der Bürger bereit ist, vom Auto auf Nahverkehrsmittel umzusteigen, müssen wir den Ausbau der Nahverkehrsnetze beschleunigen und nicht bremsen. Unsere Bilanz sieht aber auch auf diesem Gebiet gut aus. Wir haben seit Mitte der 60er Jahre rund 1 200 km U-Bahn-, Stadtbahn- und S-Bahn-Strecken in Betrieb genommen. Zur Zeit sind 450 km im Bau. 1982 werden wieder rund 20 km in Betrieb genommen werden können.
Allerdings liegt beim öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche noch einiges im argen. Dazu gibt es in letzter Zeit einige positive Signale aus dem Verkehrsministerium. Die Probleme des Nahverkehrs in der Fläche sind nur durch eine gute und intensive Zusammenarbeit zwischen Bundesbahn und kommunalen Selbstverwaltungen zu lösen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier oft über den Straßenbau gesprochen und seine Beschäftigungswirkung immer wieder betont. Wir werden auch in diesem Jahr wieder 5 Milliarden DM investieren. Hinzu kommt, wie ich es eben schon angedeutet habe, ein Betrag von 1,1 Milliarden DM für den kommunalen Straßenbau.
Wir müssen betonen und sollten es immer wieder sagen: Unser Straßennetz ist gut. Es hält jedem Vergleich mit anderen Ländern der Welt stand. Das besagt nicht, daß wir nicht an einigen Stellen noch etwas tun müssen, um das Straßennetz zu verbessern und zu komplettieren. Vor allem aber kommt es darauf an, die Substanz zu erhalten. Wir können nicht nur neu bauen. Wer die Substanz unseres Straßennetzes nicht erhält, wird eines Tages vor unlösbaren Finanzierungsaufgaben stehen, und die Wiederherstellung wird sehr schwierig werden.
Die Haushaltslage hat es erforderlich gemacht, den Ablauf im Straßenbau neu zu ordnen. Der Bundesverkehrsminister hat die Dringlichkeitsstufe I in die Baustufen I a und I b unterteilt. Das war eine aufwendige Arbeit, die im Verkehrsausschuß des Bundestags intensiv diskutiert wurde. Ich möchte dem Minister und allen seinen Mitarbeitern, aber auch den Abgeordneten des Verkehrsausschusses herzlich für diese große Arbeit danken.
Der Bundesverkehrsminister hat inzwischen mitgeteilt, daß er alle Anregungen des Verkehrsausschusses in seine Planungen aufgenommen hat.
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Man kann also sagen, daß diese Einteilung in die neuen Baustufen auch vom Bundestag getragen wird.
Mir liegt aber daran, noch einmal festzustellen, daß diese Einteilung in neue Baustufen nichts mit einer Veränderung der Bedarfswerte zu tun hat.
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Wir werden uns aber auch hier wie in anderen Bereichen daran gewöhnen müssen, daß manches etwas langsamer geht.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen - die Redlichkeit gebietet es -, daß der Haushaltsausschuß die Haushaltsansätze für den Grunderwerb bei den Bundesfernstraßen in erheblicher Weise reduziert hat. Wir gingen davon aus, daß bei einer Streckung des Bauvolumens gleichzeitig eine Überprüfung der Grunderwerbspolitik stattfinden sollte und daß keinesfalls der Bund schon jetzt Finanzmittel für Vorhaben bindet, die möglicherweise erst in den 90er Jahren realisiert werden. Auch so kann man Umschichtungen zugunsten investiver Maßnahmen vornehmen.
Lassen Sie mich zu einem in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit erheblich diskutierten Punkt überleiten, nämlich zum Bundeswasserstraßenbau. Schon bei der Beschlußfassung über den Haushalt 1981, als wir uns über die Kanalisierung der Saar unterhalten haben, ist das Reizwort „Main-Donau-Kanal" deutlich in den Raum gestellt worden. Der Haushaltsausschuß hat für 1981 und die folgenden
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Jahre die Voraussetzungen geschaffen, daß die Kanalisierung der Saar als eine Voraussetzung für die Existenz der saarländischen Stahlindustrie weitergeht.
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Weitaus schwieriger ist es mit dem Main-DonauKanal. Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Notwendigkeit ist umstritten. Der umweltbeeinflussende - manche sagen sogar: umweltzerstörende - Charakter dieses Kanals wird nicht nur von sogenannten Randgruppen zur Diskussion gestellt.
Der Haushaltsausschuß hat daher nach langer Diskussion beschlossen, daß in der Kanalstrecke Nürnberg/Kelheim erstens kein neues Bauvorhaben begonnen wird und daß nur bereits begonnene Bauwerke fertiggestellt werden, soweit dies zur Erhaltung der vertraglichen Verpflichtungen, zur Erlangung eines Verkehrswertes oder zur Einbindung des Bauwerkes in seine Umwelt, nämlich unter Beachtung des Landschaftsschutzes, des Hochwasserschutzes, im Zusammenhang mit Infrastrukturmaßnahmen von Gemeinden oder Gebietskörperschaften steht und notwendig ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, an dieser Stelle ist der Frage nachzugehen, ob bei der Durchführung dieses Beschlusses eine Bauruine von hohem Einzelwert ohne Nutzwert zur Hinterlassenschaft zählen würde. Ich glaube, man kann diese Frage mit einem eindeutigen Nein beantworten.
Der Main-Donau-Kanal, der ja früher richtigerweise Rhein-Main-Donau-Kanal hieß, sollte im Grunde genommen drei Funktionen erfüllen.
Die erste Funktion war die Erschließung des bayerischen Raumes durch eine Wasserstraße, um damit Voraussetzungen zu schaffen für kostengünstige Transporte von Massengütern, die dann ihrerseits einen Anreiz für Investitionen von privater Seite nach sich ziehen sollen oder, sollte man vielleicht sagen, sollten. Diese Funktion, meine Damen und Herren, wird voll erfüllt; denn der Main-DonauKanal hat an den fertiggestellten Strecken diesen Verkehrswert. Er ist nutzbar vom Rhein über den Main und auf der anderen Seite von der Donau aus bis Kelheim.
Die zweite Funktion, die der Kanal erfüllen sollte, war die der Energieerzeugung und der Wasserversorgung. Das ist jetzt gewährleistet durch die mittlerweile in Betrieb genommenen Kraftwerke. Es sind übrigens fast 50 Kraftwerke, die am Main-Donau-Kanal liegen. Pikanterweise wird der Strom, der hier erzeugt wird, in das Netz der Deutschen Bundesbahn eingespeist.
Bei der Wasserversorgung können im Augenblick, wie aus einem Gutachten, das der Bundesverkehrsminister in Auftrag gegeben hat, hervorgeht, sicherlich noch nicht alle Bereiche voll abgedeckt werden. So wären noch zusätzliche Investitionen erforderlich, die aber nicht die Größe des Kanalbaus erreichen.
Die dritte vorgesehene Funktion möchte ich ebenfalls deutlich ansprechen, nämlich eine Verbindung
zwischen dem Rhein und dem Donaugebiet bis zum Schwarzen Meer herzustellen; die würde nicht einzuhalten sein.
Hier geht es aber um eine Abwägung aus politischen Gründen. Ich bin sicher, daß die deutsche Binnenschiffahrt nicht unglücklich sein wird, wenn das letzte Stück des Kanals im Augenblick nicht geschlossen wird. Schließlich reichen die heutigen Transportwege Schiene und Straße aus, um alle Güter zu transportieren. Außerdem muß man sich darüber klar sein, daß diese Wasserstraße der sowjetischen und anderen Ostblockflotten den Weg an die Nordseehäfen öffnet, was auch zu neuen Schwierigkeiten bei unseren eigenen Nordseehäfen führen wird.
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Es ist schon makaber, zu erleben, wie hier an einem Tag pausenlos über Sanktionen gegen die Sowjetunion geredet wird und am anderen Tage der Bau einer Wasserstraßenverbindung, von der sie sehr profitieren würde, gefordert wird.
Herr Abgeordneter Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Milz?
Es tut mir leid, Herr Kollege, meine Zeit ist fast um, ich kann Ihre Frage leider nicht mehr zulassen. Ich muß mir leider sogar auch meine Bemerkungen über die Seeschiffahrt verkneifen
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und möchte direkt zu einem Thema überleiten, das auch der Kollege Schröder angeschnitten hat, zum Thema Deutsche Lufthansa.
Der Haushaltsausschuß hat eine Anforderung der Regierung nicht erfüllen können. Die Regierung hatte in ihrem Haushaltsplanentwurf die Gewährung eines Darlehens in der Größenordnung von 42,5 Millionen DM vorgesehen, das der Gesellschaft Deutsche Lufthansa zur Verfügung gestellt werden sollte.
Meine Damen und Herren, der Bund ist heute am Grundkapital der Lufthansa von 900 Millionen DM direkt mit fast 670 Millionen DM beteiligt. Einschließlich der Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und Kreditanstalt für Wiederaufbau ist das Engagement des Bundes bei der Lufthansa 719 Millionen DM. Der Bestand an Bundesdarlehen zugunsten der Lufthansa beträgt 313 Millionen DM. Es ist wichtig, noch darauf hinzuweisen, daß der Bund mit 78 Luftverkehrsabkommen den Markt regelt.
Wir verkennen nicht, daß die Lage der Luftverkehrsgesellschaft schwierig ist, erwarten aber angesichts des großen finanziellen Engagements des Bundes vom Vorstand der Gesellschaft ein Höchstmaß an Anstrengungen zur Rationalisierung und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Wir erwarten außerdem Klarheit über die Geschäftspraktiken der vergangenen Jahre und hoffen sehr, daß die Unternehmensführung deutlich machen kann, daß sie
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auch bei der Akquisition neuer Märkte mit der nötigen Sorgfalt vorgegangen ist.
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In diesem Moment fällt mir das Beispiel von dem Mann ein, der im Glashaus sitzt. Ich möchte mir den freundlichen Hinweis an die Führungskräfte des Unternehmens erlauben, daß man sich bei allen Äußerungen in der Öffentlichkeit daran erinnern sollte, daß die Sprache und der Stil der Äußerungen dem eigentlich gepflegten Erscheinungsbild des Unternehmens entsprechen sollten.
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- Es waren 600 von 36 000, Herr Kollege. Wenn Sie das in Relation zueinander setzen, wird Ihnen die Dimension des Plebiszits sehr deutlich.
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Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen auf die direkten Zusammenhänge zwischen Verkehrsinvestitionen und Beschäftigung hingewiesen. Ich habe auch deutlich zu machen versucht, wie bedeutend der Verkehrshaushalt für die Beschäftigungssituation insgesamt ist. Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, daß im Regelfall die von öffentlichen Investitionen existierenden Unternehmen keine Möglichkeit haben, am Markt Ersatzaufträge zu bekommen. Wann immer in den nächsten Wochen über die Verbesserung der Arbeitsmarktlage gesprochen wird - nach meiner Überzeugung müssen wir es tun -, werden wir auch die Verkehrsinvestitionen in unsere Betrachtungen einzubeziehen haben. Es kann uns dann nicht darum gehen, neue Investitionsprogramme zu entwerfen; im Verkehrsbereich können wir sehr viele Maßnahmen, die zurückgestellt, aber baureif, verkehrspolitisch sinnvoll und volkswirtschaftlich notwendig sind, sofort aus der Schublade ziehen und beginnen.
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Die Bürger unseres Landes sind nicht nur in den Ballungsgebieten, sondern auch in den ländlichen Zonen sehr dankbar, wenn wir die Programme für die Ortsumgehungen oder die Beseitigung von niveaugleichen Bahnübergängen, die überall schon planungsreif vorliegen, genauso berücksichtigen wie die Ingenieurbauten im öffentlichen Personennahverkehr oder die Investitionen des Bundes im Bereich der Bundesbahn.
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Der Verkehrshaushalt ist die Grundlage einer nach vorn gerichteten Verkehrspolitik,
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die das Ziel hat, die Mobilität für Wirtschaft und Bürger zu sichern; denn sie ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität und damit zur Erhaltung
der Wettbewerbsfähigkeit. - Ich danke Ihnen sehr, daß Sie so geduldig zugehört haben.
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Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Zumpfort das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Kollege Schröder, zur Mineralölsteuer. Sie wissen, daß wir die Erhöhung der Mineralölsteuer nicht auf Grund fiskalischer Zwänge begrüßen, sondern wir meinen, daß man die Kfz-Steuer umlegen sollte. Dafür haben wir durch die jetzige verkehrspolitische Situation ein zusätzliches Argument bekommen. Wir wissen alle, daß unsere Bundesbürger im letzten Jahr weniger auf der Straße gefahren sind. Sie haben Kilometer und Benzin gespart und trotzdem eine gleich hohe Kfz-Steuer bezahlt. Vielleicht ist das ein Grund, diese Steuer endlich dem Verbrauch anzupassen und umzulegen.
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Nun folgen meine Ausführungen zum Verkehrshaushalt. Ich glaube, daß man als Haushälter hier etwas kritischer sein muß und kann, als es die Verkehrspolitiker in ihrer in der Regel übereinstimmenden Begutachtung sind. Da Rundfunk und Presse wohl nicht mehr präsent sind, ist eine solche Betrachtung an dieser Stelle wohl auch erlaubt.
Wenden wir uns zuerst dem rollenden Risiko dieses Haushalts, nämlich der Bundesbahn, zu. Das ist unser „Tornado" hier. Der Kollege Schröder hat schon die Defizitzahlen genannt: 34,5 Milliarden DM Verschuldung jetzt, 50 Milliarden DM Verschuldung 1985 und 100 Milliarden DM 1990, wenn man diese Entwicklung fortschreibt. Das Problem ist ja nicht nur die Schuldenhöhe an sich, sondern die Dynamik der Verschuldung. Da muß man sich ansehen, was nach dem mittelfristigen Finanzplan an Zinsen gezahlt werden muß. Bei der Bundesbahn steht da am Ende der mittelfristigen Finanzplanung, nämlich im Jahre 1985, ein Betrag von 5 Milliarden DM. Das können wir uns eigentlich nicht erlauben. Das Schlimme an diesem Problem ist, daß eine Lösung zur Zeit noch nicht in Sicht ist.
Das Problem besteht nicht darin, daß nicht genug Vorschläge da sind. Es sind j a auch die Punkte des Verkehrsministers genannt worden, die aber nach meiner Meinung nicht weit genug gehen. Dies ist zum Teil auch auf gewerkschaftliche Einflüsse zurückzuführen. Das eigentliche Problem ist, daß die Vorschläge nicht umgesetzt werden. Vorschläge gibt es seit 20 Jahren, aber es kommt nichts. Das, was bis jetzt umgesetzt ist, reicht nach meiner Meinung nicht aus.
Vor diesem Hintergrund haben wir aus der Verantwortung als Haushaltspolitiker Prüfaufträge erteilt, durch die das Ministerium gezwungen wird, sich weitergehende Gedanken zur Umsetzung von Vorschlägen zu machen. Der Prüfauftrag liegt Ihnen in Form eines Entschließungsantrages vor. Er sieht vor, die Möglichkeiten der Resultatsverbesserung zu prüfen und je nach Ergebnis dann auch in die praktische Politik umzusetzen. Wir haben j a auch in dieDr. Zumpfort
sem Haushaltsjahr Beispiele, wie man das umsetzen kann.
Ein Wort zu Ihnen, Herr Schröder. Wenn Sie der Meinung sind, hier passiert nichts, dann müßte Ihre Fraktion doch Anträge stellen und sagen, was passieren sollte. Solche Anträge fehlen allerdings auch.
Ich weiß, daß es Mode geworden ist, die Bundesbahn zu kritisieren, auf unhaltbare Zustände hinzuweisen und sich dann wieder tatenlos zurückzulehnen. Hilfreich wäre es für uns alle, wenn auch seitens der Industrie und des Transportgewerbes nicht nur Kritik laut würde, sondern auch einmal der Versuch gemacht würde, mit konkreten Vorschlägen aus dem Dilemma herauszukommen. Das Gewerbe sollte nicht nur das Schlagwort von der stärkeren Kooperation ständig im Munde führen, sondern auch bereit sein, konkrete Fälle aufzuzeigen.
Auch ein Wort an die Gewerkschaften muß hier gesagt werden. In Zukunft wird es auf Grund der Finanzengpässe - das ist meine Überzeugung - nicht mehr wie bisher möglich sein, zweistellige Milliardenbeträge über den Tisch zu schieben. Von dieser Vorstellung müssen sich dort einige Herren freimachen.
Nun noch einmal zu dem Stichwort „Kooperation". Die privaten Regionalverkehrsgesellschaften, bei denen Privatgewerbe, Bundesbahn und Bundespost sowie kommunale Verkehrsverbünde zusammenarbeiten, und zwar auf privatwirtschaftlicher Basis, zeigen, daß es auch anders geht, nämlich besser und ohne Defizit. Das ist wichtig. Auch dies scheint im Augenblick bei den Gewerkschaften nicht voll anerkannt zu werden. Aus diesem und aus finanziellem Grunde halte ich auch die Überführung der Postbusse auf die Bahn nur für eine Zwischenlösung. Denn am Ende sollte eine Zusammenarbeit sowohl der öffentlichen als auch der privaten Verkehrsträger erfolgen. In meinem Lande, in Schleswig-Holstein, zeigt die „Autokraft", daß es geht - ohne Einbußen für die Beschäftigten. Im Gegenteil, die „Autokraft" ist dort eines der am besten florierenden Unternehmen.
Nun eine weitere Bemerkung zur Bundesbahn. Die gerade vorgenommene Änderung des Bundesbahngesetzes kann aus meiner Sicht nur ein erster Schritt und nicht etwa ein Glanzpunkt einer lang dauernden Entwicklung sein. Notwendig ist eine umfassende Änderung mit dem Ziel der Verbesserung der Führungsstruktur und einer Umstellung auf stärkeres privatwirtschaftliches Denken und Handeln. Auch die Struktur der nachgeordneten Bereiche muß überdacht werden. Dabei darf auch das Dienstrecht kein Tabu sein. Ich darf Ihnen einmal aus einem Brief zitieren, der von dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Haehser vom Bundesfinanzministerium stammt:
Beamtenlaufbahnen mit Tätigkeitsinhalten, die mit denen von Arbeitnehmern in der Wirtschaft, insbesondere im Verkehrsgewerbe, identisch oder vergleichbar sind, sind mit sofortiger Wirkung zu schließen. Die Übernahme bereits eingewiesener Tarifkräfte in das Beamtenverhältnis bleibt davon unberührt.
So etwas müßten Sie auch sagen, Herr Verkehrsminister.
Ein weiterer Vorgang, der nicht nur zu Kritik bei den Verkehrspolitikern, sondern insbesondere auch bei den Haushaltspolitikern führen muß, ist die wiederholte Kürzung der Investitionszuschüsse bei der Deutschen Bundesbahn durch den Finanzminister. Es kann uns nicht unberührt lassen, wie seit zwei Jahren mit schöner Regelmäßigkeit in Milliardengröße die Bundesbahn offensichtlich mit einer Sparkasse verwechselt wird.
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In 1980 wurde mit einem lakonischen Schreiben um 1,1 Milliarden DM gekürzt und in 1981 um 675 Millionen DM. Ich halte dies für einen nicht tragbaren Vorgang, um es einmal deutlich zu sagen. Ich stimme Ihnen, die mir jetzt applaudieren, darin auch zu, und viele Kollegen tun es ebenfalls; dann müssen wir als Haushälter aber stärkeres Gewicht darauf legen. Entweder man ist von vornherein der Auffassung, daß der Bundeszuschuß an die Deutsche Bundesbahn zu hoch ist - dann sollte man ihn gleich im Entwurf niedriger ansetzen -, oder man ist von der Zuschußhöhe überzeugt; dann ist es unseriös, kurz vor Toresschluß am Haushaltsausschuß und am Parlament vorbei der Bundesbahn lapidar mitzuteilen, daß das Geld, aus welchen Gründen auch immer, nicht da sei
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- es geht noch weiter -, wenn das Kabinett dann im gleichen Atemzug unter dem Signum „Beschäftigungspolitik" zusätzlich 100 Millionen DM zur Beschaffung von Waggons bei der Bundesbahn zur Verfügung stellt.
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Meine Damen und Herren, ich möchte auch den Bereich ÖPNV streifen. Meine Fraktion hat nie Zweifel daran aufkommen lassen, für wie wichtig sie die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs hält. Bei der Diskussion über den ÖPNV darf man aber nicht übersehen, daß dieser nach der verfassungsrechtlichen Grundordnung eigentlich Aufgabe der Länder und der Gemeinden ist. Der Bund kann deshalb nur über Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes Finanzhilfen gewähren und zum anderen die Finanzkraft der in seine Zuständigkeit fallenden Bundesbahn stärken. Das tut er auch. Deshalb sind besonders die Länder und Gemeinden zu einer stärkeren finanziellen Beteiligung als bisher aufgerufen. Das muß man deutlich sagen.
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Es kann nicht angehen, daß der Bund, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage hervorgeht, mittlerweile jährlich 6,6 Milliarden DM für diesen Zweck aufwendet, während Länder und Gemeinden zusammen nur einen Anteil von 4,6 Milliarden DM errei4694
chen. Bei allem Verständnis für die Nöte der nachgeordneten Gebietskörperschaften muß hier ein stärkeres finanzielles Engagement erfolgen.
Nun ein Wort zum Rhein-Main-Donau-Kanal. Die FDP-Landtagsfraktion in Bayern hat eine zweitägige Anhörung zu diesem Punkt abgehalten, bei der noch einmal alle Argumente für und wider genannt worden sind. Ohne einer endgültigen Auswertung vorgreifen zu wollen, kann ich für meine Fraktion behaupten, daß diese Anhörung unsere Haltung bestätigt hat, nämlich daß auch aktualisierte Kosten-Nutzen-Analysen - Stand: Dezember 1981-, die nicht nur auf den verkehrswirtschaftlichen Nutzen abstellten, ergeben haben, daß dieser Kanal nur beschränkten Nutzen hat, weil von jeder investierten Mark nur die Hälfte wieder hereinkommt. Ich weiß natürlich auch, daß der Freistaat Bayern mit dem Bund einen Vertrag abgeschlossen hat. Deswegen bin ich der Auffassung, daß die finanzpolitischen Zwänge zu einer erneuten Bestandsaufnahme zwingen. Hier sollten zwischen dem Bund und Bayern erneut Verhandlungen geführt werden, wie man aus dem Dilemma herauskommt.
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In diesem Sinne fordere ich den Verkehrsminister auf, Verhandlungen zu beginnen. Ich bitte Sie, lassen Sie nicht das Telex wahr werden, in dem es heißt: Bayern glaubt an einen Rückzieher Hauffs in der Kanalfrage.
Eine zweite Bemerkung dazu. Wir haben im Haushaltsausschuß den Beschluß zum Kanal durchgesetzt, der da heißt: keine weitere Finanzierung neuer Bauvorhaben. Ich bitte den Verkehrsminister um Auskunft, wieviel Verpflichtungen die Kanalgesellschaft ohne Abdeckung durch das Parlament eingegangen ist. Einen entsprechenden Brief werde ich Ihnen noch zustellen. Es ist ja nicht nur das Finanzproblem, das uns bedrängt. Das haben meine Vorredner auch gesagt; es muß hier aber noch einmal deutlich gemacht werden, weil zum Bereich der Verkehrspolitik auch die Schiffahrt gehört. Es gibt vielmehr noch eine Reihe anderer Probleme. Das wichtigste ist aus meiner Sicht, daß immer noch nicht geklärt ist, ob durch die Verbindung von Rhein und Donau die Binnenflotten der Staatshandelsländer mit ihren Dumpingpreisen auf den europäischen Verkehrsmarkt drängen und zu erheblichen Turbulenzen beitragen können. Meines Erachtens können sie es. Interessant ist doch in diesem Zusammenhang, daß die Sowjetunion immer noch auf ihrem Standpunkt beharrt, daß der Rhein-Main-Donau-Kanal eine internationale Schiffahrtsstraße ist. Wer dies als geringes Problem ansieht, sollte sich einmal angucken, wie die Situation auf der Donau ist. Das Verhalten der Staatshandelsländer im Bereich der Schiffahrt auf der Donau ist klassisches Dumping. Die aggressive Schiffahrtspolitik beobachten wir doch auch im Bereich der Seeschiffahrt. Nicht zuletzt bringt sie doch auch unsere Flotte in arge Bedrängnis.
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- Entschuldigen Sie bitte, ich lasse keine Fragen zu; die Zeit ist relativ knapp.
Schließlich muß doch daran erinnert werden: Wenn dieser Kanal steht, muß die Bundesbahn mit jährlich einer Viertelmilliarde zusätzlich subventioniert werden. Was wir hier in Gang setzen, ist ein Subventionswettbewerb zwischen dem Kanal, der Binnenschiffahrt und der Eisenbahn. Das wollen wir auf keinen Fall. Ich glaube, es ist noch nicht zu spät. Von den 2,4 Milliarden DM sind bereits 44 % verbaut. Wir haben noch die Möglichkeit, das Ganze zu stoppen.
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- Wir müssen dieses Problem der Verkehrspolitik rational anpacken und sollten es nicht mit regionalpolitischen Vorurteilen oder Besitzstandsdenken angehen.
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Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Schiffahrt. Ich habe das auch schon bei der Beratung des Einzelplans 12 im Haushaltsausschuß gesagt und dabei insbesondere zu den Schiffahrtshilfen ausgeführt, daß der Staat angesichts der beschlossenen Kürzung der Mittel aufgerufen ist, die Rahmenbedingungen für den Schiffahrtsbereich zu verbessern.
Dazu gehört nach meiner Ansicht auch die längst überfällige Reform der Besetzungsordnung der Schiffahrt, der SBAO. Es geht nicht an, daß unsere Seeschiffahrt in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Schiffahrtsländern durch eine antiquierte Vorschrift noch immer behindert wird. Die 1971 in Kraft getretene SBAO war damals bereits eine Fehlkonstruktion und sollte schleunigst korrigiert werden. Ich weiß, daß die jeweiligen Verkehrsminister mit der Ankündigung, das werde sich ändern, schnell bei der Hand waren. Herr Hauff hat das auch gesagt. Bis jetzt hat sich jedoch noch nichts geändert. Ich hoffe nun, daß die SBAO in diesem Jahr novelliert wird.
Dabei darf man auch nicht den Problemkreis tabuisieren, der mit der Mitgliedschaft Griechenlands in der EG auf uns zukommt, nämlich daß in der Regel ausländische Arbeitnehmer bei nationalen Flotten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland anders bezahlt werden, d. h. daß sie die in ihren Heimatländern gezahlte Heuer bekommen. Darüber muß diskutiert werden können.
Es reicht jedoch nicht, die SBAO zu ändern, sondern wir müssen auch sehen, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Schiffahrt bei uns anders sind als in unseren Nachbarländern. Die Schifffahrt ist ein klassischer Wettbewerbszweig, der sich den internationalen Wettbewerbsbedingungen stellen muß. Dem müssen wir Rechnung tragen.
Mein Schlußwort ist ebenfalls kritisch; man möge mir das nachsehen. Es betrifft das Thema Öffentlichkeitsarbeit im Hause des Verkehrsministers. Ihr Ministerium, Herr Minister, hat wie kaum ein anderes Haus ein sehr gesundes Verhältnis zu Public ReDr. Zumpfort
lations und zur Öffentlichkeitsarbeit, was nicht zuletzt in einem von Ihrem Hause eigens herausgegebenen Periodikum dokumentiert wird, nämlich in den „Verkehrsnachrichten".
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Sie erscheinen mittlerweile in einer Auflage von mehreren tausend Stück, und schlagen im Haushalt mit 150 000 DM zu Buche. Ich habe den Eindruck, diese Informationen richten sich nur an Leute, die sowieso schon genau wissen, worum es geht. Hier wird eine Art von Informationsfriedhof geschaffen.
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Ich glaube, daß der Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag steht.
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Gerade die letzte Nummer ist ganz typisch: Vorne der Minister, hinten Kamele, und darüber steht: „Verkehr verkehrt!"
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Wir sollten das bei der Beratung des Haushalts 1983 noch einmal genauer untersuchen!
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Herr Abgeordneter Grobecker, Sie haben bei der Passage über die Schifffahrt dem Kollegen Zumpfort den „Vogel gezeigt". Ich gehe davon aus, daß dies eine unwillkürliche Bewegung war und nicht in beleidigender Absicht geschehen ist.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr -. Wer dem Einzelplan 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 12 ist gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU angenommen.
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Wir kommen zum Tagesordnungspunkt I.17:
Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 9/1193 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Walther
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast bin ich versucht, Sie ob der „großen" Präsenz namentlich zu begrüßen. Aber, Herr Minister Gscheidle, das haber wir wohl gemeinsam: Wenn es um die Post geht, läßl das Interesse nach. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Ich darf die Gelegenheit nutzen, um auf eine Bitte zurückzukommen. In der letzten Sitzungswoche hal die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung ersuchen, von der Erhebung von Gebühren
für Polen-Pakete abzusehen. Dieser Antrag ist zunächst zur Beratung an den Fachausschß überwiesen worden. Wir möchten Sie, Herr Minister Gscheidle, da Sie die Vorbereitung treffen, herzlich bitten, diesen Beschluß baldmöglichst in die Tat umzusetzen.
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Draußen im Lande ist Gott sei Dank eine Welle in Gang gekommen, in deren Zug jetzt viele Mitbürger Polen-Pakete wegschicken. Die Leute sind aber jedesmal enttäuscht, wenn sie am Postschalter für ein. Paket von 10 kg 15 DM Porto zahlen müssen. Niemand vermag richtig einzusehen, daß auch der Finanzminister mit 10 % der Gebühren beteiligt ist daß auch die DDR als Durchgangsland und Polen als Endland von den Gebühren partizipieren, obwohl man der Bevölkerung eines kommunistischen Landes ja nur helfen will. Herr Minister, ich habe die herzliche Bitte an Sie, treiben Sie die Dinge voran Ich glaube, es ist eine gute Sache, wenn wir hier dasselbe tun wie das neutrale Schweden und das neutrale Österreich.
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Ich möchte, da die Zeit beim Einzelplan 13 sehr begrenzt ist, nur auf ein einziges Thema zu sprechen kommen, und zwar auf die Investitionen der Deutschen Bundespost. Auch hier ist der Zusammenhang zunächst nur mittelbar; denn im Einzelplan 13 stehen ja nur die Ablieferungen der Bundespost, die Gehälter des Ministers, seines Staatssekretärs und die Investitionsausgaben der Bundesdruckerei Aber der Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt ist durch den Einzelplan 13 gegeben.
Ich greife dieses Thema Investitionen heraus, weil wir alle uns zur Zeit j a Gedanken machen, wie wir Arbeitsplätze sichern und schaffen können. Vor diesem Hintergrund spreche ich das Thema an. Man muß dabei wissen, daß bei der Bundespost rund zwei Drittel des Umsatzes auf das Fernmeldewesen und nur ein Drittel auf das Postwesen entfallen. Dementsprechend sind auch die meisten Investitionen dem Fernmeldewesen und die wenigsten dem Postwesen zuzurechnen. Von 13 Milliarden DM, die die Bundes4696
post in diesem Jahr investiert, entfallen 11 Milliarden DM auf das Fernmeldewesen.
Die Bundespost hat im Fernmeldewesen bisher davon profitiert, daß sie ein ausgesprochenes Massengeschäft hatte.
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Dieses Massengeschäft hängt mit den Fernsprechhauptanschlüssen zusammen. In den Jahren 1975 bis 1980 wurden im Jahresdurchschnitt 1,5 bis 1,7 Millionen Fernsprechhauptanschlüsse installiert. Es waren im letzten Jahr noch 1,2 Millionen. Man rechnet in diesem Jahr mit 900 000 neuen Fernsprechhauptanschlüssen, ab 1985 werden es im Jahresdurchschnitt nur noch etwa 500 000 sein. Das Wachstum wird also auf etwa 2 % zurückgehen, und zwar einfach deshalb, weil bald 90 % aller Haushalte ihren Fernsprechhauptanschluß haben.
Jetzt stellt sich schlicht und einfach die Frage: Wie soll es bei der Bundespost weitergehen? Wo soll sie investieren? Wo sieht sie das Geschäft der Zukunft? Man darf sich dabei nicht von der Ertragslage täuschen lassen. Diese ist zwar im Augenblick gut, vor allem im Fernmeldewesen. Damit werden die Verluste im Postwesen überlagert. Aber dies ist eine Erscheinung, die spätestens 1984 dem Ende entgegengeht. 1984 wird die Post wieder Verluste machen, vor allem auch wegen der hohen Ablieferungen, die die Post an den Bund machen muß.
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Wie also soll es mit den Investitionen weitergehen? Die Bundespost hat in den letzten Jahren den Eindruck erweckt, daß sie mit einer Reihe neuer Endgeräte neue Dienstleistungen anbieten könnte und anbieten würde, die auch zu einem entsprechenden Geschäftszuwachs führen würden. Nunmehr zeigt sich aber, daß dies so nicht ganz zutrifft. Bei den sogenannten niedrigen Übertragungsraten - dazu gehören z. B. Teletex, Telefax und auch der Bildschirmtext - ist zwar die technische Reife für die Dienstleistungen da, aber nicht die wirtschaftliche Bedeutung. Das heißt, die Nachfrage hat sich nicht so eingestellt, wie man ursprünglich geglaubt hat. Vielleicht werden 4 % der Ressourcen und der Erlöse auf Teletex entfallen, aber nicht mehr. Ähnlich ist es bei den anderen Dienstleistungen in diesem Bereich.
Im Bereich der mittleren Übertragungsraten begegnen wir vor allem dem Telebrief. Dieser ist einigermaßen interessant, er stößt auch auf ein gewisses Interesse. Aber er ist technisch noch nicht ausgereift. Ein großes Geschäft wird auch mit dem Telebrief nicht verbunden sein.
Anders sieht es jedoch bei den höheren Übertragungsraten, bei den sogenannten Breitbanddiensten aus. Dort werden vor allem das Kabelfernsehen und das Videophon, also das Fernsehtelefon, Angebote der Zukunft sein. Für beide - also für das Fernsehtelefon und auch für das Kabelfernsehen - besteht eine große Nachfrage; sie haben also eine große wirtschaftliche Bedeutung. Jedoch die technische Reife ist noch nicht gleichwertig. Beim Kabelfernsehen ist
sie gegeben; beim Fernsehtelefon steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen.
Nun ist es aber nicht möglich, mit dem jetzigen Fernsprechnetz diese neuen Dienstleistungen zu erbringen. Das jetzige Fernsprechnetz hat übrigens einen Verkehrswert von etwa 120 Milliarden DM. Man braucht aber für das Kabelfernsehen ein anderes Netz, ein Koaxialnetz, und man braucht vor allem für das Fernsehtelefon das Glasfasernetz. Das Koaxialkabelnetz würde etwa 20 bis 30 Milliarden DM kosten, und das Glasfasernetz wird 150 Milliarden DM kosten. Hier stehen also immense Investitionen vor der Bundespost, die auch finanziert werden müssen.
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Es geht, wie gesagt, um eine Größenordnung von etwa 150 Milliarden DM.
Die Bundespost wird alles daransetzen müssen, ihre Ertragslage zu verbessern. Ich sage dies auch angesichts der jetzigen Situation; und das wird einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Denn die Bundespost kann nicht mehr x-beliebig ihre Gebühren erhöhen. Die Post ist auch jetzt immer noch im oberen Drittel des Gebührenniveaus der Industriestaaten. Sie ist aber technisch bereits seit 1971 zurückgefallen. Mit den Gebühren wird nicht mehr allzuviel zu machen sein.
Deshalb muß rationalisiert werden, und zwar jetzt schon, verstärkt und noch mehr als bisher. Ich weiß, daß dies zu Schwierigkeiten führen wird, ich weiß, daß der Minister intern hier auf Widerstand stoßen wird. Aber diese Rationalisierungen müssen nicht so sehr auf dem Rücken des kleinen Mannes durchgeführt werden. Vor allem: Der Verwaltungsapparat der Post ist übersetzt,
({5})
insbesondere auf der Mittelinstanz. Dort sind Reserven zur Verbesserung der Ertragslage, Herr Löffler, die die Post unbedingt braucht; denn dieses neue Netz hat seine eigenen Tücken. Oft trägt sich bei großen Investitionen schon ein erster Teilabschnitt. Hier ist das nicht so. Am Anfang schließen sich nur wenige an, und diese können auch nur wenige erreichen. Das heißt, es besteht die Gefahr, daß sich dieses Netz abwiegelt, weil die gegenseitige Erreichbarkeit nicht gegeben ist. Dem kann man nur vorbeugen, indem man schnell investiert, und deshalb muß die Finanzierung sichergestellt sein.
Aber der entscheidende Punkt ist ein ganz anderer. Die Bundespost wollte in elf Städten Pilotprojekte durchführen. Der Kanzler hat ihr dies verboten, weil er befürchtet, daß die neue Technik zu viele Übertragungsmöglichkeiten zuläßt, daß die Familien, wie er meint, damit überfüttert würden.
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Tatsächlich befürchtet er, daß damit die Grundlage für ein privates Fernsehen geschaffen wird, womit er im übrigen gar nicht so unrecht hat.
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Zur Zeit entstehen in fast allen Bundesländern medienpolitische Gesetze, und da werden die Voraussetzungen von der rechtlichen Seite her auch für das private Fernsehen geschaffen; denn die Rechtslage ist inzwischen geklärt. Es ist auch klar, daß der Bund für die Netzträgerschaft zuständig ist, während die Programmseite als Teil der Rundfunkseite zur Länderhoheit gehört.
Weil nun die Bundespost zur Zeit nicht mitzieht, entsteht eine Reihe von sogenannten Inseln, wo private Unternehmer Fernverbindungen für das Kabelfernsehen schaffen, also an der Post vorbei. Wenn die Post hier nicht voranmacht, läuft sie Gefahr, von der Entwicklung abgekoppelt zu werden und hinterher das Nachsehen zu haben. Herr Minister Gscheidle, es ist allerhöchste Zeit, daß hier die Hemmnisse, die Ihnen vor allem aus Ihrer Koalition heraus gegeben sind, beseitigt werden. Es geht hier, wie gesagt, um 150 Milliarden DM, verteilt auf einige Jahre. Dies bringt viele, viele Arbeitsplätze mit sich, nicht nur bei der Post, sondern auch bei der Fernmeldeindustrie.
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Wenn die deutsche Fernmeldeindustrie darauf verweisen kann, daß sie bei der Bundespost eine moderne Fernmeldetechnik installiert hat, wird sie sich auch bei den Exporten entsprechend Leichttun.
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Das hätte zur Folge, daß nicht nur die Arbeitsplätze bei der Post gesichert sind, sondern auch neue Arbeitsplätze in der Industrie entstehen.
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Hier, verehrter Herr Minister Gscheidle, tragen Sie eine äußerst große Verantwortung. Ich möchte Sie ermuntern, in dieser Hinsicht voranzumachen. Bis zur Stunde fehlt Ihnen ein überzeugendes Konzept für Nachfolgeinvestitionen. Sie müssen zumindest so weit kommen, daß Sie ein abgemagertes Glasfasernetz installieren oder aber ein Koaxialkabelnetz mit Leerröhren verlegen. Kein Mensch kann mehr verstehen, daß sie heute Leitungen verlegen, daneben aber nicht die Leerröhren für das neue Netz, wie es andere Länder tun. Sie könnten sich viel Mühe, viel Geld und viel Zeit ersparen, wenn Sie wenigstens voranmachen würden.
Herr Gscheidle, hier haben Sie ein Stück Verantwortung, aber für die Zukunft auch ein Stück an Möglichkeiten, die wir alle zusammen nicht vernachlässigen sollten. Ich möchte Sie als Fachminister, Sie als Mitglied des Kabinetts, Sie als einen der Koalition, ausdrücklich bitten, hier voranzumachen; denn hier stehen Sie sich selbst im Wege. Hier können Sie Arbeitsplätze sichern, hier können Sie der deutschen Wirtschaft wertvolle Dienste erweisen.
Solange dieses Konzept nicht steht, haben wir keine Veranlassung, dem Einzelplan 13 zuzustimmen. Wir werden den Einzelplan 13 ablehnen.
({11})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friedmann, zunächst zu dem Stichwort Polen-Pakete. Ich schließe mich namens unserer Fraktion Ihrer Bitte an,
({0})
daß die Bundesregierung alle notwendigen Vorbereitungen so trifft, daß wir in der nächsten Fachausschußsitzung - das ist in der nächsten Sitzungswoche in 14 Tagen - abschließend dazu votieren können. Ich gehe davon aus, daß der Haushaltsausschuß dieses parallel auch tun kann, so daß wir in dieser Woche dann mit einer durchführbaren Regelung im Sinne der Erklärungen der Regierung voranmachen können; denn Eile tut in diesem Falle not. Ich glaube, wir sind uns in diesem Punkt einig.
({1})
Als Fußnote möchte ich nur anmerken: Nach meinen Informationen stimmt das, was der Kollege Kohl und auch Sie, Herr Kollege Friedmann, über Österreich gesagt haben, nicht. Das wäre zu klären. Ich glaube aber, daß wir uns gar nicht nach Beispielen umsehen müssen. Wir tun das, was wir für richtig halten. Dann brauchen wir nicht mehr darüber zu reden, inwieweit die schwedische Regelung vergleichbar ist.
Sie haben sich auf ein Thema konzentriert, nämlich: Wie sollen Investitionen in den 80er Jahren von der Bundespost angegangen werden? Ich finde es gut, wenn man sich auf ein so schwergewichtiges Thema von großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft konzentriert. Ich werde mich deshalb auch darauf konzentrieren und hoffe, Ihnen da eine etwa erfreuliche Perspektive liefern zu können.
Die Debatte über den Einzelplan 13, der von seinem Volumen her wenig für uns hergibt, gibt in der Tat Veranlassung, über die Bedeutung der Deutschen Bundespost insgesamt im Hinblick auf Beschäftigung und Wirtschaftswachstum nachzudenken.
Am besten ist es, ich zitiere einmal dazu einen sicher von uns allen als unverdächtig empfundenen Zeugen, nämlich die Monopolkommission. Sie sagt wörtlich folgendes:
Gesetzlicher Auftrag, organisatorische Struktur, wirtschaftliche Größe und ihre Macht auf den Märkten verschaffen der Deutschen Bundespost eine Sonderstellung in der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist Hoheitsverwaltung und zugleich im Wettbewerb handelndes Unternehmen. Sie ist Trägerin weitreichender Monopolfunktionen und doch in ihrer Politik den Grundsätzen des marktwirtschaftlichen Systems verpflichtet. Sie ist Instrument der Politik der Bundesregierung und zugleich deren Objekt.
Zwei Absätze weiter heißt es in der Einleitung des Sondergutachtens der Monopolkommission:
Durch ein Rekordinvestitionsbudget von 10 Milliarden DM für 1980 erreichen ihre Anlageinve4698
stitionen einen Anteil von rund 20 % aller Anlageinvestitionen der deutschen Industrie. Damit steht die Bundespost, gemessen an den Anlageinvestitionen der verschiedenen Industriebereiche, hinter der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie sowie der Investitionsgüterindustrie an dritter Stelle. Das durchschnittliche Wachstum ihrer Anlageinvestitionen ist seit einem Jahrzehnt höher als das durchschnittliche Wachstum aller Industriebereiche. Dabei entfallen über 90 % aller Investitionen der Deutschen Bundespost auf den Bereich des Fernmeldewesens.
Wenn wir uns die Zahlen aus dem Haushaltsplan 1982 anschauen, so stellen wir fest, daß diese noch eindrucksvoller sind. Das Volumen des Voranschlages beträgt 63 Milliarden DM. Das ist etwa ein Viertel des Volumens des in dieser Woche zur abschließenden Beratung anstehenden Bundeshaushalts.
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- Ich nehme das gerne auf: „Zweitgrößter öffentlicher Haushalt", sagt der Kollege Pfeffermann, d. h. dieser Haushalt rangiert noch vor dem des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
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Den Voranschlägen zufolge wird 1982 das achte Jahr hintereinander sein, in dem es bei der Deutschen Bundespost ein positives Betriebsergebnis gibt.
Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung dieses Unternehmens lassen Sie mich angesichts der aktuellen Diskussion um Konjunktur und Arbeitsplätze darauf hinweisen, daß die Deutsche Bundespost 1981 rund 540 000 Menschen Arbeit gab. 1982 kann sie weitere 6000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Personalvermehrung ausdrücklich. Das ist praktische Beschäftigungspolitik, die gleichzeitig nach unserer Überzeugung den betrieblichen Erfordernissen Rechnung trägt.
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- Zu den Zukunftsinvestitionen komme ich, wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, das wollen, stehenden Fußes.
Die Kritik an dieser Personalvermehrung wurde ja u. a. damit begründet, daß man dadurch Investitionsmittel binde oder verkürze. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig. Das Investitionsvolumen steigt auch 1982, und zwar, wie gesagt, auf die Rekordhöhe von 13 Milliarden DM. Damit liegt es dann 3 Milliarden DM über den zitierten Zahlen der Monopolkommission. Die sind nicht ganz korrekt; in Wirklichkeit beträgt die Differenz 2,4 oder 2,5 Milliarden, aber immerhin, das Volumen steigt auf eine Rekordhöhe.
Ich meine, damit können wir gemeinsam feststellen, daß die Deutsche Bundespost das tut, wovon andere nur reden. Sie verhält sich antizyklisch und leistet einen hervorragenden Beitrag dazu, daß es mit Konjunktur und Beschäftigung aufwärtsgeht.
Nun geistern in solchen Debatten immer gewisse Begriffe herum. Der Kollege Friedmann hat sich da sehr dankenswert zurückgehalten, aber der Kollege Zimmermann hat diese Begriffe in seiner Eingangsrede nun auch wieder aufgerührt, und deswegen muß ich die Reizworte hier nennen. Die Opposition benutzt immer gern die Kampfbegriffe „Investitionsstau" und „Verkabelungsstopp".
Über „Verkabelungsstopp" ist hier so viel geredet worden, daß ich die Argumente pro und kontra nicht alle wiederholen muß. Das kann man nachlesen.
Wie kann man von „Investitionsstau" reden, wenn 13 Milliarden DM von einem Unternehmen in einem einzigen Jahr investiert werden? Ich glaube, das widerlegt sich selbst. Mir ist auch kein Oppositionskollege bekannt, der fordert, die Bundespost möge in einem Jahr noch mehr investieren. Auch ist uns niemals erklärt worden, daß sie an der falschen Stelle investiere. Bisher jedenfalls scheint der Kurs doch zu stimmen. Dann ist es allerdings an der Zeit - und ich begrüße es, daß der Kollege Friedmann das angeschnitten hat -, uns über die Zukunft Gedanken zu machen.
Da hört man gelegentlich aus Oppositionskreisen, die Sozialdemokraten seien aus medienpolitischen Gründen innovationsfeindlich.
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Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall; und ich glaube es nicht nur, sondern es ist meine feste Überzeugung.
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Denn das, was hier seit Jahren hinter dem Begriff „Verkabelungsstopp" verlangt wird, nämlich eine Breitbandverkabelung in Form eines Verteilnetzes, ist eine ausgereifte Technik. Sie kostet nicht 20 Milliarden DM, wie Sie, Kollege Friedmann, sagen. Sondern da kenne ich Oppositionszahlen, und zwar von Ihrem Medienfachmann Weirich - die kann man dort nachlesen -, die zwischen 30 und 90 Milliarden DM schwanken. Also auf 20 oder 30 Milliarden DM genau weiß das offenbar keiner. Da das eine ausgereifte Technik ist, erwartet auch niemand, daß durch eine solche Verkabelung, würde sie bundesweit durchgeführt, ein nennenswerter Innovationsschub erfolgen würde, der uns gegenüber den Japanern und den Amerikanern hier flächendeckend in konkurrierenden Bereichen wettbewerbsfähiger machen würde.
Ich glaube, daß nicht ein bundesweites Verteilnetz gefragt ist, wenn wir uns über einen langfristigen Kommunikationswegeplan Gedanken machen, sondern daß dann darüber zu reden sein wird: Was wird mit der Glasfaser, und was wird mit den Satelliten? Damit beschäftigt sich die Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken". Ich gehe davon aus, daß diese Kommission, zu deren Mitgliedern ich gehöre, im September dieses Jahres - sie arbeitet unter außerordentlichem Zeitdruck - dazu Empfehlungen geben wird, die hoffentlich sehr klar und eindeutig sind.
Damit Sie sich Klarheit über die Position der Sozialdemokraten verschaffen können, will ich schon heute aus meiner Sicht einige Orientierungspunkte liefern.
Erstens. In diesem Jahrzehnt sind durch die Verfügbarkeit neuer Technologien außergewöhnliche Innovationsschübe im Bereich der Kommunikationstechnik zu erwarten.
Zweitens. Die Leistungsfähigkeit der vorhandenen, gut ausgebauten Fernmeldeinfrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland wurde und wird von der Deutschen Bundespost durch die Einführung neuer Dienste ständig erweitert. So sind neben den klassischen Fernmeldediensten - ich will sie hier nicht alle aufzählen - neue Dienste entstanden: Da-teldienste, Telefax, Teletex und Bildschirmtext.
Drittens. Die absehbare technische Entwicklung im Fernmeldewesen - nun komme ich zu einem großen Block, der investitions- und innovationsfähig ist - wird in den nächsten Jahren durch den generellen Übergang zu digitalen Systemen in allen Fernmeldenetzen geprägt sein. Da die Vermittlungstechnik einen Wert zwischen 60 und 80 Milliarden DM darstellt, wird in den etwa 6 000 Vermittlungsstellen der Deutschen Bundespost diese Digitalisierung vorgenommen werden müssen. Das steht unmittelbar bevor. Das wird nicht erst 1985 ff., sondern bereits früher in Angriff genommen werden müssen.
Viertens. Neue Dienste mit einem hohen Bedarf an Bandbreite - auch darüber haben Sie gesprochen -, zu denen schnelle Datenübertragung und auch Bildfernsprechen - wobei der Bedarf noch nicht so klar ist - gehören, benötigen ein völlig neues Netz. Das muß ganz klar sein. Hierfür zeichnet sich der Einsatz von Glasfaser und Satellit mit der Möglichkeit ab, alle bestehenden, neuen und zukünftigen Dienste in diesem einen Netz integriert abzuwickeln, ebenso - das sage ich ausdrücklich dazu - das Verteilen von Hörfunk und Fernsehen.
Langfristiges Ziel ist demnach nach meiner Einschätzung ein einheitliches dienstintegriertes Glasfasernetz. Es gilt, dafür so früh wie möglich die Weichen zu stellen. Sie wissen, daß Bigfon-Versuche laufen; Sie wissen, daß die Glasfaser in der Fernebene einsatzbereit ist, in der Ortsebene noch nicht ganz. Aber wir schätzen, daß sie das in etwa ab 1985 sein wird. Glasfaser ist wirtschaftlich im übrigen nur einsetzbar, wenn man sie nicht nur in der Fernebene, sondern bis hin zu den Fernsprechteilnehmern verlegt.
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Ich komme zu meinem fünften Punkt. Bei der Investitionsstrategie für dieses dienstintegrierte Netz der Zukunft hat der Bedarf an Individualkommunikation und geschäftlicher Kommunikation Vorrang, und zwar aus volkswirtschaftlichen Gründen. Die Möglicheit, in diesem Netz Hörfunk- und Fernsehprogramme zu verteilen, soll nicht behindert werden. Es bietet im Gegenteil die Chance für mehr Programmangebote in besserer technischer Qualität. Wenn wir in ein solches Netz investieren - das ist
wichtig für die Prioritätensetzung -, so muß festgehalten werden, daß das nicht das vorrangige Ziel bei der Errichtung solcher Netze ist, sondern ein Nebenprodukt.
Sechstens. Die Konzentration auf die Errichtung dieses dienstintegrierten Netzes der Zukunft einschließlich notwendiger Zwischenstufen - da ist nämlich eine Langfristperspektive - mit Overlay-netzen für schnelle Datenübertragung bedeutet nicht, in den nächsten Jahren auf den weiteren bedarfsgerechten Ausbau von herkömmlichen Koaxialverteilnetzen zu verzichten. Auch das sage ich ausdrücklich.
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Für mich ist allerdings schon heute klar - da werde ich den Widerspruch bei der Opposition ernten -, daß Satelliten zur Vorbereitung von Hörfunk-und Fernsehprogrammen in der Bundesrepublik überflüssig sind. Ich könnte Ihnen das technisch ausführlich begründen. Das hat mit Medienpolitik gar nichts zu tun. Aber dazu wird zu anderer Zeit Gelegenheit sein.
Ich hatte eigentlich noch auf eine Reihe von wichtigen Punkten eingehen wollen, die in der Unternehmenspolitik der Deutschen Bundespost eine Rolle spielen. Das geht vom Datenschutz über ihre sozialverträglichen Aufgaben bis hin zur ihrer raumordnerischen Wirkung, ihrer Bedeutung für Berlin, für den ländlichen Raum, für das Zonenrandgebiet, für die Bereitstellung neuer Arbeitsplätze - um nur Stichworte zu nennen. Ich kann das aus Zeitgründen nicht tun. Ich wollte mich im Sinne des Vorredners auf den Bereich Zukunftsinvestitionen im Postsektor beschränken.
Ich komme deshalb zum Schluß.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann?
Wenn das am Schluß meiner Redezeit noch möglich ist, will ich das gerne tun.
Herr Kollege Paterna, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie ausführten, während der Übergangszeit des Ausbaus des Hörfunk- und Fernsehbereichs mit Koaxialverteilnetzen sei nach Ihrer Auffassung im Gegensatz zu später, wenn wir Glasfasernetze zur Verfügung haben, der Einsatz anderer Mittel überflüssig?
({0})
Der Einsatz von Koaxialverteilnetzen wird weiter in bedarfsgerechtem Umfang notwendig sein, so wie das auch in den letzten Jahren der Fall war. Es wird ein dienstintegriertes Glasfasernetz geben. Das ist aber eine Investitionsperspektive von etwa 20, vielleicht sogar von 30 Jahren, wenn man die Zeit bis zum Endausbau in Rechnung stellt. Wir brauchen eine rasche Datenübertragung aber schneller. Dazu wird es nach meiner Überzeugung ein Overlaynetz geben, das sowohl mit herkömmlichen Kabeln als auch mit Satelliten herge4700
stellt werden kann. Es wird also einen stufenweisen Übergang geben.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Gern. Bitte schön.
Also Satelliten, Herr Kollege, auch für die Zeit des Übergangs bis zum Ausbau eines Glasfasernetzes?
Selbstverständlich.
({0})
- Nein. Das ist vielleicht ein Mißverständnis. Ich habe mich gegen den direkt strahlenden Fernseh-und Rundfunksatelliten ausgesprochen, nicht etwa gegen den Fernmeldesatelliten. Den halte ich zumindest für diese Übergangszeit selbstverständlich für notwendig.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Die Post ist ein hervorragend geführtes Unternehmen mit großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft. Die Unternehmensstrategie der letzten Jahre ist im Detail hier nicht strittig gewesen. Wir haben Langfristperspektiven zu entwikkeln. Hier sollte das Parlament die Deutsche Bundespost nicht alleinlassen. Dies sollten wir so konstruktiv, wie das heute geschehen ist, miteinander debattieren. Schlagworte der Vergangenheit, die immer nur Pawlowsche Effekte auslösen, wo jeder immer schon weiß, was der andere sagt, sollten wir möglichst beiseite lassen. Ich bin dem Kollegen Friedmann dankbar, daß er das auf das richtige Niveau gebracht hat.
Helfen wir durch kritische, aber konstruktive parlamentarische Kontrolle, daß die Deutsche Bundespost den Leistungsstandard und die Qualität behält, die sie heute hat. - Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Angesichts der Tatsache, daß wir es bei dem Haushalt, über den wir jetzt diskutieren, nur mit drei Positionen zu tun haben, will ich meine Redezeit nicht ausnutzen. Wir haben es in der Tat damit zu tun, daß wir im Haushalt nur die Personalkosten des Bundesministers und seines Staatssekretärs, die Bundesdruckerei und die Ablieferung der Post stehen haben.
({0})
Dies alles kann denjenigen, der in der Lage ist, den Haushalt zu lesen, nur zu der Erkenntnis bringen, daß die Post ein modernes, gesundes und leistungsfähiges Unternehmen ist, und zwar dank der rechtzeitigen umsichtigen Politik dieser Bundesregierung, die früh genug die Weichen gestellt hat, da-mit der Bundespost nicht ein ähnliches Schicksal zuteil wird wie dem anderen großen Bundesunternehmen, der Deutschen Bundesbahn.
({1})
- Jetzt muß ich Sie warnen, Herr Pfeffermann. Ich habe dem verkehrspolitischen Sprecher der CDU/ CSU, dem Kollegen Schulte, und Herrn Straßmeir soeben auf Zuruf gesagt, daß ich nur fünf Minuten reden wollte - unter der Voraussetzung, daß Herr Pfeffermann mich nicht reizt. Sie haben es also jetzt in der Hand, meine Redezeit zu bestimmen.
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- Das wäre mir im Prinzip auch lieber.
Ein Hinweis darauf, daß es sich um ein gesundes Unternehmen handelt, könnte in dem Eigenkapitalanteil dieses Bundesunternehmens liegen, der sich auf etwa 42 % beläuft. Vielleicht reize ich Sie, wenn ich darauf hinweise, daß es unter CDU-Postministern immer um die 20 % gewesen sind. Aber das sollte gar kein Reizen sein.
Da besteht natürlich ein unmittelbarer Zusammenhang zur Erhöhung der Postablieferung. Das ist völlig klar.
({3})
- Zu den Gebühren; Entschuldigung, das war ein Versprecher von mir.
Aber das war auch beabsichtigt. Einer der Gründe für die Gebührenerhöhung, die in diesem Jahr wirksam wird, war die Erhöhung der Eigenkapitalausstattung der Bundespost.
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Die Gebührenerhöhung war wirtschaftlich erforderlich. Herr Friedmann, Sie haben soeben darauf hingewiesen - ich habe mir das aufgeschrieben daß die Bundespost ihre Finanzsituation verbessern muß. Das kann sie sicherlich auf mehrere Arten. Eine der Möglichkeiten besteht darin, die Gebühreneinnahmen der wirtschaftlichen Situation anzupassen.
In bezug auf die Ablieferung der Post - um dieses Stichwort wieder aufzugreifen - muß man darauf hinweisen, daß die Post keine Steuern zahlt,
({5})
daß zweitens der Bund wohl auch einen Anspruch auf eine angemessene Kapitalverzinsung haben muß. Schließlich ist es ja wohl auch nicht unbillig, wenn der Bund ein Entgelt dafür bekommt, daß die Post in vielen Bereichen eine Monopolstellung hat.
Ein weiterer Hinweis darauf, daß es sich um ein gesundes Unternehmen handelt - darauf hat Herr Kollege Paterna eben in einem anderen Zusammenhang hingewiesen -, liegt auch darin, daß es sich bei der Bundespost um den größten Investor insgesamt handelt. Auch im Jahre 1982 wird bei der Bundespost mit 13,01 Milliarden DM die höchste InvestiMerker
tionssumme insgesamt erreicht. Ich finde es besonders beeindruckend, daß davon über 11 Milliarden DM alleine im Fernmeldebereich anfallen.
Vielleicht sollte die Opposition unter diesem Gesichtspunkt auch mal Verständnis für die in diesem Jahr erfolgte Aufstockung des Personals bei der Deutschen Bundespost um 6 000 neue Stellen haben. Ich habe diesem Beschluß zwar nicht zugestimmt, aber ich glaube, mit einer solchen Entscheidung kann man auch eine wesentliche Entlastung auf dem sowieso strapazierten Arbeitsmarkt erreichen.
Noch ein Wort an die Opposition. Sie sollten also wirklich diesen alten Hut von dem Investitionsstau nun endlich begraben. Herr Paterna hat eben darauf hingewiesen, daß gleich zu Beginn dieser Aussprache Herr Zimmermann wieder sehr stark auf dieser Geige gespielt hat. Das wird nun wirklich nicht dadurch besser, daß Sie bei jeder Debatte, die sich in irgendeiner Weise mit der Bundespost beschäftigt, diesen Hut wieder hervorzaubern.
Ein vorletztes Wort zu den Polenpaketen. Ich kann mich da in vollem Umfange den beiden Vorrednern anschließen. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt, daß es hier zu einer entsprechenden Entscheidung kommt, die Portogebühren für die Pakete nach Polen zu verbilligen, weil auch wir der Auffassung sind, daß es sinnvoller ist, private Initiativen im humanitären Bereich durch den Staat zu unterstützen, als eigene staatliche Programme aufzustellen.
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Ich habe zu Beginn von den drei Positionen im Bundeshaushaltsplan für den Geschäftsbereich des Ministers für das Post- und Fernmeldewesen gesprochen. Es zeigt sich, daß es sich auch bei drei Positionen lohnt, noch einmal nachzublättern, wo sich denn eigentlich etwas verändert hat. Da ist mir eine Position bei den Personalausgaben des Bundesministers und seines Staatssekretärs aufgefallen. Im Jahre 1980 hatten wir unter dem Haushaltstitel 441 01 011 einen Strich. Dort hatten wir also keine Angaben. Erst im Jahre 1981 hat sich bei den Beihilfen auf Grund der Beihilfevorschriften eine Summe von 9 000 DM eingefunden. Ich weiß nicht recht, ob dies mit dem beklagenswerten Unfall des Herrn Staatssekretärs zusammenhängt. Wenn das so sein sollte, Herr Staatssekretär, finde ich das nun allerdings eine ganz perfide Art Ihres Haushaltsreferenten, daß er die gleiche Summe - vielleicht angesichts der Tatsache, daß Sie zwei Beine haben ({7})
auch im Haushalt 1982 wieder eingestellt hat. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. - Wer dem Einzelplan 13 in der Ausschußfassung zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 9/1199 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler
Hauser ({0})
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahl der neugebauten Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland wird zunehmend geringer. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt hat sich damit in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. Sie ist in den seit der letzten Haushaltsberatung vergangenen zirka sieben Monaten noch schlechter geworden.
({0})
Nicht nur die Bauleistung sinkt stetig, sondern auch die Zahl der Baugenehmigungen wird deutlich geringer. Wurden in der Mitte der 60er Jahre zirka 600 000 Wohnungen im Jahr fertiggestellt und wurde während des Baubooms 1973 einmalig die Zahl von 700 000 fertiggestellten Wohnungen deutlich überschritten, so ist seitdem die Zahl der fertiggestellten Wohnungen ständig, wenn auch mit geringfügigen Schwankungen, auf weit unter 400 000 zurückgesunken.
({1})
Die Bauleistung wird auch 1981 eine weitere Einbuße erleiden. Nach fachkundiger Schätzung - es liegen noch keine amtlichen Zahlen vor - wird die Zahl auf etwa 360 000 sinken. Dabei müßten nach Expertenschätzungen jährlich mindestens 450 000 Wohnungen fertiggestellt werden, um die Wohnungsversorgung in den nächsten Jahren auch nur annähernd zu gewährleisten.
Hinzu kommt, daß in jüngster Zeit die Baugenehmigungen noch stärker als die Baufertigstellungen rückläufig sind. Dabei fällt insbesondere auf, daß die Bauanträge für Eigenheime, die lange Zeit eine wesentliche Stütze der Baukonjunktur waren, von diesem Genehmigungsrückgang in besonderer Weise betroffen sind. So hat sich nach einer Mitteilung des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen in Bonn vom 14. Januar 1982 die Zahl der zum Bau genehmigten Einfamilienhäuser in den ersten zehn Monaten 1981 gegenüber dem gleichen Zeitraum 1980 um nicht weniger als 24 %, von 118 418 auf 89 600, verringert.
({2})
Hauser ({3})
Das gleiche Institut rechnet für 1981 mit insgesamt nur noch 340 000 Baugenehmigungen.
Die Zahl der im sozialen Wohnungsbau direkt geförderten Wohnungen ist ebenfalls weiter stark rückläufig und dürfte 1981 leider nur noch bei 80 000 bis 85 000 liegen, während sie z. B. 1978 noch weit über 135 000 lag.
Für diese sinkende Bauleistung gibt es eine Reihe von Gründen. Die Erfüllung des Wunsches nach selbstbewohntem Wohnungseigentum, sei es in Form eines Ein- oder Zweifamilienhauses, sei es in Form einer Eigentumswohnung, ist wegen der stark gestiegenen und weiter steigenden Kosten für das Bauland, der steigenden Baukosten, insbesondere aber der hohen Kapitalzinsen kaum noch erschwinglich.
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Freifinanzierter Mietwohnungsbau ist durch das geltende Mietrecht belastet und weitgehend unwirtschaftlich. Sein Erwerb kann derzeit nur durch Steuerersparnisse erwägenswert gemacht werden.
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Sozialer Wohnungsbau ist - bei Kostenmieten von weit über 20 DM pro Quadratmeter Wohnfläche für den Normalbürger - zu teuer.
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Er müßte mit enormen Subventionen verbilligt werden. Die Kassen der öffentlichen Hände sind aber leer. Sie können Subventionen in dem zur Deckung der Nachfrage im erforderlichen Umfang nicht mehr aufbringen.
Zwar haben über 50 % aller Haushalte nach dem Gesetz Anrecht auf eine Sozialwohnung, aber weit weniger als die Hälfte von ihnen kommt in den Besitz einer solchen Sozialwohnung,
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und ein guter Teil der vorhandenen Sozialwohnungen ist fehlbelegt. Der Wohnungsmarkt ist zwar rechnerisch ausgeglichen; es wäre jedoch eine grobe Täuschung, ob dieser Statistik zu glauben, es gäbe keine Wohnungsnot.
({8})
Manches Ehepaar und manche Einzelperson bewohnen nach dem Wegzug der Kinder oder dem Tod des Ehepartners die alte große Wohnung weiter, während sich kinderreiche Familien in Behelfswohnungen drängen. Insbesondere in den Ballungsgebieten herrscht akuter Wohnungsmangel, besonders bei sozial Schwachen, bei jungen und bei kinderreichen Familien.
({9})
Die billigsten Wohnungen werden im allgemeinen von den Personen bewohnt, die ihre Wohnung vor 20 oder mehr Jahren bezogen haben und sich an diese Wohnung wie an einen sozialen Besitzstand klammern, obwohl ihr wirtschaftlicher und sozialer Status ihnen eine andere Lösung empfehlenswert erscheinen lassen sollte.
({10})
Bei dieser Situation stellen wir fest, daß dem Einzelplan 25 im Jahre 1982 die entscheidenden Impulse fehlen. Bei in etwa gleichem Volumen wird der Einzelplan 25 wie schon 1981, ja noch mehr, von wenigen großen Positionen, von denen das Wohngeld mit zirka 1,23 Milliarden DM, die Wohnungsbauprämien mit zirka 950 Millionen DM und das Eigentumsprogramm, Titelgruppe 03, mit rund 900 Millionen DM besonders hervorgehoben seien, weitgehend gesetzlich oder durch Verpflichtungsermächtigungen gebunden.
({11})
Zwar sind im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Aufstellung, die mehrfache Korrektur und die schließliche Verabschiedung des Bundeshaushalts 1982 mit kräftiger Nachhilfe seitens der Opposition einige Schritte in die richtige Richtung getan worden. Als deren wichtigsten, der sich freilich nicht im Haushaltsplan des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau niederschlägt, betrachte ich die Änderung des § 7 Abs. 5 Satz 1 Einkommensteuergesetz mit der Erhöhung des Abnutzungsbetrages bei Neubauwohnungen von 3,5 auf 5 % jährlich in den ersten acht Jahren.
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Auch die den Ländern gegebene Möglichkeit, die Zinsen von vor dem 1. Januar 1960 gewährten Baudarlehen auf bis zu 8 % und die Zinsen von vor dem 1. Januar 1970 gewährten Baudarlehen auf bis zu 6 % anzuheben, den Bonus von 15 % auf bis zum 30. Juni 1982 vorzeitig getilgte Baudarlehen sowie den Wegfall der Mietpreisbindung sechs Monate nach Rückzahlung der öffentlichen Baudarlehen in Gemeinden mit weniger als 200 000 Einwohnern halte ich für beachtenswerte Anstöße. Wir haben solche Anstöße seitens der Opposition ja lange genug gefordert und haben sie auch gesetzlich initiiert.
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Die Möglichkeit, in Städten mit mehr als 300 000 Einwohnern eine Fehlbelegungsabgabe zu erheben, erscheint mir hingegen nicht als begrüßenswerter Anstoß.
({14})
Wir hoffen sehr, das das Wenige, das Sie von unseren Forderungen jetzt zu verwirklichen bereit waren, dem Baumarkt einen gewissen Auftrieb gibt.
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Wir befürchten jedoch, daß es kaum Aussicht gibt, ein weiteres Abknicken der Baukurve nach unten zu vermeiden.
Hauser ({16})
Wenn die öffentlichen Hände leer sind, dann kann ein Belebung der Baukonjunktur nur dadurch erfolgen, daß die immer noch vorhandene Bereitschaft vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Wohnen in der eigenen Wohnung anzustreben und auch mit materiellen Opfern zu bezahlen, nicht über Gebühr strapaziert wird und daß private Kapitalgeber wesentlich stärker als bisher daran interessiert werden, ihr Kapital in den Wohnungsbau zu stecken.
({17})
Dazu muß jedoch auch im Wohnungsbau die Soziale Marktwirtschaft das bestimmende Ordnungsprinzip sein.
({18})
Die Wohnungswirtschaft muß unter sozialer Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise schrittweise in die Soziale Marktwirtschaft eingebunden werden. Nur dies bietet Aussicht auf eine wirtschaftlich gesunde und zugleich sozial gerechte dauerhafte Abdeckung des insbesondere in den Ballungszentren wieder steigenden Wohnungsfehlbedarfs. Dazu aber, meine Damen und Herren, sind Sie offensichtlich nicht bereit.
Was für den Bereich des Wohnungsbaus gilt, das gilt ebenso für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Es fehlt an Ideen, Anstößen und Mitteln. Die Risiken künftiger Haushalte werden zugleich größer.
Schon in den vergangenen Jahren habe ich auf die Bedenklichkeit der Vorbelastung des Einzelplanes 25 mit zum Teil auf viele Jahre belegten Verpflichtungsermächtigungen im Gesamtvolumen von weit über 20 Milliarden DM verwiesen. Weit über 20 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen bei einem Etat, der einschließlich Personalkosten und allem Drum und Dran ca. 5 Milliarden DM beinhaltet!
({19})
Es darf nicht vergessen werden, daß die Wohnungen für diese künftig zu zahlenden Gelder ja schon gebaut und bezogen sind. Die Gelder müssen also ausgegeben werden, ohne daß eine einzige Neubauwohnung zusätzlich fertiggestellt wird.
({20})
Eine Übersicht der Verpflichtungsermächtigungen ist - wie in allen anderen Haushaltsplänen - auch dem Einzelplan 25 dankenswerterweise als Anlage angefügt. Bei der Durchsicht dieser Anlage 1982 fällt jedoch auf, daß sie unvollständig ist.
({21})
So sind die alten Verpflichtungsermächtigungen aus dem bis 1977 aufgelegten früheren Regionalprogramm - jetzt „Eigentumsprogramm" genannt - in Höhe von noch 12,3 Milliarden DM zwar auf Seite 38 des Haushaltsentwurfs unter den Erläuterungen, nicht aber - wie die ca. 5,6 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen neuer Art aus dem Eigentumsprogramm - auf Seite 89 des Haushaltsentwurfs in der Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen enthalten,
({22})
obwohl dies im vergangenen Jahr anders war. Freilich heißt das frühere Regionalprogramm heute „Eigentumsprogramm", und der Finanzminister spart dadurch die Druckkosten für den Abdruck der Verpflichtungsermächtigungen aus dem Regionalprogramm in der Übersicht. Der wahre Grund dürfte freilich sein: Der Haushalt liest sich so gefälliger;
({23})
er scheint weniger erschreckend vorbelastet zu sein. Die gleiche Schönheitskorrektur wurde bei einigen anderen Progammen im Einzelplan 25 ebenso vollzogen.
Bodenuntersuchungen und Vermessungen im Rahmen der Vorbereitung der Baumaßnahmen „Neubau Deutscher Bundestag" und „Neubau Bundesverkehrsministerium" waren im Entwurf des Haushaltes 1982 mit je 100 000 DM enthalten. Sie wurden bei den Beratungen des Haushaltsausschusses einvernehmlich gestrichen, nicht weil diese Maßnahmen überflüssig geworden wären, sondern weil die Möglichkeit und die Notwendigkeit ihrer Ausführung sich verzögern. Daß insbesondere die Bediensteten des Deutschen Bundestages, soweit sie noch in Notquartieren untergebracht sind, und die Bibliothek des Deutschen Bundestages baldmöglichst eine menschenwürdige und sachgerechte Bleibe erhalten müssen, ist wohl unstreitig.
({24})
Die Unterkommission des Ältestenrates des Hohen Hauses sollte ihre Arbeiten konsequent fortsetzen.
Die 20 Millionen DM, die im Haushaltsentwurf 1982 als erste Rate für den Ausbau des Petersberges zum Gästehaus des Bundes enthalten waren, wurden ebenfalls einvernehmlich gestrichen. Der Haushaltsausschuß war einstimmig der Meinung, daß angesichts des bisherigen Fehlens von Plänen für den Ausbau des Petersberges, die seine Zustimmung gefunden hätten, angesichts insbesondere aber der leeren Bundeskassen im Jahre 1982 mit dem Ausbau nicht begonnen werden kann. Hier rächt sich die Leichtfertigkeit, mit der die Bundesregierung entgegen den Beschlüssen des Haushaltsausschusses und damit des Parlaments und entgegen ihren ursprünglichen Vorstellungen und Zusicherungen vor Jahren Pläne entwerfen ließ, die die von ihr selbst in Aussicht gestellten Kosten exorbitant überschritten. Der deutsche Steuerzahler darf jetzt diese zur Makulatur gewordenen Pläne bezahlen.
({25})
Bei den Leistungen des Bundes an die Stadt Bonn im Hinblick auf ihre Aufgaben als Bundeshauptstadt nach der Vereinbarung vom 18. März 1980 wurde der Zuschuß zu den laufenden Aufwendungen von veranschlagten 61 Millionen DM um 4 Millionen DM auf 57 Millionen DM gekürzt. Die für Investitionen bestimmten Ansätze blieben erhalten. Zweifellos muß auch die Bundeshauptstadt - wie
Hauser ({26})
alle übrigen Vertragspartner des Bundes - ihre Aufwendungen nicht nur den vertraglichen Zusicherungen des Bundes, sondern auch den gewachsenen finanziellen Nöten anpassen. Wir gehen dabei davon aus, daß der vor weniger als zwei Jahren für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossene Vertrag von allen Beteiligten korrekt erfüllt wird - einschließlich der Finanzhilfen des Bundes. Der Ausbau der Bundeshauptstadt wird sich so zwar langsamer, aber konstant weiter vollziehen.
Ich fasse zusammen und freue mich, daß ich meine Redezeit einhalte: Der Einzelplan 25 ist leider auch im Haushaltsjahr 1982 nicht geeignet, die Probleme der Raumordnung, des Bauwesens und des Städtebaus besser oder schneller zu lösen als seine Vorgänger. Er wird daher von der CDU/CSU-Opposition abgelehnt.
({27})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe wie mein Kollege Paterna vorhin davon aus, daß auf der Regierungsbank alles in Ordnung ist.
({0})
Anders ist es ja wohl nicht zu erklären, daß manche Kollegen von der Opposition hinter diesem Rednerpult nicht wiederzuerkennen sind, wenn sie hier sprechen. Erlauben Sie mir aber, meinem Kollegen Hauser ein Kompliment zu machen. Seine Rede hat sich wohltuend von einigen Diskussionsbeiträgen am heutigen Tage abgehoben, was die Sachlichkeit seines Vortrages anbetraf.
({1})
Herr Kollege Hauser, Ihr Steckenpferd, bezogen auf den Verpflichtungsrahmen oder die Verpflichtungsermächtigungen für den Einzelplan 25, ist mir sehr wohl bekannt. Ich habe Ihre Rede aus dem vergangenen Jahr nachgelesen und die gleiche Kritik gefunden. Der Herr Bundesminister hat Ihnen bereits im vergangenen Jahr eine klärende Antwort gegeben. Ich kann darauf verzichten, sie zu wiederholen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach all dem, was im Laufe dieser Haushaltsdebatte über die Notwendigkeit investiver Ausgaben zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung gesagt worden ist, gibt es sicher keinen Zweifel an der Bedeutung, die die Wohnungsbaupolitik auch zukünftig für die Wohnraumversorgung unserer Bevölkerung im allgemeinen und für die Beschäftigung im besonderen haben wird. Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß hierbei dem Bund und den Ländern eine besondere Pflicht zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen zukommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Herr Kollege Glos, bitte.
Verehrter Herr Kollege, können Sie, nachdem Sie von der Verantwortung auch der Länder hier gesprochen haben, dem Hohen Hause darlegen, welche Bundesländer das, was der Bund als Rahmengesetz beschlossen hat, bereits in die Tat umgesetzt haben, und können Sie insbesondere bestätigen, daß das von der SPD allein regierte Land Nordrhein-Westfalen bisher noch keinerlei Anstalten unternommen hat, die Beschlüsse in die Tat umzusetzen?
({0})
Herr Kollege Glos, ich werde im Laufe meiner Ausführungen darauf zurückkommen. Ich bitte, etwas Geduld zu haben. Ich hatte ohnehin vor, auf die besondere Verantwortung der Länder einzugehen.
Mit großer Sorge, meine Damen und Herren, haben wir registriert, daß unter den Arbeitslosen heute 140 000 Bauarbeiter sind. Es ist leider nicht auszuschließen, daß saisonale, möglicherweise sogar konjunkturelle Einflüsse noch weitere Bauarbeiter arbeitslos werden lassen. Unter diesen nicht sehr günstigen Vorzeichen gewinnt die Ausgestaltung des Einzelplans 25 des Wohnungsbauministers für die Baukonjunktur im Jahre 1982 eine besondere Bedeutung.
({0})
Es gibt zwar eine Reihe von Hinweisen dafür, daß verbesserte Rahmenbedingungen im Wohnungsbau die Nachfrage wieder stützen können, jedoch wird erst eine deutliche Senkung des hohen Zinsniveaus den Durchbruch in der Investitionstätigkeit der Unternehmen bewirken können.
Wertet man den Einzelplan 25 unter konjunkturellen Gesichtspunkten, dann kommt man zu dem Schluß: Er paßt sehr wohl in die konjunkturelle Landschaft.
({1})
Allerdings vermag dieser Einzelplan allein die Beschäftigungsprobleme nicht zu lösen. Wir sind der Meinung, daß die Frage, wie man mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose erreichen kann, dann von Bundesregierung und Parlament beantwortet werden muß, wenn der Jahreswirtschaftsbericht diesem Hohen Hause vorliegt.
Wir haben aus all den Gründen begrüßt, daß die Bundesregierung mit dem wohnungsbaupolitischen Maßnahmenbündel im 2. Haushaltsstrukturgesetz und der Strukturänderung im Einzelplan 25 zugunsten investiver Ausgaben die Weichen auch in der Wohnungsbaupolitik richtig gestellt hat. Selbst der verehrte Herr Oppositionsführer, Dr. Kohl, hat in seiner gestrigen Rede diese Tatsache bestätigt.
Der Einzelplan des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau schließt in 1982 mit einem Volumen von 5,28 Milliarden DM ab. Wer diesen Haushalt analysiert, meine Damen und Herren, weiß, daß die Entwicklung im Wohnungsbau-und Städtebaubereich zum großen Teil von jenen Rahmenbedingungen mitbestimmt wird, die sich haushaltsmäßig nicht niederschlagen. Dazu gehört der große Komplex der steuerlichen Gesetzgebung, der sowohl in den Bereich des Wohnungseigentums als auch in den Bereich des Mietwohnungsbaus hineinreicht. Man kommt also zu einer richtigen Bewertung, wenn man die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen in diese Betrachtungen einbezieht.
({2})
Wenn im Bundeshaushalt 1982 der Verpflichtungsrahmen für das Eigentumsprogramm um 180 Millionen DM gegenüber 1981 zurückgefahren wird, so ist diese Entwicklung nur in engem Zusammenhang mit den Entscheidungen zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen im Einfamilienhausbereich zu sehen. Die Kürzungen auf der Seite der direkten Förderungen werden zu einem großen Teil durch die Verbesserung der indirekten Förderung kompensiert.
Im Bereich der Eigentumsförderung ist aus der Sicht meiner Fraktion ein wesentlicher steuersystematischer Fortschritt erzielt worden. Bauherren von Einfamilienhäusern können ab 1982 vom zweiten Kind an jährlich 600 DM von ihrer Steuerschuld abziehen. Dies ist, meine Damen und Herren, ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit und gleichzeitig ein Schritt zu einer familienorientierten Wohnungsbauförderung.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt, daß der Verpflichtungsrahmen für den Bau von Sozialwohnungen im Jahre 1982 gegenüber 1981 unverändert auf dem Niveau von 590 Millionen DM bleibt. Angesichts der großen Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt für einkommenschwächere Familien, insbesondere in Großstadtregionen, halten wir es für erforderlich, daß das Sozialprogramm auch in Zukunft ungekürzt weitergefahren wird. Dabei wissen wir natürlich sehr wohl, meine Damen und Herren, daß mit diesen Mitteln allein die in den letzten Jahren aufgetretenen Wohnungsmarktprobleme nicht gelöst werden.
Im Einzelplan 25 ist für die Fortführung des Heizenergiesparprogramms ein Verpflichtungsrahmen von 150 Millionen DM vorgesehen. Obgleich dieser Mittelansatz gegenüber 1981 um 90 Millionen DM geringer ausgefallen ist, kann man diese Entscheidung dann vertreten, wenn die bisherige Energiesparförderung wirksamer gestaltet wird. Der Bundesminister hat bereits im letzten Jahr in einem Erfahrungsbericht über die Heizenergiesparförderung deutlich gemacht, daß der Förderkatalog einer deutlichen Revision unterzogen werden muß. Wir unterstützen diese Bemühungen um eine effizientere Ausgestaltung des Förderkatalogs und erwarten, daß über die notwendigen Änderungen des Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetzes möglichst bald konkret beraten werden kann.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zur Energieeinsparungsförderung noch einige Sätze anfügen. Es ist eine unabdingbare gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit, daß wir mit Heizenergie sparsam umgehen müssen. Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn Investitionen in diesem Bereich gefördert werden, möglicherweise sogar mehr als bisher. Hier gibt es auf der einen Seite die steuerliche, indirekte, auf der anderen Seite die direkte Förderung. Es ist ja kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß die Entlastungswirkungen bei der steuerlichen Förderung im Bereich der höheren Einkommen wegen der Progressionswirkung relativ hoch sein können. Weil dies so ist, ist es folgerichtig, die Heizenergiesparförderung für diejenigen Haushalte, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, durch Programmförderung zu ergänzen. Programme sind nach unserer Meinung deshalb unabdingbar, um das System der Heizenergiesparförderung ausgewogen und sozial gerechter gestalten zu können.
Vor dem Hintergrund der gestiegenen Heizkosten ist es von besonderer Bedeutung, die Wohnkosten für Mieter insgesamt auf einem erträglichen Niveau zu halten. Dies wird umso wichtiger sein, je stärker die Preise für Heizöl, für Gas oder andere Energien steigen. Wir begrüßen deshalb, daß auch für 1982 Wohngeldleistungen von 1,2 Milliarden DM bereitgestellt werden. Natürlich ist die Entwicklung des Wohngeldes, da es sich dabei um Zahlungen nach einem Leistungsgesetz handelt, von der Entwicklung der Wohnkosten insgesamt abhängig. Wir werden daher sehr sorgfältig analysieren müssen, in welchem Umfang die zur Zeit noch diskutierten mietrechtlichen Veränderungen zu zusätzlichen Wohngeldzahlungen führen können. Dies gilt für die Auswirkungen der Veränderungen des Vergleichsmietensystems einerseits, aber auch für die Auswirkungen der erweiterten Zinsanhebungsspielräume im sozialen Wohnungsbau, wie sie im Zuge der Fehlbelegungsgesetzgebung beschlossen worden sind.
({3})
Im übrigen ist die Bewertung des Bundeshaushalts 1982 im Bereich des Wohnungs- und Städtebaus ebenfalls in engem Zusammenhang mit den Beschlüssen zur Lösung der Fehlsubventionierungsprobleme zu sehen. Wenn das Sozialprogramm des Bundes 1982 mit einem Verpflichtungsrahmen von 590 Millionen DM gefahren wird, so muß dies unter Berücksichtigung der Möglichkeiten bewertet werden, die den Ländern durch die Fehlbelegungsgesetzgebung eröffnet worden sind. Hier, verehrter Herr Kollege Glos, will ich natürlich auch lobend erwähnen, daß beispielsweise das Land Baden-Württemberg zur Zeit durch die Zinseinnahmen und Darlehensrückflüsse in die Lage versetzt wird, ein Programm aufzulegen, das im Grunde das unterstreicht, was auch in den Beratungen dieser Gesetzentwürfe immer wieder im Vordergrund stand, nämlich die
Verbesserung der Wohnungsbausituation. Ich glaube, das ist allgemein zu begrüßen.
({4})
Meine Damen und Herren, mit der Möglichkeit der Erhebung einer Fehlbelegungsabgabe und einer maßvollen und sozial orientierten Anhebung der Zinsen können aus dem Bereich des Wohnungsbestandes erhebliche Mittel aktiviert werden - das hat sich zwischenzeitlich gezeigt -, die wiederum - zweckgebunden - für den öffentlich geförderten Wohnungsbau eingesetzt werden können.
({5})
Die Pflicht aller Länder ist es nun, die Chancen voll zu nutzen. - Meine Damen und Herren, wir könnten gern noch darüber reden, wer so dagegen war. - Innerhalb der nächsten drei Jahre könnten so drei bis vier Milliarden DM aufgebracht und damit rund 30 000 Wohnungen zusätzlich gebaut werden. Für 60 000 Bauarbeiter würde dies außerdem Beschäftigung und Lohn statt Stempelgeld bedeuten.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich auf die besondere Verantwortung der Länder hinweisen und an sie appellieren, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Ziel, das hier gesteckt worden ist, auch erreichen zu können.
({6})
Die jetzt bereits bekannten Zahlen über die Kapitalrückflüsse nach der Ablösungsverordnung bzw. der Initiative der Bundesregierung bestätigen das von mir Gesagte. Ich darf - auch um Sie zu beruhigen, Herr Glos - natürlich sagen, daß das für alle Bundesländer gilt. Wir haben das j a auch so gewollt.
({7})
Deswegen habe ich meinen Appell an die Verantwortung aller Bundesländer gerichtet.
Der Entwurf des Einzelplans 25, meine Damen und Herren,
({8})
sieht vor, daß das Bundesprogramm Städtebauförderung wie im Vorjahr mit 20 Millionen DM Verpflichtungsrahmen bedient wird. Angesichts der vielfältigen Diskussion über die Frage der Mischfinanzierung im Bereich des Wohnungs- und Städtebaus ist dies ein erfreuliches Ergebnis.
Wer aufmerksam durch unsere Städte und Gemeinden geht, wird feststellen, in welchem Umfang die Städtebauförderung in den vergangenen Jahren dazu beigetragen hat, die Lebensbedingungen unserer Städte zu verbessern. Ich komme aus einer solchen Stadt, deren äußeres Erscheinungsbild und deren wohnungsbaupolitische Entwicklung durch die Städtebauförderung maßgeblich beeinflußt und geprägt worden ist. Ich kann eigentlich nur allen Interessierten empfehlen, sich einmal diese Stadt anzusehen.
({9})
- Das ist die Stadt Amberg.
Ich will dabei keineswegs verschweigen, daß in der Anlaufphase Fehler gemacht worden sind. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß die Städte und Gemeinden gelernt haben, mit diesem Instrumentarium umzugehen und daß die behutsame Städtebauförderung und Stadtentwicklung die Regel geworden ist.
Meine Damen und Herren, ich sehe, die Zeit ist vorbei. Ich möchte zum Schluß kommen.
Meine Damen und Herren, die Kürzung bei den Zuwendungsempfängern war nach der bei der letzten Haushaltsdebatte von meiner Vorgängerin bereits angekündigten Überprüfung unumgänglich. Die Bundesfinanzhilfe an die Stadt Bonn und die Gemeinden im Raum Bonn konnte dabei auch unter dem Gesichtspunkt des Haushaltsvorbehalts nicht ausgeschlossen bleiben. Wir gehen allerdings davon aus, daß die genannten Gebietskörperschaften angesichts der allgemeinen finanzwirtschaftlichen Probleme ebenfalls äußerste Sparsamkeit walten lassen.
In 1982 wurde dieser Haushalt im personellen Bereich besonders stark eingeschränkt. Es wurden insgesamt 3 % kw-Vermerke angebracht. Wir wissen sehr wohl, daß insgesamt die Aufgaben, die es zu erfüllen gilt, nicht geringer werden. Die Maßnahmen im Personalbereich bedeuten jedoch nicht, daß wir dem Wohnungs- und Städtebau geringere Bedeutung für die Zukunft zumessen.
Zuletzt sei noch einmal ein Wort des Dankes an die politische Führung dieses Hauses und seine Mitarbeiter gerichtet, die durch ihren Einsatz und ihr Wirken viel für die Bürger in unserem Land geleistet haben.
({10})
- Nein, das meine nicht bloß ich, das meinen andere auch. Reden Sie mal mit den Menschen draußen!
({11})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Einzelplan 25 zu. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Noth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte und der daraus resultierenden geringen finanziellen Manövriermasse auch des Bauministeriums ist es gelungen, eine Fortschreibung der vorangegangenen Haushaltspläne zu erreichen, die in einigen Einzelpunkten dieses Haushalts eine bessere finanzielle Ausstattung gegenüber früFrau Noth
heren Haushaltsplänen enthält. Dieser geringe finanzielle Spielraum angesichts der derzeitigen Wirtschafts- und Haushaltslage ist aus der Sicht der FDP allerdings nicht als Mangel zu betrachten, da die gegebene Situation alle an der wohnungsbaupolitischen Entwicklung Beteiligten und Interessierten dazu zwingt, in der Wohnungspolitik umzudenken.
Tatsächlich ist die Lage am Wohnungsmarkt keineswegs so katastrophal, wie es einige daran Interessierte immer wieder darzustellen versuchen.
({0})
Der überwiegende Teil unserer Bevölkerung verfügt heute über weit mehr und besser ausgestatteten Wohnraum als früher,
({1})
obwohl dies die einkommensschwachen Wohnungsuchenden in München gewiß wenig tröstet. Ich verhehle also nicht, daß der stark verallgemeinernde Begriff „Wohnungsmarkt" nach regionalen und auch bevölkerungsgruppenspezifischen Aspekten sehr differenziert betrachtet werden muß und daß wir hier aufgerufen sind, durch die Schaffung neuer und freierer Rahmenbedingungen das Auftreten von Fehlentwicklungen bzw. von Friktionen zu verhindern.
Dies ist eine Position, die die FDP seit langem vertritt. Die Regierungserklärung vom 24. November 1980 hat diese Gedankengänge aufgegriffen. Danach sollen zur Belebung des Wohnungsbaus die Rahmenbedingungen für den freifinanzierten Wohnungsbau verbessert und den marktwirtschaftlichen Kräften mehr Spielraum eingeräumt werden.
({2})
Die aktive Förderpolitik sollte sich weitgehend auf vorhandene Engpässe konzentrieren, die vor allem in Ballungsgebieten für Alleinstehende, kinderreiche Familien, ausländische Arbeitnehmer, Behinderte und einige andere Bevölkerungsgruppen existieren;
({3})
denn eine Beschränkung auf das rahmengebende gesetzgeberische Mindestmaß kann in der Marktwirtschaft - und der Wohnungsmarkt ist, auch in Anbetracht seiner derzeitigen Zweiteilung, Bestandteil unseres marktwirtschaftlichen Systems - bei weitem mehr erreichen als eine zu weitgehende bürokratische Einengung von privaten Initiativen und Handlungsspielräumen.
Mit Genugtung können wir feststellen, daß dieser Denkprozeß über die Rolle des Staates in der Wohnungsbaupolitik bei den Beschlüssen der Bundesregierung am 27. Mai vorigen Jahres und im Rahmen der Operation 82 einen deutlichen Niederschlag gefunden hat.
({4})
Ich erwähne hier beispielhaft die Vereinfachung des Mieterhöhungsverfahrens, die verbindliche Einführung von Mietspiegeln, die Zulassung von Staffelmieten und die Einführung von Zeitmietverträgen.
Wir sehen in dem Instrument der Staffelmieten eine geeignete Maßnahme zur Schaffung dauerhafter Rahmenbedingungen, die es den Bauwilligen erlauben, ihre Investitionen und deren Bewirtschaftung langfristig und kontinuierlich zu planen.
({5})
Auch die Einführung von Zeitmietverträgen gibt Wohnungseigentümern ein Stück Dispositionsfreiheit zurück und ist geeignet, längere Leerstandszeiten zu verhindern.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten unterstützen die Überlegungen des Justizministers in bezug auf die Zulassung von Zeitmietverträgen, weil sie geeignet sind, auch den durch widerrechtliche Hausbesetzungen zutage tretenden sozialen und rechtlichen Fehlentwicklungen gegenzusteuern. Darüber hinaus denke ich hier z. B. an die Nutzung von zum Abbruch bestimmten Häusern, an Sanierungsgebiete und an Situationen, in denen bei Eigenheimen und Eigentumswohnungen für den Endzeitpunkt des Zeitmietvertrages der Selbstbezug vorgesehen ist.
({6})
Dies könnte bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie z. B. Studenten, erhebliche Erleichterungen bei der Wohnraumbeschaffung bringen.
Wir Freien Demokraten sehen in Zeitmietverträgen keine Aufweichung des auch von uns voll anerkannten Mieterschutzrechts. Ich hoffe, daß diese Überlegungen über Zeitmietverträge auch die Unterstützung der SPD-Fraktion finden werden.
({7})
In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, daß unser Hauptaugenmerk in Zukunft darauf gerichtet sein muß, das Angebot von Bauland zu vergrößern und die Bodenpreisentwicklung dadurch zu stabilisieren. Die Mehrzahl unserer Gemeinden sollte ihre Baulandausweisungspolitik kritisch überprüfen.
({8})
Die hier skizzierten Handlungsmöglichkeiten und auch das Mietrechtsänderungsgesetz 1981, das eine Stärkung der Vertragsfreiheit darstellt, bezeichnen für uns erste Schritte auf dem richtigen Wege.
In Würdigung der Tatsache, daß Wohnraum zu allen Zeiten ein Grundbedürfnis des Menschen war und ist, von dem integrative und kommunikative Impulse in die Gesellschaft ausgehen, und in Anbetracht der Tatsache, daß die Schaffung und Bewirtschaftung eben dieses Wohnraumes in ausreichendem Maße ein langfristiges, vorausschauendes Planen verlangt, müssen wir weiter an den günstigsten
Rahmenbedingungen zur Erreichung dieses Zieles arbeiten.
({9})
Aus der Sicht meiner Fraktion sind die günstigsten Rahmenbedingungen diejenigen, die so viel freiheitlich-marktwirtschaftlichen Spielraum und so wenig staatliche Einschränkung wie möglich beinhalten.
({10})
Mit Ausnahme der bereits erwähnten Einschränkung in bezug auf regionale und zielgruppenspezifische Probleme sollte der gesetzliche Rahmen so ausgestaltet werden, daß eine kontinuierliche Wachstums- und potentialorientierte Entwicklung des freien Wohnungsbaumarktes ermöglicht und eigenverantwortliche Erstellung und Bewirtschaftung von Wohnraum gefördert wird, ohne - hierauf liegt die Betonung - den Schutz des Mieters oder die Schutzbedürftigkeit spezieller Bevölkerungsgruppen zu vernachlässigen.
Dieses Postulat führt zu der gewünschten Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in den sozialen Wohnungsbau, die zu einer besseren Wohnraumversorgung unserer Bevölkerung führt und im Vorfeld eine bessere und kontinuierlichere Kapazitätsauslastung unserer Bauwirtschaft ermöglichen wird.
({11})
Allerdings ist es für einen marktwirtschaftlich ausgerichteten Wohnungsmarkt zuviel verlangt, daß er für alle Zielgruppen entsprechenden Wohnraum vorhält. Für die Problemgruppen wird es weiterhin erforderlich sein, daß der Staat den notwendigen Wohnraum erstellt. Für alle breiten Schichten der Bevölkerung muß jedoch gelten, daß jeder für den marktgerechten Mietzins aufzukommen hat. In den Fällen, in denen dies nicht möglich ist, muß der Staat mit Hilfe des Wohngeldes Unterstützung leisten. Die Freien Demokraten sehen im Wohngeld das Instrument der Zukunft, da es eine subjektbezogene, also differenzierte Förderung ermöglicht.
({12})
Dem steht nicht entgegen, daß wir in der Operation 1982 in diesem Bereich Kürzungen vorgenommen haben,
({13})
denn diese Maßnahmen haben keine substanzverändernde Wirkung, weil nur zu großzügige Regelungen beschnitten wurden. Der Haushalt 1982 weist beim Wohngeld gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 12 % auf über 1,2 Milliarden DM aus.
Wenn man davon ausgeht - ich habe das am Anfang meiner Rede getan -, daß es keinen homogenen Wohnungsmarkt gibt, sondern daß es sich um regionale Teilmärkte handelt, die also auch regional unterschiedliche Probleme aufweisen, dann müssen wir auch den Schritt tun und im Bereich des Wohnungsbaues die Kompetenzen regional verlagern, d. h. mittelfristig in die allgemeine Zuständigkeit der Länder legen, die ihrerseits mehr Kompetenzen an Städte und Gemeinden abgeben sollten. Dies würde eine Hintereinanderlagerung sich überschneidender Bürokratien vermeiden.
In der Regierungserklärung vom November 1980 ist angekündigt worden, erste Schritte in dieser Legislaturperiode einzuleiten. Ein beispielhafter Einstieg hierzu ist mit dem Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen vollzogen worden.
({14})
Durch dieses Gesetz wird der Rahmen abgesteckt. Zum Handeln sind jedoch die Länder aufgerufen. Nach einer kürzlich durchgeführten Umfrage werden die einzelnen Länder in recht unterschiedlichem Umfang von dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium Gebrauch machen. Dies ist wegen der schon angesprochenen Unterschiedlichkeit der regionalen Teilmärkte auch nicht verwunderlich. Daher ist es nur logisch, den Ländern die Kompetenzen zu übertragen, da nur sie in Zusammenarbeit mit den Gemeinden genau wissen, in welchem Umfang Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Auf dem Wege der Regionalisierung der Wohnungsbaupolitik ließe sich am ehesten eine Harmonisierung von Kostenmiete und Vergleichsmiete erreichen, wie sie gesellschaftspolitisch wünschenswert und ökonomisch erforderlich ist. Ich erinnere hier nur an die Berichte über die so unterschiedliche Situation etwa in Peine und München, wie dies im Planspiel im Oktober 1981 deutlich wurde.
Bei allen diesen Überlegungen hat für die FDP die Schaffung von selbstgenutztem Wohnungseigentum nicht nur aus gesellschaftspolitischer Sicht vorrangige Bedeutung. Gerade der Eigenheimbau war in den letzten Jahren das Rückgrat der Bautätigkeit, mit einem stabilisierenden Einfluß auf die Beschäftigungslage in der Bauwirtschaft.
({15})
Wir begrüßen daher die im Zuge der Operation 82 in diesem Bereich beschlossenen Verbesserungen, wie die Aufstockung im Bereich des § 7 b Einkommensteuergesetz und die Anhebung der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten. Gerade im Einfamilienhausbau war im vergangenen Jahr ein dramatischer Rückgang zu verzeichnen. So wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 1981 rund 24 % weniger Einfamilienhäuser zum Bau genehmigt als im gleichen Vorjahreszeitraum. Die weiteren steuerlichen Verbesserungen, die erst seit ein paar Wochen in Kraft sind, sollten jetzt nicht zerredet werden. Erst einmal müssen die Früchte dieser Investitionserleichterung geerntet werden.
Trotzdem darf es nicht den Blick darauf verstellen, daß Zinssenkungen der allerbeste Anreiz für eine wieder steigende Bautätigkeit sind. Deshalb tritt die FDP mit allem Nachdruck für ein Einhalten
der Nettokreditaufnahme von 26,8 Milliarden DM ein;
({16})
denn durch ständig neue Forderungen an die öffentlichen Haushalte würden die zur Zeit günstigen Zinstendenzen nur wieder hochgeredet werden.
In diesem Zusammenhang appelliere ich eindringlich an die Länder, daß die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung bisher in beachtlichem Umfang zurückgeflossenen Mittel aus der Rückzahlung zinsgünstiger Darlehen im sozialen Wohnungsbau umgehend wieder in diesem Bereich investiert werden.
Meine Damen und Herren, ich habe etwas schnell gesprochen und habe sehr viel abgelesen, um Zeit einzusparen.
({17})
Ich hoffe, Sie sind damit insofern einverstanden, als ich nunmehr auch zum Ende komme.
Meine Damen und Herren, der hier zu debattierende Haushalt Einzelplan 25 und auch die sich nicht in diesem Einzelplan niederschlagenden Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaues sind nach Meinung der Freien Demokraten eine gute Grundlage für die gesamte Wohnungsbaupolitik und unterstützen unsere Bemühungen um eine kontinuierliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die FDP-Fraktion stimmt daher dem Einzelplan 25 zu.
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25, Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Wer dem Einzelplan 25 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 25 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache 9/1198 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Gärtner
Schröder ({0})
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklungshilfe und die Entwicklungspolitik sind offensichtlich im wahrsten und doppelten Sinne des Wortes an das Ende gebracht worden.
({0})
Dieser Haushalt des Einzelplans 23 ist - ich muß das mit einem Anflug von Resignation sagen, Herr Minister - ein Haushalt der Phantasielosigkeit mit sinkender Bedeutung.
({1})
Sie haben - wenn ich mich richtig erinnere - noch in Ihren entwicklungspolitischen Grundlinien vom Juli 1980 das Ziel einer doppelten Steigerungsrate gegenüber den Zuwachsraten des Gesamthaushaltes und die Verwirklichung des Zieles von Entwicklungshilfeleistungen in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland verkündet.
({2})
Aber schon im Etatentwurf im September des vergangenen Jahres hatten wir nur noch eine Steigerungsrate von 4,5 % im Vergleich zu einer Steigerungsrate des Gesamthaushaltes von 4,2 %. Und nun, am Ende der Etatberatung, weist der Entwicklungshaushalt eine Steigerungsrate von 3,3 % im Vergleich zu einer 4 %igen Steigerungsrate des Gesamthaushaltes auf.
Das heißt: wir haben nicht nur nicht die doppelte Zuwachsrate erreicht, sondern wir haben nicht einmal einen überproportionalen Zuwachs erreicht, nicht einmal den Gleichschritt halten können. Vielmehr liegen wir unter der durchschnittlichen Zuwachsrate des Entwicklungshaushaltes. Ich fürchte - Herr Kollege Binder, ich sage das ohne jede Häme -, daß wir damit endgültig Abschied genommen haben von dem verkündeten Ziel einer doppelten Steigerungsrate und auch von der Verwirklichung des Zieles, 0,7 % des Bruttosozialproduktes als Entwicklungshilfe zu leisten. Das ist wirklich höchstgradig zu bedauern.
({3})
Wenn wir die Gesamtbilanz ziehen, müssen wir im Grunde genommen auch noch berücksichtigen, daß das Entwicklungsländersteuergesetz mit einem Leistungsanfall von etwa 300 Millionen DM weggefallen ist,
({4})
so daß die Gesamtbilanz dadurch noch schlechter aussieht.
Wir beklagen die Diskrepanz zwischen verkündeten Zielen und dem, was jetzt haushaltspolitisch gemacht werden kann, zutiefst. Da hilft es uns auch nicht weiter, wenn bei dem Minister davon die Rede ist, daß die Opposition dem nichts entgegenzusetzen habe. Bei ihm heißt es z. B., daß auf der einen Seite angeblich die Forderung nach mehr Entwicklungshilfe gestellt worden sei, auf der anderen Seite wir aber dazu beigetragen hätten, daß die Kürzungen im
Schröder ({5})
Haushaltsausschuß zustande gekommen seien. Ja, Herr Glos und ich hätten sogar angeblich eine Reduzierung der Entwicklungshilfe gefordert. Das alles ist Unsinn, Herr Minister. Niemand hat mehr gefordert, und niemand hat weniger gefordert. Unsere Kritik richtet sich vielmehr dagegen, daß Sie auf der einen Seite nach wie vor fortfahren, hehre Ziele zu verkünden, auf der anderen Seite jedoch genau wissen, daß Sie diese Ziele angesichts der haushaltspolitischen Wirklichkeit nicht umsetzen können.
({6})
Das ist der Kernpunkt unserer Kritik nicht nur am Haushalt 1982, sondern auch an der vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung, soweit sie die Entwicklungshilfe betrifft.
Damit komme ich zu einem zweiten, haushaltspolitisch außerordentlich wichtigen Punkt. Wir alle wissen, daß die Entwicklungshilfe nicht nur, Herr Minister - und Herr Vohrer, wenn ich vielleicht um Aufmerksamkeit bitten darf -, mit den Baransätzen betrieben wird, sondern auch mit den Verpflichtungsermächtigungen. Diese Verpflichtungsermächtigungen sind insbesondere für uns Haushaltspolitiker ein großes Problem.
Der vorliegende Einzelplan 23 weist zum Ende des vergangenen Jahres offene Zusagen der Bundesregierung in Höhe von 26,8 Milliarden DM bei einem Baransatz von etwa 6 Milliarden DM aus. Das bedeutet, daß damit der gesamte entwicklungspolitische Etat einschließlich seiner Personalkosten bereits im Vorwege für die nächsten vier bis fünf Jahre verpfändet worden ist. Schon vor zwei Jahren - ich habe das bereits einmal bei der Etatdebatte über den Haushalt 1981 angesprochen - hat das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in einem Grundsatzgutachten für die Bundesregierung aufgezeigt, daß Zusagen dieser Art ohne vorherige Prüfung der Entwicklungsprojekte eigentlich nicht zu verantworten sind. Allein diese Umstellung, die das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik vorschlägt, würde den Berg der offenen Verpflichtungsermächtigungen um mindestens 5 Milliarden DM abbauen.
Lassen Sie es mich ganz offen sagen - das ist an die Kollegen Entwicklungspolitiker gerichtet -: Internationale Zusagen, die Zahlungsverpflichtungen über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinaus, also über vier Jahre hinaus, festlegen, sind meiner Auffassung nach ohnehin fragwürdig. Der Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung sollte in der Regel nicht überschritten werden.
Stattdessen setzt die Bundesregierung verbindliche Zahlungsverpflichtungen in Milliardenhöhe für 10, 12 oder noch mehr Jahre in die Welt.
({7})
Daß zumindest das Bundesfinanzministerium dieses Problem und damit das Problem der Verpflichtungsermächtigungen offensichtlich erkannt hat, zeigt mir die Tatsache, daß bei der Verpflichtungsermächtigung für die bilaterale Kapitalhilfe im jetzigen Haushalt gegenüber dem Vorjahreshaushalt eine Ansatzreduzierung von 200 Millionen DM vorgenommen wurde und daß wir gemeinsam im Haushaltsausschuß bei den Sofortmaßnahmen der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit eine Reduzierung der Verpflichtungsermächtigung um 60 Millionen DM vorgenommen haben.
Die Bundesregierung hat also durch ihre großen Ankündigungen und Versprechungen bezüglich der Steigerungsrate der Entwicklungshilfe die Bevölkerung und insbesondere die für die Dritte Welt engagierten Kreise und die Entwicklungsländer selber getäuscht und enttäuscht.
({8})
Aber, meine Damen und Herren, viel schlimmer scheint mir zu sein, daß diese Planung und diese Steigerungsrate zur Grundlage für die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen gemacht wurden. Damit blieben die utopischen Planungen nicht nur Planung, sondern sie wurden in völkerrechtlich verbindliche Zusagen geformt, die wir jetzt als ungedeckte Wechsel präsentiert bekommen.
Wenn die Zusagen auf einer 10 %igen Steigerung aufbauen und jetzt nur maximal 3,3 % zur Verfügung stehen, muß es zwangsläufig Zahlungsprobleme geben. Diese haben sich, wie zumindest die Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, in der Zwischenzeit auch eingestellt.
Bei der finanziellen Zusammenarbeit und bei der Kapitalhilfe hat die Bundesregierung bereits 1981 mit allen denkbaren Verwaltungstricks einen Berg von mehreren 100 Millionen DM auf 1982 und später geschoben, wodurch die Zahlungsprobleme in diesem Jahr und in den Folgejahren nur noch verschärft werden.
Zu den Verpflichtungen gegenüber den internationalen Institutionen wie der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken hat mein Freund und Kollege Esters bei den Berichterstatterberatungen zu Recht festgestellt, daß uns die Schuldscheine und Zusagen in Höhe von über 9 Milliarden DM in nicht mehr kontrollierbaren Abrufterminen präsentiert werden können und daher die Gefahr erheblicher Haushaltsüberschreitungen auch von dieser Seite her sehr wohl besteht.
({9})
Doch anstatt wenigstens die Lehren aus diesen Entwicklungen zu ziehen, legte die Bundesregierung erneut einen Haushalt vor, der weitere neue Zusagen für die kommenden Jahre in Höhe von 6,2 Milliarden DM beinhaltet.
Herr Minister Offergeld meinte, dieses wie folgt rechtfertigen zu können - ich darf ihn wörtlich zitieren -:
Ich hoffe, daß der Einbruch bei den Steigerungsraten des Einzelplans 23 sich in den nächsten Jahren nicht fortsetzen wird.
- Das hoffe ich auch; insoweit stimmen wir überein. Die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen - jetzt kommt es Schröder ({10})
gibt mir begründeten Anlaß zu dieser Hoffnung. Im Haushaltsjahr 1982 steigen die Verpflichtungsermächtigungen in meinem Haushalt gegenüber dem Vorjahr um etwa 425 Millionen DM. Das sind 7,3 %.
Herr Minister, in Wirklichkeit ist es doch genau umgekehrt. Die Verpflichtungsermächtigungen müssen sich nach den zu erwartenden Baransätzen der nächsten vor uns liegenden Haushaltsjahre richten.
({11})
Wir können doch jetzt nicht sozusagen in beliebiger Höhe Verpflichtungsermächtigungen eingehen in dem Gottvertrauen darauf, daß der Bundesfinanzminister in den folgenden Jahren die Baransätze des Einzelplans 23 dann schon so festlegen möge.
({12})
Ich hoffe, daß Sie aus den Erfahrungen, die in diesem Jahr auf uns zukommen werden, wenigstens für den Haushalt 83 einiges lernen werden und an Konsequenzen ziehen.
Eine dritte Bemerkung lassen Sie mich noch hinzufügen. Dieser Haushalt ist nicht nur von seiner rein finanziellen Seite, von den Zahlen her, ein Problem. Ich darf mir die Bemerkung im Vorgriff auf das, was unsere Entwicklungspolitiker noch ausführen werden, gestatten: ich persönlich halte ihn auch für einen Haushalt der Phantasielosigkeit; denn er ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Fortschreibung dessen, was in den vergangenen Jahren angefangen und gemacht worden ist.
({13})
Wenn es in diesem Haushalt überhaupt Verbesserungen gegeben hat, dann sind diese nicht der Regierung zuzuschreiben, sondern dem gemeinsamen Wirken von Berichterstattern und Haushaltsausschuß, wobei ich niemanden im Haushaltsausschuß davon ausnehme.
({14})
Es ist uns im Haushaltsausschuß gelungen, eine Reihe von Verbesserungen und Akzenten durchzusetzen. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen. Wir haben im Haushaltsausschuß, Claus Grobecker, nicht nur gemeinsam die Mittel für die Deutsche Entwicklungsgesellschaft in Köln und damit für ein Kernstück - ({15})
- Das ist interessant, daß Sie diesen Zwischenruf machen, Herr Kollege Bindig. Aber wir im Haushaltsausschuß stehen gemeinsam zu diesem Beschluß.
({16})
Wir haben gemeinsam nicht nur die Mittel für die Deutsche Entwicklungsgesellschaft und damit für ein Kernstück der Förderung der privatwirtschaftlichen Initiative gegenüber und in den Entwicklungsländern um 25 Millionen DM aufgestockt,
({17})
sondern haben auch einen Prüfungsauftrag über die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Deutschen Entwicklungsgesellschaft zu einer Deutschen Entwicklungs- und Investitionsförderungsbank beschlossen und die Bundesregierung zur Vorlage einer entsprechenden Konzeption aufgefordert. Unser Ziel ist unter anderem, daß die DEG emissionsfähig wird und daß sie vor allen Dingen einbezogen wird in das sogenannte Recycling arabischer Petrodollars für Investitionsprojekte in der Dritten Welt.
({18})
Wir haben zweitens gemeinsam die Förderung der Ausfuhr aus den Entwicklungsländern nicht nur finanziell aufgebessert, sondern durch eine Erweiterung der Zweckbestimmung dafür Sorge getragen, daß nunmehr den Entwicklungsländern ein umfassendes Informations- und Beratungssystem zur Ausfuhrförderung der Entwicklungsländer zur Verfügung gestellt wird. Herr Kollege Bindig, es nützt doch gar nichts, wenn Sie schöne Reden halten, daß es notwendig ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Entwicklungsländern zu verbessern, aber an diesen konkreten Etattiteln nichts tun und versagen.
({19})
Wir haben uns drittens gemeinsam kritisch mit dem Deutschen Entwicklungsdienst auseinandergesetzt. Ich will mich darauf beschränken, zu vermerken, daß wir die Bundesregierung und auch den DED selber aufgefordert haben, das Konzept zur Auswahl und Vorbereitung der Entwicklungshelfer im Haushaltsausschuß und auch im Fachausschuß zur Diskussion und zur Beratung zu stellen. Lassen Sie mich auch nach persönlichen Erfahrungen dort sagen, daß für uns der DED eindeutig ein Instrument der deutschen Entwicklungshilfe und der deutschen Entwicklungspolitik sein muß und daß wir es nicht hinnehmen können, daß man dort ein wie auch immer geartetes eigenes Selbstverständnis entwikkelt, Herr Kollege Westphal, in welcher Auslegung auch immer, sondern der DED muß das Instrument der offiziellen deutschen Entwicklungshilfe und der offiziellen deutschen Entwicklungspolitik sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Dem Verwaltungsratsvorsitzenden gestatte ich das selbstverständlich.
Herr Schröder, ich möchte Sie fragen, welches Verständnis Sie von Pluralität haben. Der Deutsche Entwicklungsdienst ist eine GmbH, getragen von freien Kräften, die ihre Partei
sonst eigentlich immer sehr hoch schätzt, und dem Staat. Dies ist also eine gemeinsam getragene Gesellschaft, bei der Pluralität auch dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Ministerien, die Fraktionen dieses Hauses, die Entwicklungshelfer selbst durch ihre Rückkehrer und darüber hinaus auch die freien Organisationen mitwirken. Es geht also um ein dort entwickeltes Selbstverständnis, bei dem der Staat selbstverständlich beteiligt ist. Ich würde es sehr gern sehen, daß Sie dem zustimmen.
Herr Verwaltungsratsvorsitzender, Sie bringen mich jetzt fast in eine merkwürdige Position.
({0})
- Nein, nicht „Eben! Eben!", sondern ich muß hier sozusagen ein Wort für die offizielle deutsche Entwicklungspolitik einlegen. Unter Pluralität verstehe ich in diesem Fall, daß bei der Ausführung und bei der Ausgestaltung selbstverständlich ein voller Spielraum eingeräumt werden muß. Herr Kollege Holtz, ich bin gegenwärtig weiß Gott nicht der Träger der offiziellen deutschen Entwicklungshilfepolitik,
({1})
an der wir manches auszusetzen haben. Dennoch sind auch wir als Opposition uns darüber im klaren, daß der DED eingebettet sein muß. Das meine ich mit der Vokabel, daß er ein Instrument der offiziellen deutschen Entwicklungshilfe und der offiziellen deutschen Entwicklungspolitik sein muß. Dies ist mein Verständnis dieser Institution.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich glaube, wir sollten diese Diskussion bei Vorlage des Berichts im Haushaltsausschuß führen. Hinsichtlich der Pluralität in der Ausführung hoffe ich, Herr Kollege Westphal, daß Sie als Verwaltungsratsvorsitzender darauf achten, daß Pluralität auch in den geistigen Orientierungen im DED in genügender Weise gewahrt wird und nicht eine solche intellektuelle Monotonie herrscht,
({0})
die mir jedenfalls bei einer Diskussion entgegengeschlagen ist, was ich hier keineswegs verallgemeinern möchte.
({1})
Als viertes haben wir uns im Haushaltsausschuß sehr ausführlich mit den Fragen der Neuordnung der beruflichen Aus- und Fortbildung befaßt. Ich bin über zwei Dinge sehr zufrieden, und auch das will ich einmal sagen. Ich meine, daß es uns gemeinsam gelungen ist, diesen aus unserer Sicht bedeutenden Schwerpunkt der personellen Aus- und Fortbildung und damit der personellen Entwicklungshilfe überhaupt mit den zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln nicht nur erheblich aufzustocken, sondern wir haben mit viel Mühe auch eine zumindest teilweise strukturelle Neuordnung der personellen Ausund Fortbildung geschaffen. Dies ist uns insbesondere im Hinblick auf die Carl-Duisberg-Gesellschaft gelungen. Ich möchte an dieser Stelle - ich denke im Namen zumindest aller Beteiligten im Haushaltsausschuß - der Carl-Duisberg-Gesellschaft meinen besonderen Dank dafür aussprechen, in welch kooperativer Weise sie an dieser notwendigen und überfälligen Neuordnung mitgewirkt hat. Ich hoffe, daß es gelingen wird - das sage ich jetzt an die Kollegen, die im Kuratorium - ({2})
- Nein, das muß ich leider etwas davon ausschließen, Herr Kollege Esters. Ich hoffe, daß es insbesondere den Kollegen, die im Kuratorium der Deutschen Stiftung für Entwicklungshilfe sitzen, gelingen wird, diese notwendige Neuordnung auch noch bei der Deutschen Stiftung in Berlin zustande zu bringen. Die personelle Entwicklungshilfe hat schließlich einen weiteren Schwerpunkt von uns erhalten, indem wir die Integrations- und Reintegrationsprogramme entsprechend aufgestockt haben.
Kritisch muß ich das anmerken, was zu den multilateralen Organisationen fließt. Ich freue mich, daß sich insbesondere auch unsere Kollegen, die für den Einzelplan 10 zuständig sind, dazu durchgerungen haben, unseren Vorschlag einer qualifizierten Sperre z. B. die Mittel der FAO aufzugreifen, damit wir endlich einmal Druck ausüben können, damit hier eine vernünftige Organisation, eine vernünftige Verwaltung und vor allen Dingen auch die notwendigen Überprüfungen und Evaluierungen vorgenommen werden können.
({3})
Meine Damen und Herren, normalerweise wäre es an dieser Stelle jetzt Aufgabe des Berichterstatters, Alternativen, Schwerpunkte und Akzente der Opposition darzulegen. Ich kann darauf verzichten,
({4})
weil aus dem Entwicklungspolitischen Ausschuß dazu mein Kollege Köhler nachher noch sprechen wird.
Lassen Sie mich deshalb zu einer zusammen assen-den Wertung des Einzelplans 23 kommen. Ich darf hier einen Kollegen aus dem Entwicklungsausschuß zitieren, der zur Jahreswende in einer Wertung der gegenwärtigen Situation in der deutschen Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik wörtlich erklärt hat:
Der Entwicklungshilfe-Nachlaßverwalter Rainer Offergeld ist wie üblich auf Tauchstation gegangen.
({5})
Zu mehr als einem weihnachtlichen Spendenaufruf an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland reichte es bei ihm nicht. Die Bevölkerung soll also für die Versäumnisse der Koalition aufkommen.
Ich glaube, das ist eine zutreffende zusammenfassende Wertung auch des Einzelplans 23. Denn trotz
der von mir angesprochenen und gewürdigten VerSchröder ({6})
besserungen, die wir im Haushaltsausschuß vorgenommen haben,
({7})
bleibt die Spanne zwischen hehren entwicklungspolitischen Erklärungen und Zusagen auf der einen Seite und dem, was machbar und möglich ist, auf der anderen Seite bestehen. Und es ist nun einmal so üblich, nicht nur im allgemeinen Leben, sondern vor allen Dingen in der Politik: Gemessen werden Sie, Herr Minister, und wird diese Regierung nicht an den schönen Worten, sondern an den Taten. Und die Taten lassen, finanzpolitisch betrachtet, zu wünschen übrig. Deshalb müssen wir den Einzelplan 23 für das Haushaltsjahr 1982 leider ablehnen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst auf das eingehen, was der Kollege Schröder ziemlich am Schluß zum Deutschen Entwicklungsdienst gesagt hat. Der Verwaltungsratsvorsitzende des Deutschen Entwicklungsdienstes hat mich soeben wissen lassen, daß er uns entsprechend unseren Vorstellungen zur nächsten Mitarbeiterkonferenz einladen wird, wie wir im Haushaltsausschuß gebeten haben. Dort können sich dann die Berichterstatter über die Probleme, die der Kollege Schröder angesprochen hat, intensiv mit dem Verwaltungsratsvorsitzenden - sicherlich auch mit anderen Mitgliedern - und den Entwicklungshelfern selbst unterhalten.
({0})
Im übrigen haben wir den Entwicklungsdienst nicht als so schlecht betrachtet, wie der Kollege Schröder es dargestellt hat. Denn sonst hätten wir sicherlich nicht drei neue Stellen für Länderbeauftragte geschaffen, obwohl wir insgesamt nicht sonderlich gut ansprechbar waren, wenn es darum ging, im Bundeshaushalt neue Stellen zu schaffen.
({1})
Diese Stellen haben wir hier dennoch geschaffen, und der Deutsche Entwicklungsdienst hat 1982 ein höheres Etatvolumen als in allen vergangenen Jahren. Dies muß man wissen.
Der Kollege Schröder hat davon gesprochen, die Verpflichtungsermächtigung sei um 60 Millionen DM abgesenkt worden. Aus dieser Aussage mag ersichtlich werden, wie wichtig es ist, die Computertechnologie bei uns weiter zu fördern. Mein Taschenrechner hat mir gesagt, daß wir bei der Verpflichtungsermächtigung 15 Millionen DM zugelegt und nicht 60 Millionen DM gekürzt haben. Wohl haben wir 60 Millionen DM im Baransatz abgezogen bei den Soforthilfe-Titeln und in der Verpflichtungsermächtigung beim gleichen Titel im Hinblick auf die Verhandlungen, die mit der Türkei anstehen.
Insgesamt aber haben wir bei den Verpflichtungsermächtigungen rund 15 Millionen DM zugelegt.
({2})
Der Kollege Schröder hat im ersten Teil seiner Ausführungen ein Klagelied darüber gesungen, daß die Steigerungsraten im gesamten Bereich des Einzelplans 23 zu gering seien. Wenn ich von den Vorstellungen ausgehe, die beim Einzelplan 08 eine Rolle spielten - nämlich eine Absenkung sämtlicher Subventionen um 5 % -, so würde dies aus der Sicht der Opposition, lieber Herr Kollege Schröder, allerdings bedeuten, daß der Einzelplan 23 in ganz erheblichem Umfang tangiert worden wäre, denn im Einzelplan 23 sind erhebliche Subventionen an Zuwendungsempfänger oder Trägerorganisationen enthalten. Wenn auf der einen Seite das Klagelied gesungen wird, die Ansätze seien zu niedrig, und auf der anderen Seite beklagt wird, die Verpflichtungsermächtigungen in der Größenordnung von 27 Milliarden DM seien zu hoch, ergibt sich immer wieder die Frage, inwieweit der Teil, der durch Verpflichtungsermächtigungen abgedeckt und belegt ist, zur Durchfinanzierung von Projekten verwandt wird. Soweit es sich um die Durchfinanzierung von Projekten handelt, ist kein Risiko für den Etat und für den Abfluß der Barmittel gegeben. Ich gebe Ihnen allerdings in dem Punkt recht, daß wir ein Risiko in dem Bereich haben, in dem es um den internationalen Bankenteil - es handelt sich um etwas über 9 Milliarden DM - geht, weil wir dort den jährlichen Abflußrhythmus, der sich ja auch alle paar Monate ändert, wie wir zuletzt im Berichterstattergespräch und bei den Beratungen im Haushaltsausschuß gesehen haben, nur bedingt steuern können.
Ich hatte eigentlich vor, in dieser Haushaltsdebatte etwas ausführlicher auf den Teil einzugehen, der sich mit dem Zusammenwirken von Staat und privater Wirtschaft in der Entwicklungspolitik befaßt, vor allen Dingen nachdem wir im Haushaltsausschuß das Entwicklungsländersteuergesetz im Rahmen des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes für erledigt erklärt haben, und zwar im Gegensatz zu dem Votum, das der Fachausschuß dem Haushaltsausschuß zugeleitet hatte. Ich will darauf in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit verzichten, werde jedoch das, was ich eigentlich sagen wollte, den beiden Bundesministern für wirtschaftliche Zusammenarbiet und für Finanzen zugänglich machen und sie bitten, die Ausführungen, die ich eigentlich habe machen wollen, so zu behandeln, als ob sie im Protokoll des Deutschen Bundestages gestanden hätten. - Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, ich habe mir noch einmal die beiden Tage der Debatte und die Erregung vor Augen geführt, die hier bei der Union herrscht, wenn es um das Thema „Höhe der Entwicklungshilfe" geht. Auch beim Einzelplan 05 4714
Auswärtiges Amt - war bei Ihnen Erregung über die Höhe der Ausgaben festzustellen. Dort ist Ihnen auch zu wenig ausgegeben worden. Beim Wirtschaftsministerium, dessen Etat wir heute beraten haben, ist Ihnen zu wenig ausgegeben worden. Bei dem Landwirtschaftsministerium ist Ihnen zu wenig ausgegeben worden, ebenso beim Verkehrshaushalt. Im Verteidigungshaushalt ist Ihnen schon lange zu wenig ausgegeben worden. Es liegen aber keinerlei Anträge der Union hier zur zweiten Lesung vor. Im übrigen sagen Sie immer noch, wir würden zu viel Geld ausgeben, weil die Verschuldung so hoch ist. Ein kleines Stück Ehrlichkeit miteinander sollten wir wenigstens im Plenum des Deutschen Bundestages dann vorführen, wenn wir über Zahlen reden.
({0})
Ich habe überhaupt nichts dafür übrig, daß man sich hier hinstellt und sagt: Eigentlich müßte hier viel mehr Geld ausgegeben werden.
({1})
- Doch, wenn Sie das Risiko der Verpflichtungsermächtigungen hier herausstellen, müßten Sie eigentlich entweder konkret sagen: Das wird alles gekappt! oder Sie müßten Erhöhungsanträge stellen. Es gibt leider in bezug auf den Haushalt keine andere Möglichkeit, seiner Politik sozusagen freien Lauf zu lassen, als die, daß man Anträge stellt.
({2})
Sicherlich ist es ein Problem, daß die Union als Opposition gelegentlich mit ihren eigenen Vorschlägen in Schwierigkeiten kommt. Sie hatten j a diese 5-%-Kürzung nach dem ersten Durchgang im Haushaltsausschuß großzügigerweise über alles gelegt. Der Bundesfinanzminister hat heute noch einmal darauf hingewiesen. Am Anfang, Herr Kollege Glos, war da nichts tabu. Selbst Kindergeld, Berlin-Hilfe und anderes sollten unter die 5-%-Raster-Maschine kommen - auch die Entwicklungshilfe haben Sie dann genannt, logischerweise. Beim Verteidigungshaushalt das durchzuhalten wurde schon zunehmend schwieriger. Es ist vielleicht für die Kollegen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein bißchen schwierig, das, was wir während des Beratungsverfahrens gemacht haben, nachzuvollziehen, wenn jetzt die Haushälter über die Steigerungsraten reden. Das ist kein billiger Trick. Aber für die Kollegen muß klar sein, daß wir für das Haushaltsjahr 1982, so wie der Entwurf hier vorliegt, die sonst übliche Höhe der globalen Minderausgabe auf eine Größenordnung gebracht haben, die wahrscheinlich, nach unserer bisherigen Einschätzung - was in diesem Jahr und im nächsten Jahr passiert, weiß bis zu Ende keiner -, nach normalem Ablauf des Jahres, keine Bewirtschaftungsmaßnahmen notwendig macht.
({3})
Das heißt, der Einzelplan 23 wurde nicht wie im
Jahre 1981 gegenüber dem, was das Parlament als
Soll-Ansatz beschlossen hatte, von der Regierung mit einer Bewirtschaftungsmaßnahme belegt. Damals wurde also nicht das ausgegeben, was im Soll-Ansatz steht. Jetzt haben wir im Haushalt 1982 einen Betrag stehen, der, wenn man so will, nicht nur politisches Gefühl, sondern Realität ist. Deshalb müßten Sie logischerweise die Steigerungsrate auf der Basis dessen berechnen, was 1981 wirklich ausgegeben worden ist
({4})
und was jetzt im Jahre 1982, nach dieser Operation, die uns allen keine große Freude bereitet hat, auf den Weg gebracht wurde und dem Parlament zur Beschlußfassung vorliegt.
Ich will Ihnen an einem anderen Beispiel etwas sagen, was bei der Beratung des Einzelplans des Auswärtigen Amtes nicht so zum Ausdruck gekommen ist. Da gab es im letzten Jahr z. B. einen relativ hohen Ansatz für humanitäre Hilfe. Ein von meiner Kollegin Frau Schuchardt schon immer beklagter Zustand ist dort eingetreten. Während der Beratung des Haushalts 1981 ist dort eine nicht durch Gesetz festgelegte Größenordnung im Haushalt mit einer Bewirtschaftungssperre der Regierung belegt worden. Wir haben deshalb, um der Regierung nicht in jeder Größenordnung sozusagen einen Freibrief zu geben, gesagt, was wir für realistisch halten, und haben im Rahmen unserer Bewirtschaftungsdiskussion innerhalb des Ausschusses den Betrag um 8 Millionen DM abgesenkt, während die Regierung in 1981 um 17 Millionen DM abgesenkt hat. Vielleicht ist für die Kollegen im Fachausschuß erkennbar, warum wir so operiert haben.
Ich empfinde es als sinnvoller, daß sich das Parlament zu diesem Thema äußert und nicht der Regierung die Arbeit überläßt. Ich habe nicht sehr viel Sinn darin gesehen, mit Soll-Soll-Vergleichen durch die Welt zu laufen, wohlwissend, daß ein Teil des Soll-Soll-Vergleiches mehr Illusion und Phantasie als Realität ist.
Insgesamt - das sollte man nicht nur mißmutig feststellen - ist der Einzelplan 23 vom Jahre 1978 bis zum Jahre 1982 von knapp 4 Milliarden DM auf etwas über 6 Milliarden DM gestiegen.
({5})
Das ist eine Steigerung von 2 Milliarden DM. Es gibt wenige Haushalte, die eine derartige relative Erhöhung erlebt haben. Man kann, muß natürlich immer noch kritisieren, daß das zuwenig sei. Gerade die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die sich mit dem Einzelplan 23 beschäftigen, sehen das genauso. Aber wir müssen natürlich wie alle übrigen Kollegen, die jetzt, während wir zu diesem Thema reden, nicht hier sind, sondern in ihren Büros sitzen und darüber weinen, wie ihre Einzelpläne von uns zerfleddert worden sind, durchaus akzeptieren, daß auch dieser Haushalt eine Größenordnung hat, mit der man draußen auch Politik betreiben kann. Wenn Sie die Zahlen für das vorläufige Ist mit dem Soll vergleichen, stellen Sie fest, daß sie weit über der Steigerungsrate des Gesamthaushaltes liegen, die bei knapp 3 % gegenüber dem, was ausgegeben worden ist, liegt.
Wir haben auch innerhalb des Einzelplans Kürzungen, die z. B. aus Währungsrelationen hergerührt haben, in einem wesentlichen Punkt nicht weitergegeben. Beim Europäischen Entwicklungsfonds hätten 61 Millionen DM nach Haushältertradition in Abgang gestellt werden müssen. Wir haben - ich möchte einmal sagen: gegen den erbitterten Widerstand des Finanzministers - keine Kürzung um diesen Betrag vorgenommen, sondern ihn auf verschiedene Einzeltitel draufgelegt. Sonst hätten j a die Kollegen bei Vergleich der jetzt vorgelegten Liste gar nicht feststellen können, daß wir nicht überall nur Kürzungen vorgenommen, sondern auch, wie sie beim Vergleich erkennen werden, einige Positionen erhöht haben.
Über eine Position gibt es noch einen nachhaltigen Streit zwischen Kollegen des Fachausschusses und Kollegen des Haushaltsausschusses. Es geht hier um die Kapitalerhöhungen, die Kapitalzuführungen bei der DEG in Köln. Ich habe gehört, es wird ein Verfahren entwickelt, das mindestens vorurteilsfreie Diskussionen über dieses Instrument der deutschen Entwicklungspolitik ermöglicht. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal meinen Vorbehalt - die Kollegen Schröder und Esters wissen das - gegen den Prüfungsauftrag an die Regierung in Sachen DEG zu Protokoll geben. Ich bin nicht sehr glücklich darüber, daß man glaubt, bei der DEG, die mit ihrer Abkürzung Schwierigkeiten hat
- sie wird im Rheinland mit einer im Augenblick, glaube ich, nicht sehr erfolgreichen Eishockey-Mannschaft verwechselt ({6})
- sie sind im Kommen; Herr Kollege Hüsch, ich habe gehört, in Neuss soll es auch wieder aufwärts gehen, jedenfalls was Eishockey angeht -,
({7})
zu einer deutschen Entwicklungsbank kommen zu müssen. Ich halte das für ein ehrgeiziges Projekt, das zu prüfen erlaubt sein muß - allerdings muß man hinsichtlich dieses Projekts auch anderer Meinung sein können, auch wenn wir sonst in vielen Fällen einer Meinung sind -, um festzustellen, ob es dem gewünschten Ziel wirklich näherkommt.
Wenn wir schon bei Abkürzungen sind, so darf ich hier auch auf den Diskussionsbeitrag eingehen, den der Herr Kollege Schröder in Sachen DED beigesteuert hat. Ich bekenne, daß ich hinsichtlich des DED noch kein so unmittelbares Erlebnis hatte, wie Sie das offenbar hatten. Ich neige aber auf Grund gewisser Erfahrungen, die ich gemacht habe, nicht zu Vor-Verurteilungen. Ich werde mir vielmehr die Freiheit herausnehmen, mit den Kolleginnen und Kollegen, die das wollen, dort hinzugehen und mir das anzugucken und anzuhören.
({8})
Ich meine, nur deshalb, weil jemand eine Meinung
äußert, werde ich nicht schon die ganze Institution
in Frage stellen. Vielmehr bin ich bereit - das sollten wir vielleicht alle gemeinsam ein bißchen mehr sein -, Toleranz gerade gegenüber denjenigen zu üben,
({9})
die ja - das sollte man zugeben - ein großes Maß an Engagement aufbringen. Man sollte sie nicht auf diese Art und Weise zur Vor-Verurteilung freigeben. Ein bißchen mehr Gelassenheit auch an der Stelle täte vielleicht gut.
Bei der Diskussion über die Verbesserung der Administrationen sind die Kollegen schon auf das Thema der „Vorfeldbereinigung" eingegangen. Aus-und Fortbildung sollen also einer Konstruktion zugeführt werden, mit der eine Optimierung des Personals und der Mittel erreicht werden kann; der Einstieg ist j a geschehen. Die Zusammenarbeit hat sich offenbar in weiten Bereichen verbessert und wird sich hoffentlich auch in Zukunft verbessern. Dabei ist es unerheblich, was der Grund dafür war, ob eine Anregung oder die Drohung mit dem, was man an diesen Instrumenten verändern wolle. Festzuhalten bleibt jedenfalls: Die Zusammenarbeit ist besser geworden. Sie sollte auch in Zukunft, beispielsweise zwischen CDG und DSE, noch sehr viel stärker vonstatten gehen. Ich glaube, die Voraussetzungen sind dafür geschaffen.
Hinsichtlich der Administrationsprüfungen im internationalen Bereich hat der Kollege Schröder den Hinweis gegeben, daß die Haushaltspolitiker beim Einzelplan 10, Landwirtschaft, die institutionelle Förderung der FAO erstens um 2 Millionen DM gekürzt und zweitens den Restbetrag - immerhin 40 Millionen DM - in einen qualifizierten Sperrvermerk umgewandelt haben. Ich will nicht sagen, daß wir deshalb staunend auf eine weitere Aufklärung durch die Personen, die mit dieser Institution verbunden sind, vor dem Deutschen Bundestag und auf ihre Auftrittschance warten, sondern ich hoffe, daß auch dort ein bißchen mehr darauf hingewirkt wird, daß die Administrationen im internationalen Bereich nicht zu viele Mittel an sich ziehen, sondern diese besser für Programme verwenden.
({10})
Man sollte versuchen, die Administration mit weniger Geld sinnvoller zu gestalten, um mehr Mittel für die Programme freizubekommen. Selbstverwaltung, die große Mittel verschlingt, ist eine der von uns am wenigsten gewünschten Organisationsformen.
Insgesamt werden wir auch in den nächsten Jahren beim Einzelplan 23, wie ich hoffe, das machen können, was wir finanzpolitisch auf den Weg bringen können im Verhältnis zu anderen Einzelplänen. Wenn es darum geht, Veränderungen zu diskutieren, können wir uns vielleicht vorurteilsfreier an die Veränderungen begeben. Deshalb ist der Vorwurf der Phantasielosigkeit bei diesem Einzelplan so nicht angebracht, Herr Kollege Schröder.
Es stellt sich z. B. die Frage, ob es sinnvoll ist, finanzielle Zusammenarbeit in dieser Höhe weiterzuführen oder ob man sich nicht stärker der technischen Zusammenarbeit als der finanziellen Zusam4716
menarbeit widmen sollte. Die Entwicklung eines Landes hängt nicht davon ab, wie groß der Industriebesatz ist, den wir ihm über finanzielle Zusammenarbeit übermitteln, sondern davon, wie groß die Fähigkeit ist, in diesem Lande Ressourcen zu entwikkeln, die eine organische Entwicklung gewährleisten, in deren Verlauf man nach fünf oder zehn Jahren auch Technologien der letzten Stufe einführt. Das soll nicht dazu führen, alte Webstühle zu schikken. Das sagt kein Mensch. Aber da angepaßte Technologien vielleicht wichtiger sind als das, was wir gerne exportieren würden, würde ich es jedenfalls für zulässig halten, daß man unter diesem Gesichtspunkt das Verhältnis zwischen der finanziellen Zusammenarbeit und der technischen Zusammenarbeit überprüft und die technische Zusammenarbeit verstärkt.
Alles in allem gesehen ist dennoch - trotz der kritischen Begleitworte, die man sonst noch finden könnte - der Einzelplan 23 in einem Zustand, der eine Zustimmung auch von der Union erfordern könnte oder sie notwendig und möglich machen würde.
Ich meine, daß wir über ein Thema nochmal diskutieren müßten, Herr Kollege Schröder.
({11})
- Nur nicht heute abend.
({12})
- Nein, Herr Kollege Wehner, das will ich nicht. Vielleicht haben Sie da länger Erfahrung.
({13})
Ich meine, an der Frage der Lernfähigkeit von Kollegen möchte ich doch nicht verzweifeln und würde auch einem Haushaltspolitiker der Union immer noch die Möglichkeit geben, über das Thema Verpflichtungsermächtigung und Belegungsstruktur noch einmal in aller Ruhe zu diskutieren,
({14})
damit Beiträge, wie sie eben hier geschehen sind, vielleicht nicht noch einmal kommen. Im übrigen, meine ich, hat der Einzelplan 23 die Zustimmung des Parlaments trotz allem verdient.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst doch eine Bitte um Verständnis an die Kollegen dieses Hohen Hauses richten, daß wir Entwicklungspolitiker zu später Stunde nach langer Debatte doch noch glauben hier einiges sagen zu sollen. Es ist uns von der entwicklungspolitisch interessierten Öffentlichkeit im letzten Jahr sehr übel angekreidet worden, daß wir bei einer politischen Fragestellung, die solche Bedeutung in den globalen Zusammenhängen hat, es damals nicht für nötig hielten, uns die Zeit dazu zu nehmen. Ich glaube, es ist
besser, eine Stunde später nach Hause zu gehen, aber der Thematik der Dritten Welt hier doch, so gut es irgend geht, gerecht zu werden.
({0})
Das zweite. Ich möchte, da ich lange Jahre dem Verwaltungsrat des Deutschen Entwicklungsdienstes angehört habe, zu diesem Teil unserer Diskussion hier gerne noch ein Wort sagen. Für die Arbeitsgruppe Entwicklungspolitik und für den Haushaltsberichterstatter in unserer Fraktion gibt es gar keinen Zweifel daran, daß wir Respekt und Anerkennung für die ganz überwiegende Zahl unserer Entwicklungshelfer draußen, für ihre Arbeit, ihre persönliche Opferbereitschaft und ihre Leistung empfinden. Das möchte ich hier deutlich gesagt haben.
({1})
Es steht auf unserer Seite das Prinzip der Pluralität in keiner Weise in Frage. Dieses Prinzip ist in der Konstruktion des DED und im Verwaltungsrat verankert. Der Verwaltungsrat hat sich intensiv mit der gesamten Frage des Selbstverständnisses und der Richtlinien beschäftigt - Kollege Westphal, unter Ihrem Vorsitz. Damit ist hier pluraler Willensbildung in einer sehr weiten Weise Genüge getan. Nur kommt anschließend der nächste Akt der Pluralität: Die Geschäftsführung überlegt sich, was sie von dem pluralistischen Ergebnis glaubt akzeptieren und übernehmen zu können. Das ist doch vom anderen Gesellschafter beklagt worden, Herr Westphal. Das erfinde ich doch nicht. Wenn dann auch noch pluralistisch darüber entschieden wird, welche Pluralität hier akzeptabel ist, dann verläuft sich das. Wir glauben, daß diese plurale Willensbildung in einem Rahmen stehen muß. Auch draußen gibt es ganz einfach eine Empfindung dafür, daß diese Leute für unser Land und die Politik unseres Landes stehen. Das muß einmal diskutiert werden, wenn es zu Unklarheiten gekommen ist. Ich möchte Sie sehr bitten, diese Diskussion nicht von vorneherein als eine Frontenstellung zu betrachten. Das ist ein Klärungsprozeß, an dem wir interessiert sein sollten.
({2})
Gestern abend fast zu gleicher Stunde hat der Herr Bundesaußenminister hier einiges in Sachen Entwicklungspolitik gesagt.
({3})
- Bitte, Herr Linde?
({4})
- Der Herr Bundesaußenminister hat zur Entwicklungspolitik in den letzten Tagen mehrfach etwas gesagt. Wir können uns mühelos einigen, wann ich das gehört habe, was ich anziehen möchte.
Er hat sehr, sehr hohe Ansprüche aufgerichtet. Es war die Rede von der moralischen Verpflichtung unseres Landes gegenüber der Dritten Welt; unser Land sollte ein Anwalt der Gleichberechtigung der Länder der Dritten Welt sein und anderes mehr. Ich kann dem Herrn Kollegen Genscher in diesen Äußerungen nur beipflichten. Das hat uns aber wieder ermuntert, den Einzelplan, über den wir zu sprechen haben, im Lichte dieses Maßstabs zu betrachten,
Dr. Köhler ({5})
und da müssen wir ihn quantitativ und qualitativ unzureichend nennen. Ich kann Ihnen das leider nicht ersparen. Er wird diesem Anspruch nicht gerecht. Es ist eben einfach eine Tatsache, daß mit dem Wachstum von 3,3 % die reale Leistungskraft der deutschen Entwicklungspolitik angesichts der Teuerungsrate sinkt. Es wird enger. Es ist vieles nicht mehr möglich, und das ist betrüblich, denn die drängende Nachfrage der Entwicklungsländer wächst von Tag zu Tag.
Wir müssen die Außenwirkung dessen, was heute und am Freitag beschlossen wird, sehr, sehr ernst nehmen. Wir können das nicht nur vor unserer innenpolitischen Diskussion betrachten. Wir wissen doch und hören es, daß interessante und wichtige Gebiete der Entwicklungshilfe nicht mehr bedient werden können. Jeder von uns bekommt Tag für Tag die Klagen darüber, daß z. B. in einer wichtigen Frage des Vermessungswesens, in einer wichtigen Frage der Beratung der Entwicklungsländer bei der Entwicklung von industriellen Qualitätsnormen und dergleichen schon jetzt viele Maßnahmen der Sparsamkeit zum Opfer fallen, die für das betreffende Land in seiner augenblicklichen Situation unter Umständen außerordentlich wichtig sind, z. B. da, wo sich ein Land anschickt, seine Industrie in Richtung Export weiterzuentwickeln, um die exorbitante Belastung durch die Ölpreise wenigstens etwas auffangen zu helfen.
Wir haben in der vorigen Haushaltsberatung auf die Gefahrenlage hingewiesen und sind deswegen hier nicht dabei, neue Töne anzuschlagen. Ich sehe noch jetzt das verwunderte Gesicht des Herrn Ministers, als wir letztes Jahr glaubten, dieses Thema hier deutlich ansprechen zu müssen. Natürlich ist es richtig, wenn uns jetzt gesagt wird, alle müssen sparen. So ist es bei der Situation in unserem Lande und bei den Staatsfinanzen. Die Opposition ist aber nicht bereit, einem entwicklungspolitischen Sonderopfer zuzustimmen. Wir hätten uns hier ganz anders verhalten, wenn der Haushaltsplan in der Gesamtlinie läge. Daß er aber darunterliegt, ist etwas, was wir nicht vertreten zu können glauben.
Nun wird darauf hingewiesen: Ihr habt in den Ausschüssen bei der Beratung mitgewirkt, Ihr habt keine Anträge gestellt. Meine Damen und Herren, ein bißchen ist das doch wohl die Methode „Haltet den Dieb". Diese Bemerkungen können nicht verschleiern, daß die Bundesregierung und auch Sie, Herr Minister - und wenn Sie es mir nicht übelnehmen, erlaube ich mir den Hinweis, daß Sie wesentlich öfter im Kabinett sitzen, als Sie im Ausschuß sind; ich würde mir das etwas mehr wünschen; Sie müssen an allen diesen Dingen dort intensiv mitbeteiligt sein -, die Verantwortung für den Zustand der Wirtschaft und der Staatsfinanzen dieses Landes tragen, und als Ausfluß ist dieses gekommen, was wir heute kritisch zu besprechen haben,
({6})
nämlich eine schmerzliche Grenze für die Leistungskraft der deutschen Entwicklungspolitik. Auch für
die Entwicklungspolitik ist eben generell eine
Wende der deutschen Politik dringendes Erfordernis.
({7})
- Herr Wehner, ich freue mich, daß Sie merken, daß ich mich da mit meiner Fraktion in einer kontinuierlichen Argumentationskette befinde.
({8})
- Ja, es wird sich alles, alles wenden. Das haben wir schon in der Schule gelernt. Von der Hoffnung leben in diesem Lande zunehmend viele Leute.
Wir haben auf diesen Engpaß mit der Frage reagiert: Können wir nicht Wesentliches tun, um auf der qualitativen Seite voranzukommen? Wir haben da eine Menge Initiativen vorgelegt. Wir wissen, jetzt kommen die üblichen Antworten auf uns zu. Das erste war j a die Geschichte, daß es bei uns inzwischen mindestens drei Leute gibt, die Krokodile sind, weil sie Krokodilstränen weinen; vielleicht kann sich die Pressestelle des BMZ zoologisch noch weitere Gesichtspunkte zulegen. Es wäre vielleicht ganz interessant, wenn wir nicht nur als grün und großäugig weinend betrachtet würden.
Es kommt dann auch sofort der Vorwurf: Ihr habt aber gar keine Konzeption. Ich möchte doch einmal fragen, welche Opposition so viele geschlossene und umfassende Beiträge - beginnend mit unseren entwicklungspolitischen Leitlinien des Jahres 1976 - zum Gesamtthema der deutschen Entwicklungspolitik geleistet hat. Das ist ja von der SPD und auch vom Ministerium zuweilen sogar anerkannt worden. Aber dann können Sie uns jetzt nicht sagen, wir hätten keine Konzeptionen.
Wir haben uns eingehend geäußert, und wir haben in vielen Einzelfragen Initiativen ergriffen. Wir haben im Bereich „Planen, Wohnungsbau, Städtebau", in dem das riesige Problem der gewaltigen städtischen Agglomerationen in der Dritten Welt, das ein unlösbares Problem zu werden droht, im BMZ von anderthalb Mann behandelt wird, zu drängen versucht. Wir haben versucht, bei der medizinischen Hilfe zu drängen. Wir haben einen Antrag zur personellen Hilfe vorgelegt, und zwar in so umfassender Form, daß offenbar das Ministerium bis jetzt noch nicht in der Lage war, ihn in allen wichtigen Punkten zu würdigen und zu beantworten.
Wenn wir aber drängen und fragen und sagen, hier sollte dies oder das geschehen, verschanzt sich das Ministerium hinter dem Antragsprinzip der deutschen Entwicklungshilfe: Es komme ja darauf an, was die Länder beantragen, und nur dazu könnten wir ja oder nein sagen. Dazu möchte ich ein für allemal bemerken: Die Opposition weiß ganz gut, in welcher Weise die Länder der Dritten Welt von unseren diplomatischen Vertretungen und von den Verhandlungsdelegationen des BMZ beraten werden, welche Anträge denn wohl sinnvoll und vernünftig sind, und daß diese Ausrede schlicht und simpel eine faule Ausrede ist.
({9})
Dr. Köhler ({10})
Wir haben eine gehörige Portion von Gedanken vorgetragen, auf die wir gern eine Antwort haben möchten. Wir haben gesagt, daß eine vernünftige Agrarpolitik, die weite Kreise der Bevölkerung in den Entwicklungsprozeß einbezieht und konkret zur Überwindung des Hungers geeignet ist, ein Kriterium für Schwerpunktbildungen sein sollte. Wird das befolgt, und wenn ja, wie und wo? Diese Antwort könnten wir doch einmal bekommen.
Wir haben gesagt, daß bei der Bekämfung von Hunger und Armut humanitäre Hilfe, Katastrophenhilfe, Nahrungsmittel- und Agrarhilfe und Befriedigung der Grundbedürfnisse, konzentriert auf die ärmsten Länder, Vorrang haben. Da sind wir uns einig. Aber wir wollen gern in stärkerem Maße, als es bisher der Fall ist, eine sinnvolle Verbindung dieser Hilfsmaßnahmen sehen. Es darf nicht soweit kommen, daß man bei Entwicklungsländern, die in schrecklicher Not sind, dann, wenn eine Welle der Hilfsbereitschaft dagewesen ist, wieder auf die normale Infrastrukturhilfe zurückfällt, als wäre da nichts gewesen. Wir wollen, daß gerade in der Frage der Grundbedürfnisse die Hilfe so konzentriert wird, daß sie Selbstbehauptungskräfte freisetzt, daß sie in der Lage ist, dem Übel abzuhelfen, nicht aber es zu subventionieren und zum Dauerzustand zu machen.
Das alles haben wir immer wieder vorgetragen, bis hin zu unserer Befürwortung des Aufbaus des Genossenschaftswesens und dergleichen mehr. Ich glaube, daß deshalb der Vorwurf, daß wir hier zur Sache selbst nichts beitragen, in sich zusammenfällt, ja, geradezu lächerlich ist.
Wir glauben, daß es angesichts der Situation wirklich nötig ist, die Hilfe auf die Länder zu konzentrieren, die vor allem dazu bereit sind, ihre ökonomischen und politischen Strukturen so zu verändern, daß Entwicklung überhaupt möglich ist.
({11})
Darüber muß intensiv geredet werden, denn dieses Kriterium ist noch nicht in der wünschenswerten Weise durchgesetzt.
({12})
Wir wollen, daß die persönliche Produktivkraft geweckt wird, daß die Menschen eine Chance erhalten und daß nicht nur Regierungseliten vom Verteilungssystem profitieren; denn unser Ziel kann doch nur sein: mehr politische Selbstbestimmung, wachsende soziale Gerechtigkeit, mehr Pluralismus in diesen Ländern.
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- Ja, aber wir sprechen auch über das Handeln.
({14})
Da kommen dann zu viele Bedingungsfaktoren hinein, die das Ganze wieder wesentlich verwässern.
Die Bejahung der Schwerpunktbildung bei den am wenigsten entwickelten Ländern darf allerdings nicht zu einer Einseitigkeit der deutschen Entwicklungspolitik führen. Wir brauchen den zweiten Arm,
der da, wo Länder mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen und Schwellenländer, die von der Ölpreisexplosion ebenfalls besonders betroffen sind, Chancen haben, sich industriell zu entwickeln, stärker und mehr als bisher private Direktinvestitionen in entwicklungspolitisch vernünftiger Weise einsetzt. Hier muß, meinen wir, noch mehr getan werden.
Ich schließe mit der ausdrücklichen Bitte, daß wir in dieser Situation den Versuch machen, uns nicht mit Vokabeln wie „keine Konzeption" und dergleichen mehr zu unterhalten, sondern eine konstruktive Diskussion zu führen, eine Diskussion, in der wir uns redlich daranmachen, angesichts eines doch vorhandenen Grundkonsenses Bestand aufzunehmen, welche Möglichkeiten wir noch haben und welche Ziele wir gemeinsam in den Vordergrund rücken können - und bitte nicht nur verbal, sondern durch Taten.
Und da wir in unserem Land trotz aller Geldklemme viel persönlichen Opferwillen und viel Willen zum persönlichen Engagement in breiten Schichten, gerade auch der Jugend haben, lassen Sie uns mehr darüber sprechen, wie wir unser Verwaltungssystem der Entwicklungshilfe so weitergestalten können, daß diese Bereitschaft nicht in Frustrationen endet, sondern aufgenommen werden kann, und darüber, wie das Organisationsnetz der staatlichen Entwicklungspolitik darauf ausgerichtet werden kann, daß eine große Zahl von Kleinprojekten und Selbsthilfeprojekten praktizierbar wird.
Ich freue mich, Herr Minister, daß Sie den Schritt unternommen haben, daß wir zu einer Art Entwicklungsdienst aus dem Bereich der Wirtschaft kommen können, wie er in Amerika, Frankreich und der Schweiz mit dem Senior Service Corps vorhanden ist. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich. Ich habe mich in den letzten Tagen ein wenig gefragt, warum Sie diesen positiven Schritt bisher der Öffentlichkeit nicht weiter mitgeteilt haben. Ich kann mir als Grund nicht falsches Schamgefühl vorstellen. Ich hoffe nicht, daß dahinter noch ein Zögern steht. Ich finde, wir sollten diesen Schritt tun, um unserem Land ein weiteres Instrument zu geben, da zu helfen und voranzukommen, wo es so dringend nötig ist. - Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Luuk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich füge den Eingangsbemerkungen von Herrn Köhler hinzu: Schon am Montag hat eine Tageszeitung beklagt, daß wir hier zu später Zeit und auch vor ziemlich leeren Bänken dieses Thema diskutieren.
({0})
Aber unsere Nord-Süd-Politik ist - wir sollten da Realisten sein - im Bewußtsein der Öffentlichkeit wie der Politiker in den Hintergrund gerückt. Sie wird von einer pragmatischen Politik überlagert, die sich den vermeintlich hautnahen Problemen zuwendet. Katastrophale Entwicklungen in der Dritten
Welt verlieren im Windschatten der politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen in Europa ihre Bedeutung.
Eine solche Ausgangslage birgt natürlich erhebliche Gefahren für die Entwicklungspolitik. Ich meine hier ganz konkret weniger die finanziellen Einbußen, die eine solche Entwicklungspolitik hinnehmen muß, als vielmehr die Einbuße an öffentlicher Unterstützung, auf der jede Entwicklungspolitik aufbauen muß.
Deswegen verdient besondere Beachtung eine Momentaufnahme, die der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Veröffentlichung einer Meinungsumfrage vorgelegt hat. Die Ergebnisse dieser Umfrage sind überraschend positiv. Wenn zu Zeiten, in denen 76 % der Befragten die wirtschaftliche Entwicklung Sorgen bereitet, mehr als zwei Drittel dieser Befragten ein positives Verhältnis zu eben dieser Entwicklungspolitik zeigen, dann belegt diese Tatsache meines Erachtens, daß die Notwendigkeit der Entwicklungspolitik eine erfreulich hohe Zustimmung erreicht hat.
Allerdings muß ich in diesem Zusammenhang einer Sorge über eine Entwicklung in der Bundesrepublik Ausdruck verleihen, die zu diesem an sich erfreulichen Ergebnis in einem Widerspruch steht. Ich meine die wachsende Ausländerfeindlichkeit.
({1})
Hier ist mit Sicherheit ein Zusammenhang gegeben. Ich sage das besonders deshalb, weil es heute 40 Jahre her ist, daß in Berlin diese schaurige Wannsee-Konferenz getagt hat. Dies ist ein Problem, das von allen Parteien ernstgenommen werden muß. Es wäre gefährlich und verantwortungslos, würde man sich nicht, und zwar gemeinsam, dagegenstemmen.
Auch wenn der Entwicklungshaushalt zum erstenmal mehr als 6 Milliarden DM ausmacht, ist die Steigerungsrate von 3,3 % aus der Sicht der Sozialdemokraten unbefriedigend, wie gestern auch Willy Brandt ausgeführt hat. Haben wir Entwicklungspolitiker es trotz aller Bemühungen nicht verstanden, klarzumachen, wie wichtig die Entwicklungspolitik im Rahmen unserer gesamten Nord-Süd-Politik ist? Haben wir nicht sehr überzeugend darlegen können, daß für mehr Entwicklungshilfe eben anderswo weniger ausgegeben werden muß? Selten mußten wir so schmerzhaft wie heute erkennen, wie schwer Beschlüsse und Resolutionen in die Tat umgesetzt werden können, solange nicht die Bereitschaft geweckt werden kann, dafür woanders kürzerzutreten.
Wo aber sollten wir das tun? Bei der Verteidigung? Die Opposition wäre doch die erste, die uns dies als Verstoß gegen unsere nationalen Interessen und die Interessen unseres Bündnisses vorwerfen würde. Bei der Arbeitslosenunterstützung? Hier ist die Gegenfrage gestattet, warum ausgerechnet die sozial Schwächsten diejenigen sein sollen, die die größten Opfer in diesem Bereich bringen.
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Anderen Einsparungsmöglichkeiten hat der Bundesrat mit seiner konservativen Mehrheit einen Riegel vorgeschoben.
Jeder, der es wissen will, kann erfahren, wie es in der Dritten Welt aussieht. In den ärmsten Ländern und für die ärmsten Bevölkerungsschichten ist das Pro-Kopf-Einkommen in den letzten zehn Jahren rückläufig gewesen, ebenso das Aufkommen an Nahrungsmitteln. Deswegen verhungern jährlich schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Menschen, davon 12 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Deshalb gibt es auch mehr Hungertote als Kriegstote, obwohl sei dem Zweiten Weltkrieg mehr als 120 Kriege geführt worden sind.
Hungersnöte hat es schon zu allen Zeiten und in allen Regionen dieser Welt gegeben. Der beachtenswerte Unterschied ist jedoch: Früher wurde wegen der technischen und zivilisatorischen Unzulänglichkeiten gehungert; es konnte nicht genügend Nahrung für alle produziert werden. Heute jedoch wird wegen der ungerechten Verteilung der Reichtümer dieser Welt gehungert. Es wäre genug für alle da. Ich gebe zu, daß das Resultat das gleiche ist; aber der Unterschied ist doch gewaltig. Daraus ergeben sich an uns in den Industriestaaten, gleichgültig ob in Ost oder West, Ansprüche, die wir bisher bei weitem nicht erfüllt haben.
({3})
In diesen Tagen haben die Mitglieder der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd-Kommission dringende Maßnahmen zur Linderung des größten Elends in der Dritten Welt gefordert. Das kostet natürlich alles viel Geld. Diese Forderungen richten sich nicht nur an die westlichen Industriestaaten. Der Ostblock, die Sowjetunion sind hier ebenfalls angesprochen. Sie haben einen besonders großen Nachholbedarf. Die im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammengeschlossenen Staaten geben nur etwa die Hälfte dessen an Entwicklungshilfe aus, was allein die Bundesrepublik in einem Jahr leistet.
Die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die nordsüd-politischen Notwendigkeiten haben es schwergemacht, den Einzelplan 23 verabschiedungsreif zu machen. Als zum Schluß der Vermittlungsausschuß noch einmal den großen Kompromißhobel angesetzt und manches noch etwas gleicher gehobelt hat, sind dabei auch Späne gefallen. Wir sollten nicht über die einzelnen Steigerungsraten räsonieren, die wir alle natürlich gern etwas höher gesehen hätten. Immerhin gibt es keinen Rückgang. In vielen anderen Ländern, vor allem in den wichtigsten Geberländern, stagniert die Entwicklungshilfe oder unterliegt starken Kürzungen. Wir liegen im guten Mittelfeld der wichtigen westlichen Geberländer.
Der Zuschnitt dieses Haushalts als Grundlage für die entwicklungspolitische Arbeit dieses Jahres steht in voller Übereinstimmung mit den Erfordernissen, die uns die politische Situation auferlegt. Er konzentriert sich auf eine Reihe von Schwerpunkten, die uns sehr nachdrücklich als richtig attestiert worden sind: ländliche Entwicklung, Energie, Schutz der natürlichen Ressourcen. Das entspricht auch den Problemschwerpunkten von „Global 2000"
4720 Deutscher Bundestug - 9. Wahlperiode Frau Luuk
und dem Brandt-Bericht. Auch die Regionale Konzentration ist richtig. Sie hilft dem ärmsten Ländern und den ärmsten Menschen. So ist Tansania als zu der Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer gehörig Schwerpunkt unserer Entwicklungspolitik. So konzentriert sich die Entwicklungshilfe für Brasilien - das ist ja zweifellos ein Schwellenland - auf den armen Nordosten.
Ich meine, daß das mutige Beharren der Bundesregierung auf der Ablehnung der Lieferbindungen in der Entwicklungspolitik Respekt verdient, gerade angesichts der Haltung einiger Partnerländer. Dies hilft, die knappen Mittel der Entwicklungshilfe so gut wie möglich zu nutzen. Das DIW in Berlin hat zudem nachgewiesen, daß auch ohne derartige Lieferbindungen die vergebenen Mittel in Gestalt von Exportaufträgen wieder zurückfließen.
Die deutsche Projektarbeit ist weltweit als gut anerkannt. Entwicklungshelfer und Experten haben ein hohes fachliches Niveau. Die Ansprüche an sie werden auch nicht zurückgeschraubt. Die Maßnahmen im Bereich der Aus- und Fortbildung finden überall Beifall. Die Qualität der deutschen Entwicklungspolitik wurde im Hearing zur deutschen Entwicklungspolitik im Ausschuß im Mai dieses Jahres bestätigt. Der gute Ruf der deutschen Entwicklungspolitik ist aus unserer Sicht wohlbegründet.
({4})
Er ist begründet, weil die Vergabe von Entwicklungshilfe nicht an politisches Wohlverhalten geknüpft ist.
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Er ist begründet, weil wir nicht unterscheiden zwischen prowestlichen und antiwestlichen Entwicklungsländern, sondern nach Bedürftigkeit und Erfolgsaussichten vorgehen.
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Er ist begründet, weil wir auf den Export politischer und wirtschaftlicher Modelle verzichten und statt dessen jedem Entwicklungsland die eigene Wahl des Weges zum Fortschritt zugestehen. Allerdings meine ich, daß solche Regierungen zu bevorzugen sind, deren Politik am ehesten Verbesserungen für die Lebensbedingungen der Menschen erwarten läßt.
({7})
Ich will an dieser Stelle auch das Thema Rüstungsexport in Entwicklungsländer anschneiden. Jeder weiß, daß der enge Zusammenhang zwischen Rüstung und Entwicklung nicht bestritten werden kann und daß mehr Waffen die Menschheit nicht sicherer, sondern nur ärmer machen. Waffenexport in Entwicklungsländer ist eine Potenzierung der Konfliktgefahr und ein entwicklungspolitischer Akt der Barbarei. Obwohl es immer fraglicher ist, ob in dieser Frage ein internationaler Minimalkonsens erreicht werden kann, muß man wissen, daß wir in diesem Bereich mehr als anderswo nicht nur unsere internationale Glaubwürdigkeit in Gefahr bringen, sondern daß wir auch unsere Glaubwürdigkeit bei
der jungen Generation in unserem Lande ruinieren können. Wer nach Ursachen des Glaubwürdigkeitsverlusts politischer Parteien fragt, findet hier eine.
Ich darf die Zustimmung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zum Einzelplan 23 ankündigen, weil wir diesen Etat als konsequent und richtig in der Zielsetzung und Schwerpunktbildung gegenüber den Entwicklungsländern ansehen. Wir werden uns bemühen, sicherzustellen, daß wir zusätzliche Mittel für höhere Steigerungsraten im nächsten Jahr freibekommen.
Es überrascht hier nicht, daß der Kollege Schröder, der im letzten Jahr bei der Einbringung des Etats noch eine „Noch-nicht-Zustimmung" angekündigt hat, jetzt zu einer Ablehnung kommt. Ich habe mir sagen lassen, daß auch in den Zeiten, als die Steigerungsraten noch recht massiv gewesen sind, die CDU/CSU dem Haushalt nicht zugestimmt hat.
(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das allein
ist kein Maßstab!
Sie finden also immer einen Grund dafür, obwohl ich, nach dem, was Herr Köhler ausgeführt hat, überhaupt keinen finde, der rechtfertigen könnte, daß Sie sich dem Ansatz und dem Inhalt unserer Entwicklungspolitik - wiederzufinden im Einzelplan 23 - verweigern.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte zuerst kurz auf die beiden Vorredner der Opposition eingehen.
Herr Schröder forderte einen phantasievolleren Haushalt. Er kritisierte die Phantasielosigkeit, und wer aufmerksam zugehört hat, der mußte feststellen, daß Sie Phantasie mit Steigerungsraten verwechseln.
({0})
- Sicher! Als es um inhaltliche Phantasie ging, haben Sie auf den Kollegen Köhler verwiesen, der da mehr bringen sollte.
({1})
Kurz ein Wort zum DED, den Sie ja „einbetten" wollen. Die Art, wie Sie den DED einbetten wollen, Herr Schröder, würde den DED in tiefen Schlaf versenken; das werden wir verhindern. Wir werden auch dafür sorgen, daß den Entwicklungshelfern kein Maulkorb angelegt wird, sondern daß nach gründlicher Diskussion im Verwaltungsrat vernünftige Wege gefunden werden, wie auch Gemeinschaftsmeinungen der Entwicklungshelfer nach gußen artikuliert werden können.
Herr Köhler, ich habe eigentlich gedacht, daß Sie bei Ihren Ausführungen auch auf Ihren neuen Vorschlag eingehen wollten, den Sie in der „FAZ" veröffentlich haben, womit Sie das Dreikönigsloch auf
Ihre Weise ausgefüllt haben. Die Baden-Württemberger Liberalen haben sich an einer anderen Stelle ebenfalls darum bemüht.
({2})
Ich dachte, Sie wollten das Dritte-Welt-Kabinett und die Vorteile, die es für die Entwicklungspolitik bringen sollte, hier erläutern; das hat völlig gefehlt.
({3})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein solches Sonderkabinett viel bringen soll, zumal Sie deutlich machen, daß der Vorsitz beim Bundeskanzler liegen sollte. Damit bringt es sicherlich keine arbeitsökonomische Erleichterung. Ich finde sehr gut, daß Entwicklungspolitik im Gesamtkabinett diskutiert wird und daß alle Kollegen sich dazu äußern können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Köhler?
Bitte schön.
Herr Kollege Vohrer, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Vorschlag „Vorsitz beim Bundeskanzler" ein Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen" war? Von mir ist das nie so gesagt worden.
Gut! Ich finde die Richtigstellung wichtig. Dann würde ich in noch stärkerem Maße darauf drängen, daß Entwicklungshilfe weiter im Gesamtkabinett diskutiert wird; denn mir liegt sehr viel daran, daß sich auch der Bundeskanzler um die Probleme kümmert, zumal er in neuerer Zeit gezeigt hat, daß er dem Problemfeld wachsende Bedeutung zumißt.
({0})
Herr Köhler, Sie haben hier im wesentlichen das Konzept Hilfe zur Selbsthilfe ausgefüllt und forderten eine stärkere Konzentration der Mittel auf die ärmsten Länder, sagten aber im nächsten Satz, daß Sie natürlich mehr Geld für die Schwellenländer wollen, um dort den Dualismus zu verringern, was auch Frau Luuk ausgeführt hat, so daß hier eigentlich kein Dissens besteht.
Nun zum eigentlichen Haushalt, der immer zu Zahlenspielen verführt, zumal Entwicklungspolitik überhaupt für viele Leute am Maßstab des 0,7-%-Zieles gemessen wird und sich darauf reduziert. Es war wohltuend - und das ist sicher auch bei dem Haushaltsansatz leicht verständlich -, daß wir in diesem Jahr die Kommastellen nicht mehr errechnet haben, daß wir sogar bei den Gesamtzuwachszahlen sehr zurückhaltend sind; denn die Soll-Soll- oder Ist-SollVergleiche sind in der Tat strittig. Es war ganz interessant, daß die Diskussion über die wirklichen Zuwachsraten schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Debatte hier geführt wurde. Ich erinnere an das Wortgeplänkel und an die Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden der SPD und Herrn Hoppe von unserer Fraktion, woran deutlich wurde, daß es
nicht ganz so einfach ist, die Zahlen zu kommentieren, wie das oftmals scheint.
Herr Schröder, Sie haben, als im Dezember der Ansatz nochmals um rund 76 Millionen gekürzt wurde, in Ihrem Pressedienst darauf hingewiesen, daß dies einen katastrophalen Niedergang der Entwicklungshilfe bedeutet. Der „Reutlinger Generalanzeiger" hat Sie sehr gründlich kommentiert. Hanko Westermann hat am 17. Dezember unter der Oberschrift „Scheinheilig" deutlich gemacht, daß er darin wenig Logik und einen Rückfall in die Zeiten der Entwicklungspolitik des Kollegen Todenhöfer sieht und daß er eigentlich nur ein Jahr der friedlicheren, sachlicheren Auseinandersetzung entdecken kann. Er weist Ihnen dort nach, daß die Kürzung auf eine Intervention des Vermittlungsausschusses zurückgeht, wo Sie die Mehrheit haben. Auf Grund Ihrer Aktivitäten im Vermittlungsausschuß war es notwendig, im Entwicklungshaushalt zu kürzen. Es erscheint wenig hilfreich, dann anschließend die Konsequenzen Ihrer Aktivitäten im Vermittlungsausschuß hier so darzustellen.
({1})
Ich möchte nicht übermäßig tief in die Strukturmerkmale des Haushalts einsteigen. Ich begrüße es sehr, daß es eine Verschiebung der Mittel in Richtung der technischen Zusammenarbeit gibt. Es ergeben sich da folgende Relationen. Im Jahre 1979 stand die technische Hilfe zur finanziellen Hilfe noch im Verhältnis von 1 :4,3, im Jahre 1982 steht die technische Zusammenarbeit zur finanziellen Zusammenarbeit im Verhältnis von 1 :2,7. Ich glaube, diese Schlüsselzahl ist von allen Seiten des Hauses zu begrüßen. Die regionale Aufteilung zwischen den Kontinenten Afrika, Asien, Lateinamerika ist nicht strittig.
Ich glaube, daß es überhaupt unsere Aufgabe sein muß, angesichts der geringen Möglichkeit, quantitative Steigerungen im Haushalt durchzusetzen, die Qualität stärker unter die Lupe zu nehmen. Maßstab für solche Qualitätsmessungen ist für mich die Verwirklichung der entwicklungspolischen Grundlinie der Bundesregierung, die im Juli 1980 formuliert wurde und wo es sicherlich auch keinen grundsätzlichen Dissens zwischen den drei Fraktionen geben kann. Bei dem Messen des Haushalts an diesen Kriterien läßt sich feststellen, daß mehr Geld in die ärmsten Länder geht, daß 40 % des Haushaltes für Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Trinkwasser, Gesundheitsvorsorge, Wohnung und Bildung, ausgegeben werden. Es läßt sich auch feststellen, daß die privaten Träger nicht zu kurz kommen. Wir haben in der Debatte, die wir zu dem Punkt führten, gezeigt, daß uns die privaten Träger am Herzen liegen und daß wir die Effizienz der eingesetzten Gelder, die von privaten Trägern draußen in den Projekten umgesetzt werden, sehr hoch einschätzen.
27 % der Mittel gehen in ländliche Räume. Daß wir in dem Haushalt 23 nicht viele bilaterale bevölkerungspolitsche Maßnahmen ausweisen können, liegt an der Sensibilität dieses Problems. Aber es sollte eindeutig sein, daß wir die Konsequenzen, die wir aus dem aufrüttelnden Bericht „Global 2000" zie4722
hen, über die UN-Organisationen auch verwirklichen wollen.
Daß die Energiepolitik zwischenzeitlich schon 760 Millionen DM oder 19 % dieses Haushalts ausmacht, ist aus meiner Sicht zu begrüßen. Wenn das Sonderprogramm „regenerierbare Energieträger" relativ schnell aufgestockt werden kann und die Mittel auch abfließen - das ist die andere Seite, die notwendig ist -, dann wäre das sicherlich ein Punkt, der den Entwicklungsländern hinsichtlich ihrer Zahlungsbilanzsituation mit am meisten helfen würde.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Wir haben hier im Land 1,7 Millionen Arbeitslose. Es ist verständlich, daß immer wieder die Bitte an uns herangetragen wird, die Lieferbindungen einzuführen. Dennoch halte ich es für richtig, daß wir bei dem Prinzip bleiben, unsere Hilfe lieferungebunden zu geben. Auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, daß zwei Drittel unserer Gelder als Aufträge wieder ins Inland zurückkommen. Auf der anderen Seite sehen wir, daß die Gelder, die wir an multinationale Organisationen geben, in Form von Aufträgen überproportional zurückkommen. Deshalb glaube ich, daß wir über die Entwicklungspolitik auch einen beschäftigungswirksamen Beitrag leisten.
Eines sollte man meiner Ansicht nach vielleicht auch als Anregung stärker in die Diskussion einbringen: Durch die Arbeitslosigkeit verzichten wir im Moment auf die Erzeugung von Gütern im Wert von jährlich rund 50 Milliarden DM. Wir haben freie Kapazitäten, wir haben freie Arbeitskräfte und sind nicht in der Lage, die Potentiale auszuschöpfen. Es ist die Frage zu stellen, inwieweit bei den ganzen Überlegungen über Beschäftigungsprogramme auch darüber nachgedacht wird, welcher Multiplikatoreffekt von Entwicklungshilfeinvestitionen ausgeht. Ich glaube, daß wirtschaftswissenschaftliche Ansätze, wie sie von Professor Oberhauser in Freiburg vorgelegt wurden, es wert sind, verfolgt zu werden. Denn im Gegensatz zu dem Keynesianischen Beispiel mit dem Löchergraben kann man davon ausgehen, daß Güter, die in Entwicklungsländern gebraucht werden, keine unnötigen Güter sind, sondern dort dringend benötigt werden.
Ich möchte noch eine Kategorie von Ausgaben ansprechen, die teilweise im Einzelplan 23 gar nicht wiederzufinden ist, nämlich die Gelder für handelspolitische Maßnahmen. Ich denke auch an das Instrumentarium von Lomé III und an die Gelder, die zur Förderung von Handel zwischen Entwicklungsländern gewährt werden. Ich glaube, der nichtmonetäre Ansatz, unsere Absage an den Protektionismus ist für die Dritte Welt von so großer Bedeutung, daß er in der Debatte auch gebührend gewürdigt werden muß. Wer den Vorgeschmack der Verhandlungen über das Welttextilabkommen zur Kenntnis nimmt, der weiß, daß es keineswegs einfach ist, die Märkte in Europa für die Dritte Welt offenzuhalten. Ich glaube, wir müssen uns entschieden dafür einsetzen, daß die Bundesregierung die bisher gezeigte Haltung beibehält. Ich hoffe, daß das Wirtschaftsministerium - das jetzt leider nicht mehr vertreten ist - seine
konsequente Rolle bei der Offenhaltung der Märkte in der EG für die Dritte Welt durchhält.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch noch deutlich machen, daß wir die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, daß sich die Güteraustauschverhältnisse oder terms of trade für die Entwicklungsländer nicht verschlechtern. Der Ansatz, den wir bei den UNCTAD-Gesprächen und -Verhandlungen über den gemeinsamen Fonds und über die Rohstoffabkommen gewählt haben, zeigt, daß man zwischenzeitlich vernünftige Rahmenbedingungen gefunden hat und daß die ganzen ideologischen Schreckensgemälde, die in diesem Hause in früheren Diskussionen teilweise an die Wand gemalt wurden, nicht zutreffen. Vielmehr zeigt die Realität heute, daß es in schwierigen Detailverhandlungen nur langsam vorangeht und daß im Moment eher die Industrieländer die Entwicklungsländer ermuntern, Fortschritte bei der Verwirklichung des gemeinsamen Fonds und der Abkommen zu machen.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungspolitik wird komplexer. Wir werden uns in diesem Jahr in der Sondergeneralversammlung intensiv mit Abrüstungsfragen für die Dritte Welt beschäftigen müssen. Ich habe das Gefühl, daß wir als Industrieländer hier mit gutem Beispiel vorangehen und auch den Zusammenhang zwischen freiwerdenden Geldern bei der Abrüstung und der Steigerung der Entwicklungshilfe in der Diskussion immer wieder festhalten sollten. Wir werden uns mit dem schwierigen Problem auseinanderzusetzen haben, ob bei Nahrungsmittelknappheit landwirtschaftliche Flächen zur Erzeugung von Biomasse eingesetzt werden sollten, die als Energiesubstitut in den Ländern gebraucht werden. Wir werden Länder wie die Volksrepublik China, Israel, Kuba oder OPEC-Länder vorfinden, die gleichzeitig Entwicklungshilfeempfänger und Entwicklungshilfegeber sein werden. Wir müssen uns mit ihnen stärker auseinandersetzen.
Die Kritik, es sollte mehr für Entwicklungshilfe getan werden, ist natürlich in einer Situation schwieriger, in der ein Mehr an Entwicklungshilfe möglicherweise auf der anderen Seite zu Kürzungen beim Kindergeld führen könnte. Der Spielraum ist gering. Ich finde es erfreulich, daß die öffentliche Meinung für die Entwicklungshilfe noch soviel Sympathie aufweist. Ein wohlhabendes Land wie die Schweiz hat seine Entwicklungshilfe um 18 % gekürzt. Vor diesem Hintergrund ist es doch mutig, mit dem jetzigen Haushalt, wie er vorliegt, zu zeigen, daß man hier guten Willen hat. Ich hoffe, daß wir bei der Bevölkerung Verständnis für unsere Entwicklungspolitik finden und daß wir die Qualität der Entwicklungspolitik auch außen bewußt machen können. Ich habe die Hoffnung, daß der Einzelplan 23 und die 6 Milliarden DM, die darin für diesen Zweck zur Verfügung stehen, uns die Möglichkeit geben, glaubhafte Entwicklungspolitik zu betreiben. Ich darf für die FDP hier deutlich machen, daß wir dem Einzelplan 23 zustimmen werden.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten uns auch bei dieser Debatte vor Augen halten, daß die Bundesrepublik Deutschland für die Dritte Welt immer noch als eine Insel der Glückseligen erscheint. Im Vergleich zum Hunger, zu den Gewalttaten, dem Flüchtlingselend in der Dritten Welt erscheinen den Außenstehenden die Probleme, über die wir hier diskutieren, relativ geringfügig.
Für uns alle muß auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gelten, daß die Solidarität mit den Schwachen und Hungernden über nationale Grenzen hinausreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir selber ausländische Hilfe erhalten, die uns mit geholfen hat, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Heute sind wir - und wir werden das auch trotz unserer Probleme bleiben - einer der wirtschaftlich stärksten und reichsten Staaten der Welt. Wir sind moralisch wie humanitär verpflichtet, den Menschen in der Dritten Welt zu helfen.
Ich betone aber mit Nachdruck: Es ist nicht nur eine Frage der moralischen Verpflichtung, der Dritten Welt zu helfen, sondern es ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind wirtschaftlich außerordentlich eng mit den Entwicklungsländern verflochten. Wie eng, ist den meisten im Lande nicht bekannt. Fast 20 % unserer Exporte gehen heute in die Dritte Welt. Fast ein Viertel unserer Importe kommt aus der Dritten Welt, kommt aus den Entwicklungsländern. Ich will nur eine Vergleichszahl nennen. Aus den Staatshandelsländern einschließlich China beziehen wir etwa 5 % unserer Importe, und dorthin gehen auch etwa 51)/0 unserer Exporte. Mit anderen Worten: Das Volumen des Handels mit der Dritten Welt ist etwa viermal so groß wie das Volumen des Handels mit den Staatshandelsländern einschließlich China.
Durch den Export in die Entwicklungsländer werden über eine Million Arbeitsplätze in unserem Lande gesichert. Deshalb ist es auch für uns, für unsere eigenen Interessen wichtig, daß die Dritte Welt nicht ständig von Erschütterungen und Konflikten bedroht ist. Es liegt im gemeinsamen Interesse von Nord und Süd, die Kaufkraft in den Entwicklungsländern breit verteilt zu heben, die Märkte in diesen Ländern auszuweiten. Es wird auch für uns langfristig nur dann möglich sein, Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitsplätze in der Dritten Welt zu schaffen, wenn der Handel breiter wird, wenn die Märkte offengehalten werden, wenn die wirtschaftlichen Verflechtungen mit der Dritten Welt stärker werden, ausgeweitet werden.
Die Ausgaben des Einzelplans 23 übersteigen erstmals 6 Milliarden DM. Wir haben das Volumen dieses Einzelplans in den letzten fünf Jahren verdoppelt, von etwa 3 Milliarden DM auf über 6 Milliarden DM gesteigert. Das ist eine ganz erhebliche Leistung. Daraus werden Prioritäten deutlich, Prioritäten der Bundesregierung wie auch des Parlaments. Was die für dieses Jahr vorgesehene Steigerungsrate angeht, so will ich mich nicht in einen Disput mit Herrn Gärtner darüber einlassen, ob wir jetzt das Ist mit dem Soll oder das Soll mit dem Soll - wie auch immer - vergleichen sollten. Ich glaube, wir sind uns einig, daß die Steigerungsrate die Entwicklungspolitiker nicht voll befriedigen kann. Aber auch wir sind an die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gebunden. Wir können immerhin darauf hinweisen, daß wir unsere Hilfe weiter deutlich steigern, während andere Geber ihre Hilfe einschränken. Unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit wird weiter ausgebaut.
Nach der heutigen Diskussion, Herr Schröder und Herr Dr. Köhler, ist mir die Position der Opposition nicht klarer geworden. Es gibt unübersehbare Widersprüche.
({0})
- Vielleicht kann ich es hier noch einmal zur Diskussion stellen. Dies ist aber auch Ihr Problem. Sie müssen sich z. B. an Äußerungen des Herrn Michael Glos erinnern lassen. Ich kann wörtlich zitieren. Er meldet sich zu Wort, schriftlich - „CSU-Presse-Mitteilungen". Zu den Meldungen über ein von der Bundesregierung beabsichtigtes, dann auch vorgeschlagenes überproportionales Wachstum der Ausgaben für Entwicklungshilfe meinte Herr Glos - ich zitiere auszugsweise -:
Der Bürger . .. wird für die Aufblähung - die Aufblähung! des Entwicklungshilfeetats ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt kein Verständnis aufbringen. Wenn es keine Tabus für Sparmaßnahmen und Kürzungen geben soll, muß dies auch für den Etat von Bundesminister Offergeld gelten . .. Dazu genügt es, die Zahlungen einzustellen, die zur Unterstützung der Mißwirtschaft kommunistischer oder sozialistischer Systeme - hier ist beispielsweise an Nicaragua und Tansania zu denken - dienen.
({1})
- „Er hat völlig recht", das bestätigt, daß die Haltung der Opposition nicht klar ist. Herr Glos wendet sich hier gegen die Aufblähung des Entwicklungshilfeetats. - Herr Dr. Köhler, auch von Ihnen der Vergleich mit den Krokodilen nicht gefallen mag, muß ich hier den Begriff der Krokodilstränen wiederholen; denn der paßt genau auf das, was uns die Opposition hier bietet.
({2})
Die Diskussion über die Verpflichtungsermächtigungen, die Herr Schröder hier eröffnet hat, deutet genau in die gleiche Richtung. Wir alle wissen, daß Entwicklungspolitik ein langfristiges Geschäft ist. Die Vorbereitung eines vernünftigen Projekts, z. B. des Baus eines Staudamms, auch eines kleineren Projekts, braucht Zeit. Die Durchführung der Projekte dauert dann mehrere Jahre - bei der finanziellen Zusammenarbeit bis zu zehn, elf Jahre. Das
Deutsche Institut für Entwicklungspolitik - Sie haben sich auf ein Gutachten bezogen - hat sogar vorgeschlagen, die Finanzierungsdauer auf 14 Jahre an, zusetzen. Entwicklungspolitik ist also ein ganz langfristiges Geschäft.
Wie anders sollte das denn betrieben werden als auf Grund von Verpflichtungsermächtigungen?
({3})
Das geht doch gar nicht anders. Wenn man langfristige Entwicklungsarbeit betreiben will, braucht man Verpflichtungsermächtigungen. Wenn wir unsere Leistungen künftig steigern wollen, brauchen wir natürlich heute steigende Verpflichtungsermächtigungen. Deswegen kann Ihre mehrfach erhobene Forderung, Herr Schröder - ich kann es mir sparen, sie zu zitieren -, die Verpflichtungsermächtigungen müßten hinunter, nur so gedeutet werden, nur das Resultat haben, daß in den künftigen Jahren auch die Barausgaben zurückgehen sollen.
({4})
- Wo senken wir denn Baransätze, Herr Dr. Köhler? Wir haben doch gerade über die Steigerungsraten gesprochen.
Ich wiederhole: Wer die Verpflichtungsermächtigungen senken will - „Die Verpflichtungsermächtigungen müssen hinunter, dann können die im Entwicklungsministerium auch nicht mehr so viel Politik machen", Originalzitat Schröder und Glos -, der redet auch einer Senkung der Entwicklungshilfe das Wort.
({5})
Ich fordere die Opposition nochmals auf, hier endlich ihre Position klarzumachen.
({6})
Wir haben - und damit komme ich zu einigen Schwerpunkten; ich muß mich knapp fassen; ich habe Verständnis dafür, daß die Kollegen, die den ganzen Tag hier diskutiert haben, auf die Uhr sehen - den Anteil der Zusagen für die ärmsten Länder - das ist auch eine Antwort auf die Kritik der Opposition - ganz deutlich gesteigert. Wir liegen im Hinblick auf die ärmsten Länder besser als die meisten anderen Geberländer. Die armen und die ärmeren Länder erhalten dieses Jahr über 50 % unserer Zusagen. Diese Konzentration ist richtig und wird beibehalten; denn diese Länder, die kaum Zugang zu den Kapitalmärkten haben, müssen durch die öffentliche Hilfe verstärkt unterstützt werden.
Wir werden ganz konsequent und langfristig - und da kann man nicht modischen Strömungen von einer Woche auf die andere nachkommen - unsere Schwerpunkte weiterverfolgen, die da lauten: Förderung der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung, um den Hunger zu bekämpfen, um die Landflucht zu bekämpfen - da sind wir uns einig, da gibt es keine Meinungsunterschiede, Herr Köhler -, Förderung konventioneller und nichterschöpflicher Energiequellen, um die Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom importierten 01 zu verringern, und schließlich - ein weiterer außerordentlich wichtiger, immer mehr an Gewicht gewinnender Schwerpunkt - Schutz der natürlichen Ressourcen in der Dritten Welt, um die zunehmende Erosion und Wüstenbildung aufzuhalten. Wir wollen damit dazu beitragen, daß die weitere Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen der Menschen - auch da sind unsere eigenen Interessen mit betroffen - aufgehalten wird.
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Wir werden unsere Schwerpunkte auch in anderen Feldern deutlich setzen; von der Verstärkung der technischen Zusammenarbeit ist bereits die Rede gewesen.
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- Ja, Herr Köhler, ich weiß nicht, was Sie wollen. Wenn Sie die Verstärkung der personellen Hilfe wollen - das kann man auch so nennen, das ist plastischer; das gebe ich Ihnen zu -, so darf ich darauf hinweisen, daß wir das seit einigen Jahren ganz konsequent tun. Wenn Sie also, wie gesagt, hier davon reden, wir sollten die personelle Hilfe verstärken, dann kann ich Ihnen nur antworten: Wir tun das. Wir haben damit begonnen, bevor die Opposition es gefordert hat.
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Sie springen hier aufs Trittbrett des fahrenden Zuges, Herr Köhler; das ist die Wahrheit.
Im übrigen gibt es auch - modischen Trends folgend - immer wieder die Forderung der Opposition, man müsse mehr kleine Projekte statt größerer fördern. Meine Damen und Herren, nicht von der Größe des Projekts hängt seine Qualität ab. Vielmehr hängt sie von seinen sozialen und ökonomischen Auswirkungen ab. Wenn wir die Infrastruktur der Entwicklungsländer fördern wollen - die Basis für jede ökonomische Entwicklung -, wenn wir z. B. Straßen, Eisenbahnen und Staudämme zur Energieversorgung bauen, sind das naturgemäß größere Projekte. Aber Sie wissen, daß wir auch zahlreiche kleine Projekte fördern. Ich erinnere beispielsweise an die Förderung der nichtstaatlichen, der gesellschaftlichen Gruppen in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. In einem Jahr sind von den Kirchen, Stiftungen und den anderen zahlreichen Organisationen mit Hilfe der Bundesregierung mehr als 1 800 Projekte gefördert worden. Das alles sind zu Recht gelobte „Graswurzel-Projekte".
Ein anderer Schwerpunkt - letzte Anmerkung von meiner Seite -: Wir haben uns im vergangenen Jahr ganz besonders bemüht, die Flüchtlingshilfe zu verstärken. Mein Ministerium hat die Mittel für die Flüchtlingshilfe in verschiedenen SchwerpunktlänBundesminister Offergeld
dern mehr als verdoppelt, natürlich auch vor allem für Afghanistan-Flüchtlinge. Hier ist ein deutlicher Schwerpunkt gesetzt worden. Diese neue Schwerpunktbildung im vergangenen Jahr straft Sie Lügen, wenn Sie sagen, es gebe keinen Bewegungsspielraum, keine Flexibilität mehr. Natürlich gibt es Bewegungsspielraum! Wir haben, als es darum ging, in Simbabwe eine friedliche Entwicklung zu fördern, unsere Hilfe ganz massiv angeboten - vorbildlich, wie die Regierung dieses neuen Staates anerkannt hat. Wir haben uns bemüht - trotz Ihrer entgegenstehenden Forderungen werden wir uns auch weiterhin bemühen -, z. B. die Entwicklung in Nicaragua positiv zu beeinflussen, dort die Option zum Pluralismus möglich zu machen. Das alles zeigt, daß es in meinem Etat Bewegungsmöglichkeiten gibt; die werden wir auch in Zukunft nutzen.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren: Die Entwicklungspolitik trägt dazu bei, Spannungen in der Welt abzubauen. Die Entwicklungspolitik ist eine wesentliche Säule der deutschen Friedenspolitik. Sicherheit und Stabilität auf unserer immer kleiner werdenden Erde hängen nicht allein vom militärischen Gleichgewicht ab - so wichtig das ist -, sie hängen auch davon ab, daß wir die drängenden Nord-Süd-Probleme lösen können. Angesichts der gewaltigen Entwicklungsaufgaben in der Dritten Welt bieten nur beharrliche und stetige Anstrengungen, bietet Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt, bietet vertrauensvolle Zusammenarbeit Aussicht auf Erfolg. Der Haushalt des kommenden Jahres gibt der Regierung die Möglichkeit, diese Politik fortzuführen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister hat gemeint, er habe die Ausführungen des Kollegen Schröder bezüglich der Verpflichtungsermächtigungen nicht verstanden. Ich habe sie durchaus verstanden; vielleicht darf ich sie deshalb einmal wiederholen.
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Wenn die Verpflichtungsermächtigungen sehr viel stärker steigen, als die Baransätze steigen können, weil die Haushaltslage das nicht zuläßt, dann zieht man einen Wechsel, den man nicht einlösen kann.
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- Das ist dann Wechselreiterei. Des weiteren: Selbst wenn die Verpflichtungsermächtigungen so stark steigen wie die derzeitigen Baransätze, dann verliert man in der Zukunft jeglichen Spielraum für Veränderungen und Akzentsetzungen in der Entwicklungspolitik. Gerade solche Veränderungen und Akzentsetzungen halten wir aber für notwendig.
Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir steigern unsere Hilfe deutlich weiter. Ich verstehe nicht, wie Sie dazu kommen. Der Entwicklungsetat steigt zwar um 3,3 %. Da wir aber einen Geldwertschwund von mehr als 6 % haben, sind das real 3 % weniger. Das heißt natürlich, daß Projekte und Programme gekürzt werden müssen und real eben weniger ausgegeben werden kann.
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Herr Minister, die Steigerungsrate Ihres Haushalts ist, wie ich glaube, deshalb so gering, weil Ihre Entwicklungspolitik wenig effektiv und erfolgreich ist. Das Parlament ist offenbar nicht davon überzeugt, daß Sie Hunger und Elend in der Welt mit Ihren Projekten und Ihren Programmen wirksam bekämpfen, und die Bevölkerung ist es auch nicht. Die Zustimmung zu Ihrer Entwicklungspolitik ist in den letzten zwei Jahren von 53 % auf 47 % abgesunken. Wenn unsere Kollegen - Sie nannten den Kollegen Glos - Bedenken gegen Ihre Entwicklungspolitik und das Geld haben, das Sie ausgeben, dann denken Sie eben daran, daß allzu viele Gelder in bodenlose Fässer sozialistischer Mißwirtschaft gehen. Das Stichwort Tansania ist j a in dem Zusammenhang gefallen.
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Ich will an einem Beispiel aufzeigen, warum Ihre Entwicklungspolitik so enttäuschend ist, warum Anspruch und Wirklichkeit so sehr auseinandergehen. Als vorrangige Aufgabe der deutschen Entwicklungspolitik bezeichnen Sie in Ziffer 10 der Grundlinien die Bekämpfung der Massenarmut in den Entwicklungsländern. Aber in Wirklichkeit betreiben Sie keine zielgruppenorientierte Entwicklungspolitik, also keine Entwicklungspolitik, die als Zielgruppe die Armsten der Armen in der Welt hat.
Wo sind denn, Herr Minister, Ihre Programme zur Förderung von Kleinhandwerk, von Kleingewerbe und von kleinbäuerlichen Betrieben des informellen Sektors, womit Sie Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen können? Wo fördern Sie Hilfe zur Selbsthilfe? Bekämpfung der absoluten Armut kann doch nicht Almosenverteilung, Dauersubvention oder Wohlfahrtspolitik sein. Dann nämlich würden wir hinter einem Zug herlaufe, der immer schneller fährt.
Kampf gegen die Massenarmut kann doch nur heißen: Stärkung der Eigeninitiative, die bei kleinbäuerlichen Betrieben, bei Handwerk und Kleinindustrien, vor allem in ländlichen Regionen, und in den Slums der Großstädte einsetzt. Wir haben die Bundesregierung gefragt, in welcher Höhe sie Handwerker und Kleinunternehmer direkt oder über Entwicklungsbanken fördert.
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Der Umfang der Hilfe war weniger als 1 % des Entwicklungshaushalts. Bezeichnender noch ist die
Zahl der Betriebe, die Endkredite erhielten. Es wa4726
ren nur einige paar Hundert. Im Jahre 1980 waren es ganze 441 Betriebe in allen Entwicklungsländern.
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Dabei hat der Minister vor einem Jahr hier - zu Recht - erklärt, daß jährlich 25 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.
Wichtiger noch ist, sich die Art der Betriebe anzusehen, die gefördert worden sind. Der Durchschnittskredit betrug mehr als 120 000 Mark. Herr Minister, das können keine kleinindustriellen Betriebe, schon gar keine handwerklichen Betriebe gewesen sein. Fragen Sie einmal die Träger, die an der Basis arbeiten; dafür wären Beträge zwischen 1 200 und 1 500 Mark ausreichend.
Herr Minister, dieses Beispiel zeigt: Ihre Entwicklungspolitik hat einen falschen Ansatz; sie kommt unten nicht an; Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander; die öffentliche Entwicklungshilfe ist viel zu sehr die Hilfe von Bürokratie zu Bürokratie;
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sie schafft keine Freiräume für Eigeninitiative und Kreativität. Das, Herr Minister, ist der große Fehler in Ihrer Politik.
Für die Entwicklungspolitik zu Beginn der 80er Jahre, die Sie zu vertreten haben, komme ich zu folgenden deprimierenden Feststellungen.
Es ist kein Ansatz erkennbar, wie diese Bundesregierung das real sinkende Volumen ihrer Entwicklungshilfe durch steigende Effektivität und Qualität ausgleichen will.
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Herr Minister, sorgen Sie für diese Qualität, dann werden wir Ihnen bei dem Versuch helfen, die Entwicklungspolitik aus ihrer festgefahrenen Situation herauszuführen. Aber das, Herr Minister, kann natürlich nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Januar 1982, 9 Uhr ein. Sie beginnt mit der Fortsetzung der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 1982, Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Sitzung ist geschlossen.