Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/19/1982

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Beratung des Einzelplans 23 - Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - erst morgen stattfinden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 ({0}) - Drucksachen 9/770, 9/965 -Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) Wir kommen jetzt zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 9/1181 Berichterstatter: Abgeordnete Walther Frau Berger ({2}) Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Zur allgemeinen Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01: Bundespräsident und Bundespräsidialamt. Wer dem Einzelplan 01 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksache 9/1182 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({3}) Esters Gärtner Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Zur allgemeinen Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 02: Deutscher Bundestag. Wer dem Einzelplan 02 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei einer Stimmenthaltung ist der Einzelplan 02 angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksache 9/1183 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Esters Der Berichterstatter Borchert hat mir mitgeteilt, daß er zur Korrektur des Berichts das Wort wünscht. Ich darf ihm das Wort erteilen. Bitte!

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter zum Einzelplan 03 habe ich eine Druckfehlerberichtigung vorzutragen. In der Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu diesem Einzelplan muß es bei den Beschlüssen des 8. Ausschusses zum Kapitel 03 01, Tit. 531 01- das ist die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesrates - richtig heißen: 701 000 DM. In der Ihnen vorliegenden Drucksache sind versehentlich nur 675 000 DM ausgedruckt worden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Danke schön, Herr Berichterstatter. Meine Damen und Herren, zur allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen daher zur Abstimmung über den Einzelplan 03: Bundesrat. Wer dem Einzelplan 03 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltun4478 Präsident Stücklen gen? - Der Einzelplan 03 ist einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts - Drucksache 9/1184 Berichterstatter: Abgeordnete Löffler Metz Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Herr Abgeordneter Metz? ({0}) - Nicht? Das ist aber, Herr Abgeordneter Jenninger, hier so gemeldet worden. ({1}) - Gut, nicht als Berichterstatter. Der Berichterstatter wünscht also nicht das Wort. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metz.

Reinhard Metz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001487, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen am Beginn einer Haushaltsdebatte. Der Etat des Herrn Bundeskanzlers wird traditionell zum Anlaß genommen, grundsätzliche Fragen deutscher Politik zu behandeln. Lassen Sie mich in einem ersten, ganz kurzen Debattenbeitrag ein paar Worte zu dem Geld sagen, das im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers im Jahre 1982 ausgegeben werden soll. Dabei geht es mir weniger um die absoluten Beträge. Die ganz großen, wirklich ins Gewicht fallenden Einsparungen zur Sanierung der Staatsfinanzen können im Kanzleramt nicht erwirtschaftet werden. Das Finanzgebaren des Kanzleramtes ist denn auch nicht nur im Hinblick auf den eigenen Haushalt, sondern vielmehr in seiner Gesamtwirkung interessant. Der Herr Bundeskanzler und seine Verwaltung stehen naturgemäß im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ich will mich mit dem Hinweis begnügen, daß daher bei jeder Ausgabe besonders gründlich überlegt werden sollte, ob diese wirklich zwingend erforderlich ist und ob sie in die finanzpolitische Landschaft paßt. Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus dem Bereich Ihrer Planungsabteilung herausgreifen. Ist es eigentlich zum Regieren dieses Landes unbedingt erforderlich, daß Ihr Amt Gutachten in Auftrag gibt etwa mit dem Titel - ich zitiere - „Modellversuch zur Verwirklichung von Bürgernähe der Verwaltung in einer Kommune in Nordrhein-Westfalen"? ({0}) Sie haben jährlich für solche und andere Gutachten einen namhaften Betrag zur Verfügung. Ich finde, Sie sollten ein paar Leuten in Ihrem Amt die Spielwiesen wegnehmen. ({1}) Denn teure Modellversuche über Bürgernähe ersetzen keine Bürgernähe. ({2}) Die Abschaffung einiger Planungsköpfe, Planungsabteilungen und ideologisierter Verwaltungen überall im Lande wäre billiger und im Sinne bürgernaher Verwaltung sicher wirksamer als theoretische Untersuchungen. Zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers gehört die Ständige Vertretung in Ost-Berlin. Von den gut 10,5 Millionen DM, die wir für diese Ständige Vertretung ausgeben, entfallen über 1,6 Millionen DM auf Mieten und Pachten. Ich finde, wenn unsere Leute im realen Sozialismus für ihre ganz normalen Wohnungen eine Miete von 18 DM pro Quadratmeter bezahlen, dann ist das ein ganz stolzer Preis; es sind ja schließlich keine Ost-Mark. Über die bloßen Zahlen hinaus hat der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers auf die allgemeine politische und finanzielle Situation starke Wirkung, weil von hier aus und insbesondere vom Presseamt aus die Verhaltensweisen der Bürger erheblich beeinflußt werden können und j a auch beeinflußt werden sollen. Wenn nun die Öffentlichkeitsarbeit einer Regierung der Bevölkerung eine Welt vorgaukelt, die mit der tatsächlichen Lage nur noch entfernte Ähnlichkeit hat, dann trägt das nicht gerade zu einer aufgeklärten Gesellschaft mündiger Bürger bei. ({3}) Beim Thema „Öffentlichkeitsarbeit" möchte ich mich einmal mehr an den Herrn Bundesfinanzminister wenden. Daß der Bundesregierung in diesem kommenden Jahr, 1982, über 115 Millionen DM für ihre Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland zur Verfügung stehen, ist eine Sache. Was sie konkret mit diesem Geld macht - um nicht zu sagen: teilweise anrichtet -, ist eine ganz andere Sache. Herr Bundesfinanzminister, ich habe Ihnen bereits vor einigen Monaten den Vorschlag gemacht, sich sehr zurückhaltend in propagandistischer Form zur finanzpolitischen Situation der Bundesrepublik Deutschland zu äußern. Denn, sehr verehrter Herr Matthöfer, es gibt keinen Minister, dessen Propaganda von der Wirklichkeit so schnell eingeholt und überholt wird wie die Propaganda, die Sie in eigener Sache verbreiten. ({4}) Ihre vom Presseamt und vom eigenen Haus mit öffentlichen Mitteln verbreiteten Aussagen gleichen einer Mißbrauchsdokumentation. ({5}) Ich will einige Beispiele nennen. 1980 ließen Sie für teures Geld verbreiten - ich zitiere -: Zur Haushaltsgestaltung der Bundesregierung gibt es anerkanntermaßen keine ernstzunehmende andere Möglichkeit. Im Zusammenhang mit dem Steuerpaket 1981 stellten Sie fest: Niemand muß sich Sorgen machen, die Bundesrepublik Deutschland treibe einer Finanzkrise entgegen. Zum Finanzplan 1980/84 stellten Sie fest: Die Ausgaben sind solide finanziert. Der finanzielle Handlungsspielraum wird sich in den kommenden Jahren deutlich vergrößern. Wenn das nun Äußerungen wären, die bei irgendwelchen Gelegenheiten im politischen Schlagabtausch, in der Hitze des Gefechts gefallen wären, könnte man das j a vielleicht noch hinnehmen. Wenn das aber mit Bedacht hingeschriebene, redigierte, auf Hochglanzpapier gedruckte, mit Steuergeldern vieltausendfach verteilte bewußte Propagandafloskeln sind, dann hat das sehr wenig mit verantwortungsbewußter Regierungstätigkeit, aber sehr viel mit regierungsamtlicher Volksverdummung zu tun. ({6}) Je größer die politischen Schwierigkeiten der Bundesregierung sind, desto aufwendiger müssen ihre propagandistischen Anstrengungen werden. Nach dem berühmten Sommertheater wurden die Akteure von dem unwiderstehlichen Drang erfaßt, das Ergebnis ihres heißen Bemühens millionenfach unter die Regierten zu bringen. Für weit mehr als 2 Millionen DM wurde eine Zeitungsbeilage verteilt - Sie erinnern sich vielleicht daran -, die die Beschlüsse des Kabinetts vom 2. und 3. September 1981 enthielt. Schon damals wußte die Regierung, daß die vielfältigen Maßnahmen des Sparpakets am Ende der Beratungen von Bundestag und Bundesrat völlig anders aussehen würden, als es in der Beilage dargestellt war. Aber in ihrem Bemühen um einige Tage Verschnaufpause ließ die Regierung ihre Propaganda verteilen mit der Folge, daß die Bürger wenig später für mehr als 2 Millionen Mark Makulatur in den Händen hielten. ({7}) Ich will hier noch einmal auf die sogenannten Service-Broschüren hinweisen, auf jene Boschüren, in denen der Staat den Bürgern nur zu oft mitteilt, daß sie gegenüber dem Staat soziale Rechte hätten und der Staat gegenüber seinen Bürgern soziale Pflichten habe - Bücher, für Leute gemacht, wie es heißt, „die wissen wollen, was ihnen zusteht und wo sie Leistungen beantragen können". Meine Damen und Herren, in Zeiten voller Staatskassen mag man darüber streiten, ob man sich derartiges leisten will. Aber die guten Zeiten der vollen öffentlichen Kassen sind längst vorbei; das ist Geschichte, im übrigen CDU/CSU-Geschichte. Heute sind regierungsamtliche Reklamehefte, die einer Anleitung zur besseren Benutzung des Selbstbedienungsladens Staat zum Verwechseln ähnlich sehen, Gift. ({8}) Sie erzeugen, meine Damen und Herren, eine Mentalität, die die Verantwortung des einzelnen immer mehr schrumpfen und die Aufgaben des Staates immer mehr wachsen läßt. ({9}) Auf diese Art und Weise werden die Zusammenhänge von Rechten und Pflichten von Wirtschafts-und Sozialpolitik völlig zerstört. Herr Bundeskanzler, die Öffentlichkeitsarbeit Ihrer Regierung führt die Menschen leicht in die Irre. Eine Regierung, die auf geistige Führung verzichtet, sollte auch auf geistige Irreführung verzichten. ({10}) Noch ein Wort zur Öffentlichkeitsarbeit im Ausland. Sie ist wichtig und im Prinzip unverzichtbar. Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihren Regierungssprecher in der letzten Zeit Dinge sagen lassen, deren verheerende Folgen Sie selbst bei Ihrem Besuch in den Vereinigten Staaten zu spüren bekommen haben. Anstatt IhrenRegierungssprecher zu mehr als zweifelhaften Aussagen zu bringen, sollten Sie ihn lieber beauftragen, darüber nachzusinnen, wie das Deutschlandbild beispielsweise in den Vereinigten Staaten wieder aufpoliert werden kann. Noch wirkungsvoller wäre es allerdings, wenn Sie Ihre Politik änderten. Es kann allerdings, wenn es etwas auszuputzen gibt, nicht so sein, daß man dann neue Mittel anfordert. In einem solchen Fall müssen bei der Verwendung des zur Verfügung stehenden Geldes vielmehr andere Prioritäten gesetzt werden. Im übrigen ist eine gute Politik immer noch die beste Propaganda. Es gibt j a den alten Spruch: Tue Gutes und rede darüber! Aber das setzt eben voraus, meine Damen und Herren, daß man wirklich Gutes tut. Zusammenfassend ist zu sagen: Wenn sich eine Regierung selbst darstellt, wenn sie ihre Politik erklärt, so ist das legitim, vielleicht sogar ihre Pflicht. Aber ihre Pflicht, meine Damen und Herren, ist es dann auch, den Menschen nichts vorzumachen. - Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu vertreten, denn niemand kann einen daran hindern, klüger zu werden" - so Konrad Adenauer. Aber eine unerklärliche Macht hindert offensichtlich die Opposition daran, nach diesen Worten ihres früheren Vorsitzenden zu verfahren; ({0}) denn Jahr für Jahr hören wir beim Einzelplan 04 in einer bestimmten Debattenrunde, die ich nicht wei4480 ter charakterisieren möchte, die gleichen Vorwürfe. „Mißbrauchsdokumentation", „Volksverdummung", „Selbstbedienungsladen", das sind alles schon Vokabeln, die für sich sprechen und die in einer sozialen Demokratie der Widerlegung nicht bedürfen. ({1}) Deshalb will ich darauf auch gar nicht eingehen. Herr Kollege Metz war allerdings so fair, dem Bundeskanzleramt nicht vorzuwerfen, daß es mit den Steuerbeträgen unachtsam umgehe. Er hat lediglich gesagt, es müsse gerade im Bundeskanzleramt besonders gründlich überlegt werden, ob eine Geldausgabe nötig sei. - Das geschieht im Bundeskanzleramt. Es hat mit die niedrigste Steigerungsrate, nur 0,8 %, oder, um das einmal ein wenig faßbarer zu formulieren: Jeder Bürger zahlt im Monat einen Sechser, sagen wir Berliner, fünf Pfennig, für das Bundeskanzleramt. ({2}) Mehr Sparsamkeit, mehr preußische Zucht innerhalb des Staates kann man tatsächlich nicht erwarten. ({3}) Wir Sozialdemokraten beantragen jetzt schon für den Einzelplan 04 namentliche Abstimmung, nicht um damit zu dokumentieren, daß das Geld dort im Bundeskanzleramt ordentlich etatisiert ist, sondern um klarzumachen, daß wir mit dieser Politik, die vom Bundeskanzler, vom Bundeskanzleramt aus gelenkt und geleitet wird und die bisher schweren Schaden von unserem Volk abgewehrt hat, voll und ganz einverstanden sind. - Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1982 sind inzwischen vier Monate ins Land gegangen. Heute, zu Beginn der zweiten parlamentarischen Beratung, zeigt sich die Lage der Bundesrepublik Deutschland sowohl im Inneren wie vor allem im Verhältnis zu unseren Bündnispartnern dramatisch verschlechtert. In seiner damaligen Haushaltsrede am 18. September 1981 schmückte sich der Bundeskanzler noch mit einem besonders wohlmeinenden Kommentar der „International Herald Tribune". In diesen Tagen legt er weniger Wert auf amerikanische und französische Pressestimmen. ({0}) Nichts kennzeichnet die veränderte außenpolitische Situation treffender als diese Kommentare. Und da helfen auch die üblichen, verklausulierten Kommuniqués nach Staatsbesuchen in Washington und Paris nichts. Waren es früher vor allem Teile der SPD und einige ihrer namhaften Repräsentanten, denen man im westlichen Ausland im gleichen Maße mißtraute, wie sie von Moskau hofiert wurden, so ist jetzt der Bundeskanzler selbst wegen seiner unklaren Haltung in der Polen-Krise zunehmend ins Zwielicht geraten. ({1}) Innenpolitisch gerät die Bundesrepublik Deutschland unter eine Lawine von Massenarbeitslosigkeit, wie wir sie nach den Nachkriegsjahren nicht mehr erlebt haben. Diese Entwicklung kam nicht über Nacht, sondern war vorhersehbar. Der Bundeskanzler selbst war es, der am 18. September 1981 auf einen - ich zitiere - „Winter der höchsten Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten" hingewiesen hat, was ihn jedoch nicht hinderte, anstatt zu handeln, die übliche Formel vom nötigen „Mut und Selbstvertrauen" hervorzuholen und im übrigen den Hinweis anzufügen, bei uns stünde es immer noch besser als anderswo. ({2}) Die 1,7 Millionen Mitbürger ohne Beschäftigung müssen es als Verhöhnung empfinden, wenn ihnen dauernd erzählt wird, in diesem oder jenem Land seien noch mehr Menschen arbeitslos. ({3}) Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt steht auf tönernen Füßen, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, was auch vor Monaten vorhersehbar war, was von uns immer gesagt, von der Koalition aber ebensooft geleugnet wurde. Wir debattieren heute über einen Phantomhaushalt. Vermutlich wird ihn die Regierungskoalition verabschieden, um nach einiger Zeit - eher kürzer als länger - seine Ergänzungsbedürftigkeit festzustellen. Da das so ist und da immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland das wissen, nützen Beschwörungsformeln der Bundesregierung um Vertrauen nichts. Die notwendigen psychologischen Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Gesundung sind unter dieser Bundesregierung eben einfach nicht mehr gegeben. ({4}) Eine Offenlegung der Bilanzen des Kanzlers und der Koalition nach der Bundestagswahl 1980 ist im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik besonders notwendig, denn gerade hier hat der Bundeskanzler bei seinen selbstgewählten Paradedisziplinen eine Reihe von negativen Rekorden aufzuweisen. Die Arbeitslosigkeit hat mit derzeit 1,7 Millionen einen seit 30 Jahren nicht mehr gekannten Höchststand erreicht, und es werden täglich mehr. Das geschieht unter der Regierung der SPD, die Vollbeschäftigung stets als ihr wichtigstes Ziel proklamiert hat. Für den Bundeskanzler war das offenbar - wie seinerzeit bei den Renten - ein „Problemchen", hat er doch in seiner Regierungserklärung vom November 1980 noch von einem „möglicherweise leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit" gesprochen. Bei einer annähernden Verdoppelung der jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahl innerhalb von zwei Jahren war das wohl eine exorbitante Untertreibung. Parallel zur dramatisch ansteigenden Arbeitslosigkeit läuft eine in diesem Ausmaß noch nie dagewesene Kette von Betriebszusammenbrüchen. Mehr als 11 000 Konkurse und Vergleiche im Jahr 1981 sind ein trauriger Rekord. Dadurch wurden nicht nur zahllose Arbeitsplätze, sondern auch viele Ausbildungsplätze für Jugendliche vernichtet. Vielleicht wird wenigstens jetzt der SPD, die Unternehmertätigkeit und Unternehmergewinne jahrelang verteufelt hat, der Zusammenhang zwischen Arbeits- und Ausbildungsplätzen einerseits und ertragsstarken Unternehmen andererseits plastisch sichtbar. ({5}) Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Dezember-Bericht des vergangenen Jahres in klassischer Kürze die beiden entscheidenden Ursachen für diese Entwicklung aufgezeigt. In erster Linie wird ein in diesem Ausmaß ebenfalls noch nie dagewesener Ertragseinbruch bei den Unternehmen von über 25 % innerhalb von zwei Jahren genannt. Dieser Ertragseinbruch, so sagt die Bundesbank, habe einen erheblichen Personalabbau herbeigeführt und sei für die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft verantwortlich. Als zweiten Faktor nennt die Bundesbank die weitere Verschlechterung der öffentlichen Finanzen. Das Budgetdefizit aller öffentlichen Haushalte wird von der Bundesbank für 1981 mit über 75 Milliarden DM angesetzt. Das sind gegenüber dem Vorjahr wiederum 20 Milliarden DM mehr. Ein neuer Nachkriegsrekord an Schulden! Zusätzlich konstatiert die Bundesbank eine Umschichtung der öffentlichen Ausgaben zum staatlichen Konsum, also genau das Gegenteil dessen, was notwendig ist. Bei der Preisentwicklung - der nächsten Disziplin des Bundeskanzlers - registriert die Bundesbank den stärksten Preisanstieg seit der Korea-Krise 1951, wenn man vom Ölschock 1973 einmal absieht. Und um die schneidige Formel des Bundeskanzlers, 5% Inflation seien weniger schlimm als 5% Arbeitslose, ist es auch sehr still geworden, nachdem leider beide Prozentzahlen übertroffen worden sind. ({6}) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Realverdienste der Arbeitnehmer rückläufig - und das unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler! Zählt man die negativen Faktoren zusammen - Massenarbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Betriebsschließungen, Inflation und sinkende Einkommen -, so ergibt sich eine vernichtende Bilanz. Es bleibt ein Desaster klassischen Ausmaßes für eine Bundesregierung, die 1969 eine Wirtschaft, gekennzeichnet durch Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Wachstumsdynamik und solide Staatsfinanzen, übernommen hatte. ({7}) Die Fakten sprechen für sich. Es gehört einiges dazu, wenn der Bundeskanzler sich in seiner Regierungserklärung von 1980 selber bescheinigt: In gleicher wirtschaftlicher Lage würde die Bundesregierung wieder so handeln, wie sie nach 1973 gehandelt hat. Hier muß man feststellen: Hochmut und Uneinsichtigkeit kommen vor dem Fall - früher oder später. ({8}) Angesichts der wirtschaftlichen Probleme fällt der SPD nichts anderes ein als der Rückgriff auf alte Rezepte. Die Formel heißt jetzt „Beschäftigungsprogramm". Wenn das ein Konjunkturprogramm alter Art wäre, würde es gar nichts nützen. Diese Ansicht setzt sich immer mehr durch. Mit Interesse habe ich am Wochenende vom Bundeswirtschaftsminister und anderen aus der FDP gehört, daß sie ein solches Programm, das durch neue Schulden oder höhere Steuern oder beides finanziert werden müßte, nach wie vor strikt ablehnen. Jetzt kommen neueste Meldungen, wo über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer - nicht heute, aber übermorgen - geredet wird. Nun, wir sind gespannt, was der Bundeswirtschaftsminister und die FDP in dieser Sache heute und morgen zu erklären haben, um die alte Frage zu beantworten: Fällt die FDP um, oder fällt sie nicht um? Das ist nämlich die eigentliche Frage. ({9}) Das letzte Investitionsprogramm der Bundesregierung ist übrigens noch kein Jahr alt, und trotzdem haben es die meisten schon wieder vergessen. Es hat außer Mitnehmereffekten fast nichts gebracht. Ich meine das zwischen dem Bundeskanzler und dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing verabredete gemeinsame Schuldenaufnahmeprogramm - Sie erinnern sich vielleicht noch schwach - von 6,3 Milliarden DM. Bei uns wurden diese 6,3 Milliarden DM Anleihen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf internationalen Kreditmärkten zu hohen Zinsen besorgt und zinsverbilligt an deutsche Unternehmungen zwecks Investitionen ausgegeben. Natürlich wurde das verbilligte Geld angenommen, dankend angenommen, soweit es gebraucht wurde, aber das noch nicht einmal vollständig. Aber das war ein Mitnehmereffekt, wie alle Umfragen beweisen. Über 80 % derer, die diese Kredite genommen haben, haben nach einer Untersuchung der Industrie- und Handelskammer Koblenz gesagt: „Ich hätte die Investition auch so vorgenommen, aber natürlich habe ich das billige Geld mitgenommen." Also von einer positiven Wirkung auf die Arbeitsplätze keine Spur! Die Milliarden sind versickert, der Steuerzahler zahlt die Zinszuschüsse; das ist alles. ({10}) Mit Interesse habe ich gestern gelesen, daß der Bundeswirtschaftsminister selber dieses Investitionsprogramm, Herr Löffler, als Fehlschlag ansieht. Das steht im Bonner General-Anzeiger. Er wird dazu etwas zu sagen haben. Frankreich - das nur als Fußnote - hat noch unter Giscard dieses ganze Vorhaben beerdigt. Meine Damen und Herren, ein staatlich verordnetes Beschäftigungsprogramm aus neuen Steuern oder höheren Schulden bringt die Arbeitslosen nicht in Arbeit. Ein solches Programm wäre nichts als ein Täuschungsmanöver für die Menschen, eine Beruhigungspille für die Gewerkschaften und würde letztendlich nur ein Sich-Drücken vor den tatsächlich notwendigen Entscheidungen bedeuten. ({11}) - Das kommt jetzt sofort. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß hat erst am Wochenende auf einer Tagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Erlangen deutlich gemacht, daß „von den öffentlichen Haushalten jetzt dringender als je Impulse für eine Verbesserung der Beschäftigungssituation ausgehen müssen". Er hat weiterhin gefordert, jetzt bei den konsumtiven Ausgaben soweit wie möglich zu sparen, um mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze zu ermöglichen. Strauß hat drittens darauf hingewiesen, daß das bei weitem beste Beschäftigungsprogramm die Wiederdurchführung der durch die Kürzungsmaßnahmen der letzten Jahre gestrichenen oder gestreckten Investitionen wäre. Die Ursache der hausgemachten Wirtschaftsprobleme liegt eindeutig in der konsumtiven Aufblähung des Bundeshaushalts. Hier muß die Bundesregierung ansetzen. Die Wirtschaft braucht wieder Luft zum Atmen, nicht neue staatlich verordnete Programme. Es ist ein Unding, die Investitionen der Wirtschaft vom Grünen Tisch aus lenken zu wollen. Unternehmer und unternehmerische Entscheidungen bringen da mehr. Eine Erfahrung zeigt, daß staatliche Wirtschaftsplanung in umgekehrtem Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungskraft steht. Auf eine schlichte Formel gebracht: Je mehr Staat desto schlechter die Wirtschaft. Das sehen wir im übrigen im Ostblock. Das beste Konjunkturprogramm wäre eine Umschichtung des Bundeshaushalts von konsumtiven zu investiven Ausgaben. Was die deutsche Wirtschaft braucht, sind nicht schnelle Geldspritzen, sondern ein mittelfristiges Programm zur Wiederbelebung des Wachstums über private und öffentliche Investitionen. Dazu sind weiter notwendig: der Abbau von Investitionshemmnissen, die Umstrukturierung des Steuersystems, die Förderung von Existenzgründungen sowie neue Formen betrieblicher Gewinn- und Vermögensbeteiligung. Aber das größte Problem bleibt unlösbar. Es ist der Mangel an Vertrauen. Denn die Bürger sind in den letzten Jahren zu oft und zu tief enttäuscht worden. ({12}) Es fehlt der Bundesregierung an Stetigkeit und Berechenbarkeit, und beide Faktoren sind für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung unumgänglich, und deswegen ist auch ein Aufschwung nicht in Sicht. Bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 1982 haben Bundesregierung und Koalition wiederholt unter Beweis gestellt, daß sie jederzeit in der Lage sind, das Gegenteil dessen zu tun, was sie vorher feierlich verkündet haben. ({13}) Die Kindergelderhöhung, im Wahlkampf versprochen, dann kurze Zeit durchgeführt, ist durch das Haushaltsstrukturgesetz zurückgenommen worden. Steuererhöhungen wurden im Mai letzten Jahres vom Bundesfinanzminister energisch bestritten und im Sommer von der Bundesregierung beschlossen. Das gleiche Spiel wiederholt sich offenbar in diesen Tagen. Derselbe Finanzminister schloß eine Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge während seiner Amtszeit aus. Kurz darauf erhöhte die Bundesregierung diese Beträge von 3 auf 4 %, und der Minister ist immer noch im Amt. Der Bundeskanzler gab am 30. Juli 1981 sein Wort, daß der über 6 Milliarden DM hinausgehende Teil des Bundesbankgewinnes ausschließlich zur weiteren Rückführung der Nettokreditaufnahme dienen solle. Heute verlangt derselbe Kanzler die letzte Mark von den 10 ½ Milliarden DM Gewinn von der Deutschen Bundesbank für den Haushalt 1982. Das sind nur einige Beispiele aus einer Kette von Täuschungsmanövern, die zu dem rapiden Vertrauensverlust beim Bürger geführt haben. Der Bundeskanzler versprach in seiner Regierungserklärung 1980, den Haushaltsentwurf für 1981 bei einer Ausgabensteigerung von 4 % und einer Nettokreditaufnahme von 27 Milliarden DM zu begrenzen. Dieser Tage liegt das Ist-Ergebnis des Haushalts 1981 vor: statt 4 % wurden es 8 % Ausgabewachstum - das ist ja nicht viel, nur das Doppelte! - und statt 27 wurden es 37 Milliarden Mark neue Schulden. ({14}) Nach der Berechnung der Deutschen Bundesbank, Herr Kollege Haase, liegen die Ist-Zahlen sogar bei 40 Milliarden Mark. ({15}) Das heißt: der Bundeshaushalt 1982 ist um kein Jota besser als sein Vorgänger. Auf einen schlechten Haushalt ist ein noch schlechterer gesetzt worden. ({16}) Wen wundert es, daß das Finanzgebäude der Bunderepublik Deutschland immer wackliger wird? Die Neuverschuldung und der von der Bundesregierung beanspruchte Bundesbankgewinn, der in seinen wirtschaftlichen und kapitalmarktmäßigen Auswirkungen einer Kreditaufnahme gleichzusetzen ist, betragen über 37 Milliarden Mark, soviel wie das Endergebnis im Vorjahr, mit Tendenz nach oben. ({17}) Das bedeutet realistischerweise und nach unser aller Erfahrung, daß auch diesmal der ursprüngliche Rahmen überschritten werden wird. Denn eines steht heute schon fest: Die bisherige Fehleinschätzung der Arbeitsmarktentwicklung und der Steuereinnahmen für 1982 sowie die bewußte Unterdekkung wichtiger Ausgabenansätze des Bundes - darüber wird in den nächsten Tagen ausführlich zu reDr. Zimmermann den sein - werden innerhalb kürzester Zeit neue Haushaltslöcher in Milliardenhöhe aufreißen. Ein Nachtragshaushalt ist - das wissen die Fachleute hier alle - schon jetzt unausweichlich. Der gewünschte und dringend notwendige Bundeshaushalt, der eine Konsolidierung einleitet, neue finanzielle Handlungsspielräume eröffnet, der Wirtschaft Impulse gibt und Vorsorge für die Rückzahlung inflationsbedingter Steuereinnahmen in den kommenden Jahren trifft - ein solcher Bundeshaushalt bleibt bei dieser Koalition eine Fata Morgana. Die finanzpolitischen Realitäten werden Bundesregierung und Koalition schneller einholen, als ihnen lieb ist. Zeichen der Umkehr sind weder in der Wirtschafts- noch Finanz- noch Arbeitsmarktpolitik erkennbar. Die Bundesregierung schiebt schon seit Jahren die Probleme des Ausländerzuzugs und der Wirtschaftsasylanten vor sich her. Auch dadurch werden die öffentlichen Haushalte in unverantwortlicher Weise belastet. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland und darf nicht zu einem Vielvölkerstaat werden. ({18}) Wir können nicht die Zufluchtsstätte für Millionen von Menschen aus anderen Kontinenten sein. Das übersteigt unsere Möglichkeiten und entspricht auch nicht dem Gedanken der Väter des Grundgesetzes, die bei der Formulierung des Asylparagraphen an politische Einzelschicksale und nicht an Massenbewegungen dachten. Nirgendwo steht geschrieben, daß eine Familienzusammenführung von bei uns lebenden und arbeitenden Ausländern hier in diesem Land erfogen muß. Hier müssen neue Maßstäbe gefunden werden. Die CDU/CSU hat gestern einen Entschließungsantrag vorgelegt, von dem wir hoffen, daß sich die Koalitionsfraktionen diesen Gedankengängen anschließen. Es muß einmal ausgesprochen werden, daß eine volle EG-Mitgliedschaft der Türkei nicht mit einer totalen Freizügigkeit verbunden sein kann, weil das unübersehbare Probleme für unser Land mit sich bringen würde. ({19}) Der Bundeskanzler denkt in dieser Beziehung in die gleiche Richtung. Er hat in diesem Zusammenhang sehr kräftige Worte vor Gewerkschaftsvertretern in seinem Hamburger Wahlkreis gebraucht. Ein weiteres Problem ist die Verschiebung der Finanzmassen zwischen den Sozialversicherungsträgern. Lücken im Bundeshaushalt wurden einfach zu Lasten der Sozialversicherungsträger gestopft. Die Erhöhung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung um einen vollen Prozentpunkt bei gleichzeitiger Senkung der Beitragssätze zur Rentenversicherung um einen halben Prozentpunkt sind nicht nur wirtschafts- und sozialpolitisch verfehlt, sondern gefährden auch die Finanzierung der Rentenreform 1984. ({20}) Dieser Verschiebebahnhof dient lediglich dem Zweck, die Offentlichkeit über die Finanzprobleme irrezuführen. Auf der Strecke bleiben das System der sozialen Sicherung und die Solidargemeinschaft. Ähnlich negativ verläuft die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit den Ergänzungsgesetzen zur sogenannten Kostendämpfung sind verschärfte staatliche Eingriffe und systemverändernde Ansätze beschlossen worden. Die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen haben jedoch angehalten. Vor weiteren Plänen der Bundesregierung einer großangelegten Strukturreform der Krankenversicherung kann daher nur dringend gewarnt werden. In der Familienpolitik hat ein falscher ideologischer Ansatz zu schweren Störungen geführt. Das angeblich moderne Bild der Familie als bloßer Zweckgemeinschaft mit dem Kind als „Objekt elterlicher Fremdbestimmung" entspricht nicht den Wünschen und Idealen der meisten Menschen, auch nicht denen der jungen Menschen. ({21}) Der Rückgang der Geburten ist sicher nicht ausschließlich, aber eben auch auf eine familienfeindliche Politik dieser Regierung zurückzuführen, die in der Kürzung des Kindergeldes für alle sichtbar geworden ist. ({22}) Das verfehlte Scheidungsrecht ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen. Ein besonders trauriges Kapitel im Bundeshaushalt 1982 ist der Forschungshaushalt geblieben. Gerade hier hätte angesichts der schlechten wirtschaftlichen Gesamtlage und der Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft die Chance für einen Neubeginn gelegen. Leider bleibt die Forschungsförderung geprägt durch eine unübersehbare Programmflut ohne erkennbare Schwerpunkte, durch eine tagesorientierte Antragsabwicklung, durch eine auf Systemüberwindung angelegte ideologische Überfrachtung sowie durch eine ausufernde Forschungsbürokratie. Nichts dokumentiert den Irrweg besser als der sogenannte Förderungskatalog 1980. Dort sind 6 755 Einzelvorhaben mit einem Volumen von 5,7 Milliarden DM ausgewiesen. Mit der bloßen Verwaltung innerhalb und außerhalb des Ministeriums sind 2 000 Mitarbeiter befaßt, und 80 Ausschüsse beraten den Forschungsminister. Hier erstarrt Forschung zur Routine, werden Steuergelder zu versteckten Subventionen mißbraucht, und im Endeffekt kommt wenig heraus. ({23}) Im Bereich der beruflichen Bildung hat die Bundesregierung offenbar immer noch nicht ihr ideologisches Ziel, die Abschaffung des bewährten dualen Ausbildungssystems, aufgegeben. ({24}) Es macht wenig Sinn, wenn der Bildungsminister mangels Kompetenzen seine ganze Restenergie auf die berufliche Bildung und seine Einflußnahme dar4484 auf setzt. Es wäre gut, wenn das duale System nicht durch betriebsfremde Auflagen und praxisferne Ausbildungsanordnungen erschwert würde. Was wir brauchen, sind mehr betriebliche Ausbildungsplätze. Und diese hängen unmittelbar von der wirtschaftlichen Zukunft der Betriebe ab. ({25}) In der Energiepolitik hat sich die Bundesregierung seit längerer Zeit abgemeldet, und zwar seit dem Zeitpunkt, wo SPD-Parteitage sich dieses Themas in destruktiver Weise angenommen haben. ({26}) Die SPD hält die Option für und gegen die Kernenergie weiter offen und blockiert damit die Zukunft. ({27}) Der Bundeskanzler selber scheint resigniert zu haben. Um den einst vielgenannten Nuklearrat beim Kanzler ist es still geworden. Er hat ihn schon lange nicht mehr einberufen. ({28}) Dabei weiß der Kanzler genau, daß der Ausbau der Kernenergie für die Bundesrepublik Deutschland lebensnotwendig ist. Seit Jahren bewegt sich aber bei uns nichts mehr. Kraftwerkbau stagniert. Und die SPD in den Ländern kämpft an vorderer Front gegen den Bau der notwendigen Kraftwerke. Der Bundeswirtschaftsminister weiß sehr wohl, daß der Strompreisvorsprung der französischen Wirtschaft heute schon 20 bis 30 % beträgt und sich bis Ende der 80er Jahre auf 50 % ausweiten wird. Auch das hat negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. ({29}) Die Versäumnisse beim Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie müssen von den deutschen Stromverbrauchern schon heute mit 3 Milliarden DM pro Jahr bezahlt werden. Die Kraftwerksunion beziffert die Bauverzögerungen bei allen deutschen Kernkraftwerken auf nahezu hundert Jahre und die Folgelasten in Form von Mehrkosten bis zum Jahr 2 000 auf 240 Milliarden DM. ({30}) Statt unausgegorene Beschäftigungsprogramme zu erörtern, sollte die Bundesregierung endlich den Milliardeninvestitionsstau bei den Kernkraftwerken aufbrechen. Hier stecken Arbeit und Zukunft gleichermaßen. ({31}) Einen Investitionsstau von ebenfalls beträchtlicher Größenordnung gibt es im Medienbereich. Gerade in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit sollte die Bundesregierung daran denken, daß unsere kommunikationstechnische Industrie ein Produktionsvolumen von gut 65 Milliarden DM bei über 300 000 Beschäftigten hat. Hier liegt ein zukunftsträchtiger Markt. Aber der Bundesregierung ist nichts anderes eingefallen, als unter Mißbrauch des Postmonopols den technologischen Abstand zu unseren Hauptkonkurrenten USA und Japan weiter zu vergrößern. Aufhalten wird sie den Fortschritt nicht. Aber er wird nicht uns, sondern den anderen nützen. Der Bundeskanzler trägt für diese Entwicklung durch seinen Verkabelungsstopp von 1979 ganz persönlich eine große Verantwortung. Gleichzeitig wartet die deutsche Öffentlichkeit bisher vergeblich auf die für Weihnachten angekündigte Entscheidung des Bundeskanzlers über die wirtschaftliche Kooperation mit Saudi-Arabien. Herr Bundeskanzler, Sie wollten sich doch so oder so bis zum Ende des letzten Jahres äußern. Wir haben aber so oder so nichts davon gehört. ({32}) Die Sicherheitslage innerhalb der Bundesrepublik Deutschland war im letzten Jahr von einer Kette gewaltsamer Ausschreitungen als Folge von Demonstrationen und Hausbesetzungen gekennzeichnet. Das führte in Berlin und Frankfurt beispielsweise zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Eine perfekte Organisation ermöglichte den Einsatz mobiler Schlägertrupps, eine Form von Terror und Chaos, auf die unsere Polizei nicht vorbereitet war. Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung mit der Verharmlosung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit aufhört und Polizei wie Justiz die Mittel erhalten, die sie zum Schutz unserer Demokratie und ihrer Bürger brauchen. ({33}) Es ist ein bedrohliches Zeichen, daß sich immer mehr Polizisten im Stich gelassen fühlen, während die Koalitionspartner aus ideologischen Gründen die Augen vor der brutalen Wirklichkeit auf unseren Straßen verschließen. Die CDU/CSU hat dazu x-mal Vorschläge gemacht. Wir fordern ein Gesetz zum Schutz friedfertiger Demonstrationen, die Wiedereinführung des Tatbestandes des Landfriedensbruchs. Wir fordern die Strafbarkeit des Aufrufs zu Gesetzlosigkeit und Gewalt, und wir fordern endlich ein Verbot der Vermummung bei Demonstrationen; ({34}) denn die Vermummung ist geradezu ein Symbol des Straßenterrors bei uns geworden. Die verhängnisvolle Entwicklung begann 1970 durch eine Demontage des Demonstrationsstrafrechts gegen unseren nachhaltigen Widerstand. Die Koalition trägt die Verantwortung dafür, daß die Schleusen der Gewalt geöffnet wurden. Der Bundeskanzler selbst hat den Rückzug vor Gewalttätigkeit und Terrorismus angetreten, als er in seiner Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode nicht mehr von Schutz, sondern von Abbau und Überprüfung strafrechtlicher Bestimmungen sprach. Jetzt sollen, so hören wir, das Kontaktsperregesetz und der strafrechtliche Schutz vor kriminellen Vereinigungen demontiert werden. Nur glücklichen Umständen ist es zu verdanken, daß die Anschläge auf den Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte und auf die Befehlszentrale in Ramstein ihre Ziele nicht voll erreichten. Die Kommunisten haben in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Stellenwert erreicht. Das gilt vor allem für die Deutsche Kommunistische Partei. Die DKP verfügt über 45 000 aktive Mitglieder und weitere 30 000 in Nebenorganisationen. Mit 400 hauptamtlichen Mitarbeitern hat die DKP bei ihrer guten finanziellen Ausstattung einen Organisationsgrad und einen Einfluß im vorparlamentarischen Raum, der von beträchtlicher Wirkung ist. Nichts wäre gefährlicher, als die Arbeit der Kommunisten mit Blick auf ihre in der Tat lächerlich geringen Wahlergebnisse zu übersehen. Der DKP kommt es nicht auf Prozente, sondern auf Einfluß an. Und sie gewinnt an Einfluß, ob in der sogenannten Friedensbewegung oder leider auch im Gewerkschaftsbereich, was der Führung des DGB im stillen große Sorge bereitet. Die DKP bleibt eine Filiale Moskaus und Ost-Berlins in unserem Staat. Die demokratischen Parteien haben allen Anlaß, diesen Ableger eines totalitären Systems auf dem niedrigsten Nenner zu halten. Es grenzt an Masochismus, wenn die SPD/FDP-Koalition jetzt den Kommunisten zwar nicht das Hauptportal, so doch die Hintertür in den öffentlichen Dienst öffnen will. ({35}) Eine Uberprüfung der Verfassungstreue bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst findet bei der Bundesregierung praktisch längst nicht mehr statt. Die sehr erfolgreiche Regelanfrage, wie sie Bund und Länder 1972 noch gemeinsam beschlossen haben, ist von der SPD/FDP-Koalition einseitig aufgekündigt worden. Jetzt versucht die Bundesregierung, an der Spitze die Bundesminister des Innern und der Justiz, das Beamtenrecht auszuhöhlen: entweder DKP-Mitglieder als Angestellte in den Staatsdienst zu nehmen oder gar Beamte erster und zweiter Ordnung zu schaffen. Die einen können demnach Kommunisten sein, die anderen nicht. ({36}) Ich kann die Bundesregierung nur warnen und an eine sehr klare Aussage des Bundesverfassungsgerichts erinnern, wo es heißt: Die ... Treuepflicht des Beamten und Prüfung des Bewerbers, ob er die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten ... ist ... einer Differenzierung je nach der Art der dienstlichen Obliegenheiten des Beamten nicht zugänglich. Beinahe wörtlich genauso äußerte sich das Bundesverwaltungsgericht. Die CDU/CSU bleibt dabei: Kommunisten haben im Staatsdienst grundsätzlich und ohne Ausnahme nichts verloren. ({37}) Alle demokratischen Parteien sind verpflichtet, eine Unterwanderung unseres freiheitlichen Systems durch verfassungsfeindliche Personen zu verhindern. Wir sollten die Lehren von Weimar nie vergessen und die Bundesrepublik Deutschland als eine wehrhafte Demokratie erhalten. ({38}) Leider hat die Bundesregierung nicht nur im Innern, sondern auch im Außenverhältnis zur Sowjetunion und der DDR einen Kurs der Annäherung an die Kommunisten eingeschlagen, der im Westen inzwischen weithin als Anpassung verstanden wird. Das beginnt bei den mysteriösen Vorgängen um den Rücktransfer eines geflüchteten hohen Offiziers der DDR-Grenztruppen nach Ost-Berlin unter tätiger Mithilfe des Kanzleramts ({39}) und endet vorerst bei Versuchen, der sowjetischen Lesart von Abrüstung und der Entwicklung in Polen entgegenzukommen. Ich möchte an dieser Stelle mit der Mär aufräumen, der CDU/CSU ginge es bei der Untersuchung um Flucht und Rücktransfer des DDR-Offiziers um ein parlamentarisches Spektakel. Es ist schlicht so, daß es bei diesem Vorgang einiges zu klären gibt. Das kann nur durch einen Untersuchungsausschuß geschehen. Es ist aber schon spektakulär, wenn sich die Bundesregierung weigert, ihrem Souverän, dem Parlament, die Akten über diesen Vorgang vorzulegen. ({40}) Darüber wird jetzt das Bundesverfassungsgericht zu befinden haben. Die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments, meine Damen und Herren, sind ohnehin gering. In der Praxis wird diese Rolle von der parlamentarischen Opposition wahrgenommen, von der CDU/CSU. Welche Möglichkeiten haben wir? Die Fragestunde. Da antwortet der Minister oder meist sein für untergeordnete Fälle abgestellter Staatssekretär gerade so, wie er Lust hat. Das gleiche gilt für Kleine und Große Anfragen. Das einzig wirksame Kontrollinstrument bleiben die Untersuchungsausschüsse, weil nur hier die Möglichkeit besteht, nachzufassen, den verantwortlichen Beamten direkt zu hören und eingehend zu befragen. Wir haben mit derzeit zwei laufenden Untersuchungen - eine zur Tornado-Problematik durch den Verteidigungsausschuß und eine zur Frage des Oberstleutnants Rauschenbach - nicht etwa zuviel, sondern eher zuwenig an parlamentarischer Kontrolle. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einer Legendenbildung entgegenwirken, und zwar den Spekulationen um die Parlamentarische Kontrollkommission für die Nachrichtendienste. Bei allen gewichtigen und aufklärungsbedürftigen Vorgängen wird von Koalitionsseite immer ausgestreut, daß das alles in dieser Kontrollkommission ausführlich behandelt werde. In Wirklichkeit kann die Kontrollkommission gar nichts kontrollieren, sondern sie kann lediglich anhören, was die Bundesregierung zu sagen hat. Der sogenannten Kontrollkommission fehlen jegliche Rechte eines Untersuchungsausschusses. Die Bedeutung der Kommission erlangt dieses Gremium lediglich durch die prominente Mitgliedschaft der Fraktionsvorsitzenden und den hohen Grad der Vertraulichkeit. Was die Untersuchung des Verteidigungsausschusses über das Finanzdebakel beim Kampfflugzeug Tornado angeht, so ist das nur eines von vielen Problemfeldern, mit denen heute unsere Landesverteidigung belastet ist. Noch schwerwiegender sind die Zerrüttungen im westlichen Bündnis. Der Bundeskanzler ist auf dem Weg, eine falsche Sicherheitspartnerschaft im Osten zu suchen. ({41}) Er verkennt dabei die gefährliche Dialektik sowjetischen Sicherheitsdenkens. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten bekennen sich seit jeher verbal zu Frieden, Entspannung und Rüstungskontrolle. ({42}) Diese Bekenntnisse hindern sie nicht, gleichzeitig und stetig weltweit und regional in der ganzen Breite des Waffenspektrums aufzurüsten. Ihre vorhandene militärische Überlegenheit wird weiter ausgebaut. Das gilt nicht nur für die nuklearen Mittelstreckenwaffen SS 20; auch der Ausbau des östlichen Übergewichts bei den konventionellen Streitkräften in Mitteleuropa geht kontinuierlich weiter. Parallel zu den MBFR-Verhandlungen wurden die Zahl und die Reichweite der Kampfflugzeuge gesteigert, die Artillerie der Verbände in der DDR verstärkt, die Lufttransportkapazitäten erhöht, die Umspurzone der sowjetischen Eisenbahnen von Ostpolen an die polnische Westgrenze verlegt und das Personal der in Mitteleuropa stationierten sowjetischen Streitkräfte aufgestockt. Hinzu kommt die in den letzten Monaten durchgeführte Einschleusung von sowjetischen Soldaten nach Polen. Dies alles ist geschehen und geschieht, obwohl schon beim Breschnew-Besuch im Mai 1978 eine gemeinsame deutsch-sowjetische Erklärung unterzeichnet wurde, in der Prinzipien wie „annähernde Gleichheit" und „Verzicht auf militärische Überlegenheit" anerkannt wurden. Der Beweis liegt offen zutage, daß die Sowjetunion zwischen formaler Rechts- und Vertragspolitik und ihrem tatsächlichen militärischen Verhalten sehr wohl zu ihren Gunsten zu unterscheiden weiß. Ihr Sicherheitsbegriff ist nichts anderes als die Machtpolitik der russischen Zaren seit Iwan III., auf die dankenswerterweise der stellvertretende Regierungssprecher Lothar Rühl in seinem Buch „Rußlands Weg zur Weltmacht" hingewiesen hat. Militärische Überlegenheit dient der schrittweisen Ausdehnung des politischen Einflusses. Es ist schwer verständlich, wie der Bundeskanzler angesichts eines historisch so klaren sowjetischen Sicherheitsverständnisses von einer Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion ausgehen kann. Die Bedenken unserer engsten Verbündeten im Westen sind unüberhörbar. Die amerikanische Regierung hütet sich vor Begriffen wie „Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion" und spricht in nüchterner Form von reinen Arbeitsbeziehungen. So sollten auch wir es halten. Falsch verstandene Sicherheit droht Gleichgewicht und Effektivität von Verteidigung und Abschreckung in gefährlicher Weise aufzuweichen. Verteidigung als Eigenwert unseres Grundgesetzes und als Basis der Abschreckung wird durch die propagierte „Sicherheitspartnerschaft" in Frage gestellt. Eine weltweite Gefahr droht der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland dadurch, daß der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister zunehmend von der SPD dazu gedrängt werden, der Rüstungskontrolle - nuklear wie konventionell - den Vorrang vor den notwendigen Verteidigungsanstrengungen zu geben. Unter solchen Umständen läuft die deutsche Verteidigungspolitik konform mit dem falschen Sicherheitsbegriff des Bundeskanzlers. Das Gleichgewicht wird unter dem Einfluß östlicher Dialektik unterminiert. Dieses negative Gesamtbild läßt sich an Hand zahlreicher Einzelprobleme im Verteidigungsbereich ausmalen. Darüber wird noch zu reden sein. Die Stichworte „Rüstung", „Rüstungsplanung" und „Finanzen" kennzeichnen kritische Bereiche und Mangel an Lösungen. Klaren Entscheidungen in der Sache weicht der Bundesminister der Verteidigung durch überzogene formale Aktivitäten aus. All diese Unternehmungen wie „Studie Bundeswehr '90", Rüstungsleitlinien, Langzeitkommission, Abteilungsleiterausschuß für Bundeswehrplanung und EmckeKommission belegen im Grunde nur, daß guter Rat teuer ist. ({43}) Der Bundesminister der Verteidigung hat hier ein Netz geflochten, durch das er sich in Zugzwang bringt, ohne die entscheidenden Fragen beantworten zu können. Gleichzeitig verunsichern diese Pseudoaktivitäten die Truppe und absorbieren die Arbeitskraft von Offizieren und Beamten. Deren eigentliche Aufgabe, die beschlossene Wehrstruktur zügig zu stabilisieren und für die Zukunft die Verteidigung entsprechend der wachsenden Bedrohung - d. h. auch in der Wirkung auf den Gegner - effektiv zu halten, bleibt liegen. Fehlender Mut zur Entscheidung kennzeichnet die Lage bei der Rüstung, bei der Rüstungsplanung und bei deren Verhältnis zur Rüstungskontrolle. Unterdessen reift die Vokabel „Finanzierbarkeit" - an Stelle des Verteidigungsauftrages - zur alles entscheidenden Meßlatte. Das Strecken von Programmen geht weiter. In der Langzeitkommission gewinnen gefährliche Alternativen zunehmend an Gewicht. Dazu rechne ich Optionen im Sinne der Verkleinerung der Bundeswehr um fast 50 000 Mann auf eine niedrigere Gesamtstärke von 450 000 Soldaten. Ich kann nur davor warnen, auf diese Weise den MBFR-Vorschlag des Kanzlers vom 9. März 1979 - die sogenannte 50-%-Regel, die in Wien inzwischen vom Osten übernommen wurde - nunmehr in der Form einer einseitigen Reduzierung der Bundeswehr ins Spiel zu bringen. ({44}) Damit wäre die Sowjetunion ihrem Ziel, die Bundeswehr zu reduzieren und zu kontrollieren, einen entscheidenden Schritt nähergekommen. ({45}) Die Bundesregierung wäre besser beraten, wenn sie an Stelle solcher Überlegungen die seit April 1978 versandete Forderung nach Abzug einer geschlossenen sowjetischen Panzerarmee aus der DDR wieder aufgreifen würde. Dies entspräche den Interessen der NATO und stände im Einklang mit der neuen amerikanischen Rüstungskontrollpolitik. Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf, das falsche Konzept einer „Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion" aufzugeben, ({46}) Beziehungen mit den Staaten des Warschauer Paktes nur im Rahmen der Atlantischen Allianz und als nüchternes Arbeitsverhältnis auf der strikten Basis des „do ut des" zu unterhalten, ({47}) im Rahmen Ihrer Richtlinienkompetenz dafür zu sorgen, daß im Verteidigungsministerium ohne neue Bürokratie jetzt die notwendigen Sachentscheidungen getroffen werden, und die Sicherheitspolitik der Bundesregierung generell danach auszurichten, daß bei angemessenen Lasten- und Aufgabenverteilungen Gleichgewicht und Frieden für alle Verbündeten in gleicher Weise gesichert bleiben. Die Kette der Mißerfolge und Niederlagen des Bundeskanzlers ist beachtlich. Der Haushalt ist finanzpolitisch nicht gesichert, wirtschaftlich geht es dramatisch bergab, außenpolitisch hat der Bundeskanzler die Bundesrepublik Deutschland in eine Zone zwischen Ost und West geführt. Gewiß, auch früher gab es Schwierigkeiten, Krisen auf den verschiedensten Gebieten. Aber diesmal kommt zuviel auf einmal. Die Menschen bei uns haben das Vertrauen in den Bundeskanzler Schmidt, in seine Fähigkeit, die Probleme zu meistern, verloren. ({48}) Ich will gern zugeben, Herr Bundeskanzler, daß es für Sie denkbar unglücklich war, während Ihres Besuches bei Herrn Honecker von der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen überrascht zu werden. Aber Sie haben in der Schorfheide und in Güstrow falsch reagiert, und das wissen Sie selbst. ({49}) Ihr Grundproblem, Herr Bundeskanzler, bleibt, daß Sie sich im Verhältnis zur Sowjetunion zum Gefangenen einer eindimensionalen Entspannungsideologie gemacht haben. Deswegen müssen Sie entschuldigen, was nicht zu entschuldigen ist. Deswegen müssen Sie Tatsachen leugnen, die jedem Bürger in die Augen stechen. Und wenn das alles nichts hilft, dann fällt Ihnen nichts anderes ein als die abgegriffene Formel, zur Entspannung gebe es keine Alternative. Als letzten Ausweg, Herr Bundeskanzler, setzen Sie auf die Angst der Deutschen vor einem Krieg in Europa. Nicht zum erstenmal, schon seit Jahren haben Sie Angst geschürt, um die Macht zu behalten. Es ist Ihnen dabei nicht bewußt oder gleichgültig, daß der Verteidigungswille der Deutschen erlahmen muß und damit Freiheit, Wohlstand und Frieden gleichermaßen in Gefahr geraten. ({50}) Es ist die wichtigste Aufgabe dieses Jahres 1982, der Bundesrepublik Deutschland ihren festen Platz im westlichen Bündnissystem und an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika wiederzugeben. ({51}) Genauso wichtig ist, die wirtschaftliche Talfahrt zu beenden und zu einer dauerhaften Konsolidierung der öffentlichen Finanzen zu kommen, die den Weg zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft freimacht. Zur Bewältigung dieser großen Aufgaben haben Sie, Herr Bundeskanzler, und diese Koalition nicht mehr die Kraft. Das wird sich in den nächsten Monaten Monat für Monat, ob Sie es wollen oder nicht, erweisen. ({52})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Herr José Maria de Areilza, Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie, Herr Präsident, und die Herren Ihrer Begleitung sehr herzlich zu begrüßen. ({0}) Den Deutschen Bundestag und die Parlamentarische Versammlung des Europarates verbinden seit über 30 Jahren enge und gute Beziehungen. Ihr Besuch, Herr Präsident, gibt uns Gelegenheit, daran zu erinnern, daß der Deutsche Bundestag im Jahre 1950 im Europarat die internationale Zusammenarbeit auf der parlamentarischen Ebene aufgenommen hat. Es ist uns daher eine besondere Freude, den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in unserem Lande und im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, unabhängig von den parteipolitischen Gegensätzen, Meinungsverschiedenheiten empfinden die meisten von uns in diesen Wochen Sorgen, Sorgen, wo es um Polen, um die Ost-West-Beziehungen, um Europa geht, Sorgen, wo es um die internationale Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitslosigkeit bei uns zu Hause geht. Die meisten stellen sorgenvolle Fragen, was sich daraus für den Frieden im Innern und nach außen ergeben kann. Weil dies so ist, möchte ich meinem Vorredner nicht gern auf dem Weg übersteigerter Polemik folgen. ({0}) Eine frontale Auseinandersetzung, eine Art von Rundumschlag, Herr Kollege Zimmermann, wird meiner Überzeugung nach nicht dem gerecht, was die Bürger in diesem Augenblick von uns erwarten. ({1}) Ich möchte ein Wort sagen, was nun überhaupt nichts mit dem Meinungsstreit zu tun hat, auf den ich dann auch eingehen muß, ein Wort, das, glaube ich, an diesem Vormittag im Deutschen Bundestag gesagt werden muß. Ich möchte ein Wort der Trauer über die Opfer des scheußlichen Anschlags auf ein israelisches Lokal in Berlin und der Anteilnahme am Leid jener jüdischen Mitbürger sagen, die hoffentlich nicht am Sinn ihrer Existenz in Deutschland zweifeln. ({2}) Wir müssen - ich weiß, daß wir hier einer Meinung sind - wirklich alles Mögliche tun, um den gemeinen Anschlag aufzuklären, um das entschiedene Vorgehen gegen jede Art von Terrorismus nicht durch irgendwelche Nebenerwägungen abschwächen zu lassen, um die Gerichte, falls sie es nötig haben, zu Unnachgiebigkeit gegen jene zu ermutigen, die die Grundlagen friedlichen Zusammenlebens in Frage stellen, und um den jüdischen Mitbürgern in unserem Lande wie anderen die Sicherheit zu geben, auf die sie Anspruch haben. Mich erschüttert die Nähe jenes Berliner Anschlags zu dem morgigen Tag, an dem 40 Jahre seit der Konferenz am Wannsee vergangen sein werden, auf der Hitler befahl, daß die europäischen Juden zu vernichten seien. Ich denke, wir sollten von hier aus deutlich machen, daß wir uns aus unserer Entscheidung, Unrecht, bitterstes Unrecht, soweit es menschenmöglich ist, zu überwinden, nicht herausbomben lassen werden. ({3}) Ich möchte sodann, meine Damen und Herren, um Verständnis dafür bitten, daß ich mit einem Wort auf die Aussprache am vergangenen Donnerstag zurückkomme. Ich finde, aus dem Satz des Bundeskanzlers über Leute mit geistiger Verankerung in einer jüngeren, bösen Vergangenheit, über Leute, die sich zu verbalen Ausfällen ermutigt fühlten, wie er gesagt hat, ließ sich nicht ableiten, was der Kollege Kohl daraus abgeleitet hat. ({4}) Mir bleibt, auch nach reiflichem Überlegen, unverständlich, was der Kollege Kohl hat insinuieren wollen, als er den Bundeskanzler Helmut Schmidt im Ton der Anklage mit dem 20. Juli 1944 hat in Zusammenhang bringen wollen. ({5}) Das ist durch nichts gerechtfertigt, das war nicht in Ordnung, und deshalb will ich es noch einmal mit allem Nachdruck zurückweisen. ({6}) Es wäre besser, wir verzichteten auf solche Entgleisungen ({7}) und machten einander, wie es sich für die Repräsentanten eines demokratisch regierten Staates gehört, nicht noch die Opfer streitig. ({8}) Diese Republik steht in der Schuld der Opfer der Verfolgung und des Krieges und der Vernichtung und des Widerstandes. Keiner von uns, der auf dem Boden unserer Verfassung steht, darf die Märtyrer deutscher Freiheit für sich monopolisieren und gegen innenpolitische Widersacher ausschlachten wollen. ({9}) Ich sagte zu Beginn: Es gibt überall, vielerorts im Lande, nicht nur hier im Hause, Sorgen, die sich auf den inneren und äußeren Frieden beziehen. Damit hat auch der Bundeshaushalt zu tun, damit hat die Aussprache zu tun, die wir hier heute und in den folgenden Tagen führen. Für uns Sozialdemokraten ist es von besonderer Bedeutung, daß die Kernbestandteile des Netzes der sozialen Sicherheit unangetastet bleiben - das war für uns wichtig, dafür haben wir uns eingesetzt, dafür werden wir uns weiterhin einsetzen - und daß ein sozialer Ausgleich der unvermeidlichen Lasten eines solchen Haushalts jedenfalls annähernd gelungen ist. Ich würde etwas Falsches sagen, wenn ich nicht sagte, daß das nach der Vorstellung mancher von uns noch besser hätte gelingen können. ({10}) Deshalb sage ich: „annähernd". Man muß die objektiven und die subjektiven Faktoren bei einem solchen Vorgang immer mit in Rechnung stellen. Aber es ist doch, Herr Kollege Zimmermann - das ist bei Ihnen nicht nur zu kurz gekommen, sondern völlig unter den Tisch gefallen -, keine geringe Leistung, sondern es ist eine beträchtliche Leistung, wenn unter den Bedingungen, mit denen wir es heute zu tun haben, die Neuverschuldung wesentlich zurückgefahren, der Haushalt deutlich begrenzt, die Leistungsbilanz verbessert wird, Vorbedingungen für eine modifizierte Zinssetzung - wenn wir dabei auch nie vergessen dürfen, wie stark wir gerade auf dem zuletzt genannten Gebiet von dem abhängig bleiben, was international geschieht - geschaffen werden. Ich möchte einen Punkt hervorheben, meine Damen und Herren, der leider in der Öffentlichkeit bisher kaum beachtet worden ist - auch den für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Stellen der Bundesregierung ist es noch nicht hinreichend gelungen, dies ins öffentliche Bewußtsein zu heben -, nämlich wie viele beschäftigungspolitische Impulse bereits mit dem Haushalt verbunden sind, den wir in dieser Woche verabschieden wollen. ({11}) Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt 1982 ({12}) werden für die Jahre 1982 bis 1985, wie Sie wohl wissen, beträchtliche beschäftigungs- und wachstumsfördernde Maßnahmen beschlossen. Darauf können wir dann unsere Bemühungen aufbauen, unsere zusätzlichen Bemühungen um die Schaffung neuer und um die dauerhafte Sicherung vorhandener Arbeitsplätze. Ich teile die Meinung des Bundesfinanzministers, daß die dauerhaft angelegten Maßnahmen zu mehr Beschäftigung und Wachstum in der Zukunft führen werden. Es macht daher überhaupt keinen Sinn, die gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern zu zerreden und hiermit erneut ein Klima allgemeiner Verunsicherung schaffen zu wollen. ({13}) Für den Zeitraum von 1982 bis 1985 sind - ich denke, das wird auch die Öffentlichkeit interessieren - zusätzliche beschäftigungswirksame Maßnahmen in einem Umfang von über 26 Milliarden DM vorgesehen. Ich nehme jetzt nicht die Nebenhaushalte; ich nehme z. B. nicht die 10 Milliarden DM, die allein im Fernmeldebereich in der unmittelbar vor uns liegenden Zeit investiert werden. ({14}) Der Bund ist an den erwähnten 26 Milliarden DM mit fast 11 Milliarden DM beteiligt. Dadurch wird gewiß eine Stärkung der privaten und öffentlichen Investitionstätigkeit bewirkt werden können. Die Schwerpunkte liegen bei der Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Maschinen und Bauten - in dem erwähnten Zeitraum rund 13 Milliarden DM -, bei der Energieeinsparung im bauwirtschaftlichen Bereich - in dem erwähnten Zeitraum rund 9 Milliarden DM -, bei der Sicherung von Arbeitsplätzen in den um ihre Existenz kämpfenden Stahlstandorten - rund 2 Milliarden DM ({15}) und auch bei sonstiger Investitionsförderung, angefangen bei der Anwendung der Mikroelektronik bis hin zur Bekämpfung von Ölschäden - 1,35 Milliarden DM -. Der Bund leistet mit den Abschreibungserleichterungen für Maschinen und Gebäude einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die privaten Investitionsentscheidungen. Wie wir alle wissen, sind bei der Verständigung mit dem Bundesrat zusätzliche wohnungspolitische Maßnahmen mit einem Volumen von rund 6 Milliarden DM in dem erwähnten Zeitraum beschlossen worden. Wie man nun auch immer politisch zur Fehlbelegungsabgabe, zur Zinsanhebung für Wohnungsbaudarlehen und zu prämierten vorzeitigen Rückzahlungen stehen mag - über die Kernfrage, um die es jetzt geht, sollten wir uns dahin gehend einig sein, daß die Länder gefordert sind, die ihnen zufließenden Mittel auch tatsächlich für verstärkte Maßnahmen im Wohnungsbau - ich meine hier natürlich gerade den sozialen Wohnungsbau - einzusetzen, ({16}) denn gerade in den Ballungsgebieten muß die Wohnungsnot wirksamer bekämpft werden. Herr Kollege Zimmermann hat in seiner Rede vorhin die internationalen Rahmenbedingungen, unter denen wir wirken, fast völlig vernachlässigt. Er hat Einzelgebiete einseitig negativ behandelt. Ich nehme als Beispiel einmal das Programm, das gemeinsam mit den Franzosen aufgelegt wurde. Dazu gibt es natürlich auch ganz andere Meinungen als die, die der Kollege Zimmermann hier vorgetragen hat. Ich zitiere nicht jeden Tag die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", obwohl ich ihren Wirtschafts- und zumal ihren Feuilletonteil noch lieber lese als andere Teile. Im Wirtschaftsteil wird über das berichtet, was die Deutsche Industriebank, Düsseldorf, über das erwähnte 6-Milliarden-Programm zu sagen hat, Herr Kollege Zimmermann. Ich zitiere: Dieses Programm hat nach Angaben des IKBVorstandes - des Vorstandes der Industriekreditbank, Düsseldorf viele Unternehmen in die Lage versetzt, Investitionen zur Energieeinsparung und Anlagenmodernisierung in Angriff zu nehmen oder weiterzuführen. Die Mitnahmeeffekte seien demgegenüber gering. Besonders begrüßt wird von der Bank, daß die Unternehmen mit Hilfe dieser zinsverbilligten Mittel wieder verstärkt zu einer gesunden langfristigen Finanzierung übergegangen seien. Bitte stellen Sie es also nicht so einseitig dar, wie Sie sich zu diesem Punkt geäußert haben, Herr Kollege Zimmermann. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, ist Ihnen bekannt, daß der Bundeswirtschaftsminister gestern erklärt hat, ein neues zinsverbilligendes Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau werde es nicht mehr geben? Von dem berühmten 6,3Milliarden-Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau seien 2,5 Milliarden DM immer noch nicht abgerufen worden. Mit anderen Worten: Das Geld fließt nicht mehr ab. Die Bedingungen sind nicht attraktiv. ({0})

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dazu habe ich mich nicht geäußert. Sie haben ja schon darauf hingewiesen, daß sich der Bundeswirtschaftsminister geäußert hat. Ich sage nur: Es gibt auch diese Stimme, die besagt, daß davon in einem bestimmten Bereich vorteilhafte Wirkungen ausgegangen sind. ({0}) Deshalb hatte ich darum gebeten, sich nicht so einseitig einzulassen. Ich habe natürlich gehört, daß der Kollege Zimmermann in diesem Zusammenhang die Frage gestellt hat, was wohl aus weiteren beschäftigungspolitischen Initiativen werden mag - ein Thema, das uns in hohem Maße interessiert, das allerdings heute nicht spruchreif ist. In 14 Tagen, wenn der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorliegt, wird der geeignete Zeitpunkt sein, sich mit diesem Thema neu und eingehend zu befassen. Ich habe in den letzten Tagen mit Interesse gesehen, Herr Zimmermann, daß sich verschiedene Sprecher der Union, zumal der Christlich-Demokratischen Union, weit weniger global ablehnend geäußert haben, als es Ihren Ausführungen zu entnehmen war. Wir kommen hierauf, wie gesagt, zurück. Ohne der Debatte, die wir dann Ende dieses und Anfang nächsten Monats haben werden, vorzugreifen, möchte ich sagen: Ich finde immer noch, Heinz Oskar Vetter, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hätte es verdient gehabt, daß man verständnisvoller und rascher auf seine Anregungen im letzten Herbst eingegangen wäre, die ja zugleich ein Angebot enthielten. Wenn wir uns bitte daran erinnern: Vetter hat zu nichts Geringerem aufgerufen als zu einer Art großen gesellschaftlichen Vereinbarung. Er hat gesagt, was man von der Bundesbank erwarten könnte, wo die Regierungen in Bund und Ländern mithelfen müßten, was von den Unternehmern in bezug auf Preisdiziplin zu erwarten wäre, wie man - das hat dann der ja eher konservative Sachverständigenrat im November aus seiner Sicht unterstrichen - neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Und dann hat er hinzugefügt - und ich glaube, das ist von vielen zunächst nicht beachtet worden -, im Falle einer solchen großen Anstrengung - so der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes - seien auch die Gewerkschaften bereit, über Punkte zu reden, die für sie nicht einfach seien. Ich habe diesen Vorschlag damals als ein aufforderndes Signal für alle betrachtet, sich auf ihre gemeinsame Verantwortung zu besinnen. Meine politischen Freunde und ich sind der Meinung, daß sich der Staat seiner Mitverantwortung für die Arbeitsplätze nicht entziehen darf, daß er sich nicht darauf beschränken darf, sich um die Finanzierung von Arbeitslosigkeit zu kümmern, ({1}) sondern sich mehr noch darum kümmern muß, wie Arbeitslosigkeit zurückgefahren werden kann. Gestern ist ein interessantes Gutachten einer Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern veröffentlicht worden, in dem aus gutem Grunde - ich mache mir das zu eigen - an die erste Stelle aller möglicher Maßnahmen gesetzt wird: „Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen". Darüber sollten wir nicht streiten, das ist notwendig. Aber das Gutachten warnt, warnt nachdrücklich vor Patentrezepten der neokonservativen Ökonomie und nennt sie schädlich. England und Amerika zeigen mit ihrer Wirtschaftsentwicklung, daß diese Rezepte schädlich sind und daß wir denen nicht nacheifern dürfen. ({2}) In diesem interessanten Papier der Wirtschaftswissenschaftler, gestern veröffentlicht, wird mittelfristig auf folgendes gezielt - und ich glaube, das ist vernünftig. Da heißt es nach dem Vorsatz „Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen": Mittelfristig sind, anknüpfend an das Zukunftsinvestitionsprogramm, Schwerpunkte bei der Energieeinsparung und Energiesubstitution, der Förderung der technischen Innovation, der wasserwirtschaftlichen Zukunftsvorsorge, dem Umweltschutz, dem Wohnungsbau und der Sanierung unserer Städte zu setzen. Es ist sicher so, daß das, was mittelfristig die Strukturen verbessert, durchweg auch konjunkturell vorteilhafte Wirkungen haben wird. Wir haben die Äußerungen unserer Kollegen aus der Freien Demokratischen Partei natürlich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, daß wir mit unseren Kollegen von der Freien Demokratischen Partei der Meinung sind, daß strukturpolitische Verbesserungen in der Wirtschaft und für die Wirtschaft geboten sind und daß wir daran gemeinsam arbeiten sollten. ({3}) Ich möchte eine zusätzliche Bemerkung machen. Wenn unser Freund Helmut Rohde, der einen so schweren Unfall gehabt hat und der immer noch oben auf dem Venusberg in der Klinik liegt und dem ich von hier aus einen Gruß sagen möchte - er wird wahrscheinlich unseren Beratungen folgen -, ({4}) hier wäre, würde er vielleicht etwas vorbringen, was er noch gerade aufgeschrieben hatte, bevor ihn dieser schreckliche Unfall erwischte. Er hat nämlich geschrieben: Gesellschaftspolitisches Ziel muß es sein, daß konjunkturelle Schwankungen und strukturelle Veränderungen nicht mehr in einem solchen Ausmaß wie bisher zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Strukturpolitische Hilfen und Leistungen müssen in Zukunft eindeutigen Vorrang gegenüber Arbeitslosigkeit erhalten. Das ist eine gedankliche Linie, der wir weiter nachgehen sollten. Ich möchte mich jetzt, meine Damen und Herren, einigen Bemerkungen zuwenden, die der Kollege Zimmermann zur Stellung Deutschlands in der Welt gemacht hat. Ich finde, es ist völlig unberechtigt, daß Herr Zimmermann, wenn auch heute nur durch ein paar knappe Bemerkungen, die es dann auch in sich hatten, erneut versucht hat, die Haltung der Bundesrepublik in der Polenfrage zu verdächtigen und völlig wider die Tatsachen - ich sage: auch wider besseres Wissen - der Bundesregierung einen Annäherungskurs an die Kommunisten vorwirft. ({5}) Ich sage statt dessen: Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - aber ich weiß: für viele im Lande - danke ich dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister, der Bundesregierung für den Kurs der Besonnenheit, den sie steuern. ({6}) Wir hoffen, daß Sie an diesem Kurs festhalten. Es gibt dafür mehr Zustimmung im eigenen Land und über die Grenzen des eigenen Landes hinaus, als bei uns aus einigen Zeitungen abzulesen ist. ({7}) - Ach, wie töricht! ({8}) Ich will Ihnen noch einmal sagen, wie wir Sozialdemokraten dazu stehen. Unsere Reaktion ist natürlich nicht nur Ablehnung, unsere Reaktion ist Empörung über den Knüppel des Ausnahmezustandes. Wir lehnen diese Form des Regierens, übrigens nicht nur in Polen, ab. ({9}) Unsere Reaktion ist noch mehr tiefe Trauer darüber, daß es unseren polnischen Nachbarn bisher nicht gelungen ist, die große Krise ihres Landes mit demokratischen und vernünftig-friedlichen Mitteln zu überwinden. Die große Krise hat sich aus dem Zusammenbruch eines bürokratischen Systems und - ich sage das vielleicht deutlicher, als man es sagen könnte, wenn man in der Regierung wäre - aus dem Scheitern des Versuchs ergeben, sowjetische Modelle zu exportieren. ({10}) Unsere Reaktion ist Solidarität mit dem polnischen Volk. Es gibt keinen von uns, der sich dort nicht verbunden fühlt. Ich sage es noch einmal: Ich habe auch seit der Bundestagsdebatte am Donnerstag ermutigende Zeichen gesehen, was die Sammlungen, die Spenden angeht. Ich fordere die eigenen Freunde, die Anhänger und die Wähler erneut dazu auf, die Kirchen und den Deutschen Gewerkschaftsbund zu unterstützen, und ich rufe von dieser Stelle aus auf, die Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Solidarität mit Polen am 30. Januar in starker, eindrucksvoller Zahl zu besuchen und zu unterstützen. ({11}) Ich will aber auch noch einmal sagen, verehrte Kollegen, wie wir nicht reagieren. Das habe ich eigentlich schon getan, indem ich die Besonnenheit der Bundesregierung gelobt habe. Wir dürfen und wollen nicht kopflos reagieren, auch nicht mit blinder Wut, weil blinde Wut nämlich nicht entscheiden kann, was jetzt vernünftig ist. Wem in Polen würden wir helfen, wenn wir Lebensmittelsendungen einstellten? Wem in Polen würde man helfen, wenn man Verhandlungen über - tödlich wichtige - Rüstungsfragen einstellte? Wir fordern nicht Maßnahmen, die keine sind. Wir rufen nicht nach Sanktionen, die den Polen nicht helfen. Ich persönlich halte auch nichts davon, wenn andere Sanktionen fordern, die sie dann als Auftrag weitergeben. ({12}) Aber keiner soll sich über unsere Forderungen und Mahnungen im unklaren sein. Ich habe sie auch den in Polen jetzt Verantwortlichen deutlich gemacht. Herr Jaruzelski hatte sich an mich gewandt wegen meiner Mitwirkung an dem Vertrag, der damals auf polnischen Wunsch „Vertrag über die Grundlagen der Normalisierung der Beziehungen" genannt wurde. Ich habe so, wie es die Bundesregierung getan hat und tut, gesagt: Wir wollen, daß das Kriegsrecht, der Ausnahmezustand in Polen so rasch wie möglich aufgehoben werden. ({13}) Wir wollen, daß die Inhaftierten, die Internierten freigelassen werden. Wir wollen, daß die Gewerkschaft Solidarität legal arbeiten kann und vom Staat wieder - wie die Kirchen - als Verhandlungspartner anerkannt wird. Und ich füge hinzu: Kriegsrecht verträgt sich nicht mit Friedenspolitik, übrigens auch nicht mit Friedensbewegung. ({14}) Es ist wahr, Herr Kollege Zimmermann, daß sich in Krisenzeiten wie diesen das Konzept von Entspannung, Abbau von Spannungen und Rüstungen nicht leicht durchhalten läßt. Die einen werfen einem Zementierung des Status quo vor, die anderen sagen - das klang auch bei Ihnen an -, es sei eine verwerfliche Stillhaltepolitik gegenüber Moskau. Und dann vermischt sich die Empörung über die polnischen Ereignisse mit Rückfällen in außenpolitisches Wunschdenken. Einige argumentieren auch so, als ob in Polen nach vielen Jahren parlamentarischer Demokratie etwas Neues gekommen sei oder als ob dort eine blühende Wirtschaft durch den Ausnahmezustand abgelöst worden sei. Herr Kollege Zimmermann, ich widerspreche mit Entschiedenheit der Behauptung, unsere Entspannungspolitik sei je darauf angelegt gewesen, einfach den Status quo zu sanktionieren. Entspannungspolitik, die den Frieden sichern will, ist zuinnerst dem Wandel zu mehr Freiheit und Gerechtigkeit und zu mehr Europa, wenn ich so sagen darf, verpflichtet. ({15}) Aber wir haben auch gewußt, daß dieser Wandel durch die Interessen der Hegemoniemacht begrenzt bleibt. Das ist eine grausame Logik, die sich aus der Folge der Ost-West-Konfrontation noch für geraume Zeit ergibt. Vernünftige Ost-West-Politik - und von der dürfen wir uns nicht abbringen lassen - versucht, diese Logik zu entkrampfen, diese Konfrontation zu lockern und die Spielräume zu erweitern. Ich habe meinen Dank an die Adresse der Regierung gesagt. Ich füge hinzu, wenn jemand daran gezweifelt hätte: Für mich haben diese Wochen erneut gezeigt, warum diese Bundesrepublik eine sozialliberale Koalition braucht, ({16}) und wie wichtig das für die Menschen und die vernünftige Wahrnehmung unserer Interessen und für den deutschen Beitrag zum Frieden, für den gerade unser Volk eine besondere Verantwortung trägt, ist. Herr Kollege Zimmermann hat es gerade anklingen lassen und Herr Kollege Kohl hat es in der vorigen Woche im einzelnen mit zahlreichen Zitaten belegt: Es ist in diesen Wochen im befreundeten und verbündeten Ausland mancherlei Kritik an der deutschen Haltung geübt worden. Dabei hat es Verrücktheiten gegeben, auf die ich nicht eingehen will. Ein Berater eines früheren amerikanischen Präsidenten hat heutige Dinge in Zusammenhang mit dem Hitler-Stalin-Pakt gebracht. Hoffentlich hat er seinen Präsidenten früher vernünftiger beraten, als es sich aus dieser Äußerung ergibt. ({17}) Ich will mich ein bißchen mit dem befassen, was in Frankreich lautgeworden ist. Mein Eindruck ist, daß dabei verschiedene Faktoren zusammengekommen sind. Ich nenne zum ersten - und das ist nicht allen bei uns hinreichend bewußt geworden - die besondere emotionale Verbindung, die zwischen Frankreich und Polen seit langem besteht. Viele Franzosen, nicht zuletzt die Intellektuellen unter ihnen, begreifen Polen als das Frankreich des Ostens. Das ist eine Brudernation, mit der man ein gemeinsames historisches und kulturelles Erbe teilt, nicht zuletzt übrigens auch im Verhältnis zum gemeinsamen deutschen Nachbarn. Bei uns ist eine auf diesem Gebiet zunächst gemeinsame Geschichte des vorigen Jahrhunderts durchbrochen worden. In Hambach - demnächst haben wir die 150. Wiederkehr des Hambacher Fests feierlich zu begehen - war noch die polnische Fahne in Ihrer pfälzischen Heimat, Herr Kollege Kohl, neben dem, was heute die deutschen Fahnen sind, und der Trikolore; man kann die griechische dazunehmen. ({18}) - Ich komme gleich darauf. Jetzt bin ich noch beim vorigen Jahrhundert. ({19}) Und als ein anderer großer Deutscher aus Ihrem Land, nämlich Karl Marx, in London 1864 die Erste Internationale gründete, stand diese ganz stark im Zeichen der Solidarität mit Polen. Und dann im Reichstag, ja, da waren Ihre und unsere Vorgänger manchmal ein bißchen sehr bedrängt, weil die Polen zu kurz kamen. Und in der Weimarer Republik war es ja, wenn wir ehrlich sein wollen, in Wirklichkeit auch so. Und dann lassen wir mal die Hitlergeschichte mit all dem Schrecklichen, was da passiert ist, sogar noch weg. Dies müssen wir uns klarmachen. Es gibt also in Frankreich eine lebendig gebliebene Verbindung zu Polen, zu der wir keine Parallele gehabt haben. Zum zweiten spielt wohl eine Rolle, daß man, ob nun zu Recht oder zu Unrecht, die letzten Jahre der Präsidentschaft Giscards als eine Zeit - jetzt zitiere ich, wie ich es dort höre - zu großer moralischer Prinzipienlosigkeit in außenpolitischen Fragen empfindet und daher wünscht, daß in der Außenpolitik - wie auch sonst - die Wertbezogenheit des Regierungshandelns wieder stärker deutlich wird. Drittens dürften - da tritt man niemandem zu nahe, wenn man das sagt - in Frankreich auch die etwas schwierigen Beziehungen zwischen den beiden jetzigen Regierungsfraktionen eine gewisse Rolle spielen, wie auch sonst hie und da in Europa deutlich wird, daß Polen - wovon die Polen leider nichts haben - als Knüppel dient, um innenpolitische Auseinandersetzungen zu führen. Viertens schließlich - auch das sollten wir nüchtern sehen, denke ich - gibt es in Frankreich seit langem einen breiten Konsens darüber, daß der Spielraum der französischen Außenpolitik breiter wird, wenn der deutsche Partner besonders fest eingebunden ist; ich sage jetzt mal der Einfachheit halber: besonders fest in die gemeinsame Politik des westlichen Bündnisses, dem gegenüber ja aber Frankreich aus den Gründen, die wir alle kennen, seit den Tagen des großen Generals dann wieder seine Sonderhaltung einnimmt. Das sind einige der sachlichen Faktoren, mit denen wir es zu tun haben, für die wir Verständnis haben sollten und die wir richtig gewichten sollten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, um die Dinge nicht falsch einzuordnen. Ich will allerdings bei allem Verständnis nicht verhehlen, daß nach meinem Eindruck manche drüben in unserem wichtigen westlichen Nachbarland ganz gern eine Gelegenheit genutzt haben, um jenen Deutschen mal eins auszuwischen, die so oft als Musterknaben in Europa hingestellt worden sind und die sich manchmal vielleicht auch selber ein bißchen zu deutlich als Musterknaben gefühlt haben. ({20}) Mit Bedacht will ich sagen: Es gibt gute Gründe, französische Empfindlichkeiten zu respektieren. Aber ungerechtfertigte Angriffe auf die Bundesrepublik, auf ihre politischen Repräsentanten oder gar auf ihre Bürger insgesamt muß ich mit Nachdruck zurückweisen. ({21}) Auch unser Land hat - wie Frankreich auf seine Weise - ein Recht darauf, daß seine Motive und Anliegen respektiert werden. ({22}) Wir haben oft genug gezeigt, daß wir ein stetiger und verläßlicher Verbündeter sind. Sondertouren zu Lasten Europas braucht von uns keiner zu befürchten. ({23}) Ich wäre sehr froh, wenn andere ähnlich energisch wie wir an die nun bitter notwendige Reform der Europäischen Gemeinschaft herangingen. ({24}) Helmut Schmidt, der Bundeskanzler, Hans-Dietrich Genscher, der Bundesaußenminister, und die Bundesregierung sind nicht die heimlichen Anwälte eines diffusen Neutralismus. ({25}) Willfährigkeit gegenüber der Sowjetunion, Herr Kollege Zimmermann, brauchen wir uns nicht nachsagen zu lassen, weder in diesem Hause noch im Rückschall von jenseits der deutschen Grenzen. ({26}) Es wäre richtig, wenn sich die Opposition bei aller gebotenen sachlichen Kritik, von der wir ja auch leben müssen, dort, wo die Regierung und damit der Staat in unfairer und unsachlicher Weise angegriffen werden, zur nationalen Sache bekennen würde, indem sie ungerechte Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland zurückweist. ({27}) Es gehört mit dazu, daß es unter einigen Verbündeten einen eigenartigen Widerspruch gibt zwischen der deutschen Wiedervereinigung, zu der sie sich in bestimmten Texten feierlich verpflichtet hatten, und dem plötzlich bei passenden oder unpassenden Gelegenheiten durchbrechenden Verdacht, der Schmidt-reise an jedem Wochenende in die DDR, um die Wiedervereinigung mit Honecker perfekt zu machen. Ich fürchte, die überschätzen uns oder schätzen die Lage falsch ein. In Frankreich wie anderswo im Westen ist nicht gleich verstanden worden, was viele der Jungen hier deswegen umtreibt, weil so viel nukleare Zerstörungskraft auf deutschem Boden gelagert ist, und welche zusätzlichen deutschen Sorgen es gibt. Aber das macht doch aus besorgten Menschen in deutschen Landen noch keine verruchten Neutralisten oder Nationalisten! Nichts ändert sich daran, daß die Geschichte entschieden hat, die Frage der deutschen Einheit jetzt nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Herr Zimmermann, Sie haben da, wo es um die Verteidigung geht, nach meiner Meinung ganz unangemessene Angriffe gegen den Bundesverteidigungsminister gerichtet. ({28}) Wenn wir ehrlich miteinander umgehen und anschauen, was mit den Partnern der Atlantischen Gemeinschaft ist, dann müssen wir fragen: Hat die Bundesrepublik Deutschland in den letzten 15 Jahren - oder welchen Zeitraum Sie nehmen - denn nicht ihre Pflichten erfüllt? Hat sie ihren Beitrag anständig geleistet oder hat sie ihn nicht geleistet? Die Wahrheit kann doch wohl nicht bestritten werden. Über Verteidigung wird im Verlauf dieser Debatte ja noch gesprochen werden. Keiner sollte daran herummachen wollen, daß wir Sozialdemokraten, die diese Regierung stützen, weiterhin und unverändert von den beiden unerläßlichen Elementen einer friedenssichernden Politik ausgehen, nämlich einmal von unserem Verteidigungsbeitrag und zum anderen, auch wenn es noch so schwierig geworden ist, von der Sorge um den Abbau von Rüstungen. ({29}) Was heißt da Sicherheitspartnerschaft, Herr Zimmermann? Sicherheitspartnerschaft ist doch ein Begriff, der aufgekommen ist, um das Verhältnis zwischen den beiden Giganten und den beiden Blöcken zu beschreiben, die einerseits hart gegeneinanderstehen, andererseits aber objektiv in die Notwendigkeit hineingezwungen werden, zu erkennen, daß es heute im Großen Sicherheit nicht mehr gegeneinander und voreinander gibt, sondern daß es in Zukunft auf wichtigen Gebieten Sicherheit nur noch miteinander geben wird; sonst würde man ja nicht miteinander über nukleare Waffen verhandeln. ({30}) Die Bundeswehr - Herr Zimmermann, da können Sie sagen, was Sie wollen - ist unter und mit drei sozialdemokratischen Verteidigungsministern nicht schlecht gefahren. ({31}) Wenn alternative Konzepte, z. B. bei bestimmten Verteidigungswaffen, in die Diskussion kommen, muß darüber nachgedacht werden. Das ist ja nicht gegen die Bundeswehr gerichtet, sondern soll, wenn es gut ist, ihrer sinnvollen Weiterentwicklung dienen. Die Bundeswehr kann auch nicht völlig außen vor bleiben, wenn der Rahmen für den Haushalt so eng ist. Ich denke, wir sind damit trotzdem ganz gut zu Rande gekommen. Ich sage aus unserer Sicht: Die Bundeswehr soll und wird auch weiterhin die Mittel bekommen und organisatorisch in die Lage versetzt werden, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. ({32}) Das ist unsere Aufgabe. Damit können wir die Streitkräfte nicht allein lassen, sondern diese Voraussetzungen muß das Parlament, muß der Bundestag schaffen, damit die Streitkräfte ihre Aufgabe erfüllen können. Wir müssen und wir wollen helfen, die Schere zwischen Auftrag und vorhandenen Mitteln zu schließen - ich beneide die Herren auf der Hardthöhe nicht, die sich dieser Schere immer wieder gegenübergestellt sehen - und den Soldaten, unseren Soldaten - sage ich jetzt bewußt - die nachdrückliche Bestätigung zu vermitteln, daß ihr Dienst für die Gemeinschaft verstanden und mitgetragen wird. ({33}) Hier ist Gott sei Dank nicht das vorgebracht worden, was einige Kollegen der Union außerhalb des Hauses angeregt hatten, nämlich ob man den Amerikanern nicht raten sollte, die Verhandlungen in Genf abzubrechen. Wir hielten das für ganz falsch. ({34}) Wir hielten es auch für falsch, in Madrid nicht weiterzumachen. Das bleibt ein ungeheuer schwieriger Prozeß. Aber wir sollten von dort nicht weggehen, sondern diese Gelegenheit nutzen, um auch über Polen zu sprechen. Wir sollten auf beiden Gebieten ohne Illusionen beharrlich weiter arbeiten. Ich sage bei aller Verschlechterung der Lage in Europa - die wird ja keiner bestreiten -: Es wäre ja keine schlechte Sache, wenn in Madrid doch ein Mandat für eine Konferenz über Fragen der Abrüstung in Europa herauskäme. ({35}) Ich meine, daß das zusätzlich zu dem, was die beiden Großmächte in Genf machen, was in Wien hoffentlich belebt werden kann, eine weitere Dimension ist, und zwar eine, die wir nicht überschätzen sollten, aber an der wir mitwirken können. Ich möchte noch ein Wort zum Einzelplan 23 sagen - Herr Präsident, wenn die Zeit das noch zuläßt -, weil ich mich, wenn er aufgerufen wird, nicht erneut melden möchte und weil das natürlich zur Gesamtpolitik gehört. Das ist ja nicht nur eine Frage der Entwicklungshilfe, wie wir immer noch sagen. Ich sage vielmehr ein paar Worte zur Entwicklungspolitik. Wenn der Entwicklungshaushalt zum erstenmal mehr als 6 Milliarden DM ausmacht, will ich zunächst einmal kein Hehl daraus machen, daß das für mich eindrucksvoll ist. Wenn wir uns mit einer Steigerungsrate von 3,2 % bescheiden müssen, ist das aus meiner Sicht unbefriedigend. Aber ich verstehe die Zwänge, mit denen man es zu tun hat. Man wird auf das Thema der Steigerungsraten zurückkommen müssen, auch wegen der Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, bzw. der Zusagen, die wir gemacht haben. Mir scheint der Hauptpunkt jetzt folgender zu sein: den Menschen in den westlichen Ländern, also auch in der Bundesrepublik Deutschland, deutlicher, als es bisher gelungen ist, klarzumachen, daß die Behebung der weltwirtschaftlichen Krisenerscheinungen - was auch zu tun hat mit der Überwindung jener Art von Nord-Süd-Gegensatz, wie wir ihn heute haben - die wichtigste Aufgabe ist. Deshalb ist es auch wichtig - neben anderem -, daß die globalen Verhandlungen bei den UN in Gang kommen. Allerdings - ich habe das mit dem jetzigen Präsidenten der Generalversammlung, dem Iraker Kittani, ausführlich besprochen - muß man sie erst einmal strukturieren. Man darf nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß sie noch 1982 in Gang kommen. Man muß - da habe ich mich auch korrigieren müssen - davon ausgehen, daß sie vielleicht den Rest der 80er Jahre, jedenfalls mehrere Jahre, in Anspruch nehmen. Man muß also versuchen, an verschiedenen Stellen und dann unter dem einen Dach der globalen Gesprächsrunde zu Fortschritten zu kommen. Was folgt daraus? Es folgt daraus, meine Damen und Herren, daß die globalen Verhandlungen bei den UN nicht der Ort sind, um über ein Dringlichkeitsprogramm zu verhandeln. Manche haben geglaubt, das wäre so. Das werden zwei voneinander getrennte Dinge sein. Natürlich brauchen wir auch ein Dringlichkeitsprogramm: ein Dringlichkeitsprogramm, um den Welthunger zu bekämpfen, ein Dringlichkeitsprogramm auf dem Gebiet der Energie, zumal zugunsten der energieabhängigen ganz armen Länder, ein Dringlichkeitsprogramm, um die verhängnisvolle Schuldensituation einer Reihe ganz armer Länder zu beheben usw. Ein solches Dringlichkeitsprogramm, von dem einige Punkte in Cancún deutlich wurden, auf jenem Treffen, auf dem der Bundesaußenminister und Minister Offergeld die Bundesrepublik vertreten haben, sollte - darum möchte ich bitten, und dazu möchte ich auffordern - die ausdrückliche Unterstützung der Bundesrepublik, der Bundesregierung erhalten. ({36}) Meine Damen und Herren, ich hoffe, wir werden, was diesen Punkt angeht, der ja immer mehr eine zusätzliche Dimension deutscher Außenpolitik und Wirtschaftspolitik werden wird - es ist nicht nur Außenpolitik, sondern auch Wirtschaftspolitik -, weithin einer Meinung sein: aus mitmenschlichen Gründen, aus wirtschaftlichen Gründen, aus friedenspolitischen Gründen. Mit meinen letzten Sätzen kehre ich zu meiner Eingangsbemerkung zurück, ob uns eigentlich die übersteigerte Polemik weiterhilft. Ich zweifle daran. Sie hilft uns beim Haushalt nicht weiter, sie hilft uns bei den zusätzlichen beschäftigungspolitischen Bemühungen, die in den nächsten Wochen vor uns liegen, nicht weiter. Die übersteigerte Polemik hilft uns auch nicht, wo es darum geht, unsere deutschen Interessen im Bündnis und in Europa zu vertreten. ({37}) Bei den Abstimmungen heute abend werden wir dem Bundeskanzler und dem Bundesminister des Auswärtigen unser Vertrauen bekunden. Die Zeiten sind schwer genug. Wir sollten sie uns und unseren Landsleuten nicht noch schwerer machen, als sie sein müssen. Danke schön. ({38})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brandt hat seine Rede mit einem eindrucksvollen Appell auf dem Feld der Entwicklungspolitik geschlossen. Ich möchte daran anknüpfen. Auch wenn es mir schwerfällt, meinen früheren Regierenden Bürgermeister korrigieren zu müssen, so möchte ich doch an einer kritischen Anmerkung eine Korrektur anbringen. Das Engagement ist nicht nur verständlich, sondern wir folgen darin in allen Fraktionen dieses Hauses. Ich darf sagen: Auch im Haushaltsausschuß gibt es so etwas wie eine Vorreiterrolle der Berichterstatter Esters, Schröder und Gärtner in ihrem gemeinsamen Engagement, das wirklich beeindrukkend ist. Sie haben zwar davon gesprochen, Herr Kollege Brandt, es sei bemerkenswert, daß wir trotz unserer angespannten Haushaltslage die Mittel für die Entwicklungshilfe auf 6 Milliarden DM ansteigen lassen konnten. Ich finde, es ist wichtig, dabei noch einmal darauf hinzuweisen, daß wir dies in den letzten vier Jahren mit einer Steigerung um 50 % bewirkt haben. Dieser Haushalt ist in den letzten vier Jahren von 4 auf 6 Milliarden DM angewachsen. Allerdings darf man sich bei Haushaltsvergleichen von einem Jahr aufs andere nun nicht nur, wie Sie es getan haben - was natürlich durchaus korrekt ist -, allein am Soll-Soll-Vergleich orientieren. Da ist die Steigerungsrate von Ihnen richtig genannt worden; aber die notwendigen Bewirtschaftungsmaßnahmen des vergangenen Jahres haben leider dazu geführt, daß die Mittel, die wir im Einzelplan 23 bereitgestellt hatten, nicht ausgegeben worden sind. Gehen wir aber von den im letzten Jahr tatsächlich ausgegebenen Mitteln aus, wächst dieser Haushalt um 5 %, und das, so meine ich, ist angesichts der Steigerung des übrigen Haushalts um nur 3 % ein Beweis dafür, daß sich dieses Parlament keineswegs der Verpflichtung entzogen hat, die es auf diesem Felde fühlt. ({0}) Meine Damen und Herren, zum außenpolitischen Teil der Ausführungen des Kollegen Zimmermann möchte ich den Wunsch und den Appell meiner Fraktion aussprechen, die Meinungsverschiedenheiten unter uns so auszutragen, daß nicht unnötige Wunden geschlagen werden. Wir sind aufeinander angewiesen und haben den so häufig beschworenen demokratischen Grundkonsens heute sicher nötiger denn je. Hüten wir uns davor, aus der polnischen Tragödie ein innenpolitisches Trauerspiel zu machen! ({1}) Meine Damen und Herren, denn, wenn es richtig ist, daß die polnische Entwicklung doch auch am Tropf des Abrüstungsdialogs und der Entspannungspolitik hängt, sollte jeder Kritiker bei uns prüfen, ob er von sich aus leichtfertig diese Lebensader abklemmen will. ({2}) Zerreden wir dabei auch nicht die jetzt doch endlich - sicherlich bei problembedingt schwierigen Entscheidungsprozessen - zustande gekommene Handlungseinheit im Bündnis! Auch sie brauchen wir, um die Zukunftsaufgaben bewältigen zu können. Herr Kollege Zimmermann, Sie haben dann, was ja durchaus begreiflich ist, die bedrückenden Arbeitslosenzahlen zum Anknüpfungspunkt der Haushaltskritik der Opposition genommen. Aber das, was Sie dazu geboten haben, hat ja nicht einmal den Anflug eines konstruktiven Gedankens gehabt. Der beschäftigungspolitische Impuls, der von der Haushaltsoperation 1982 ausgeht, wird von Ihnen schlicht negiert, und das, obwohl dieselbe Opposition - jedenfalls nach dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens - sehr wohl zu rühmen wußte, wie sehr gerade damit die Rahmenbedingungen für die öffentlichen und privaten beschäftigungswirksamen Handlungsspielräume verbessert werden konnten. Nein, meine Damen und Herren, in einer labilen wirtschaftlichen Situation wirken solche Reden, die jedwede entgegensteuernde Entscheidung negieren, wie das hier geschehen ist, wie psychologische Querschläger, ({3}) und die können wir alle zusammen in diesem Augenblick nicht gebrauchen. Es ist auch - fast schon erwartungsgemäß - etwas einfallslos, der FDP, die sich mit ökonomisch wirksamen und finanziell vertretbaren arbeitsmarktbelebenden Impulsen beschäftigt, mit der Frage zu begegnen: Fällt die FDP nun um? Dabei, meine Damen und Herren, möchten Sie doch nur zu gern, daß wir Ihnen in die Arme fallen. ({4}) Nein, wir stehen zu der für richtig gehaltenen Politik, und die drückt sich in dem zur Beratung und Entscheidung anstehenden Bundeshaushalt 1982 aus. ({5}) Dieser Haushalt ist in der ersten Lesung vom Bundesfinanzminister als „Haushalt auf Stabilitätskurs" vorgestellt worden. Unverzichtbare Elemente für die auf Konsolidierung ausgerichtete Finanzpolitik sind die Verbesserung der Leistungsbilanz und die deutliche Herabsetzung der Nettokreditaufnahme. Schließlich ist die Beseitigung der defizitären Leistungsbilanz das Schlüsselproblem, ohne dessen dauerhafte Lösung eine fühlbare Senkung des hohen Zinsniveaus nicht erreichbar ist. Nur eine starke Leistungsbilanz verschafft uns den notwendigen Spielraum. Bei den sehr schwierigen internationalen Rahmenbedingungen versucht die Finanzpolitik deshalb, die Handlungsfähigkeit des Staates dadurch zu wahren, daß sie den Anstieg der öffentlichen Schulden abbremst. Die übermäßige Beanspruchung des Kapitalmarktes durch die öffentlichen Hände muß reduziert werden, um den zinstreibenden Effekt zu beseitigen. Diese Einsicht hat, wie mir scheint, ja inzwischen atlantische Dimensionen angenommen. In seiner Regierungserklärung vom Donnerstag vergangener Woche hat der Herr Bundeskanzler darauf hingewiesen, daß seine Gespräche in Washington eine Übereinstimmung darüber gebracht haben, daß die amerikanische und die deutsche Wirtschaftspolitik ein gemeinsames Ziel haben. Und dieses Ziel heißt: Senkung des Zinsniveaus durch Eindämmung der Haushaltsdefizite. ({6}) Es geht um die Bekämpfung der Inflation und um die Überwindung der Rezession. Die dazu von der Koalition im September eingeleitete „Operation 82" konnte durch die Haushaltsberatungen bis heute auf Kurs gehalten werden, auch wenn es durch die Veränderung der Konjunkturdaten im Oktober und die den Bundeshaushalt erneut belastenden Ergebnisse des Vermittlungsausschusses im Dezember jeweils zu hohem Wellenschlag kam. Die kurzfristig eintretenden Veränderungen, die immer wieder neue Löcher aufgerissen haben, ({7}) sind in einer Zeit weltweiter Strukturprobleme und harter Pendelausschläge rational durchaus erklärbar. Aber für die breite Öffentlichkeit sind solche Wechselbäder immer wieder irritierend. Dennoch müssen wir darauf vorbereitet sein, in einer Zeit weltwirtschaftlicher Unausgewogenheit in kürzeren Intervallen zu reagieren. Trotzdem empfiehlt es sich nicht, den Haushalt künftig als Lochstreifen herauszugeben, so nach der Methode „Loch nach Loch kommt doch". Nein, wir sollten bei der bisher bewährten Praxis bleiben. Aber es gibt auch keinen berechtigten Anlaß, der Bundesregierung wegen schneller Reaktionen auf schnelle Veränderungen Flickschusterei in ihrer Finanzpolitik vorzuwerfen. Wenn nämlich der amerikanische Präsident in vergleichbarer Lage an Stelle des von ihm versprochenen ausgeglichenen Staatshaushalts in den nächsten Jahren mit Rekorddefiziten arbeiten muß und wenn im laufenden Jahr der Kreditbedarf auf mehr als 100 Milliarden Dollar ansteigt, dann wird die Opposition diese Politik gleichwohl ungebrochen als modellhafte Alternative preisen. Und doch sind hier und dort schlechte Wirtschaftsentwicklung, steigende Arbeitslosigkeit und unattraktive Zinssätze gleichermaßen zu konstatieren. Messen wir gleiche Sachverhalte deshalb auch mit der gleichen Elle! Meine Damen und Herren, die verbissenen Attacken der Opposition auf die Finanzpolitik der Bundesregierung wirken häufig eben als Kritik um jeden Preis, zumal das umfassende, in sich geschlossene alternative Konsolidierungsprogramm der Opposition immer noch auf sich warten läßt. ({8}) Den ersten Härtetest hat die neue Finanzpolitik bestanden. Die nächsten Herausforderungen stehen allerdings im Zusammenhang mit den Stichworten Arbeitsmarkt und Beschäftigungsprogramm vor uns. ({9}) Auf dieses Thema, dem niemand ausweichen kann, will ich deshalb auch noch einmal zurückkommen. Schon jetzt sei gesagt, daß sich jedes ernsthafte Bemühen um eine aktive Beschäftigungspolitik erstens auf die Frage konzentrieren muß, auf welche Weise denn tatsächlich langfristige Erfolge am Arbeitsmarkt zu erzielen sind und wo das Geld dafür herkommen soll. Zweitens darf ein solcher Kraftakt nicht zu einem Kontrastprogramm zu der Operation 82 werden. ({10}) Denn, meine Damen und Herren, das zurückgewonnene Vertrauen in eine an Stabilität orientierte Finanzpolitik darf nicht verspielt werden. Das innenpolitisch allein einzusetzende Instrument mit durchschlagender Wirkung ist nun einmal der Rückzug des Staates vom Kapitalmarkt. ({11}) Die dadurch positiv zu beeinflussende binnenwirtschaftliche Situation sollte nicht durch leichtfertigen Rückfall in eine expansive Haushaltspolitik beschädigt werden. Denn von einer Erkenntnis dürfen wir doch nun unter gar keinen Umständen mehr abgehen, daß nämlich Zinssenkungen das beste Beschäftigungsprogramm sind und bleiben. ({12}) Meine Damen und Herren, dies ist auch der Grund, warum 26 Milliarden DM Neuverschuldung 1982 nach Auffassung der breiten Mehrheit unserer Bevölkerung gar keine Kreditmarke mehr ist; es handelt sich hier vielmehr um eine Wertmarke unserer Politik. Dieses Markenzeichen dürfen wir nicht durch widerspruchsvolles Handeln und Rückfall in schlechte Gewohnheiten zunichte machen. Dies gilt Um so mehr, als die Erfahrungen des Jahres 1981 eher bedrückend als beglückend waren. ({13}) Schließlich wurde der Bundeshaushalt 1981 dem Parlament mit knapp 27 Milliarden DM Kreditbedarf offeriert und dann mit der Kreditmarke von 34 Milliarden DM beschlossen. Beim Haushaltsvollzug ergab sich dann die Notwendigkeit, Kredite in einer Höhe von - nun darf ich die korrekte Zahl mitteilen - tatsächlich 37,5 Milliarden DM aufzunehmen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werter Herr Kollege Hoppe, könnten Sie mir vielleicht Aufschluß darüber geben, wieso die Bundesbank in ihrer Schlußrechnung - ich sehe, Sie haben das Zettelchen dabei - auf eine Nettoneuverschuldung in Höhe von mehr als 40 Milliarden DM in 1981 kommt, also den Werten viel näher kommt, die die Opposition mit ihrer relativ geringen Datenkenntnis herausgerechnet hatte?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Haase, wenn Sie die Veröffentlichungen der Bundesbank auch dort gelesen hätten, wo das Kleine gedruckt ist, dann wüßten Sie das, was ich Ihnen jetzt auch nur sagen kann: Die Bundesbank hat die Kassenbewegung gemeldet, und die ging im vergangenen Jahr bis zu der von der Bundesbank mitgeteilten Höhe. Die Haushaltsdaten im Haushaltsvollzug enden bei der von mir eben mitHoppe geteilten Zahl von 27,5 Milliarden DM aufgenommener Kredite. ({0}) - Entschuldigung, 37,5 Milliarden DM. Bei dieser stufenweisen Anhäufung des Kreditbedarfs, den ich hier gerade noch einmal ausgebreitet habe, kann einem in der Tat schon die Spucke wegbleiben. ({1}) Ich habe allerdings die Hoffnung, daß wir mit dieser unguten Entwicklung im Nacken nicht noch einmal von dem jetzt eingeschlagenen Weg abweichen werden. Alle politisch Verantwortlichen wissen, daß es kein Zurück mehr geben darf. Scheitern wir bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte, wird sich das Fragezeichen hinter dem Buchtitel vom Alex Möller „Schuld durch Schulden?" in ein Ausrufezeichen verwandeln. ({2}) Daß mit dem Bundeshaushalt 1982 der erste Schritt erfolgreich getan werden konnte, hat auch die Opposition durch ihr konstruktives Verhalten bei der Beratung im Haushaltsausschuß möglich gemacht. Dies möchte ich ausdrücklich feststellen; denn daß sie sich dem Zeitplan der Beratung und dem dadurch entstandenen Beratungsdruck unterworfen hat, ist keinesweg selbstverständlich. Meine Damen und Herren, um so unverständlicher ist mir das jetzige Verhalten der Opposition. Sie wechselt nämlich plötzlich die Fahrtrichtung. ({3}) Und da kann man nur sagen: Wenn sie so weitermacht, wird sie noch zum politischen Geisterfahrer. ({4}) Wer im Straßenverkehr mit dieser Fahrweise Angst und Schrecken verbreitet, handelt verantwortungslos. ({5}) Auch in der Politik ist diese Methode nicht zu empfehlen. ({6}) - Verehrter Herr Kollege Kohl, Sie sollten deshalb mit dem Gerede vom Phantom-Haushalt endlich aufhören. ({7}) Über alle etatreifen Positionen wird auf der Grundlage jener wirtschaftlichen Rahmendaten, die wirtschaftswissenschaftliche Institute und der Sachverständigenrat vorgelegt haben, ergänzt durch die Steuerschätzung im Dezember 1981, entschieden. Und an diesen Voraussetzungen hat sich bis heute nichts, aber auch gar nichts, geändert. Der Jahreswirtschaftsbericht, meine Damen und Herren, wird die wirtschaftspolitischen Orientierungsdaten, so glaube ich, für die Haushaltsentscheidung dann auch unverändert lassen. Das gilt sicher auch für die angenommene durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen. Es muß deshalb dahingestellt bleiben, ob der Konjunkturverlauf für dieses Jahr eher pessimistisch oder eher hoffnungsvoll gesehen wird. ({8}) Wer sich aber nicht spekulativ in eine haushaltspolitische Finsternis begeben will, darf gegenwärtig nicht anders entscheiden, als wir es im Dezember getan haben. ({9}) Jedenfalls sollten wir uns nicht in das Fahrwasser des Kollegen Friedmann hineinziehen lassen. Er hat in der ersten Lesung der Diskussion über den Finanzbedarf der Bundesanstalt für Arbeit unter Hinweis auf seine Gespräche mit der Spitze der Bundesanstalt besondere Dramatik verliehen. ({10}) - Meine Damen und Herren, hören Sie gut zu und reden Sie an dem Sachverhalt doch nicht einfach, so sage ich jetzt einmal, halsstarrig vorbei. In den Ausschußberatungen konnte der Zeugenbeweis für diese düsteren Prognosen eben nicht angetreten werden. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat dort vielmehr die Zahlen des Haushalts, der vor Ihnen liegt, legitimiert. ({11}) Dies hat die Opposition offenbar nicht davon abhalten können, bei der Behauptung zu bleiben, die Ansätze seien viel zu gering, weil die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt zu niedrig angesetzt sei. Bei einer nur schwer überschaubaren wirtschafts-und haushaltspolitischen Entwicklung ist es natürlich für die Opposition verlockend, aus taktischen Gründen Schwarzmalerei zu betreiben. Wenn sie nämlich auf Baisse spekuliert, kann sie sich im Falle eines negativen Verlaufs der konjunkturellen Entwicklung immer bestätigt fühlen und der Regierung Schönfärberei und Unfähigkeit vorwerfen. Bei normalem Verlauf oder gar einer Besserung zum Positiven meint sie ohnehin keine Lorbeeren gewinnen zu können. Nach diesen Erwägungen sollte bei den Haushaltsberatungen und bei den anstehenden Entscheidungen aber nicht verfahren werden. Es bleibt zu hoffen, daß die Opposition das Friedmann-Syndrom schnell überwindet. Bei der Diskussion und der Suche nach den angemessenen Mitteln sind weder apokalyptische Visionen noch Maßlosigkeit in der Sprache angebracht. Das eine Mittel hat die Opposition eingesetzt. Nach der anderen Methode war offenbar der unter Federführung von Franz Steinkühler entstandene Verriß der Sparbeschlüsse der Bundesregierung zustande gekommen. Ich will es bei diesem Hinweis bewenden lassen. ({12}) - Ich dachte, Sie hätten diesen Vorgang noch sehr genau in Erinnerung. Ich möchte es jedenfalls bei diesem Hinweis bewenden lassen, um nicht vergangene Schlachten neu zu schlagen und alte Wunden wieder aufzureißen - und dies um so mehr - vielleicht erinnern Sie sich jetzt, Herr Kollege Kohl -, als der Bundesfinanzminister in seinem offenen Brief vom 28. Oktober 1981 mit Bravour auf dieses Steinkühler-Pamphlet reagiert hat, so daß dieses fast rüpelhafte Intermezzo keinen dauerhaften Schaden anrichten konnte. ({13}) Meine Damen und Herren, während sich die allgemeine Diskussion über Sparzwänge und Beschäftigungsproblematik versachlicht hat, gibt es schrille Töne eigentlich nur noch im Tarifbereich des öffentlichen Dienstes. Der Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV trompetet weiter Kampfansagen, auch wenn er mit seiner langjährigen und umfassenden Erfahrung und seinen Kenntnissen über die Erfordernisse des Gemeinwohls eigentlich zu besseren Einsichten fähig sein sollte. ({14}) Wenn es uns ernst ist mit einer alle Gruppen umfassenden Sparanstrengung, dann konnte letztlich auch der öffentliche Dienst nicht von den notwendigen Einsparungen ausgenommen werden. ({15}) Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen, mit Wirkung vom 1. März 1982 eine 1%ige Gehaltskürzung bei Beamten und Bediensteten im öffentlichen Dienst vorzunehmen, hat denn auch die Billigung der Opposition gefunden. Dem wiederholt erhobenen Vorwurf, dem öffentlichen Dienst werde dadurch ein Sonderopfer abverlangt, muß ernsthaft widersprochen werden. Meine Damen und Herren, bei den Sparmaßnahmen wurde weder eine einzelne Gruppe ausgenommen noch wurde eine solche besonders belastet. Der öffentliche Dienst tut gut daran, mit diesem Beitrag, der von 14,58 DM brutto bei der niedrigsten Besoldungsgruppe bis zu 122,73 DM bei der höchsten reicht, den Arbeitnehmern gegenüber Solidarität zu zeigen, die ihren Arbeitsplatz bereits verloren haben oder um ihn bangen. ({16}) Nun wendet sich die ÖTV-Attacke vorrangig dagegen, daß die einprozentige Kürzung der Beamtengehälter durch einseitige Maßnahmen der Arbeitgeber auch auf den Bereich der Angestellten und Arbeiter ausgedehnt werden soll. Dabei verschweigen oder verdrängen die Kritiker geflissentlich, daß eine solche Gleichbehandlung eben nur deshalb erreichbar ist, weil die Tarifverträge Korrekturen durch einseitige Maßnahmen zulassen. Dies hat eine einheitliche Behandlung des gesamten öffentlichen Dienstes überhaupt erst möglich gemacht. Wenn die Gewerkschaft dies jetzt dennoch zum Grundsatzstreit hochstilisiert und den Tarifbereich klinisch sauber vom Beamtenbereich trennen will, dann sollten wir uns doch alle zusammen daran erinnern, daß die Beamten in langjähriger Tarif- und Besoldungsaufstiegsentwicklung schon längst zu Trittbrettfahrern der Tarifabschlüsse geworden sind. Die auf diesem Wege in guten Zeiten bei stetiger besoldungs- und tarifrechtlicher Erhöhung zustande gekommene faktische Einheit sollte sich eigentlich gerade jetzt in schwierigen Zeiten bewähren. Wenn diesmal vom Parlament besonderer Wert darauf gelegt wird, daß die einprozentige Kürzung alle Bereiche des öffentlichen Dienstes gleichermaßen trifft und für den Tarifbereich keine gesonderten Vereinbarungen getroffen werden, dann doch nicht zuletzt deshalb, weil wir nicht noch einmal in dieselbe Lage kommen wollen, in die uns die Gewerkschaften durch ihr Verhalten beim Abbau der Überversorgung im Tarifbereich gebracht haben. Es wäre deshalb wirklich wünschenswert, wenn auch dieser Konflikt aus der Welt geschafft werden könnte. ({17}) Der Appell des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung in der vorigen Woche, vor allem Vernunft walten zu lassen, gilt auch für die Tarifpolitik und sollte auch Herrn Kluncker zu selbstkritischer Überprüfung veranlassen. Kampf bis aufs Messer, bei dem man nie weiß, wer oder was letztlich abgeschaltet wird, paßt einfach nicht in eine Zeit schwieriger Anpassungsprozesse. ({18}) Wir tun uns jedenfalls alle keinen Gefallen damit, denn Radikalität in der Sache kann leicht in Verdruß gegen den öffentlichen Dienst ganz allgemein umschlagen, und genau das haben die Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht verdient. ({19}) Es wäre nämlich fatal, wenn jenes Fehlurteil wieder lebendig würde, das Bismarck 1850 einmal in einem Brief an Hermann Wagener niedergeschrieben hat: Die Bürokratie ist krebsfräßig an Haupt und Gliedern, nur ihr Magen ist gesund, und die Gesetzesexkremente die sie von sich gibt, sind der natürlichste Dreck von der Welt. Meine Damen und Herren, Bismarck hat sich in seinem späteren Leben selber korrigiert, und es wäre gut, wenn wir jetzt nicht durch unser Verhalten ein solches Fehlurteil noch einmal entstehen ließen. Dabei sollte es sich eigentlich überall herumgesprochen haben, auch bis zur ÖTV, daß die unaufschiebbar gewordene Konsolidierung der öffentlichen Finanzen dem vorrangigen Ziel dient, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Wirtschaftswachstum und arbeitsplatzschaffende Investitionen wieder möglich werden. Es sei daran erinnert, daß schon das Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute im Oktober 1981 gemahnt hat, daß es größere Entschiedenheit bei der Durchsetzung notwendiger Eingriffe bedarf, um den Wachstumserfordernissen Rechnung zu tragen und um das notwendige Vertrauen zu schaffen. Maßnahmen zur Verhinderung mißbräuchlicher Inanspruchnahme sozialer Leistungen allein genügen nicht, haben uns die Institute damals ins Stammbuch geschrieben. Meine Damen und Herren, wie uns der Sachverständigenrat dann doch wohl in seinem Jahresgutachten im November 1981 bestätigt hat, sind wir mit unserer Finanzpolitik, ({20}) mit dem Haushalt 1982 auf dem richtigen Weg. Das Konsolidierungsprogramm, das mit dem Haushalt vorgelegt wurde und das seine jetzige Form im Ergebnis des Vermittlungsverfahrens und in den Folgebeschlüssen des Haushaltsausschusses gefunden hat, ist dem Umfang nach ein angemessener erster Schritt. Für uns Liberale ging es nicht nur darum, die dringend notwendige Haushaltssanierung anzupacken, sondern auch dauerhafte Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Unsere wirtschaftlichen Probleme können nur mit strukturverbessernden Mitteln bestanden werden. Steuererhöhungen sind dafür kein geeignetes Instrument. ({21}) Die Anerkennung und Förderung von Leistung, Innovation, Investition und Wettbewerb sind zur Oberwindung unserer wirtschaftlichen Probleme unverzichtbar. ({22}) Steuererhöhungen würden die Leistungs- und Risikobereitschaft eher beeinträchtigen. Mir leuchtet es auch nicht ein, daß es die Wirtschaft stimulieren soll, wenn man ihr erst Geld wegnimmt, um es ihr dann unter bestimmten Auflagen zurückzugeben. ({23}) Im übrigen ist für uns alle die Erkenntnis zu einer bitteren Realität geworden, daß ein Automatismus zwischen deficit-spending und Beschäftigungsstand eben nicht mehr besteht. Der simple Mechanismus, wonach eine am Kreditmarkt finanzierte Staatsnachfrage von 1 Milliarde DM 18 000 bis 27 000 Arbeitsplätze schaffen soll, hat sich ja als kostspielige Fata Morgana erwiesen. Wir erzielen mit der Neuverschuldung im Augenblick - jeder sollte es beachten, und jeder sollte es wissen - keine beschäftigungspolitischen Wirkungen mehr, sondern wir haben Mühe, damit die Zinsen für unsere Schuldenlast aufzubringen. ({24}) Der Schuldenstand des Bundes wird 1982 mit rund 290 Milliarden DM ausgewiesen. ({25}) Die von uns jetzt beschlossene Nettokreditaufnahme hat eine Höhe von 26 770 000 DM, und die Zinsbelastung aus dem Haushalt für unsere Verpflichtungen aus unserer Kreditpolitik beträgt 23 660 000 DM. Für 1983 ist der Nettokreditbedarf nach der mittelfristigen Finanzplanung mit knapp unter 26 Milliarden DM und die Zinslast mit knapp 27 Milliarden DM angegeben. Meine Damen und Herren, mit dem Abbau überflüssiger Bürokratie, der Umschichtung von Staatsausgaben in den investiven Bereich und der Belebung privater Investitionen sind die Weichen gestellt. Und so sind sie richtig gestellt. Denn nur so werden wir die Krise unserer Wirtschaftspolitik mit ihrer bedrückenden Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen. Die Diskussion um beschäftigungswirksame Maßnahmen wird nun seit Monaten geführt. Das ist ja wahrlich kein Wunder bei der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Es ist aber zu bezweifeln, ob dem Problem mit dem lautstark geforderten Beschäftigungsprogramm allein beizukommen ist. Während der Haushaltsberatungen hat der Ruf nach staatlichen Programmen, allein aus Kredit- und Steuermitteln finanziert, doch wohl mehr Irritation als Entscheidungshilfen vermittelt. ({26}) Weil wir diese Herausforderung bestanden und einen Haushalt mit dem ersten Schritt zur Konsolidierung beschlossen haben, wäre die Opposition schlecht beraten, wenn sie die ohnehin späte Verabschiedung des Haushalts jetzt mit dem Hinweis auf die nicht abgeschlossene Diskussion über beschäftigungspolitische Maßnahmen vertagen wollte. Nein, meine Damen und Herren, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Erst der verabschiedete Etat, mit dem wir wieder auf festem Boden stehen, liefert überhaupt die Voraussetzung für eine aktive Beschäftigungspolitik. Wir können und dürfen jetzt der Entscheidung über den Bundeshaushalt 1982 nicht ausweichen. Als Handlungsanweisung kann uns dabei nach dem hinter uns liegenden Preußenjahr Ernst Moritz Arndt den Weg weisen: „Wir müssen das Rechte und Redliche tun." ({27}) Meine Damen und Herren, wenn wir dann im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht nach den richtigen Antworten für die anstehenden Probleme suchen, werden wir sie auf dem Weg „Wettbewerbsfähigkeit Investitionen, Arbeitsplätze" finden. Der Sachverständigenrat hat uns auch seinen Alternativvorschlag unterbreitet, der den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen durchaus Rechnung trägt und der sich auch der beschäftigungspolitischen Thematik stellt. Die in dieser Alternativlösung empfohlene - empfohlene! - Richtung liegt in einem Dreiklang von maßvollen Lohnabschlüssen, konsequenter Fortsetzung der Konsolidierungspolitik über 1982 hinaus und wachstums4500 politischen Maßnahmen durch Kreditfinanzierung im Vorgriff auf den so geschaffenen Spielraum. ({28}) Das Ganze ist zu einem unauflösbaren Paket zusammengeschnürt. ({29}) Die drei Komponenten müssen unbedingt gleichrangig nebeneinander behandelt werden. Wer sich deshalb für die Forderung nach einem Beschäftigungsprogramm auf den Sachverständigenrat beruft, der darf die Konditionen dafür nicht auflösen. ({30}) Erst wenn weitere Ausgabenkürzungen für die Jahre 1983 bis 1985 gesichert sind und die Tarifabschlüsse mehr der Sicherung der Arbeitsplätze als der Steigerung der Realeinkommen dienen, erscheint eine Zwischenfinanzierung am Kapitalmarkt für beschäftigungspolitische Impulse möglich. ({31}) Der bloße Versuch - und das sage ich jetzt Ihnen, Herr Kohl -, erneut den leichten Ausweg über die Verschuldung oder über höhere Steuern zu wählen, muß scheitern. ({32}) Es kann sich in unserer Lage nicht jeder aus den Ratschlägen der Sachverständigen das heraussuchen, was ihm paßt und seiner Klientel bekömmlich erscheint. ({33}) Wir stehen gemeinsam in der Verantwortung für alle. Und nur dann, wenn wir das beherzigen, werden wir die Erwartungen des Sachverständigenrats erfüllen können, daß in unserem Land wirtschaftspolitische Vernunft eine reelle Chance hat.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hoppe, darf ich Ihnen die Frage stellen: Ist das, was Sie soeben erklärt haben, die verbindliche Position der Fraktion der FDP?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kohl, ich sage dazu: Die Freien Demokraten werden auf ihrer Position beharren, die da lautet: Wer beschäftigungswirksame Maßnahmen über Kredite oder Steuererhöhungen finanzieren will, gefährdet die Grundlagen solider Finanzpolitik. ({0}) Das Gesamtergebnis der „Operation 82" ist trotz mancher Schwächen respektabel. Der Patient Bundesrepublik Deutschland wird gestärkt aus der Operation hervorgehen. Bei der Durchsetzung dieses Konzepts dürfen wir uns durch nichts und niemanden beirren lassen. Wir müssen an folgenden Annahmen festhalten: Der Vertrauensbildungseffekt, der Konsolidierung, auch an den internationalen Finanzmärkten, ist gesamtwirtschaftlich ungleich wichtiger als ausfallende Staatsnachfrage. Wir machen damit deutlich, daß privater Initiative wieder mehr Raum gegeben und den für Produktion und Beschäftigung wichtigen privaten Investitionen wieder ein entsprechender Finanzspielraum eingeräumt wird. Nach Jahren ständig steigender Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte und der Gefahr einer Überforderung des Kapitalmarkts werden die Rahmenbedingungen für private Investitionen deutlich verbessert. Günstige Folgewirkungen für die Entwicklung des DM-Wechselkurses und der Zahlungsbilanz sind erkennbar. Von entscheidender Bedeutung aber ist, daß die konsolidierte Haushaltsplanung 1982 auch so vollzogen wird und sich nicht das Haushaltsverfahren 1981 wiederholt. ({1}) Andernfalls würde der vertrauensstabilisierende Effekt nicht nur in Frage gestellt, sondern er würde ins Gegenteil umschlagen. Die nach der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehene Senkung der Nettokreditaufnahme des Bundes in den Jahren 1983 und 1984 erscheint nicht ausreichend, um die hohen Defizite mittelfristig auf eine den gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Erfordernissen entsprechende Größenordnung zurückzuführen. Die - gewiß hilfreiche - Abführung des hohen Bundesbankgewinns läßt es noch nicht zu, von einer dauerhaften Konsolidierung zu sprechen. ({2}) Einen Teil der zu lösenden Aufgaben haben wir deshalb noch vor uns. Lassen Sie mich mit der Feststellung schließen: Die Freien Demokraten sind gewillt, die „Operation 82" zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Damit es nicht eines Tages heißt „Operation gelungen, Operationsteam tot", ({3}) werden wir konsequent die Politik weiterverfolgen, mit der wir beim Haushalt 1982 auf Stabilitätskurs gegangen sind. ({4})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ermahnung des Parteivorsitzenden Willy Brandt, sich in diesen Debatten keine Entgleisungen zu leisten, war wohl eine Ermahnung an seinen Parteikollegen Helmut Schmidt. ({0}) Was passiert ist, läßt sich nun schlecht rückgängig machen. Aber ich nehme an, Sie haben das auf den heutigen Tag bezogen und für den Fall gemeint, daß er in dieser Debatte das Wort ergreifen sollte. Ihre Ausführungen über Frankreich habe ich sehr aufmerksam verfolgt. Sie meinten, in Frankreich sei vielleicht eine gewisse Stimmung vorhanden, den Deutschen wegen ihres Auftretens in der Vergangenheit eins auszuwischen. Ich vermute, dabei haben Sie wieder an Ihren Parteikollegen Helmut Schmidt gedacht. Wer sich so lange als Führer der westlichen Welt aufspielt und dann in einer gegenwärtigen Krise so kläglich versagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn das Ausland diese Gelegenheit für eine derartige Kritik nutzt. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich der Außenpolitik zuwenden, weniger dem finanziellen Teil. Der finanzielle Teil sieht hier natürlich genauso katastrophal aus wie die finanzielle Lage überhaupt. Am Wochenende hat der Bundesaußenminister - er ist, glaube ich, nicht da -({2}) erneut Gemeinsamkeiten gewünscht, hauptsächlich in der Polenfrage; aber ich nehme an, Sie meinten das wohl generell. Wir sind eigentlich von vornherein einer solchen Bitte um Gemeinsamkeit überhaupt nicht verschlossen. Denn wir waren es ja, die Ende des letzten Jahres die Basis für eine gemeinsame Entschließung des Bundestages geschaffen haben. ({3}) Wieso sollte das im Laufe dieser Debatte oder in Zukunft nicht wieder möglich sein? Nur frage ich mich, Herr Genscher: War denn der Appell zu einer Gemeinsamkeit in der Außenpolitik an uns gerichtet, oder war er nicht vielmehr an Ihren Koalitionspartner und an viele Ihrer eigenen Parteifreunde gerichtet? Denn die Schwierigkeiten für eine gemeinsame Außenpolitik liegen doch nicht bei uns. Wir haben es oft erlebt - auch im Auswärtigen Ausschuß in Ihrer Gegenwart -, daß wir Ihre treuesten Unterstützer waren und daß die eigentliche Opposition gegen Sie dort drüben saß. ({4}) So ist es hier wieder. Wenn Sie diese Bitte um Gemeinsamkeit aussprechen, dann muß es im übrigen eine überzeugende Bitte von seiten der Regierung sein. Es darf nicht so sein wie in der letzten Sitzung, daß Sie eine solche Bitte oder einen solchen Wunsch aussprechen, während Herr Schmidt ein Verhalten an den Tag legt, das eine solche Gemeinsamkeit von vornherein unmöglich macht. ({5}) Wenn wir angesichts eines solchen Verhaltens auch noch Gemeinsamkeit anbieten würden, dann käme das ja einer Anbiederung gleich. Das können Sie uns nicht zumuten. ({6}) Auf Ihrer Seite müßte eigentlich einmal klargestellt werden, ob Sie Gemeinsamkeit mit uns überhaupt wollen, ob es eine von Ihnen allen gemeinsam getragene Bitte ist. Wenn j a, dann sind wir bereit, darüber zu reden. ({7}) - Natürlich geht es auch um den Inhalt. Darauf komme ich noch zu sprechen. Wir haben Ihnen im übrigen in den letzten Jahren oft genug Gemeinsamkeit auf wichtigen Gebieten angeboten. Sie haben sie letztlich immer zurückgewiesen. Aber wichtiger ist folgendes. Angenommen, Sie wollten mit uns Gemeinsamkeit und wir wären bereit, mit Ihnen Gemeinsamkeit zu demonstrieren, dann stellt sich natürlich die erhebliche Frage: Mit wem und womit sollen wir eigentlich Gemeinsamkeit demonstrieren? Mit Genscher-Brandt, Bahr, Eppler oder mit Schmidt? Jede dieser personell umrissenen Positionen unterscheidet sich von der anderen. Die eine oder die andere liegt vielleicht dazwischen, hat mehr einen fluktuierenden Charakter, wie vielleicht bei Helmut Schmidt. Aber die anderen schließen sich gegenseitig aus. Die Bundesregierung muß zuerst überzeugend, glaubwürdig und verbindlich darstellen, welches eigentlich der Inhalt ihrer Außenpolitik ist. Dann, bin ich überzeugt, wird es nicht schwierig sein, gemeinsame Punkte zu finden, über die wir uns einigen können. Ich vermute allerdings, diese Schwierigkeiten beginnen bereits auf der Ebene Schmidt/ Genscher, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten zwischen den anderen Gruppen, die ich vorher genannt habe. Das Entsetzen Genschers, die Polen-Krise könnte zu einer Krise der westlichen Welt werden, ist nur allzu verständlich. Ich kann mir gut vorstellen, welche Genugtuung die Kreml-Führung erfaßt hat, als sie wohl zu ihrem eigenen Erstaunen feststellte, daß diese Polen-Krise, die brutale Ausrufung des Kriegsrechts in Polen, zu einer höchst verwirrenden Wirkung im westlichen Lager und besonders in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb dieser Regierungskoalition geführt hat. Diese unangenehme Überraschung, vor die sich die Bundesregierung gestellt sah, ist nicht von der Opposition herbeigeredet worden. Sie geht auch nicht auf eine mächtige negative Propaganda der Opposition zurück; so einflußreich sind wir weder im Inland noch im Ausland. Verwunderlich ist allenfalls, daß der außenpolitische Schaden nicht noch viel größer ist angesichts der Erfahrungen, die wir gemacht haben, nachdem sich Helmut Schmidt in den letzten Wochen und Monaten im empfindlichen Porzellanladen der auswärti4502 gen Beziehungen zu unseren westlichen Partnern elefantengleich bewegt hatte. ({8}) Vor Jahren ist ein sehr bekanntes Buch erschienen, nämlich „The Ugly American", das zum Ausdruck brachte, welch äußerst schlechtes Ansehen die Amerikaner in vielen Teilen der Welt hatten. Heute könnte man ein solches Buch über The Ugly German, über den häßlichen Deutschen schreiben. In den letzten Wochen treten in erschreckender Weise im westlichen Ausland alte Ressentiments gegen die Deutschen wieder hervor. ({9}) - Ich rede nicht vom östlichen, sondern vom westlichen Ausland. - Man wirft uns angesichts der polnischen Krise vor, daß wir nicht eindeutig gegen die Unterdrückung der polnischen Freiheit eingetreten seien, daß uns der Osthandel wichtiger sei als das Schicksal der Freiheit von Millionen Polen. Die Rücksicht auf die Sowjetunion gehe allem anderen voran, besonders aber der Einheit im Lager der westlichen Verbündeten. Diese Kritik trifft die Bundesregierung zweifellos generell. Aber sie trifft insbesondere die SPD und ihren Vorsitzenden. Ich muß Ihnen gestehen, Herr Brandt: Sie haben mich in der Vermutung, daß diese Kritik zutreffen könnte, durch Ihre heutigen Ausführungen eigentlich eher bestärkt, als daß ich davon abgekommen wäre. ({10}) Die Vorwürfe kommen im übrigen aus allen maßgeblichen westlichen Hauptstädten - von Washington über London, Paris bis Rom - und auch aus allen politischen Lagern. ({11}) Es fehlt die Zeit, all die vielen Stimmen aufzuzählen. Nehmen wir beispielsweise das britische Massenblatt „The Sun", eher Ihnen zuneigend, also eher ein Sympathisant unserer linken Bundesregierung. Es meint, wir, die die Polen einstmals unterdrückt hätten, hätten ihnen eigentlich als erste beistehen müssen. Dabei war nicht nur gemeint, Herr Brandt, mit Lebensmittelpaketen, sondern auch mit politisch wirksamen und mit moralischen Aktionen, ({12}) d. h. nicht nur mit Verständnis für die schwierige Situation des gegenwärtigen polnischen Regimes. Es geht so weit, daß gewichtige politische Stimmen des Auslandes die Haltung dieser Bundesregierung bereits als friedensgefährdend darstellen. Bezeichnend ist, daß sich Ausläufer dieser antideutschen Stimmung jetzt bereits in Polen zeigen, wo es Stimmen gibt, die die deutschen Lebensmittelpakete eher als eine Entschuldigung, als ein Alibi qualifizieren mit Blick auf die politische und moralische Unterstützung, die wir ihnen weitgehend vorenthalten. Angesichts der Haltung der Bundesregierung, Zurückhaltung zu demonstrieren - Sie nannten es „Besonnenheit"; in der Sache ist es genau dasselbe -, vielleicht sogar so etwas wie Verständnis für die russische und polnische Militärdiktatur zu zeigen, denen ja eigentlich gar nichts anderes übrigblieb und die das noch relativ humanste Mittel zur Beseitigung einer gefährlichen Unruhe in Polen ergriffen haben - gefährlich, wie Sie meinen, hauptsächlich für uns, vielleicht weniger für die Polen -, kommen manche Polen zu dieser Meinung. In der Tat muß man sich in diesem Zusammenhang fragen: Wo bleiben denn die mächtigen Massendemonstrationen beispielsweise des Herrn Eppler in der gegenwärtigen Situation? ({13}) Wenn ein General in Südamerika oder in Asien hustet, dann ergreift die Bundesregierung und die SPD eine seltsame Erregung. ({14}) Jetzt zeigen Sie vielleicht Ärger oder Unbehagen darüber, daß es nicht mehr so gelingt, die Bevölkerung hier in der Bundesrepublik Deutschland über die tatsächliche Weltsituation und unsere Bedrohung hinwegzutäuschen. Sie sind darüber aufgebracht, weil die so schön angefachte antiamerikanische Stimmung jetzt in eine antideutsche Stimmung umzuschlagen droht. Das Entsetzen Genschers, die polnische Krise könnte zu einer Krise des westlichen Bündnissystems werden, sein Wunsch nach Gemeinsamkeit der politischen Parteien in dieser Situation sind sehr wohl zu verstehen. Der Scherbenhaufen der deutschen Außenpolitik ist groß. Er war noch nie so groß, seit es die Bundesrepublik Deutschland gibt. All die atemberaubenden außenpolitischen Aktivitäten, Herr Außenminister, die schönen Reisen - und jetzt ist alles umsonst. ({15}) Daß Sie wie bei allem versuchen, dem Ausland und uns die Schuld in die Schuhe zu schieben, ändert daran nichts. Im übrigen muß ich sagen: Wenn sich Helmut Schmidt im Ausland genauso aufführt wie hier im Bundestag, dann kann ich das Wort vom „häßlichen Deutschen" sehr wohl verstehen. ({16}) Wichtige Zeitungen und Zeitschriften in Amerika und Frankreich meinen - fast wörtlich -, eine andere Bundesregierung wäre besser für das westliche Bündnis. Diesen Äußerungen wollen wir uns uneingeschränkt anschließen. ({17}) Meine Damen und Herren, der bedeutende Historiker und Geschichtsphilosoph Helmut Schmidt, ({18}) auf der Suche nach tieferem Verständnis für den schwierigen Verlauf der aktuellsten Zeitgeschichte und ihrer betrüblichen Auswirkungen für die Bundesregierung, hat Konferenz und Abkommen von Jalta entdeckt. Daß seine Interpretation ganz offensichtlich völlig falsch ist, tut ihrer Bedeutung keinerlei Abbruch. Aber sie ist auch schlimm; sie ist in ihrer Außenwirkung verheerend. Sie wäre schlimm genug, wenn sie nur uns Deutsche beträfe, wenn sie damit gleichsam international legalisierte, daß ein großer Teil des deutschen Volks nach wie vor in Unterdrückung und Abhängigkeit leben muß. ({19}) Aber sie ist in der gegenwärtigen Situation noch schlimmer wegen ihrer außenpolitischen Wirkung, denn sie betrifft jetzt besonders die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Deutschen - kurz: alle, die unter der Diktatur der Sowjetunion leben müssen ({20}) und nach Schmidts Interpretation doch auch ganz offensichtlich leben sollen, ({21}) weil ihre Freiheit, j a ihre Sehnsucht nach Freiheit ganz offensichtlich die Friedensordnung von Jalta gefährdet. ({22}) - Ich kann mir gut vorstellen, daß Ihnen diese Dinge äußerst unangenehm sind. Sie sind es wirklich. Mit anderen Worten: Wir dürfen zwar die Unterdrückung der Polen durch kommunistische Generale und die Russen verbal verurteilen, aber bitte recht milde, mit durchklingendem Verständnis für ihre schwierige Lage, aber bitte kein politischer Druck, keine Aktion, und schon gar nicht zusammen mit den Amerikanern, denn das wäre wohl für Sie das Kompromittierendste. Nehmen wir den jüngsten Brandt - denn er redet ja auf verschiedenen Tribünen anders -, den Brandt von diesem Wochenende. Er sagte laut Presseberichten wörtlich: Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß das polnische Militär in eigener Verantwortung gehandelt hat, weil das Land in einer schier ausweglosen Situation stand. Aber das ist doch genau das Gegenteil von dem, was diese Bundesregierung sagt! Das ist doch genau das Gegenteil von dem, was in der Resolution steht, die Sie zum Ausgangspunkt einer gemeinsamen Aktion machen mußten! ({23}) Deswegen sage ich: Klären Sie doch bitte einmal im Rahmen Ihrer Regierungskoalition, was bei Ihnen tatsächlich gilt. ({24}) - Sie meinen Brandt? Es ist sicher schwer, ihn zu zitieren, aber leider hat er das gesagt. ({25}) Ich zitiere weiter Brandt: Polen erschien nicht mehr regierbar. Das alte Regime hatte vollständig abgewirtschaftet, und die junge Gewerkschaft konnte der Situation nicht gewachsen sein. Das ist j a hochinteressant! Weil das alte Regime abgewirtschaftet hat, hat Polen jetzt ein neues Regime, das der Lage offensichtlich gewachsen ist; die Gewerkschaften waren es j a nicht. ({26}) Hier kommt zum Ausdruck, daß die Militärdiktatoren in Polen - gleichsam dankenswerterweise - das Land aus einer ausweglosen Situation gerissen haben. Zwar zeigen Sie jetzt, wie Sie gesagt haben, Trauer, aber das ist auch alles. ({27}) Mit einer solchen Haltung können Sie von uns nicht Gemeinsamkeit verlangen! ({28}) Noch einmal zurück zu Helmut Schmidt und zu Jalta, weil das Sie ja so empört hat. ({29}) - Es macht die Sache nicht besser, wenn ich bei Ihnen oder bei ihm noch weiter zurückgehe. ({30}) Meine Damen und Herren, es gab j a Gespräche zwischen Helmut Schmidt und Mitterrand. Mitterrand hat offensichtlich ganz andere Vorstellungen bespielsweise zu Jalta. Auch er hat sich dazu geäußert. Er will von Jalta heraus, Sie wollen nach Jalta hinein. ({31}) Einen fundamentaleren Gegensatz gibt es überhaupt nicht mehr. ({32}) Hier zeigen sich im übrigen - und Sie, Herr Brandt, haben j a davon gesprochen - sehr grundlegende Risse auch in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch diese Bundesregierung, und den Franzosen. ({33}) - Ich finde Ihren Lärm und Ihre Unruhe völlig unangebracht. Es stört mich weiter nicht, ({34}) aber es zeigt Ihre innere Einstellung. Noch ein Wort zu Polen: ({35}) Wir sagen uneingeschränkt ja zu jeder Art von Hilfe, die direkt der Bevölkerung zugute kommt, wir haben aber große Bedenken gegenüber Hilfeleistungen, die kommunistischen Regierungen zugute kommen. ({36}) Die Bundesregierung muß das ganze System wirtschaftlicher Hilfeleistungen - ich meine, das System der gesamten Wirtschaftsbeziehungen mit dem Osten überhaupt - überdenken. Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen auch praktikable Lösungen zu finden. Unwiederbringliche Kreditleistungen in Milliardenhöhe zu Lasten des deutschen Steuerzahlers, ohne daß es zu einer wirksamen Sanierung sowjetischer bzw. kommunistischer Gesellschaften käme, können jedenfalls kein wirksames Mittel künftiger Politik mehr sein. Die Forderungen nach Aufhebung des Kriegsrechts, nach Entlassung der politischen Gefangenen, nach Aufnahme der Gespräche zwischen Regierung, Kirche und Gewerkschaften sind kein Gegenstand von Streit zwischen uns; sie werden von uns natürlich voll mitgetragen. Aber was nützt es, wenn es bei diesen verbalen Demonstrationen bleibt? Selbst ein kurzfristiges taktisches Entgegenkommen von sowjetischer oder von polnischer Seite nützt im Grunde gar nichts. Leider drängt sich uns die Vermutung auf, daß die Bundesregierung gegenwärtig dabei ist, das Ganze wieder nach Schema F ablaufen zu lassen: uneinheitliche, von Moskau nicht ernstgenommene verbale Proteste, Zeitgewinn, Spekulation auf das ermüdende Interesse des politischen Publikums, und dann bleibt alles beim alten. So war es bisher immer, so war es bei Afghanistan. Dann kann ja die durch Jalta legalisierte Friedhofsruhe im Osten wiederhergestellt werden. Jalta ist ein fatales Wort, weil wir uns nämlich dem Verdacht aussetzen, daß die Unfreiheit und die wirtschaftliche Not der anderen der Preis dafür sind, daß wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Dann brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, wenn auch in den Kreisen der östlichen Völker jetzt über uns schlecht gedacht wird. ({37}) Man nehme nur Stimmen aus Ihrer eigenen Koalition. Ich könnte Sie unendlich lange weiter zitieren. Beispielsweise ein Wort aus Führungsgremien der FDP: man müsse Jaruzelski Vertrauen entgegenbringen, man müsse ihm Zeit lassen. ({38}) All das wollen die Sowjets. Denn alles das war ja schon einmal: bei Polen, bei Ungarn, der Tschechoslowakei, der DDR, jetzt wieder Polen, bei Afghanistan. ({39}) Wir wehren uns dagegen, daß es so in alle Zukunft weitergehen soll. Das soll jetzt mehr ein Wort direkt an die außenpolitische Administration sein. Planung ist für die Bundesregierung j a ein großes Wort. In dieser Bundesregierung wird alles prospektiv geplant. Große Planungsinstitutionen sind eingerichtet worden. Ein Instrumentarium ist entwickelt worden, Krisenstäbe analysieren Szenarien. In der Zwischenzeit ist die Bundesregierung ja selber ein ständiger Krisenstab geworden - angesichts der Krise innenpolitisch und außenpolitisch auf allen Gebieten. Wieso haben Sie eigentlich nicht ein wirtschaftliches und politisches Instrumentarium für die Polenkrise entwickelt? Denn das Ganze kam j a nicht überraschend. Sie haben uns doch seit Wochen und Monaten die polnische Entwicklung vorgetragen. Sie haben doch erwartet, daß etwas kam, teilweise noch viel Schlimmeres. Wieso sind Sie jetzt so maßlos überrascht? Im Grunde haben Sie j a doch gewußt, was passiert. Daran ändern auch die in meinen Augen beschämenden Erklärungen von Helmut Schmidt und Honecker bei seinem Besuch in der DDR nichts. ({40}) Denn die undifferenzierte Art, in der Schmidt sich hier auf die gleiche Basis mit Honecker stellte, zeigt eine komplette Verschiebung alter außenpolitischer Werte. ({41}) Man braucht sich nicht zu wundern, wenn darüber das westliche Ausland irritiert ist. Man hat den Eindruck, Sie stehen taumelnd und überrascht einer außenpolitischen Krise nach der anderen gegenüber. Während der Krieg in Afghanistan noch andauert, wird bereits das Kriegsrecht in Polen praktiziert. Morgen kommt der nächste Überfall auf ein anderes Volk, und die Bundesregierung ist immer überrascht. ({42}) Von irgendeiner Form vorausschauender Außenpolitik auf der Grundlage eines einheitlichen Konzeptes kann jedenfalls bei dieser Bundesregierung überhaupt keine Rede sein. ({43}) Nehmen wir beispielsweise das Erdgasgeschäft, das die Bundesregierung mit der Sowjetunion abgeschlossen hat. Die Bundesregierung schließt unter kräftiger Verstimmung der USA ein Abkommen mit der Sowjetunion ab - mit der Sowjetunion, die nach den eigenen Aussagen dieser Bundesregierung für den Kriegszustand in Polen hauptverantwortlich ist -, ein Abkommen, das dieser sowjetischen Regierung jährlich Milliardenbeträge bringt, die dann nachher - es ist jedenfalls nicht auszuschließen Dr. Abelein direkt oder indirekt wieder zu unserer Bedrohung eingesetzt werden. ({44}) Durch dieses gigantische Gas-Röhren-Geschäft, das die Bundesregierung entgegen den Bedenken der Regierung in Washington abgeschlossen hat, hat die Bundesregierung beispielsweise die amerikanische Führungsrolle eindeutig herausgefordert und in Frage gestellt. Die neuen Abhängigkeiten, um die es sich hier handelt - denn rund ein Drittel des deutschen Gasbedarfs soll ja jetzt aus der Sowjetunion kommen -, vermindern die Aussichten, Bonn werde sich in Zukunft jemals zur Anwendung wirtschaftlicher Sanktionen bewegen lassen, leider zusätzlich. Auf Sicherheitsbedenken von seiten der Opposition hingewiesen, erklärte der zuständige Minister, natürlich stünden Abschluß und Durchführung des Erdgasgeschäftes im Zusammenhang und hingen von dem Verhalten der Sowjets in Afghanistan und in Polen ab. ({45}) Für den unvoreingenommenen Beobachter kann das nur heißen: Solange die Sowjetunion in Afghanistan Krieg führt und Kriegszustand in Polen herrscht, gibt es kein Geschäft, das der Sowjetunion Milliardenbeträge zuführt, weil eben die Geschäftsgrundlage nicht mehr besteht. Aber weit gefehlt: Die Bundesregierung tut so, als habe es diesen Zusammenhang nie gegeben, als habe sie etwas Ähnliches nie gesagt. Die Sowjetunion hat diese Drohung von seiten der Bundesregierung - davon gehe ich aus - ohnehin nicht ernst genommen - zu Recht nicht. Denn man kann diese Bundesregierung im Grunde nicht mehr ernst nehmen. ({46}) Außenwirtschaft und Außenpolitik gehören nämlich zusammen. Das zeigen jetzt beispielsweise die Polenkredite, ({47}) die zu einem der größten Desaster der westlichen und damit auch der bundesrepublikanischen Bankenwelt auszuarten drohen. Es war im übrigen interessant, in diesem Zusammenhang zu hören, daß wir dann - eine Drohung, ausgesprochen gegenüber Bundesrepublik und Bundesregierung -, wenn wir in der Polenkrise nicht entsprechendes Wohlverhalten zeigen würden, selbst die finanziellen Konsequenzen wegen der notleidenden Kredite zu tragen hätten. ({48}) Diese Erfahrungen dürfen bei künftigen Wirtschaftsmaßnahmen gegenüber sozialistischen Staaten nicht mehr außer acht gelassen werden. Zugegeben: Der gegenwärtige Zeitpunkt für eine transatlantische Diskussion über Sanktionen gegenüber Polen und der Sowjetunion ist angesichts dieser Diskussion nicht mehr sehr günstig. Aber hier liegen schwerwiegende Versäumnisse der Bundesregierung vor. Es wäre besser gewesen, hinsichtlich der Problematik von gemeinsamen Wirtschaftssanktionen als eines den Frieden nicht gefährdenden, aber eine deutlich fühlbare Warnung aussprechenden Mittels unbelastet vom Druck einer akuten Krise zu überlegen und zu entscheiden; das haben Sie versäumt. Aber jetzt muß gehandelt werden, wenn in den transatlantischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht noch größerer Schaden entstehen soll, als er ohnehin schon vorliegt. Denkbare Möglichkeiten dafür sind: keine weiteren staatlichen oder privatwirtschaftlichen Kredite an Polen und an die Sowjetunion, Aussetzung der Umschuldungsverhandlungen bezüglich der Polenkredite, verschärftes Embargo für Technologietransfer mit militärischer oder auch militärisch-ziviler Nutzungsmöglichkeit, Aussetzung des wissenschaftlichen Austausches mit der Sowjetunion und Polen und - eventuell - Beschränkung der Aktionsmöglichkeiten sowjetischer und polnischer Diplomaten und Journalisten im Westen - nur den dortigen Beschränkungen entsprechend. ({49}) In diesen Tagen findet die Bundesregierung - ich habe es bereits kurz angesprochen - eine ausländische Presse wie nie zuvor. Die Vorwürfe lauten: mangelnde Solidarität mit dem Westen, Unzuverlässigkeit, Anmaßung, Rückfall in außenpolitische Verhaltensweise des Dritten Reiches, Nationalismus, Neutralismus. Ob sie alle zu Recht oder zu Unrecht bestehen, darauf will ich nachher noch kurz eingehen. ({50}) Aber dieses Meinungsbild ist ein Politikum in sich selbst, wofür diese Bundesregierung und ihr Verhalten in hohem Maße ursächlich sind. ({51}) Eine der schlimmsten Darstellungen - ich glaube, sie wurde schon einmal angesprochen - findet sich in einer bekannten französischen Zeitschrift, in der Helmut Schmidt - vor dem Hintergrund Adolf Hitlers und Stalins, die 1939 Polen teilten - dargestellt wird, wie er, vor Breschnew kniend, diesem die Stiefel putzt. ({52}) Das ist sicher eine maßlos überzogene und weitgehend auch unzutreffende Darstellung, vor der man Helmut Schmidt in Schutz nehmen muß, ({53}) weil er unser Bundeskanzler ist, auch wenn er ein schlechter Bundeskanzler ist. Davor muß man ihn in Schutz nehmen. ({54}) - Herr Wehner, vielleicht sollte man ihn auch vor Ihnen in Schutz nehmen. Aber das ist eine innerparteiliche Angelegenheit der SPD. ({55}) Das Bezeichnende an dieser Karikatur ist aber die böse Stimmungslage, die darin gegen Deutschland zum Ausdruck kommt. Sie wird, Herr Außenminister, den Aktionsradius und die Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik in Zukunft erheblich und empfindlich erschweren. Deswegen ist Ihre Besorgnis angesichts dieser Situation schon angebracht. Nach so viel Mühen so viel Scherben, das ist für Sie in der Tat schwer zu ertragen. ({56}) An dieser trostlosen Situation ändern auch Gespräche zwischen Schmidt und Reagan, die eigentlich nur deutlich machen, daß man sich über die wichtigsten Punkte nicht einig ist, überhaupt nichts. Eine Pressestimme: „Es war, wie wenn zwei aus einem Haufen von Scherben die noch unbeschädigten Geschirrteile heraussuchen." Oder eine französische Stimme - sie ließen sich endlos vermehren; es sind nur ganz wenige Beispiele - gab ihren Eindruck bezeichnenderweise so wieder: „Kein Beobachter kann leugnen, daß das Treffen Schmidt/Reagan zur großen Freude der Sowjets die Abkoppelung Europas von den Vereinigten Staaten bedeutete." ({57}) Das ist eine böse Stimmung. Daß Sie, Herr Außenminister, als Zeuge in dieses Gespräch und damit in die Verantwortung mit verwickelt, Ihren Kabinettskollegen nicht kompromittieren möchten und etwas anderes sagen, ist nur allzu verständlich. Nur eines: Man kann nicht gleichzeitig in einer Person zum gleichen Zeitpunkt Zeuge und Komplize sein. ({58}) Auch die Blitz-Visite auf Grund einer Selbsteinladung von Helmut Schmidt beim französischen Staatspräsidenten mit einem schweigenden Mitterrand, und einem ein einseitiges Einmütigkeitskommuniqué herausgebenden Helmut Schmidt förderte nichts Besseres zutage; denn sie waren sich eigentlich in den fundamentalen Fragen - davon habe ich bereits gesprochen - uneinig. Und heute ist es so, daß eine französische Regierung, bestehend aus Sozialisten und Kommunisten - man stelle sich einmal die Schwierigkeiten dieser Regierung vor -, ({59}) dennoch den Amerikanern näher steht als diese gegenwärtige Bundesregierung, jedenfalls ist das der internationale Eindruck von der gegenwärtigen Situation. Eines jedenfalls steht fest: ({60}) Die außenpolitischen Beziehungen zu unseren wichtigsten Bündnispartnern sind empfindlich gestört. ({61}) Sie, Herr Außenminister, fordern natürlich eindringlich, aus der polnischen Krise doch bitte keine westliche Krise entstehen zu lassen. Wenn Sie doch zutreffender formuliert hätten: keine westliche Krise offenbar werden zu lassen! Denn diese Krise besteht natürlich schon seit langem. Sie war vielleicht nur nicht allen so sichtbar, wie sie es heute ist. Die Beschlüsse der europäischen Außenministerkonferenz und der NATO zeigen mattes Bemühen auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners. Alle verbalen Forderungen nach Aufhebung des Kriegsrechts, Entlassung der in den Konzentrationslagern Schmachtenden, Wiederaufleben des Dialogs in Polen zwischen Gewerkschaft, Kirche und Staat verhüllen eigentlich kaum den Zweck, Zeit zu gewinnen. Man will nichts, was der Sowjetunion empfindlich sein könnte, unternehmen. Infolgedessen wird man auch niemanden beeindrucken, die Sowjetunion zu allerletzt. ({62}) Wieso hat denn die Bundesregierung mit den Amerikanern nicht ernsthaft über Nutzen und Art von Sanktionen verhandelt, ohne den Eindruck zu erwecken, partout eigene Wege gehen zu wollen? Die Meinungsunterschiede über Polen haben die Verstimmung zwischen Amerika und der Bundesrepublik Deutschland zwar verschärft, aber vorhanden waren sie schon lange. Die von großen Teilen, von allen Teilen der Koalition - allerdings hauptsächlich von der einen Seite - mit getragene und teilweise ausgelöste Pazifismuswelle und die Kritik breiter Kreise der Regierungskoalition - bis hinein in die Reihen der Mitglieder der Bundesregierung - an der nuklearen Nachrüstung haben schon vorher die Beziehungen nachhaltig getrübt. In der Zwischenzeit gibt es längst fundamentale Zweifel daran, ob die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die wir verfolgen, und die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich noch die gleichen sind. Die ständige Kritik an einer angeblich zu risikofreudigen Politik Reagans und die dem amerikanischen Präsidenten angelastete Gefahr eines Nuklearkrieges auf deutschem Boden konnten amerikanische Befürchtungen einer Abkehr der Deutschen vom Bündnis nur nähren. Diese Entwicklung läuft schon lange. Sie reicht auch in Zeiten vor der gegenwärtigen Administration in Amerika zurück. Die europäische Säule der deutschen Außenpolitik ist in der Zwischenzeit ebenfalls am Wanken. Einstmals war sie das Paradepferd der deutschen Außenpolitik. Europa bietet ein Bild des Jammers. Das ist kein Wunder. Nachdem sich die Bundesregierung überwiegend ostpolitisch betätigt hat, braucht sie sich über die europäische Stimmung nicht zu wundern. Auch eine Europäische Akte, Herr Außenminister, so verdienstvoll sie in ihrer Absicht sein mag, ändert daran wenig. Sie kann eine tatkräftige Europapolitik nicht ersetzen. Sie kann eine solche auch nicht vortäuschen. Europäische Akte statt europäischer Taten - das ist letztlich die Überschrift, die über dieser Europapolitik steht. Ich will es mir jetzt angesichts der vorgeschrittenen Zeit ersparen, auch diese Meinung durch viele ausländische Stimmen zu unterbauen. Längst haben die europäischen Regierungen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Bundesregierung erfaßt. Es wird offen - beispielsweise im „Quotidien" vom 16. Januar 1982 - der Vorwurf gemacht, sich bei der Wahl zwischen der Ostpolitik und der westlichen Solidarität für die Ostpolitik entschieden zu haben: „Bei der Wahl zwischen den nationalen Interessen und den Beziehungen zur freien Welt hat die Bundesrepublik die nationalen Interessen gewählt." ({63}) - Ich beantworte keine Fragen. ({64}) - Sie haben sich so benommen, daß ich während dieser Sitzung keine Fragen mehr beantworte. ({65}) Die Bundesregierung übersieht in diesem Zusammenhang, daß sie, wenn sie ihre nationalen Interessen in den Vordergrund stellt, letztlich auch diesen nationalen Interessen schadet. So kompliziert sind die Zusammenhänge. ({66}) Über Europa breitet sich nicht zuletzt wegen der Haltung der Bundesregierung Lähmung aus. Es besteht die Gefahr, daß sie sich noch über Europa hinaus ausdehnt. Für die Bundesregierung besteht jetzt die Gefahr, daß sie nicht nur gegenüber dem Osten, sondern auch gegenüber dem Westen in eine Isolierung gerät, der zu entgehen angeblich eines der Hauptziele Ihrer neuen Außenpolitik war. So schließt sich der Zirkel. Kommt das alles überraschend? Trifft es die Bundesregierung plötzlich und unverdient? Haben das Ausland und die Opposition denn keinen Anlaß, diese Fragen zu stellen? ({67}) Es gibt leider mehr als genug Anlässe. Ich komme wieder auf Sie zu sprechen, Herr Brandt; warten Sie es bitte ab. ({68}) Ihr Verhalten ist ein Politikum. Sie sind ja seit 1976 in Personalunion Chef der Sozialistischen Internationale, und Sie haben nicht nur Ihre Partei, sondern auch die Sozialistische Internationale auf die schiefe Ebene dirigiert. ({69}) Die Abgrenzung vom internationalen Kommunismus, jahrelang eigentlich der stolze Ausweis sozialdemokratischer Parteien, geriet unter Ihnen mehr und mehr ins Verschwimmen. ({70}) Sie suchten eine Position der Blockfreiheit zwischen Ost und West. Sie traten ein für den Antiimperialismus, der für weite Teile Ihrer Partei und - das muß ich hinzufügen - auch der FDP längst zum Antiamerikanismus geworden ist. ({71}) Für große Teile Ihrer Parteien sitzen die Vereinigten Staaten von Amerika heute auf der Anklagebank, stellvertretend für alle westlichen Industrienationen. Und leider ist der Hang bei Ihnen auch heute noch überdeutlich, Ostpolitik vor atlantische Bündnispolitik zu stellen. In der Zwischenzeit haben Sie eine Position gefunden, die sich links von den Eurokommunisten befindet. ({72}) Giorgio Napolitano, der Fraktionsführer der Kommunisten in Rom, meinte: Die Gegensätze zwischen verschiedenen Konzeptionen des Sozialismus haben einen Punkt erreicht, an dem sich die Wege trennen. Das stimmt, denn Ihr Weg führt noch weiter nach links. ({73}) Im Grunde lag diese Entwicklung schon in den Anfängen der Politik dieser Bundesregierung beschlossen. Diese Bundesregierung hat zwar schon einige Male versucht, sich in der Tradition Adenauers darzustellen, nicht zuletzt anläßlich der Feiern zu seinem 100. Geburtstag. ({74}) Adenauer, im Gegensatz zu den heute Regierenden ein wahrhaft bedeutender Mann, ({75}) hat es für seine erste Pflicht gehalten, für Deutschland den Ruf der Zuverlässigkeit zu gewinnen, und Sie sind dabei, diesen Ruf der Zuverlässigkeit wieder zu verspielen. ({76}) Adenauer lehnte es entschieden ab, eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West zu betreiben, um Deutschland dadurch in eine angeblich günstigere Lage zu bringen. Er wollte die Bundesrepublik Deutschland fest in Europa verankern und Europa im westlichen atlantischen Bündnis, weil er glaubte, auf diese Weise erhalte der deutsche Nationalismus, mitursächlich für eine der größten Katastrophen un4508 serer Geschichte, keine Chance mehr. Und jetzt haben wir auch wieder den deutschen Nationalismus. Gerade davor hat das westliche Ausland so Angst. Zwischen Ost und West zu manövrieren war das Wesen einer nationalistischen deutschen Außenpolitik. ({77}) Es gibt Traditionen, in denen die gegenwärtige Bundesregierung steht. Darüber hinaus leidet sie auch noch an einem Fehlen tieferer Bindungen - jedenfalls zum Westen. Emotionale Bindungen zum Osten sind schon vorhanden. Das Herz schlägt eben links, und die alten linken Schlachtrösser traben lieber nach Osten als nach Westen. Daran hat sich nichts geändert. ({78}) Es ist aufschlußreich, einmal nachzulesen, was ein maßgeblicher außenpolitischer Akteur der letzten Jahre, nämlich Kissinger, über einen anderen maßgeblichen Akteur der deutschen Ostpolitik, eine Zeitlang Deutschlands geheimer Außenminister, schreibt: Er - Bahr ist gemeint, wie leicht zu verstehen ist gehört zu den Leuten, die immer geglaubt haben, Deutschland könne seiner nationalen Bestimmung nur gerecht werden, wenn es freundschaftliche Beziehungen zum Osten unterhielte ... Ganz offensichtlich war Bahr kein überzeugter Anhänger der westlichen Gemeinschaft wie die Politiker aus den früheren deutschen Regierungen. Er war auch frei von allen gefühlsmäßigen Bindungen an die Vereinigten Staaten. Er fährt dann fort, aber das spielt keine Rolle: Was seine angebliche Verschlagenheit betraf, so neigte ich zu der Auffassung Metternichs, daß nichts schwieriger ist, als mit einer absolut ehrlichen Persönlichkeit Verhandlungen zu führen. Diese Schwierigkeiten wird Kissinger mit Bahr ohnehin nicht gehabt haben. Meine Damen und Herren, Neutralismus und Nationalismus sind also recht frühe Ingredienzien der Außenpolitik dieser Bundesregierung, die ebenso früh Mißtrauen bei unseren westlichen Partnern hervorrief, auch wenn die internationale Courtoisie diese Meinungen nicht immer zum Gegenstand offizieller Demarchen machte. Als Dritter im Bunde der Bestandteile Ihrer Außenpolitik ließ der Sozialismus nicht lange auf sich warten. Nationalismus und Sozialismus gehen nicht das erste Mal eine Verbindung miteinander ein, ({79}) und von da an ist es dann nur noch ein kleines Schrittchen zum Antiamerikanismus. ({80}) Gegen diese Entwicklung in seinen eigenen Reihen anzugehen fällt dem Bundeskanzler Helmut Schmidt, selbst wenn er es wollte, immer schwerer. ({81}) Genscher ist vielleicht, wahrscheinlich widerwillig, längst Gefangener einer Außenpolitik geworden, aus der er sich nicht mehr lösen kann. Die Zeitung „Economist" schildert Helmut Schmidt - sie meint das repräsentativ für die gesamte deutsche Bundesregierung - als einen Politiker, der die Rolle des „go between" sucht, d. h. auf gut deutsch eines Maklers, Vermittlers zwischen den Welten, wenn schon nicht des Führers der Welt, was er am liebsten sehen würde, dann wenigstens ihres Schiedsrichters. Aber „go between" hat auch noch eine andere fatale Bedeutung; denn man kann so zwischen die Parteien gehen, daß man nachher zwischen allen Stühlen sitzt. Diese Gefahr droht uns. Aber noch einmal zum Schluß zurück zu Polen. ({82}) Wir dürfen nicht resignieren. ({83}) Vielleicht finden wir doch noch eine schmale Brücke der Gemeinsamkeit. ({84}) Laßt uns alle gemeinsam alle Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Jugendverbände und gesellschaftliche Organisationen auffordern, ({85}) am Samstag, dem 30. Januar 1982, in einer mächtigen Demonstration zusammen mit den anderen Ländern des freien Westens unsere Verbundenheit mit dem polnischen Volk zum Ausdruck zu bringen! Mit einer öffentlichen Schweigeminute, ({86}) mit Verkehrsstopp, dem Geläute der Kirchenglokken und Kundgebungen in allen Städten sollten wir zeigen, daß wir die Freiheit auf der ganzen Welt bei allen Meinungsverschiedenheiten, die Freiheit auf der ganzen Welt, auch in Polen, noch nicht aufgegeben haben. ({87})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und HerBundesminister Genscher ren! Der Herr Kollege Dr. Abelein hat recht - daß ich ihm allgemein recht gebe, können Sie nach dieser Rede nicht erwarten -, ({0}) wenn er sich darauf beruft, daß ich am Ende der letzten Woche den Wunsch zum Ausdruck gebracht habe, diese Debatte möge die Gelegenheit bieten, gerade in unserem Verhältnis zu den Vorgängen in Polen das, was gemeinsam vorhanden ist, auch zum Ausdruck zu bringen. Ich habe damals gesagt, Herr Kollege Abelein: Ich rufe meine eigenen Parteifreunde, meinen Koalitionspartner und die Opposition auf, den am Donnerstag entstandenen Eindruck nicht über die Haushaltsdebatte der nächsten Woche hinaus bestehenzulassen. Die Donnerstagsdebatte darf nicht das letzte Wort gewesen sein. Wir sind es uns schuldig, wir sind es dem polnischen Volk schuldig, wir sind es auch dem Nordatlantischen Bündnis und der Europäischen Gemeinschaft schuldig. Als ich heute morgen die Rede des Herrn Kollegen Willy Brandt gehört habe, hatte ich verstanden, daß er mit dieser Rede, sowohl was unsere innenpolitische Lage und die Sorgen um die Arbeitsplätze als auch was die Außenpolitik angeht, den Versuch unternehmen wollte, das, was gemeinsam vorhanden ist, hier auch zum Ausdruck zu bringen. ({1}) Da Sie, Herr Kollege Dr. Abelein, nicht der letzte Redner Ihrer Fraktion waren, gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß der heutige Tag das noch bringen möge. Sie haben sich hier zu Reaktionen und zu dem, was Sie an möglichen Reaktionen auf die Ereignisse in Polen für notwendig halten, geäußert. Ohne jede Polemik möchte ich Sie bitten, einmal zurückzublicken - das dürfte Ihnen nicht schwerfallen - und sich zu erinnern, wie die Reaktionen in diesem Lande in einer Zeit aussahen, in der Sie die Kanzler stellten - im Jahre 1953 nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR, 1956 nach der sowjetischen Intervention in Ungarn, 1968 nach der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei und nach dem 13. August 1961, dem Tag, den ich für den schwärzesten unserer Nachkriegsgeschichte halte, nämlich dem Tag des Baus der Mauer. Ich will nicht kritisieren, was damals bei uns geschehen ist. Ich will nur eines sagen: Auch damals haben wir die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen müssen. ({2}) - Darf ich den Gedanken zu Ende führen, Herr Dr. Kohl! - Was die Reaktion sein muß, ist doch auch, darüber nachzudenken, wie man zukünftig die Politik beeinflussen kann. Hier bitte ich Sie, sich zu fragen, ob die Entscheidung der Bundesregierung im Jahre 1975, die Schlußakte von Helsinki zu unterzeichnen - sie machte die Schlußakte erst möglich -, den Völkern im kommunistischen Machtbereich nicht wirklich ein Stück mehr real, noch mehr aber Perspektive eigener Entwicklung, eröffnet hat, auch wenn es dabei immer wieder Rückschläge gibt. ({3}) Wenn das zutrifft, dann müßten Sie selbst die Frage beantworten, ob es richtig war, daß Sie damals im Deutschen Bundestag den Antrag stellten, diese Schlußakte nicht zu unterzeichnen. ({4}) Wenn Sie von Isolierung unseres Landes sprechen, die Sie heute vermuten - ich werde dazu nachher noch eine Menge zu sagen haben -, dann denken Sie bitte darüber nach, ob die Tatsache, daß wir dann als einziges Land in Helsinki nicht unterzeichnet hätten, nicht die schwierigste Isolierung für unser Land überhaupt gewesen wäre. ({5})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Genscher, Sie haben zu Beginn dieser eben gemachten Ausführungen tragische europäische Ereignisse erwähnt, wie den Volksaufstand in der DDR, den Aufstand in Ungarn und andere Ereignisse, und Sie haben danach gefragt, wie in jener Zeit damalige Bundesregierungen reagiert haben. Hätten Sie die Freundlichkeit, mir einmal die Frage zu beantworten, ob es in der damaligen Zeit von irgendeinem Regierungssprecher, von einer Regierungsstelle, von einem Regierungsmitglied, von einem Bundeskanzler eine vergleichbare Äußerung gegeben hat wie die jetzt vor ein paar Wochen, daß hier in Polen eine „notwendige" Entwicklung eingetreten sei? ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege Dr. Kohl, zunächst einmal hatten wir uns auseinanderzusetzen mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu reagieren. Was die Haltung des Bundeskanzlers angeht, möchte ich noch einmal sagen - ich habe das am Donnerstag ja schon zum Ausdruck gebracht -, ich hätte mir gewünscht, daß er in jenen Dezembertagen, in denen vielleicht noch mehr Entscheidungsoptionen möglich waren als heute bei einer Verfestigung der von uns bedauerten Entwicklung, unter den europäischen Regierungschefs nicht der einzige gewesen wäre, der sich an Herrn Breschnew wandte als der, der eine schwere Verantwortung trägt. ({0}) Auch hier gilt: Gestaltend Einfluß zu nehmen, die Möglichkeiten nutzen, die man hat. Das ist in diesem Brief sehr deutlich zum Ausdruck gekommen. ({1})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl? Genscher, Bundesminster des Auswärtigen: Bitte sehr.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Genscher, darf ich Sie bitten, meine Frage zu beantworten? ({0}) Sie haben den Vergleich mit früheren Regierungen angestellt, und bei dem, der Sie jetzt hörte oder Ihnen zuschaute, mußte ja der Eindruck entstehen, daß frühere Regierungen ähnliche Äußerungen getan haben. Meine Frage ist: Gab es bei den bewußten Ereignissen eine vergleichbare Äußerung eines Bundeskanzlers wie jetzt im Zusammenhang mit der Polenkrise?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Es kann doch, Herr Kollege Kohl, eine vergleichbare Äußerung zu nicht vergleichbaren Entwicklungen nicht geben. ({0}) Als ich mich über frühere Regierungen geäußert habe, habe ich dem Herrn Kollegen Abelein die Frage stellen wollen, ob er nicht aus den Reaktionen der damaligen Regierungen genauso auch Grenzen westlicher Möglichkeiten erkannt hat, wie wir sie heute mit Bitterkeit sehen. Niemand wäre doch mehr als wir in einem geteilten Land daran interessiert, wenn wir die Instrumente, die Möglichkeiten hätten, ohne unsere Position zu verletzen, den Völkern, die unter kommunistischer Herrschaft leben müssen, mehr Freiheit zu geben. ({1}) Ein Instrument, Herr Kollege, haben wir genutzt. Das ist die Schlußakte von Helsinki. Ich wage die Behauptung, daß manche Entwicklung heute, die den Menschen in Osteuropa hilft, ohne diese Schlußakte nicht möglich gewesen wäre. Das wird international anerkannt. ({2}) Deshalb müssen Sie sich die Frage stellen, ob Sie damals gut beraten waren. Es tut mir leid, daß wir heute den Blick auf das Jahr 1975 zurückwenden müssen. Ich möchte - und das war mein Ziel, als ich hier ans Rednerpult kam - mit den Kollegen des Deutschen Bundestages diese Debatte über den Haushalt 1982 nutzen, um zu sehen, was man zur Gestaltung deutscher Außen- und Innenpolitik tun kann. Das muß doch die Grundlage einer solchen Debatte sein. Da stelle ich fest, daß sich die Redner der Regierungskoalition hier mit Vorschlägen zu den beiden bewegenden Fragen in unserem Land geäußert haben: der Frage der Arbeitslosigkeit und der Frage der Friedenssicherung und des Standes des Ost-West-Verhältnisses, das doch von dem, was in Polen vor sich geht, gar nicht unbeeinflußt sein kann. Herr Kollege Brandt hat auf die Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Frage der Beschäftigungspolitik Bezug genommen. Wir hatten gestern abend Gelegenheit, mit dem Bundesvorstand des DGB zu sprechen. Ganz gewiß ist es so, daß diese Initiative psychologisch eine Wirkung gehabt hat. Sie hat die psychologische Wirkung gehabt - die von allen Seiten nur begrüßt werden kann -, daß wir zu einer Versachlichung der Diskussion über die Frage der Beschäftigungspolitik in unserem Land gekommen sind. Das ist nach leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, nicht wenig, und wir sollten das nicht geringschätzen. Wenn dann in den einzelnen Parteien diskutiert wird, bin ich gar nicht derjenige, der das kritisiert. Mir sind Leute, die sich Gedanken über Beschäftigungspolitik machen, lieber als diejenigen, die keine darüber entwickeln. Deshalb kritisiere ich nicht, daß aus Ihren Landeshauptstädten, in denen Sie die Ministerpräsidenten stellen, durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten worden sind. Da hat jede Meinung Anspruch darauf, gehört und bewertet zu werden. Sie werden ja nachher daraus Ihre gemeinsame Position zu entwickeln haben. Darüber hätten wir im Deutschen Bundestag bei der Aussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers und die Regierungspolitik gern etwas Genaueres gehört. Natürlich hat sich Herr Kollege Dr. Zimmermann heute morgen auch mit der Wirtschaftspolitik befaßt. Aber er hat eigentlich nur das erwähnt, was nach seiner Meinung von der Regierung falsch gemacht wird. Er hat uns bisher im unklaren darüber gelassen, ({3}) wie die Opposition in dieser Lage Auswirkungen, und zwar positive Auswirkungen, auf den Arbeitsmarkt erreichen will. ({4}) Meine verehrten Kollegen, es kann doch kein Zweifel bestehen, daß die Sicherung der vorhandenen und die Schaffung neuer, dauerhafter Arbeitsplätze das zentrale innenpolitische Thema des Jahres 1982 sein werden. Wenn wir hier über unsere Position im Westen, über unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit und über die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sprechen, dann müssen wir sehen, daß all das seine Quelle, seine Basis, seine Grundlage auch in der wirtschaftlichen Lage und im sozialen Konsens innerhalb der Bundesrepublik Deutschland findet. Das hat dafür Bedeutung. Herr Kollege Brandt hat in diesem Zusammenhang auf die Entwicklungspolitik und die Herausforderungen verwiesen, die von dort auf uns zukommen. In der Tat haben wir uns mit Ölpreiserhöhungen und der Entwicklung der Rohstoffpreise auseinanderzusetzen. Aber wir haben uns auch damit auseinanderzusetzen, daß Entwicklungsländer, sogenannte Schwellenländer, auf dritten Märkten und auch auf dem eigenen Markt zunehmend zu Konkurrenten für uns werden. Da müssen Entwicklungspolitik und Solidarität mit den Staaten der Dritten Welt zu Hause anfangen. Das heißt, man darf nicht einer industriellen Entwicklung der StaaBundesminister Genscher ten der Dritten Welt eine Sperre dadurch in den Weg legen, daß man selber die Zuflucht im Protektionismus sucht. Deshalb ist eine gemeinsame Anstrengung unseres Landes zur Abwehr protektionistischer Tendenzen - die gibt es nicht nur außerhalb, sondern vor allem auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft - eine ganz wichtige Sache. Herr Kollege Abelein, wenn Sie über Europapolitik reden, dann hätten Sie sehr wohl zum Ausdruck bringen dürfen, daß wir trotz schwerer Arbeitsmarktprobleme bei uns diejenigen sind, die den Protektionismus aus Prinzip ablehnen, aus der Verantwortung für einen freien Welthandel, für unsere eigene wirtschaftliche Entwicklung, aber auch aus Solidarität gegenüber den Staaten der Dritten Welt, die wir nicht abschließen dürfen. ({5}) Wenn wir uns dieser aufkommenden Herausforderung aus den Staaten der Dritten Welt bewußt sind - ich meine jetzt nicht nur Korea, das jetzt als nächstes Land genannt wird, und Taiwan; es gibt viele andere Schwellenländer, die uns solche Herausforderungen aufgeben werden -, dann wird deutlich, daß wir hier, wie Herr Brandt mit Recht gesagt hat, vor strukturellen Problemen stehen, die wir nicht mit vorübergehenden Maßnahmen werden bewältigen können. Hier ist es vielmehr notwendig, daß wir unsere Wirtschaft konkurrenzfähig halten und dort, wo sie es nicht mehr ist, wieder konkurrenzfähig machen, d. h. daß sich die Konkurrenzfähigkeit auch auf der Kostenseite unserer Wirtschaft zeigt. Da, Herr Kollege Zimmermann, hätte man natürlich schon erwartet, daß Sie ein Wort über die Haltung Ihrer Fraktion zur Tarifpolitik und zur tarifpolitischen Situation sagen. Die Tarifpolitik hat natürlich eine ganz enorme Auswirkung auf das, was in diesem Jahr geschehen wird. Die Tarifpartner haben hier eine große Verantwortung. Die Tarifpartner werden dieser Verantwortung dann gerecht werden, wenn sie erkennen, daß sich in unserer Lage die Solidarität zwischen denen, die Arbeit haben, und denen die Arbeit suchen, erweisen muß. Diese Solidarität muß sich durch eine Zurückhaltung in der Tarifpolitik erweisen. Nun muß man wissen, daß in einer solchen wirtschaftlichen Phase verteilungspolitisch enorme Spannungen entstehen. Denn gerade wenn man etwas zur Förderung privater Investitionen tut, aber gleichzeitig tarifpolitische Zurückhaltung fordert, ergeben sich verteilungspolitische Probleme. Diesen verteilungspolitischen Problemen kann man nur begegnen, wenn man gleichzeitig die Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu einem zentralen gesellschaftlichen Problem erklärt. Nur dann können Sie diese Zurückhaltung erwarten. ({6}) - Meine verehrten Kollegen, wenn Sie dem zustimmen können, brauchen Sie sich doch nicht zu erregen, sondern dann können Sie es hinterher bestätigen. Das wäre doch eine ganz großartige Sache. ({7}) - Herr Kollege Kohl, darf ich meinen Gedanken erst einmal zu Ende führen? Nachher antworte ich Ihnen gern. Ich mag es wirklich nicht mit ansehen, wenn Sie länger stehen müssen. ({8}) - Nein, das bringe ich nicht übers Herz.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Außenminister, darf ich Sie fragen, ob Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen mehr zulassen oder ob Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl zulassen?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Aber selbstverständlich.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bedanke mich. Der Herr Außenminister ist geneigt. Herr Außenminister, darf ich Ihnen die Frage stellen: Können wir hier vor dem Forum des deutschen Volkes im Wege der Gemeinsamkeit gleich eine Initiative zur Vermögensbildung vereinbaren? ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege, wir können nicht im Wege von Zwischenfragen Gesetze verabschieden.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich war noch nicht ganz fertig. Ich möchte das Angebot noch vollenden: Wir können das noch heute mittag gemeinsam einbringen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege Kohl, darüber wollen wir in Ruhe beraten. ({0}) - Wenn Sie für Schnellschüsse bei der Vermögenspolitik sind, so ist das Ihre Sache. Wir sind es nicht. Aber wir sind dafür, daß wir die verteilungspolitischen Probleme, die wir in diesem Jahr bekommen werden, durch eine aktive Vermögensbildung zu entschärfen versuchen. Beseitigen können wir sie auf keinen Fall. ({1}) Darüber möchte ich ganz ernsthaft hier reden. Wenn wir über tarifpolitische Zurückhaltung sprechen, müssen wir natürlich auch ein Wort zu den Fragen der Steuererhöhungen sagen, die diskutiert werden. Jeder, der über Steuererhöhungen spricht, muß doch ganz selbstverständlich auch die Auswirkungen von Steuererhöhungen auf die Tarifabschlüsse sehen. Wenn man heute abend beim Bundeskanzler mit den Tarifpartnern zusammensitzt, wird über diese Frage zu sprechen sein. So wollen Sie bitte auch das verstehen, was mein Kollege Hoppe gesagt hat. Sie haben geglaubt, Sie müßten bei der Freien Demokratischen Partei einen Sündenfall entdecken, weil das Präsidium es für erwägenswert erklärt hat, zur Beschaffung von Mitteln für Investitionszulagen auch an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in der zweiten Hälfte des Jahres 1983 zu denken. Meine Kollegen, wir werden noch in sehr schwierige Entwicklungen kommen ({2}) - einen Moment -, in denen wir nicht jeden Vorschlag von vornherein verurteilen sollten. Auf jeden Fall sind mir Leute, die Vorschläge erwägen, lieber als solche, die von vornherein schon wissen, daß es nur zwei Meinungen gibt: ihre eigene und die falsche. ({3}) Das war der Grund, warum das Präsidium der FDP eine Anregung, die uns der Bundeswirtschaftsminister vorgelegt hatte, für erwägenswert gehalten hat. Darüber wird man sich in der Zukunft zu verständigen haben. Uns geht es darum alles zu tun, um die Investitions-, Innovations- und Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Hier muß ich etwas unterstreichen, was der Herr Kollege Brandt an dieser Stelle gesagt hat, verbunden mit einer milden Rüge an die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Öffentlichkeitsarbeit - ich nehme diese milde Rüge auf und richte sie auch an meine eigene Partei; das wird wohl auch für die Sozialdemokratische Partei gelten, Herr Kollege Brandt -: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten für die Öffentlichkeit in diesem Lande in der Tat zu wenig herausgestellt - das ist wichtig für die Psychologie -, welche beachtlichen beschäftigungspolitischen Wirkungen von den Entscheidungen des zweiten Halbjahres 1981 ausgehen werden. ({4})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Bundesaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ich möchte diesen Gedankengang jetzt ganz gern zu Ende führen und das Fragerecht der CDU/CSU auf den Fraktionsvorsitzenden monopolisieren. Herr Kollege Wörner, Sie werden dafür Verständnis haben. Diese Entscheidungen sind bedeutsam. Wenn sich die FDP mit einiger Distanz und Vorbehalten zu der Forderung nach Beschäftigungsprogrammen zusätzlicher Art geäußert hat, dann natürlich auch deshalb, weil dadurch psychologisch leicht der Eindruck entstehen könnte, als sei in diesem Lande bisher eigentlich nichts für die Beschäftigungspolitik geschehen. Nein, das, was am Ende des letzten Jahres entschieden worden ist, ist eine wichtige, auch gemeinsame politische Leistung. Sie von der Opposition sollten doch gar nicht unter den Scheffel stellen, was Sie dazu beigetragen haben. Ich möchte sehr unterstützen, Herr Kollege Brandt, was Sie gesagt haben, daß wir nun erwarten dürfen, daß die Bundesländer auch von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die ihnen durch die Entscheidung vom Dezember gegeben wurden, und die freiwerdenden Mittel für den sozialen Wohnungsbau einsetzen; denn dort ist wirklich ein Engpaß vorhanden. Meine Damen und Herren, es ist wichtig, daß wir fühlbare und wirksame Anreize für private Investitionen geben. Wir müssen nur sorgfältig darauf achten, daß wir das größte Investitionshemmnis, das es zur Zeit gibt, nämlich die Zinsbelastung, nicht erhöhen. ({0}) Gelegentlich hört man, die Bundesbank betreibe eine zu restriktive Zinspolitik, so, als sei der Zins etwas, was durch den Zentralbankrat herauf- oder heruntergesetzt werde, jeweils nach wirtschaftlichen Einsichten. Richtiger ist wohl, daß der Zins ein Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Lage und Möglichkeiten ist, daß er durch das gesamtwirtschaftliche Verhalten, durch außenwirtschaftliche Einflüsse, durch die eigene Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte und auch durch die Tarifpartner positiv beeinflußt werden kann. Er ist fast wie ein Fieberthermometer. Er muß natürlich in bestimmten Bereichen beweglich sein. Aber man kann einen Zinsfuß auch Kochreden, wenn man den Eindruck erweckt, daß zusätzliche Belastungen die Solidität der öffentlichen Haushalte, die wir eben auf eine verläßliche Richtung gebracht haben, in Frage stellen könnten. Das ist der Grund, warum wir in der Frage der öffentlichen Kreditaufnahme eine sehr verantwortliche Haltung für notwendig halten. Wir dürfen nichts tun, was unsere Zinsen nach oben redet; das ist wichtig. Ich glaube, daß wir uns jetzt in Ruhe und unter Inanspruchnahme der Bereitschaft der gesellschaftlichen Gruppen bemühen sollten, an einem Pakt der Vernunft mitzuwirken. Hier wäre es gut, wenn wir bei aller Kritik an der Regierung, die der Opposition natürlich zusteht, heute konstruktive Vorschläge hören könnten. Wir werden auch hier eine Menge an Zusammenwirken brauchen - das wissen wir -, auch was die Lage im Bundesrat angeht. Aber bitte: Wer irgendwo nein sagen darf kraft Gesetzes, durch die Verfassung, durch seine Mehrheit, muß auch die Kraft haben, dann ja zu sagen, wenn es im Sinne des Gemeinwohls notwendig ist. Deshalb erwarten wir hier ein konstruktives Verhalten. ({1}) Meine Damen und Herren, ich würde nun gern zu dem Thema übergehen, das uns zunehmend bewegt: die Entwicklung in der Volksrepublik Polen und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die internationale Lage. Es ist sicher reizvoll für die Opposition, kritische Pressestimmen gegen die Regierung zu zitieren. Meine verehrten Kollegen, auch über die Opposition steht manchmal irgendwo etwas Kritisches. Ich habe der Versuchung immer widerstanden, daher meine Argumente zu beziehen. Ich habe meine Aufgabe als Außenminister immer darin gesehen, die Opposition zu verteidigen, wenn sie von außen angegriffen wurde; im Innern nicht. Wir haben eine gemeinsame Position mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und mit dem westlichen Bündnis. Ich möchte wirklich bitten, Herr Kollege Abelein, daß Sie das, was von allen Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und von allen Partnern im westlichen Bündnis als eine feste gemeinsame Haltung, als eine Bewährung des Bündnisses und der Gemeinschaft bezeichnet wird, nicht als ein mattes Bemühen auf dem kleinsten Nenner abwerten. Man kann auch das Gewicht der eigenen internationalen Position herunterreden, meine Kollegen! ({2}) Hier würde ich sehr vorsichtig sein wollen. Wir haben 1975 mit der Einleitung des KSZE-Prozesses ein dynamisches Element in die Ost-West-Beziehungen gebracht. Wir stellen heute fest, daß die zunehmende europäische Identitätsfindung ihren Ausdruck in dem findet, was dort über die Rechte der Menschen und über die Rechte der Völker in Europa gesagt worden ist. Deshalb, weil wir im KSZE-Prozeß eine Möglichkeit sehen, unter den gegebenen Umständen den Völkern in Europa auch angesichts von Rückschlägen, die das, was in Polen geschehen ist, bedeutet, ein Stück mehr Bewegungsfreiheit einzuräumen, wollen wir an diesem KSZE-Prozeß festhalten, und das wollen nicht nur wir, das wollen genauso unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft, und das wollen unsere Partner im westlichen Bündnis. Wir werden uns Anfang Februar in Madrid mit der Entwicklung in Polen auseinanderzusetzen haben, und wir werden dort unsere Position darlegen. Aber wir hätten dieses internationale Gremium, die Konferenz in Madrid, nicht gehabt, wenn es nicht die Schlußakte gäbe, und wir hätten nicht die Möglichkeit, Anfang Februar dort zu sprechen, wenn wir dem Rate derjenigen gefolgt wären, die im Dezember diese Konferenz für ein halbes oder ein Dreivierteljahr unterbrechen wollten. Wir sollten diese Konferenz auch nutzen, um im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung einen Schritt voranzukommen, dort also, wo die Sorgen der Menschen in Europa liegen, die Sorgen, die sich aus mangelndem Vertrauen, aus Mißtrauen zwischen West und Ost ergeben. Dieses Mißtrauen kann man nur durch konkrete Maßnahmen der Vertrauensbildung überwinden. Deshalb sind wir uns im westlichen Bündnis darüber einig geworden, daß wir auch angesichts der Entwicklung in der Volksrepublik Polen alles tun wollen, damit es zu einem Mandat für die Einsetzung einer Abrüstungskonferenz in Europa kommt. Dafür brauchen wir die Konferenz in Madrid. Deshalb sind wir dafür, daß die Vereinigten Staaten die Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Mittelstreckenraketen fortsetzen. Deshalb sind wir auch dafür, daß in Wien weiter über Truppenreduzierungen gesprochen wird. Dabei sind wir uns immer bewußt, meine Kollegen, daß Abrüstungsverhandlungen - ich muß das noch einmal unterstreichen - j a nichts sind, was man als ein Geschenk des Westens an den Osten bezeichnen könnte; sie sind also nicht ein Anbieten von Vorleistungen, sondern wir wollen abgewogene Abrüstungsergebnisse haben, und unser Interesse an diesen abgewogenen Abrüstungsergebnissen ist nicht geringer geworden. Stabilität in Europa bedeutet Gleichgewicht. Wir wünschen es auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen. Stabilität in Europa bedeutet aber natürlich auch die Einhaltung aller Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki. Hier liegt die Verantwortung der Sowjetunion und der militärischen Führung in Warschau dafür, daß sie durch Verletzung der politischen Verpflichtungen aus der Schlußakte von Helsinki diese politische Stabilisierung in Europa beeinträchtigen. Hier, in der Schlußakte, liegt unser Titel, uns an die Sowjetunion und an die Führung in Polen mit der Aufforderung zu wenden, uns gegenüber und auch gegenüber dem polnischen Volk die Pflichten zu erfüllen, die sich aus dieser Schlußakte ergeben. Der Herr Kollege Abelein hat heute einen ganzen Raster von Reaktionen gefordert. Herr Kollege Abelein, wir werden uns, wie das in der NATO-Erklärung von Brüssel vorgesehen ist, mit unseren Verbündeten über unser Verhalten gegenüber der Volksrepublik Polen und über unser Verhalten gegenüber der Sowjetunion verständigen. Sie haben hier mit großer Leichtigkeit über die Unterbrechung des Erdgas-Röhren-Geschäfts mit der Sowjetunion gesprochen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat vor wenigen Tagen gesagt, er sei dafür, daß dieses Geschäft erfüllt wird. Ich weiß nicht, was die Meinung der Union in dieser Frage ist. Ich hielte es nicht einmal für vorwerfbar, wenn es unterschiedliche Meinungen gäbe; aber bitte denunzieren Sie die Bundesregierung nicht der Schwächlichkeit, wenn sie in dieser Frage eine nachdenkliche und bedächtige Haltung einnimmt und nicht sozusagen an der Spitze der Entwicklung mit ungeprüften Entscheidungen liegen will, deren Auswirkungen uns hinterher möglicherweise bitter zu stehen kommen. Um nichts anderes geht es! ({3}) Der Bundeskanzler hat keinen Zweifel daran gelassen: Niemand wird sich über unsere Solidarität bei allen Schritten im Bündnis zu beklagen haben. Niemand wird erleben, daß die Bundesrepublik Deutschland einen Partner und einen Verbündeten, dem gegenüber sie sich zu etwas verpflichtet hat, so allein läßt, wie wir uns mit Türken und Norwegern bei der Olympia-Entscheidung allein gefühlt haben. Das möchte ich hier auch einmal sagen. Wir werden zu unseren Verpflichtungen stehen. Aber wir werden sehr genau abwägen, was wir gemeinsam mit anderen tun. Da müssen wir auch sehr genau abwägen, was es ist, was den Menschen in Polen hilft und was ihnen schadet. Wir haben uns z. B. im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages über die Fragen der Nahrungsmittelhilfe für die Volksrepublik Polen unterhalten. Der Auswärtige Ausschuß hat positiv, hat zustimmend davon Kenntnis genommen, daß wir im Ministerrat der Fortsetzung der Nahrungsmittelhilfe zustimmen. Wir waren uns einig, wir wol4514 len das nur tun, wenn diese öffentliche Nahrungsmittelhilfe den Menschen in Polen zugute kommt. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft ist zu dem Ergebnis gekommen, sie könne das im Augenblick nicht garantieren. Sie will deshalb diese Nahrungsmittelhilfe in eine humanitäre Hilfe umwandeln, die über private Organisationen verteilt wird. Wir werden auch diesen Weg mitgehen, weil es uns in der Sache darum geht, den Menschen in der Volksrepublik Polen zu helfen. Da bitte ich Sie auch, noch einmal in der vor uns liegenden weiteren Debatte zu sagen, was Sie mit Ihrem Entschließungsantrag vom letzten Donnerstag meinten, als Sie gesagt haben: die finanz- und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit aussetzen. Als wir am 18. Dezember zusammen waren, hat der Kollege Dr. Barzel hier für alle Fraktionen festgestellt: eingegangene Verträge werden eingehalten; ich zitiere jetzt sinngemäß. Bedeutet das, daß Sie mit „aussetzen" nur künftige Verträge meinen, oder meinen Sie auch, die Durchführung eingegangener Verträge zu unterbrechen? Ich sage das nicht, um Gegensätze herauszufinden, sondern um vielleicht sogar festzustellen, daß wir da einer Meinung sind. Wir sind nämlich in der Tat der Meinung, daß man eingegangene Verträge halten muß und daß sich alles das, was wir an jenem 18. Dezember gemeinsam beschlossen haben, auf künftige Vereinbarungen bezieht. Meine Kollegen, die Fragen, die mit der Volksrepublik Polen zusammenhängen, sind j a bei uns in die Gefühle der Menschen so sehr eingegangen wegen der Geschichte, von der Herr Brandt heute eindrucksvoll gesprochen hat und die auch andere Redneraus allen Fraktionen am Donnerstag dargestellt haben. Vielleicht ist die Schmerzlichkeit, die Bitterkeit dieser Geschichte auch der Grund dafür, daß die Reaktionen bei uns sich nicht an Lautstärke mit anderen messen können, aber an innerem Mitgefühl stehen wir keinem anderen europäischen Volk nach. ({4}) Wir haben auch gelernt, daß Lautstärke denen nicht hilft, die in der Bedrängnis sind. Aber wir müssen und sollten diese Debatte, wenn wir über die Zukunft in Europa sprechen, ganz gewiß auch nützen, um zu überlegen, wie deutsche, wie westliche Politik aussehen muß, die den Menschen in der Volksrepublik Polen helfen kann, daß ihre Hoffnungen sich letztlich doch durchsetzen. Das ist meine fest Überzeugung. Was immer die Führung in Warschau tut, die Welt ist auf jeden Fall verändert durch das, was in Polen geschah. ({5}) Ich denke, daß wir in diesem Lande auch unsere Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt sehen, wie wir unserer Verantwortung gegenüber unseren Mitbürgern in der DDR gerecht werden. Es gibt Leute, die meinen, das schränke unseren Handlungsraum ein. Das schränkt unseren Handlungsraum weder im Westen ein, wo wir die Unterstützung für diese Politik haben, noch im Osten. Denn wir haben eine ganze Reihe grundlegender Entscheidungen ganz sicher gegen den Widerspruch der Sowjetunion getroffen und trotzdem unsere Politik für die Menschen in der DDR verwirklichen können. Aber ganz sicher ist die Teilung unseres Landes in einem Punkte von großer Wirkung auf unser aller Denken und Verhalten, insofern nämlich, als die Ost-West-Beziehungen für uns nicht nur ein Teil der Außenpolitik, sondern natürlich auch ein Teil sind, der uns in unseren Gefühlen tief bewegt, weil wir wissen, daß alles, was hier getan, alles, was hier gesagt wird, eine große Hoffnung für unsere Mitbürger in der DDR ist; das darf man nie vergessen. Das gilt auch für die anderen Länder im kommunistischen Machtbereich. Da sind wir uns unserer Wirkung für unsere Mitbürger in der DDR immer bewußt. Unsere Wirkung im West-Ost-Verhältnis kann nie eine Wirkung sein, die wir aus uns heraus und allein haben. Wir haben sie deshalb, weil wir heute ein anerkanntes und geachtetes Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und ein ebenso anerkanntes und geachtetes Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses sind und wegen unserer Freundschaft mit den Vereinigten Staaten; das sind die Fundamente. An der Festigung dieser Fundamente mitzuarbeiten ist unser Ziel. Das tun wir, wenn wir die Europäische Gemeinschaft nicht nur lebensfähig erhalten, sondern auch fortentwickeln wollen, wenn wir unseren erheblichen Anteil im westlichen Bündnis erbringen. Wir tun es aber auch dadurch, daß wir unser Wissen, unsere Erkenntnisse, unser Engagement in bezug auf die Menschen im anderen Machtbereich in die Willensbildung des westlichen Bündnisses einbringen. Das wollen wir nun allerdings auch tun. Denn für uns - ich sage es noch einmal - ist das nicht nur eine Frage im geteilten Europa, sondern für uns ist das auch eine Frage im geteilten Land. Das schafft zwar nicht andere Interessen, aber vielleicht ein anderes und stärkeres Engagement. Wir hatten am Donnerstag hier versucht, durch eine Analyse der polnischen Entwicklung Möglichkeiten zu eröffnen, neue Wege zu finden, wie wir Einfluß nehmen können, wie eine gemeinsame Politik aussehen kann. Ich hoffe, daß es durch die Beiträge heute morgen - nicht nur zu den innenpolitischen Fragen, bei denen ein Wort zur Vermögensbildung gesagt worden ist, sondern auch zu den außenpolitischen Fragen - möglich gewesen ist, doch einen Weg dafür freizumachen, damit das, was erkennbar gemeinsam ist, nicht verschüttet wird. Hier darf die Innenpolitik nicht die Überhand gewinnen. Wir sind trotzdem noch unterscheidungsfähig, auch wenn wir erkennen, was unsere gemeinsame Verantwortung für Deutschland und für Europa ist. - Ich danke Ihnen. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, ich rüge den Abgeordneten Dr. Spöri wegen Verwendung eines nichtparlamentarischen Ausdrucks. ({0}) Vizepräsident Wurbs Ich rüge aber auch den Abgeordneten Dr. Abelein wegen seiner nichtparlamentarischen Ausführungen, die er im Zusammenhang mit Jalta gemacht hat. Ich darf - entgegen der Übung - diese in Parenthese gesetzte Formulierung hier mitteilen, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Dr. Abelein führte aus: ... kurz: alle, die unter der Diktatur der Sowjetunion leben müssen und nach Schmidts Interpretation doch auch ganz offensichtlich leben sollen, ... Ich rüge diese Ausdrucksform. ({1}) Ich rüge schließlich auch den Abgeordneten Wehner wegen Verwendung eines nichtparlamentarischen Ausdrucks. ({2}) Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.15 Uhr. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir fahren in der Beratung fort. - Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einem Jahr schwieriger weltpolitischer Entwicklungen und tiefer weltwirtschaftlicher Verwerfungen ist die Bundesrepublik insgesamt für das eben begonnene neue Jahr 1982 in keiner schlechten Ausgangslage. Wir haben schwere weltwirtschaftliche Einbrüche erlebt, aber wir haben die Voraussetzungen für einen Kurs der wirtschaftlichen Gesundung geschaffen - soweit das im nationalen Rahmen, im deutschen Rahmen, möglich ist -, siehe den Aufschwung der Exporte, siehe die schwerwiegende Einschränkung im öl- und Benzinverbrauch durch die Konsumenten, durch die Kraftfahrer, durch die Industrie, durch das Gewerbe, siehe die wesentliche Besserung der Leistungsbilanz, die eine notwendige, an sich noch nicht hinreichende, aber dringend notwendige, unverzichtbare Voraussetzung für eine Zinssenkung in unserem Land ist, die zu einem wesentlich niedrigeren Zinsniveau führen muß als in anderen Ländern. Schon heute ist das Zinsniveau in Deutschland, wie Sie alle wissen, deutlich niedriger als in den übrigen EG-Staaten und den übrigen Staaten der Atlantischen Allianz. Aber das Zinsniveau ist für unsere konjunkturelle Situation immer noch zu hoch. ({0}) Wir haben auch den inneren Frieden und den sozialen Konsens im Lande bewahren können. Mit dem Haushalt 1982, der am Freitag in dritter Lesung beschlossen werden wird, legen wir die Grundlage für eine wieder nach oben zu richtende Kurve unserer Wirtschaftsentwicklung. Übrigens sind wir, wenn ich mir alle Landeshaushalte ansehe - elf Länder, zwei haben einen Zweijahreshaushalt und arbeiten mit Nachträgen -, mit dem Bundeshaushalt hinsichtlich der Ausarbeitung und der Verabschiedung zeitlich an der Spitze. Es gab eine Bemerkung bei dem ersten Redner der Opposition, daß es dem deutschen Arbeitnehmer nichts nütze, wenn er höre, daß in anderen Ländern rund um uns herum die Arbeitslosigkeit noch größer sei. Das ist gewiß richtig, Herr Kollege Zimmermann. Der Hinweis auf das Ausland hat auch einen ganz anderen Zweck als den, den Sie ihm unterlegt haben. ({1}) Der Hinweis auf die Arbeitslosigkeitsentwicklung oder die Preisentwicklung in den USA, in Kanada, in Frankreich, Italien, England, rund um uns herum, Dänemark, Holland, was immer Sie nehmen, hat den Zweck, bei der engen Verflechtung, in der wir mit all diesen Volkswirtschaften leben, deutlich zu machen, daß es sich bei dieser Rezession nicht um ein nationales Phänomen handelt, sondern um ein internationales, ein weltweites. In der Welt, in der ganzen westlichen Welt - und das gilt auch für wesentliche Teile der kommunistischen Staaten; ich rede gar nicht von Polen, ich rede von Rumänien, von der Deutschen Demokratischen Republik, von der Sowjetunion, der Tschechoslowakei -, in allen diesen Staaten, hat die für uns auf das Fünfzehn- bis Zwanzigfache, in anderen Ländern auf das Zwanzig- bis Dreißigfache gehende Explosion der Ölpreise schwere strukturelle Probleme aufgeworfen. Alle diese Länder sind in Zahlungsbilanzdefizite gerutscht - einige haben ihr eigenes Öl, die haben es besser -, d. h. alle mußten sich einen wesentlichen Teil der in ihrem laufenden Wertschöpfungsprozeß benötigten Rohstoffe und Energierohstoffe aus dem Auslande leihen. Sie bedurften ausländischer Kredite. Zahlungsbilanzdefizit heißt auf deutsch: Finanzierung durch das Ausland. Das Ausland, das hier in Betracht kommt, versteckt sich hinter dem abstrakten Begriff der Euro-Geldmärkte oder der Euro-Kreditmärkte. Ob es Dollar sind oder D-Mark oder Sterling: letztlich sind die großen Kreditgeber bei dieser zunehmenden internationalen Verschuldung aller Öl benötigenden Volkswirtschaften die Überschuß-länder, die von ihren Ölüberschüssen nur zu einem kleineren Teil durch vermehrten Import von Gütern in ihre Länder Gebrauch machen und die zum größeren Teil ihre Überschüsse zu sehr hohen Zinsen ausleihen. Es besteht ein Wettbewerb der Nachfrage nach Krediten auf den Weltkreditmärkten. Wenn in Amerika zu irgendeinem Zeitpunkt 16 % Zinsen gezahlt werden, ist es ein Wunder, daß wir in Frankfurt mit 11 % Zinsen auskommen konnten. Ohne ein so großes internationales Vertrauen in die deutsche Volkswirtschaft wäre das gar nicht denkbar gewesen. ({2}) Andere Staaten der Welt mußten, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt in Amerika 16 % Zinsen gezahlt wurden, bei den Bemühungen, ihre Zahlungsbilanzdefizite auf den Kreditmärkten der Welt finanziert zu bekommen, ihrerseits 20, 22 und noch mehr Prozent Zinsen zahlen, damit sie den notwendigen Anteil des internationalen Kredits auf ihr Land ziehen konnten. Mit diesem Beispiel mache ich zugleich klar, daß die künftige Balancierung der Zahlungsbilanz, das Nicht-mehr-angewiesen-Sein auf ausländische Kredite in der Tat die dringendste Voraussetzung für die Zinssenkung ist. Und die Zinssenkung ist die dringendste Voraussetzung für die Schaffung von Investitionen und damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das hat nichts damit zu tun, Herr Kollege Zimmermann, daß man, wie Sie gemeint haben, um von sich selber abzulenken, auf andere hinweist. Es hat vielmehr damit zu tun, daß man den Gesamtzusammenhang der Welt sehen muß, in den wir bei beinahe 30 % Ex- und Importen - bezogen auf unser Sozialprodukt - eingebettet sind. Die Staaten, von denen ich sprach, stehen alle vor ähnlichen Problemen: vor dem strukturellen Problem ihrer Zahlungsbilanzen und vor der Aufgabe, ihre Produktion umzustellen, damit sie bei stark vermehrten Energiekosten auch zukünftig auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Wir haben nicht nur Energiekosten wie niemals zuvor in der Wirtschaftsgeschichte. Wir Deutschen haben außerdem mit die höchsten Lohnkosten, weil wir so ziemlich die höchsten Löhne zahlen. Wir haben die höchsten Lohnnebenkosten, weil wir mit die höchsten Sozialleistungen für unsere Menschen bereitstellen, ob sie krank, arbeitslos oder Rentner sind. Infolgedessen ist für uns der strukturelle Umbau unserer Volkswirtschaft mindestens genausowichtig wie für Engländer, Franzosen, Italiener oder Holländer, um nur unsere nächsten Nachbarn zu nennen. Bei den gegenwärtigen Schwierigkeiten handelt es sich um eine Kumulation von struktureller und konjunktureller Arbeitslosigkeit. Dazu kommt auf Grund des strengen Winters eine sehr hohe Saisonarbeitslosigkeit in diesem Jahr. Das Strukturproblem ist ein internationales Phänomen, also kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt wäre. Deswegen sind die Möglichkeiten, mit unseren eigenen, nationalen wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumenten eine durchgreifende Verbesserung zu erzielen, nicht unbegrenzt gegeben. In Deutschland kommt außerdem ein besonderes Problem, ein demographisches Problem hinzu, das mit den Kriegsfolgen zu tun hat, mit dem Ausfall in den Jahrgängen, in denen während des Krieges weniger Kinder geboren wurden - diese Kinder wurden dann später geboren -, mit den Kindern der Ausländer, die bei uns leben. Sie wachsen nun heran und treten Jahrgang für Jahrgang in das erwerbsfähige Alter. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts, in das wir eingetreten sind, kommen 750 000 deutsche Jugendliche und Hunderttausende von ausländischen Kindern dazu, die bei uns aufgewachsen sind und nunmehr in das Erwerbsalter treten. Gerade die beiden eben genannten Größenordnungen und auch der Zeitraum bis zum Ende der 80er Jahre zeigen, daß kurzlebige, auf schnelle Wirkung bedachte Arbeitsmarktprogramme hier nicht nützen und möglicherweise auf Ressourcenvergeudung hinauslaufen können. Eines ist hier sicher: daß im Laufe dieses Jahrzehnts gut qualifizierte Arbeitnehmer oder gut ausgebildete, fachlich erfahrene Arbeitnehmer sehr viel schneller wieder Arbeit finden als nicht qualifizierte oder Problemgruppen: ältere, gesundheitlich beeinträchtigte oder längerfristig Arbeitslose. Die nicht ausgebildeten Arbeitnehmer werden es auch bei anziehender Konjunktur schwerer haben als die Erstgenannten. Das heißt, daß man auch hier im Interesse der betroffenen Personen selbst Vorsorge treffen muß, so viele junge Menschen wie möglich in Lehrberufen auszubilden. Und nicht nur die jungen Männer, sondern ebenso die jungen Mädchen! Sonst wird es mit der Gleichberechtigung nie etwas. ({3}) Ich will gern anerkennen, daß in vielen Bereichen der Wirtschaft große Anstrengungen gemacht worden sind, zusätzliche Lehrstellen oder Ausbildungsplätze, wie es heute im Gesetz heißt, zu schaffen. Diese Anstrengungen - das sage ich an die Adresse der Wirtschaft - dürfen nicht erlahmen. Man kann niemanden wirklich zwingen, neue Lehrstellen einzurichten. Solche Ideen gibt es, davon halte ich nicht viel. Aber man muß an die Verantwortlichen appellieren. Und wenn die Gewerkschaften ihrerseits - ich komme darauf noch zu sprechen - in einem in der ganzen Welt bisher nicht dagewesenen Gesprächsangebot gegenüber den politischen Parteien, gegenüber den Unternehmern und Arbeitgebern, gegenüber der Bundesbank, auch gegenüber der Bundesregierung bereit sind, über manches, was ihnen eigentlich und traditionell am Herzen gelegen hat und später wieder am Herzen liegen muß, gegenwärtig mit sich reden zu lassen, dann heißt das natürlich, daß sie das nur unter der Voraussetzung können und wollen, daß auch andere gegenwärtig das tun, was im öffentlichen Wohl, was im Gemeinwohl liegt, und dazu gehören Lehrstellen und Ausbildungsplätze. ({4}) Der Haushalt 1982, wie jeder Haushalt, beruht auf einer Vorausschau künftiger Entwicklungen. Das sind immer vorläufige Einschätzungen, deren Realisierung vom gesamtwirtschaftlichen Ablauf - auch der Welt - abhängig bleibt. Das gilt für den Bund, das gilt auch für die Länder, das gilt für Steuereinnahmen und viele andere Größenordnungen. Die Bundesregierung hat die Einschätzung des Ablaufs 1982 mit der größtmöglichen Verantwortung vorgenommen. Wir haben weder nach oben noch nach unten extreme Schätzungen zur Grundlage genommen, sondern orientieren uns an einer mittleren Linie. Nun darf es hier aber auch keine Verzögerungen mehr geben. Wenn ich das, was einige Oppositionspolitiker öffentlich gesagt haben, richtig verstehe, so will ich darauf antworten: Eine Zurückstellung des Bundeshaushalts wäre äußerst schädlich. Mein Freund Willy Brandt - ({5}) - Ich weiß nicht, ob Sie die Tradition vom Donnerstag wieder aufnehmen wollen. ({6}) Ich könnte das notfalls auch - das haben Sie am Donnerstag gesehen -, ich möchte es aber eigentlich nicht. ({7}) - Stifter waren diejenigen, Herr Abgeordneter Kohl, die davon sprachen, daß die Bundesregierung „feige vor der Sowjetunion am Boden rutscht". Das waren die Anstifter. ({8}) Herr Brandt hat darauf hingewiesen, daß dieser Haushalt eine Reihe von Maßnahmen in Kraft setzt, von denen Beschäftigungswirkungen ausgehen werden. Er hat die Zahlen genannt. Er hat auf die Multiplikatorwirkung hingewiesen; ich muß das hier nicht wiederholen. Die Bundesregierung hat die Absicht, Ihnen Anfang des nächsten Monats den Jahreswirtschaftsbericht vorzulegen und bei dieser Gelegenheit dem Bundestag auch vorzutragen, was hinsichtlich der mittelfristigen Verbesserung unserer Wirtschaftsstruktur zusätzlich geschehen kann und geschehen soll. Sie wird bei dieser Gelegenheit natürlich ebenso darlegen, welche konjunkturellen und beschäftigungspolitischen Wirkungen davon ausgehen werden. Zur Vorbereitung dafür gab es gestern - Kollege Genscher hat darüber gesprochen - das abschließende Gespräch zwischen dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesregierung. Heute wird es ein Gespräch mit den Spitzen von DGB und von Industrie, Handel, Banken, Bundesbank und Arbeitgebern geben. Ich will dem nicht vorgreifen, zum gestrigen Gespräch aber einige Punkte anmerken. Die Bundesregierung und die deutschen Gewerkschaften waren sich über eine Reihe internationaler oder außenwirtschaftlicher Rahmenbedingungen einig, die es zu bessern gilt. Wir sind von dem für eine Rezession einmalig hohen Zinsniveau in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgegangen, das wir dringend gesenkt sehen möchten. Wir sind weiter von der Rohstoff-, insbesondere Energieeinfuhrabhängigkeit unseres Landes, infolgedessen von der Exportabhängigkeit unserer Wirtschaft und ihrer zukünftigen Beschäftigung ausgegangen. Wir sind ferner von der Notwendigkeit ausgegangen, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen, das sich gegenwärtig in einem Prozeß durchgreifender Besserung befindet, damit eine etwas unabhängigere Geldpolitik, d. h. hier Zinspolitik, durch die Bundesbank ermöglicht wird. Wir waren uns ebenso einig in der dringenden Notwendigkeit, um der Beschäftigung willen - ich sage noch gar nicht: um der Weltpolitik willen - den Welthandel gegen jeden Protektionismus offenzuhalten, sei es in Europa, sei es innerhalb der EG, sei es zwischen der EG und anderen Wirtschaftsräumen, sei es zwischen anderen Wirtschaftsräumen und uns. Einig waren wir uns auch, daß es in dieser Lage keinen Sinn hat, Strohfeuer anzuzünden, daß vielmehr eine auf mehrere Jahre berechnete Anstrengung erforderlich ist. Einig waren wir uns auch über die Notwendigkeit, in diesem Prozeß die soziale Stabilität aufrechtzuerhalten, damit die politische Stabilität gesichert wird. Hinsichtlich der Ausbildungsplätze waren wir uns natürlich auch einig. Ebenso - das will ich hier laut sagen - waren wir uns in dem Appell an die Bundesländer einig, die ihre Mehreinnahmen aus dem Vermittlungsausschußergebnis auf dem Feld der Wohnungswirtschaft nun allerdings zusätzlich in den Wohnungsbau stecken müssen, wie sie es versprochen haben, worauf man pochen muß. ({9}) Sofern das in den Ländern oder in dem einen oder anderen Land nicht geschähe, würde hier ein Mißbrauch getrieben, den wir zwar vom Gesetz her nicht einklagen können, der aber sehr negative Folgen haben würde. ({10}) Ich sehe mit Vergnügen, daß auch die Opposition zustimmt. Deswegen meine herzliche Bitte, daß jeder in seinem Lande und in seinem Wahlkreis aufpaßt, daß die so gewonnene Finanzmasse der Länder nicht in allgemeine Ausgaben der Länder, sondern in die Wohnungswirtschaft hineinfließt. ({11}) Wir waren uns auch einig, daß die zusätzlich zu schaffenden Arbeitsplätze vorrangig private, aber auch öffentliche Investitionen voraussetzen und daß dazu dort, wo Investitionshemmnisse bestehen, diese überwunden werden müssen. Wir waren uns auch darin einig - da gibt es ja demnächst ein Gespräch zwischen Ländern und Bundesregierung -, daß wir, abgesehen von begründeten Asylersuchen, unserer Wirtschaft und Gesellschaft keinen weiteren Zustrom an ausländischen Arbeitskräften mehr zumuten können, ({12}) weil sonst Verhältnisse eintreten, die wir alle nicht wünschen können. Eine gewisse Ausländerfeindlichkeit, die ich vielen Briefen entnehme, die an mich gerichtet sind, macht mich besorgt. Dem deutschen Volke ist nach all den schrecklichen Konsequenzen, die der Antisemitismus mit sich gebracht hat, dringend davon abzuraten, eine Ausländerfeindlichkeit in den eigenen Reihen zu entfalten. ({13}) Für die Bundesregierung haben wir gestern abend ausgeführt, daß wir finanzpolitischen Bemühungen keineswegs unaufgeschlossen gegenüberstehen, daß wir sie nicht ausschließen. Allerdings möchten wir uns gegenwärtig in der Beanspruchung des Kapitalmarkts außerordentlich zurückhalten - nicht, weil Sparen an sich ein gesundes Prinzip ist, sondern weil gegenwärtig Rücksicht genommen werden muß auf das dringendste Erfordernis - nämlich die Senkung der Zinsen in Deutschland. Ich will hinzufügen, daß in der Bundesregierung kein Zweifel besteht, daß in dieser Lage auch von den Unternehmensleitungen, auch von den Sozialpartnern eine gewisse Zurückhaltung bei den Preisen und auch bei den Löhnen und Nebenvereinbarungen erwartet werden muß - Disziplin, die dem Ganzen nützen wird. Vielleicht darf ich als Sozialdemokrat einfügen, daß wir uns - wie wahrscheinlich über die Reihen der Sozialdemokratie hinaus die meisten von uns - aus politischer Erfahrung, aus der Erfahrung der ersten deutschen Demokratie und aus politischer Überzeugung zum Prinzip der Einheitsgewerkschaft bekennen und an ihm festhalten möchten. Die Stetigkeit der Arbeitnehmerschaft in unserem Lande ist durch die Einheitsgewerkschaften außerordentlich gefestigt worden. Ohne diese Stetigkeit, ohne das Augenmaß dieser großen, mächtigen Organisationen und ihrer Führung wäre es der deutschen Volkswirtschaft im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht gelungen, bei den realen Löhnen und bei den realen Renten einen der Spitzenplätze in der ganzen Weltwirtschaft zu erringen. ({14}) Die Gewerkschaften in diesem Land haben in den letzten drei Jahrzehnten insgesamt das herausgeholt - einmal ein bißchen weniger, einmal auch ein bißchen zuviel -, was wirtschaftlich möglich war, ohne jemals die Kühe zu schlachten, die ja auch im nächsten und übernächsten Jahr noch Milch geben sollten, oder, um mich anders auszudrücken, ohne Arbeitsplätze zu vernichten, auf die man sich auch im nächsten und übernächsten Jahr noch angewiesen wußte. Es gibt zweifellos in Europa Länder, in denen sehr viel häufiger gestreikt wird. Trotzdem haben sie insgesamt für ihre Arbeitnehmer nicht denselben Lebensstandard erreicht, wie er in Deutschland besteht. Bei uns ist Augenmaß bewiesen worden, und dies wird auch in diesem Jahr geschehen. Diese wirtschaftliche Leistung muß auch in diesem Jahr durch Augenmaß auf seiten der Arbeitnehmer und auf seiten der Unternehmensleitungen honoriert werden. Herr Kollege Zimmermann hat so getan, als ob die Arbeitslosigkeit von deutscher Machart sei, als ob es keine internationale Krise gäbe. Er hat der Regierung vorgeworfen, sie handle nicht. Gleichzeitig sagt sein Parteivorsitzender Strauß, er werde im Bundesrat keine beschäftigungspolitische Gesetzgebung mitmachen, wie ich gestern im Fernsehen zur Kenntnis genommen habe. Herr Kollege Zimmermann, wenn ich richtig verstehe, was die CSU zur Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik sagt, dann erheben Sie Vorwürfe - einen nach dem anderen -, aber Sie sagen nirgendwo, was Sie und wie Sie und wann Sie es mit Ihrer eigenen Stimme denn anders machen wollten. ({15}) Kollege Zimmermann hat dankenswerterweise seine Rede von heute morgen inzwischen verteilen lassen. Ich habe noch einmal hineingeguckt. Ich finde da nichts, Herr Zimmermann, was sich im Sinne der Aufforderung Ihres Kollegen Kohl zu einer sofortigen Umsetzung durch Gesetzgebung eignet. Über die Ökonomie wird j a sicher morgen von meinen Kollegen Lambsdorff und Matthöfer noch gesprochen werden. Vielleicht darf ich mir heute aber schon erlauben, darauf hinzuweisen, daß der Finanzminister dieses Landes im Laufe der letzten Monate mit zwei Haushalten in kurzer Zeit ein außerordentliches Maß nicht nur von Arbeit, sondern auch von Verantwortungsbewußtsein auf sich genommen hat. Ich möchte dafür meinen Respekt ausdrücken. ({16}) Wenn man, wie hier gesagt wurde, gegen Steuererhöhungen und gegen Kreditaufnahme ist, gut, dann muß man für Umschichtungen im Haushalt sein, dann muß man aber auch erklären, welche konsumtiven Ausgaben man im Haushalt abschaffen will, um welche investiven Ausgaben daraus zu finanzieren. ({17}) Ich habe darüber nichts gehört. Ich habe nur gehört, daß Sie genau diesen Vorgang z. B. beim Kindergeld als unerhört angeprangert haben. Da ist in der Tat - das will ich einräumen - zu einem kleinen Teil von konsumtiven Ausgaben zugunsten der vielen investiven Maßnahmen umgeschichtet worden, die im Haushalt 1982 enthalten sind. Nun war es ja keine wirtschaftspolitische Rede, die der Kollege Zimmermann hier gehalten hat. Ich habe in den ersten 30 Minuten all die Themen mitgeschrieben: von der Polenkrise bis zum Kraftwerksbau, von der Forschung bis zum Scheidungsrecht, von der Rentengesetzgebung bis zum Strafrecht, vom öffentlichen Dienst bis zum Verfassungsgericht, von der Nordatlantischen Allianz bis zur angeblichen Anpassung der Bundesregierung an den Kommunismus - ein bißchen quer durch den Kohlgarten oder quer durch den Straußgarten ({18}) - sollte man hier vielleicht sagen -, von der Bundeswehr bis zur Schorfheide - oder umgekehrt, Herr Zimmermann. Auf einen Punkt Ihrer Rede will ich eingehen, nämlich auf Ihren Rat - und ich hatte den Eindruck, daß dies nicht Polemik war, sondern Substanz war oder sein sollte -, die Vorstellung von der Sicherheitspartnerschaft aufzugeben. Ich halte das für einen falschen Rat. ({19}) Wer Abrüstung will, muß Abrüstungsverträge wollen. Und zu Verträgen gehören mindestens zwei Partner - einer auf jeder Seite -, die Dialog miteinBundeskanzler Schmidt ander halten, die verhandeln und anschließend unterschreiben. ({20}) Keiner kann allein abrüsten. Das glauben Sie nicht. Und ich glaube es auch nicht. Es gibt Menschen, die das glauben und auf einseitige Abrüstung setzen. Dazu gehören Sie nicht und ich auch nicht. ({21}) Abrüstung und Rüstungsbegrenzung bedürfen des Vertrages. Der muß ausgehandelt werden. Darüber muß man vorher miteinander geredet haben. Sie bedürfen also des Dialogs, bedürfen der Partnerschaft. Im übrigen kann kein Parlament der Welt oder - wenn ich vom Osten rede - kein Politbüro einen Abrüstungsvertrag unterschreiben, von dem sie selber nicht die Überzeugung haben, daß er ein Gleichgewicht begründet, daß also nicht der eine Vertragspartner nach Inkrafttreten stärker dasteht als der andere. Das Gleichgewichtsprinzip möchte ich genausowenig wie das Prinzip Sicherheitspartnerschaft aufgeben. Keiner kann heute in der Welt seinen Frieden allein, ohne Partner, machen. Das geht nicht. ({22}) Ich möchte in diesem Punkt der klug abwägenden Rede von Willy Brandt ganz ausdrücklich beipflichten, ebenso wie seinen Eingangsworten, mit denen er sich an die jüdischen Mitbürger gewandt hat. Ich habe gestern dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland telegraphiert, daß die Nachricht von dem abscheulichen Anschlag auf das israelische Restaurant in Berlin mich tief bestürzt gemacht hat, daß ich mich mit den Mitbürgern in der Verurteilung dieses schlimmen Verbrechens einig weiß ({23}) und daß diese Tat die Bundesregierung in der festen Absicht bestärkt, jeder Art von Antisemitismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten. Ich habe natürlich auch den Betroffenen, vor allen Dingen den beiden selber schwerverletzten Eltern, die ihr Kind verloren haben, meine, unsere Anteilnahme ausgedrückt. Ich bin nicht ganz sicher, ob der Kollege Abelein wirklich gemeint hat, was er gesagt hat. Ich bin eben bei der Zustimmung der Opposition zu meinen Worten gegen den Antisemitismus und gegen jene Verbrecher in Berlin ganz sicher gewesen, saß sie ihre innere, ehrliche Überzeugung ausdrückte. Ich bin nicht ganz sicher, Herr Abgeordneter Kohl, ob es wirklich Ihre innere Überzeugung ist, daß angeblich nach Meinung des Bundeskanzlers Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen usw. unter sowjetischer Herrschaft leben sollen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies Ihre Meinung ist. ({24}) - Ja, ich habe es inzwischen im unkorrigierten Protokoll gelesen. Wenn er es anders gemeint hat, gibt es Gelegenheit, es zurechtzurücken; dann wäre es gut. Wenn es nicht zurechtgerückt würde, so muß ich sagen, daß dies nicht nur unredlich, sondern auch böse ist; denn jeder weiß, daß dies das Gegenteil der moralischen Prinzipien ist, für die wir stehen. ({25}) Ich bin in der Vormittagsdebatte einer mündlichen Zwischenfrage des Kollegen Kohl an den Kollegen Genscher mit großer innerer Spannung gefolgt, also es darum ging, ob sich denn - so fragte Herr Kohl - je in vergleichbarer Lage ein anderer Bundeskanzler so benommen hätte wie der gegenwärtige. Das war etwa der ungefähre Sinn der Worte; ich will sie nicht verdrehen. Herr Genscher hat - wahrscheinlich mit Recht - bezweifelt, ob es bisher mit der Polen-Krise vergleichbare Lagen gegeben habe. Aber Herr Genscher hatte auch vom 13. August 1961 gesprochen; das ist der Tag des Mauerbaus quer durch Berlin. Inzwischen habe ich aus den Unterlagen, die ich schon vorige Woche bei mir hatte, aber nicht benutzt habe - manchmal hat man etwas bei sich, was man mangels Redezeit oder mangels Duktus der Rede nicht loswerden kann -, ein Dokument herausgesucht, aus dem sich das folgende ergibt: Vier Tage nach dem 13. August 1961 empfing der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer den sowjetischen Botschafter; das war damals Herr Smirnow. Nach diesem Treffen zwischen Herrn Adenauer und Herrn Smirnow wurde am 17. August ein Kommuniqué über dies Treffen veröffentlicht. Darin heißt es, Botschafter Smirnow habe den Kanzler im Auftrag von Herrn Chruschtschow über die nächsten Absichten der Sowjetunion auf dem Gebiet der Außenpolitik und über die möglichen Wege der Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik unterrichtet. Weiter heißt es wörtlich: Der Bundeskanzler versicherte, daß er alles vom Botschafter Vorgetragene sorgfältig prüfen wird, und wies darauf hin, daß die Regierung keine Schritte unternimmt, welche die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern. ({26}) - Das ist 20 Jahre her. Zur Emotion ist kein Anlaß. Die Schlußfolgerungen, die ich ziehe, kommen erst sehr viel später. Zunächst muß ich auch noch den letzten Satz vorlesen, damit ich mich hier keiner Geschichtsklitterung schuldig mache. Der letzte Satz in dem Teil des Kommuniqués, auf den es hier ankommt, heißt: Der Bundeskanzler nahm die Gelegenheit wahr, Botschafter Smirnow seine Auffassung über die Lage in Berlin darzulegen. Vorweg also: keine Schritte unternehmen, welche die Beziehungen zur Sowjetunion erschweren könnten. Am selben Tag schrieb Benno Reifenberg in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine Glosse un4520 ter der Überschrift „Höchste Selbstbeherrschung". Da hieß es bei Reifenberg: In diesen Tagen, wo die meisten ungeduldig meinen, der Westen müsse auf den herausfordernden Schritt, den zu tun Ulbricht von Moskau erlaubt worden ist, entschieden und aufs heftigste reagieren, in diesen Tagen bringt der Wortführer des vornehmlich leidtragenden Volkes, nämlich des deutschen, es über sich, mit der Versicherung eines unerschütterlichen guten Willens zu antworten. Und etwas später in derselben Glosse: Dies kann nur so richtig verstanden werden: Der Kanzler sieht die deutsche und die internationale Sache eng verbunden und weiß, daß auch sein Gesprächspartner in Moskau diese Verbindung im Auge behält. Deshalb ist Selbstbeherrschung für alle Beteiligten am Platz, selbst für uns. So Reifenberg, der dann am Schluß seiner Meinung Ausdruck gab, „daß die Demarche des Herrn Smirnow im Auftrage des damaligen Ministerpräsidenten Chruschtschow die Vermutung zuläßt, daß Herr Chruschtschow die wachsende Unruhe in der Welt und, wenn auch noch versteckt, auch in den Vereinigten Staaten wohl beobachtet". Und er fügte hinzu: „Hoffentlich." Ende des damaligen Kommentars. Selbstbeherrschung wird dem damaligen Bundeskanzler attestiert. Ich will hier nicht die damalige Politik Adenauers beurteilen oder verurteilen. Die damalige Opposition hatte an mancherlei Reaktionen damals etwas auszusetzen. Das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt lautet: Selbstbeherrschung und ruhige Hand! Nicht Aufgeregtheiten und Sterilität! ({27}) Uns wird so oft Dr. Adenauer in Erinnerung gerufen. Haben Sie keine Angst, Herr Kohl: Wir vergessen ihn nicht; wir haben ihn im Bundestag erlebt. Aber wenn es erlaubt ist, einmal von geschichtlichen Parallelen in Europa zu reden, dann muß ich Herrn Genscher in der Tat recht geben, der den 13. August 1961 als ein für uns Deutsche herausragendes Ereignis in einer längeren Kette bezeichnet hat. Es ist gut, sich die damaligen Reaktionen noch einmal vor Augen zu führen. Ich teile die Überzeugung, die der Kollege Genscher ausgesprochen hat, daß er nämlich daran glaube, daß die Menschen auch in jenen Teilen Europas, auch wenn der Prozeß lange dauert und - wie gegenwärtig in Polen - von Rückschlägen begleitet ist, eines Tages frei leben und handeln könnten. Ich glaube, daß man Sie in Ihrer Hoffnung bestärken muß. Herr Zimmermann, da Sie gegen meinen Besuch in der Deutschen Demokratischen Republik bei Herrn Honecker polemisiert haben: Trotz des Theaters in Güstrow halte ich daran fest - weil es für viele, viele Menschen drüben Hoffnung gemacht hat -, daß Deutsche mit Deutschen reden können. ({28}) Seither haben wir j a viele Rentnerinnen und Rentner von drüben zu Besuch gehabt; zu Weihnachten, zu Neujahr und zum Dreikönigstag. Wir bekommen eine ganze Menge Briefe von drüben - ohne Angabe des Absenders. Die Briefe und die Besucher sagen uns, daß die Menschen das innerlich so sehen, wie ich es gesagt habe: ein Zeichen der Hoffnung. Ich möchte noch einmal sagen - nicht was die Deutschlandpolitik, sondern die Außenpolitik insgesamt angeht -, daß verantwortliches Handeln nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch im Bewußtsein der globalen und gegenseitigen Abhängigkeit Mäßigung und Zurückhaltung bei der Durchsetzung der eigenen Interessen voraussetzt, daß verantwortliches Handeln für alle Staaten bedeutet: kein Streben nach Vorherrschaft, keine Einmischung in innere Angelegenheiten anderer, sondern Respektierung des Selbstbestimmungsrechts aller und die friedliche Lösung von Streitfragen. Unsere Politik führen wir als aktive Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und des westlichen Bündnisses, zu deren Stärkung und Festigung wir beachtliche und anerkannte Beiträge leisten - konzeptionell, materiell, politisch und durch den Dienst unserer Soldaten. Die Grundlage unserer gemeinsamen Sicherheitspolitik ist und bleibt die Politik des militärischen Gleichgewichts und der Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungspolitik mit dem Ziel vertraglich gesicherter Reduzierung. Deshalb setzen wir uns nachdrücklich für die Fortsetzung der Genfer Gespräche ein, für die Fortsetzung des KSZE-Prozesses in Madrid; daher unser nachdrücklicher und unmißverständlicher Appell an die Sowjetunion und an die Volksrepublik Polen, zur Beachtung der in der Schlußakte von Helsinki niedergelegten Prinzipien zurückzukehren. Das Madrider KSZE-Forum wird ein geeignetes Forum dafür sein, diesen Appell zu wiederholen. Zur Politik der Sicherheitspartnerschaft, der Zusammenarbeit zwischen West und Ost gehört auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sie war niemals auf einseitige Vorteile ausgerichtet. Wieso kämen wohl unsere Unternehmen dazu, Verträge zu schließen - es ist ja nicht der Staat, der diese Verträge geschlossen hat, sondern es sind unsere Unternehmen! -, die den Sowjets oder deren Behörden größere Vorteile als unseren Unternehmungen brächten? Wir halten die Fortführung des Dialogs für notwendig, weil nur er erlaubt, unsere Einschätzung der Lage der anderen Seite klar zu verdeutlichen, weil er hilft, gefährliche Fehleinschätzungen auf beiden Seiten zu vermeiden, weil nur er zum Verhandeln und zum Vertragschließen auf dem Felde der Abrüstung führen kann. Der Kern des Dialogs ist natürlich das Gespräch zwischen den beiden Weltmächten, wie es Ende dieses Monats zwischen den Außenministern Haig und Gromyko fortgesetzt werden soll. Wir begrüßen das. Im übrigen denke ich, daß es das Interesse aller Beteiligten bleibt, eine sich stetig verschärfende Konfrontation zwischen West und Ost zu vermeiden und sie auf keinen Fall in die Dritte Welt hineinzuBundeskanzler Schmidt tragen. Vielmehr geht es uns bei der Dritten Welt um partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd - in voller Anerkennung des Grundsatzes der Blockfreiheit. In einem Punkt möchte ich dem ersten Redner der Opposition deutlich und klar widersprechen. Er hat gesagt, der Bundeskanzler setze auf die Angst und schüre sie. Dann fuhr er sogar noch fort: er tue dies, um die Macht zu erhalten. - Ich habe mich landauf, landab gegen die Angstmacherei gewandt, und ich tue das auch heute. ({29}) Wir müssen uns bemühen, das Land auf Kurs zu halten, damit nicht die Angst zu unkontrollierter Emotion und damit nicht die Emotion zu falschen Entschlüssen führt, die uns alle gefährden könnten. ({30}) Ich komme zum Abschluß: Erstens. Der Frieden nach außen wie nach innen bleibt das von beiden Parteien gleich wichtig genommene Herzstück sozialliberaler Politik. Wir werden mit Augenmaß, aber mit Entschlossenheit an der friedlichen Beilegung von Konflikten arbeiten. Zweitens. Wir setzen auf die Kraft der Vernunft, der Gesprächsbereitschaft, des Ausgleichs - unter der unverzichtbaren Voraussetzung eines stabilen militärischen Gleichgewichts, zu dem wir beitragen. Ohne die Atlantische Allianz würde Deutschland zum Spielball zwischen Ost und West. Drittens. Die Bundesregierung ist sich des Vertrauens sehr wohl bewußt, das diese Politik bei der Mehrheit unserer Bürger findet. Sie wird dieses Vertrauen nicht enttäuschen. ({31}) Viertens. Wir sehen im Ziel einer Tendenzwende auf den Arbeitsmärkten eine internationale Herausforderung, der wir in internationaler Zusammenarbeit begegnen wollen. Aber wir sind durchaus auch bereit, uns dieser Herausforderung mit unseren nationalen Möglichkeiten zu stellen, soweit sie reichen. Zum Schluß: Wer auf die Leidenschaft zur Vernunft und auf den Willen zum Frieden setzt, der findet in dieser Bundesregierung einen verläßlichen Partner. Die Bundesregierung wird ihre Aufgaben mit innerer Gelassenheit lösen, und, Herr Zimmermann, der Bundeskanzler hat nicht die Absicht, von Bord zu gehen. - Herzlichen Dank. ({32})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl. ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst, hier für die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages das zu tun, was wir gestern vom Parteivorstand der CDU Deutschlands aus getan haben, nämlich unser tiefes Bedauern und unsere Anteilnahme gegenüber der Familie des Opfers des Mordanschlages in einem israelischen Restaurant in Berlin zum Ausdruck zu bringen. ({0}) Ich glaube - und hier stimmen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, und auch dem Kollegen Brandt zu -, jeder, der diesen Vorgang zur Kenntnis nahm, zur Kenntnis nehmen mußte, ist zutiefst darüber betroffen, daß verbrecherische Elemente aus blindem Haß das Leben einer Familie zerstört haben und daß sie damit wieder an eine geschichtliche Schande anknüpfen, die im deutschen Namen verbrochen wurde. Ich denke, es ist wichtig, und es ist richtig, daß der Deutsche Bundestag mit allen seinen Fraktionen seine Betroffenheit und seine Anteilnahme zum Ausdruck bringt, und es ist auch wichtig und richtig, daß wir alle Organe unseres Staates in allen Bereichen des Gemeinwesens aufrufen, mit äußerster Härte gegen solche verbrecherischen Elemente vorzugehen. ({1}) Ich glaube, daß in die Generaldebatte des Bundestages zum Kanzlerhaushalt auch ein Wort der Anteilnahme hineingehört, weil ein Teil der Taten gegenüber unseren amerikanischen Freunden in unserem Land verübt wurde. Sie mußten im Ablauf der letzten sechs Monate gleich dreimal erleben, daß amerikanische Offiziere und Soldaten, die auch für unsere Freiheit in Europa einstehen, Opfer von Mordanschlägen wurden: in diesen Tagen in Paris der stellvertretende Militärattaché der dortigen Botschaft; ich denke an die Entführung des Brigadegenerals Dozier, und ich denke an den Mordanschlag gegen den Oberbefehlshaber General Kroesen. Wenn wir über deutsch-amerikanische Freundschaft sprechen, müssen wir - dies ist ganz natürlich - berücksichtigen, daß amerikanische Bürger diese schlimmen Ereignisse in Europa zur Kenntnis nehmen; sie sollen wissen, daß wir unsere volle Sympathie und unsere volle Anteilnahme den Opfern dieser verbrecherischen Anschläge zuteil werden lassen. ({2}) Wir sprechen heute in der Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers. Herr Bundeskanzler, es ist natürlich nicht zu rügen, daß der Kollege Zimmermann und andere bei dieser Gelegenheit die Fragen deutscher Politik ansprechen, die uns wichtig erscheinen. Ich habe auch nicht die Absicht, die außenpolitische Debatte vom Donnerstag fortzusetzen; wir werden dazu ja noch oft Gelegenheit haben. Aus Ihrer Antwort auf die Reden meiner Kollegen konnte ich auch nichts Neues entdecken. Die Nachricht an die Mitglieder der SPD-Fraktion, daß Sie nicht die Absicht haben, von Bord zu gehen, war eine verständliche Nachricht. Daß Sie sie hier zum Ausdruck bringen müssen, Herr Bundeskanzler, zeigt die wahre Lage, die Sie in Ihrer Fraktion haben. ({3}) Wobei natürlich ja in Ihrer Vorstellung mit dem Bild „Der Lotse geht nicht von Bord" ein völlig anderes Bild gemeint ist. Aber das ist eine Ihrer stillen, unerfüllbaren Sehnsüchte, in den direkten Vergleich mit jenem anderen Lotsen gerückt zu werden. ({4}) Aber, Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen schon oft sagen müssen: mit Ihren historischen Vergleichen haben Sie immer Probleme. Deswegen, meine ich, sollten Sie auch Ihre Mitarbeiter darauf hinweisen, daß sie besser das Kommuniqué von 1961 nicht hervorgezogen hätten. Denn wenn Sie die Lage in 1961 mit der Lage jetzt im Januar 1982 vergleichen, dann weiß ich wirklich nicht, was Sie reitet, daß Sie diesen Vergleich in dieser Form in die Debatte bringen. Wenn Sie noch einmal nachlesen, was 1961 im Deutschen Bundestag geschehen ist, dann werden Sie feststellen, daß der damalige Bundeskanzler Adenauer den Mauerbau als unmißverständliche Bankrotterklärung einer 16jährigen Gewaltherrschaft bezeichnet hat, er weist den flagranten Widerspruch der Maßnahmen zu den Vereinbarungen über Groß-Berlin nach, er mißbilligt die Zustimmung der UdSSR zu diesem Willkürakt usw. Herr Bundeskanzler, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, erklärte, das Recht auf Freizügigkeit sei brutal zertrampelt worden. Er forderte das Eingreifen internationaler Institutionen, er beschuldigte die Zonenregierung der Annexion Ost-Berlins; das Verhältnis zur Sowjetunion könne von dem empörenden Rechtsbruch nicht unbeeinflußt bleiben. ({5}) Ich habe dieses Thema 1961 nicht in die Debatte eingeführt. Aber wenn Sie in diesem Zusammenhang davon sprechen, daß an Hand dieses Zitats aus dem Kommuniqué mit dem damaligen Botschafter Smirnow Selbstbeherrschung festzustellen sei, nun, Herr Bundeskanzler, das ist genau das, was ich Ihnen in aller Ruhe vorhalten möchte. Sie haben in dem Interview gemeinsam mit Herrn Honecker - wörtliches Zitat aus dem deutschen Fernsehen - gegenüber dem brutalen Zerschlagen jeder Chance von Menschenrechten in Polen gesagt: „Herr Honekker ist genauso bestürzt gewesen wie ich, daß dies nun notwendig war." Herr Bundeskanzler, das ist eben keine Selbstbeherrschung gewesen, was hier deutlich geworden ist. ({6}) Ich meine eher, daß das, um es einmal freundlich zu formulieren, ein Kurzschluß war. Dann ein Letztes zu dem, was Sie soeben in Ihren Ausführungen gesagt haben. Ich weiß nicht, warum Sie uns immer wieder zumuten, das, was wir gerade erst erlebt haben, aus unserem Gedächtnis zu streichen. Sie erklären hier mit großem Stimmaufwand, Sie hätten sich immer gegen Angstmacherei gewandt. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie betreiben Ihr politisches Geschäft doch seit Jahren mit der Angst, bei jedem Wahlkampf. ({7}) Wir haben das an dieser Stelle doch schon mehrmals austragen müssen. Sie haben bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 1980 versucht, politische Geschäfte mit der blanken Kriegsangst zu machen. ({8}) Wir alle wissen doch noch, was Sie, die Sozialdemokratische Partei, damals für Anzeigen veröffentlicht haben. Herr Wischnewski hat damals öffentlich die Verantwortung für diesen Akt politischer Schäbigkeit übernommen. Sie haben damals versucht, politische Geschäfte mit dem Leid und dem Elend von Kriegswitwen zu machen. ({9}) Sie haben das gleiche bei der Wahl zum Bundestag getan. Nun bin ich sehr erstaunt - das will ich auch dem Kollegen Genscher sagen -, daß Ihr Eideshelfer für die jeweilige politische Aussage neuerdings mein Freund Richard von Weizsäcker ist. Nun, meine Damen und Herren, nicht in grauer Vorzeit, sondern vor weniger als 9 Monaten haben Sie am Vorabend der Berliner Wahl in einer dortigen Kundgebung gesagt, daß die Bundesregierung daran interessiert sei, daß ihre Politik in Berlin unterstützt werde. Auf den Regierenden Bürgermeister Vogel könne man sich verlassen, es gebe aber berechtigte Zweifel beim CDU-Kandidaten von Weizsäcker. Sie haben dann weiter gesagt, daß der - bei allem Respekt vor den theoretischen Leistungen von Weizsäckers - für Berlin nicht zu gebrauchen sei; unter der Regierung von Weizsäcker müsse es eine neue Konfrontation geben. ({10}) Weiter haben Sie dann auf einer weiteren Wahlkampfveranstaltung am Abend gesagt: Bei allem Ärger über unwichtige Dinge - ich füge hier ein: gemeint war die Korruption - darf die Stadt nicht einem Abenteuer ausgeliefert werden. ({11}) Ja, meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, wer hat denn hier Geschäfte mit der Angst gemacht? ({12}) Wie es Ihnen gerade beliebt: In der Stunde der Schwäche sprechen Sie von Gemeinsamkeit und schlüpfen in die Toga des Staatsmannes, die ich Ihnen gerne, von Herzen wünschen möchte. Aber wenn es dann draußen turbulent zugeht und wenn Sie merken, daß die Macht dahinschwindet, dann lernen wir Sie in einer ganz anderen Verfassung kennen. Bitte, verschonen Sie uns damit, daß Sie sagen, Sie würden nicht mit Angst Geschäfte machen. Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland keinen Regierungschef, der dieses GeDr. Kohl schäft so betrieben hat wie Sie, Herr Bundeskanzler. ({13}) Es war zwar nicht meine Absicht gewesen, diese Themen heute wieder anzusprechen, ({14}) aber Sie zwingen uns von Debatte zu Debatte, auf diese Vorgänge zurückzukommen. Heute geht es um etwas anderes; ich will mich dem eigentlichen Thema zuwenden. ({15}) - Herr Kollege Wehner, wir bringen die Dinge hier zur Sprache, die wir für wichtig und richtig halten. Wir wollen einmal feststellen, was der Sinn dieser Debatte ist. Der Sinn dieser Debatte ist, daß die Regierung und nicht, wie Sie es verdrehen wollen, die Opposition Rechenschaft gibt. ({16}) - Ich rate Ihnen doch, Herr Kollege, daß Sie nachdenken. Aber noch besser wäre, wenn Sie erst nachdächten und dann Ihren Zwischenruf machten. ({17}) Meine Damen und Herren, auch wenn Sie hier Lärmszenen inszenieren: ({18}) Niemand kann darüber hinwegtäuschen, daß wir heute, zu Beginn des Jahres 1982, auch im Bereich der Innen-, der Sozial-, der Wirtschafts- und der Arbeitsmarktpolitik vor einem Scherbenhaufen stehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist von allen vier im Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz festgesetzten Zielen, der Preisstabilität, dem hohen Beschäftigungsstand, dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht und einem stetigen Angemessenen Wirtschaftswachstum, weit entfernt. Alle Versprechungen wurden nicht eingehalten. Und, Herr Bundeskanzler, von den acht Amtsjahren, die Ihnen im Amt des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland vergönnt waren, sind sieben dadurch gekennzeichnet, daß jeweils am Jahresende die Zahl der Arbeitslosen die 1-Million-Marke überschritten hat. Der vorliegende Haushaltsentwurf, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist Ausdruck dieser Lage und dieser Politik. Die unter großen Mühen im Dezember verabschiedeten Haushaltssicherungsgesetze stopfen notdürftig einige der Haushaltslöcher, aber die bringen keine Perspektive. Niemand von uns - und auch darauf muß ich Ihnen eine Antwort geben, Herr Bundeskanzler - hat je geleugnet, daß es die Probleme der Weltwirtschaft gibt, daß es die Schwierigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft gibt, daß wir von all dem beeinflußt sind. Sie sagten vorhin, Sie hätten die Rede des Kollegen Zimmermann aufmerksam gehört: Genau dieses hat er heute früh zum Ausdruck gebracht. Auch vor Ihrer Zeit als Regierungschef hatten wir Schwierigkeiten mit unseren Partnern; aber wir hatten einen größeren Vorsprung an Stabilität und Beschäftigung halten können. Und ich frage Sie ganz einfach - und Sie müssen die Frage beantworten; denn Sie sind der Leiter der Regierungsgeschäfte -: Warum ist es heute nicht mehr möglich, daß wir, ähnlich wie damals, diesen Abstand wieder halten? Es ist wahr, daß die gesamte weltwirtschaftliche Entwicklung durch die Anpassung an die Ölpreisexplosion belastet ist, aber es ist auch wahr, daß wir in der Bundesrepublik uns in den letzten Jahren die größten Leistungsbilanzdefizite geleistet haben - weil eben unter Ihrer Verantwortung und durch das Tätigsein Ihrer politischen Freunde, vor allem in der SPD, die Folgen der Ölpreisentwicklung zwar beredet, aber die Konsequenzen daraus nicht gezogen wurden. Und wahr ist auch, Herr Bundeskanzler, daß in früheren Jahren hohe Zinsen in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht zwangsläufig wie in dem heutigen Umfang hohe Zinsen bei uns bedeuten mußten - weil wir Zahlungsbilanzüberschüsse hatten. Jetzt aber müssen wir die Leistungsbilanzdefizite durch Kapitalimporte finanzieren. Auch das ist unleugbar. Und dazu hätten Sie bitte einmal Stellung nehmen sollen. Daß das Vertrauen des Auslands in die Stabilität unserer wirtschaftlichen Entwicklung erschüttert wurde, liegt auf der gleichen Linie. Und außerdem - auch das ist unleugbar - sind unsere Zinssätze wesentlich durch die zu hohe Inanspruchnahme der Kreditmärkte durch die öffentliche Hand beeinflußt. Wenn Sie es mir schon nicht glauben wollen: Ähnliches hat gerade heute hier der Kollege Hoppe ebenfalls ausgeführt. Es ist also die Zeit gekommen, daß Sie unseren Mitbürgern die Wahrheit sagen, die Wahrheit über Ursachen und die Wahrheit über die Folgen Ihrer Politik. Das bedrückendste Element deutscher Gegenwart, deutscher Innenpolitik ist die hohe Arbeitslosigkeit. Im Dezember waren es 1,7 Millionen Arbeitslose, und wir müssen fürchten, daß wir in diesen Wochen die 2-Millionen-Marke erreichen werden. Herr Bundeskanzler, es ist doch bemerkenswert, daß nicht ein Sprecher der CDU/CSU, sondern der Kollege Glombig von der SPD-Fraktion zu Beginn dieses Monats, am 7. Januar, von Ihnen, der Bundesregierung, verlangte, sie solle endlich aus ihrem beschäftigungspolitischen Wartestand herauskommen. Herr Bundeskanzler, wer aufmerksam die Rede des Kollegen Brandt gehört hat, der konnte nicht nur im Bereich der Außenpolitik, sondern auch im Bereich der Fragen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die klaren Ohrfeigen für die Bundesregierung heute hier feststellen. Er hat Sie doch viel schärfer als irgendeiner von uns kritisiert - wenn Sie den Text seiner Rede noch einmal nachlesen. ({19}) Wir sagen seit langem, daß ein Ausweg aus diesem Übel nur über eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, über die Erfahrungen möglich ist, die wir aus den Chancen gesammelt haben, die die Soziale Marktwirtschaft eröffnet. Wir kommen aus den Schwierigkeiten nur heraus, wenn die öffentlichen und vor allem die privaten In4524 vestitionen verstärkt werden können. Das geht nicht ohne die notwendigen Voraussetzungen. Allein in den Jahren 1980 und 1981 sind die Unternehmenseinkommen um real 25% zurückgegangen. Seit den 60er Jahren ist die Ertragsquote sogar um 40 % geschrumpft. Die Folge ist eine viel zu niedrige Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft. Dies führt in schwierigen Zeiten bei hohem Zinsniveau notwendigerweise zu einer Vielzahl von Konkursen, wie wir sie jetzt überall erleben, und zur Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen. Eine Folge dieser mangelnden Investitionen ist auch, daß unser Produktionsapparat - das gehört ebenfalls zum Befund der deutschen Wirtschaft 1982 - überaltert ist. Mit einem Wort: Wir leben seit über einem Jahrzehnt von der Substanz. Wir können nicht mehr länger die Grundlagen unseres Wohlstandes verzehren, sondern wir müssen die Fundamente wieder stabilisieren. Das ist gegenwärtig die Aufgabe. ({20}) Angesichts der weltweiten Konkurrenz erfordert heute die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes im Durchschnitt einen Kapitalaufwand von ungefähr 100 000 DM. Jedermann kann leicht ausrechnen, wie viele hundert Milliarden DM an Kapital investiert werden müssen, um die heute dringend notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen. Angesichts des Hereindrängens der geburtenstarken Jahrgänge in das Berufsleben gilt das für die nächsten Jahre noch viel mehr. Unser Staat, der bereits mit 530 Milliarden DM verschuldet ist, kann dies nicht aus eigener Kraft leisten. Wir müssen fähig sein, wieder eine Welle privater Investitionen in Gang zu setzen. Das zerstörte Vertrauen muß wieder aufgebaut werden. Aus diesem Grunde - das gehört in die Haushaltsdebatte - ist es das Wichtigste auf diesem Feld, daß die staatlichen Finanzen wieder solide geordnet werden. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht erwarten, daß die Mitbürger, nicht zuletzt diejenigen, die in der Wirtschaft mitbestimmen und das Sagen haben, Vertrauen etwa in Ihre Finanz- und Haushaltspolitik haben, wenn sie in diesen Tagen die Diskussion darüber verfolgen, ob die Steuer heraufgeht oder ob sie heruntergeht. Ich bin mir in dieser Hinsicht über die Auffassung der SPD nicht im klaren. Der heutige Tag hat mich, was die Position der FDP angeht, aber eigentlich noch viel mehr verwirrt. Wenn ich es richtig verstehe, hat Herr Kollege Hoppe auf meine Frage hin eine Absage gegeben. ({21}) Wenn ich es wiederum richtig verstehe, hat danach Herr Kollege Genscher einen mittleren Weg - den ihm eigenen Weg - gewählt. Weiterhin lese ich aber, daß Herr Verheugen zur gleichen Stunde öffentlich wieder etwas ganz anderes erklärt hat. Ich wäre den Kollegen von der FDP schon dankbar, wenn sie uns, bevor dieser Tag zur Neige geht, sagten, wie sie es eigentlich nun haben wollen. ({22}) Wenn die Herren es nicht in die Hand nehmen, kann man das Problem vielleicht so lösen, daß die Damen - Sie haben ja couragierte Damen - ans Pult gehen und uns dann sagen, was wirklich gemacht wird. Ich habe ohnedies den Eindruck, daß das dann die richtige Linie sein könnte. ({23}) Meine Damen und Herren, ich will nicht bestreiten, daß im Haushaltsentwurf 1982 und auch im Haushaltssicherungsgesetz erste Schritte in die richtige Richtung gemacht wurden. Der Haushalt 1982, der jetzt vorliegt, verfehlt seine Aufgabe, Vertrauen neu zu begründen, aber schon deshalb, weil die Ansätze dieses Etats einfach nicht stimmen. Es ist doch eine nicht redliche Politik, wenn hier jeder Berichterstatter ans Pult tritt und für seinen Bereich nachweist, daß die Kasse so nicht stimmt. Es führt nicht zu Vertrauen bei unseren Bürgern, wenn die Geschäfte in dieser Weise besorgt werden. ({24}) Die Milliardenrisiken sind bekannt. Ich nenne als Beispiele nur den Zuschußbedarf der Bundesanstalt für Arbeit, die zu optimistische Schätzung der Steuereinnahmen, das Milliardenloch bei der Bundesbahn, den Verteidigungshaushalt und das ungewisse Schicksal der Rentenversicherung. Es ist schwer, diesen Haushalt angesichts solcher Risiken ehrlich zu bewerten. Jede Bewertung birgt in sich schon wieder ein Investitionshemmnis. Außerdem sind die vorgeschlagenen oder verabschiedeten Sparmaßnahmen unzureichend, zumindest auf mittlere Sicht. Sie sind unausgegoren und in wesentlichen Teilen falsch angesetzt. Das rigorose Zusammenstreichen nahezu aller investiven Ausgaben ist vor dem Hintergrund unserer Arbeitslosigkeit unvertretbar. Wer sich die katastrophale Lage im Hoch- und Tiefbau ansieht - ich hoffe, Sie haben darüber in Ihrem Gewerkschaftsgespräch etwas von der IG Bau gehört -, der weiß, daß der Bund mit seinen Wechselbädern von Konjunkturprogrammen und Streichaktionen eine zerstörende Wirkung ausübt. Meine Damen und Herren, wir fordern seit langem klare Einsparungen bei den konsumtiven Ausgaben. Aber Sie haben in Ihrer Koalition dazu die Kraft nicht gefunden. Lediglich die Bevölkerungsgruppen, deren Lobby oder deren Stimmgewicht bei kommenden Wahlen für weniger bedeutsam gehalten wurden, wurden dann mit Sparmaßnahmen getroffen. Herr Kollege Wehner, Sie haben gerade eben dazwischengerufen. Es wird mir ewig unerfindlich bleiben, wieso die sozialdemokratischen Kollegen am Ende der Entscheidungen des Vermittlungsausschusses bei der letzten Runde im Dezember nicht bereit waren, auf unsere Vorschläge einzugehen, wieso sie bereit waren, etwa bei Rentnern im Altersheim das Taschengeld zu kürzen, aber nicht bereit waren, Schülern, die zu Hause wohnen können, ein Kürzung des BAföG zuzumuten. ({25}) Herr Kollege Wehner, ich bin überzeugt, daß wir beide in dieser Frage völlig übereinstimmen. Ich bin überzeugt, daß ein Großteil Ihrer Kollegen in der Fraktion darin ebenfalls mit mir übereinstimmt. Das Schlimme an der Sache ist, daß aus einem reinen, nur aus dem inneren Spannungsverhältnis der Koalition heraus verständlichen Durchsetzungswillen Ihrer Fraktion beschlossen wurde, sozusagen am falschen Ende, jetzt einmal zu zeigen, daß man nicht mehr bereit ist nachzugeben. Ich finde nicht, daß dies eine kluge Politik ist. Wir sollten Gelegenheit nehmen, in der Zeit, die jetzt vor uns liegt, das, was hier geschehen ist, zum Teil zu reparieren. Es führt doch kein Weg daran vorbei, meine Damen und Herren, daß der Staat, unser Staat, über die Verhältnisse gelebt hat und daß nun alle Bevölkerungsgruppen, mit dem Maßstab größtmöglicher Gerechtigkeit, Einschränkungen hinnehmen müssen. Wir haben dazu im September unsere Vorschläge eingebracht. Ich erinnere an den Vorschlag der 5 %igen Kürzung, einen Vorschlag, der nicht so dahingesagt war. Ich lade heute noch die Kollegen der FDP ein, auf diesen Boden zu treten. Wir werden sehen, daß dabei eine Menge herauskommt. Ich bin vor allem auch ganz sicher, daß die große Mehrheit unserer Mitbürger heute durchaus bereit ist, notwendige Opfer für die Sanierung und Sicherung der Zukunft, nicht zuletzt der Arbeitsplätze, zu bringen, wenn sie Gewißheit gewinnt, daß man den Versuch unternimmt, das möglichst gerecht zu tun. Wir haben eine Fülle konkreter Sparvorschläge vorgelegt. An Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit, Herr Kollege Genscher, hat es doch nun wahrlich nicht gefehlt. Sie fragen immer nach unseren Vorschlägen. Wir haben sie Ihnen doch unterbreitet. ({26}) - Ich werde es gleich im Detail sagen. - Herr Kollege Genscher, warum sich Sie denn nicht im Dezember, im November und im Oktober auf Ihre Vorschläge aus jenem berühmten Wende-Brief vom August des vergangenen Jahres an die Mitglieder der FDP zurückgekommen? ({27}) Ich bringe Ihnen wenige konkrete Beispiele. Ich nenne noch einmal die Ausbildungsförderung für Schüler an allgemeinbildenden Schulen am Wohnort der Eltern. Es ist doch keine soziale Zumutung, wenn ein Schüler, der vor dem Abitur steht, in seinem Elternhaus bleibt, bei Vater und Mutter, obwohl er 18 Jahre und inzwischen mündig geworden ist. Ich kann nicht erkennen, daß es hier wirklich um soziale Besitzstände gehen kann, wo es sich rentiert, einen solchen Aufwand zu betreiben. Wir haben über den Wandel des ganzen Systems der Studentenförderung gesprochen. Es kann doch im Vergleich mit allen europäischen Ländern niemand im Ernst sagen, daß ein Umstellen des BAföG überwiegend auf Darlehensbasis nicht sozial zumutbar ist. Eine ganze Generation von deutschen Akademikern, die heute noch hier in diesem Saal sitzt, hat zu ihrer Zeit auf diese Weise studieren müssen. Und sie hat selbstverständlich das Ziel, das sie sich gesetzt hatte, damals erreichen können. ({28}) Herr Kollege Genscher, wir haben die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages vorgeschlagen, weil wir der Auffassung waren, daß die Finanzierung der Rentenversicherung dauerhaft ohne Erhöhung der Beiträge gesichert werden muß. Wir haben bei der Arbeitslosenunterstützung eine Reihe von Kürzungsvorschlägen gemacht, um zu erreichen, daß Arbeitslose am Ende nicht finanziell besser als zur Zeit vor ihrer Arbeitslosigkeit dastehen. Das ist von Ihrem Lager dann sofort mit „sozialer Demontage" und ähnlichem Feldgeschrei beantwortet worden. Nicht jene, die darüber nachsinnen, wie wir Arbeitsplätze sichern und Arbeitslose von der Straße wegbekommen, sondern jene begehen soziale Demontage, die das Netz sozialer Sicherheit in unserem Lande in listiger und brutaler Weise ausnutzen. ({29}) Wir können uns auf die Dauer - das muß man doch aussprechen - nicht mehr leisten, als wir selbst bereit sind zu leisten. Unser Wohlstand und unsere soziale Sicherheit beruhen auf dem Fleiß und der Tüchtigkeit unserer Bürger. Deshalb ist es selbstverständlich, daß sich dieser Fleiß und diese Tüchtigkeit lohnen müssen. Deshalb darf der, der nicht arbeitet, materiell nicht gleich oder besser als der gestellt sein, der arbeitet. Ich spreche jetzt nicht von jenen, deren hartes Schicksal es ist, arbeitslos zu sein. Ich spreche von denen, die das System sozialer Sicherheit bewußt mißbrauchen, die sich Nischen geschaffen haben, in denen sie auf ihre Weise überleben, weil andere für sie arbeiten. Wenn wir diesen Mißbrauch beseitigen wollen, dann dienen wir der sozialen Gerechtigkeit, und das hat nichts mit sozialer Demontage zu tun. ({30}) Ich denke nicht, daß wir bei der gegebenen Lage 1982 den finanzpolitischen Handlungsspielraum haben, um jene steuerlichen Entlastungen zu verwirklichen, die zu einer wirklichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die private Investitionstätigkeit notwendig wären. Aber wir sollten schon jetzt verbindlich beschließen, daß wir die finanzpolitischen Möglichkeiten, die wir eventuell mittelfristig durch eine Beseitigung der strukturellen Haushaltsdefizite gewinnen können, zu entsprechenden steuerlichen Entlastungen nutzen. So schaffen wir Vertrauen und Zuversicht, und so können wir Weichen für einen neuen Aufschwung unserer Wirtschaft stellen. Dazu gehören auch die enormen politischen und verwaltungsmäßig bedingten Investitionshemmnisse. Meine Kollegen haben hier oft genug darüber gesprochen; ich will es nur sozusagen in Schlagworten anführen. Da ist z. B. die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für die Industrie. Meine Damen und Herren, Sie sind dabei, diese Verfahren noch zu erschweren, ({31}) indem Sie etwa mit der Verbandsklage völlig neue Instrumente dieser Art einbauen. Es gibt keinen Oberbürgermeister in der Bundesrepublik, der hierin nicht meiner Meinung ist, und es gibt viele Dutzende sozialdemokratischer Oberbürgermeister, die dieser Meinung sind. ({32}) Dennoch machen Sie sich auf, diesen Unsinn, der investitionshemmend ist, aus Gründen der Koalitionsarithmetik durchzusetzen. ({33}) Dazu gehört die Telekommunikation, der Bau von Kohle- und Kernkraftwerken. Das alles ist oft gesagt worden. ({34}) Mit einer klaren Weichenstellung für den wirtschaftlichen Fortschritt müssen wir - das gehört auch in diesen Kontext - auch etwas gegen die leider zunehmende feindselige Einstellung in bestimmten Bevölkerungskreisen, nicht zuletzt auch in der jungen Generation, gegen moderne Technik schlechthin unternehmen. Dieser unselige Geist einer unsinnigen Maschinenstürmerei wird uns ein Stück wirtschaftlichen Fortschritts für die nächsten Jahrzehnte kosten. Wir haben bei steigender Arbeitslosigkeit auch von Akademikern einen wachsenden Mangel nicht nur an Facharbeitern, sondern auch an Technikern und Ingenieuren. Das System, das politische, das menschliche, das kulturelle und Bildungsgroßklima der Republik kann nicht in Ordnung sein, wenn wir Akademikerarbeitslosigkeit haben und im übrigen in Berufen, die für die Fortentwicklung der Gesellschaft von großer Bedeutung sind, Nachwuchsmangel besteht, weil diese Berufe ideologisch abgestuft wurden, weil man sie nicht ergreifen kann, weil man sich angeblich gegen die Umwelt oder sonst irgend jemand versündigt. ({35}) Schon heute müssen wir mehr Patente und Lizenzen importieren als wir selbst ins Ausland verkaufen. Herr Bundeskanzler, Sie wollten einmal den Wohlstand der Republik durch den Verkauf von Blaupausen finanzieren. Da ist nicht mehr viel übriggeblieben von dieser Vision. Sie sprachen - zu Recht - vom Wohnungsbau. Nun, das ist auch so eine Sache. Man mußte Sie zu dieser wohnungsbaupolitisch richtigen Entscheidung im Monat Dezember förmlich hintragen. ({36}) An dieser Entscheidung ist Ihr Anteil gleich Null. ({37}) Sie haben nichts, aber auch gar nichts dafür getan, daß diese Entscheidung letztlich gefallen ist. Jetzt stellen Sie sich hierher und ermuntern die Länder - was ich übrigens auch gerne tue -, dieses Geld raschestens zu investieren. Sie sehen ja: Es ist eine kluge Politik gewesen, daß man denen, die zwischen 1960 und 1970 öffentliche Wohnungsbaudarlehen erhalten haben, jetzt die Zinsen anhebt und einen Teil der Darlehen bei Rückzahlung erläßt. Wir haben bereits jetzt, nach ganz kurzer Zeit, offensichtlich rund eine Milliarde Mark in die Kasse bekommen. Das war doch unsere Idee, Herr Bundeskanzler. Ihre Leute sind doch dagegen gewesen. Man mußte sie doch förmlich hintragen. ({38}) Die Kollegen von der FDP haben alle im Tornister den Brief ihres Parteivorsitzenden vom August. Da hat Hans-Dietrich Genscher unter anderem das richtige Wort geschrieben, daß sich der Einsatz von Kapital im Wohnungsbau wieder lohnen muß. Das geht eben nicht - ich führe jetzt den Satz einfach fort, Herr Kollege Cronenberg - ohne die schrittweise Einführung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft auch in diesem Bereich. Und das setzt auch Mietrechtkorrekturen voraus. Sie nicken. Heute war so viel von Gemeinsamkeit die Rede. Lassen Sie uns doch hier einmal gemeinsam die Sache probieren und einen Gesetzentwurf vorlegen, meine Damen und Herren! ({39}) Herr Kollege Cronenberg, das ist ja das Problem: Es ist ein eigen Ding mit Ihnen in der FDP. Reden halten Sie hier, als kämen Sie gerade aus der CDU/ CSU-Fraktion. Beifall bekommen Sie von der CDU/ CSU-Fraktion. Als Herr Kollege Hoppe heute hier abging, rührte sich da drüben bei der SPD keine Hand. Das war ja auch kein Wunder bei dieser Rede. ({40}) Bloß - und das ist der Punkt -, wenn es darum geht, abzustimmen, dann hebt Herr Hoppe die Hand mit den Linken in der SPD, meine Damen und Herren. ({41}) Wir haben bei der Debatte im Oktober, wenn ich mich richtig erinnere, Graf Lambsdorff, hier miteinander auch über die Frage der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft diskutiert. Sie haben auch da goldene Worte gesprochen - der Bundeskanzler hat das eben im übrigen auch gesagt; ich nehme das gerne auf nämlich daß die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht zuletzt sehr stark beeinträchtigt wird durch das hohe Lohnniveau und die hohen Gestehungskosten, die wir bei uns haben. Wir wissen auch, daß die Belastungen der deutschen Wirtschaft unter anderem darauf zurückzuführen sind, daß die Ausfallquoten, daß der Krankenstand, daß die Fehlzeiten bei uns so hoch sind wie in ganz wenigen Ländern. ({42}) - Das kann man nun wirklich in der Statistik nachlesen. Darüber braucht man doch nicht zu streiten. Das bestreitet j a niemand im Deutschen Gewerkschaftsbund. ({43}) Wir müssen wieder zu einem fairen Gespräch zurückkommen. Das gilt jetzt für alle, nicht nur für eine Partei. Das gilt für mich und meine Partei auch. Es kann j a sein, daß einer von Ihnen redet und recht hat. Da sollten wir ihm recht geben. Wenn wir reden und recht haben, dann können Sie uns auch recht geben. Es nützt uns allen, wenn wir uns wieder auf dieser Ebene bewegen. ({44}) Es ist wahr, die Fehlzeiten bei der effektiven Arbeitszeit liegen in der Bundesrepublik durchschnittlich höher als in den meisten vergleichbaren und konkurrierenden Ländern. Darüber haben wir, meine Damen und Herren, seit dem August ja auch gesprochen. Wenn Sie mit namhaften Repräsentanten der deutschen Gewerkschaften sprechen - nicht in einer öffentlichen Diskussion -, wenn Sie mit Betriebsräten sprechen, denen die Zukunft ihres Betriebes am Herzen liegt, die selbst in Leitungsorganen oder im Aufsichtsrat tätig sind, die wissen, wie die Auftragslage ist, und die Sorge um die Arbeitsplätze haben, dann denken und reden die genauso, wie ich dies hier tue. ({45}) Wir müssen darüber nachdenken. Die Bundesregierung hat erklärt, Herr Graf Lambsdorff, daß sie zum Thema „Lohnfortzahlung" Beschlüsse gefaßt habe, um bestimmte Vorgänge auch verfassungsrechtlich zu prüfen. Ich wäre sehr dankbar, wenn uns das Ergebnis dieser verfassungsrechtlichen Prüfung noch im Laufe dieses Jahres erreichen würde. Denn die Probleme, die hier anstehen, werden ganz brisant. Und jetzt ist, wie ich finde, eine gute Gelegenheit, vernünftige Gespräche darüber zu führen. Um gleich die Kapazität des Umdrehens dieser Formulierung draußen abzubauen, meine Damen und Herren von der SPD, sage ich: Wenn wir davon reden, daß in diesem Fall Konsequenzen zu ziehen sind, dann sind sie insgesamt zu ziehen. Dann kann man nicht etwa davon reden, bei Arbeitern die Konsequenzen zu ziehen und bei Angestellten solche Konsequenzen nicht zu ziehen. ({46}) Aber es lohnt sich durchaus, darüber nachzudenken, wie sich die Dinge in diesem Feld entwickelt haben und welche fatale Konsequenz das für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft hat. Herr Bundeskanzler, Sie haben das Thema der ausländischen Gastarbeiter und in diesem Zusammenhang auch das Thema der Asylbewerber angesprochen. Ich will dazu jetzt nicht viel sagen, weil ich hoffe, daß wir eine nachdenkliche Debatte in der nächsten Woche zu diesem Thema haben werden. Ich finde, das Thema eignet sich nach gar keiner Seite hin zu heißspornigen Reaktionen und Äußerungen. Man muß sehr unterscheiden zwischen jenen dumpfen Stimmungen, die es sicher auch gibt und die Sie zu Recht als ausländerfeindlich bezeichnet haben, und jener Realität in vielen deutschen Großstädten, die mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun hat, sondern wo ganz einfach die vitalen Interessen deutscher Familien mit der Situation ausländischer Gastarbeiterfamilien zusammenprallen. Ich kenne sehr viele deutsche Großstädte - nicht nur Berlin -, wo mitten im Stadtkern in den Grundschulen heute 20 oder gar nur 15 % deutscher Kinder 80 oder 85 % Ausländerkindern gegenüberstehen. Der Schulbetrieb ist - um es einmal salopp zu formulieren - dem in keiner Weise gewachsen. Damit wir nicht aneinander vorbeireden, stelle ich fest: Da gibt es keinen Unterschied zwischen den sogenannten A-Ländern und den sogenannten B-Ländern. Ist es denn eigentlich Ausländerfeindlichkeit - ich sage das ganz ruhig -, daß die Mutter eines Buben oder eines Mädchens, die möchte, daß ihr Kind einmal aufs Gymnasium geht, im dritten Grundschuljahr die Frage stellt: Packt denn mein Kind den Übertritt ins Gymnasium, wenn dieser Schulbetrieb so weitergeht? Ist es nicht rettungslos zurück? Ist hier nicht, gemessen an anderen Grundschulen, von Chancengleichheit überhaupt keine Rede mehr? - Wir haben in dieser Frage zu lange gewartet, Herr Kollege. Deswegen hoffe ich, daß es möglich ist, diesen Punkt in der Debatte der nächsten Woche so auf die Tagesordnung zu bringen, daß nach allen Seiten vernünftig miteinander diskutiert werden kann. ({47}) Im übrigen wissen wir - auch das muß man hier doch einmal sagen; es ist doch eine Etatdebatte -, daß die Entwicklung etwa im Bereich der Asylbewerber den Gemeinden und Städten - nicht dem Bund - Kosten auferlegt, die sie nicht selber verursacht haben, die aber unabsehbare Konsequenzen für die Finanzstruktur der Gemeinden haben, und daß hier nicht nur der allgemeine, sondern natürlich insonderheit auch der soziale Friede angesprochen wird. Ich wiederhole meine Überzeugung im Blick auf all diese Fragen, daß die große Mehrheit unserer Mitbürger bereit ist, notwendige Einschränkungen mitzutragen, wenn ein wirklicher Anfang gemacht wird. Was wir jetzt brauchen, ist nicht das Denken in sozialen Besitzständen, sondern die Solidarität der Mehrheit wie der Minderheit, die in bedrängter Lage ist. Und wichtiger als Lohnerhöhungen ist jetzt die Rückgewinnung von Arbeitsplätzen für diejenigen, die keinen Arbeitsplatz haben, und für diejenigen, die für sich allein stehen und die sozusagen nicht die Besitzenden im Blick auf Arbeitsplätze sind. Die Höhe unserer Lohnkosten ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, wie viele Arbeitsplätze wir zusätzlich schaffen können. Deshalb müssen wir auch darüber sprechen können, inwieweit ein teilweiser Verzicht auf Einkommensteigerungen die Chance verbessert, für die heutigen Arbeitslosen einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Man sagt - Herr Kollege Genscher, das ist eine Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage -, dies sei angesichts der gegebenen und auch von uns bejahten und verteidigten Tarifautonomie nicht durchsetzbar. Ich bin nicht so pessimistisch. Wir haben die Lage von heute seit 1950 nicht gehabt. Ich kann nicht glauben, daß ein Akt der Vernunft, wie er in der Schweiz möglich war oder wie er in diesen Tagen bei General Motors in Detroit möglich war, wo Unternehmensleitung und Arbeitnehmer ein Abkommen geschlossen haben, nach dem die Sicherung der Arbeitsplätze den absoluten Vorrang vor Lohnerhö4528 hungen hat, in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sein sollte. ({48}) Das ist keine Einmischung in die Tarifautonomie. Aber man kann nicht über Bekämpfung der Arbeitslosigkeit diskutieren, ohne noch einmal auch auf die Kostensituation zu sprechen zu kommen. Natürlich ist die Voraussetzung einer solchen Politik, die ja Opfer von beiden Seiten verlangt, daß unsere Bürger überzeugt sind, daß der Staatschef auf dem richtigen Kurs ist. Es muß Vertrauen in die Regierung bestehen; aber da ist weit und breit keine Chance in Sicht. Im übrigen scheint mir unter dieser Voraussetzung ein Appell an die Vernunft der Tarifpartner nicht aussichtslos zu sein. Es liegt auf der Hand, daß mit vernünftigen Tarifabschlüssen ein wichtiger Anstoß zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gegeben werden kann. Herr Kollege Genscher, ich will jetzt, da ich nicht darauf angewiesen bin, darüber in der Form einer Zwischenfrage zu sprechen, gern Ihre Anregung zum Thema Vermögensbildung aufnehmen. Ich bin sehr damit einverstanden, daß wir die jetzige Zeit nutzen, um - wir haben ja beide auf diesem Feld eine gewisse Tradition, auch aus der Zeit, die wir gemeinsam mit Ludwig Erhard zugebracht haben - auf diesem Felde wiederum einen wichtigen Schritt zu tun. Ich finde, liberale Gesinnung müßte hier möglich sein, obwohl Sie in einer Koalition mit Sozialisten sind; denn die Liberalen sagen ja, sie seien für ein freiheitliches System, und zu einem freiheitlichen System gehört auch, daß es Ihnen möglich ist, auch in einer Koalition wenigstens ab und zu außerhalb der Koalition den Pfad der Vernunft zu betreten. ({49}) Das wäre der letzte Rest, der aus dem GenscherBrief vom August übriggeblieben wäre und sich realisieren könnte. Hier ist die ausgestreckte Hand der CDU/CSU-Fraktion, um in Sachen Vermögensbildung sehr schnell und für jedermann als Signal draußen erkennbar einen wesentlichen Schritt zu tun. ({50}) Herr Kollege Genscher, ich könnte mir vorstellen, daß das auch eine gewisse pädagogische Wirkung auf die sozialdemokratischen Kollegen hätte; denn unter denen gibt es eine ganze Reihe, die sich zusammen mit einem bestimmten Teil der Gewerkschaften des DGB längst auf diesem Weg in Bewegung gesetzt haben. Auf die letzten in der deutschen Sozialdemokratie können Sie nicht warten; es dauert zu lange, bis sich hier Vernunft durchsetzen wird. ({51}) Meine Damen und Herren, in dieser Debatte - lassen Sie mich das zum Abschluß dieses Themas wenigstens kurz ansprechen -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß der Kollege Matthöfer auf seinem Weg in der Politik nach oben zum ersten Teil der Sozialdemokratie gehört, von dem ich gesprochen habe. Ich gestatte die Zwischenfrage gern.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, denken Sie bei einer solchen Lösung für eine Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand auch an Zuschüsse aus dem Haushalt? Wenn j a, wieviel sollte man nach Ihrer Meinung zuschießen, damit es ein wirklich kräftiger Brocken wird?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Matthöfer, Sie wissen genau, daß ich an all dies nicht denke. Falls Sie noch an die Gründung eines großen Fonds denken sollten: An den denke ich auch nicht; das sage ich, damit es auch da keinen Zweifel gibt. Aber ich lade Sie - jetzt nicht als Finanzminister - herzlich ein, einen Antrag Genscher, Matthöfer, Kohl und Genossen zu machen. Das wird eine Bombensache werden. Ich lade Sie ein, diese Fragen miteinander zu besprechen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, bevor ich Ihr freundliches Angebot annehme, möchte ich gern wissen, welchen Zuschuß aus dem Haushalt Sie ungefähr im Auge haben. Vielleicht handelt es sich auch um eine Mindereinnahme. Ich frage mich, um wieviel Milliarden DM Sie das Defizit erhöhen möchten.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber Herr Kollege, Sie wollen jetzt ein Modell entwickelt haben, wo wir über die Prämissen des Modells untereinander noch gar keine Einigung erzielt haben. Herr Kollege Matthöfer, an sich ist das für uns kein Problem; wir haben dazu in diesem Haus schon eine ganze Menge Initiativen eingebracht. Uns geht es im Augenblick gar nicht darum, daß das Modell A, B, C, das die CDU/CSU in der Vergangenheit eingebracht hat, jetzt verwirklicht werden muß. Ich bin ja schon dankbar, wenn wir ein Stück weiterkommen und Sie mitmachen. Sie können mit uns über eine Menge Dinge auf diesem Feld reden. Wir wollen ja nur, daß endlich der erste Schritt getan wird. Dazu sind Ihre Freunde aber nicht fähig. ({0}) Erlauben Sie mir zum Abschluß noch ein Wort zu dem eigentlichen Thema der klassischen Innen- und Rechtspolitik. Herr Bundeskanzler, ich habe seit langem den Eindruck, daß Sie mit Ausnahme gelegentlicher amtlicher Sonntagsreden zu diesem Feld der Politik keinen inneren Zugang haben. Die Pflege der Sicherung unserer Verfassungs- und Rechtsordnung, der Dienst am inneren Frieden fordern ein hoDr. Kohl hes Maß an geduldiger Überzeugungsarbeit. Hier ist geistige und politische Führung unverzichtbar. Ihr Amtsvorgänger Willy Brandt hat die Ära der SPD/FDP-Koalition mit dem Satz eingeleitet: Wir wollen mehr Demokratie wagen. Jetzt, zwölf Jahre danach, ist es an der Zeit, daß wir im Blick auf die Rechts- und Innenpolitik Bilanz ziehen und fragen, was daraus geworden ist. Ich glaube, nicht einmal die leidenschaftlichsten Anhänger Ihrer Politik behaupten heute, daß 1982 der demokratische Rechtsstaat gefestigter sei als etwa zu jener Zeit, als Sie das Amt übernommen haben. ({1}) Der Befund ist eindeutig und deprimierend zugleich. Eine wachsende Zahl von Mitbürgern - bedauerlicherweise gerade junge - ist heute an demokratischer Teilhabe uninteressiert. Nicht wenige ziehen sich zurück, steigen aus, verweigern sich im eigentlichen Sinne des Wortes. Es formieren sich Minderheiten, Bewegungen, die nicht nur in Konfrontation zur regierungsamtlichen Politik oder den Etablierten in der Politik schlechthin stehen, sondern sich ein Widerstandsrecht anmaßen und ganz offen das notwendige demokratische Mehrheitsprinzip in Frage stellen. Das Schulbeispiel der Auseinandersetzungen steht vor unser aller Blick: die Startbahn West in Frankfurt. Der Rechtsstaat ist nicht nur durch Terrorismus von rechts oder links herausgefordert - wir sprachen über die bedauerlichen Opfer dieses Terrorismus in den letzten Tagen -, sondern auch durch aggressive Gruppen, die das Demonstrationsrecht mißbrauchen. Die Beispiele sind Legion geworden. Ob Brokdorf oder anderswo, ob die Demonstrationen, die Ausschreitungen bei den Bundeswehr-Gelöbnissen - das alles ist zu nennen. Der offene Rechtsbruch von der Besetzung von Häusern über Brandstiftung, Plünderung, blindwütige Zerstörung privaten Eigentums bis zu tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte, die nichts als ihre Pflicht tun, wird als Form des politischen Protests ausgegeben. Das ist trauriger Alltag der Bundesrepublik geworden. Anstatt Mehr-Demokratie-Wagen erleben wir täglich vermummte Gestalten, die es nicht wagen, als Demonstranten offen ihr Gesicht zu zeigen, erleben wir eine Berufsverbotskampagne von Leuten, die eine völlig andere Republik wollen, aber von dieser Republik ihren Beamtenstatus und ihre Pensionsberechtigung erwarten. ({2}) Sie sind mit dem großen Anspruch aufgebrochen, mehr Demokratie zu wagen. Nach zwölf Jahren sieht die Bilanz deprimierend aus. Weil die Bilanz so ist, ist es wahr, daß der demokratische Rechtsstaat im Ansehen seiner Bürger Schaden genommen hat und daß zunehmend Vertrauen in diesen Staat verlorengeht. Das Vertrauen in die friedenstiftende Kraft - und das ist ein entscheidender Faktor jeder Gesellschaft - unseres Staates ist brüchig geworden. Jeder Staat, vor allem jeder demokratische Staat lebt von der Loyalität seiner Bürger. Er ist angewiesen auf ihre Bereitschaft, in guten wie in schlechten Zeiten, bei Mißerfolgen und Rückschlägen diesen Staat mit zu tragen, ohne daß ihre Kritik an Politikern gleich umschlägt in eine krasse Ablehnung von demokratischen Werten, Konsens und Institutionen. Diese Toleranz, diese Treue zu Staat und Recht, dieser Bürgersinn sind in Gefahr geraten. In diesen Tagen erschien in einer großen deutschen Wochenzeitung, der Sie, Herr Bundeskanzler, sehr viel Sympathie widmen, ein Artikel, dessen Autor den noch relativ gesicherten Frieden in unserem Land mit der Dichte des sozialen Netzes erklärt. Er schreibt dann: „Sollte aber die Finanzklemme eine Herabsetzung des Arbeitslosengeldes erzwingen, so wäre es mit der innenpolitischen Ruhe bald vorbei." Ich schließe mich dieser Analyse nicht an. Aber ist dies nicht ein Warnzeichen für uns alle? Ist es nicht ein ziemliches Armutszeugnis, wenn es heute noch in einem sozialen Rechtsstaat, in dem seit über drei Jahrzehnten die freiheitlichste Verfassung in der Geschichte der Deutschen gilt, nämlich das Grundgesetz, seriöse Zeitgenossen gibt, die fürchten, der innere und soziale Frieden, den diese Ordnung stiftet, sei entscheidend abhängig von der Gewährleistung materieller Besitzstände? Dabei sind doch die Deutschen zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit, zu Toleranz und Solidarität nicht weniger befähigt als alle unsere Nachbarn und andere Völker, deren Demokratien schon viel schwierigere Zeiten erlitten haben. Wir haben doch auch den Beweis für diese Stabilität, für diese Fähigkeit des Dazulernens aus der Geschichte in diesen 30 Jahren gegeben. Ich finde, man muß in einer solchen Debatte auch einmal darauf hinweisen dürfen, daß es kein Land im westlichen Teil Europas gibt, in dem die Bürger bei allen Wahlen mit einer solchen Entschiedenheit den Rechts- und Linksextremisten ihre Abfuhr erteilen und ein so klares Votum aussprechen. In einem sehr nachdenkenswerten Aufsatz, der in einer bedeutenden Juristenzeitschrift erschien, schreibt der Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Dr. Rudolf Kissel: Wir haben den Verlust über das Fehlen positiver verbindlicher Werte zu konstatieren, etwa was man tut und was man nicht tut. Er fährt an anderer Stelle fort: Wer will heute noch sagen, was etwa das natürliche Rechtsgefühl ist, was gute Sitten sind, was Treu und Glauben gebieten, was sozial ungerechtfertigt ist? Herr Bundeskanzler, wenn einer der höchsten deutschen Richter dies fragt, dann hat das Aussagekraft für viele in unserer Republik. Wir alle sind doch Empfänger von Briefen besorgter Bürger - wir sind nicht unbeeindruckt -, die uns schreiben: Wie kommt es, daß in unserem Staat offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird? Jeder Verstoß gegen die Verkehrsgesetzgebung wird unnachsichtig und konsequent geahndet, aber die Verwüstung ganzer Straßenzüge durch gewalttätige Demonstranten bleibt ohne Folge. ({3}) Meine Damen und Herren, das geht uns alle an. Das ist eine Sache dieser Bundesregierung, das ist eine Sache aller Landesregierungen, das ist eine Sache aller Demokraten. Ein solches Verhalten ist keine überzeugende Werbung für den demokratischen Rechtsstaat. Das besitzt auch keine Überzeugungskraft gegenüber der jungen Generation, zumal es immer schwieriger wird, sie vom aktiven Eintreten, von der Notwendigkeit der aktiven Gefolgschaft zur Demokratie zu überzeugen. Das Thema, das ich hier angesprochen habe, enthält die Kritik auch an Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler. Das ist ein Thema, das viele draußen artikulieren. Am Arbeitsplatz, in den Betrieben, an den Stammtischen, in Versammlungen wird diese Kritik viel härter formuliert, als ich dies hier getan habe. Dort sind mittlerweile gelegentlich Forderungen und eine Sprache zu hören, auf die weder Sie noch ich noch irgendeine politische Gruppe hier in diesem Hause einzugehen wünschen. Die sicher auch Ihnen bekannten Äußerungen im Blick auf gewalttätige Demonstranten und auf Asylanten - über das Ausländerproblem sprachen wir - zeigen einen Klimawandel in unserem Lande an. Was sich hier an Unmut anstaut, wird herausgefordert durch eine Politik, die die Probleme vor sich herschiebt, die auch zu maßvollen, aber notwendigen Entscheidungen nicht fähig ist. Herr Bundeskanzler, ich kann Sie nur auffordern, diesem nicht nur symbolisch wichtigen, sondern auch im Alltagsleben der Bürger der Bundesrepublik Deutschland elementaren Bereich mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Schluß damit zu machen, die Innen- und Rechtspolitik Ihrer Regierung einseitig an den Interessen von Minderheiten und konfliktfähigen Randgruppen unserer Gesellschaft zu orientieren. ({4}) Maßstab vernünftiger Innen- und Rechtspolitik müssen das Interesse und das Rechtsgefühl der Bürger des Landes sein. Ich habe viel Sympathie für all jene, die sich der Minderheiten annehmen, aber es hat nichts mehr mit Demokratie zu tun, wenn die Minderheit darüber bestimmt, was die Mehrheit fortdauernd zu tun hat. ({5}) Die überwältigende Mehrheit unserer Mitbürger bejaht nach wie vor den demokratischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland, aber die Bürger wollen zu Recht einen Staat, der die Rechte aller schützt und der die Beachtung der Gesetze gegenüber jedermann durchsetzt. Sie wollen unseren Staat, weil der innere Friede nur von ihm auf Dauer gesichert werden kann. Sie wollen einen Rechtsstaat, der Minderheiten Schutz bietet, ihnen aber nicht die Majorisierung und Terrorisierung der demokratisch ermittelten Mehrheit ermöglicht. Sie wollen eine wehrhafte Demokratie und einen Rechtsstaat, der die Herausforderung durch seine Feinde zurückweist und der den Verfassungsfeinden nicht durch die Hintertür Positionen und Einfluß einräumt, den sie auf demokratischem Wege niemals erreichen könnten. Sie wollen, mit einem Wort, den freiheitlichen Rechtsstaat des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, und sie wollen - dies sage ich auch und gerade im Blick auf die Jungen in unserem Lande - eine Politik, die Sensibilität für die Probleme und deren Wandel zeigt. Aber gerade junge Leute unterscheiden sehr zwischen Sensibilität und einfacher schwächlicher opportunistischer Nachgiebigkeit. Sie wollen einen Staat, der als solidarisches Gemeinwesen dort eintritt, wo der einzelne sich nicht helfen kann, aber sie wollen nicht die Allgegenwart eines bürokratisch den Bürger bevormundenden Staates. ({6}) Meine Damen und Herren, wir Deutschen sind stolz darauf, daß unser Land allen politisch Verfolgten Asyl bietet, aber wir erwarten auch, daß dieses Asylrecht nicht mißbraucht wird. Ein Staat, der all diesen Erwartungen entspricht, ist jene Republik, die die Väter und die Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sich vorgestellt haben. Dieser Staat muß sich die Zustimmung seiner Bürger nicht durch materielle Wohltaten erkaufen. Diesem Staat - und gemeint ist unsere Bundesrepublik, Herr Bundeskanzler - werden unsere Mitbürger in Deutschland auch in schweren Zeiten die Treue halten. Dafür lassen sie sich in Pflicht nehmen, aber sie schauen auf unser Beispiel, sie schauen auf die Taten und auf die Daten, die wir setzen. Bei der Beratung Ihres Etats muß ich Ihnen sagen: Wir haben keine Chance, diesem Etat zuzustimmen, weil das, was wir an Taten verlangen müssen, was wir Ihnen abfordern müssen, von Ihnen nicht mehr geleistet werden kann. ({7})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Wischnewski das Wort.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Kohl, Sie haben eine Reihe von innenpolitischen Fragen angesprochen, die alle während der nächsten Tage hier im Hause behandelt werden. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, daß ich mich in diesem Zusammenhang auf einige ganz wenige Fragen beschränke und dann auf die Haushalte eingehe, die nach unserer Vereinbarung im Vordergrund stehen, nämlich auf die Haushalte 04, 05 und 14, die Haushalte des Bundeskanzlers, der Außenpolitik und der Sicherheit. Sie sagen, die Regierung habe Rechenschaft abzulegen und nicht die Opposition habe Auskunft zu geben. Natürlich hat in erster Linie die Regierung Rechenschaft abzulegen, und das tut sie am laufenden Bande. Aber Sie sprechen am laufenden Band davon, daß Sie die Regierungsverantwortung übernehmen möchten. Dann sind Sie auch verpflichtet, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu sagen, was Sie in dieser Situation tun würden. ({0}) Sie haben über unser Leistungsbilanzdefizit gesprochen. Lassen Sie mich dazu eine Bemerkung machen. Es entspricht den Tatsachen, insbesondere im Jahre 1980 haben wir ein hohes Leistungsbilanzdefizit gehabt, 30 Milliarden DM. Im vergangenen Jahr ist es bereits gelungen, dieses Leistungsbilanzdefizit auf 20 bis 22 Milliarden DM herabzusetzen. In diesem Jahr, im Jahr 1982, wird das Leistungsbilanzdefizit zwischen null und 10 Milliarden DM liegen. Das heißt, wir haben von 1980 bis 1982 in dieser Frage durch Einsparungen bei der Energieeinfuhr, aber auch durch große und erfolgreiche Anstrengungen in der Exportpolitik das Leistungsbilanzdefizit in der Bundesrepublik in ganz entscheidendem Maße senken können.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Kollege Wischnewski, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Darf ich Sie, meine Damen und Herren, um etwas Aufmerksamkeit für den Redner bitten?

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wischnewski, wenn diese Fragen hier erörtert werden, muß nicht auch die enorme Auslandsverschuldung, die die Zahlungsbilanz erheblich entlastet hat, ins Feld geführt und erwähnt werden?

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Alle diese Fragen müssen wir einbeziehen. Das ändert nichts daran, daß die Bundesrepublik nach wie vor eines der Länder ist, die über die größten Devisenreserven der Welt verfügen. Das muß auch in die Überlegungen einbezogen werden. Herr Kollege Dr. Kohl, Sie haben über unterschiedliche Vorstellungen zur Beschäftigungsinitiative gesprochen. Ich streite gar nicht darüber, daß es in der Koalition darüber noch eine Diskussion gibt. Aber ich sehe auch bei Ihnen sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ich sehe Herrn Strauß mit einer anderen Auffassung als Herrn Stoltenberg, und ich sehe Herrn Späth mit einer anderen Auffassung als Herrn Albrecht. Auch Sie sind in dieser Frage noch in der Diskussion. Sie werden deshalb dafür Verständnis haben, daß es auch in der Koalition in dieser Frage noch einige Diskussionen gibt. Der Fahrplan in dieser Frage ist festgelegt: Erstens. In dieser Woche wird der Haushalt verabschiedet. Zweitens. In der ersten Februarwoche wird die Bundesregierung den Jahreswirtschaftsbericht verabschieden. Sie bereitet das durch die Gespräche vor, die in diesen Tagen geführt werden. Drittens. Dann werden die notwendigen Entscheidungen in diesem Zusammenhang fallen. ({0}) Im übrigen sollten Sie in bezug auf den Beifall, Herr Kollege Dr. Kohl, den wir dem Kollegen Hoppe gewähren oder nicht gewähren, keine falschen Schlüsse ziehen - ich würde davor warnen -; politische Entscheidungen werden nicht nach Beifall gemessen, sondern durch Abstimmungen getroffen. Sie werden sich nachher davon überzeugen können, wie dann das Ergebnis aussieht. Aber nun möchte ich zu dem Thema zurückkommen, das hier im Vordergrund steht. Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, sind, nachdem der Bundeskanzler das offizielle Bulletin eines Gesprächs zwischen Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem sowjetischen Botschafter aus dem Jahre 1961 zitiert hat, auf diese Frage noch einmal zurückgekommen. Deshalb möchte ich darauf gern noch eine Minute verwenden. Am 25. August 1961 hat der Parteivorstand der CDU eine Erklärung abgegeben, nachdem die SPD nach dem Bau der Berliner Mauer eine Forderung erhoben hatte. Ich zitiere aus der Erklärung der CDU wörtlich. Es heißt dort: Besonnenheit und Nüchternheit, nicht aufgeregte Reden und unüberlegte Forderungen nach Aktionen erhalten den Frieden. So die CDU am 25. August 1961. ({1}) Nun, Herr Kollege Dr. Kohl, müssen Sie aber genau wissen, welche Forderung die CDU damals mit dieser Erklärung zurückgewiesen hat. ({2}) Die Sozialdemokratische Partei war damals - wie ich meine, zu Recht - der Auffassung: Wenn in Berlin eine Mauer gebaut wird, wenn die Stadt und dieses unser Land zerrissen werden, dann ist es mindestens notwendig, daß die westlichen Außenminister, diejenigen, die in Berlin besondere Verantwortung zu tragen haben, zusammentreten, um über diese Situation zu beraten. ({3}) Mit dieser Erklärung, daß also Besonnenheit und Nüchternheit, nicht aber aufgeregte Reden und unüberlegte Forderungen angebracht seien, ({4}) wurde also die Forderung nach Zusammenkunft der Außenminister als unüberlegte Forderung bezeichnet. Damit haben Sie das, was wir für zwingend notwendig halten, und zwar immer dann, wenn eine solche Situation eintritt, zurückgewiesen. Mir kommt es nur darauf an, daß man heute, wo man in der Opposition ist, auch über diese Frage nachdenkt, Herr Kollege Dr. Kohl, und darum bemüht ist, dieses Wort, das ich unterschreiben kann, auch heute zum Maßstab der Außenpolitik in einer schwierigen Situation zu machen. ({5}) Wie würde dann, wenn die CDU/CSU in den letzten Jahren regiert hätte - was sie nicht getan hat -, die Außenpolitik in diesem Lande in den letzten Jahren auf Grund der Entscheidungen, die Sie in diesem Hause gefällt haben, ausgesehen haben? ({6}) Wir hätten keine vertraglichen Regelungen mit all unseren östlichen Nachbarn mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Wir hätten dann dementsprechend auch keine vertragliche Absicherung von Berlin, wir hätten keine Transitregelung für Berlin. Wir hätten noch mehr nukleare Waffen in der Bundesrepublik Deutschland, als wir sie schon haben. Denn Sie werden sich daran erinnern können, daß Sie laut und deutlich für die Einführung der Neutronenwaffe eingetreten sind und daß Franz Josef Strauß sogar gesagt hat, die Bundeswehr solle darüber verfügen. ({7}) „Wir würden auf die Verhandlungen in Genf verzichten", hat einer Ihrer Stellvertreter auf Grund der augenblicklichen Situation gefordert.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir hätten nicht die Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - der Bundesaußenminister hat Sie j a bereits darauf hingewiesen -, auf die Sie sich immer beziehen.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte den Gedanken erst zu Ende führen.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Bitte sehr.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir wären nicht Mitglied der Vereinten Nationen, Herr Kollege Dr. Kohl, und wir würden als Bundesrepublik Deutschland deshalb auch an wichtigen internationalen Verhandlungen überhaupt nicht beteiligt sein, ({0}) wie z. B. an der Seerechts-Konferenz, die für unser Land von entscheidender Bedeutung ist. ({1}) Und wir würden die Länder der Dritten Welt in erster Linie in gute und in böse Länder einteilen. Und wir würden unsere Meinung in dieser Frage auch von heute auf morgen, ganz schnell, verändern. Wenn Sie Beispiele haben wollen, bin ich gerne bereit, Ihnen eine Vielzahl von Beispielen dafür zu bringen. In dieser Debatte ist geredet worden über Gemeinsamkeit in der Außenpolitik und insbesondere über Gemeinsamkeit in bezug auf unser Verhältnis zur kritischen und tragischen Situation in Polen. Es gibt auch den Appell des Außenministers vom Ende der vergangenen Woche. Lassen Sie mich deshalb dazu bitte ein ganz grundsätzliches Wort sagen: Jedes Land sollte glücklich darüber sein, wenn es in der Lage ist, seine Außenpolitik so weit wie möglich gemeinsam zu vertreten. Gerade bei einer so tragischen Situation wie in Polen sollte es besonders notwendig sein, um Gemeinsamkeit bemüht zu sein. Die „Zeit" hat in der vergangenen Woche einen Aufsatz gebracht, in dem schon in der Überschrift die Rede von der Konfrontationspolitik der CDU/CSU ist. Ich sage Ihnen hier in aller Deutlichkeit: Bei Konfrontationspolitik in diesem schwierigen Bereich gibt es keine Gemeinsamkeit. ({2}) Es kann Gemeinsamkeit geben, wenn wir uns gemeinsam darum bemühen wollen, den Menschen in Polen zu helfen. Es kann Gemeinsamkeit geben, wenn wir uns darum bemühen, alles zu tun, damit die Krise, die gegeben ist, nicht noch weiter verschärft wird. ({3}) Es kann Gemeinsamkeit geben, wenn wir alles tun, um in einer schwierigen Situation dem Frieden und der Entspannung zu dienen. Für Anheizen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es keine Gemeinsamkeit. ({4}) Und deshalb gibt es auch für den Katalog der Maßnahmen gegenüber Polen und der Sowjetunion, der hier vorgetragen worden ist, keine Gemeinsamkeit - um das in aller Deutlichkeit zu sagen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten in dem Zusammenhang auch ein wenig zurückdenken an Ihre eigene Geschichte, an die Zeit, als Sie den Bundeskanzler in diesem Land stellten, ({6}) oder auch an die Zeit, in der wir die Große Koalition hatten. ({7}) Ich möchte drei Dinge in besonderem Maße erwähnen, die Ihre frühere Haltung zu Sanktionen zeigen: Im Jahre 1954, ({8}) - warten Sie erst ab ({9}) also im Jahr nach dem 17. Juni, gab es mit Hilfe der damaligen Bundesregierung die größte Ausweitung des innerdeutschen Handels mit der Deutschen Demokratischen Republik, den es jemals in der GeWischnewski schichte unserer Handelsbeziehungen gegeben hat. Die Ausweitung von 1953 zu 1954 betrug 56,4 %. ({10}) Von Sanktionen war dort keine Rede, sondern es gab eine Ausweitung um 56,4 %. Im Jahre 1957, d. h. ein Jahr nach Ungarn betrug die Ausweitung des Handels mit der DDR 23 %. Im Jahre 1969, d. h. im Jahr nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR betrug die Ausweitung des innerdeutschen Handels 36,8 %. ({11}) - Das ist eine sachliche Feststellung und mehr nicht. Wer heute nach Sanktionen schreit, soll über seine eigene Haltung, als er die politische Verantwortung getragen hat, nachdenken. Ich kritisiere das nicht, was hier gemacht worden ist. Ich bemühe mich, einen Beitrag zu leisten, um in dieser Situation die Auseinandersetzung, die wir um diese Frage haben, zu versachlichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch über die Haltung meiner Partei zum Bündnis und zu den Vereinigten Staaten gesprochen worden. Deshalb möchte ich dazu einige kurze Bemerkungen machen. Die Sozialdemokratische Partei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben. In ihr gibt es natürlich - das ist auch zwingend notwendig - eine Diskussion auch der Probleme, die in unserer Gesellschaft insgesamt diskutiert werden. ({12}) - Vielleicht ist das in Ihrer Partei anders. Dann müssen Sie über die Frage nachdenken, ob Sie Ihrer Aufgabe als politische Partei nachkommen. Es gibt eine Vielzahl von Fragen, über die wir miteinander diskutieren und auch hart miteinander diskutieren. Es gibt ein paar Grundsatzfragen, über die es gar keine Diskussionen in der Sozialdemokratischen Partei gibt. ({13}) Wir streiten nicht über die Notwendigkeit des militärischen Gleichgewichts, aber wir wollen es auf einer möglichst niedrigen Stufe haben. Wir streiten nicht über die Notwendigkeit des Bündnisses, aber wir wollen, daß dieses Bündnis bei Rüstungskontrollpolitik, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung eine aktive Rolle spielt. Weil dieses unsere Grundhaltung ist, werden wir der Bundeswehr heute 43,5 Milliarden DM bewilligen, 43,5 Milliarden DM für die Soldaten, für die Waffen, die notwendig sind, und für die Verpflichtungen im Bündnis. In dieser Frage unterscheiden wir uns von Ihnen ganz wesentlich, denn Sie werden heute abend den Beweis dafür erbringen, daß Sie der Bundeswehr und dem Bündnis nicht eine einzige Mark zur Verfügung stellen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns in dieser Frage. ({14}) Nun ein Wort über unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Wir wissen alle, daß unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten für uns eine Lebensfrage ist. Wir wissen, daß die 237 000 Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere aus den Vereinigten Staaten notwendig sind, um Sicherheit in Europa möglich zu machen. Wir sind jedem dankbar, der hier in der Bundesrepublik als Soldat der Vereinigten Staaten seinen Dienst tut. ({15}) Ich gehöre zu der Generation derjenigen, die 1933 elf Jahre alt waren, zu der Generation, die nach 1945 die Chance gehabt hat, von der amerikanischen Demokratie auch viel für unsere Demokratie und für unsere politische Arbeit zu lernen. Das ist unser Grundverhältnis. Aber dieses kann uns nicht daran hindern, dort, wo es notwendig ist, unsere Meinung gegenüber einem Partner und gegenüber einem Freund deutlich zu sagen. Denn nur dann kann von Partnerschaft die Rede sein. Konrad Adenauer hat das wie folgt ausgedrückt: Wenn ich in Münster auf eine Pauke geschlagen habe, die auch in Washington gehört wird, dann habe ich das mit voller Absicht getan. Ich bin zwar von meinen eigenen Parteifreunden dafür gescholten worden, doch ich wollte die Augen der Öffentlichkeit auf Genf richten, wo unser Schicksal entschieden wird. - Heute wieder einmal auf Genf! Wir haben den Amerikanern viel zu verdanken, und wir sind eng miteinander befreundet. Aber unter Freunden muß man auch ein offenes Wort sprechen können ... - sagte der CDU-Chef -... Der amerikanische Außenminister Rusk hat sich über meine Äußerungen sehr geärgert. Aber dieses sollte er auch. Dies ist ein Zitat von Konrad Adenauer in einer Frage, in der es um die Interessen der Bundesrepublik Deutschland ging und er Wert darauf gelegt hat, seine Meinung gegenüber den Vereinigten Staaten ganz deutlich zu sagen. In dieser Woche gibt es in einer der Wochenzeitungen der Bundesrepublik ein sehr wichtiges Interview des Senators Biden. Der Kollege Kiep kennt ihn sehr gut. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des amerikanischen Senats, eine ganze Reihe von Jahren war er Vorsitzender des Europa-Unterausschusses des Auswärtigen Ausschusses des Senats. Auf die Frage der Journalistin, ob sein Bild nicht zu optimistisch sei, hat Biden wie folgt geantwortet: Ganz und gar nicht. Ich bin sehr viel optimistischer, und zwar was deutsche Entschlossenheit und deutsche Fähigkeit angeht. Ich glaube nicht, daß die Deutschen vor den Russen kuschen. Was wir Amerikaner in der Bundesrepublik sehen, ist die echte und fundierte Befürchtung, daß die USA gegenüber der Sowjetunion zu keiner eindeutigen politischen Haltung gefunden haben. Und denkt man an die unglaubli4534 chen Erklärungen und Äußerungen, die von seiten dieser Regierung - der Regierung der Vereinigten Staaten in den letzten neun Monaten gekommen sind, dann versteht man, warum es solche Unzufriedenheit in der Bundesrepublik gegeben hat. Ein Außenminister, der von einem „nuklearen Demonstrationsschlag in Europa", und eine Regierung, die von einem „auf Europa begrenzten Atomkrieg" spricht und solcherlei mehr, das ist doch grotesk. Deshalb glaube ich, daß diese Befürchtungen in Deutschland nicht aus Angst vor der Sowjetunion und nicht aus einem neuen Pazifismus heraus entstanden sind, sondern aus echter Besorgnis und wegen Zweifeln an der Fähigkeit der Vereinigten Staaten, eine einheitliche und einfühlsame Politik gegenüber Moskau zu formulieren und zu betreiben. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß ich mir die Meinung dieses in der amerikanischen Außenpolitik wichtigen Senators nicht zu eigen mache. Aber es besteht aller Anlaß, über die Formulierungen nachzudenken. Wir werden uns darum bemühen müssen, die Kontakte zu den Vereinigten Staaten unabhängig von Regierung und vom Parlament, wie das jetzt geschieht, durch die beiden Beauftragten, insbesondere für die jüngeren Menschen in den Vereinigten Staaten und in unserem Lande, für diejenigen, die die Nachkriegsgeschichte nicht erlebt haben, in ganz starkem Maße auszubauen. ({16}) Auch die Frage der Europäischen Gemeinschaft ist hier angesprochen worden. Lassen Sie mich dazu bitte ein Wort sagen. Europa hat sich in den letzten Monaten besonders schwer getan. Die ökonomischen Schwierigkeiten, die uns belasten, belasten unsere europäischen Partner in noch weit stärkerem Maße. Das hat Auswirkungen auf die europäische Entwicklung insgesamt. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, waren nicht das langsamste Schiff im Geleitzug. Wir haben in diesen Jahren unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt und den Außenministern Genscher und Scheel in der europäischen Entwicklung entscheidende Schritte nach vorn machen können. In diesen Jahren wurde die Europäische Politische Zusammenarbeit geschaffen, und ich bin dem Bundesaußenminister dafür dankbar, daß er darum bemüht ist, diese Europäische Politische Zusammenarbeit weiter auszubauen. ({17}) Diese Europäische Politische Zusammenarbeit hat oft den Beweis erbracht, daß wir mit christdemokratischen Kollegen in anderen Parlamenten Europas mehr als mit Ihnen übereinstimmen. ({18}) Das haben Sie jedesmal zum Ausdruck gebracht, wenn es eine gemeinsame Erarbeitung einer europäischen Position in einer schwierigen Frage gegeben hat, wo sich unser Außenminister mit seinen Kollegen abgestimmt hat, es aber hier die Zustimmung von Ihrer Seite dafür nicht gegeben hat. In dieser Zeit ist die Europäische Gemeinschaft von 6 auf 9, dann von 9 auf 10 Mitglieder erweitert worden, und bald werden der Europäischen Gemeinschaft 12 Länder angehören. In dieser Zeit haben wir die Direktwahl des Europäischen Parlaments und die Einführung des Europäischen Währungssystems erreicht, und die Bundesrepublik Deutschland hat große materielle Leistungen im Rahmen der europäischen Solidarität erbracht. ({19}) Unsere Ausgaben für Europa haben im Jahr 1971 2,7 Milliarden DM und im vergangenen Jahr 14,2 Milliarden DM betragen. Dabei ist aber gleich auch in aller Deutlichkeit zu sagen, daß hier das Ende unserer Leistungsfähigkeit erreicht worden ist. Deshalb sind die notwendigen Reformen im Rahmen der europäischen Politik unverzichtbar. Ich hoffe, daß wir gemeinsam in der Lage sein werden, die Dinge hier einen Schritt voranzutreiben. Der Kollege Zimmermann hat ein Thema angesprochen, zu dem ich eine Bemerkung machen muß, auch wenn er nicht mehr da ist. Ich kann das so nicht stehenlassen. Ich meine den Untersuchungsausschuß zum Fall Rauschenbach. Er hat hier gesagt, da sich die Bundesregierung weigere, die Akten auf den Tisch zu legen, bleibe kein anderer Weg, als das Verfassungsgericht anzurufen. ({20}) Deshalb muß ich hier um eine Klarstellung bemüht sein. Alle Beteiligten wissen, ({21}) daß es sich um ein sehr diffiziles Problem handelt. Dieses diffizile Problem betrifft erstens die Sicherheit unserer Nachrichtendienste und zweitens ein menschliches Schicksal. Wir tragen mit an Verantwortung. Wir werden uns das nicht leicht machen. Und weil das so ist, ({22}) - das sollte lieber nicht der Fall sein -, hat der Untersuchungsausschuß in Übereinstimmung festgelegt, daß bestimmte diffizile Akten dem Ausschußvorsitzenden und seinem Stellvertreter vorgelegt werden. Der Ausschußvorsitzende ist ein Mitglied Ihrer Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren. Alle Akten haben bei dem Ausschußvorsitzenden bereits auf dem Tisch gelegen. Nur haben es die Kollegen der CDU/CSU abgelehnt, daß der Ausschußvorsitzende diese Möglichkeit wahrnehmen kann. Die Akten sind auch an den Bundestag übergeben worden, allerdings mit der Einschränkung, daß so verfahren wird, wie ich das hier gesagt habe. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß die Bundesregierung die Herausgabe der Akten verweigert, allerdings mit der Einschränkung, die ich hier gesagt habe, wie sie vom Ausschuß in Übereinstimmung vorgeschlagen worden ist. Sie werden jetzt zum Gericht gehen. Wir wünschen Ihnen für diesen Gang viel Erfolg. Ich bedaure das auch insofern, als natürlich die Arbeiten des Ausschusses dadurch jetzt vorerst sicher für längere Zeit unterbrochen werden. Es wäre im Interesse der Sache, die Arbeit so bald wie möglich hinter uns zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde daran erinnert, daß meine Redezeit zu Ende geht. Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Dieser Kanzler hat unser Vertrauen, dieser Vizekanzler hat unser Vertrauen, ({23}) diese Bundesregierung hat unser Vertrauen. ({24}) Wir werden unseren Beitrag leisten, unserem Lande bei der Überwindung einer schwierigen Wegstrecke zu helfen. Wir werden dabei unsere Pflicht und Schuldigkeit tun. ({25})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der flammende Appell des Kollegen Wischnewski ({0}) erinnert mich eher an das Pfeifen eines Kindes im dunklen Walde. Er hätte besser weniger vom Vertrauen und mehr von der Leistung dieser Regierung gesprochen. Wäre er auf die Leistung dieser Regierung zu sprechen gekommen, ({1}) dann wäre es ihm sicher sehr viel schwerer gefallen, eine solche positive Einstellung hier zum besten zu geben. ({2}) Die Sorge um den Frieden hat die öffentliche Diskussion der letzten Monate beherrscht. Dabei ist die Frage nach unserer Sicherheit mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Das hat sich seit Polen geändert. Nicht von ungefähr ist die Friedensbewegung seit den polnischen Ereignissen verstummt, sieht man einmal von der einsamen Stimme Bölls ab. Dafür fragen sich immer mehr Bürger in unserem Land - mit Recht -: Wie steht es um unsere Sicherheit - um diese Sicherheit, die uns ein Leben in Frieden, ein Leben in Ruhe, in Wohlstand und vor allem ein Leben in Freiheit ermöglicht hat? Ohne diese Sicherheit geht nichts. Diese Sicherheit hängt von drei ganz entscheidenden Faktoren ab. Der erste ist der Zusammenhalt und die Stabilität des Atlantischen Bündnisses. Der zweite ist unsere Verteidigungskraft und damit im wesentlichen die Einsatzbereitschaft und die Abschreckungskraft unserer Bundeswehr. Ich möchte gerade an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Bundeswehr und unseren Verteidigungsanstrengungen und dem Frieden. Es hätte keinen Frieden gegeben und es gibt keinen Frieden ohne den Dienst unserer Soldaten in der Bundeswehr. ({3}) Drittens hängt unsere Sicherheit auch von der inneren Standfestigkeit unserer Bevölkerung ab, von ihrem Friedenswillen, aber auch von ihrer Entschlossenheit zur Erhaltung und Verteidigung unserer Freiheit. In allen diesen drei Bereichen gibt es bedenkliche Entwicklungen. Ich glaube, wir von der CDU/CSU sind in unseren Sorgen über diese drei Bereiche nicht allein. Wenn wir diesen bedenklichen Entwicklungen in diesen drei Bereichen nicht entschlossener begegnen, dann könnte unser Land diese mühsam errungene Sicherheit sehr wohl verspielen. Was sind die Entwicklungen in diesen drei Bereichen? Ich möchte mich mit ihnen in meiner Rede beschäftigen. Die eine Entwicklung ist die zunehmende transatlantische und insbesondere die deutsch-amerikanische Entfremdung. Die zweite ist die spürbare Verringerung unserer Verteidigungskraft. Die dritte ist die innere Verunsicherung unserer Bevölkerung bis hin zur Erschütterung des Wertbewußtseins in Teilen unseres Volkes. Im übrigen halte ich bis zum heutigen Tag die Erschütterung des Wertbewußtseins, das Nicht-mehr-sicher-Wissen, wofür man steht, für die ernsteste Bedrohung unserer Sicherheit überhaupt. ({4}) Alle diese Entwicklungen haben viele Gründe. Es wäre sicher ungerecht und unangemessen, sie allein der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Dennoch, an allen diesen Entwicklungen tragen Sie, Herr Bundeskanzler, und trägt die Bundesregierung ein gerüttelt Maß an Verantwortung mit. ({5}) - Warum wir immer das gleiche bringen, Frau Traupe? Das ist eine ganz einfache Sache: Weil das deutsch-amerikanische Verhältnis mit Sicherheit das Schicksal der Bundesrepublik Deutschland bis zum Rest dieses Jahrtausends bestimmen wird. Es gehört zu den schwersten und bedenklichsten Entwicklungen für unseren Frieden, für die Sicherheit unserer Bürger, daß es in diesem Vertrauensverhältnis zwischen Deutschen und Amerikanern zu so ernsten Störungen gekommen ist. ({6}) Das ist doch keine Erfindung der CDU/CSU oder etwa von böswilligen Journalisten. Ich erinnere nur daran, daß schon im Frühjahr 1981 die vier wesentlichen westlichen Sicherheitsinstitute, darunter das deutsche, aus Sorge über das, was sie transatlantische Krise genannt haben, sehr beachtliche Vorstellungen veröffentlicht haben. Ich sage noch einmal: Niemand kann sich darüber freuen, am allerwenigsten die CDU/CSU. Was mich besonders bedenklich stimmt - und das darf ich hier einmal darstellen -, ist, daß der tiefste Grund dieser Entfremdung wohl darin besteht, daß eine so verschiedene Grundströmung in beiden Ländern zum Tragen kommt. Während sich die USA auf ihre Stärken besinnen - moralische, wirtschaftliche, auch militärische -, bestimmen bei uns mehr und mehr Furcht, Schwäche, Anpassung bis hin zur Beschwichtigung unsere Politik, auch gegenüber dem Ostblock. Ich sage noch einmal: Ich möchte das nicht alles auf die Schultern des Bundeskanzlers abladen. Aber wer um den heiklen Zustand der deutsch-amerikanischen, der europäisch-amerikanischen Beziehungen weiß, von dem kann man, von dem muß man erwarten, daß er alles daransetzt, die Krise zu überwinden, anstatt sie durch eine Politik zu verschärfen, die Zweifel an der Position der Bundesrepublik Deutschland im Spannungsfeld zwischen Ost und West begründet. ({7}) Genau dies ist geschehen. Ich hoffe, es unpolemisch zu sagen: Die Standortbestimmung der deutschen Politik ist undeutlich geworden. Natürlich ist vieles an den Vorwürfen übertrieben, die Sie in der ausländischen Presse lesen können. Deswegen will ich hier nicht nachkarten. Aber eines muß doch jeder von uns wissen: Wenn es eine Sicherheit für uns gibt, wenn es einen Halt für uns gibt, wenn es einen festen Boden für uns gibt, auf dem sich überhaupt nur Politik nach Ost und West machen läßt, dann ist es das Vertrauen der freien Welt in die Verläßlichkeit und Stetigkeit des freien Deutschlands als eines Bündnispartners des freien Westens. Genau dies ist mit durch Ihr Zutun ins Rutschen gekommen. Das reicht wesentlich tiefer als bis in die Amtsstuben; sonst könnte man es ja mit Kommuniqués korrigieren. Es reicht tief hinab in die Grundstimmung der Völker. Deswegen wird es Langzeitwirkungen haben. Deswegen müssen wir mit äußerster Sorgfalt und äußerster Entschiedenheit die Prioritäten der deutschen Politik wieder in Ordnung bringen. ({8}) Westpolitik muß wieder vor Ostpolitik rangieren. Da hat es doch keinen Sinn, die Journalisten anzuklagen. Es hat doch keinen Sinn, auf das Fieberthermometer einzuschlagen, wenn das Fieber steigt. Herr Bundeskanzler, ich sage noch einmal jenseits aller Polemik: Wenn Sie das Jahr 1961 und die Reaktionen Adenauers darauf hier zum Vergleich heranziehen, dann kann ich - neben allen anderen Unterschieden, die es gibt - nur sagen: Adenauer konnte so reagieren; denn niemand hatte an seiner Verläßlichkeit, an seiner Stetigkeit auch nur den leisesten Zweifel. ({9}) Er hatte Vertrauen. Sie müssen sich fragen, ob Sie es nicht selber mit zu verantworten haben, daß dieses Vertrauen ins Rutschen gekommen ist. Da geht es nicht um die eine oder andere Meinungsverschiedenheit; lassen Sie mich auch das klar sagen. Meinungsverschiedenheiten sind unter freien Nationen selbstverständlich. Meinungsverschiedenheiten hat es zu allen Zeiten gegeben. Man kann sie aushalten und ertragen unter einer Voraussetzung: daß der Grundkonsens stimmt. Aber an diesem Grundkonsens gibt es eben jene Zweifel, an diesem Grundkonsens, den Haig in seiner Berliner Rede so klassisch formuliert hat. - Ich muß Ihnen ganz offen sagen, ich habe mich ein bißchen geschämt, daß ein Amerikaner nach Europa kommen mußte, auf den Kontinent, in dem sich die Idee der Freiheit über Jahrhunderte unter Leid, unter Tränen, unter Opfern Bahn gebrochen hat, um den Europäern Voltaire mit seinem klassischen Satz in Erinnerung zu rufen: Auch wenn Sie eine andere Meinung vertreten, werden wir Ihr Recht zur freien Meinungsäußerung bis zum Tod verteidigen. - Sehen Sie, dies ist die gemeinsame Haltung. Das ist der Grundkonsens, der uns über alle Meinungsverschiedenheiten trägt, der uns verbindet und der nicht weniger wichtig ist als die Kraft der Waffen im Atlantischen Bündnis. Den dürfen wir in unserem Volk nicht verschütten lassen. ({10}) Jetzt komme ich zu den Ausführungen des Herrn Außenministers. Schauen Sie, es geht - das sage ich auch Herrn Brandt, den ich im Augenblick leider nicht sehe - doch nicht um die Frage, ob wir einen Kurs der Besonnenheit in der Außenpolitik treiben sollten oder nicht. Niemand ist gegen einen Kurs der Besonnenheit. Aber Besonnenheit kann Eindeutigkeit der deutschen Politik nicht ersetzen. Hieran hat es gefehlt. ({11}) Es geht auch nicht um die Frage Lautstärke oder nicht, sondern es geht um die Frage Deutlichkeit in der Ansprache des Unrechts und der Unfreiheit. Schade, daß der Kollege Brandt nicht da ist. ({12}) Er, der heute in einer völlig verschobenen Frontstellung so sehr gegen Lautstärke zu Felde zieht, war es, der 1961 - kommen wir noch einmal auf das Beispiel des Bundeskanzlers zu sprechen - erklärt hat: Aber die Regierung der Sowjetunion darf nicht glauben, uns ins Gesicht schlagen zu können, und wir lächelten noch dazu. Das Protokoll verzeichnet lebhaften Beifall bei der SPD. ({13}) Oder noch klassischer damals in der Reaktion auf den sowjetischen Mauerbau: Der Regierende Bürgermeister von Berlin kann nur vor einer Haltung warnen, die eine Prämie für Vertragsbruch, eine Belohnung für Gewalt sein würde. Sie wäre eine Einladung für Ulbricht, die Politik der vollendeten Tatsachen fortzusetzen. Jetzt kommt der geradezu klassische Satz, an den man den Kollegen Brandt heute erinnern müßte: Die Spannung wird nicht verschärft, indem man die Wahrheit sagt, sondern die Spannung wird verschärft, indem einseitige Akte des Unrechts begangen werden. Das genau ist der Kern unserer Auseinandersetzung um die Reaktion auf die von der Sowjetunion zu verantwortende Militärintervention. ({14}) Herr Genscher, Besonnenheit - für die die CDU/ CSU ist - darf doch nicht die Ausrede für Tatenlosigkeit werden. Die CDU/CSU ist jetzt eben der Meinung - das ist genau der wesentliche Unterschied; um ihn brauchen wir nicht herumzureden -, daß nicht nur geredet, sondern daß vom Westen einheitlich und geschlossen auch gehandelt werden muß. Denn wie anders wollen wir die kommunistischen Machthaber dort zum Einlenken bewegen, wenn wir ihnen nicht die Preise deutlich machen, die sie für die anhaltende Unterdrückung zu zahlen haben? ({15}) Das kann doch nur darin bestehen, daß wir abgestimmt, abgestuft und dosiert Maßnahmen anwenden. Da höre ich Herrn Wischnewski vorher sagen: Wer heute nach Sanktionen schreit, ... Sehen Sie, genau das ist es j a, Herr Wischnewski: Ihre Regierung, Herr Genscher und auch Herr Schmidt, unterschreibt in der NATO ein Kommuniqué, in dem ganz eindeutig Sanktionen angekündigt sind. Herr Brandt und Sie wenden sich jedoch am selben Tag gegen die Sanktionen. Und dann verlangen Sie von uns Gemeinsamkeit, wo Ihr eigener Kurs unklar und widersprüchlich ist! ({16}) Herr Genscher, ich habe Herrn Brandt sehr aufmerksam zugehört. Ich habe von den Maßnahmen nichts gehört, von denen Sie behaupten, daß er sie vorgeschlagen hat. Er hat Trauer zum Ausdruck gebracht. Ich möchte das nicht ironisieren; ich möchte es respektieren. Ich nehme es diesem Mann ab; nicht nur ihm. Glauben Sie im übrigen, daß irgendeiner bei uns dieses Gefühl der Trauer nicht empfindet? Nur, die Trauer allein kann doch nicht die Reaktion auf diese Verletzung der Akte von Helsinki sein. Herr Genscher, ich bin Ihnen ja dankbar, daß Sie Helsinki zur Sprache gebracht, in die Debatte eingeführt haben. Nicht Jalta, Helsinki ist das Schlüsselwort, auf das sich die deutsche Politik berufen muß. ({17}) Es ist doch unbestreitbar, daß das, was die polnischen Machthaber tun, Helsinki nun wirklich ins Gesicht schlägt. ({18}) - Herr Wischnewski, jetzt kommen Sie wieder mit Ihrem alten Singsang. Sie haben doch die NATO abgelehnt, den deutschen Verteidigungsbeitrag abgelehnt, die europäische Einigung abgelehnt, und wir reden doch auch nicht immer davon, wenn Sie sich heute darauf berufen. Hören Sie doch endlich mit Ihrer Vergangenheitsbewältigung auf! Sorgen Sie dafür, daß sich die Polen an Helsinki halten, gerade weil Sie es unterschrieben haben! Das ist doch die entscheidende Frage. ({19}) Noch eines, Herr Genscher: Es gibt zwischen uns gar keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß die Verhandlungen in Genf fortgesetzt werden sollen. Es gibt im übrigen auch keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß der KSZE-Prozeß fortgesetzt werden soll. Allerdings erwarten wir natürlich, daß auf dieser Konferenz jetzt auch die polnischen Verhältnisse mit der hinreichenden Deutlichkeit angesprochen werden. Den Bundeskanzler hätte ich gern gebeten, jetzt endlich diesen einen Pappkameraden ein für allemal abzuräumen, den er garade wieder aufgebaut hat, indem er so getan hat, als ob die CDU/CSU gegen Abrüstungsverträge mit der Sowjetunion sei. Ich kann nur sagen: Wer die deutsche Nachkriegsgeschichte liest, wer die Noten Adenauers, wer die Reden Adenauers, wer die Noten Erhards, wer die Noten Kiesingers liest, weiß, daß es keine politische Kraft in diesem Land gibt, die so wie die CDU/CSU leidenschaftlich für Rüstungskontrolle und Abrüstung eingetreten ist. Das ist doch nicht an uns gescheitert; das ist doch an den Sowjets gescheitert, die bis zum heutigen Tag aufrüsten, während sie mit uns über Abrüstung reden. ({20}) Wir haben doch auch Vorleistungen erbracht. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Kollege Wörner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Genscher, ich war einen Moment versucht, nachdem Sie mir heute morgen eine Zwischenfrage abgelehnt haben, gleichermaßen zu reagieren. Aber selbstverständlich kann ich dem Außenminister der Bundesrepublik Deutschland dies nicht abschlagen.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Der Außenminister stellt keine Fragen, sondern der Abgeordnete Genscher. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also dem Abgeordneten Genscher in seiner Eigenschaft als Außenminister, Herr Präsident.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte ein Fragemonopol für den Vorsitzenden Ihrer Partei festgelegt. - Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das habe ich nicht verstanden.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich wollte auf meine Rede zurückkommen. Ich hatte dort eine Frage gestellt; vielleicht können Sie Ihre Rede nutzen, um auf dieses Thema einzugehen. Unter Bezug auf den Antrag, den Ihre Fraktion am letzten Donnerstag im Deutschen Bundestag vorgelegt hatte und in dem davon die Rede war, daß die wirtschafts-und finanzpolitische Zusammenarbeit mit der Volksrepublik Polen ausgesetzt werden sollte, wollte ich Sie fragen, ob das in Abänderung der Meinung des Deutschen Bundestags vom 18. Dezember 1981 heißt, daß in bestehende Verträge eingegriffen werden soll. Oder meinen Sie damit nur die zukünftige, jetzt noch nicht verbindlich vereinbarte Zusammenarbeit?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Genscher, unsere Position ist sehr eindeutig. Sie ist in diesem Antrag ausformuliert. Dieser Antrag stellt eine konsequente Weiterentwicklung unserer Position vom Dezember dar, nachdem sich die polnischen Machthaber bis zum heutigen Tag geweigert haben, ihre eigenen Zusagen einzulösen. Ausgenommen davon sind lediglich Nahrungsmittellieferungen, und die auch nur dann, wenn sie wirklich das polnische Volk und nicht seine Unterdrücker erreichen. ({0})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Abgeordneter Wörner, erlauben Sie eine zweite Frage, des Herrn Abgeordneten Genscher?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt möchte ich weitermachen. ({0}) - Sie lachen! Als mir heute morgen der Herr Außenminister eine Zwischenfrage abgelehnt hat, haben Sie nicht gelacht. Ich beanspruche für mich dasselbe Recht, obwohl ich ihm einmal diese Möglichkeit gegeben habe. Im übrigen wäre ich dankbar, wenn mir das auf die Redezeit angerechnet würde. Nun aber zur zweiten Frage. Die Sicherheit beruht auf unserer Verteidigungskraft. Diese Verteidigungskraft hat auch etwas mit der Stimmung im Bündnis zu tun; denn die Unstimmigkeiten im Bündnis werden durch den Eindruck verschärft, daß die Europäer und insbesondere die Deutschen die Lasten der Verteidigung immer stärker auf die USA abwälzen und nicht mehr genug für die gemeinsame Sicherheit tun. Die entscheidende Frage an die Bundesregierung, und zwar nicht nur an den Verteidigungsminister, lautet: Tun wir noch genug für unsere Sicherheit? Lassen wir zunächst die Fakten sprechen. Seit 1978 haben Sie allein im Beschaffungsbereich um annähernd 25 Milliarden DM gekürzt. Sie haben in über 120 Beschaffungsvorhaben eingegriffen. Das führte den Generalinspekteur der Bundeswehr schon am 1. Juni 1979 zu der Feststellung - ich zitiere -, daß eine Reihe von Aufgaben der Teilstreitkräfte ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch eingeschränkt wahrgenommen werden. Dann heißt es: Das vorliegende Planungsergebnis des Fünfjahresprogramms 1984 ist aus militärischer Sicht die unterste Grenze dessen, was erforderlich ist, um die Fähigkeit der Streitkräfte zur Aufgabenerfüllung mittelfristig entsprechend der erkannten Bedrohung zu erhalten. Nach dieser Feststellung kam es zu drei einschneidenden Streichungsaktionen. Das veranlaßte den Generalinspekteur am 28. Mai 1980 zu der Feststellung - ich zitiere wieder wörtlich -, „daß es nicht mehr möglich ist, innerhalb des vorgesehenen Finanzrahmens eine zweckmäßige, durchführbare, annehmbare Planung zu bewerkstelligen". Der Öffentlichkeit gegenüber betonen der Verteidigungsminister und der Bundeskanzler bei jeder sich bietenden Gelegenheit immer wieder, die Bundeswehr sei und bleibe voll einsatzbereit. Dabei lag dem Verteidigungsminister Anfang Oktober 1980 eine Studie seines eigenen Planungsstabes vor, deren Ergebnisse man als alarmierend bezeichnen muß. Die Studie kommt zu dem Schluß, daß die vorhersehbare Entwicklung der Bundeswehr - jetzt hören Sie gut zu: Das ist nicht die Meinung der CDU/ CSU, sondern die Meinung derer um Herrn Apel herum - dann, wenn Sie offen und ehrlich Bilanz ziehen, ({1}) mit der Zielsetzung der NATO und den Erwartungen der Partner nicht mehr vereinbar ist. Seit der Ausarbeitung dieser Analyse hat sich die Situation erneut verschärft. Es kam zu dem Finanzierungsdebakel des „Tornado", das im übrigen ein bezeichnendes Licht auf die Zustände im Verteidigungsministerium und auf die Führungsqualität des Ministers wirft. Dann kam die Rüstungsklausur 1981; wieder fielen wichtigste Vorhaben dem Rotstift zum Opfer. Danach legen Sie einen Haushalt 1982 vor, in dem die Verteidigungsaufwendungen real sinken. Dabei erklären Sie öffentlich, jetzt aber sei man am Ende der Fahnenstange angelangt. Wenig später kürzt das Kabinett Ihren Haushalt noch einmal um 200 Millionen DM, und Sie nehmen das schweigend hin. Die Koalitionsabgeordneten gehen noch weiter und streichen noch mehr heraus. Sie, Herr Apel, sitzen dabei: kommentarlos, passiv, resigniert. Wir haben mehr und mehr den Eindruck - ich formuliere das einmal sehr milde -, daß es Ihnen offenbar mehr um Ihr eigenes Überleben in diesem Hause, aber nicht mehr - wie jedem anderen Minister - um die Aufgabe, d. h. um Ihren Etat, geht. Sonst würden Sie - wie andere Minister auch - dafür eintreten und fechten. ({2}) Herr Apel, ich möchte Sie jetzt so unpolemisch, wie es in dieser Situation möglich ist, fragen: Wie wollen Sie das mit Ihrer Verantwortung für die Sicherheit nicht nur unserer Republik, sondern auch ihrer Bürger vereinbaren? Wie verträgt sich das mit Ihren Zusagen gegenüber dem Bündnis? Wie verträgt sich das mit dem, was Sie bei jeder Gelegenheit der deutschen Öffentlichkeit erklären? Seit 1979 verfügt das Verteidigungsministerium über keine von der Leitung offiziell genehmigte Programmplanung mehr. Das gibt es in keinem anderen Land der Welt, jedenfalls in keinem westlichen Land. Noch 1979 haben Sie selbst festgestellt: „Planung, eine der Kernaufgaben des Bundesministers der Verteidigung, ist der vorweggenommene Teil politischer und militärischer Führung in der Zukunft." Ich kann dazu nur sagen: Heute arbeiten Sie im wahrsten Sinne des Wortes plan-los; Sie leben von der Hand in den Mund. Jeder Manager, der eine mittlere Industriefirma nach diesen Maßstäben führen würde, würde entweder gefeuert oder aber pleitegehen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. ({3}) Die Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sind sichtbar. Ich habe Urteile aus Ihrem eigenen Hause von allen Inspekteuren notiert, vor allem solche, die intern abgegeben worden sind. Aus Zeitgründen kann ich sie nicht vorlesen. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr - daran besteht kein Zweifel - kann, wie der Generalinspekteur schon vor diesen Streichungen gesagt hat, nicht mehr voll aufrechterhalten werden. Dabei wächst nach Ihren eigenen Darstellungen die Bedrohung. Jedes Jahr unterschreiben Sie im Bündnis neue Kommuniqués. In einem davon heißt es beispielsweise, Sie stellten mit Besorgnis fest, „daß zahlreiche Tendenzen im militärischen Kräfteverhältnis auch weiterhin den Warschauer Pakt begünstigen". Das stammt vom Mai 1979. Im Juni 1980 haben Sie geschrieben: „Das derzeitige militärische Ungleichgewicht droht sich in Europa noch weiter zu verschärfen ... höchste Besorgnis ..." - alles mit Ihrer Unterschrift. Auf der Frühjahrstagung 1981 heißt es: „Wir teilen die tiefe Besorgnis über die anhaltende Bedrohung der Sicherheit und der internationalen Stabilität." So reden Sie im Bündnis. Das sind nicht die Worte der CDU/CSU, das sind Ihre Worte. Sie versprechen jedes Mal feierlich, Ihre Anstrengungen zu erhöhen. Das könnte ich Ihnen auch herunterlesen, ich habe es zusammengeschrieben. Der Bundeskanzler ist bei Herrn Reagan zu Besuch und beschließt im Mai 1981 - da heißt es im Kommuniqué -: „Sie unterstrichen die Entschlossenheit der Bündnispartner, das Erforderliche zu tun, um in Zusammenarbeit mit ihren NATO-Partnern die westliche Verteidigung zu stärken." Das hat Herr Bundeskanzler Schmidt unterschrieben. Aber was geschieht denn in Wirklichkeit? Genau das Gegenteil. Sie haben umgeschaltet - ganz offiziell -, Herr Apel, als erster Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland von der bedrohungsorientierten Planung auf die finanzorientierte Planung. Gefragt wird nicht mehr: „Wieviel brauche ich, damit die Bundeswehr ihre Aufgabe bewältigen kann?", gefragt wird nur noch: „Wieviel kann ich gegenüber den Linken in meiner Fraktion äußerstenfalls noch durchsetzen?" ({4}) Das ist nicht die Frage, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entscheiden darf. Sie haben doch ganz offen vor der Presse erklärt, es handele sich hier um politische Zahlen. Natürlich, Herr Apel. Ich sage das nicht nur Ihnen. Wir sind in einer Aussprache über den Kanzleretat. Ich sage das auch dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Natürlich war zu allen Zeiten die Bedrohung zwar der wichtigste, aber nicht der einzige Maßstab. Selbstverständlich spielte die Frage des finanziellen Machbaren zu allen Zeiten eine Rolle. Wer wüßte das nicht. ({5}) Was machbar ist, entscheidet sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit unseres Staates, der im Haushalt seinen Ausdruck findet. Hier gibt es ganz nüchterne Zahlen. Ich möchte diese Haushaltsdebatte nutzen, um einmal, auch vor der Öffentlichkeit, deutlich zu machen, daß es sich hier nicht um eine Frage der Sparsamkeit handelt. Selbstverständlich kann die Bundeswehr vom Sparen nicht ausgenommen werden. Selbstverständlich muß auch die Bundeswehr sparen. Im übrigen hat sie kräftiger gespart als jeder andere Bereich. Aber hier geht es um etwas ganz anderes. Ich hoffe, es gelingt mir, das sichtbar zu machen: 1967 betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt noch 25,2 %, 1969 noch 23 % des Gesamthaushalts, ({6}) 1974 noch 21,2 %. 1982 dagegen ist dieser Anteil auf 18,4 % abgesunken. ({7}) Jetzt komme ich zur Schlußfolgerung: Obwohl die Finanzkraft des Staates 1969 geringer und der Lebensstandard unserer Bürger niedriger war als heute, haben wir damals prozentual mehr für unsere Sicherheit aufgewendet. Ich sage heute - das muß man einmal vor unserem Volk und zu unserem Volk sagen -: Was in einer Zeit möglich war, als es bei den Leuten und beim Staat finanziell knapper zuging, wäre auch heute noch möglich, vor allen Dingen angesichts der nach Ihrer Meinung gestiegenen Bedrohung. Es ist nur deswegen nicht möglich, weil Sie nicht mehr bereit sind, unsere Sicherheit in der Werteskala des Haushaltes entsprechend ihrem Rang zu veranschlagen. ({8}) Sie messen der Sicherheit nicht mehr den Rang zu, den sie früher hatte. ({9}) - Was heißt, ob ich das glaube! Ich lese es an den Zahlen ab. ({10}) Wir unterhalten uns hier nicht über den Glauben. Damit Sie sehen, daß wir hier nicht alleine stehen, möchte ich ganz kurz zitieren, was zwei fachlich ausgewiesene Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland geschrieben haben. Besser läßt es sich gar nicht ausdrücken. Rüdiger Moniac schreibt: Seit 1970 sank der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt von rund 25 % auf heute 17 %! Apel beklagt das öffentlich, aber er hat nicht den Mut, der eigenen Partei klipp und klar zu sagen, was die Sicherheit des Landes kostet. Und jetzt kommt - ({11}) - Jawohl! Sie haben das völlig richtig geraten. ({12}) Herr Würtz, Sie und ich stimmen hoffentlich in der Bewertung dieses außerordentlich befähigten Journalisten überein. Er schreibt: Damit aber stellt sich nicht nur die Frage, wie sich die Bundesrepublik ihre Sicherheitspolitik und ihren Beitrag im Bündnis vorstellt und welche Priorität sie ihm gegenüber anderen Wünschen und Bedürfnissen zumißt. Es ist weniger eine Frage an den Verteidigungs- oder an den Finanzminister, sondern eine an die Bundesregierung, am Ende an alle den Staat tragenden Parteien. Die Frage nach dem politischen Willen ist es, das sicherheitspolitisch Notwendige zu tun und die dafür erforderlichen Anstrengungen auf sich zu nehmen. Und dann kommt der Satz, den ich übernehmen möchte: Entscheidend ist, ob die Verantwortlichen den Mut und die Kraft finden, der Öffentlichkeit unerwünschte Neuigkeiten zu eröffnen, um deren Unterstützung zu gewinnen. Wir wissen alle, Herr Apel, daß das nicht populär ist. Gerade die CDU/CSU hat sich nie gescheut, diese unpopulären Dinge unserem Volk zu sagen, um der Sicherheit und um des Friedens willen. Weil Sie mit Ihrem alten Lied kommen werden: „Wo sind eure Anträge?", sage ich Ihnen heute: Wir werden Sie unterstützen, auch in unpopulären Dingen, wenn Sie das für die Sicherheitspolitik erforderliche in diesem Hause und im Haushalt vorschlagen. Wir stehen an Ihrer Seite. Nur eines werden wir nicht, eine Aufgabenverteilung akzeptieren, wonach Sie für die Verteilung der Geschenke und der angenehmen Dinge zuständig sind und wir für die Abteilung Unpopuläres und für das Gemeinwohl. ({13}) Es ist für mich eindeutig - und meine Freunde, die Kollegen Würzbach und Stavenhagen, werden das im einzelnen noch darlegen -, daß die Lage in der Bundeswehr heute so ist, daß wir nicht mehr davon ausgehen können, daß die Bundeswehr ihren Auftrag voll erfüllen kann. Ich sage nicht, daß sie ihn nicht erfüllen kann. Ich sage vor allen Dingen nicht, daß diese Armee eine schlechte Armee wäre. Die Schuld an dieser Entwicklung, die den Soldaten am meisten belastet, trägt nicht der Soldat. Die Soldaten zeigen eine bemerkenswerte Leistungsbereitschaft bis zum heutigen Tag. Die Schuld trägt die politische Führung, die dieser Bundeswehr nicht mehr gibt, was sie braucht, um ihren Auftrag durchzuführen. Das ist die nackte Wahrheit, entgegen all dem, was Sie in der Öffentlichkeit sagen. ({14}) Dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Stimmung im Kongreß der USA immer kritischer und immer unfreundlicher wird. Was sich hier anbahnt, ist mehr als gefährlich. Die Kollegen von der SPD, die nach Amerika fahren, wissen das noch genauer als ich. Ich kann und will die vielen, vielen Stimmen, die uns alle besorgt machen - von denen sicher die eine oder andere übertrieben ist -, nicht hier zitieren. Aber eines muß klar sein: In dem Augenblick, in dem der amerikanische Kongreß beschließt, Truppen aus Europa abzuziehen, ist es um unsere Sicherheit geschehen. Ich frage mich dann, wie unsere Bürger ruhig schlafen wollen, wenn die Amerikaner einmal nicht mehr die Garantie dafür darstellen, daß es nicht zum Krieg kommt, weil das Risiko zu hoch ist. Deswegen kann ich nur sagen: Tun wir alles, damit sich diese Stimmung im amerikanischen Kongreß nicht noch weiter ausbreitet. Die Konsequenzen wären verheerend, auch für unsere gesamte Abschreckungsstrategie. Wir könnten unsere Abschreckungsstrategie nicht mehr halten. Sie wird ohnehin immer brüchiger. Die Allergien gegen nukleare Waffen wachsen in unserem Lande. Wir können es j a alle beobachten. Die logische Konsequenz wäre - ich schaue jetzt Herrn Bahr an - eine Verstärkung der konventionellen Verteidigung in Europa. Aber statt dessen geschieht das Gegenteil. Was ist die Folge? Die Lücke klafft immer weiter, und am Schluß bleibt nur noch der Rückzug auf eine Strategie des Alles oder Nichts, der Drohung mit dem großen nuklearen Hammer, an die doch niemand mehr glaubt. Ich phantasiere das nicht daher. Es fällt mir schwer genug, das hier auszusprechen. Eine solche Strategie des Alles oder Nichts - wenn wir zurück müßten zu dieser Strategie der massiven nuklearen Vergeltung als einzigem Rettungsanker - würde Europa hilflos machen, allen Erpressungen preisgeben. Krisenanfällig würde Europa und instabil. - Nicht irgendeiner, sondern Kissinger hat das zum Ausdruck gebracht. Und er hat damit gesagt, was auch viele in der Regierung der USA denken. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: Es besteht die große Gefahr, daß sich die atlantischen Nationen sowohl strategisch als auch diplomatisch entwaffnen. Wenn die Europäer das Konzept eines begrenzten nuklearen Krieges für die regionale Verteidigung ablehnen, und wenn die Partner auf beiden Seiten des Atlantik sich weigern, eine konventionelle Verteidigung aufzubauen, die ein Ersatz dafür sein könnte, wie wollen wir dann wohl der Erpressung oder der Demoralisierung entgehen? Wenn es also keine klar umrissene Theorie für eine gemeinsame Verteidigung gibt, wie lange wird der US-Kongreß unter diesen Umständen wohl noch erlauben, daß die USA in Europa eine Streitmacht von 350 000 Soldaten unterhalten? Zu welchem Zweck auch? So fragt Kissinger. Sind sie da, um unsere Verbündeten zu verteidigen oder nur als Abzugshebel für die Auslösung unseres Vergeltungspotentials? Früher oder später wird irgend jemand fragen, warum wir unsere größte Streitmacht eigentlich in einem Gebiet unterhalten, wo offenbar niemand an die Möglichkeit einer lokalen Verteidigung glaubt. Das ist mehr als ein Warnsignal - ich sage es noch einmal, weil Kissinger das ausspricht, was andere, auch in der Regierung, denken. Und deswegen gibt es gar keinen anderen Weg, wenn wir unsere Sicherheit erhalten wollen, wenn unsere Abschreckung glaubhaft bleiben soll, als unsere konventionelle Verteidigung zu verstärken. Dazu allerdings gehört nicht nur Finanzielles. Dazu gehört vor allen Dingen, daß wir in unserer Bevölkerung um Verständnis werben für die Männer, die den Uniformrock anziehen, insbesondere für unsere jungen Wehrpflichtigen. Dazu gehört, daß wir diese jungen Wehrpflichtigen auch in der Zukunft ihre Verpflichtung öffentlich, vor unserem Volk, ablegen lassen. Wenn andere demonstrieren, sollen sie für die Freiheit, den Frieden und die Verteidigung demonstrieren dürfen. ({15}) Ich habe mit großer Aufmerksamkeit das gehört - und ich will es nicht madig machen -, was Brandt hier heute morgen zur Bundeswehr gesagt hat. Nur sage ich Herrn Wehner, Herrn Brandt und allen Kollegen von der SPD, die hier sitzen: Sorgen Sie dafür, daß diese Worte, goldene Worte, auch in Ihren Ortsverbänden, auch in Ihren Kreisvereinen endlich einmal durchgesetzt werden; denn draußen bekämpfen Mitglieder der SPD gerade auch die Soldaten der Bundeswehr und die Wehrpflichtigen. ({16}) Ich meine also, daß es entscheidend ist für den Widerstandswillen, für den Freiheitswillen in unserem Volk, daß wir Schluß machen mit der Demoralisierung, Schluß machen auch mit dem Nicht-mehr-aussprechen-Wollen, mit dem Nicht-mehr-Wagen, die Dinge anzusprechen, daß wir Schluß machen mit einer Haltung, die die Soldaten und nicht nur die Soldaten, sondern die ganze junge Generation, verwirren muß. Ich möchte zu Ehren der jungen Generation, zu Ehren gerade auch der jungen Wehrpflichtigen sagen, daß sie weit besser sind als ihr Ruf, daß sie ihre Pflicht erfüllen, daß sie bereit sind, sich für diesen Staat einzusetzen, allerdings unter der einen Voraussetzung, daß man ihnen deutlich macht, daß Demokratie und Diktatur nicht das gleiche sind, daß es sich lohnt, sich für die Freiheit und für die Demokratie einzusetzen, daß wir also dieses wertgleiche Nebeneinanderstellen der Amerikaner und der Sowjets endlich einstellen ({17}) und dazu zurückkehren, zu sagen: Bei all dem, was wir auch an den Amerikanern zu kritisieren haben, bei all dem, was die auch an Fehlern machen - wir sind schließlich freie Partner und dürfen das auch in aller Ruhe einmal ausdrücken -, gibt es aber eben den einen großen Unterschied, daß man im Bündnis mit den Amerikanern als freier Mensch, also in Freiheit leben kann, während man dies mit den Sowjets nicht tun kann. Solange - nur das ist der Sinn der Kritik Zimmermanns an der Sicherheitspartnerschaft - die Sowjets aufrüsten und die Freiheit unterdrücken, so lange können sie nicht Partner sein. Es liegt an ihnen. Wir wollen sie als Partner; dann müssen sie aber zu Helsinki stehen, zu den Menschenrechten stehen und die Menschen so leben und arbeiten lassen, wie sie das wollen, nämlich in Freiheit. ({18}) Deshalb bitte ich den Kanzler - obwohl er sicher in guter Absicht über die Angst redet - herzlich, nicht mehr über die Angst zu reden, sondern den Leuten Mut zu machen, und zwar durch das Beispiel einer mutigen Politik. Hätte Adenauer in den 50er und 60er Jahren dauernd über die Angst philosophiert, dann wäre die Bundesrepublik Deutschland, dann wären die Bürger der Bundesrepublik Deutschland niemals sicher und frei geblieben. Er hat Mut durch Taten und Vorbild gezeigt. So müssen Sie es machen. Das ist das Beispiel, dem Sie nach meiner Auffassung folgen müssen. ({19}) Ich fasse zusammen. Wichtiger als alles andere ist in der gegenwärtigen Situation eine dreifache Politik, zum einen eine Politik der Geschlossenheit im Bündnis - das heißt: die Wiederherstellung eines klaren Vorrangs der westlichen Politik -, zweitens die Wiederherstellung unserer Sicherheit durch stärkere Anstrengungen zu einer glaubwürdigen konventionellen Verteidigung und drittens die Rückkehr zu einem Kurs richtig verstandener Entspannung, der die Menschenrechte in den Vordergrund stellt. Helsinki und nicht Jalta ist die Richtschnur der deutschen Politik. Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland eine solche Politik betreiben - klar, fest, besonnen, auch gemäßigt im Ton, aber entschieden im Kurs -, braucht den Menschen in unserem Lande weder um den Frieden noch um die Freiheit bange zu sein. Dann braucht niemand Angst zu haben. Dann werden wir auch noch in zehn oder in 20 Jahren in Frieden und Freiheit leben können. - Danke schön. ({20})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Schäfer das Wort.

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt zu dieser späten Stunde sehr schwer, in dieser Debatte noch wesentlich Neues zu sagen. Ich will mich darum bemühen, denn allmählich besteht der Eindruck einer permanenten Wiederholung von Themen, die nicht nur heute hier abgehandelt worden sind, sondern auch schon am vergangenen Donnerstag. Ich glaube, es bedarf vielleicht noch einiger, wenn Sie so wollen, Zutaten zu dem, was hier dargestellt worden ist. Schäfer ({0}) Ich darf zunächst einmal auf das eingehen, was Herr Kollege Dr. Kohl hier an Widersprüchen bei meiner Partei, bei der FDP, festgestellt hat. Herr Dr. Kohl, es kommt vor, daß man gelegentlich laut denkt - daß die Presse das sehr schnell erfährt, wissen Sie auch aus den Sitzungen Ihres Bundesvorstandes - und daß dann der Schluß gezogen wird, man wisse nicht, was man wolle, obwohl man sich überlegt, was man will. Ich habe aber den Eindruck, daß die Widersprüche, die Sie hier dargestellt haben, nicht ganz zutreffen. Hier ist insbesondere der Generalsekretär meiner Partei erneut zitiert worden. Er hat sich ausnahmsweise weder gestern noch heute zu dem Thema der Wirtschaftspolitik geäußert, auf das Sie sich bezogen haben. Somit haben Sie ihn falsch zitiert. Aber, Herr Dr. Kohl, es gibt j a auch Widersprüche bei Ihnen. Herr Dr. Kohl, in der Rede, die Sie am Donnerstag hier gehalten haben, haben Sie festgestellt - und Herr Abelein und einige andere Redner haben das auch getan -, daß die deutsche Außenpolitik ach so schlimm sei. So wurde z. B. von Herrn Abelein gesagt: diese Außenpolitik ist nicht vorausschauend, sie entbehrt der Klarsicht und der Eindeutigkeit. Und es wurden alle möglichen schlimmen Vergleiche gezogen. Es wundert mich, Herr Dr. Kohl, daß der Generalsekretär der CDU gerade vor wenigen Tagen erklärt hat, wie übereinstimmend die Außenpolitik Ihrer Partei und die Außenpolitik der FDP sei. Widersprüche gibt es also auch bei Ihnen, und wir sollten sie uns hier nicht gegenseitig dauernd vorhalten. Herr Wörner hat hier zuletzt wieder davon gesprochen, der Zusammenhalt des Atlantischen Bündnisses sei eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Sicherheit unseres Landes. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, zu dem deutsch-amerikanischen Verhältnis, das hier immer wieder in düsterer Weise beschrieben worden ist, noch einige Ausführungen zu machen. Was hat sich eigentlich abgespielt? Es ist keine Frage, daß es im deutschamerikanischen Verhältnis atmosphärische Störungen gibt. Das bestreitet hier niemand. Aber diese Störungen haben j a eigentlich schon mit dem eingesetzt, was amerikanische Kritiker oder sogar Mitglieder der amerikanischen Regierung uns gegenüber als die „Rhetorik der frühen Monate" - „the rhetoric of the early months" - bezeichnet haben, für die sie sich entschuldigen. Es gab j a wechselseitige Verunsicherungen, ausgelöst durch widersprüchliche Aussagen amerikanischer Regierungsvertreter, Aussagen, daß es zunächst notwendig sei, die Rüstung zu verstärken und dann möglicherweise zu verhandeln. Es gab andere Aussagen. Es gab einsame Beschlüsse über die Produktion der Neutronenbombe. All das hat hier natürlich schon zu gewissen Verunsicherungen geführt. Es gab dann natürlich auch - das ist noch gar nicht angesprochen worden; ich darf deshalb einmal darauf zurückkommen - Verunsicherungen durch die neue Politik der Vereinigten Staaten gegenüber der Dritten Welt. Meine Damen und Herren, es ist sehr schwierig, wenn sich bei jedem Wechsel eines amerikanischen Präsidenten die Außenpolitik zunächst einmal über ein Jahr gar nicht bewegt und dann möglicherweise in genau der entgegengesetzten Richtung zu der Politik, die der frühere Präsident verfolgte. Es fällt auch den Bündnispartnern schwer, sich ständig darauf einzustellen. Ich habe hier in einer Rede schon einmal gesagt: Ich glaube, unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist ein bißchen anders als das Verhältnis unseres östlichen Nachbarn zur Sowjetunion. Ich glaube, daß wir auch Kontroversen mit einem Freund austragen können, dann nämlich, wenn Grundsätze unserer Politik - und ich darf nachher noch etwas sagen zur Politik gegenüber der Dritten Welt - in den Vereinigten Staaten plötzlich nicht mehr so gesehen werden wie noch unter der Regierung Carter. Die Regierung Reagan ist angetreten mit dem Grundsatz: „Wir wollen die Verstimmungen mit den Europäern, die es bei Carter gegeben hat, in Zukunft vermeiden." Leider ist das nicht eingetreten. Dazu haben, glaube ich, nicht nur wir beigetragen. Wenn z. B. der frühere Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten die Entspannung einen „totalen Fehlschlag" genannt hat, kann er natürlich nicht erwarten, daß wir bereit sind, ihm zu folgen. Ich habe festgestellt, daß er inzwischen ja auch nicht mehr diese Position einnimmt; das mag man hier vielleicht auch einmal frecherweise sagen dürfen. Wenn sich frühere Sicherheitsberater amerikanischer Präsidenten jetzt hervortun, sich profilieren wollen durch eine Kritik an Deutschland, wenn gesagt wird, es gebe bei uns wieder einen neuen Nationalismus, wir bewegten uns weg aus dem Atlantischen Bündnis, wir wollten die Wiedervereinigung möglicherweise auf Kosten unserer Mitgliedschaft in der NATO, dann sollte man vielleicht - ein Rat an die deutsche Bundesregierung - den Herren Gelegenheit geben, dieses Land einmal zu besuchen, sich hier mal umzutun und nicht vom grünen Tisch ihrer Universitäten aus solche Urteile zu fällen. Ich habe den Eindruck: Wenn sich Herr Brzezinski, Herr Allen und auch Herr Kissinger mal wieder in der Bundesrepublik Deutschland umtäten und vielleicht Gespräche führten, kämen sich zu dem Schluß, daß sie sich nicht ständig an kleinen Minderheiten orientieren dürfen, sondern orientieren sollten an der Mehrheit dieses Volkes. Und es gibt doch überhaupt keinen Zweifel, daß die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nach wie vor steht zum Atlantischen Bündnis und zur Freundschaft mit den Vereinigten Staaten. Meine Damen und Herren, die Kritik an den Demonstrationen in der Bundesrepublik ist sicher berechtigt, wenn man sagt: Es wird gegen noch nicht aufgestellte Raketen demonstriert, es wird aber nicht gegen bereits aufgestellte Raketen demonstriert. All das hören wir drüben, und wir haben auch versucht, deutlich zu machen, daß hier bestimmte Zusammenhänge mit der Angst bestehen, Herr Wörner, die natürlich nicht von ungefähr kommt. Ich glaube, in dem Zusammenhang muß man einmal sehr deutlich sagen - das sagen nicht nur wir, sondern das sagen auch amerikanische Journalisten, die sich mit der amerikanischen Politik kritisch auseinandersetzen -: Es wäre natürlich sehr gut und sehr wohltuend für die kritischen jungen Leute hier Schäfer ({1}) in diesem Lande und in den Vereinigten Staaten, wenn die amerikanische Regierung auch einmal ein Zeichen der Entschlossenheit bei der Verteidigung der Menschenrechte in einigen Ländern setzen würde, die ihnen benachbart sind. Vielleicht haben Sie die Ausführungen gelesen, die der amerikanische Journalist Anthony Lewis in diesen Tagen in der „New York Times" veröffentlicht hat. Auch in Amerika mehren sich die Stimmen, die die Glaubwürdigkeit des westlichen Bündnisses gefährdet sehen, aber nicht etwa dadurch, daß wir gegenüber Polen nicht einheitlich reagieren, sondern dadurch, daß Reaktionen gegenüber ähnlichen Ereignissen in der Dritten Welt, speziell auch in Latein- und Mittelamerika, bis zur Stunde leider ausgeblieben sind. Ich möchte hier den Lewis-Vergleich wiederholen: Es geht darum, daß ein Militärregime versucht, die Mehrheit der Bevölkerung zu knebeln, und einen Kriegszustand ausruft. Man darf das natürlich nicht nur bei Polen brandmarken, sondern man muß das auch im Fall El Salvador tun, oder man könnte einen Vergleich zwischen Polen und Guatemala ziehen. Heute vormittag haben Vertreter der katholischen Kirche in El Salvador, wie Sie den Nachrichten entnehmen konnten, in einem Interview in Mexiko festgestellt, daß seit dem Regierungsantritt der Militärjunta in diesem Land 30 000 Menschen ermordet worden sind, sicher nicht nur von der Militärjunta, aber zum großen Teil mit ihrer Billigung. Da muß man sich die Frage stellen, wie wir als westliches Bündnis erscheinen, die wir auch ethische Forderungen stellen - Freiheit, Recht zu verteidigen -, wenn wir auf der einen Seite sagen, daß wir härtere Maßnahmen, Sanktionen gegen Polen ergreifen müßten - darüber kann man streiten - und auf der anderen Seite zu Vorkommnissen schweigen, die schlimmer als das sind, was sich in Polen abspielt? ({2}) Das hat hier noch niemand gesagt, und ich glaube, wir sollten das einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Das gilt auch für den sogenannten Boykott. Es gibt, glaube ich, hier im Hause, Einvernehmen darüber, daß z. B. ein totaler wirtschaftlicher Boykott gegen die Republik Südafrika nicht in Frage kommen kann. Ich darf Ihnen sagen, daß ich vor wenigen Tagen in Afrika mit einem afrikanischen Außenminister gesprochen habe, der mir folgendes gesagt hat: Sie vertreten jetzt wieder den Standpunkt, daß der Wirtschaftsboykott gegen Südafrika nichts nutzen wird, daß wir langsam, gemessenen Schrittes, besonnen, wie Sie sagen, bemüht sein sollten, die unerträglichen Zustände in diesem Staat abzubauen. Er hat mir dann die Frage gestellt: Warum sind Sie dann eigentlich für einen Boykott gegenüber der Sowjetunion und gegenüber Polen, wenn Sie auf der anderen Seite erklären, daß ein Wirtschaftsboykott ineffektiv ist? Ich möchte diese Frage an die CDU weitergeben, und ich möchte sie mit einer Wiederholung der Frage verbinden, Herr Wörner, die der Herr Bundesaußenminister an Sie vorhin gestellt hat, die Sie nicht beantwortet haben. Sie haben auf die Frage, was Sie unter der „Aussetzung" von Verträgen verstehen, ob damit ein Eingriff in bestehende Verträge gemeint ist, keine Antwort gegeben. Ich möchte die Frage an die CDU/CSU wiederholen: Was wollen Sie mit Ihrem Antrag, was meinen Sie mit dem Begriff „Aussetzung"? Herr Wörner, was meinen Sie mit dem Begriff „Tatenlosigkeit"? Wir sind für Kritik und auch für Gemeinsamkeit immer dankbar. Nur frage ich mich, warum Sie hier nicht ein bißchen konkreter werden und sagen, welche konkreten Taten Sie eigentlich erwarten, um die Situation in Polen zu verbessern. ({3}) Diese Antwort hat Herr Kohl nicht gegeben. Ich habe seine Rede sehr genau nachgelesen. Er hat davon gesprochen, man müsse hier wirtschaftliche und politische Maßnahmen treffen. Aber es genügt in diesen Fragen einfach nicht, zu zitieren, auf Herrn Adenauer, dieses und jenes zu verweisen und die Antworten auf das schuldig zu bleiben, was nun eigentlich konkret geschehen soll. Bitte sagen Sie uns das! Wir lassen gern mit uns reden. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn in der heutigen Diskussion ausschließlich von Polen und vom Bündnis mit den Vereinigten Staaten die Rede war, wenn es um Außenpolitik gegangen ist, sollte man auch die Frage stellen: Was können wir tun, um die atmosphärischen Störungen, die sich natürlich auch auf Grund der Ereignisse in Polen eingestellt haben, zu verbessern? Ich bin der Auffassung, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten sicher nicht dadurch verbessert werden kann, daß der amerikanische Etat ausgerechnet an Stellen gekürzt wird, wo Möglichkeiten bestehen, den Austausch zwischen Politikern und Institutionen zwischen der Bundesrepublik, zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu fördern. Wir haben das den Amerikanern in Gesprächen gesagt auf die Frage: „Was können wir tun, um diese sogenannte antiamerikanische Stimmung in Europa wirksamer zu bekämpfen?" Wir haben gesagt: „Bitte, kürzen Sie nicht Ihr Budget, ermöglichen Sie es mehr Studenten, mehr Professoren und mehr Politikern, miteinander ins Gespräch zu kommen, damit unsinnige Vorurteile, wie sie von bestimmten Journalisten immer wieder angeheizt werden, verschwinden!" Es muß in dem Zusammenhang auch einmal gesagt werden, daß es in den Vereinigten Staaten zwischen Journalisten und Journalisten Unterschiede gibt. Es ist doch nicht so, als hätte die amerikanische Presse geschlossen die Feststellung getroffen, daß sich die Europäer abwendeten. Leider wirkt sich - und ich sage das hier mit einem gewissen Gefühl des Bedauerns - bei einigen Journalisten die Tatsache, daß ihnen die europäische Nah-Ost-Politik seit Venedig nicht mehr paßt, auf das aus, was sie jetzt über Deutschland schreiben. Das muß man einmal sehr deutlich sagen. Ich finde das sehr bedauerlich. Ich will hier nicht deutlicher werden. Aber ich glaube, daß es in den Vereinigten Staaten immer noch Jour4544 Schäfer ({5}) nalisten genug gibt, die durchaus differenziert urteilen und die wissen, daß die Angst, die Friedensbewegung und die Bewegung gegen Nuklearwaffen und Atomreaktoren keineswegs auf Europa beschränkt sind. In Amerika bilden sich solche Organisationen auch. Es wäre vielleicht eine Entlastung für uns, wenn diese Organisationen, die zum Teil an europäischen Vorbildern ausgerichtet sind, die amerikanische Regierung vor genau die gleichen Probleme stellten wie uns. Ich glaube, man kann nicht einfach so tun, als gäbe es Friedensangst nur in Europa und als gäbe es in den Vereinigten Staaten grundsätzliche Befürwortung aller Tendenzen der Politik des gegenwärtigen Präsidenten. Das ist nicht richtig. Meine Damen und Herren, mich hat natürlich auch ein bißchen beunruhigt, wenn ich heute z. B. lese, daß man im Kongreß wieder überlegt, im nächsten Jahr über 800 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen, um B- und C-Waffen verstärkt herzustellen. Das sind doch die Aussagen, die hier in Deutschland zu dieser Verunsicherung führen, Herr Wörner! Mir wäre es sehr lieb, wenn man einmal feststellen könnte, wieviel Geld verwendet wird, um die katastrophalen Wirkungen von B- und C-Waffen zu verhindern, statt ständig neue Waffen zu produzieren und damit natürlich genau den Kräften in der Bundesrepublik und in der Welt Auftrieb zu geben, die Sie zu Recht kritisch angesprochen haben. ({6}) Ich glaube, unter Verbündeten muß doch auch einmal die Frage erlaubt sein und gestellt werden, ob das dazu beitragen wird, daß solche Störungen, daß Demonstrationen vermieden werden können. Ich glaube, das ist ein Punkt, der viel zu wenig diskutiert wird. Meine Damen und Herren, wir sollten, ausgehend von der Bemühung um Verständnis zwischen den Vereinigten Staaten und uns, jede Chance nutzen, und wir sollten uns nicht nur an den kritischen Stimmen orientieren, sondern wir sollten hier auch Vertrauen haben, daß deutsche Außenpolitik in den Vereinigten Staaten zum Teil sehr positiv beurteilt wird, gerade auch die Dritte-Welt-Politik. Ich meine, es ist sehr unrichtig, wenn hier von Kreisen der Opposition gesagt wird, diese Außenpolitik sei schlecht, oder gar, sie sei gescheitert. Ich kann immer nur den Rat geben: Erkundigen Sie sich doch bitte einmal in den Ländern der Dritten Welt, wie sich die Beurteilung der deutschen Außenpolitik wohltuend abhebt von der Beurteilung der Außenpolitik anderer Staaten im westlichen Bündnis. ({7}) Es ist hier sehr viel von Gemeinsamkeiten gesprochen worden. Ich bin sehr dankbar, daß auch Herr Kohl und die anderen Redner der Opposition gesagt haben: Der Entspannungsprozeß muß weitergehen. Das würde ihnen möglicherweise von einigen amerikanischen Kritikern schon gar nicht mehr so positiv angerechnet. Das heißt natürlich - und ich glaube, da kann man heute Einverständnis feststellen -, daß eben die Verhandlungen in Genf weitergehen sollen, daß heißt, daß der KSZE-Prozeß nicht abgebrochen werden darf; und das heißt natürlich auch, daß es in einer solchen Stunde des Zusammenhaltens und des Zusammenstehens in Europa darauf ankommt, daß nationale Egoismen in der Europäischen Gemeinschaft vor dem geschlossenen Handeln dieser Gemeinschaft, Europa nach vorn zu bringen, zurücktreten: hier hat der Bundesaußenminister mit seiner Initiative, seinem Versuch, Europa auch politisch wieder stärker nach vorn zu bringen, einen, wie ich glaube, beachtlichen Schritt getan. Es kommt jetzt darauf an, daß sich die Außenminister einigen, daß der sich abzeichnende Kompromiß zustande kommt und daß solche nationalen Egoismen zurücktreten. Sonst sind all die Beschwörungen von Gemeinsamkeit im Grund genommen leere Floskeln. ({8}) Ich habe vorhin gesagt, es wäre sehr gut, wenn wir gelegentlich ein Zeichen der Entschlossenheit hätten, die Menschenrechte auch dort zu verteidigen, wo keine Kommunisten regieren, und wenn wir in der Presse nicht nur unserer Länder, sondern auch der Vereinigten Staaten nicht nur über den Fall Sacharow lesen würden, sondern vielleicht gelegentlich auch einmal etwas über die Frau des seit 20 Jahren inhaftierten südafrikanischen Führers Mandela, die gerade aus dem Bann entlassen, am selben Tag wieder verhaftet und in den Bann gesetzt worden ist. Davon lesen Sie hier leider wenig. Wenn Sie in die Dritte Welt reisen, müssen Sie sich immer wieder fragen lassen: Ist das wirklich eine eindeutige Politik, oder ist das nicht doppelte Moral, wenn der Westen hier schweigt und sich in seiner Kritik an der Nichtbeachtung der Menschenrechte ausschließlich an die kommunistischen Staaten wendet - was wir j a tun, indem wir anprangern, was aber nicht ausreicht, um uns als glaubwürdig erscheinen zu lassen, wenn wir das in der Dritten Welt immer wieder nur sehr zahm tun. ({9}) Und bei allen Beschwörungen, die wir hier veranstalten, genügt es, glaube ich, nicht, uns - gerade beim Dialog mit der Jugend - auf Sicherheit und Freiheit und auf all diese Begriffe zurückzuziehen, so schön sie sind, so wichtig sie für uns sind, so sehr wir entschlossen sind, Herr Wörner, sie zu verteidigen, und so sehr wir natürlich auch für diese Bundeswehr eintreten. Ich glaube, es kommt für diese Jugend darauf an, daß der Westen glaubwürdig agiert und daß dieses NATO-Bündnis in seinem ethischen Gehalt überall und nicht nur an einer Stelle entschieden vertreten wird. ({10}) In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch überlegen, inwieweit wir hier noch voller Geduld warten können, bis z. B. die Republik Südafrika sich geneigt zeigt, die Freiheit Namibias herzustellen. Ich sage das ganz bewußt, weil das ein Punkt ist, der zur Zeit vielleicht bei uns nicht so sehr im Vordergrund steht, aber auf anderen Kontinenten - Herr Kollege Köhler ist inzwischen gekommen; er wird mir das als großer Afrikakenner sicher freundlicherSchäfer ({11}) weise bestätigen können - nach wie vor eine ganz entscheidende Rolle spielt, etwa wenn Sie sich mit Politikern dieses Kontinentes unterhalten. Ich glaube, wir können nicht mehr lange zögern. Die Ungeduld in diesen Ländern wächst. Der Westen muß auch hier Tatendrang zeigen, Herr Kollege Wörner, damit wir nach langen Bemühungen und Kompromißvorschlägen jetzt dahin kommen, daß endlich ein Ende abzusehen ist und daß dieses Land als letztes Land Afrikas unabhängig wird. Wir müssen uns mit der Republik Südafrika auch mit den geeigneten Mitteln auseinandersetzen, damit endlich Rassismus und Kolonialismus verschwinden und damit in Südafrika die gleichen Menschenrechte gelten, wie sie die Staaten des NATO-Bündnisses verteidigen. Ich glaube, das dürfen wir gegenüber einem befreundeten Staat doch noch mehr fordern, als wir es gegenüber kommunistischen Staaten hier Tag für Tag tun. ({12}) Ich weiß, Herr Kohl hat gesagt, Sie seien weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind. Ich bin dafür dankbar, Herr Jäger, obwohl ich bei Ihnen gelegentliche Blindheiten feststelle. Aber ich hoffe und ich weiß ja auch von unserer gemeinsamen Arbeit im Auswärtigen Ausschuß, daß die Gegensätze, die hier im Plenum so lauthals beschworen werden, merkwürdigerweise im Ausschuß gar nicht mehr so deutlich sind und daß die sachliche Zusammenarbeit im Ausschuß viel klarer ist. Ich bin immer wieder überrascht, wenn die Herren, die keinem Ausschuß angehören, hier die großen Gegensätze entfalten und wir das hinterher in mühseliger Kleinarbeit auszubaden haben. Meine Damen und Herren, der große Appell an die Gemeinsamkeit dieses Hauses - ich schließe mich ihm an - muß eben auch heißen: Gemeinsamkeit in einer schwierigen außenpolitischen Lage, statt zu versuchen, diese außenpolitische Situation wiederum als Wahlkampfthema zu mißbrauchen und für innenpolitische Spielchen zu benutzen. Ich glaube, die Lage ist dazu zu ernst. Insofern meine ich, daß wir heute am Abend, nachdem sich die Situation etwas entspannt hat und es nicht wie bei der erregten Polen-Debatte Pfuirufe gegeben hat, vielleicht einen neuen Anfang suchen sollten. Zumindest in unserem Ausschuß wird diese sachliche Arbeit, davon bin ich überzeugt, fortgesetzt. Ich glaube nicht, daß in diesem Ausschuß solche Gegensätze herrschen, wie sie hier ständig an die Wand gemalt werden. - Vielen Dank! ({13})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat der Bundesminister der Verteidigung das Wort.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Herr Abgeordneter Wörner, Sie haben gesagt, wir sollten mit äußerster Sorgfalt argumentieren. Ich wäre sehr froh gewesen, wenn es Ihnen gegeben gewesen wäre, diesem eigenen Vorsatz gerecht zu werden. Denn in der Tat kommt es darauf an - nicht nur im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, sondern auch hinsichtlich der Fähigkeiten, der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und ihrer Probleme -, mit äußerster Sorgfalt zu argumentieren, nicht zuletzt deswegen, damit wir keine falschen Signale geben, weder in die eine noch in die andere Richtung. Nun werde ich mich nicht mit dem auseinandersetzen, was Abfallprodukt des Dokumentenberges des Untersuchungsausschusses Tornado ist. Stichworte wie „25 Milliarden DM Kürzung" oder „Planungsprobleme" sind Dinge, die aus dem Zusammenhang herausgerissen sind. Sie gehören in den Kontext Tornado und werden in dem Zusammenhang sicherlich im März hier im Deutschen Bundestag zu besprechen sein. Herr Abgeordneter Dr. Wörner, ich möchte jetzt konkret werden, und insofern leite ich zu einer detaillierteren Betrachtung des Verteidigungshaushalts über. Ich möchte mit Ihnen, meine Damen, meine Herren, konkret darüber reden, was wir auf der Hardthöhe darüber meinen, wie die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu beurteilen ist, wie es mit dem Ausbildungsstand heute und in der Zukunft steht. Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, daß Ausbildungsstand, Einsatzbereitschaft und Motivation unserer Soldaten heute wie in der Vergangenheit - und zwar nicht nur national, sondern auch international - als gut, j a sogar als sehr gut bezeichnet werden. Diese Aussage stützt sich auch auf Fakten. Es kann nicht bestritten werden - wer will es eigentlich bestreiten -, daß wir den Verteidigungsetat im letzten Jahrzehnt Jahr für Jahr nominal angehoben haben. Gewiß gab es dabei beträchtliche Schwankungen. Dies liegt aber daran, daß sich - Herr Abgeordneter Wörner, da muß ich auf ein ökonomisches Problem aufmerksam machen, das Sie falsch sehen - natürlich auch die Verteidigungsausgaben in die Haushaltssituation einpassen müssen. Verteidigungsminister Strauß hat im Haushaltsjahr 1968 in der Großen Koalition die Verteidigungsausgaben nominal um 12,6 % abgesenkt. ({0}) In dem Jahrzehnt von 1970 bis heute hat es niemals eine nominale Absenkung gegeben. Im Gegenteil, wir haben in diesem Jahrzehnt unsere Verteidigungsausgaben Jahr für Jahr real durchschnittlich um 2,8 % gesteigert. ({1}) Insofern ist der Gegensatz, nämlich jetzt finanzwirtschaftlich und nicht mehr bedrohungsgerecht und früher allein bedrohungsgerecht geplant, doch konstruiert. Es hat niemals eine Situation gegeben, in der nur bedrohungsgerecht geplant und dann auch finanziert werden konnte, weder bei Herrn Strauß noch bei seinem Vorgänger. Es hat niemals eine Situation gegeben, in der der Verteidigungsetat ausschließlich finanzwirtschaftlich gestaltet wurde. Nehmen Sie doch nur das Haushaltsjahr 1982. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis: Der Gesamtetat steigt um 2,8 v. H. nominal. Um das Haushaltsdefizit in Grenzen halten zu können, wird sogar in soziale Besitzstände eingeschnitten. Der Verteidigungsetat steigt um nominal 5,2 %. Hier wiederholt sich das Bild des Haushaltsjahres 1981: In schwierigster ökonomischer und sozialer Umgebung steigen die Verteidigungsausgaben deutlich überproportional: 2,8 % Steigerungsrate des Gesamthaushalts 1982, 5,2 % bei der Verteidigung. Da kann ich den Vorwurf überhaupt nicht akzeptieren, hier werde nur finanzwirtschaftlich geplant. Ich komme zum Ergebnis, daß die Bundeswehr, wenn auch unter erschwerten Bedingungen - das wird im einzelnen noch darzustellen sein -, ihrem Auftrag entsprechen kann. Herr Wörner, ich werde Sie nicht auf die Anträge ansprechen, die hier fehlen. Sie sagten, ich werde das wohl tun. Ich tue das nicht. ({2}) Aber ich möchte einen anderen Widerspruch ansprechen. Man kann doch nicht vormittags in der Haushaltsberatung den Grundsatz verkünden, die konsumtiven Ausgaben müßten herunter und die investiven Ausgaben hinauf - das sei das hehre Prinzip der Haushalts- und der Finanzpolitik der Unions-Parteien -, und dann nachmittags, wenn es um die Verteidigungsausgaben geht, plötzlich völlig anders argumentieren. Außerdem muß ich fragen: Wo sind denn eigentlich die grundsätzlichen Ansätze Ihrer Haushaltspolitik gewesen? Möchten Sie mehr für Soldaten und weniger für Waffen ausgeben? Möchten Sie mehr für den Betrieb und weniger für Waffen ausgeben? Wie stehen Sie zu den Strukturproblemen des Verteidigungsetats? Hierzu hat es von Ihnen bisher keine Aussage gegeben - das mag in der Debatte ja noch kommen -, aber das ist wichtig. Ich wünsche mir jedenfalls, daß Sie Ihre Pflichten als Opposition ernst nehmen und uns Auskunft über Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Struktur des Verteidigungsetats heute und in der Zukunft geben. Herr Abgeordneter Dr. Wörner, dann kam wieder das Horrorgemälde über die Bundeswehr. Erinnern wir uns doch einmal an das zurückliegende Haushaltsjahr. Da war es doch auch so, daß im Plenum ununterbrochen verkündet wurde, bei der Bundeswehr lägen in Kürze Räder, Ketten, Turbinen, Schiffe still, wir entsprächen nicht unseren vertraglichen NATO-Verpflichtungen, wir müßten Übungen absagen, auf Ausbildung verzichten. Heute wissen wir, Herr Wörner, daß das Polemik, Panikmache war. ({3}) - Ich darf noch einen Satz hinzufügen. - Es war Panikmache im Interesse parteipolitischer Polemik, und sicherlich war es nicht zum Nutzen der Bundeswehr und auch nicht ihres internationalen Ansehens; denn das, was Sie hier sagen, reflektiert sich natürlich auch in Amerika. ({4})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, ({0}) daß allein im Bereich des 2. Korps drei größere Übungen, vier Übungen im Brigadebereich und zahllose andere Übungen kleinerer Verbände und Einheiten im vergangenen Jahr abgesagt werden mußten, und ist Ihnen bewußt bzw. sind Sie bereit, bei Ihren Generälen nachzufragen, wie viele Übungen es im Gesamtbereich der Bundeswehr allein im Jahre 1981 waren und 1982 voraussichtlich sein werden?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Dr. Wörner, ich bin sehr gern bereit, über den Haushalt 1982 noch etwas auszusagen. Darauf komme ich zurück. Ich will bereits hier ankündigen, daß es eine abgestimmte Beurteilung der Inspekteure und des Generalinspekteurs gibt, die ich hier vortrage. Ich hoffe sehr, daß Sie bei dieser Gelegenheit nicht wieder, wie schon einmal im Ausschuß und einmal hier im Plenum, behaupten, daß Sie der Urteilsfähigkeit der Inspekteure und des militärischen Führungsrats nicht trauen, ihnen sogar unterstellen, daß Wahrheiten manipuliert werden. Ich hoffe sehr, daß sich das nicht wiederholt. ({0}) Nun aber zurück zu Ihrer Frage. Natürlich mußte 1981 und muß auch 1982 bei der Bundeswehr gespart werden. Natürlich ist auch die eine oder andere Übung reduziert worden, auch beim 2. Korps. ({1}) - Aber, hochverehrter Herr Abgeordneter, Sie haben so maßlos übertrieben, als sei dadurch die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gefährdet gewesen. Dieses ist eben nicht der Fall, sondern dieses ist Polemik. ({2}) Herr Dr. Wörner, lassen wir doch einmal Zahlen sprechen. Wie sieht denn heute der Haushaltsvollzug 1981 aus? Die Steigerungsrate beträgt nominal 7,8 %. Wir verwenden bei der NATO den Deflator des Bruttosozialprodukts. Er liegt 1981 bei 4,2 %. Wir haben in diesem Haushaltsjahr 1981, von dem Sie eben gesprochen haben, das NATO-Kriterium von 3 real mit unseren 3,5 % real übertroffen. Wir haben mehr getan, als von uns gefordert wurde. Ich bin deswegen dagegen, daß wir uns auf diese Art und Weise selbst in Schwierigkeiten hineinreden. Nun lassen Sie mich zum Haushalt 1982 Bemerkungen machen. Ich habe bereits gesagt und möchte dieses zu Protokoll des Deutschen Bundestags geBundesminister Dr. Apel ben: Die folgende Beurteilung ist die Beurteilung des militärischen Führungsrats und der militärischen Führung. Die Beurteilung lautet für die Bundesregierung folgendermaßen: Erstens. Die Bundeswehr wird 1982 ihre Einsatzbereitschaft halten können. Zweitens. Die Bundeswehr wird 1982 die dem Bündnis gegenüber zugesagten Verpflichtungen erfüllen. Drittens. Die Bundeswehr wird ihre Ausrüstung weiter modernisieren und den Betrieb sicherstellen. Dieses sind die klaren Aussagen der militärischen und politischen Führung, wobei wir allerdings hinzufügen wollen und müssen, daß wir vor beachtlichen Schwierigkeiten stehen, was einzelne Bereiche des Verteidigungsetats anlangt. Ich möchte diese Bereiche, die Schwierigkeiten beinhalten, in sechs Abschnitten darstellen. Erstens. Wir machen uns beträchtliche Sorgen um das Fehl von Unteroffizieren und Unterführern. Wir sind der Meinung, daß wir zwar für 1982 das Absenken um 8 000 Zeitsoldaten mit zwei Jahren Verpflichtungszeit ertragen können. Wir wollen und werden uns aber zusammen mit der militärischen Führung für eine Kurskorrektur 1983 einsetzen. Wir sind der Meinung, daß gerade die Zeitsoldaten mit einer zweijährigen Verpflichtung wesentlich zur Besetzung des Fehls an Unterführern sind. Wir müssen dann allerdings auch bereit sein, im Haushalt 1983, wenn wir dieses Absenken stoppen wollen - und wir müssen es stoppen -, finanzielle Konsequenzen an anderen Stellen im Bundeshaushalt 1983 in Kauf zu nehmen. ({3}) Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Deutschen Bundestag danken. Überall werden 1 % des Personals im öffentlichen Dienst abgebaut, auch bei uns im zivilen Bereich. Aber wir erhalten 500 Stellenanhebungen. Damit wird deutlich, daß die Mehrheit dieses Deutschen Bundestages die Heeresstruktur 4 verwirklichen will, weil sie ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, ein wesentlicher Beitrag im Bündnis ist. Auch hier wird deutlich, daß Fakten klar für unsere Verteidigungspolitik sprechen. ({4}) Ich komme zum Bereich der Materialerhaltung, der uns besondere Sorgen macht. Hier steigen die Ansätze gegenüber 1981 um 5 v. H. Das wird sicherlich die Preissteigerungsrate nicht voll ausgleichen. Hier werden wir nicht ausschließen können, daß die Ersatzteilvorräte nicht immer so aufgefüllt werden können, wie es geboten ist; ({5}) hier können wir nicht ausschließen, daß es Engpässe gibt; hier können wir nicht ausschließen, daß es beim Fernmeldematerial Probleme gibt; hier können wir nicht ausschließen, daß der Klarstand bei Rad- und Kettenfahrzeugen vorübergehend abgesenkt wird. ({6}) - Das heißt, Herr Abgeordneter Würzbach, dies ist ein besonders kritischer Bereich, ({7}) in dem wir wiederum nach unserem Urteil die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mit noch zu tragenden Einschränkungen ({8}) aufrechterhalten können, aber hier liegt eine Entwicklung vor, die sich über das Jahr 1982 hinaus mit Sicherheit nicht fortsetzen darf. ({9}) Zu den militärischen Beschaffungen will ich nur auf ein Problem aufmerksam machen. Sie werden finanziert, die Ansätze reichen unter der Kondition, daß wir nicht in eine Preissteigerungswelle hineinlaufen, die wir derzeit nicht sehen. ({10}) Aber hier sehen wir ein ganz großes Problem: 1978 lag der Anteil der Großvorhaben der Bundeswehr am gesamten Beschaffungstitel bei 50 v. H., 1982 liegt er bei 70 v. H. Das heißt natürlich, daß hier unsere Spielräume zusammengedrückt werden. Deswegen wird 1982 eine Reihe der für den Betrieb der neuen Waffensysteme erforderlichen Peripheriegeräte nicht zulaufen können. Hier geht es um Werkstattausstattung, Einbausätze, Fernmeldematerial und vieles andere mehr. Dies wird sicherlich in 1982 zu Anfangsschwierigkeiten in der Truppe und zu Verzögerungen bei der Herstellung der vollen Truppenverwendbarkeit und der Einsatzfähigkeit des jeweiligen neuen Systems führen. Ich erwähne nichts Neues, wenn ich - das ist mein vierter Punkt - dem Deutschen Bundestag sage, daß Forschung und Entwicklung besondere Probleme stellen. Wir werden die laufenden Forschungsvorhaben - insbesondere bei MRCA Tornado - durchführen können, aber die Zukunft, auch die Zukunft einer rationellen und preiswerten Fertigung im eigenen Lande, verlangt Forschungsaufwendungen, und wir müssen uns deswegen sehr darum bemühen, hier in den nächsten Jahren die Trendwende durchzusetzen. Ich komme zum fünften Bereich. Die NATO-Infrastruktur belastet uns in diesem Haushalt mit vielen hundert Millionen DM. Das engt zwangsläufig nationale Möglichkeiten ein. Wir können deswegen 1982 das Defizit, das insbesondere beim Neubau von Unterkünften besteht, nicht verringern. Dankbar sind wir aber den Damen und Herren des Haushaltsausschusses dafür, daß wir für die Bauunterhaltung soviel Mittel bekommen, daß weitere Substanzverluste vermieden werden können und fällige Sanierungen möglich werden. Ein Wort zur Fregatte bzw. zu den sechs Fregatten. Das Problem 1982 ist geregelt, und zwar so, daß die Verantwortlichkeiten klar verteilt sind, daß sie nicht bei der Bundesregierung, nicht beim Verteidigungsminister, nicht beim Verteidigungsministerium liegen. ({11}) Ich bitte sehr darum, daß uns in den Haushaltsjahren 1983 ff. die Mehraufwendungen für die Fregatten nicht in den Verteidigungsetat hineingepreßt werden. Die Bundeswehr weiß, daß der enge Haushalt es ihr mit Sicherheit nicht erleichtert, ihren schwierigen Auftrag zu erfüllen. Aber, meine Damen, meine Herren, 44 Milliarden DM, nahezu ein Fünftel des Bundeshaushalts, 54,4 Milliarden DM Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien sind doch wohl kein Pappenstiel! ({12}) Wenn wir zur Kenntnis nehmen, daß die Ansätze für den Verteidigungsetat von einem Jahr zum anderen unter Einrechnung der Personalverstärkungsmittel um 2,2 Milliarden DM steigen - und das in einer Zeit, wo die Finanzenge enorm ist -, dann läuft doch das ganze Geschwätz von der Ablehnung und der Unterminierung der Verteidigungsfähigkeit durch die Koalition an den Realitäten vorbei. Dies bitte ich nun wirklich zur Kenntnis zu nehmen. ({13}) Das, was ich gesagt habe, daß wir mit dem Geld auskommen können und auskommen müssen - die Probleme habe ich geschildert -, steht unter drei Voraussetzungen: nämlich daß wir bei der Materialerhaltung den Klarstand der Hauptwaffensysteme nach dem NATO-Standard sicherstellen können, daß sich Preisgefüge und Währungsparitäten nicht verschlechtern - insbesondere gilt das für die Betriebsstoffe - und daß, so wie vom Haushaltsausschuß versprochen, wir von der globalen Minderausgabe und weiteren Kürzungen verschont bleiben. Ich schließe dies alles in einem Zitat zusammen. NATO - Dezember 1981 -, wörtliches Zitat: Die Land- und Luftstreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland spielen eine entscheidende Rolle im Konzept der Vorneverteidigung in Mitteleuropa und ihre Seestreitkräfte sind ein wesentliches Element zur Abwehr der Bedrohung in der Ostsee, den Ostseezugängen und den anderen Seegebieten. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: unsere Verteidigungsfähigkeit steht nicht vor dem Zusammenbruch. Das hohe Ansehen, das die Bundeswehr in zehn Jahren erwerben konnte, ({14}) besteht zu Recht. Es wird auch für die Zukunft gesichert werden. Das steht allerdings unter einer Reihe von wichtigen, von mir dargestellten Bemerkungen. Nun möchte ich im letzten Abschnitt Bemerkungen machen, wiederum nicht ideologischer Art, sondern orientiert an den Fakten - ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Apel, wären Sie bereit, die Formel, die Sie soeben gebraucht haben - „das hohe Ansehen, das sich die Bundeswehr in den letzten zehn Jahren erworben hat" -, auf den ganzen Zeitraum auszudehnen, in dem die Bundeswehr mit Unterstützung aller Regierungen und dieses Hauses sich ein ausgezeichnetes Ansehen erworben hat?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Dr. Marx, ich tue das sehr gern, um so mehr als ich Ihrer Frage entnehme, daß Sie auch hohen Respekt vor der Leistung sozialdemokratischer Verteidigungsminister und der Koalition für die Bundeswehr zollen, indem Sie sagen „für den gesamten Zeitraum". Wir sind uns einig. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Minister? - Bitte.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich sicherstellen, Herr Minister, daß Sie die von mir gestellte Frage ohne das in Ihrer Antwort gegebene Zusatzwerk mit einem eindeutigen Ja beantworten wollten?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Es steht schon in der Bibel: „Deine Rede sei ,ja, ja und ,nein, nein; alles was darüber ist, ist vom Übel." ({0}) Ich sage j a. 25 Jahre eine tüchtige Bundeswehr und die letzten zwölf Jahre eine Koalition, die alles getan hat, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen. ({1}) Dies ist das gemeinsame Urteil des Bundesministers der Verteidigung und des Ausschußvorsitzenden, der für meinen Bereich zuständig ist. Schönen Dank. Ich war bereits bei unserem Verhältnis zu den USA. Herr Kollege Wörner, es hat keinen Zweck, hier herumzuhantieren und ideologisch zu reden. Nehmen wir doch die Fakten! Die Fakten sind die, daß wir ein Jahrzehnt lang 3 % real faktisch gemacht haben, daß wir es im letzten Jahr gemacht haben und daß wir von 1980 bis 1984 2,3 Milliarden DM für die NATO-Infrastruktur zahlen. Sie sagen kein Wort über das neue Programm, das da heißt Wartime Host Nation Support. Die Bundesregierung erklärt sich bereit, zur Verstärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit nach einer entsprechenden Vereinbarung mit den USA alle Vorkehrungen zu treffen, um sechs zusätzliche Divisionen und zusätzliche Kampfflugzeuge im Spannungsfall in die Bundesrepublik holen zu können. Das erfordert schon in Friedenszeiten 1 200 Soldaten und 600 Zivilbedienstete und kostet viel Geld. Reden wir doch nicht über Ideologie, reden wir über Fakten! Das ist etwas, was die deutsch-amerikanischen Beziehungen enger macht, was die nukleare Schwelle anhebt, was die Verteidigungsfähigkeit erhöht. ({2}) Sie tun so, als sei es genau umgekehrt. Damit komme ich zu vier Schlußbemerkungen. Erstens. Dem Deutschen Bundestag liegt mit dem Haushalt 1982 ein Entwurf vor, der sich angesichts des angewachsenen internationalen Konfliktpotentials und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage sehen lassen kann und vertretbar ist. Zweitens. Die Bundeswehr kann ihren Auftrag mit den bereitgestellten Mitteln - wenn auch mit Schwierigkeiten - erfüllen. Drittens. Wir müssen für die nächsten Jahre - hoffentlich mit Ihrer Hilfe - Kurskorrekturen durchsetzen: weniger Investitionen bei den großen Waffensystemen, mehr für Personal, mehr für Betrieb. Schließlich viertens. Die ernsten Probleme, vor die uns auch der Haushalt 1982 stellen wird, werden wir nicht mit Polemik, sondern im Dialog mit der militärischen Führung und im Dialog mit der Koalition lösen. Diese Bundeswehr ist bei Freien Demokraten und bei Sozialdemokraten in guten Händen. - Schönen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 04 liegen jetzt nicht mehr vor. Ich schließe jetzt erst einmal die Debatte dazu. Wir werden dann noch die Einzelpläne 05 und 14 aufrufen müssen - die Geschäftslage ist etwas kompliziert -, weil es dazu jeweils, glaube ich, noch eine Debattenrunde geben soll. Zum Einzelplan 04 möchte jetzt Herr Abgeordneter Dr. Abelein eine Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung abgeben. Bitte, Herr Dr. Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Aufforderung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu einer Erklärung meiner Ausführungen heute vormittag will ich gern nachkommen. Anlaß meiner Äußerungen waren Ausführungen von Helmut Schmidt über Jalta, die laut „New York Times" vom 3. Januar 1982 im entscheidenden Teil so lauten: ... he added that the West had agreed at Yalta in 1945 to divide Europe into spheres of influence, and any attempt to alter the balance of power would mean war. ({0}) Auf deutsch: Der Westen hat in Jalta der Aufteilung Europas in Einflußzonen zugestimmt, und jeder Versuch, dieses Machtgleichgewicht zu ändern, würde Krieg bedeuten. Daraus ergibt sich, daß Schmidt jeden Versuch, die angeblich in Jalta beschlossene Aufteilung Europas in einen freien und in einen kommunistischen Teil aufzuheben, als friedensgefährdend ansieht; das sind j a seine Worte. Daraus ergibt sich auch logisch, daß nach dieser Meinung alle Völker dort bleiben sollen, wo sie leben, unter dem Herrschaftssystem, das Jalta ihnen zugeteilt hat, weil jede Änderung dieser Aufteilung Krieg bedeutet. Ich habe nicht gesagt, daß Helmut Schmidt über diesen Zustand glücklich ist, daß er diese Aufteilung als politisches Ziel wünscht oder innerlich billigt. Ich habe auch nicht erklärt, daß er es ethisch gut findet, daß die Polen unter sowjetischer Herrschaft leben, sondern ich habe eine Schlußfolgerung aus der Schmidtschen außenpolitischen Theorie zur Erklärung der gegenwärtigen Welt gezogen. Anders konnten meine Äußerungen weder wörtlich noch aus dem Zusammenhang verstanden werden. Allerdings bleibe ich dabei, diese Äußerungen von Schmidt gegenüber all denjenigen, die nach seiner Jalta-Theorie in der östlichen europäischen Hälfte leben müssen, als unmenschlich zu halten. Betroffen war ich über die Einlassung des amtierenden Präsidenten, die ich als Zensur empfunden habe. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, zu einer weiteren Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Wurbs das Wort. Bitte!

Richard Wurbs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002576, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach § 30 der Geschäftsordnung gebe ich folgende Erklärung ab. Ich habe Herrn Abgeordneten Dr. Abelein wegen einer Formulierung im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über Jalta gerügt. Herr Dr. Abelein hat u. a. ausgeführt: Aber sie ist in der gegenwärtigen Situation noch schlimmer wegen ihrer außenpolitischen Wirkung, denn sie betrifft jetzt besonders die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Deutschen - kurz: alle, die unter der Diktatur der Sowjetunion leben müssen und nach Schmidts Interpretation doch auch ganz offensichtlich leben sollen, weil ihre Freiheit, ja, ihre Sehnsucht nach Freiheit ganz offensichtlich die Friedensordnung von Jalta gefährdet. § 36 der Geschäftsordnung gibt dem amtierenden Präsidenten das Recht, den Redner - in der Geschäftsordnung wird nicht unterschieden, ob der Redner als Regierungsmitglied oder als Abgeordneter spricht - bei Verwendung nichtparlamentarischer Ausführungen zur Ordnung zu rufen. Ich halte es für nicht gerechtfertigt, wenn einerseits Zwischenrufe gerügt werden, Bemerkungen, die möglicherweise zu einem Zwischenruf geführt haben, aber nicht. Aus Gründen der Gleichbehandlung der Redner war ich der Auffassung, so handeln zu sollen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 ab. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Die Abstimmung ist eröffnet. Ich bitte, wieder Platz zu nehmen. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 auf Drucksache 9/1184 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 472 ihre Stimme abgegeben. Keine Stimme war ungültig. Mit Ja haben 264 stimmberechtigte Abgeordnete und mit Nein haben 207 Abgeordnete gestimmt. Es gab 1 Stimmenthaltung. 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 11 Abgeordnete, mit Nein haben 10 Abgeordnete gestimmt. Ergebnis Abgegebene Stimmen 472 und 21 Berliner Abgeordnete; davon ja: 264 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 207 und 10 Berliner Abgeordnete enthalten: 1 Ja SPD Dr. Ahrens Amling Antretter Dr. Apel Auch Baack Bahr Bamberg Dr. Bardens Becker ({0}) Bernrath Berschkeit Biermann Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({1}) Börnsen Brandt ({2}) Brück Büchler ({3}) Büchner ({4}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Frau Dr. DäublerGmelin Daubertshäuser Dreßler Duve Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Esters Ewen Feile Fiebig Fischer ({5}) Fischer ({6}) Franke ({7}) Frau Fuchs Gansel Gerstl ({8}) Dr. Geßner Gilges Ginnuttis Glombig Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar Haase ({9}) Haehser Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Heistermann Herberholz Herterich Heyenn Hoffmann ({10}) Hofmann ({11}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({12}) Jahn ({13}) Jansen Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Kiehm Kirschner Klein ({14}) Dr. Klejdzinski Kolbow Kretkowski Dr. Kreutzmann Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Dr. h. c. Leber Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Leuschner Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meinike ({15}) Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({16}) Möhring Müller ({17}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann ({18}) Neumann ({19}) Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Dr. Osswald Paterna Pauli Dr. Penner Pensky Peter ({20}) Polkehn Poß Purps Rapp ({21}) Rappe ({22}) Rayer Reschke Reuschenbach Reuter Rosenthal Roth Sander Dr. Schachtschabel Schäfer ({23}) Schätz Dr. Scheer Schirmer Schlaga Schlatter Schluckebier Frau Schmedt ({24}) Dr. Schmidt ({25}) Schmidt ({26}) Schmidt ({27}) Frau Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30}) Schmitt ({31}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber ({32}) Schreiner Schröder ({33}) Schröer ({34}) Schulte ({35}) Dr. Schwenk ({36}) Sielaff Sieler Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({37}) Dr. Steger Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stockleben Stöckl Dr. Struck Frau Terborg Thüsing Tietjen Frau Dr. Timm Topmann Dr. Ueberschär Urbaniak Vogelsang Voigt ({38}) Vosen Wallow Waltemathe Wehner Weinhofer Weisskirchen ({39}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({40}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({41}) Wimmer ({42}) Wischnewski Witek Dr. de With Wolfram ({43}) Wrede Würtz Wuttke Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({44}) Vizepräsident Frau Renger Dr. Dübber Egert Hitzigrath Löffler Frau Luuk Männing Dr. Mitzscherling Wartenberg ({45}) FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Beckmann Bergerowski Frau von Braun-Stützer Bredehorn Cronenberg Eimer ({46}) Frau Dr. Engel Engelhard Ertl Dr. Feldmann Frau Fromm Funke Gärtner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hölscher Holsteg Jung ({47}) Kleinert Dr. Graf Lambsdorff Frau Matthäus-Maier Merker Mischnick Neuhausen Frau Noth Paintner Popp Rentrop Dr. Riemer Rösch Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({48}) Schmidt ({49}) von Schoeler Timm Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({50}) Wurbs Zywietz Berliner Abgeordneter Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Althammer Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Frau Benedix-Engler Berger ({51}) Böhm ({52}) Dr. Bötsch Bohl Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({53}) Dr. Bugl Carstens ({54}) Clemens Conrad ({55}) Dr. Czaja Dallmeyer Daweke Deres Dörflinger Dr. Dollinger Doss Dr. Dregger Eigen Engelsberger Erhard ({56}) Eymer ({57}) Dr. Faltlhauser Feinendegen Fellner Frau Fischer Francke ({58}) Dr. Friedmann Funk ({59}) Frau Geier Frau Geiger Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({60}) Gerstein Gerster ({61}) Glos Dr. Götz Haase ({62}) Dr. Häfele Hanz ({63}) Hartmann Hauser ({64}) Hauser ({65}) Helmrich Dr. Hennig Herkenrath von der Heydt Freiherr von Massenbach Hinsken Höffkes Höpfinger Frau Hoffmann ({66}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({67}) Jagoda Dr. Jahn ({68}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({69}) Dr. Jobst Jung ({70}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kiechle Kiep Dr. Klein ({71}) Klein ({72}) Dr. Köhler ({73}) Dr. Köhler ({74}) Köster Dr. Kohl Kolb Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kunz ({75}) Lamers Dr. Lammert Lampersbach Landré Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({76}) Lenzer Link Linsmeier Lintner Löher Lowack Maaß Magin Dr. Marx Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({77}) Müller ({78}) Müller ({79}) Nelle Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Picard Pohlmann Dr. Pohlmeier Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({80}) Dr. Riesenhuber Röhner Dr. Rose Rossmanith Rühe Ruf Sauer ({81}) Sauer ({82}) Sauter ({83}) Sauter ({84}) Dr. Schäuble Schartz ({85}) Schmitz ({86}) Schmöle Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder ({87}) Schröder ({88}) Schröder ({89}) Dr. Schulte ({90}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stercken Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({91}) Vogt ({92}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Weirich Weiskirch ({93}) Weiß Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({94}) Windelen Wissmann Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zierer Zink Berliner Abgeordnete Bahner Boroffka Buschbom Dolata Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Lorenz Schulze ({95}) Straßmeir Enthalten fraktionslos Hansen Damit ist der Einzelplan 04 in zweiter Lesung in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - Drucksache 9/1194 4552

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Hauser ({0}) Dr. Stavenhagen Würtz Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - Drucksache 9/1205 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Glos Es wird vorgeschlagen, über diesen Haushaltsbereich eine Debatte von zwei Stunden zu führen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stavenhagen. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn Sie Platz nähmen. Diejenigen, die dies nicht wollen, sollten vielleicht den Saal verlassen. Es wäre allerdings besser, Sie blieben hier. ({2}) Ich bitte also, Platz zu nehmen. Herr Kollege, jetzt können Sie beginnen.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Worauf ich hinweisen wollte, ist, daß die von Herrn Verteidigungsminister Apel so stolz vorgetragene Zuwachsrate von 5,2 % viel von ihrem Glanz verliert, wenn man sich einmal die Preissteigerungsrate des kommenden Jahres anschaut. ({0}) Dann ist nämlich von dieser Wachstumsrate real nichts mehr übrig. Ein Zweites. Wenn man sich klarmacht - und aus den Unterlagen ist das ersichtlich -, daß von diesen 5,2 % oder 2,2 Milliarden Mark rund 800 Millionen Mark sogenannte Personalverstärkungsmittel sind, also Mittel für bereits vollzogene oder noch zu vollziehende Tariferhöhungen, wenn man weiter weiß, daß aus dem Haushalt 1982 noch eine Bugwelle von unbezahlten bzw. noch nicht gestellten Rechnungen von 800 Millionen Mark aus dem Vorjahr zu zahlen ist, dann wird aus diesen 5,2 % in der Tat sehr wenig. ({1}) Ein weiteres, meine Damen und Herren. Der Verteidigungsminister legt uns bei seinen Beschaffungsvorhaben regelmäßig Preissteigerungen im Beschaffungsbereich von nicht unter 7 % vor und, wenn es internationale Projekt sind, meistens von 8 bis 9 %. Damit muß man diese 5,2 % vergleichen. Der Verteidigungsetat sieht also bei weitem nicht so rosig aus, wie Sie versuchen, das darzustellen. Geschickterweise hat sich der Verteidigungsminister im wesentlichen auf die Schilderung der Vergangenheit beschränkt. Das Problem geht aber mit diesem und den kommenden Haushalten erst richtig los. ({2}) Nach den NATO-Kriterien werden die Verteidigungsausgaben 1982 in der Größenordnung von nur 1 % steigen und in den kommenden Jahren in der Größenordnung von nur 0,4 % bis 0,5 %. Nach unserer Betrachtungsweise sind in der mittelfristigen Finanzplanung für die kommenden Jahre als Steigerung des Verteidigungshaushalts jeweils nur 2,5 % vorgesehen, d. h. real werden nicht nur im Jahre 1982, sondern auch in den Folgejahren die Leistungen für die Verteidigung laufend zurückgehen. Dies hat Konsequenzen im täglichen Betrieb. Herr Minister, es stimmt einfach nicht, daß letztes Jahr alles so glatt gegangen ist. Der Parlamentarische Staatssekretär hat mir eine schriftliche Anfrage beantwortet und dort im einzelnen geschildert, welche Übungen reduziert werden mußten. Bei Manöver „Scharfe Klinge" im vergangenen Herbst gab es allein in den ersten beiden Manövertagen über 100 Unfälle. Mangelnde praktische Erfahrung der motorisierten Truppe wurde damals als Grund angegeben. Der heutige Heeresinspekteur hat dazu gesagt, daß übermäßiges Benzinsparen Blut kosten könne; diese Übung habe den Beweis erbracht. Übungen sind kein Selbstzweck, Übungen sind unverzichtbar für die Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Soldaten und für die permanente Schulung der militärischen Führung. Ein anderes Beispiel. Eine Standortverwaltung schrieb am 14. Oktober letzten Jahres an einen Lieferanten: „Ihre o. a. Rechnung ist am 9. 9. 81 bei mir eingegangen. Wegen fehlender Haushaltsmittel ist mir eine Begleichung nicht möglich. Sobald mir Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, werde ich umgehend den Rechnungsausgleich durchführen. Ich bitte daher, von Mahnungen abzusehen. Hochachtungsvoll." ({3}) Im Ulmer Bundeswehrkrankenhaus war schon Mitte August der Arzneimitteletat verbraucht. Lükken in der Apotheke und Mängel an Geräten stellen den täglichen Betrieb ernsthaft in Frage. Dies ist im Sanitätsbereich kein Einzelfall. Insgesamt sind die Vorräte an Arznei- und Verbandmitteln bei der Bundeswehr auf 70 % abgesunken. Obwohl die Warschauer-Pakt-Streitkräfte für die offensive chemische Kampfführung ausgerüstet, strukturiert und ausgebildet sind, können Gegenmittel für C-Waffen aus Geldmangel nicht beschafft werden. Beim Betriebsstoff ist die Situation die, daß, um die gleiche Menge wie im Vorjahr zu kaufen, nach dem Preisstand vom 1. September vergangenen Jahres rund 70 Millionen DM mehr erforderlich gewesen wären. Tatsächlich sind aber 23 Millionen weniger veranschlagt. In den Berichterstattergesprächen wurde dargestellt, daß dies nur einen Verbrauch von 90 % eines Normaljahres erlaubt und außerdem dazu zwingt, den Wirtschaftsvorrat, also den notwendigen Puffer, gegen Null zu fahren. Nicht nur beim Betrieb, auch bei den Beschaffungsvorhaben wird im Gegensatz zu der Darstellung von Herrn Apel gravierend eingegriffen. Die sogenannte Runderneuerung der Bundeswehr in allen Teilstreitkräften kostet nach Aussagen des Staatssekretärs für den Haushaltsbereich auf der Hardthöhe mindestens 65 Milliarden DM, wovon mindestens 37 Milliarden DM, auf einem Preisstand, der bereits anderthalb Jahre alt ist, noch zu leisten sind. Wie dies in der mittelfristigen Finanzplanung abgedeckt werden soll, ist überhaupt nicht ersichtlich. In der Rüstungsklausur im März 1981 wurde denn auch in 91 Beschaffungsvorhaben eingegriffen. Auch hierzu nur wenige Beispiele, zu welchen Konsequenzen das führt. Bis 1986 sollen 1 800 Kampfpanzer Leopard 2 beschafft werden. Wichtige Teile der dazugehörigen Fernmeldeausstattung erhält der Panzer aber erst erheblich später. Er ist zunächst gewissermaßen auf einem Ohr taub. ({4}) Wir leisten uns mit dem Tornado ein Waffensystem, das nicht unter 80 Millionen DM Gerätesystempreis zu haben sein wird. Um das Waffensystem auf den Flugplätzen der Luftwaffe und den Basen der Marine optimal zu schützen, war das Flugabwehrsystem Roland geplant. ({5}) Der Roland für Luftwaffe und Marine wurde aber gestrichen - mit der Konsequenz, daß die Mission des Tornado im Ernstfall gefährdet ist. Das für den Tornado speziell entwickelte Waffensystem MW 1 wird erst in den 90er Jahren im notwendigen Umfang zur Verfügung stehen, obwohl der Tornado ab 1985 bei den Kampfverbänden eingesetzt werden soll. Sie haben vorhin gesagt, Herr Minister, die Fregatten wollten Sie sich nicht in Ihre Verantwortung nehmen lassen. Sie wollen sich überhaupt nichts in die Verantwortung nehmen lassen: ({6}) beim Tornado nicht, bei der Fregatte nicht, überhaupt nicht; es ist alles nicht Ihr Problem. ({7}) Sie haben 3 000 Soldaten und Zivilbedienstete auf der Hardthöhe. Sie haben 19 000 Mitarbeiter im Bundeswehrbeschaffungsamt. Und jetzt brauchen Sie industriellen Sachverstand, um in Ihre Organisation ein Gesicht hineinzubringen. Ich bin der Meinung, daß die Bundeswehr in erster Linie einen Minister braucht, der in seiner Partei und auch im Kabinett breiten Rückhalt hat. Denn Sie haben sich, Herr Minister, nachdem Sie schon bei den Haushaltsberatungen im September, nach der Aufstellung des Haushalts, gesagt haben, jetzt seien Sie aber am Ende der Fahnenstange, im Oktober vom Kabinett erneut 200 Millionen wegnehmen lassen ({8}) und dann bei den Haushaltsberatungen noch mal rund 150 Millionen, und alles im wichtigen Beschaffungsbereich. Sie haben vorhin gesagt, wir sollten Ihnen Vorschläge zur Struktur machen. Sie lassen sich doch die Struktur vom Kabinett und Ihren Kollegen im Haushaltsausschuß selber kaputtmachen. Und Sie haben nichts gesagt. Sie waren immer am Ende der Fahnenstange. ({9}) Wie lang ist diese Fahnenstange eigentlich? ({10}) Neben diesen Kürzungen im laufenden Haushalt wurden die Verpflichtungsermächtigungen, also die Möglichkeit, schon jetzt Verpflichtungen für die folgenden Jahre rechtsverbindlich einzugehen, um 10 % oder eine knappe Milliarde gekürzt. Wir erinnern uns, daß Abgeordnete der SPD den Antrag gestellt haben, den Verteidigungshaushalt um eine Milliarde zu kürzen und dafür die Entwicklungshilfe-Ausgaben um eine Milliarde zu erhöhen. Diese Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen ist gewissermaßen der erste Schritt dieser Geschichte, die in mehreren Etappen erfolgen soll. Ich muß Ihnen aber sagen, daß die Förderung des Friedens durch Entwicklungshilfe, durch Solidarität mit den ärmsten Staaten der Welt und die Sicherung des Friedens durch eine glaubhafte Landesverteidigung nicht alternative, sondern komplementäre Zielsetzungen sind. ({11}) Innere und äußere Sicherheit sind wesentliche Voraussetzungen für den Frieden. Zudem ist Hilfe an Entwicklungsländer nur im Zustand des Friedens möglich. Es ist deshalb falsch, die Verteidigungsausgaben gegen die Entwicklungshilfe auszuspielen. Herr Apel, Sie haben sich zu den Schwierigkeiten bei Forschung, Entwicklung und Erprobung sehr vorsichtig geäußert. ({12}) Der Anteil am Verteidigungshaushalt ist seit zehn Jahren ständig zurückgegangen und liegt jetzt noch bei 3,8 %. In den USA werden 9,5 % des Verteidigungsbudgets für die wehrtechnische Forschung und Entwicklung ausgegeben. In Frankreich sind es rund 10 %, in Großbritannien fast 14 %. In der Sowjetunion wird dieser Anteil auf 20 % geschätzt. Staatssekretär Leister hat uns bei den Berichterstattergesprächen zur Vorbereitung der Ausschußberatungen gesagt, der Substanzverlust sei besorgniserregend. Große und mittlere Industriebetriebe - das kann man im Protokoll dieser Berichterstattergespräche nachlesen - könnten ihre Mannschaften nicht mehr halten. Neben den militärischen Ein4554 bußen bedeute dies einen strukturellen Rückschlag für die deutsche Industrie. Sie wollten im Haushalt 1982 110 Millionen DM mehr haben. Dank der Arbeit der Kollegen im Haushaltsausschuß haben Sie nur 90 Millionen DM bekommen, obwohl allein für die Verdoppelung der Mehrwertsteuer bei Ingenieurleistungen ein Betrag in der Größenordnung von 100 Millionen DM draufgeht. Meine Damen und Herren, dies führt, wie uns von den Betroffenen in Forschungsinstituten und Industrie überzeugend gesagt wird, zu Entlassungen von Mannschaften, die in diesem Bereich besonders kompetent und eingearbeitet sind. Wenn wir immer beklagen, daß es im Rüstungsbereich nur eine Einbahnstraße von den USA nach Europa gebe, dann ist es natürlich absolut widersinnig, gerade in diesem Bereich nicht mehr zu tun. Denn wenn hier Forschung und Entwicklung weiter vor die Hunde gehen, sind wir als Partner für internationale Zusammenarbeit völlig uninteressant. ({13}) Neben den Schwierigkeiten bei Betrieb und Beschaffung gibt es gravierende Personalprobleme, die ich nur stichwortartig nennen möchte. Das erste Problem ist die sicher auch von Ihnen nicht geleugnete Überalterung der Bundeswehr. Hierzu hören wir im Weißbuch 1970, im Weißbuch 1979 und in der Regierungserklärung 1980 stets Äußerungen, daß dies jetzt angepackt werden müsse. Aber noch immer hat sich hier nichts getan. Der Verwendungsstau, über den wir uns bei den Berichterstattergesprächen ebenfalls ausführlich informiert haben, ist einer Lösung noch nicht einmal nahe, Herr Minister. Sie müssen doch endlich einmal ein Konzept vorlegen, wie Sie das anpacken wollen, was Sie hier eigentlich vorhaben. ({14}) Und dann schauen Sie doch einmal, ob Sie das im Kabinett, aber auch in Ihrer Fraktion durchsetzen können! ({15}) Ein weiterer Punkt. Aus finanziellen Gründen wird die Zahl der Stellen der Soldaten mit zweijähriger Verpflichtungszeit um 8 000 verringert. Dies soll durch Wehrpflichtige ausgeglichen werden. Das bedeutet, daß Wehrpflichtige Aufgaben von Längerdienenden übernehmen müssen, für die sie nicht ausreichend ausgebildet sind. Das bedeutet Erhöhung des Fehls an Unteroffizieren. Es bedeutet, daß verstärkt auf Grundwehrdienstleistende zurückgegriffen werden muß und deswegen die Aufkommenslücke auf etwa 1985/86 vorverlegt wird. Der Deutsche Bundeswehrverband hat in seinem Bericht bei der Hauptversammlung im vergangenen Oktober auf die gravierenden Strukturmängel bei der Personalplanung und die hohen Dienstzeitbelastungen der Soldaten hingewiesen. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht genügend qualifizierte Soldaten haben, was nützt dann das ganze teure Gerät, das wir uns leisten? ({16}) Das kann dann nicht effizient eingesetzt werden. Dies alles sind aber im Vergleich zu den zukünftigen Personalproblemen eigentlich nur geringe Teilbereiche. Denn ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre werden jedes Jahr Wehrpflichtige fehlen. In den 90er Jahren werden es jährlich rund 100 000 Mann sein, die wir zuwenig haben. Wir möchten hier mal Ihre Vorstellungen hören. Es werden immer Versuchsballons über Kaderung hochgeschossen. Da sagt mal einer was, und dann wird wieder gesagt, das sei nur die äußerste Lösung. Ich muß Ihnen sagen: Weitere Kaderung ist mit dem Grundsatz der Vorneverteidigung nicht vereinbar. Direkt vor den Toren der Bundesrepublik Deutschland hat sich eine bedrohliche Truppenkonzentration des Warschauer Pakts vollzogen, deren offensiver Charakter durch fortschreitende Aufrüstung immer stärker unterstrichen wird. Das kann niemand leugnen. Wenn das richtig ist, können Sie aber nicht ernsthaft Kaderung als Rezept für die drohenden Personalprobleme anbieten; denn das würde im Ernstfall bedeuten, daß Millionen unserer Bürger preisgegeben würden. Das wäre das Resultat. ({17}) Sie haben gesagt, man sollte keinen Widerspruch zwischen bedrohungsgerechter und finanzwirtschaftlicher Planung aufbauen. Ich muß Ihnen sagen: Sie kommen weder mit diesen nationalen Planungen noch mit dem zurecht, was Sie international zugesagt haben. Herr Minister, es stimmt einfach nicht, daß alles auf dem besten Weg sei. Die Bundesregierung hat im Mai 1978 dem NATO-Langzeitprogramm zugestimmt. Bei uns sind eine Reihe von Maßnahmen, die dort von uns gefordert werden, in überhaupt noch keiner Planung enthalten. Bezöge man sie ein, wären in den 80er Jahren Mehrkosten in der Größenordnung von 7 Milliarden DM erforderlich. Sie haben den Streitkräftezielen zugestimmt. Dafür sind für uns Mehrkosten in der Größenordnung von 3 Milliarden DM vorgesehen. Sie haben das Thema Host Nation Support angesprochen, also die Bereitschaft der Bundesregierung, der Forderung der Amerikaner nach Unterstützung ihrer Streitkräfte in Mitteleuropa im Krisen- und Kriegsfall nachzukommen. Nach den Vorstellungen der Amerikaner soll das 1982 losgehen. Dafür sind überhaupt noch keine Mittel vorgesehen, weder im Haushalt noch in der mittelfristigen Finanzplanung. Sie haben zwar herausgestrichen, daß Sie hinsichtlich dessen, was im Rahmen des NATO-Infrastrukturprogramms gefordert wird, à jour sind. Nur, das ist nicht richtig, weil die NATO mittlerweile eine wesentliche Erhöhung dieser Leistungen verlangt, und zwar einmal zur Vorbereitung des Host-NationSupport-Programms und zum anderen wegen der Anpassung an die Inflationsraten. Hier kommen auf uns Belastungen in Milliardenhöhe zu. Nicht wir waren es, die Opposition, sondern Ihre Fachleute waren es, die Ihnen gesagt haben, daß bis 1985 rund 10 Milliarden DM für die Erfüllung dieser internationalen Verpflichtungen fehlen werden. Manfred Wörner hat den Schluß, zu dem Ihre Fachleute gekommen sind, ja bereits erläutert. Wenn man Verteidigungsplanung machen will, muß man nach meiner Auffassung darauf achten, daß die Verteidigung auf drei Säulen ruht. Erstens die Bundeswehr mit ihren 495 000 Soldaten und 174 000 Zivilbediensteten: Die Konzepte zur Lösung der Personalprobleme, die in den kommenden Jahren auf uns zukommen werden, müssen jetzt entwickelt und diskutiert werden. ({18}) Hier ist die Hygiene zwischen Regierung und Opposition die, daß die Regierung Vorschläge macht und wir sie dann diskutieren. Hingegen geht es nicht an, daß Sie sich hinstellen und fragen: Was habt ihr denn für Vorschläge? Die Regierung hat nämlich keine. Die zweite Säule ist eine wehrtechnische Industrie. Wir haben eine wehrtechnische Industrie mit etwa 20 000 Unternehmen - meist mittlere und kleine Betriebe übrigens - und rund 300 000 Mitarbeitern. Die Beschäftigung dieser wehrtechnischen Industrie darf sich nicht am Auf und Ab der Konjunktur ausrichten, sondern sie muß sich am Grad der Bedrohung und am Auftrag der Streitkräfte orientieren. Ab 1982 sind Freisetzungen von qualifiziertem Personal nicht länger hinauszuschieben. Diese Freisetzungen drohen uns. Wenn diese Kapazitäten erst einmal weg sind, können wir aus eigenen Anstrengungen komplexe Waffensysteme für die Zukunft nicht mehr bauen. Wir müssen also definieren, was wir im Rahmen unseres Auftrags innerhalb der NATO an wehrtechnischer Fertigungskapazität brauchen. Diese wehrtechnische Fertigungskapazität muß dann einigermaßen kontinuierlich ausgelastet werden; denn das ist für die Verteidigung genauso wichtig wie das Personal der Bundeswehr. ({19}) Die dritte Säule ist die wehrtechnische Forschung und Entwicklung. Wegen der langen Entwicklungszeit komplexer Wehrtechnikgüter sind langfristige Konzeptüberlegungen notwendig. Unsere Sicherheit ist gefährdet, wenn diese Kapazitäten weiter eingeschränkt werden. Bald ist auch der Punkt erreicht, an dem wir so viel Forschungs- und Entwicklungspotential verloren haben, daß wir im internationalen Vergleich nicht mehr bestehen können. Wenn die Wehrtechnik ihre innovative, ihre kreative Kraft aber verloren hat, ist eine wehrtechnische Partnerschaft - ich habe das bereits erwähnt - überhaupt nicht mehr möglich. Dann brauchen wir nicht zu jammern, wenn die Amerikaner nicht in der Lage und nicht bereit sind, mit uns zu kooperieren. Um die Landesverteidigung auf eine solide Grundlage zu stellen, sind nach meiner Einschätzung folgende Maßnahmen erforderlich. Erstens. Der Verteidigungshaushalt muß in den nächsten Jahren reale Zuwächse aufweisen, wenn unser Verteidigungswille glaubhaft bleiben soll. ({20}) Zweitens. Der Anteil des Verteidigungshaushalts am gesamten Bundeshaushalt muß wieder erhöht werden. Dies bedeutet - das muß man ehrlich sagen -, daß die Zuwächse beim Verteidigungshaushalt über denen des Gesamthaushalts liegen müssen, wenn der Gesamtanteil erhöht werden soll. Drittens. Die wehrtechnische Forschung und Entwicklung muß in den kommenden Jahren mit realen Zuwächsen ausgestattet werden. In diesem Bereich ist eine Konzentration der Kräfte und der finanziellen Möglichkeiten auf Schwerpunkte notwendig, die sich einerseits aus unserem Verteidigungsauftrag im Rahmen des Bündnisses und andererseits aus der Effizienz von Industrie- und Forschungseinrichtungen ergeben. Der Anteil der Wehrforschung am Verteidigungshaushalt muß erhöht werden. ({21}) Viertens. Die Verwaltung der Bundeswehr kann von einer Überprüfung nicht ausgenommen werden. Es kann kein Dogma sein, daß statistisch gesehen auf 2,8 Soldaten ein Zivilbediensteter kommt. Der Vorwurf richtet sich nicht gegen die Verwaltungsbeamten, die mit hervorragender Pflichtauffassung ihren Dienst versehen. Der Vorwurf richtet sich gegen die politische Leitung, die sich als unfähig erwiesen hat, diesen Fundus an Sachverstand und Erfahrung besser zu nutzen. ({22}) Die Runderneuerung der Bundeswehr ist auf den Weg gebracht. Neue Vorhaben werden in Zukunft sicher seltener. Die Normalversorgung wird zum Regelfall. Deshalb kann beispielsweise der Personalumfang im Beschaffungsbereich geringer werden. Fünftens. Das Verteidigungsministerium mit seinen über 3 000 Soldaten und Zivilbediensteten ist kein Führungsinstrument, sondern ein aufgeblähter Wasserkopf. ({23}) Mit 371 Referaten - davon allein 30 für die Leitung - kann man nicht zielgerichtet planen. Töpfchendenken und Ressortegoismus machen sich statt dessen breit. Das Verteidigungsministerium sollte nach den Grundsätzen moderner Organisations- und Managementlehren reorganisiert werden. ({24}) Sechstens. Der Sparstift darf nicht rein fiskalisch angesetzt werden, sondern strategisch orientiert am operativen Auftrag der Bundeswehr. Die Sparsamkeit darf nicht zum Hemmschuh für Wirtschaftlichkeit werden. Deshalb ist es erforderlich, daß mehr ökonomischer Sachverstand auf der Leitungsebene eingesetzt wird. Siebtens. Bei künftigen Beschaffungsvorhaben muß schärfer als bisher geprüft werden, ob Nutzen und Kosten in einem angemessenen Verhältnis stehen und ob dasselbe Ziel nicht auf einem weniger aufwendigen Weg erreicht werden kann. Der Stück4556 preis des Leopard 2 gegenüber dem Leopard 1 ist von 1,1 Millionen DM auf 4,2 Millionen DM angestiegen. Der Tornado wird nicht unter 80 Millionen DM zu haben sein, während der Starfighter noch 7,2 Millionen DM kostete. Es ist nicht möglich, daß die militärischen Forderungen an ein Waffensystem sich weiterhin an den technischen Maximalforderungen orientieren. ({25}) Weder der Haushalt 1982 noch die mittelfristige Finanzplanung werden diesen Anforderungen auch nur in Ansätzen gerecht. Wir lehnen deswegen den Einzelplan 14 ab. Dem Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - stimmen wir zu. Vielen Dank. ({26})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Hansen. ({0})

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade nach dem vorhergehenden Beitrag würde es mich sehr reizen, den vorliegenden Verteidigungshaushalt in seinen wesentlichen Aspekten sehr gründlich zu kritisieren. Dann wäre beispielsweise zu reden über die Verteidigungsruinen aus den fetten beschaffungsfreudigen Jahren, die heute ganz gewiß kein in sich geschlossenes plausibles Verteidigungskonzept erkennen lassen. Tornado ohne Roland-Abwehrsystem, AWACS als Gastgeschenk auf dem Altar der deutsch-amerikanischen Erbfreundschaft, die strukturpolitische Meisterleistung „Fregattenbau" und anderes mehr. ({0}) - Zu Ihnen - ich meine: zu Ihnen als Opposition - sage ich gleich auch noch etwas. Genauer einzugehen wäre auf die Tatsache, daß die Kürzungen in den Haushalten „Jugend, Familie und Gesundheit" und „Arbeit und Soziales" - also beim Kindergeld und anderen Sozialleistungen - zusammen genau die Mehrausgaben im Verteidigungshaushalt ausmachen - ein Beleg dafür, daß militärische Aufrüstung immer mehr mit sozialer Abrüstung bezahlt werden muß. Zu unterstreichen wäre vor allem die gemeinsame Verantwortung von Oppositions- und Regierungsparteien für das Tornado-Debakel, das auch durch ihre Spiegelfechtereien im Untersuchungsausschuß nicht zu verschleiern war und ist. Schon vor 1974 haben jedenfalls einzelne gewußt, daß dieses Projekt militärisch zweifelhaft und finanziell untragbar sein würde; denn schon damals war das Ende von bemannten, mit komplizierter Avionik und Elektronik vollgestopften Kampfflugzeugen zugunsten von unbemannten Flugkörpern wie eben z. B. den cruise missiles abzusehen. Schon damals war die Entwicklung zum wahrscheinlichen Endsystempreis von 110 Millionen DM pro Einzelstück Tornado erkennbar. Es wäre auch darüber zu reden, wie Fraktionen und Parlamentsausschüsse bei der Entscheidung über die Serienfertigung des Tornado-Flugzeuges von der Exekutive durch Unterdrücken von Beurteilungsgrundlagen hintergangen worden sind. Zu diskutieren wäre andererseits der fahrlässige Verzicht des Verteidigungsausschusses auf wirksame parlamentarische Kontrolle bei Rüstungsbeschaffungen überhaupt. Die große Koalition der Sicherheitspolitiker in diesem Hause hätte dann die Frage zu beantworten, wann sie den Verteidigungsausschuß endlich aus einer Verwaltungsaußenstelle der Hardthöhe, aus einem Notariat der Exekutive zu einem Gremium machen will, in dem wirklich politisch diskutiert und entschieden wird, beispielsweise über wegen der Finanzmisere immer notwendiger werdende Alternativen in Form von rein defensiven Verteidigungskonzepten. Die mir zugemessene knappe Redezeit zwingt mich aber zur Konzentration auf eine Stelle im Verteidigungshaushalt - denn meine Fraktion kann hier ja noch nicht verlängerte Redezeit beantragen -, die einerseits von größtem öffentlichem Interesse ist, andererseits aber vom Grauschleier der Geheimniskrämerei umhüllt wird. Sie ist auch einer der Gründe, aus denen ich den Verteidigungshaushalt insgesamt ablehne. Meine Damen und Herren, Ihnen liegt auf Drucksache 9/1281 ein Änderungsantrag vor, der zum Ziel hat, die vertragsgemäßen Beiträge der Bundesrepublik Deutschland für die gemeinsamen Infrastrukturanlagen der NATO zu sperren. Der Anteil der Bundesrepublik am NATO-Infrastrukturprogramm für die Jahre 1980 bis 1984 beträgt 2,3 Milliarden DM. Darin verbergen sich einige zig Millionen - wenn nicht mehr - für konkrete Vorbereitungen der im NATO-Aufrüstungsbeschluß von 1979 vorgesehenen Stationierung von 572 amerikanischen cruise missiles und Pershing II auf dem Boden der Bundesrepublik und anderer europäischer NATO-Länder. Wenn ich sage „konkrete Vorbereitungen", dann im wahrsten Sinne des Wortes, denn im Englischen heißt das ja „concrete", das bedeutet „Beton", und hier wird angefangen zu betonieren. Allein im Jahre 1982 sollen etwa 20 Millionen DM für den Bau von Abschußbasen in Großbritannien und Italien ausgegeben werden. Wann die Arbeiten auf dem Gebiet der Bundesrepublik beginnen, scheint noch nicht festzustehen - ich sage: es scheint -, aber daß weder die Fachausschüsse des Bundestages noch die betroffene Bevölkerung Genaueres wissen, ist ein politischer Skandal. Es gibt nur eine Erklärung für den Versuch der Bundesregierung, die finanziellen und politischen Aspekte dieser Infrastrukturmaßnahmen möglichst zu verheimlichen: Die Bundesregierung ist von der Unabwendbarkeit der Aufstellung der neuen amerikanischen Atomraketen überzeugt. Sie hat sich damit abgefunden, fürchtet aber öffentliche Reaktionen. Ein frühes Zeichen für diese Unabwendbarkeit war schon die von Anfang an deutliche Entschlossenheit der Reagan-Administration, aus der nach ihrer Einschätzung in der Ära der Entspannung entstandenen militärischen Unterlegenheit durch „Wiederaufrüstung" herauszukommen. Dazu gehörte auch, die vom deutschen Bundeskanzler entdeckte eurostrategische Raketenlücke zu schließen, um das angeblich gestörte militärische Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen. Erst danach wären die USA überhaupt gewillt und bereit, effektive Verhandlungsergebnisse in den Genfer Abrüstungsgesprächen anzustreben. Ein Beweis für diese Strategie ist nicht zuletzt die von Außenminister Haig und anderen Vertretern der Reagan-Regierung wiederholt bekundete feste Absicht, in den Genfer Verhandlungen nur einen Vorschlag zu machen, den die Sowjetunion anzunehmen oder zu lassen hat - Take it or leave it -, und auf keinen Fall andere Varianten oder Optionen nachzuschieben. Es gehört meines Erachtens schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu, der Öffentlichkeit die Reagansche sogenannte Null-Option - von der ja einige sagen „Null ist besser als nichts" - als ein ernstzunehmendes Verhandlungsangebot und darüber hinaus als einen Erfolg der Bundesregierung zu verkaufen. Dieses Angebot ist eine Farce, weil die USA den Abbau vorhandener Mittelstreckenwaffen in Europa allein von der Sowjetunion fordern, nicht jedoch die Reduzierung vorhandener Nuklearwaffen gleicher Gefährlichkeit auf seiten der NATO. Es ist ein Angebot, das der Bundeskanzler schon im Juli 1980 als mit den Sicherheitsinteressen der Sowjetunion unvereinbar bezeichnet hatte. Aber nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Außenpolitiker der Regierungsparteien haben sich offenkundig mit der Stationierung von cruise missiles und Pershing II vor Ergebnissen in Genf endgültig abgefunden. Wie ist sonst zu verstehen, was Sie dem Leiter des US-Amtes für Waffenkontrolle und Abrüstung, Eugene Rostow, bei seinem Besuch in der Bundesrepublik im Oktober vorigen Jahres mit auf den Weg gaben! Diesem Herrn Rostow, dessen Ernennung zum Abrüstungsbeauftragten amerikanische Wissenschaftler als ein großes Unglück für alle Bemühungen um Abrüstung ansehen, wurde nämlich sinngemäß gesagt: „Wenn die Stationierung schon nicht zu vermeiden ist, sorgen Sie doch bitte mit dafür, daß die Pershing II als letzte aufgestellt werden. Die Bundesregierung kommt sonst unter großen Druck eines wachsenden Teils der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Stationieren Sie erst die cruise missiles in den anderen NATO-Ländern." Damit sind wir wieder bei den NATO-Infrastrukturmaßnahmen zur Stationierungsvorbereitung. Hier schließt sich der Kreis. Die entscheidende Frage ist, warum die Bundesregierung nicht offenlegen will, was es mit den Millionen im NATO-Infrastrukturprogramm auf sich hat. Die Frage ist, warum die Bundesregierung wieder einmal den Eindruck erweckt, ihre Entscheidung an Parlament und Öffentlichkeit vorbeimogeln zu wollen. Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung erklärt - hier einmal erklärt -, warum das Parlament bei solchen Entscheidungen offensichtlich nicht mehr gefragt ist. Sie sollte die Gelegenheit -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase ({0})?

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, im Zusammenhang mit Ihrer Bemerkung, die Bundesregierung betreibe ihr Geschäft am Parlament vorbei, darf ich fragen: sind Sie gewillt zur Kenntnis zu nehmen, daß sich hinter den gegenwärtigen, hier im Ansatz ausgewiesenen Beträgen keine Mittel für den Bau oder die Errichtung von Anlagen zum Abschuß von cruise missiles befinden?

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Wenn Sie das sagen, dann meinen Sie offensichtlich: hier in der Bundesrepublik. Den Zusatz haben Sie vergessen. Aber dann darf ich Ihnen darauf antworten: Die Stationierung dieser neuen Atomwaffen in amerikanischer Hand, in amerikanischer Verfügungsgewalt ist doch zweifellos als ein Ganzes aufzufassen, so wie es der NATO-Aufrüstungsbeschluß vom 12. Dezember 1979 ausdrücklich aussagt. Deswegen können Sie hier keine künstliche Trennung zwischen der Bundesrepublik, wo die Pershing II stationiert werden soll, und anderen NATO-Ländern machen, in denen die cruise missile stationiert werden soll. ({0}) - Nein, meine Zeit geht zu Ende. ({1}) Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung hier erklärt, warum das Parlament bei solchen Entscheidungen offensichtlich nicht mehr gefragt ist. Sie sollte die Gelegenheit dieser Haushaltsdebatte dazu nutzen, dem Parlament und der Öffentlichkeit endlich die ganze Wahrheit über die zügig fortschreitenden Vorbereitungen hinsichtlich der Stationierung von cruise missiles und Pershing II - denn das wird ja kommen - vor dem Hintergrund des NATO-Beschlusses von 1979 zu sagen. Oder muß ich annehmen, daß die Bundesregierung allmählich wirklich dazu übergehen will, Regierungshandeln prinzipiell unter Geheimnisvorbehalt zu stellen und ihre Entscheidungen nur gelegentlich in aller Öffentlichkeit und Offenheit diskutieren zu lassen? Das wäre allerdings eine radikale Abkehr vom urdemokratischen Prinzip grundsätzlicher Öffentlichkeit von Regierungstätigkeit mit nur gelegentlichem - dann aber von der Regierung nachzuweisendem - Geheimnisvorbehalt. Hier spreche ich etwas aus, was vielleicht der Bundeskanzler heute nicht mehr so sagen würde, was aber der Abgeordnete Schmidt am 30. November 1965 in diesem Hause ausgeführt hat - ich zitiere -: Lassen Sie mich einmal etwas sagen, wenn Sie hier über militärische Geheimnisse reden. Ich finde, es ist eine bedenkliche Sache, die wir alle miteinander prüfen müssen, daß wir weiterhin erlauben, daß so viele schrecklich wichtige Fra4558 gen mit einem Geheimstempel, der zum Teil voreilig und zum Teil leichtfertig daraufgesetzt wird, aus der öffentlichen Erörterung fortgebracht werden und daß sie hier nicht gestellt werden. ({2}) Ich stimme mit dem Abgeordneten Schmidt von 1965 völlig überein. Eine Klarstellung zum NATO-Infrastrukturprogramm von 1980 bis 1984 durch die Regierung wäre dagegen zweifellos geeignet, den Eindruck nicht entstehen zu lassen, der dazu verführen könnte, der Bundesregierung Geheimdiplomatie gegen das eigene Volk zu unterstellen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dem Änderungsantrag auf Drucksache 9/1281 zuzustimmen. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß der NATO-Beschluß vom 12. Dezember 1979 aufgekündigt werden muß. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich dem Kollegen Wörner ganz herzlich dafür danken, ({0}) daß er heute nachmittag doch tatsächlich zugegeben hat, daß sich die Lebensverhältnisse unserer Bevölkerung und vor allen Dingen der Lebensstandard der Arbeitnehmer in den letzten 15 Jahren unter der Wirkung der Sozialdemokraten erheblich verbessert haben - etwas, was ich besonders gut finde. ({1}) Meine Damen und Herren, wir müssen zwar ertragen, daß wir relativ spät über eine so große Summe wie 44 Milliarden DM reden, aber ich meine, wir sollten es mit aller Ernsthaftigkeit tun. Als ich mich im Sommer des Jahres 1981 entschloß, für meine Fraktion im Haushaltsausschuß die Berichterstattung - zusammen mit meinem Kollegen Peter Würtz - für den Einzelplan 14 zu übernehmen, ({2}) war mir wohl bewußt, mein lieber Herr, verehrter Herr Kollege, daß dies eine schwierige Aufgabe sein würde. ({3}) In einer Zeit haushaltspolitischer Enge mußte auch in diesem Einzelplan gespart werden, ohne den Auftrag der Bundeswehr und damit die äußere Sicherheit unseres Landes zu gefährden. Zudem war mir noch in guter Erinnerung - als Mitglied des Haushaltsausschusses war ich da manchmal fassungslos -, wie spektakulär ({4}) und unsachlich in den vorangegangenen Monaten die Finanzierungsschwierigkeiten bei dem Waffensystem MRCA oder die Frage, ob wir genug Treibstoff haben oder nicht, vor allen Dingen von der Opposition diskutiert wurde. Wenn Sie in den letzten Wochen und Monaten des Jahres 1981 die Gelegenheit hatten, meine Kollegen, verschiedene Soldaten verschiedener Waffengattungen zu sprechen, so werden die Ihnen Interessantes über die Treibstoffversorgung am Ende des Jahres gesagt haben. Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, war für mich ein Grund, diese Aufgabe zu übernehmen, die Tatsache, daß immer mehr junge Menschen radikal nach dem Sinn von Waffen fragen. Ich habe mich daran erinnert, daß es mir als jungem Menschen ähnlich ging. Ich fand es deshalb wichtig, mich als Mitglied des Haushaltsausschusses, aber auch als Mitglied dieses Bundestages und auch als Frau, doch etwas intensiver mit Verteidigungsfragen zu beschäftigen. ({5}) Mich hat es berührt, meine Damen und Herren, welche Naivität teilweise bei den Teilnehmern des Evangelischen Kirchentages 1981 in Hamburg vorhanden war, die glaubten, wir könnten in eine Welt ohne Waffen kommen. ({6}) Ich gebe zu: Ich habe in den letzten Monaten enorm viel gelernt. ({7}) - Warten Sie doch erst einmal ab, Herr Haase! Von Ihnen auch - aber das kommt noch! Vor allem ist mir bewußt geworden, meine Damen und Herren - und da sehe ich alle Fraktionen an -, ({8}) wieviel mehr wir jungen Menschen den Auftrag unserer Bundeswehr erklären müssen, ({9}) ihnen erklären müssen, daß es eine demokratische Armee ist, die unsere freiheitliche Demokratie zu verteidigen hat und kein Selbstzweck ist. ({10}) Nach den Erfahrungen vorangegangener Jahre, auch mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, glaube ich, daß wir uns in diesem Haus in einer Sache einig sind, nämlich darin, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf ({11}) und daß wir eine besondere Aufgabe und Pflicht haben, eine Politik zu machen, die den Frieden bei uns und möglichst in Europa sichert. Aber wir wissen auch alle: Wenn die Freiheit und die Demokratie in unserem Lande erhalten werden sollen, dürfen wir nicht wehrlos bleiben. ({12}) Die Geschichte weist zu viele Beispiele auf, wie wehrlose Menschen von ihren Gegnern gequält, unterdrückt und ermordet wurden. Die schlechtesten haben wir Deutschen mit der Vernichtung von Millionen wehrloser Juden oder - denken Sie an unsere jüngere Geschichte - mit unserem überfall auf Polen gegeben. Das Bekenntnis zur Landesverteidigung ist jedoch, meine Damen und Herren von der Opposition, kein Freibrief für eine unbegrenzte Steigerung des Verteidigungshaushalts. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, die Verteidigungsausgaben in ihrer Höhe zu tabuisieren. Und es kommt mir auch nicht in den Sinn, angesichts einer abstrakten Zahl, die irgendwann, Herr Verteidigungsminister, mal beraten worden ist, zu akzeptieren, daß jedes Jahr die Verteidigungsausgaben unabhängig von der finanzpolitischen und haushaltspolitischen Lage des Landes um 3 % real steigen müssen, ({13}) während man gleichzeitig verlangt, daß Arbeitnehmer in diesem Lande auf Lohn verzichten, um die Konjunktur anzukurbeln, und während man gleichzeitig und permanent, monatelang, eine Kampagne betreibt, in der die Opposition uns Sozialdemokraten vorwirft, wir hätten im letzten Jahrzehnt zuviel Geld ausgegeben ({14}) und zuviel Wohltaten verteilt. ({15}) - Sie kommen noch, Herr Haase. Sie reden permanent von dem Mißbrauch der sozialen Leistungen, aber Sie denken gar nicht daran, den Ansatz im Verteidigungsetat kritischer prüfen und sich auf Einsparungen ansprechen zu lassen. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Würzbach?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber ja, Herr Kollege.

Peter Kurt Würzbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, würden Sie so freundlich sein und sagen, welche Regierung und aus welchem Grunde sie denn die 3 % beschlossen hat?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe deswegen auch den Verteidigungsminister angesprochen, Herr Würzbach. Ich vermute, daß ihm klar ist, daß er damit gemeint war. Meine Damen und Herren, es geht um sinnvolle Einsparungen. Herr Kollege Haase, da, wo sie so sichtbar waren, haben selbst Sie im Haushaltsausschuß mit uns sagen müssen: Jawohl, hier kann gespart werden. Bei konservativen und bei reaktionären Journalisten hat aber unsere Einsparabsicht zu primitiven Beschimpfungen und Beleidigungen des Verteidigungsministers und der Koalitionspolitiker im Haushaltsausschuß geführt. Ich habe nicht vor, Herr Kollege Würzbach, Herr Kollege Weiskirch und auch Herr Wörner, in gleicher Weise zu antworten. Sie sollten selbst wissen, wie Sie mit dieser unqualifizierten Art dem Ansehen der Parlamentarier schaden. Fairer, wenn auch oft lebhaft und bisweilen kontrovers ist der Umgang im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuß. Das möchte ich beiden Ausschußvorsitzenden, die ja aus Ihrer Fraktion kommen, ausdrücklich bestätigen. Dort wird doch bei allem fair über viele Fragen verhandelt, auch wenn dies kontrovers geschieht. Wenn man hinterher dann aber die Presseerklärung, Herr Kollege Stavenhagen, wieder liest, fragt man sich mitunter, ob man in der gleichen Ausschußsitzung gesessen hat, von der Sie hinterher berichten. ({0}) Herr Würzbach, welchen Unsinn ließen Sie zu den Berichterstattergesprächen im November 1981 über die Finanzierungsprobleme der Bremer VulkanWerft und die damit verbundene angebliche Unfähigkeit des Bundesverteidigungsministers verbreiten! Ich werde hinterher noch etwas dazu sagen. Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Ich spreche Sie alle so nachdrücklich an, weil ich meine, dazu einen Grund zu haben. Wir alle haben zusammen mit der Bundesregierung im letzten Jahrzehnt zu großzügig in die Zukunft gewirtschaftet. Dies gilt auch für den Verteidigungsetat. Wohl beispiellos, auch unter allen unseren NATO-Partnern, war das in der Großen Koalition begonnene und dann vor allen Dingen in den 70er Jahren beschlossene Programm zur Modernisierung der Bundeswehr. Die Ausrüstung des Heeres mit dem Flugabwehrkanonenpanzer „Gepard", dem Kampfpanzer „Leopard 2" oder dem Flugabwehrraktenpanzer „Roland", der Marine mit dem Schnellboot, dem Marinehubschrauber und der Fregatte, der Luftwaffe mit dem „Alpha-Jet", dem „Tornado" und dem deutschen Anteil an „AWACS" war finanziell ein zu großes Programm. ({1}) Meine Damen und Herren, natürlich ist es völlig richtig und von mir nicht bestritten, daß unsere Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit auf der Existenz moderner Waffen beruht. Wir müssen aber doch alle ernsthafter fragen, ob wir uns nicht zuviel auf einmal vorgenommen hatten. ({2}) Doch wer konnte voraussehen? Deshalb will ich denen, die damals im Bundestag waren, keinen Vorwurf machen; Herr Kollege Kühbacher. Wir beide haben dazu nicht viel zu sagen, denn wir gehörten dem Bundestag damals noch nicht an. Ich weiß nicht, ob wir nicht die gleichen Fehler gemacht hätten. ({3}) - Eben, ich glaube es auch, Herr Kollege Löffler. - Wer konnte voraussehen, daß die im November 1975 dem Parlament vorgelegte Entwicklung und Beschaffung von 140 Flugabwehrraktenpanzern „Roland" mit der passenden Munition nach heutigem Stand - ich habe die Entwicklung mit hineingenommen - 4,7 Milliarden DM kosten würden? ({4}) - Sie müßten sich besser informieren. Haben die Parlamentarier damals gewußt, welch teure Waffensysteme sie eigentlich auch den Soldaten zumuten? Versetzen Sie sich doch einmal einen kleinen Moment in das Empfinden dieser Männer, die die Verantwortung für zirka 30 Millionen DM bei der Bedienung eines dieser Geräte übernehmen. Soviel kostet ein „Roland"-System, wenn man die Entwicklungskosten, die Betriebs- und Beschaffungskosten und die Erstausstattung mit Munition umlegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0})?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber j a.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gnädige Frau, natürlich haben die seinerzeit Beteiligten nicht gewußt, wie sich die Entwicklungskosten ausweiten werden. Sind Sie aber bereit - damit komme ich zu meiner Frage -, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch die Rüstungsanstrengungen der anderen Seite seinerzeit eine maßgebliche Rolle dabei gespielt haben, welche Systeme von den Fachleuten und den Parlamentariern ausgewählt worden sind? Wir haben dies nicht aus Jux und Tollerei getan.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Haase, das ist ganz selbstverständlich. Ich sagte ja, ich bin auch gar nicht sicher, ob wir nicht dieselben Fehler gemacht hätten. Deswegen habe ich Herrn Kühbacher vorhin auch widersprochen. Heute, da wir uns in einer Haushaltsenge befinden, stellt sich aber natürlich eine solche Frage. Die meisten dieser Programme sind ja fast einstimmig und einmütig beschlossen worden. Aber, meine Damen und Herren, wir sind in einer haushaltspolitischen Debatte. An Hand des Flugabwehrraketenpanzers „Roland" läßt sich auch die Problematik internationaler Waffenentwicklungen aufzeigen. Diese deutsch-französische Kooperation hat sicherlich zu einem technisch hervorragenden Stand geführt, aber sie ist natürlich keineswegs, wie uns bei solchen internationalen Projekten oft empfohlen wurde, ein preiswerteres Projekt geworden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Kollegin, Sie sprechen von der Großzügigkeit bei den Ausgaben für Beschaffungen von Waffensystemen der Bundeswehr. Sind Sie sich auch darüber im klaren, daß dabei z. B. - Sie haben von Raketenjagdpanzern gesprochen - Waffenträger beschafft werden, aber die Munition dazu fehlt und daß z. B. für den Luftwaffenbereich - ich denke an MRCA und AWACS - der Schutz durch das Streichen der „Roland"-Waffe fehlt? Ich glaube, dies sollten Sie doch bitte berücksichtigen.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Biehle, ich weiß - ich erlebe das j a nun auch in den letzten Monaten -, daß das eine ernsthafte Frage ist. Aber wenn wir danach gehen, wenn wir permanent nur fragen, was denn dann noch kommen muß, stellt sich die Frage: wann sind wir am Ende und können diese Dinge überhaupt nicht mehr finanzieren? Das muß doch irgendwo auch alles miteinander abgestimmt werden. ({0}) Aber zu den Waffen komme ich noch. Aber denken Sie doch - gerade weil Sie das sagen - einmal an folgendes. Ursprünglich hatten wir auf deutscher Seite sogar die Absicht, noch 200 Waffensysteme „Roland" für Marine und Luftwaffe gleich hinterher zu beschaffen. ({1}) - Sie brauchen doch vieles, Herr Haase. Wenn es danach ginge! Fragen Sie doch auch einmal die Gesellschaft, was die alles braucht! Wir müssen doch ein bißchen auch bedenken, was gleichzeitig machbar ist. Wir haben also festgestellt, daß wir bei den rasant steigenden Kosten, von denen auch der Kollege Stavenhagen gesprochen hat, eben nicht alles gleichzeitig beschaffen können. Und so haben wir dann eben - das Verteidigungsministerium ist vorangegangen - gesagt: die Beschaffung von 200 zusätzlichen „Roland" für Marine und Luftwaffe muß erst mal zurückgestellt werden. Es wäre übrigens, nebenbei gesagt, auch sinnvoll, abzuwarten, wie sich diese 140 „Roland", die ja jetzt erst zugeliefert werden, überhaupt bewähren. Der Haushaltsausschuß hat bei den Etatberatungen 1981/82 außerdem noch darauf gedrungen, diesen vorläufigen Verzicht auch vertraglich abzusichern, um nachher keine teuren Überraschungen zu erleben. Denn meines Erachtens hat sich auch gezeigt, daß bei zu schnellem Zulaufen neuer Waffen manche Mängel zu teuer bezahlt werden, und das wollen wir ja auch nicht. Der Bundesrechnungshof hat oft genug, auch in Zeiten christdemokratischer Verteidigungsminister, bemängelt, daß viele Dinge angeschafft wurden, die sich hinterher nicht zeitgleich mit Munition vertrugen. Meine Damen und Herren, es bleibt jedoch ein Wichtiges festzustellen: Es ist der RüstungsabteiFrau Traupe lung des Bundesministeriums der Verteidigung gelungen, aus dem deutsch-französischen Projekt finanziell gut herauszukommen. Darüber sind wir sehr glücklich. Aber die Franzosen und andere NATO-Partner, die mit uns Waffensysteme entwikkeln, versuchen hinterher, ihre Programmkosten durch einen oft massiven Waffenexport in Drittländer wieder hereinzuholen. Wenn wir Deutschen, nach unserer Geschichte wohl auch begründet, einen restriktiven Rüstungsexport wollen, so müssen wir bedenken, daß wir unser technisches Know-how nur durch recht hohe finanzielle Leistungen an die Rüstungsbetriebe halten können. Eröffnen wir diesen nicht den Export in die meisten Drittländer, so rufen unsere Betriebe nach Abnahmegarantien durch die Bundesregierung, weil sich sonst Entwicklung und Fertigung von Munition und Waffen nicht lohnen. Die meisten Rüstungsbetriebe haben in der Vergangenheit und bis heute von staatlichen Aufträgen sicherlich nicht schlecht gelebt. Aber es war immer unsere Forderung, daß sie möglichst auch ein ziviles Standbein behalten und nicht darauf angewiesen sind, nur von Rüstung zu leben. Ich bin überzeugt, Herr Kollege Stavenhagen, daß wir mit 915 Millionen DM für wehrtechnische Forschung und Entwicklung auch im Jahre 1982 eine stattliche Summe zur Verfügung haben. Da ich der Meinung bin, daß es bestimmte Dinge gibt, die man nicht auf dem großen Markt der Öffentlichkeit austragen sollte, will ich Ihnen hier nicht sagen, was wir alles an Projekten, die dort enthalten sind, entdeckt haben, bei denen man doch vielfach ein Fragezeichen machen könnte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, erinnern Sie sich nicht mehr an das, was man uns über drohende Entlassungen in diesem Bereich gesagt hat, bevor Sie sich für eine Kürzung um 20 Millionen DM ausgesprochen haben, die diese Situation noch verschärfen wird?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch ich habe inzwischen damit angefangen, mich im Lande umzusehen. Ich habe dafür auch ein Lob von Herrn Haase bekommen. Ich mache mir darüber meine eigenen Gedanken. Man erwartet immer ganz selbstverständlich, daß der Staat bestimmte Dinge entweder über die Wehrforschung oder über den Einzelplan finanziert, den Sie früher betreut haben. Ich bin sehr vorsichtig, wenn auf einmal diejenigen, die sonst immer schreien, die Forschung dürfe nicht auf Zuwendungen des Staates angewiesen sein, sondern müsse durch Abschreibungen und ähnliches finanziert werden, ankommen und fragen: Was passiert jetzt? ({0}) Wir werden uns dieses Themas noch gründlicher annehmen; das verspreche ich Ihnen. Wir werden es auch prüfen.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten Sie bei der Wehrforschung Abschreibungen für ein sonderlich geeignetes Förderungsinstrument?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, nein. ({0}) - Ich wollte damit nur sagen, daß so etwas sonst empfohlen wird. Meine Damen und Herren, bei der internationalen Kooperation bereiten uns die zu hohen Kostensteigerungsraten der letzten Jahre viele Sorgen. Ich kann Ihnen nicht folgen, Herr Stavenhagen, wenn Sie meinen, daß wir, nur weil die nicht mehr zu kontrollierenden Steigerungsraten auch im Ausland entstehen, dies alles mitmachen müßten. Der „Tornado" war ein Musterbeispiel dafür. Als wir im November 1981 in den Berichterstattergesprächen forderten, die Bundesregierung solle sich, wenn das Projekt zu teuer werde, gegenüber England und Italien für eine Streckung des Fertigungsprogramms MRCA einsetzen, hielt man das auf der Hardthöhe wegen der internationalen Verträge für nicht realisierbar. Ich habe damals gesagt - Sie erinnern sich -: „Aber gerade England und Italien sind doch Länder, die größte finanzielle Schwierigkeiten haben." Man wollte sich allenfalls dazu bereit erklären, mit beiden Ländern zu sprechen. Nun wissen wir seit dem 9. Dezember 1981, daß die britische, die deutsche und die italienische Regierung beschlossen haben, das laufende „Tornado"-Programm zu strecken. Die Stückzahl wird jährlich bis um ein Viertel gekürzt. Es bleibt aber bei der vorgesehenen, vereinbarten Gesamtstückzahl, die bis 1990 produziert sein wird. Übrigens kehren wir damit zu den ursprünglich vereinbarten jährlichen Höchstzahlen zurück. Interessant ist nur, daß man aus den Zeitungen erfuhr, die Engländer hätten deshalb darauf gedrungen, weil sie, wenn das Lieferprogramm MRCA unverändert durchgegangen wäre, überhaupt keinen finanzpolitischen Spielraum mehr für andere Beschaffungsmaßnahmen der Luftwaffe gehabt hätten. Also stimmt es doch, daß auch die übrigen Länder finanzpolitische Sorgen haben. Leider ist es nicht gelungen, Herr Kollege Stavenhagen, uns international auf ein einheitliches Bewaffnungsprogramm für den „Tornado" einzustellen. Dies hat auch zu zeitlichen Verzögerungen geführt, so daß wir im Haushaltsausschuß erst jetzt grünes Licht für die Entwicklung der Mehrzweckwaffe M 1 geben konnten. Was nützt das „beste Kampfflugzeug der Welt", wie es genannt wird, wenn es keine passenden Waffen hat? Aber Sie dürfen dann auch nicht verschweigen, wie es dazu gekommen ist und warum es so problematisch war, hier weiterzukommen. Die enormen Kostensteigerungen im Rüstungsbereich haben uns dazu veranlaßt, im Haushaltsausschuß über jede neue Beschaffungsmaßnahme, die mehr als 50 Millionen DM kostet, gesondert zu beraten und zu beschließen. ({1}) - Damit binden wir uns als Parlamentarier selbst, Herr Kollege Riedl, uns noch vorsichtiger als bisher auf neue Haushaltsrisiken einzustellen. Ich gebe zu, die Zuarbeit durch die Bundesministerien der Verteidigung und der Finanzen lief zuerst zögerlich an. Man erklärte uns vorsichtig, das sei nicht möglich, es beanspruche zuviel Zeit und sei alles sehr schwierig. Inzwischen haben wir festgestellt, daß es ganz gut geht. Wenn Herr Haase nicht so oft fragte, was man alles mit den Waffen machen könne, und öfter die Frage stellte: Was kostet das denn?, wären wir vielleicht noch kritischer. ({2}) In der Rüstungsabteilung bemüht man sich, Herr Bundesminister der Verteidigung, noch mehr als bisher bei der Abfassung der Verträge spätere unangenehme finanzielle Überraschungen, sprich: Verteuerungen, und mögliche Gleitklauseln auszuschließen. Aber, Herr Kollege Würzbach, ein Wort zu den Fregatten. Wäre es nach dem jetzigen Bundesverteidigungsminister Hans Apel gegangen, so hätten wir heute bei der Fregattenvergabe diese finanziellen Probleme nicht. Das übrige Bundeskabinett und das Parlament - auch die CDU/CSU - waren es, die 1977 gegen die Empfehlung des damaligen Finanzministers und auch gegen die Bedenken des Verteidigungsministers den Bau der sechs Fregatten an den Bremer Generalunternehmer mit der Auflage vergaben, die Fregatten auf fünf Werften bauen zu lassen. ({3}) Natürlich hatte das auch beschäftigungspolitische Gründe. Ich tadle jene nicht, die aus Bund und Land kamen und sagten: Die Werften sind nicht beschäftigt, wir müssen hier etwas tun; außerdem ist es wichtig, daß sie Know-how lernen. Das wäre alles ganz wesentlich gewesen. Nur, eines lassen Sie sich alle - auch uns - gesagt sein. Mißachtet man, Herr Kollege Grobecker, sachliche Kriterien zu sehr, so wird das hinterher meist teuer. Aus heutiger Sicht sind dadurch Risiken und Verteuerungen entstanden, die das Verteidigungsministerium eben nicht zu verantworten hat. Deswegen finde ich es auch nicht glücklich - daß zur Deckung dieser 190-Millionen-Lücke ein Weg gefunden wurde, das war in Ordnung -, daß der Posten im Einzelplan 14 angesiedelt wurde, was angeblich nach dem weisen Ratschlag der Bundesregierung nicht anders möglich war. ({4}) Der Verteidigungsminister Hans Apel ist in dieser Sache nun wirklich derjenige, der zuletzt einen Tadel verdient hätte. Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat Kürzungen in Höhe von 326 Millionen DM beschlossen. Ich gebe zu, ich hätte ganz gern noch etwas mehr heruntergenommen. Darin drückte sich keine Gegnerschaft zur Bundeswehr und zur Landesverteidigung aus, sondern ausschließlich sparsame Ausgabenpolitik. Wir haben uns jedoch nicht damit zufrieden gegeben. Mit einer 10%igen Kürzung der im Haushalt 1982 eingestellten Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre von 1983 bis 1986 in den Kap. 1413 bis 1420, die, wie Sie sagten, rund 937 Millionen DM beträgt, wollten wir wieder finanzpolitischen Spielraum gewinnen. Die Regierung wurde aufgefordert, in der Zukunft die Preissteigerungsraten und die vereinbarten Stückzahlen nationaler wie internationaler Waffensysteme noch strenger zu kontrollieren und sich flexibler auf die jeweilige haushaltspolitische Lage einzustellen. Das dürfte doch wohl um so sinnvoller sein, als die übrigen NATO-Staaten vor vergleichbaren, ja sogar schwierigeren Haushaltsproblemen stehen. Wir müssen jedoch im Verteidigungsetat auch deshalb Spielraum gewinnen, da es gilt, für die Menschen in der Bundeswehr - Soldaten wie Zivilisten - etwas zu tun. Es ist ohne Zweifel so, daß die Bezahlung und das soziale Niveau der Soldaten und Zivilisten der Bundeswehr international an der Spitze stehen. Aber es gibt noch eine Reihe von Wünschen, deren Erfüllung lange nicht so teuer ist wie die Waffenbeschaffung. Es ist uns Sozialdemokraten nicht leichtgefallen, die Sparförderung für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende zu streichen. Die Kürzung der Beträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ist zwar im Hinblick auf die Rentenreform 1984 akzeptabel, weil dort die Ausfallzeiten endlich neu bewertet werden müssen. Aber es sind eben 200 Millionen DM Einsparungen gerade bei dem Kapitel „Sozialversicherungsbeiträge und Fürsorgemaßnahmen für Soldaten". Einsparungen im Rüstungssektor müssen uns für die kommenden Jahre Spielraum für berechtigte Forderungen der Bundeswehrangehörigen geben. ({5}) Die Bundesregierung könnte im Bausektor für die Modernisierung der Kasernen, Liegenschaften und der 160 000 bundeseigenen Wohnungen der Bundeswehr mehr Geld beschäftigungswirksam ausgeben. ({6}) Die Unterbringung von Wehrpflichtigen - übrigens auch von Zivildienstleistenden, die wir dabei nicht vergessen sollten, auch wenn es bei diesem Etat nicht angebracht ist -, aber auch von Familien versetzter Berufs- und Zeitsoldaten oder Zivilbediensteter der Wehrbereiche ließe sich in manchem Ort verbessern. Wir hätten als Berichterstatter in Kap. 14 12 gern einem größeren finanziellen Zuwachs bei der Unterhaltung der Grundstücke und baulichen Anlagen zugestimmt, wenn wir Kürzungsmöglichkeiten an anderer Stelle gefunden hätten. Falls die Bundesregierung mithelfen will, Herr Staatssekretär im Finanzministerium, den Bausektor anzukurbeln, bietet sich hier für den Bund eine lohnende Aufgabe. Berechtigte Forderungen haben auch die Frauen von Zeit- und Berufssoldaten, aber auch Frauen von zivilen Bediensteten, die nicht nur das Risiko auf sich nehmen, als Berufstätige im neuen Standort nach der Versetzung ihres Mannes keinen neuen Arbeitsplatz zu finden, sondern auch als Mütter oft große Sorgen wegen der Umschulung ihrer Kinder haben. Es hat mich betroffen gemacht, von Soldaten zu hören, daß sie bis zu sechs Mal in acht Jahren versetzt worden sind und auch mehrere Male umziehen mußten. Es müßte doch wohl möglich sein, die Verdoppelung der jährlichen Erstattungsbeträge für den Nachhilfeunterricht von 750 DM auf 1 500 DM je Kind zu genehmigen. Zur Zeit würde das 0,8 Millionen DM Mehrkosten ausmachen. Verheirateten Trennungsgeldempfängern sollte eine zweite Reise im Monat bei Familienheimfahrten über 300 km bezuschußt werden. Übrigens sollten auch für alle Intercity-Zuschläge übernommen werden, weil wir j a wollen, daß die Soldaten generell statt des Autos den Zug benutzen. Ich habe mir ausrechnen lassen, daß das 1982 3 Millionen DM Mehrkosten ausmachen würde. Herr Verteidigungsminister, Sie sparen ja bei MRCA. Vielleicht läßt sich dort etwas machen. Die Sicherstellung der Familienheimfahrten für Grundwehrdienstleistende - auch bei Erhöhung der Bahntarife - wird zusätzlich noch einmal 10 Millionen DM kosten, die wir auch gewähren sollten. Ein wichtiges Problem, das noch nicht endgültig gelöst ist, ist die Berufsausbildung bei der Bundeswehr. Zur Milderung der Arbeitslosigkeit hatte der Deutsche Bundestag im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung 389 zusätzliche Ausbildungsstellen mit der Maßgabe bewilligt, daß diese Stellen bis 1984 wieder abgebaut werden. In der augenblicklichen Situation ist die Kürzung der Zahl qualifizierter Ausbildungsplätze durch die öffentliche Hand nicht zu verantworten. Deshalb hat der Haushaltsausschuß hierauf verzichtet und es begrüßt, daß auch das Bundeskabinett vorher zu einem ähnlichen Beschluß gekommen ist. An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, daß wir eine kegelgerechte Kürzung um 1 845 Personalstellen im Ministerium, in der Zivilverwaltung, beim Bundeswehrbeschaffungsamt und in anderen Bereichen im Einzelplan 14 vorschlagen, wobei es uns wichtig ist, daß nicht zuerst die Eingangsämter weggestrichen werden, damit auch weiterhin junge Menschen den beruflichen Einstieg zur Bundeswehr im zivilen Bereich erhalten können. Es wird also niemand entlassen; nur keine Bange. Nur müssen die Aufgaben in der Zukunft von weniger Personal geleistet und damit gestrafft werden. Ausgenommen haben wir bei den Stellenkürzungen die Gesamtzahl der Soldaten von 495 000. Wir haben auch dem Wunsch nach weiteren Stellen für die Heeresstrukturreform mit rund 500 Stellen Rechnung getragen. ({7}) - Frau Präsident, ich komme sonst in Schwierigkeiten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir haben keine Zeit mehr. Sie müssen sowieso zum Ende kommen, Frau Kollegin.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich schaffe es noch nicht. ({0}) - Bitte; dann muß ich die Frage des Kollegen Biehle aber auch zulassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Sie haben das Wort zur Zwischenfrage.

Claus Grobecker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000730, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte Frau Kollegin Traupe nur fragen, ob sie es möglicherweise auch für notwendig hält, daß der Herr Verteidigungsminister zuhört, wenn über seinen Etat geredet wird. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Biehle.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, nachdem Sie gerade den Personalbereich angesprochen haben, frage ich Sie, ob Sie es volkswirtschaftlich für sinnvoll halten, wenn Beträge für zivile Wachen gestrichen werden und für die zu Hunderten zu entlassenden zivilen Wachmänner, die ein Alter von 50 und mehr Jahren haben, keine Arbeitsplätze mehr zu bekommen sind, so daß dafür dann das Doppelte an Arbeitslosenunterstützung und an sonstigen Sozialleistungen bezahlt werden muß, und ich frage Sie zu den Familienheimfahrten, ob Sie es für sinnvoll halten, hier Verbesserungen vorzunehmen, andererseits aber die heimatfernere Einberufung immer mehr zu verstärken, wie z. B. im Wehrbereich VI um bis zu 70%.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte, sich doch kürzer zu fassen.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Biehle, wir werden ja Gelegenheit haben, zu überlegen, wie sich das wirklich auswirkt. Das ist auch ein Steckenpferd von Herrn Zumpfort. Vielleicht kommt er noch darauf zu sprechen. Ich halte das, was eben von Ihnen gesagt wurde, für etwas fragwürdig. Meine Damen und Herren, meine Zeit wird knapp. Ich will allerdings sagen, daß auch uns bewußt ist, daß es Probleme wegen der Z-2-Soldaten gibt, und daß auch uns bewußt war, daß es einen Verwendungsstau gibt. Aber wir haben von Ihnen außer der ewigen Behauptung, daß es ihn gibt, noch keine einfallsreichen Lösungen genannt bekommen. Ich will abschließend dazu sagen: Es bleibt die Tatsache, daß wir ein soziales Netz in der Bundeswehr schon haben, das international bestaunt wird. In meinen Ausführungen muß ein Wort zur NATO-Infrastruktur und zum Finanzierungsanteil der Bundesrepublik gesagt werden. Es hat uns alle erschüttert, festzustellen, daß sich unser Anteil von 1981 auf 1982 von 260 auf 535 Millionen DM verdoppelt hat. Nach einer ausführlichen Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium und durch hartnäckiges Nachfragen bei den Verteidigungs4564 und Haushaltspolitikern wurde klar, daß fast alle finanziellen Auswirkungen des laufenden Programms, die auf uns zugekommen sind, 1979 nicht gesehen wurden. Denn wer hat bedacht, was das bedeutet? Ich habe nachgefragt, was das bedeutet. - Ich wäre dankbar, wenn ich von der Fraktion noch etwas Zeit bekäme; denn ich sollte dieses Kapitel noch behandeln. Die geographische Lage der Bundesrepublik Deutschland und ihre Aufgabenstellung im Bündnis, aber auch ihre wirtschaftliche Stärke mögen einen stattlichen Beitrag unseres Landes rechtfertigen. Bedenkt man allerdings, daß sich die Vereinigten Staaten an der NATO-Infrastruktur mit 27,4 % der Kosten beteiligen und die Bundesrepublik nur knapp 1 % weniger trägt, nämlich 26,5%, dann stellt man fest: Diese beiden Staaten finanzieren mehr als die Hälfte des NATO-Infrastrukturprogramms. Es stellt sich auch die Frage, ob das Programm für die Zeit von 1980 bis 1984 wirklich so aufgestockt werden mußte, nämlich auf 8,4 Milliarden DM, wenn es in der vorangegangenen Zeit, als es sich um eine Summe von 4,8 Milliarden DM handelte, gar nicht voll ausgeschöpft worden ist. Die Bundesrepublik hat außerdem bei AWACS einen Finanzierungsanteil von 30,7 % übernommen. Ich kann mich nur zu gut erinnern, daß ich als neue Haushälterin 1978 hörte, wir würden maximal 1,1 Milliarde DM Kosten zu übernehmen haben. Aber nun wissen wir schon, daß es mehr als das Doppelte ist. Deshalb hat sich der Haushaltsausschuß geschlossen - einmütig, Herr Verteidigungsminister - am 10. Dezember 1981 besorgt über die außerordentlichen finanziellen Steigerungsraten im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft gezeigt. Wir möchten über die Durchführung des jetzigen NATO-Infrastrukturprogramms und den Mittelabfluß genauer informiert und rechtzeitig konsultiert werden, ({0}) falls im Programmvolumen 1983/84 finanzielle und technologische Veränderungen vorgesehen werden. Wir möchten vor Abschluß der internationalen Verhandlungen informiert werden. Ich kann den Kollegen nicht verstehen, der hier verlangt hat, daß ein zusätzlicher Haushaltsvermerk angebracht wird. Wenn wir als Deutscher Bundestag Mittel bewilligen, dann sollten sich dieses Parlament und die dafür zuständigen Ausschüsse auch darüber informieren, was damit geschieht. Aber ich kann überhaupt nicht zustimmen, daß wir das alles auf dem freien Markt verbreiten müssen. Mit diesem Haushalt wird über die Mittel beschlossen; dann ist es auch Aufgabe des Parlaments, sich in seinen Ausschüssen über das Nähere zu informieren. ({1}) Die Bundesregierung hat im letzten Jahr hohe Vorleistungen im militärischen Bereich erbracht. Sie hat es getan, weil sie das Bündnis stärken wollte. - Frau Präsident, ich dachte, mein Kollege könnte sich noch überwinden, mir, wenn wir schon so spät reden, noch ein paar Minuten zu geben. - Es hat ein bißchen viel Arbeit gekostet, was wir gemacht haben. Bedenkt man auch, daß wir 1981 mehr als 14 Milliarden DM an die EG gezahlt haben, von denen nur knapp 8 Milliarden DM in die Bundesrepublik zurückfließen, so müssen wir alle unsere westlichen Partner fragen: Wer leistet eigentlich mehr vergleichbare internationale Zahlungen für das westliche Bündnis und die Europäische Gemeinschaft? Sollte es so sein, daß die Militärausgaben im Bündnis erhöht werden - ich bin dessen noch nicht sicher -, dann müßten wir eben bei der EG verhandeln, Herr Bundesaußenminister. Es kann doch wohl nicht so sein, daß wir ganz klar und deutlich - das ist ja auch in Ordnung; wir sind ein starkes Land - das meiste Geld zahlen, und dabei alle uns mißtrauen und gesagt wird, wir täten nicht genügend für die internationalen Verpflichtungen! ({2}) Ich hätte es auch lieber, wenn das Geld für Infrastrukturmaßnahmen in finanziell schwächeren Ländern verwendet würde anstatt bei uns. Meine Herren und Damen von der Opposition, wenn Sie sich der Mühe unterzogen hätten, sich gründlich zu informieren, könnten Sie bestätigen, daß es sich bei der Bundeswehr um eine ({3}) hochmoderne, qualifizierte Armee handelt, die während der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition und unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern finanziell hervorragend ausgestattet wurde. ({4}) Die Bundeswehr ist kein Papiertiger, wie markanterweise der Herr von „Christ und Welt" bzw. „Rheinischer Merkur" festgestellt hat. Sie hätten erfahren können, daß auch auf der Hardthöhe ein hoher Sachverstand vorhanden ist. Das war für mich die erfreulichste Erfahrung. Herr Zimmermann liegt falsch, wenn er sagt, er müsse den Bundeskanzler auffordern, dafür zu sorgen, daß da oben sachliche Arbeit geleistet werde. Auch die Arbeit derjenigen Mitarbeiter, die ein Parteibuch der CDU oder CSU haben, ist gut. ({5}) Meine Damen und Herren, hören Sie endlich auf, unsere Verteidigungsleistungen, den Minister, überhaupt alles herabzusetzen. Was soll der Blödsinn? ({6}) Erinnern Sie sich, Herr Haase, an den damaligen Bundesfinanzminister Strauß - das hat mir Herr Apel vorweggenommen -, der 1968 im Haushalt des Verteidigungsetats in noch sehr viel strengerer Weise gekürzt hat. Damals wurde auch gesagt, die Amerikaner würden zornig sein. ({7}) - Er hatte ja auch unsere Hilfe. - Herr Strauß hat zu Recht gesagt, man könne nicht alles gleichzeitig machen; das müßten auch die Partner im Bündnis akzeptieren. Fragen Sie lieber mit uns: Wie sparen wir auch im Verteidigungsbereich sinnvoll Geld? Wie schaffen wir es, internationale Abkommen zu erreichen, die die Verteidigungskosten begrenzen und eines Tages möglichst sogar senken? ({8}) Dem Herrn Bundesverteidigungsminister empfehle ich, auf seine Soldaten und Zivilbediensteten zu bauen. Wenn er sie ermuntert - und wenn wir in Bonn mit gutem Beispiel vorangehen - werden Sie staunen, Herr Minister, wieviel Geld beim Materialverbrauch und bei Waffen noch gespart werden könnte. Einigen der Herren Generäle möchte ich empfehlen aufzuhören, von einer schlechten Haushaltslage zu reden, als wären 44 Milliarden DM kein Geld. - Ich meine nicht Sie, Herr Generalinspekteur. ({9}) Sie sollen mithelfen, die Kosten der Waffensysteme zu begrenzen; denn wie heißt es doch: Sparsamkeit ist und bleibt eine Tugend. Wir wollen eine Verteidigungspolitik fortführen, die uns Sicherheit garantiert und gleichzeitig sparsam ist. - Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Würzbach.

Peter Kurt Würzbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verteidigung, d. h. die Bundeswehr, das Bündnis, die Wehrpflicht, das Geld im Verteidigungshaushalt, ist nach unserem Verständnis kein Selbstzweck, sondern ein wichtiges, ein zwingend notwendiges Instrument, um den Frieden in Freiheit und Menschenrechte und Gerechtigkeit zu erhalten und an die nachkommende Generation weiterzugeben. Ich will auf weitere Grundsätze, die im Rahmen dieser Problematik angesprochen werden müßten, nicht eingehen, weil Kollegen aller Fraktionen das schon in ausführlicher Weise getan haben, wenn auch nicht alle in der wünschenswerten Deutlichkeit. Aber jene, die ein gewichtiges Wort reden, sind hörbar gewesen. Ich will vielmehr auf die Rede des Verteidigungsministers von vorhin eingehen. Manche Passagen verdienen es nicht nur, sondern fordern es geradezu heraus, daß wir sie analysieren, untersuchen und auch, muß ich sagen, auf den Prüfstand der Wahrhaftigkeit stellen. Ich werde mich dabei solcher Aussagen bedienen, die zu diesen Problempunkten aus Ihrem eigenen Hause, aus Ihrer eigenen Umgebung - in der Masse von Ihnen selbst angefordert - gekommen sind. Sie sprachen häufig, Herr Minister, von Beständigkeit, von Berechenbarkeit, von Zuverlässigkeit - das wurde ein paarmal aufgenommen -, die aus dem Beitrag der Sozialdemokraten für die Verteidigung in den letzten Jahren deutlich würden. Ich will Ihnen für uns alle sagen: Wir wünschten, daß dies so wäre, wir wünschten, daß wir nichts zu kritisieren hätten. Nur: Das Bild ist leider ein anderes. Hier hat die Opposition die bittere Pflicht, diese Dinge beim Namen zu nennen und auf diese wunden Stellen, auch wenn es sich sehr hart anhört, einzugehen, da Sie darüber hinwegreden, da Sie das wegdrücken, nach vorn schieben oder verschönen. Ich nehme Bezug auf, wie ich meine, seriöse Untersuchungen, die auf Ihren speziellen Auftrag hin angestellt wurden. Ich konzentriere mich auf die Grundlage zum Haushalt. Das ist die Planung, der Planungsmechanismus, wo zumindest die drei großen Komponenten ineinandergreifen müssen: Was ist an Bedrohung vorhanden? Was ist technisch möglich? Was ist dafür finanziell möglich? Zu dieser Problematik der Planung haben Sie ziemlich zu Beginn Ihrer Dienstzeit auf der Hardthöhe eine - in der Mitte des Jahres 1980 vorgelegte - Expertenstudie angefordert, die bezüglich dieses Komplexes zu folgenden Ergebnissen kommt: Es heißt dort, die Probleme seien aufgetürmt worden; das praktizierte System, das eingerissen sei, nämlich Dinge zu strecken, zu streichen und vor sich herzuschieben in die Zukunft hinein, habe sich „bewährt", aber - so wörtlich -: Man kann kaum noch durchschauen, was eigentlich zuläuft und was außerdem erforderlich ist, um dieses Gerät einsatzfähig zu machen. Eine weitere Aussage: Um Personal und Struktur hat man sich zuwenig gekümmert. Man hat nicht genügend Gewicht auf diese großen Gebiete gelegt. Es heißt dort: Man hat keine Schwerpunkte gesetzt. Es wird festgestellt, es gebe bei der Planung ein konzeptionelles Defizit. Das war im Oktober 1980 und wurde Ihnen auf Ihre Anforderung hin auf den Tisch gelegt. Eine weitere Äußerung aus dieser Expertise für Sie lautet, daß die Bundeswehr aus dem inneren Gleichgewicht gebracht worden ist. Das sagen Ihre Experten, die auf Ihren Auftrag hin tätig wurden. Das war nicht etwa eine Polemik der Opposition zu dieser Grundlage der Planungsmechanismen. ({0}) Eine Planung, wenn sie den Namen verdienen soll, muß detailliert sein, muß periodisch wiederkehren, muß in sich geschlossen sein. Ich will mit einem Beispiel, das meine Fraktionskollegen schon von einer anderen Seite her ansprachen, noch einmal den Zustand schildern, wie er nachweisbar ist, wie er - ich bin sicher, daß mir viele der SPD- und FDP-Kollegen in dieser Bewertung folgen - leider ist. Der Fünfjahresplan, das Planungsinstrument der mittelfristigen Finanzplanung, ist zuletzt in einer gültigen Form verabschiedet worden, als der Minister Apel im Jahre 1978 in sein Amt kam, seitdem nicht mehr. Der Minister hat kein einziges Mal die politisch verbindliche und endgültige Entscheidung getroffen: So soll es sein, so soll geplant werden; mit diesem Geld werden in der Zeit diese Systeme für die Fähigkeiten wegen der Bedrohung und der nötigen Ausbildung zulaufen! Es wurde kein einziger Fünfjahresplan als Grundlage für einen mittelfristigen Zeitraum während Ihrer Amtszeit verabschiedet, obwohl man meinen sollte, daß Sie, als Finanzminister in dieses Amt gekommen, wenigstens diese Instrumente arbeitsfähig erhalten. ({1}) Ich will ein Wort zu dem jetzigen Fünfjahresprogramm, welches das Datum 1987 trägt, anfügen. Wenn die Informationen zutreffen, auf die wir angewiesen sind, die Sie der Opposition nur in der üblichen Form - ich werde Beispiele auch von heute geben - zukommen lassen, ist auch dieses Programm noch nicht verabschiedet. Sie haben Ihre Unterschrift nicht daruntergesetzt. Warum? - Weil, vorbehaltlich, die Information ist richtig, hier wieder ein Betrag im Zusammenlaufen fehlt, der sich etwa den 3 Milliarden DM annähert. Sie haben nicht die politische Kraft, dies entweder einzuwerben oder aber die nötigen Schwerpunkte zu setzen. Herr Minister, Sie haben auch heute wieder behauptet - Sie hatten einen Dialog mit dem Kollegen Manfred Wörner -, es sei ein Schlagwort, das die Opposition Ihnen gegenüber zunehmend benutze, wenn sie Ihnen vorwirft, Sie seien von der bedrohungsgerechten Haushaltsgestaltung zu einer ausschließlich finanzwirtschaftlich orientierten Haushaltsgestaltung hin abgerückt. Heute haben Sie gesagt, das sei eine konstruierte Geschichte. - Ich zitiere das, was der Verteidigungsminister Apel - nachzulesen im Protokoll der Rüstungsklausur - gesagt hat: „Immerhin vollzogen sich Veränderungen von einer bedrohungs- zu einer finanzorientierten Planung seit 1975". ({2}) Originalton Apel! ({3}) Ich stelle fest, Apel sagte damals - es ist wenige Monate her - konkret das Gegenteil dessen, was Apel hier heute gesagt hat. 1975 war übrigens derselbe Bundeskanzler im Amt und trug für diese Umstellung die Verantwortung, und der jetzige Verteidigungsminister war sein Finanzminister. Herr Minister, Sie räumten in Ihrer Rede ein - dabei wollten Sie dann ein wenig die Zustimmung aller einholen -, daß Ihre Anmeldungen für den Haushalt 1982 - so haben Sie formuliert - nicht in der erwarteten Masse bedient - bedient! - worden seien. So war Ihre Formulierung. ({4}) Ich will Sie hier nur noch einmal fragen - Beispiele haben Sie Ihren eigenen Kollegen, uns und der Offentlichkeit so viele gegeben -: Wo ist eigentlich ein Einsatz für Ihren Verantwortungsbereich, der annähernd so sein sollte, wie ihn all Ihre Kabinettskollegen immer wieder vollführt haben? ({5}) Hier kann man nicht sitzen und darauf warten, daß man bedient wird, sondern hier hat man für sein Ressort auch um die nötigen Ansätze zu kämpfen. Ich will ein Beispiel nennen. Der Kollege Hoppe mußte uns im Haushaltsausschuß bestätigen, daß Sie für - wie Ihr Generalinspekteur sagt - eines der zentralen Probleme, für den Verwendungsstau, dort nicht einmal einen Antrag auf den Tisch gelegt haben, um überhaupt nur irgendwelche Mittel zu bekommen. ({6}) Herr Minister, der Kollege Wörner nahm Ihnen vorhin ein bißchen die Luft weg, als er bereits vorab sagte, von der Koalition werde nach der alten Masche auf uns - so sage ich einmal - eingedroschen und gefragt: Wo bleiben eure Anträge? Der Kollege rief das ja eben auch dazwischen. Sie haben es ein bißchen anders formuliert, haben gemeint, Sie wollten das nicht sagen, sind aber auf genau der gleichen Schiene wieder tätig geworden. Ich will Ihnen sagen: Eine Planung, die völlig durcheinandergeraten ist - dies haben wir Ihnen die ganzen letzten Jahre vorgehalten; Beispiele habe ich eben gegeben -; eine Praxis, bei der man hier etwas wegnimmt und dort etwas hintut, ohne sich heute darüber im klaren zu sein, wie ich die aufgerissenen Löcher wann wieder reparieren kann; eine - ich will zurückhaltend sein - unvollständige oder - ich benutze das Wort des Kollegen Würtz - geschönte - jeder weiß, was dies in der deutschen Sprache eigentlich heißt - Information, die Sie uns dauernd geben; oder das Fehl durch Überkipper aus dem Jahre 1981 lediglich etwas unter einer Milliarde Mark; die angesprochenen fehlenden drei Milliarden in dem Fünfjahreszeitraum; die vom Kollegen Stavenhagen angesprochenen Fehlbeträge im Zeitraum bis 1984 für die NATO von - aus Ihren Unterlagen hervorgehend - zehn Milliarden und jegliches Fehlen eines Antrages von Ihnen im Kabinett sowie Ihr schweigendes Danebensitzen im Verteidigungsausschuß und - wie viele von uns miterlebt haben - im Haushaltsausschuß, dies ist das, was Sie sich und wir Ihnen vorhalten müssen, und Sie können es sich hier nicht so leicht machen und sagen: Opposition, mach' du die Anträge, ich, Apel, habe wohl mit SPD und FDP die Mehrheit, aber beantragen tue ich nichts. - Anders ist es offenbar nur dann - und das tut ja weh -, wenn der Sprecher der Bundesregierung verkündet, der Verteidigungsminister habe sich vehement dafür eingesetzt, daß - Herr Apel, ich nenne gleich das Gebiet, für das ich als Schleswig-Holsteiner Sympathie habe - die Butterfahrten erhalten werden. Da haben Sie sich vehement eingesetzt! So ist es aus der Pressemeldung Ihrer eigenen Regierung zu ersehen. ({7}) Hier aber gehen Sie auf Tauchstation, und nichts kommt. ({8}) Ich zitiere noch einmal den Journalisten einer Zeitung, der mit Ihnen bislang eigentlich sehr gnädig umgegangen ist, und ich lasse dabei viele Sätze mit bösen, mit für Sie bezeichnenden Aussagen weg und zitiere nur dies: „Ihm bleibt nur das Spiel des Taktierens oder des Verzögerns". Ich will Ihnen hier noch eine Alternative nennen, und zwar eine grundlegende Alternative. Die Union ist ohne Ausnahme - hier nehme ich nicht nur die Abgeordneten in der Fraktion, sondern alle Landesverbände, alle Bezirksverbände, alle unsere Vereinigungen - geschlossen in der Frage der Sicherheit, der Verteidigung und all der Dinge, die dafür nötig sind. Und wie sieht die Lage bei Ihnen aus? Eine tiefzerstrittene Partei, eine immer zerstrittener werdende Fraktion hier im Bundestag. Ich will nicht auf alte Dinge zurückgehen, sondern Ihnen ein paar aktuelle Beispiele nennen. Vom NATO-Doppelbeschluß rücken immer mehr Abgeordnete, Bezirksverbände, Landesverbände ab, die nicht verstanden haben, warum dieses Instrument, das wir unterstützen, für Ihre Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt angelegt ist. Oder: aus dem Parteivorstand der SPD - stellvertretender Vorsitzender: der Bundeskanzler - legt ein Referent einen Entwurf für Ihren Bundesparteitag zur Problematik der Sicherheitspolitik vor, der - nicht mein Zitat - vom Verteidigungsminister als „indiskutabel, als wohl einer anderen Partei zugehörig" beschrieben wird. Ich glaube, deutlicher kann man dieses überhaupt nicht kennzeichnen. Ich zitiere hier aus seriösen Zeitungen, wenn aus den Reihen Ihrer eigenen Freunde gesagt wird, daß in diesem Papier und in dem Drumherum deutlich spürbar wird, daß man in der Partei auf Distanz zur Bundeswehr gehe, daß die Sicherheitspolitiker in eine Isolierung geraten, daß der Kontakt zur Bundeswehr in der SPD unpopulär sei; und von einer Richtungsänderung wird gesprochen. Ich leite zu einem letzten Beispiel über. Herr Kollege Wischnewski, ich entnehme Meldungen, daß Sie und der Kollege Ehmke, zwei namhafte Vertreter Ihrer Partei, sich auf einem am letzten Wochenende stattgefundenen Bezirksparteitag vehement gegen Anträge zur Wehr setzten, jährlich den Etat, über den wir heute reden, um 5% zu reduzieren. Sie sind es gewesen, der gesagt hat - an die Adresse Ihrer Genossen -: „Leute, ihr dürft die Sowejtunion nicht mit einer Heilsarmee verwechseln." Wie ist das Ergebnis? Trotz der Worte von Wischnewski und Ehmke - zwei namhaften Vertretern - so melden die Agenturen, wird dieser Beschluß gefaßt. - Sie sprachen vorhin vom Spiegelbild. Auch dieses ist ein deutliches - uns nicht erfreuendes - Spiegelbild mit kennzeichnender Wirkung auf diesen Bereich, über den wir reden. ({9}) Herr Kollege Wischnewski, wo ich gerade bei Ihnen bin und Sie erfreulicherweise noch hier sind, noch eine Anmerkung. Sie sagten vorhin, wir ließen mit dem Nein zum Verteidigungshaushalt die Bundeswehr im Stich. Das ist eine Äußerung, mit der, glaube ich, wir im Parlament und jeder zuhörende Bürger sich im Grunde nicht näher beschäftigen müssen. ({10}) - Hier kommt der Zwischenruf „Karneval". Ähnlich in der Tat, ist dieses einzuordnen. Hier sind vorhin Beispiele gegeben worden, wie wir in der Form vorgehen. Nur eines möchte ich noch sagen, weil Sie dies vorhin sehr pointiert forumliert haben. Sie haben uns vorgeworfen, die Union diskutiere nicht, im Unterschied zu Ihnen. Ich will Ihnen sagen: zur Demokratie und gerade für diesen Verantwortungsbereich gehört es, nach der Diskussion auch die klaren Entscheidungen in der Sache zu treffen, für die getroffene Entscheidung einzutreten und sie dann auch durchzusetzen. ({11}) Ich war bei den erkennbaren Spaltungsprozessen und möchte dies, bezogen auf die Sicherheitspolitik, an einem weiteren aktuellen Beispiel verdeutlichen. Herr Minister, im Verteidigungsausschuß haben wir zu Einzelplan 14 über 22 Kapitel beraten, und Ihre Freunde aus der SPD haben ausnahmslos zugestimmt. Ein paar Tage später im Haushaltsausschuß werden 15 dieser Kapitel von Ihren Kollegen gekürzt, einige sogar ein zweites Mal. ({12}) Ich will hier nicht noch einmal in Erinnerung rufen, daß Sie teilnahmslos, schweigend oder resigniert, ich weiß es nicht genau, danebensitzen. Als die Kollegin Traupe vorhin versuchte, bezüglich der Infrastruktur eine Bitte vorzutragen, war es im Grunde entlarvend, daß sie diese nicht an Sie als den zuständigen Ressortminister richtete, sondern direkt den anwesenden Staatssekretär ansprach. Sie scheint aus Ihrem Verhalten die nötigen Konsequenzen gezogen zu haben. ({13}) Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe hier auf die Grundlage hingewiesen, die, wenn ich das einmal zurückhaltend formulieren darf, auseinanderzurutschen im Begriffe ist. Ich möchte Ihnen Mut machen, sich aus gemeinsamer Sorge einzusetzen, auch in der Öffentlichkeit mehr zu werben und für diesen Einzelplan einzutreten, der für eine bestimmte Politik steht. Vielleicht machen Ihnen zwei kurze Zitate aus folgendem Papier doch ein wenig Mut. Ich möchte aus einer Erklärung der Bundeswehr und der Gewerkschaften, aus einer gemeinsamen Erklärung für die zukünftige Zusammenarbeit zitieren. Dort steht: Soziale Sicherheit und Selbstverwirklichung bedürfen der äußeren Sicherheit. Bundeswehr und Gewerkschaften stimmen darin überein, daß das eine das andere bedingt. Frieden in Freiheit ist das höchste Gut und für ein menschenwürdiges Leben unverzichtbar. Freiheit von sozialer Not läßt sich nur in Frieden verwirklichen. Es geht weiter: Wunsch und Sehnsucht nach Frieden reichen aber allein nicht aus... Frieden muß erst möglich gemacht werden durch Selbstbehauptungswillen und Verteidigungsfähigkeit. Ich möchte Sie regelrecht auffordern: Nutzen Sie die Bereitschaft, den großen Konsens, den Sie viel zu gering einschätzen, in der Öffentlichkeit, um in dieser Form draußen werbend, erklärend und Unterstützung einholend zu informieren. ({14}) Meine Damen und Herren, auch ich habe vor, hier kurz ein wenig zur NATO zu sagen. Ich will mich darauf beschränken, an alle Mitglieder der SPD und der FDP den Appell zu richten, mit dem gleichen Einsatz, ({15}) mit dem Sie sich um politische Dinge in Richtung Osten bemüht haben und bemühen, endlich wieder dafür zu sorgen, daß das NATO-Bündnis berechenbar, zuverlässig und stabil wird und so wiederhergestellt wird, daß es seinen Auftrag erfüllen kann. Hier haben wir nicht auf andere Bündnispartner, kleinere, weiter weg gelegene, sich nicht direkt an der Nahtstelle befindende, zu gucken, sondern hier wissen wir, daß wir in einer besonders gefährlichen Lage sind und viele Bündnispartner auf uns schauen. Ich möchte hier nicht noch einmal auf Amerika hinweisen, sondern Sie aufrufen: Kümmern Sie sich auch um den neu zu uns kommenden Mitgliedstaat Spanien! Helfen Sie mit - frei von ideologischer Betrachtung -, die NATO auch im Bereich Türkei und Griechenland ({16}) und in den anderen Bereichen wieder stabil zu machen. Außenminister Genscher sprach vom Fundament unserer Sicherheit. Ich warne vor Bahrscher oder Wischneswki-ähnlicher Experimentier- oder alternativer Überlegungsart und hier die solide Grundlage unseres Bündnisses in Frage zu stellen. Ich möchte mit Blick auf die amerikanischen Soldaten einen Gedanken hinzufügen, ({17}) der heute in der Form noch nicht angesprochen worden ist: Wenn wir die Amerikaner mit ihren konventionellen Streitkräften in der gegenwärtigen Anzahl nicht hier behalten - niemand von uns kann sie ersetzen, abgesehen davon, daß ich bezweifle, ob manche es wollen; ({18}) selbst wenn diese es wollten, ist die Frage: Wie könnte man es tun? -, tragen diejenigen, die dies betreiben, dazu bei, daß die atomare Schwelle in einer ganz gefährlichen Form gesenkt wird. ({19}) Ich hoffe, daß dieser Zusammenhang gesehen wird. Und: Eine solche Bewegung trägt darüber hinaus dazu bei, daß das, was wir gemeinsam wollen, nämlich die Realisierung der Chancen auf ein erfolgreiches Abkommen in Wien oder in Genf, immer weniger wahrscheinlich wird. Das, was ich hier erklärt habe, ist übrigens Bestandteil der offiziellen Politik Ihrer Bundesregierung. ({20}) Herr Minister, es drängen sich eine Vielzahl von Dingen die Entwicklung unserer Streitkräfte betreffend auf, die Sie verschwiegen haben. Sie haben nichts darüber gesagt, wie Sie auf die Einsatzfähigkeit, auf die Ausbildung, auf die Präsenz Einfluß nehmen. Ich werde hier auf ein, zwei Beispiele eingehen, ({21}) die Sie in Ihrer Rede genannt haben, obwohl andere für die Opposition weit ergiebiger sein könnten. Ich will mich einmal an das halten, was Sie angesprochen haben: Sie haben eingeräumt, daß Sie Probleme, Engpässe, im Bereich der Entwicklung des Fernmeldematerials sähen. Ich will nicht mutmaßen, warum Sie sich dieses Gebiet herausgenommen haben. Aber ich bleibe bei dem Gebiet und darf hier auch wieder Originaltöne von Verantwortlichen um Sie herum vorführen. Zunächst darf ich Ihren Ministerialdirektor Fuchs zitieren, einen B-9-Besoldeten, wie ich sicher bin, bewußt von Ihnen in dieses Amt berufenen hochqualifizierten Fachmann. Er sagt beim Fernmeldewesen, es sei die Grenze des Vertretbaren erreicht. Die Eingriffe gingen jetzt schon an die Substanz. Überaltertes Material noch länger zu benutzen und zusätzlich den Aufwand bei der Erhaltung zu reduzieren, vertrage sich nicht. Man könne nicht gleichzeitig technisch aufwendige Ersatzbeschaffungen hinausschieben und außerdem auch noch Erhaltungsanforderungen beschneiden. Der Inspekteur der Luftwaffe zu diesem Thema, das Sie ausgewählt haben: Schwerwiegende Sicherheitsprobleme bereits heute. Die Aufgabenerfüllung wird durch die Überalterung der Geräte beeinträchtigt. Inspekteur der Marine: Unterste Grenze des Verantwortbaren ist bereits erreicht. Wieder der Ministerialdirektor Fuchs: Ergänzung und Ersatz sind schon in unvertretbarem Maße nach vorne in die Zukunft verschoben worden. ({22}) Ihr Staatssekretär Dr. Leister zu diesem Thema: Bereits bis zum Äußersten um Einsparungen gerungen. Für noch vertretbare Kürzungen kein Raum. Bereits voll ausgeschöpft. Der Inspekteur des Heeres zu diesem Thema: Der derzeitige Gerätebestand kann nur noch gerade notdürftig aufrechterhalten werden. Die Wirksamkeit moderner Waffensysteme unterliegt vermehrt dem Ausfall, und sie können nicht benutzt werden. Einschränkung! Damit das neue System nicht mehr voll zu verwenden! Herr Minister, ich will einmal davon ausgehen, daß Sie diese Warnungen Ihrer Fachleute zur Kenntnis genommen, gelesen, gewichtet haben. Dann will ich Sie nur fragen: Wir können Sie es vertreten, schweigend dazusitzen, wenn Ihnen Posten um Posten gestrichen wird, und das so anzusehen, als sei die Welt in Ordnung, und hier behaupten, die Bundeswehr sei einsatzfähig? ({23}) Ich kann das gleiche bei den Betriebsstoffen, bei der Munition, beim Sanitätswesen, in anderen Bereichen tun. Ich habe das Gebiet, daß Sie uns für die Auseinandersetzung heute angeboten haben, gewählt, obwohl es in den anderen - ich sage das noch einmal - in manchen Zusammenhängen noch viel schlimmer ist. Meine Damen und Herren, auch in die Haushaltsdebatte - und ich mache hier nicht die Übung, um zu sagen, was der Ansatz im Haushalt ausmacht - gehört ein Wort zum Rückzug aus der Informationspolitik, was die Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeht. ({24}) Das Weißbuch ist überfällig, vom Datum her, überfällig, weil sich die sicherheitspolitische Szene inzwischen gewandelt hat: Afghanistan, Polen, Ostsee, Schweden, SS-20 - ich kann eine Fülle mehr aufzählen. Das macht eine solche Information vor dem Hintergrund einer von der Emotion aufgewühlten, desinformierten Öffentlichkeit lange überfällig. Es war für dieses Jahr zugesagt, ist von Ihnen, Herr Minister, aber wieder in das Jahr 1983 verschoben worden. Ich weiß mich in der Beurteilung dieser Situation auch mit Abgeordneten der FDP einig. Wenn ich werten soll, wie es sein kann, daß der Minister für die Bundesregierung eine solche Information zu einem solchen Zeitpunkt verwehrt, komme ich dazu, daß sich hier ein Maß an Ratlosigkeit und der Mangel an Mut, die Dinge beim Namen zu nennen, und zu offenbaren, was nötig ist und was man unterlassen hat, welche Konsequenzen daraus zu ziehen nötig ist, verbinden. Die Emotion an der Stelle der Information weiter bestehen zu lassen, ist eine gefährliche Situation für uns alle - dies muß ich noch einmal betonen -, und wir sollten dies ändern. ({25}) Der Außenminister sprach vorhin in ähnlichem Zusammenhang bezüglich der Information von einer milden Rüge; ich möchte sagen, daß hier mehr am Platze ist. Was tut aber die Regierung, und was läßt der Verteidigungsminister schweigend mit sich machen? Er läßt Kürzungen durchgehen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, im Bereich der Ansätze für die psychologische Verteidigung, im Bereich der Nachwuchswerbung. Ich will hier einmal schildern, was unsere verehrte Schriftführerin Frau Traupe im Haushaltsausschuß zu dem Titel „Nachwuchswerbung", bei dem, wie ich glaube, eine Million DM gestrichen werden mußte, fast wörtlich gesagt hat: Der Minister sollte häufiger eine vernünftigere Rede halten; dann können wir hier eine Million DM streichen! ({26}) Herr Minister, ich wiederhole, was ich im Verteidigungsausschuß zu Ihnen sagte: Es ist inzwischen, wenn es darum geht, Reden zu halten, eine Situation erreicht - ich sage dies ohne Schadenfreude -, in der Sie nicht einmal mehr in Ihrer eigenen Heimatstadt Hamburg zu diesem Problemen, bei denen Sie nicht nur für Ihre Partei, sondern für uns insgesamt stehen, das Wort nehmen dürfen. Hier schließt sich der Ring der Informationsverweigerung, bezogen auf das Informieren, den offensiven, verständlichen ständigen Dialog über diese Fragen der Sicherheitspolitik. ({27}) Herr Minister, ich möchte unsererseits ausdrücklich begrüßen, daß Sie, was die Z-2-Soldaten angeht, in Ihrer Auffassung gewissermaßen einen Schwenk gemacht haben. Es wundert uns zwar, daß Sie innerhalb von nur vier Wochen einen solchen Schwenk gemacht haben. Es ehrt Sie aber, daß Sie dies heute hier offen anerkennen und nicht darum herumreden. Sie haben uns hier vorhin mitgeteilt, daß Sie - genau entgegengesetzt dem, was Sie uns im Haushalts- und im Verteidigungsausschuß mit Einsatz als der Weisheit letzten Schluß kundzutun versuchten - die Zeitsoldaten doch wieder in größerer Zahl - der augenblickliche Stand kann auf diese Weise beibehalten werden - in die Streitkräfte hineinholen wollen, um wenigstens eine Möglichkeit zu haben, den Mangel an Unteroffizieren auszugleichen. Wir anerkennen dies. Wir unterstützen Sie. Wir wundern uns allerdings, daß sich in vier Wochen auf einmal eine andere Situation entwickelt haben soll. Herr Apel, mit Selbstlob haben Sie festgestellt, daß Sie 500 Stellen zum Abbau des Verwendungsstaus in die Heeresstruktur bekommen. Sie haben die Heeresstruktur um die doppelte Zeit gestreckt, eine Maßnahme der durcheinandergeratenen Planung. Ich muß sagen, dies ist nicht der Weg, um den Verwendungsstau abzubauen, der immer noch ein schlimmes Problem darstellt. Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich, Herr Minister Apel, für unredlich halte. An dieser Stelle will ich meinerseits einmal eine Wertung hereinbringen und diese auch begründen. Sie haben gesagt: Wir werden dafür sorgen können, die Streitkräfte genauso einsatzfähig zu halten, wie sie derzeit sind, wenn ein paar Dinge erfüllt werden. Daraufhin haben Sie fünf oder sechs Punkte aufgeführt. Einen davon habe ich mitgeschrieben. Er lautet: Es kann sein, daß die Klarstandsrate bei Rad- und Ketten-Kfz vorübergehend gesenkt werden muß. - Hier haben Sie doch hinter einer geschickt gewählten, durch Worte getarnten Formulierung eingestanden, daß Sie stillegen und stillegen und stillegen müssen und damit die Einsatzfähigkeit reduzieren, ({28}) die Gammelei, das Herumsitzen der Soldaten ausweiten und dadurch einen Kreislauf in Gang setzen, der eine gefährliche Eigendynamik entwickeln wird. ({29}) Herr Minister, Sie haben kein Wort zur Kaderung gesagt. Sie haben kein Wort zur Reduzierung des Umfanges gesagt. Sie haben kein Wort zur in den nächsten Jahren einsetzenden Personalbedarfsdekkung gesagt. Dies aber wäre in einer solchen Debatte, in der Etatberatung Ihre Pflicht gewesen. Ich möchte Sie, weil Sie dies unterließen, dazu aufrufen: Bewahren Sie nicht nur sich, sondern uns alle, die Streitkräfte und die Sicherheit vor einer ähnlichen hinter Worten versteckten, getarnten Vorgehensweise, was die Reduzierung, was die Kaderung angeht, indem Sie einfach die Kriterien heruntersetzen und sagen: Kaderung ist erst dann, wenn der Einsatzstand, die Präsenz unter die Prozentzahl X - diese können Sie bei 60 % oder bei 50 % greifen - sinkt, erreicht. Wir haben heute schon in vielen Bereichen gefährlich gekadert, reduziert und anderes getan. Lassen Sie uns diese Dinge besonnen weiterentwickeln. Diskutieren Sie dies gemeinsam mit uns, und zwar rechtzeitig, damit auf diesem Wege unsere Sicherheit nicht weiter ausgehöhlt wird. Ich schließe mit einer Bemerkung, die der Bundeskanzler letzte Woche gemacht hat. Er hat ausgeführt, daß die Bundeswehr trotz einiger öffentlicher Schelte unter Dr. Apel zu einer der besten Armeen der Welt geworden sei. ({30}) - Hier kommt der Zwischenruf, vielleicht sogar von einem Ihrer Kollegen; ich konnte das nicht hören -: ({31}) „Das war fast peinlich!" Ich will nur fragen: Was muß der Bundeskanzler für ein Gefühl gehabt haben, als er dieses sagte! Oder sagte er dies nur aus Verpflichtung Ihnen gegenüber, weil er Sie, der Sie sich sträubten, wie wir wissen, bis zum Vorabend, in dieses Ressort zu gehen, doch in dieses Ministerium gesetzt hat? Und wenn die Bundeswehr, Herr Minister Apel, heute noch eine ordentliche, eine gute, eine mit immer wieder neu vorgenommenen Anstrengungen der Offiziere, der Unteroffiziere, der Mannschaften, der Beamten, Arbeiter und Angestellten ihren Auftrag erledigende Armee ist, dann, weil diese trotz der Unglaubwürdigkeit, der Unstetigkeit, der Unberechenbarkeit ({32}) der politischen Führung in engagierter Form ihren Dienst tun. Wir werden für die Sicherheit, für die Verteidigung den notwendigen Preis, den unsere Wachsamkeit erfordert, erbringen. ({33})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort.

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Würzbach, man sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, weder das Wort der Kollegin Traupe, das sie soeben über den Minister Apel gesagt hat - sie sagt ja manches, weil sie Lehrerin ist und es besser weiß -, noch viele der Worte, die Sie gesagt haben. Denn wenn ich Sie ernst nehme, muß ich als Haushaltspolitiker sagen: Sie sind mir ein arges Haushaltsrisiko. ({0}) Rechnen Sie doch mal nach, was Sie hier in Ihrer relativ langen Redezeit an Ausgabenvorschlägen gemacht haben, und berücksichtigen Sie mal, welche Ausgaben auf uns zukommen, wenn man Ihren Vorschlag annimmt, wobei nicht einmal das Parlament mehr die Ausgaben bestimmt, sondern, wie Sie es j a andeutungsweise vorgetragen haben, die Inspekteure der Teilstreitkräfte, wenn wir all ihren Wünschen nachgeben wollen. So kann es nicht gehen. Und im übrigen: Wenn Sie und Ihre Fraktion bemängeln, wir hätten offensichtlich zuwenig getan - das ist ein ernster Vorwurf -, dann hätten Sie an dieser Stelle Anträge stellen müssen. Dann hätten Sie aber auch den Beweis dafür antreten müssen, wie Sie das finanzieren wollen. Genau das ist nicht passiert. ({1}) Gestatten Sie, Herr Kollege Wörner, ein Wort zu Ihren Ausführungen. Ich muß Sie fast einen Zahlenfetischisten nennen. Sie müssen den Unterschied zwischen relativen Anteilen und absoluten Steigerungsraten noch einmal genauer betrachten. Das sind zwei verschiedene Dinge. Um das mal auf Ihre Person zu bringen: Sie haben heute zu diesem Thema relativ weniger geredet als bei der letzten Haushaltsberatung; ich sage aber nicht, daß Sie absolut in Ihrem Engagement für die Verteidigungspolitik nachgelassen haben. ({2}) Übertragen wir dies auf die Bundeswehr und den Gesamthaushalt, so muß man feststellen, daß zwar der Anteil der Bundeswehr, des Etats 14, am Gesamthaushalt relativ von 1970 bis jetzt abgenommen hat, und zwar deswegen, weil der Gesamthaushalt gewachsen war auf Grund eines Wachstums der Wirtschaft und daraus folgender höherer Steuereinnahmen und weil wir zusätzliche neue andere Ausgaben finanzieren mußten, daß aber absolut gesehen ({3}) - hören Sie doch erst mal zu; ich glaube, das Prinzip der Opposition besteht immer darin, ({4}) von vornherein zu sagen: nein, das stimmt nicht, oder eine Frage zu stellen, bevor man zu Ende geredet hat - in den letzten zehn Jahren, auch nach NATO-Kriterien - das hat der Minister soeben deutlich gemacht -, der Einzelplan 14 um real 2,8 gewachsen ist; und im Jahr 1981 - das wissen Sie genau - waren es real sogar 3,5 %.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Zumpfort, es mag sein, daß die Abendzeit meine Logik etwas beeinträchtigt hat, ({0}) aber ich verstehe nicht ganz Ihre Gedankenführung. Sie haben mir soeben ({1}) in sehr komplizierten Vergleichen - ({2}) - Lassen Sie mich doch fragen! Sie müssen mir zugestehen, daß ich drei Sätze vorausschicke. Ich sage also: Sie haben mir mit komplizierten Gedankengängen zu suggerieren versucht - und den anderen auch -, daß, obwohl der Staatshaushalt größer geworden sei, obwohl, wie Sie sagten, die Wirtschaftskraft größer geworden sei, der Anteil der Verteidigung am Gesamthaushalt abgenommen habe. Wenn Sie jetzt - -({3}) - Ja, natürlich.

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Relativ heißt aber nicht, daß er absolut weniger gekriegt hat. Er hat seine eigenen Steigerungsraten. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielleicht darf ich mich mit Ihrer gütigen Erlaubnis hier kurz einschalten. Herr Zumpfort, wenn es irgendeinen Maßstab für das gibt, was ein Staat zugunsten eines bestimmten Bereichs aufwendet, dann drückt es sich doch in der Prozentzahl aus, die die Ausgaben, gemessen am Gesamthaushalt, in diesem bestimmten Bereich ausmachen. ({0}) Wenn die Ausgaben für die Verteidigung von 25,1 oder 25,2 % auf 17 oder 17,5 oder 18,2 % zurückgegangen sind, dann bedeutet das in absoluten Zahlen nahezu 20 Milliarden DM weniger. Das ist genau das Geld, das der Bundeswehr fehlt, um einsatzkräftig erhalten zu werden. ({1})

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wörner, ich verstehe Ihre Ausführungen; aber ich glaube, Sie verstehen immer noch nicht, was ich gesagt habe, nämlich den Unterschied zwischen relativen Zahlen und absoluten Zuwachsraten. Wenn wir Ihrer These folgen, dann müßten wir bei beliebigen Sprüngen im Bruttosozialprodukt und damit bei Steuereinnahmen, die auch die Ausgaben des Haushalts bestimmen, auch beliebige Sprünge beim relativen Anteil des Verteidigungshaushalts machen. Das hieße erst recht eine einnahmenorientierte Ausgabenplanung beim Einzelplan 14, und darum kann es doch nicht gehen. Ich sage es einmal so. ({0}) Herr Kollege, im übrigen sollten wir das lassen. Wir könnten das gern erörtern; ich bin Volkswirt und könnte Ihnen da gern Nachhilfeunterricht geben. ({1}) Wir können das Problem an anderer Stelle noch einmal aufnehmen. In einem Punkt haben Sie sich geirrt, Herr Kollege Stavenhagen. Die Zahlen für 1982 sehen im Augenblick nicht so aus, wie Sie sie genannt haben. Hier müssen wir auch abwarten, was das Jahr zeigt. Im übrigen sind Personalverstärkungsmittel in den Haushalten aller Nationen enthalten, so daß Sie sie bei uns nicht herausrechnen dürfen. Gerade die Engländer haben einen relativ großen Personalanteil, und wenn dort die Besoldungen erhöht werden, heißt es auch, daß sich da etwas verbessert. Ich weiß, Sie haben es nicht so gesagt, aber der Eindruck ist entstanden.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würtz?

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Oder ich nehme mir die Freiheit, gegen die Kollegen Parlamentarische Geschäftsführer und gegen den Usus hier etwas länger zu reden. Das hängt von Ihrer Güte ab, Herr Vorsitzender. Ich möchte es nicht tun.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Es liegt in Ihrer Entscheidung, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, Herr Abgeordneter.

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gern.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Zumpfort, würden Sie so freundlich sein, mir etwas Nachhilfeunterricht zu erteilen ({0}) und mir zu sagen, in welcher Größenordnung der Verteidigungshaushalt in diesem Jahr steigen müßte - Sie sind j a Volkswirt -, wenn wir der Überlegung von Herrn Dr. Wörner folgen würden, auch in diesem Jahr 25,1 % für die Verteidigung auszugeben? ({1})

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das hat er nicht gefordert. Er hat nur gesagt was fehlt, wenn wir bei der Steigerungsrate geblieben wären, wenn ich ihn richtig interpretiere. Ich glaube, wir sollten das dabei bewenden lassen. Ich glaube, diese Zahlenspielereien bringen uns auch vom eigentlichen Thema ab. Es ist nicht das Thema, was wünschbar ist, wenn kein Geld da ist und wenn keine vernünftigen Relationen bestehen. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen?

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wissen Sie als Volkswirt, daß nach den NATO-Kriterien witzigerweise immer noch der Bundesgrenzschutz dazugerechnet wird, obwohl er längst keinen Kombattantenstatus mehr hat, sondern reine Polizeiaufgaben wahrnimmt?

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das hat mit dem Volkswirt nichts zu tun, sondern das muß ich wissen, weil ich Berichterstatter über diesen Etat bin. ({0}) Ich wollte noch etwas ausführen und dieses in drei Teile gliedern. Einmal wollte ich sagen, wie der Haushalt aussieht, zweitens wollte ich darstellen, warum wir noch weiter sparen müssen, und drittens wollte ich klarmachen, wie wir weiter sparen wollen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, daß ich dieses jetzt ausführe und keine Zwischenfrage mehr zulasse. Was folgt aus den Zahlen, die ich soeben dargestellt habe? Erstens. Das Haushalts-Soll - auch das muß man sehen -, wie es jetzt im Haushalt steht, ist höher als der Regierungsentwurf. Das hat noch niemand gesagt, aber auch das muß einmal dargestellt werden. Zweitens. Die Kürzungen, die der Haushaltsausschuß bewirkt hat, liegen in der Größenordnung von 1 % des Einzelplans 14. Drittens. Durch diese marginale Spartätigkeit haben wir aber einen viel höheren Erfolg gehabt, und darauf lege ich hier Wert. Wir haben nämlich die zu erwartende globale Minderausgabe von vornherein selber festgelegt. Wir haben damit Planungssicherheit und Haushaltsklarheit für den Einzelplan 14 geschaffen. Nach all dem, was wir im Jahre 1981 erlebt haben, wissen wir, daß das ein Segen für das Jahr 1982 ist. ({1}) Herr Kollege Stavenhagen, natürlich haben wir auch marginal bei den Forschungsausgaben gekürzt. Aber Sie haben damals im Haushaltsausschuß nicht verstanden oder verstehen wollen, daß für die Forschung - abzüglich der Aufwendungen für die erhöhte Mehrwertsteuer - netto immer noch mehr da ist als im vergangenen Jahr. Im übrigen kommt es auf das an, was die Kollegin Traupe gesagt hat, nämlich daß diese Institutionen zum Teil zu 90/95 % nur mit militärischer Forschung befaßt sind. Da soll der private Anteil größer werden. Wir haben gerade versucht, ein Konzept für die IABG zu entwerfen, um das in Zukunft sicherzustellen. Der Verteidigungsminister müßte allerdings - wenn er zuhört, sonst wird es ihm gesagt ({2}) uns einmal deutlich sagen, was er gemeint hat, als er sagte, daß man hier eine Tendenz umkehren will. Das müssen wir dann auch einmal überlegen vor dem Hintergrund der Gedanken, die ich gleich bringen werde. Viertens. Die Verhältnisse von 1981 sollten sich nicht wiederholen - darauf sollen wir als Parlament auch Wert legen -, weil es Unruhe und Probleme gegeben hat, als vom Finanzminister auch dem Einzelplan 14 die Sperrungen auferlegt wurden. Die sollten sich nicht wiederholen, wenn die Etatansätze - wovon ich eigentlich ausgehe - nicht mehr verändert werden. Fünftens. Einsparungen - und das ist mir allerdings wichtig - treffen nicht eine notleidende und materiell ausgezehrte Bundeswehr, sondern gehen von einem sehr, sehr hohen Niveau aus, höher als in allen vergleichbaren Armeen, bis auf die der Vereinigten Staaten. Sechstens. Diese Kürzungen beeinträchtigen nicht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Unsere Streitkräfte - und das müssen wir an dieser Stelle sagen - sind mit den für 1982 vorgesehenen finanziellen Mitteln in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen, auch wenn es finanziell immer wieder mal kneifen wird. Aber das tut es doch nicht nur dort, das tut es überall. Und dort, wo es das noch nicht tut, sind sich die Leute noch nicht im klaren, daß es anders kommen wird - insbesondere in den Ländern. Zusammenfassend kann man hier sagen: Der Bundeswehr geht es wie allen anderen Ressorts. Wenn man auf der Autobahn nur mit Vollgas gefahren ist - sie überholen mich meistens, Herr Wörner - und nimmt das Gas zurück, dann hat man den Eindruck, man bleibe stehen. Aber es geht trotzdem noch voran. ({3}) - Das kann man nicht immer, das wissen Sie. - Wir sind beim Sparen - auch das muß man hier feststellen - bei der Bundeswehr noch nicht am Ende angelangt, auch nicht bezüglich der Länge der FahnenDr. Zumpfort Stange. Die Bundeswehr ist uns lieb, muß man sagen, aber zu teuer. ({4}) Mein Wunsch für die Zukunft ist, daß durch diese Probleme - jetzt sind wir alle angesprochen - das Parlament, die politische Leitung der Bundeswehr und die Bundeswehr gedanklich nicht auseinanderdividiert werden. Wir müssen die Verantwortung gemeinsam tragen. Gerade in Zeiten knapper Kassen sind auch die Streitkräfte dazu aufgerufen, durch Rationalisierung und sinnvolles Sparen ihren Teil zur Lösung der Haushaltsproblematik zu leisten. Dies war in der Vergangenheit nicht immer so. Wir kennen noch das Ellbogengerangel zwischen den Teilstreitkräften, als es letztes Jahr darum ging, wer zuerst verteidigungsunfähig sein werde, weil er kein Benzin mehr hatte. Wir wissen alle, dieser Zustand ist nicht eingetreten. Der Eindruck, der aber in der Öffentlichkeit vom Zustand der Bundeswehr hängenblieb, war allerdings verheerend. Damit es für die Öffentlichkeit klar wird: Die Bundeswehr wird im Jahre 1982 die Menge an Benzin, die sie braucht, bekommen. Dazu sind finanzielle Mittel bereitgestellt worden. Wenn die finanziellen Mittel auf Grund der Preissteigerungen - die ja nicht nur die Bundeswehr treffen - nicht ausreichen, gibt es ein Verfahren - von den Herren des Verteidigungsministers dort ersonnen -, ({5}) daß dann zugunsten des billigeren Flugbenzins umgeschichtet wird zu Lasten des schwereren und teureren anderen Treibstoffs - z. B. Dieselöl -, dessen fehlenden Mengen aus der Wirtschaftsreserve genommen werden. Und dies muß man einmal feststellen: Es gibt drei Reserven. Neben der Wirtschaftsreserve, die in Zeiten des Überflusses unter Herrn Leber eingerichtet worden ist, gibt es noch den Verteidigungsvorrat - der ist tabu und reicht für 45 Tage -, und es gibt den Friedensvorrat - der ist ebenfalls tabu und reicht für ein halbes Jahr. Von Benzinmangel darf man angesichts dieser Zahlen in Zukunft wohl nicht mehr reden, auch Sie nicht. ({6}) - Allerdings. Warum muß - das ist der zweite Teil meiner Ausführungen - das Sparen nun weitergehen? Es ist ja nicht nur so, daß die Zeiten voller Kassen vorbei sind und daß wir steigende Preise und sinkende Einnahmen im Staatsbudget haben, die zu geringeren Mittelaufstockungen, als wir es möchten, führen. Es gibt ja auch neue Risiken, auch bei der Bundeswehr, die wir bedienen müssen. Es ist schon an anderer Stelle öfters gesagt worden: Wenn man keine Zuwächse hat, muß man umverteilen. Dem politischen Prozeß der Umverteilung muß sich auch die Bundeswehr stellen. Und das tut sie. Es gibt zudem das Überwälzungsrisiko - das hat der Kollege Stavenhagen treffend dargestellt -: In der Größenordnung von 800 Millionen werden Rechnungen des Jahres 1981 auf das Jahr 1982 übertragen. Nur muß man hinzufügen: Das war in der Vergangenheit immer so. Die Zahlen waren schon größer. Es ist ein Erfolg der Haushaltsführung in dem Hause, daß das, relativ gesehen, abgenommen hat, obwohl die Größenordnung uns doch schon beunruhigen muß. Es gibt das Dollarrisiko. Es gibt die zukünftigen Verpflichtungen gegenüber den Amerikanern in bezug auf War Time Nation Support. Es gibt das Problem, daß moderne Waffensysteme Milliarden verschlingen, aber nicht optimal genutzt werden können, weil die zusätzlichen Milliarden fehlen, um die Begleitwaffensysteme zu kaufen. Beispiele hierfür sind MRCA und Roland. Aber da muß man sich doch fragen, ob das, selbst wenn wir das Geld hätten, bezahlt werden könnte. Hat man hier nicht von vornherein falsch geplant? Das ist die Frage, die hier zu stellen ist. Fünftens gibt es Probleme, weil dieser immense Kostenaufwuchs bei den Waffensystemen das Geld verschlingt, das die Bundeswehr bei ihrem täglichen Betrieb braucht. Vor diesem Hintergrund muß man fragen - und das ist der dritte Teil meiner Ausführungen -: Wie muß man sparen, wenn man schon weiß, daß man sparen muß? Die erste Antwort könnte lauten: Wir dürfen bei der Bundeswehr nicht nur nicht sparen; wir müssen sogar zulegen. Das kann man dann auf die griffige Formel bringen, die oft benutzt wird: Laßt uns militärisch auf- und sozial abrüsten. Für all die Befürworter dieser Maxime möchte ich sagen und sie damit vor einem Irrtum warnen: Erstens. Es ist meines Erachtens - und da sind wir wieder beim Zahlenfetischismus, Herr Kollege Wörner - zu eng gedacht, wenn man glaubt, daß mehr Milliarden, mehr relative Anteile für die Verteidigung eines Landes bedeuten, daß das Land in gleichem Maß sicherer wird. Mit reinem Zahlenfetischismus kommen wir hier nicht weiter. Man muß auch sehen, daß man zur äußeren Sicherheit nicht nur die Bundeswehr, sondern auch noch die Entwicklungspolitik zu betrachten hat. Beides muß man als Gesamtkomplex betrachten. ({7}) Schließlich: Wenn Sie schon nicht die 3-ProzentKlausel einer Kritik unterziehen wollen - wir tun es als Regierungsparteien. Da sieht man auch, wo die wahre Opposition ist. ({8}) Auch dies muß einer Kritik unterzogen werden können. Zweitens: Wird dieses Mehr an Milliarden erkauft durch massive Kürzungen sozialer Leistungen mit dem Ergebnis gesellschaftlicher Instabilität, dann haben wir nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Es geht, Herr Verteidigungsminister, beim Sparen auch nicht darum, daß man sagt: Die Bundeswehr muß sich bescheiden. Aus meiner Sicht lautet die Frage vielmehr: Wie läßt sich das Produkt Sicherheit billiger und besser herstellen? Das ist die Frage für die Zukunft. Das heißt: Nicht die Bedrohnungsanalyse muß verändert werden, sondern die Abwehranalyse. Wir müssen uns fragen: Haben wir die richtigen Methoden, die richtigen Waffen, die richtigen Systeme, um den zukünftigen Bedrohungen gerecht zu werden? Dieses Problem stellt sich doch nicht uns allein, sondern genausogut den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen. David Stockman hat doch vergleichbar größere Probleme, als wir sie in unserem Haushalt mit der Verteidigung haben, mit seinen Verteidigungslasten. Da geht es in absoluten Größenordnungen - um mal wieder die Zahlen zu nennen - um mehr als bei uns. ({9}) - Auch relativ. Absolut sowieso. Dieser Gedanke, daß wir fragen müssen, wie das Produkt Sicherheit in Zukunft billiger hergestellt werden kann, muß noch ausgeformt werden, besonders vor dem Hintergrund, daß das Rekrutierungspotential der Bundeswehr schrumpft und somit unsere Wehrstruktur und auch die Verteidigungskonzeption generell überprüft werden müssen. Es gibt j a Kommissionen: eine im Verteidigungsministerium, eine in meiner Partei; sicher auch in anderen Parteien. Aber ich würde sagen: Wir brauchen nicht wie gebannt auf die Ergebnisse dieser Kommissionen zu warten und zu gucken. Sparmöglichkeiten gibt es immer noch und vor allen Dingen zuhauf. Nicht erst, aber auch durch Herrn Emke, den One Dollar Man, wissen wir, daß es im Milliardenbereich der Ausgaben bei der Bundeswehr keinen Revisor und keinen Controller gibt und daß die Abteilung „Interne Revision" schlicht aufgelöst worden ist. Herrn Emke möchte ich sagen: Es kommt nicht darauf an, daß man an irgendeiner Stelle einen hochdotierten Controller einsetzt. Es kommt auch auf die Berichtspflicht an: nicht nur gegenüber den Abteilungsleitern, nicht nur gegenüber der politischen Führung des Hauses, sondern auch gegenüber diesem Parlament. Wenn diese Kontrolle nicht besteht, wird die Prüfung nicht so scharf gemacht werden. Wir haben bei dem „50-Millionen-DM-Ausschuß" erlebt, daß wir Vorlagen bekommen haben, in denen nicht genau zu erkennen war, wie sich die beantragten Summen wirklich errechneten. Es ist traurig, aber wahr: Erst wenn sich das Parlament einschaltet, erreicht die Genauigkeit der Zahlen 100 %. An dieser Stelle muß ich auch etwas zu den Fregatten sagen. Vielleicht hätten Controller das Problem früher bemerkt. Das ist eigentlich kein Posten, der in den Etat des Verteidigungsministers gehört. Wir haben das schon im Haushaltsausschuß gesagt. Es sollte ein durchlaufender Posten für den Einzelplan 14 sein. Nicht der Verteidigungsminister sollte zu prüfen haben, ob die Inanspruchnahme dieser Geldmittel erforderlich ist, sondern der Finanzminister. Um deutlich zu machen, wo die Verantwortung liegt, müssen wir verlangen, daß die Geldmittel zurückgegeben werden, wenn schließlich Gewinne entstehen. Auf dieser Forderung müssen wir „Hauskälter" bestehen. Bei den neuen schweren Minensuchbooten 343 gibt es jetzt schon - sie werden gerade ausgeschrieben - eine Konkurrenz zwischen den großen und den kleinen Werften. Hier kann man fast vermuten, daß nach dem Vorbild „Vulkan" noch andere Großwerften in das Geschäft einsteigen wollen, um sich hinterher zu sanieren. Solchen Vorhaben muß man energisch einen Riegel vorschieben. ({10}) Schließlich muß man auch anerkennen, daß das Verteidigungsministerium selber dabei ist, sinnvoll zu sparen. Dazu sind natürlich Anstöße notwendig, wie der Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs gezeigt hat. So haben insbesondere die Ausgaben für Kommandeurstagungen nach der umstrittenen Veranstaltung auf Borkum um 90% abgenommen. Trotzdem gibt es noch ähnliche Fälle. Wenn z. B. das Transportbataillon 801 zu Neujahrsempfängen einlädt, weiß ich nicht, wie das angesichts der knappen Kassen noch bezahlt werden soll. Größere Einsparungen könnten auch bei den Untergliederungen erfolgen. Bisher ist der Führungs-und Verwaltungsapparat der Bundeswehr auf der Hardthöhe noch nicht spürbar verringert worden. Ich bedaure es sehr, daß der Verteidigungsminister seine Zusage zurückgezogen hat, einmal damit anzufangen, auch einen Teil der Soldaten - wir hatten 150 vorgeschlagen - aus seinem Haus zur Truppe zu versetzen, um den Verwendungsstau dort abzubauen. Das ist leider nicht geschehen. Auf der Hardthöhe und bei vielen Experten hier im Hause findet man die weitverbreitete Auffassung, Einspareffekte entstünden allein auch schon dadurch, daß man die unterschiedlichen Organisationsstrukturen in der Bundeswehr abbaut. Ich behaupte, wenn man heute die Luftwaffe an Hand der Organisationskriterien des Heeres durchforstete, bekäme das Heer seine fehlenden Unteroffiziere und könnte noch andere Personalmängel beseitigen. Ich wäre in der Lage, das im einzelnen deutlich zu machen. ({11}) Ich will ein Beispiel nennen. Bei den Pershing- und Sergeant-Raketen ist die Personaleinsatzstärke des Heeres reduziert, während die Luftwaffe von der US-Einsatzstärke ausgeht. Beides ist in der Bundeswehr möglich. Bei der Rationalisierung der Organisationsstrukturen sollte man auch die kleinste Einheit prüfen. Als „kleine Einheit" betrachte ich z. B. Ihr Büro, sehr verehrter Herr Minister; denn mir ist aufgefallen - ich weiß nicht, ob Sie es schon bemerkt haben -, daß Sie am 16. Dezember einen Brief zum Problem Kampfpanzer der 80er Jahre an den Herrn Kollegen Marx, den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, unterschrieben haben und am 17. Dezember den gleichen Brief noch einmal unterzeichnet haben. ({12}) Wenn das Rätsel, wie es dazu kommen konnte, gelöst werden kann, verspreche ich mir davon einen Erfolg für Beschaffungsvorgänge, wofür, wie wir wissen, 20 oder mehr Unterschriften notwendig sind. Getreu dem Motto, daß der Mensch wichtiger ist als die Bewaffnung und die Ausrüstung, haben wir versucht, Umverteilungseffekte zu Lasten der Angehörigen der Bundeswehr von diesen fernzuhalten bzw. sie dort, wo sie nicht abwendbar waren, gering zu halten. ({13})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben auch mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, daß im Ministerium erwogen wird, zwei neue Dienstgrade im Bereich der Unteroffiziere zu schaffen, nämlich für A 9 wieder den Stabsfeldwebel und für A 9 + Z den Oberstabsfeldwebel einzuführen. Erstens kostet das nichts, und zweitens bewirkt das eine Erhöhung der Zufriedenheit in der Truppe. Ich glaube, solche Beispiele gibt es mehr, und die sollte man suchen. Wir selber, wir „Haushälter" der Koalitionsparteien haben angekündigt, daß wir im nächsten Jahr vermehrt Maßnahmen für die Truppe durchsetzen wollen. Vor diesem Hintergrund sage ich und knüpfe damit an die Bemerkung des Ministers an: Die Bundeswehr ist bei der FDP und bei der SPD gut aufgehoben. - Ich bedanke mich für Ihr Interesse. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne. Ich rufe zuerst den Einzelplan 14 auf, Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Hierzu liegt auf Drucksache 9/1281 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Hansen vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0}) Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe jetzt den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist angenommen. Ich rufe den Einzelplan 35 auf, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. Wer dem Einzelplan 35 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache 9/1185 Berichterstatter: Abgeordnete Picard Würtz Gärtner Es wurde beantragt, die Redezeit auf eine Stunde zu begrenzen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. - Es ergibt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem heute im Lauf des Tages umfassend über Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert worden ist, möchte ich mich heute abend zu später Stunde auf einen Punkt konzentrieren, der in der Debatte bisher noch nicht erwähnt werden konnte, nämlich die Frage der Türkei, und zwar deshalb, weil wir uns auch früher damit beschäftigt haben. Aber lassen Sie mich vorweg noch einen Eindruck zusammenfassen, den ich den Diskussionen sowohl des Vormittags wie des Nachmittags als auch jetzt der verteidigungspolitischen Diskussion entnommen habe. Heute morgen hat der Kollege Zimmermann den Begriff der Sicherheitspartnerschaft, den der Bundeskanzler geprägt hat, für die Fraktion der CDU/CSU zurückgewiesen. Das ist nur in der Logik der Ablehnung der Ostpolitik zu erklären. Ich glaube, daß uns die Ablehnung des Konzepts der Sicherheitspartnerschaft noch lange beschäftigen wird. Ich bedaure, daß sich die CDU zusammen mit der CSU so negativ festgelegt hat, denn die Sicherheitspartnerschaft ist die konsequente Fortführung der Entspannungspolitik, der einzigen Basis, auf der Rüstungskontrollpolitik möglich ist. Ich halte diese Ablehnung deshalb für so bedeutsam, weil ich glaube, daß die Ablehnung des Konzepts weitaus negativer zu bewerten ist als der eine oder andere Streit über den NATO-Doppelbeschluß. Bei Cruise Missiles und bei Pershing II geht es um bestimmte Waffentechnologien. Bei der Sicherheitspartnerschaft geht es um das umfassende Konzept der Außen- und Sicherheitspolitik. Wer sich auf diesem Gebiet jetzt hier im Plenum auf eine verkehrte Weichenstellung festlegt, hat meiner Meinung nach für die Zukunft auch eine verkehrte Weichenstellung für die Außen- und Sicherheitspolitik angekündigt. Ich bedaure das. Wir werden uns darüber noch sehr häufig zu unterhalten haben. Der Bundestag hat im Zusammenhang mit den Entschließungen über Polen nicht über die Frage der Türkei diskutiert, aber in der Öffentlichkeit sind beide Dinge zusammen diskutiert worden. Das ist meiner Meinung nach nicht erstaunlich. In beiden europäischen Staaten regieren heute Militärs. Beide Staaten haben die KSZE-Schlußakte unterzeichnet, und gegenüber beiden Staaten bestehen wir deshalb Voigt ({0}) auf der Einhaltung dieser KSZE-Schlußakte in allen Teilen. Wir drängen beide Staaten zur Einhaltung der Menschenrechte und zu mehr Demokratie. Ich bin Mitglied einer Delegation gewesen, die im vorigen Jahr im Auftrag des Deutschen Bundestages in die Türkei reiste. Tiber Parteigrenzen hinweg haben Mitglieder dieser Delegation dem Deutschen Bundestag den Entwurf einer Entschließung zur Lage in der Türkei vorgelegt. Dieser Entwurf hat dann zu einem einmütigen Beschluß des Bundestages geführt. Auch in seiner Entschließung vom Ende Dezember 1981 zur Lage in Polen hat sich der Deutsche Bundestag als fähig erwiesen, in einer schwierigen Lage über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg Einmütigkeit zu demonstrieren. Diese beiden Entschließungen sind für uns alle hier im Hause - so nehme ich an - nach wie vor gemeinsame Maßstäbe. Soweit gibt es Parallelen. Offensichtlich gibt es aber auch Unterschiede zwischen der Lage in Polen und der in der Türkei. Es ist eben ein gewichtiger Unterschied, ob das Militär in Polen die Macht übernimmt, weil eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung, die immer am Prinzip der Gewaltfreiheit festhielt, auf die Verwirklichung von Freiheitsrechten drängt, oder ob in der Türkei die Unfähigkeit zu notwendigen Reformen und die große Zahl politischer Gewalttaten zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit demokratischer Strukturen beitragen. ({1}) Aber auch die Ausgangslage war unterschiedlich. Es ging und geht in Polen um die Möglichkeit von mehr Demokratie. Aber Polen war auch vor 1980 keine Demokratie. Der Deutsche Bundestag hat deshalb in seiner Entschließung vom 18. Dezember 1981 in realistischer Selbstbeschränkung an die polnische Militärregierung appelliert, die Forderungen zu erfüllen, zu denen sie sich selber verpflichtet hat: Freilassung der Inhaftierten, Wiederherstellung des Reform- und Erneuerungskurses, Wiederaufnahme des Dialogs mit Kirche und Gewerkschaften und volle Einhaltung der KSZE-Schlußakte. Die Türkei hat sich als Mitglied der NATO und des Europarates selber auf Grundprinzipien der westlichen Demokratien verpflichtet. Dieser freiwilligen Selbstverpflichtung der Türkei entsprachen unsere Erwartungen an die Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei, die der Deutsche Bundestag in seiner gemeinsamen Entschließung festgehalten hat. Ich verstehe moralischen Rigorismus. Ich bin überzeugt, daß man der Verwirklichung moralischer Ziele näherkommen kann, indem man versucht, Machtverhältnisse im Sinne dieser moralischen Zielsetzung zu beeinflussen. Dies beinhaltet auch in der Außenpolitik in der politischen Praxis die Bereitschaft zum Kompromiß. Unglaubwürdig aber ist für mich, wer aus moralischem Rigorismus bei der Beurteilung der Lage in der Türkei jeden Kompromiß ablehnt und jetzt zur Lage in Polen schweigt. ({2}) Unglaubwürdig ist für mich aber auch, wer in Polen die sofortige Freilassung aller inhaftierten Gewerkschafter und die sofortige Wiederherstellung aller gewerkschaftlichen Rechte fordert, dessen Protest gegen das nun lange andauernde Verbot von Gewerkschaften, die lange Inhaftierung von Gewerkschaftern und auch die Folterung einzelner Gewerkschafter in der Türkei aber öffentlich kaum vernehmbar ist. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, als Sozialdemokrat habe ich keine Schwierigkeiten, für das Streikrecht in Polen und auch für die Forderung nach Mitbestimmung und Arbeiterselbstverwaltung und sogar für das Recht auf Wahl und Ablösung von Betriebsdirektoren durch die Belegschaften in Polen einzutreten. ({4}) Aber Sie werden sich nicht wundern dürfen, wenn die Glaubwürdigkeit Ihrer Unterstützung für die Forderungen der „Solidarität" auch an Ihrer Haltung hier in der Bundesrepublik Deutschland bei künftigen gewerkschaftlichen Forderungen in den kommenden Tarifverhandlungen geprüft werden wird. Sowohl bei der Entwicklung in der Türkei als auch bei der Entwicklung in Polen sind unsere Möglichkeiten zur Beeinflussung dieser inneren Entwicklungen gering. Sie sind bei Polen, dem Mitglied eines anderen Bündnissystems, noch geringer als bei der Türkei, die mit uns zusammen der NATO und dem Europarat angehört. Ich persönlich halte es für außerordentlich unglaubwürdig, wenn diejenigen, die gegenüber der Türkei am meisten vor Sanktionen gewarnt haben und weiter warnen, gegenüber Polen jetzt am lautesten und am schnellsten nach Sanktionen rufen. ({5}) Ich möchte aber auch auf einen Unterschied der Reaktionen der Bündnissysteme gegenüber den Entwicklungen in diesen beiden Ländern aufmerksam machen. Wir drängen zusammen mit unseren Partnern in der NATO, in der Europäischen Gemeinschaft und im Europarat auf die Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei. Im Warschauer Pakt wird demgegenüber Genugtuung über die Machtübernahme der Militärs in Polen offen geäußert. Dies weist auf einen grundlegenden Unterschied in den Rahmenbedingungen für gesellschaftliche Reformbewegungen innerhalb des Warschauer Paktes und innerhalb der NATO hin, und diesen Unterschied soll man nicht verkleistern. Im Warschauer Pakt hat die Sowjetunion, zum Teil mit Unterstützung ihrer Verbündeten, 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR militärisch gegen gesellschaftliche Entwicklungen, die ihren Interessen zuwiderliefen, interveniert. Auch die USA haben Unmut gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa und in Mitgliedstaaten der NATO geäußert. Ich will nicht ausschließen, daß sie auch versucht haben, im Einzelfall politischen und vielleicht sogar wirtschaftliVoigt ({6}) chen Druck auszuüben. Aber es hat trotz häufiger Regierungswechsel innerhalb von Nato-Ländern nie eine militärische Intervention der USA in einem Mitgliedsland der NATO gegeben, sondern es konnten in Portugal, Frankreich und Island sogar Kommunisten in die Regierung aufgenommen werden, ohne daß irgend jemand ernsthaft eine militärische Intervention von außen fürchten mußte. Es ist eben auch ein qualitativer Unterschied, ob innerhalb des Warschauer Paktes die militärische Intervention der Sowjetunion droht, wenn eine Regierung den Austritt aus dem Warschauer Pakt oder den Abzug sowjetischer Truppen fordert, oder ob der amerikanische Botschafter Burns den Abzug der amerikanischen Truppen aus der Bundesrepublik für den Fall ankündigt, daß sie hier nicht mehr erwünscht seien, oder wenn Griechenland und Frankreich ohne Risiken aus der militärischen Integration der NATO ausscheiden können. Ich bin nicht für den Abzug der amerikanischen Truppen - nicht daß Sie mich mißverstehen -, aber es ist ein Unterschied, daß hier nicht mit einer militärischen Intervention gedroht wird, sondern der amerikanische Botschafter sagt: Das ist eine freie Entscheidung dieses Landes; dann, wenn ihr uns nicht mehr wollt, ziehen wir ab. - Das ist ein grundsätzlicher Unterschied, den man auch draußen diskutieren muß, den man auch kritisch mit denjenigen diskutieren muß, die in diesen Fragen beide Bündnissysteme auf einen Nenner bringen. ({7}) Ich übersehe gewisse Gemeinsamkeiten im Verhalten der beiden nuklearen Weltmächte USA und Sowjetunion nicht. Ich übersehe auch nicht, daß nicht nur die UdSSR, sondern auch die USA Schwierigkeiten haben, die Probleme und Interessen der Entwicklungsländer ausreichend zu verstehen. Auch wir haben da j a noch einigen Nachholbedarf. Ich habe mit vielen Sozialdemokraten auch zu denen gehört, die gegen die Politik der Vereinigten Staaten in Vietnam und auch jetzt in El Salvador protestiert und auch demonstriert haben. Aber ich halte es für empörend, daß in der Bundesrepublik große Teile derjenigen, die gegen die Politik in der USA in Vietnam protestiert haben, jetzt gegenüber der militärischen Intervention der Sowjetunion in Afghanistan schweigen. ({8}) Eine unterschiedliche Betrachtungsweise der nuklearen Weltmächte USA und UdSSR darf nicht dazu führen, daß man bei Friedensdemonstrationen gegenüber den Vereinigten Staaten kompromißlos für einen moralischen und abrüstungspolitischen Rigorismus eintritt - für einen Rigorismus, für den ich persönlich außerordentlich viel Verständnis habe - und gegenüber der Sowjetunion und gegenüber der Entwicklung in Polen Verständnis für machtpolitische Erwägungen signalisiert. ({9}) Ich kann verstehen, wenn die Friedensbewegung ihre am 10. Oktober demonstrierte Einheit im Protest gegen den NATO-Doppelbeschluß nicht gefährden will. Sie darf sich dann aber auch nicht darüber wundern, wenn dieser Wille zum taktischen Kompromiß innerhalb der Friedensbewegung mit einem Verlust an moralischer und abrüstungspolitischer Glaubwürdigkeit erkauft wird. Nachdem wir uns in diesem Hause heute morgen mit den Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt haben, nachdem aber die Frage der Moral in der Außenpolitik sowohl bei der Diskussion zum 10. Oktober im vergangenen Jahr hier eine Rolle gespielt hat - und auch bei der Frage der Beurteilung der Türkei -, meine ich, daß diese Diskussion heute abend noch sinnvoll und notwendig war, um auch, unser Kriterium für das darzulegen, was wir unter sinnvoller, moralischer und glaubwürdiger Außenpolitik verstehen. ({10})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Picard.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Voigt war weitgehend eine Rechtfertigung seiner eigenen Position in seiner Fraktion. Sie war eigentlich nicht besonders interessant für das Parlament. ({0}) Es sei denn, man sieht darin die Schwierigkeiten eines relativ vernünftigen Sozialdemokraten dieser Fraktion im Deutschen Bundestag. ({1}) Nun, ich will mich deshalb auch nicht so eingehend mit dem Thema beschäftigen, sondern ich möchte auf die Ausgangsposition zurückkommen, was die Türkei angeht, nämlich die Entschließung. Sie haben recht, es war damals eine gemeinsame Entschließung. Wir hätten gar nichts dagegen gehabt, Herr Kollege Voigt, wenn es uns am Donnerstag gelungen wäre, wiederum eine gemeinsame Entschließung im Falle Polen zu machen. Das ist ja nicht an uns gescheitert, sondern das ist doch daran gescheitert, daß die Koalition in diesem Hause nicht wollte. Das muß man ganz deutlich feststellen, damit nicht die Legende entsteht, als seien wir die „Troublemaker". Das sind nicht wir, sondern das sind Sie. Nun zurück zu der gemeinsamen Entschließung vorn vergangenen Jahr, von 1981, in der der Bundestag zum Ausdruck gebracht hat, daß er bestimmte Erwartungen hegt. Die Bundesregierung hat dann berichtet, daß diese Erwartungen zwar nicht voll erfüllt seien, aber doch in einem solchen Maße sich erfüllt hätten, daß der Auswärtige Ausschuß und der Haushaltsausschuß die Türkeihilfe freigegeben haben. Aus wohlerwogenen Gründen hat weder der Auswärtige Ausschuß noch der Haushaltsausschuß einen Sperrvermerk - was er ja hätte tun können bei der Türkeihilfe oder bei der NATO-Hilfe, wollen wir einmal sagen, oder der Rüstungssonderhilfe für Südosteuropa - angebracht. Diese wohlerwogenen Gründe brauche ich hier nicht im einzelnen darzule4578 gen. Aber sie fußen zum Teil auch darauf, daß - ich glaube, Sie, Herr Kollege Bardens, waren mit bei der Delegation - eine Delegation des Europarates aus der Türkei, wenn ich mich recht erinnere, vor nicht langer Zeit - das Fernsehen hat vor gar nicht langer Zeit darüber berichtet - eigentlich ein relativ positives Echo mitgebracht hat. Es hieß, die gegenwärtige Führung in der Türkei habe erstmalig zu unserer Befriedigung Daten über den Prozeß der Wiederherstellung der Demokratie, der Abstimmung über eine Verfassung usw. mitgeteilt. Von daher sehen wir mit Interesse und mit einiger Zuversicht dem entgegen, was die Bundesregierung nach der Entschließung vom 3. Juni 1981 durch den Außenminister wohl in absehbarer Zeit dem Auswärtigen Ausschuß zu berichten hat. Wir machen nicht den Fehler, daß wir nicht zu unterscheiden vermöchten zwischen den Ereignissen in Polen, die wir bedauern, und den Verhältnissen in der Türkei, die noch nicht den Status erreicht haben, den wir alle wünschen. Aber wir begrüßen es doch, daß die gegenwärtige türkische Führung den Prozeß der Wiederherstellung der Demokratie eingeleitet hat. Dabei sollte man nicht aus dem Auge verlieren - ich glaube, es ist ganz interessant -, warum und wieso denn die gegenwärtige türkische Führung an die Macht gekommen ist. Demokratie ist ja nicht ein Spielzeug um seiner selbst willen, sondern Demokratie muß j a wohl in der Lage sein, den inneren Frieden und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Hier lag doch der Ausgangspunkt für die noch nicht wieder befriedigenden Verhältnisse in der Türkei. Diejenigen, die in der Türkei gewesen sind, wissen, daß nicht wenige Türken immer noch sagen: Das ist alles zu beklagen, was da zu beklagen ist, aber man kann wenigstens wieder einigermaßen ruhig über die Straßen gehen. So bedauerlich es ist, meine Damen und Herren, daß es da und dort in dieser Welt eines Gewaltregimes bedarf, um Sicherheit, Frieden und Ordnung für den Bürger zu garantieren, so muß man, glaube ich, doch die Ausgangssituation im Auge behalten, wenn man berechtigte Wünsche, Forderungen oder Erwartungen an die gegenwärtige türkische Regierung stellt. Ich bin also der guten Hoffnung und der Überzeugung, daß sich die gegenwärtigen türkischen Machthaber Mühe geben werden, die Richtlinien, die Rechte und Gesetze, die in der NATO und im westlichen Bündnis Gültigkeit haben, zu beachten, in Zukunft wiederherzustellen. Da der Herr Kollege Voigt ein paar allgemeine Bemerkungen über die Außenpolitik gemacht hat, möchte auch ich dazu etwas sagen. Es wäre zwar reizvoll gewesen, auch über das Instrument der Außenpolitik, nämlich über das Auswärtige Amt, etwas zu sagen; aber wir waren uns einig, daß wir das heute abend zu später Stunde nicht mehr tun wollten. Herr Kollege Voigt, ich komme nun auf das in Ihren Worten doch deutlich zu spürende Bedauern zu sprechen, daß so etwas wie Gemeinsamkeit in der Außenpolitik von uns sozusagen aufgekündigt worden sei. Bei der Lektüre ausländischer Zeitungen, insbesondere amerikanischer, läßt sich bis zum heutigen Tage nicht leugnen, daß die deutsche Außenpolitik und damit der deutsche Außenminister es nicht vermocht hat, ein Auseinanderdriften von Europa und den Vereinigten Staaten zu verhindern. Die Mißverständnisse, die Unsicherheiten, die Fragezeichen, die bei unserem Hauptverbündeten gegenüber der Bundesrepublik festzustellen sind, nicht entstehen zu lassen, wäre doch Aufgabe des Außenministers gewesen. Statt dessen hat er wohl eine Politik gemacht, die vielleicht im Interesse der Machterhaltung und des Bestandes der Koalition lag und vielleicht sogar - wider seine eigenen Überzeugungen - gegenüber den Erwartungen von seiten des größeren Koalitionspartners etwas zu nachgiebig war; ich weiß das nicht. Ich kann das Ergebnis dieser Außenpolitik im Interesse unseres eigenen Landes nur als völlig unbefriedigend bezeichnen. ({2}) Daran, meine Damen und Herren, inwieweit die deutsche Außenpolitik den Interessen unseres Landes dient oder nicht, müssen wir sie messen. Es nützt uns gar nichts, bei irgend jemandem in dieser Welt lieb Kind zu sein. Die 120 Mitglieder der Vereinten Nationen, die darüber beschließen, was die anderen 37 zu zahlen haben, sich aber nach deren Interessen überhaupt nicht richten, sind für mich nicht interessant. Für mich sind der Hauptverbündete und die übrigen Verbündeten in der NATO viel interessanter, weil sie für unsere Existenz, für unsere Sicherheit und für unsere Zukunft unendlich wichtiger sind. Daran muß sich deutsche Außenpolitik ausrichten und nicht an dem billigen Beifall einer allfälligen Mehrheit. Das ist nicht geschehen. Es gab heute eine teilweise etwas heftige Diskussion über den Begriff der Angst in der Politik. Dabei mußten wir uns einige Angriffe gefallen lassen. Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat aus einer inzwischen auch für Sozialdemokraten zitierfähigen Zeitung bringen, nämlich der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 31. Dezember 1981. Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich zur deutschen Außenpolitik zwei kleine Abschnitte zitieren: Die gepflegte ,Äquidistanz zu den Großmächten in der Neben-Außenpolitik der SPD-Führung, unter deren Druck auch die Außenpolitik des Kanzlers geraten ist, die Indifferenz in der Betrachtungsweise der Ursachen des Ost-West-Konfliktes, diese anscheinend sehr pragmatische, in Wirklichkeit oberflächliche und an Wertfragen uninteressierte Analyse des Ost-West-Gegensatzes samt der Selbstüberschätzung, den säkularen Konflikt ohne Rückhalt an solider Macht diplomatisch steuern zu können: das alles gehört zu den Gründen, warum es in diesem trübseligen Jahr 1981 zu einer schweren Beschädigung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses gekommen ist. Am Ende dieses Artikels heißt es - ich darf wieder zitieren -: Statt den Bürgern der Bundesrepublik Mut zu machen, machen ihre Führer ihnen Angst vor Krieg. Dabei rutscht die Bundesrepublik und mit ihr auch andere Teile Westeuropas immer tiefer in eine Politik des Appeasement. Und niemand von Autorität sagt den verängstigten Leuten wie Churchill den Briten von 1940, daß sie nichts zu fürchten haben außer ihren Ängsten und ihrer Selbstsucht. ({3}) Das, meine Damen und Herren, ist der Mangel, den wir in der Führung der deutschen Außenpolitik durch Kanzler und Außenminister beklagen. Wir können deshalb dem Etat 05 unsere Zustimmung, die wir gerne gegeben hätten, nicht geben. ({4})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Herr Würzbach hat vorhin beim Verteidigungsetat davon gesprochen, daß jede Chance genutzt werden sollte, die NATO zu stützen und zu stabilisieren. Deshalb möchte ich auch noch einige Worte zu dem NATO-Partner Türkei sagen. Ich glaube, wir müssen uns darüber klar sein, daß es an der Südostflanke der NATO ein Land gibt, in dem keine Demokratie herrscht, in dem Menschenrechte verletzt werden - das reicht bis hin zur Folter - und in dem die Volksgruppe, die im südöstlichen Teil des Landes lebt, seit langem unterdrückt wird. Wer hier nicht massiv versucht, diese Verhältnisse zu Menschenrechtsbeachtung und Demokratie hinzuführen, der gefährdet die Sicherheit insgesamt, die nicht durch Rüstung erreicht werden kann. ({0}) Deshalb möchte ich vielleicht noch auf eines hinweisen: Herr Voigt hat auf die Einstimmigkeit hinsichtlich der Türkei-Entschließung verwiesen, und Sie, Herr Picard, haben gesagt, es sei schade, daß es nicht auch bei der letzten Polen-Entschließung zur Einstimmigkeit gekommen sei. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir auch zu Polen einstimmig eine Entschließung verabschiedet haben, die aber dann von Ihnen anders gesehen wurde und die zu korrigieren Sie Anlaß sahen. ({1}) Ich darf dazu nur eines sagen: Wenn man die Diskussion im Auswärtigen Ausschuß um die Türkei noch in Erinnerung hat - jedenfalls diejenigen, die dem Ausschuß angehören - und das, was dort zu Polen von seiten der Union gesagt worden ist, komme ich nicht umhin, zumindest der Mehrheit unter Ihnen Einseitigkeit bei der Bewertung von Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. ({2}) - Das können Sie gerne tun. Aber trotzdem erhalte ich ihn aufrecht. Genau das gleiche hat Herr Voigt zur anderen Seite hin gesagt, was ich selbstverständlich übernehme. ({3}) Herr Voigt und ich sind gescholten worden, als wir, nachdem wir aus der Türkei zurückgekommen waren, eine sehr differenzierte Haltung eingenommen haben. Natürlich hätten viele von uns eine sehr rigorose Haltung erwartet und gewünscht. Ich glaube, daß man heute sehen kann, wie wichtig es war, gerade in dieser Frage mehr zu versuchen, wie man im Laufe von Zusammenarbeit Verhältnisse verbessern kann, statt einen rigorosen Standpunkt einzunehmen, mit der nur sehr viel geringeren Chance, Situationen zu verbessern. ({4}) Meine Damen und Herren, die Delegation des Bundestages, die in der Türkei war, ist zu der Überzeugung gekommen, daß in massiver Weise Menschenrechte verletzt werden, vor allem durch das 90Tage-Gesetz, nach dem Menschen verhaftet werden können und 90 Tage völlig unter Ausschluß der Öffentlichkeit dem Militär überlassen sind, mit allen Folgen, die daraus entstehen. ({5}) - Dies wurde inzwischen auf 45 Tage reduziert. Ich hätte es auch noch erwähnt. Für die Delegation bestand Anlaß, zu empfehlen, daß dieser Bundestag Erwartungen aussprechen sollte, die er erfüllt wissen möchte, um die massive wirtschaftliche Zusammenarbeit und überhaupt Zusammenarbeit aufrechterhalten zu können. Bundesminister Genscher wird Ende Februar in den Ausschüssen, die für diesen Bereich zuständig sind, einen Bericht erstatten. Wir werden dann jeweils von Zeit zu Zeit beobachten müssen, ob eigentlich das, was uns von den Militärs angekündigt und versprochen wurde, auch tatsächlich ernsthaft verfolgt wird. Heute ist viel mit großer Empörung über die Menschenrechtsverletzungen in Polen gesprochen worden. Ich schließe mich dem voll an. Für meine Partei kann ich sagen, daß sie die gleiche Empörung über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei empfindet und deshalb versuchen wird, ihrerseits Einäugigkeit in Menschenrechtsfragen zu vermeiden, weil diese den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen mit Sicherheit erheblich erschweren würde. Ich möchte dem, was Herr Voigt gesagt hat, noch einen Gedanken hinzufügen, nämlich den Gedanken, daß es nun einmal eklatante Unterschiede zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt gibt. Die NATO und alle NATO-Partner haben sich in der Präambel des Vertrages auf Freiheit, Demokratie und Menschenrechte verpflichtet. Die NATO-Partner sind verpflichtet, dieses auch in ihren Ländern einzuführen. Wenn die NATO ihrerseits nun keine Einbußen an Glaubwürdigkeit erleiden will, werden wohl alle Mitgliedstaaten darauf drängen müssen, daß zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit keine Diskrepanz besteht. Ich wünschte, daß die türkische Militärregierung die Voraussetzungen dafür schaffen wird, daß wir die Hilfe fortsetzen können. Ich möchte an dieser Stelle an ein Gespräch erinnern, das die Delegation des Bundestages mit Herrn Ecevit hatte, der uns darauf hingewiesen hat, daß es sehr schwierig sein wird, ein demokratisches Pflänzchen, das wieder entstehen soll, im Rahmen verheerender wirtschaftlicher und sozialer Situationen gedeihen zu lassen. Er hat uns sogar aufgefordert, die wirtschaftliche Hilfe nicht abzubrechen. Dennoch muß man sagen, daß wir, die wir damals dort waren, wohl sehr enttäuscht darüber sind, daß man die Ankündigungen, verhältnismäßig schnell gerade im Bereich der Menschenrechtsverletzungen und der Folter etwas tun zu wollen, nicht durchgehalten hat. Das war ja auch der Grund, weshalb die Mittel noch nicht im Juni letzten Jahres freigegeben wurden, sondern erst nachdem die Regierung das sogenannte 90-Tage-Gesetz geändert und eine 45-Tage-Regelung eingeführt hatte. Man hört immer wieder von empfindlichen Reaktionen des Militärs und der Militärregierung in der Türkei, wenn man von außen her mit moralischen Ansprüchen käme. Nun ist aber gerade dieses Militär mit der Zielsetzung angetreten - und ich bin immer noch geneigt, dieses zu glauben -, die Demokratie in diesem Lande wiederherzustellen und auf stabile Füße zu stellen. Auch hier muß ich noch einmal Ecevit zitieren, der gesagt hat: Drängt nicht nur auf den Zeitpunkt, sondern auch auf das, was die Verfassung ausmacht, denn davon wird es abhängen, ob sie lange halten wird oder nicht. Ganz ohne Frage hatten die Parteien ihre Autorität völlig eingebüßt, bevor sie von der Militärregierung aufgelöst wurden. Ich glaube aber, es ist das Entscheidende, daß wir - und zwar alle drei Fraktionen - damals in der Türkei darauf hingewiesen haben, daß wir es als selbstverständliche Aufgabe empfinden, daß das Militär seine Autorität einsetzt, um während der Zeit, in der es kein demokratisches System gibt, Menschenrechtsverletzungen und Folter auf jeden Fall zu verhindern. Dieses Militär hat mit seiner Autorität größere Möglichkeiten, dies zu verhindern, als sie die Regierungen vorher hatten. Ich glaube, daß man die Glaubwürdigkeit, ob man den Weg zurück zur Demokratie finden will, auch ein bißchen daran messen kann, ob man die Übergangszeit ohne Menschenrechtsverletzungen zu überstehen versucht. Die Delegation der Beratenden Versammlung des Europarates, die die Türkei besucht hat - Herr Bardens war mit ihr dort -, wird möglicherweise - ich weiß es nicht - empfehlen, diesen Fall vor die Menschenrechtskommission in Straßburg zu bringen. Nun befürchten einige - wieder muß ich anspielen auf die Vermutung der Empfindlichkeit -, daß die Türkei ähnlich reagieren könnte wie damals Griechenland, nämlich daß sie austritt, bevor ein Urteil gefällt ist. Ich würde es für außerordentlich unlogisch halten, wenn die türkischen Militärs das täten. Denn sie haben uns gegenüber immer wieder betont, der wesentliche Unterschied zwischen dem Militärregime der Türkei und dem Militärregime in Griechenland liege darin, daß das Militär in Griechenland die Macht übernommen hatte, um sie nicht wieder aus der Hand zu geben, während das Militärregime der Türkei die Macht übernommen hätte, um sie wieder aus der Hand zu geben. Insofern glaube ich, daß man von der türkischen Militärregierung, wenn es zutrifft, daß es diesen Unterschied gibt, auch einen Unterschied in der Reaktion erwarten kann. Meine Damen und Herren, die Entschließung des Bundestages ist einstimmig gefaßt worden. Aber sie würde wertlos, wenn wir den Eindruck erweckten, als nähmen wir die Erwartungen, die wir in ihr ausgesprochen haben und die von Herrn Voigt noch einmal erwähnt worden sind, nicht ernst. Damit würden wir unseren gesamten Entschließungsantrag, glaube ich, ad absurdum führen. Meine Fraktion nimmt diesen Entschließungsantrag ernst, sie hofft aber ganz intensiv, daß die türkische Regierung uns durch eine positive Entwicklung die Möglichkeit gibt, weiterhin bei der Zusammenarbeit zu bleiben. - Vielen Dank. ({6})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Bundesaußenminister.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mancher, der unserer Aussprache zuhört, wird sich sicher die Frage stellen, warum beim Etat des Außenministers in solcher Breite über die Entwicklung in der Türkei gesprochen wird. Eine berechtigte Frage. Aber ich denke, die Behandlung dieses Themas steht dem Deutschen Bundestag gut an. Sie steht ihm deshalb gut an, weil sie zeigt, daß die Verletzung von Menschenrechten, gleichgültig von wem sie begangen werden und wen es trifft, von uns ernstgenommen wird. Da liegt der Wert dieser Debatte. Wenn wir hier über den Verbündeten Türkei sprechen, so tun wir das aus diesem Grunde. Ich fand, daß für alle diejenigen, die nicht im Saal sind, die Rede unseres Kollegen Karsten Voigt nachlesenswert ist mit einer sehr differenzierten Aussage zu der Frage: Was bedeutet Militärherrschaft in der Türkei einerseits, in der Volksrepublik Polen andererseits? Er hat das verständlich gemacht, was auch Frau Schuchardt noch einmal unterstrichen hat: Dieses westliche Verteidigungsbündnis - wir haben es von den verschiedenen Seiten des Hauses hier vom Rednerpult oft gesagt - ist mehr als eine Militärallianz alten Stils. Dieses westliche Verteidigungsbündnis findet seine eigentliche Kraft, seine moralische Rechtfertigung und seine Perspektive darin, daß es auch eine Wertgemeinschaft ist im Bekenntnis zu Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. ({0}) Deshalb müssen wir in erster Linie darauf achten, daß gerade in diesem Bündnis das alles nicht in Frage gestellt wird. Dabei verkennen wir in keiner Weise, was der Übernahme der Militärherrschaft in der Türkei vorBundesminister Genscher ausging: 25 Tote an jedem Tag und manchmal mehr. ({1}) Ich denke, hier liegt der Unterschied zur Entwicklung in Polen, wo eine freie Gewerkschaftsbewegung mit friedlichen Mitteln bemüht war, die Gesellschaft zu reformieren, wo es Tote erst nach Übernahme der Militärherrschaft gab. Diesen Unterschied sehen wir ganz genau und ganz deutlich. Frau Schuchardt hat es schon gesagt: Wir setzen Erwartungen in das, was die Militärs angekündigt haben, in das, was General Evren am 30. Dezember darüber gesagt hat, daß im Herbst 1982 die Verfassung vorliegen soll, daß es über sie eine Abstimmung des Volkes geben soll und daß 1983 freie Wahlen stattfinden sollen. Das nehmen wir ernst. Der Bericht, der bis Ende Februar zu erstatten ist, muß sich mit der seither eingetretenen Entwicklung in der Türkei auseinandersetzen. Es war schon wichtig, daß sich der Bundeskanzler - ich sage es jetzt zum drittenmal von diesem Rednerpult aus - in seinen Besorgnissen über die Entwicklung in der Volksrepublik Polen nicht nur an Herrn Jaruzelski, sondern auch an Herrn Breschnew, also an den Mann gewandt hat, der an der Spitze der Sowjetunion steht, weil die polnische Entwicklung ihre Ursache in dem Verhalten, den Erwartungen, den Drohungen, den Pressionen der Sowjetunion hat. Hier ist der zweite fundamentale Unterschied, auf den Herr Karsten Voigt hingewiesen hat, nämlich daß die türkische Entwicklung aus sich heraus ohne Druck der Verbündeten von außen stattgefunden hat. Der fundamentale moralische Unterschied besteht in den Bündnissen gerade darin, daß in Polen die Verbündeten auf die Einsetzung der Militärherrschaft hingewirkt haben, während wir erwarten, daß die Militärherrschaft in der Türkei beendet wird. Hier liegt der Wertunterschied. ({2}) Hier liegt das, was diese beiden Bündnisse voneinander unterscheidet. Meine Kollegen, wenn wir über Menschenrechte reden, wären wir unvollständig, wenn wir nur über die Verletzung von Menschenrechten in Polen oder in der Türkei sprechen würden. Es gibt sie vielerorts in dieser Welt: in Lateinamerika, in Asien; es gibt sie in Europa, es gibt sie in Afrika, es gibt sie auch in Südafrika. ({3}) Nichts ist schlimmer, als Menschenrechte einäugig zu sehen. ({4}) - Das wird niemand bestreiten. Lesen Sie nach, was die Bundesregierung auf Ihre Anfrage, Herr Kollege, dazu gesagt hat! Nichts leidet mehr unter Einäugigkeit als die Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen. Auch das wollen wir offen sagen. Da müssen wir - das ist, glaube ich, eine der Verpflichtungen aus der deutschen Geschichte - diejenigen sein, die immer an der Seite der Leidenden, der Verfolgten sind. ({5}) Das ist der moralische Anspruch, den wir zu erfüllen haben. Weil sich der Kollege Picard hier über das Versagen von Kanzler und Außenminister in der Außenpolitik geäußert hat, möchte ich dazu noch ein Wort sagen. Herr Kollege Picard, die Bedeutung der Vereinigten Staaten für unsere Sicherheit ist ganz unbestritten. Das ergibt sich aus der Wertgemeinschaft unseres Bündnisses, von der ich soeben gesprochen habe. Das ergibt sich aus der Freundschaft zwischen Deutschen und Amerikanern, die nicht erst in diesen Tagen entdeckt wird, sondern die für mich ihre sinnfälligste Erfüllung gefunden hat, als es darum ging, die Freiheit Berlins zu garantieren. ({6}) Das ist in diesem Lande unvergessen, und das ist eine ganz große moralische Kraft für diese Zusammenarbeit. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die so tun, als ob es da zwei Großmächte gebe, die gleich weit von uns entfernt seien oder von denen wir gleich weit entfernt seien. Ich sage es aber auch an die Adresse derjenigen, die in Amerika glauben, sie müßten Zweifel in das setzen, was wir wollen und was wir tun. Nein, diese Freundschaft, diese Zusammenarbeit, dieses Bündnis ist für uns unverzichtbar. Es ist eine Grundlage aller Möglichkeiten, die wir haben, um auch für unsere Landsleute in der DDR zu handeln. Das ergibt sich übrigens auch aus dem Deutschland-Vertrag. Aber, Herr Kollege Picard, die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten veranlaßt uns nicht - eigentlich ist das Gegenteil richtig -, das so mit einer Handbewegung wegzuwerfen, was Sie mit der Formulierung „lieb Kind bei 130 Staaten" andeuteten. Da haben Sie die Entwicklungsländer gemeint. Sie haben gemeint - das mag j a sein, das konnte man hinter Ihren Worten vermuten -, daß wir da eine ganz gute Adresse seien. Nein, Herr Kollege Picard, das ist kein Gegensatz. Man kann ein Freund, ein Verbündeter, ein enger Partner der Vereinigten Staaten und gleichzeitig ein Freund, ein Verbündeter der Staaten sein, die soeben ihre nationale Selbständigkeit gewonnen haben, die durch unsere Hilfe zu wirtschaftlicher, zu sozialer Gerechtigkeit finden werden und die über wirtschaftliche Gleichberechtigung den Weg zu politischer Gleichberechtigung, zu einem gleichberechtigten Mitglied unter den Staaten dieser Welt gehen wollen, ohne die es Frieden nicht geben wird, ohne die es Demokratie nicht geben kann, ohne die es Gleichberechtigung und Menschenrechte nicht geben kann. Also bitte, tun wir nicht so, als ob wir vor der Alternative stünden, Freunde der Amerikaner oder Freunde der Dritten Welt zu sein. Ich sage Ihnen: Unsere Sicherheit beruht auf dem Bündnis mit den Vereinigten Staaten. Aber wir haben eine große moralische Aufgabe, als ein führendes Industrieland des Nordens dafür zu sorgen, daß die Staaten der Dritten Welt ihre sozialen, ihre wirtschaftlichen Probleme überwinden können. Wenn wir etwas tun kön4582 nen, um die moralische Herausforderung zu bestehen, die unserem Land nach einer manchmal schlimmen Geschichte gestellt ist, dann auch, daß wir Anwalt der gleichberechtigten Interessen der Staaten der Dritten Welt in der westlichen Welt sind. - Danke schön. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich erteile dem Abgeordneten Coppik das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung. ({0})

Manfred Coppik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000337, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zu Einzelplan 05 befaßte sich weitgehend mit der Türkei. In der Erklärung zur Abstimmung kann ich leider nicht auf diese Debattenbeiträge eingehen, sondern muß mich mit einer kurzen Stellungnahme begnügen. Der Einzelplan 05 enthält die Titel „NATO-Verteidigungshilfe" und „Rüstungssonderhilfe", aus denen in den letzten Jahren die Militärhilfe für die Türkei gewährt wurde. Ich habe mich in diesem Parlament mehrfach gegen diese Unterstützung einer Militärdiktatur ausgesprochen. In Gesprächen mit vielen Kollegen aus allen Fraktionen dieses Hauses hatte ich den Eindruck, daß die Position, die ich bezogen hatte, durchaus auf Verständnis gestoßen ist und teilweise auch Unterstützung gefunden hat. Auch heute sind hier dazu einige gute - ich hätte fast gesagt: schöne - Worte gesagt worden. Das alles hat aber nichts daran geändert, daß die Militärhilfe an die Türkei uneingeschränkt weiterläuft. ({0}) - Ich komme auch noch dazu. Pünktlich zum Jahrestag des Militärputsches wurden im vergangenen Jahr weitere 130 Millionen DM für diesen Zweck bewilligt - dies alles, obwohl in der Türkei nach wie vor schwer gefoltert wird, führende Oppositionspolitiker im Gefängnis sitzen, aktive Gewerkschafter mit dem Tode bedroht sind und Militäraktionen gegen die kurdische Minderheit auf der Tagesordnung stehen. Aber die Militärhilfe läuft weiter. In der vergangenen Woche und auch heute haben hier Sprecher aller Fraktionen den Ausnahmezustand und die Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte in Polen beklagt und verurteilt. Da ich für die Einhaltung von Menschenrechten überall in der Welt bin, ist es mir völlig unverständlich, wie nach allem, was hier gesagt wurde, gleichzeitig aktive Hilfe, sogar Militärhilfe, zur Unterstützung der Diktatur in der Türkei geleistet werden kann. ({1}) - Herr Kollege Gerster, die Militärhilfe, die für Polen geleistet wird, ist mir noch nicht so ganz bekannt. ({2}) Ich möchte jedenfalls zu dieser Militärhilfe meinen Beitrag nicht leisten. Da es im Haushaltsplan überhaupt keine Gewähr gibt, daß die Verpflichtungsermächtigung des Einzelplans 05 1982 nicht schon wieder dazu benutzt wird, weitere Hilfezusagen an die türkische Militärjunta zu machen, möchte ich keinen Blankoscheck unterschreiben, der vielleicht im Laufe des Jahres nach Ankara abgeschickt wird. Ich werde deshalb dem Einzelplan 05 nicht zustimmen, sondern mich gemeinsam mit den Kollegen Hansen und Thüsing bei der Abstimmung der Stimme enthalten. - Danke schön. ({3})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 05: Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Wer dem Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltung? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - Drucksache 9/1200 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Frau Berger ({0}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungsvorlage war vorgesehen, die Ausgaben des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen gegenüber dem Vorjahr von 465 auf 422 Millionen zu kürzen. Der Einzelplan 27 sollte mit einer Kürzung um 9,3 % wieder einmal unverhältnismäßig geschröpft werden. Nach Abschluß der Haushaltsberatungen betragen die Kürzungen immer noch rund 6 % bei einem Zuwachs des Bundeshaushalts um mehr als 4 %. Diese Erhöhung für den Einzelplan 27 wurde durch Umschichtungen aus dem Einzelplan 60 erreicht. Frau Berger ({0}) Hierzu einige Worte. Im Einzelplan 60 sind rund 750 Millionen eingestellt, die vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen bewirtschaftet werden. Mir scheint es unlogisch, daß wichtige Zuständigkeiten des BMB nicht im Einzelplan 27, sondern im Einzelplan 60 etatisiert sind. Ich nenne z. B. die Pauschalsumme für Abgeltung von Straßenbenutzungsgebühren für PKW im Verkehr in der und durch die DDR, Hilfsmaßnahmen in Einzelfällen und die Verkehrssubventionen für Flugzeug- und Omnibusverkehr im Einzelplan 60, während der Ausgleich für den Betrieb der Omnibuslinien im kleinen Grenzverkehr im Einzelplan 27 verblieben ist. Dies ist reichlich verwirrend. Wir sollten zu einer logischen Darstellung von Zuständigkeiten und Zuordnungen im Haushaltsplan kommen. Es ist selbstverständlich, daß auch der Einzelplan 27 seinen Sparbeitrag zu leisten hat. Ebenso richtig ist es aber, daß Kürzungen einen kleinen Haushalt härter treffen als einen großen, der interne Ausgleichsmöglichkeiten hat. In den letzten Jahren sind die Mittel für das BMB ständig überproportional gekürzt worden. 1981 änderte sich der Bundeshaushalt um plus 7,8 %, der Einzelplan 27 um minus 1,5 %; 1982 änderte sich der Bundeshaushalt um plus 4 %, der Einzelplan 27 um minus 5,9 %. Ein ähnliches Bild bietet der Finanzplan. Die Ansätze für den Einzelplan 27 betragen dort für 1983 427 Millionen, für 1984 429 Millionen, für 1985 430 Millionen. Mit anderen Worten, Herr Minister Franke: Ihnen stehen 1982 für den Einzelplan 27, also für Ihre Fachaufgaben, 439 Millionen zur Verfügung. 1985 sollen es rund 8 Millionen weniger sein. Allerdings wird dies 1985 hoffentlich nicht mehr Ihr Kopfzerbrechen sein. Ihr Haushalt, Herr Minister Franke, ist mit 0,18 % des Gesamtvolumens des Bundeshaushalts 1982 ein kleiner Haushalt; Ihr Ministerium ist eines der kleinsten Ministerien. Ihr Ministerium hat aber nach dem Grundgesetz mit der Pflege innerdeutscher Beziehungen eine wichtige nationale Aufgabe. Und wir wissen alle, daß die Erfüllung dieser Aufgaben nicht leichter wird; im Gegenteil. Minister Franke muß sich fragen lassen, ob die Solidarität und die Disziplin des Chefs der Kanalarbeiter so weit gehen darf, daß er als innerdeutscher Minister ein Übersoll an Einsparungen auf sich nimmt, um die Finanzmisere zu mildern. ({1}) Je knapper das Geld wird, desto stärker wird der Zwang zu sinnvoller, möglichst rationeller Verwaltungsstruktur. Der Bundesrechnungshof hat in einem vom Parlament angeforderten Gutachten gerade angesichts der Aufgabenstellung des Ministeriums die dort vorhandene unausgewogene Organisationsstruktur kritisiert. Etwa zwei Drittel aller Referate sind Klein- oder sogar Zwergreferate. Dies führt zu einem hohen Anteil von Beamten des höheren Dienstes und leitenden Angestellten in relativ kleinen Abteilungen und Unterabteilungen. Das aber führt zu einer teuren Verwaltung. Insoweit wird bei den Beratungen des Haushalts 1983 auf Verbesserungsvorschläge des Bundesrechnungshofs zurückzukommen sein. Ich komme nun zu den Fachausgaben. In der Regierungsvorlage war für Fachausgaben zunächst eine Kürzung von rund 43 Millionen DM gegenüber 1981 vorgesehen. Das waren fast 10 %, die dem Ministerium 1982 zur Erfüllung seiner Aufgaben gefehlt hätten. Der Haushaltsausschuß hat hier rund 17 Millionen DM zugelegt. ({2}) Minister Franke läßt sich ständig und kräftig in die Tasche greifen, und das tut ihm offensichtlich nicht einmal besonders weh. ({3}) Minister Franke hat es dem Parlament überlassen, wenigstens die größten Schäden zu reparieren. Hierfür werde ich einige Beispiele nennen. Die Mittel für die Förderung des Zonenrandgebiets sind um weitere 15 auf 110 Millionen DM gekürzt worden. Das ist eine erneute Kürzung von mehr als 10 %. ({4}) Auch in diesem Punkt hat es Minister Franke dem Haushaltsausschuß überlassen, die von ihm ursprünglich beabsichtigte Kürzung von 25 Millionen DM auf 15 Millionen DM zurückzuführen. ({5}) Die von der Regierung herbeigeführte Finanzmisere wirkt sich zunehmend auf die Zonenrandförderung aus. Minister Franke hat mehrfach versichert, daß die gesetzliche Pflicht in diesem Bereich auf Dauer erfüllt werde. Ich habe aber den Eindruck, daß das Zonenrandförderungsgesetz allmählich administrativ ausgehöhlt wird. Die Zonenrandförderung ist kein besonderer Teil regionaler Wirtschaftspolitik, sondern eine gesetzlich festgelegte politische Aufgabe mit dem Ziel, mitten in Deutschland kein unterentwickeltes Grenzgebiet entstehen zu lassen. ({6}) Anfang Januar wurde eine Neufassung der Richtlinien für Hilfsmaßnahmen zugunsten von Besuchern aus der DDR und Berlin ({7}) sowie aus ost-und südosteuropäischen Staaten beschlossen. Ich gehe davon aus, daß der Innerdeutsche Ausschuß über diese Richtlinien noch beraten wird. Bei den Haushaltsberatungen war vom Ministerium bzw. von Minister Franke jedenfalls vorgetragen worden, daß Besuchern aus der DDR an Stelle von Gutscheinen für jeweils zwei Zusatzreisen bei Besuchen in der Bundesrepublik künftig nur die Kosten für eine Zusatzreise vom Besuchsort bei uns aus erstattet werden sollten. ({8}) Frau Berger ({9}) Darüber könnte man reden, wenn es sich hier um eine Maßnahme handeln würde, die auf das Jahr 1982 beschränkt würde. Darüber kann man durchaus reden, wenn ein Sparzwang besteht. Aber einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen vom 7. Januar entnehme ich, daß nunmehr nur noch eine Zusatzreise genehmigt wird, diese aber auch nur dann, wenn der Besucher Rentner ist und wenn - nun hören Sie bitte gut zu - sein Gastgeber Empfänger von Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge ist. Herr Minister, dies ist eine Kürzung in der Substanz. Das hätten Sie bei den Haushaltsberatungen mitteilen müssen. ({10}) Ich möchte Sie jetzt an eines erinnern, Herr Minister, damit Sie nachher den richtigen Ansatzpunkt haben. Besucher aus der DDR und aus Berlin ({11}), die im Rentneralter stehen, die also lange haben warten müssen, ehe sie endlich zu uns kommen können, dürfen nach den Devisenbestimmungen der DDR bei ihren Reisen zu uns ein Zehrgeld von lediglich 15 DM mit sich führen. Sie können von eigenem Geld täglich also 50 Pf ausgeben und brauchen deshalb Hilfe. ({12}) Dabei fällt einem natürlich sofort die Gegenüberstellung ein, daß wir 25 DM pro Tag zahlen müssen, wenn wir in der DDR fahren. Der Bundesminister der Finanzen hatte im Juni 1981 gemäß § 41 der Bundeshaushaltsordnung eine zehnprozentige Ausgabensperre bei den Ausgaben für Zuweisungen und Zuschüsse angeordnet. Minister Franke hat aus Tit. 685 21 - Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters - über diese 10 % hinaus eine Kürzung der Gelder um fast ein Drittel vorgenommen. Von den für diese Hilfsmaßnahmen vorgesehenen 90 Millionen DM hat er 26 Millionen DM gestrichen. Herr Minister Franke sollte über eine 10 %ige Kürzung nachdenken, und er wollte 30 % streichen. ({13}) Und dies bei Mitteln, die Bürgern in der DDR unmittelbar zugute kommen! Im Klartext heißt das doch, daß einigen Organisationen und Einrichtungen Kürzungen auferlegt wurden, die sich zunächst zwischen 10 und 50 % bewegt haben. Nach Intervention von verschiedenen Seiten sind dann die gröbsten Mißstände beseitigt worden. Die Kürzung wurde auf 15 Millionen DM zurückgenommen. Meine Fraktion geht davon aus, Herr Minister, daß es für 1982 bei dem Betrag von 85,5 Millionen DM für die Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen bleibt. Wir haben der Kürzung unter dieser Voraussetzung zugestimmt. Zum nächsten Punkt meiner Beispiele. Wir sind uns alle darüber einig, daß Reisen von Jugendlichen nach Berlin verstärkt zu fördern sind. Das wird geschehen. Alle Fraktionen sind sich auch darin einig, daß Erwachsenenreisen nach Berlin weiterhin gefördert werden sollten. Auch die Erwachsenenreisen nach Berlin wurden durch die Anordnung nach § 41 BHO überraschend betroffen. Die CDU/CSU-Fraktion hat überhaupt nichts dagegen, daß auch die Mittel für Erwachsenenreisen nach Berlin in angemessenem Rahmen gekürzt werden. Herr Minister Franke hätte sich durchaus gegen eine 10 %ige Kürzung wenden können, weil hier Rechtsgeschäfte bestanden haben. Das hat er aber nicht getan. Er tut nichts, wenn man ihm Geld wegnimmt. ({14}) Er hat die Mittel für diese Reisen sogar um ein Drittel, nämlich um 1,5 Millionen DM gekürzt. Auch hier sollte Herr Minister Franke nur über eine 10 %ige Kürzung der Mittel nachdenken. Er hat gleichwohl eine Kürzung von 30 % angeordnet. Das ist zuviel, Herr Minister. Sie müssen standhafter werden. ({15}) Bereits geplante Berlin-Reisen - viele Kollegen wissen, daß viele Berlin-Reisen, die schon unter Dach und Fach waren, abgesagt wurden - mußten im Juli, August und September kurzfristig gestrichen werden. ({16}) Diese mitten im Jahr verfügte Streichung von Mitteln um ein Drittel hat zu erheblichen Schwierigkeiten besonders für Gästehäuser in Berlin geführt. - Sie lächeln jetzt wieder, Herr Minister. Sie geben sich häufig heiter, gelassen und zukunftsfroh, auch wenn man über Dinge spricht, die weh tun, ich habe im Ausschuß einen Brief der AWO in Gatow vorgelesen und geschildert, wie hart diese Kürzung gerade die Gästehäuser in Berlin, aber auch andere trifft. Noch ein Beispiel, Herr Minister: Sie hatten doch zunächst beabsichtigt, 1982 die Reisen von jährlich rund 100 000 Erwachsenen nach Berlin überhaupt nicht mehr zu fördern. Weil kein Geld mehr in der Kasse ist, wollten Sie die bisher für Erwachsenenreisen vorgesehenen 4,6 Millionen DM für 1982 ersatzlos streichen. ({17}) In Übereinstimmung mit dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen haben sich die Berichterstatter zunächst einvernehmlich darum bemüht, 4 Millionen DM für die Förderung von Erwachsenenreisen durch entsprechende Kürzung der vom BMB bewirtschafteten Mittel von Flugpreissubventionen aufzubringen. Bedauerlicherweise hat die Koalition im Haushaltsausschuß nicht 4 Millionen DM, sondern nur 2,6 Millionen DM zur Verfügung gestellt, weil sie den Deckungsvorschlag für problematisch hielt, obwohl dieser Deckungsvorschlag grundsolide war. Aber 2,6 Millionen DM sind immerhin besser als gar nichts für Erwachsenenreisen nach Berlin. Auch im vorliegenden Fall kritisiere ich, daß Minister Franke bereit war, eine Streichung von Mitteln vorzunehmen, die dem Auftrag seines Ministeriums und auch dem Interesse Berlins Schaden zugefügt Frau Berger ({18}) hätte. Auch hier hat er es dem Parlament überlassen, einen Ausweg zu finden. ({19}) Einige Worte zur deutschlandpolitischen Bildungsarbeit, eine Aufgabe, die weiß Gott nicht einfach ist. Insbesondere gehört es zu unserer Pflicht, in der Jugend das deutschlandpolitische Interesse zu wecken bzw. zu stärken. ({20}) Das Innerdeutsche Ministerium hat z. B. bisher an 2 400 Schulen Bücherpakete mit je 100 Titeln geschickt. Mein Kollege Nehm und ich als Berichterstatter sind der Ansicht, daß dieses Bücherpaket überprüft werden sollte. Wir nehmen es dem Minister ab, daß es schwer ist, deutschlandpolitische Literatur in die Schulen zu bringen. Um so wichtiger ist es aber, ein weniger hochgestochenes, zu sehr wissenschaftlich geprägtes Bücherangebot zu präsentieren. Wir wollen ein Bücherangebot, das die Jugend anspricht, sie provoziert, sie neugierig macht und zu einem Besuch in der DDR anregt. ({21}) Wir wollen doch alle miteinander erreichen, daß Klassenabschlußfahrten, wie es in der letzten Sitzung des innerdeutschen Ausschusses besprochen wurde, eben nicht nur nach Rom, Wien oder Paris gemacht werden, sondern daß sich die jungen Leute in Weimar, Dresden, Güstrow und anderswo umsehen. ({22}) Bei den Haushaltsberatungen ist auch deutlich geworden, daß es bei der Berliner Dienststelle der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben einige Probleme gibt, die Aufmerksamkeit verdienen. Fünf von zunächst 12 suspendierten Honorarreferenten sind von einer weiteren Mitarbeit ausgeschlossen worden. Andererseits gibt es dort eine Reihe von Referentenbewerbern, die schon seit längerem auf einen Bescheid über ihren Antrag auf Mitarbeit warten. Herr Minister Franke, ich bitte Sie abschließend, allen Beamten Ihres Hauses den Dank der Fraktion der CDU/CSU dafür zu übermitteln, daß sie ihre Pflicht unter zuweilen wirklich außerordentlich schwierigen Umständen erfüllt haben. ({23}) - Den Beamten und Angestellten, allen Mitarbeitern. Im Namen meiner Fraktion bitte ich Sie, Herr Minister Franke, bei der Aufstellung des Haushalts 1983 besseres Augenmaß und größere Standfestigkeit zu zeigen. ({24}) Wir erwarten nicht, daß Sie mit Steuergeldern leichtfertig und großzügig umgehen. Wir erwarten aber von Ihnen, daß Sie sich wie Ihre Kabinettskollegen mit allem Nachdruck dafür einsetzen, daß die Aufgaben, die Ihrem Ministerium zugeordnet sind, voll erfüllt werden können, nämlich der Einheit der Nation zu dienen und den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken. Wir möchten es bei den Beratungen des Haushalts 1983 nicht noch einmal erleben, daß andere Ressortchefs mit dem Finanzminister über ihren Etat hart verhandeln, während Sie es dabei belassen, einen Brief an den Finanzminister zu schreiben, der in den Geschäftsgang geht, und den Rest Ihren Beamten überlassen. Die CDU/CSU hat im Haushaltsausschuß ihren Beitrag geleistet, auch im innerdeutschen Haushalt zu sparen oder Mittel umzuschichten. Wir werden diesem Etat nicht zustimmen, weil es mit der bloßen Verwaltung von Programmen eben nicht getan ist und weil dem Minister die Führungskraft fehlt, seine Aufgaben - insbesondere bei zunehmend knapper werdenden Mitteln - so wahrzunehmen, wie es das sensible Feld der innerdeutschen Beziehungen erfordert. ({25}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({26})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Nehm.

Albert Nehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001585, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratungen des Einzelplans 27, des Haushalts des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, gestalten sich in diesem Jahr äußerst schwierig. Der Einzelplan konnte einerseits von den allgemein notwendigen Sparmaßnahmen nicht verschont bleiben; andererseits mußte Wert darauf gelegt werden, daß die die Deutschlandpolitik der Bundesregierung begleitenden Förderungsmaßnahmen finanzieller Art in ihrer Substanz erhalten blieben, und zwar um so mehr, als die finanziellen Leistungen aus dem Einzelplan 27 zwar zum großen Teil nicht auf gesetzlichen Verpflichtungen, wohl aber auf politisch-moralischen Verpflichtungen beruhen, die, wie ich meine, vielleicht noch schwerer wiegen und über die in diesem Hause sicherlich Einvernehmen besteht. Bei den Überlegungen, wo Kürzungen im Interesse des Gesamthaushalts möglich waren und wo Leistungen für die Menschen in Deutschland unbedingt erhalten werden mußten, haben wir berücksichtigt, daß ein großer Teil der Leistungen, die das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen zugunsten der Menschen in beiden deutschen Staaten erbringt, in einem anderen Einzelplan ausgewiesen sind, ({0}) so z. B. für den Straßenbau, die Subventionierung des Flugverkehrs von und nach Berlin, für die Zusammenführung von Familien und für die Freilassung politischer Häftlinge. Ich betone dies besonders, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, der Plafond des Einzel4586 plans 27 sei in leichtfertiger Weise politisch nicht vertretbar gekürzt worden. ({1}) Dies ist einfach nicht richtig. Dem Ministerium stehen für die Erfüllung seiner Aufgaben nach wie vor die notwendigen Mittel zur Verfügung. ({2}) Hierzu steht nicht im Widerspruch, daß die Kürzungen im einzelnen Härten bedeuten und daß auch ich manche Kürzungen gerne vermieden hätte. Darum haben wir uns im Haushaltsausschuß auch trotz des allgemeinen Kürzungszwanges schließlich dazu verstanden, in zwei Fällen gegenüber dem Regierungsentwurf eine Aufstockung der Mittel vorzunehmen, nämlich erstens bei der Zonenrandförderung um 10 Millionen DM und zweitens bei den Informationsreisen nach Berlin um 2,6 Millionen DM. Lassen Sie mich zu den Schwerpunkten des Einzelplans im einzelnen noch kurz folgendes sagen, erstens zur Zonenrandförderung. Die Mittel für die Zonenrandförderung werden für 1982 110 Millionen DM betragen. ({3}) Diese Summe deckt sicher nicht den vorhandenen finanziellen Förderungsbedarf. Allerdings sollte man sich in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß diese Bundesregierung von 1971 bis 1981 allein für den Ausbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur im Zonenrandgebiet 1,7 Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat. ({4}) Das Ministerium wird die Mittelverwendung schwerpunktmäßig auf bestimmte Investitionen konzentrieren müssen, wie z. B. den Bau von Berufs-und Fachoberschulen, von Rehabilitationszentren, Sportstätten, Werkstätten für Behinderte und ähnliche Projekte. ({5}) - Von Ihnen hätte ich sie mir nicht schreiben lassen. ({6}) Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Förderung des Baus von Kindergärten und allgemeinbildenden Schulen im Zonenrandgebiet - wenn überhaupt - stärker als bisher Sache der Länder sein muß. Ich meine allerdings, daß eine solche Arbeitsteilung auch nicht ganz unangemessen ist. Zweitens zu den Hilfsmaßnahmen. Hier bitte ich zunächst um Ihr Verständnis, daß ich auf die in dieser Titelgruppe enthaltenen Maßnahmen wegen der gebotenen Vertraulichkeit nur zum Teil eingehen kann. Die Titelgruppe weist für 1982 Mittel in Höhe von 166,7 Millionen DM aus. Dies bedeutet eine Kürzung gegenüber dem Vorjahr um ca. 11 Millionen DM. Ich verhehle nicht, daß uns diese Kürzung schwergefallen ist. Sie trifft u. a. die bisher für Besucher aus der DDR bereitgestellten Mittel. Um aber auch hier Mißdeutungen zu begegnen, möchte ich ausdrücklich betonen, daß die Substanz der Hilfe für Besucher aus der DDR erhalten bleibt. So wird der Bund weiterhin unverändert Mittel für die sogenannte Bargeldhilfe an Besucher zur Verfügung stellen, damit diese bei kleinen Einkäufen für den täglichen Bedarf nicht allein auf die Unterstützung ihrer Gastgeber in der Bundesrepublik angewiesen sind. Unverändert bleibt auch die Hilfe im Krankheitsfall. Einschränkungen erfahren dagegen die sogenannten Reisehilfen. Sie wird es in Zukunft nur noch in sozialen Härtefällen geben. Die Kürzung erscheint deshalb vertretbar, weil die Besucher heute im Unterschied zu früher in der Regel in der Lage sein werden, an ihrem Heimatort eine Hin- und Rückfahrtkarte zu lösen. Von dieser Möglichkeit wurde auch in den letzten Jahren schon zunehmend Gebrauch gemacht. ({7}) Drittens zur deutschlandpolitischen Bildungs-und Informationsarbeit. In dieser Titelgruppe sind u. a. Mittel für Informationsreisen nach Berlin enthalten. Schon der Regierungsentwurf ging von der Überlegung aus, die Mittel für Informationsreisen Jugendlicher voll zu erhalten, das besonders deshalb, weil es nach unserer Auffassung gerade für die nachwachsende Generation von besonderer Wichtigkeit ist, sich ein eigenes Bild über die Lage Berlins zu machen. Bei den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß haben wir die Mittel für Informationsreisen Erwachsener in Höhe von 2,6 Millionen DM wieder eingestellt, so daß nunmehr insgesamt für Reisen nach Berlin 1982 11,7 Millionen DM zur Verfügung stehen. Der verfügbare Betrag erreicht zwar nicht die Höhe vergangener Jahre. ({8}) Er wird es aber ermöglichen, auch in Zukunft Zuschüsse für solche Reisen nach Berlin zu bewilligen, die im Sinne deutschlandpolitischer Bildungsarbeit besonders förderungswürdig sind. ({9}) Im übrigen bleiben die Haushaltsmittel für die allgemeine politische Bildungsarbeit des Ministeriums, wie z. B. für Seminare, Tagungen, Publikationen und Filme ungekürzt bestehen. Lassen Sie mich mit der Bemerkung schließen, daß bei den Ausschußberatungen übereinstimmend in allen Fraktionen deutlich wurde, daß der AufgaNehm benstellung und der Arbeit des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen ({10}) insbesondere auf humanitärem Gebiet ein hoher Stellenwert beizumessen ist. Ich hoffe, daß diese gemeinsame Bewertung auch in den kommenden Haushaltsjahren gültig sein wird. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen zu dem, was die Frau Kollegin Berger meinte besonders kritisieren zu sollen. ({0}) Das ist ihr gutes Recht. Es stimmt durchaus, daß auch mein Haushalt von den Kürzungen betroffen wurde. ({1}) - Was heißt überdurchschnittlich? Es gibt durchaus Meinungsverschiedenheiten darüber, in welchen Bereichen man kürzen kann und in welchen nicht. Auch das, was eben so klagend aufgeführt wurde, möchte ich ein klein wenig erhellen. Es gibt durchaus sehr unterschiedliche Meinungen, wenn es darum geht, das Geld für die deutschlandpolitischen Zwecke zu bewegen und zu bekommen, für die ich es mit meinen Mitarbeitern meine verwenden zu sollen. Dann gibt es eine sehr unterschiedliche Beurteilung des Wertes von Reisekostenzuschüssen für Berlin-Reisen. Ich will nicht die Formulierungen wiederholen, mit denen diese Reisen in Fachausschüssen bezeichnet wurden. Um mit den Mitteln, die zur Verfügung gestellt werden konnten, auf weite Sicht wirken zu können, haben wir uns auf den Versuch konzentriert, wenigstens die Reisen von Jugendlichen insgesamt zu fördern, denn die müssen mit dem Problem der deutschen Teilung und mit der Besonderheit in Berlin vertraut gemacht werden, und zwar an Ort und Stelle. Dafür mußte alles, was zur Verfügung stand, zusammengeholt werden. ({2}) Ich wurde kritisiert, daß ich im Kabinett bei den Kürzungsvorschlägen übermäßig solidarisch gewesen sei. Ich wünsche Ihnen im Laufe der Jahre auch so viele Erkenntnisse, daß Sie einmal merken, daß kollegiale Zusammenarbeit von allen Beteiligten erforderlich ist. ({3}) - Ja, von allen. Alle sind doch gefordert. Sagen Sie doch bloß nicht, nur in diesem Ministerium sei gekürzt. ({4}) Was im übrigen kritisiert wurde, sind doch alles alte Hüte. ({5}) - Ja natürlich. ({6}) - Ich kann doch darauf antworten, mein Herr, wie es mir paßt. Ich muß mir ja auch anhören, was Sie sagen, so wie Sie es für richtig halten. Lassen Sie das bitte! Jedenfalls war die Kritik, die vom Rechnungshof geübt wurde, Veranlassung zur Revision, soweit das möglich ist. Die unterschiedliche Zuordnung von Verfügungsmitteln, die kritisiert worden ist, ist durch die Gegebenheiten der Arbeit, die dort zu bewältigen ist, bedingt. Wir haben das Ministerium doch geerbt, wir haben es doch gar nicht erfunden. ({7}) - Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch einmal ausreden. Warum sind Sie eigentlich so nervös, wenn wir dieses Thema behandeln? Ihnen gefällt es wohl nicht, daß wir durch die Art, wie wir dort die Arbeit betreiben, in der Sache Erfolge gehabt haben, die Sie nicht zuwege gebracht haben. ({8}) Was soll denn diese Art des Sich-Ereiferns. Wenn es Ihnen paßt, reden Sie von mehr Gemeinsamkeit, und hier meinen Sie in dieser Weise mit mir umspringen zu sollen. ({9}) - Ich bin gar nicht aufgeregt. Wenn Sie meinen, ich sei aufgeregt, müssen Sie einmal etwas anderes mit mir erleben. Zu dem gesamten Thema will ich Ihnen noch sagen: Meine Damen und Herren, ich beklage so wie Sie, daß nicht genug Mittel zur Verfügung stehen, um all das, was wir machen könnten und was wir machten möchten, ({10}) auch finanzieren zu können. Ich will dazu ganz klar und deutlich sagen, daß es durchaus stimmt, daß dieser Ansatz im Einzelplan 27 gekürzt wurde, so wie es hier gesagt wurde. Aber er ist auch wieder verändert worden. Der Sinn der Beratungen auch im Haushaltsausschuß, wenn es da Bereinigungssitzungen und ähnliche Dinge gibt, ist doch wohl, daß die Dinge auch vom Parlament mit verändert werden und daß nicht allein die Regierungsvorlage besteht. Ich bin durchaus dankbar dafür, daß sich gerade in den Schwerpunktbereichen gewisse Veränderungen ergeben haben, z. B. bei Berlin-Reisen und in der Zonenrandförderung. Zonenrandförderung ist doch wohl eine Sache, die wir erst im Laufe der Jahre haben erzwingen müssen. ({11}) Es ist doch nicht von ungefähr so gewesen, daß das Zonenrandförderungsgesetz zunächst erst einmal zustande kam, als die sozialliberale Koalition gebildet wurde. ({12}) Meine Damen und Herren, ich weiß, daß wir uns über die Dinge, die Sie angesprochen haben, in Zukunft noch weiter unterhalten müssen. ({13}) - Wir haben es dann einstimmig beschlossen. Darüber wollen wir uns gar nicht streiten. Gedrängt haben wir. Darüber brauchen wir uns jetzt auch nicht zu streiten. Dafür können Sie die Protokolle nachlesen. Das läßt sich chronologisch alles bestens belegen. ({14}) - Insgesamt - das will ich durchaus sagen - ist das viel zu klein. Ich bitte alle Fraktionen, sich in Zukunft mit dem Thema Deutschlandpolitik mit anderem Eifer zu befassen, um die Prioritäten zu verändern. Aber das erfordert eine möglichst breite Obereinstimmung in der Bewertung dieses Politikums und nicht nur das Bemühen, immer nur zu kürzen, immer nur zu sagen: Was lohnt das? ({15}) Der Berichterstatter hat im einzelnen aufgeführt, was weiterhin erhalten bleibt. Lassen Sie mich etwas Besonderes zu dem sagen, was wir politisch tun können. Da geht es in besonderer Weise um die Bildungsarbeit. Das Buchpaket, von dem Sie gesprochen haben, ist das Ergebnis einer langwierigen Beratung mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister. ({16}) - Entschuldigen Sie, wir haben es auch schon anders gemacht. Dann bekamen wir von den Kultusministern der Länder die Einwände, daß wir in den Schulen überhaupt nichts zu suchen hätten. Unser Bemühen, einschlägiges Material dahin zu bringen, wo es gebraucht wird, wurde durch formale Einwände und durch Hinweise auf die Zuständigkeit behindert. Aber auch das lohnt sich gar nicht hier weiter auszutragen. Ich will nur noch in Stichworten aufzeigen, was getan wird - soweit man das überhaupt vermag -, um deutschlandpolitisches Bewußtsein zu wecken und zu erhalten. Es gibt - das wurde hier schon gesagt - seit 1980 dieses Buchpaket mit über 100 Titeln als Grundausstattung für Schulbibliotheken. Von diesem Angebot haben bisher 2 400 Schulen Gebrauch gemacht. Sie haben es bei uns angefordert und bekommen. Wir haben im Jahr 1981 insgesamt 41 Lehrertagungen mit insgesamt 1 200 Geschichts-, Deutsch-, Geographie- und Religionslehrern durchgeführt. Auf diesen Tagungen wurden unter anderem Unterrichtsmodelle und Unterrichtsmaterialien vorgestellt oder auch von den Teilnehmern selbst erarbeitet. Seminarmaterialien: Die Gesamtauflage der Seminarmaterialien mit über 20 Titeln, z. B. „Grundlagenvertrag", „KSZE-Schlußakte", „DDR-Verfassung", „17. Juni 1953", hat inzwischen über 6 Millionen erreicht. Klassenfahrten: Die Zahl der geförderten Klassenfahrten in die DDR hinein nimmt zu. 1979 haben wir 37 solcher Fahrten mit 898 Teilnehmern gefördert. 1981 waren es 85 mit 2 000 Teilnehmern. Auch das steigert sich. ({17}) Sie sehen: Auch da verlagert sich die Arbeit. Und ich nehme an, wir sollen nicht schablonenmäßig das, was vor Jahren einmal entwickelt wurde, weitermachen, sondern da, wo es geht, Ansatzpunkte finden, nachfassen, um dieses Thema lebendig zu behandeln, vor allem auch mit den jüngeren Menschen, die nachwachsen, damit sie das vermittelt bekommen. ({18}) Deutschlandpolitische Seminare: Das Bundesministerium hat 1981 1 525 Seminare und Bildungsveranstaltungen zentraler Art mit über 44 000 Jugendlichen und Erwachsenen gefördert. Daneben hat das Gesamtdeutsche Institut Veranstaltungen gefördert. Sie können die Organisation dieses Ministeriums kritisieren, dann beziehen Sie aber bitte auch dieses Institut mit ein. Es ist doch wohl aus der Praxis heraus gewachsen, und es ist das Ergebnis von Bemühungen gewesen, als wir, Sozialdemokraten und Christliche Demokraten, in der Großen Koalition einmal zusammenwirkten. ({19}) Damals wurde dieses Institut gegründet und hatte auch eine praktische Aufgabe zu erfüllen. Dieses Gesamtdeutsche Institut hat weitere 978 Seminare nicht zentraler Träger mit über 31 000 Teilnehmern gefördert. Nehmen Sie die Publikationsarbeit, die sowohl Eigenveröffentlichungen, z. B. „DDR-Handbuch", „Zahlenspiegel", „Texte zur Deutschlandpolitik", als auch die Förderung bzw. den Ankauf oder die Verteilung von Verlagswerken umfaßt! All das ist geschehen, um der Aufgabe, die gestellt wurde, gerecht zu werden. Mit Dokumentar- und Spielfilmen gehören nahezu 130 Filme in den Bestand, die im Katalog „Filme zur deutschen Frage" angeboten werden. ({20}) 1980 wurden diese Filme in 42 425 Vorführungen vor über 1 600 000 Teilnehmern gezeigt. ({21}) Meine Damen und Herren, das ist Breitenarbeit, das ist Kleinarbeit, das ist nicht nur Plakatierung. Da werden Anregungen gegeben, auch solche Filme als Vorspann zu bringen. Sie wissen doch selber, daß dieses Thema nicht übermäßig begehrt ist und man sehr tüchtig nachhelfen muß. Sie wissen, was Sie in Ihren Orten zu tun haben, um den 17. Juni und ähnliche Veranstaltungen möglichst würdevoll gestalten zu können. ({22}) Bitte sehr, wir machen das alles. Wir versuchen es, aber wir können nichts verordnen und nichts kommandieren. Deshalb müssen wir uns um diese Dinge so bemühen, wie wir das eben tun. ({23}) Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, daß wir so spät mit diesem Titel an die Reihe gekommen sind. Aber wir haben bisher im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - wenn ich das hier einmal sagen darf - in aller Breite und in aller Deutlichkeit alle Komplexe behandelt, das wird doch jeder zugestehen müssen. ({24}) Und dazu können Sie zu allen diesen Fragen bis ins Detail Auskunft erhalten. Ich möchte Ihnen noch sagen: Im Zusammenhang mit den wichtigsten Punkten, die uns gemeinsam bewegen, hat es noch nie an Geld gemangelt. Ich glaube, ich brauche nur anzudeuten, was ich damit meine - damit das Thema nicht von Unberufenen mitgehört und falsch verstanden wird. Meine Damen und Herren, es gehörte früher auch zur Behandlung des Themas Deutschlandpolitik, daß manches nur in den Ausschußsitzungen und nicht in dieser Breite hier behandelt wurde. ({25}) - Sie haben das mit gewollt. Ich habe darauf reagiert. Es ist nach wie vor geboten, die Behandlung dieses Themas zu differenzieren. Sie würden unserer gemeinsamen Sache einen guten Dienst erweisen, wenn Sie sich nicht bemühten, die Diskussion in dieser Weise in der breiten Öffentlichkeit weiterzuführen. Ich bin dazu bereit. Ich kann Kritik vertragen. Ich übe selbst Kritik, da, wo sie angebracht ist. Ich bin nicht zart besaitet, aber ein klein wenig solidarischer sollten wir alle miteinander gerade zu diesem Thema umgehen. - Ich danke sehr. ({26})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 27 - Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Wer dem Einzelplan 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 20. Januar 1982, 9 Uhr ein, die mit der Fortsetzung der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 1982 - Einzelplan 08: Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, Einzelplan 32: Bundesschuld, Einzelplan 60: Allgemeine Finanzverwaltung, Einzelplan 20: Bundesrechnungshof sowie Finanzplan des Bundes 1981 bis 1985 - beginnt. Die Sitzung ist geschlossen.