Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Montag dieser Woche sitzen die Vertreter der beiden Weltmächte in Genf am Verhandlungstisch. Einige Stimmen in der Welt haben diesen Verhandlungen den Rang der für den Weltfrieden wichtigsten Gespräche seit 1945 gegeben. Auch wenn man ihre Bedeutung etwas geringer einschätzt, so ist es richtig, daß es in Genf um den Frieden im Atomzeitalter geht.
Unserer Geschichte wegen und unserer geographischen Lage wegen sind wir Deutschen von diesen Verhandlungen, von ihrem Verlauf, von ihrem Ergebnis so stark betroffen wie kaum einer sonst. Deshalb hat diese Regierung seit Jahren beharrlich und gegen den Widerstand auf manchen Seiten für diesen Tag gearbeitet, j a gekämpft.
Sie hat das im Bewußtsein der Erkenntnis getan, die Aristide Briand so formuliert hat: daß „der Friede andauernden Dienst erfordert, unentwegt und zähe", daß er Ausdauer verlangt und keinen Zweifel zuläßt. Denn „Zweifel, Skepsis und Mißtrauen lähmen den Friedensgedanken". So sagte Aristide Briand, der Partner Stresemanns, vor einem halben Jahrhundert.
Der Beginn der Verhandlungen gibt Anlaß zur Zwischenbilanz unserer Bemühungen um den Frieden, Anlaß, dem Bundestag über die jüngsten Stationen auf unserem Weg zu berichten, Anlaß auch zur Vergewisserung, wo wir uns auf dem langen Wege zu einem gesicherten Frieden gegenwärtig befinden. Schließlich gibt dieser Beginn Anlaß zur Rechenschaft darüber, worin der deutsche Beitrag besteht, damit das Tor, das in Genf geöffnet worden ist, nicht wieder zugeschlagen wird.
Vorweg gestatten Sie aber bitte ein Wort zum Europäischen Rat in der letzten Woche in London. Der Europäische Rat hat in seinen Schlußfolgerungen „sein volles Einvernehmen über die Bedeutung der Zusammenkunft" mit Generalsekretär Breschnew
zum Ausdruck gebracht und hat die Notwendigkeit unterstrichen, die „Wege der Ost-West-Kommunikation zu allen Zeiten offenzuhalten". Er hat außerdem begrüßt, in welcher Weise die Bundesregierung die Fragen von Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung bei diesem Besuch besprochen hat.
Im Mittelpunkt der offiziellen Tagesordnung in London stand das sogenannte Mandat. Bei diesem Stichwort geht es um einen globalen Interessenausgleich innerhalb der Gemeinschaft, d. h. um neue Schwergewichte bei den Politikern der Gemeinschaft, um neue Instrumente der Gemeinschaft bzw. um die Konzentration der finanziellen Mittel aus den bereits vorhandenen Instrumenten und Politikern, wie dem Regional- und Sozialfonds, auf die wirklich bedürftigen Politikbereiche und auf die wirklich bedürftigen Regionen. Es geht also um die Anpassung der Agrarpolitik und der Agrarausgaben, und schließlich handelt es sich um die Regelung von Fragen der Haushaltsstruktur der Europäischen Gemeinschaft.
Es versteht sich, daß ein solch umfangreiches Kompromißpaket nicht einfach zu schnüren ist, weil ja ein Ausgleich zwischen zahlreichen, vielfachen und widersprüchlichen Interessen - nationalen, regionalen, sektoralen Interessen - gefunden werden muß.
Dieser ganze Prozeß vollzieht sich vor dem Hintergrund einer überaus kritischen Wirtschaftslage in der ganzen Welt, in der ganzen Europäischen Gemeinschaft und in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Dies erschwert zusätzlich den Interessenausgleich außerordentlich.
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist in allen Ländern und in der ganzen Gemeinschaft gegenwärtig das Problem Nummer eins. Unsere Partnerländer in der Gemeinschaft haben durchweg deutlich größere Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt als wir. Nur im Großherzogtum Luxemburg ist die Arbeitslosenquote niedriger als bei uns. In den meisten anderen Ländern kommt noch hinzu, daß sie gleichzeitig gegen sehr hohe Inflationsraten kämpfen müssen.
Es wurde in London deutlich, daß keine Regierung der zehn Staaten gegen diese Schwierigkeiten ein Patentrezept zur Verfügung hat oder den übrigen anbieten konnte - auch nicht für das jeweils eigene
Land -, weil in jedem der Mitgliedstaaten der Spielraum für die Finanzpolitik außerordentlich eng geworden ist.
Wir Europäer haben uns Klarheit darüber verschafft und müssen damit fertig werden, daß unsere Wirtschaftsprobleme zu einem ganz großen Teil von außen vorgegeben sind. Gegen Ölpreisexplosion und weltweit hohe Zinsen helfen nur konsequente Anstrengungen zur Verbesserung der eigenen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit.
Gefordert sind also nicht nur die Organe der Europäischen Gemeinschaft, gefordert ist vor allem die jeweilige nationale, staatliche Wirtschaftspolitik; gefordert sind insbesondere auch die Unternehmungen, die Unternehmensleitungen und die Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Ich habe in London sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß wir uns in der Europäischen Gemeinschaft in dieser Lage kein Gegeneinander der nationalen Wirtschaftspolitiken leisten können.
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Wir verdanken es vor allem der bisherigen Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik, Währungs- und Handelspolitik, daß wir bis jetzt mit der weltweiten Wirtschaftskrise besser fertig geworden sind als in den 20er und 30er Jahren. Diesen Vorteil darf die Europäische Gemeinschaft auf keinen Fall verspielen, auch wenn bei hoher Arbeitslosigkeit und bei geringem finanzwirtschaftlichem Spielraum die Versuchung für alle Parlamente und insbesondere die Versuchung für alle Regierungen sehr groß ist, die jeweils eigenen Schwierigkeiten zumindest vorübergehend durch protektionistische Maßnahmen auf andere Länder abzuwälzen. Es gibt zur Zusammenarbeit und zur gegenseitigen Rücksichtnahme keine vernünftige Alternative.
Es ist in London ebenfalls deutlich geworden, daß alle Mitgliedstaaten auch Fehlentwicklungen im jeweils eigenen nationalen Bereich korrigieren müssen. In einigen Mitgliedsländern sind hohe Inflationsraten ein gefährliches Unruhepotential, das zu erheblichen Teilen hausgemacht ist. Viele Branchen und Arbeitsplätze sind gefährdet, weil der Strukturwandel viele Jahre lang künstlich verzögert und gedämpft worden ist.
Nur durch eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit läßt sich auf die Dauer Handlungsspielraum schaffen für Zinssenkungen und für die Möglichkeit des Abkoppelns von den hohen und schwankenden Zinsen in großen Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
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Der Verlauf der Beratungen im Europäischen Rat war noch keineswegs befriedigend, aber er war doch besser, als ich es erwartet hatte.
Das war dank der Verhandlungsführung durch den englischen Premierminister Frau Thatcher, dank der sehr aktiven Mitarbeit des französischen Präsidenten Mitterrand und der Vorarbeit der Kommission möglich. Ich glaube, ich darf auch vom Kollegen Genscher und von mir sagen, daß wir kräftig
daran mitgewirkt haben, Kompromisse zu erreichen.
Offen blieben vier Punkte: Erstens die Formel für die Begrenzung des Anstiegs der Agrarausgaben; zweitens die Frage, auf welche Weise die Überschüsse in der Milcherzeugung Europas begrenzt werden sollen; drittens die Frage der Mittelmeerprodukte; viertens das Haushaltsstrukturproblem.
Auch in diesen vier Punkten hat der Europäische Rat zwar eine Annäherung der Positionen erzielt - in einigen Fällen war sie sogar recht beträchtlich -, ohne allerdings das Paket vollständig zusammenbringen zu können. Freilich lag das letztere nicht etwa an deutschen Anträgen oder an deutschen Vorbehalten.
Die beiden wichtigen deutschen Positionen sind grundsätzlich anerkannt worden, nämlich daß wir nicht der einzige unlimitierte unbegrenzte Nettozahler der ganzen Gemeinschaft sein können und daß zum anderen der Anstieg der Agrarkosten zukünftig unter dem Anstieg der eigenen Einnahmen der Europäischen Gemeinschaft bleiben muß. Wir haben sehr deutlich gemacht, daß neue Politiken nicht angefangen und nicht durchgeführt werden können, wenn dafür nicht an anderer Stelle Finanzmittel freigemacht werden.
Es scheint mir notwendig, aber auch möglich zu sein, daß die Außenminister in einer Klausurtagung auf der Grundlage der im Europäischen Rat erreichten Annäherungen noch in diesem Jahr zum Abschluß gelangen. Die Europäische Gemeinschaft kann es sich in der weltpolitischen und in der weltwirtschaftlichen Lage von heute nicht erlauben, lange über Milch und Oliven zu streiten.
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Ebensowenig kann sie sich den Ausweg finanzieller Disziplinlosigkeit erlauben. Die Elemente für eine Lösung sind vorhanden; die Bereitschaft und der Wille, sie zu erreichen, waren zumindest auf der Ebene der Regierungschefs groß.
Die Bundesregierung will die Europäische Gemeinschaft gerade in einer schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage stärken. Wir sind daher durchaus bereit, auf unsere EG-Partner zuzugehen. Wir sind auch grundsätzlich bereit, neue, vor allem für unsere Partnerländer vorteilhafte Politiken mitzutragen. Wir sind auch damit einverstanden, weiterhin der größte Nettozahler der Europäischen Gemeinschaft zu bleiben - bei weitem der größte -, allerdings nicht als einziger Staat der Gemeinschaft ohne jedwede Begrenzung.
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Die deutsch-italienische Initiative für eine europäische Union ist ein Beitrag zum richtigen Zeitpunkt, um den politischen Einigungsprozeß in der Gemeinschaft zu fördern. Mein Gesamteindruck jener beiden Tage in London ist, daß auch bei unseren Partnern der Wille stark ist, gerade jetzt fester zusammenzustehen.
Nun zurück zum Besuch von Herrn Breschnew. Der Besuch des Generalsekretärs stand für ihn und für mich unter einem doppelten Zeichen. Einmal
hielten wir es für wichtig, daß beide Regierungen, daß „beide Staaten entsprechend ihrer Verantwortung zu einer positiven und stabilen Entwicklung der internationalen Lage und zur Sicherung eines dauerhaften Friedens ihren Beitrag leisten" wollen. Dazu war es notwendig, daß wir in einem sachlichen, offenen und zugleich konstruktiven Meinungsaustausch unsere Auffassungen gegenseitig dargelegt und erklärt haben. Weder wir noch unsere sowjetischen Gäste haben dabei mit Überraschungen gerechnet. Weder wir noch sie haben Erwartungen gehegt, daß die andere Seite bei dieser Gelegenheit ihre Position verändern würde. Dies war unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen in Genf vernünftigerweise nicht zu erwarten. Wir haben selbstverständlich auch keine Verhandlungen geführt; verhandelt wird vielmehr zwischen den beiden Großmächten in Genf.
Jedoch war es wichtig, daß wir in den Delegationsgesprächen und auch in den Gesprächen, die ich mit Herrn Breschnew und die Bundesminister Genscher mit Außenminister Gromyko unter vier Augen geführt haben, sehr klar und ehrlich miteinander gesprochen haben: deutlich in der Sache, aber persönlich im Ton und beiderseits verbindlich, an dem gemeinsamen Friedensinteresse orientiert. Jenseits wichtiger Meinungsverschiedenheiten, jenseits sehr grundlegender divergierender Vorstellungen von Gesellschaft und Politik war der gemeinsame Nenner dieser Gespräche unsere gemeinsame Sorge um den Frieden.
Ein solches Gespräch war möglich und bleibt möglich, weil es die Grundlage persönlichen Vertrauens gibt, die während vieler Begegnungen im Laufe langer Jahre zwischen Herrn Breschnew und mir und zwischen den Herren Genscher und Gromyko gewachsen ist. Dazu hat auch geholfen, daß wir das Gespräch zwischen Bonn und Moskau in der sehr schwierigen Epoche der Beziehungen zwischen Ost und West nach dem Einmarsch in Afghanistan nicht haben abreißen lassen.
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Wir wissen auf beiden Seiten, was wir voneinander zu halten haben, und ich bin sehr befriedigt darüber, daß Herr Breschnew mir im Angesicht beider Delegationen bestätigt hat, ihn noch nie getäuscht zu haben.
Es hat bei dieser Begegnung auch keinen Versuch gegeben, einen Keil zwischen unsere Bündnispartner und uns zu treiben. Herr Breschnew und Herr Gromyko haben vielmehr erwartet, daß wir auf der Grundlage der gemeinsamen Bündnispositionen sprechen würden. Sie wußten natürlich auch, daß wir in Bonn die Formulierung der gemeinsamen Positionen unseres Bündnisses maßgeblich mitbestimmt haben und daß wir unsere Stimme im westlichen Bündnis auch in Zukunft erheben würden, daß sie dort gehört werden würde, eben weil unser Gewicht voll in der westlichen Waagschale liegt und dort zur Wirkung kommt.
Die sowjetische Führung weiß und sie hat erneut gespürt: Die Bundesregierung und das ganze Volk wollen mit aller Kraft zur Festigung des Friedens beitragen. Sie weiß: Unserer exponierten Lage im Herzen Europas wegen wollen wir alles tun, damit Konflikte zwischen Ost und West nicht ohne Not verschärft werden.
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Ich habe unser besonderes Interesse an den Genfer Verhandlungen erläutert, ein Interesse, das sich, wie gesagt, unmittelbar aus unserer geographischen und politischen Lage ergibt. Auf unser Land sind die sowjetischen Mittelstreckenraketen in erster Linie gerichtet. Bei uns würde ein großer Teil der westlichen Mittelstreckenwaffen stationiert, falls die Verhandlungen in Genf ohne Ergebnis bleiben sollten.
Deshalb haben wir das uns Mögliche getan, um diese Verhandlungen zustande zu bringen. Jetzt geht es uns darum, zu helfen, daß diese Verhandlungen zügig geführt werden und greifbare Ergebnisse erbringen.
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Ich habe dem sowjetischen Gast mein Verständnis für seine Sorge, für die Sorge der Sowjetunion vor der Stationierung amerikanischer Mittelstrekkenwaffen in Westeuropa zum Ausdruck gebracht. Aber ich konnte und wollte auch meinen Gesprächspartnern diese Sorge nicht nehmen. Ich habe vielmehr meinerseits dem Generalsekretär erläutert, daß wir die Sorge sehr gut verstehen, weil wir j a und weil wir uns schon lange durch das ständig wachsende sowjetische Potential an Mittelstreckenraketen unmittelbar bedroht fühlen; wir kennten also solche Sorge.
Für uns wären daher auch Versuche, das heute bestehende Ungleichgewicht, so wie es ist, durch Verhandlungen festschreiben zu wollen, nicht annehmbar. Die Sorgen und die Ängste beider Seiten können nur dann entfallen, wenn auch die Sowjetunion ihren Beitrag zu den laufenden Verhandlungen in solcher Weise leistet, daß bis Ende des Sommers 1983 konkrete Ergebnisse vorliegen.
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Wir haben dabei die beiderseitige Null-Lösung in den Vordergrund gestellt. Wenn jedoch Ende 1983 konkrete Ergebnisse nicht vorliegen sollten - so habe ich deutlich zum Ausdruck gebracht -, würde die Bundesregierung, würde jede Bundesregierung die im eigenen deutschen Sicherheitsinteresse und die im gemeinsamen Sicherheitsinteresse des Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen aus dem Doppelbeschluß einhalten. Das heißt: die Stationierung würde in dem geplanten Umfang erfolgen.
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Ich habe in diesem Zusammenhang vor einer Fehleinschätzung der Friedensbewegungen in Westeuropa gewarnt und davor, Politik zwischen Regierungen durch den Versuch der Einwirkung auf die öffentliche Meinung des anderen Landes ersetzen zu wollen.
Auf sowjetischer Seite äußerte sich erhebliche Unsicherheit über die Absichten unserer amerikani4054
schen Verbündeten. Hier haben wir mit allem Nachdruck die Gesprächspartner zu überzeugen versucht, daß Präsident Reagan mit der festen Absicht in die Genfer Verhandlungen geht, zu konkreter Rüstungsbegrenzung, zu Rüstungsverminderung zu gelangen. Ich hatte den Eindruck, daß diese Klarheit von unseren sowjetischen Gästen sehr gewürdigt worden ist.
Ich habe meinerseits keinen Zweifel an der Bereitschaft der Sowjetunion, in Genf ernsthaft zu verhandeln, um zu wesentlichen Reduzierungen bei den Mittelstreckenwaffen zu kommen. Auch wenn es während unserer Gespräche wesentliche neue Vorschläge nicht gegeben hat, so sehe ich in diesen Gesprächen doch ermutigende Ansätze, z. B. in der sowjetischen Bereitschaft, auch während der Verhandlungen ihren Bestand an Mittelstreckenraketen zu reduzieren; z. B. auch in der angedeuteten Möglichkeit eines stufenweisen Vorgehens in den Verhandlungen selbst. Dem letzteren entspricht ja der westliche Vorschlag, sich in einer ersten Phase der Verhandlungen auf die Mittelstreckenraketen der beiden Seiten zu konzentrieren.
Mit Befriedigung haben wir vermerkt, daß auch auf sowjetischer Seite großes Interesse geäußert wurde sowohl an Fortschritten bei den laufenden MBFR-Verhandlungen über gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen in Wien als auch an einem befriedigenden Abschluß des KSZE-Folgetreffens in Madrid mit einem klar definierten Mandat für eine Konferenz über vertrauensbildende und sicherheitsfördernde Maßnahmen und über Abrüstung in ganz Europa. Begrüßt habe ich auch die Bekräftigung des Grundsatzes der Zurückhaltung, der Mäßigung in den Beziehungen aller Staaten untereinander.
Die bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion wird wegen des hohen wirtschaftlichen Nutzens für beide Seiten, aber auch wegen ihrer Bedeutung für die politische Entspannung in Europa von uns beiden hoch eingeschätzt. Wir haben festgestellt, daß sich seit dem Moskauer Vertrag, den vor elf Jahren Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel in Moskau mit denselben Führungspersonen, die noch heute dort Generalsekretär und Außenminister sind, ausgehandelt haben, und durch ihn eine feste Grundlage der Zusammenarbeit entwickelt hat, auf der wir aufgebaut haben und weiterbauen werden.
1978 ist das langfristige Wirtschaftsabkommen hinzugekommen. Wir wollen unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausweiten. Dies geschieht auch in der beiderseits ausgesprochenen Einsicht, daß wir in einer Zeit weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten und jeweils eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten - auch drüben! - uns tatsächlich gegenseitig helfen können. Ein gutes Beispiel dafür ist das vor einigen Tagen abgeschlossene Erdgas-Röhren-Geschäft, das zu unserer Befriedigung auch die Möglichkeit sowjetischer Erdgaslieferungen an Berlin ({9}) vorsieht.
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Natürlich haben wir auch Fragen der Familienzusammenführung angesprochen. Wir haben dabei sowohl auf die menschlichen Auswirkungen für die Betroffenen als auch auf die politischen Auswirkungen hingewiesen. Mein Eindruck ist, daß diese Fragen am erfolgreichsten behandelt werden können, wenn und soweit dies diskret geschieht.
Was ist nun das Gesamtergebnis dieses Besuchs?
Erstens. Wir haben dem Gespräch zwischen Ost und West einen weiteren Anstoß gegeben. Schon im vorletzten Sommer waren Herr Genscher und ich nach Moskau gefahren und hatten von dort die Bereitschaft der Sowjetunion mitgebracht, nun doch über die Mittelstreckenwaffen zu verhandeln.
Diesmal haben wir zweitens dazu geholfen, die inzwischen erarbeiteten Positionen und Haltungen des westlichen Lagers dazu zu verdeutlichen.
Wir haben drittens sehr aufmerksam auf das gehört, was uns von sowjetischer Seite gesagt worden ist, und wir haben es nach Washington, nach Paris, nach London usw. sorgfältig weitergegeben.
Das Wort vom Dolmetschen ist gebraucht worden; ich halte das nicht für falsch. Wir haben in der Tat gedolmetscht. Aber wir haben darüber hinaus eine wichtige Rolle dabei zu spielen, daß die beiden Weltmächte den Dialog miteinander nicht abreißen lassen und daß sie mit Mäßigung und Augenmaß bei der Verfolgung ihrer jeweils eigenen Interessen einander gegenübertreten.
Wir können das tun, weil wir fest im westlichen Lager stehen. Das ist dem Osten und ebenso unseren Freunden und Verbündeten klar. Sie verlassen sich auf uns, und sie können das auch.
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Es liegt im Lebensinteresse aller Deutschen, daß die zu einem wesentlichen Teil von der sozialliberalen Koalition in Bonn herbeigeführte Zusammenarbeit zwischen West und Ost im allgemeinen lebendig bleibt. Diese Zusammenarbeit muß sich zu einer politischen Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost entfalten.
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Wir sind und wir bleiben dabei verläßliche Verbündete, allerdings Verbündete, die ihre eigene Stimme innerhalb unseres Bündnisses zu Gehör bringen können. Wir tun dies, und zwar zugunsten einer stabilen Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West, zugunsten großer Bemühungen und Anstrengungen, die weltweite Rüstungsspirale nach unten zu drehen. Wir tun dies im Interesse des eigenen Volkes.
Papst Johannes Paul II. hat sich zum Sprecher von Abermillionen in der ganzen Welt gemacht, die alle Angst haben, als er seine persönliche Botschaft an die Führung der USA und der Sowjetunion gesandt hat. Diese Botschaft soll, in seinen eigenen Worten, Ermunterung sein, die Chance der Genfer Verhandlungen voll zu nutzen.
Wir im Bundestag sind verpflichtet, sehr deutlich darauf zu hören, wenn die Kirchen, aber auch wenn
die Gewerkschaften und andere große Gruppen uns Ratschläge für die Festigung des Friedens geben.
Die öffentliche Meinung hat in den letzten Monaten vielerlei Ratschläge zur Friedensfrage gehört. Manche davon waren sorgfältig durchdacht, andere Ratschläge waren konfus, wieder andere Ratschläge waren direkt der Angst entsprungen, vor allem der Angst junger Menschen. Einer von ihnen hat geschrieben, er habe Angst, weil der Bundeskanzler oder weil die Bundesregierung keine Angst habe. Woher weiß er, daß wir keine Angst haben?
Ich habe viele Male in meinem Leben Furcht und auch Angst gehabt. Das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her. Als die Weltmächte Anfang 1980 nach dem militärischen Einmarsch in Afghanistan nicht mehr miteinander redeten und nicht mehr miteinander reden wollten, da hatte ich Angst vor den unkalkulierbaren weltpolitischen Folgen solcher Sprachlosigkeit.
Als Hanns Martin Schleyer entführt war, hatten wir alle wochenlang Angst um sein Leben, und die Angst stellte sich am Schluß als sehr gerechtfertigt heraus. Ich hatte Angst um die Menschen in dem Lufthansa-Flugzeug „Landshut", die von Terroristen entführt und mit dem Tode bedroht waren.
Wir hatten Angst um die Angehörigen unserer Botschaft in Stockholm, als diese von bewaffneten Terroristen besetzt war. Und Herr Kollege Genscher hatte Angst um das Schicksal der israelischen Sportler damals während der Münchner Sommer-Olympiade 1972, die von bewaffneten Gangstern als Geiseln gefangengehalten wurden und die schließlich bei diesem Verbrechen ums Leben gekommen sind.
Ich habe während des Krieges viele Male Angst gehabt um das eigene Leben, das Leben meiner Eltern und meiner Frau in der Heimat, im Luftschutzkeller und an der Front.
Leonid Breschnew hat die gleiche Angst gekannt, im gleichen Krieg.
Wenn wir uns heute um die Stabilisierung des Friedens bemühen, dann aus der klaren eigenen Erfahrung mit den Schrecklichkeiten des Krieges, den wir j a doch kennen. Krieg ist immer schrecklich.
Der letzte Krieg hat in Europa über 50 Millionen Tote gekostet - übrigens ohne daß dabei eine einzige Atomwaffe gebraucht worden wäre. Adolf Hitler hat 6 Millionen Juden ermorden lassen; er hat dazu übrigens keine Atomwaffen gebraucht. Die Angst ist nicht erst mit den Atomwaffen auf die Welt gekommen. Fragen Sie die Juden, die damals überlebt haben!
Aber wir im Parlament, wir in der Bundesregierung dürfen uns von Angst nicht überwältigen lassen.
({13})
Wir sind dem Volk verantwortlich dafür, daß wir auch im Zustand der Ängstigung vernünftig handeln.
({14})
Die Erinnerung an die Ängste im Kriege und die Angst vor einem abermaligen Krieg sind es, die uns zwingen, unter äußerster Anspannung der Vernunft mit aller Kraft für den Frieden zu arbeiten. Die Angst um Hanns Martin Schleyer zwang uns, mit aller Vernunft und Umsicht den Versuch seiner Rettung zu machen. Die Angst zwang uns, mit sorgfältiger Umsicht die Rettung der Menschen in der Botschaft von Stockholm, die Rettung der Menschen in jenem Flugzeug zu betreiben.
Natürlich haben wir bei all diesen Gelegenheiten unsere Ängste nicht über das Fernsehen jedermann mitgeteilt; denn wir hatten sie ja überwunden, um vernünftig handeln zu können!
Die Bundesregierung will das auch in Zukunft so halten. Vor einer Regierung, die sich selbst der Angst hingäbe, müßte man in der Tat Angst haben!
({15})
Viele von uns hat es wohl überrascht und auch betroffen gemacht, mit welch leidenschaftlicher Heftigkeit sich in den Friedensbewegungen - die es nur in Westeuropa gibt, nicht in Osteuropa - Angst ausdrückt und ausbreitet und wie oft dabei dort die Vernunft in Gefahr gerät.
Wenn einer einfach seiner Angst nachgibt, handelt er deswegen nicht schon moralisch. Wenn einer allerdings seiner Angst nachgibt, obgleich er öffentliche Verantwortung trägt, dann läuft er große Gefahr, unmoralisch zu handeln.
({16})
Ganz gewiß hat die Friedensbewegung nicht nur mit Angst, sondern auch mit Moral zu tun, und ganz gewiß fordern die heutigen Massenvernichtungswaffen das moralische Nachdenken in besonderer Weise heraus.
({17})
Vor mehr als einem Vierteljahrhundert hat unser verehrter verstorbener Kollege Carlo Schmid diesen Satz formuliert:
So, wie es keine Politik mit Dauerwirkung geben kann, der das moralische Fundament fehlt, wird keine Politik im Atomzeitalter uns zu etwas führen können, wenn sie nicht tief im moralischen Bewußtsein des Volkes fundiert ist.
({18}) Das war 1955. Carlo fuhr fort:
Wenn es ums Moralische geht, muß man immer bei sich selber anfangen.
({19})
Wenn man betroffen ist, darf man bei der eigenen Betroffenheit oder Beklommenheit nicht bloß verharren. Man muß sich vielmehr den Fragen stellen, die sich aus der Betroffenheit ergeben, z. B. der Frage: Haben wir Politiker alles getan, um Ziel und Weg unserer Politik „moralisch bewußt" zu machen?; z. B. der Frage: Nehmen wirklich alle, die heute ihre Äng4056
ste laut verkünden, die Gefährdung des Friedens so ernst, daß sie sich mit aller Kraft um Einsicht in die Chancen, in die Möglichkeiten und in die Wege zur Friedensbewahrung bemühen?
Solchen Fragen darf sich keiner entziehen. Zwar kann Friedenssehnsucht zu illusionärer Schwärmerei werden, zwar kann sie mißbraucht werden - und für beides haben wir weiß Gott Beispiele -, aber in ihrem Kern bleibt sie eine ganz wichtige Triebkraft und ein Kernmotiv unserer Politik.
Viele Menschen, zumal jüngere, erheben heute den Anspruch oder äußern die Bitte, von der Angst, die sie beherrscht, befreit zu werden. Zum Teil ist es j a eine durchaus begründete Zukunftsangst, die sie beherrscht. Und weil Politik für den Menschen da sein soll, so glauben sie, die Politiker müßten ihnen die Angst nehmen können.
Zu dieser Frage hat mir mein Freund Siegfried Lenz in diesem Jahr geschrieben:
Angst ist zumindest in der Politik ein schlechter Ratgeber. Ein Politiker, der von Angst besetzt ist und sie zu erkennen gibt, wird sich bald mittellos vorfinden. Jeder hat erfahren, daß Angst nachgiebig macht, gefügig, am Ende sogar erpreßbar. Die Welt liefert uns alltäglich Beispiele, wie Herrschaft sich befestigt, indem sie Angst weckt und diese dann ausbeutet.
Etwas später heißt es:
Es ist j a nicht so, daß es lediglich ein paar Überempfindliche sind . . ., die sich zu ihrer Furcht bekennen, es sind Millionen in etlichen Ländern, eine Bewegung, die sehr wohl in der Lage ist, eine Politik von unten einzuleiten - eine unübersehbare Politik ..., weil ja irrationale Ausschläge möglich sind.
({20})
Der heutige Politiker dürfe sich nicht scheuen, so schließt Lenz, dieses Dilemma anzupacken:
Der Politiker muß sich einerseits unserer Angst annehmen und darf sich andererseits nicht durch Angst gefügig machen lassen.
({21})
Jeder weiß, daß ein Zeitalter vollkommener Angstlosigkeit nicht denkbar ist. Jeder weiß: Wer unter Angst steht, der ist nicht frei. Aber ich kann verstehen, daß manche Menschen, die in ihrer Angst zusammenfinden, an das Motto glauben, geteilte Angst sei halbe Angst.
Solcher Schritt, aus der Vereinzelung herausführend, kann ein Schritt der Tapferkeit sein. Aber Ängste können auch zerstörerisch werden, wenn sie nicht gemeinschaftlich und zugunsten der Gemeinschaft abgebaut werden. Wer aber gemeinschaftliche, das heißt solidarische Bewältigung der Angst will, wer mit Tapferkeit die Bewältigung seiner Angst sucht, der muß prüfen, ob der Boden trägt, auf dem er vorangehen will; und er muß vorher wissen, wo er denn steht, damit er den ersten Schritt tun kann, ohne zu straucheln.
Der Standort der Bundesregierung, der Ausgangspunkt unserer friedenspolitischen Initiativen ist eindeutig. Ich habe das ausgeführt. Der Gegensatz zwischen den beiden Weltmächten und ihren Bündnissystemen ist auch ein Gegensatz von Anschauungen über die Ordnung der Gesellschaft, vor allem über die Grundrechte, die Freiheitsrechte der Person und des einzelnen Menschen.
Wir wollen die Freiheitsangebote unseres Grundgesetzes bewahren: nicht nur die Freiheit des Marktes, so wichtig sie für unseren Wohlstand ist; nicht nur die Freiheit des Intellektuellen, so wichtig sie für Gedankenfreiheit und Kritik ist; sondern vor allem auch die Freiheit arbeitender Menschen, sich zusammenzuschließen und ihre Interessen gemeinschaftlich zu vertreten.
Dies alles wird im Osten ganz anders postuliert.
({22})
Wer aber einfach beim Widerspruch dieser Wertsysteme stehenbleibt, wer Bekenntnisse an die Stelle der Politik setzt, wer keinen Kompromiß dulden will, der macht sich unfähig zur Politik, unfähig auch, das zu gestalten, was das gemeinsame Interesse der Völker ist: nämlich den nuklearen Krieg zu vermeiden.
({23})
Man könnte, etwas vergröbert gesprochen, von drei Grundphilosophien der Kriegsvermeidung reden:
Der erste Weg strebt nach Übermacht der eigenen Waffen als Garant der eigenen Sicherheit. Sein Motto lautet: „Wir müssen die Stärksten sein und es den Russen zeigen." Oder umgekehrt: „Wir müssen die Stärksten sein und es den Amerikanern zeigen." Dieser Weg führt zwangsläufig in die Rüstungsspirale. Er gefährdet den Frieden, statt ihn zu erhalten.
({24})
Der zweite Weg zielt auf einseitige Abrüstung. Dies ist die Haltung des sittlich begründeten Pazifismus - aber oft auch eine Haltung, die aus Wunschdenken oder Naivität entspringt. Auch dieser Weg führt in jedem Falle auf gefährliches Glatteis. Denn einseitige Ohnmacht - das haben wir zu unseren Lebzeiten vielfältig erfahren - verhindert nicht die Aggression und Überwältigung durch die Übermacht.
({25})
Der Entwaffnete, der sich selbst Entwaffnet-Habende, verliert die Fähigkeit, politischer Erpressung zu widerstehen und damit die Fähigkeit, die Interessen des eigenen Volkes zu vertreten.
({26})
Und drittens gibt es den Weg des Gleichgewichts der militärischen Kräfte und der gleichen Sicherheit für beide Seiten. Keine Regierung einer Weltmacht kann einen ungleichen Abrüstungsvertrag unterschreiben. Weder der amerikanische Senat noch der Oberste Sowjet würden einen ungleichgewichtigen Vertrag ratifizieren. Das Gleichgewichtsprinzip ist unabdingbarer Grundbestandteil jeder vereinbarBundeskanzler Schmidt
ten, jeder vertraglich gesicherten Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungspolitik. Anders sind Rüstungsverminderung und Rüstungsbegrenzung völkerrechtlich nicht zu sichern.
Dies wird auch von der Sowjetunion anerkannt. So haben es Generalsekretär Breschnew und ich schon vor drei Jahren gemeinsam schriftlich erklärt.
({27}) - Ja, und daran soll man sie festhalten.
({28})
Wer dagegen militärisches Übergewicht erstrebt und erreicht, der braucht nicht zu verhandeln, der kann diktieren. Und wer sich umgekehrt mit militärischem Untergewicht abfindet, der kann in die Lage kommen, vergebens um Verhandlung und Gespräch zu bitten.
({29})
Gleichgewicht hingegen schafft für beide Seiten die Chance zum zivilisierten Umgang miteinander. Gewiß wird Sicherheit nicht allein durch das Gleichgewicht der Waffen geschaffen, sondern es gehört der zivilisierte Umgang miteinander dazu - der Dialog, die Kooperation, die Sicherheitspartnerschaft.
({30})
Man muß miteinander reden wollen. Man muß aufeinander hören wollen.
Der Friede ist nicht allein ein Produkt von Abschreckung und Gegenabschreckung. Der Friede ist nicht gesichert durch beiderseitige Angst vor dem Kriege. Er kann nur gesichert werden durch Interessenausgleich, durch Verhandlungen und Verträge. Er muß insbesondere gesichert werden durch Verträge über die gleichgewichtige Begrenzung und die gleichgewichtige Reduzierung der beiderseitigen Rüstung. Nur bei Gleichgewicht kann vermieden werden, daß einer aus Angst vor dem anderen seine Zuflucht zu immer neuer Rüstung nimmt.
Vor 30 Jahren hat Albert Einstein mit Recht gesagt:
Letzten Endes beruht jedes friedliche Zusammenleben der Menschen in erster Linie auf gegenseitigem Vertrauen und erst in zweiter Linie auf Institutionen wie Gericht und Polizei; dies gilt ebenso für Nationen wie für Individuen. Das Vertrauen aber gründet sich auf eine loyale Beziehung des „Gebens und Nehmens".
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zur Abschreckungsstrategie. Es liegen aus dem Bereich der beiden großen Kirchen aus den letzten Wochen Äußerungen zur Friedensfrage vor. Die Bundesregierung kann und will diese Äußerungen oder Teile daraus nicht für ihren Kurs beanspruchen, aber sie nimmt die moralische Mitverantwortung der Kirchen auch in dieser Frage ernst.
Bei allen, zum Teil erheblichen Unterschieden in Gewichtung und Nuance stimmen beide Erklärungen in einer Grundüberlegung überein, die ich folgendermaßen zusammenfassen darf: Ein Sicherheitssystem, das auf Abschreckung beruht, stellt in christlicher Sicht ein erhebliches moralisches oder ethisches Problem dar. Ethisch zu rechtfertigen oder überhaupt erträglich ist es nur dann, wenn mit aller Kraft auf wirkliche Abrüstungsschritte hingearbeitet wird; dazu ist der Wille zu Verhandlungen unerläßlich. Ich glaube, das darf man so als Kern aus den Erklärungen der beiden großen Kirchen herausdestillieren.
({31}).
Das heißt: Die beiden Kirchen beziehungsweise die kirchlichen Laiengremien haben deutlich gemacht: Die existierende Sicherheitskonstellation der Welt von Abschreckung und Gegenabschrekkung macht aus moralischem Grunde politisches Handeln und Verhandeln notwendig. Ich füge hinzu: Diese moralische Pflicht kann nicht durch eine Politik bloßer Bekenntnisse abgelöst oder verdrängt werden.
({32})
Ein Wort an die Adresse der Opposition. Bis heute scheint mir, daß sich die Opposition nicht ganz darüber im klaren ist, ob sie den Weg der sozialliberalen Bundesregierung mitgehen oder ob sie in dieser Frage einen anderen Weg gehen will.
({33})
Das Erscheinungsbild der CDU/CSU in der Fric dens- und Sicherheitspolitik ist diffus.
({34})
Da gibt es durchaus Zeichen der Einsicht in die friedenspolitischen Notwendigkeiten. Aber es gibt auf der anderen Seite auch andere Signale.
Der nordrhein-westfälische Oppositionsführer, unser früherer Kollege Herr Professor Biedenkopf, hat jüngst in einem bemerkenswerten intellektuellen Alleingang die Frage aufgeworfen, ob die nukleare Abschreckungsstrategie langfristig konsensfähig sei. Der unmittelbar anschließende Bundesparteitag der CDU hat sich der Frage Biedenkopfs nicht angenommen; diese Frage ist aber einer Antwort wert, Herr Dr. Kohl!
({35})
Etwa gleichzeitig lese ich, daß Herr Ministerpräsident Späth den Friedensappell des Deutschen Gewerkschaftsbundes unterschrieben habe. Ich begrüße das; aber es würde mich schon interessieren, was sein Münchner Amtskollege, Herr Strauß, dazu denkt.
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Der Herr Ministerpräsident Strauß hat auf seinem CSU-Parteitag die Gleichrangigkeit von Verteidigungsanstrengung und Verhandlungsbereitschaft einen „Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses" genannt, „der taktisch bedingt, aber in der Sache leider unlogisch war". Das hat er in einer Parteitags4058
rede gesagt. Dies, Herr Ministerpräsident, ist ein klarer Gegensatz nicht nur zur Politik der Bundesregierung, sondern auch zur Politik der Vereinigten Staaten von Amerika und aller im Bündnis vereinigten Staaten.
({37})
Noch stärker war ich betroffen, Herr Ministerpräsident, als Sie anläßlich des Breschnew-Besuches hier in Bonn das von dem Bündnis gemeinsam für Genf gesetzte Verhandlungsziel einer Null-Lösung Ihrerseits einen „baren Unsinn" genannt haben
({38})
und das in einem Augenblick, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika, die dort doch einer der beiden Verhandlungspartner sind, dieses Ziel der Null-Lösung ausdrücklich zu ihrem Verhandlungsziel gemacht haben.
({39})
Herr Abgeordneter Kohl und Herr Ministerpräsident Strauß: ich bitte die Opposition um Klarstellung ihres Kurses und ihrer Absichten.
({40})
Sie müssen dabei allerdings in Rechnung stellen, daß der friedenspolitische Kurs der sozialliberalen Bundesregierung von der überwältigenden Mehrheit der Menschen in unserem Lande mitgetragen wird
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und daß er der tiefen Sehnsucht der Deutschen und der tiefen Sehnsucht der anderen europäischen Völker nach Frieden und nach gutnachbarlichen Beziehungen entspringt.
Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, habe ich gestern eine offizielle Einladung des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, des Herrn Erich Honecker, zu einem Treffen am 11., 12. und 13. Dezember mit Dank angenommen. Das Treffen findet am Werbellinsee statt.
Ich halte diese erste Begegnung auf deutschem Boden seit den Treffen von Erfurt im März und Kassel im Mai 1970 zwischen Willy Brandt und Willi Stoph für ein wichtiges Zeichen der beiden deutschen Staaten, vor allem für den Zusammenhalt zwischen den Menschen in Deutschland, aber auch für die Entspannung in Europa.
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Ich beabsichtige einen umfassenden Meinungsaustausch mit Herrn Honecker über den Stand und den Ausbau der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und über die internationalen Fragen, besonders der Friedenssicherung. Die sozialliberale Koalition ist sich einig darin, daß dieses Treffen Zeichen dafür setzen soll, daß der gute Wille auf beiden Seiten vorhanden ist, eine Phase der Rückschläge in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu überwinden. Ich hoffe, daß dieses Treffen allen Deutschen erfahrbare Ausblicke eröffnet und daß es ihnen Mut machen kann.
Im Vordergrund stehen das Gespräch und der Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten. Es wird - wie kürzlich auch bei dem Besuch des sowjetischen Generalsekretärs - bei dieser Gelegenheit keine Unterzeichnung von neuen Abmachungen geben. Das Gespräch findet ohne Vorbedingungen statt. Es liegt mir daran, daß es nicht im Vorfelde durch Spekulationen oder durch öffentlich geäußerte Erwartungen und hochgehängte Meßlatten unnötig erschwert wird.
Einen Katalog von vielen Forderungen aufzustellen, wäre für denjenigen sehr leicht, der selbst nicht willens ist, in geduldigem Dialog den Konsens herbeizuführen. Einige hängen noch an der Praxis der 60er Jahre: Konfrontation statt Kooperation, Druck und Gegendruck statt Entspannung und Interessenausgleich. Das gibt es auf beiden Seiten - in der DDR wie hier bei uns. Beide Seite dürfen sich aber nicht gegenseitig blockieren, indem sie unerfüllbare Forderungen stellen. Beide Seiten sollten sich darauf konzentrieren, in schwieriger Zeit das Erreichte zu bewahren und das praktisch Mögliche zu tun und hinzuzufügen.
Wenn beide Staaten aufeinanderzugehen, dann tragen sie dazu bei, ihrer großen Mitverantwortung für die Sicherung des Friedens im Herzen Europas gerecht zu werden. Dazu gehört mehr Stetigkeit und mehr Regelmäßigkeit im deutsch-deutschen Dialog. So hoffe ich auf einen Weg zu vernünftigen gutnachbarlichen Beziehungen.
Die Bedeutung der deutsch-deutschen Beziehungen für die Stabilität in Europa wird überall erkannt, bei unseren Freunden im westlichen Bündnis wie auch bei der östlichen Führungsmacht. Bundesminister Genscher, der übrigens auf den internationalen Foren im Rahmen der Vereinten Nationen den Kontakt mit seinem Kollegen Fischer, dem Außenminister der DDR, regelmäßig pflegt, hat in diesem Sommer die These von der Deutschlandpolitik als europäischer Friedenspolitik aufgestellt. Das Treffen am Werbellinsee wird zeigen, daß diese These richtig ist: Deutschlandpolitik als europäische Friedenspolitik.
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Zum Schluß: Der friedenspolitische Weg der sozialliberalen Bundesregierung ist ein Weg der aktiven Gesprächsbereitschaft. Ich stimme Herbert Wehner zu: Gesprächsfähig für beide Seiten zu sein, ist unser deutscher Beitrag zur Friedenspolitik. Von mir aus füge ich hinzu: Unsere Aufgabe ist es, aus vollem Herzen, aber mit aller Leidenschaft zur Vernunft den Frieden zu sichern.
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Die Ergebnisse der letzten Monate und Tage geben Anlaß zur Hoffnung. Wir sind weiter vorangekommen, weiter als es wohl mancher vor kurzem noch für möglich gehalten hat oder für möglich halBundeskanzler Schmidt
ten wollte. Ich appelliere an alle: Halten wir diesen Kurs, denn der Kurs heißt Frieden!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Ereignisse stehen heute im Mittelpunkt der Aussprache über die Regierungserklärung, die Gespräche mit Generalsekretär Breschnew und die Sitzung des Europäischen Rates in London. Sie scheinen in keinem direkten Zuammenhang zu stehen, schon gar nicht, Herr Bundeskanzler, wenn man Ihre Regierungserklärung zum Maßstab nimmt, mit einer Ausnahme - dies sage ich eigentlich als eine Art Mahnung an uns alle -: Wer sich, Herr Bundeskanzler, mit der Aura einer europäischen Führungsmacht umgeben will, gegenüber, so haben wir es gehört, westlichen wie östlichen Nachbarn, der muß auch darüber nachdenken, wie groß die internationale Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist, und zwar in beiden Richtungen. Wie empfindlich unsere Nachbarn auf Entwicklungen und Diskussionen in unserem Land reagieren, zeigt sich gegenwärtig in der Außen- und Sicherheitspolitik unserer Freunde, unserer Nachbarn, und das gilt im besonderen für die sozialistische Regierung in Frankreich. Diese Politik ist die unmittelbare Antwort sowohl auf die militärischen Ungleichgewichte in Europa als auch auf die jetzt deutlicher gewordenen Strömungen eines neutralistischen deutschen Nationalismus, wie er in der sogenannten Friedensbewegung zum Ausdruck kommt und auch in Teilen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Es ist gerade das Zusammentreffen dieser beiden Entwicklungen, das nicht nur Sorge in Paris hervorruft, sondern zu Gegenmaßnahmen führt. Herr Bundeskanzler, es wäre schon interessant, wenn Sie einmal die Entscheidung der sozialistischen Regierung Frankreichs kommentierten, jetzt den Beschluß über den Bau des siebten Atom-U-Boots zu fassen.
Es gibt noch einen ganz anderen direkten Zusammenhang zwischen den Gesprächen der Bundesregierung mit Generalsekretär Breschnew und der Londoner Sitzung des Europäischen Rates. Dieser Zusammenhang ist auf den sehr einfachen, aber prägenden Nenner zu bringen: Wenn Europa Schaden leidet, wenn die Einigung Europas zerbricht, zerbricht ein entscheidendes Fundament jeder deutschen Ostpolitik.
({0})
Lange Zeit schien es so, als seien alle Fraktionen dieses Hauses in diesem Bekenntnis einig. Die heutige Debatte wird einmal mehr zeigen, ob sich diese Einigkeit auch heute noch herstellen läßt. Die beiden Ereignisse - die Londoner Sitzung und der Besuch Breschnews hier in Bonn - sollten zu einer ganz nüchternen Bestandsaufnahme genützt werden. Der Ausgangspunkt - Herr Bundeskanzler, darin stimmen wir Ihnen zu - ist klar, er ist völlig
unbestritten, er sollte auch zwischen Demokraten außerhalb dieses Hauses unbestritten bleiben: Alle demokratischen Kräfte in unserem Land arbeiten für den Frieden.
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Alle Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland wollen den Frieden in Freiheit. Das ist Voraussetzung jeder deutschen Politik.
({2})
Wir alle wollen dem Wettrüsten in Europa und weltweit endlich ein Ende setzen.
Die Lebenserfahrungen, die geschichtliche Belastung unseres Volkes lassen uns den Satz „Nie wieder Krieg" ganz selbstverständlich als Frucht der Geschichte der Deutschen erkennen. Nie wieder Krieg - das wollen wir nicht nur für die leidgeprüften Völker in Europa erreichen, sondern möglichst für die Völker dieser Erde. Ein konventioneller Krieg ist für uns genausowenig akzeptabel wie irgendeine atomare Katastrophe, die kein Territorium dieser Erde und kein Volk verschonen würde.
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Es ist wahr, Herr Bundeskanzler - auch da stimmen wir Ihnen zu -: Todbringend sind alle Waffen, wenn sie eingesetzt werden. Deshalb kann man Waffen, vor allem nukleare Waffen, nur im Zusammenhang mit ihrer Abschreckung und nicht zunächst, wie es jetzt geschieht, mit ihrem Einsatz diskutieren. Wenn wir also über Waffensysteme reden, dann nicht im Sinne einer geplanten Anwendung, sondern im Sinne der Abschreckung und der Kriegsverhinderung. Das war immer unsere Politik.
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Um den Frieden in Freiheit zu sichern - allein dafür haben wir die Bundeswehr aufgebaut. Als Dienst am Frieden verstehen die Soldaten ihre Arbeit in der Bundeswehr.
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Um den Frieden in Freiheit zù sichern und die Ideale der Völker der freien Welt, die Menschenrechte, das Menschenbild, aus dem heraus wir unser persönliches wie unser staatliches Leben gestalten wollen - aus diesem Grunde sind wir in die atlantische Gemeinschaft eingetreten. Allein, um Frieden und Freiheit zu bewahren, unterstützen wir nachdrücklich den NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979.
({6})
Nie wieder Krieg von deutschem Boden, dafür tragen wir gemeinsam Verantwortung. Aber nicht nur dafür. Jeder Krisenherd auf dieser Erde kann Katastrophen auslösen, auch bei uns in Europa. Deshalb verstehen wir die Atlantische Allianz, deshalb verstehen wir das Bündnis, die Partnerschaft, die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika zuallererst als eine Ideengemeinschaft, als eine politische Gemeinschaft. Deshalb fordern wir die politische Einigung des freien Europa, das nur als politisch geeintes Europa der Verantwortung für den Weltfrieden in größerem, in besserem Maße ge4060
recht werden kann als jeder einzelne europäische Nationalstaat.
({7})
Ein weiterer Ausgangspunkt - Sie haben uns danach gefragt, Herr Bundeskanzler - muß klar angesprochen werden - er ist unbestritten -: Wir alle in diesem Hause wollen Verständigung und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, mit allen Staaten des Warschauer Paktes. In den über 30 Jahren der Bundesrepublik Deutschland haben wir alle unseren Beitrag zur Zusammenarbeit mit Mittel- und Osteuropa in das Buch der Geschichte der Deutschen eingetragen.
({8})
Deshalb begrüßen wir es, daß Generalsekretär Breschnew in seinem Gespräch mit mir ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß er nicht nur den Regierungsparteien, sondern - ich zitiere wörtlich - selbstverständlich auch der CDU/CSU ohne Vorurteil gegenübertrete, daß er die Bereitschaft aller in der Bundesrepublik zum Frieden und zur Abrüstung ernst nehme und daß er und die Führung der Sowjetunion mit Regierung und Opposition eine konstruktive Politik für möglich hielten. Damit sollte unter uns jede Diskussion über den Friedenswillen oder die Friedensfähigkeit der anderen, derer, die anders denken, ihr Ende gefunden haben.
Wir beurteilen den Besuch des sowjetischen Partei- und Staatschefs aber nicht nur an Hand von Gesprächen, Erklärungen und Papieren. Wichtiger als die Worte bleiben die Taten. Dazu will ich nüchtern feststellen: Die sowjetische Führung spricht von Frieden und führt weiter Krieg in Afghanistan.
({9})
Ober 3 Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan widerlegen alle sowjetischen Beteuerungen von der brüderlichen Hilfe für Afghanistan.
Die sowjetische Führung spricht seit Jahren von militärischem Gleichgewicht und stationiert jede Woche eine neue Mittelstreckenrakete vom Typ SS 20. Die sowjetische Führung spricht von Entspannung und beteiligt sich an der Verschärfung internationaler Krisen in Kamputschea, in Asien, am Horn von Afrika, im südlichen Afrika, in Mittelamerika. Die sowjetische Führung spricht von der Ostsee als dem Meer des Friedens und als atomwaffenfreie Zone und dringt mit einem atomar bestückten U-Boot in die nationalen Hoheitsgewässer des neutralen Schweden ein. Die sowjetische Führung spricht von Nichteinmischung und übt gleichzeitig Druck auf Polen aus; und sie nimmt in diesen Tagen vor aller Welt ganz unverhüllt Einfluß auf die Präsidentenwahl in Finnland.
Das sind doch Tatsachen, denen niemand ausweichen kann.
({10})
Wer den Frieden will, muß auch die Ehrlichkeit des Gespräches untereinander wollen. Wir tun uns und den Beziehungen zu unserem wichtigsten Nachbarn Sowjetunion keinen Gefallen, wenn wir unsere Meinung nicht in der zwar gebührenden, aber ganz unmißverständlichen Form deutlich machen.
({11})
Generalsekretär Breschnew hat in seiner Eröffnungserklärung im Rahmen des Gesprächs mit mir das Verhalten der CDU/CSU seit seinem letzten Besuch im Mai 1978 analysiert. Ich will mich diesem Verfahren gerne anschließen. Am 6. Mai 1978, vor drei Jahren, haben Sie, Herr Bundeskanzler, gemeinsam mit Generalsekretär Breschnew in Bonn eine Gemeinsame Deklaration unterschrieben. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie dieses Dokument in Ihrer heutigen Regierungserklärung zum Vergleich herangezogen hätten.
({12})
Denn ich habe noch gut in Erinnerung, daß Sie in jenen Tagen von diesem Pult aus die Dimensionen Bismarckscher Politik - das Thema Rückversicherungsvertrag ist damals von Ihnen in die Debatte eingebracht worden - herangezogen haben, um die Bedeutung jener damaligen Kommuniqué-Formulierungen zu unterstreichen. Drei Jahre ist das jetzt her; heute hören wir kein Wort davon. Der Rückgriff auf Otto von Bismarck war auch damals schon falsch, jetzt hat er sich als völlig gegenstandslos erwiesen.
({13})
Es ist schon erlaubt, zu fragen, Herr Bundeskanzler: Was ist damals, vor drei Jahren, der Anspruch der beiden Persönlichkeiten, die unterschrieben haben, gewesen, und wie sieht die Wirklichkeit heute aus? Die sowjetische Führung sprach sich damals für die „Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt" aus; Weihnachten 1979 ist die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert. Ich erwähne das deswegen, weil es uns, den Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes sehr wohl ansteht, wenn wir über Menschenrechte reden und Menschenrechte für beide Teile Deutschlands in Anspruch nehmen, nicht so provinziell zu werden, daß wir die Verletzung von Menschenrechten in anderen Teilen der Welt nicht mehr zur Kenntnis nehmen.
({14})
Nach 1945 haben nicht wenige von uns aus der jungen Generation - ich gehörte auch dazu - bei der Frage: „Wie konnte das alles geschehen und kommen?" immer wieder auch die Frage aufgeworfen: Warum haben draußen so viele so lange geschwiegen? Deswegen - nicht weil wir die Gesinnung des Kalten Krieges pflegen - müssen wir als frei gewähltes deutsches Parlament auf diese Invasion, auf diesen Überfall auf ein kleines, wehrloses Land, auf Afghanistan, immer wieder zu sprechen kommen, bis sich die Sowjetunion von dort zurückgezogen hat.
({15})
Die sowjetische Führung trat dafür ein - ich zitiere weiter -,
daß „alle Prinzipien und Bestimmungen der in
Helsinki unterzeichneten Schlußakte der KSZE
im Verhältnis zwischen allen Teilnehmerstaaten und in ganz Europa volle Wirksamkeit erlangen ..."
Die Beispiele des Schicksals von Sacharow, Roginskij, Kawaljow und vielen anderen, der starke Rückgang der Familienzusammenführung, die fortgesetzte Störung deutscher Radiosendungen und vieles andere mehr zeigen, wie weit wir von der Realisierung der damaligen Beschlüsse im Kommuniqué entfernt sind.
({16})
Die sowjetische Führung hielt - wieder Zitat -„konkrete Maßnahmen" für „erforderlich, um das Wettrüsten einzudämmen". Weitere „Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung" sollten „beschleunigt werden ...". Doch, meine Damen und Herren, weder bei den seit acht Jahren andauernden Wiener MBFR-Verhandlungen noch bei den KSZE-Folgekonferenzen gab es konkrete Fortschritte. Beide Seiten gingen damals, vor drei Jahren, in der Deklaration von einer „annähernde({17}) Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung" aus. Damals, Herr Bundeskanzler, besaßen die Sowjets 150 atomare Sprengköpfe im Mittelstreckenbereich, heute sind dies 750, während die USA 1 000 atontare Sprengköpfe aus Europa einseitig abgezogen haben.
Die sowjetische Führung versprach, die „vertrauensbildenden Maßnahmen in Europa" weiter zu entwickeln. Dennoch haben in diesen drei Jahren große sowjetische Manöver stattgefunden, ohne daß die bereits in der KSZE-Schlußakte vereinbarten und unterschriebenen Vertrauensmaßnahmen eingehalten worden sind. Auch das sind unsere Erfahrungen mit der sowjetischen Politik in den letzten drei Jahren. Ich hätte erwartet, Herr Bundeskanzler, daß Sie dazu etwas sagen.
({18})
Wenn wir uns in die Lage der sowjetischen Führung versetzen, wie Sie, Herr Bundeskanzler, dies in den letzten Tagen immer wieder unterstrichen haben, dann stellen wir nicht nur fest, daß die Sowjetunion in den letzten Jahren - ohne Rücksicht auf das Bedürfnis der freien Welt nach Frieden, Freiheit und Sicherheit - versucht hat, ihre Interessen in Europa und weltweit durchzusetzen. Sie war auch aus ihrer Interessenlage heraus in bestimmten Bereichen durchaus erfolgreich. Die Entspannungspolitik ermöglichte ihr eine ungestörte Aufrüstung. Sie hat in Europa unstreitig ein militärisches Übergewicht erreicht, und in anderen Regionen dieser Welt konnte sie mit Hilfe dieser Rüstung, mit Hilfe von Stellvertreterkriegen ihren Einfluß festigen.
Aber - und das gehört auch ins Bild dieses Berichts - Moskau hat auch erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen. Der Überfall auf Afghanistan hat die Sowjetunion im Westen und in weiten Teilen der Welt zunehmend isoliert. Es ist bemerkenswert, es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Vereinten Nationen, daß ein Land - und noch dazu eine Weltmacht - dort dreimal in der UNO-Vollversammlung wegen dieser Aggression in Afghanistan verurteilt wurde.
({19})
Es ist unstreitig: die politischen Offensiven der freien Welt haben in vielen Punkten die sowjetische Führung in die Defensive gedrängt. Sie konnte sich nur noch in ihr Nein retten, etwa beim eingeleiteten amerikanischen Camp-David-Prozeß für den Nahen Osten oder beim EG-Vorstoß zur Lösung des Afghanistan-Konflikts oder bei der UNO-Initiative zu Kamputschea oder - und das muß man immer wieder in Erinnerung rufen - bei der Nord-Süd-Konferenz in Cancún.
In entscheidendem Maße sieht sich nun die Sowjetunion durch den Doppelbeschluß der NATO und durch die Politik der neuen amerikanischen Regierung herausgefordert. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren - das muß man in Erinnerung rufen und als Grundlage der Politik unserer Tage präsent haben -, muß der jüngste Besuch des sowjetischen Generalsekretärs in der Bundesrepublik Deutschland gesehen werden.
Mit Recht wurde von Ihnen, Herr Bundeskanzler, darauf hingewiesen, daß es die erste Besuchsreise der sowjetischen Führungsspitze nach Afghanistan zu einem wichtigen westlichen Staat war. Diese Reise erfolgte nicht in die USA, nicht nach Frankreich, nicht nach Großbritannien, Italien oder Japan. Breschnew kam hierher zu uns nach Bonn, und dafür gibt es Gründe.
Es ist bekannt, daß im Vergleich zu den anderen genannten westlichen Staaten wichtige Teile der Regierungsparteien in der Bundesrepublik Deutschland die Außen- und Sicherheitspolitik der amerikanischen Regierung, des Präsidenten Reagan ganz besonders kritisch begleiten. In keinem anderen Land wird der Doppelbeschluß der NATO so in Zweifel gezogen wie hier bei uns, vor allem vielleicht sogar schon durch die Mehrheit Ihrer eigenen Partei, Herr Bundeskanzler, der SPD, und durch weite Teile der sogenannten Friedensbewegung.
Präsident Mitterrand - um Ihnen gleich diese Antwort zu geben - hat in diesem Zusammenhang erklärt, daß es besser gewesen wäre, erst nachzurüsten und dann zu verhandeln. Herr Bundeskanzler, warum haben Sie eigentlich hier Franz Josef Strauß angesprochen und nicht Herrn Mitterrand
({20})
oder zumindest - um der intellektuellen Redlichkeit willen - beide? Das wäre j a auch ein ganz interessantes Gespann aus Ihrem Munde gewesen.
({21})
Das italienische Parlament hat die Durchführung des Doppelbeschlusses bereits beschlossen. Die Haltung der britischen Regierung ist eindeutig. Das heißt zusammengefaßt: der Schlüssel zur Aufkündigung des Doppelbeschlusses liegt in der Bundesrepublik Deutschland. Kein westeuropäischer Staat muß aus nationalem Interesse in dem Maße an guten Beziehungen zur Sowjetunion interessiert sein wie wir, die Bundesrepublik.
Der Besuch des Generalsekretärs verfolgte deshalb mehrere Ziele. Die sowjetische Führung konnte mit diesem Besuch in Bonn ihre internationale Dialogbereitschaft beweisen, die internationale Isolierung aufbrechen, gleichzeitig aber auch Stärke und Entschlossenheit demonstrieren. Sie kann die Standfestigkeit der Bundesrepublik in der Frage des Doppelbeschlusses einer Belastungsprobe unterwerfen durch Drohung einerseits und durch Zuckerbrot andererseits. Sie hat gleichzeitig - und das sehen manche in der Nachbarschaft im Westen nicht so gerne - die Bundesrepublik als bevorzugten Gesprächspartner aufgewertet und ihr damit eine gewisse Sonderrolle aus sowjetischer Sicht für Europa und für das westliche Bündnis zugeschrieben.
Der Besuch des sowjetischen Generalsekretärs in Bonn bedeutete deshalb sowohl eine Chance als auch ein Risiko. Als von grundsätzlicher Bedeutung - das unterstreiche ich hier noch einmal - erwies sich für den Ablauf der Gespräche die Rede des amerikanischen Präsidenten vom 18. November, vier Tage vor der Ankunft Breschnews in Bonn, eine Rede, in der Präsident Reagan seine Vorschläge für die beiderseitige Abrüstung auf allen Gebieten veröffentlichte. Damit hat die amerikanische Regierung aufs neue ihren Willen und ihre Bereitschaft zu ganz konkreter Abrüstung und Rüstungskontrolle unterstrichen.
Die amerikanischen Vorschläge verfolgen das Ziel eines militärischen Gleichgewichts auf einer möglichst niedrigen Stufe. Sie sind weltweit nachprüfbar und - das ist sehr wichtig - für jeden Bürger in den USA wie hier in der Bundesrepublik Deutschland verständlich. Wir wissen gerade aus den Erfahrungen der letzten Monate, wie wichtig es ist, für eine solche Politik eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zu finden.
Wer jetzt den amerikanischen Vorschlag der sogenannten Null-Lösung im Bereich der landgestützten Mittelstreckenwaffen bereits in der Anfangsphase mit anderen Waffensystemen verknüpfen will, kompliziert in Wahrheit die Verhandlungen in Genf und gefährdet damit bewußt den von der NATO und von Ihnen, Herr Bundeskanzler, unterstrichenen Schlußtermin Dezember 1983.
({22})
Wir, die CDU/CSU, begrüßen nachdrücklich, daß Sie, Herr Bundeskanzler, und auch der Bundesaußenminister in diesen Gesprächen sich ganz und gar und ohne Einschränkung hinter die amerikanischen Vorschläge gestellt haben.
({23})
Wir haben mit Genugtuung die mehrfache Erklärung von Ihnen und von Herrn Genscher zur Kenntnis genommen, daß der amerikanische Verhandlungsvorschlag so intensiv und umfassend wie nie zuvor auch mit der Bundesregierung beraten und von ihr beeinflußt wurde und mitgetragen wird und
daß die Bundesregierung überzeugt ist, daß dies auch in den weiteren Verhandlungsphasen so sein wird.
Ich wünsche, Herr Bundeskanzler, daß Sie das nicht nur jetzt sagen, sondern draußen in Ihrer eigenen Partei endlich mit dieser Verleumdung amerikanischer Politik aufhören, die Amerikaner nähmen auf ihre europäischen und deutschen Verbündeten keine Rücksicht.
({24})
Da der Außenminister und der Kanzler dies so wie wir sehen, ist uns natürlich die Kritik um so unverständlicher, die führende Politiker aus der SPD, aber auch aus der FDP unmittelbar und öffentlich an den amerikanischen Vorschlägen geübt haben. Entweder klappt die Unterrichtung innerhalb der SPD nicht, Herr Bundeskanzler, oder es bestätigt sich ein weiteres Mal, daß Ihre Politik am heftigsten in Ihrer eigenen Partei umstritten bleibt.
({25})
Ich sage es noch einmal: Führende Politiker der SPD und der FDP sind dabei, die Chancen des Breschnew-Besuchs nachträglich zunichte zu machen und damit die Verhandlungschancen in Genf einzuschränken, deren Entwicklung wir doch alle positiv sehen wollen.
({26})
Die Chance des Besuchs, die sowjetische Führung endgültig davon zu überzeugen, daß die Bundesrepublik Deutschland fester Teil des NATO-Bündnisses bleibt, ist, glaube ich, genutzt worden. Die Chance war, die sowjetische Führung vom Verhandlungswillen der amerikanischen Regierung zu überzeugen, und davon, daß wir darauf vertrauen und in enger Abstimmung im Bündnis zusammenwirken. Die Chance war, die sowjetische Führung davon zu überzeugen, daß sie selber ihren Willen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle in den Verhandlungen beweisen muß und die Verhandlungen nicht in der Hoffnung auf Uneinigkeit im Bündnis oder auf einen Erfolg der sogenannten Friedensbewegung in Europa verschleppen oder gar scheitern lassen kann. Und die Chance war, dem sowjetischen Generalsekretär mit allem Ernst unsere gemeinsame Entschlossenheit zu vermitteln, daß jede deutsche Regierung Ende 1983 die amerikanischen Mittelstreckenwaffen stationieren wird, wenn es bis zu diesem Zeitpunkt in Genf zu keinem Verhandlungsergebnis gekommen ist. Ich will ausdrücklich anerkennen, Herr Bundeskanzler, daß Sie - - Ich würde es lieber tun, wenn Sie mir einmal die Aufmerksamkeit schenken würden.
({27})
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, Sie haben heute die Sternstunde, daß wir Ihnen Zuspruch geben und Ihre Politik unterstützen, und in diesem Augenblick schenken Sie uns nicht einmal Ihr Ohr. Das ist Ihr Verhältnis zum Parlament, das dabei deutlich wird.
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Ich will dennoch, weil j a Benehmen und Politik nicht unbedingt identisch zu sein brauchen, noch einmal - - Herr Kollege Brandt, an dem Punkt sind wir völlig einig; ich glaube auch, sogar in der Beurteilung des Akteurs sind wir in dem Punkt einig.
({29})
Der Kollege Wehner schaut mich so kritisch an; aber in Wirklichkeit denkt er genauso.
({30})
Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, ich will es noch einmal sagen, Sie haben diese Chance genutzt, und das wollen wir ausdrücklich anerkennen. Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihr politisches Schicksal mit den Genfer Verhandlungen verknüpft und das gegenüber der sowjetischen Führung zum Ausdruck gebracht. Das ist ein Wort. Aber - und das ist das, was man dazusagen muß - Sie mußten es doch verpfänden, weil es Ihre Partei, die SPD, ist, die in großen Teilen noch immer den Doppelbeschluß der NATO zu Fall bringen will und damit der Sowjetunion jede Notwendigkeit zum Abbau ihrer Mittelstreckenwaffen entzieht. Wie wollen Sie eigentlich die sowjetischen Führer mit dieser quasi Rücktrittsdrohung beeindrucken, wenn sich bereits viele Ihrer eigenen politischen Freunde nur noch schulterzuckend über diese Drohung hinwegsetzen?
Wie weit Ihre Politik mit der Politik Ihrer Partei auseinanderklafft, zeigt sich doch ganz besonders drastisch am Beispiel des sowjetischen Vorschlages, für die Dauer der Genfer Verhandlungen ein Moratorium zu vereinbaren. Ich habe eigentlich in Ihrer Erklärung auf eine Äußerung dazu gewartet. Sie haben dieses Moratorium abgelehnt. Ich stimme Ihnen auch für die CDU/CSU ausdrücklich zu. Sie haben erklären lassen, daß Sie keinen Millimeter von Ihren Ausführungen gegenüber Generalsekretär Breschnew abweichen werden. Sie, Herr Genscher, verkünden, daß gerade der Zeitdruck von 24 Monaten nützlich sei, unter dem die sowjetische und amerikanische Verhandlungsdelegation stehen würde. Das sind klare, gute, unmißverständliche Worte. Doch welchen Wert, Herr Bundeskanzler, besitzen sie, wenn zu gleicher Zeit die Herren Brandt, Wehner, Bahr und natürlich auch Herr Eppler bereits öffentlich darüber nachdenken, ob nicht doch ein unbefristetes oder befristetes Moratorium wünschenswert sei?
({31})
In dieser Lage leben Sie. Das ist Ihre Sache. Ich bin natürlich dankbar, wenn Sie sich über Ihren eigenen Alltag hinaus Gedanken über die Politik der Opposition machen. Nur, Herr Bundeskanzler, von wem haben Sie denn eigentlich heute hier gesprochen? Es gäbe doch keine Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung, Ihrer Regierung, wenn wir, die CDU/CSU, sie nicht mittragen würden.
({32})
Ich brauche Ihnen doch nicht wieder aufzuzählen, was es in den letzten Jahren hier an Abstimmungen gab, ob das nun bei der Olympiade oder bei anderen Punkten war. Sie haben doch für diese Politik keine
Mehrheit, und hier im Parlament sind die Verhältnisse noch günstiger als in der Partei. Sie haben beispielsweise jetzt darüber gesprochen, was wir auf dem Hamburger Parteitag getan haben. Wir haben Gutes getan, Herr Bundeskanzler, im übrigen auch für Sie. Ich kann Ihnen nur raten, machen Sie den Parteitag nach. Stellen Sie sich einmal vor, wie das ist, wenn Sie und Herr Brandt einen Parteitag eröffnen und Sie 500 Jusos einladen, um mit ihnen zu diskutieren.
({33})
Die Vorstellung ist schwer nachvollziehbar, was dabei herauskommt.
({34})
Herr Bundeskanzler, unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist völlig klar. Dies hat übrigens gerade Herr Breschnew - nicht gerade mit Wohlgefallen - deutlich zum Ausdruck gebracht; er sagte, die Union sei berechenbar. Da hat er völlig recht! Wir reden hier nicht anders als draußen, und wir reden in der Partei natürlich mit einer Stimme.
({35})
Es ist selbstverständlich, daß es auch in unserer Partei eine Diskussion gibt, aber „Diskussion" heißt doch nicht, daß wir am Ende nicht entscheidungsfähig wären. Wir haben zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt in Hamburg einen einstimmigen Parteitagsbeschluß gefaßt. Sie sollten also nicht nur den „ppp" lesen, sondern auch seriöse Zeitungen; dann sind Sie über das, was in Hamburg beschlossen wurde, informiert.
({36})
Herr Bundeskanzler, zum Parteitag noch eine Frage: Wenn das alles bei Ihnen so klar ist, warum reden Sie denn jetzt auf dem Parteitag in München nicht über diese Dinge? Warum haben Sie denn das ganze Thema weggeschoben? Weil Sie doch vor dieser Diskussion Angst haben müssen
({37})
und weil ein Mitglied Ihres Kabinetts, das hier auf der Regierungsbank hinter Ihnen sitzt, vor einigen Wochen in aller Öffentlichkeit erklärt hat - von Ihnen bis zum heutigen Tage öffentlich nicht zurechtgewiesen -, Sie hätten für Ihre Sicherheitspolitik keine Mehrheit mehr in Ihrer Partei!
({38})
Sie, Herr Bundeskanzler, werden nicht müde, immer wieder die grundsätzliche Bereitschaft Moskaus zu beträchtlichen und wesentlichen Verringerungen der Mittelstreckenwaffen als ein positives Ergebnis Ihrer Gespräche herauszustellen. Ich hoffe, Sie haben recht; wir können uns dabei gemeinsam nur alles Gute wünschen. Die Verhandlungen in Genf sind gerade erst eröffnet worden. Zwei Jahre wird jetzt intensiv zu verhandeln sein. Dort können beide, die USA, aber auch und vor allem die Sowjetunion, beweisen, wie ernst es ihnen mit der Abrüstung ist.
Doch, meine Damen und Herren, bevor die Weltmächte ihren ersten Eröffnungszug in Genf machen konnten, signalisierten führende Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei der Sowjetunion, daß dem deutschen Bundeskanzler und damit einem wichtigen Mitglied der westlichen Allianz in dieser entscheidenden Frage des Moratoriums der politische Rückhalt in der eigenen Partei fehlt. Warum haben Sie in der SPD denn nicht wenigstens erst einmal die ersten Verhandlungsrunden abgewartet? Wenn, wie Kanzler und Außenminister behaupten, der Abstimmungsprozeß innerhalb des Bündnisses so eng und so lobenswert ist, gibt es doch nicht den geringsten Anlaß, von unserer Seite schon jetzt öffentliche Überlegungen darüber anzustellen, ob die westliche Allianz ihre Position in der Frage der Nachrüstung Ende 1983 nicht doch noch überdenken muß.
({39})
Wenn es heute dazu einen Anlaß gibt, dann doch nur den - und das spreche ich aus -, die Nachrüstung um jeden Preis zu verhindern. Wer das will, signalisiert den Sowjets, daß sie eigentlich gar nicht zu verhandeln brauchen. Jede Chance dafür, daß sich die Sowjetunion tatsächlich und möglichst rasch zu einer substantiellen Abrüstung bereitfindet, wird durch solche Äußerungen gestört und am Ende zerstört.
({40})
Ja, mehr noch, meine Damen und Herren, jeder Hinweis darauf, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die sowjetischen Moratoriumsvorschläge einschwenken könnte, ist ein Spaltpilz innerhalb des westlichen Bündnisses. Für diese Politik in Ihrer Partei haben Sie ja selbst auf Ihrem Parteitag das Feld mitbereitet. Im Beschluß Nr. 11 des SPD-Parteitages vom Dezember 1979 findet sich zu diesem Thema wörtlich folgende Formulierung:
Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen ({41}) über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
Der „Politisch-Parlamentarische Pressedienst" der SPD berichtet am 25. Februar dieses Jahres dazu - ich zitiere -:
Im Gegensatz zum interpretierbaren SPD-Parteitagsbeschluß '79 hatte der Bundeskanzler an zwei Apriltagen des letzten Jahres zur völligen Überraschung aller Beobachter als erster Staatsmann die Idee des Moratoriums ins Spiel gebracht.
Das ist doch nicht zu leugnen! Ihre eigenen Leute sagen dies, und sie geben auch die Fundstellen an. Schon damals kam der SPD-Pressedienst im Zusammenhang mit dem Moratorium zu der, wie ich finde, richtigen Feststellung. Er sagte:
Bei all diesen Fragen hilft es, sich der strategisch-politischen Absicht der Sowjetunion zu erinnern, die da immer war und ist und auch sein wird: die Nachrüstung verhindern.
Diese Einsicht scheint bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, inzwischen ganz klar eingetreten zu sein. Ich begrüße das. Inwieweit dies in Ihrer eigenen Partei eine Einsicht ist, das ist mehr als fraglich.
Aber mit dieser zwiespältigen Politik innerhalb der SPD wird natürlich Mißtrauen ins Bündnis getragen. Es ist doch gerade die große Sorge unserer amerikanischen Freunde, daß die sowjetische Führung versucht sein könnte, die nächsten zwei Jahre sozusagen mit kosmetischen Angeboten zu überbrücken und dann mit Hilfe von bestimmten Kräften in der deutschen Politik, in der SPD, in der sogenannten Friedensbewegung und anderswo, die Nachrüstung zu verhindern. Eine Nachrüstung zu verhindern, das bedeutet, die militärische Überlegenheit der Sowjetunion in Europa fortzusetzen.
Auf der sowjetischen Seite besteht das Mißtrauen, daß es der amerikanischen Regierung nicht um Verhandlungen gehe, sondern allein darum, 1983 zu stationieren. - So steht Mißtrauen gegen Mißtrauen.
Während Sie, Herr Bundeskanzler, versuchen - dabei unterstützen wir Sie -, das Mißtrauen auf der einen Seite abzubauen, sind es Kräfte in Ihrer eigenen Partei, der SPD, die es auf der anderen Seite fortdauernd und erneut nähren. So kann auf die Dauer keine erfolgreiche Politik gelingen.
({42})
So wird einzig und allein die Verhandlungsposition unserer amerikanischen Freunde erschwert .
Mein Rat ist, Herr Bundeskanzler: Sie sollten während der Genfer Verhandlungen nicht nur den Kontakt mit der sowjetischen und der amerikanischen Regierung und unseren Freunden fortsetzen, sondern vor allem den Kontakt in Ihrer eigenen Partei pflegen. Das ist das, was jetzt not tut.
({43})
Sie haben heute in Ihrer Regierungserklärung - auch darauf muß wenigstens mit einer kurzen Bemerkung eingegangen werden - in der Ihnen eigenen zurückhaltenden Weise bei der Würdigung Ihrer Leistung
({44})
davon gesprochen, daß die Sprachlosigkeit zwischen den Weltmächten überwunden worden sei. Sie haben gesagt, Sie selbst hätten nicht gesagt, daß das Dolmetschen notwendig sei. Ich sage es jetzt mit meinen Worten. Aber Sie fanden es gut, daß es andere über Sie gesagt haben.
({45})
Ich finde, wir sollten uns hier dem Kollegen Genscher anschließen - damit will ich das abschließend behandeln -, der im Juli dieses Jahres gesagt hat, daß es wichtig sei, das „törichte Gerede über die angebliche Sprachlosigkeit der beiden Großmächte vom Tisch" zu bringen.
({46})
Meine Damen und Herren, das Dolmetschen kann in der Tat das direkte Gespräch zwischen den Weltmächten nicht ersetzen. Ich habe in meinen Gesprächsmöglichkeiten mit dem amerikanischen Präsidenten wie mit dem Generalsekretär Breschnew die Zeit dazu genutzt, auch in unserem Namen darauf zu dringen, daß es möglichst bald zu einem direkten Gespräch zwischen beiden kommt. Denn wir sind überzeugt, daß dies ein wichtiges Zeichen für den Friedenswillen und die Friedenschancen beider Regierungen wäre. ,
Meine Damen und Herren, wir werden die Ergebnisse der deutsch-sowjetischen Gespräche, wie sie im gemeinsamen Kommuniqué vom 25. November zum Ausdruck kommen, nicht an ihrem Wortlaut, sondern ausschließlich an den Taten der beiden messen.
({47})
Dies gilt für den Bereich der Abrüstung, der Rüstungskontrolle und vor allem für die zweiseitigen Beziehungen. Ich will - Herr Bundeskanzler, weil Sie nicht davon gesprochen haben - zwei Punkte dieses Kommuniqués herausgreifen.
Erstens. Die „Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Wissenschaft und Technik, der Bildung, des Sports und des Tourismus" soll vertieft werden. Ich erinnere heute wiederum daran, daß jetzt seit mehr als sieben Jahren vier deutschsowjetische Abkommen über Rechtshilfe, Kulturaustausch, technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit und Umweltschutz unterschriftsreif vorliegen, aber bisher nicht in Kraft treten konnten, weil sich Moskau weigert, West-Berlin mit einzubeziehen. Als Sie, Herr Bundeskanzler, 1974 - 1974! - von Ihrer ersten Moskaureise als neugewählter deutscher Regierungschef zurückkehrten, erklärten Sie öffentlich, es gehe jetzt nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie der Einbeziehung West-Berlins. Ich frage Sie: War dies eigentlich kein Thema bei dem Gespräch mit Herr Breschnew jetzt, sieben Jahre danach?
({48}) Zweitens. Ich zitiere aus dem Kommuniqué:
Beide Seiten führten einen Meinungsaustausch über humanitäre Fragen und erklärten ihre Absicht, diese Fragen in wohlwollendem Geist zu lösen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf die Tatsache - die bedrückend ist -, daß im Monat November dieses Jahres, im Besuchsmonat des sowjetischen Generalsekretärs, nur knapp über 60 Ausreiseerlaubnisse von den sowjetischen Behörden erteilt wurden.
({49})
Es ist doch berechtigt, die Frage zu stellen: Wie kommt es, daß wir ausgerechnet in dem Monat, in dem Breschnew zu uns kommt, den absoluten Minusrekord im Blick auf die Ausreisegenehmigungen verzeichnen? - Nicht nur das, Herr Bundeskanzler, Sie wissen selbst, daß uns alle täglich Bittgesuche für Familienzusammenführungen erreichen. Es handelt sich dabei in vielen Fällen um bitteres
menschliches Leid. Und wir sollten uns einig sein, daß es unverzichtbar für den Frieden in Europa ist, daß auch und gerade dieses menschliche Leid überwunden wird.
({50})
Man kann nicht vom Frieden reden, und man kann schon gar nicht dem Frieden dienen, wenn nicht die einfachste und selbstverständlichste menschliche Friedensbereitschaft gelebt und demonstriert wird.
Dies gilt auch für die innerdeutschen Beziehungen. Generalsekretär Breschnew hat mir zugestimmt, daß die Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten einen wichtigen Beitrag - Sie sagten ähnliches; wir unterstützen das - für den Frieden in Europa leisten kann. Wer aber dann grundsätzliche Fragen wie die nationale Frage, das Staatsbürgerrecht und anderes zur Voraussetzung macht, der will in Wahrheit keine wirkliche Verbesserung der Beziehungen. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt im dritten Anlauf zu einem Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker in die DDR gehen, so hoffen wir im Interesse aller betroffenen Deutschen, daß über die Erklärung, daß beide Seiten für den Frieden eintreten, hinaus über ganz konkrete menschliche Erleichterungen verhandelt wird.
({51})
Auch hier geht es nicht um die Überwindung von Sprachlosigkeit. Die Probleme sind bekannt. Es muß endlich gehandelt werden. Es müssen Zeichen gesetzt werden.
({52})
Erfolgreiche Abrüstung und Rüstungskontrolle setzen Vertrauen voraus, und solches Vertrauen schafft man nicht dadurch, daß man Grenzen undurchdringlicher macht, sondern dadurch, daß man sie offenhält oder öffnet für die Begegnung von Menschen im gleichen deutschen Vaterland.
({53})
Wer den Frieden in Europa sichern will, muß vor allem daran arbeiten, die Spannungen abzubauen, die sich aus der Spaltung Europas und damit aus der Spaltung Deutschlands ergeben. Deshalb mißt sich die Glaubwürdigkeit der Friedens- und der Entspannungspolitik der Sowjetunion und der DDR vor allem auch daran, was sie konkret tun, um die Folgen der Spaltung für die heute lebende Generation erträglicher zu machen, und was sie bereit sind, beizutragen, um diese Spaltung langsam zu überwinden. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bedarf deutsche Ostpolitik, Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit den Staaten des Warschauer Paktes, der Ideen, unserer Energien, um jeden noch so kleinen Schritt zu finden und zu unternehmen, der uns dem Ziel einer wirklichen gesamteuropäischen Friedensordnung näherbringt, die letztlich in die Überwindung der Spaltung unseres Vaterlandes einmünden muß.
({54})
Ich glaube, dies alles wird um so eher gelingen, je erfolgreicher wir in der Einigung des freien Europa
voranschreiten. Und, Herr Bundeskanzler, die Londoner Konferenz der Staats- und Regierungschefs gab dazu wahrlich wenig Ermutigung.
({55})
Das, was Sie hier gesagt haben, war schlicht und einfach eine Beschönigung der Tatsache, daß die wichtigsten Ziele dieser Konferenz nicht erreicht wurden.
({56})
Wenn sich die SPD/FDP-Koalition in diesen letzten elf Jahren mit der gleichen Entschiedenheit, ja, beinahe Leidenschaft, um die europäische Integration bemüht hätte, wie sie diese Investition an Kraft und Geist in die Ostpolitik eingebracht hat, wären wir in Europa ein entscheidendes Stück weitergekommen.
({57})
Ihre heutige Rede hat einmal mehr deutlich gemacht, daß diese Frage für Sie letztlich zweitrangig ist.
Welches Bild hat denn eigentlich der Europäische Rat unseren Bürgern, den Bürgern in Europa auf seinem sogenannten Londoner Gipfel vermittelt? Die Staats- und Regierungschefs haben ihre Beratungen in den entscheidenden Fragen ohne Einigung abgebrochen. Der Mißerfolg ist offenkundig, und jetzt sollen die Außenminister als die „großen Zaubermänner" vor Weihnachten die Dinge in Ordnung bringen. Die Anpassung des Agrarmarkts ist weiter hinausgeschoben worden; die Präsidenten und Regierungschefs haben über eine Reform der Milchmarktordnung verhandelt; sie konnten sich nicht einig werden. Und Sie, Herr Bundeskanzler, und vor allem auch der Bundesfinanzminister, werden j a nicht müde, immer wieder in Deutschland die notwendigen Zahlen zu nennen, daß sozusagen wir Deutsche es seien, die in Europa zahlen müßten, oder daß wir jetzt etwas zurückerstattet bekommen müßten, daß wir etwas „herauskriegen" müßten, um Sie wörtlich zu zitieren. Herr Bundeskanzler, es mag heute bei einer zunehmenden Provinzialisierung der deutschen Diskussion sogar populär sein, was Sie da machen, aber es ist nicht klug im Blick auf die Zukunft.
({58})
Es ist in der langen Frist deutscher Politik nicht klug, denn wenn es überhaupt ein Land in Europa gibt, das die politische Einigung Europas über die allgemeinen Gründe hinaus braucht, dann ist es das geteilte Deutschland, weil nur unter einem europäischen Dach - wann immer es sein wird - eine Chance bestehen kann, etwas für die Einheit der deutschen Nation zu tun.
({59})
Welches Vertrauen, j a, welche Zuneigung sollen die Bürger unseres Landes, vor allem die Jungen, zu dieser Idee Europas gewinnen, wenn bei der Darstellung der eigenen Regierung das Geld - so wichtig es ganz gewiß ist -, die Frage des Rückzahlens, des Einzahlens unentwegt, sozusagen kontraproduktiv, in die öffentliche Debatte eingebracht wird? Wer
sagt denn eigentlich, Herr Bundeskanzler, unseren Mitbürgern, was wir der europäischen Idee in diesem Vierteljahrhundert an Wohlstand, an politischer Stabilität, ja an Frieden und Freiheit jetzt schon seit Jahrzehnten verdanken? Herr Bundeskanzler, was tun Sie, um der jetzt heranwachsenden Generation die europäische Idee wieder als diese großartige Idee deutlich zu machen, die wir brauchen, wenn wir nicht in den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts zurückfallen wollen?
({60})
Ich will drei Punkte bei der Bewertung des Gipfels hervorheben.
Erstens. Es war richtig und notwendig, daß die Staats- und Regierungschefs ihre Beratungen auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme konzentriert haben. Arbeitslosigkeit, Inflation, Wachstumsschwäche und zerrüttete öffentliche Finanzen in vielen Mitgliedstaaten lassen keine andere Wahl. Um so bedauerlicher ist es, daß sie in der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich die Gemeinschaft befindet, der schwierigsten seit ihrem Bestehen, ohne konkrete Entscheidungen auseinandergegangen sind. Die Staats- und Regierungschefs haben damit der europäischen Wirtschaft die notwendigen europäischen Rahmendaten verweigert, die sie für ihre Dispositionen auf europäischer Ebene dringend benötigt. Statt dessen hat dieser Londoner Gipfel Zweifel und Unsicherheit geschaffen, wo Gewißheit und Stetigkeit notwendig gewesen wären.
Das Vertrauen in den Integrationsprozeß hat einen weiteren Stoß erlitten. Gerade wer wie Sie zu Recht die soziale Dimension dieses Integrationswerkes betont, wäre doch aus Solidarität mit den über 10 Millionen Arbeitslosen in Europa verpflichtet gewesen, notfalls so lange zusammenzusitzen, bis eine Einigung möglich ist.
Die Staats- und Regierungschefs haben unter Verwässerung der Institutionen der Römischen Verträge faktisch immer mehr Befugnisse an sich gezogen, aber, Herr Bundeskanzler, die Staats- und Regierungschefs - das trifft für alle zu, nicht nur für Sie - weigern sich, diese Befugnisse verantwortlich zu nutzen. Das ist doch der Einwand, der hier gemacht werden muß.
({61})
Zweitens. Es ist in der Sache bedauerlich, daß nunmehr seit fast schon zwei Jahren ein wesentlicher Teil der Entscheidungskraft und der Beratungszeit der europäischen Gremien für die Lösung des Haushaltsproblems vertan wird. Wenn sich die beim Vertragsabschluß erwartete Anpassung der britischen Agrarstrukturen an die des Kontinents verlangsamt hat und wenn dadurch nicht vorhersehbare Belastungen für Großbritannien entstanden sein sollten, so widerspricht es nicht der Solidarität der Gemeinschaft, im Billigkeitswege einen zeitlich vernünftig begrenzten und degressiven Ausgleichsmechanismus zu vereinbaren.
Sie wissen aus unseren Gesprächen der Vergangenheit, Herr Bundeskanzler, daß wir bereit waren und sicher auch in Zukunft bereit sind, solche LöDr. Kohl
sungen mitzutragen. Wir meinen aber gleichzeitig, daß das vierte Mal, wo jetzt über dieses Thema verhandelt wird, auch das letzte Mal sein muß. Niemand kann und soll die Tragweite der agrarpolitischen Entscheidungen geringschätzen. Die Gemeinschaft ist verpflichtet, ein angemessenes Einkommen der europäischen Bauern zu sichern. Strukturelle Überschüsse können dauerhaft nur mit Hilfe struktureller Maßnahmen bekämpft werden. Eine Reform - oder besser gesagt: Anpassung - der europäischen Agrarpolitik braucht deshalb einen langen Atem. Die gemeinsame Agrarpolitik muß kostengünstiger werden, darf aber zugleich nicht nach außen abgeriegelt werden.
Wir begrüßen es, daß die Kommission längerfristige Perspektiven der Agrarentwicklung als Orientierungspunkte der fälligen Entscheidung vorgeschlagen hat. Sie sind geeignet, den Wandlungsprozeß in den Strukturen, den wir seit 30 Jahren erleben, mit Augenmaß fortzusetzen. Aber, Herr Bundeskanzler, es fehlt immer noch eine überzeugende Lösung für den Mittelmeerraum. Wir sehen mit Besorgnis, daß die großen Probleme, die sich aus der Integration der Landwirtschaft Spaniens und Portugals ergeben, und die Probleme, die sich aus der Berücksichtigung der legitimen Absatzwünsche der meisten mit Europa assoziierten Staaten am Südufer des Mittelmeeres ergeben, völlig ungelöst sind.
Die Erweiterung der EG darf nicht nur unter fiskalischen Gesichtspunkten gesehen werden. Es geht zu allererst um politische Entscheidungen und um den politischen Willen. Welches ist eigentlich die Konzeption der Bundesregierung? Wir dürfen höflich bitten, daß wir sie irgendwann einmal erfahren. Wir werden keine Lösung mittragen, die den lebensfähigen bäuerlichen Familienbetrieb zum Objekt einer Agrar-Sozialpolitik degradiert.
({62})
Wir werden uns allen Vorschlägen entschieden widersetzen, die das Leistungsprinzip in der Landwirtschaft abschaffen. Wir bedauern, daß es gerade in der gegenwärtigen Lage nicht möglich war, die in London vorliegenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen endgültig zu verabschieden, um sie auf diese Art vom Agrar- und Haushaltsproblem zu trennen. Dies wäre, wie ich finde, um so nötiger gewesen, als in den schwierigen Zeiten, in denen wir uns jetzt befinden, eigentlich alles - auch aus deutscher Sicht - hätte getan werden müssen, um die Deiche gegen die Flut des Protektionismus zu verstärken und zu schützen.
Drittens. Herr Bundeskanzler, der Verlauf des Londoner Gipfels hat erneut bewiesen, wie sehr die Entscheidungsverfahren der Gemeinschaft im letzten Jahrzehnt verwässert worden sind. Das Konsensprinzip im Europäischen Rat bedeutet eine Verstärkung vertragswidriger Vetomöglichkeiten,
({63})
Vetomöglichkeiten in Punkten, in denen eine Mehrheitsabstimmung möglich und mehr denn je auch notwendig gewesen wäre. Ich behaupte - ich sage dies auch angesichts dessen, was gerade gesagt und
geschrieben wurde aus Anlaß des 80. Geburtstags unseres Freundes Walter Hallstein -, daß es in London kein Problem gegeben hat, das nicht bei einer vertragsgemäßen Anwendung der Entscheidungsverfahren hätte entschieden werden können.
Herr Bundesaußenminister, angesichts dieser Situation frage ich mich, woher Sie eigentlich den Mut nehmen, in einer von Ihnen und dem Außenminister Colombo vorgetragenen Initiative noch mehr Entscheidungsverantwortung auf diesen Rat zu verlagern, der doch soeben in London seine völlige Unfähigkeit zur Lösung dringender Probleme unter Beweis gestellt hat.
({64})
Natürlich unterstützen wir - damit da kein Zweifel aufkommt - jeden gangbaren Weg, um die europäische Integration im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Kulturpolitik voranzubringen. Nur - auch das muß im Deutschen Bundestag ausgesprochen werden, meine Damen und Herren - darf dies nicht zu Lasten der Institutionen gehen, also weder zu Lasten des direkt gewählten Parlaments noch zu Lasten der Kommission, deren politische Funktion als Motor uneingeschränkt wiederhergestellt werden muß. Ich teile deshalb die in weiten Kreisen des Europäischen Parlaments quer durch alle Fraktionen vorgetragene Skepsis in das unkoordinierte Nebeneinander von Entscheidungen über Außen- und Sicherheitspolitik auf der einen Seite und Wirtschaftspolitik auf der anderen Seite.
Die CDU/CSU-Fraktion weiß um die besondere Verantwortung, die der Bundesrepublik Deutschland angesichts ihrer geographischen Lage, der Leistungskraft ihrer Wirtschaft und ihrer Geschichte für den Erfolg der europäischen Einigung zukommt. Sie weiß, daß mit dieser Verantwortung, vor allem gegenwärtig, mehr Pflichten und mehr Lasten verbunden sind. Sie weiß auch, daß dies in weiten Teilen unserer Bevölkerung nicht eben populär ist. Dennoch sagen wir auch zu den notwendigen Opfern für Europa ja. Was wir jetzt in Europa wieder brauchen, ist eine Perspektive, die über die sicherlich schwierige Detailabstimmung hinausweist. John McCloy hat in diesen Tagen in einer Gedenkrede über Jean Monnet gesagt: „Es ist gewiß an der Zeit, mit dieser Art von gegenseitiger Kritik endlich aufzuhören und das zu tun, was Jean Monnet in solchen Situationen zu tun pflegte, auf einen hohen Berg zu steigen und nach neuen besseren Aussichten zu suchen." Genau das braucht heute Europa. Es geht um Strukturfragen, es geht um Existenzfragen der Gemeinschaft, also um Politik. Es geht auch um Geld, aber es geht besonders um die Vision des neuen Europa. Darum geht es vor allem, und deswegen ist es wichtig, das deutlich zu machen.
({65})
Die europäische Akte, Herr Bundesaußenminister, kann ein solcher Versuch zum Aufzeigen politischer Perspektiven sein, kann auch ein Instrument sein, um die materiellen Fragen leichter lösen zu können, um Kompromisse zu finden, um des großen Zieles willen. Es bleibt auch und gerade nach diesem Londoner Gipfel der geschichtliche Auftrag für die
heute lebende Generation des freien Europa, über das Jetzige hinaus alles zu tun, um einen Beitrag zur politischen Einigung Europas zu leisten.
({66})
Ich bleibe bei meiner These, daß wir in unserer Generation die Chance haben, zu den vereinigten Staaten von Europa, zur politischen Einigung Europas kommen. Wenn diese Chance in unserer Generation vertan wird, wird es lange Zeit, wird es viele Generationen brauchen, bevor diese Chance wiederkommt.
({67})
Das haben die großen Gestalten, die am Beginn dieser europäischen Entwicklung standen, auch so gedacht. Sie haben es gedacht aus dem Erlebnis ihres Lebens, aus der Erfahrung von zwei bitteren völkermordenden Kriegen in Europa, die die ganze Welt ins Elend gestürzt haben. Sie hatten begriffen - das gilt auch heute für uns -, daß die Stimme Europas in der sich wandelnden Welt nur dann Gewicht haben wird, wenn es eine einige Stimme ist und wenn das, was einmal die Idee des Abendlandes war, sich im Konzert der Welt und der Kontinente auch in Zukunft entsprechend äußern kann.
Mit diesen Gedanken sind wir in unserer Generation als Schüler und Studenten nach dem Krieg angetreten. Es war die Begeisterung der europäischen jungen Generation, es war eine Europabegeisterung, die damals - das kann man ganz buchstäblich sagen - keine Grenzen kannte. Es fehlt heute nicht an Stimmen, die den Mitbürgern einreden wollen, der breite Strom sei versiegt, die Chance dieses Europas sei bereits vertan; die vereinigten Staaten von Europa, die politische Einigung Europas seien keine Themen mehr für die junge Generation. Ich finde, das ist eine verräterisch durchsichtige Zweckbehauptung, und sie kann nur von Leuten kommen, die entweder den Rückfall in das sterile Denken des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts wollen oder auf dem Weg zu einer ganz anderen Republik sind. Beides ist nicht unsere Politik. Es gibt kein Zurück zum Nationalstaat Otto von Bismarcks; dieser Nationalstaat kommt nie wieder. Darüber müssen wir uns gerade im geteilten Deutschland einig sein.
({68})
Die Jungen bei uns wie draußen in anderen europäischen Ländern wollen ein Europa, das mehr als eine Wirtschafts- oder Währungsunion ist. Sie fragen uns, die Verantwortlichen in den Parlamenten und Regierungen, nach den Perspektiven unserer Politik für diesen alten Kontinent. Natürlich wollen die Jungen auch Wohlstand, sichere Arbeitsplätze, soziale Sicherheit. Sie denken an ihre Aufstiegsmöglichkeiten, aber sie suchen dennoch mehr. Sie wollen sich für eine Idee, für eine Politik einsetzen, die mehr bietet als materiellen Wohlstand; sie wollen ein Stück Vision in der Politik. Das war und das ist für uns die Idee der freiheitlichen und sozialen Partnerschaft in Europa. Wir wollen ein Europa der freien Bürger, ein Europa des Ausgleichs, der sozialen Sicherheit, der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität. Wir wollen ein Europa, das sich auch in
Zukunft als Teil der freien Welt begreift und das in dieser Weise dem Frieden dient.
Meine Damen und Herren, es ist schwer, im Alltag und nach den Erfahrungen beim europäischen Gipfel daran zu glauben, daß dieses Europa Wirklichkeit werden könnte. Ich warne aber vor Resignation. Wenn Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer in den frühen 50er Jahren oder Winston Churchill in seiner großen Rede 1946 in der Schweiz, wenn alle, die die Erfahrung ihrer Generation in zwei Kriegen hinter sich hatten, so kleinmütig und so resigniert gewesen wären, wie so viele von denen heute resigniert sind, die für sich in Anspruch nehmen oder behaupten, Politik für die Zukunft zu machen, wäre dieser Aufbruch nie möglich gewesen. Ich komme aus einer Landschaft in Deutschland, in der ich in meinen Schülertagen in der Grundschule noch etwas vom „Erbfeind Frankreich" las. In der Generation meiner Kinder ist dies heute völlig undenkbar. In über 25 Jahren haben wir eine selbstverständliche Freundschaft - nicht primär der Regierungen, sondern der Völker - zwischen Deutschen und Franzosen begründet. Das geht in Europa weiter, vor allem bei der jungen Generation.
Wer hier Resignation vorlebt oder predigt, verspielt ein Stück Zukunftschance auch des freien Deutschland. Wir - ich sage es noch einmal -, die Deutschen, brauchen die europäische Einigung. Bei allen Schwierigkeiten im Materiellen, die ich nicht leugne, brauchen wir die Vision des freien, politisch geeinten Europas. Wir, die Union, wollen wie vor 30 Jahren dazu unseren Beitrag leisten.
Wenn Sie diese Politik machen, Herr Bundeskanzler, haben Sie unsere Unterstützung.
({69})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es nicht schlecht, daß gegen Ende dieses sehr schwierigen Jahres der Deutsche Bundestag bereits über Friedenspolitik diskutiert. Wir haben erfahren, wie sehr dieses Thema die Bürger, viele Bürger in unserer Bundesrepublik interessiert. So wir können, sollten sich diese Bürger, gerade auch die jüngeren, in unserer Debatte wiederfinden können.
({0})
Ich möchte versuchen, meinen Beitrag zu den drei Unterthemen der großen friedenspolitischen Thematik zu leisten: Ost-West, Nord-Süd, Europa. Zum Mittelstück wurde bisher nur eine Nebenbemerkung von Herrn Kollegen Kohl gemacht. Nicht jeder von uns kann alles zugleich einführen.
({1})
- Wenn Sie richtig zugehört hätten, Herr Kollege Mertes, wüßten Sie, daß ich gesagt habe: Bisher gab es nur diesen Merkposten.
({2})
Zunächst zum Thema Ost-West, zu Rüstungen und Rüstungsbegrenzung sowie Sicherheit. Die Lage ist heute ohne Zweifel anders als vor zwölf Monaten. Die beiden Weltmächte sitzen jetzt an einem Tisch, um zu verhandeln. Das ist eine Wendung zum Besseren. Das Interesse unseres Volkes gebietet, das anzuerkennen und dazu, ohne daran herumzukritteln, j a zu sagen.
({3}) Das ist das erste.
Ich sehe jedoch keinen Grund, an die in Genf vor wenigen Tagen begonnenen Verhandlungen überoptimistische Erwartungen zu knüpfen. Viele der Menschen, die wir vertreten, hegen solche überoptimistischen Erwartungen schon deshalb nicht, weil sie nicht von der Art überzeugt sind, sondern beunruhigt sind über die Art, in der sich die Weltmächte in den letzten Monaten dargestellt haben: in ihrer - darf ich das in aller Behutsamkeit, aber hoffentlich deutlich genug, wenn auch bekümmert sagen - zuweilen feststellbaren Unzulänglichkeit der personellen Repräsentanz, argumentativ im Wechselspiel von Hickhack und Sturheit mit dem Ergebnis, daß vielfach weder Orientierung gegeben noch Vertrauen vermittelt werden konnte. Ich kann also die Skepsis vieler unserer Mitbürger - ich sage noch einmal: gerade der jüngeren - gut verstehen.
Aus dem Zitat von Aristide Briand, das zu Beginn der Rede des Bundeskanzlers eine wichtige Rolle spielte, greife ich besonders den Begriff „Mißtrauen" heraus - er wird übrigens am Ende der Rede, soweit ich mir das gemerkt habe, durch die positive Wendung im Einstein-Zitat ergänzt -, weil Mißtrauen, sich festsetzendes Mißtrauen in der Tat Gift für das so schwierig gewordene friedenspolitische Bemühen ist. Mit dem Zweifel, von dem Briand auch spricht, sehe ich das ein bißchen anders. Ich meine, Zweifel kann gerade auf diesem unendlich schwierigen Gebiet, auf dem wir uns zu bemühen haben, produktiv sein. Aber lassen wir das.
Aus meiner Sicht gibt es jedenfalls keinen vernünftigen Sinn, von der Erfolglosigkeit der Genfer Verhandlungen auszugehen. Wir müssen vielmehr jeden möglichen Einfluß geltend machen - ich bin überzeugt, daß sich die Regierung darum weiter bemüht -, damit die verhandelnden Großmächte zu einem für uns und damit auch für sie guten Ergebnis kommen.
({4})
Der Präsident der Vereinigten Staaten hatte wenige Tage, bevor Breschnew hierherkam, ein, wenn man es verkürzt darstellt, bedeutendes Angebot gemacht. Er hat vermittelt, daß die Vereinigten Staaten bereit seien, mit der Sowjetunion über die verschiedenen Aspekte der Sicherheitspolitik zu sprechen - jetzt zunächst in Genf - und vor allem über die Mittelstreckenwaffen. Aber das Angebot enthielt auch die Bereitschaft - so wie ich und auch andere es verstanden haben -, an welchen unterschiedlichen Orten auch immer - einiges davon war ja im Gang, bevor sich die Herren Kwizinski und Nitze oder Nitze und Kwizinski jetzt in Genf zusammengesetzt haben - erneut zu reden über interkontinentale Waffen, über eurostrategische - auch sogenannte taktische - Waffen und - das wurde letzte Woche aus amerikanischer Sicht ergänzt - über konventionelle Waffen sowie über vertrauensbildende Maßnahmen. Herr Breschnew hat bei seinem Besuch in Bonn deutlich gemacht - so sage ich es einmal -, daß die UdSSR ihrerseits zu substantiellen Maßnahmen bereit sei.
({5})
Damit sind zunächst einmal jene widerlegt, die - wie ich finde, wieder einmal überflüssigerweise - vorzeitig über pure Illusionen räsonierten. Davon war, Herr Ministerpräsident, schon die Rede.
({6})
Aber auch jene sind widerlegt, für die Sie sich, Herr Kohl, vor drei Monaten in diesem Hause zum Sprecher machten, nämlich im September, und die im Zusammenhang mit der Null-Option von - ich zitiere
- einer schlichten Täuschung der deutschen Öffentlichkeit sprachen.
({7})
Sie haben es damals an die Adresse des Bundesaußenministers gerichtet.
({8})
- Ich komme darauf zu sprechen; haben Sie keine Sorge, lieber Herr Barzel. - Sie, die angesprochenen Kollegen, müssen jetzt einsehen: Es gibt zum Weg der Verhandlungen und der Zusammenarbeit weiterhin keine vernünftige Alternative.
Nun hat Herr Kohl hier soeben im ersten Teil seiner Rede etwas gemacht, was wir kennen und was für die Fachleute ohnehin nicht ungewohnt ist. Der Bundeskanzler hatte den Ball in die Platzhälfte der Union hineingegeben. Statt daß Herr Kohl versucht, den Ball zurückzugeben, spielt er dort immer noch mit ihm herum. Nach dem, was der Bundeskanzler hier vorgetragen hat, ist der Ball noch in Ihrer Platzhälfte, Herr Kohl.
({9})
Der Union muß allerdings bestätigt werden: Sie hat
- das liegt natürlich zum Teil auch an der unterschiedlichen Rolle von Regierungund Opposition -, so sage ich jetzt einmal, wenig Anteil daran, daß die Weltmächte nun wieder aufeinander zugegangen und an den gemeinsamen Tisch gekommen sind. Im Gegenteil: Andere, die dazu beigetragen haben, wurden von ihr verdächtigt, wobei zur Begründung Antiamerikanismus, Neutralismus oder Nationalismus
- oder wie die Schlagworte sonst noch heißen - angeführt wurde. Ich sage, Herr Kohl: Den Quatsch sollte sich die Union abschminken.
({10})
Lassen Sie mich noch bei dem Ball, den der Bundeskanzler hinübergespielt hatte, bleiben. Wenn Herr Geißler schon am letzten Wochenende, und zwar vor den rheinischen CDU-Arbeitnehmern in Köln, diejenigen seiner Parteifreunde kritisierte, die sich für eine Stationierung der Neutronenwaffen - überflüssigerweise - in der Bundesrepublik ausgesprochen hatten
({11})
und die, wie er sagte, vor dem Breschnew-Besuch wie vor den Verhandlungen erklärt hatten - von wegen gar nicht gesagt, Herr Kollege -, die Sache sei von vornherein aussichtslos, dabei komme gar nichts heraus, wenn es also schon eine solche Diskussion, wogegen j a gar nichts einzuwenden ist, in Ihren Reihen gibt, verehrte Kollegen von der Union, warum glauben Sie dann, den Spieß einfach umdrehen zu können? Buchstäblich am selben Tag bezeichnet der Präsident der Vereinigten Staaten die Breschnew-Äußerungen in Bonn als Verhandlungsgrundlage, während einer von der ersten Bank hier in der Union an jenem gleichen Tag dasselbe als unakzeptabel betrachtet.
({12})
So sieht es doch aus! Ich kann die Union ja nicht daran hindern, amerikanischer sein zu wollen als die Amerikaner selbst. Aber das dient doch nicht einem aufgeschlossenen Austausch der Argumente, der uns übrigens allen gut bekommen könnte und auf den die deutsche Öffentlichkeit Anspruch hätte.
Ich habe im übrigen, Herr Kollege Kohl, nie etwas von der sterilen Formel - ich glaube, Herr Kollege Barzel wartet auf diesen Punkt auch; er hat ihn durch seine Zwischenbemerkung fast schon angemahnt - der Unteilbarkeit gehalten, handle es sich um den Abbau von Spannungen oder handle es sich um den Abbau von Rüstungen.
({13})
Wir Europäer, wir in Deutschland besonders hatten und haben ein vitales Interesse daran, daß nicht jede Art von Krise in anderen Teilen der Welt voll auf uns durchschlägt; dementsprechend verhalten sich Regierungen in dieser Bundesrepublik über die Jahre hinweg. Aber daran, daß Substanz und Perspektive der Rüstungen auf verschiedenen Ebenen, zumal dort, wo es um die Weltmächte und die Allianzen geht, in einer objektiven Wechselbeziehung zueinander stehen und daß diese Zusammenhänge auch präsent sind, wenn über Begrenzung oder gar Abbau verhandelt wird, wird wohl kein Zweifel sein können. Mir ist bewußt - sicher nicht mir allein -, daß dies die Dinge nicht einfacher macht.
Diese Überzeugungen, Herr Kollege Kohl und Herr Kollege Barzel, liegen zugrunde, wenn unsereins von Null-Lösung spricht, und zwar nicht erst seit Ende dieses Jahres
({14})
und häufig nicht nur durch guten Willen und hinreichende Aufmerksamkeit anderer dabei begleitet,
und wenn wir, Herr Kollege Barzel, an den NATO-Beschluß erinnern, demzufolge - und jeder kennt den letzten Satz des NATO-Beschlusses vom Dezember 1979 - im Lichte konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft und disponiert werden soll.
Es ist ein Irrtum, wenn der Kollege Kohl meint, der Bundeskanzler - oder sonst irgend jemand von uns - wollte diese unendlich schwierige Thematik vom nächsten Parteitag der deutschen Sozialdemokraten wegdrücken. Wie könnten wir oder wie kämen wir dazu!
({15})
- Nein, wir konzentrieren uns auf das, was jetzt ansteht.
({16})
Ich möchte mal
({17})
so eng an die Sache herangehen. Tun Sie das auch! Formulieren Sie Ihre Erwartungen und Forderungen an die Adresse der Weltmächte. Darauf kommt es jetzt an.
({18})
Im April 1982 ist doch nicht neu über das zu befinden, was im Dezember 1979 in Brüssel beschlossen worden ist, sondern im April 1982 ist Stellung zu nehmen - vielleicht noch ein bißchen klarer, als das heute möglich ist - zu dem, womit sich die Weltmächte befassen und was uns in so starkem Maße angeht. Dann werden wir 1983 zu dem Stellung nehmen, was dann vorliegt, wenn es etwas ist, was neue Entscheidungen erforderlich macht.
Es trifft natürlich zu, daß es heute schon eine Mehrzahl sogenannter Null-Optionen gibt oder daß solche im Gespräch sind. Deshalb will ich an das erinnern, was ich früher gesagt habe und worin ich mich nicht korrigiert fühle. Wir möchten die Voraussetzungen dafür geschaffen wissen, daß es der Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen nicht bedarf. Der sowjetischen Seite war klarzumachen, daß sie solche Voraussetzungen zu schaffen hat.
({19})
Was Nord-Süd angeht, verehrte Kollegen, - ({20})
- Ich bin jetzt mit diesem Punkt durch; wir können ja darauf noch einmal zurückkommen, Herr Barzel.
({21})
- Aber natürlich. ({22})
- Natürlich habe ich sie beantwortet. Vielleicht haben Sie die Güte, sich noch einmal anzuschauen, was
im letzten Satz des Brüsseler Beschlusses vom Dezember 1979 steht.
({23})
Aber ich komme jetzt zum zweiten Teil meiner Bemerkungen und sage, daß es in unserem Land leider weiterhin ein großes Defizit gibt. Über Cancún ist in diesem Parlament bisher nicht diskutiert worden. Das englische Unterhaus hatte darüber eine ganztätige Debatte, kaum daß Frau Thatcher und Lord Carrington wieder nach Hause gekommen waren. Man könnte sagen - wenn das Wortspiel nicht mißverstanden wird -, entwicklungspolitisches Denken in der Bundesrepublik Deutschland ist unterentwikkelt. Man hat hierzulande immer noch nicht verstanden, welche friedenspolitische Dimension für uns alle in diesem Thema steckt.
({24})
Dabei haben wir doch in diesem Jahr wieder miterleben müssen, wie sich allerorten in der Dritten Welt explosive Konflikte zusammenbrauen und austoben oder sich auszutoben drohen, ob wir nun an den Nahen Osten, an Afrika, Südostasien oder an Mittelamerika denken. Natürlich, Herr Kohl, ist es richtig, daß wir, ob wir nun zur Opposition in diesem Haus oder zu der die Regierung tragenden Mehrheit gehören, Afghanistan nicht aus dem Blick verlieren.
({25})
Der eine und andere von uns hat nicht nur in Bonn, sondern - so der englische Außenminister - dort, wo die sowjetische Regierung sitzt, über die Bedingungen gesprochen, auf die es ankommt: die Bedingungen einer künftigen Blockfreiheit jenes Landes, die Fragen der Sicherheit an den Grenzen, die Frage, unter welchen Bedingungen die Flüchtlinge ungefährdet in ihre Heimat zurückkehren können. In dieser Hinsicht bleibt, glaube ich, eine Menge auch aus deutscher Sicht zu tun.
Aber dem, worum es hier geht, ist - wenn ich das aus meiner Sicht so sagen darf - natürlich nicht beizukommen, wenn man es sich so leicht macht wie der bayerische Ministerpräsident in seiner Verdammung der SWAPO,
({26})
also der Organisation derer, die sich in erster Linie für die Unabhängigkeit ihres Landes Namibia einsetzen.
({27})
Herr Strauß sagt in seiner Äußerung dazu, bei der SWAPO handele es sich um eine streng marxistische moskauhörige Terrororganisation.
({28})
- Ja, nun gibt es auch einige, die klatschen. Ich sage,
verehrte Kollegen: Mit dieser Sprache und auf diese
Weise ist schon manche mögliche Partnerschaft nach der Dritten Welt hin kaputtgemacht worden.
({29})
Ich verstehe, daß man mit den einschlägigen simplifizierenden, manchmal auch spießerhaften Kraftausdrücken mancherorts Beifall finden kann. Aber was das mit deutschen und westlichen Interessen zu tun haben soll, begreife ich nicht. Das begreife ich wirklich nicht.
({30})
Aber ich wollte ein paar Worte zur Bewertung des Gipfeltreffens von Cancún sagen, des ersten Gipfeltreffens jedenfalls eines großen Teils derer, die an der Spitze von Staaten der industrialisierten Welt und von Entwicklungsländern stehen. Das Ergebnis von Cancún ist ein typisches Beispiel dafür, ob man ein halbvolles Glas halb voll oder halb leer nennen will. Nach allem, was mir solche gesagt haben, zum Teil Mitglieder meiner Kommission, die ja ein solches Treffen angeregt hatte, war der Dialog offensichtlich gerade für die Damen und Herren aus den Entwicklungsländern von allergrößter Bedeutung. Sie haben sich noch nie in einem bilateralen Gespräch mit wichtigen Vertretern der westlichen Welt so artikulieren und über den Tisch hinweg einander ansprechen und dadurch Klarheit gewinnen können, und zwar so, daß - was j a keine Kleinigkeit ist - zu einem wichtigen Punkt der amerikanische Präsident plötzlich zum Präsidenten von Tansania sagen konnte: Ich verstehe, daß wir in der Frage der Investitionen gar nicht so weit auseinander sind, wie ich es meinen Papieren entnommen hatte. - Aber das ist nicht der Punkt.
Der Punkt ist, daß die, die dort teilnahmen, sich im Prinzip alle dafür ausgesprochen haben, daß 1982 in New York oder wo auch immer endlich die globalen Verhandlungen im Rahmen der UN in Gang kommen.
({31})
Das muß geschehen, ohne etwas von der Verantwortung zu nehmen, die bei jenen Organen liegt, die sich um sie zu kümmern haben - der IWF etc. -, die aber ihrerseits auf manchen Gebieten der Reform bedürfen.
Zweitens ist klarer als bei mancher früheren Gelegenheit geworden, daß im Kampf gegen den Hunger in der Welt die erste Priorität bei der Förderung der Landwirtschaft liegen muß - in all den Ländern, in denen es dafür Voraussetzungen gibt -. Es bleibt ja leider für lange Zeit auch notwendig, bei Katastrophen zu helfen. Aber die eigentliche Antwort - deshalb kommt dem die erste Priorität zu - muß die Förderung der Landwirtschaft sein. Hier muß auch die EG aufpassen, daß sie nicht einen falschen Kurs verfolgt.
Drittens. Über einen vom mexikanischen Präsidenten angeregten Energie-Dialog hinaus haben sich dort fast alle auf die Schaffung von etwas verständigt, was man eine Energiebank nennen dürfte, nämlich eine Finanzierungsinstitution - wie eng auch immer mit der Weltbank verbunden -, die über Mittel verfügen würde, die ganz arme Länder,
die dazu nicht die Möglichkeit haben, in die Lage versetzen würden, bei ihnen vorhandene Entwicklungsvorhaben ausfindig zu machen und dann zu entwickeln. Das ist eine gewaltige Sache für diese Länder, für den internationalen Energiemarkt, wenn es uns gelingt.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik sollte jetzt daran anknüpfen und ihrerseits, ohne sich zu übernehmen, im Rahmen der Vereinten Nationen initiativ werden. Das würde, wenn es zu den Vereinten Nationen kommt, zwangsläufig dazu führen, daß auch die osteuropäischen Staaten und die Sowjetunion dabei sind, so wie China schon in Cancún dabei war. Jedenfalls wird es keinen oder kaum Streit darüber geben, daß das Ausmaß der Probleme wächst, mit denen die Länder heutzutage unabhängig von ihrer politischen oder gesellschaftlichen Ordnung, auch unabhängig von ihrer Blockzugehörigkeit fertig werden müssen.
Von der Energie bis zur Ökologie, vom Eindämmen der Bevölkerungsexplosion bis zur Überwindung des Welthungers, von der wirksamen Rüstungsbegrenzung bis zur Umsetzung von Arbeitsplätzen, von der Mikroelektronik bis hin zu neuen wissenschaftlichen Optionen, die sich erst in Umrissen andeuten, gibt es mittlerweile Themen, die sich den Staaten unabhängig von ihrer politischen und gesellschaftlichen Struktur stellen.
Oder auch aktueller und begrenzter: Treffen uns in Europa nicht gemeinsam die Folgen der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Rezession - wenn es nicht schon mehr ist, als in dem Ausdruck Rezession zum Ausdruck kommt -, wiederum unabhängig vom Status unserer Länder, treffen sie uns nicht schon wesentlich mehr, als es irgendeinem von uns lieb sein kann? Aus der Globalisierung wichtiger Probleme - ich habe das eben nur angerissen - folgt die steigende Interdependenz, die steigende gegenseitige Abhängigkeit der betroffenen Länder und Völker. Diese Probleme sind ihrem Kern nach gleich oder verwandt und betreffen jedenfalls alle Weltregionen.
Ein Gefahrenpotential, das sich in einer Region aufbaut, sei es ein militärisches, sei es ein wirtschaftliches durch Inflation und Unterbeschäftigung, durch Umweltverseuchung oder Ressourcenvergeudung, sei es ein soziales durch Hunger oder exorbitante Bevölkerungszunahme, läßt auf die Dauer andere Regionen nicht unberührt. Jedenfalls erreichen die objektive Bedrohung und Verarmung - das sage ich jetzt bewußt - durch das internationale Wettrüsten heute ausnahmslos sämtliche Weltgegenden direkt und indirekt. Ich füge hinzu: Ich müßte mich doch sehr wundern, wenn diejenigen unrecht hätten, die vermuten, daß eine Rüstungslast des heutigen Ausmaßes mit über 550 Milliarden Dollar in diesem Jahr, 1981, auch etwas mit Arbeitslosigkeit in der Welt zu tun habe.
({32})
Die ökologischen Wechselwirkungen - wem sage ich es hier! - werden zunehmend global, und der Hunger in den Armutsgürteln Afrikas und Asiens wird die satten Teile des Planeten nicht dauerhaft
unbeeinträchtigt lassen. Wo millionenfacher Hunger herrscht, kann der Frieden auch schon aus diesem Grunde nicht als gesichert gelten.
({33})
Es ist j a eher unwahrscheinlich, verehrte Kollegen, daß Millionen Menschen auf die Dauer stehend sterben werden.
Interdependenz erzeugende Probleme erfordern gemeinsame Lösungen. Ich halte es für wichtig, wie man von mir weiß, die Nord-Süd-Politik auch unter dem Gesichtspunkt dessen zu betrachten, was unsere wirtschaftlichen Interessen gebieten. Ich sage hier nicht zum ersten Mal, daß es auch in unserem Interesse liegt, wenn wir neue Märkte entwickeln helfen, natürlich nicht nach den Methoden eines veralteten ökonomischen Kolonialismus, sondern so, daß Gleichberechtigung, gegenseitiger Nutzen und Partnerschaft ernst genommen werden. Die drei Begriffe, die ich eben erwähnte, stehen übrigens auch mit in dem Kommuniqué vom Mittwoch vergangener Woche; also wird auch dieses Thema eine Rolle gespielt haben.
Lassen Sie mich gerade auch nach mancher nur zum Teil verständlichen Kritik des Führers der Opposition sagen: Unsere Politik, die Politik, die wir getragen haben und weiter tragen, hilft - ganz nüchtern gesehen - auch Arbeitsplätze und unsere Energieversorgung sichern. Das Erdgas-RöhrenGeschäft hilft unserer Industrie und sichert Arbeitsplätze auf Jahre hinaus.
({34})
Unsere Energieversorgung wird - ebenso wie die in Nachbarländern - unabhängiger von Entwicklungen in unruhigeren Teilen der Welt. Der weltwirtschaftliche Austausch zwischen Ost und West wie zwischen Nord und Süd ist gleichzeitig in sich selbst ein wichtiger, ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Sicherung des Friedens.
Ich komme zu Europa, meine Damen und Herren, und stelle zunächst einmal einen tiefen Widerspruch fest. Einerseits wächst die Bedeutung Europas wieder, wie wir beim Einfluß auf die Weltmächte - bis es zu Genf kam - gesehen haben und wie man auch an Sinai und ich weiß nicht wo sonst vielleicht ablesen kann, wenn man will und wenn es schon soweit ist. Es wächst auch das Bedürfnis der Bürger nach einer schärfer konturierten, selbstbewußter vertretenen europäischen Identität. In der Tat, im Feilschen um Quoten und Prozente verschwimmt nur zu leicht die historische Dimension des Prozesses der europäischen Einigung. Da bin ich im Ansatz gar nicht weit von Helmut Kohl entfernt. Ob wir in jeder daraus zu ziehenden Folgerung übereinstimmen, ist dann die nächste Frage.
Nur zu oft wird mit bequemen Schuldzuweisungen von Unzulänglichkeiten abgelenkt, die die Regierungen und Verwaltungen in ihrem Verhältnis zur Gemeinschaft zu verantworten haben. Nichts wäre jetzt mehr geboten, als die Möglichkeiten der Gemeinschaft zu nutzen, um der weltwirtschaftlichen Krise entgegenzuwirken. Hier ist nicht viel aufzuweisen. Mancher ist schon so bescheiden geworden,
daß er es für einen Erfolg hält, wenn die Gemeinschaft die Erschütterungen der gegenwärtigen Zeit überhaupt überlebt.
Nun kann meiner Meinung nach kein vernünftiger Europäer etwas dagegen haben, daß die politische Zusammenarbeit unserer Regierungen verbessert wird und daß die communautairen, die gemeinschaftlichen, also die sich aus Gemeinschaftsrecht ableitenden Aufgaben mit den intergouvernementalen, mit den zwischenstaatlichen Aktivitäten noch besser verzahnt werden.
Der Bundesaußenminister und sein italienischer Amtskollege haben kürzlich vor dem Parlament in Straßburg erläutert, wie die politische Zusammenarbeit der Regierungen der Europäischen Gemeinschaft verbessert werden könnte. Ich habe meinerseits in Straßburg im Namen der sozialistischen Fraktion erklärt, was ich hier unterstreichen will: Wir sind für das, was man „Europäische Politische Union" nennt, aber ich weise darauf hin, daß sich Schwächen in der Substanz natürlich nicht durch politische Verzierungen kompensieren lassen.
({35})
Ein neues Etikett bringt nichts, wenn es nicht durch einen neuen Inhalt legitimiert ist.
({36})
Der erklärte Wille zur Fortentwicklung der Gemeinschaft, wie er auch in Anregungen der französischen Regierung zum Ausdruck kommt, muß zum einen in der Bereitschaft der Gemeinschaftsstaaten, d. h. ihrer Regierungen, seinen Niederschlag finden, die Zuständigkeiten und Mitwirkungsrechte des direkt gewählten Europäischen Parlaments auszuweiten.
({37})
Ich sage nach ein bißchen Erfahrung: Entweder man muß den Verein wieder abschaffen - was man aber nicht tut -, oder man muß rechtfertigen, daß man dort mit dem großen Aufwand einer direkten Wahl die Vertreter aus allen Gemeinschaftsstaaten zusammenführt.
({38})
Zum anderen und vor allem muß der erklärte Wille zur Fortentwicklung, wie ich sage, in den konkreten Verhandlungen sichtbar werden. Wichtiger Prüfstein werden die Beratungsergebnisse sein, welche die Kommission der Gemeinschaft in Ausfüllung des hier erwähnten Mandats vom 30. Mai 1980 unterbreitet hat.
Tatsächlich - geben wir es zu - befindet sich die Europäische Gemeinschaft in einer Dauerkrise, die es den Menschen bei uns und anderswo schwermacht, sich ihr europäisches Engagement zu bewahren. In einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit und großer Strukturkrisen können wir uns zum Beispiel mit gefährlichen Auswüchsen im Agrarbereich nicht mehr lange abfinden, wenn nicht jede Glaubwürdigkeit verlorengehen soll.
Es ist mein nachdrücklicher Wunsch und sicher der meiner Fraktion, daß die Außenminister den Auftrag vom Londoner Gipfel so rasch wie möglich erfüllen; denn die Europäische Gemeinschaft muß so bald wie möglich auf gesündere materielle Grundlagen gestellt werden.
({39})
Ich sage hier jetzt einmal etwas ungeschützt - an einem Punkt habe ich es schon anklingen lassen -: Man muß bereit sein, über die Institutionen neu nachzudenken,
({40})
sosehr ich weiß, was alles ins Rutschen kommt, wenn man über den Vertrag spricht. Aber so, wie es heute aussieht, habe ich Grund genug, zu sagen: Wenn es nicht anders geht, soll man wenigstens zugeben, daß man mit dem bisherigen Ansatz in der Sackgasse gelandet ist, um zu sehen, wie man aus ihr wieder herauskommt.
({41})
Das hätte nämlich Jean Monnet, der zitiert wurde, sicher zu diesem Thema einzuführen gehabt.
Verehrte Kollegen, da von europäischer Identität, auf den Kontinent insgesamt bezogen, die Rede ist, will ich sagen: Die Polen als eines der großen europäischen Kulturvölker müssen die Chance haben und behalten, ihre eigenen Dinge in eigener Verantwortung zu regeln.
({42})
Wir wissen, daß die tragenden Kräfte der Volksrepublik Polen, die um ein neues gesellschaftliches Gleichgewicht ringen,
({43})
nicht daran denken, sich aus dem Bündnissystem zu lösen, in das sie einbezogen sind. Wir denken j a im übrigen auch nicht daran.
({44})
Eine bessere europäische Zukunft ergibt sich nicht aus Brüchigkeiten innerhalb der bestehenden Allianzen, sondern durch friedenssichernde Regelungen zwischen diesen und eines Tages vielleicht über sie hinaus.
({45})
Verbundenheit mit den Polen, meine verehrten Kollegen, ist nur eine solche, verdient diese Bezeichnung nur, wenn sie erkennt und respektiert, daß die Polen ihre Zukunft selber finden wollen und müssen - wollen und müssen! - und, wie ich hoffe, werden.
({46})
Eine Bemerkung, die auch noch zu dieser Debatte gehört: In diesen Tagen hat mit Baden-Württemberg das dritte unionsregierte Bundesland seinen Aus4074
tritt aus der Deutschen Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung erklärt.
({47})
Ich finde es beklemmend, daß die Union ausgerechnet in der gegenwärtigen Situation, in der die Friedensdiskussion in unserem Land besonders intensiv weitergeführt werden wird, die Förderung der Friedensforschung aufkündigt,
({48})
und zwar zu einem Zeitpunkt, wo Beiträge der Friedensforschung zu Alternativen der Friedenssicherung besonders wichtig sind.
({49})
- Ich möchte erst meine Argumentation zu diesem Punkt abschließen. Ich sage ({50})
ich hoffe, daß ich für die Kollegen der Freien Demokraten mitsprechen kann -: Die sozialliberale Koalition stellt sich diesem Druck der CDU/CSU entgegen.
({51}) Wir wollen keine Chance
({52})
- ich bin immer noch nicht mit dem Punkt zu Ende - ungenutzt lassen, um den Erkenntnisstand im Bereich von Frieden und Sicherheit zu verbessern und zum Gegenstand weiterer öffentlicher Debatten zu machen. Die Deutsche Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung muß ihre bewährte Arbeit fortsetzen können. Das sind wir auch dem Mann schuldig, der hier im Jahre 1969 als gewählter Bundespräsident gestanden und die Bildung dieser Gesellschaft angeregt hat; ich meine Gustav Heinemann.
({53})
Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte.
Herr Kollege Brandt, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die drei genannten CDU/CSU-geführten Länder diese Mittel der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung entzogen haben, um sie für Zwecke der Friedensforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung zu stellen?
({0})
War das eine Frage?
({0})
- Das ändert nichts an meiner Kritik. Jeder von uns kann sich nicht immer seinen eigenen Spielplatz aussuchen, wenn wir für diese Bundesrepublik und für die Sicherung des Friedens dieser Republik gemeinsam Verantwortung tragen.
({1})
Und, Herr Kollege Mertes, ich füge dann hinzu: Regelmäßige Reisen in welche Hauptstadt immer sind auch kein zureichender Ausgleich im Verhältnis zu dem, was uns an Konzeptionen abverlangt wird. Mitarbeit an der Formulierung einer europäischen Friedenspolitik wiegt mehr und ist mehr, Herr Kollege Mertes, als das Nachsagen von Modeerscheinungen in anderen Hauptstädten, die, wie man sieht, außerdem einem raschen Wechsel unterliegen können.
({2})
Zu humanitären Fragen steht im Kommuniqué vom letzten Mittwoch nur ein knapper Satz. Sie kennen ihn.
Beide Seiten ... erklärten ihre Absicht, diese Fragen in wohlwollendem Geist zu lösen.
({3})
Ich weiß - und ich weiß, wovon ich rede -, daß hier jedes Wort zuviel für die betroffenen Menschen ein Zuwenig sein kann. So ist die Welt nun mal. Deshalb habe ich übrigens selbst mehr als einmal in Kauf genommen, getadelt zu werden - weil es mir wichtiger ist, Menschen zu helfen, als Dinge an die große Glocke zu hängen.
({4})
Davon abgesehen möchte ich im Parlament der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich zu dem, was uns in bezug auf Menschen deutscher Herkunft in der Sowjetunion bekümmert, mit allem Bedacht sagen, als wie bedrückend ich es empfinde, daß Männer wie Sacharow, Orlow, Schtscharanskij ein so schweres Schicksal zu erleiden haben, und daß es mich zutiefst freuen würde, wenn das, was unsereins dazu denkt und sagt, ihnen helfen könnte.
({5})
Zum bevorstehenden Treffen zwischen unserem Bundeskanzler und dem Staatsratsvorsitzenden der DDR will ich heute für die deutschen Sozialdemokraten nur dies sagen: Wir begrüßen diese Begegnung. Wir hoffen, daß sie Fortschritte mit sich bringt, was die Regelung praktischer Fragen zwischen den beiden Staaten auf deutschem Boden angeht und für die Menschen hüben und drüben. Wir hoffen darüber hinaus, daß die Verantwortung, die mit nichts anderem zu vergleichende Verantwortung, deutlich wird, die die politisch nun einmal Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten unabhängig von allen Unterschiedlichkeiten tragen, wo es um Fragen der europäischen Sicherheit, europäische Friedenspolitik als Orientierungspunkt und darum geht, wie die Deutschen nachbarschaftlich eben letzten Endes doch für den Frieden arbeiten können, den Frieden und eine Zusammenarbeit, die dem Wohl der Menschen und der Völker dienen.
Herr Bundeskanzler, ich und die deutschen Sozialdemokraten wünschen Ihnen für diese schwierigen Monate jeden möglichen Erfolg.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Deutschen Bundestag möchte zunächst dem Herrn Bundeskanzler für die überzeugende Darlegung des großen Engagements bei einer Politik der Friedenssicherung, die diese Bundesregierung vertritt, herzlich danken und ihm ihre Anerkennung aussprechen.
({0})
Diese Anerkennung gilt nicht nur der Entschiedenheit und der überzeugenden Position, die Bundeskanzler und Bundesaußenminister bei den Gesprächen mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef gezeigt haben, sondern gleichermaßen der damit verbundenen Bereitschaft zum Dialog. Dieses Gefühl der Anerkennung ist im übrigen, wie wir wissen, nicht auf die Koalition beschränkt, sondern sie findet Widerhall in breitesten Kreisen unserer Bevölkerung. Wenn ich die Rede des Oppositionsführers in diesem Punkt auf ihren sachlichen Kern reduziere, kann ich feststellen, daß auch die Opposition in dieser Frage die Position der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt; wir begrüßen das.
Mit Erleichterung sehen wir alle hier im Parlament und ganz sicher auch die übergroße Mehrzahl aller Bürger, daß als e i n Ergebnis des Engagements der Dialog der beiden Supermächte in dem so wichtigen Bereich der Rüstungskontrolle auch praktisch wieder in Gang gekommen ist. Wir hoffen aus ganzem Herzen, daß diese Gespräche zur sogenannten Null-Lösung, also zum vollständigen Verzicht beider Seiten auf alle Mittelstreckenwaffen, führen werden. Dies wäre dann sicherlich ebenfalls ein Impuls für positive Ergebnisse auch in anderen Bereichen der Abrüstungsverhandlungen.
({1})
Wir brauchen einen solchen Impuls, wir brauchen ein solches Wiederaufleben des Dialogs in allen Bereichen, wenn wir den Frieden sicherer machen und unsere Bürger davon überzeugen wollen, daß er noch sicherer gemacht werden kann.
Dieser geduldige, fortwährende Dialog über Blockgrenzen hinweg auch und gerade in Krisensituationen ist ein unabweisbar notwendiges Instrument einer Politik, Sicherheit auch durch Zusammenarbeit zu erreichen. Dabei sind uns natürlich die unterschiedlichen Prämissen im Blick auf die beiden Blöcke voll bewußt. Aber es gibt - im Wissen um diese Unterschiede, im Wissen um die Antagonismen - zu dem Versuch, dennoch schrittweise eine Überwindung der Krisen anzustreben, keine praktische Alternative.
Herr Dr. Kohl, die Frage, die ich - wie auch der Bundeskanzler - erneut an Sie richten möchte, ist: Neben der kritischen Würdigung der Position manches Kollegen dieses Hauses haben Sie in keinem einzelnen Punkt dargestellt, wie Sie sich in der praktischen Politik, die diese Koalition betreibt, eine praktische Alternative vorstellen.
({2})
- Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört; ich habe nichts von einer praktischen Alternative gehört. - Fraktion und Bundesvorstand der FDP - auch das an Ihre Adresse, da Sie glaubten, hier einen Zwiespalt in meiner Partei entdecken zu können - stehen geschlossen hinter der Politik, die ja entscheidend vom Bundesaußenminister mitformuliert wird.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im übrigen möchte ich mich aber in einem Punkt dem anschließen, was der Kollege Brandt an dieser Stelle schon gesagt hat. Wir können es nicht schaffen, die kritischen Diskussionen, insbesondere mit unserer Jugend, zu bestehen, wenn wir einem Geschlossenheitsfetischismus sozusagen als Selbstzweck anhängen, wenn wir jede abweichende Meinung a priori in eine bestimmte Ecke drängen wollen.
({4})
Wir können es uns auch nicht leisten, wenn wir die Realität in unseren Parteien ansehen, die j a von der kritischen Diskussion bestimmt ist - hier ist mit Recht nicht nur auf die bemerkenswerte Rede Kurt Biedenkopfs und auf die Äußerung von Heiner Geißler hingewiesen worden, ich weiß aus zahllosen Diskussionen mit anderen Kollegen, daß all die Fragen, die hier im Streit sind, auch bei Ihnen kritisch diskutiert werden -, diese Diskussion nicht offen zu führen, wenn wir überzeugen wollen.
Von welchen Prinzipien gehen wir aus, wenn wir eine Politik der Friedenssicherung betreiben wollen, die das Notwendige für die eigene Sicherheit tut, aber Sicherheit nicht rein militärisch definiert, sondern auch versucht, Komponenten der Zusammenarbeit über Blockgrenzen hinweg hinzuzufügen. Diese Prinzipien hat der Bundesaußenminister bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen wie folgt formuliert:
Erstens. Gewaltverzicht, d. h. Verzicht auf die Anwendung und auf die Androhung von Gewalt; alle Konflikte müssen friedlich gelöst werden.
Zweitens. Kein Streben nach Vorherrschaft, keine Einmischung in die inneren Angelgenheiten anderer Länder, Respektierung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker.
Drittens. Verantwortliches Handeln im Bewußtsein der globalen gegenseitigen Abhängigkeit, Mäßigung und Zurückhaltung bei der Durchsetzung eigener Interessen.
Viertens. Bereitschaft zum Dialog, zur Verhandlung und zur Zusammenarbeit.
Fünftens. Kein Streben nach Übergewicht, Wille zum Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau der Rüstungen, aktive Friedenssicherung durch Zusammenarbeit in Fragen der internationalen Sicherheit und insbesondere der Rüstungskontrolle und Abrüstung.
Sechstens. Überwindung des Nord-Süd-Gegensatzes als Politik weltweiter Partnerschaft und Friedenssicherung.
An diesen Prinzipien muß sich unsere konkrete Verhaltensweise in den Bereichen, die hier erörtert werden, messen lassen, - nicht nur unsere Verhaltensweise, sondern auch die aller Seiten, die sich an diesem Dialog beteiligen wollen.
({5})
- Nein, Herr Dr. Mertes, natürlich gibt es über diese Frage - ich hoffe - keinen Streit. Ich stehe ja auch nicht hier, um mich nur mit Ihnen zu streiten, sondern um die Positionen der Fraktion der FDP zu verdeutlichen.
Bei der Diskussion über die jetzt in Genf begonnenen Verhandlungen über das Thema „Mittelstrekkenwaffen" heißt die konsequente Anwendung dieser Prinzipien, daß wir für die Verwirklichung der Null-Lösung eintreten,
({6})
daß wir das Kräftegleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau erreichen wollen, im Idealfall also durch vollständigen Verzicht beider Seiten auf alle Mittelstreckenwaffen. Eine der Prämissen zur Erreichung dieses Ziels ist sicherlich die Klarheit des Standpunkts, die vom Bundeskanzler und vom Bundesaußenminister bei den Gesprächen gezeigt wurde, als sie deutlich machten, daß ein Verhandlungsergebnis dieser Art die Voraussetzung dafür ist, daß auch auf der westlichen Seite weiterhin, so muß man sagen, auf die Aufstellung von Mittelstreckenwaffen verzichtet wird. Diese Klarheit sollten wir beibehalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte.
Herr Kollege Möllemann, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die CDU/CSU die Null-Lösung, wie Präsident Reagan sie formulierte, wie die Bundesregierung sie formuliert, von uns geteilt wird, daß wir jedoch die ganz andersgeartete Null-Lösungs-Formulierung des Kollegen Willy Brandt nicht teilen können, sondern für eine Schwächung unserer westlichen Position halten?
({0})
Also, zur Kenntnis nehmen tue ich alles, was Sie hier sagen. Zur Kenntnis genommen habe ich allerdings zuallererst, daß der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union, Herr Dr. Strauß, der j a wohl gleich nach mir sprechen wird, diese Null-Lösung als „dummes Zeug" bezeichnet hat. Da ich nicht annehme, daß Herr Strauß damit selbst dummes Zeug reden, sondern die Position der CSU verdeutlichen wollte, scheint mir die Darbietung Ihrer Position hier nicht ganz überzeugend zu sein.
({0})
- Ihr Engagement bei diesem Thema scheint von besonderer Erntshaftigkeit gekennzeichnet zu sein. Uns ist es bei diesem Thema sehr ernst, und ich glaube, den Menschen draußen ist es bei diesem Thema ebenfalls sehr ernst. Wir jedenfalls drängen mit ganzem Engagement und unterstützen alle, die mit uns für eine solche Null-Lösung ringen wollen.
Wir wissen, daß einer der Gründe, warum es so schwer ist, diese Lösung zu erreichen, daß wechselseitig bestehende Mißtrauen zwischen den beiden Blöcken ist. Von daher setzen wir unsere ganze Hoffnung darauf, daß es gelingt, bei der KSZE-Folgekonferenz in Madrid tatsächlich Übereinstimmung für eine Konferenz über Abrüstung in Europa zu erzielen, die zuallererst vertrauensbildende Maßnahmen beschließen soll. Es ist doch so, daß auf unserer Seite eine große Skepsis gegenüber den möglichen Optionen und Verhaltensweisen des Warschauer Paktes besteht; aber ebenso ist auf der anderen Seite Mißtrauen vorhanden. Deswegen wollen wir mit allem Nachdruck Vertrauensbildung.
Wer Rüstungskontrolle und Abrüstung wirklich und engagiert will, muß dabei vier Grundsätze verfolgen und anwenden.
Der erste ist der Grundsatz der Ausgewogenheit, also der Verzicht auf Überlegenheit der einen oder anderen Seite, die Bereitschaft, Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau herzustellen.
Der zweite ist der Grundsatz der Offenheit, Transparenz der militärischen Zahlen. Von daher erneuern wir ausdrücklich die Initiative, die Forderung des Bundesaußenministers, alle Staaten sollten bei der UNO in das dort vorhandene Register ihre Zahlen eintragen und deutlich machen, was sie konkret für ihre Verteidigung, für die Rüstung tun, damit Vergleichbarkeit hergestellt wird.
({1})
Bislang haben sich erst 18 Nationen hier eingetragen, kennzeichnenderweise und auch bedauerlicherweise bisher noch keine Nation aus dem Warschauer Pakt. Diese Forderung ist an alle Staaten gerichtet.
Drittens muß das Prinzip der Nachprüfbarkeit beachtet werden. Es ist keiner Macht unzumutbar, wie ich es von dem einen oder anderen Diskussionsredner gehört habe, getroffene Vereinbarungen im Blick auf deren Umsetzung wirklich auch nachprüfen zu lassen. Es nützt nämlich nichts, und es zerstört Vertrauen, wenn man nur Abrüstungsvereinbarungen anstrebt oder sie gar trifft und dann nicht auch jeweils der anderen Seite genehmigt, daß deren Umsetzung kontrolliert wird. Hier gehört ein
bißchen mehr Offenheit von beiden Seiten mit zum Ergebnis solcher Vereinbarungen.
({2})
Vertrauensbildung - viertens - kann durch diese einzelnen Schritte und natürlich auch dadurch erreicht werden, daß der bescheidene Umfang an vertrauensbildenden Maßnahmen, der schon in der KSZE-Schlußakte enthalten ist, auch tatsächlich umgesetzt wird. Deswegen appellieren wir an alle Unterzeichnerstaaten, die in der KSZE-Schlußakte enthaltenen vertrauensbildenden Maßnahmen, etwa die Pflicht, militärische Großübungen anzuzeigen und Beobachter einzuladen, auch zu verifizieren.
Neben dieser Vertrauensbildung, wahrscheinlich eine Prämisse für konkrete Ergebnisse bei den international laufenden Rüstungskontrollverhandlungen, wollen wir aber auch bei diesen Verhandlungen selbst wieder Bewegung sehen. Wir empfinden es als bedrückend, daß der SALT-Prozeß zum Stehen gekommen ist, und wir sehen nicht nur mit großer Zuversicht, sondern auch mit Forderungen dem Zeitpunkt entgegen, wo der Dialog auch über die Begrenzung und Reduzierung strategischer Waffen wieder in Gang kommt. Wir möchten unseren eigenen Beitrag dafür leisten, daß bei den MBFR-Verhandlungen Wien, also bei den Gesprächen über eine ausgewogene Reduzierung von Truppen und Rüstungen in Mitteleuropa, wieder Bewegung möglich ist.
Vielleicht, Herr Bundeskanzler, wäre zwar nicht im Blick auf die Substanz von Rüstungskontrollverhandlungen, wohl aber im Blick auf die Kriterien, die Modalitäten eine deutsch-deutsche Kooperation möglich, daß man sich zwischen den beiden deutschen Staaten darüber verständigt, nach welchen Kriterien solche Vereinbarungen künftig angestrebt werden sollen. Die Prinzipien, die die Bundesregierung hierzu vor der UNO vorgetragen hat, könnten eine geeignete Basis für eine solche gemeinsame Initiative sein.
Der Bundeskanzler hat in seiner Rede ausdrücklich von dem Phänomen der Angst gesprochen, das zu einem wichtigen Faktor in der politischen Diskussion über diese Fragen geworden ist. Ich teile seine Bewertung im Blick darauf, daß Angst kein guter Ratgeber sein kann, ohne daß hier wohl irgendeiner sagen möchte, er habe noch niemals Angst gehabt.
Aber wir müssen uns auch fragen, was wir denn politisch tun können, um die bestehende Angst zu überwinden, wie sie im Blick auf dieses Thema entstanden sein kann. Ich kann nur unterstreichen: Wir, alle Fraktionen dieses Hauses, haben über lange Jahre die sicherheitspolitische Diskussion eben nicht engagiert und gemeinsam und offensiv nach außen geführt, sondern das wurde in aller Regel den Sicherheitsexperten der Fraktionen überlassen, die ich natürlich nicht kritisieren will, die das aber allein nicht bewältigen können. Hier müssen tatsächlich die Fraktionen gemeinsam die definierten Prinzipien offensiv vertreten.
Eine solche Offensive der Argumente im Blick auf unsere Verteidigungsstrategie muß zweierlei deutlich machen. Erstens. Unser Verteidigungsbündnis, die NATO, ist ein ausschließlich auf Verteidigung gerichtetes Bündnis. Die militärischen Machtmittel der NATO können ausschließlich dann eingesetzt werden, wenn irgendein Aggressor uns angreift. Es gibt in dieser NATO niemanden, keinen Staat, der die vorhandenen militärischen Machtmittel nutzen will, um andere Staaten zu bedrohen.
Dieses Argument halte ich deswegen für so wichtig, weil gelegentlich bei Debatten der Eindruck erweckt wird, als handele es sich bei der NATO und dem Warschauer Pakt um zwei quasi gleichgeartete Systeme, die auf ähnliche Prinzipien verpflichtet seien. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Unser Bündnissystem ist ausschließlich auf die Verteidigung festgelegt. Es gibt den Einsatz militärischer Machtmittel zu keinem anderen Zweck.
In dem zweiten Punkt, der im Streit ist, liegt die Herausforderung, die wir bis jetzt in der Argumentation bezüglich der Begründung der Rolle von Atomwaffen in unserem Verteidigungskonzept nicht bewältigt haben. Herr Dr. Kohl sagte, die CDU habe auf ihrem Parteitag mit Kurt Biedenkopf und anderen, die seine Position verfechten, diskutiert. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß die Diskussion um diese Frage schon ausgestanden ist.
In zahllosen Diskussionen, die wir alle draußen führen, merke ich, daß gegenüber der Rolle der Nuklearwaffen nach wie vor erhebliche Skepsis besteht. Ich denke, man kann das nicht überwinden, wenn man nicht klar Position bezieht.
({3})
Der Bundeskanzler hat das getan, indem er drei Alternativen für mögliche strategische Optionen dargestellt und als die uns eigene strategische Alternative die dritte der vorgeschlagenen Alternativen genannt hat. Dieses Konzept der Friedenssicherung im militärischen Bereich durch Abschreckung, baut aber darauf, daß es die Nuklearwaffen gibt.
Ich weiß, daß die These, wie sie etwa von Heinz-Oskar Vetter vertreten wird, man müsse zu einem Zustand kommen, in dem weltweit alle Atomwaffen geächtet werden, viel Sympathie findet. Ich habe aber die Sorge, daß die Beibehaltung konventioneller Potentiale - und wer glaubt schon, daß wir auf dieser Welt demnächst keine Armeen mehr haben? - und die gleichzeitige Abschaffung der Atomwaffen in Wahrheit genau das herbeiführen wird, was man vermeiden will, nämlich daß Kriege in den Köpfen der Menschen wieder als führbar, weil mit einem begrenzten Schaden zu Ende zu bringen, angesehen werden.
Unser Hauptziel aber muß es sein, nicht darüber nachzudenken, wie man einen Krieg am besten führen kann, sondern wie man ihn weiterhin vermeiden kann. Dabei spielen diese Systeme eine wichtige Rolle.
({4})
Ich stimme dem Bundeskanzler ausdrücklich zu, daß dennoch die Einbeziehung solch verheerender Systeme in ein Verteidigungskonzept der NATO nur akzeptiert werden kann, wenn gleichzeitig alle Anstrengungen unternommen werden, um diese Systeme vom Volumen her einzugrenzen und durch ein Geflecht internationaler Vereinbarungen Sorge dafür zu tragen, daß durch Verteidigung und Zusammenarbeit ihr Einsatz so unwahrscheinlich wie eben möglich wird. Nur wer sich engagiert und leidenschaftlich für Rüstungskontrolle einsetzt, wird unserer Bevölkerung plausibel machen können, daß unser Verteidigungskonzept seine Berechtigung hat. Von daher brauchen wir nicht nur eine Offensive der Argumente für unsere Verteidigung, sondern auch für die Notwendigkeit und Konzeption unserer Rüstungskontrollpolitik.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal einen Gedanken aufnehmen, der schon bei der Debatte über die Große Anfrage der Union in der letzten Woche eine Rolle gespielt hat, wo wir aber nach wie vor noch nicht zu einem Ergebnis gekommen sind. Wir fragen uns - das gilt insbesondere dann, wenn wir in Schulen oder in sonstigen Versammlungen mit jungen Menschen diskutieren -, auf welche Weise wir das große Engagement durch ein entsprechendes großes Wissen auch über die Zusammenhänge ergänzen können. Es muß nach wie vor als unbefriedigend gelten - ich möchte das erneut feststellen -, daß 26 Jahre nach Einführung der Bundeswehr die Kultusminister aller Länder, die Kultusministerkonferenz nicht in der Lage sind, ein verpflichtendes solides Konzept des Unterrichts über die Friedenssicherung zu schaffen, das es ermöglicht, den jungen Menschen in allen Bildungseinrichtungen ein klares Bild über die von uns betriebene Politik zu geben, und zwar auf der Grundlage der Verfassung und der Beschlüsse des Parlaments.
({5})
Niemand in diesem Land - lassen wir doch dieses Schattenboxen - will die Einführung eines Faches Wehrkunde. Das hat seinen Platz in einem anderen System. Wir wollen darlegen, mit welchen Anstrengungen wir den Frieden zu sichern bestrebt sind und welche Instrumente, Verpflichtungen und Rechte die Verfassung dazu enthält. Deshalb appelliere ich noch einmal sehr herzlich an die zuständigen Personen, dieses Defizit endlich abzubauen. Die Politiker allein sind da überfordert; Elternhaus, Schule und Bildungseinrichtungen müssen hier mitwirken, um dieses Defizit zu überwinden.
Zur Europäischen Gemeinschaft ist viel Kritisches und Skeptisches gesagt worden. Bei realistischer Betrachtung der Wirklichkeit kann man eine gewisse Skepsis sicherlich auch niemandem übelnehmen. Aber vielleicht ist es ein kleiner Lichtblick - ich darf darauf hinweisen -, daß gestern auf Grund der Initiative des Bundesaußenministers die WEU eine positive Entscheidung zur europäischen Akte getroffen hat. Wir Liberalen wollen gemeinsam mit Christdemokraten und Sozialdemokraten, die ihr Engagement dafür angekündigt haben, dafür sorgen, daß eine europäische Verfassung ausgearbeitet wird, die dann tatsächlich auch die Instrumente zur Überwindung der Schwierigkeiten bereithält.
Ich glaube allerdings, Herr Kollege Brandt, wir sind uns einig darin, daß die Schaffung neuer Institutionen und Instrumente wahrscheinlich das Wenigste zur Überwindung einer bestimmten Stagnation beitragen wird. Vielmehr muß zuallererst der politische Wille in allen Ländern und Parlamenten deutlich gemacht werden; er muß sich Bahn brechen.
Herr Kollege Brandt und Herr Kollege Kohl, Sie haben darauf hingewiesen, daß sich Friedenssicherung durch Zusammenarbeit nicht nur im engen europäischen Rahmen bzw. begrenzt auf die Region, in der wir leben, konkretisieren kann. Natürlich ist es richtig, anläßlich einer solchen Debatte darauf hinzuweisen, daß die andauernde sowjetische Intervention in Afghanistan nach wie vor und so lange, wie sie fortbesteht, eine schwere Belastung für das friedliche Zusammenleben der Völker darstellt. Wir müssen, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit bewahren, wenn wir Nachfolgetatbestände verhindern und wenn wir den betroffenen Menschen helfen wollen, die Entscheidung von 116 Staaten der UNO, die wir ja mitgetragen haben, immer wieder bekräftigen, mit der der sofortige, vollständige und bedingungslose Abzug aller sowjetischen Truppen aus Afghanistan verlangt wird. Darüber kann es in diesem Parlament überhaupt keinen Zweifel geben.
({6})
Zum Thema Nahost möchte ich ebenfalls einige Bemerkungen machen; denn nach meinem Eindruck ist diese Region viel eher ein Pulverfaß für den Weltfrieden, als es die Situation zwischen Ost und West akut vielleicht ist. Wer die Konzentration auf das Gegensätzliche, die immer wieder neue Betonung negativer Positionen in dieser Region in den letzten Wochen und Monaten beobachtet hat, muß über die Gefahr, die von dieser Region für den Weltfrieden ausgeht, besorgt sein.
Mich hat es betroffen gemacht, mit welcher schroffen Art etwa die Überlegungen der saudischen Regierung für einen Nahost-Friedensplan von verschiedenen Seiten zurückgewiesen worden sind. Sie waren vielleicht nicht optimal, aber beinhalteten doch so viele positive Ansätze für eine friedliche Überwindung des Konflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, daß man sich eine konstruktivere Würdigung von verschiedenen Seiten hätte vorstellen und wünschen mögen.
({7})
Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich bitten, auf der Grundlage der Position der Europäischen Gemeinschaft, der Entschließung von Venedig, nicht nachzulassen bei dem Bemühen, einen Beitrag der EG auch für eine Nahost-Friedensregelung zu erreichen.
Ich möchte einen Gedanken aufnehmen, den der Kollege Brandt hier angesprochen hat, indem er sich
mit einer Äußerung des Herrn Ministerpräsidenten Strauß im Blick auf Südafrika, im Blick auf Namibia, im Blick auf die SWAPO auseinandergesetzt hat. Ich entsinne mich eines Gesprächs, das mein Kollege Dr. Hirsch und ich selbst - ich bin nicht sicher: 1973 oder 1974 - zusammen mit einigen sozialdemokratischen Kollegen mit einer Delegation der FRELIMO hatten, der damaligen Befreiungsbewegung für Mozambique. Die Diktion in der Kritik war eine ähnliche. Damals hieß es: Die Kollegen, die das machen, sind sozusagen Sympathisanten von Terroristen. Dabei wußte jedermann schon damals, daß die hier in Rede stehende Bewegung nach Beendigung des Quasi-Kolonial-Statuts für die Quasi-Kolonie Portugals einen wichtigen politischen Faktor bei der Gestaltung der Politik dieses Landes darstellen würde. Es ist dann einfach notwendig, im Dialog herauszufinden, wie man bei der Überwindung eines Problems, das besteht, zusammenarbeiten kann. Das gleiche gilt für andere Bewegungen, z. B. für die SWAPO, auch.
Herr Dr. Strauß, wenn es wirklich Ihr Anliegen ist, zu verhindern, daß sich mehr und mehr Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens auf die Sowjetunion hinentwickeln, dann ist, glaube ich, der von Ihnen vorgeschlagene Weg ein untauglicher. Gerade wir als Westen sollten zum offenen Dialog mit solchen Bewegungen bereit sein und versuchen, sie für unsere Positionen neu argumentativ zu gewinnen. Das ist der bessere Weg, als sie von vornherein in eine bestimmte Ecke zu drängen und sich dann zu wundern, daß sie sich dahin auch begeben.
Ich möchte eine Bemerkung zum Thema Nord/ Süd und Cancún machen. Ich teile ausdrücklich Ihre Meinung, Herr Kollege Brandt, daß es dem Parlament gut anstünde, wenn es über den Gipfel in Cancún und die daraus abzuleitenden Schlußfolgerungen sehr bald debattierte, wie unsere englischen Kollegen das getan haben. Es kann doch keinen Dissens darüber geben, daß die sich zuspitzende Situation der Länder der Dritten Welt eine tatsächliche Gefährdung des Weltfriedens ausmacht. Von daher war und bleibt dieser Ansatz von Cancún auch ein friedenspolitischer Ansatz, den wir praktisch unterstützen müssen.
Es ist für einen Liberalen in diesem Zusammenhang natürlich nicht unangenehm, wenn er eine Stimme aus Frankreich über diese Konferenz und die Rolle, die der Vertreter der deutschen Bundesregierung auf dieser Konferenz gespielt hat, zitieren darf. Ich zitiere aus „Le Matin", der Zeitung, die in Frankreich der Sozialistischen Partei nahesteht.
Die Geschichte wird vielleicht von einem Geist von Cancún sprechen. Sie wird nicht die hervorragende Rolle erwähnen, die Genscher gespielt hat. Schmidts Außenminister hat die Teilnehmer der Konferenz durch seine starke Persönlichkeit, seinen Sinn für die Synthese und seine Entscheidungskraft beeindruckt.
({8})
Ich hoffe, Herr Bundesaußenminister, daß dieses Ihr Engagement, das den Kompromiß in Cancún möglich gemacht hat, unterstützt vom Engagement unserer Kollegen aus allen Fraktionen, auch dazu
führen wird, daß wir im nächsten Jahr zu konkreten Ergebnissen gelangen, die die Friedensgefährdung in diesem Bereich verringern helfen.
Schließlich eine letzte Bemerkung zum Thema Deutschlandpolitik: Wir begrüßen ausdrücklich die Tatsache, daß der Bundeskanzler und die Bundesminister Graf Lambsdorff und Franke in den nächsten Tagen zu Gesprächen mit der Staats- und Parteiführung der DDR in die DDR reisen werden. Wir sehen dies als einen nützlichen Beitrag an, den Dialog, nicht nur zwischen Ost und West, sondern den ganz besonders notwendigen Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten, stärker zu beleben, als das in der letzten Zeit vielleicht der Fall war. Wir wünschen Ihnen, Herr Bundeskanzler, bei diesem Dialog, daß Sie den Ergebnissen, die in diesem Hause alle wollen - wenn Sie sie schon nicht alle auf einmal erreichen; wer kann das? -, ein gutes Stück näherkommen werden.
({9})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Dr. Strauß.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Besuch des Generalsekretärs der KPdSU Leonid Breschnew, dessen Gesprächspartner auch ich mit Vermittlung des Protokolls des Auswärtigen Amtes zu sein die Ehre und die Freude hatte, ist es notwendig, eine nüchterne Bilanz zu ziehen.
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Als ich am Samstag, dem 21. November, in Peking einen deutschen Korrespondenten fragte, was es Neues in Bonn gäbe, sagte er: „Bonn liegt im BreschnewFieber." Ich hatte nicht den Eindruck, daß Bonn im Breschnew-Fieber war, und ich habe durchaus den Eindruck, daß man sich bemüht, eine nüchterne Bilanz aus dem Ablauf und aus den Eindrücken zu gewinnen, die dieser Besuch vermittelt hat, soweit nicht schon vorher das Interview in einem bekannten Magazin diese Eindrücke vorweggeliefert hat.
Lassen Sie mich nur wenige Tatsachen festhalten. Die Reise Breschnews nach Bonn war die erste Reise des Generalsekretärs nach dem Überfall der Sowjetunion auf Afghanistan in ein demokratisches Land. Eine Tatsache.
Zweitens, Bonn schien unter den gegebenen Umständen - Zielsetzung: Aushebelung des Nachrüstungsdoppelbeschlusses - ein günstiger Anlaufpunkt nach der Vorgeschichte zu sein, die ich als bekannt voraussetzen darf. Was hätte er auch zu diesem Zeitpunkt in Washington gemacht oder in Peking.
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Auch nach Paris, wo sich Mitterrand scharf gegen Neutralismus, Pazifismus und für eine forcierte Atomrüstung Frankreichs ausgesprochen hat, wäre die Reise nicht besonders sinnvoll gewesen, auch
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({3})
nicht nach London oder nach Tokio. Nach Stockholm hat er das falsche Vorkommando geschickt.
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Der Zeitpunkt schien günstig zu sein: Friedensdemonstrationen, erbitterter Widerstand großer Teile der SPD, einiger Teile der FDP nicht nur gegen die Nachrüstung, sondern überhaupt gegen den Doppelbeschluß. Landesverbände, Bezirksverbände, führende Persönlichkeiten der SPD haben sicherlich zu dem Eindruck beigetragen, daß eine Reise nach Bonn eine Messe wert ist - wenn in diesem Zusammenhang das Wort Messe gebraucht werden darf.
Auf der anderen Seite die laue Unterstützung für den Kurs der Bundesregierung, zunehmende Vorwürfe der SPD gegen Reagan, dem über viele Monate hinweg gesagt wurde - ich erspare mir die Einzelheiten, sie sind j a allgemein bekannt -, ihm fehle der Wille zu Verhandlungen, zur Abrüstung, ihm sei das Streben nach militärischer Übermacht eigen; diese Vorwürfe nicht nur bei den Jungsozialisten, in unterschiedlichen Tönen auch bei Herrn Wehner, Herrn Brandt, Herrn Bahr, Herrn Eppler, so manchmal auch, in verdeckter Form allerdings, bei Helmut Schmidt.
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- Sie suchen wieder nach einem Nenner der Übereinstimmung; es ist sehr schwer, das zu finden, natürlich, Herr Wehner.
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Wenn ich Ihnen hier helfen darf, stelle ich meine Dienste gerne zur Verfügung, meine analytischen Dienste, möchte ich sagen.
All das hat in der Sowjetunion im Kreml wie auch in Ost-Berlin sicherlich zu einer falschen Einschätzung der innenpolitischen Lage in der Bundesrepublik Deutschland und zu einer falschen Bewertung führender Politiker in der Bundesrepublik Deutschland auf der Seite Breschnews geführt.
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Nach seinem Besuch hier konnte er wohl sein Urteil korrigieren. Darin liegt sicherlich ein Vorteil.
Man stellt überhaupt immer wieder fest, daß auch der hohe Gesprächspartner sehr stark durch die eigene Propaganda beeinflußt und oft weniger von sachlicher Information geprägt ist. In der DDR herrscht j a schon lange der Irrglaube - das sollten Sie doch wissen -, daß die Friedensbewegung eine Grundwelle auslösen, den Doppelbeschluß wegschwemmen, ja jede Regierung beseitigen würde, die sich für die Durchführung des Doppelbeschlusses einsetzen werde.
Wer allerdings der Meinung war, der Besuch werde nichts an konkreten Ergebnissen bringen, weder Fortschritt noch Rückschlag, der hatte sich nicht getäuscht. Das ist gar kein Vorwurf. Denn mehr war nach Lage der Dinge überhaupt nicht zu erwarten.
Positiv ist zu vermerken, daß die Bundesregierung den Doppelbeschluß ohne Abweichungen der NATO-Linie vertreten und damit möglichen Zweifeln oder
Hoffnungen keinen Raum gegeben hat. Breschnew hat allerdings auch nichts angeboten, was neu gewesen wäre. Alte Ladenhüter kehrten wieder, zum großen Teil sogar ohne neue Verpackung. Er hat auch nichts bewegt. Er hat allerdings auch zu wenig investiert. Er müßte jetzt wissen, daß die Verhandlungen mit zustimmungsfähigem Ergebnis: Null-Lösung - darauf komme ich noch zu sprechen - oder Parität nach realistischer und nicht dialektischer Zählmethode zum 1. Oktober 1983 abgeschlossen sein müssen; sonst läuft der NATO-Fahrplan mit Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenraketen termingemäß ab.
Am selben Tag, an dem in Genf die amerikanischsowjetischen Abrüstungsverhandlungen begonnen haben, sind die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und SPD über den Kurs der Sicherheitspolitik wieder aufgebrochen. Den Anstoß gab der SPD-Vorsitzende Willy Brandt, der in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk andeutete, daß die Frist bis zur Nachrüstungsentscheidung über 1983 hinaus verlängert werden könnte. Ich darf Sie wörtlich zitieren:
Wer wolle wissen, wenn alle wichtigen Probleme jetzt verbunden werden sollten, direkt oder indirekt, ob dann nicht eine Lage gegeben ist, die noch keinen Entscheidungsbedarf hervorbringt im Herbst 1983.
Ich warne davor, den Faktor Zeit zu mißbrauchen, falsch einzuschätzen und demgemäß auch falsch zu reagieren.
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Ich komme bei meinen Ausführungen über einige Probleme der Genfer Verhandlungen noch kurz darauf zu sprechen.
Wenn man aber nur daran denkt, daß die Wiener Verhandlungen über die gegenseitige ausgewogene Begrenzung der konventionellen Streitkräfte trotz zahlreicher Vorschläge, zum Teil auch Seifenblasen auf beiden Seiten, seit acht Jahren bis jetzt zu keinen Ergebnissen geführt hat, dann kann man sich doch nicht einem Zweifel darüber hingeben, daß alle vier Punkte des amerikanischen Präsidenten, die in Genf auf den Tisch gelegt werden sollen, bis zum Herbst 1983 erledigt werden können. Bis zum Herbst 1983 muß die Mittelstreckenraketen-Frage so oder so gelöst sein. Und dann gibt es nach unserer festen Überzeugung auch im Hinblick auf die zunehmenden Besorgnisse der Amerikaner hinsichtlich der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland kein neues Moratorium und keine neue Verlängerung der gemeinsam beschlossenen Frist.
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Sonst werden die Reaktionen darauf in der Bundesrepublik wieder in Richtung wachsender Neutralismus gehen und in den USA auf wachsenden Neoisolationismus hinauslaufen.
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Und dann tritt genau dieses Auseinanderdriften des europäischen und des amerikanischen Teils der NATO ein, das sicher ein Ziel der Reisen und der Propagandatöne der Machthaber im Kreml ist. Ich
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({11})
hoffe, daß sich darüber niemand einem Zweifel hingibt.
„Ich schließe die Möglichkeit nicht aus", sagte Herr Brandt, „daß, wenn man hinreichend weit gekommen ist und nun aber den Mittelstreckenbereich nicht isolieren kann und will, sich ein neuer Zeitablauf ergibt". Im gleichen Sinn antwortete Kollege Wehner, immerhin Vorsitzender der SPD-Fraktion, einen Tag später auf die Frage eines Fernsehreporters, ob eine Verlängerung der Entscheidungsfrist über 1983 hinaus denkbar sei: „Das ist nicht undenkbar." Das SPD-Präsidiumsmitglied Eppler forderte Verhandlungen über Breschnews Moratoriumsvorschlag, der als Festschreibung der sowjetischen Überlegenheit vom Westen als unannehmbar abgelehnt worden ist, wenn auch die Vaterschaft von verschiedenen Seiten in Anspruch genommen wird. In Wirklichkeit stammt sie wohl von Breschnew vom Oktober 1979 bei seinem Besuch in Ost-Berlin, wo er zum ersten Mal diesen Luftballon steigen ließ, der allerdings dann von anderen Schnurhaltern übernommen worden ist.
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Obwohl sich Schmidt und Genscher gegenüber Breschnew und gegenüber der deutschen Öffentlichkeit sowie gegenüber dem Westen darauf festgelegt haben, daß bei einem Mißerfolg in Genf im Herbst 1983 die westliche Nachrüstung beginnt, und immer wieder unterschrieben haben, daß eine Einigung in Genf nur unter dem Druck dieses Termins zu erreichen sein wird, hat Herr Brandt ein deutliches Signal nach Moskau gegeben, daß starke Kräfte der SPD im Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung bereit sind, die Mechanik des NATO-Doppelbeschlusses aus den Angeln zu heben, und das auch, nachdem Helmut Schmidt, wie mehrmals erklärt, sein politisches Schicksal angeblich mit dem Beschluß und mit den damit verbundenen Terminen verbunden hat.
Der Zeitpunkt des NATO-Doppelbeschlusses - ich komme auf meine Äußerungen dazu noch zurück - ist nach Überzeugung des Westens, der Bundesregierung, der CDU/CSU und des Großteils der deutschen Presse der Schlüssel für Erfolg oder Mißerfolg in Genf. Wer diesen Schlüssel wie der SPD-Vorsitzende Brandt mutwillig aus der Hand gibt, schwächt die Position des Westens,
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spielt das Gesetz des strategischen Handelns in die Hände des sowjetischen Verhandlungspartners und seiner Auftraggeber. Und zwar tut er das, noch ehe die Verhandlungen richtig begonnen haben. Wer so redet, macht Moskau Hoffnung, daß das Atlantische Bündnis doch von innen her aufgeweicht und eines Tages aufgebrochen werden kann, und verweist die Sowjets darauf, auf Zeit zu spielen und hart zu bleiben.
(Dr. Barzel ({14})
- Und er verhindert damit die Abrüstung.
Um so seine Partei im Zaum zu halten, hat j a Helmut Schmidt sein politisches Schicksal mit diesem
Nachrüstungsbeschluß verknüpft, den große Teile der SPD kippen wollen. Es ist doch grotesk, Herr Bundeskanzler, wirklich grotesk, wenn Sie hier auf angebliche Differenzen innerhalb der CDU/CSU verweisen, weil der Herr Späth einen Aufruf des DGB unterschrieben hat - den kann man bei richtiger Auslegung selbstverständlich unterschreiben -, oder wenn Sie auf Herrn Biedenkopf verweisen, der eine Binsenweisheit ausgedrückt hat - ich komme darauf noch kurz zu sprechen -, wenn Sie angesichts der jahrelangen Vorgänge in Ihrer Partei, der erbitterten Angriffe der Herren Bahr und Eppler, der unqualifizierten antiamerikanischen, agitatorischen Hetzäußerungen maßgebender Mitglieder Ihrer Partei, nicht nur der Jungsozialisten, und zwar gegen Ihre Politik, ausgerechnet diesen fleischlosen Knochen abfieseln wollen, den Sie hier dem Parlament dargeboten haben.
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Warum hält Sie denn Ihre Partei? Weil sie Angst hat, ohne Sie schon im Jahre 1982 bei Landtagswahlen oder spätestens im Jahre 1984 gekippt zu werden.
Man versucht, die Entscheidung über den NATO-Nachrüstungsbeschluß vom SPD-Parteitag im April 1982 mit der Begründung auf Ende 1983 zu verschieben, daß dann die Ergebnisse der Genfer Verhandlungen absehbar seien. Sie widersprechen sich selbst: Einerseits spekulieren Sie schon mit der Möglichkeit, daß sie noch nicht absehbar sind, also noch in die weiteren Jahre, 1983 oder wer weiß wie lange noch, hineinreichen werden. Andererseits vertreten Sie gegenüber Ihrer Partei den Standpunkt: Da Ende 1983 ja Ergebnisse vorliegen, können wir es uns jetzt leisten, die Entscheidung in der SPD so lange hinauszuschieben, den Parteitag vom April 1982 entweder zu verschieben oder unter Kontrolle zu halten, die Partei an die Kandare zu nehmen und dann erst im Herbst 1983 zu entscheiden.
Ich warne Sie, bauen Sie keine Lebenslüge auf, die Sie später bitter bereuen werden.
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Es geht auch hier um die Sicherheit der Deutschen und nicht um die Zukunft der SPD. Das Schicksal der Nation darf nicht innerparteilichen Zweckmäßigkeiten der SPD untergeordnet werden.
Bemerkenswert ist, daß Helmut Schmidt in einem Interview im Deutschlandfunk im Verhältnis zu „unserem Sicherheitspartner" - da hat er wohl Herrn Breschnew gemeint oder vielleicht Reagan, ich weiß es nicht - vorsichtig einen Notausstieg für seine Position schon vorbereitet. Bundeskanzler Helmut Schmidt am 29. November im Deutschlandfunk, - Interview der Woche:
Wichtig könnte der Streit über Reichweiten einzelner Waffen werden. Wenn es, z. B. über 250 SS-20-Raketen gibt, jede mit drei Sprengkörpern, und ein Teil davon würde aus dem europäischen Rußland in das Gebiet jenseits des Urals verlegt werden, dann kommt es darauf an, wie weit jenseits des Urals. Unmittelbar hinter dem Ural könnten dieselben Raketen nach wie vor mühelos Köln oder Hamburg in Trümmer
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({17})
und Asche schießen. Wenn sie sehr weit hinter dem Ural stünden, könnten sie hierher nicht mehr reichen. Also, hier fangen dann die wirklichen Probleme an. Die Zahlen selber soll man nicht künstlich zu einem Problem hochstilisieren.
Meine Reaktion, als ich dieses Interview las: „Ob dieser Antwort des Kandidaten Jobses gab es ein allgemeines Schütteln des Kopses." Denn es handelt sich hier doch bei mobilen Raketensystemen um Waffen, die innerhalb relativ kurzer Zeit auch wieder nach Westen bewegt werden können. Außerdem: Wie weit müssen sie nach Asien verlegt werden?
Schließlich ist auch das Sankt-Florians-Prinzip -„Verschon' mein Haus, zünd' andere an" - nicht gerade das Richtige, denn schließlich sind die Sicherheit und der Frieden in der Welt unteilbar, und das gilt auch für China, Japan und andere ostasiatische Nachbarn der Sowjetunion.
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Diese ewige Bonner Malaise, dieses - wie die Franzosen sagen - „Le désarroi allemand", hat also wie- der bewirkt oder droht zu bewirken, daß Moskau auf Zeit spielen kann, weil es dafür Signale aus der SPD erhalten hat.
War nun der Besuch eine Ergebniskonferenz oder eine Show? Die „International Herald Tribune" schreibt mit durchaus positivem Akzent: Schmidt's Show. Das ist sicherlich eine angemessene Beschreibung. Was ist die Rolle Schmidts? „Eine Annäherung der Positionen Bonns und Moskaus war nicht zu erwarten", sagte der Regierungssprecher Bonns. Also haben doch diejenigen recht gehabt, die von vornherein - wenn auch belächelt oder beschimpft - sagten: Bei der Konferenz ist an konkreten Ergebnissen nichts zu erwarten. Warum bin ich denn deshalb kritisiert worden? Weil ich vor der Konferenz dasselbe sagte wie der Regierungssprecher nach der Konferenz?
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Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt: „Kleinlaut verklingen die Erfolgsbeschwörungen nach Breschnews Bonner Besuch". „Windverwehte Siegesklänge" würde Detlev von Liliencron schreiben.
Was ist denn nun die Rolle Schmidts? Ist es die Rolle des Vermittlers, die Rolle des ehrlichen Maklers, sozusagen des Westentaschen-Bismarck? Er war 1878 der ehrliche Makler zwischen Rußland und Großbritannien; heute ist es die kleine Bundesrepublik, aber mit einem überdimensionierten Staatsmann, der nach Osten wie nach Westen gleichermaßen wirkt. Oder ist es die Dolmetscher-Rolle?
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Darf ich sie bitten, Herr Bundeskanzler: Legen Sie doch bitte Ihre Großmannssucht auf diesem Gebiet ab, werden Sie doch wirklich bescheidener!
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Ich denke an Ihre Rede vor dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg, wo Sie erzählt haben, welche Herkulesarbeit es sei, die beiden - nicht nur die
Russen, sondern auch die Amerikaner - an den Verhandlungstisch zu bringen.
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Dieser Titan! Mit dem linken Arm holt er Herrn Breschnew und zwingt ihn, Platz zu nehmen; mit der rechten Hand' holt er - symbolisch gesprochen - Herrn Reagan über den Ozean herüber;
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er zwingt sie, Platz zu nehmen. Es fehlt bloß noch, daß Sie sagen: Und wenn sie nicht rechtzeitig zu den gewünschten Ergebnissen kommen, stoße ich ihre Köpfe zusammen.
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Natürlich durften auch die Hofjubler nicht fehlen, so die „Zeit" vom 27. November 1981 mit Ihrem ehemaligen Mitarbeiter Theo Sommer: „Der Kanzler als Dolmetscher zwischen Moskau und Washington. Mit einem Male ist die Weltpolitik wieder in Bewegung geraten ... Der Kanzler hat Anstöße gegeben. Es bewegt sich wieder etwas in der Weltpolitik - zum erstenmal seit der iranischen Geiselkrise und der sowjetischen Invasion Afghanistans. Jetzt sind die Supermächte am Zug." - Jeder Zoll ein Helmut Schmidt!
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Sie haben davon gesprochen, Sie hätten die Sprachlosigkeit der Großmächte überwunden. Das wäre so eine neue biblische Legende, ungefähr so, wie da „Ephetha, öffne dich" steht.
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Damit sind die Taubstummen wieder zum Sprechen und zum Hören gebracht worden. - Entschuldigen Sie, das ist doch für jemanden, der die wirklichen Zusammenhänge kennt, einfach, so darf ich sagen, ein Anlaß zu einer Lachstunde oder auch für peinliche Gefühle.
Glauben Sie denn, daß Washington und Moskau, wenn es um ihre Interessen geht,
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wobei die Interessen Washingtons weitestgehend mit unseren identisch sind, uns in Bonn brauchen, Sie in Bonn brauchen, wenn sie es für richtig halten, wieder miteinander zu reden, aber wegen angeblicher Vergrämung oder Verstimmung leider keinen Zugang mehr zu dem jeweils anderen finden? Und dann kommt der Intermediator, der Wunderknabe aus Bonn! Prompt reden sie wieder, und sie hören wieder, die Welt gerät zunehmend wieder in Ordnung. Ist ja großartig!
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Die richtige Antwort darauf hat Ihnen ja Ihr eigener Außenminister und Stellvertreter gegeben, indem er das Ganze als Quatsch bezeichnet hat.
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({30})
Sie lehnen in Ihrer fast unübertrefflichen Bescheidenheit ab,
({31})
etwas mit dem Begriff des Dolmetschens zu tun zu haben. Ich darf Sie an das erinnern, was Sie vor dem Ortskartell des DGB in Ihrem Wahlkreis Hamburg-Bergedorf laut FAZ vom 21. November 1981 gesagt haben:
„Wir sind die Dolmetscher", die den Vertretern der östlichen Großmacht die Positionen des Westens erklären wollen. Dabei werde er, so sagte der Bundeskanzler weiter, seinen Gästen auch selber Fragen zu stellen haben, „etwa was die russische Riesenrüstung soll, die auch für mich unverständlich ist".
Da gebe ich Ihnen recht.
Zu den Genfer Verhandlungen wäre es „nicht gekommen, wenn wir nicht gedrückt hätten". Im Verlauf der Genfer Verhandlungen werde man „noch viel Einfluß nehmen, damit etwas Vernünftiges herauskommt".
({32})
Sie kennen auch Herrn Nitze, Old tough Nitze; der wird sehr dankbar sein. Ich darf hier wohl sagen, daß die aus Bonn kommenden Meldungen - so „under the counter", sagt man im Neuhochdeutschen -, wonach deutsche und sowjetische Diplomaten im Verlauf der Genfer Verhandlungen regelmäßige Konsultationen pflegen würden, in Washington eine sehr kühle Aufnahme gefunden haben. Das wäre mit Sicherheit mit Komplikationen verbunden und ließe befürchten, daß derartige Diskussionen der Sowjetunion nur helfen würden, die einzelnen NATO-Mitglieder gegeneinander auszuspielen.
Was wir tun sollen und tun müssen, wozu die Bundesregierung verpflichtet ist, das ist, soweit es europäische und deutsche Sicherheitsinteressen sind, auf den Gang der Verhandlungen in Genf Einfluß zu nehmen, das heißt, sich lückenlos zu informieren, auch lückenlose Konsultationen zu pflegen und demgemäß auch, falls erforderlich, Ratschläge zu geben. Aber daß wir sozusagen zwischen Paul Nitze und seinem Gegenspieler hin und her wieder zu vermitteln haben - da bräuchte man einen Mini-Schmidt für diese Aufgabe -, nein, bitte lassen Sie das!
Nicht umsonst schreibt die FAZ am gleichen Tage - Claus Gennrich -:
Fast unnötig scheint es nach Reagans Rede, daß Schmidt dem Besucher aus Moskau den amerikanischen Verhandlungswillen erklären müßte. Schmidts Anspruch, als Dolmetscher nach beiden Seiten aufzutreten, gegenüber Moskau und Washington, jedoch ohne Vermittlerrolle, wirkt mühsam. Vordringlich muß der Bundeskanzler seine Partei auf Kurs halten.
({33}) Daher doch das ganze Theater!
Das fällt ihm schwer, weil die Drohung einer sowjetischen Erpressungspolitik lange nicht benannt worden ist. Jetzt wäre dafür zu sorgen,
daß das winzige theoretische Risiko einer atomaren Selbstvernichtung nicht weiterhin überbetont und die viel näher liegende Gefahr einer politischen Selbstfesselung Westeuropas nicht mehr geleugnet wird. Bislang verstärkt das Reden von der ersten Gefahr nur die zweite.
Ich kann dieses Urteil nur in vollem Umfang unterstützen.
Erlauben Sie mir als etwa gleich altem Kollegen zu sagen, daß Ihre Äußerungen über die Angst in Ihrem Leben, die Angst in unserem Leben, die Angst im Westen, die Angst im Osten, die Angst des Herrn Breschnew, der laut Brandt ja um den Frieden zittert,
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doch etwas peinlich wirkt. Ich halte nichts von dieser Exhibition der Angstgefühle.
({35})
Wir wollen hier nicht darüber reden, wer warum im Leben Angst gehabt hat. Aber wenn Sie hier das Moment Angst so stark betonen, muß ich Ihnen zwei Dinge sagen, Herr Bundeskanzler: Das ist ein Beweis, daß es der Sowjetunion weitgehend gelungen ist, die Abschreckung gegenüber der Abschreckung zu mobilisieren,
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das heißt, ein Gefühl zu erzeugen, eine Gefühlswelle, besser gesagt, eine Stimmungswoge, die es ihr ermöglichen soll, den Nachholbedarf auf dem Gebiete der Sicherheitspolitik, der bei Scheitern der Genfer Verhandlungen unabweisbar wird, verhindern zu können und damit, genau durch diese Form der psychologischen Abschreckung, die Politik der Abschreckung zu unterlaufen.
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Das zweite, was ich Ihnen dazu nicht ersparen kann, ist die Tatsache, daß Sie selbst aus wahlpolitischen Gründen zur Schürung der Angst in der Bundesrepublik persönlich sehr viel beigetragen haben.
({38})
Denken Sie an den Wahlkampf der SPD in Nordrhein-Westfalen mit dem schamlosen Mißbrauch der persönlichen Leiden und Opfer von Kriegerwaisen und Kriegerfrauen! Denken Sie auch daran, daß Sie immer versucht haben, der CDU/CSU die Plakette „Kriegsgefahr" aufzudrücken, um sich selber dann die Plakette „Friedensgarantie" an Ihr Rockrevers zu heften! Damit haben Sie beigetragen, und zwar mit der Autorität des Kanzleramtes, bei jungen Menschen eine Grundwoge der Angst zu erzeugen.
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Und deshalb habe ich Ihnen einmal gesagt: Der Herr Schmidt soll nicht in die Feuerwehruniform schlüpfen, wenn er vorher als Brandstifter tätig gewesen ist.
({40})
Zu diesem Stil der Großspurigkeit gehören auch diese Ankündigungen, Dolmetscher Schmidt wolle
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({41})
Breschnews Frage weiterreichen, was man davon halte, alle auf europäische Ziele gerichteten Kernwaffen, also auch die britischen und französischen, wegzunehmen, auch taktische kleine Atomwaffen. Glauben Sie mir, daß die Amerikaner das wissen, ohne daß Sie diese Frage weiterzureichen brauchen, daß die Sowjets dieses Problem der britischen und französischen Waffen, die bei Ihrem Besuch in Moskau überhaupt nicht erwähnt worden sind, in Genf auf den Tisch legen werden. Damals hat man sogar die Großzügigkeit der Moskauer Verhandlungspartner gelobt, weil sie die britischen und französischen Atomwaffen in ihre Rechnung überhaupt nicht einbezogen hätten. - Ich habe dem Frieden damals nicht getraut. Das war auch richtig.
Dann haben Sie weiterhin geäußert, es bestehe kein Zweifel an Moskaus Wunsch nach erfolgreichen Abrüstungsgesprächen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich teile Ihre Meinung, bloß, das hat nicht viel zu sagen. Ich habe bei meinem letzten Gespräch mit Herrn Breschnew und unter Bezugnahme auf meine Äußerungen im Bundestag nach dem ersten Gespräch mit Herrn Breschnew hier vor diesem Hohen Hause, damals noch als Mitglied dieses Hohen Hauses, erklärt, daß ich Herrn Breschnew für einen großen Staatsmann der Sowjetunion halte, allerdings einen Mann mit anderer Wertordnung als wir. Ein Staatsmann mit unserer Wertordnung könnte sich nicht an dem Genocid in Afghanistan beteiligen. Aber ich halte ihn trotzdem für einen großen Staatsmann, eben nur mit anderer Wertordnung. Und ich habe mehrmals erklärt - ich möchte das nicht hundertmal wiederholen müssen -, daß ich Herrn Breschnew nie die Absicht unterstellt habe oder unterstelle, einen großen militärischen Konflikt zwischen West und Ost, nicht einmal einen europäischen Krieg, auslösen zu wollen. Ich bin fest davon überzeugt, daß er das nicht will. Deutlicher kann ich mich nicht ausdrücken. Das ist auch meine feste Überzeugung. Ich bin wegen dieser Überzeugung nunmehr sogar von der anderen Seite her gescholten worden. Aber das ist gar nicht das Thema.
Ich nehme hier vier, fünf Begriffe der Kürze wegen zusammen. Die Begriffe Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle werden in sowjetischer und demokratischer Sicht - diesen Gegensatz zu sagen, ist hoffentlich erlaubt - völlig verschieden eingesetzt. Für uns sind, unabhängig, wie man manche Aspekte der Entspannungspolitik beurteilt - ich habe keine Zeit, das darzulegen; ich habe es oft genug getan -, Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle Ziele für sich selber, Güter in sich. Wenn Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung erreicht werden können, dann ist das für uns in sich schon ein großes Ziel, ein hohes Gut und wert, um seiner selbst willen mit allen Mitteln verfolgt zu werden.
In der sowjetischen Sicht - und, bitte, täuschen Sie sich doch nicht darüber hinweg! - lauten die Bekenntnisse zu diesen fünf Zielen genauso wie in unserem Munde, aber die Gedanken dahinter sind naturgemäß anders. Das ist auch nicht eine böse Unterstellung von mir, sondern es geht aus sämtlichen Bekundungen, Dokumenten und Reden hervor, daß für die Sowjetunion der Einsatz dieser fünf Begriffe auch in Verhandlungen einem Ziel dient, nämlich die Überlegenheit auf militärischem Gebiet zu erringen, sie auszubauen und eine wachsende strategische Manövrierfähigkeit zu erreichen, den Spielraum der anderen Seite, der jeweiligen Gegenseite, mit Einschüchterung der Völker bis zur strategischen und politischen Lähmung einzuengen. Es gibt doch eine ganze Reihe von Äußerungen von kompetenter und authentischer Seite, die die Politik der Entspannung als psychologisches Instrument im Dienste der sowjetischen Friedens- und Sicherheitspolitik so definiert.
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Darum sollte man hier endlich einmal nicht nur immer auf der Oberfläche schürfen und dabei über die wirklichen Probleme in der Tiefe hinweggehen, entweder weil man ihnen nicht gewachsen ist oder weil man sie nicht wahrnehmen will oder weil die intellektuelle Kraft dazu fehlt, sie tatsächlich zu durchdenken.
Auch dieses sollte man hier einbeziehen. Man soll doch nicht glauben, daß Herr Breschnew hier ein Einzelgänger ist. Herr Breschnew ist ein großer Stratege im Dienste der gesamtsowjetischen Politik, die ja seit dem Jahre 1917 einen roten Faden aufweist. Herr Breschnew ist doch nicht der Einzelgänger, der hier verzweifelt Bonner Hilfe anruft, um den bedrohten Frieden zu retten. Herr Breschnew ist hier die Spitze des Establishments, die Spitze der Nomenklatura, in der es sicherlich Varianten, Unterschiede und Schattierungen gibt. Auch er ringt um die Anerkennung seiner eigenen Poklitik innerhalb der sowjetischen Führungsschicht und innerhalb des Kreises der - wie man sagt - Verbündeten.
Es gibt doch nach der atlantischen Militärdoktrin zwei Arten von Kriegen. - Ich darf dem einen Satz vorausschicken: Die ganze Atlantische Allianz - Herr Möllemann hat das so deutlich gesagt, daß ich es nicht zu wiederholen brauche; das gilt für jedes Mitglied, vornehmlich für die Vereinigten Staaten von Amerika - wünscht den Frieden, den Frieden und den Frieden und ist gegen jedes militärische Abenteuer.
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Sie ist absolut dagegen, militärische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele einzusetzen. Das ist meine feste Überzeugung, und das gilt auch trotz der häßlichen Töne, die man gegenüber Reagan und seinen wirlichen Absichten im Laufe der letzten Zeit, im Laufe der Monate seit seiner Wahl immer wieder anklingen ließ.
Sonst unterteilt die atlantische Militärdoktrin Kriege - wahrscheinlich irreal - in zwei Gruppen, nämlich in konventionelle Kriege - gut, die werden geführt auf der Welt, aber nicht zwischen Atommächten - und atomare Kriege. Ich war immer sehr skeptisch, ob man einen Krieg zwischen Atommächten auf eine konventionelle Auseinandersetzung begrenzen kann, höchstens wenn man rechtzeitig
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({44})
Schluß macht und die Ausgangslage wiederherstellt; sonst kommt immer die Versuchung, j a fast der Zwang, zur nächsthöheren Waffe zu greifen.
Ich beteilige mich nicht an dem intellektuellen Spiel, ob ein Krieg auf Europa begrenzt werden kann, an dem Streit um dieses Reizwort, das der amerikanische Präsident in die Diskussion geworfen hat. Aber lassen Sie mich aus ureigener Erfahrung sagen: Wir haben ja gerade damals im Jahre 1957 die Strategie der totalen Vergeltung und der totalen Abschreckung für jeden Fall abgelehnt, und wir haben dann in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die Strategie der flexible response eingeführt, um den Einsatz der strategischen Waffen - wenn es dieses lateinische Wort gäbe: auf die Ultimissima ratio - auf die Ultima ratio zu beschränken. Wir haben die taktischen Atomwaffen dazwischen, damit nicht das Inferno des „nuclear Holocaust" ausbrechen kann, und darunter dann eine starke konventionelle Bewaffnung, um die Schwelle auch zu den taktischen Atomwaffen möglichst hochzuheben. Das war doch die Entwicklung der Militärdoktrin der NATO.
Die Sowjetunion - ich werfe ihr das nicht vor; das ist immanent mit ihrem System verbunden - hat eine andere Vorstellung von Kriegen, nämlich von „gerechten" und von „ungerechten" Kriegen. Die militärstrategischen Überlegungen sind auch nicht geheim; sie sind ja veröffentlicht worden. Man braucht sie nur zu lesen. Ich habe erlebt, wie wir nach dem Zweiten Weltkrieg beschimpft worden sind, weil wir angeblich Hitlers „Mein Kampf" nicht gelesen hatten. Jetzt sollte man lesen, was es hier an Unterlagen gibt, und man sollte sie analytisch prüfen und Schlußfolgerungen daraus ziehen.
({45})
Der ehemalige sowjetische Verteidigungsminister Gretschko schrieb:
Wir haben und werden niemals die fundamentalen Überlegungen unserer Militärdoktrin verheimlichen.
Darum habe ich auch große Skepsis gegenüber der Äußerung des Generalsekretärs Breschnew in seinem Interview und in Bonn, daß es keinen begrenzten Atomkrieg geben könne, und noch größere Skepsis gegenüber seiner sicherlich hier gut wirkenden Äußerung, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen werden könne, sondern beiderseitig totale Vernichtung bedeute. Ich bin dieser Meinung, aber die sowjetische Militärdoktrin differenziert hier.
Die sowjetische Militärdoktrin genießt einen hohen politischen Stellenwert; denn sie wird - so erklärt das sowjetische Handbuch für Offiziere - vom Zentralkomitee der KPdSU höchstpersönlich ausgearbeitet. Die sowjetische Militärdoktrin differenziert zwischen „gerechten" und „ungerechten" Kriegen. Gerechte Kriege sind nach ihrer Lehre der bewaffnete Kampf der Marxisten-Leninisten mit dem Ziel der Vernichtung des Kapitalismus sowie der antiimperialistische Freiheitskampf.
Der sozialistische Staat, so doziert Generalleutnant I. Sawjalow, könne seinem Wesen nach nur „ge-rechte" Kriege führen. Diese seien die „Fortsetzung der revolutionären Politik mit anderen Mitteln". Ich bin nicht der Meinung, daß man Politik nur mit ideologischen Doktrinen, Prinzipien und Voreingenommenheiten betreiben kann. Ich warne aber auch sehr davor, angesichts der inneren Logik und Konsistenz der Staatsraison der Sowjetunion und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung diese Dokumente etwa als theoretische Spinnereien abzutun. Das ist die theoretische Grundlage, auf der die sowjetische Politik in der Praxis aufgebaut ist, wozu auch die Täuschung der anderen Seite ein erlaubtes Mittel ist.
Warum diese Unterscheidung gemacht wird, erklärt der sowjetische Militärtheoretiker V. Izmalov: „Sie hilft uns Kommunisten, unseren Standpunkt zu jedem Krieg zu finden." Ich sage mit anderen Worten: Jeder Krieg, auch ein massenvernichtender Atomkrieg, ist für die in ihn verwickelte sowjetische Armee „gerecht", da er der marxistisch-leninistischen Machtpolitik nützlich ist.
Oberst V. V. Larinonov, ein prominenter Bearbeiter des dreibändigen Standardwerks „Militärstrategie" enthüllt auch die Verbindungslinie von Abrüstung und Führung von „ungerechten" Kriegen, d. h. Kriegen, die der Westen im westlichen Verteidigungsinteresse führen müsse.
Die Sowjetunion hat sich stets resolut solchen internationalen Abkommen widersetzt, die „ungerechte" Kriege legalisieren würden. Unser Land kämpft stets für allgemeine und komplette Abrüstung, d. h. für die Vernichtung all der Mittel, die man zur Führung solcher Kriege braucht.
- Nämlich „ungerechter" nach ihrer Meinung.
Der Westen soll also einseitig abrüsten, denn nur er kann seinem politischen Wesen nach „ungerechte" Kriege führen. Die Sowjetunion bleibt gerüstet, denn die Kriegsführung ist von ihr aus „gerecht".
Ich darf Sie an die Äußerungen eines Mannes des zweiten Gliedes erinnern, des Armeegenerals Hoffmann, der auch den Einsatz sowjetischer Atomraketen gegen Westeuropa als „gerecht"-fertigt erklärt.
Bei allem Leid, - so schreibt er das in diesem letzten und entscheidenden Konflikt zwischen Fortschritt und Reaktion über die Völker käme - insbesondere in den kapitalistischen Ländern - das wäre von unserer Seite ein gerechter Krieg.
So schreibt er in der Zeitschrift „Einheit" im Jahre 1976.
Jetzt kommt noch ein Mann aus dem ersten Glied, den der Bundeskanzler, wenn ich mich recht erinnere, in Moskau persönlich kennengelernt hat, als er Marschall Ustinow und seinen ersten Mitarbeiter besuchte. Marschall der Sowjetunion N. V. Ogarkow, Erster stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef, der die gesamte nukleare Zielplanung der Roten Armee bestimmt, bekräftigt in der sowjetischen Militär-Enzyklopädie den festen Glau4086
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ben seiner Raketengenerale an den Sieg im Atomkrieg. Die sowjetische Militärstrategie basiere auf der Realität, daß, sollte man der UdSSR einen Nuklearkrieg aufzwingen, das Sowjetvolk und seine Streitkräfte auf die „härtesten Belastungen" vorbereitet sein müßten. In dieser Hinsicht hätten die Sowjetunion und die brüderlichen sozialistischen Staaten - im Vergleich zu den Imperialisten - „gewisse Vorteile", die sich aus den „gerechten" Kriegszielen und der fortentwickelten Natur ihres Staatssystems ergeben. Das verschaffe ihnen, so sagt er, „objektive Möglichkeiten, den Sieg zu erzwingen". Um jedoch die Möglichkeit eines Atomsieges zu verwirklichen, bedürfe es „rechtzeitiger und umfassender Vorbereitungen des Landes und seiner Streitkräfte".
Die sowjetische Zielsetzung geht auch bei den kommenden Verhandlungen dahin - ich sage das nicht aus Polemik und aus Gehässigkeit, sondern aus Ernst und Sorge -, als Ergebnis der Abrüstungsverhandlungen eine solche sowjetische Überlegenheit beizubehalten, daß in absehbarer Zeit auch ein atomarer Krieg gewinnbar ist, vor allen Dingen ein atomarer Krieg, der sich nicht auf den Einsatz der strategischen Waffen auf beiden Seiten bezieht, sondern der - nach dieser Doktrin - auch auf Europa unter Einsatz von atomaren Waffen begrenzt werden kann. Hier haben wir ein legitimes Interesse daran, nicht nur unsere Friedfertigkeit zu betonen - das ist allmählich geradezu eine Zumutung angesichts unseres Menschenbildes ({47})
gegenüber totalitären Ideologien - ob nationalsozialistischen oder kommunistischen -,
({48})
sondern alles zu tun, um Moskau einen Sieg im Atomkrieg als aussichtslos erscheinen zu lassen, uns aber auch so zu verhalten, daß Moskau keinen politischen Erpressungssieg im Atomfrieden erringen kann. Das ist die Maxime, um die es hier geht.
({49})
Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, daß ich Sie noch strapazieren muß. Aber was haben Sie denn heute wieder gesagt?!
({50})
Sie haben einmal gesagt: Wer militärisches Übergewicht erstrebt und erreicht, der braucht nicht zu verhandeln, der kann diktieren. Das stimmt für die Sowjetunion. Ich bin auch für das Gleichgewicht, weil es das Geschäft erleichtert. Die Amerikaner haben von ihrem Monopol der Atomwaffe, das zumindest bis zum Jahr 1949/50 bestand, weder durch Anwendung - außer gegen Japan; das war der gemeinsame Kriegsgegner - noch durch Androhung des Einsatzes den Sowjets jemals etwas diktiert.
({51})
Angenommen die Verhältnisse wären umgekehrt - Berlin sozusagen im Spiegelbild gesehen - und die Amerikaner hätten eine russische Enklave total blockiert. Glauben Sie, daß die Sowjetunion dann nicht mit dem Einsatz der Atomwaffe gedroht hätte, wenn die Amerikaner nicht unverzüglich die
Blockade Berlins aufgegeben hätten? Das Ganze ist nun einmal seitenverkehrt dargestellt. Die Amerikaner, im Alleinbesitz der Atomwaffe, hätten sicherlich keinen Angriff mit ihr unternommen, hätten aber die Expansion der Sowjetunion in andere Räume damit schon durch die Existenz dieser Waffe verhindert. Aber Sie hätten niemals das System und den Staat der Sowjetunion durch Einsatz Ihrer Monopolatomwaffe beseitigt. Darum ist hier ein Unterschied. Ich wehre mich auch im Interesse der Bündnispsychologie dagegen, daß hier in der Bundesrepublik, vor allem auf seiten der SPD, immer mehr der Unfug und die Unsitte einreißen, Moskau und USA als Gleichwertige,
({52})
gleich zu beurteilende und deshalb beide mit Äquidistanz zu behandelnde Mächte anzusehen und sich demgemäß zu verhalten. Ich kann verstehen, warum Sie das getan haben; denn wer in seiner Partei mit solchen Problemen zu kämpfen hat - es heißt: in der Not frißt der Teufel Fliegen -, der kommt dann auf die angeblichen Differenzen in der Union zu sprechen.
Sie haben behauptet, ich hätte auf dem CSU-Parteitag die Gleichrangigkeit von Verteidigungsanstrengungen und Verteidigungsbereitschaft einen Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses genannt, der taktisch bedingt, aber in der Sache leider unlogisch sei. Sie haben wieder, wie es häufig Ihre Art ist, einen Abschnitt daraus zitiert, ohne den Zusammenhang zu nennen, und damit den Eindruck erweckt, auch heute vor dem Fernsehpublikum: Der Strauß hält nichts von Verhandlungen; er setzt nur auf die Rüstung. Sie sollten den Text lesen - ich schicke ihn Ihnen, und bitte lesen Sie ihn ganz, wenn es Ihre Zeit erlaubt -, denn daraus geht eindeutig hervor, daß nach meiner Überzeugung, die wie jede Überzeugung richtig oder falsch sein kann, der Beschluß, das Gleichgewicht herzustellen, wenn die Sowjetunion ihre Raketen nicht abbaut, ohne diese langen, quälenden Auseinandersetzungen in Ihrer Partei und in Europa die Sowjets schneller als mit diesem Verfahren an den Verhandlungstisch gebracht hätte. Das ist der Sinn meiner Äußerungen. Das heißt, ich stelle die Verhandlungen über die Aufrüstung; aber der schnellste, sicherste und kürzeste Weg zum Verhandlungstisch wäre nach meiner Auffassung eine geschlossene Haltung der Europäer und der Amerikaner zu diesem Thema gewesen.
({53})
Darum bitte ich Sie, mir das nicht mehr zu unterstellen, diese beleidigende Unwahrheit nicht zu verbreiten, indem Sie einen Satz herausgreifen - Ihre sattsam bekannte, üble Methode -, damit den Zusammenhang verfälschen und die wirklichen Absichten meiner Analyse und meiner Schlußfolgerung dann ins Gegenteil verkehren.
({54}) - Doch ein Geburtsfehler.
({55})
Das muß ich leider noch mit ein paar Sätzen aufgreifen. Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat doch
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({56})
in seinem Gespräch mit den amerikanischen Journalisten erklärt, daß bei dem Treffen auf einer kleinen Insel - er wußte im Augenblick den Namen nicht; Guadeloupe muß es gewesen sein - Carter mit dem Vorschlag gekommen sei, angesichts der sowjetischen Vorrüstung nun das Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen. Er hat dann darauf verwiesen, daß die drei europäischen Partner - der britische Premierminister, der französische Staatspräsident und er - diese Gefahr anerkannt, aber damit die Bedingung verbunden hätten, daß mit der Aufrüstung auch die Verhandlungen parallel dazu beschlossen werden sollten. - Gut. Er hatte dem amerikanischen Präsidenten Carter dann bestätigt - oder unterstellt -, daß er, Helmut Schmidt, mit seiner Rede im Jahre 1977 in London, in der er auf die Gefahr der sowjetischen Mittelstreckenraketenrüstung hingewiesen habe, gar keine Gegenmaßnahmen der NATO verlangt habe, sondern die Amerikaner zu Verhandlungen habe ermuntern wollen. So ist es jedenfalls vor kurzem zur Rechtfertigung der damaligen Rede gesagt worden.
Die Bereitschaft zu Verhandlungen liegt im Interesse aller Beteiligten und braucht nicht eigens betont zu werden. Ich kann Ihnen verlesen, was ich in meiner Parteitagsrede gesagt habe. Die Amerikaner wollten die Nachrüstung und haben als Ergebnis der Nachrüstung sowjetische Verhandlungsbereitschaft erwartet. Die Europäer - das gilt in besonderem Maße für die SPD; denken Sie an Ihren Parteitag im Jahre 1979 mit Ihrer Doppelformulierung, mit Ihrer Gummiformulierung, mit Ihrer Sowohl-Als-auchEntschließung ({57})
dachten nur an Verhandlungen und glaubten, damit schon das Problem der Nachrüstung erledigen zu können. Auch für Sie kommt die Stunde der Wahrheit Ende 1983, wenn sie nicht schon früher kommt.
Hier ist meine Meinung: Hätte man den Sowjets gesagt „Wir müssen nachrüsten, und wir werden nachrüsten, wenn diese Ungleichheit nicht beseitigt wird",
({58})
hätte man nicht dieses lange, quälende Spiel der europäischen Regierungen veranstaltet - einmal ja, einmal halb j a, einmal halb nein, einmal ganz nein, dann wieder ganz ja -, wäre es besser gewesen. Das Ganze ist zu einem Horrorstück innerhalb der SPD ausgestaltet worden.
Die Sowjets wissen genau, was ihre Interessen sind. Die brauchen keinen Helmut Schmidt, um ihre Interessen zu erkennen. Die wissen ganz genau, daß sie verhandeln müssen, wenn ihre Interessen auf dem Spiel stehen. Das haben sie noch immer getan. Dazu brauchen sie weder einen Dolmetscher noch einen Vermittler noch einen Makler.
({59})
Meine Auffassung geht dahin, daß auf diesem Wege am schnellsten und am sichersten Verhandlungen erreicht worden wären. Bis jetzt gibt es für mich keinen Grund, Herr Brandt, diese Meinung zu korrigieren.
({60})
Nehmen Sie doch das Beispiel, als vor einigen Monaten Präsident Reagan einige harte Worte an die Adresse Moskaus richtete, etwa: Kommunisten lügen und betrügen, wenn es um die Weltherrschaft geht.
({61})
Wie war denn da die Reaktion? Ein vernichtendes Urteil: daß nunmehr dieser unerfahrene, tölpelhafte amerikanische Präsident als Cowboy mit der Hand am Colt in High-noon-Stimmung den Westernsaloon betritt, die Lichter herunterschießt, die Landschaft verdunkelt. Dann kamen Kommentare: Nun wird Breschnew beleidigt sein, verstimmt sein, verärgert sein; jetzt ist die Tür zugeschlagen; die wird sehr lange nicht mehr aufgehen! - Wenige Tage später hat Herr Breschnew in einer bemerkenswert staatsmännischen Rede erklärt, er lege größten Wert darauf, sich so schnell wie möglich mit Herrn Reagan zu treffen, um mit ihm über die strittigen Probleme zu verhandeln.
({62})
Sie müssen endlich einmal aufhören, Ihre eigene Mentalität in die Herzen von Kreml-Führern zu verpflanzen und sie danach zu beurteilen. Das ist doch Ihr Hauptfehler.
({63})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke? - Bitte.
Herr Kollege, ich möchte noch einmal auf den „Geburtsfehler" zurückkommen, weil wir j a nicht mehr Streitigkeiten haben sollten, als nötig ist.
({0})
Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie genau das empfohlen, was die NATO gemacht hat. Es geht nicht darum, erst Waffen hinzustellen und dann zu verhandeln, aber auch nicht darum, erst zu verhandeln, ohne etwas über die Nachrüstung zu sagen. Beides ist vielmehr miteinander zu verbinden. Die Waffen waren doch auch gar nicht da. Ich verstehe wirklich nicht, zumal wir auf Grund dieses Beschlusses inzwischen zu Verhandlungen gekommen sind, warum Sie hier einen künstlichen Widerpruch erzeugen.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Wenn Sie etwas nicht verstehen, ist das für mich noch kein Anlaß zu erschrecken, Herr Kollege Ehmke.
({2})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({3})
Aber ich wollte es Ihnen ersparen, den gesamten Duktus meiner Parteitagsrede vorzulesen. Das würde etwa 15 Minuten dauern.
({4})
Das will ich nicht, das kann ich hier auch nicht.
Aber ich bin nach wie vor der Meinung, daß eine glasklare, einwandfreie, durch keinerlei Zweifel - Gegenerklärungen, agitatorische Äußerungen gerade aus den Reihen der SPD - getrübte
({5})
Entschlossenheit des Westens, das Gleichgewicht wiederherzustellen, die Sowjets früher an den Verhandlungstisch gebracht hätte als der kostspielige Umweg, bei dem viel Zeit versäumt, das Problem verwischt und große Verwirrung angerichtet worden ist.
({6})
Ich muß Sie, Herr Bundeskanzler, auch wirklich bitten - (
Lesen Sie die Rede doch einmal vor!)
- Ich schicke sie Ihnen in vollem Wortlaut zu.
(
Warum nicht jetzt?)
- Wenn mir die Redezeit dafür gegeben wird, lese ich das gerne vor. Bloß, ich glaube nicht, daß bei Ihrer Fraktion ein Interesse daran besteht, einen Nachhilfeunterricht dieser Art zu bekommen. Ich bin jederzeit bereit - um mit Karl Schiller zu sprechen -, Ihnen diesen Unterricht privatissime und gratis zu erteilen.
Sie haben in einem anderen Fall - das war in Ihrer Rede am 30. Januar 1981- den Sachverhalt einfach glatt verfälscht. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt:
Es gab in diesem Zusammenhang vorgestern - oder es war Dienstag - eine Äußerung von Herrn Ministerpräsidenten Strauß, die ich in dem Zusammenhang kritisieren muß. Herr Strauß hat gesagt, strategische Abrüstung und Verhandlungen darüber seien allein amerikanische Zuständigkeit, und wir Deutschen sollten uns nicht einmischen. Ich kann dem um Gottes willen nicht zustimmen. Auch unsere Haut steht hier zu Markte.
So laut Bundestagsprotokoll vom 30. Januar 1981.
Die Äußerung, auf die Sie sich bezogen haben, hieß: „Ob die Amerikaner SALT II ratifizieren oder nicht, ist ihre alleinige Angelegenheit und liegt allein in ihrer Entscheidungsfreiheit. Wir sollten uns hier nicht einmischen."
({0})
Das ist der Standpunkt, den die Fraktion der CDU/
CSU damals geschlossen vertreten hat. Sie haben
mit Ihrer Einmischung doch nur erreicht, daß die
neue amerikanische Regierung das Gegenteil von dem getan hat, was Sie ihr so dringend empfohlen haben. Hören Sie auf, den Oberlehrer der Amerikaner zu spielen und mich mit falschen Zitaten zu diffamieren.
({1})
Wenn Sie dann noch nachlesen, was Sie auf die einschlägige Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann hier geantwortet haben und was Staatsminister Huonker auf den einschlägigen Brief des Abgeordneten Mertes geantwortet hat, stimmen Sie mir hoffentlich zu, daß das ein Stil im politischen Umgang ist, der einfach unmöglich ist. Ich kann das Schreiben des Herrn Staatsministers ja einmal verlesen:
Der Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihren Brief vom 10. Februar 1981 zu beantworten.
- Das Problem war das gleiche, wie eben dargestellt. Da Ihre Frage in die gleiche Richtung geht wie die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Zimmermann in der Debatte, bitte ich um Ihr Verständnis dafür, daß ich zusammengefaßt wiederhole, was der Bundeskanzler dazu in der Debatte gesagt hat:
1. Die Genfer Gespräche über eurostrategische Waffen sind ein Teil des SALT-Gespräches.
2. Ober diese Fragen möchte der Bundeskanzler kein polemisches Gespräch führen.
Ich habe nie gesagt, daß Verhandlungen über eurostrategische Waffen allein Sache der Amerikaner seien, nicht unsere Interessen berührten und nicht Konsultationsverpflichtungen auslösten. Ich habe mich bei dem eben aus dem Bundestagsprotokoll vorgelesenen Satz auf die Aussage beschränkt - das ist meine Meinung -, daß wir uns nicht in den Ratifizierungsprozeß von SALT II einmischen sollten. Sie haben es immer wieder getan. Das Ergebnis war negativ. Wer als Oberlehrer vom Rhein glaubt, die Amerikaner am Potomac belehren zu müssen, wird bemerken müssen, daß sie diese Ratschläge als sehr, sehr unerwünscht empfinden, auch wenn sie es auf Grund der international geltenden Höflichkeit nicht so deutlich sagen. Wir sollten es den Amerikanern überlassen, ob sie SALT II ratifizieren.
({2})
- Daß diese Meinung richtig ist, sehr verehrter Herr Kollege, geht doch daraus hervor, daß das gesamte SALT-Problem jetzt neu aufgerollt wird, daß sowohl SALT I als auch SALT II jetzt in die Genfer Gespräche als ein Punkt der vier Punkte Reagans einbezogen werden. Ich bin kein Fachmann von SALT, aber die SALT-Verträge haben ohne Zweifel einen Nachteil, den Herr Reagan mit seinem gesunden Instinkt sofort entdeckt hat: Sie führen das Aufrüsten der einen Seite statt das Abrüsten beider Seiten herbei. Das ist doch der Nachteil von SALT, das ist doch der Grund, warum der amerikanische Senat es abgelehnt hat, SALT II zu ratifizieren. Da brauMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({3})
chen die amerikanischen Senatoren nicht den Ratschlag vom Rhein oder von der Elbe.
({4}) Nur so viel wollte ich gesagt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir noch, ein Wort der Sorge zum Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa, im besonderen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland zu sagen. Herr Rostow, Eugene Rostow, der Chef der amerikanischen Abrüstungsbehörde, ein Mann, den ich aus den 50er und 60er Jahren aus vielen Gesprächen kenne, ein hochrangiger Diplomat und Berater aller amerikanischen Administrationen in dieser Zeit - sonst wäre er jetzt j a nicht auch Chef der amerikanischen Abrüstungsbehörde -, sagte laut „Welt" vom 1. Dezember - das Ganze war ein Vortrag, den er vor wenigen Tagen in London gehalten hat - folgendes - ich darf ein paar Sätze zitieren -:
Die These, die ich heute abend vertrete, ist einfach: Der Frieden ist, nach den vor 45 Jahren geäußerten denkwürdigen Worten eines sowjetischen Außenministers,
- es muß Molotow gewesen sein wahrlich unteilbar geworden. Es ist wohl angebracht, daß wir uns am ersten Tag einer neuen Runde der sowjetisch-amerikanischen Gespräche über die Verringerung von Atomwaffen mit dieser These beschäftigen. Die allgegenwärtige Bedrohung durch das sowjetische Atomarsenal und die anscheinend unerbittliche Verbreitung von Atomwaffen schaffen tiefreichende politische Instabilitäten.
Ich gebe ihm recht. Das ist auch das, was der Kollege Biedenkopf in seiner theoretischen Analyse gemeint hat.
Aber Atomwaffen sind nicht die einzigen Faktoren des Ungleichgewichts in der Welt. Konventionelle Kriegführung, Unterwanderung und Terrorismus sind ebenfalls weit verbreitet und alltäglich geworden. Ihr Einfluß hat die Weltpolitik in ein Hexengebräu verwandelt aus einem Grund, der jeden Tag offensichtlicher und bedrohlicher wird: Die Schwelle zwischen konventionellem und atomarem Krieg ist nicht unüberwindlich, wie hoch sie auch sein mag. Kleine Kriege können ebenso schnell zu großen Kriegen ausufern wie in jenen Tagen, als Erzherzöge in Sarajevo ermordet wurden und als sich die Sorgen der Welt um Danzig drehten.
Das heißt: Übereinkünfte zur Waffenkontrolle haben kaum einen Wert, wenn sie nicht auch die Welt sicherer machen gegenüber konventionellen Kriegen, Terrorismus und die Bewegungen bewaffneter Banden über internationale Grenzen hinweg ...
Die vernünftige Antwort der westlichen Verbündeten auf den sowjetischen Vorschlag eines Verbots der Erstanwendung von Atomwaffen sollte deshalb ein Appell für eine erneute Verpflichtung der Weltgemeinschaft auf die Prinzipien der UNO-Charta und gegen jede Form der
Aggression sein, sei sie nun atomar, konventionell oder international-terroristisch. Dieser Appell sollte mit einer erneuten Verpflichtung zu dem Ziel verknüpft sein, die Atomenergie unter eine effektivere internationale Kontrolle zu bringen .. .
Wenn wir uns, vorsichtig und Schritt um Schritt, vom Abgrund zurückbewegen wollen, dann müssen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gemeinsam die Richtung bestimmen. Diese Pflicht dazu kann in zwei einfachen allgemeinen Grundsätzen formuliert werden: Zuerst müssen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion überprüfbare Abrüstungsvereinbarungen treffen, die jeder Seite gleiche Abschreckungskapazität verleihen, und zweitens sollte die öffentliche Ordnung der Welt in Übereinstimmung mit jenen Regeln wiederhergestellt werden, auf die sich die Vereinten Nationen in San Franzisko am Ende eines schrecklichen Krieges, den sie nur knapp gewannen, geeinigt hatten. Diese beiden Vorschläge sind eng miteinander verbunden. Zusammen definieren sie die Ziele der Vereinigten Staaten.
Was heißt das? Das heißt, daß sich die Sowjetunion mit dialektischen Zählmethoden und einseitiger Vorrüstung eine strategische Überlegenheit verschaffen und sie dann argumentativ wieder aus der Welt schaffen will, ohne sie materiell zu entfernen. Das heißt, daß sich die Sowjetunion endlich - das ist die Aufgabe unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik - zu dem Code of Conduct, d. h. zu den internationalen Verhaltensregeln, wie zivilisierte Völker miteinander umgehen, bekennen und danach handeln muß. Das ist doch das Problem!
({5})
Die endlosen Ströme von Waffen, verbunden mit dem Export revolutionärer Ideologien, und die verabredete Entsendung kubanischer Fremdenlegionäre haben doch Hekatomben von Blut hervorgerufen: in Lateinamerika, in Afrika, in Ostasien. Hier könne wir uns nicht auf ein Teilgebiet beschränken und unsere Augen im übrigen vor den sonstigen Vorgängen in der Welt verschließen.
Ich darf hier ein Wort zur Friedenspolitik so oder so sagen, und das ist auch nicht nur mein persönliches Bekenntnis, sondern mein Bekenntnis, das wir sowieso haben, das Bekenntnis der gesamten Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union. Für uns ist Krieg, d. h. die Anwendung militärischer Gewalt, unter keinen Umständen ein ethisch oder politisch erlaubtes Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele; erstens.
({6})
Zweitens, wir würden uns auch dann daran halten, wenn durch Vorgänge innerhalb des sowjetischen Bereiches die Schutzgarantie der Sowjetunion für ihre Zwangsverbündeten nicht mehr anhalten würde. Auch dann würden wir die daraus entstehenden Fragen niemals mit militärischen Mitteln lösen wollen und lösen dürfen, sondern ausschließlich mit dem Mittel der politischen Verhandlung, nicht der Konfliktstrategie, sondern der Konferenzstrategie,
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({7})
auch für diesen Fall; ob der jemals eintritt oder nicht, ist nicht meine Angelegenheit. Aber ich wollte diese hypothetische Aussage hier auch gemacht haben.
Aber das allein befreit uns nicht von den Sicherheitsproblemen. Wir haben seinerzeit, im Jahre 1955, damit begonnen, die Bundeswehr gegen schwerste Widerstände aufzubauen. Ich will diese Schlachten nicht wiederholen. Das waren geradezu Schlachten im Parlament wie auf den Katalaunischen Feldern. Die Geister der Erschlagenen haben noch im Himmel weitergekämpft, wie es in der Darstellung eines alten Geschichtsschreibers heißt.
Ausgelöst worden ist der Aufbau der Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt durch den Überfall Nordkoreas auf Südkorea. Nordkorea damals auch als eines der Agenten der sowjetischen Machtpolitik. Damals begannen im Jahre 1950 die Überlegungen. Im Jahre 1955 waren die Verträge abgeschlossen. Es gab in der Zwischenzeit manche Rückschläge, siehe das Nichtzustandekommen des EVG-Vertrages. Aber ab 1955 begann der Aufbau.
Erinnern Sie sich noch, meine Damen und Herren von der SPD - Herr Wehner müßte es noch wissen, Herr Brandt müßte es noch wissen -, daß damals auf einmal ein Stichwort in der militärpolitischen Landschaft auftauchte und heftigst umstritten war! Denn die Bundeswehr sollte eine rein konventionelle Armee von 500 000 Mann sein. Da tauchte das Stichwort „Radford-Theorie", auf, nämlich totale Abschreckung durch Androhung der totalen Vergeltung. Adenauer war erschrocken, schickte, wenn ich mich recht erinnere, die zwei Generäle Heusinger und Speidel in die USA, um gegen diese angebliche Auffassung der Amerikaner Widerspruch einzulegen. Sie kamen mit befriedigenden Erklärungen zurück. Kurze Zeit darauf wurde ich Verteidigungsminister, traf Admiral Radford bei der Weihnachtskonferenz der NATO im Dezember 1956 und fragte ihn: Herr Admiral, was ist denn eigentlich mit der Radford-Theorie los? Die Antwort war: „Es gibt keine Radford-Theorie. Wenn an meiner Stelle der General Meier wäre, dannn wäre es die Meier-Theorie. Was ich vertrete, ist die offizielle amerikanische und Atlantische Verteidigungsdoktrin; und ich sage es Ihnen, Herr Strauß, in einem Satz: Wann auch immer, wo auch immer, in welcher Stärke auch immer der Gegner einen NATO-Verbündeten angreift, wenn er sich bis zum Morgengrauen des nächsten Tages nicht auf seine Ausgangslinie zurückgezogen hat, werden wir mit allen Mitteln zurückschlagen, die wir haben." Ich darf es sogar englisch sagen, weil sich mir der Satz unvergeßlich eingeprägt hat: „We shall hit back with all retaliatory means we have." Das war damals die Aussage des amerikanischen Admirals mir gegenüber. Damals hat die SPD die Auffassung vertreten: Was sollen denn überhaupt noch 500 000 Mann konventionell bewaffneter Truppen; die können wir uns doch dann sparen, wenn es nur eine Atomstrategie dieser Art gibt!
Vor kurzem hat einer Ihrer Parteifreunde, ich möchte sagen: Ersatzreservist der Strategie, Herr Gaus, verlangt, daß man wieder zur Theorie und damit auch zur Praxis der totalen Abschreckung, der totalen Vergeltung zurückkommen solle.
Diese amerikanische Doktrin hielt nur bis zum Mai 1957. Im Mai 1957 hat Foster Dulles die europäischen Hauptstädte besucht - jedenfalls hat er Bonn besucht; ich war bei dem Gespräch zugegen - und gesagt: Diese Strategie können wir nicht mehr aufrechterhalten; wir müssen zwischen den konventionellen Waffen und den strategischen Waffen ein Zwischenglied einfügen, nämlich taktische Atomwaffen, und diese taktischen Atomwaffen müssen auch den Bundesgenossen zur Verfügung stehen. Die Bundesgenossen müssen taktische Atomwaffenträger einführen, und wir haben die Sprengkörper; die stellen wir zur Verfügung, aber under American custody and control und unter alleiniger Verfügungsgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Herr Bundeskanzler, Sie erinnern sich doch an die vier- oder fünftägige Aussprache im März 1958 in diesem Parlament. Lesen Sie einmal Ihre Rede darüber nach. Sie haben anerkennenswerterweise vor einigen Monaten gesagt: Strauß hat eben mehr gewußt, und ich - das nahmen Sie für sich in Anspruch - war damals falsch informiert. Wir haben damals mit Mehrheit die Einführung taktischer AWaffen-Träger bis zu einer Maximalreichweite der Pershing I beschlossen, und zwar um die Lücke zu schließen, die sich hier aufgetan hatte.
Und genau der gleiche Vorgang liegt jetzt bei dem Gleichgewicht der eurostrategischen Waffen zugrunde. Ich erinnere mich noch, daß damals die großen Demonstrationsmärsche kamen: Hamburg 100 000, Hannover 80 000, Frankfurt 50 000 oder 60 000, und in anderen Städten. Der damalige Chef der Hamburger Regierungsbehörde marschierte an der Spitze des Zuges - die städtischen Bediensteten hatten frei, die Schulen hatten frei - gegen die Einführung taktischer A-Waffen-Träger. Damals gab es genau dieselben Parolen wie heute, nämlich, daß die Einführung dieser A-Waffen-Träger zum Krieg führen werde, daß dieser Krieg die Zerstörung Deutschlands, die Vernichtung der Menschen in Deutschland bedeute, daß Europa in Schutt und Asche gelegt werde.
Diese Welle erlosch etwa Ende 1959, Anfang 1960. Seit dieser Zeit sind die Atomsprengkörper für die taktischen A-Waffen-Träger der Amerikaner und ihrer Verbündeten in der Bundesrepublik in erheblicher Zahl. Deutschland ist nicht untergegangen. Europa ist nicht zerstört worden. Kein Mensch hat es mehr gewußt. Keiner hat die damaligen Parolen überhaupt noch in Erinnerung gehabt. 20 Jahre haben die Menschen trotzdem in Ruhe geschlafen, in Frieden leben können. Ich sage: Sie haben nicht trotzdem, sondern deswegen in Ruhe arbeiten und in Frieden schlafen können.
({8})
Und ich darf hier noch ein Wort sagen. Für uns ändert sich mit der Aufstellung der SS-20, was die Bedrohung der Bundesrepublik betrifft, so gut wie nichts. Denn wir waren ohnehin immer in der ReichMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({9})
weite der SS-4, der SS-5 und sind auch in der Reichweite selbstverständlich der SS-22 und der SS-23.
Daß aber ganz Europa jetzt von Mittelstreckenraketen der Sowjetunion bedroht ist, daß sie Ziele in jedem Quadratmeter Europas treffen können, hat eine neue strategische Lage im europäischen Teil der NATO geschaffen. Und das war der Grund - Sie haben es 1977 doch erkannt -, daß die Amerikaner hier auf Ausgleichsmaßnahmen gedrängt haben.
Lassen Sie mich dazu ein Letztes sagen. Ich habe mich über Herrn Breschnew hier geäußert. Ich habe ihn nicht herabgesetzt und nicht diffamiert. Aber ich habe mich bemüht, die Tatsachen zu nennen, wie ich sie sehe. Und das hat jedenfalls viel Wahrscheinlichkeit für sich.
Ich mache keinen moralischen Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus. Aber in einem gibt es einen gravierenden Unterschied. Und darauf ist doch unsere ganze Sicherheitsstrategie aufgebaut. Der gravierende Unterschied, den wir machen, ist der, daß die Berliner Politik in den 30er Jahren risikoblind und risikobesessen war. Risikoblind und risikobesessen! Anders wären der Überfall auf Polen und die Führung des Zweiten Weltkriegs bis zur totalen Niederlage nicht möglich gewesen.
Haben nicht die pazifistischen Strömungen in West-Europa, in Frankreich und England,
({10})
die Protestmärsche der englischen Studenten „Wir werden nie mehr für König und Vaterland kämpfen" - derselben, die dann auf den Schlachtfeldern Flanderns im Jahr 1940 gefallen sind - bei dem Diktator damals die Gewißheit hervorgerufen: Der Westen ist so zermürbt, ist so dekadent, ist so degeneriert; um die brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern; mein Einmarsch in Polen wird nur Papierprotest hervorrufen wie alle anderen Maßnahmen - wie die Einführung der Wehrpflicht, wie der Einmarsch ins Rheinland, wie die Erpressung Österreichs, wie die Erpressung der Tschechoslowakei, wie der Einmarsch in Prag. Dann war der point of no return überschritten. Und so glitt die Welt in den Zweiten Weltkrieg hinein.
Hätte man ihm rechtzeitig gesagt „Bis hierher und nicht weiter!", und zwar schon das erste oder spätestens das zweite Mal - der größte Teil von 10 bis 20 Jahrgängen dieses Jahrhunderts würde heute noch leben.
Und darum bin ich ein leidenschaftlicher Anhänger dieser Politik, die eine Risikoschwelle schafft, über die keiner hinwegkommt, ohne Selbstmord zu wollen.
Und nun sage ich etwas über Herrn Breschnew und die Kreml-Führung. Die Kreml-Führung ist sehr risikobewußt und sehr risikoscheu. Sie hat nur dort zugegriffen, wo es sich um Räume handelte, in denen ihr kein atomar bewaffneter Gegner gegenübertrat. Ob sie Bürgerkriege in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, in Ostasien oder den Einmarsch in Afghanistan betrieben hat, überall war das militärische Risiko für sie klein und leicht kalkulierbar,
nicht zuletzt deshalb, weil der Westen alle diese Etappen der 70er Jahre in einer falschen Entspannungseuphorie verschlafen hat und deshalb Vakuen geschaffen hat, in die die Sowjetunion - das gehört zum Gesetz ihres Wesens - dann zwangsläufig eingedrungen ist, ob Angola, ob Mozambique, ob Äthiopien, Südjemen usw.; die Liste könnte man noch fortsetzen.
Darum ist es meine und unsere feste Überzeugung, vom Westen wird nie eine Kriegsgefahr ausgehen. Was hier gesagt wird, ist ja nur psychologische Kriegführung, ist j a nur der Versuch, den amerikanischen Präsidenten in die Rolle des Kriegshetzers zu treiben und Herrn Breschnew das persilgeweißte Hemd des Friedensengels überzustreifen, ist eine Umkehrung der wirklichen Verhältnisse. Vom Westen geht nie eine Kriegsgefahr aus. Aber vom Westen geht ein so starker Verteidigungswille aus, daß das Risiko, das aus der Einführung der Mittelstrekkenraketen in Europa, falls die Verhandlungen zu keinem Erfolg führen, erwächst, für die Sowjetunion mit Sicherheit keinen Krieg an der NATO-Grenze jemals gewinnbar erscheinen läßt. Und genau auf das kommt es uns an: der Sowjetunion nicht unseren Willen aufzuzwingen, sondern ihr die Aussichtslosigkeit eines Krieges, die Aussichtslosigkeit der Erpressung ganz überzeugend und glaubwürdig darzustellen.
({11})
Das ist der Sinn unserer Friedenspolitik. Ich bin kein Dampfplauderer, der hier leere Phrasen macht. Dafür sind meine eigenen Fronterlebnisse, sicherlich auch die des Herrn Bundeskanzlers, zu deutlich gewesen, das Schicksal meiner geliebten Heimatstadt München, meiner Kameraden in meinen vielen Einheiten. Wir wissen, warum wir den Frieden wollen. Wir haben auch damals das richtige Urteil gehabt. Ich habe den Hitler-Stalin-Pakt nicht verursacht, den haben andere in jener Zeit verursacht und damit den letzten Stein des Hindernisses auf dem Weg zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beiseite geschafft. Um diese Strategie geht es uns. Diese Strategie durchzusetzen ist die alleinige Möglichkeit, unserer Bevölkerung eine sichere Friedensgarantie zu geben. Es war Herr Burns, der vor wenigen Tagen gesagt hat: „Wir ziehen unsere Truppen zurück, wenn sie hier nicht mehr willkommen sind." Wenn das die Russen in Polen, in der DDR, in Ungarn oder anderswo sagen würden! Das ist doch das Problem. Wie lange müssen wir diese Strategie aushalten? Die ist unbequem, das weiß ich. Das war auch meine freundschaftliche Antwort an Herrn Biedenkopf. Die müssen wir so lange aushalten, bis die Sowjetunion zum Code of Conduct, dem internationalen Verhaltenskodex der internationalen Umgangsformen, zurückkehrt.
({12})
Das erfordert einen langfristigen evolutionären Prozeß. Wenn der Westen einig, geschlossen und entschlossen bleibt, wird sich dieser evolutionäre Prozeß auch trotz des betrüblichen Rückschlags in Polen, der - siehe Zeitungsmeldungen - heute morgen eingetreten ist, unaufhaltsam vollziehen, weil nicht nur unsere Wirtschaftskraft stärker ist als die
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({13})
des Warschauer Paktes, weil auch die Idee der Freiheit auf die Dauer weder durch Panzer noch durch Bajonette niedergehalten werden kann.
({14})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu der Erklärung der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag vor.
({0})
- Verzeihung, meine Damen und Herren! Ich unterbreche die Vormittagssitzung. Wir fahren mit der Fragestunde um 14.30 Uhr, also eine halbe Stunde später als vorgesehen, fort.
({1})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/1089 Frage 45 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr ist vom Fragesteller, dem Abgeordneten Fischer ({0}), zurückgezogen worden.
Die Fragen 46 und 47 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Diederich ({1}), ebenfalls zurückgezogen.
Frage 48 des Herrn Abgeordneten Gilges wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Dazu begrüße ich den Herrn Staatssekretär des Bundeskanzleramtes.
Ich rufe Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß der Präsident des Bundesnachrichtendienstes bei einer Besprechung mit Mitarbeitern seines Hauses sein Verhalten in der Sache Rauschen-bach erläuterte und anschließend bei einer von ihm selbst veranlaßten Abstimmung erfuhr, daß mehr als drei Viertel dieser Mitarbeiter seinem Verhalten nicht zustimmten?
Darf ich bitten, Herr Staatssekretär!
Vielen Dank, Herr Präsident! - Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung muß erwarten, daß Fragen in der Angelegenheit Rauschenbach unter Mitwirkung der unmittelbar Beteiligten im 1. Untersuchungsausschuß der 9. Legislaturperiode behandelt werden. Ich bitte Sie daher schon aus diesem Grunde um Verständnis dafür, daß
ich nicht mit einer inhaltlichen Beantwortung der hier gestellten Frage dem oben genannten Untersuchungsausschuß vorgreifen möchte und daß ich dies wohl auch nicht kann.
Zusätzlich darf ich um Verständnis bitten, wenn ich sage, daß sich der Inhalt dienstinterner Besprechungen im Bundesnachrichtendienst für eine Erörterung in der Öffentlichkeit - und dazu gehört diese Fragestunde - nicht eignet.
Eine Frage dazu, Herr Abgeordneter Miltner? - Bitte.
Darf ich daraus schließen, daß Sie auch dann nicht zu einer Antwort bereit sind, wenn Sie bedenken, daß dieser Vorgang, der im Bundesnachrichtendienst vorgefallen ist, schon in der Presse gemeldet worden ist und in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt hat?
Indiskretionen in der Presse über dienstinterne Vorgänge im Bundesnachrichtendienst kann ich selbst dann nicht kommentieren, wenn sie unzutreffend sind, was im vorliegenden Fall - zumindest in Teilen - so ist, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß fehlerhaftes oder ungeschicktes Verhalten eines BND-Präsidenten eine geheimzuhaltende Tatsache ist?
Sie unterstellen hier dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ein fehlerhaftes oder zumindest ungeschicktes Verhalten. Beides muß ich zurückweisen.
Ich will ergänzend hinzufügen - und sehe einmal von dem hier behaupteten Vorgang ab -, daß für mich kooperativer Führungsstil durchaus die Wertschätzung, die die Bundesregierung gegenüber dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes hat, nur steigern kann.
Herr Abgeordneter Spranger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie eine Stellungnahme ablehnen: Ist Ihnen bewußt, daß Sie damit auch in Kauf nehmen, daß die Meldung, da sie undementiert ist, als richtig betrachtet wird?
Mit diesem Risiko muß ich als Aufsichtsperson gegenüber dem Nachrichtendienst mindestens in jeder Fragestunde rechnen, Herr Abgeordneter. Ja, das ist mir bewußt.
Herr Kollege Jäger ({0}), eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, einmal unterstellt, die in der Frage angesprochene Tatsache wäre falsch, wäre unrichtig: Geböte es dann nicht die Fürsorgepflicht, die Sie gegenüber
Jäger ({0})
dem Präsidenten haben, dafür zu sorgen, daß eine solche Behauptung durch ein klares Dementi aus der Welt geschaffen wird?
Ich will hier darauf antworten, Herr Abgeordneter Jäger, daß nach Kontaktnahme mit dem Vorsitzenden Ihrer Fraktion der Präsident des Nachrichtendienstes den in der Frage aufgeführten Vorgang dem Fragesteller gegenüber bereits ausführlich und direkt dargelegt hat. Man darf sich deshalb auch die Frage stellen, ob die Frage noch notwendig war, führt sie doch zu den Zusatzfragen, die mich hier aber nicht zu einer anderen Antwort bringen können.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr zur Frage 49.
Herr Staatssekretär, galt Ihre Anmerkung eben auch für die Frage 50?
Nein, Herr Präsident.
Dann haben Sie das Wort zur Beantwortung der Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner.
Wieweit sind Berichte zutreffend, daß der Präsident des Bundesnachrichtendienstes einem Mitarbeiter seines Hauses, der im Verdacht stand, ihm einen Drohbrief geschickt zu haben, das Angebot machte oder machen ließ, er werde ihm eine Stelle in einem Bonner Bundesministerium verschaffen, wenn er nur durch ein Geständnis Klarheit über die Drohung schaffe?
Was die Frage 50 angeht, so ist meine Antwort klar. Der von Ihnen angeführte Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 2. Oktober 1981 ist unzutreffend und kann deshalb auch im Sinne meiner Antwort an Herrn Jäger dementiert werden, was ich hiermit tue.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Miltner.
Darf ich daraus schließen, daß der Herr BND-Präsident von einem Angehörigen seines Amtes keinen Drohbrief bekommen hat?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, lautet:
Wieweit sind Berichte zutreffend, daß der Präsident ...
- ich verkürze ein wenig einem Mitarbeiter ... das Angebot machte oder machen ließ, er werde ihm eine Stelle in einem Bonner Bundesministerium verschaffen, wenn er nur durch ein Geständnis Klarheit über die Drohung
- also über den Drohbrief - schaffe?
Diese Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen" ist unzutreffend und von mir dementiert worden. Was den Vorgang selbst angeht, so ist er derzeit Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen gegenüber dem betreffenden Beamten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Miltner.
Darf ich daraus schließen, daß der betreffende Beamte weiterhin im BND ist und auch weiterhin im BND bleibt?
Das können Sie daraus nicht schließen. Aber endgültige personalrechtliche Konsequenzen gegenüber dem Beamten können selbstverständlich erst dann getroffen werden, wenn das Strafverfahren abgeschlossen ist.
Herr Kollege Spranger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie behaupten, daß der Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unzutreffend sei. Sind Sie bereit, dem Hause mitzuteilen, wie es tatsächlich war?
({0})
Ich kann doch nicht Vorgänge innerhalb des BND, die zudem noch Gegenstand eines Strafverfahrens sind, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vorführen, Herr Spranger.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen mehr zur Frage 50.
Dann rufe ich die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Broll auf:
Wie lassen sich die wegen des Vorwurfs, Kontakte zu Mitgliedern des Deutschen Bundestags gehabt zu haben, vom Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes gegenüber zwei Mitarbeitern seines Hauses getroffenen disziplinarischen Maßnahmen in Einklang bringen mit der Unterlassung solcher Maßnahmen gegenüber hochrangigen BND-Mitarbeitern, die nach Pressemeldungen in enger Zusammenarbeit mit der Illustrierten „Stern" das vom Staatssicherheitsdienst der DDR lancierte Material für die Verleumdungskampagne gegen den ehemaligen Quick-Redakteur Nouhuys aufbereitet haben?
Herr Präsident, es trifft nicht zu, Herr Abgeordneter, daß der Präsident des BND gegen zwei Mitarbeiter seines Hauses disziplinarische Maßnahmen wegen des Vorwurfs getroffen hat, sie hätten Kontakte zu Mitgliedern des Deutschen Bundestages gehabt. Nicht diese Kontakte als solche waren Gegenstand des Vorwurfs, sondern die Tatsache, daß die beiden Mitarbeiter mit Abgeordneten über eine das Bundeskanzleramt und den Bundesnachrichtendienst betreffende dienstliche Angelegenheit gesprochen haben, ohne den Präsidenten, das heißt ihren Dienstvorgesetzten, vorher oder wenigstens nachträglich davon zu unterrichten. Schon aus diesem Grunde besteht im übrigen zwischen den in der Frage miteinander verglichenen Sachverhalten keinerlei Zusammenhang.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, gibt es in der Bundesregierung präzise Anweisungen darüber, in welchem Maße Beamte mit Abgeordneten sprechen dürfen, speziell über ihre dienstlichen Angelegenheiten sprechen dürfen?
Was den Bereich angeht, der hier in Frage steht, Herr Abgeordneter, bleibt es selbstverständlich das Recht eines jeden Mitarbeiters, auch des Bundesnachrichtendienstes, sich mit persönlichen Angelegenheiten an einen Abgeordneten seines Vertrauens zu wenden, und zwar jederzeit.
Im vorliegenden Fall ging es darum, daß dienstliche Angelegenheiten, die zudem noch Gegenstand eines Untersuchungsausschußverfahrens werden sollten, was zum Zeitpunkt des Kontaktes dem betreffenden Beamten wohl bekannt war, hinter dem Rücken des Präsidenten mit einzelnen Abgeordneten erörtert wurden, und um nichts anderes. Für diese Fälle der Erörterung dienstlicher Angelegenheiten gibt es intern beim BND sehr präzise Anweisungen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, wie hat denn Ihre Behörde beziehungsweise die Spitze des Bundesnachrichtendienstes in vergleichbaren Fällen gehandelt, wo Beamte zwar nicht mit Abgeordneten, die offenbar besonders unter Quarantäne stehen sollen, sondern mit Redakteuren irgendwelcher Wochenzeitschriften über ähnliche Verhältnisse gesprochen haben?
In vergleichbaren Fällen, Herr Abgeordneter, hat die Behörde gleichartig gehandelt, und sie würde auch in Zukunft gleichartig handeln. Das ist völlig unabhängig von der Bezugsperson. Es ist im Gegenteil so, daß für ein Gespräch in persönlichen Angelegenheiten mit Abgeordneten des jeweiligen Vertrauens der Dienst wie jede Behörde besonderes Verständnis aufbringen würde. Aber ich unterstreiche: in persönlichen und nicht in dienstlichen Angelegenheiten.
Ich darf vielleicht ergänzend darum bitten, daß Abgeordnete dieses Hohen Hauses Beamte des Bundesnachrichtendienstes auch nur in den hier eben gezeigten Grenzen zu Gesprächen kontaktieren. Dann vermeidet das die Risiken für beide Seiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Maßnahmen, die Präsident Kinkel gegenüber diesen beiden Beamten ergriffen hat, weitgehend persönlich und nicht sachlich begründet waren und daß sie daher gegenüber derart hochqualifizierten und langjährigen Beamten durchaus unangebracht waren?
Die Maßnahmen, die Präsident Kinkel getroffen hat, hat er in voller Übereinstimmung mit mir getroffen. Und nicht nur deshalb sage ich hier: Sie waren sachlich geboten. Sie
lagen eher an der unteren Grenze dessen, was man sich in derartigen Fällen auch sonst hätte vorstellen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß es sich nicht nur um eine dienstliche Angelegenheit handelte, sondern um eine Angelegenheit, die als „Geheim" eingestuft war, und waren die betreffenden Beamten dienstlich mit dieser Angelegenheit befaßt, oder hatten sie sich ihre Kenntnisse unter Verletzung ihrer Dienstpflichten verschafft?
Herr Abgeordneter, der Natur nach sind sehr, sehr viele Vorgänge innerhalb des Bundesnachrichtendienstes klassifiziert. Ob sie nun in der Wortwahl und in jeder Einzelheit im einzelnen unter „Vertraulich" bzw. „Geheim" klassifiziert waren oder nicht, kann ich hier aus dem Stand nicht beantworten. Aber ich habe schon auf den Zusammenhang mit dem 1. Untersuchungsausschuß der 9. Legislaturperiode hingewiesen. Die beiden in Frage kommenden Beamten waren zumindest zum Teil mit den Sachverhalten, über die sie sich unterhalten haben, direkt nicht befaßt, was aber auf der anderen Seite nicht heißt, daß sie sich die Kenntnis darüber unter Umgehung der Dienstvorschriften verschafft hatten.
In der Antwort auf die erste Frage habe ich bereits darauf hingewiesen, daß dienstintern im BND - und das wollen wir auch weiter so halten - ein kooperativer Führungsstil herrscht. Und der setzt eben auch kooperative Gespräche voraus. Ich hoffe, die Möglichkeiten für diese kooperativen Gespräche werden durch derartige Vorgänge nicht verbaut.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Miltner.
Herr Staatssekretär, gilt diese Beurteilung für einen Kontakt mit einem Abgeordneten auch dann, wenn dieser Abgeordnete auf Grund seiner besonderen Stellung, z. B. als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, einen solchen Kontakt pflegt und Fragen an den Beamten des BND stellt?
Dann gilt das sogar in besonderem Maße, Herr Abgeordneter; denn für die Parlamentarische Kontrollkommission gibt es ganz präzise Regeln, was die Kontakte zwischen den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission und den Behörden und insbesondere dem Bundesnachrichtendienst angeht. Ich kann das nur unterstreichen.
Herr Kollege Spranger, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause mitteilen, welcher konkrete Schaden der Bundesrepublik Deutschland oder dem
Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 70. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 3. Dezember 1981 4095
Dienst durch diesen Kontakt zu den Abgeordneten entstanden ist?
({0})
Herr Abgeordneter, es ist nicht in erster Linie eine Frage des im jeweiligen Fall entstehenden konkreten Schadens. Es geht hier um das interne Vertrauensverhältnis zwischen dem Präsidenten und seinen Mitarbeitern, insbesondere seinen leitenden Mitarbeitern, das bereits dann schwer gestört sein kann, wenn im Einzelfall ein nicht erheblicher Schaden eintritt. Das ist also nicht das entscheidende Kriterium.
Herr Kollege Möller, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Informationen bestätigen oder dementieren, wonach durch diese Handlungsweise des Amtschefs beträchtliche Unruhe und Unsicherheit bei den Mitarbeitern des Amtes entstanden sei?
Ich muß mich hier vorsichtig ausdrücken und sage: Eher ist das Gegenteil der Fall, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Liedtke zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Betrtoffenen oder einer der Betroffenen wegen eines ähnlichen Fehlverhaltens schon einmal verwarnt werden mußten?
Auch das ist ein dienstinterner Vorgang, den ich hier nicht kommentieren darf, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Struck zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause mitteilen, um welche verdienstvollen Abgeordneten es sich gehandelt hat?
Ich bin nicht sicher, Herr Kollege, ob Ihre Zusatzfrage im Zusammenhang mit der eingebrachten Frage steht, aber ich überlasse es dem Herrn Staatssekretär, zu antworten.
Sie nehmen mir die Antwort vorweg, Herr Präsident.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe Frage 52 des Herrn Abgeordneten Broll auf:
Hat der Präsident des Bundesnachrichtendienstes bereits Untersuchungen gegenüber jenem Angehörigen des Bundesnachrichtendienstes eingeleitet, der dem Redakteur des „Stern"-Artikels vom 5. November 1981, Seite 246, unter der Überschrift „Methusalems Ende", die Detailinformationen für diesen Artikel lieferte, und was hindert den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, dem Informanten des „Stern"Redakteurs mit Disziplinarmaßnahmen zu begegnen?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, unterstellt, daß ein BND-Angehöriger dem genannten Presseorgan Detailinformationen gegeben habe. Dafür liegen bisher - ich unterstreiche: bisher - keinerlei Anhaltspunkte vor, obwohl der Präsident des BND sofort nach Erscheinen des Artikels entsprechende Untersuchungen angeordnet hat. Diese Untersuchungen sind nicht abgeschlossen.
Herr Kollege Broll zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welcher Art waren die zuletzt von Ihnen erwähnten Untersuchungen, verglichen etwa mit den Untersuchungen im Hinblick auf die beiden betroffenen Beamten, von denen der Präsident des Bundesnachrichtendienstes zunächst einmal auf irgendeinem Wege j a auch erfahren haben muß, daß dort - seiner Meinung nach - Indiskretionen begangen worden sein müssen?
Wenn ich Ihre Frage so verstehen darf, daß Sie nach der Gründlichkeit der Untersuchung fragen, dann antworte ich: Die Untersuchungen sind in den genannten Fällen völlig vergleichbar, Herr Abgeordneter.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben bestätigt haben, daß die Untersuchungen gleichartig gewesen sind, darf ich Sie fragen, ob Sie hier auch Ehrenerklärungen ähnlicher Art wie damals verlangt haben, und darf ich Sie weiter fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß zumindest ein erheblicher Verdacht bestehen muß, daß, wenn solch interne Dinge wie Decknamen usw. von Beamten des Nachrichtendienstes an die Presse gelangen, dies nur aus dem Hause selbst kommen kann?
Herr Abgeordneter, da hat man schon häufiger falsch gelegen. Ich würde deshalb lieber erst eine Wertung abgeben, wenn ich ein sicheres Urteil habe. Ich werde niemanden einem Verdacht aussetzen, solange die mit Gründlichkeit betriebene Untersuchung nicht abgeschlossen ist.
Herr Kollege Voss, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich würde Sie gern noch einmal fragen, ob in diesem Fall Ehrenerklärungen verlangt und abgegeben worden sind.
Entschuldigung, ich hatte den ersten Teil der vorigen Frage akustisch nicht richtig verstanden. - Ehrenerklärungen können immer nur abgegeben werden, wenn Sie ein Gegenüber dafür haben. Ich habe bereits in meiner ersten Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten
Broll darauf hingewiesen, daß bisher kein Anhaltspunkt für den Verdacht vorliegt, daß ein BND-Angehöriger - wer es auch immer sei - dem genannten Presseorgan Detailinformationen gegeben hat. Deswegen stellt sich diese Frage nicht.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Die Fragen 53 und 54 des Herrn Abgeordneten Breuer sollen auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Ich begrüße dazu Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher.
Ich rufe Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert auf:
Treffen die in dem in der „ZEIT" vom 12. November 1981 veröffentlichten „Brief eines Studenten aus Teheran über die Schreckensherrschaft des Chomeini-Regimes" dargestellten Tatsachen ({0}) nach Kenntnis der Bundesregierung zu, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für sich oder andere Institutionen, der terroristischen Ausübung politischer Macht entgegenzuwirken und den betroffenen Menschen in irgendeiner Weise zu helfen?
Herr Kollege, bei dem in der „Zeit" abgedruckten Brief handelt es sich um eine Meinungsäußerung aus der politischen Opposition, die auf dem Hintergrund der schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen zu sehen ist, die den Iran erschüttern und die die Bundesregierung mit großer Sorge verfolgt. Eine Nachprüfung im einzelnen ist uns allerdings nicht möglich.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lammert?
Wäre denn der Bundesregierung eine nicht ins Detail gehende allgemeine Information darüber möglich, ob die hier beschriebenen Zustände im großen und ganzen für zutreffend gehalten werden können oder nicht?
Herr Kollege Lammert, es ist sehr schwierig, dazu etwa zu sagen. Uns liegen natürlich Informationen über Hinrichtungen, Verhaftungen auch von Kindern und Jugendlichen vor, und wir wissen ebenso, daß auf der anderen Seite auch von seiten der Opposition Attentate gegen Mitglieder der Regierung und der herrschenden Partei in ganz großer Zahl vorgekommen sind. Sie wissen, daß die Bundesregierung in keinem Fall die Durchsetzung politischer Ziele mit Gewalt billigt und deshalb auch hofft, daß beide Seiten zu einer Mäßigung bereit sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Lammert.
Frau Staatsminister, hat es einen besonderen Grund, daß der zweite Teil meiner Frage überhaupt nicht beantwortet wurde, und gibt es vielleicht Indizien dafür, daß, wenn es zutrifft, wie in Meldungen der letzten Wochen - oder vielleicht sogar dieser Woche - nachzulesen war, daß 2 000 Iraner von der obersten Anklagebehörde nun begnadigt worden sein sollen, das eine Reaktion auf kontinuierliche Initiativen überall in der Welt sein könnte?
Herr Kollege Lammert, es ist natürlich so, daß die Bundesregierung tätig ist und interveniert. Zuletzt hat Bundesaußenminister Genscher am 8. Oktober in Bonn mit dem damaligen Außenminister Musawi, der ja heute Ministerpräsident ist, gesprochen und unsere Besorgnis über die zunehmenden schrecklichen Massenverurteilungen ausgedrückt. Wir gehen davon aus, daß diese Interventionen, wenn man sie nach Möglichkeit nicht zu sehr an die große Glocke hängt, dann auch Wirkungen zeigen.
Keine weiteren Fragen mehr.
Dann rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Trifft es zu, wie in der „Süddeutschen Zeitung" und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. November 1981 berichtet, daß die Bundesregierung mit der Rückkehr des bundesrepublikanischen Botschafters nach El Salvador zum 1. Dezember auch die Wiederaufnahme der Wirtschafts- und der Entwicklungshilfe erwägt, und wenn ja, was hat die Bundesregierung dazu bewogen, dies zum jetzigen Zeitpunkt, wo sich die innenpolitischen Auseinandersetzungen in dem mittelamerikanischen Staat zuspitzen, zu tun?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.
Herr Kollege Thüsing, die Bundesregierung hat bisher nicht erwogen, ihre entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador wieder aufzunehmen. Der Bundesminister des Auswärtigen hat bei seinem Gespräch mit Außenminister Chavez Mena von El Salvador am 20. November dieses Jahres auf dessen Frage, ob die Bundesregierung bereit sei, ihre Entwicklungshilfe für El Salvador wieder aufzunehmen, geantwortet, daß diese Frage unter Würdigung der weiteren Entwicklung geprüft werden müsse. Das wird zu gegebener Zeit geschehen.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing? - Bitte sehr.
Ich habe Sie also richtig verstanden, Frau Staatsminister, daß unter den augenblicklichen Umständen der Menschenrechtsverletzungen im Lande die Bundesregierung die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Hilfe nicht erwägt?
So ist es, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die derzeitige Lage in El Salvador und die Politik der herrschenden Junta entCatenhusen
wicklungspolitische Zusammenarbeit als sinnlos erscheinen lassen, weil die notwendigen Ziele und Zielgruppen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erreicht werden können?
Herr Kollege, wie ich vorhin schon sagte, erwägt die Bundesregierung zur Zeit nicht, die entwicklungspolitische Zusammenarbeit wieder aufzunehmen, und zwar aus mancherlei Gründen, die ich hier nicht im einzelnen erläutern möchte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatsminister, darf ich daraus schließen, daß das Verhalten der Bundesregierung in El Salvador der konkretisierte Ausdruck einer allgemeinen Politik der Bundesregierung ist, überall dort, wo sie Menschenrechte in erheblichem Ausmaß verletzt sieht, von einer solchen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit abzusehen?
Herr Kollege Jäger, ich gehe davon aus, daß auch Sie wissen, daß Menschenrechtsverletzungen in El Salvador auf beiden Seiten der widerstreitenden Parteien vorkommen und daß die entwicklungspolitische Zusammenarbeit u. a. und vielleicht auch vor allem deshalb nicht aufgenommen werden kann, weil unsere Helfer dort außerordentlich gefährdet wären, wenn sie im Inneren des Landes tätig würden.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Catenhusen auf:
Trifft es zu, wie in der „Süddeutschen Zeitung" vom 23. November 1981 berichtet, daß die Bundesregierung den seit April vergangenen Jahrs nicht besetzten Botschafterposten in El Salvador ab 1. Dezember d. J. wieder besetzen wird, und wenn ja, welche Anhaltspunkte hat die Bundesregierung dafür, daß die im vergangenen Jahr für die Rückberufung von Botschafter Neukirch maßgeblichen Sicherheitsbedenken jetzt nicht mehr bestehen?
Herr Kollege, das trifft zu. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist der Grad der Gefährdung des Botschafters nicht höher als in anderen vergleichbaren Ländern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß laut Bericht der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, der zur Zeit in der UNO debattiert wird, allein in der ersten Hälfte dieses Jahres über 9 000 Menschen in El Salvador ermordet wurden und daß nach Ermittlungen des Rechtshilfebüros des Erzbischofs von San Salvador seit Anfang letzten Jahres über 800 Menschen entführt wurden, daß also die massiven Verletzungen bürgerlicher und politischer Rechte bei völliger Untätigkeit der salvadorianischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichtsbarkeit andauern?
Herr Kollege, das, was Sie soeben gesagt haben, steht auf einem anderen Blatt. Die Bundesregierung hält es für notwendig, daß ein Botschafter in El Salvador präsent ist, damit wir uns aus eigener Beobachtung, Analyse und Bewertung der innenpolitischen Situation ein besseres und klareres Bild über die Lage machen können und damit auch die politischen Interessen, die die Bundesrepublik Deutschland und der freie Westen vertreten, dort kundgetan und vermittelt werden können. Das sind zwei sehr wichtige Gründe, die den Ausschlag dafür geben, daß wir diplomatische Vertretungen, diplomatischen Kontakt und diplomatische Beziehungen selbst dann unterhalten, wenn uns die politischen und gesellschaftlichen Zustände nicht gut gefallen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Da nach dem Bericht der Menschenrechtskommission die Menschenrechtsverletzungen in El Salvador unvermindert anhalten, möchte ich fragen, welches die konkreten Tatsachen sind, die die Bundesregierung dazu bewogen haben festzustellen, daß sich die Sicherheitslage im Lande gegenüber dem Zeitpunkt verbessert habe, zu dem der deutsche Botschafter aus El Salvador abberufen wurde?
Herr Kollege Catenhusen, ich habe ausdrücklich gesagt, daß sich die Sicherheitslage für die diplomatischen Vertretungen im letzten Jahr wesentlich verbessert hat, die vorher sehr bedrohlich war. Ich habe nichts zur Frage der Sicherheit im ganzen Lande gesagt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meinike.
Frau Kollegin, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Wiederentsendung des deutschen Botschafters eine Entscheidung des Bundeskabinetts gewesen ist?
Herr Kollege, die diplomatischen Beziehungen mit El Salvador sind niemals abgebrochen gewesen. Die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland sind stets durch einen Geschäftsträger präsent gewesen, und es bedarf bekanntlich keines Beschlusses, wenn der Geschäftsführer wieder durch einen Botschafter ersetzt wird.
({0})
Herr Kollege Peter, eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, wie beurteilen Sie politisch die Entsendung des Botschafters im Zusammenhang mit der Tatsache, daß andere EG-Länder auf diesen Schritt bisher verzichtet haben?
Herr Kollege, ich habe Ihnen erklärt: Wir haben die diplomatischen Beziehungen nicht abgebrochen, sondern wir haben den Botschafter zurückgezogen, als sein Leben und das Leben der anderen Angehörigen der
Botschaft gefährdet und bedroht waren. Dies ist nicht mehr der Fall, und deshalb wird jetzt der alte Zustand wiederhergestellt, ohne daß sich im Prinzip irgend etwas an den diplomatischen Beziehungen ändert.
Herr Kollege Thüsing, eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, hat die Bundesregierung nicht die Sorge, daß die Wiederbesetzung unserer Botschaft in El Salvador trotz gleichbleibender Menschenrechtsverletzungen und nicht geänderter Sicherheitslage, die damals zum Abzug des Botschafters führte, bei regierungsnahen Kräften den Anschein erwecken könnte, die Bundesregierung beurteile die Vorkommnisse heute anders und weniger negativ als vorher und könne deshalb zum business as usual zurückkehren?
Nein, das ist nicht der Fall. Das ist auch im Gespräch mit dem Außenminister von El Salvador ganz deutlich gemacht worden.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Meinike auf:
Trifft es zu, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 23. November 1981 berichtet, daß Bundesaußenminister Genscher bei einem Treffen am vergangenen Wochenende dem Außenminister von El Salvador in einem Gespräch zugesichert hat, daß die Bundesregierung wieder einen Botschafter in den mittelamerikanischen Staat entsenden wird?
Herr Kollege, das trifft zu. Die Entscheidung des Bundesministers des Auswärtigen, wieder einen Botschafter nach El Salvador zu entsenden, ist allerdings bereits Ende Oktober getroffen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meinike.
Frau Staatsminister, haben Sie Verständnis dafür, daß der Eindruck entstehen kann, daß bei nicht veränderten Bedingungen in El Salvador die Wiederentsendung eines deutschen Botschafters so verstanden werden kann, daß es sich hier um eine Richtungsänderung unserer Politik im Hinblick auf Lateinamerika handelt?
Nach dem vorher Gesagten muß ich Ihnen antworten, daß ich dafür kein Verständnis habe.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Meinike.
Treffen Berichte zu, daß die Wiederentsendung unseres Botschafters nach El Salvador auch in Gesprächen mit den Vereinigten Staaten erörtert worden ist?
Nein, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Peter.
Frau Staatsminister, ich hatte bereits zur vorigen Frage die Zusatzfrage gestellt, wie die Entsendung im Zusammenhang mit der Tatsache beurteilt wird, daß andere EG-Staaten darauf verzichtet haben. Können Sie mir diese Frage jetzt beantworten?
Nein, Herr Kollege, diese Frage kann ich nicht beantworten, weil wir die souveräne Entscheidung getroffen haben, einen früher schon bestehenden Zustand wiederherzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß dieser Schritt für die Regierung in El Salvador eine politische Aufwertung bedeuten muß und daß dieser Schritt auch in der Öffentlichkeit unseres Landes und der Öffentlichkeit vieler westeuropäischer Staaten, die diesen Schritt nicht vollzogen haben, so verstanden werden muß?
Herr Kollege, dieser Schritt ist weder eine Aufwertung noch eine Abwertung, sondern die Fortsetzung eines bereits bestehenden Zustands.
Herr Kollege Neumann zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, waren die Wahrung der Interessen der Bundesrepublik und das Wissen über die Lage in El Salvador nicht in gleicher Weise durch einen Geschäftsträger wie durch einen Botschafter zu erreichen?
Nein, Herr Kollege. Ich habe Ihnen j a vorhin erklärt, daß die regelmäßige Beurteilung und Beobachtung der Lage besser durch einen entsandten Botschafter geschehen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Herkenrath.
Frau Staatsminister, treffen eigentlich Meldungen zu, daß der Präsident von El Salvador, Herr Napoleon Duarte, der j a ein Zivilist ist, sich darum bemüht, freie Wahlen in diesem Land durchzuführen, und glaubwürdig darum bemüht ist, die Möglichkeiten dazu in diesem Lande zu schaffen?
Herr Kollege, das ist bekannt, steht aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten Frage.
Ich denke, das gilt auch für eine Reihe von Zusatzfragen, die bisher schon gestellt wurden. Die Frau Staatsminister hat mit großer Geduld diese Fragen alle beantwortet. Die Frage, die hier konkret gestellt wurde, lautet, ob der Außenminister Zusagen gemacht hat.
Herr Kollege Voigt, Sie wünschen das Wort zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, da nach dem Inhalt des Gesprächs gefragt wird, möchte ich Sie ergänzend fragen, ob der salvadorianischen Außenminister in diesem Gespräch in Kontinuität unserer Mittelamerikapolitik die Notwendigkeit einer politischen Lösung in El Salvador klargemacht und die Vorstellung der Bundesregierung in diesem Zusammenhang hinlänglich verdeutlicht worden ist.
Sie können ganz sicher sein, Herr Kollege Voigt, daß der Herr Außenminister mit dem salvadorianischen Außenminister sehr eindringlich über unsere Sorgen bezüglich der Destabilisierung der Lage in Lateinamerika und Mittelamerika gesprochen hat. Diese Sorgen betreffen ja nicht nur El Salvador, sondern noch andere benachbarte Länder, da allerdings in anderer Richtung.
Herr Kollege Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie mir sagen, auf wessen Initiative das hier erwähnte Gespräch zwischen dem bundesdeutschen Außenminister und dessen salvadorianischen Kollegen zurückzuführen und zustande gekommen ist?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß es nicht auf unsere Initiative hin zustande gekommen ist.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Die Fragen 59 und 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Hornhues werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Feldmann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß unmittelbar nach dem Besuch des Bundespräsidenten in Rumänien in Hermannstadt drei Personen verhaftet worden sind, die versucht hatten, persönlichen Kontakt mit ihm aufzunehmen, sowie daß eine größere Zahl von Lehrern fristlos entlassen worden sind, die sich geweigert hatten, ihre Ausreiseanträge zurückzuziehen, und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung bejahendenfalls aus diesem Verhalten rumänischer Behörden zu ziehen?
Herr Kollege, über Verhaftungen von drei Personen in Hermannstadt, die versucht hätten, mit dem Bundespräsidenten Kontakt aufzunehmen, ist dem Auswärtigen Amt und der Botschaft bisher nichts bekannt. Die Meldung über die Entlassug von ausreisewilligen Lehrern trifft nach unseren Informationen zu. Es handelt sich hierbei um eine in Rumänien bedauerlicherweise übliche Praxis, die in keinem Zusammenhang mit dem Staatsbesuch steht, sondern auf Lehrer aller in Rumänien lebenden Nationalitäten angewandt wird, die das Land verlassen möchten.
Nach Auffassung der rumänischen Regierung kann jemand, der nicht im Lande bleiben will, nicht die Kinder zum richtigen nationalen Selbstverständnis erziehen. Die rumänische Regierung betrachtet diese Praxis als eine ausschließlich das eigene Land betreffende innere Angelegenheit, in die sie keine Einmischung duldet. Aus diesem Grund erscheint es der Bundesregierung auch nicht erfolgversprechend, diese Frage gegenüber der rumänischen Regierung anzusprechen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Frau Staatsminister, da die rumänische Regierung sicherlich den Standpunkt der Bundesregierung kennt - sie hat j a immer die Auffassung vertreten, daß sie auf Grund der abgeschlossenen Verträge, insbesondere der UN-Menschenrechtspakte, das Recht hat, vom Vertragspartner ein vertragskonformes Verhalten zu erwarten -, frage ich Sie: Betrachtet die Regierung es nicht als eine Brüskierung des Bundespräsidenten, daß solche Maßnahmen wenige Tage nach seinem dortigen Aufenthalt getroffen werden, obwohl die dazu Anlaß gebenden Dinge schon lange bekannt gewesen waren, so daß ihm die Möglichkeit genommen war, das gleich bei seinem Besuch zur Sprache zu bringen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen schon gesagt, daß die in der Presse behaupteten Verhaftungen nicht nachprüfbar sind und daß leider regelmäßig Entlassungen vorgenommen werden, wenn Ausreiseanträge gestellt werden. Es ist mir nicht klar, zu welchem Zeitpunkt diese Lehrer ihren Antrag gestellt haben. Deshalb kann ich die Frage auch nicht beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, die Verhaftungen, nach denen ich gefragt hatte, noch einmal zum Gegenstand von Prüfungen zu machen und mich dann, notfalls schriftlich, davon zu unterrichten, welches Ergebnis diese Nachforschungen gehabt haben?
Herr Kollege Jäger, die Nachforschungen sind in vollem Gange. Falls sich irgendwelche Ergebnisse ergeben, werden wir sie Ihnen sehr gerne zustellen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. - Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet. Ich danke Ihnen, Frau Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf und begrüße zur Beantwortung der Fragen Herrn Staatssekretär Dr. Fröhlich.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Struck auf:
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über rechtsradikale Aktivitäten der Nothilfetechnischen Übungs
und Bereitschaftstaffel e. V., Bergen ({0}), vor, und wie bewertet sie die Tätigkeit ihres Vorsitzenden Jürgens?
Herr Abgeordneter, mit Ihrem Einverständnis möchte ich die Frage 64 gerne gleich mit beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Struck auf:
Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wie viele Jugendliche in dieser Gruppe Mitglied sind, ob Berichte über sogenannte Ertüchtigungslager im Raum Meißendorf ({0}) zutreffen?
Über rechtsextremistische Aktivitäten der Nothilfetechnischen Übungs- und Bereitschaftsstaffel e. V. hat die Bundesregierung keine Erkenntnisse. Den Sicherheitsbehörden liegen jedoch Hinweise vor, daß einige Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen dem Verein angehören und daß der Vorsitzende selbst Beziehungen zu Rechtsextremisten unterhalten hat.
Zur Anzahl der jugendlichen Mitglieder des Vereins und über sogenannte Ertüchtigungslager im Raum Meißendorf im Landkreis Celle ist den Sicherheitsbehörden nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, ob Verbindungen dieser Gruppe zu den Waffenfunden im Landkreis Uelzen bestehen?
Nach den bisherigen Ergebnissen des laufenden Ermittlungsverfahrens ist darüber nichts bekanntgeworden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß diese sogenannten Übungen in gebrauchten Uniformen des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr durchgeführt werden, und haben Sie Erkenntnisse über die Benutzung von Waffen oder waffenähnlichen Geräten?
Über die Benutzung von Waffen und waffenähnlichen Geräten liegen keine Informationen vor, Herr Abgeordneter.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Kollege Struck.
Können Sie dann, Herr Staatssekretär, wenigstens Auskunft über Verbindungen zu weiteren rechtsradikalen Gruppen im Lande Niedersachsen geben?
Ich habe erwähnt, Herr Abgeordneter, daß einzelne Mitglieder der Organisation Verbindung zu Rechtsextremisten haben. Es handelt sich dabei um die Nationaldemokratische Partei.
Eine vierte Zusatzfrage, Herr Kollege Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie vielleicht bestätigen, daß es offenbar Aufgabe dieser Gruppe ist, den Fuhrpark für rechtsradikale Gruppen zu erhalten und zu erweitern sowie Jugendliche an rechtsradikale Tätigkeiten und wehrsportartige Übungen heranzuführen?
Herr Abgeordneter, bei all diesen sogenannten Wehrsportgruppen liegt zunächst eine Vermutung in dieser Richtung nahe. Sie muß sich nicht bestätigen, aber sie kann sich bestätigen. Deswegen ist es sicher richtig, ein Auge auf diese Entwicklungen zu werfen.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dolata auf:
Worauf sind die innerhalb weniger Tage erfolgten unterschiedlichen Angaben der Bundesregierung über den 3,7- bzw. 0,45prozentigen Anstieg der Geburtenrate in den ersten neun Monaten dieses Jahrs zurückzuführen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 19. November 1981 eine Anfrage der „Deutschen Presse-Agentur" nach der Entwicklung der Geburtenzahlen in den ersten neun Monaten 1981 beantwortet. Dabei wurde infolge eines Schreibfehlers bedauerlicherweise eine Zuwachsrate von 3,7% statt nur 0,45% mitgeteilt. Das Ministerium hat den Sachverhalt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur am folgenden Tag korrigiert. Die dpa hat eine entsprechende Richtigstellung gebracht, die auch von der Presse veröffentlicht worden ist.
Keine Zusatzfrage, Herr Kollege Dolata?
Dann rufe ich Ihre Frage 66 auf:
Wie viele von den zuletzt genannten 471 848 Lebendgeborenen sind Deutsche, und wie viele sind Kinder ausländischer Staatsangehöriger?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, nach den vorläufigen amtlichen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes wurden im ersten Quartal 1981 148 835 Lebendgeborene - davon 18 594 mit ausländischer Staatsangehörigkeit - und im zweiten Quartal 1981 154 845 Lebendgeborene - davon 20 797 mit ausländischer Staatsangehörigkeit - verzeichnet.
Das vorläufige amtliche Ergebnis für das dritte Quartal 1981 liegt dem Statistischen Bundesamt noch nicht vollständig vor. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß der Anteil der LebendgeStaatssekretär Dr. Fröhlich
borenen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wie im zweiten Quartal bei rund 13 % liegt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dolata.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß nicht nur wir Politiker, sondern auch die Familienverbände, die Medien und die Familien selber einen Anspruch darauf haben, daß, wenn Sie Zahlen veröffentlichen, auch zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden wird?
Ich will das nicht bestreiten. Ich glaube auch, daß die Veröffentlichungen in dieser Form erfolgen, daß es jedenfalls nicht irgendwie als Geheimnis behandelt wird, Herr Abgeordneter.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie den meiner Fragestellung zugrunde liegenden Sachverhalt, nämlich die Veröffentlichungen, kennen und Sie somit wissen, daß darin eben diese von Ihnen angesprochene Unterscheidung nicht enthalten war?
Das ist mir nicht bekannt. Ich vermag im Augenblick nicht zu erkennen, worin der Grund liegen könnte, daß das nicht geschehen ist.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, deuten die von Ihnen und die vom Kollegen in seiner Frage genannten Zahlen hinsichtlich der Geburtenrate der deutschen Bevölkerung auf eine Änderung des generativen Verhaltens hin, mit anderen Worten: Bedeuten die Zahlen eine Änderung des Trends auf deutliche Abnahme unserer Bevölkerung?
Herr Abgeordneter, generell muß man davor warnen, aus kurzfristigen Überblicken anspruchsvolle Erwartungen hinsichtlich Änderungen des generativen Verhaltens ableiten zu wollen. Es scheint im Augenblick so zu sein - im größeren Schnitt gesehen -, daß sich die Geburtenrate der deutschen Bevölkerung auf dem jetzigen, relativ niedrigen Niveau stabilisiert.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Welche Auswirkungen des neuen Konzepts der TA Luft nach dem Entwurf vom 10. September 1981 auf Genehmigungspraxis und Verwaltungsgerichtsbarkeit erwartet die Bundesregierung bei Genehmigungsverfahren für Großfeuerungsanlagen, insbesondere hinsichtlich der neu eingeführten unbestimmten Rechtsbegriffe zur Abgrenzung der zulässigen Emissions- und Immissionswerte?
Herr Abgeordneter, genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - dazu zählen auch Großfeuerungsanlagen - sind so zu errichten
und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können und darüber hinaus Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird. Die TA Luft konkretisiert diese Genehmigungsvoraussetzungen hinsichtlich des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen bei einigen Stoffen durch die Festlegung von Immissionswerten, hinsichtlich der zu treffenden Vorsorge vor allem durch die Bestimmung von Immissionswerten für eine Vielzahl von Stoffen. Der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erlaubt zur Zeit die Festlegung von Immissionswerten lediglich für elf verschiedene Substanzen. Für alle übrigen in der Industrie verwandten Substanzen hat die zuständige Behörde in jedem einzelnen Genehmigungsverfahren zu prüfen, ob ein von einer Anlage emittierter Stoff auf Menschen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen in einer solchen Weise einwirken kann, daß dadurch Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen hervorgerufen werden können.
Dieser gesetzlich vorgegebene umfassende Prüfungsrahmen wird durch die vorgesehenen Regelungen im Entwurf der TA Luft, die die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Wirkungsforschung, die in den letzten Jahren ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung und die Verwaltungserfahrungen der Länder berücksichtigen, auf die wesentliche Grundsätze eingegrenzt. Die Bundesregierung ist daher im Einvernehmen mit den zuständigen Länderministerien der Auffassung, daß die geplanten Vorschriften im Entwurf der TA Luft mehr Rechtssicherheit bei Investitionen bringen und die Entscheidungen von Behörden und Gerichten kalkulierbarer werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Laufs.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen: Verfolgt die Bundesregierung mit der Novellierung der TA Luft die Absicht, die Genehmigung industrieller Anlagen überall von den jeweils vorkommenden empfindlichsten Pflanzen- und Tierarten abhängig zu machen?
Nein, diese Absicht wird nicht verfolgt. Denn es wird j a, wie Ihnen sicher bekannt ist, Herr Abgeordneter, berücksichtigt, daß die Immissionswerte in verschiedenen Regionen so hoch sind, daß nicht in jedem Falle eine Umweltverträglichkeit, gemessen an den empfindlichsten Pflanzen und Tieren, angepeilt werden kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Laufs.
Herr Staatssekretär, da Sie eine Erhöhung der Rechtssicherheit bei den Genehmigungsverfahren erwarten, frage ich: Liegen den in dem Entwurf der TA Luft vielfach vorgesehenen Vorbehalten für die Anwendung von Immissionswerten gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde, von denen im Genehmigungsverfahren klar und eindeutig ausgegangen werden kann?
Diese Frage möchte ich bejahen, Herr Abgeordneter.
Dann rufe ich die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Laufs auf:
Treffen Pressemeldungen zu, vergleiche Stuttgarter Zeitung vom 23. November 1981, daß geltendes Datenschutzrecht die Verfolgung von Straftaten in der Praxis erheblich behindert und in einzelnen Fällen unmöglich macht, und welche Rechtsvorschriften des Bundes müssen gegebenenfalls nach Auffassung der Bundesregierung überprüft und geändert werden?
Herr Abgeordneter, das geltende Datenschutzrecht behindert die Verfolgung von Straftaten nicht. Die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes gelten gemäß dessen § 45 im Rahmen der Strafverfolgung nur, soweit nicht die Strafprozeßordnung vorrangig ist. Als vorrangige Rechtsvorschrift sieht z. B. § 161 der Strafprozeßordnung vor, daß die Staatsanwaltschaft bzw. die Polizeibeamten als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bei allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen können.
Die Datenübermittlung von Behörden an die Polizei sowie die Datenverarbeitung bei der Polizei sind nach den §§ 9 und 10 des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. den entsprechenden Bestimmungen der Landesdatenschutzgesetze an das Merkmal der Erforderlichkeit der rechtmäßigen Aufgabenerfüllung geknüpft. Diese Vorschriften entsprechen in ihrem Regelungsgehalt insofern dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie lassen die Informationsübermittlung in dem für die Praxis erforderlichen Umfange zu. Insbesondere ist der notwendige Informationsaustausch der Polizeien untereinander gewährleistet, wobei ergänzend für die Zusammenarbeit der Polizeien des Bundes und der Länder auf die besonderen Vorschriften des Bundeskriminalamtsgesetzes hinzuweisen ist. Auch die bereichsspezifischen Regelungen wie § 18 des Melderechtsrahmengesetzes und die §§ 68 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches wahren die Belange der Strafverfolgungsbehörden voll, wenn auch im Hinblick auf das Sozialgeheimnis im Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches gewisse verfahrensmäßige Abstufungen vorgesehen sind.
Die Bundesregierung hält es daher nicht für angezeigt, Rechtsvorschriften über den Datenschutz im Sinne Ihrer Fragestellung zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Laufs.
Herr Staatssekretär, dann treffen nach Ihrer Auffassung Pressemeldungen also nicht zu, daß Ermittlungen in einem Fall von Mordverdacht nur deshalb haben aufgenommen werden können, weil alte Akten gesetzwidrig nicht vernichtet worden waren?
Ich weiß, welchen Artikel Sie ansprechen, Herr Abgeordneter. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Fehlern in diesem Artikel aufzählen, die beweisen, daß die Behauptung, hier würde die Strafverfolgung behindert, nicht zutreffend ist. Der Fall, den Sie im Augenblick ansprechen, geht darauf zurück, daß es notwendigerweise
Fristen für die Aufbewahrung von kriminalpolizeilichen Akten gibt. Die hat es immer gegeben, und die gibt es auch im Rahmen des Datenschutzes. Die Polizei muß sich von altem Ballast befreien. Das kann im Einzelfall immer bedeuten, daß ein Vorgang, der vernichtet worden ist, vielleicht später wieder relevant gewesen wäre.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Laufs.
Können Sie die Pressemitteilungen bestätigen, daß die datenschutzrechtlichen Regelungen bei Behörden vielfach nicht richtig angewendet werden?
Es ist ganz unbestreitbar, Herr Abgeordneter, daß es bei den Behörden - das gilt nicht nur für die Polizei - einer gewissen Einarbeitung in die neue Materie des Datenschutzes bedarf. Aber den Datenschutz einzuführen war eine von allen politischen Parteien für notwendig gehaltene Grundsatzentscheidung. Die Behörden müssen sich darauf einstellen und mit Anfangsschwierigkeiten fertigwerden. Aber ich glaube, daß die Anlaufschwierigkeiten im wesentlichen bereits überwunden worden sind.
Keine weiteren Zusatzfragen? Dann rufe ich die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Möller auf:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, daß die Botschaft der UdSSR dem Bundeskriminalamt eine oder mehrere Listen von ausländischen, insbesondere afghanischen Bürgern zugeleitet hat mit dem Ziel, deutsche Behörden zu veranlassen, diesen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Afghanen die Teilnahme an Demonstrationen aus Anlaß des Besuchs des Generalsekretärs der KPdSU zu untersagen, und was hat das Bundeskriminalamt gegebenenfalls mit solchen Listen unternommen?
Herr Abgeordneter Möller, die sowjetische Botschaft hat in der Vorbereitungsphase des Staatsbesuches des Generalsekretärs des Zentralkomitees der UdSSR Breschnew vom 22. bis 25. November in der Bundesrepublik Deutschland dem Bundeskriminalamt Listen mit Namen von Personen überreicht, die nach Einschätzung der Botschaft Breschnew gefährden könnten. Das Bundeskriminalamt hat die Namen von Personen, zu denen es einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte feststellen können, an die für den Wohnsitz jeweils zuständigen Länder weitergeleitet.
Soweit das Bundeskriminalamt auf Grund eigener Erkenntnisse eine Gefährdung nicht ausschließen konnte, wurden dabei ausländerrechtliche Maßnahmen erbeten. Andernfalls wurde lediglich mitgeteilt, daß durch die sowjetische Botschaft eine Benennung als Gefährder erfolgt sei.
Hinsichtlich solcher ausländischer Personen, bei denen von einem Aufenthalt im Ausland auszugehen war und eine Gefährdung vom Bundeskriminalamt nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde beim Bundesministerium des Innern eine EinreiseStaatssekretär Dr. Fröhlich
sperre für den Besuchszeitraum beantragt und von uns verfügt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, können Sie mir etwa sagen, wieviel Namen von ausländischen Gästen auf dieser Liste der Botschaft der UdSSR gestanden haben und wieviel Namen an die deutschen Behörden weitergegeben worden sind?
Es handelt sich im ersten Teil Ihrer Frage um eine Zahl im vierstelligen Bereich und im zweiten Teil um eine Zahl im dreistelligen Bereich.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, entspricht es internationalen Gepflogenheiten, daß bei Staatsbesuchen oder ähnlichen Arbeitsbesuchen die gastgebende Regierung auf unliebsame Gäste oder unliebsame Bürger hingewiesen wird, die den Staatsbesuch in irgendeiner Weise gefährden könnten?
Es entspricht internationaler Übung, daß sich das gastgebende Land intensiv bemüht, alle Gefährdungsmomente für den Staatsgast auszuschließen. Dazu gehört auch die Feststellung der Namen von Personen, die dem Staatsgast gefährlich werden könnten. Das entspricht auch der Praxis, die seit eh und je bei der Vorbereitung von Staatsbesuchen hier angewendet wurde, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Jäger ({0}) zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, enthielten diese Listen nur schlicht und einfach die Namen der betreffenden Personen, oder hat die Sowjetunion auf diesen Listen auch konkrete Hinweise gegeben, aus denen sich eine Möglichkeit der Erkenntnis über die Gefährlichkeit dieser betroffenen Personen ersehen ließ?
Konkrete Angaben in dieser Richtung haben die Listen, die uns übergeben wurden, nicht gehabt. Deswegen ist j a die Weitergabe von Befragungen der entsprechenden Systeme des Bundeskriminalamts abhängig gemacht worden.
Herr Kollege Dr. Miltner zu einer Zusatzfrage.
Haben die deutschen Sicherheitsbehörden Maßnahmen gegen alle Personen, deren Namen auf der Liste der sowjetischen Botschaft übergeben wurden, ergriffen, oder sind Teile davon nicht betroffen worden; und ist es üblich, daß alle Personen mit einer solchen Maßnahme belegt werden?
Herr Abgeordneter Miltner, die zuständigen Landesbehörden haben meines Wissens keineswegs in allen Fällen Maßnahmen verfügt, sondern es von ihrer eigenen ortsnahen Beurteilung abhängig gemacht, was unternommen worden ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Möller auf:
Enthielt eine solche Liste auch den Namen des in Bonn tätigen Pfarrers Paulis Klavins?
Ja, Herr Abgeordneter. Eine der Listen enthielt den Namen Klavins, allerdings in einer abweichenden, russifizierten Schreibweise, der dem Polizeipräsidenten Bonn ohne eine Empfehlung für ein bestimmtes Verfahren übermittelt worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Möller.
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß das Bundeskriminalamt keine konkreten Hinweise zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Herrn Klavins enthalten hat?
Davon können Sie ausgehen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, indem ich zugebe, daß die Bundesregierung bei der Vorbereitung von Staatsbesuchen dieser Art gewisse Verpflichtungen hat, frage ich Sie doch: Würde es nicht unserem Verständnis von Freiheit entsprechen und andererseits auch unseren Kenntnissen über die Art, die diktatorische Staaten -
Herr Kollege Broll, es tut mir außerordentlich leid, daß ich Sie unterbrechen muß. Aber sehen Sie sich den Text der Frage an. Da heißt es, ob die Liste auch einen bestimmten Namen enthielt. Nur diese Frage ist zu beantworten. Sie können jetzt nicht eine ganze Philosophie da herum gründen.
Darf ich die Frage vielleicht kürzer fassen, Herr Präsident?
Kurz. Aber sie muß im Sachzusammenhang mit der gestellten Frage stehen.
Gebietet es nicht unser Verständnis von Freiheit, Herr Staatssekretär, bei der Nennung konkreter Namen vor Ingangsetzung bestimmter Maßnahmen die wirkliche Gefährdung zu prüfen?
Ich habe den letzten Teil nicht verstanden.
Würde es sich nach unserem Verständnis von Freiheit nicht empfehlen, die wirk4104
liche Gefährdung zu prüfen, bevor Maßnahmen dieser Art ergriffen werden?
Herr Kollege Broll, Sie können j a eine solche Frage mal an die Bundesregierung stellen. Aber diese Frage ist hier nicht gestellt. Die Frage lautet: „Enthielt eine solche Liste auch den Namen des in Bonn tätigen Pfarrers Paulis Klavins?" Die Frage ist beantwortet worden, und Sie können jetzt nicht zusätzliche Fragen erfinden, die nicht im Sachzusammenhang damit stehen. Bitte, beschränken Sie sich darauf. Sonst kommen die anderen Fragesteller nicht mehr zur Beantwortung ihrer Fragen.
Herr Kollege Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, ist auf dieser Liste nur der Name dieses Pfarrers oder auch seine Tätigkeit als Geistlicher einer christlichen Kirche erwähnt gewesen, oder ist dies nur aus dem Wissen der Bundesregierung entsprungen?
Ich bin nicht ganz sicher, Herr Abgeordneter. Aber ich glaube sagen zu können, daß in der Liste nur Name und Vorname enthalten waren und daß die übrigen Feststellungen am Ort von der zuständigen Ortsbehörde getroffen worden sind.
Herr Kollege Möller zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mitteilen, welche Bundesbehörde der anweisenden Behörde, nämlich der Stadt Bonn, Hinweise gegeben hat, daß ein Verstoß gegen die Anordnung, d. h. ein Verstoß gegen den Hausarrest, eine Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland darstellen könnte?
Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Abgeordneter, daß irgendeine Bundesbehörde eine solche Erklärung abgegeben hat. Denn die Übermittlung des Namens ist j a ausdrücklich ohne jede Empfehlung für ein bestimmtes Verfahren erfolgt.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Dann rufe ich die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Welche Dienststelle des Bundes hat das Ordnungsamt der Stadt Bonn veranlaßt oder die Empfehlung gegeben, in die Menschenrechte des lettischen Pfarrers Paulis Klavins einzugreifen, dem das Ordnungsamt nach Pressemeldungen für die Dauer des Aufenthalts des sowjetischen Staatschefs Breschnew in der Bundesrepublik Deutschland ein Ausgangsverbot bzw. ein Hausarrestgebot auferlegt hat, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang?
Herr Abgeordneter, das Ordnungsamt der Stadt Bonn wurde durch keine Dienststelle des Bundes ersucht, Maßnahmen gegen den lettischen Pfarrer Klavins zu ergreifen.
Wie ich eben bereits zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Möller ausgeführt habe, hat das Bundeskriminalamt von der sowjetischen Botschaft Listen mit Namen von Personen erhalten, die von ihr im Zusammenhang mit dem Besuch des sowjetischen Staatschefs Breschnew als gefährlich bezeichnet wurden. Unter diesen Namen befand sich auch der von Herrn Klavins. Der Hinweis auf Herrn Klavins wurde vom Bundeskriminalamt an den Polizeipräsidenten in Bonn übermittelt. Da dem Bundeskriminalamt keine eigenen Erkenntnisse vorlagen, hat es hierbei nur darauf hingewiesen, daß die genannten Personen von der Botschaft der UdSSR als für den Staatsgast gefährlich benannt worden seien. Um Veranlassung ausländerrechtlicher Maßnahmen durch die Ausländerbehörde der Stadt Bonn hat das Bundeskriminalamt nicht ersucht.
Die weitere Behandlung der Angelegenheit Klavins fällt in die Zuständigkeit von Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort, die Sie soeben gegeben haben, schließen, daß das Ordnungsamt der Stadt Bonn bei der Verfügung, die es gegen Pfarrer Klavins erlassen hat, die Anordnung des sofortigen Vollzugs der Verfügung, den es auf die Feststellung gestützt hat, daß dies zur Vermeidung der Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland erforderlich sei, aus den eigenen Fingern gesogen hat, und können Sie ausschließen, daß das Ordnungsamt von Bundesbehörden dazu Hinweise bekommen hat?
Herr Abgeordneter, was den Part von Bundesbehörden in dieser Angelegenheit betrifft, so habe ich den Sachverhalt nach meinem Wissensstand umfassend dargestellt. Vorgänge im Landesbereich unterliegen nicht meiner Überprüfungsmöglichkeit, und ich möchte mich dazu auch nicht äußern.
Herr Abgeordneter Jäger, eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann frage ich Sie außerdem: Hat das Bundeskriminalamt in dieser Angelegenheit, was gerade speziell Pfarrer Klavins betraf, bei der Mitteilung dieses Namens darauf hingewiesen, daß es selber über irgendwelche Erkenntnisse, die zu irgendwelchen Schritten Veranlassung geben, nicht verfügt?
Ja, ich habe das schon gesagt. Die Liste, die den Namen Klavins enthielt, war ohne Empfehlungen mit dem bloßen Hinweis darauf weitergegeben worden, daß das eine Information aus der Quelle Sowjetbotschaft ist.
Herr Kollege Möller zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für rechtsstaatlich einwandfrei, daß einem ausländischen Bürger, der seit vielen Jahren hier bei uns wohnt, einen Tag vor der Demonstration
eine Verfügung geschickt wird, gegen die er praktisch kein Rechtsmittel mehr einlegen kann, weil die Demonstration eben am nächsten Tag stattfand?
Herr Abgeordneter, Sie möchten mich hier dazu provozieren, das Verhalten einer Behörde des Landes Nordrhein-Westfalen zu bewerten. Sie werden nicht erleben, daß ich das tue.
Herr Kollege Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie die hier gewählten Verfahren insgesamt für verbesserungsbedürftig?
Herr Abgeordneter, es ist bei diesen Besuchen, die von der Sicherheitsseite stets unter Zeitdruck vorbereitet werden müssen, weil der Protokollablauf erst im letzten Augenblick festliegt, immer so, daß schnell gearbeitet werden muß. Die Sicherheitsbehörden, die hier eine hohe Verantwortung tragen, werden sich immer entweder dem Vorwurf, sie hätten zuviel getan, oder, wenn es anders geht, dem Vorwurf, sie hätten zuwenig getan, ausgesetzt sehen. Das wird sich immer erst hinterher, ex post, beurteilen lassen. Und hinterher ist es natürlich relativ leicht, das zu sagen.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich Frage 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die mit der Erweiterung von Landessammelstellen in den meisten Bundesländern - z. B. auch in Hessen - zu Konditionierungs
und Behandlungsanlagen verbundene Problematik so komplex ist, daß nur über ein Planfeststellungsverfahren die sachgerechte, alle Einwendungen berücksichtigende Entscheidung über die Zulässigkeit denkbar erscheint, und beabsichtigt die Bundesregierung, das Atomgesetz in der jetzt gültigen Fassung vom 31. Oktober 1976 so zu ändern, daß die von den Bundesländern einzurichtenden Landessammelstellen ({0}) auch von den Verfahren zur Planfeststellung für die Errichtung und den Betrieb von baulichen Anlagen nach diesem Gesetz erfaßt werden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält eine Änderung des Atomgesetzes im Sinne einer Einführung des Planfeststellungsverfahrens für Landessammelstellen weder für geboten noch für zweckmäßig.
Für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage des Bundes zur Endlagerung radioaktiver Abfälle sieht § 9 b des Atomgesetzes ein Planfeststellungsverfahren wegen der Komplexität des bei einem Endlagerprojekt zu beurteilenden Sachverhalts vor. Bei Landessammelstellen besteht dagegen für eine entsprechende Verfahrenskonzentration kein Anlaß. Ihr Gefährdungspotential läßt sich mit dem eines Endlagers nicht vergleichen. Die Sammelstellen, die nur schwach- und mittelaktive Abfälle aufnehmen, dienen lediglich der Zwischenlagerung bis zur endgültigen Beseitigung des Abfalls. Darüber hinaus stehen die konditionierten Abfälle in Stahlfässern während der Lagerung unter direkter ständiger Kontrolle.
Wenn im Hinblick auf diese Zwischenlagerung in Landessammelstellen von den Ländern Konditionierungs- und Behandlungsanlagen eingerichtet werden, so ergibt sich daraus keine andere Beurteilung. Diese Vorrichtungen sind insoweit vergleichbar mit Isotopenlabors für den Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen, bei denen ebenfalls das Genehmigungsverfahren nach § 3 der Strahlenschutzverordnung vorgesehen ist. Von diesen Labors gibt es gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 2 000.
Das Genehmigungsverfahren für Landessammelstellen bestimmt sich nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Im Rahmen dieses Verfahrens können Einwendungen von Interessenten berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kübler.
Herr Staatssekretär, basieren diese Aussagen auf Erfahrungsberichten oder auf der Angabe von Zahlen von Störfällen oder dergleichen?
Was ich vorgetragen habe, beruht auf der übereinstimmenden Bewertung der Bedürfnisse für die Feststellung dieser Landessammelstellen durch Bundes- und Landesbehörden, also auch durch die ortsnahen Behörden, die mit den Auswirkungen unmittelbar in Berührung kommen.
Der Herr Kollege Kübler zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist bis jetzt eine fachwissenschaftliche Begleitung erfolgt oder nicht erfolgt?
Die Bundes- und die Landesbehörden, die sich mit diesen Fragen befassen, sind mit naturwissenschaftlichen Fachkräften, die diese Fragen kompetent beurteilen können, bestückt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung bisher aus der Erkenntnis gezogen, daß, wie sie in ihrer Antwort vom 24. Juli 1981 ({0}) auf meine diesbezügliche Frage mitteilte, durch den Bremsabrieb in den Automobilen rund 8 000 t Asbeststaub jährlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unkontrolliert in die Umwelt freigesetzt werden, davon 13 t in seiner gesundheitsbedrohendsten Faserform, und das, obwohl alternative Techniken in Form von asbestfreien Bremsbelägen zur Verfügung stehen und solche laut Auskunft der Bundesregierung „auch schon bevorzugt in Fahrzeugen der Post und Polizei eingesetzt werden"?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat inzwischen bei Herstellern von Bremsbelägen in der Bundesrepublik Deutschland eine Umfrage nach dem möglichen Einsatz asbestfreier Bremsbeläge durchgeführt. Nach dem bisherigen Ergebnis der Umfrage liegt bei einer beacht4106
lichen Zahl von Fahrzeugtypen auch die allgemeine Betriebserlaubnis für asbestfreie Bremsbeläge vor. Nur bei einem Teil dieser Bremsbeläge haben die Automobilhersteller auch die Firmenfreigabe erteilt, weil sie ihre eigenen Sicherheitsanforderungen nicht in allen Fällen als erfüllt ansehen.
Die Bundesregierung wird die mit der Einführung asbestfreier Bremsbeläge zusammenhängende Fragen mit der Automobilindustrie in dem Arbeitskreis „Schadstoffminderung und Kraftstoffersparnis" erörtern.
Die Bundesregierung ist bestrebt, die Untersuchung über die gesundheitlichen Risiken von Asbest und die Möglichkeiten eines Ersatzes von Asbest in Brems- und Kupplungsbelägen auch durch umfangreiche Forschungsvorhaben so schnell wie möglich voranzutreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort vom 20. Juli 1981 haben Sie festgestellt, daß die Bremssysteme mit asbestfreien Bremsbelägen eine längere Lebensdauer und damit höhere Wirtschaftlichkeit aufweisen und daß sie deshalb auch schon in einer Reihe von Post- und Polizeifahrzeugen eingebaut worden sind. Das ist mir nicht ganz verständlich, wenn ich jetzt Ihre Antwort auf die Frage höre.
Herr Abgeordneter, die Herstellerwerke haben in eigenen technischen Versuchen diese Frage geprüft. Dabei hat sich ergeben, daß es relativ problemlos war, von den Firmen her bereits jetzt asbestfreie Bremsbeläge bei Fahrzeugen leichterer Bauart zu verwenden. Dagegen ist wegen des Problems der Standfestigkeit des Bremsbelags die Möglichkeit der Verwendung bei schweren Fahrzeugen offenbar noch nicht hinreichend geklärt. Das erklärt auch, daß ein Hersteller, der leichte Fahrzeuge herstellt, die vor allem von der Polizei verwendet werden, diese Entscheidung bereits treffen konnte, während sich die Hersteller von größeren Typen oder von Nutzfahrzeugen noch nicht befriedigt gezeigt haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Herr Staatssekretär, kann ich auf Grund Ihrer jetzigen Antwort davon ausgehen, daß die Bundesregierung den größten Wert darauf legt, daß in vergleichbaren Fahrzeugtypen, wie sie die Post und die Polizei benutzen, im privaten Bereich ebenfalls dafür Sorge getragen wird, daß asbestfreie Bremsbeläge benutzt werden?
Davon können Sie ausgehen, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung wird diese Position auch in dem Arbeitskreis vertreten, den ich genannt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Peter.
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorher, daß Sie so schnell wie möglich zu Erfolgen in diesem Arbeitskreis kommen wollen. In welchen zeitlichen Dimensionen spielen sich Ihre Vorstellungen in bezug auf „so schnell wie möglich" ab?
„So schnell wie möglich" heißt in der juristischen Sprache „ohne schuldhaftes Zögern", Herr Abgeordneter.
({0})
Es geht hier um technische Erprobungen, deren Ablauf ich nicht voraussehen kann. Ich möchte deshalb von der Festlegung auf Fristen absehen, die hinterher vielleicht nicht gehalten werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Liegen der Bundesregierung konkrete Zahlen vor, oder gibt es Schätzungen über die Zahl von durch den Bremsabrieb von asbesthaltigen Bremsbelägen an krebserkrankten Personen?
Das Bundesgesundheitsamt hat eine Stellungnahme zu den gesundheitlichen Risiken von Asbest vorgelegt. Diese Stellungnahme wird in einem Fachkolloquium im Februar 1982 erörtert werden. Belege dafür, daß Krebserkrankungen in der Allgemeinbevölkerung auf Bremsabrieb von asbesthaltigen Bremsbelägen zurückzuführen sind, liegen noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort vom 20. Juli 1981 und in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit vom 11. November 1981 heißt es, Asbest sei ein krebserregender Stoff. In der Bundesrepublik werden - auch auf Grund Ihrer Aussage vom 20. Juli 1981 - 8 000 t an Asbeststaub durch den Bremsabrieb in die Atemluft freigesetzt. Glauben Sie, daß dies ohne Auswirkungen auf die Gesundheit bleibt?
Herr Abgeordneter, es geht nicht darum, was ich glaube, sondern es geht für die Wissenschaftler darum, was sie wissenschaftlich belegen können. Darauf habe ich eine Antwort gegeben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kirschner.
Herr Staatssekretär, wann ist mit einem Ergebnis der von der Bundesregierung aufgegebenen Forschungsvorhaben über die gesundheitsschädliche Wirkung des Abriebs von asbesthaltigen Bremsbelägen in der Atemluft zu rechnen?
Herr Abgeordneter, ich habe erwähnt, ein Fachkolloquium wird sich auf Grund der Stellungnahme des BundesgesundheitsStaatssekretär Dr. Fröhlich
amten im Februar auch mit dieser Frage befassen. Das wird sicher auch publiziert werden. Ihre Frage wird dann wohl konkreter zu beantworten sein.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um sicherzustellen, daß bei Demonstrationen eingesetzte Angehörige des Bundesgrenzschutzes, wie kürzlich bei der sogenannten Flughafendemonstration in Frankfurt, wehr- und hilflos am Boden liegende Demonstrationsteilnehmer gemäß den Gesetzen und Vorschriften behandeln?
Herr Abgeordneter Thüsing, durch die Ausbildungsvorschriften des Bundesgrenzschutzes ist sichergestellt, daß die Polizeivollzugsbeamten des BGS auf Einsätze der genannten Art sachgerecht und der Rechtslage entsprechend vorbereitet werden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Verlauf der Vorbereitung der Aktion Besetzung des Flughafens Frankfurt/ Main am Sonntag, dem 15. November 1981, japanische „Experten", welche führend an den Besetzungsversuchen des neuen Tokioer Flughafens Narita mitgewirkt haben, von der Anarcho-Szene eingeflogen und zu Beratungen hinzugezogen wurden?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist lediglich bekannt, daß sich Ende August 1981 eine japanische Gruppe von Gegnern des Flughafenausbaus in Narita in Hessen aufgehalten und an Arbeitstreffen dortiger Bürgerinitiativen gegen die Erweiterung des Flughafens Rhein-Main in Frankfurt teilgenommen hat. Hierüber haben die „Frankfurter Rundschau" am 28. August und die „Tageszeitung" am 31. August berichtet. Nach der zuletzt genannten Meldung haben die Japaner unter anderem erklärt, sie wollten ihre Widerstandsformen nicht nach Europa exportieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hubrig.
Herr Staatssekretär, angesichts der Würdigung der Erklärung der Japaner, die Sie zuletzt verlesen haben, bleibt trotzdem die Frage: Ist diese Tatsache, daß japanische Experten im Rahmen der Vorbereitung des, wie ich gesagt habe, Angriffs auf den Flughafen Frankfurt hier waren, nicht ein Beweis dafür, wie international die Verflechtung dieser Szene ist?
Das kann man so werten, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Neumann ({0}) auf:
Welchen Stand haben die Bemühungen der Bundesregierung, die Bundesländer zu bitten, die auf der Cap Anamur befindlichen Flüchtlinge aufzunehmen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, wie Sie sicherlich schon erfahren haben, hat der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz dem Bundeskanzler am 1. Dezember fernschriftlich mitgeteilt, daß alle Länder bereit seien, ihren Anteil an den Flüchtlingen, die sich zur Zeit noch an Bord der „Cap Anamur" befinden, dann zu übernehmen, wenn sichergestellt sei, daß das Schiff ohne Zustimmung der Bundesregierung nicht mehr auslaufe. Über die Abwicklung der Angelegenheit findet morgen ein Gespräch mit dem Komitee Not-Ärzte statt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Nehmen die Bundesländer entsprechend der vereinbarten Quote alle Vietnamesen auf, oder sind einige Bundesländer dabei, die sich dennoch weigern, Vietnamesen aufzunehmen, und welche sind es?
Nach der Mitteilung des Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz sind alle Länder bereit, sich an dieser Aufnahmeaktion zu beteiligen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Bedeutet es, wenn das Komitee Not-Ärzte nicht bereit ist, eine Zusicherung abzugeben, daß die „Cap Anamur" nicht wieder ausläuft, um Vietnamesen zu retten, daß die 377 Flüchtlinge weiter auf dem Schiff bleiben müssen?
Eine solche Erklärung würde jedenfalls eine neue Lage ergeben, Herr Abgeordneter. Die könnte nicht ohne Rückkoppelung mit der Ministerpräsidentenkonferenz beurteilt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Neumann auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu dem Vorschlag des Deutschen Komitee Not-Ärzte e. V., die „Cap Anamur" für die Dauer der aus Spendenmitteln finanziell abgesicherten Zeit von fünf Monaten weiter Flüchtlinge retten zu lassen?
Der Vorschlag des Deutschen Komitees Not-Ärzte, die Rettungsfahrten der „Cap Anamur" noch eine gewisse Zeit fortzusetzen, etwa bis die verfügbaren Spendenmittel verbraucht sind, richtet sich in erster Linie an die Adresse der Länder; denn von diesen hängt es ab, ob
und gegebenenfalls wieviel weitere Flüchtlinge aus Südostasien in der Bundesrepublik aufgenommen werden können.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat in ihrer letzten Sitzung vom 28. bis 30. Oktober beschlossen, daß sich die Mehrzahl der Länder nicht in der Lage sieht, der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen aus Indochina - ausgenommen Familienzusammenführung - zuzustimmen, solange nicht ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Konzept hierfür vorliegt.
Diese Frage wird morgen, am 4. Dezember, eine auf Vorschlag der Bundesregierung eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene beschäftigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es bei den Bundesländern eine unterschiedliche Haltung in dieser Frage gibt, daß etwa Niedersachsen bereit ist, weitere Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet werden, aufzunehmen, während andere Länder nicht mehr bereit sind, weitere Flüchtlinge aufzunehmen?
Es ist mir bekannt, daß in der Ministerpräsidentenkonferenz unterschiedliche Positionen vertreten worden sind, u. a. von dem von Ihnen genannten Land. Aber für die Bundesregierung ist maßgeblich, was der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz im Auftrag der Gesamtheit der Ministerpräsidenten mitgeteilt hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Was hat die Bundesregierung unternommen, um dem Vorschlag europäischer Parlamentarier und einzelner Abgeordneter nachzugehen, die „Cap Anamur" zu europäisieren, d. h. die Aufnahme in verschiedenen europäischen Ländern zu erwirken?
Sie wissen ja sicher, Herr Abgeordneter, daß über diese Frage zur Zeit unter den Europa-Parlamentariern Gespräche im Gange sind. Ich kann nur hoffen, daß sie zu einem Erfolg führen.
Herr Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es wirklich mit den humanitären Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland für vereinbar - und sind Sie gegebenenfalls bereit, die Länder nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen -, daß die tatsächlich vorhandene Möglichkeit, hilflos in der See treibende Menschen zu retten, schlicht und einfach ausgeschlagen wird?
Herr Abgeordneter, diese Möglichkeit wird nicht schlicht und einfach ausgeschlagen, sondern ich habe ja gesagt, daß zwischen Bund und Ländern Übereinstimmung darüber besteht, daß die künftige Konzeption für humanitäre Aktionen dieser Art in einem Arbeitskreis auf Staatssekretärsebene erörtert und nach Möglichkeit abgesprochen wird.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr? - Die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Schreiner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen begrüße ich den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. de With.
Die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Lambinus und die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Poß sollen auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 83 des Herrn Abgeordneten Gilges auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, wann sie, wie es der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, von Schoeler, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. November 1981 andeutete, einen Gesetzentwurf dem Parlament vorlegen wird, der die Gesetzeslücken, die bei der Verfolgung neonazistischer Aktivitäten aufgetreten sind, schließt?
Der Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz, der bei der strafrechtlichen Verfolgung neonazistischer Aktivitäten aufgetretene Lücken schließen soll, liegt gegenwärtig den beteiligten Ressorts zur Stellungnahme vor. Ich gehe davon aus, daß der Entwurf in der ersten Hälfte des nächsten Jahres in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden wird.
Keine Zusatzfrage? Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet, denn die Fragen 84 und 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) sollen auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. - Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich begrüße zur Beantwortung der Fragen Herrn Staatssekretär Dr. Schlecht.
Ich rufe Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Langner auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, sich bei eventuellen Neuverhandlungen mit der DDR auf die Vereinbarung von 1974 zu beziehen und dementsprechend den Swing ({1}) auf 200 Millionen DM pro Jahr zurückzuführen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält es nicht für hilfreich, vor Verhandlungen mit der DDR über Verhandlungspositionen zu diskutieren. Ich bitte Sie daher um Verständnis, daß ich zu einer möglichen inhaltlichen Ausgestaltung des sogenannten Swing nach dem 1. Januar 1982 nicht auf Einzelheiten eingehen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Langner.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie - bei allem Verständnis für die Zurückhaltung, die die Bundesregierung hier bei der Beantwortung an den Tag legt -: Sieht die Bundesregierung den Zusammenhang zwischen der zinslosen Kreditgewährung und den humanitären Anliegen im innerdeutschen Verhältnis, und wie wird sie diesen Zusammenhang zur Geltung bringen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht diesen Zusammenhang. Wie Sie wissen, ist es ein wichtiges Ziel der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß im humanitären Bereich weitere Fortschritte erzielt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die Mindestumtauschsätze. Der Bundeskanzler wird die Verhandlungen ohne Vorbedingungen führen, jedoch alle Punkte im Gesamtzusammenhang sehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Langner.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Zinsvorteil des Swing bei dem heutigen Zinsniveau bei ca. 100 Millionen DM jährlich liegt und daß ein solches Entgegenkommen auf Gegenseitigkeit beruhen sollte?
Die DDR hat zweifellos einen Zinsvorteil, aber auch die Bundesrepublik hat im Handelsaustausch mit der DDR erhebliche Vorteile.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, ohne Sie jetzt zu einer Änderung Ihrer ersten Antwort veranlassen zu wollen, möchte ich doch fragen, ob die Bundesregierung ihrer bisherigen Haltung entsprechend davon ausgeht, daß, wenn bis zum Ablauf dieses Jahres keine neuen Vereinbarungen mit der DDR zustande kommen, die alte, ursprüngliche Vereinbarung, die von einer Obergrenze von 200 Millionen DM ausgeht, wieder in Kraft tritt.
Dies wäre automatisch so der Fall, ich gehe aber nicht davon aus, daß es zu keinem neuen Ergebnis kommt.
Keine weiteren Fragen mehr? Dann rufe ich Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dr. Langner auf:
Ist der Bundesregierung die Auffassung der Deutschen Bundesbank bekannt, die ab nächstem Jahr nur noch eine zinslose Kreditlinie in Höhe von 200 Millionen DM einräumen will, und wie stellt sie sich zu dieser Absicht der Deutschen Bundesbank?
Der Bundesregierung ist die Absicht, wonach die Bundesbank auf 200 Millionen DM zurückgehen will, nicht bekannt. Die Bundesregierung stimmt sich selbstverständlich vor den Verhandlungen mit der DDR über die inhaltliche Ausgestaltung des Swing mit der Deutschen Bundesbank ab. Etwaige Ergebnisse dieser Abstimmung können, wie ich bereits vorhin betont habe, vor dem Besuch des Bundeskanzlers in der DDR kein Gegenstand öffentlicher Äußerungen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Langner.
Herr Staatssekretär, falls die Bundesbank dennoch nicht mehr in der bisherigen Höhe zinslos Kredit zur Verfügung stellen wird, wie will dann die Bundesregierung den Zinsaufwand in dem ohnehin überbelasteten Haushalt 1982 unterbringen?
Ich gehe nicht davon aus, daß es dazu kommt, sondern vielmehr davon, daß es zu einer Vereinbarung kommt, sowohl mit der Bundesbank als auch mit der DDR.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Langner.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff, der nach Pressemeldungen heute mit der Bundesbank verhandeln sollte, in einem Brief an den Bundeskanzler den Zusammenhang zwischen Swing und Beschäftigungsprogramm geknüpft hat und in diesem Brief nach einem Bericht der „Welt" von heute den Zusammenhang mit folgenden Worten dargestellt hat:
Unsere Chancen, die Bundesbank in dieser Frage zu einer flexibleren Haltung bewegen zu können, müßten auf Null sinken, wenn erneut mögliche Zinssubventionen öffentlich diskutiert werden?
Herr Abgeordneter, dieser vertrauliche Brief ist ganz offenkundig durch eine Indiskretion eines Beamten - aus welchem Hause auch immer - an die Presse geraten. Ich habe nicht die Absicht, eine solche Indiskretion hier noch durch Beantwortung Ihrer Frage zu untermauern.
({0})
Herr Kollege Jäger zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es denn eigentlich unwahrscheinlich, daß die Bundesbank die Haltung einnimmt, die in der Frage des Kollegen Dr. Langner zum Ausdruck kommt, angesichts der Tatsache, daß wenige Wochen vor Ablauf der alten Vereinbarung noch keinerlei kon4110
Jäger ({0})
krete Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der DDR mit Erfolgschancen sichtbar geworden sind?
Herr Abgeordneter, ich wiederhole, was ich bereits gesagt habe, bzw. zitiere, was der Bundeswirtschaftsminister vor zwei Stunden in der Pressekonferenz in Frankfurt nach den Beratungen mit der Bundesbank erklärt hat, daß das vor dem Besuch des Bundeskanzlers in der DDR kein Gegenstand öffentlicher Äußerungen sein kann.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Sprung auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird bei dieser Frage und der Frage 89 des Abgeordneten Sprung entsprechend den Richtlinien für die Fragestunde verfahren.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Lammert auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung aktuelle Überlegungen, die Kapitalanteile von Krupp und Hoesch an der RuhrkohleAG der VEBA zu übertragen, und welche Folgen erwartet sie gegebenenfalls für die Beteiligungen anderer Stahlunternehmen sowie die dadurch präjudizierten Eigentumsverhältnisse nach Auslaufen des gegenwärtigen Hüttenvertrags?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung legt Wert darauf, daß bei der Restrukturierung von Hoesch und Krupp die Eigentümer die äußersten zumutbaren Anstrengungen machen, insbesondere einen wesentlichen Eigenbeitrag erbringen. Ob und in welchem Umfang dazu auch die Veräußerung von Beteiligungen gehört, kann nur im konkreten Fall entschieden werden.
Was die Ruhrkohle-AG angeht, so ist darüber hinaus zu berücksichtigen, daß eine Änderung der Aktionärsstruktur bei der Ruhrkohle-AG von wesentlicher Bedeutung für die weitere Entwicklung dieser Gesellschaft und die langfristigen Lieferbeziehungen zwischen Kohle und Stahl über 1988 hinaus sein kann. Vor einer abschließenden Bewertung aus der Sicht der Bundesressorts werden die verschiedenen Aspekte einer solchen Transaktion, und zwar einschließlich ihrer kohle- und wettbewerbspolitischen Auswirkungen, sorgfältig gegeneinander abgewogen. Die unternehmenspolitische Beurteilung ist allein Sache der betroffenen Unternehmen. Was die wettbewerbsrechtliche Beurteilung angeht, so ist dafür das Bundeskartellamt zuständig. Wie Sie wissen, hat das Bundeskartellamt dazu bereits Bedenken signalisiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lammert.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Bundesfinanzministerium einen entsprechenden Hinweis an die VEBA gegeben hat, sich möglicherweise um den Ankauf dieser Eigentumstitel zu bemühen, und würden Sie die sich dadurch ergebende Verstärkung des Staatseinflusses auf die Ruhrkohle-AG für förderlich und angemessen halten, oder teilen Sie eher die Auffassung, der
nordrhein-westfälischen Landesregierung, daß man
im Falle einer Verkaufsabsicht dieser beiden Stahlunternehmen diese Titel in der Zwischenzeit bei einer geeigneten Bank parken sollte, um die sich grundsätzlich daraus ergebenden Veränderungen der Eigentumsverhältnisse nicht zu präjudizieren?
Herr Abgeordneter, es ist kein Geheimnis, daß der Bundesfinanzminister aus der Sicht der Bundesfinanzen und der Bundesbeteiligung heraus hier eher eine positive Bewertung hat, daß aus der kohle- und der wettbewerbspolitischen Sicht man eher reserviert sein muß. Wir müssen die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander abwägen, wie ich bereits betont habe, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Unternehmenspolitisch ist das eine Sache der Unternehmen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Lammert.
Können Sie für die Bundesregierung die Frage beantworten, bis zu welchem Zeitpunkt mit einer Beendigung dieses Abwägungsprozesses zu rechnen ist, zumal die gesamten sich gegenwärtig abspielenden Umstrukturierungsmaßnahmen im Bereich der Stahlindustrie immer wieder mit der Ankündigung neuer Überlegungsfristen - wie ich finde Unvertretbar - verlängert werden?
Vor einem solchen Abwägungsprozeß muß das Kartellamt seine Überlegungen abschließen und zu einem Urteil kommen. Danach können auch die Bundesressorts ihre daran anschließenden Überlegungen anstellen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Auf welcher Grundlage beruht die in einer vom Bundeswirtschaftsminister im September dieses Jahrs herausgegebenen Informationsbroschüre enthaltene Aussage, wonach der handwerkliche Befähigungsnachweis durch Ablegen der Meisterprüfung erworben wird?
Herr Abgeordneter, der Begriff „Befähigungsnachweis" ist die in Literatur und Rechtsprechung allgemein gebräuchliche Bezeichnung für die handwerkliche Meisterpriifung. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Die Ablegung der Meisterprüfung ist grundsätzlich Bedingung für die Eintragung in die Handwerksrolle mit den daraus folgenden Möglichkeiten. Die Handwerksordnung eröffnet jedoch, von diesem Grundsatz abweichend, auch die Möglichkeit, auf anderem Wege als durch die Ablegung der Meisterprüfung die Eintragung in die Handwerksrolle zu erlangen. Da mit dieser Broschüre, nach der Sie gefragt haben, vor allem Jugendliche über die Möglichkeiten handwerklicher Berufstätigkeit und die Chancen einer selbständigen Existenz im Handwerk informiert werden sollen, kam es in erster Linie auf einen kurzen Überblick über den regulären Ausbildungsweg und nicht auf die vielen differenStaatssekretär Dr. Schlecht
zierten Ausnahmemöglichkeiten an, nach denen man sich bei jeder Handwerkskammer erkundigen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jaunich.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß bei dieser Formulierung in dieser Broschüre die Gefahr besteht, daß sich diejenigen, die eine handwerkliche Qualifizierung durch eine Gesellenprüfung erreicht haben, diskriminiert fühlen?
Diese Diskriminierung sehe ich nicht. Ich sagte bereits, es kam mit dieser Schrift darauf an, Jugendliche zu informieren, und für Jugendliche sind diese Ausnahmebestimmungen, die es in vielfältiger Art gibt, nicht gedacht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Jaunich.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß eine abgelegte Gesellenprüfung ein handwerklicher Befähigungsnachweis ist?
Nein, dieser Meinung bin ich nicht. In der Handwerksordnung ist ganz klar festgelegt, daß normalerweise die Meisterprüfung der Befähigungsnachweis ist. Es gibt eine Reihe von Ausnahmemöglichkeiten, z. B. für Flüchtlinge und Vertriebene, es gibt Möglichkeiten für Angehörige anderer EG-Staaten, und es gibt die Möglichkeit für den Fall, daß nach langer Ausübung einer selbständigen Tätigkeit die Ablegung der Meisterprüfung eine unzumutbare Belastung wäre. In der Handwerksordnung ist klar geregelt, was der Befähigungsnachweis ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, welchen Sinn hat dann die Ablegung einer Gesellenprüfung?
Dies ist eine Voraussetzung, um später die Meisterprüfung abzulegen.
({0})
- Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, muß ich Sie bitten, einen Änderungsantrag zur Handwerksordnung zu stellen. Ich interpretiere hiermit geltendes Gesetz.
Herr Kollege, bitte sehr, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da möchte ich noch einmal nachfragen: Zu was befähigt die Gesellenprüfung, wenn ein junger Mensch die Meisterprüfung nicht abzulegen gedenkt?
Sie befähigt dazu, als Geselle tätig zu sein.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist nicht Aufgabe des Präsidenten, sich in die Beantwortung von Fragen in der Sache einzumischen; aber ich rate doch dazu, den Fragenkomplex noch einmal im bilateralen Gespräch miteinander zu überdenken, damit im Protokoll keine Unklarheiten bleiben.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus dem Bereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Wir nehmen die unterbrochene Debatte zu Tagesordnungspunkt 15 wieder auf. Als nächstem Redner erteile ich dem Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herren Kollegen Brandt und Dr. Kohl haben in der Vormittagssitzung ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht über den Zustand der Europäischen Gemeinschaft, über die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Ich muß Ihnen sagen: Die Bundesregierung teilt diese Besorgnis.
Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag werden Beiträge leisten können, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft wiederherzustellen. Wir werden diese Beiträge so lange realistisch leisten können, solange wir uns bewußt bleiben, daß wir eines von zehn Mitgliedern sind und nicht diejenigen, die die Politik der Europäischen Gemeinschaft allein bestimmen,
Wir stehen heute vor größeren Herausforderungen in dieser Europäischen Gemeinschaft als jemals zuvor. Die Bürger in Europa fragen mit Recht: Was unternimmt die Gemeinschaft, um den 10 Millionen Arbeitslosen in den zehn Mitgliedstaaten wieder Arbeit zu verschaffen? Was unternimmt sie, um Wachstumsschwäche und Inflation mit all ihren sozialen Folgen zu überwinden? Was tut die Europäische Gemeinschaft, um die Wirtschaft der Gemeinschaft international wettbewerbsfähig zu erhalten und zu verhindern, daß Europa zu einer Industrieregion zweiten Ranges absinkt? Was geschieht schließlich, um die Handlungsfähigkeit und den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden; denn die Alternative wäre eine zunehmende Abwendung von der Gemeinschaft und schließlich der Rückfall in einen engen nationalen Egoismus, an dem schließlich die Gemeinschaft zerbrechen müßte.
Daß der Europäische Rat in London alle Herausforderungen nicht in einem Zuge würde überwinden können, war für den, der die Schwierigkeit der Probleme kennt, einsichtig. Niemand kann das Ergebnis verwundern. Es ging bei diesem Europäischen Rat in London um politische Grundorientierungen für den inneren Ausbau der Gemeinschaft in so wichtigen Bereichen wie der Struktur-, Regional- und Sozialpolitik. Es ging um die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik und um eine ausgewogenere Struktur des Gemeinschaftshaushalts. Wer weiß, was sich dahinter verbirgt, der konnte nicht erwarten, daß ein Rat diese Fragen der Lösung zuführt.
Aber es ist auch nicht so, als wäre der Rat ohne Ergebnisse auseinandergegangen. Es sind eine Reihe von Fortschritten gemacht worden. Es wurde eine grundsätzliche Übereinstimmung erzielt, daß es eine Prioritätsaufgabe der Gemeinschaft ist, dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen. „Dauerhaft" bedeutet, nicht den Versuch zu unternehmen, diese Aufgabe mit kurzatmigen Programmen zu lösen, sondern durch produktive Investitionen, durch Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit die Gemeinschaftsländer tatsächlich auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu machen.
Man war sich einig darüber, daß die Sozial- und Regionalpolitik der Gemeinschaft stärker auf die zwei Aufgaben konzentriert werden muß, die heute vorrangig sind: 1. die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, 2. die Verminderung des wirtschaftlichen Gefälles in der Gemeinschaft. Wir müssen heute rückblickend alle erkennen, daß wir in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa, daß wir in der Zeit, als nur das Europa der Sechs vorhanden war, es versäumt haben, die notwendigen und wirksamen Gemeinschaftsinstrumente zu schaffen, die gerade die Fragen der Überwindung des wirtschaftlichen Gefälles und der Herbeiführung annähernd gleicher Arbeitsverhältnisse hätten lösen können.
Der Europäische Rat hat im Hinblick auf das zu beschließende Gesamtpaket von Maßnahmen auch eine Einigung darüber in Aussicht genommen, daß die Gemeinschaft zusätzliche Darlehen in Höhe bis zu 7,5 Milliarden DM aufnehmen kann, um diese Mittel den Mitgliedsländern zur Förderung von Investitionen zur Verfügung zu stellen. Schwerpunkt dieser Investitionen soll der Energiebereich sein, um so die Abhängigkeit unserer Länder von Energieimporten zu vermindern.
Auch im Agrarbereich sind eine Reihe von Teilfragen wenigstens tendenziell entschieden worden, so z. B. die Akzeptierung des Prinzips einer vorsichtigeren Preispolitik. Bei den vor uns stehenden Verhandlungen wird es jetzt Aufgabe sein, in wichtigen Fragen der Agrarpolitik Fortschritte zu erzielen. Dabei kann es keinen Zweifel geben, Herr Dr. Kohl, daß für die Bundesregierung die Sicherung der Existenzgrundlage des bäuerlichen Familienbetriebes nicht nur eine Frage ökonomischer und agrarpolitischer Zweckmäßigkeit, sondern eine Frage von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung ist.
({0})
Wir müssen uns jetzt alle gemeinsam darum bemühen, daß die Agrarausgaben künftig weniger stark ansteigen als der Gesamthaushalt, um auf diese Weise Mittel für die Zukunftsaufgaben der Gemeinschaft freizubekommen. Gewachsene Strukturen lassen sich nur schrittweise anpassen. Worauf es ankommt, ist, daß wir die richtige Richtung einschlagen.
Der Europäische Rat hat sich auch mit dem deutsch-italienischen Vorschlag für eine Europäische Union befaßt. Er hat den Außenministern die Aufgabe übertragen, diesen Vorschlag zu beraten und dann das Ergebnis dieser Beratungen einem künftigen Rat vorzulegen.
Die Bundesregierung mißt dieser Initiative erhebliche Bedeutung zu. Herr Kollege Brandt kann versichert sein, daß nicht die Absicht besteht, sozusagen ein neues Etikett aufzukleben, ohne auch den Inhalt zu ändern. Nein, wir wissen, daß diese Initiative nicht die Anstrengungen für die Lösung der anstehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme ersetzen kann. Aber sie muß sie begleiten.
Uns geht es im Grundsatz um dreierlei: Erstens. Wir wollen mit dieser Initiative das umfassende politische Ziel der Einigung Europas weithin sichtbar vor unser aller Augen stellen. Einmal vollendet, wird die europäische Union ein Gemeinwesen eigener Art sein, das sich mit den traditionellen Begriffen des Bundesstaats und des Staatenbundes nicht fassen läßt. Die europäische Akte, die wir jetzt vorschlagen, hat deshalb die Aufgabe, für diesen viel verzweigten Prozeß der europäischen Einigung und des europäischen Handelns das Ziel der europäischen Union festzulegen.
Zweitens. Die europäische Akte soll für die fünf großen institutionellen Bereiche der Zusammenarbeit einen Gesamtrahmen schaffen. Ich glaube, es wäre heute verfrüht, darüber nachzudenken, ob diese Institutionen übrhaupt noch Bestand haben können, solange wir mit der europäischen Union nicht einen ernsthaften Versuch unternehmen, die Institutionen, die vorhanden sind, zu einem gemeinsamen, abgestimmten Verhalten zu veranlassen. Ich meine, die Wirtschaftsgemeinschaft in Brüssel, die Europäische Politische Zusammenarbeit, den Europäischen Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Gerichtshof.
Wir müssen das jetzt Erreichte festigen. Wir müssen ungeschriebene Praktiken der Zusammenarbeit formalisieren und sichern, Anstöße für eine Weiterentwicklung des Bestehenden geben, und wir wollen vor allen Dingen - ich wiederhole das - diese Institutionen in ihrem Handeln zusammenfassen. Die Akte enthält deshalb z. B. Vorschläge für den Ausbau der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, und sie fordert, die Entscheidungsstrukturen der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit unter der Verantwortung des Europäischen Rats zusammenzuführen.
Die Handlungsfähigkeit Europas nach innen und außen macht es notwendig, die Außenpolitik der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft zu einer umfassenden europäischen Politik zu integrieren. Es muß für uns alle, die wir hier im Deutschen Bundestag mit großem Nachdruck dafür eingetreten sind, daß das Europäische Parlament von den Bürgern Europas direkt gewählt wird, eine besondere Verpflichtung sein, alles dafür zu tun, daß die Mitwirkungs- und Kontrollfunktion des Parlaments gestärkt wird.
({1})
Wir werden sonst bei der nächsten Europawahl erleben, daß die Bürger ihr Urteil über das Parlament durch Wahlverweigerung fällen.
Wir müssen deshalb, meine Damen und Herren, ernst nehmen - das haben wir im Ministerrat sehr deutlich gemacht -, was das Parlament an FordeBundesminister Genscher
rungen - ohne Änderung der Verträge - nach einer Verstärkung seiner Mitwirkungsmöglichkeiten erhoben hat. Hier geht es in Wahrheit um die demokratische Legitimation der Gemeinschaft. Wer die Arbeit des Europäischen Parlaments sieht, wer an seinen Beratungen teilnimmt - wir haben diese Europäische Akte dort präsentiert -, spürt, daß sich das Parlament als Motor für die europäische Einigung und als ein Zentrum europäischen Bewußtseins versteht.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, die europäischen Entscheidungsprozesse zu verbessern. Wir plädieren insbesondere dafür, in den Ministerräten die von den Verträgen vorgesehene Mehrheitsentscheidung auch in der Praxis wieder zur Regel
({2})
und die Berufung auf vitale Interessen zur Ausnahme zu machen.
({3})
- Herr Kollege Dr. Kohl, wenn Sie sagen „Hört! Hört!", dann muß ich das erwähnen, was ich eingangs sagte: Wir werden unsere Möglichkeiten bei der Aktivierung der europäischen Politik nur dann realistisch einschätzen, wenn wir niemals vergessen, daß wir nur einer von Zehn sind und daß wir auch schon für den Vorschlag, von dem ich hier spreche, die Mitwirkung aller neun anderen brauchen. Wir allein reichen nicht aus.
({4})
Wir können nur die Anstöße dazu geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen, daß in die Europäische Politische Zusammenarbeit, in unsere außenpolitische Zusammenarbeit auch Fragen der Sicherheitspolitik aufgenommen werden. Ich denke, daß wir gerade in den letzten Monaten gespürt haben, daß es notwendig ist, die Stimme Europas deutlicher zu Gehör zu bringen. Wir sind uns bewußt, daß wir dabei mit Umsicht vorgehen müssen. Wir kennen die Probleme, die darin bestehen, daß einer der Mitgliedstaaten dem westlichen Bündnis nicht angehört. Aber die Einbeziehung der politischen und wirtschaftlichen Dimensionen europäischer Sicherheit in die werdende gemeinsame Außenpolitik halten wir für unverzichtbar. Oder, um es anders auszudrücken: Es hilft nicht sehr viel weiter, wenn sich die Europäer permanent über mangelnde Berücksichtigung ihrer europäischen Interessen beklagen, aber nicht die Fähigkeit entwickeln, diese Interessen auch selbst zu definieren, und zwar gemeinsam und nicht gegeneinander.
({5})
Der Ordnung halber muß man hinzufügen, daß es zur Wahrnehmung dieser Interessen gewiß auch gehört, daß sich die europäischen Partner im westlichen Bündnis bewußt sind, daß die Vereinigten Staaten aus unserer Sicht niemals als eine Art Wach- und
Schließgesellschaft für Europa betrachtet werden dürfen, die man noch dazu kostenlos anmieten kann, sondern daß die Kraft des Bündnisses auch darauf beruht, was die Europäer selbst politisch, verteidigungspolitisch und ökonomisch in die gemeinsame westliche Position einbringen.
({6})
Meine Damen und Herren, zu unseren gemeinsamen Aufgaben gehören die gemeinsame Analyse weltweiter und regionaler Gefahren für die Sicherheit der Gemeinschaft, die Entwicklung aktiver, globaler Politiken der Zehn, die solchen Gefahren entgegenwirken und dabei auch die wirtschaftliche Sicherheit der Gemeinschaft und ihre Versorgung mit Energie und Rohstoffen gewährleisten, die Verbesserung der Fähigkeit der Zehn, in Abstimmung mit anderen auf Krisen in der Welt - den gemeinsamen Interessen entsprechend - zu reagieren, vor allem die Entwicklung einer initiativen, auch gesamteuropäischen Politik der Zehn, die trotz der Teilung unseres Kontinents durch Dialog und Kooperation, durch Vertrauensbildung, durch Rüstungskontrolle und Abrüstung zu vereinbarter Stabilität auf der Grundlage eines Kräftegleichgewichts führt, und schließlich eine Politik, die zu einer europäischen Friedensordnung hinführt, für die wir politische und wirtschaftliche Dimensionen zu entwickeln haben.
Bei allem, was wir an europäischer Politik tun, bei allem, was wir meinen, wenn wir von Europa sprechen, dürfen wir niemals vergessen - gerade wir als Deutsche -: Europa endet für uns nicht an den Grenzen der Gemeinschaft, auch nicht an den Grenzen der Staaten des Europarats. Europa, das ist das Schicksal aller europäischen Völker,
({7})
auch derjenigen, die nicht wie wir in demokratischer Verfassung leben können. Dieses Europa muß über ideologische Grenzen hinweg seine Aufgabe als eine Friedensaufgabe begreifen.
Meine Damen und Herren, auch heute morgen ist über Friedensbewegungen in Deutschland gesprochen worden. Ich möchte Ihnen dazu sagen, daß das kraftvolle Bekenntnis der jungen Generation - aber wahrlich nicht nur der Jüngeren - zum Frieden ein Zeichen europäischer Identität ist, und zwar einer europäischen Identität, die wächst, auch ungeachtet der politischen Ordnung, auch wenn sich dieser Wille zum Frieden jedes einzelnen nach seinen Vorstellungen hier bei uns in den europäischen Demokratien deutlicher artikulieren kann als in den anderen Staaten Europas, die nicht den Vorzug haben, in demokratisch verfaßten Staatsordnungen zu leben. Überall ist diese Form europäischer Identität im Wachsen.
Ein Voranschreiten der Außenpolitik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft in die Bereiche der Sicherheitspolitik muß deshalb immer wieder mit dem Willen verbunden sein, das zu überwinden, was die Spaltung Europas bedeutet. Ein Voranschreiten der Außenpolitik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft in die Bereiche der Sicherheitspolitik - das ist das andere - muß immer wieder verbunden sein mit einer engen, vertrauensvollen Zusammen4114
arbeit mit den nordamerikanischen Demokratien, mit denen wir im Atlantischen Bündnis nicht nur militärisch - wie in alten Allianzen -, sondern zu einer Wertgemeinschaft und zu einer Schicksalsgemeinschaft der Freiheit verbunden sind.
Auf dieser realistischen Grundlage muß es unser Ziel sein und bleiben, eine Sicherheitspartnerschaft für Europa zu entwickeln, eine Sicherheitspartnerschaft, die gemeinsam mit politischen und wirtschaftlichen Elementen eines Tages auch eine blockübergreifende und, wie wir hoffen, einmal in sehr, sehr weiter Zukunft auch eine blocküberwindende, dauerhafte europäische Friedensordnung möglich macht.
({8})
Wir werden für diese Ziel viel Geduld, Ausdauer und Realismus brauchen.
Nur, meine Damen und Herren, sehen wir uns noch einmal die Grundstimmung in Europa an. Hier wächst eine Generation heran, die verlangt, daß der Blick in die Zukunft gerichtet wird, daß man nach neuen Wegen sucht, um die Sicherheit der Völker durch einen Ausgleich, durch eine Verzahnung der Interessen zu gewährleisten, und eben nicht in dem Streben nach Überlegenheit oder gar nach ideologischer Missionierung. Das ist der Ausdruck europäischer Identität, von dem ich sprach. Hier ist etwas im Gange, das letztlich, wie wir hoffen, einmünden wird in eine Wiedergeburt Europas als Kraft des Friedens.
Wir müssen uns bewußt sein, Europa, das in der Vergangenheit der Menschheit große Leistungen durch den Fortschritt beschert hat, dessen kultureller, humanitärer und technischer Beitrag für die Menschheitsgeschichte unbestreitbar ist, dieses Europa hat sich - und nicht nur sich, sondern große Teile der Welt im übrigen - in der Vergangenheit immer wieder mit der Geißel des Krieges überzogen. Das gleiche Europa durchlebt - und dies angesichts zahlloser Kriege in anderen Teilen der Welt - seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine der längsten Friedensphasen seiner Geschichte. Das ist das Ergebnis einer realistischen Sicherheitspolitik, die betrieben wurde. Aber wir dürfen uns mit diesen befriedigenden Feststellungen als Europäer, wo immer wir stehen, wir dürfen uns mit dem Blick zurück nicht begnügen. Nein, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit diese Periode des Friedens eben keine Episode der europäischen Geschichte bleibt, sondern damit mit dieser Periode ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen wird.
So ist denn die Aufgabe, die wir uns heute stellen müssen, die, alles zu tun, damit hier in Europa wirklich eine realistische Sicherheitspartnerschaft möglich wird, und wir müssen alles tun, damit von Europa, von dem früher Kriege ausgingen, heute Initiativen des Friedens ausgehen können. Und ich glaube, daß hier im Blick auf die Dritte Welt für Europa, das unverdächtig ist, hegemoniale Interessen zu vertreten, eine große Aufgabe besteht.
Herr Kollege Brandt hat recht, wenn er sagt, daß die Nord- Süd- Beziehungen zuallererst eine Friedensaufgabe darstellen. Wir werden nicht erwarten können, daß die Welt stabil ist, wenn der Gegensatz zwischen Nord und Süd nicht gemindert werden kann. So wie die nationalen Gesellschaften am Ende des 19. Jahrhunderts von den eigenen nationalen sozialen Problemen erschüttert wurden, so werden wir das im Nord-Süd-Verhältnis weltweit erleben.
So gesehen, ist es sicher falsch, die Lage in der Dritten Welt nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Es ist sicher auch falsch, Einflußmöglichkeiten anderer nur unter militärischen Gesichtspunkten zu sehen. Ich behaupte, daß Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Stabilität in den Staaten der Dritten Welt am besten gefördert werden können, wenn wir konsequent den Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Ländern weitergehen, ihnen die Möglichkeit geben, ihre sozialen Probleme zu überwinden, aber auf dem Weg, den sie für richtig halten, und ohne Versuch, von uns aus auf sie Einfluß zu nehmen.
({9}) ,
Von da gesehen war in der Tat der Nord-Süd-Gipfel in Cancún ein wichtiges Ereignis. Ich habe feststellen können, wie bedeutsam es für die dort anwesenden Führer der Dritten Welt war, mit Vertretern der Industriestaaten nicht nur über die ökonomischen Probleme, sondern sehr wohl auch über ihre politischen Sorgen zu sprechen.
Lange Zeit ist im Westen das mit großem Mißtrauen betrachtet worden, was wir heute sehr positiv sehen - manche mehr, manche weniger; die Bundesregierung sehr positiv -, nämlich die Bewegung der Blockfreien, eine Bewegung, die ihre Entstehung dem antikolonialen Kampf verdankt und die heute ihr großes Ziel hat, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt, aber nicht nur dieser, zu bewahren und zu sichern.
Nicht jedes Land, das sich in seiner Anfangsphase von der Sowjetunion unterstützen ließ, ist deshalb ein marxistisch-leninistisches Land, von dem wir uns abzuwenden haben, und nicht jede politische Kraft, die sich in ihrem Befreiungskampf der Hilfe des Ostens bediente, weil der Westen sie verweigerte, ist deshalb schon Moskau anheimgefallen.
({10})
Das müssen wir bei der Betrachtung der Entwicklung in Namibia - darüber ist heute ja schon gesprochen worden - sehen. Ich erinnere mich sehr genau, daß wir sehr harte Worte im Deutschen Bundestag über das gehört haben, was in Simbabwe vor der Unabhängigkeit geschah. Die heute dort demokratisch frei gewählten politischen Kräfte waren einmal Gruppierungen, die hier im Deutschen Bundestag auch als marxistische Terrororganisationen bezeichnet wurden. Sie sind heute Partner einer konstruktiven Friedenspolitik für das südliche Afrika. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, um Namibia genauso den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit zu öffnen.
({11})
Herr Kollege, ich glaube, daß die große Sorge, die wir uns um Angola machen, ganz erheblich gemilBundesminister Genscher
dert werden könnte und würde, wenn es uns gelingt, Namibia endlich in die Unabhängigkeit zu führen. Sie werden spüren, wie sich manches in Angola ändert, wenn auch dieses Land keine Bedrohung von außen befürchten muß.
({12})
So liegt ganz sicher eine der Friedensaufgaben der Staaten der Europäischen Gemeinschaft nicht nur in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten des Südens, sondern sie liegt auch darin, zu friedlicher Konfliktlösung beizutragen. Und sie liegt auch darin, mit ihrem Beispiel einer regionalen Zusammenarbeit - und unsere Europäische Gemeinschaft ist ja ein besonders wirkungsvolles Beispiel regionaler Zusammenarbeit - zu zeigen, daß durchaus Staaten mittlerer und kleinerer Größe ihre Unabhängigkeit bewahren können, j a, daß sie eine aktive weltpolitische Rolle in einem guten Sinne spielen können. Und wir müssen Partner für regionale Zusammenarbeit dieser Art überall in der Welt sein. Auch das ist Teil unserer Friedenspolitik. Unsere Zusammenarbeit mit ASEAN ist eine solche Zusammenarbeit. Unsere Zusammenarbeit mit den Staaten des südlichen Afrikas, den Lusaka-Staaten, ist eine solche Zusammenarbeit. Unsere Bereitschaft, mit den Golfstaaten, der Golf-Cooperation, zusammenzuarbeiten, ist ein Beitrag zur Stabilität in dieser Region.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Sorgen, die wir uns machen z. B. um die Entwicklung in Zentralamerika, auch bei durchaus unterschiedlichen Vorstellungen über die Entwicklung und über die dort zu fördernden Kräfte, unser gemeinsames Ziel als Deutsche und unser gemeinsames Ziel als Europäer muß es eigentlich sein, die Staaten Zentralamerikas zu ermutigen, daß sie über alle Gegensätze hinweg auch den Versuch machen, sich regional zusammenzuschließen. Für diesen Zusammenschluß sind wir der geeignete Partner, weil wir die Sicherheit bieten können, daß wir den Ost-West-Konflikt nicht in diese Region hineintragen werden. Das muß unser Ziel sein.
({13})
Ich denke also, daß wir, wenn wir von Friedenspolitik reden, als Deutsche und als Teil der Europäischen Gemeinschaft eine große Verantwortung haben und sie erfüllen können. Und in der Tat, wie wir den Frieden sichern, das ist ja die Aufgabe, die uns auch bewegt hat bei dem Besuch, über den heute schon viel gesprochen worden ist, weil wir uns bewußt sind, daß das Ost-West-Verhältnis für die Stabilität und für die Sicherheit in der Welt eine Schlüsselbedeutung hat. Wenn es uns hier nicht gelingt, den Kurs auf Rüstungskontrolle, auf Stabilität und Zusammenarbeit zu gewinnen, dann sind auch alle anderen Fragen nicht oder nur schwer lösbar. Dann müssen wir sehen, daß die hoffnungsvolle Entwicklung der Ost-West-Beziehungen, die Ende der 60er Jahre begann, durch die Überrüstung der Sowjetunion in den 70er Jahren und schließlich durch die Invasion in Afghanistan im Dezember 1979 einen schweren Rückschlag erlitten hat. Aber wir können auch erkennen, daß die internationale Lage erneut in Bewegung geraten ist, daß neue Einsichten und
neue Möglichkeiten gegeben sind. Wir müssen jetzt um die Einsicht werben, daß Sicherheit nicht durch Überlegenheitsstreben zu erreichen ist, sondern wirklich nur auf der Grundlage des Gleichgewichts.
Die politische Verantwortung für West und Ost ist es, die Gefahren der jetzigen Situation unter Kontrolle zu halten. Dem dient der Ost-West-Dialog. Dem dienten die Begegnungen des amerikanischen Außenministers mit dem sowjetischen Außenminister in New York, dem dient die nächste vorgesehene Begegnung im Januar zwischen beiden, und dem diente der Besuch und die Begegnung mit der sowjetischen Führung hier in Bonn. Wir handeln dabei, ohne uns zu übernehmen, in dem Bewußtsein, daß unser Land eine aktive und wesentliche Rolle in den Bemühungen um eine Verbesserung der Ost-West-Beziehungen zu spielen hat. Es gibt keinen Zweifel, daß das deutsch-sowjetische Verhältnis von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für das WestOst-Verhältnis in seiner Gesamtheit ist und umgekehrt.
({14})
Das ist eine Rolle, meine Damen und Herren, die uns durch die Geschichte aufgegeben ist. Sie ist uns aufgegeben durch unsere geographische Lage an der Nahtstelle zwischen West und Ost, und sie ist uns aufgegeben durch unsere nationale Interessenlage, weil wir in einem Land leben, das geteilt ist.
({15})
- Es muß ja deshalb nicht falsch sein, Herr Kollege.
Die Reaktion der Verbündeten auf die Gespräche mit dem sowjetischen Generalsekretär zeigen, daß wir mit den Gesprächen einen wirkungsvollen Beitrag zur notwendigen Kommunikation zwischen West und Ost geleistet haben. Der klare Wille der Bundesregierung, die Beziehungen zur Sowjetunion auf der Grundlage der abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen langfristig zu gestalten, ist ein essentieller Teil unserer berechenbaren und vertrauensbildenden deutschen Außenpolitik. Diese Politik gründet sich auf die feste Einbindung in das westliche Bündnis und die Europäische Gemeinschaft. Wir dürfen uns bei jedem Schritt, den wir tun, niemals im unklaren darüber sein, daß diese Einbindung in den Westen unser Gewicht im Gespräche mit der Sowjetunion nicht vermindert, sondern im Gegenteil erhöht. Die am Montag begonnenen Verhandlungen haben die Möglichkeit eröffnet, eine überschaubare Verhandlungsmaterie in überschaubarer Zeit zu konkreten Ergebnissen zu bringen, nämlich die Frage der Mittelstreckenraketen mit der Möglichkeit, daß sich daraus Auswirkungen auf andere Bereiche der Abrüstung ergeben.
Ich glaube, daß die Gespräche und auch die gemeinsam zum Ausdruck gebrachte Haltung hier in Bonn dazu ihren Beitrag geleistet haben. Wir haben als Interpreten der westlichen Position erstens den aufrichtigen Willen des Westens zu konstruktiven Verhandlungen und konkreten Verhandlungsergeb4116
nissen unterstrichen. Wir haben zweitens keinen Zweifel daran gelassen, daß nur konkrete Verhandlungsergebnisse - nur konkrete Verhandlungsergebnisse! - die für Ende 1983 auf westlicher Seite vorgesehene Stationierung von Mittelstreckenraketen beeinflussen können. Wir haben das in dem Bewußtsein getan, daß Zweifel an einem Teil des Doppelbeschlusses auch dem anderen seine Grundlage entziehen. Das gilt in beiden Richtungen; es ist für beide Seiten wahr. Oder, um es anders auszudrükken: Zweifel an der Ernsthaftigkeit des westlichen Willens zur Stationierung verschlechtern die Aussichten für Verhandlungsergebnisse, von denen wir hoffen, daß sie dazu führen, daß diese Stationierung nicht notwendig ist.
Wir haben drittens die sogenannte Null-Lösung, d. h. den Verzicht auf landgestützte Mittelstreckenraketen der USA und der Sowjetunion, nicht nur als ein wünschbares, sondern auch als das von uns gewollte Ergebnis der Genfer Mittelstreckenverhandlungen bezeichnet. Ich unterstreiche noch einmal: Wir hoffen, das gibt eine Initialzündung auch für andere Bereiche.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir uns eigentlich bewußt, was es bedeutet, daß die Forderung der Bundesregierung nach einem beiderseitigen Verzicht auf Mittelstreckenraketen nicht nur von den im Westen verhandlungsführenden Vereinigten Staaten, sondern auch von den anderen Bündnispartnern akzeptiert worden ist und daß diese Forderung auch ihren Eindruck auf die Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes nicht verfehlt? Ich erinnere an die Erklärungen, die der rumänische Staatspräsident beim Besuch des Bundespräsidenten in Bukarest abgegeben hat.
Lassen Sie mich ein Wort zur Frage der deutschen Mitwirkung bei der Gestaltung der westlichen Politik sagen. Meine Damen und Herren, es entspricht dem Charakter des westlichen Bündnisses als eines Zusammenschlusses gleichberechtigter Partner, daß wie. in der Phase 1, d. h. bei der Erarbeitung des Doppelbeschlusses, auch in der Phase 2, bei der Vorbereitung des westlichen Verhandlungsmandats, die europäischen Bündnispartner und hier vor allem die Bundesrepublik Deutschland entscheidend und bestimmend mitgewirkt haben. Die Abrüstungsgruppe der NATO, die diese Arbeit leistet, wird in der dritten Phase, während der Verhandlungen, diese Verhandlungen begleiten. Auch da wird unsere Mitwirkung sichergestellt sein.
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, dem Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung, Botschafter Ruth, für die bisher in der Abrüstungsgruppe geleistete Arbeit zu danken.
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Meine Damen und Herren, dem Deutschen Bundestag möchte ich versichern, daß die Bundesregierung daran interessiert ist, bei der Begleitung der Verhandlungen mit den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages eng zusammenzuarbeiten. Ich bitte den Deutschen Bundestag in seiner Gesamtheit um Unterstützung der Verhandlungsposition der Bundesregierung.
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Die Mittelstreckenverhandlungen in Genf müssen auch im Zusammenhang mit anderen Abrüstungsbemühungen, die auch in der beachtenswerten Rede des amerikanischen Präsidenten erwähnt sind, gesehen werden. Wir sind der Überzeugung, daß die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die strategischen Waffen, und zwar nicht nur mit dem Ziel ihrer Begrenzung, sondern auch mit dem Ziel ihrer Reduzierung, positive Auswirkungen auch auf die Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen haben wird. Meine Damen und Herren, wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß der SALT-Prozeß weitergeführt wird. Wir halten es für wichtig, daß die Verhandlungen in diesem wesentlichen Bereich im kommenden Jahr weitergehen. Im Zusammenhang mit diesen beiden Verhandlungsbereichen, die die atomaren Waffen betreffen, müssen wir die Verhandlungen über die Truppenreduzierung in Mitteleuropa, die MBFR-Verhandlungen in Wien, sehen. Für diese drei Bereiche konkreter Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik erhofft sich die Bundesregierung von der Fortsetzung des KSZE-Prozesses, insbesondere von der Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.
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Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel, daß Mißtrauen - das hat Herr Kollege Brandt heute gesagt -, daß auch mangelnde Einsicht in Ziele, Planung und Möglichkeiten der jeweils anderen Seite die Atmosphäre vergiften und damit konkrete Abrüstungsschritte erheblich behindern. Das wird bei den Verhandlungen über die konventionellen Waffen und Truppen in Wien besonders deutlich.
Die Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz mit vertrauensbildenden Maßnahmen für ganz Europa würde schon durch die Verabschiedung eines konkreten Verhandlungsmandats zu einem Akt politischer Vertrauensbildung selbst werden können. Jede konkrete Vereinbarung, die sich auf dieser Konferenz ergibt, wird einen Schritt sicherheitspolitischer Vertrauensbildung darstellen. Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um auf der in Madrid tagenden KSZE-Folgekonferenz die Einsetzung einer solchen Europäischen Abrüstungskonferenz zu ermöglichen.
Fortschritte bei den vertrauensbildenden Maßnahmen würden der europäischen Sicherheitspolitik eine neue Qualität geben und die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung wesentlich erleichtern. Wenn wir den Stand der Konferenz in Madrid betrachten, so können wir das nicht ohne Sorge tun. Die Konferenz stagniert. Die finnische Regierung hat einen Vorschlag unterbreitet, der den Versuch unternimmt, einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage zu zeigen. Die westliche Seite unterBundesminister Genscher
stützt diesen Vorschlag. Eine positive Resonanz der östlichen Seite ist nicht oder noch nicht da.
Schon werden Stimmen laut, die vorschlagen, man solle doch die Konferenz unterbrechen. Man solle abwarten, ob sechs oder 12 Monate später bessere Voraussetzungen für ein günstigeres Konferenzergebnis vorhanden sind. Meine Damen und Herren, ich möchte keine Zweifel daran lassen, die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um diese Konferenz jetzt zu einem konstruktiven Ergebnis zu führen.
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Wir möchten auf gar keinen Fall, daß wir bei denen sind, die von einem Verhandlungstisch aufstehen. Der 31. Dezember 1981 ist das Datum eines Jahresschlusses, ist aber kein logisches Datum für das Ende einer Verhandlung, wenn Aussichten bestehen, im neuen Jahr doch noch zu Ergebnissen zu kommen. Wir werden also alles unternehmen, daß diese Konferenz zu den Ergebnissen führt, die wir erwarten.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das: vertrauensbildende Maßnahmen für ganz Europa? Der Kern der Sicherheitsproblematik in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht darin, daß die Sowjetunion als eine der beiden Weltmächte selbst mit einem Teil ihres Territoriums zu Europa gehört und mit ihrem gewaltigen Militärpotential unmittelbar an das andere Europa grenzt, während die andere Weltmacht durch den Ozean von Europa getrennt ist. Die sicherheitspolitischen Auswirkungen dieser geographischen Disparität haben die Nachkriegsgeschichte in Europa bestimmt. Heute bietet sich mit der Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz die Chance, einen Anfang bei der Lösung des Knotens gegensätzlicher Sicherheitsinteressen zu machen, indem wir für dieses ganze Europa vertrauensbildende Maßnahmen vereinbaren. Wenn dieser Schritt gelingt - und deshalb müssen wir so darum ringen -, dann können auch die Voraussetzungen für die Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost geschaffen werden, von welcher der Bundeskanzler gesprochen hat. Eine solche Sicherheitspartnerschaft mit dem Ziel bündnisübergreifender Sicherheitsvereinbarungen wird dann auch unsere Vorstellungen mehr darstellen als rüstungskontrollpolitisches Geflecht. Hier sind politische Schritte zur Herstellung von Vertrauen notwendig. Hier ist es notwendig, die beiderseitigen Interessen zu verzahnen. Dem dient ja auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost. Auch wenn wir wissen, daß wir von diesem großen Ziel noch sehr weit entfernt sind, müssen wir alles tun, um darauf hinzuarbeiten.
Die konsequente Verwirklichung aller Teile der Schlußakte von Helsinki durch alle Partner ist neben der Vertrauensbildung im militärischen Bereich eine Voraussetzung politischer Vertrauensbildung. Wir müssen uns immer bewußt sein, daß entsprechend der Konstruktion der KSZE auch bei einer solchen Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost wegen der bestehenden Kräfteverhältnisse in Europa die Teilnahme der USA unverzichtbar ist.
Die Sowjetunion selbst versteht sich als Weltmacht und mißt sich auch bei ihren militärischen Anstrengungen mit der anderen Weltmacht, mit den Vereinigten Staaten. Und deshalb ist ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa nur denkbar, wenn auf westlicher Seite die USA daran teilnehmen. Das bedeutet, einem übergreifenden System europäischer Sicherheit stehen die USA nicht nur nicht entgegen, es macht ihre Teilnahme unentbehrlich. Aber Aufgabe der Europäer muß es sein - und das gilt für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft genauso wie für die anderen -, daß sie, die Europäer, Vorstellungen entwickeln, wie eine West-Ost-Sicherheitspartnerschaft politisch und ökonomisch, wie sie durch Verfolgung gemeinsamer Interessen auch tatsächlich möglich gemacht werden kann.
Ich glaube, es wird im Interesse Europas und es wird im Interesse der Welt liegen, wenn die Sowjetunion im Blick auf ihre eigenen langfristigen Interessen die Wahrnehmung dieser Interessen nicht in einer weiter ausgreifenden Vergrößerung ihres Militärpotentials und den sich daraus ergebenden militärischen und politischen Ungleichgewichten sähe, sondern wenn die Sowjetunion bei voller Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen auf der Grundlage eines möglichst niedrigen Gleichgewichts die Option, die Chance einer festgefugten und breit angelegten Zusammenarbeit mit den westlichen Demokratien erkennen würde.
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Meine Damen und Herren, die ideologischen Gegensätze sind nicht geringer geworden, aber sie dürfen uns nicht davon abhalten, diesen Weg zu beschreiten, der allen Völkern nur Vorteile bieten kann.
Auf diesem Wege und für diesen Weg ist das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander von entscheidender Bedeutung. Es gibt keinen Zweifel, wir haben eine gemeinsame Verantwortung, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, eine gemeinsame Verantwortung gegenüber unserem eigenen Volk und gegenüber den anderen Völkern Europas, daß sich aus unserem Verhältnis, aus dem Verhältnis der Bundesrepublik und der DDR zueinander, nicht spannungserzeugende, die Stabilität in Europa beeinträchtigende Einflüsse ergeben. Ich glaube, daß wir das bevorstehende Treffen des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, auch in diesem Licht sehen müssen.
Wir sollten im deutsch-deutschen Verhältnis das Erreichte, den Kernbestand der Entspannungspolitik, bewahren. Wir müssen es dort wiederherstellen, wo es beeinträchtigt ist, und wir müssen uns darum bemühen, die Zusammenarbeit auf der Grundlage der geschlossenen Verträge und Übereinkommen auszubauen.
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Neben den bilateralen Beziehungen gehören auch die Probleme der internationalen Entwicklung zum Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten. Des4118
halb sprechen wir auch mit der DDR über die Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung - einfach deshalb, weil wir wissen, daß eine Beeinträchtigung des Ost-West-Verhältnisses niemanden mehr treffen würde als die Deutschen im geteilten Land. Aber niemand hat auch - das haben wir auch in den letzten zehn Jahren erfahren - unmittelbare Vorteile aus einer Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses zu erwarten als die Deutschen im geteilten Land. Ich bin deshalb, meine Damen und Herren, ganz sicher: Wenn der Bundeskanzler mit den Kollegen Graf Lambsdorff und Franke in der kommenden Woche in die DDR fährt, dann wird die ganz große Mehrheit der Deutschen hüben und drüben „ja" zu diesem Besuch sagen. Viele Wünsche, viele Erwartungen werden die Gespräche des Bundeskanzlers mit Herrn Honecker begleiten. Diese gemeinsame Unterstützung, diese gemeinsamen Erwartungen werden erneut deutlich machen, daß die Deutschen in West und Ost mehr verbindet als nur eine gemeinsame Vergangenheit.
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Nein, was die Deutschen in West und Ost verbindet, ist das Bewußtsein einer gemeinsamen Gegenwart und das Bewußtsein der Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft.
Dabei sind wir uns bewußt: Es gibt keinen isolierten Weg der Deutschen - weder der Deutschen im Westen noch der Deutschen im Osten; nicht nur, weil andere das nicht wollen, sondern weil das unseren nationalen Interessen nicht entsprechen würde. Es entspricht allein den Interessen der geteilten Nation, daß wir uns immer bewußt sind: Deutschlandpolitik ist zuallererst eine europäische Friedensaufgabe. Genauso gilt: Europa ist eine Friedensaufgabe für die Deutschen.
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Dieses Bewußtsein, diese Einsicht muß unser Handeln bestimmen. Das ist der Weg, den wir weiter gehen wollen.
Herr Bundeskanzler, auch ich möchte Ihnen wünschen, daß Sie bei Ihrem Besuch in der DDR auf diesem Wege für die Deutschen im geteilten Land und für den Frieden in Europa einen Schritt vorankommen. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Frau Präsident! Meine Damen und meine Herren! Bei diesem Stand der Debatte möchte ich gerne zu sieben sehr konkreten Punkten sprechen.
Das erste ist ein ganz persönliches Wort, das nicht parteipolitisch ist, also hoffentlich von vielen hier und draußen unterstützt wird. Es ist ein ganz offenes Wort an die europäischen Nachbarn, die - wie wir - keine Kernwaffenstaaten sind. Ich glaube, daß man einmal sagen muß, daß wir, wie ich glaube und hoffe, in Genf etwas erreichen können. Wir werden
nach unseren Kräften dazu beitragen. Wir können dort in dem Ausmaß etwas erreichen, in dem alle NATO-Staaten den Beschluß, den sie gefaßt haben, auch entschlossen durchführen.
({0})
Ich spreche dies aus, weil wir doch nicht übersehen können, verehrte Damen und Herren, daß man in manchen europäischen Nachbarstaaten - ich meine nur die Nicht-Kernwaffenstaaten, weil die in unserer Lage sind - doch zaudert und zagt und zögert. Ich finde, daß sich dort mancher überlegen sollte, ob er sich nicht seiner Verantwortung entsprechend in den NATO-Beschluß, wie er gefaßt worden ist, einreihen und nicht hinter der deutschen Haltung zurückbleiben sollte. Denn nur auf diesem Wege werden wir doch Abrüstung erreichen. Ich sage dies als jemand, der diese Nachbarn in diesem Jahr besucht hat und dessen Meinung man dort kennt. Ich glaube, daß unsere deutschen Interessen mit denen dieser Nachbarn viel identischer sind als mit denen der Großmächte. Und wir wissen doch alle: Wir werden entweder alle Frieden haben oder keiner von uns; wir werden alle Freiheit haben oder keiner von uns. Wir werden alle soziale Gerechtigkeit haben oder keiner von uns. Wenn diese Basis von Solidarität, die auch ein Stück historischer Wiedergutmachung der Deutschen wegen ihrer jüngsten Geschichte ist - das sprechen wir vor diesen Nachbarn auch aus -, in einer solch praktischen Frage - ich sage es offen - zu wünschen übrigläßt, dann, verehrte Damen und Herren, muß man uns erlauben zu fragen - und darum zu bitten -, ob man in diesen Ländern nicht den bisherigen Standpunkt überprüfen kann.
({1})
Dies zu sagen, sollte einem Nachbarn erlaubt sein.
({2})
Ich sage dies nur für mich, damit, wenn hier einer schimpft, über Rainer Barzel geschimpft wird und nicht über eine Partei oder über eine Fraktion.
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- Ich danke für den Beifall von allen Seiten des Hauses.
Und nun zum zweiten, zu uns hier. Das bleibt nun natürlich nicht so friedlich. Herr Kollege Ehmke guckt mich j a schon an.
({4})
Er ist schon ganz verwundert. Sehen Sie, der Bundesaußenminister hat eben mit unüberhörbarer Deutlichkeit um die Unterstützung des ganzen Hauses in dieser Frage gebeten. Denn nur, wenn wir fest und entschlossen seien, würden wir etwas erreichen. Ja, da hat er doch wahrscheinlich den Kollegen Brandt ziemlich deutlich angeguckt.
({5})
- Angeguckt, aber er hat es nicht ausgesprochen. Ich will dem doch eine gewisse Aufmerksamkeit zuwenden, weil ich mich freue, Herr Kollege Brandt, daß Sie noch da sind und wir deshalb hier etwas besprechen können.
Vor dem Besuch des Generalsekretärs Breschnew hat der Bundesaußenminister erklärt - und wir haben ihm zugestimmt und uns entsprechend verhalten durch unsere beiden Parteivorsitzenden, die heute auch gesprochen haben, und durch uns alle, die wir beteiligt waren -: Es müsse mit dem Besuch erreicht werden, daß sich die Verantwortlichen in Moskau ohne jeden Zweifel davon überzeugen, daß die Bundesrepublik Deutschland Ende 1983 entsprechend dem NATO-Beschluß die Nachrüstungswaffen stationieren wird, falls nicht das Ergebnis der Genfer Verhandlungen das erübrigt. Nach dem Besuch, am Tag des Abflugs des Generalsekretärs, habe ich mit Befriedigung und Zustimmung des Auswärtigen Ausschusses feststellen können, daß das bei den Gesprächen offensichtlich erreicht sei. Das war am Mittwoch. Dann kam das Wochenende. Da machten die Vorsitzenden von Partei und Fraktion der SPD, die Kollegen Brandt und Wehner, das, was man hier in allen Fraktionen den Hinterbänklern verbietet oder zu untersagen sucht. Sie machten nämlich Schlagzeilen auf Kosten der Regierung und auf Kosten der Sache.
({6})
- Herr Kollege Brandt, ich freue mich, daß Sie gleich so reagieren. Das zeigt doch, daß wir einen wichtigen Punkt besprechen.
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- Dann will ich es Ihnen einmal vorlesen: „Brandt und Wehner: Verzögerung der Nachrüstung möglich". Das Zitat hat ihnen doch der Ministerpräsident aus Bayern hier im einzelnen belegt und vorgetragen. Ich habe noch gedacht: Das ist wahrscheinlich nicht so. Als ich hörte, der erste Redner der Sozialdemokratischen Partei wird der Kollege Brandt sein, habe ich gehofft: Der bringt das in Ordnung; der will doch nicht den Termin wegnehmen, der für die Regierung unerläßlich ist. Denn wenn es keinen Termin gibt, dann brauchen doch die Sowjets nur ewig lange zu verhandeln und haben ihren Vorrüstungsvorteil, solange sie wollen. Das zu beseitigen ist doch der Sinn des Termindrucks. Der Bundeskanzler nannte ihn doch nicht aus Spaß in Gegenwart des Generalsekretärs bei seinen Reden. Das ist doch der Sinn des Termins.
Ich habe ja heute morgen danach gefragt, Herr Kollege Brandt. Stehen Sie doch auf und sagen Sie, Sie seien auch dafür, wie das die Regierung heute morgen gesagt hat, Ende 1983 müsse das mit der Nachrüstung geschehen, wenn nicht bis dahin in Genf ein Ergebnis erzielt ist. Sagen Sie das doch, Herr Kollege Brandt, und ich brauche nicht mehr zu sagen, was ich eigentlich zu sagen vorhatte, nämlich daß heute morgen nicht eine „Perversion des Denkens" - so Bahr - stattgefunden hat, sondern eine Perversion der Realitäten. In diesem Punkt war doch der Kollege Kohl, unser Fraktionsvorsitzender,
eigentlich für die Regierung, und der Kollege Brandt hat eigentlich die Oppositionsrede gehalten.
Bringen Sie das mit dem Termindruck in Ordnung? Ich glaube es nicht.
({8})
- Bitte schön.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt.
Ich unsterstelle, daß Sie heute vormittag zugehört haben. Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Barzel, warum Sie eigentlich beharrlich gegen den letzten Satz des Brüsseler Doppelbeschlusses polemisieren, den ich heute vormittag vorgetragen habe?
Herr Kollege Brandt, wir haben diesen letzten Satz in den Beschluß dieses Hauses aufgenommen, der mit großer Mehrheit gefaßt worden ist. Wir alle wissen aus den Erklärungen der Bundesregierung, aus allen Erklärungen der NATO, daß das Datum für dieses Konsequenzziehen
- nur über den Bedarf, d. h. im Grunde über die Zahl
- Ende 1983 ist. Warum sagt das der Kanzler heute morgen? Warum sagt das der Außenminister immer, und - warum lassen Sie das ganz bewußt im Zweifel, obwohl es diese Pressemeldungen gibt? Wenn es doch, Herr Kollege Brandt, der Sinn dieser Politik ist, hier geschlossen und fest zu sein und, wie der Außenminister gesagt hat, keinen Zweifel in Moskau zu erlauben, dann müßten Sie doch jetzt den Satz des Bundeskanzlers unterstützen. Ich habe Sie gefragt. Es ist sehr schön, daß sich hier eine Debatte entwickelt. Wenn das Haus leer ist, hat es doch manchmal auch Vorteile. Würden Sie mir und vor allen Dingen Ihrem Kollegen Schmidt, der da als Bundeskanzler neben Ihnen sitzt, die Freude machen, etwas über 1983 zu sagen?
Weitere Zwischenfrage, bitte, Herr Kollege Brandt.
Frau Präsidentin, es ist zunächst noch so, daß der Abgeordnete die Fragen stellt und nicht der Redner an denjenigen, der hier fragen will. Aber bitte.
Ich habe versucht, nochmal auf 1983 zu insistieren.
Herr Kollege Barzel, ich möchte Sie noch einmal fragen, warum Sie es für so schwierig halten, mir zuzustimmen, daß es einen Sinn gibt, den Beschluß vom Dezember 1979 einschließlich seines letzten Satzes zur Grundlage unserer Politik zu machen.
Wir gehen hier weiter. Wir unterstützen das mit dem Datum - ich habe jetzt dreimal versucht, Sie danach zu fragen -, wie es aus gutem Grund die NATO, die USA und der Bundeskanzler wollen. Wir kommen uns als Union langsam komisch vor, da wir die einzigen sind, die hier ge4120
schlossen und einstimmig die Position des Bundeskanzlers in dieser Frage unterstützen.
({0})
- Nein, nein, er ist ausgewichen, er läßt die Zweifel.
- Herr Kollege Brandt, hier wird eine Debatte entstehen. Wenn diese Zweifel nicht beseitigt werden, Kollege Ehmke, werden wir alle die, die diese Zweifel bewirken, nähren, fördern, nicht wegnehmen, so nennen, wie es sich dann gehört, nämlich Abrüstungsverhinderer.
({1})
Wir beschäftigen uns hier gerade ein bißchen miteinander, Herr Kollege Brandt. Ich habe hier früher einmal gesagt - es hat nicht allen gepaßt; da waren Sie nicht da -, daß viele der Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland und innerhalb der Koalition auf den Zustand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zurückgehen und daß die SPD ihre Probleme auf den Staat übeträgt. Ich habe damals auf eine Rede von Carlo Schmid hingewiesen, die ich jetzt mitgebracht habe, von der ich damals nur einen Satz aus dem Gedächtnis zitiert habe. 1948 hat Carlo Schmid auf dem SPD-Parteitag gesagt - nachdem der Kanzler heute morgen wieder Schmid zitiert hat, werden wir das auch dürfen -:
Eine Partei wie die unsrige steht und fällt mit der Fähigkeit ihrer Mitglieder zur Parteidisziplin. Wenn die Partei zur Aktion übergeht, gibt es nur die Einheit der Aktion.
Jetzt wissen Sie, warum Sie zur Zeit mehr fallen als stehen. Wie soll die Disziplin in die Partei einkehren, wenn sich deren Vorsitzender so verhält, wie wir dies soeben erlebt haben?
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte einen dritten Punkt behandeln, der hiermit zusammenhängt. Wir werden in kurzer Zeit die Gelegenheit haben, über einen Ihnen nach der Mitberatung des Verteidigungsausschusses und federführend vom Auswärtigen Ausschuß behandelten Antrag über Vorschläge zur kontrollierten Abrüstung der biologischen, chemischen und atomaren Waffen - ich hoffe einstimmig - abzustimmen. Dieser Antrag geht auf die CDU/CSU-Fraktion im Hause zurück. Ich will davon sprechen. Ich will ihn nicht im einzelnen behandeln; das werden wir noch tun. Da heißt es in dem Bericht, den der Abgeordnete Voigt, Obmann der Sozialdemokraten im Auswärtigen Ausschuß, gegeben hat - ich zitiere einen Satz -: „Alle Fraktionen ließen sich dabei von der Überzeugung leiten, daß es in der derzeitigen rüstungskontrollpolitischen Situation vor allem darauf ankomme, die deutschen Interessen durch eine von allen Fraktionen getragene Stellungnahme zu unterstreichen." Ich finde, das gilt nicht nur für diesen Antrag. Wir haben den Antrag dann einstimmig beschlossen. Herr Kollege Wehner, Sie haben mich neulich persönlich auf die Funktion angesprochen, die ich in
dem Ausschuß habe. Sie sehen, dabei kommt manchmal auch etwas Vernünftiges heraus.
Ich möchte Ihnen aber gern aus der Begründung der antragstellenden Fraktion der CDU/CSU aus der Drucksache 9/200 ein paar Sätze vorlesen, weil ich glaube, daß sie wichtig sind und in diese Debatte und dieses Protokoll gehören. Ich zitiere:
Das oberste Gut, das es für alle Deutschen zu wahren gilt, ist Friede. In Deutschland weiß man, daß die naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritte, die seit dem letzten Krieg gemacht worden sind, den Menschen Möglichkeiten der Vernichtung in die Hand geben, an die wir nur mit Schaudern denken können. Schließlich weiß jedermann in Deutschland, daß die geographische Lage unseres Landes uns im Falle eines bewaffneten Konfliktes besonders gefährden würde.
Neue Mittel zum Austrag von Differenzen und Konflikten müssen gefunden werden, Mittel, die internationale Zusammenarbeit zur Grundlage haben. Das alles ist für uns nicht Traum oder Theorie. Wo immer die Politik meiner Regierung eine Gelegenheit fand, danach zu handeln, hat sie es getan. Ich darf erinnern, daß die Bundesrepublik Deutschland aus freien Stücken in den Defensiv-Verträgen, die sie abgeschlossen hat, auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen verzichtet hat. Friede darf aber, wenn er seinen vollen Segen stiften soll, nicht gefährdet sein; er muß gesichert sein.
Ich denke vor allem an den Gewaltverzicht, an die Verwirklichung von Bündnisrechten gegenüber dem Angegriffenen, aber auch an Rüstungsbegrenzungen und ihre Kontrolle, wie wir sie uns auferlegt haben.
Dieses Zitat aus der Begründung stammt aus der Rede des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer anläßlich seines Besuchs in Moskau, mit dem er die Kriegsgefangenen dort freigeholt hatte.
({3})
Dies muß man einmal für die Geschichte festhalten. Die Politik von Sicherheit und Rüstungskontrolle hat j a nicht erst jetzt begonnen; die Friedenspolitik schon gar nicht.
Ich komme auf einen vierten Punkt, meine Damen und Herren. Ich hoffe, daß das, was ich hier zu sagen die Absicht habe, nicht - wer heute morgen die Zeitungen aufgeschlagen hat, wird verstehen, was ich meine -, von einer geradezu brennenden Aktualität werden könnte. Im Zusammenhang mit dem Besuch aus Moskau wurde viel über das Erdgas-RöhrenGeschäft gesprochen. Dies war auch heute morgen der Fall. Ich möchte in diesem Zusammenhang für uns alle festhalten, daß der Bundeswirtschaftsminister zur Vorbereitung dieser Sache in Moskau im September 1981 Erklärungen abgegeben hat. Diese möchte ich hier gern festgehalten wissen. Ich zitiere nach dpa:
Unter Hinweis auf Polen und Afghanistan wies
Minister Lambsdorff während seiner GespräDr. Barzel
che in Moskau und auf seiner Reise durch Sibirien mehrfach darauf hin, daß die politische Großwetterlage stimmen müsse, damit die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern weiter wachsen könne.
Das ist das eine Zitat. Das andere lautet:
Bundesminister Lambsdorff verließ nach eigenen Worten die UdSSR in der Überzeugung, daß auf sowjetischer Seite der Zusammenhang zwischen dem Westhandel und der Polenpolitik Moskaus klar gesehen wird. Er habe lebhaftes Interesse auf sowjetischer Seite festgestellt, auch deshalb einen Einmarsch in Polen möglichst zu vermeiden.
Ich wünsche dies hier in die Debatte einzubeziehen, weil man in Moskau nicht nur von unserer Festigkeit in Sachen Nachrüstung überzeugt sein muß, sondern auch davon, daß wirklich nur in einer bestimmten politischen Landschaft, zu der auch die Lage in der DDR gehört - ich komme gleich darauf -, diese ganze ökonomische, humanitäre, soziale und politische Zusammenarbeit möglich ist.
Mein fünfter Punkt kann kurz sein, weil zum europäischen Gipfel in London Kollege Kohl heute morgen gesagt hat, was zu sagen war. Wir werden ja demnächst eine Debatte haben, wenn wir über unseren Antrag auf Drucksache 9/951 sprechen. Ich möchte nur die Bundesregierung auffordern, doch einen Beitrag dazu zu leisten, daß man nicht anfängt, Europa allein als ein Haushaltsproblem zu betrachten, daß man die Vorteile, die wir haben, nicht nur mit Nettozahlen, Bruttotransfer und wie die Vokabeln alle heißen betrachtet. Europa ist sehr viel mehr. Wir haben einen großen Vorteil davon. Die Hälfte unseres Handels wickeln wir innerhalb dieser Gemeinschaft ab. Ich möchte nur diese eine Zahl nennen. Ich glaube, das sollte im Zusammenhang hier auf den Tisch, damit unter dem Stichwort „Europa" nicht nur eine solche Kassenwartsmentalität hochkommt.
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Ich möchte aber, meine Damen und Herren, aus gutem Grund noch von einer Frage sprechen, die dort in Europa auch eine große Rolle gespielt hat und die doch in den Zusammenhang mit dieser Friedensdebatte gehört. Die Gefahr, in der wir leben, kommt ja nicht nur aus dem Ost-West-Konflikt. Ich glaube, daß wir das weitgehend im Griff haben, wenn die Abschreckung weiter funktioniert. Die Gefahr entstünde doch, wenn irgend jemand imstande wäre, außer dem Ost-West-Konflikt einen NordSüd-Konflikt auszulösen, also Berlin plus Erdöl, um es sehr deutlich zu sagen.
So geht uns Europäer im eigenen Interesse natürlich das etwas an, was sich z. B. im Nahen Osten ereignet. Wir haben zu der Erklärung der Europäischen Gemeinschaft von Venedig, die gerade wieder im Zusammenhang mit der Entsendung einer Friedenstruppe auf den Sinai eine Rolle spielt, unsere kritische Beurteilung dieses Beschlusses hier vorgetragen. Diese Kritik hat nun auch durch den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn
Wehner - wenn die Zeitungen richtig über ein Gespräch berichten, das er mit „Jerusalem Post" geführt hat -, Zuspruch erhalten. Das freut uns natürlich in der Sache.
Aber, meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für eine Lage, in der der Vorsitzende der stärksten Regierungsfraktion eine für die Bundesregierung fundamentale Politik jetzt, fast zwei Jahre später, öffentlich kritisiert? In welche Situation kommen wir hier eigentlich? Das ist doch wie mit den U-Booten für Chile, das ist wie mit den Panzern für Saudi-Arabien, das ist wie mit der Situation erst bezüglich Griechenlands, dann bezüglich der Türkei. Es war immer eine Gruppe auf der linken Seite des Hauses, die die Regierung daran gehindert hat, das zu tun, was sie für richtig und vernünftig hält.
Ich erinnere wie schon vor wenigen Wochen noch einmal daran: Es kann doch keinen von uns heiter stimmen, daß wir im, glaube ich, siebten Monat keinen Botschafter Saudi-Arabiens haben. Das geschieht doch nicht aus dortigem Mangel an Persönlichkeiten für Bonn, sondern das ist ein Protest, weil man dort Erwartungen gestärkt hat, die man einzulösen nun nicht imstande oder gewillt ist - und das wieder aus Rücksicht auf einige deutsche Sozialisten.
Wir erleben in diesen Tagen - ich möchte das doch sagen - im Zusammenhang mit der Entsendung einer Friedenstruppe auf den Sinai einen sehr wichtigen Vorgang. Vier Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft beteiligen sich an dieser Truppe - Großbritannien, Frankreich, Italien und die Niederlande -, und die Zehn billigen das ausdrücklich, also wir auch. Wir können uns daran wegen unserer Verfassungslage nicht beteiligen. Wir haben die Bundeswehr nur zur Verteidigung, und sie darf nur innerhalb des Bündnisses Aufgaben übernehmen. Aber schon diese Zustimmung ist natürlich ein mittelbares Engagement. Ich wünsche, deutlich zu sagen, daß das die Grenze dessen markiert, was uns Deutschen in solchen Dingen möglich ist. Das sollte man wissen.
Bei allem, was im Nahen Osten geschieht, sollte uns jetzt auch niemand veranlassen, etwa irgendwelche Überschriften über Prozesse oder so etwas zu wählen. Die Beteiligung der vier dient - so ist amtlich vorgetragen worden - alleine der Realisierung, der Durchführung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages. Insoweit wird sie von der Bundesregierung, glaube ich, gebilligt; und insoweit kann man dem zustimmen.
Ich will jetzt keine Israel-Debatte anfangen. Aber ich glaube, daß dieses Land in mancher Betrachtung hier doch zu kurz kommt. Ich möchte deshalb ausdrücklich zitieren - auch damit es in das Protokoll kommt -, was der Generalsekretär der Arabischen Liga, Herr Klibi, am 6. Mai dieses Jahres bei einem offiziellen Besuch in Bonn gesagt hat. Er sagte:
Wir haben Verständnis dafür, daß die gewaltige Last der jüngsten Geschichte die deutsche Politik gegenüber Israel im Sinne einer breiten Sympathie bestimmt hat. Wir verstehen das. Wir bewundern sogar hierin die Größe eines
Volkes, das sich seiner moralischen Verantwortung immer gestellt hat.
Ich kann nur sagen: In der arabischen Welt wird am ehesten auf den gehört, der auch in Israel Gehör findet. In der arabischen Welt gewinnt man keine neuen Freunde, indem man alte Freunde etwa verläßt. Ich glaube, das sollte hier gesagt werden.
Ich möchte zu einem sechsten Punkt kommen. Der Bundeskanzler hat j a mitgeteilt, daß er in die DDR fährt. Das gehört eigentlich nicht in eine außenpolitische Debatte, aber es ist die letzte Gelegenheit, ihm dazu etwas zu sagen.
Herr Bundeskanzler - ich weiß nicht, ob er da ist; er wird sich das schon erzählen lassen -, vor einiger Zeit, nämlich am 11. Dezember 1979, sahe es schon einmal so aus, als ob Sie Anfang 1980 dorthinfahren würden. Ich habe damals für unsere Fraktion hier sprechen dürfen und eine ganze Reihe sehr konkreter Vorschläge für die Lösung der innerdeutschen Fragen gemacht. Damals stand der Kanzler auf - ich bitte, im Protokoll nachzulesen - und sagte: Das ist j a eigentlich ganz vernünftig; schreiben Sie das doch einmal auf, geben Sie mir das, und dann können wir darüber reden.
Wir haben das dann aufgeschrieben - ich habe die ganze Akte hier -, mit einem höflichen Brief dem Kanzler geschickt, und er hat sich dafür höflich bedankt.
Warum erinnere ich daran? Weil der Bundeskanzler seine Meinung in dieser Frage vollkommen geändert hat. Das ist unakzeptabel.
({5})
Er erklärte in einem Interview mit der „Bild"-Zeitung wörtlich:
Es ist eine der Ungezogenheiten der deutschen Opposition, der Bundesregierung vor Gesprächen mit Moskau oder mit der DDR vorzuschreiben: Darüber habt ihr zu reden, das habt ihr zu regeln und wenn nicht, darfst du gar nicht erst fahren. Auf diesen Blödsinn darf sich eine Regierung nicht einlassen ...
Es ist jetzt also ungezogen, wenn ich nach bestem Wissen und Gewissen im Namen meiner Freunde für alle Deutschen einen Vorschlag mache. Ich denke, Demokratie heißt miteinander reden, um voneinander zu lernen; nicht: kommandieren.
({6})
Ich will den Blödsinn nicht einfach zurückgeben.
({7})
- Aber ich bitte Sie, es wird uns doch noch erlaubt sein, das zu sagen, was wir denken. Die Regierung kann j a sagen, daß sie anderer Meinung sei. Aber was hat sich da verändert! In den Akten hat sie unseren Stufenplan, - und laut erklärt sie, wir seien ungezogen und blödsinnig. So sollte man miteinander nicht umgehen.
Ich möchte aber gerne folgendes sagen - ich möchte das auf Bitten meiner Freunde und unseres Vorsitzenden in die Debatte einführen -: Wenn es dieses Gespräch gibt - wir begrüßen es, und wir wünschen Erfolg -,
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muß man natürlich auch wissen, was nicht geht. Der Staatsratsvorsitzende hat in Gera eine große Rede gehalten und dort vier Forderungen erhoben. Sie betreffen die Staatsangehörigkeit, den Austausch von Botschaftern, die Regelung der Elbe-Grenze und die Dienststelle in Salzgitter. Verehrte Damen und Herren, diese Rede und diese Forderung sind ein Angriff auf den Inhalt und die Qualität des innerdeutschen Vertrages.
({9})
Dieser Vertrag ermöglicht einen Modus vivendi, nicht mehr und nicht weniger; so hat es auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Es ist keinem deutschen Kanzler erlaubt, in den drei großen Fragen etwa nachzugeben.
Nachdem ich zu Salzgitter, zur Elbe-Grenze und zum Botschafteraustausch in einer der letzten Debatten unsere Meinung gesagt habe, will ich hier jetzt nur noch zur Staatsangehörigkeitsfrage ein Argument hinzufügen, weil es draußen eine Rolle spielt: Meine Damen und Herren, wir hindern keinen Deutschen, der in der DDR lebt, mit seinem Paß, mit dem Paß der DDR, zu reisen. Wir wollen aber auch diesen Deutschen das Recht erhalten, sich überall in Deutschland zu Hause zu fühlen, es auch zu sein und jedwede amtliche Hilfe hier oder draußen durch unsere Dienststellen in Anspruch zu nehmen. Dieses Stück gesamtdeutscher Freizügigkeit und Selbstbestimmung werden wir nicht aufgeben. Diese gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit ist, wie Professor Scheuner damals sagte, die „offene Tür". Hier ist keiner befugt - weder rechtlich noch menschlich, also auch nicht politisch -, diese Tür etwa zu verschließen.
({10})
Was Honecker hier verlangt - ich zitiere frei Gottfried Zieger -,
... ist eine Forderung, die nicht als rechtliches Argument, sondern als politisches Instrument zu werten ist, und zwar als ein Instrument, das seine Abgrenzungspolitik fortsetzen soll.
Unsere Aufgabe ist aber nicht, zu trennen und abzugrenzen, sondern zusammenzuführen, miteinander zu leben und selbst zu bestimmen. Allein das ist unsere Politik.
Was die Dienststelle in Salzgitter betrifft, so muß ich ein Wort mehr sagen, weil inzwischen die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von uns gerade vorliegt; ich habe sie heute auf dem Tisch. Die Antwort ist unbefriedigend und läßt manche Hintertür auf. Wir wünschen, daß Salzgitter bleibt, weil sich mancher Funktionär in der DDR
dreimal überlegt, Unrecht zu tun, da er befürchten muß, daß dies in Salzgitter registriert wird und er dafür eines Tages zur Rechenschaft gezogen wird.
({11})
Das ist ein Stück Menschenrechtsschutz, wenn er auch nicht jeden Tag wirksam ist. Aber allein die Registrierung veranlaßt manchen drüben, sich etwas genauer zu überlegen, ob er dies oder jenes tun kann.
Meine Damen, meine Herren, hier ist vom Frieden gesprochen worden, auch vom Bundesaußenminister. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Reise des Kollegen Bahr, daran, daß er in Ost-Berlin versucht hat, mit der Volkskammer über Abrüstung zu sprechen. Ich hörte da heute so eine ganze Menge: vom Kollegen Möllemann und eben auch vom Bundesaußenminister. Also, man muß natürlich auch mit Herrn Honecker über alles sprechen, nur: Raketen hat der keine. Wir müssen mit dem zuerst über die Minen, die Selbstschußanlagen, die Mauer, den Stacheldraht und die Verweigerung von Menschenrechten sprechen.
({12})
Dieses Thema darf nicht vom Tisch. Ich finde es nicht gut, Herr Kollege Wehner, daß Sie gestern abend, falls ich das richtig im Gedächtnis habe, im Fernsehen auf die Fragen nach dem Zwangsumtausch gesagt haben: Natürlich muß das - - Sie haben nicht gesagt: weg; man wird es nicht ganz schaffen, haben Sie gesagt. Das finde ich nicht gut; das stört doch die Verhandlungsposition der Regierung. Der Regierende Bürgermeister von Berlin - ich habe Ihnen damals hier die Zahl mitgeteilt - hat doch die Zahl genannt, die diese Mauer aus Geld, die Finanzmauer an unterlassenen Reisen bewirkt. Daß Sie vor der Reise des Bundeskanzlers hingehen und darüber reden, daß man sie vielleicht ein bißchen wegkriegt, aber nicht wieder ganz, das ist genau dieselbe Geschichte wie diese merkwürdigen Haltungen, die ich vorhin im Hinblick auf Moskau hier anzusprechen versucht habe.
({13})
Meine Damen, meine Herren, wir werden uns also nicht von dem wirklichen Thema ablenken lassen: Der Lage. der Deutschen in Deutschland. Darüber wird zu sprechen sein, daran werden wir dann auch Erfolg oder Mißerfolg dieser Reise messen. Nun etwa die innerdeutschen Gespräche nur zu benutzen, um auch da allgemeine, fernsehwirksame Abrüstungsreden zu halten - das werden wir nicht durchgehen lassen.
({14})
In diesen Zusammenhang gehört noch eins: Uns hat beschwert, daß wir in dem Kommuniqué über den Besuch des Generalsekretärs Breschnew von Deutschland nichts gelesen haben. Die Sowjetunion ist eine der Vier Mächte. Sie ist die Macht, die dafür zuständig ist, daß es die DDR gibt, daß der Schießbefehl da ist usw.; das hat uns beschwert. Dies beschwert uns um so mehr, als wir von den Westmächten immer wieder - mit Recht - Bekenntnisse verlangen, auf dem Deutschland-Vertrag zu bestehen, zuletzt - das haben wir j a unterstützt - in dem Kommuniqué von Ankara. Das war vor der Bundestagswahl. Da ist alles das von der deutschen Einheit, von unseren Hoffnungen usw. zu lesen. Von den Westmächten verlangt man dies also, und gegenüber den Moskauern macht man das nicht. Ich finde das, meine Damen und Herren, zumindest unausgewogen, nicht fair und eigentlich verdächtig.
({15})
Ich möchte gern noch ganz kurz einen letzten Punkt anschneiden. Präsident Reagan hat in seiner Rede, von der hier j a schon oft die Rede war, also am 18. November, folgendes erklärt - ich möchte das gern in die Debatte einführen -:
Die Verteidigungserfordernisse der Sowjetunion machen es wohl kaum nötig, daß sie heute in Ostdeutschland mehr Kampfdivisionen unterhält, als die gesamte alliierte Invasionsstreitmacht zählte, die am Invasionstag in der Normandie landete. Die Sowjetunion könnte keinen überzeugenderen Beitrag zum Frieden in Europa und in der ganzen Welt leisten, als zuzustimmen, ihre konventionellen Streitkräfte wesentlich zu reduzieren und das Potential für eine plötzliche Aggression zu beschränken.
Das würde ich auch einmal gerne aus dem Munde des deutschen Bundeskanzlers hören.
({16})
Ich muß noch einmal auf den Herrn Kollegen Brandt zurückkommen, weil er heute früh dem Kollegen Kohl gesagt hat, er solle sich „Quatsch abschminken",
({17})
und damit meinte er unsere Sorge wegen Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ja, Herr Kollege Brandt, ich meine wirklich, daß es hier nun sehr ernst wird. Wenn ich mir überlege, welches Ansehen Sie haben, frage ich mich manchmal - Sie müssen mir das schon erlauben, Sie können j a heraufkommen und sagen, das sei eine Unverschämtheit -, ob Sie alle Ihre Möglichkeiten genutzt haben, z. B. in der Sache Nachrüstungsbeschluß bei unseren europäischen Nachbarn die Politik der Bundesregierung voll zu unterstützen. Das würde ich fragen.
Ich frage mich manchmal auch, ob Sie bei Ihrer Position voll zur Kenntnis genommen haben, daß die USA nun wirklich ernsthaft über das besorgt werden, was sich hier ereignet. Ich zitiere zunächst aus der Rede, die Herr Burt Ende September, wie Sie wissen, in Brüssel gehalten hat. Das war nicht eine Rede aus Anlaß eines anderen Besuchs, sondern Anlaß des Besuches war nur diese Rede vor ausgesuchten Diplomaten und Journalisten. Ich zitiere:
Die nukleare Debatte in Europa ist heute zu einem Kampf um die Seele Europas geworden. Die Alternative ist klar. Der Westen kann seinen Glauben an die kollektive Verteidigung, an die Abschreckung und an eine ernsthafte Rüstungskontrolle bekräftigen und damit frei bleiben, oder Amerika kann sich sich selbst zuwen4124
den, und Europa kann seine Hoffnungen auf Sicherheit und die Aussichten auf Frieden auf dem guten Willen der Sowjets beruhen lassen.
Ich denke, dieses Zitat bedarf keines Kommentars und macht deutlich, um was es hier geht.
Wer glauben sollte, dies sei nur flüchtig, irrt. Ich bin ja nun auch von Anfang an hier, zwar erst auf dieser Bank, aber ich habe es nicht erlebt, daß der Botschafter der USA - und das ist immerhin unsere Schutzmacht Nummer eins - hier eine Rede hält, wie das in diesen Tagen der gegenwärtige Botschafter der USA getan hat. Dieser Botschafter, Herr Burns, hat in seinem ersten Satz gesagt: Er spreche offiziell als Botschafter der Vereinigten Staaten - damit jedem nur ganz klar ist, hier hält er nicht nur mal so einen Vortrag, sondern hier sprechen die USA; so heißt das im Klartext. Da sagt er, das, was wir schon immer erklärt haben - ich zitiere zunächst nur diesen Satz; er spricht da von den Truppen, die hier sind -: „Sie werden nicht bleiben, wenn sie nicht willkommen sind." Das muß doch einen Anlaß haben. Und es ist doch kein „Quatsch", wenn unser Vorsitzender hier von diesen Sorgen spricht. Es ist doch ein ernster Anlaß.
Ich zitiere weiter den Botschafter der USA, Herrn Burns, und das ist dann eigentlich auch - wenigstens aus meiner Sicht - die Zusammenfassung dessen, was in der Debatte zu sagen war -:
Die Geschichte lehrt uns deutlich, daß die Bereitschaft, unsere ethischen, kulturellen und politischen Werte zu schützen, die Bereitschaft, wenn notwendig, für sie zu kämpfen, der einzig gangbare Weg ist, um sicher zu sein, daß wir nicht für sie zu kämpfen brauchen werden.
Das ist, so denke ich, die Philosophie des Westens. Wenn wir diese Philosophie einhalten und zu der Geschlossenheit kommen, um die der Bundesaußenminister eben gebeten hat, dann sollte es möglich sein für uns alle, einen Abrüstungserfolg in Genf zu erreichen. Ich möchte noch einmal den Kollegen Brandt nachdrücklich auffordern, in der Frage des Termindrucks und des Termins sich hier unmißverständlich zu dem zu bekennen, was die Bundesregierung hier gesagt hat.
({18})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt ({0})?
Herr Kollege Voigt, bitte.
Herr Barzel, sind Sie vielleicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Rostow heute in einer in Den Haag veröffentlichten Erklärung ausdrücklich noch einmal darauf hingewiesen hat, daß diese Äußerung von Herrn Burns keineswegs bedeutet, daß die USA damit drohen wollten, ihre Truppen aus Westeuropa zurückzuziehen? Ich darf hinzufügen: Zielt diese Außerung nicht vielleicht sehr viel mehr darauf ab, den Unterschied in der Verhaltensweise der Sowjets in Osteuropa einerseits und der Amerikaner in Westeuropa andererseits deutlich zu machen?
Ich meine, Herr Rostow kann dies j a erklären. Ich habe den Text hier unmißverständlich vorgetragen, und der Botschafter der USA, der sich hier amtlich äußert, weiß seine Worte zu wägen.
({0})
- Ich würde mich auch nicht scheuen, Herrn Ro-stow zu kritisieren. Warum soll ich das nicht machen? Aber ich habe hier keinen Anlaß. Ich habe vollkommen klar zwei amtliche Stellungnahmen zitiert. Ich habe sie nicht gegen jemanden zitiert, sondern nur zu dem Zweck, daß wir uns alle über den Ernst der Lage klar sind - und das nur, um zu erreichen, daß auch die Kollegen Brandt und Wehner sich in dieser Frage hinter die Bundesregierung stellen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, in erster Linie dem bayerischen Ministerpräsidenten zu antworten. Aber ich möchte erst einige Bemerkungen an die Adresse des Kollegen Barzel machen.
({0})
Herr Kollege Dr. Barzel, Sie haben das Thema Nahost angesprochen. Wir sollten in dieser Frage redlich sein und feststellen: Hier gibt es einige Probleme, bei denen die Grenzen durch alle drei Fraktionen gehen. Ich finde, es ist keine Schande, daß es hier Probleme gibt, die uns in so starkem Maße bewegen, daß das Gott sei Dank kein parteipolitisches Problem, sondern für uns alle von großer Bedeutung ist.
Zweitens. Sie haben Arthur Burns zitiert: Sie werden nicht bleiben, wenn sie nicht willkommen sind. Ich glaube, hier ist die Haltung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik ganz klar und eindeutig: Sie sind willkommen. Jeder weiß, daß Gleichgewicht in Europa ohne die 237 000 amerikanischen Soldaten überhaupt nicht möglich ist, daß die Bewaffnung dieser 237 000 Amerikaner hinzukommt, daß sie willkommen sind, j a daß die Anwesenheit der Vereinigten Staaten für die Bundesrepublik eine Lebensfrage ist.
Das kann allerdings nicht bedeuten, lieber Herr Dr. Barzel, daß dann, wenn amerikanische Politiker sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten und manchmal auch dummes Zeug reden, niemand das Recht hätte, das auch in aller Deutlichkeit zu sagen. Das muß klargestellt werden.
({1})
Und nun die andere Frage. Sie haben den Besuch des Bundeskanzlers in der DDR in der letzten Woche angesprochen. Lassen Sie mich dazu eine ganz kurze Bemerkung machen.
Erstens. Der Bundeskanzler hat bereits in der Regierungserklärung zu Beginn dieser Wahlperiode gesagt, daß die beiden deutschen Staaten für die Erhaltung des Friedens in Europa besondere Verantwortung tragen. Wenn dem so ist - und wir haben keinen Zweifel daran -, dann scheint es mir eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß das auch bei diesem Gespräch eine ganz große Bedeutung haben muß.
Zweitens. Der Grundlagenvertrag spricht von den gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Daran muß man ständig arbeiten.
({2})
Auch aus diesem Grunde ist diese Begegnung von entscheidender Bedeutung.
Drittens. Ich bin dessen ganz sicher, daß die Kontakte zwischen den Menschen der beiden deutschen Staaten für den Bundeskanzler bei seinen Gesprächen von ganz besonderer Bedeutung sein werden.
Viertens. Es ist zwingend notwendig, daß der Handel zwischen den beiden deutschen Staaten nicht nur fortgesetzt wird, sondern es ist im beiderseitigen Interesse, daß er ausgebaut wird. Deshalb kann hier nichts abgebaut werden, sondern es müssen die Voraussetzungen dafür bleiben, daß die weitere Entwicklung des Handels möglich ist.
Und als letzter Punkt: Der Kanzler reist nicht dahin, um Vereinbarungen zu treffen. Aber ich bin ganz sicher, daß er Gespräche führen wird, die die Voraussetzung dafür sind, auf einer ganzen Reihe von Gebieten zu Verhandlungen zu kommen, die im Interesse des Friedens in Europa und der Menschen in beiden deutschen Staaten sind.
Herr Ministerpräsident, Sie haben von dem „Dolmetscher" Helmut Schmidt gesprochen. In der Londoner „Times" vom 23. November gibt es einen Kommentar, der sich mit dieser Frage beschäftigt. Ich möchte daraus zitieren: „Es ist nun die Aufgabe von Herrn Schmidt, zu zeigen, daß dieser Konflikt" - gemeint ist der Konflikt zwischen Entspannung und westlicher Sicherheit - „kein echter ist, daß eine europäische Diplomatie, die auf die Verringerung von Spannungen in Europa abzielt, ein Beitrag auch zur Sicherheit der Allianz ist und sie nicht unterminiert. Er muß damit beginnen" - der Bundeskanzler -, „indem er als Dolmetscher zwischen Ost und West fungiert."
({3})
Ich habe den Eindruck, daß genau um diese Aufgabe der Bundeskanzler sich in hervorragender Weise bemüht hat und diese Dolmetscheraufgabe auch in hervorragender Weise gelöst hat.
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, Generalsekretär Breschnew sei nicht nach Paris, er sei nicht nach Washington, er sei nicht nach London
und er sei nicht nach Peking, sondern er sei nach Bonn geflogen. Ich darf hier in aller Deutlichkeit sagen, dieses entspricht auch unserer ganz besonderen Interessenlage. Wir haben hier eine Reihe von Problemen, die es an keinem anderen Platz der Welt gibt und die der besonderen Behutsamkeit bedürfen. Deshalb sind für uns diese Gespräche und diese Kontakte bedeutungsvoller und wichtiger als für manchen anderen Staat in der Welt. Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten ist auch die Grenze zwischen den beiden unterschiedlichen Bündnissystemen, und beiderseits der Grenze gibt es das größte militärische Potential, das es irgendwo überhaupt auf der Welt gibt. Es gibt Transitstraßen, und es gibt Transitwasserstraßen, und es gibt Luftkorridore, und es gibt das Problem Berlin. Deshalb ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, daß die Bundesregierung, wo immer sie kann, darum bemüht sein wird, diese besonderen deutschen Interessen wahrzunehmen.
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesprochen von Koexistenz, Entspannung, Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung und haben gesagt, die Sowjetunion meint immer etwas ganz anderes, als der Westen meint. Ich will das nicht bezweifeln. Aber es gilt in diesen Tagen immer nur das, was gemeinsam vereinbart wird.
({4})
In der Frage der Rüstungskontrolle, in der Frage der Rüstungsbegrenzung, in der Frage der Abrüstung, in all diesen Fragen geht es um Verhandlungen, die zu gemeinsamen Vereinbarungen führen müssen, die dann für beide Seiten gelten, unabhängig davon, was man in irgendwelchen Lexika schreibt.
Im übrigen war es für mich sehr interessant: Ihre Zitatensammlung kenne ich aus einem Buch, das mein Kollege Karsten Voigt geschrieben hat. Es ist interessant, wie manchmal die Auswahl der Zitate viel mehr übereinstimmen kann, als man annimmt.
Dann haben Sie uns gesagt, Herr Ministerpräsident Strauß, Ihr Zitat vom Parteitag der CSU wäre aus dem Zusammenhang gerissen, ein Zitat, das Ihnen offensichtlich einige Sorgen bereitet. Deswegen möchte ich es hier jetzt doch ganz korrekt vortragen. Ich zitiere wörtlich aus den amtlichen Unterlagen des CSU-Parteitages:
Diese Entwicklung in der SPD ist auch logische Folge - ich sage jetzt etwas, was leicht mißverstanden werden kann und sicherlich auch von manchen mißverstanden werden will - des Geburtsfehlers des NATO-Doppelbeschlusses, der taktisch bedingt, aber in der Sache leider unlogisch war.
({5})
Zwei, drei Absätze später heißt es dann wie folgt:
Ich vertrete hier eine Meinung, die vielleicht von manchem nicht verstanden wird, und manche wollen sie auch nicht verstehen, nämlich die Meinung, daß der Nachrüstungsbeschluß allein
und die glaubhafte Haltung der Verbündeten, ihn zu verwirklichen, viel früher zu echten Verhandlungen geführt hätten,
({6})
als es jetzt die zahlreichen taktischen Manöver und listigen Finessen der Gegner dieses Beschlusses überhaupt jemals erreichen können.
({7})
Und jetzt kommt der entscheidende Satz:
Der Widersinn besteht darin, daß die Amerikaner dem Verhandlungsteil zustimmen mußten, um die prinzipielle Zustimmung der Europäer für die Nachrüstung zu erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau die gleichen Formulierungen - mit dem Mißtrauen gegenüber den Vereinigten Staaten - findet man bei bestimmten Leuten in der Friedensbewegung, die auch sagen: Das machen die Vereinigten Staaten ja gar nicht aus innerer Überzeugung, sondern sie mußten das tun.
Ich kann nur sagen: Es ist gut, daß dies hier noch einmal in aller Deutlichkeit zitiert werden kann. Und ich muß dem noch ein deutliches Zitat hinzufügen. Am 18. Juni 1980 haben Sie auf dem Wirtschaftstag in Frankfurt gesagt - ich zitiere wörtlich-:
Und deshalb kämpfen die Amerikaner so verzweifelt darum, daß dieser TNF-Beschluß beibehalten wird, denn die amerikanische Sicherheitsgarantie wird aufhören, wenn die Amerikaner als Abwehr der Bedrohung gegen Europa nur auf ihre strategischen Waffen angewiesen sind.
So Franz Josef Strauß.
({8})
Dazu mache ich drei Bemerkungen. Erstens. Das ist eine ganz klare Aussage gegen den Doppelbeschluß des Bündnisses. Zweitens. Es ist eine ganz klare Aussage gegen die Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 18. November 1981.
({9})
Drittens. Es ist eine klare Absage an die Null-Option. Bei der Formulierung kann ich jetzt auch die Position derjenigen verstehen, die gegenüber der Null-Option eine derart skeptische Haltung einnehmen.
({10})
Mit einer solchen Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, stimmen wir selbstverständlich nicht überein.
Lassen Sie mich deshalb in bezug auf die historische Entwicklung noch eine kurze Bemerkung machen. Der Bundeskanzler hat wegen der Sorge um das drohende Ungleichgewicht bei nuklearen Mittelstreckenwaffen das erste Mal öffentlich auf der
Tagung der Staats- und Regierungschefs im Mai 1977 darauf aufmerksam gemacht. Er hat wörtlich folgendes gesagt:
Je mehr wir die strategisch-nukleare Parität stabilisieren - was meine Regierung von Anfang an befürwortet hat -, desto mehr wird es erforderlich, ebenso ein konventionelles Gleichgewicht herbeizuführen.
Er hat das dann in der Rede vor dem Londoner Institut im Oktober 1977 noch deutlicher gesagt. Einige haben daraus ableiten wollen, er sei der Erfinder der Nachrüstung. Lothar Rühl, zu dieser Zeit Wehr- oder Sicherheitsexperte beim ZDF in Brüssel, hat dazu wörtlich folgendes gesagt:
Die Londoner Rede war kein Plädoyer für die Nachrüstung. Sie war ein Appell an die Amerikaner, das Problem zu lösen.
({11})
Wer die Rede genau liest, der wird herausfinden, daß es dem Bundeskanzler darum ging, den Bereich nuklearer Mittelstreckenwaffen in den Bereich von Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion mit einzubeziehen.
({12})
Er hat deshalb in dieser Rede folgendes wörtlich gesagt:
Niemand kann bestreiten, daß das Prinzip der Parität vernünftig ist. Es muß jedoch Zielvorstellung aller Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrollverhandlungen sein und für alle Waffenarten gelten. Einseitige Einbußen an Sicherheit sind für keine Seite annehmbar.
({13})
Der letzte Satz heißt: „Meine Präferenz" - so hat er in der Londoner Rede gesagt - „hat die Reduktion."
({14})
In dieser Frage stimmen wir mit dem Bundeskanzler hundertprozentig überein.
Dieses war noch zwei Jahre, bevor Sie, Herr Kollege Wörner, im Jahre 1979 in den Vereinigten Staaten gesagt haben:
Zuerst müssen die Waffen einmal aufgestellt werden, und dann hinterher kann man darüber verhandeln.
Das heißt, das ist in keiner Weise in Übereinstimmung mit dem, was der NATO-Beschluß beinhaltet.
({15})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Ich bitte um Verständnis. Ich habe eine sehr begrenzte Redezeit. Ich möchte meinen Beitrag zu Ende bringen.
({0})
- Ich habe das Zitat dort auf dem Tisch liegen. Sie werden sich an das erinnern müssen, was Sie in den Vereinigten Staaten gesagt haben.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Haltung zum Doppelbeschluß ist so widersprüchlich, wie sie auch zu vielen anderen Fragen in der Außenpolitik ist. Als wir mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der CSSR und der DDR Gewaltverzicht vereinbart haben, waren Sie dagegen. Heute wollen Sie die Oberkontrolleure der Verträge sein.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich möchte meinen Beitrag zu Ende führen.
Sie waren zum größten Teil gegen die deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Heute wollen Sie die Gralshüter der Prinzipien sein.
({0})
Sie haben uns bei der KSZE aufgefordert, nicht zuzustimmen. Heute wollen Sie die Kontrolleure sein.
({1})
In dieser Frage waren Sie zuerst gegen die Verhandlungen, wie das insbesondere von dem Kollegen Wörner gesagt worden ist. Das war übrigens zu der Zeit, als die Sowjetunion auch gegen die Verhandlungen war.
({2})
Dann haben Sie widerstrebend die Verhandlungen akzeptiert,
({3})
aber die Nachrüstung dabei in den Vordergrund gestellt.
({4})
Als Sozialdemokraten von der Null-Lösung gesprochen haben ({5})
im Sommer dieses Jahres haben Sie die Sozialdemokraten beschimpft. Heute hat der Präsident der Vereinigten Staaten über die Null-Lösung gesprochen, und nun sind Sie mit dieser Null-Lösung einverstanden.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung - und das sage ich insbesondere Ihnen, Herr Kollege Dr. Mertes -: Jetzt haben wir eine gemeinsame Aufgabe, nämlich die Aufgabe, die Verhandlungen in Genf mit größter Sorgfalt und mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes, Herr Abgeordneter?
Ich habe meine Meinung dazu gesagt, Frau Präsidentin.
Ich muß Sie leider nur immer wieder fragen. Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter.
Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß uns die Bundesregierung insbesondere in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages so informieren wird, daß wir die Möglichkeit haben, die für unser Land so wichtigen Verhandlungen mit der Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu verfolgen, die unser aller gemeinsamen Interessenlage in dieser Frage entspricht.
Diese Verhandlungen müssen ohne Vorbedingungen geführt werden. Sie müssen zügig geführt werden; denn die Zeit drängt. Ich kann mir allerdings vorstellen, daß im Laufe der Verhandlungen - und da spreche ich die Frage an, die Herr Dr. Barzel auch meinem Kollegen Willy Brandt gestellt hat - eine Situation entsteht, wo die beiden ein Zwischenergebnis vereinbaren. Und wenn es von beiden getragen wird, gehe ich nicht davon aus, daß man Anlaß hat, von unserer Seite nein zu sagen.
({0})
Und wenn das mit zeitlichen Vereinbarungen verbunden ist und es hier eine Übereinstimmung gibt, dann haben auch wir keinen Anlaß, in einer solchen Situation nein zu sagen.
({1})
In diesem Sinne möchte ich ausdrücklich den Beitrag von Willy Brandt und Herbert Wehner verstanden wissen.
({2})
Die Verhandlungen müssen mit dem Ziel geführt werden, das nukleare Potential in Europa zu senken.
({3})
Sie müssen mit dem Ziel geführt werden, die Zahl der sowjetischen Mittelstreckenraketen so weit zu senken, daß sich die Neuaufstellung von Raketen in Mitteleuropa erübrigt.
Von diesen Verhandlungen hängt für viele Menschen in Europa die Glaubwürdigkeit der Politik der Rüstungsbegrenzung, der Rüstungskontrolle und der Abrüstung insgesamt ab.
({4})
Als Letztes, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich Ihnen folgendes sagen:
Das Ansehen der Opposition und die Stellung Deutschlands in der Welt würden bedeutender sein, wenn auch Sie sich entschließen könnten, eine konstruktive Mitarbeit in der Außenpolitik auch in der politischen Opposition zu betreiben.
({5})
So Franz Josef Strauß am 10. Juli 1952. Ich bitte Sie sehr herzlich, über den Satz nachzudenken.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende der Oppositionsfraktion meinte feststellen zu müssen, daß. die Bundesregierung - er sprach den Bundeskanzler an - den Londoner Gipfel beschönigt habe. Ich muß dem widersprechen, denn auch der Bundesaußenminister hat hier sehr deutlich die Besorgnis der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, daß der Zustand der Europäischen Gemeinschaft sehr ernst ist. Aber das ist denjenigen, die Europapolitik betreiben, nichts Neues. Die Geschichte der europäischen Integration ist geprägt von Erfolgen, aber auch von Rückschlägen und Krisen. Deshalb sind wir Freien Demokraten sehr dankbar für die Bemühungen des Bundesaußenministers Genscher, Europa aus dieser krisenhaften Entwicklung herauszuführen.
({0})
Es gibt für mich keinen Zweifel, daß wir heute vor einer qualitativ neuen Situation stehen. Die Europäische Gemeinschaft unterscheidet sich dadurch von der Gemeinschaft früherer Jahre, daß wir heute keine oder nur geringe wirtschaftliche Wachstumsraten zu verzeichnen haben. Deshalb stellt sich die Frage, ob wir heute noch dieselben Erwartungen, die wir traditionellerweise mit der europäischen Einigung verbunden haben, mit der EG verbinden dürfen oder ob wir Abstriche machen müssen. Ich meine, die Erwartungen und Ziele, die wir in die Gemeinschaft gesetzt haben, sind heute ebenso aktuell wie früher. Gerade jetzt ist der enge Zusammenschluß der Staaten Europas und ein Fortschreiten der Integration lebensnotwendig, nicht nur aus wirtschaftspolitischen, vielmehr - wie das heute auch schon verschiedentlich angedeutet wurde - aus sicherheitspolitischen Gründen.
Viele Probleme, vor denen wir heute stehen, können von einem einzelnen Nationalstaat in Europa überhaupt nicht mehr gelöst werden. Die Überwindung der wirtschaftlichen Krise ist nur dann möglich, wenn die EG-Staaten aufeinander abgestimmt handeln. Das kann aber nun nicht in der Weise geschehen, wie leider EG-Politik heute vielfach gemacht wird: Die Ministerräte kommen zusammen, sie kommen zu keiner Einigung, eine Mehrheitsentscheidung - obwohl vertraglich möglich - wird nicht getroffen, und das Problem, das - wie jedes europäische Problem - natürlich aus vielen Detailproblemen zusammengesetzt ist, wird dann den Regierungschefs vorgelegt. Der Europäische Rat hat sich ja inzwischen zu einer Art Appelationsgerichtshof entwickelt. Die Regierungschefs geben - wie London gezeigt hat - diesen Auftrag dann ihrerseits wieder an den Ministerrat, in diesem Fall an die Außenminister weiter, die nach Lösungen suchen sollen.
Es wäre sicher notwendig gewesen, zum Mandat der Kommission vom 30. Mai 1981 in London eine gemeinsame Haltung und Beschlußfassung herbeizuführen. Aber dem war leider nicht so. Ich möchte bei aller Kritik aber doch feststellen, daß hinsichtlich einiger Fragen Einigkeit erzielt werden konnte, z. B. über die Strukturpolitik und eine Reihe agrarpolitischer Themen. Leider sind dabei die Fragen der Erzeugermitverantwortung bei Milch, der Mittelmeerproduktion, der Beschränkung der Zuwachsrate für Agrarkosten und des Finanzausgleichs offengeblieben.
Es ist eine natürliche Sache, wenn der EG-Haushalt in einer Zeit, in der es auf Grund der schwierigen Finanzlage Haushaltsprobleme in allen Ländern der Gemeinschaft gibt, auch in der Bundesrepublik stärker in die Betrachtung und die Kritik einbezogen wird als früher.
Es ist auch natürlich, daß es Überlegungen gibt, ob sich die Gemeinschaft wirklich lohnt oder nicht. Nur darf dies nicht dazu führen, daß Europapolitik auf Nettosalden und Nettosaldenlimitierung reduziert wird. Klar ist, daß der EG-Haushalt einer strukturellen Reform unterzogen werden muß. Die wirtschaftlich schlechte Lage in der EG darf nicht dazu führen, daß zentrale europäische Fragen wie die EG-Finanzen und die gemeinsame Agrarpolitik zunehmend unter nationalen Gesichtspunkten gesehen werden. Bei einer solchen Perspektive gerät bei einigen Mitgliedstaaten in Vergessenheit, daß es um mehr als darum geht, möglichst viel herauszuholen, um mehr als die Frage, was die EG kostet und wieviel Mittel zurückfließen.
Es geht um die Gestaltung einer wirklichen Gemeinschaft demokratischer Länder in Europa. HoJung ({1})
hen Erwartungen mancher Mitgliedsländer an die EG-Kasse steht oft eine nur geringe Bereitschaft derselben Staaten zu den dringend notwendigen europäischen Kompromissen gegenüber. Für uns und die anderen Mitgliedsländer darf Gemeinschaft jedoch nicht bedeuten, daß sich die einen an die Regeln halten und die anderen nur die Regeln akzeptieren, die für sie von Vorteil sind. Wir haben jetzt erst wieder erlebt, daß neue Mitglieder Verträge unterschreiben und, bevor sie so richtig in Kraft getreten sind, sie schon wieder gerne nach eigenen Vorstellungen ändern würden.
Die Reform der Europäischen Gemeinschaft, meine Damen und Herren, muß auf der Tagesordnung bleiben.
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dafür ein, die Ausgabensteigerung im Agrarbereich unter das jährliche Wachstum der EG-Eigeneinnahmen zu senken. Damit ergäbe sich auch ein gewisser Spielraum für die notwendigen Maßnahmen im Sozial-und Regionalbereich. Nur warne ich davor, zu glauben, daß bei einer Zurückdrängung der Agrarausgaben und einer Verlagerung auf die Bereiche Regionalpolitik, Sozialpolitik, Industriepolitik, Energiepolitik oder Forschungspolitik der Anteil der Bundesrepublik am Haushalt sinkt. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Herr Kollege Dr. Barzel, ich muß Sie hier unterstützen. Sie haben darauf verwiesen, daß bei dieser Frage eben auch bedacht werden muß, welche außerordentlichen Vorteile gerade die exportorientierte Bundesrepublik aus der Existenz des Gemeinsamen Marktes bisher gezogen hat und daß sie auch künftig in besonderem Maße daran interessiert sein muß, daß in der Europäischen Gemeinschaft kein Stillstand, keine Stagnation eintritt, denn das wäre bereits ein Rückschritt.
Meine Damen und Herren, Europa braucht nicht nur Reformen im Finanz- und Agrarbereich, es braucht einen neuen Impuls, um die Mängel der europäischen Strukturen zu beheben. Es braucht neben der wirtschaftlichen Säule eine feste politische Säule. Die vom Europäischen Rat in London begrüßte Initiative von Bundesaußenminister Genscher - die durch den italienischen Außenminister Colombo ergänzt wurde - zur Schaffung einer Europäischen Union, kam zur rechten Zeit. In einer Zeit der Europaverdrossenheit ist diese Initiative geeignet, den Gedanken der europäischen politischen Einigung wieder zu beleben und Europa ein Stück nach vorne zu bringen.
Übrigens gibt es auch in Frankreich - ich darf an die Überlegungen des Präsidenten Mitterrand zu einer „relance européenne" erinnern - ähnliche Vorstellungen. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt, wie übrigens auch die liberale und demokratische Fraktion des Europäischen Parlaments, nachhaltig diese Initiative. Die bestehenden politischen Strukturen der Gemeinschaft sind, das hat London erneut gezeigt, zu schwach. Der Entwurf einer europäischen Akte, wie er in London vorgelegt wurde, enthält ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die Europa politisch stärken und weiterbringen können.
Ich will die Ziele nochmals kurz zusammenfassen. Die Europäische Politische Zusammenarbeit muß ausgebaut werden. Die Entscheidungsstrukturen der EG und der EPZ müssen unter der Verantwortung des Europäischen Rats zusammengeführt werden. Damit die EG nach außen hin handlungsfähig ist, müssen die Außenpolitik der EPZ und die Außenwirtschaftspolitik der EG in Einklang gebracht werden.
Meine Damen und Herren, ich komme gerade von der Sitzung der WEU in Paris und muß Ihnen sagen, daß die Erwartungen in diese Initiative sehr groß sind. Sie haben ein großes Echo, eine große Zustimmung gefunden, wenngleich ich natürlich auch sehe, daß so mancher etwas anderes unter „Europäischer Union" versteht. Wir müssen dabei aufpassen, daß nicht die eine europäische Institution die andere in ihrer Entwicklung behindert. Wie ein roter Faden hat sich durch alle Reden und durch alle Beiträge der Parlamentarier und der Regierungsvertreter - der Verteidigungsminister Frankreichs, Italiens und Großbritanniens - dort eben diese Vorstellung der Europäischen Union durchgezogen. Dieser Anstoß, Europa voranzubringen, darf sich aber nicht auf das Bestehende und seine Fortentwicklung beschränken. Das Ziel, die Europäische Union, muß hierbei sichtbar werden, gerade auch angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen und internationalen Probleme. Das ist meines Erachtens von grundsätzlicher Bedeutung für die Zukunft der ganzen Europäischen Gemeinschaft. Wir Liberale würden es zwar gern sehen, daß die Schaffung der Europäischen Union auf der Grundlage eines in allen Mitgliedsländern zu ratifizierenden Vertrages vorangetrieben wird, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß eine solche Institutionalisierung natürlich auch bei der praktischen Durchführung mehr Chancen hat.
Die Verbesserung und Demokratisierung der europäischen Entscheidungsprozesse setzt voraus, daß das Europäische Parlament - das muß betont werden - in seinen Mitwirkungs- und Kontrollfunktionen gestärkt wird; denn das - das habe ich gerade auf der vorhin erwähnten Versammlung festgestellt - findet nicht überall in den Ländern und bei den Parteien Zustimmung. Man will das Parlament allzusehr immer wieder auf seine bisherigen Kompetenzen beschränken. Wir meinen, daß eine Fortentwicklung des Europäischen Parlaments in seinen Mitwirkungs- und Kontrollfunktionen möglich sein muß. Es muß auch stärker an den außenpolitischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen beteiligt werden. Die Forderung der FDP in ihrem Wahlprogramm von 1980 nach einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik der Gemeinschaft, die auch zur Verwirklichung der Sicherheit Europas beiträgt, ist in der gegenwärtigen Lage aktueller denn je. Die europäische Akte von Hans-Dietrich Genscher beinhaltet zu Recht diese umfassende Außenpolitik unter Einbeziehung der Sicherheitspolitik.
Die Abstimmung im Bereich der Sicherheit ist erforderlich, um ein möglichst einheitliches Vorgehen zu fördern, das der Wahrung der Unabhängigkeit Europas, dem Schutz seiner lebenswichtigen Interessen und der Stärkung der Sicherheit Europas und der Welt dienen würde. Nur eine Abstimmung im
Jung ({2})
außenpolitischen und sicherheitspolitischen Bereich schafft die Reaktionsfähigkeit, die z. B. im Falle Afghanistans notwendig gewesen wäre.
Zur gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in der EG gehören demnach erstens die gemeinsame Analyse von Gefahren für die Sicherheit der Gemeinschaft und die Entwicklung entsprechender globaler Politiken der zehn EG-Staaten, zweitens die Verbesserung der Fähigkeit zur gemeinsamen Reaktion der Zehn auf Krisen in Europa und der Welt und drittens eine gesamteuropäische Politik, die durch Dialog und Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung zur Stabilität und schließlich zu einer europäischen Friedensordnung führt.
Hier muß ich Herrn Strauß widersprechen. Er hat versucht, die Erfolge des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers zu reduzieren.
Ich meine, die Möglichkeit der Teilnahme und der Einflußnahme durch die Europäer und durch die Bundesregierung bei dem Prozeß der Rüstungskontrollverhandlungen war noch nie in dem Maße möglich, wie das jetzt in Genf der Fall ist. Noch nie wurden bei der Vorbereitung von bilateralen Verhandlungen die vitalen Interessen der europäischen Bündnispartner so intensiv berücksichtigt; außerdem wird die Special Consultative Group der NATO die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen in Genf begleiten. Von daher besteht zwar keine unmittelbare, zumindest aber eine mittelbare Mitarbeit der Bundesregierung und der europäischen Partner. Die Gespräche in Genf können Impulse für weitergehende Abrüstungsverhandlungen geben. Die konkrete Definition des Verhandlungsgegenstandes ist von beiden Seiten anerkanntermaßen möglich.
Das westliche Verhandlungsziel ist die beiderseitige Null-Lösung für die weitreichenden landgestützten Mittelstreckenraketen, die übrigens in keinem anderen Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1980 als dem der FDP zu finden ist. Das Verhandlungsangebot des NATO-Bündnisses geht damit, da erstmals die Null-Lösung angestrebt wird, über das Angebot der Rüstungsbegrenzung des NATO-Doppelbeschlusses hinaus. Die Genfer Gespräche sind von einem klar umrissenen Verhandlungszeitraum bis Ende 1983 gekennzeichnet, der durch den zweiten Teil des NATO-Doppelbeschlusses, nämlich den Beginn der Stationierung der Pershing II und der Cruise Missiles, vorgegeben ist.
Es muß möglich sein, bis zu diesem Termin Ende 1983 zu beiderseitig nachprüfbaren, transparenten und substantiellen Ergebnissen zu kommen.
Der Breschnew-Besuch in Bonn zeigt die Unverzichtbarkeit des Ost-West-Dialogs gerade in schwierigen Zeiten. Unser Dank gilt deshalb besonders Bundeskanzler Schmidt und Bundesaußenminister Genscher, die anläßlich dieses Breschnew-Besuchs diesen Dialog gefördert und durch die Klärung der Standpunkte einen positiven Einstieg in die Genfer Verhandlungen ermöglicht haben.
Es ging darum, die Position des Bündnisses zum NATO-Doppelbeschluß und die Absichten des Bündnisses, die in den Genfer Verhandlungen verfolgt werden, noch einmal zu verdeutlichen. Es wäre Illusion, wollte man draußen den Eindruck erwecken, als hätte man sich bereits vom Breschnew-Besuch eine Verringerung des sowjetischen Bedrohungspotentials im Mittelstreckenbereich versprechen können. Dies wird und muß Gegenstand der bilateralen Verhandlungsgespräche sein, genauso wie gewisse Hinweise Breschnews, daß die Sowjetunion während der Verhandlungen zu einer Reduzierung bereit ist, dort in Genf zu klären sind.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß - Herr Kollege Dr. Barzel hat dies in einem Falle bereits gesagt - der Ausschuß den Antrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend Vorschläge zur kontrollierten Abrüstung der biologischen, chemischen und atomaren Waffen positiv verabschiedet hat. Als Berichterstatter im Verteidigungsausschuß darf ich dies noch einmal unterstreichen und bitte um Zustimmung, weil es mir im Verteidigungsausschuß nach einigen Änderungen gelungen ist, eine gemeinsame Haltung aller Fraktionen herbeizuführen. Der zweite Antrag der CDU/CSU-Fraktion bezüglich Baustopp, Stationierungsstopp und Abbau der SS-20 ist bereits durch den Entschließungsantrag, der am 26. Mai 1981 vom Deutschen Bundestag angenommen wurde, abgedeckt. Es wäre also nicht notwendig, diesen Antrag erneut zur Abstimmung zu stellen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch hinzufügen, daß trotz aller Hoffnungen im Hinblick auf die Verhandlungen in Genf weder die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa noch die MBFR-Verhandlungen in Wien in den Schatten geraten dürfen. Beide fördern den Dialog, auch wenn leider zur Zeit kein rechtes Fortkommen - besonders in Wien - festzustellen ist. Bei der KSZE in Madrid sind alle Anstrengungen darauf zu richten, daß die wichtigste noch offene Frage eines konkreten Mandats für eine Konferenz über Abrüstung in Europa bald positiv beantwortet wird und daß der geographische Bereich für vertrauensbildende Maßnahmen vom Ural bis zum Atlantik reicht.
Völlig zu Recht hat der Herr Bundesaußenminister heute gesagt: Europa endet nicht an den Grenzen der Gemeinschaft; Europa, das ist das Schicksal aller europäischen Völker. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an ein zentrales Motiv der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern: Die Staaten Europas sollten nie wieder gegeneinander Krieg führen! Wir müssen auch heute Europa als große Friedensaufgabe und als europäische Friedensmacht begreifen.
Das wachsende Bekenntnis der jungen Generation Europas zum Frieden ist ein Zeichen europäischer Identität, die wir fördern und festigen müssen. Die Europäische Gemeinschaft und die europäische Identität zu stärken heißt den Frieden in Europa und in der Welt zu sichern. - Vielen Dank.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu der Erklärung der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP auf Drucksache 9/1110 vor. Stimmt jemand gegen diesen Entschließungsantrag? - Enthält sich jemand der Stimme? - Beides ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Baustopp, Stationierungsstopp und Abbau der SS-20
- Drucksachen 9/291, 9/958 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({1})
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/958, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/291 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag auf Drucksache 9/291 abgelehnt.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Vorschläge zur kontrollierten Abrüstung der biologischen, chemischen und atomaren Waffen
- Drucksachen 9/200, 9/1083 Berichterstatter:
Abgeordneter Voigt ({3})
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1083 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen.
Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 1981, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.