Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/27/1981

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. August 1981 zur Änderung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage - Drucksachen 9/ 899, 9/1066 -. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Biehle, Dallmeyer, Francke ({0}), Frau Geier, Handlos, Frau Krone-Appuhn, Löher, Dr. Marx, Dr.-Ing. Oldenstädt, Petersen, Weiskirch ({1}), Wimmer ({2}), Dr. Wörner, Würzbach und der Fraktion der CDU/ CSU Zum inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften - Drucksachen 9/675, 9/873 Dazu hat der Herr Abgeordnete Biehle das Wort.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegen! Über die Einsatzfähigkeit und den Zustand der Bundeswehr sowie über die Lage der Soldaten in den Streitkräften wurde in der Vergangenheit sowohl im Verteidigungsausschuß als auch in diesem Hohen Hause vielfach debattiert. Aber noch niemals, so meine ich, geschah das vor einem so düsteren Hintergrund, wie es gerade heute der Fall ist. ({0}) Die Staatsfinanzen sind restlos zerrüttet. ({1}) Die Hardthöhe und ihr Minister stolpern von einer Finanzmisere in die andere. Heute abgegebene Prognosen sind morgen von der Entwicklung überholt und haben dann nur noch Makulaturwert. Wirft es da nicht ein ganz bezeichnendes Licht auf den Zustand dieser Regierungskoalition, wenn z. B. der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff zu den Vermutungen, er trage sich mit Rücktrittsabsichten - analog kann man das heute auch über den Bundesminister der Verteidigung lesen -, erklärt, diese Meldungen seien im Kern richtig, weil die Bundesregierung wegen der Auseinandersetzungen um die Haushaltssanierung einen Verlust an Glaubwürdigkeit erlitten habe? ({2}) Apropos Glaubwürdigkeit: Dies ist j a nicht nur ein Problem des Grafen im Ministeramt. Verteidigungsminister Apel setzt dabei sogar immer noch voll Stolz den Joker. Die unkontrollierten und unqualifizierten Rundumschläge dieser Koalitionsregierung täuschen nicht darüber hinweg, daß die aus dem Regierungslager kommenden Verwirrungen zu einer tiefen Resignation und zu einem bisher ungekannten Vertrauensverlust in unserem Volk geführt haben. ({3}) Schließlich sind Resignation und Mangel an Vertrauen aber auch genau die Grundstimmung, die, mehr und mehr um sich greifend, heute auf allen Ebenen unserer Streitkräfte festzustellen ist. Hierüber kann auch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften absolut nicht hinwegtäuschen. Diese Antwort, die uns und damit der Öffentlichkeit gegeben wurde, gibt ein sehr unvollständiges Bild von der wirklichen Situation in der Bundeswehr und geht über viele Probleme hinweg, wobei in der Öffentlichkeit immer der Eindruck einer heilen Welt erweckt werden soll. Dieser Eindruck ist aber völlig falsch und völlig wirklichkeitsfremd. Jedes Gespräch mit jedem Soldaten bestätigt dies jeden Tag um so mehr. In der Truppe herrscht eine tiefe Enttäuschung. Sie spürt, daß diese Regierung einfach nicht mehr in der Lage ist, ihr die Unterstützung zu geben, die sie zur Erfül3956 lung ihrer echten und eigentlichen Aufgaben braucht. ({4}) Der Verteidigungsminister hat jegliche Übersicht verloren; ({5}) ihm sind die Zügel entglitten. Der Herr Minister - lassen Sie mich auch dies mit Deutlichkeit sagen - läßt jegliche Führungsqualität vermissen. ({6}) Herr Minister, ich sage Ihnen: Auch die Truppe hat die Schnauze voll, ({7}) um es einmal im Jargon des Soldaten zu sagen. Diese Armee, unsere Bundeswehr, hat mit den Bündnispartnern der NATO einen Auftrag. Dieser orientiert sich an der Bedrohung durch ungeheure Rüstungen im Warschauer-Pakt-Bereich und am Erhalt des Friedens. Es ist die verdammte Schuldigkeit des Verteidigungsministers und damit dieser Regierung, die Bundeswehr auch an dieser Bedrohungslage und an diesem Friedensauftrag zu orientieren ({8}) und nicht, wie es laufend mit Hilfe des Rotstiftes geschieht, an Ideologie, als sei die Bundeswehr das Hobbypferdchen dieser Regierung oder einiger Ideologen. Daß diese mißliche Lage in der Bundeswehr eingetreten ist, kann auch nicht mit dem Hinweis auf kurzfristige Entwicklungen abgetan werden. Denn seit 1969 haben wir, wenn sie so wollen, inzwischen drei Generationen von SPD-Verteidigungsministern erlebt: Kanzler Schmidt selbst ({9}) als ersten sozialdemokratischen Verteidigungsminister von 1969 bis 1972, danach Leber, und seit 1978 residiert „unser" Dr. Apel auf der Hardthöhe. ({10}) Seit gestern abend wissen wir - leider, Herr Minister -, daß Ihre Koalition, die SPD/FDP-Koalition, im Haushaltsausschuß erneut Hand an den Verteidigungshaushalt gelegt hat. Neben den schon in der letzten Woche bekanntgewordenen 200 Millionen DM soll der Verteidigungshaushalt um weitere 186 Millionen DM gekürzt werden, wobei 50 Millionen DM davon noch in der Schwebe sein sollen. ({11}) Sie haben sich in dieser Sitzung, wie man dort erleben und hören konnte, gegen diese Kürzungen gar nicht so verhement gewehrt. Aber das ist eine altbekannte Tatsache. Denn Sie haben auch die ersten Kürzungen in Höhe von 200 Millionen DM im Kabinett nur zur Kenntnis genommen, ohne daß Sie sich dagegen verwahrt haben. Das, was man heute in Zeitungen lesen kann: „Apel droht: Helmut, ich gehe!", ist die gleiche Schaumschlägerei, wie wir sie in unserem Lande seit Monaten immer wieder erleben. ({12}) Als ich heute morgen ins Bundeshaus ging, sprach mich ein Bekannter an und übergab mir ein Präsent, das ich Ihnen geben sollte; ich will das nach dieser Rede auch tun. Angesichts der Finanz- und Gesamtmisere, die wir in der Bundeswehr haben, sollten Sie die Bundeswehr auf Blasrohr mit Zielfernrohr umstellen und dazu auch die Erbsen nehmen, und zwar nicht nur zum Blasrohr, ({13}) sondern auch um die Mengenlehre hinsichtlich der Aufrüstungstendenz in der Sowjetunion und der mangelnden Präsenz bei uns in der Bundesrepublik ({14}) bzw. im NATO-Bereich zu lernen. Ich verstehe j a ({15}) Ihre Enttäuschung, Herr Minister, gegenüber den eigenen Genossen, die Sie da zum Ausdruck bringen. Dennoch frage ich Sie: Hat denn das schon bei früheren Haushaltskürzungen für 1982 von Ihnen geäußerte Wort, wonach das Ende der Fahnenstange erreicht sei, jetzt noch Gültigkeit? ({16}) Haben Sie nicht gesagt, der ursprüngliche Verteidigungsetat sei bereits auf Rand genäht? Ich habe Ihnen schon im Verteidigungsausschuß gesagt, Sie sollten lieber formulieren: auf Hohlsaum genäht. Was halten Sie denn selbst von Ihren eigenen Worten im Juni 1981 anläßlich eines Interviews mit der Zeitschrift „IG Metall", in dem Sie im Blick auf den Haushalt 1982 gesagt haben - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Noch einmal den Verteidigungsminister über Monate als August der Nation dastehen zu lassen, das werde ich nicht mit mir machen lassen, und das kann sicherlich mit mir auch nicht mehr gemacht werden. Wie lange wollen Sie denn dies noch aufrechterhalten? Wenn ich noch das hinzunehme, was der Bundesrechnungshof in seinem letzten Bericht vor wenigen Tagen über Ihr Amt gesagt hat, dann ist der Skandal perfekt. Das Verschleudern von vielen Steuer-Millionen ist der gravierendste Vorwurf, der Ihnen dort gemacht worden ist. Auch die Vorsitzende des Petitionsausschusses im Deutschen Bundestag hat Ihnen eine lange Liste von Beanstandungen über die Verhältnisse in Ihrem Hause vorgelegt. Dies ist doch, wenn Sie so wollen, die Folge Ihrer Plan- und Konzeptlosigkeit. Denn Ihre Militärs und zivilen Mitarbeiter sind bereit und willens, tatkräftig mitzuarbeiten. Nur fehlt bei Ihnen die Orientierung. ({17}) Und so honorieren Sie einen ehemaligen General der Bundeswehr mit Ruhestandsbezügen, obwohl dieser Ehemalige, der aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen wurde, den Eindruck strotzender Gesundheit macht und mit genauso strotzenden Kraftausdrücken gegen die Bundeswehr und den Staat vom Leder zieht. ({18}) Die „Kölner Rundschau" schrieb gestern, am 26. November, dazu - lassen Sie mich ein paar Sätze zitieren -: „Kennzeichnend für den von der politischen Leitung des Bundesverteidigungsministeriums geprägten Ungeist an chauvinistischer Voreingenommenheit". So sprach der im vorzeitigen Ruhestand lebende Generalmajor Gert Bastian am Wochenende in Dortmund bei der Großkundgebung des „Krefelder Appells" von „seinem Verteidigungsminister". „Die Soldaten müssen von uns vor dem Minister und seiner Politik geschützt werden", sagte der General ... Da kann ich nur fragen, Herr Minister: Wie lange wollen Sie diesen Mißstand noch weiter zur Kenntnis nehmen? ({19}) Wie lange wollen Sie den Steuerbürger noch die Pension für einen solchen General zahlen lassen, und wie lange wollen Sie eigentlich den Soldaten dieser Bundeswehr dieses schauerliche Beispiel noch zumuten? ({20}) Im übrigen sind Sie j a mit den Generalen in der Vergangenheit gar nicht so zimperlich umgegangen. Wo bleibt denn hier die Konsequenz für diesen ehemaligen Panzergeneral? Dagegen werfen Sie - lassen Sie mich auch dies hier kurz anführen - einem ehrenwert ausgeschiedenen General, dem ehemaligen Generalinspekteur Wust, vor, er habe vor dem Tornado-Untersuchungsausschuß die Unwahrheit gesagt. Demgegenüber behauptet Wust, sein Rücktritt sei deshalb erfolgt, weil Sie mit der Auflösung des Planungssystems einen totalen Bruch der Planungskontinuität veranlaßten und außerdem seitherige Planungsgrundlagen und zugeordnete Zuständigkeiten nicht mehr akzeptierten. Neue Initiativen seien von Ihnen aber überhaupt erst gar nicht entfaltet worden. Als der General dann den Beweis für seine Behauptungen auch durch die Vorlage seines Entlassungsschreibens erbracht hat, hatten Sie nur noch die Erklärung parat, dies sei wohl ein Irrtum im Ministerium gewesen. Da kann ich Ihnen nur sagen: Das war kein Irrtum, sondern das war wieder einmal ein leichtfertiger Umgang mit der Wahrheit, wie wir das seit langer Zeit gewohnt sind. ({21}) In diesem Zusammenhang erinnert man sich auch an Ihr eigenes auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am 12. Juni 1975 abgegebenes Bekenntnis, Herr Minister; ich zitiere auch wieder aus Ihrem Redemanuskript. Es heißt dort: Als demokratischer Politiker schließe ich Kompromisse, die auch faul sein können. Ich kämpfe manchmal unfair für den Erhalt der Macht meiner politischen Truppe, weil ich davon überzeugt bin, daß das für unser Land gut ist. Ich sage nicht immer die Wahrheit. ({22}) - Dies hat der Verteidigungsminister Apel auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am 12. Juni 1975 vor aller Öffentlichkeit festgestellt. ({23}) So, Herr Minister, können Sie doch vor der Öffentlichkeit, vor Ihren Soldaten, vor Ihren Mitarbeitern keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. Wenn wir in der Union auch die Methode verurteilen, mit der Ihr Auftreten von militanten und radikalen Gruppen selbst in einer Hamburger Kirche gestört wird, so enthebt es Sie bei all dem nicht der Pflicht, Ihr Amt mit mehr Sorgfalt und vor allen Dingen mit mehr Engagement wahrzunehmen. Es ist vor allen Dingen notwendig, daß Sie in allen Bereichen der Verteidigung endlich Prioritäten setzen, damit man in unserem Lande merkt, wo es eigentlich langgeht und damit auch die Soldaten endlich wieder eine Orientierung haben. Sicherlich ist es auch fehlende Orientierung, wenn z. B. junge Reservisten ihre Wehrpässe in aller Öffentlichkeit verbrennen. Dabei geht es gar nicht so sehr um dieses Spektakulum, und hier geht es auch gar nicht darum, daß kleine graue Büchlein verbrannt worden sind, nein, hier sollen der Staat und unsere Demokratie getroffen werden. Der Bürger - ob in Zivil oder in Uniform - fragt zu Recht: Was will denn dieser Staat eigentlich noch alles hinnehmen, ehe hier entsprechende Konsequenzen gezogen werden? Diese Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Lassen Sie mich nach diesen generellen Bemerkungen noch auf einige weitere Beispiele eingehen, die den inneren Zustand der Bundeswehr und die Lage unserer Soldaten in den Streitkräften so deutlich belegen. Ein ganz zentrales Problem, dessen Auswirkungen sicher von Jahr zu Jahr spürbarer werden, das einer schleichenden Krankheit gleicht und die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr vorn inneren Gefüge her ganz entscheidend beeinträchtigt, ist, so meine ich, der Verwendungs- und Beförderungsstau. Ein vorn Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr bereits 1979 erstelltes Gutachten besagt - ich zitiere -: Etwa seit 1976 entwickelt sich in der Bundeswehr ein Verwendungs- und Beförderungsstau. Neben einem auf Grund geburtenschwacher Jahrgänge verminderten Aufkommen an Wehrpflichtigen gehören der Stau und seine Folgen zu den schwerwiegendsten Problemen der Wehr- und Personalstruktur der Bundeswehr in der nächsten Zukunft. Ein Divisionskommandeur schrieb dazu erst jüngst - auch hier zitiere ich -: So hat die Tatsache, daß auf Grund der finanziell angespannten Haushaltslage zur Lösung des Verwendungsstaus in der Bundeswehr in diesem Haushaltsjahr nur wenig zu erwarten ist, bei unseren Offizieren und Unteroffizieren große Unruhe ausgelöst. Da dies ein Problem ist, das sich auf die Einsatzbereitschaft der Truppe auswirkt, - dies wird von Ihnen j a immer wieder bestritten; aber hier spricht ein Kommandeur sehe ich hierfür Lösungen als dringend geboten an. So die vornehme Umschreibung der Lage durch einen Divisionskommandeur. Sie, Herr Minister, und der Kanzler wissen ja seit langem, daß es bei den betroffenen Soldaten nicht nur unter der Oberfläche brodelt, sondern die Folgen dieses Staus immer stärker die Einsatzbereitschaft der Betroffenen lähmen. Sie selbst, Herr Minister Apel, haben zu diesem Problem noch im April 1980 erklärt: Wir müssen 1981 vorankommen. In einem Rundfunkinterview Ende 1980 sagten Sie: Ich sehe die Probleme des Verwendungsstaus genauso dramatisch an wie der Bundeswehrverband und der Generalinspekteur. Selbst der Bundeskanzler hat darauf in seiner Regierungserklärung Bezug genommen und darauf hingewiesen, daß man sich dieses Problems bewußt sei. Entscheidende Initiativen zur Schaffung wirksamer Abhilfe blieben jedoch aus. Das ist bis zum heutigen Tage so. Es bietet sich, wenn Sie so wollen, ein Bild der Ratlosigkeit und der Unentschlossenheit. Nur einschneidende Maßnahmen, so meinen wir, können noch die notwendige Abhilfe bringen, wobei es das Ziel sein muß, möglichst kurzfristig eine Ausgewogenheit des Alterskegels der Bundeswehr zu schaffen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre schon die Zurücknahme der besonderen Dienstaltersgrenze für Berufssoldaten auf die Regelung vor dem sogenannten Haushaltsstrukturgesetz 1975. Natürlich sind wir uns darüber im klaren, daß solche Maßnahmen kostenwirksam sind. Es gibt aber auch Maßnahmen, die ohne große Kosten oder fast ohne Kosten durchführbar sind. Ich denke dabei an die Einführung des Spitzendienstgrades, vom Verteidigungsausschuß seit Jahren gefordert und gewollt. Es gilt, nach einem Gesamtkonzept endlich Prioritäten zu setzen. Meine Fraktion drängt seit Jahren die Bundesregierung und Sie, Herr Minister Apel, das Problem entschlossen zu lösen. Wenn man sieht, daß gerade im Rahmen des Haushalts 1982, der in diesen Wochen beraten wird, die Post 6 000 neue Arbeitskräfte einstellt, dann muß man auf der anderen Seite für die Sicherheitspolitik feststellen, daß bei der Bundeswehr, täglich neu finanziell zusammengestrichen wird, wie das auch in der vergangenen Nacht durch Ihre Genossen wieder der Fall war. ({24}) Folgende Zahlen sprechen für sich: Von 6 000 Hauptleuten des Truppendienstes erfüllen über 2 000 Offiziere alle Voraussetzungen für eine Beförderung zum Major. Das sind mehr als 30 % aller Hauptleute des Truppendienstes. Über 2 800 Oberleutnante des militärfachlichen Dienstes befinden sich im Beförderungsstau. Bis 1985 werden es sogar etwa 5 500 sein. Bei den Unteroffizieren befinden sich 3 000 Oberfeldwebel im Verwendungs- und Beförderungsstau. Bis 1985 wird diese Zahl auf über 5 000 steigen. Ist es denn ein Wunder, Herr Minister, wenn die Dienstfreude und das persönliche Engagement dieser Soldaten in fast nicht mehr zu vertretender Weise beeinträchtigt werden? ({25}) Das Vertrauen in die Führung, ich sagte es bereits, ist erschüttert, was im übrigen auch in einem Papier zu lesen ist, das im März 1981 in Ihrem Hause, Herr Minister, erarbeitet wurde. Darin ist von Neigung zur Resignation und zum Fatalismus die Rede. Ist ein solches Eingeständnis eigentlich nicht schlimm, zudem dies auch noch in Ihrem eigenen Hause so festgestellt wird? Dabei hoffe ich, Sie nicht auffordern zu müssen, diese Denkschrift - so möchte ich sie einmal bezeichnen - nachzulesen; denn sie hat nur 20 Seiten, während wir im Tornado-Ausschuß von Ihrem Problem hörten, 40 Seiten durchlesen zu müssen. ({26}) - Sie haben völlig recht, Herr Kollege: Nachträglich kam noch der „Geheim"-Stempel darauf, damit dies ja nicht an die Öffentlichkeit kommt. Auch dieser Denkschrift kann man im übrigen entnehmen, daß die Frustration der vom Verwendungsstau betroffenen Offiziere und Unteroffiziere sich bis zum letzten Soldaten auswirkt, denn - ich zitiere aus diesem Bericht - „für die meisten Grundwehrdienstleistenden ist die Person des Vorgesetzten ausschlaggebend dafür, in welche Richtung sich ihre Einstellung zum Wehrdienst entwikkelt". Man kann sich vorstellen, wie ein mißmutiger Vorgesetzter auf seine Soldaten wirkt und wie er sie dann motiviert. Ein weiteres Problem stellt die hohe Dienstzeitbelastung einschließlich des Wachdienstes für einen großen Teil unserer Soldaten dar. Während es für fast alle Staatsbürger die 40-Stunden-Woche gibt, ist für viele Soldaten eine Dienstzeit von teilweise 60 oder 70 Wochenstunden keine Seltenheit. Das hat natürlich seine Auswirkungen, auch auf die negative Personalentwicklung der Bundeswehr; denn die hohe Dienstzeitbelastung mit der daraus resultierenden ständigen Überforderung macht es für junge Menschen nicht gerade attraktiv, sich längerfristig für den Dienst in der Bundeswehr zu entscheiden. Auch hierzu gibt es ein jüngstes Beispiel von Doppelzüngigkeit. Im Verteidigungsausschuß haben Sie uns auf Vorhalt aufgefordert, wir sollten gemeinsam die vorgesehene Streichung von 20 Millionen DM für das zivile Wachpersonal rückgängig machen. Als es dann zur Tat kam, haben ihre eigenen Genossen im Ausschuß einen Rückzieher gemacht, und die Sache ist zu Fall gekommen. ({27}) Der Minister hat dazu keinen Kommentar abgegeben. Im übrigen steht natürlich außer Frage, daß unsere Soldaten wissen, daß sie ihre Aufgaben nicht in einer gesetzlich geregelten Arbeitszeit ableisten können. Ich meine, die Soldaten haben die Bereitschaft zum Dienen immer wiederbewiesen. Sie nehmen auch die vielen Belastungen hin, die ihnen abverlangt werden müssen, und dies auch mit Verständnis. Aber sie wollen natürlich auch nicht auf Dauer von den sozialen Fortschritten und Errungenschaften der Gesellschaft restlos abgekoppelt werden. Dies ist das Faktum. ({28}) Aus jüngsten Erhebungen eines Artillerieregiments ist z. B. zu entnehmen, daß wöchentlich folgende durchschnittlichen Dienstzeiten errechnet wurden: bis 64 Wochenstunden 17,7 % der Soldaten, über 64 bis 80 Wochenstunden 78,1 °10 der Soldaten. Zu einem ähnlichen Ergebnis führten auch die Erhebungen bei der 2. Panzerdivision, wonach dort mehr als 95 % der Soldaten dieses Großverbands mehr als 56 Stunden Dienst in der Woche leisten. Hier, so meinen wir, muß endlich Abhilfe geschaffen werden. ({29}) Mit der inzwischen eingeführten Vergütung für Soldaten mit Dienstzeiten von mehr als 56 Wochenstunden ist es allein nicht getan, zumal diese Vergütung ja längst nicht alle Soldaten erreicht. Erforderlich sind also entsprechend wirksame Schritte, die zu einem vernünftigen Dienstzeitausgleich führen. Die Benachteiligungen durch Freizeiteinschränkungen müssen dabei weitgehend beseitigt werden. Auch hierzu sind in einem offiziellen Bericht Ihres Hauses Feststellungen getroffen. Reaktionen stehen - wie immer - bis heute aus. Sorge bereitet nach wie vor die außerordentlich angespannte Personallage der Bundeswehr. Das Fehl an längerdienenden Zeitsoldaten beläuft sich zur Zeit auf etwa 30 000 Soldaten. Aber wirksame Maßnahmen zur Abhilfe sind absolut nicht in Sicht. Im Gegenteil: Man muß davon ausgehen, daß sich die Situation weiter verschlechtert und das vorhandene Personal auch zeitlich immer mehr belastet und somit an der Erfüllung seiner echten Aufgabe gehindert wird. Die Frustration wird immer größer. Das ist sicher keine gute Grundlage für die Gewinnung weiteren Personals. Hinzu kommt schließlich für 1982 die Streichung von 8 000 Plätzen für SaZ-2-Soldaten, die zwangsläufig zu einer erneuten Verschärfung des Problems führen wird. ({30}) Entsprechende Erfahrungen hat die Bundeswehr ja in der Vergangenheit dazu schon gemacht, insbesondere, als die Verpflichtungsprämien für SaZ 2 bis 4 und auch das Gehalt ab dem siebten Monat für SaZ2-Soldaten gestrichen wurden. Das hat sich im nachhinein als schwerwiegender Fehler herausgestellt. Wir haben lange genug davor gewarnt. Leider sind nun wieder mit den Stimmen der Koalition die gleichen Fehler für die Zukunft festgeschrieben worden. Im Zusammenhang mit der Personallage der Bundeswehr muß schließlich auch darauf hingewiesen werden, daß auf Grund des Geburtenrückgangs spätestens Mitte dieses Jahrzehnts der personelle Bedarf der Streitkräfte nicht mehr zu decken ist. Es ist daher zu fordern, daß die Bundesregierung nach eingehender Prüfung rasch und rechtzeitig die Initiative ergreift und in den zuständigen Gremien einen entsprechenden Maßnahmenkatalog vorlegt. Schon jetzt seien aber schon Zweifel angemeldet, ob die Überlegungen in die richtige Richtung gehen, die kürzlich - seltsamerweise durch den Generalinspekteur und nicht durch die politisch Verantwortlichen, durch den Minister, der sich immer wieder in das Schneckenhaus zurückzieht - vorgetragen worden sind, nämlich eventuell auch Ausländer zum Wehrdienst einzuberufen, was letzten Endes keine Lösung des Problems mit sich brächte. Ich meine auch, daß den Vorstellungen, die z. B. der Deutsche Bundeswehrverband vorgetragen hat und nach denen Frauen zum Dienst in der Bundeswehr mit der Waffe in der Hand herangezogen werden sollen, schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Absage erteilt werden muß. Der Einsatz von Frauen in der Bundeswehr kann auch in Zukunft, wenn überhaupt, nur auf freiwilliger Basis und ohne Waffen erfolgen. Jedenfalls bedarf es rasch eines Konzeptes der Regierung, damit rechtzeitig eine Lösung in die Wege geleitet wird. ({31}) Die Überlegungen können nach eingehender Prüfung nach unserer Auffassung u. a. nur in folgende Richtung gehen: Verlängerung der Wehrdienstzeit, Überprüfung der Zurückstellungsgründe, Veränderung der Tauglichkeitskriterien, Erhöhung der Zahl der Planstellen, Heranziehung auch von angehenden Medizinern zum Wehrdienst vor ihrem Studienbeginn und schließlich auch die totale Überprüfung der immer größer werdenden Wehrungerechtigkeit; dazu gehört auch der Komplex der Kriegsdienstver3960 weigerung, wobei wir - das darf ich Ihnen gleich ins Stammbuch schreiben - nicht die Aufgabe der gut bezahlten Minister und Staatssekretäre zu übernehmen haben, sondern hier ist die Initiative der Regierung zu fordern. ({32}) Da nur knapp 60 % eines Geburtsjahrganges echten Wehrdienst leisten, verfolgen unsere jungen Soldaten, die aktiv Dienst leisten, die Entwicklung natürlich mit großer Aufmerksamkeit. Diese Soldaten, die während ihrer Dienstzeit etwa 10 000 bis 15 000 DM gegenüber denen einbüßen, die zu Hause bleiben, im Beruf Fortkommensmöglichkeiten haben, erwarten, daß diejenigen, die weder Wehr- noch Ersatzdienst leisten, obwohl sie dazu tauglich sind, gleichfalls zu einer entsprechenden Belastung herangezogen werden. Im Grunde sind viele der Wehrpflichtigen zum Dienst für den Frieden in der Bundeswehr bereit. Sie verlangen nur, daß dieser Dienst durch die politisch Verantwortlichen in der Öffentlichkeit auch entsprechend gewürdigt wird. ({33}) An dieser Stelle darf ich namens meiner Fraktion all denen, die als Wehrpflichtige, als Zeit- oder als Berufssoldaten in der Bundeswehr Dienst leisten, einen Dienst für den Frieden, ein aufrichtiges Dankeschön sagen. ({34}) Ohne die Verdienste anderer demokratischer Gruppierungen schmälern zu wollen, darf ich auch hier noch einmal dokumentieren, daß die Bundeswehr mit 495 000 Soldaten und 180 000 zivilen Mitarbeitern - wenn Sie so wollen: 675 000 Frauen und Männer - wohl die größte Friedensinitiative darstellt, die wir in unserem Volke haben. ({35}) Und das 365 Tage, rund um die Uhr, und nicht nur an einem freien Wochenende einmal oder zweimal im Jahr. Auch das sei einmal festgestellt. ({36}) Viele Punkte ließen sich noch anführen. Lassen Sie mich nur stichwortartig noch einmal folgendes sagen. Für die jährlich mehr als 20 000 ausscheidenden länger dienenden Zeitsoldaten muß einiges geschehen. Die Kostenerstattung an Wehrpflichtige für die Benutzung des eigenen Pkw bei Familienheimfahrten sollte endlich realisiert werden. Es ist einfach nicht einsichtig, daß ein Soldat indirekt gezwungen wird, seinen eigenen Wagen nicht zu benutzen. Man darf doch nicht übersehen, daß in vielen Fällen weder die Bundesbahn verkehrt noch sonst irgendwelche öffentlichen Verkehrsmittel, sondern daß die Soldaten auch zur Verlängerung ihres Wochehendes einfach auf ihren Pkw angewiesen sind. ({37}) Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Minister: Wer es zuläßt - ich beziehe mich auf den Bundesrechnungshof -, daß zu einer einzigen Kommandeurstagung der Bundeswehr auf Borkum 659 000 DM für den Flugdienst ausgegeben werden, ({38}) damit die Kommandeure eingeflogen werden, und wer dazu noch 350 Pkws per Schiff für weitere 30 000 DM anlanden läßt, der sollte auch soviel Takt haben, unseren Wehrpflichtigen, die auch ihren Dienst leisten, die entsprechenden Mittel für die Benutzung ihres Pkw, für Benzingeld zur Verfügung zu stellen. ({39}) Im übrigen meine ich, daß sich mit der Verweigerung dieser Mittel einschließlich der immer stärker werdenden heimatfernen Einberufungen eine familienfeindliche Entwicklung abzeichnet. Ich möchte gar nicht auf das Gebiet der Ausrüstung unserer Bundeswehr eingehen. Dieser Bereich ist bei den Haushaltsberatungen anzusprechen. Ich will auch nicht auf die weiteren Mängel an Gerät, Ausrüstung, Munition und Betriebsstoff eingehen, wenn sich auch Tag für Tag zeigt, daß dies ungeheure Auswirkungen auf die Truppe hat. Eines ist klar: Die Verantwortung für die Versäumnisse trägt ausschließlich die derzeit amtierende Bundesregierung und speziell für die Bundeswehr Sie, Herr Minister Apel. Sie bekommen die Probleme einfach nicht in den Griff. Bei dieser Lage unserer Bundeswehr wäre es ohne Zweifel richtiger und auch ehrlicher gewesen, den Verteidigungshaushalt von den Kürzungen überhaupt ganz auszunehmen; denn über eines sollte doch wohl Übereinstimmung bestehen: Wenn wir insgesamt unsere Freiheit im Rahmen des westlichen Bündnisses glaubhaft bewahren wollen, müssen wir unsere Verteidigungsanstrengungen für einen dauerhaften Frieden gemeinsam treffen. Wenn es um den Frieden geht, sollten wir uns auch in diesem Parlament gemeinsam in einer Front mit den Soldaten befinden. Tun Sie dies aber auch durch Taten kund! Namens meiner Fraktion darf ich beantragen, daß gemäß der Geschäftsordnung die Bundestagsdrucksache 9/873 - Große Anfrage zum inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften - zur Beratung an den Verteidigungsausschuß überwiesen wird. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({40})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann ({0}).

Paul Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001597, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß wir hier im Plenum des Deutschen Bundestages wieder einmal zur Lage der Bundeswehr und ihrer Soldaten sprechen. Gerade in einer Zeit, in der mancher in unserem Lande über die Richtigkeit der bisherigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik unsicher wird, ist es erforderlich, den Angehörigen der StreitNeumann ({0}) kräfte in Uniform und Zivil „für den verantwortungsvollen und treuen Dienst zu danken, den sie dem Ganzen leisten", wie es der frühere Bundeskanzler Willy Brandt 1970 im Weißbuch schrieb. „Denn die Soldaten der Bundeswehr dienen dem Frieden." Auch das sagte Willy Brandt in dem Weißbuch 1971/72. „Die Bundeswehr hat einen schwierigen Auftrag zu erfüllen. Sie wird ihn meistern dank der Bereitschaft ihrer Soldaten und zivilen Mitarbeiter zu treuem Dienst, den sie für uns alle leisten." So steht es in demselben Weißbuch. ({1}) Diesen schwierigen Auftrag zu erfüllen, mein lieber Herr Kollege Würzbach, ist seitdem nicht leichter geworden; denn die Wirtschafts- und Haushaltssituation ist gegenüber 1971/72 nicht besser geworden. Es ist verständlich, daß sich diejenigen, die mit den Streitkräften zu tun haben, Gedanken darüber machen, ob Auftrag und Mittel der Streikräfte noch übereinstimmen und, wenn nicht, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Diese Diskrepanz zwischen Auftrag und Mitteln steht für mich im Mittelpunkt der Betrachtung. Nun hat der Kollege Biehle die Bedrohungsgerechtigkeit wieder hervorgezogen. Daß die Frage der Bedrohungsgerechtigkeit für die Bundeswehr in ihrer ganzen Geschichte noch nie die zentrale Rolle gespielt hat, die Sie ihr beimessen, belegte der Generalinspekteur vor dem Untersuchungsausschuß wie folgt: Ich glaube nicht, daß die Bedrohung den alleinigen Gradmesser dargestellt hat, seit wir eine Bundeswehr haben. Ich wage zu behaupten - und ich bin nicht nur nach dem Dienstrang, sondern auch nach dem Lebenslauf ältester Angehöriger der Bundeswehr; ich bin ja am 1. Oktober 1950 im Palais Schaumburg angefangen -, daß auch der Umfang der Bundeswehr nicht an der Frage der Bedrohung orientiert wurde, sondern nach dem, was man so für möglich hielt. Daher gibt es eine Situation, wo man gesagt hat: Na, zwölf Divisionen, nämlich eine Feldarmee, werdet ihr wohl aufstellen können. Unverändert, meine Damen und Herren von der Opposition, muß auch für Sie gelten, was Ihr damaliger Verteidigungsminister Dr. Gerhard Schröder im Weißbuch 1969 geschrieben hat. Er schrieb dort: Der Umfang der Streitkräfte wird durch die Stärke des potentiellen Gegners, den Auftrag und die verfügbaren Haushaltsmittel bestimmt. Die Mittelbeschränkung und Schwierigkeiten beim Personalaufkommen zwangen zur Verringerung des ursprünglich im Rahmen von NATO-Zielen geplanten Friedensumfanges von 508 000 Soldaten. ({2}) So weit Herr Dr. Schröder. Schröder hatte 1968 jedoch nur 441 600 Soldaten, und das zu einer Zeit, als die Truppen des Warschauer Pakts in Prag einmarschiert waren. Zu Beginn der Aufstellung der Bundeswehr haben Sie damals der NATO zwölf Divisionen angeboten. Diesen Umfang haben Sie während Ihrer Regierungszeit nie erreicht. Erst die sozialliberale Bundesregierung und die Koalition haben die Verträge erfüllt, die Sie freihändig ausgehandelt hatten. ({3}) Im Januar 1961 hat der „Spiegel" unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit" eine Darstellung über den damaligen Zustand der Bundeswehr gegeben - als Sie Verantwortung trugen -, die sich noch heute zu lesen lohnt. Als am 31. Oktober 1979, also vor zwei Jahren, der ehemalige Generalinspekteur de Maizière seinen Bericht zur Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung in den Streitkräften vorgelegt hatte, war seine Grundklage und Hauptklage die Diskrepanz zwischen dem Auftrag der Bundeswehr und den Mitteln, die ihr zur Erfüllung dieses Auftrages zur Verfügung stehen. Der Auftrag der Bundeswehr ist im Weißbuch 1979 sehr gut dargestellt. Unter dem Begriff „Mittel" hat de Maizière subsumiert das Personal, das Material, die Organisation, die Befugnisse, Information, Zeit, Ausbildung und Fähigkeiten. Als der de-Maizière-Bericht erschien, habe ich für die SPD-Mitglieder im Verteidigungsausschuß erklärt, daß die Aussagen von Herrn de Maizière uns alle auffordern, zur Beseitigung dieser Diskrepanz von Auftrag und Mitteln zusammenzuarbeiten. Man sollte nicht, wie der Kollege Dr. Wörner am 3. November 1979 der „Welt" gegenüber erklärte, der Meinung sein, daß der de-Maizière-Bericht das Gesangbuch der Opposition werden würde. Wer sich die Fragen der Opposition zum inneren Zustand der Bundeswehr ansieht und vergleicht, wie die Opposition draußen und hier argumentiert, der kommt zu dem Ergebnis, daß sie nicht bereit ist, sich realistisch und sachlich den Problemen zu stellen, die Herr de Maizière dargestellt hat. Um zu verdeutlichen, was bis in den inneren Zustand der Bundeswehr seine Auswirkung zeigt, möchte ich den nach meiner Meinung wohl treffendsten Satz aus dem Bericht zitieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner? - Bitte.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Neumann, sind Sie denn der Auffassung, daß die von Herrn de Maizière geschilderte Lage, wonach Auftrag und Mittel auseinanderklaffen, sich inzwischen verbessert oder verschlechtert hat?

Paul Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001597, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ob sie sich verbessert hat, würde ich daran messen, inwieweit die Maßnahmen gegriffen haben, die der Bundesminister der Verteidigung in der Zwischenzeit eingeleitet hat. Und er hat einiges eingeleitet; darüber wird sicherlich noch in der Debatte zu sprechen sein. ({0}) - Er hat einige Maßnahmen getroffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Neumann? - Ich bitte doch, von der Regierungsbank nicht mitzudiskutieren, Herr Minister. ({0})

Paul Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001597, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme darauf zurück, Herr Dr. Wörner. - Herr Würzbach, er wird vielleicht länger dort sitzen, als Sie es sich vorstellen können. Ich will auf den Satz zurückkommen, den ich für einen gravierenden Satz halte. Herr de Maizière sagt: „Die Summe aller Aufgaben hat sich zu einem Ausmaß an Forderungen und Ansprüchen an die Truppe entwickelt, das nicht mehr so erfüllt werden kann, wie es das Prinzip von Befehl und Gehorsam verlangt. - Seit Beendigung der Aufbauphase der Bundeswehr hat sich das Dilemma schrittweise verschärft. Immer mehr Aufgaben müssen mit gleichen, oft sogar mit geringeren Mitteln erfüllt werden." - Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Satz. Die erste Empfehlung, die Herr de Maizière aus seinen Feststellungen ableitete, war: „Wenn Aufgaben und Aufträge nicht reduziert werden können, dann sind die Mittel zu verbessern oder zu verstärken." Die zweite, ergänzende bzw. konkurrierende Empfehlung war: „Können die Mittel nicht verbessert oder verstärkt werden, müssen die Aufgaben und Aufträge verringert werden." Wir alle haben dabei mitgewirkt, Herr Dr. Wörner, dieses Problem zu verstärken durch immer neue Aufgaben, immer kompliziertere Waffensysteme, kaum bedienbar, kaum noch bezahlbar. Herr Kollege Dr. Wörner, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, der Sie am 7. Mai gegenüber der NRZ erklärt haben, daß die Zuständigkeiten der NATO über den Wendekreis des Krebses hinaus auszudehnen seien, wodurch die Bundeswehr sicherlich noch zusätzliche Aufgaben bekommen hätte, dann wäre die Diskrepanz zwischen Auftrag und Mitteln noch stärker geworden. ({0}) - Dann lügt die NRZ. Ich kann mich nur darauf beziehen. ({1}) - Ach, Herr Berger, was wird alles von Ihnen unaufhaltsam zitiert! ({2}) - Na dann sind wir uns j a im klaren. Zum Abbau der Diskrepanz zwischen Auftrag und Mitteln nach der Vorlage des de Maizière-Berichts machte Dr. Wörner die Aussage, daß die Probleme der Bundeswehr mit einer Erhöhung des Schüleretats um 2000 Stellen bereinigt werden könnten. Mehr kam nicht; das war nicht viel. Wenn man sich ansieht, wie die Bundeswehr in der Vergangenheit mit gleicher Personalstärke und mit gleichen Mitteln die Übernahme zahlreicher neuer Aufgaben verkraftet hat, so kann man daran ablesen, welche Leistung die Soldaten und Zivilisten hier vollbracht haben. Mit dem Heeresmodell Nr. 4, mit dem Aufwuchs an Panzern und Artillerie, der Einführung z. B. des Systems AWACS oder des Panzerabwehrhubschraubers sind Aufträge übernommen oder zugeteilt worden, die bei nur geringem Personalaufwuchs ausgeführt werden. Dies führt zu einer weiteren Scherenentwicklung zwischen Auftrag und Mitteln. Dies muß notwendigerweise in der Truppe, vor allem aber beim Heer, zu besonderen Schwierigkeiten, zu Arbeitsüberlastungen und ähnlichem führen, was den inneren Zustand der Bundeswehr nicht gerade positiv beeinflußt; das wird hier niemand abstreiten wollen. Meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie je gegen ein neues Waffensystem protestiert oder dagegen gestimmt mit der Begründung, Auftrag und Mittel würden mit der Einführung dieses neuen Waffensystems weiter auseinanderlaufen? Ich habe das in den Jahren, in denen ich hier im Verteidigungsausschuß bin, nicht erlebt. Im Gegenteil, die Union, die stets über die Haushaltslage des Bundes klagt und geradezu den Weltuntergang beschwört, wird nicht müde, pauschale Mehrforderungen anzumelden: mehr Fregatten, mehr Munition, mehr Roland, mehr Flugstunden, mehr, mehr und noch einmal mehr. ({3}) Ich bin der Auffassung, daß die nicht ausreichende Motivation bei manchen Soldaten nicht so sehr daher rührt, daß er noch nicht die nächste Beförderung in der Tasche hat oder meint, finanziell nicht genügend sichergestellt zu sein, sondern ein wesentlicher Grund scheint mir zu sein, daß die Arbeitsüberlastung, die sich aus der Diskrepanz zwischen Aufgabe und Mitteln ergibt, demotivierend wirkt. Aus dieser Erkenntnis, meine ich, haben wir alle zusammen ziemlich radikale Schlußfolgerungen zu ziehen. Wir wissen alle, daß verschiedene Mittel, die die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Auftrages braucht, nicht verändert oder verbessert werden können. Im Bereich des Personals können wir über den heutigen Umfang der Bundeswehr aus politischen Gründen nicht hinausgehen. Das weiß auch die Opposition. Was die Finanzen anlangt, so kann auch die Opposition nicht den Eindruck erwecken, daß sie die Finanzsituation zugunsten der Bundeswehr verändern könnte. ({4}) Die Konsequenz daraus ist, Herr Kollege Würzbach, daß man sich Gedanken über die Frage macht - wie es auch Herr de Maizière gemacht hat -, ob man, weil man die Mittel nicht verbessern kann, Aufgaben und Aufträge verringern kann. Ich habe dieses Problem bereits im November 1979 angesprochen. Leider war man damals seitens der Opposition nicht bereit, sich sachlich damit auseinanderzusetzen, und ich befürchte, auch mein heutiger Hinweis wird nicht dazu dienen, sich damit auseinanderzusetzen, sondern dazu. Angriffe zu begründen. ({5}) Herr de Maizière hat darüber sachlich berichtet. Wir sollten uns diese Sachlichkeit zu eigen machen, die das Gesprächsklima in den Fragen der Sicherheitspolitik verbessern könnte. Ich möchte nicht versäumen, hier ein konkretes Beispiel zu nennen, das ein erster Gesprächspunkt sein könnte. Während der Debatten im Untersuchungsausschuß MRCA Tornado haben wir die Frage an den damaligen Heeresinspekteur Poeppel gestellt, welche Meinung er zum Vorschlag der Kaderung habe, der damals von verschiedenen Seiten gemacht wurde und der auch in einem sehr umfangreichen Gutachten von Herrn de Maizière untersucht worden war. Herr Poeppel hat auf diese Frage ablehnend reagiert, aber darauf hingewiesen, daß er die Möglichkeit sehe, im Bereich der Heeresunterstützungstruppen eine Reform durchzuführen, die in mehr oder weniger großem Umfange Einsparungen brächte. Darüber sollte also gesprochen werden. Die Opposition sollte das Weißbuch 1970 einmal sorgfältig studieren, damit sie sich noch einmal in Erinnerung rufen kann, wie die Bestandsaufnahme 1970 aussah. Sie sollte dann in den folgenden Weißbüchern nachlesen, wie die innere Lage der Bundeswehr verbessert wurde. Manche von Ihnen tun heute so, als sei die innere Lage der Bundeswehr während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung auf der Hardthöhe vorzüglich gewesen und seien die Aufgaben hundertprozentig erfüllt worden. Ihr damaliger Verteidigungsminister, den ich schon einmal zitiert habe, konnte sich im ersten Weißbuch 1969 beim Thema der inneren Lage der Bundeswehr nur zu dem Urteil durchringen: Die Soldaten haben in ihrer weit überwiegenden Mehrheit die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllt. - Sie sollten hier also nicht den Eindruck erwecken, als ob sie in der Lage wären, die Probleme und Schwierigkeiten, die eine Großorganisation wie die Bundeswehr hat, lösen zu können. Sie konnten es 1969 nicht, wie das Weißbuch 1970 zeigte, und wären heute unter viel schwierigeren Verhältnissen noch weniger in der Lage, dies zu leisten. Die innere Lage der Bundeswehr und ihre Probleme hat der Herr Verteidigungsminister in seiner Antwort auf Ihre Große Anfrage ungeschminkt dargestellt. Ich bin froh, Herr Minister, daß Sie Herrn de Maizière damals den Auftrag für seinen Bericht erteilt hatten, der eine gute, hilfreiche Arbeit war. Ich bin sicher, daß die Maßnahmen, die Sie nach der Vorlage des Berichtes ergriffen haben, ebenso hilfreich für die Truppe sind. - Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über den inneren Zustand der Bundeswehr. An dieses Thema will ich mich auch halten. Gestatten Sie mir aber, daß ich vorab doch einige Bemerkungen zu dem mache, was sich im parlamentarischen und außerparlamentarischen Vorfeld dieser Debatte bislang abgespielt hat, was von Herrn Kollegen Biehle hier fortgesetzt worden ist und was vermutlich in den Reden der weiteren Kollegen von der Union ebenfalls eine Fortsetzung finden wird. Meine Kollegen von der Opposition, Sie sind in den vergangenen Wochen nicht müde geworden, die Bundeswehr so darzustellen, als stehe sie kurz vor dem personellen und materiellen Zusammenbruch. Das haben Sie in der Tendenz auch heute wieder versucht. Ich weiß nicht, was Sie sich davon versprechen, ein solches Zerrbild der Wirklichkeit in die Welt zu setzen. Was Sie uns im Parlament und draußen im Land als Bild der Bundeswehr präsentieren, hat mit der Wirklichkeit wenig gemeinsam. ({0}) Die Bundeswehr - vielleicht ist es notwendig, das hier einmal festzustellen, damit nicht gefährliche Schlußfolgerungen aus Ihrer Darstellung gezogen werden - ist im großen und ganzen in Ordnung. ({1}) Die Streitkräfte sind modern ausgerüstet und gut ausgebildet. Die Bundeswehr braucht keinen Vergleich mit irgendeiner anderen Armee zu scheuen. Das gilt auch für die sozialen Leistungen und Maßnahmen, die wir als der Gesetzgeber für die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter bereitgestellt haben. Die Streitkräfte sind in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen. Von einem bevorstehenden Kollaps, wie er hier gelegentlich in düsteren Farben geschildert wird, kann überhaupt keine Rede sein. Dennoch gibt es Mängel. Es gibt Probleme, die Sorgen machen. Wir haben das nicht verschwiegen. Wie Sie wissen, hat das der Bundesminister der Verteidigung auch nicht getan. Die militärische Führung der Bundeswehr tut es auch nicht. Das ist Ihnen bekannt. Ich erinnere Sie beispielsweise an den Jahresbericht 1980 des Beauftragten für Erziehung und Bildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr. Sie tun nun aber so, als seien die erkannten Mängel einzig und allein darauf zurückzuführen, daß die Regierung für die Verteidigung nicht genug Geld ausgibt. Das ist eine reichlich verkürzte Sichtweise. Es ist doch vielmehr so, daß den vorhandenen Mängeln meist ein Bündel von Ursachen zugrunde liegt. Der finanzielle Aspekt ist nur einer von mehreren. Zugegeben, er ist ein wichtiger Aspekt, aber eben nicht der einzige. Ich darf Sie daran erinnern, daß das Unterführerfehl, der Mangel an Unterführern in der Bundeswehr, auch zu den Zeiten nicht beseitigt werden konnte, als es uns gesamtwirtschaftlich besser ging. Es ist auch Ihnen nicht gelungen, als Sie die politische Verantwortung hatten. Es gibt gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen, die in die Streitkräfte hineinwirken und dort Probleme verursachen. Andere Mängel und Schwachstellen sind nicht mit einer einfachen Sach3964 entscheidung ein für allemal zu lösen, sondern erfordern auch langfristig erzieherische Bemühungen. Sie sollten deswegen, meine Kollegen, damit aufhören, den Eindruck zu erwecken, als lasse die Regierung, als lasse dieses Parlament die Bundeswehr durch eine finanzielle Austrocknung verkommen. Es ist eine Binsenweisheit, daß es in Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession, die wir derzeit erleben, schwieriger ist, vorhandene Mängel in erster Linie mit Geld aus der Welt zu schaffen. Der Verteidigungshaushalt ist zwar nicht das Girokonto der Nation, wie der Verteidigungsminister meint, er ist aber auch keine heilige Kuh. Wenn alle anderen sparen müssen, können die Verteidiger nicht aus dem vollen schöpfen. Im übrigen haben wir von der Opposition noch nicht gehört, konkret gehört, wieviel mehr denn die Bundeswehr nach ihrer Meinung brauche und woher das Geld kommen solle. ({2}) Mir ist gesagt worden, daß gestern im Haushaltsausschuß bei der Entscheidung, die zweifellos als umstritten angesehen werden kann, die Unionsvertreter bei 250 Millionen DM der 380 Millionen DM, um die dort gekürzt worden ist, mitgestimmt haben. ({3}) - Ja, bitte, aber es ist doch nicht logisch, sich dann hierherzustellen und zu sagen: „Ihr gebt zu wenig für die Bundeswehr aus, ihr tut zu wenig" und dann gleichzeitig diese Kürzungen mitzumachen. Dieser Widerspruch im Praktischen, meine Damen und Herren, überzeugt mich nicht. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0})?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Möllemann, was kann man denn dagegen haben, wenn die Opposition bei vernünftigen Titeln mitstimmt - wenn ich mal fragen darf -, beispielsweise bei den Währungsgewinnen, wo es auf der Hand liegt, daß die Bundeswehr dadurch keinen Schaden erleidet?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Haase, ich habe nichts dagegen. Ich habe ausdrücklich nichts dagegen, daß Sie bei vernünftigen Kürzungen mitstimmen. Ich habe etwas dagegen, daß Sie bei Kürzungen des Gesamtvolumens mitstimmen und dann den Eindruck erwecken, als sei dieses Gesamtvolumen allein von der Koalition bestimmt und das sei zuwenig. Wo haben Sie - frage ich - konkret beantragt, daß soundso viele Millionen oder Milliarden DM mehr ausgegeben werden? ({0}) Schlagworte der Art, die Regierung plane nicht mehr bedrohungsorientiert, sondern finanzorientiert, helfen da nicht weiter. Hier gibt es eben kein Entweder-Oder. Man muß beides im Auge haben und beide Erfordernisse berücksichtigen. Das ist heute so, das war früher übrigens nicht anders.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Na klar!

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Möllemann, im Anschluß an Ihren Dialog mit dem Kollegen Haase frage ich Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß die CDU/CSU-Fraktion in sämtlichen Ausschüssen, auch im Haushaltsausschuß, beispielsweise alle jenen Kürzungen widersprochen hat, die die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mindern könnten. Ich nenne als Beispiele, Munition, Beschaffung und ähnliches mehr.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe das zur Kenntnis genommen. Ich gehe davon aus, daß die Union nach dem, was Sie hier erklären, bei der Schlußberatung des Haushalts förmliche Anträge für Mehrausgaben einbringen wird. Wenn das nicht geschehen sollte, wäre Ihre Kritik unglaubwürdig. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würtz?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber nur zu!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Würtz, bitte.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Möllemann, würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß die CDU/CSU gestern im Haushaltsausschuß Kürzungsanträge mit einem Volumen von 254 Millionen DM mitgetragen hat?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Professor Dr. Würtz, ({0}) ich habe das zur Kenntnis genommen. Ich möchte schließlich noch eine dritte Bemerkung an die Damen und Herren der Opposition richten. Ich warne vor allen Bestrebungen, eine Glaubwürdigkeitslücke zwischen Truppe und militärischer Führung herbeizureden oder, wie das gelegentlich versucht wird, eine Kluft aufzureißen zwischen der politischen Leitung und der militärischen Führung der Bundeswehr. Politisch ist damit ohnehin nichts zu erreichen, für die Bundeswehr aber bewirken Sie damit nur Schaden. Deswegen möchte ich Sie herzlich bitten, das künftig nicht so fortzusetzen. Das Thema unserer heutigen Debatte, meine Damen und Herren, umschließt eine Vielzahl von SachMöllemann problemen. Ich möchte nur einige daraus herausnehmen, die mir besonders wichtig erscheinen. Da ist zunächst einmal das Problem der Mitwirkung und Mitbeteiligung der Soldaten in den Streitkräften. Sie wissen, daß das ein altes Anliegen der Liberalen ist. Wenn man über das innere Gefüge der Bundeswehr diskutiert, gehört dieses Thema unserer Meinung nach unbedingt dazu. In der Großen Anfrage der Opposition zum inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten ist die Frage der Mitwirkung indessen nicht angesprochen. Das überrascht mich nicht sonderlich. Ich weiß, daß Ihnen das Thema nicht liegt. ({1}) Sie bevorzugen einen eher paternalistischen Führungsstil. ({2}) Als ich mich vor vier Jahren, genau am 8. September 1977, hier für eine Erweiterung der Rechte des Vertrauensmannes ausgesprochen habe, hat mir Ihr Kollege Würzbach damals zugerufen, ich wollte den Vorgesetzten abschaffen. Ich fand, das war eine sehr bezeichnende Reaktion. Inzwischen hat der Bundesminister der Verteidigung nach langen Vorarbeiten erste Entscheidungen darüber getroffen, wie die Stellung des Vertrauensmannes im Rahmen geltender gesetzlicher Regelungen gestärkt werden soll. Im wesentlichen handelt es sich dabei um Maßnahmen, die den Vertrauensmann in die Lage versetzen sollen, seine bereits gegebenen Beteiligungsmöglichkeiten auch voll auszuschöpfen. Wir sind nicht gegen diese Entscheidungen von Bundesminister Dr. Apel, zumal er angekündigt hat, daß weiter darauf hingearbeitet werden soll, die Stellung des Vertrauensmannes durch gesetzliche Änderungen substantiell zu verbessern. Wir erinnern aber auch an dieser Stelle noch einmal an unsere Vorschläge zur Stärkung der individuellen Mitbeteiligung der Soldaten, Herr Bundesminister. Wer den mitdenkenden Gehorsam und die persönliche Initiative des Staatsbürgers in Uniform fordert, wer individuelle Leistungsbereitschaft und kameradschaftliche Solidarität in der militärischen Erziehung und Ausbildung verlangt, der muß auch Formen der Mitwirkung und der Mitgestaltung anbieten, mit denen sich diese Tugenden entfalten können. Unserem Konzept der individuellen Mitwirkung der Soldaten liegt die Idee zugrunde, jeden einzelnen Soldaten aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, den Dienstbetrieb seiner Einheit mitzugestalten und an den damit zusammenhängenden Fragen aktiv Anteil zu nehmen. Die Mitwirkung in den Streitkräften darf nicht zu einer Sache halbprofessioneller Funktionäre werden. Nach unserer Vorstellung muß sich Mitwirkung auf möglichst viele Soldaten erstrecken und im Idealfall jedem die Möglichkeit geben, an der Gestaltung des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens seiner Einheit mitzuwirken. Unsere Vorstellungen hierzu haben wir dem Parlament und dem Ministerium vorgetragen. Ich habe bislang noch nicht den Eindruck, daß sie in den Überlegungen eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch eine Bemerkung zur Auftragstaktik machen. Das gehört nämlich in diesen Zusammenhang. Wie es damit steht, können wir einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr vom Juli dieses Jahres entnehmen. In dieser Untersuchung ging es um die Probleme, denen sich die Unteroffiziere im täglichen Dienst gegenübersehen. Ungefähr zwei Drittel der befragten Unteroffiziere äußerten die Ansicht, daß Auftragstaktik entweder gar nicht oder aber nur auf höheren Führungsebenen angewandt wird. Dieser Befund steht im krassen Gegensatz zu den Grundsätzen der Inneren Führung. Das Ergebnis der Studie bestärkt uns in der Forderung, die Handlungsspielräume und die Mitwirkungsmöglichkeiten insbesondere auf der unteren Führungsebene auszuweiten. Das käme sicherlich auch der Motivation der Soldaten zugute. Ein weiteres ernstes Problem, das ich hier ansprechen möchte, ist das permanente Fehl an Ausbildern, vor allem in den Kampftruppen. Überall dort, wo Wehrpflichtige in größerer Zahl auftreten, gibt es diese Lücken vor der Front. Das Fehl hat zwei Ursachen. Zum einen hat die Bundeswehr nicht genügend längerdienende Zeitsoldaten, zum anderen ist Ausbildungspersonal in beträchtlichem Umfang aus den unterschiedlichsten Gründen ständig abwesend und damit seiner eigentlichen Tätigkeit entzogen. Beide Ursachen summieren sich zu einem Fehl an Ausbildern zwischen 30 und 50 %. Hinzu kommen Personalabgaben im Zusammenhang mit der Verwirklichung der neuen Heeresstruktur 4. All dies hat außerordentlich ungünstige Rückwirkungen auf Ausbildung und Dienstgestaltung. Die personellen Lücken müssen irgendwie geschlossen werden. Das führt aber zur Überlastung und ständigen Überforderung des vorhandenen Unterführerpersonals und zu einem Verschleiß an Motivation. Frustrierte und überforderte Ausbilder können sich um den einzelnen Mann nicht mehr kümmern. Diese Probleme werden sich noch verschärfen, wenn die Zahl der Z-2-Soldaten - der Soldaten also, die sich auf zwei Jahre verpflichten -, wie geplant, im nächsten Jahr um 8 000 heruntergefahren wird. Es sind ja die Z-2-Soldaten, die vielerorts für die fehlenden Unteroffiziere einspringen müssen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dallmeyer?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Harm Dallmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000350, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Möllemann, wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund Ihrer soeben gemachten Aussagen den Plan des Verteidigungsministeriums und der Bundesregierung, im nächsten Jahr nicht nur 8 000 SaZ-2-Stellen zu kürzen, sondern die Gesamtzahl auf 38 000 insgesamt herunterzufahren?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich halte das, wie ich im Ausschuß und an anderer Stelle schon vorgetragen habe, für eine falsche Entscheidung und setze mich dafür ein, daß sie nicht praktiziert wird, weil wir mit ähnlichen Entscheidungen außerordentlich negative Erfahrungen gemacht haben und weil sie die Problematik, von der ich gesprochen habe, verschärfen würde. Wir meinen also, daß dies ein ganz entscheidender Punkt ist, wo man ansetzen muß, um den inneren Zustand der Streitkräfte zu verbessern. Die Überforderung des vorhandenen Ausbildungspersonals muß abgebaut werden. Materiell ist die Bundeswehr in Ordnung. Es ist dieses strukturelle Defizit, das ihr zu schaffen macht und das deshalb vorrangig beseitigt werden muß. Mit besonderem Interesse beobachten wir die Entwicklung, die durch den Mangel an Wehrpflichtigen im Heer verursacht wird. Es gibt Teileinheiten, die nicht mehr einsatzbereit sind, weil die wehrpflichtigen Soldaten fehlen. ({0}) Das ist eine unmittelbare Folge der restlosen Ausplanung der Umfangszahlen für eine auf Rand genähte Heeresstruktur 4. ({1}) Die Wehrpflichtigenüberhänge sind weggefallen mit dem Resultat, daß der Schwund den Bestand auszehrt. Manche Einheiten sind dazu übergegangen, das bleibende Restpersonal aus zwei Zügen zusammenzufassen, um wenigstens einen Zug personell komplett zu haben. Das heißt, daß Teileinheiten vorübergehend stillgelegt werden. Für mich ist dies nichts anderes als eine Teilkaderung, allerdings bei Aufrechterhaltung der Fiktion der vollen Präsenz. Ich habe gesagt, daß wir diese Entwicklung besonders interessiert beobachten. Sie wissen ja, daß die FDP den Gedanken der Kaderung für eine künftige Struktur der Bundeswehr seit längerem verfolgt und weiterhin verfolgt sehen will. Was sich da heute bereits vielerorts ereignet, ist unserer Meinung nach weder Fisch noch Fleisch und führt zu täglichen Problemen vor Ort. Die Konsequenz besteht nämlich in beruflicher Unzufriedenheit und Verunsicherung, weil der Truppenführer vor Ort ständig unter dem psychologischen Druck steht, ein Ziel erreichen zu sollen, das er nicht erreichen kann, weil die Ansprüche zu hoch gesetzt sind und die verfügbaren Mittel nicht ausreichen. Ich denke, wir müssen über diesen Sachverhalt bei der Ausschußberatung über die Anfrage und die Antwort noch eingehend beraten. Einen weiteren Punkt, den ich anschneiden will, möchte ich „Das Problem der personellen Selbstknebelung der Bundeswehr" übertiteln. Ich meine damit die Einengung des personalplanerischen Handlungsspielraums durch selbstauferlegte Kriterien für eine eignungs- und dienstpostengerechte Verwendung. Die Zuordnung zu Ausbildungs- und Verwendungsreihen führt auch zur Beschränkung in der personellen Flexibilität. ({2}) Wer einmal auf eine bestimmte Verwendungsschiene gesetzt worden ist, kommt davon nur sehr schwer herunter. ({3}) Ich möchte nicht dahin mißverstanden werden, daß ich das praktizierte Verfahren als unsinnig empfinde. Aber es hat eben auch seine Nachteile. Es ist sicher brauchbar und effektiv, solange für alle Ausbildungs- und Verwendungsreihen nach Quantität und Qualität hinreichend Bewerber vorhanden sind. Wenn aber Personalmangel besteht, wenn man Lükken schließen und Löcher stopfen muß, damit das Fehl in bestimmten Verwendungen nicht unerträglich größer wird, dann behindert eine solche starre Zuordnung das Personalgeschäft ungemein. Die Streitkräfte sollten sich deshalb meines Erachtens darum bemühen, diese Selbstbehinderung etwas zu lockern, um ein höheres Maß an personeller Flexibilität zu gewinnen. Das könnte auf dem angespannten Personalsektor etwas Luft schaffen und gleichzeitig zu mehr Berufszufriedenheit in der Bundeswehr beitragen. Es würde auch den Handlungsspielraum der Kommandeure erweitern und ihre Verantwortlichkeit stärken. Mein letzter Punkt aus der Reihe der 19 Positionen, die von den Unionskollegen in der Großen Anfrage angesprochen worden sind, betrifft die Materialerhaltung. Für die reibungslose und wirksame Durchführung des Ausbildungsbetriebs in den Streitkräften ist einsatzbereites Gerät eine wesentliche Voraussetzung. Auf dem Sektor Materialerhaltung hat sich aber die Lage verschärft. Das hat zwei Gründe: Zum einen besteht noch eine Reihe aus dem Vorjahr aufgeschobener Instandsetzungsnotwendigkeiten, zum anderen ist in zunehmendem Maße veraltetes Gerät mit hoher Ausfallrate und damit hoher Instandsetzungshäufigkeit in der Truppe vorhanden. Bei annähernd gleichem Mittelansatz für Instandsetzungen und bei überproportional steigenden Kosten auf diesem Sektor wird sich die Truppe einer weiteren Erschwernis des Ausbildungsbetriebes ausgesetzt sehen. ({4}) Jedermann weiß, daß Soldaten, die motiviert zur Bundeswehr kommen und wegen nicht einsatzbereitem Ausbildungsgerät nicht ausreichend qualifiziert ausgebildet werden können, besonders enttäuscht werden. Sie nehmen einen Negativeindruck mit nach Hause, der durch seine weitere Verbreitung zu schwerwiegenden Folgen führen kann. ({5}) Hier würde sich eine Erhöhung der Haushaltsansätze mehrfach positiv auswirken. Ich denke, auch darüber werden wir in den Fraktionen im Interesse der Sache noch einmal zu reden haben. Meine Damen und Herren, ich habe mich mit den fünf Punkten aus der Anfrage, die ich angesprochen habe, vor allem auf den Ausbildungsbetrieb der Bundeswehr konzentriert. Ich bin nämlich der Meinung, daß hier im täglichen Dienstbetrieb der Bundeswehr die meisten Probleme auftreten. Das wird auch in den militärischen Zustandsberichten immer wieder bestätigt. Was hier an Erschwernissen, Behinderungen und Mängeln auftritt, schlägt auf das Betriebsklima, die Motivation und Berufszufriedenheit unmittelbar durch. Deswegen müssen wir hier zuallererst ansetzen, um die Situation in den Streitkräften zu verbessern. Die von mir angeschnittenen Probleme erfordern zu ihrer Lösung keine finanziellen Mittel, die nicht auch aus einem eng geschnittenen Haushalt 1982 aufzubringen wären. Freilich bedarf es dazu noch mehr als bisher der Bereitschaft, entsprechende Schwerpunkte zu setzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß möchte ich eine Bemerkung zur Präambel der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage machen. Dort heißt es unter Punkt 4: Viele Probleme, die den Bürger, insbesondere den jungen Menschen heute berühren, werden mit den Wehrpflichtigen in die Kasernen und damit in die Streitkräfte getragen. Das beginnt bei dem Unverständnis für Inhalt und Ziele unserer Sicherheitspolitik, führt über Zweifel an Sinn und Zweck der Landesverteidigung bis zur Kritik am Prinzip von Befehl und Gehorsam. Freilich wären die Streitkräfte überfordert, wollte man zuerst von ihnen den Abbau dieses Defizits verlangen. Elternhaus, Schule und Universität sind gleichermaßen gefordert, die von allen demokratischen Parteien einmütig vertretene Politik der Friedenssicherung zu erklären. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfinde es auf dem Hintergrund dieser Aussage als allmählich nicht mehr erträglich, daß es den Kultusbehörden dieses Staates 26 Jahre nach Einführung der Bundeswehr immer noch nicht gelungen ist und offenbar auch noch nicht zu gelingen scheint, ein wirksames und verbindliches Konzept der Friedenserziehung für alle Schulen und Hochschulen zu entwikkeln, das dieser Aufgabe auch gerecht wird. Das dauernde Herumlavieren und Herumtaktieren in dieser Frage muß aufhören. Die jungen Menschen, die wir mit staatsbürgerlichen Pflichten, auch verfassungsmäßigen Pflichten, in dieser Frage konfrontieren, haben einen Anspruch darauf, über Art, Instrumente und Legitimation unserer friedenssichernden Politik objektiv, auf der Grundlage der Verfassung und auf der Grundlage der Parlamentsbeschlüsse informiert zu werden. Davon kann bislang keine Rede sein. Dieses Defizit führt zu schwerwiegenden Mängeln in der derzeit laufenden heftigen Diskussion in der Öffentlichkeit, weil bestimmte Grundlagen nicht vermittelt werden. Noch einmal: Es ist ein Unding, daß dieser Staat seinen jungen heranwachsenden Bürgern eine Wehrpflicht - im Falle der Kriegsdienstverweigerung den Zivildienst - auferlegt, sich aber nicht verpflichtet fühlt, über die inhaltliche Begründung und Legitimation dieser Pflicht in den Bildungseinrichtungen verpflichtend, auf klarer Grundlage unterrichten zu lassen. ({6}) Ich bitte Sie deswegen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in unseren Parteien - hier ist gar keine Partei ausgenommen - mit darauf hinzuwirken, daß dieses Defizit abgebaut wird. - Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, daß es dieser Debatte nicht angemessen ist, auf die vielfältigen diffamierenden, beleidigenden und auch sehr persönlichen Bemerkungen von Herrn Biehle einzugehen. ({0}) Das ist eher ein Zeichen für den inneren Zustand der Opposition und gehört nicht zur Debatte zum inneren Zustand der Bundeswehr. ({1}) Und ich sage Ihnen ganz offen: Es ist peinlich für Sie, wenn Sie Äußerungen, die ich 1975 auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg gemacht habe, heute in die Debatte einführen; mir tut das leid für Sie; ich bin davon überhaupt nicht berührt. Ich will eine zweite Vorbemerkung machen. Sie können natürlich mit pensionierten Generalen nicht so umgehen, daß sie die Meinungsfreiheit des einen beschneiden wollen - auch wenn ich mit dem, was er sagt, nicht einverstanden bin -, den anderen aber, der Ende 1978 nach neunmonatiger Zusammenarbeit mit mir gegangen ist, zu einem Zeitpunkt, zu dem das Flugzeug Tornado überhaupt keine Probleme bot - in diesen neun Monaten ist überhaupt nichts an den Planungszuständigkeiten innerhalb des Verteidigungsministeriums geändert worden -, nun ununterbrochen hochleben lassen und auf den Schild heben. Ich erbitte mir Gelassenheit gegenüber pensionierten Generalen auf allen Seiten. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ja, sicher.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht sehen, daß es schon allein deswegen einen Unterschied in der Beurteilung der Äußerung zweier Generale gibt, weil der eine seine Aussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß auf Befragen von Mitgliedern dieses Hauses gemacht hat und der andere nicht davon abläßt, die politische Führung, den Verteidigungsminister persönlich, die Sicherheitspolitik der Bundesregierung und nicht nur der sie tragenden Parteien, sondern auch die wesentlicher Teile der Opposition ständig anzugreifen und in Frage zu stellen.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Beide hier angesprochenen Personen diskreditieren sich durch die Art und Weise, wie sie öffentlich auftreten, von selbst, und damit erledigt sich die Angelegeheit. ({0}) Ich werde nicht so töricht sein, beide Herren auch noch dadurch aufzuwerten, daß ich mich öffentlich mit ihnen auseinandersetze. ({1}) Nun komme ich zu dem zweiten Bereich, den der Abgeordnete Biehle hier angesprochen hat, obwohl wir uns davor hüten sollten, heute eine Haushaltsberatung durchzuführen; das werden wir in der zweiten Sitzungswoche im Januar tun. Dennoch muß dazu hier eine Klarstellung vorgenommen werden, Herr Biehle, - ich fand es hochinteressant, daß zu Ihren Redeunterlagen auf dem Podium die „Bildzeitung" gehört; ich muß sagen: Das hat mich sehr beeindruckt; jeder verwendet die Unterlagen für Parlamentsdebatten, die er augenscheinlich braucht ({2}) - Herr Abgeordneter Dr. Wörner, keine Zwiegespräche zwischen uns beiden, sondern mein Debattenbeitrag. ({3}) Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, nun zur Sache selbst. Was ist nach dem heutigen Stand zur Haushaltsberatung zu sagen? Erstens. Die sozialliberale Koalition hat von der sozialliberalen Bundesregierung unter Mitwirkung der Koalitionsspitzen einen Bundeshaushalt vorgelegt bekommen, der nach Meinung der Koalitionsspitzen und der Bundesregierung sozial ausgewogen ist und in dem ein akzeptables Verhältnis zwischen Verteidigungsausgaben und anderen Ausgaben gefunden wurde. Die Bundesregierung hat sich dann genötigt gesehen, den Verteidigungsetat in einem zweiten Schritt noch einmal um 200 Millionen DM zu kürzen. Wir haben daraufhin Konsequenzen gezogen und gesagt: Wir nehmen diese 200 Millionen DM weg zu einem größeren Teil bei den überhöhten Dollaransätzen - das ist j a in Ordnung, das trägt die Opposition im Haushaltsausschuß ja auch mit - und zu einem kleineren Teil bedauerlicherweise bei kleinen Baumaßnahmen und Bauunterhaltung. Der Haushaltsausschuß ist nun darangegangen, nicht nur diese 200 Millionen DM, die wir zur Kürzung angeboten haben, teilweise umzuschichten, sondern weitere Kürzungen vorzunehmen. Die Beratungen des Haushaltsausschusses sind nicht beendet. Aber eines ist völlig klar - ich habe es den Damen und Herren des Haushaltsausschusses gesagt -: Was dabei herauskommen wird, muß natürlich in aller Kühle und aller Klarheit, wenn im Januar im Deutschen Bundestag Haushaltsberatungen stattfinden, von mir kommentiert werden, nicht heute, sondern dann; heute deswegen nicht, weil die Beratungen des Haushaltsausschusses nicht abgeschlossen sind. Dann muß jedermann die Verantwortung an dem Platz übernehmen, auf dem er sich befindet. Es kann natürlich nicht so sein, daß sich der Verteidigungsminister und sein Ministerium nicht bemühen, den Sparauflagen des Bundestages zu entsprechen; das ist selbstverständlich. Sie sind der Gesetzgeber. Aber selbstverständlich ist auch, daß wir Ihnen dann in der Debatte sagen werden, wie wir das, was Sie uns zur weiteren Kürzung vorschlagen, bewerten. Herr Kollege Möllemann, in einem Punkt besteht völliges Einvernehmen zwischen uns: Der Klarstand der Geräte ist für die Ausbildungsfähigkeit der Bundeswehr von zentraler Bedeutung. Aber, Herr Kollege Möllemann, Ihre Meinung, man könne durch Schwerpunktbildung einen Ausweg anvisieren, hilft dann nicht, wenn wir in Beschaffungsverträge eingebunden sind, die so hart und so fest sind, daß wenig Bewegungsmöglichkeiten bestehen. Wir werden also im Januar ruhig und gelassen darüber reden, ohne Dramatik, aber deutlich hörbar für jedermann, so wie ich es in diesen Tagen im Verteidigungsausschuß und auch im Haushaltsausschuß getan habe. Was daraus dann die „Bild-Zeitung" macht - Ihre Lieblingslektüre, Herr Biehle; sie sei Ihnen gegönnt -, ist eine andere Frage. ({4}) - Ach, ich bitte Sie, hochverehrter Herr Biehle! Wir wissen doch beide: Bei der „Bild-Zeitung" sind doch meist nur die Sportergebnisse und das Datum richtig. Nehmen wir das doch einmal zur Kenntnis! ({5}) - Lassen Sie uns nun doch zu den Themen kommen, die heute eigentlich auf der Tagesordnung stehen! Wie ist die Sache mit unserer Bundeswehr zu beurteilen? Zu Beginn meiner Ausführungen stelle ich folgendes fest: Unsere Bundeswehr ist gut ausgebildet, leistungsstark, gut motiviert, modern ausgerüstet. Es bleibt dabei: Sie ist eine der besten Armeen der Welt. Ich darf hier eine vom Herrn Generalinspekteur der Bundeswehr am 27. November zur Verwendung hier verfaßte Stellungnahme zum Thema „Innerer Zustand der Bundeswehr" einführen. Der Herr Generalinspekteur stellt mit Datum vom 27. November 1981 folgendes fest. ({6}) Bundesminister Dr. Apel - Ja. ({7}) Ich zitiere: Heer, Luftwaffe und Marine konnten ihre an NATO-Kriterien gemessene hohe Einsatzbereitschaft trotz aller aufgetretenen Schwierigkeiten aufrechterhalten. Den guten Leistungsstand zeigt auch die Bewährung unserer Soldaten bei Übungen, internationalen Wettbewerben und Katastropheneinsätzen. Nehmen wir doch einmal zur Kenntnis, was der oberste Soldat zu diesem Thema sagt! ({8}) Hören Sie doch auf, hier so zu tun, als wären wir in einer unmöglichen, eigentlich aussichtslosen Situation! Ich gebe zu, meine Damen, meine Herren, daß wir bei der Bundeswehr Probleme haben. Wer wollte das eigentlich leugnen? Ich werde auf diese Probleme gern noch zu sprechen kommen. ({9}) - Herr Abgeordneter Wimmer, ich möchte jetzt sehr gern in meiner Argumentation ein Stückchen fortschreiten, damit Sie eine Frage zur Sache stellen können; ich werde Ihnen dann gern eine Zwischenfrage erlauben. ({10}) Meine Damen und Herren, was ist denn der Tatbestand? Beginnen wir mit den positiven, unbestreitbaren Tatsachen: Unsere Soldaten werden entsprechend der Besoldung im öffentlichen Dienst bezahlt. Die Besoldung im öffentlichen Dienst ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Wir haben seit 1971 neun bundeswehrspezifische Zulagen für die besonderen Erschwernisse des Dienstes bei der Truppe eingeführt. Die Sozialaufwendungen sind in diesem Jahrzehnt um 157 % gestiegen, d. h. deutlich stärker als die Gesamtausgaben, die für die Bundeswehr in diesem Jahrzehnt zusätzlich bereitgestellt werden; es sind etwa 50 % mehr. Wir haben im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Biehle, gesagt haben, die heimatferne Einberufung reduzieren können, und zwar deutlich reduzieren können. Es stimmt nicht, was Sie sagen, daß die heimatferne Einberufung zunimmt. Nein, sie hat abgenommen. Natürlich hat diese Bewegung, heimatnäher einzuberufen, Grenzen. Wenn Sie hier wieder das Benzingeld ansprechen, dann bitte ich sehr darum, daß Sie in der zweiten und dritten Lesung bezüglich des Benzingeldes für Wehrpflichtige einen entsprechenden Antrag einbringen; Kostenpunkt etwa 400 Millionen DM. Ich sehe diesem Antrag mit Interesse entgegen. Es geht nicht an, daß Sie hier ununterbrochen anprangern, schräg analysieren und sich, wenn es darum geht, Anträge zu stellen, dieser Pflicht entziehen. ({11}) Wir haben in diesem Jahrzehnt fast 100 000 Unterkünfte saniert. Es bleiben 50 000 von 600 000 Unterkünften in einem Zustand, daß wir etwas tun müssen. Das Sofortprogramm, für das wir 1 Milliarde DM bereitgestellt haben, wird hier die Schwierigkeiten überwinden. Natürlich haben wir auch Probleme. Darüber will ich reden. Sie selbst, Herr Abgeordneter Biehle, haben von der Dienstzeitbelastung gesprochen. In der Tat: Ein schwerwiegendes Problem in der Truppe ist die Dienstzeitbelastung. Deswegen haben wir j a auch mit einem Etatansatz von 150 Millionen DM einen Dienstzeitausgleich geschaffen. Ich gebe zu: unsere Soldaten möchten lieber mehr Freizeit als das Geld haben. Aber da muß ich Sie fragen: Wie wollen wir das machen? Wollen wir mehr Soldaten haben? Wollen wir die Zahl von etwa 500 000 Soldaten erhöhen? Ich denke, wir sind uns einig, daß das aus vielfältigen Gründen nicht geht. Wollen wir Einheiten kadern, wie Herr Möllemann meint? Herr Möllemann, ich meine, das ist keine Antwort. Wir werden im Frühjahr dieses Jahres mit Ihnen zusammen die Ergebnisse der Langzeitkommission debattieren. Da geht es j a nicht nur um Bewaffnungskonzepte der 90er Jahre, sondern auch um die Personalfragen, die uns am Ende dieses Jahrzehnts drücken werden. Ich möchte nicht so gern den Arbeitern der Kommission vorgreifen, aber eines ist bei mir ziemlich ausgeprägt: Kadern von Kampfverbänden wirklich nur als allerletztes Mittel, wenn es überhaupt nicht mehr geht. Dahin dürfen wir nicht kommen. Ich möchte von meiner Langzeitkommission erhoffen, daß sie einmal sehr kritisch prüft, ob die vielen Stäbe, die vielen Ämter, die vielen Zwischeninstanzen bei der Bundeswehr so bleiben müssen oder ob wir hier nicht Chancen haben, auch Personalreserven zu mobilisieren, um in den Kampfverbänden eine starke Präsenz zu erhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, nachdem ich gehört habe, daß Sie in letzterer Hinsicht offenbar Anregungen aufnehmen, was die Führungsebenen angeht, habe ich Sie dann trotzdem auch richtig verstanden, daß Sie jedenfalls angesichts der auf uns zukommenden Veränderungen im Bereich der Finanzen und des Personalwesens weitergehende Kaderungen nicht ausschließen?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Abgeordneter Möllemann - jetzt hätte ich auch schon fast „Dr. Möllemann" gesagt; das prägt sich so ein -, ({0}) nichts ist auszuschließen. Eine Kommission, die an der Arbeit ist und die dann, wenn sie ihre Arbeit abgeschlossen hat, natür3970 lich den Dialog mit den sachverständigen Parlamentariern sucht, kann und darf nicht a priori eine Position beziehen, sondern sie muß Alternativen mit darbieten, über die wir dann auch mit Ihnen, den Damen und Herren der Opposition, und natürlich auch mit meinen eigenen Freunden debattieren müssen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle? - Bitte.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Sie haben nach Lösungsvorschlägen in bezug auf die Dienstzeitbelastung gefragt. Darf ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Auffassung sind, daß die Streichung von 8 000 SaZ-2-Stellen mit Sicherheit nicht dazu beiträgt, das Problem der Dienstzeitbelastung zu lösen? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Abgeordneter, wenn Sie gestatten, werde ich zu diesem Thema gleich kommen. Das ist bei mir auf Zettel Nr. 3 notiert. Ich komme darauf mit Sicherheit zurück. Lassen Sie mich zum nächsten Punkt kommen: Verwendungsstau. Sie haben, Herr Abgeordneter Biehle, sicherlich ein schwerwiegendes Problem angesprochen. Sie haben allerdings unterschlagen, daß die Maßnahmen zur Verwirklichung der Heeresstruktur 4 mit 500 Stellenanhebungen im nächsten Jahre natürlich ein Beitrag dazu sind, ein Beitrag, der sich beim Heer bemerkbar machen wird. Ich bin mit Ihnen auch der Meinung, daß unsere Sorge hier in der Tat groß ist. Nur, wenn wir diese Sorge überwinden wollen, müssen wir alle erst einmal aufhören, uns in eine Polemik gegen den öffentlichen Dienst hineinreden zu lassen. Sie auch. Das Gerede von Privatisierung erweckt bei den Bürgern den Eindruck, als ob der öffentliche Dienst in der Tat etwas sei, was parasitäre Züge habe. Das kann bei den Soldaten und auch hinsichtlich der Bereitschaft, gegen den Verwendungsstau etwas zu tun, nur negative Konsequenzen haben. ({0}) - Wenn Sie, hochverehrter Herr Würzbach, im übrigen Klimmzug sagen, kann ich Ihnen nur raten, selber einmal einen zu machen. Stellen Sie für die -zweite und dritte Lesung einen Antrag. Die Überwindung des Beförderungs- und Verwendungsstaus kostet bei einer Mindestlösung 800 Millionen DM. Ich fordere von Ihnen zum zweitenmal, einen Antrag zu stellen. Analyse und Polemik als Beitrag zur politischen Debatte reichen nicht aus. ({1}) - Nun muß ich auch einmal einen Augenblick lang weiterreden können; schließlich ist das kein Dialog. Ich komme zum Thema Zentralisierung, Bürokratisierung, Innere Führung. Herr Möllemann hat dazu auch etwas gesagt. Im Deutschen Bundestag wird immer wieder gesagt: Na j a, die auf der Hardthöhe liefern nur Analysen, setzen Kommissionen ein. Ich finde, das, was die de Maizière-Kommission geleistet hat, ist bemerkenswert. ({2}) Herr de Maizière, den ich gebeten habe, mir eine Beurteilung unserer Arbeiten zu schreiben - das ist kein Mann, der jemandem etwas zum Munde schreibt -, ({3}) bewertet die Arbeiten, die die Hardthöhe auf Grund der Vorschläge der Kommission geleistet hat, folgendermaßen - ich zitiere -: Die Kommission hatte ihren Bericht zwar als eine Einheit gesehen, sie konnte jedoch nicht erwarten, daß ihren Empfehlungen in vollem Umfange gefolgt würde. Dies gilt insbesondere für die kostenwirksamen Vorschläge. Trotzdem konnte ich mit Genugtuung feststellen, daß eine bemerkenswerte Zahl von Empfehlungen aufgenommen worden ist und zu konkreten Abhilfemaßnahmen geführt hat. Er fährt dann fort: Die Bundeswehr steht in der von der Kommission untersuchten und beklagten Entwicklung zur „Bürokratisierung" nicht allein. Gleichen Gefahren unterliegen auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens und der Verwaltung: Bildungseinrichtungen, Kirchen, Unternehmen, Verbände, sonstige Großorganisationen. Mir scheint es ein Verdienst für die Allgemeinheit zu sein, daß Sie diese Problematik an einem konkreten Beispiel, nämlich den Streitkräften, grundsätzlich und im Detail haben untersuchen lassen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Ich sage Ihnen: Die Vorwürfe, die Sie immer machen - wir würden erst Sachverstand einsetzen und dann anders entscheiden -, werden durch dieses Zitat entkräftet. Lassen Sie mich Bemerkungen zum Personalfehl und damit auch zu den SaZ-2-Soldaten machen. In der Antwort auf Frage 3 der Großen Anfrage stellen wir Ihnen in 14 Punkten dar, was wir tun. Das ist durchaus eindrucksvoll. Das Fehl der Unteroffiziere ist im übrigen von 1969 - dem letzten Jahr, in dem es einen christdemokratischen Verteidigungsminister gegeben hat - mit 32 000 auf 19 000 im Jahr 1981 zurückgegangen. Ich will damit gar nicht sagen, daß dadurch die Probleme gelöst sind. Ich will nur deutlich machen: Damals hatten Sie unter Ihrem Verteidigungsminister 32 000 Unteroffiziere zuwenig, und wir haben heute 19 000 zuwenig. Stellen wir doch einmal fest, daß das augenscheinlich ein Strukturproblem ist, das wir so einfach und so billig, wie hier argumentiert worden ist, nicht lösen können. Nun komme ich zu den Zeitsoldaten. Ich stimme Herrn Möllemann zu: es ist ein nicht unproblematischer Weg, wenn das Thema SaZ 2 erneut debattiert wird. Ich bin dankbar dafür, daß es am Ende gelungen ist, die Begrenzung des Abbaus auf 8 000 SaZ-2Bundesminister Dr. Apel Soldaten für 1982 zu erreichen. Natürlich gibt dies Probleme. Wer will das eigentlich leugnen? Wir nehmen die Probleme so, wie sie sind, und dramatisieren sie nicht. Von den SaZ-2-Soldaten, von den Zeitsoldaten, die sich für zwei Jahre für die Bundeswehr verpflichten, haben sich weiter verpflichtet - an den Weiterverpflichtungen haben wir Interesse - im Jahre 1975 15,7 %, im Jahre 1976 12,9 %, im Jahre 1977 12,7 %, im Jahre 1978 10$ %, im Jahre 1979 10,2 %, im Jahre 1980 7,2 %. Wir stellen also fest, daß sich weniger als 10 % dieser teuren Zeitsoldaten im letzten Jahr weiter verpflichtet haben. Das heißt: so wichtig die Zeitsoldaten in den vielfältigen Verwendungen in der Bundeswehr sind, so sind sie für die Gewinnung von Zeit- und Berufssoldaten ein abnehmendes Reservoir. ({4}) Auch die Verpflichtung oder die Beförderung zu Unteroffizieren liegt unter 10 %. Was tun wir nun, um Fehlentwicklungen zu korrigieren? ({5}) Daß Fehlentwicklungen in einer Großorganisation auftreten, liegt auf der Hand. Wir haben das Prinzip der Verwürfelung, der Einsetzung der Wehrpflichtigen - quasi als Individuen - in Kampfverbänden, aufgegeben und sind zur zugweisen Auffüllung zurückgekehrt. ({6}) - Hochverehrter Herr Würzbach, wenn Sie schon Zwischenrufe machen, dann bitte zustimmende. ({7}) - Ich meine natürlich: zutreffende. Zustimmende Zwischenrufe wären mir natürlich noch lieber, Herr Würzbach; das gebe ich ohne weiteres zu. Die Verwürfelung ist vom Inspekteur des Heeres Hildebrandt deutlich vor meiner Zeit eingeführt worden. Wir sind zur zugweisen Auffüllung zurückgekehrt, und wir werden ab 1. Juli 1982 bei den Kampfverbänden die kompanieweise Auffüllung durchsetzen. Das heißt, hier haben wir eine Fehlentwicklung, die in der Tat dazu führte, daß der innere Zusammenhalt - auch die Freundschaft zwischen den Wehrpflichtigen - reduziert wurde, abgebaut. Zweitens. Wir haben erkannt, daß die Unteroffiziere nicht gut genug ausgebildet sind. Wir haben sichergestellt, daß die Ausbildung der Unteroffiziere verlängert und verbessert wird. Wir haben ferner den Spielraum und die Selbstverantwortlichkeit der Kommandeure weiter gestärkt und werden dies weiter tun. Hier möchte ich eine Bemerkung machen, die auch aktuellen Bezug hat. Wenn ein Kommandeur, den ich aufgefordert habe, sich an der Friedensdebatte zu beteiligen, bei welchem Anlaß auch immer, Vokabeln verwendet, die nicht jedermann gefallen, dann ist das Teil der öffentlichen Debatte. Ich werde mich davor hüten, Soldaten, die in der Friedensdebatte Vokabeln verwenden, die nicht jedermann schmecken, deswegen massiv zu rüffeln. Entweder werden Soldaten aufgefordert, sich an dieser Debatte zu beteiligen - ich möchte sie nicht nur pensionierten Generalen mit ihrem bezweifelbarem Sachverstand überlassen -, ({8}) wobei man auch bereit sein muß, Formulierungen, die teilweise mißglückt sind, zu akzeptieren, oder die Soldaten werden sich zwangsläufig in ihr Schnekkenhaus zurückziehen und nicht bereit sein, an der Debatte teilzunehmen. Dies wollen wir nicht. ({9}) - Ich habe hier generelle Aussagen gemacht, die in die aktuelle Situation hineinpassen. Im übrigen wird der Parlamentarische Staatssekretär zu diesem Thema in der nächsten Woche Bemerkungen machen., die sicherlich deutlich machen, wie wir zu diesem Thema stehen. Herr Möllemann, Sie haben, wie ich finde, interessante Bemerkungen über mehr Information junger Leute gemacht, bevor sie den Dienst bei der Bundeswehr antreten. Ich sehe mit Interesse den Vorstellungen der Konferenz der Kultusminister entgegen. Hier hilft uns auch Polemik überhaupt nicht weiter. Es muß klar sein, daß in diesem Lande niemand daran denkt, wo er auch immer politische Verantwortung trägt, daß er einen Wehrkundeunterricht einführen will. ({10}) Ich weiß nicht, was solche Debatten sollen, und ich bleibe dabei: Eine der größten Friedensbewegungen in unserem Lande ist die Bundeswehr selbst. ({11}) Im übrigen kann ich mich über die Debatte, die wir aktuell haben, auch freuen. Sie schafft Klarheit, schafft Bewußtsein. Die Bedingungen des Friedens in unserer Zeit für unser Volk werden sichtbar. Das kann man nur begrüßen. Herr Möllemann, Sie haben zu Recht über die Frage des Vertrauensmannes, der Stärkung der Rolle des Vertrauensmannes gesprochen. Ich verstehe das so, daß die FDP wie auch meine politischen Freunde mir hierin weitgehend zustimmen. Herr Abgeordneter Berger - der Sie ja wohl nach mir reden werden, wenn ich das richtig gehört habe -, um so erstaunter bin ich über eine Aussage von Ihnen, die unter dem 24. November 1981 datiert, also erst wenige Tage alt ist. Sie sagen zur Ausweitung und Stärkung der Rolle des Vertrauensmannes - ich zitiere -: „Hände weg von solcher Funktionärsmitbestimmung! Sie gefährdet die innere Führung." Lieber Herr Abgeordneter Berger, ist das nun Nichtwissen oder Polemik? Sie können doch überhaupt nicht bestreiten, daß innere Führung ohne den Vertrauensmann und damit auch die Stärkung der Rolle des Vertrauensmannes nicht funktioniert. Niemand will doch hier, wenn Sie so wollen, das Prinzip von Befehl und Gehorsam aushöhlen. Im Gegenteil. Das Miteinander ist das, was wir in der Gesellschaft und auch in der Bundeswehr brauchen, nicht das Gegeneinander. Bitte, korrigieren Sie diese Aussage! ({12}) Aber ich kann es hier mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr halten. General Brandt hat auf der Kommandeurtagung in Ingolstadt folgendes zu diesem Thema gesagt - ich zitiere -: Nichts, was der Minister zum Thema Vertrauensmann will und angekündigt hat, nichts ist gegen meinen Rat oder den der Inspekteure entschieden worden. Die militärische Führung bekennt sich zur Institution des Vertrauensmannes als einem Bindeglied zwischen Führern und Geführten. Herr Kollege Berger, Sie sind in Ihrem Bewußtsein, auch in Ihrem gesellschaftlichen Bewußtsein weit, meilenweit hinter dem gesellschaftlichen Bewußtsein der Inspekteure der Bundeswehr und des Generalinspekteurs zurück. Dies wirft allerdings eine Schlagseite auf Ihr politisches Bewußtsein. ({13}) - Also, hochverehrter Herr Abgeordneter Dr. Wörner, wenn Sie schon sagen, Sie wollten dann mit den Herren im Ausschuß über diese Fragen und andere Fragen reden, dann wäre es vielleicht angebracht, daß Sie sich bei dieser Gelegenheit auch bei den Herren des militärischen Führungsrates entschuldigen, denen Sie j a in der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses vorgeworfen haben, sie würden das, was ihnen ihre Kommandeure über den Zustand der Bundeswehr meldeten, entweder nicht lesen oder aber nicht zur Kenntnis nehmen. ({14}) Dann wird es Zeit, daß Sie sich endlich entschuldigen. ({15}) Denn das sind ehrabschneidende Äußerungen, und ich weise Sie zurück. ({16}) - Sie haben nicht die Absicht, sich zu entschuldigen. ({17}) Auch dieses spricht dann wiederum für Ihr Bewußtsein. ({18}) Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich bitte uns alle sehr herzlich darum, die Bundeswehr und die militärische Führung aus dem parteipolitischen Streit herauszuhalten. Die Bundeswehr ist vom Volke gewollt, in der Verfassung verankert. Sie gehört nicht in die Auseinandersetzungen der politischen Kräfte in diesem Bundestag um den richtigen Weg der Friedenssicherung und der Sicherheitspolitik. ({19}) Zweitens. Probleme ungeschminkt darzustellen, ist unsere Aufgabe, aber auch: realistische Lösungen vorzustellen. Polemische Überzeichnungen zerstören das Ansehen der Bundeswehr und, was schlimmer ist, gefährden das Selbstbewußtsein unserer Soldaten. Und: wir müssen unseren Soldaten sagen, daß die wirtschaftliche Gesamtlage eines Volkes nicht an der Bundeswehr spurlos vorübergehen kann. Die Bundeswehr ist auch insofern Teil unserer Gesellschaft. Trotz vieler Probleme ist die Bundeswehr gut ausgebildet, motiviert, sozial gerecht behandelt, im Rahmen der NATO voll leistungsfähig und einsatzbereit. - Ich bedanke mich. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger ({0}).

Markus Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000150, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung zur Geschäftslage. Der Kollege Biehle hatte in seinem Beitrag beantragt, daß diese Große Anfrage an den Verteidigungsausschuß überwiesen werden soll. Wir haben inzwischen zur Kenntnis genommen, daß dies nach der Geschäftsordnung nicht so ist. Wir haben eine Stellungnahme dazu bekommen und haben erfahren, daß diese Große Anfrage hier heute abschließend behandelt wird. Ich möchte dies also korrigieren. Dann eine weitere Vorbemerkung zu dieser, wenn ich so sagen darf, Haushaltsdiskussion, die wir ja so etwas parallel mit der Diskussion zur inneren Lage der Bundeswehr geführt haben. Es steht außer jedem Zweifel, daß diese Opposition in den letzten Jahren und auch in diesem Jahr ihre Hand geboten hat, um mit der Regierung all das zu tun, was notwendig erscheint, um die Situation der Bundeswehr zu verbessern. ({0}) Aber es ist unredlich, von uns konkrete Anträge zu fordern, wenn die Regierung selbst zu solchem Handeln nicht bereit ist. ({1}) Lassen Sie mich bitte eine weitere Vorbemerkung machen, und zwar zu dem, was soeben Herr Minister Berger ({2}) Apel gesagt hat. Er meinte, er befinde sich jetzt in der Hand des Parlaments, er warte ab, was das Parlament beschließe, er werde dann zum Schluß dieses Ergebnis kommentieren. Herr Minister, ich halte es nicht für verantwortungsbewußt, wenn Sie nicht im Ausschuß für Ihre Bundeswehr, für ihre Aufgabe fechten. ({3}) - Das hat er jetzt gesagt. Ich finde es auch nicht redlich, Herr Minister, daß Sie den Ihnen unterstellten Militärs Werturteile abfordern und sie dann hier in die politische Debatte einführen. Natürlich werden die Ihnen unterstellten loyalen Militärs nicht Unwerturteile fällen. Man sollte mit diesen Urteilen wirklich etwas vorsichtiger umgehen ({4}) und sie nicht beispielsweise gegen die Sorgen der Union in die Debatte einführen. ({5}) Man sollte im übrigen, wenn man zur inneren Situation der Bundeswehr spricht, diese riesige Organisation einigermaßen kennen, ihre tausendfache Verästelung, ihre Stäbe, Truppenteile, Depots, Schulen. Sogar 200 Maultiere hat die Bundeswehr - um dies einmal als Nebenbemerkung zu sagen. ({6}) Aber sie hat 490 000 Soldaten und 180 000 Zivilbedienstete, und diese sind von alledem, meine Damen und Herren, das Wichtigste; sie sind aber auch - und das sollten wir für alle Zukunft bedenken - das Empfindlichste, das Empfindsamste. Es gibt Leute, die etwas unterkühlt von einem Mensch-Maschine-System sprechen und dann möglicherweise mit Bedauern feststellen, daß in einem solchen System der Mensch die größere Fehlerquelle sei. So denken Technokraten, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen, sie denken falsch. Solches Denken muß zu Fehlentwicklungen führen. Eine Armee besteht aus Menschen, die Waffen tragen und sich der Technik bedienen, nicht etwa umgekehrt. ({7}) Diese Erkenntnis wird leider auch von der inzwischen etwas gängig gewordenen Formel von der Diskrepanz zwischen Auftrag und Mittel teilweise verdeckt. Es geht erst - und das hat auch die heutige Debatte gezeigt - in zweiter Linie darum, weitere Mittel bereitzustellen, um den Auftrag besser erfüllen zu können. In erster Linie geht es darum, Soldaten zu haben, Menschen zu haben, die diesen Auftrag auch erfüllen wollen. Das heißt, diese Menschen müssen zunächst einmal vorhanden sein. Bei 60 000 Kriegsdienstverweigerern pro Jahr wird das zunehmend kritischer. Und diese Menschen müssen zu diesem Auftrag innerlich bereit sein, sie müssen für diesen Auftrag innerlich motiviert sein. Das schafft Probleme, wie wir wissen. Diese sind sehr vielfältiger Natur. Der Herr Generalinspekteur sprach kürzlich davon, daß es Indentifikationsprobleme der Gesellschaft im Verhältnis zur Bundeswehr gäbe. Mit Recht, wie ich meine. Die 250 000, die am 10. Oktober hier in Bonn demonstriert haben, haben auch dies demonstriert. Was nach den gewaltsamen Demonstrationen in Bremen und Bonn Anfang letzten Jahres noch wie das Wirken einer Minderheit aussah, zeigt sich nunmehr immer deutlicher als Frucht einer viel breiter angelegten Distanz. Bundespräsident Walter Scheel sprach einmal von dem nicht unbefangenen Verhältnis der Deutschen zur bewaffneten Macht. Der hessische Kultusminister Krollmann lehnt es ab, in staatlichen Schulen im Sinne der Wehrbereitschaft zu erziehen, d. h. im Sinne der Erfüllung der ersten und wichtigsten staatsbürgerlichen Pflicht eines jeden jungen Mannes in unserem Staate in den Erziehungseinrichtungen des Staates zu erziehen. Viele - vielleicht sonst noch so tüchtige - Mitglieder unserer Gesellschaft nehmen es gelassen zur Kenntnis, daß ihre Freunde, Verwandten, vielleicht auch Kinder nicht den Wehrdienst leisten, nicht dazu bereit sind, den Staat bei der Erfüllung seiner wichtigsten, seiner zentralen Aufgabe zu unterstützen, wie sie in Art. 1 des Grundgesetzes beschrieben ist: Die Würde des Menschen zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Ich rede hier nicht von denen, die in ihrem pathologischen Argwohn zu allem, was Staat und seine Macht verkörpern könnte, der Bundeswehr auf Schritt und Tritt mit Mißtrauen begegnen. Ich rede hier von denen, die der Bundeswehr nichts gegeben haben als Gleichgültigkeit. Sie haben ein Vakuum geschaffen, das die Bundeswehr - das ist heute schon einmal gesagt worden - nicht füllen kann, in das aber nun andere, wenn auch mit ganz anderer Zielsetzung, mit Wucht und Telewirkung hineinstoßen. Wer als heute 20jähriger in den letzten 10 Jahren nichts anderes als „Spiegel" und „Stern" gelesen und gelegentlich die Tagesschau gesehen hat, der kann gar nicht begreifen, warum er dem Staat als Wehrpflichtiger dienen soll. Daß dies zu Lasten der Truppe geht, liegt doch auf der Hand. Damit sind wir bei einem ihrer zentralen inneren Probleme, bei dem inneren Gefüge der Truppe. Das innere Gefüge, ihr Wert hängt weitgehend von zwei Dingen ab: erstens von der Führung und zweitens von der Kameradschaft. Innere Führung, so sagten es ihre wahren Väter, ist geistige Rüstung und zeitgemäße Menschenführung. Kein Soldat wird für die Freiheit zu kämpfen bereit sein, wenn er auf dem Kasernenhof das Gegenteil von Freiheit erlebt hat. Motivation zur Wehrbereitschaft braucht aber mehr als nur zeitgemäße Menschenführung. Zur geistigen Führung gehört es nun einmal, zwar nicht nur den Soldaten, aber besonders diesen wenigstens zu sagen, warum sie einen Teil ihres jungen Lebens, im Verteidigungsfall sogar dieses selbst, in den Dienst für die Gemeinschaft stellen müssen. Wertneutrale politische Bildung, Herr Minister, wird dies nicht vermitteln, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie in der Truppe auch noch zum Teil methodisch schlecht, als Schräubchenkunde, betrieben Berger ({8}) wird. Auch das neue Videoprogramm wird da keine Wende bringen. Im Hinblick auf den Inhalt der politischen Bildung in der Truppe sollten wir die alte Regel beachten, daß weniger oft mehr ist. Ich meine hier nicht weniger an Zeit, sondern weniger an Stoff. Dieses Wenige sollte man dann aber im Klartext vermitteln, dann wird es auch verstanden. Aber nicht nur die geistige Rüstung wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, sondern auch der zweite Teil der inneren Führung, die zeitgemäße Menschenführung. Gewiß gibt es dafür demonstrative Gegenbeispiele: das Zentrum für innere Führung z. B., das seit 1979 - ich frage: warum übrigens erst seit 1979? - wieder den „neuen" alten Auftrag hat, sich um die Menschenführung zu kümmern. Doch bei den jungen Unteroffizieren, bei denen, die täglich und stündlich mit gleichaltrigen Wehrpflichtigen umgehen müssen, haben Sie auf eine Ausbildung in dem Fach Menschenführung schlicht verzichtet. Für ganze acht Stunden in einem vierteljährigen Lehrgang hat es dort gereicht. Wundert es Sie dann, wenn Wehrpflichtige am Ende ihres Grundwehrdienstes darüber klagen, dieser habe sie eher demotiviert als motiviert, und sagen, sie empfänden ihre Dienstzeit teilweise als verlorene Zeit? Lassen Sie mich dafür einige Zitate aus Ihrem eigenen Hause, aus einem Ergebnis sozialwissenschaftlicher Untersuchungen Ihres eigenen Instituts anführen. Da heißt es: Das Fachwissen der beobachteten Unteroffiziere war lückenhaft. Teilweise besaßen sie lediglich Grundkenntnisse. In Situationen, in denen Entschlüsse zu fassen waren, die sich nicht an einem angelernten Schema orientieren konnten, versagten meistens die beobachteten Unteroffiziere. Der Doppelbelastung als Führer und Ausbilder waren die jungen Unteroffiziere nicht gewachsen. Oder an anderer Stelle: Die praktische Ausbildung im Kasernenbereich wurde dadurch erschwert, daß eine der Ausbildung entsprechende Umgebung nicht vorhanden war und Echtheit ständig meist in Gedanken simuliert werden mußte. Hier wird übrigens ein großer Mangel der Bundeswehr offenkundig, ein typischer Mangel. Sie wird immer mehr zu einer Armee auf dem Kasernenhof. Der Spritmangel wird vermutlich diese negative Entwicklung noch fördern. ({9}) Und solcher Dienst, meine Damen und Herren, wird als Gammel-Dienst verstanden. Dieser Vorwurf, meine Damen und Herren, trifft die Bundeswehr in vielen Fällen, nicht in allen, zu Recht. Das ist nicht Schuld der Soldaten, das ist auch nicht Schuld der Unteroffiziere in der Truppe, sondern das ist Schuld des Ausbildungssystems, dem sie unterworfen sind. Wir haben darüber im Verteidigungsausschuß debattiert. Das war übrigens eine Initiative der Union. Aber was ist daraus geworden? Nach wie vor geht der junge Soldat im vierten Quartal seiner Ausblidung zum Unteroffizier- Lehrgang, das heißt, er geht zu einer Zeit dahin, in der er selbst als Soldat nicht fertig ausgebildet ist. Meine Damen und Herren, können Sie mir eine andere Berufsgruppe nennen, die sich den Luxus leistet, solche zu Meistern auszubilden, die noch nicht einmal den Gesellenbrief haben? Das paßt nicht zusammen. Nach wie vor muß deswegen auf dem Unteroffizier-Lehrgang Fachwissen vermittelt werden statt Führungsfähigkeit und statt Fähigkeit zur Menschenführung. Deswegen kommt es auch zu der Feststellung des Sozialwissenschaftlichen Instituts - ich zitiere noch einmal -: Zwischen den Unteroffizieren und Mannschaften fehlt die Vertrauensbasis. Entweder herrscht zu großer Respekt, oder aber der Gruppenführer wird nicht ernstgenommen, es kommt zu Verbrüderungen. Der Gruppenführer konnte sich nicht durchsetzen, Soldaten fielen ihm ins Wort, Anordnungen wurden nicht ausgeführt. Im Unterricht gingen und kamen Soldaten, ohne sich abzumelden. Meine Damen und Herren, dies ist teilweise Truppenalltag. Und weiter heißt es dort: Dies führt zu einer allgemeinen Verunsicherung des jungen Unteroffiziers. Sein ohnehin nur schwach entwickeltes Selbstvertrauen wird noch geringer. Und eine Schlußfolgerung: Die Folge davon sind gelangweilte und teilnahmslose Soldaten, die ihrem Ärger nicht selten durch Disziplinlosigkeiten Luft schaffen. Das Schlimme, meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Minister, ist, daß in der Truppe zur Zeit die negativen Auswirkungen von drei Reformen kulminieren. Zum einen handelt es sich um die Reform der Offiziersausbildung, mit der Folge, daß Offiziere im Rang eines Oberleutnants oft die Ausbildung ganzer Kompanien leiten müssen, obwohl sie nur die Truppenerfahrung eines Fähnrichs haben. In der Bundeswehr spricht man vom Praxisschock, den sie erleben. Sie müssen dort mit jungen Unteroffizieren zusammenarbeiten, die teilweise nicht das Fachwissen eines vollausgebildeten Soldaten haben. Und infolge der Bildungs- und Strukturreform sind die länger dienenden Unteroffiziere die wirklichen Könner, die man braucht, überall, auf Lehrgängen, in der Fortbildungsstufe A, im dienstzeitbeendenden Unterricht, auch bei der Verwaltung ihres sehr wertvollen Materials, um das sie sich in den letzten Jahren immer mehr selbst kümmern müssen, weil man ihnen die Spezialisten abgezogen hat. Sie sind, wie gesagt, überall, nur nicht dort, wo man sie wirklich brauchte, in der Truppenausbildung. Ähnlich lange fehlen die Kompaniechefs. Bei einem einzigen Panzer-Bataillon, so ist mir berichtet worden, fehlten diese im Jahre 1980 nicht weniger als 40 % der Gesamtdienstzeit, bei einem Verhältnis bei Kompaniechefs - nach ihrer Selbsteinschätzung - von Schreibtischarbeit zur Ausbildung bzw. Berger ({10}) Dienstaufsicht von 4 : 1. Das muß dann einfach zu Lasten der Truppenausbildung gehen. Und wenn dann infolge des Geldmangels der Sprit fehlt, das Gerät nicht mehr instand gesetzt wird, Gebäude verwahrlosen, dann liegt doch die Folge klar auf der Hand: Die Bundeswehr entwickelt sich immer mehr zu einer Superbürokratie, die sich nur noch selbst verwaltet, statt auszubilden, statt zu erziehen, statt zu üben, die Leistungsfähigkeit zu erarbeiten und zu demonstrieren, die sie braucht, um uns den Frieden erhalten zu können. ({11}) Unsere Bundeswehr darf nicht allein auf den Kasernenhof angewiesen bleiben. Das gilt für ihre Ausbildung ebenso wie für das feierliche Gelöbnis. Bei alledem wird klar: Die Bundeswehr leidet unter Personalmangel. Jene 495 000, von denen immer wieder gesprochen wird, stehen j a nur auf dem Papier. Allein über 12 000 sind im sogenannten Dienstzeitbeendenden Unterricht und daher nur noch dem Status nach Soldat. Wir hören, daß bei der Post jetzt 6 000 neue Stellen geschaffen werden. Herr Minister, hätten Sie die, wären alle Ihre Personalprobleme gelöst, vor allen Dingen dann, wenn Sie sie auch noch in der richtigen Struktur hätten. Aber es wird das Gegenteil praktiziert. In diesem Quartal wurden alleine bei einem Korps des Heeres 2 000 Rekruten weniger einberufen. Das erscheint als wenig bei 70 000. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß das am Ende dazu führt, daß beispielsweise in einem Bataillon statt 14 Kanonieren nur noch drei kommen und daß zwei Geschütze nicht besetzt werden können. Das führt dann zu einem Fehl an Einsatzbereitschaft von 25 %. Lassen Sie mich in einer Minute noch drei Forderungen konkretisieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, auch Ihre Fraktion legt Wert darauf, daß noch andere zu Worte kommen. Darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen?

Markus Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000150, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin in einer Minute fertig. Erstens. Führen Sie die Grundausbildung endlich wieder in den Einsatzkompanien durch! Zweitens. Bilden Sie mehr praktisch aus! Das gilt für alle Führerlehrgänge wie für die Unteroffiziersausbildung. Drittens. Beginnen Sie mit der Unteroffiziersausbildung erst nach der sogenannten Vollausbildung, damit aufhört, daß nicht ausgebildete Soldaten erst dort ihr Fachwissen erlangen. Wenn sie diese drei Forderungen erfüllen, braucht uns bald um den Beitrag unserer Bundeswehr zur Erhaltung von Frieden und Freiheit nicht mehr bange zu sein. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Möhring.

Helmuth Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001519, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/CSU ist nach meiner Ansicht ausreichend beantwortet. Erläuterungen zu den Antworten hat der Minister gegeben. ({0}) Ich will mich also nicht in Wiederholungen ergehen, sondern mich ein wenig mit Ihrer Betrachtungsweise beschäftigen. Sie freuen sich schon darauf, Herr Würzbach. Ich glaube, Sie kommen durchaus auf Ihre Kosten. Ich habe mich nach dem Sinn dieser Großen Anfrage gefragt. Eine solche Anfrage kann hilfreich, sie kann aber auch nicht hilfreich sein. Ich sortiere sie erst einmal in den Bereich, der uns nicht weiterhilft. Denn diese Große Anfrage hat mit sehr großem Fleiß aus vielen Berichten nur alle negativen Kritikpunkte herausgesucht und zusammengestellt und bewußt positive Tatbestände in unseren Streitkräften verschwiegen. ({1}) Sie kommt damit zu einer Verfälschung des Gesamtbildes unserer Bundeswehr gegenüber unserer Öffentlichkeit und dem steuerzahlenden Bürger, aber auch dem Soldaten gegenüber. ({2}) Das hat auch noch anderswo als bei uns Auswirkungen. ({3}) Wir sind auch noch in ein Bündnis eingebunden. In dem Bündnis gibt es nicht nur den Nordatlantischen Vertrag, sondern es herrscht auch Vertrauen untereinander; man will ja zusammenbleiben. Dieses Vertrauen kann man nachhaltig stören, wenn man seinen eigenen Beitrag in der Wertung so herabsetzt, wie das in der öffentlichen Darstellung durch die Opposition geschieht. ({4}) Ich bin Mitglied in der Nordatlantischen Versammlung, also dem NATO-Parlament, und ich weiß das sehr gut. Meine Kollegen aus dem Bündnis beneiden uns um unsere Bundeswehr. Sie zählen sie mit zu den besten Armeen der Welt. Herr Kollege Biehle, der j a gelegentlich mit mir auf dem internationalen Parkett ist, spricht da anders. Dort stellt er die Bundeswehr nicht als schlecht dar. Es ist auch gut, wenn sich die Vertreter der Bundesrepublik in der Anerkennung anderer sonnen können. Die Opposition holt sich dabei ihren Teil schon ab. ({5}) Ich jedenfalls habe den Verdacht, daß Sie genau das, was Sie in Ihrer Großen Anfrage beklagen, nämlich die durch das schlecht gezeichnete Bild fehlende Motivation, erst mit Ihrer Anfrage erzeugen, näm3976 lieh Demotivation, weil doch niemand mehr zu einer solchen Bundeswehr, die ihm so marode vorgezeichnet wird, geht. ({6}) Das ist doch ganz klar. Das trifft den jungen Wehrpflichtigen, der den Grundwehrdienst noch nicht abgeleistet hat, und macht auch den Bürger hellhörig. Darüber sollten Sie mal ein bißchen nachdenken. ({7}) - Ah ja! Ich habe den Debattenbeitrag von Herrn Biehle gehört. Und da reicht es mir schon. Denn auch er hat nicht nur Fragen gestellt, sondern Antworten gegeben. ({8}) - Herr Dallmeyer, Sie kommen noch zu Ihrem Recht. Ich habe hier etwas von Ihnen wörtlich notiert. Wir brauchen in unserer präsent aktiven Truppe Motivation. Es wäre schlimm, wenn der Soldat nicht zu seiner Aufgabe stünde, die er übertragen bekommen hat und die er ja innerlich mit übernehmen muß. Wir brauchen die Motivation auch bei unseren 800 000 gut ausgebildeten Reservisten. Denn die sind sehr lange weg von der Truppe und während dieser zeit fernab von Wehrübungen oder Mobilisierung. Sie müssen in dieser Zeit Motivation erhalten. Auch da geben wir uns ganz große Mühe. Diesen beiden Bereichen gebührt Dank. Dank gebührt auch dem Minister, daß er es fertigbekommen hat, diese Motivation für den präsenten Anteil, aber auch für unsere Reservisten ständig aufrechtzuerhalten. ({9}) Wir haben auch die Motivation des Bürgers zu sehen, der diese Bundeswehr zu bezahlen hat. Er will für die Steuergelder, die er hergibt, eine sinnvolle und wirksame Verteidigung haben. Das gehört genau mit zur dritten Motivation. ({10}) Auch die Motivation in den Parteimitgliedschaften ist natürlich nicht unerheblich. Aber da hat wohl jeder seine Mechtersheimer. ({11}) Das mag sein. Ich will das nicht weiter ausspinnen. Ich jedenfalls danke der Truppe, daß sie trotz dieser Anfrage und trotz dieser ständigen, zum Teil polemischen Kritik das mit der Motivation durchhält. ({12}) Die Kritik, die von der Opposition kommt, kann Soldaten in schwierige Denklagen bringen. Ist Motivation nur eine Frage der Finanzen - das ist ja angeschnitten worden - und der materiellen Versorgung? Wir haben in der „Projektgruppe Zulagen", deren Leitung ich hatte, gemeinsam versucht, diese Finanzfrage hinzubekommen. Sie haben damals, als wir diese Zulagen geschaffen haben, die Meinung vertreten, dies sei gut für die Bundeswehr. Daß da noch einiges abzuhaken bleibt, dafür sorgt schon Herr Volland mit seinem Bundeswehrverband. Er wünscht sogar eine Neueinsetzung jener Kommission. Darüber kann man reden. Aber wenn wir uns schon auf dieses Gebiet begeben, habe auch ich mal ein paar Fragen, und zwar an die Opposition. Nehmen wir den Bereich Hauptfeldwebel nach A 9. Da sind bei der Haushaltsenge immerhin noch 5 % übbriggeblieben. Ich habe vor kurzem eine Diskussion gehabt. Herr Dallmeyer, Sie waren dabei. Deswegen war ich über Ihren Beifall bestürzt, als die Oberfeldwebel und Hauptfeldwebel dort sagten, wegen dieser 5 % seien in Zukunft die Einsatzbereitschaft und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr stark gefährdet. Ich kann über ein solches materielles Denken nur erstaunt sein. Hängt die Verteidigungsbereitschaft wirklich vom Geld ab? Ich meine: Das ist doch nicht nur eine Geldfrage. Wir halten uns doch keine Söldner! Entschuldigen Sie, daß ich das so sage. ({13}) Dazu gehört doch genauso die Bereitschaft zum Dienen. ({14}) - Ah ja! Ich würde über Geld sehr abenteuerlich nachdenken? Das tun Sie. Ich will wissen, ob sie ausreichend bezahlt werden und ob unter Umständen jeder sein Opfer zu Sparmaßnahmen beiträgt. Und hat denn die Unkündbarkeit eines Beamten in der Bundeswehr gar keinen Stellenwert? Wie soll ich das denn gegenüber 10 % Arbeitslosen in meinem Wahlkreis erklären? ({15}) - Jawohl! Wir können uns auch ausführlich über einen neuen Spitzendienstgrad unterhalten. Das ist sehr publikumswirksam, besonders bei großen Veranstaltungen, Herr Würzbach. Aber wissen Sie, ob der Oberstabsfeldwebel dann wieder nachgeschoben wird, daß dann wieder die künstliche Überlappung bei A 10 zwischen zwischen Oberstabsfeldwebel und Oberleutnant ({16}) passiert? Ein Zustand, der damals auf ausdrückliches Verlangen des Bundeswehrverbands durch Fortfall von Stabs- und Oberstabsfeldwebel und Schaffen des FD-Offiziers unbedingt aufgehoben werden sollte? Langsam spekuliert man wohl auf die Vergeßlichkeit. Wir sollten uns über diese Problematik sehr genau unterhalten; das hat nämlich nachher etwas mit finanziellen Konsequenzen zu tun. ({17})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dallmeyer?

Helmuth Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001519, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, denn ich habe hier nur noch wenige Minuten. Es gibt hier noch ein großes Problem. Bei 1,6 Millionen Arbeitslosen fällt es mir zunehmend schwerer, draußen die besondere Altersgrenze unserer Bundeswehrsoldaten zu erklären, die ab 53 Jahren nach Hause gehen. ({0}) Jetzt frage ich Sie wieder einmal: Fällt es Ihnen denn gar nicht auf, daß da so ein Informationsblättchen der Rüstungslobby in Bonn existiert, das es sich zur Gewohnheit gemacht hat, verbotene Arbeitsvermittlung, wie ich meine, zu betreiben? Mit Hilfe dieses Blättchens können sich Bundeswehrsoldaten bewerben; das tun sie auch. Wahrscheinlich haben sie Angst vor „Gammelei im Rentenalter", weil es nämlich viel zu früh ist, sich mit 53 Jahren zur Ruhe zu setzen. Darüber sollten wir schön nach-den. Noch zum Stichwort Motivation: Hat denn nicht ein Stahlkocher in der Industrie auch Motivation zu haben? Hat denn nicht ein Pendler, der Tag für Tag 120 Kilometer zur Arbeitsstelle fahren muß, Motivation? Hat nicht der Briefzusteller der Deutschen Bundespost Motivation? All diesen gemeinsam ist Motivation, aber bis zum 65. Lebensjahr; darin liegt der ganz kleine Unterschied, wenn wir uns schon einmal wahrheitsgetreu über solche Probleme unterhalten. ({1}) - Nun regen Sie sich einmal wieder ab; ich bin gleich fertig. ({2}) Nein, nein, die Bundeswehr ist Teil unserer Gesamtgesellschaft. Wir wollen versuchen, ihr keinen Sonderstatus zu geben. Vielmehr soll sie genauso gerecht wie andere, aber auch genauso kritisch wie andere behandelt werden. ({3}) Wir machen uns nichts vor. Die Gammelei, die hier behauptet wird, ist bei unseren jungen Menschen, die schon im jungen Lebensalter sehr schnell Erfolge haben wollen, natürlich zu einem Teil vorhanden. Aber sie müssen sich alle miteinander daran gewöhnen, daß diese Erfolge jetzt langsam mühsamer errungen werden können. So viel Geld ist nicht mehr vorhanden, daß das alles noch schnell erreicht werden kann. Sie beklagen verlorene Geborgenheit und Kameradschaft. Wer dieser Jugend vorlebt, wie man als Erwachsener nach materiellen Werten strebt, wer selber vergißt, noch mit seinen Nachbarn zu sprechen, braucht sich doch nicht darüber zu wundern, daß diese militärischen Technokraten dann auch nicht mehr miteinander sprechen. Fragen Sie doch einmal danach, wer sich nach Dienstschluß in den Kasernen um die Wehrpflichtigen kümmert, die, beispielsweise aus dem Ruhrgebiet kommend, als völlig Fremde im norddeutschen Raum Dienst tun! Wenn Sie menschlichen Kontakt nach Dienstschluß verwirklichen wollen, wenn Sie nach Dienst Gespräche zwischen Vorgesetzten und Wehrpflichtigen wünschen, dann stoßen Sie sofort auf das Problem der Dienstzeitbelastung, dann kommt der Dienstschluß - selbstverständlich auch für Vorgesetzte -, und damit ist mit der guten Absicht Schluß. Unsere Wehrpflichtigen sind allein. Machen Sie sich einmal darüber Gedanken. ({4}) - Entschuldigen Sie einmal, Herr Dallmeyer, vielleicht hören Sie noch zwei Sätze lang zu. Daß es verhindert worden ist, zu einer vernünftigen Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung zu kommen, haben doch Sie verschuldet. ({5}) Sie sind nach Karlsruhe gegangen, nicht wir. Kommen Sie uns hier jetzt nicht mit ihren Parolen und Ergebnissen, und verlangen Sie von uns nicht, daß wir Ihre Ergebnisse „reparieren". ({6})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?

Helmuth Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001519, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Denn ich habe hier nur noch drei Minuten, und der nächste will auch noch etwas sagen. ({0}) Berichte können sehr helfen, und ich bin Herrn de Maizière für seinen Bericht sehr dankbar. Aber Große Anfragen können auch schädlich sein, besonders dann, wenn sie nur dazu dienen, parteipolitische Munition zu sammeln. Ich kann zum Inhalt sagen: nichts Neues. Aber Sie haben mit Ihrer Anfrage zusätzliche Unruhe in die Truppe gebracht; das war Ihre Methode. - Schönen Dank. ({1})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Abgeordnete Francke ({0}).

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn zwei Bemerkungen zu der Rede des Herrn Verteidigungsministers machen. ({0}) - Er ist zwar nicht im Hause, aber lassen Sie sie mich trotzdem machen. Wenn Sie, Herr Dr. Apel, sich hierher stellen und sagen: Ich werde kommentieren, wenn das Parlament entschieden hat, dann ist das genau das, was wir Ihnen seit längerer Zeit vorwerfen, ({1}) daß Sie in Ihrem Ministerium eben nicht führen und nicht für die Belange der Bundeswehr kämpfen, sondern im Grunde derjenige sind, der noch weniger zu leisten bereit ist als ein Staatssekretär, denn ein Staatssekretär berät j a wenigstens und führt in seinem Zuständigkeitsbereich. ({2}) Aber selbst zu dieser Leistung sind Sie offensichtlich nicht mehr fähig oder bereit. Zweite Bemerkung. Wenn Sie hier in Ihrer Rede ein Pauschalurteil als Ihre Stellungnahme zum deMaizière-Entwurf verlesen, so ist es doch weniger als nichts, was Sie hier vorgetragen haben, weil Sie zu den konkreten Forderungen des Berichts und auch der Entwicklung danach nichts, aber auch absolut nichts an dieser Stelle gesagt haben. ({3}) Wieso kommen Sie nicht hierher und sagen, was Sie davon halten, und wie Sie gedenken abzustellen, daß weder im Frieden noch im Kriege der vorhandene miserable Zustand beim Sanitätswesen abgeschafft werden kann. Wieso kommen Sie nicht und erklären, was Sie wollen? Wieso kommen Sie nicht hierher und sagen, wie Sie die verheerenden Verhältnisse in der Infrastruktur beseitigen wollen? Ich erwähne als Beispiel unter vielen die z. T. menschenunwürdige Unterbringung des Wachbataillons in Siegburg. Zu kleine Räume, die Überbelegung der Unterkünfte sowie z. T. unzumutbare sanitäre Einrichtungen sind für die Angehörigen des Wachbataillons unerträglich und beeinträchtigen die Aus- und Weiterbildung - dies alles, obwohl das Verteidigungsministerium schon in den 70er Jahren vom Wehrbeauftragten des Bundestages auf diese Tatbestände aufmerksam gemacht worden ist. Wie soll, frage ich Sie, Herr Dr. Apel, ein junger Wehrpflichtiger Motivation entfalten, wenn er in einer jahrzehntealten Holzbaracke mit zugigen Fenstern untergebracht wird, während für den Tornado, dessen Rüstungsplanung den Verantwortlichen und Ihnen entglitten ist, wachsende Summen bereitgestellt werden müssen? Was sollen Unteroffiziere davon halten, wenn ihnen an 27 Standorten dringend benötigte Heime zur Freizeitgestaltung vorenthalten werden, weil nach Auffassung des Ministeriums der vordringliche Bedarf gedeckt ist? Wie muß es auf unsere Soldaten wirken, wenn der Verteidigungsminister vor seinen Kommandeuren in Ingolstadt am 27. Oktober erklärt, weitere Kürzungen im Verteidigungshaushalt könnten nicht hingenommen werden, der gleiche Verteidigungsminister aber 24 Stunden später eben solche Kürzungen in Höhe von 200 Millionen DM im Kabinett, wie es heißt, zur Kenntnis nimmt, anstatt gegen sie zu kämpfen, ({4}) und sich dann ausgerechnet noch die Investitionen zur Instandsetzung von Kasernen vornimmt, um einen großen Teil der Kürzungssumme zu bestreiten? Dabei reichen, wie Sie wissen, doch schon die Haushaltsansätze der vergangenen Jahre unter Berücksichtigung der Baupreissteigerungen überhaupt nicht aus. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch etwas zur Wohnungsfürsorge sagen, wozu Sie auch geschwiegen haben. Die Wohnungsfürsorge verschlechtert sich zusehends. So wird z. B. in Hamburg in den kommenden Jahren durch das Auslaufen der Belegrechte bei Bundesdarlehenswohnungen eine kritische Situation entstehen. Es ist zu befürchten, daß diese Wohnungen dann entweder verkauft oder zu stark erhöhten Mietpreisen angeboten werden. Diese Befürchtung beschränkt sich im übrigen keineswegs nur auf den Raum Hamburg, sondern, wie uns der Bundeswehr-Verband erklärt hat, auch auf andere Standorte, z. B. auf Göttingen und Datteln. Ich wiederhole deswegen an dieser Stelle meinen Antrag aus dem Verteidigungsausschuß, daß das Ministerium eine umfassende Darstellung zu diesen Problemen erarbeiten und dem Ausschuß zuleiten möge. Wieso sagen Sie eigentlich in diesem Zusammenhang nicht etwas zu den Kürzungen bei den Instandsetzungsmitteln? Sie schweigen sich aus; Sie sehen diese Probleme offensichtlich nicht, weil Sie, wie ich fürchte, zu sehr auf den Feldherrenhügeln stehen, anstatt die Truppe wirklich zu besuchen und sich mit den Leuten vor Ort zu unterhalten. ({5}) Ihre Bemerkung zum Beförderungsstau ist lediglich ein Ankratzen des Problems. Die von Ihnen genannte Zahl - das wissen Sie selbst - entsteht, wenn wir über zehn Jahre versuchen, das Problem zu lösen. Aber Sie versuchen j a nicht einmal einen Einstieg in die Geschichte! ({6}) Meine Damen und Herren, die lebhafte Debatte über die Friedenspolitik und alle damit zusammenhängenden Fragen nach dem Sinn von Abschrekkung und Gleichgewicht haben leider dazu geführt, daß die unmittelbaren Belange unserer Soldaten in der Öffentlichkeit und bei der politischen Führung Francke ({7}) nicht genügend Aufmerksamkeit finden. Deshalb erhoffe ich mir von dieser Debatte immer noch eine positive Wirkung im Sinne der Sorgen und Nöte der einzelnen Soldaten in den Streitkräften. Denn wir dürfen trotz des hohen Grades der Technisierung und der Bürokratisierung der Streitkräfte nicht vergessen, daß in der Bundeswehr Menschen ihren Dienst verrichten, die wie wir alle Motivation und Leistungsanreize brauchen. Es geht darum, die Sorgen und Nöte des einzelnen Soldaten zu verdeutlichen. ({8}) Im Weißbuch des Jahres 1970 heißt es: Der Soldat auf Lebenszeit und auf Zeit muß so gestellt werden, daß sein Beruf im Vergleich mit anderen Berufen unserer modernen Industriegesellschaft für einen hinlänglich großen Prozentsatz der heranwachsenden Generation sozial, materiell und geistig wieder attraktiv wird. Ein gutes Jahrzehnt später ist die Unzufriedenheit gerade der Berufssoldaten so groß wie nie zuvor. Nehmen wir die soziale Attraktivität, so muß man feststellen, daß die mangelnde Würdigung des Friedensauftrags der Bundeswehr in der Gesellschaft besonders in der nachwachsenden Generation das Ansehen des Soldatenberufs nicht gerade gesteigert hat. Betrachen wir darüber hinaus die materielle Attraktivität, so kann man es einem jungen Mann kaum verübeln, wenn er sich nicht für den Soldatenberuf erwärmen kann. Eine wachsende Dienstzeitbelastung bei gleichzeitigem Verwendungs- und Beförderungsstau in der Bundeswehr einerseits, in Aussicht stehende Arbeitszeitverkürzung und Lohnausgleich in der Wirtschaft andererseits bilden eine Alternative, bei der unsere Streitkräfte auf eine neue Weise zuverlässig abschrecken. Auch die geistige Attraktivität des Soldatenberufs hat spürbar abgenommen. Es muß beunruhigen, daß insbesondere Jugendliche mit Gymnasial- oder Hochschulbildung der Bundeswehr und ihrem Auftrag mit wachsender Distanz gegenüberstehen. Während also die Anforderungen an die Soldaten innerhalb der Bundeswehr immer weiter angewachsen sind, hat sich die Bereitschaft zur Annerkennung und Förderung ihrer Leistung außerhalb der Streitkräfte entscheidend verringert. Dieser Vorgang hat politische Ursachen, die von Ihnen, dem Minister und der Bundesregierung zu verantworten sind. ({9}) Vor diesem Hintergrund ist es extrem schwierig, jungen Menschen den Sinn der Wehrpflicht und des Dienstes in der Bundeswehr verständlich zu machen. Die Generation der Wehrpflichtigen, die jetzt zum Dienst in der Bundeswehr herangezogen wird, wurde geboren, als die Wohlstandsgesellschaft bereits Wirklichkeit war. Beim Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei war sie gerade schulpflichtig geworden. Ihre Fähigkeit zur Bewertung und zur Beobachtung politischer Entwicklungen bildete sich zu einem Zeitpunkt, als die Entspannungspolitik zwischen Ost und West die Öffentlichkeit zu beeindrucken vermochte. Ihr Eintritt in die Bundeswehr vollzieht sich in einem Moment, in dem viele Stimmen fordern: Frieden schaffen ohne Waffen! Der Bundesminister der Verteidigung hat kürzlich vor dem Deutschen Bundeswehrverband die Bundeswehr als Teil des öffentlichen Dienstes bezeichnet. Ich halte diesen Standpunkt für äußerst fragwürdig. Das Problem besteht doch darin, daß bei uns eine Generation herangewachsen ist, die zu beachtlichen Teilen den militärischen Schutz unserer Wert- und Grundordnung in Frage stellt. Der bewaffnete Dienst für den Frieden ist aber im Vergleich zu anderen Leistungen des öffentlichen Dienstes von besonderer Natur. ({10}) Immerhin verlangt der Staat von seinen Soldaten im Ernstfall den Einsatz ihres Lebens. Die allgemeine Wehrpflicht ist also eine besondere Dienstpflicht gegenüber der Gemeinschaft. Daher stehen Ersatzdienst und Wehrdienst in einem Verhältnis von Ausnahme und Regel zueinander. ({11}) Sie haben ein paar Bemerkungen zum Vertrauensmann gemacht. Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich im übrigen unsere kritische Haltung zu der von Ihnen beabsichtigten gesetzlichen Neuregelung der Stellung des Vertrauensmanns; denn wir fürchten, daß er dadurch zum Interessenvertreter gemacht wird. Die vom Verteidigungsminister vorgebrachten Ideen führen nach unserer Bewertung zu einer größeren Distanz des Vertrauensmannes zu seinen Kameraden ({12}) und letztlich zu größerer Truppenferne. ({13}) Außerdem bewirken sie die Entfremdung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und damit die Auflösung der für eine effiziente Truppe unverzichtbaren hierarchischen Strukturen. ({14}) Über den Weg der Mitbestimmung darf es nach unserer Auffassung eben nicht zu einer Aufweichung des Prinzips von Befehl und Gehorsam kommen. ({15}) Soweit es um persönliche Notlagen der Soldaten, Fragen der Freizeitgestaltung und des außerdienstlichen Gemeinschaftslebens geht, sollten allerdings auch nach unserer Auffassung die Mitwirkungsrechte konkretisiert und erweitert werden. Hierbei werden wir unsere kritische Mitarbeit im Verteidigungsausschuß nicht versagen. Herr Minister, Ihre Äußerung hinsichtlich der Übereinstimmung in dieser Frage mit der militärischen Führung ist doch nicht richtig. Sie müßten eigentlich wissen - vorausgesetzt, Sie haben gelesen -, daß die militärische Führung im Oktober Francke ({16}) 1981 eben nur einer Neufassung der ZDv zugestimmt hat, aber nicht und ausdrücklich nicht den von Ihnen beabsichtigten gesetzlichen Änderungsregelungen, weil der Generalinspekteur und die Inspekteure zu Recht gesagt haben: Dies führt an den Kern der Auflösung von Befehl und Gehorsam, deswegen sind wir dagegen. ({17}) Ihr Trick im Ministerium besteht doch darin, daß Sie dann zur Beruhigung der Herren Inspekteuere gesagt haben: Die ZDv geben wir auf den Weg, das andere lassen wir erst einmal anstehen. ({18}) Die politische Führung unseres Landes, meine Damen und Herren, hat es versäumt, die Bereitschaft und Fähigkeit besonders der jungen Staatsbürger zur aktiven Verteidigung unserer freien Gesellschaft herauszufordern. Jungen Wehrpflichtigen, die in den Schulen unzureichend über die Bundeswehr und ihren Auftrag im Rahmen der NATO informiert werden, die anschließend in der Bundeswehr z. B. durch ausfallende Übungsvorhaben jeglicher Leistungsanreize beraubt und dadurch häufig zum Gammeldienst verurteilt werden, die obendrein ihr öffentliches Gelöbnis nur unter Polizeischutz ablegen können, ist kein Vorwurf zu machen. Er trifft vielmehr einen Verteidigungsminister, dessen löbliche Anregung, feierliche Gelöbnisse auch in Betrieben abzuhalten, vor wenigen Tagen von den eigenen Genossen vor Ort mit Begriffen wie „bestürzende Tatsache", „schleichende Militarisierung der öffentlichen Meinung" und „Verbundenheit zwischen militärischer Macht und Kapital mit fast sakralem Charakter" verhöhnt wurde. Nicht nur dies, meine Damen und Herren: Der SPD-Bürgermeister dieser Gemeinde verweigerte demonstrativ der Fahne der Bundesrepublik Deutschland und dem Bataillon seinen Gruß. ({19}) Ich möchte an dieser Stelle den Initiatoren der Veranstaltung in der Gemeinde Rockenhausen besonders für den Mut danken, den sie in nachahmenswürdiger Weise gezeigt haben. ({20}) Er hebt sich wohltuend vom Verhalten der politischen Führung ab, die vor dem Druck eines Teils der öffentlichen Meinung zurückweicht, indem sie den Traditionserlaß aufhebt und sich dadurch auszeichnet, daß sie sich nicht um die Stärkung der Wehrmotivation kümmert und die Verteidigungsausgaben danach bemißt, ob sie parteipolitisch durchsetzbar sind oder nicht. Wer aber, Herr Dr. Apel, in verantwortlicher politischer Stelle Führungsschwäche und Opportunismus erkennen läßt, kann bei den Soldaten schlechterdings keine Dienstmotivation und Einsicht in die Bedrohungslage erzielen. ({21}) Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß ich gleichermaßen wie der Kollege Möllemann glaube, daß Ihre bisherigen Leistungen, die Kultusminister zu einer besseren Einbindung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den Unterricht zu bewegen, als mangelhaft zu bewerten sind. Auch für mich ist unverständlich, daß es nach dem AdornoBericht und nach der Freiburger Erklärung von Ihnen nicht möglich war, dieses durchzusetzen; denn es ist entscheidend, daß unsere jungen Leute, die einen schweren, für sie ungewohnten Dienst antreten sollen, vorher durch die Vorbereitung auch in der Schule eine ausreichende Motivation erhalten. ({22}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Nach über zehn Jahren sozialdemokratischer Verantwortung für die Belange der Bundeswehr zeigen sich die Folgen einer Politik, die die geistig-psychologischen Bedingungen für eine ausreichend ausgeprägte Wehrmotivation verkümmern ließ und die Probleme der Soldaten weitgehend ungelöst in die 80er Jahre schleppt. Schon im bereits zitierten Weißbuch des Jahres 1970 ist die Rede vom Beförderungsstau, von Bürokratisierung, fehlenden Unterbringungsmitteln und einem Ausbildungsdefizit. Angesichts einer wirtschaftlich und haushaltspolitisch schwierigen Lage sowie eines gesellschaftlichen Klimas, das Begriffe wie Disziplin, Ordnung, Befehl und Gehorsam mit negativen Inhalten gefüllt hat, wächst innerhalb der Truppe die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation und außerhalb der Truppe die Abneigung gegen alles Militärische. Der Primat der Politik in militärischen Angelegenheiten ist und bleibt ein unumstößlicher Grundsatz. Die politische Zuverlässigkeit der Streitkräfte steht außer Zweifel. Beides zusammen bildet eine keineswegs selbstverständliche Errungenschaft dieses Staates. Sie zu wahren und zu festigen bleibt daher ein Haupterfordernis künftiger Politik. Deshalb sind Regierung und Parlament aufgerufen, sich stärker als bisher um den Menschen in der Bundeswehr zu kümmern. ({23})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß wir die Thematik ständig weiter behandeln werden - auch wenn wir den Antrag nicht formell an den Ausschuß überweisen, wie Herr Kollege Biehle feststellte -, tröstet mich darüber hinweg, daß ich nur wenige Minuten Zeit habe, mich mit der Problematik zu befassen. Ich hätte das auch deswegen ganz gerne länger getan, weil Herr Kollege Biehle heute morgen, als er sein Tütchen Erbsen hervorholte, Erbsen mit Bohnen verrechnet und Probleme in diese Diskussion eingeführt hat, die wir, wie Herr Minister Apel sagte, im Januar im Rahmen der Haushaltsdebatte sicher vertiefen können, ja müssen. ({0}) Das kann ich Ihnen nämlich sagen, Herr Kollege Biehle: Nicht nur Sie, auch wir sind natürlich beJung ({1}) sorgt um die Finanzierbarkeit all der Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr. ({2}) - Streichungen. Wenn ich an die gestrige Diskussion erinnern darf, nämlich an den Streit um die 2 166 Holzhämmer und um die 400 Leitern, die dabei eine Rolle gespielt haben: War das nun wirklich so wesentlich für die Sicherung der Durchführung der Aufgaben der Bundeswehr? Lassen Sie mich in den paar Minuten, die mir noch zustehen, mich wenigstens einigen Fragen zuwenden, die in der Großen Anfrage angesprochen und von der Regierung beantwortet worden sind. Ich teile in weiten Bereichen die Auffassung, die auch Herr Kollege Berger sehr sachlich im Zusammenhang mit Fragen der Inneren Führung dargelegt hat. Ich will das deshalb übergehen und mich dem Problem Soldat und Gesellschaft zuwenden. Herr Kollege Möhring hat sich sehr eingehend über die Fragen der Motivation ausgelassen. Ich darf feststellen, daß die Wehrbereitschaft offenbar abnimmt. Jeder zweite Abiturient verweigert z. B. den Wehrdienst, während zur gleichen Zeit die Neigung zur Gewaltanwendung in der politischen Auseinandersetzung im Innern offenbar zunimmt. Natürlich muß man sich darüber im klaren sein, daß viele der Probleme, die in der Gesellschaft angesprochen werden, nicht von der Bundeswehr ferngehalten werden können, sondern in sie hineinreichen. Selbstverständlich kann die Bundeswehr selbst nur wenig zur Lösung dieser Probleme beitragen. In der Tat ist das, Herr Kollege Francke, eine Aufgabe der Kultusminister. Wir Freien Demokraten erwarten von der Konferenz der Kultusminister konkrete und möglichst rasch greifende Maßnahmen gegen die mangelnde Information über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in den Schulen.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, sind Sie dann bereit, in den Landesregierungen, in denen Sie vertreten sind, darauf hinzuwirken, daß die Entwürfe, die vom baden-württembergischen Kultusminister in dieser Richtung erarbeitet wurden, nicht sofort in der Schublade verschwinden, sondern zur Grundlage der Beratungen gemacht werden?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Kollege Wörner, wir sind dazu gerne bereit. Aber leider sind wir in viel zu wenigen Landesregierungen vertreten. Ich hoffe, daß sich das im nächsten Jahr ändert. ({0}) Herr Kollege Wörner, Sie haben kritisiert, und zwar im Zusammenhang mit der Kommandeurstagung, daß sich Soldaten an der Friedensdiskussion beteiligen, und Herr Kollege Biehle hat heute früh in gleicher Weise die Beteiligung eines Generals im Ruhestand an dieser Diskussion kritisiert. Ich meine, wir können die Soldaten nicht in die Kasernen einsperren. Wir können uns natürlich auch nicht um jeden Ausgedienten kümmern. Insofern unterstütze ich das, was Herr Minister Apel gesagt hat. Aber ich bin zur Zeit dabei, nicht nur draußen in der Öffentlichkeit an solchen Diskussionen teilzunehmen, sondern die Diskussion auch in die Kasernen hineinzutragen und innerhalb der Kaserne auch die Öffentlichkeit einzuladen, um da die Problematik objektiv zu behandeln. Ich meine, daß sich der Bundessicherheitsrat in der Frage „Soldat und Gesellschaft" vielleicht doch ein Planungs- und Problemlösungsinstrument schaffen sollte, um die Probleme der Sicherheits-und Verteidigungspolitik ressortübergreifend und mit wissenschaftlicher Assistenz intensiver zu behandeln, als dies bislang geschehen ist. ({1}) - Herr Kollege Würzbach, ich glaube, Sie stimmen mir zu. Ich möchte hier nicht die einzelnen Problembereiche auflisten, aber doch einen herausgreifen, mit dem man sich dort auch beschäftigen müßte, nämlich das Problem der Kriegsdienstverweigerung. Ich selbst bin einer der wenigen, die seinerzeit noch in der Großen Koalition der Adorno-Kommission angehört haben, die sich um mehr Wehrgerechtigkeit gekümmert hat. Für die Freien Demokraten darf ich sagen, daß wir zwar die kleinste, aber die Fraktion sind, die bisher am ehesten die Forderung der Einführung einer Wehrpflichtersatzabgabe vertreten hat. Bei den großen Fraktionen mag dies Probleme, wie das in großen Parteien immer ist, gegeben haben. ({2}) - Den haben wir schon so oft auf den Tisch gelegt, und immer ist er an Problemen gescheitert, die in Ihrer eigenen Partei und Fraktion bestanden. Herr Würzbach, daher möchte ich umgekehrt sagen: Versuchen wir es noch einmal interfraktionell! Vielleicht kommen wir dann noch weiter. Ich fürchte aber, daß es bereits sehr, sehr spät ist; ({3}) denn die Personalprobleme in den 80er Jahren - ich wollte mich noch damit befassen - sind wahrscheinlich nicht dazu angetan, dieses Instrument einzuführen. Hinsichtlich der Kriegsdienstverweigerung muß man sagen, daß eine Untersuchung ergeben hat, daß rund 20 % der Kreigsdienstverweigerer den Wehrdienst nicht aus Gewissensgründen verweigern, sondern sich zwar in den gesellschaftlich-ritualistischen Formeln der Verweigerung ausdrücken, dabei aber ihre handfesten persönlichen Vorteile verfolgen. Das ist ein Faktum, von dem wir ausgehen müssen, so daß also nicht immer von Gewissensqualen die Rede sein kann. Ich betone diese Facette einmal, Jung ({4}) obwohl ich ansonsten der Meinung bin, daß sehr viele Kriegsdienstverweigerer aus echter innerer Überzeugung diesen Dienst verweigern. Es ist leider eine Tatsache, daß nur etwa die Hälfte der Kriegsdienstverweigerer karitative Pflegearbeit leistet und andere stundenweise „Jobs um die Ecke" suchen und sich Vorteile davon versprechen. ({5}) Ich will jetzt hier nicht ins Detail gehen. Wir haben Lösungsansätze gefunden. Ich hoffe, daß sich die Fraktionen in den nächsten Wochen soweit zusammenraufen, daß wir hier zu einem Vorschlag kommen, der von allen getragen werden kann. Ich sehe, daß meine Zeit bereits abgelaufen ist, ({6}) so daß ich mich mit der Frage des Menschen im Mittelpunkt, mit den sozialen Problemen nicht mehr befassen kann. Das gilt auch für die Frage der Motivation. Hierzu kann ich Ihnen, Herr Minister, ankündigen, daß wir drei Kollegen - Herr Wiefel, Herr Kollege Wörner und ich - gestern abend vereinbart haben, Ihnen zu schreiben, um Ihnen ganz konkrete Beispiele zu nennen, wie die Hardthöhe Motivation unterdrücken oder andererseits besser fördern kann. Wir werden also bei dieser Thematik auch außerhalb dieser Debatte am Ball bleiben. Ich möchte abschließend noch Herrn Kollegen Francke in der Forderung unterstützen, daß im Bereich der Infrastruktur, der Kasernenrenovierung - auch dies ist ein Stück Motivation - einiges mehr getan wird; denn das scheint mir besser zu sein als Neubaumaßnahmen auf der Hardthöhe zur Ausweitung des Wasserkopfes. Damit bin ich natürlich auch bei der zentralen Frage der Bürokratie. Vor 12 Jahren habe ich an dieser Stelle schon einmal gesagt: Die Bundeswehr muß geführt und darf nicht bürokratisch verwaltet werden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll. ({7}) Ich möchte dies noch einmal sehr stark unterstreichen. Mit dieser Unterstreichung möchte ich den Dank der Freien Demokraten an die Soldaten verbinden, daß sie trotz gewisser Mängel, die wir alle erkennen ({8}) - Herr Kollege Würzbach, ich habe „gewisser Mängel" gesagt, aber wir können beide dazu beitragen, sie abzustellen -, bisher ihren Dienst zur Sicherung des Friedens so vorbildlich geleistet haben. Sie werden auch weiterhin mit unserer Unterstützung in die Lage versetzt werden, die größte Friedensbewegung in der Bundesrepublik nach 1945 zu sein. - Vielen Dank. ({9})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Francke, eine Vorbemerkung zu Ihrem Beitrag. Sie haben vorhin gesagt, der Minister würde nur auf dem Feldherrnhügel stehen. Wenn Sie einmal darüber nachdenken, glauben Sie selber gar nicht, was Sie gesagt haben. Über die Truppenbesuche des Ministers braucht man wohl hier nicht zu diskutieren. ({0}) - Richtig, da möchten Sie gern hin, aber noch steht er dort. Wer erwartet hatte, daß die Opposition die Gunst der Stunde genutzt hätte, sachliche Positionen zum inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften darzustellen, der muß sich in mehrfacher Hinsicht getäuscht fühlen, weil die Herren Vorredner der CDU/CSU es unterlassen haben, sich konkret zu äußern, ({1}) sich konkret zu äußern zur Stellung des Soldaten als mündiger Bürger dieses demokratischen Staates. Sie haben versäumt, die politischen Handlungsräume korrekt darzustellen, in denen sich Soldaten bewegen. Sie haben versäumt, die Bedingungen und die Konsequenzen des Auftrages und ihres Handelns in diesem Handlungsfeld positiv darzustellen und dieses unseren Zuhörern draußen zu vermitteln. Das wäre ein Beitrag zur Sicherheitspolitik dieses Landes gewesen, - nicht in der Art und Weise, wie Sie es getan haben. ({2}) Die Bundeswehr ist eine gesellschaftliche Gruppe, die durch ihre politischen Vorgaben, nämlich Wehrpflichtarmee zu sein, eine Querschnittsstruktur derer ist, denen wir immer unsere Gesprächsbereitschaft anbieten oder, wie manche zu sagen pflegen, bei denen wir den Dialog mit der Jugend suchen. Sie suchen diesen Dialog in der Form, wie Sie es hier vorbringen und wie Sie sich artikulieren, nach meiner Einschätzung in keiner Weise. ({3}) Die Bundeswehr entstand durch unser Tun. ({4}) Deshalb fühlen wir Sozialdemokraten uns ihr verpflichtet, - um das mal mit aller Deutlichkeit hier zu sagen. ({5}) - Herr Dallmeyer, es reicht nicht, es reicht wirklich nicht, was Sie bringen; insofern kann ich darauf nicht eingehen. Bundesminister Apel und meine Vorredner der sozialliberalen Koalition haben hinreichend unsere Position dazu offengelegt. Dem will ich nicht mehr vieles hinzufügen. Wir haben gegenwärtig eine finanzielle Durststrecke zu überwinden. Daran ist nichts zu verschönern. ({6}) - Wenn Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dann lernen Sie das mal endlich. ({7}) Die Opposition hat versucht, uns ihren Beitrag bewußt zu machen, wie sie das sieht. Aber ich meine, in welcher Richtung ihre Zielperspektive geht, hat sie in keiner Weise hier geäußert. Wir suchen den Dialog mit den Soldaten in diesen Fragen. Unsere Soldaten haben Verständnis für diese Situation. Sie haben Verständnis dafür, weil diese Republik, in der wir leben, auch ihre Republik ist, weil sie diese Republik mit ihren sozialen Leistungen so sehen, wie sie ist, und weil sie auch bereit sind, sie zu verteidigen. Es würde mich reizen, noch auf viele Probleme einzugehen. Aber meine Zeit ist relativ kurz. ({8}) - Herzlichen Dank für Ihre netten Bemerkungen. Ich möchte einmal erleben, daß Sie hier gelegentlich etwas ausführen, damit ich etwas anderes dazu sagen kann als solche Bemerkungen. Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf folgende Punkte beschränken. Auftragstaktik und Befehlstaktik war bei Ihnen angesprochen. Niemand hat dazu etwas gesagt. Die Eingrenzung des Handlungsspielraums der Kommandeure, die Reglementierung und sicherlich auch die teilweise zu Recht kritisierte Bürokratisierung sind in vielen Bereichen nicht zu vermeiden; das ist sicherlich richtig. Aber aus dem Bericht „Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung der Streitkräfte" vom Oktober 1981 geht j a hervor, welche Maßnahmen die Bundesregierung bisher schon ergriffen hat. Die Bundesregierung hat bisher eine Vielzahl von Einzelempfehlungen aufgegriffen, um die Entscheidungsräume und auch die Handlungsspielräume vor allem auf der unteren Führungsebene zu erweitern. Auch dieses sollte einmal anerkannt werden. „Befehlstaktik ist der Auftragstaktik in jedem Falle unterlegen", so schreiben Sie. Sie wollen das auf allen Ebenen der Bundeswehr geändert wissen. Ich frage Sie: Durch welche Maßnahmen soll die praktizierte Befehlstaktik wieder in die bewährte Auftragstaktik umgesetzt werden? ({9}) - Ach, Herr Würzbach, wissen Sie, auf solche Zurufe kann man einfach nicht eingehen, weil das kein Niveau ist. ({10}) Ich meine, hier bedarf es einer näheren Erläuterung. Jede Großorganisation und damit jedes Großunternehmen hat bestimmte, vorgegebene planerische Abläufe, bestimmte Strukturen mit bestimmten und abgestimmten Verantwortlichkeiten. ({11}) - Ich gehe weg, Herr Würzbach. Wenn Sie hier reden wollen, können Sie es. ({12}) Eine klar gegliederte Befehlskette ist notwendig, um eine Gleichbehandlung von Soldaten zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Klar abgegrenzte Verantwortlichkeit der Führung der Bundeswehr im Frieden kann sich ökonomisch nur so abspielen, daß befehlstaktische Strukturen bestimmend sind. Um nicht mißverstanden zu werden: Nicht jede Einzelheit muß vom Bundesminister bis in die letzte Kompanie befohlen werden. Wichtig ist nur: die untere Führung muß den Willen der oberen Führung kennen. Auftragstaktik ist ein Prinzip, das vornehmlich für das Gefechtsfeld vorgesehen ist. Im Rahmen von Übungen haben wir unseren Soldaten die Möglichkeit eröffnet, dieses Prinzip anzuwenden. Die Beweglichkeit moderner Waffen verlangt bereits von einem Unterführer ein hohes Maß an Flexibilität, die notwendig ist, um gemäß Auftragstaktik einzelne Vorgaben zu erreichen. Richtig angewandte Auftragstaktik, die Ziele setzt und die Einzelheiten der Durchführung delegiert, fördert auch nach unserer Einschätzung Initiative, Gestaltungsfreude und Verantwortungsbewußtsein. ({13}) Es ist notwendig, die Vorteile, die sowohl die Befehlstaktik als auch die Auftragstaktik beinhalten, zu erkennen und das jeweilige Führungsprinzip situationsgerecht anzuwenden. So pauschal, wie Sie das wollen, ist es einfach nicht zu machen. Ein anderer Punkt: Fehlen der Unteroffiziere am Ausbildungsplatz. Die Grundsätze der Ausbildung, Bildung und Erziehung der Bundeswehr beinhalten: Sie müssen darauf ausgerichtet sein, daß der Soldat die moderne Ausrüstung unserer Streitkräfte unter den Bedingungen des Einsatzes beherrscht. Sie müssen weiterhin am Einsatzauftrag orientiert sein. Ausbildung und Bildung der Soldaten sollen auch der zivildienstlichen Förderung dienen. Die Attraktivität der Laufbahn und das Angebot des sozialen Aufstiegs sind wichtige und notwendige Voraussetzungen, um den Personalbedarf der Streitkräfte zu decken. In dieser Hinsicht haben die Sozialdemokraten zum erstenmal etwas bewegt. Unter Ihren Verteidigungsministern war da überhaupt nichts zu spüren - um das mal mit Deutlichkeit zu sagen, wenn Sie das heute kritisieren. Wenn dies tatsächlich so ist - und wir halten es vermehrt für notwendig, daß das durchgehalten wird -, so bleibt natürlich die Frage - und das ist die Frage, die uns alle bewegt -: Wo kürzen wir, was streichen wir? Der umfangreiche Einsatzauftrag gebietet eine gute und solide Ausbildung. Was bleibt übrig? Doch nur Lehrgänge, die möglicherweise der zivilen Qualifikation dienen. Kann man aber denn hier so eine Trennung vollziehen? Ich meine, es ist nicht so möglich, wie Sie es fordern. Moderne Waffensysteme erfordern nun einmal Spezialisten. Es ist richtig, die Ausbildung der länger dienenden Unteroffiziere muß in ausgewogener Weise für alle geplant werden. Das ist schwierig und wird nach meiner Einschätzung auch schwierig bleiben. Es geht zumindest nicht so, wie Sie das wollen, daß möglicherweise die Chancen für ausscheidende Soldaten verschlechtert werden. Wir halten es für wesentlich, daß dort noch mehr getan wird. ({14}) Andererseits schaden hohe Abwesenheitsquoten der Einsatzbereitschaft; das ist richtig. Aber mit der Forderung, die Ausbildung wieder in die Einsatzverbände zu legen, wie das mein Herr Vorredner vorgeschlagen hat, der meines Wissens aktiver Offizier war, geht es nicht; da kann ich nur sagen: bei dem ist die Truppe irgendwie ohne Horizont vorbeimarschiert. Andererseits muß man mal überlegen, was für eine Belastung es für die Einsatztruppe bedeuten würde, wenn auch die Grundausbildung dort noch hineingelegt würde. Die Ausbildung, die dort notwendig ist, vollzieht sich j a als Spezialausbildung. Ich würde so etwas hier wirklich nicht öffentlich verkaufen wollen. Ich bin natürlich auch dafür, daß immer wieder überlegt wird: Was kann und was soll sinnvoll verändert werden? Ich finde, darüber sollte man sich im Verteidigungssausschuß unterhalten. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Zielvorgabe und Realisierung sind Spannungen möglich und treten Spannungen auch auf. Ich meine, darüber braucht man hier an dieser Stelle nicht zu lamentieren. Das ist nun einmal so. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben durch Ihre Große Anfrage Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Die Wertung dessen, was Sie hier im einzelnen vorgebracht haben, überlassen wir der Bevölkerung draußen. Sie haben uns damit zugleich eine Möglichkeit gegeben - dafür bin ich Ihnen dankbar -, die Lage der Bundeswehr so darzustellen, wie sie wirklich ist. ({15}) Sie ist ein wichtiger Eckpfeiler im Verteidigungssystem unserer Allianz. Sie ist auch ein verläßlicher Garant für die Sicherheit unserer Bürger. Sie ist - vor allem dank der Leistungsfähigkeit und der Einsatzbereitschaft der Soldaten dieser Armee - das, was wir von ihr erwarten, nämlich ein Garant für unsere Sicherheitspolitik. Dieses war heute morgen hier darzustellen. Hierzu ist das Notwendige gesagt worden. Der Versuch der Opposition, etwas anderes zu wollen, muß akzeptiert werden. Er ist jedoch nicht gelungen. Das ist auch gut so, weil - ich sage das mit aller Ernsthaftigkeit - sonst die Sache Schaden nähme, nämlich unsere Streitkräfte und das Sicherheitsbewußtsein, das diese Streitkräfte für uns repräsentieren. Unsere Soldaten haben es nicht verdient, daß so über sie und für sie gesprochen wird, wie Sie, meine Herren von der Opposition, es hier getan haben. ({16}) Unseren Soldaten gebührt unsere Achtung. Sie können auf uns und mit uns rechnen. ({17}) - Herr Dallmayer, wenn Ihnen das noch nicht aufgegangen sein sollte: Ich habe von dem Verhältnis zwischen Bundeswehr und Parlament gesprochen. - Ich bedanke mich. ({18})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 und den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Verlängerung des Welttextilabkommens - Drucksache 9/1044 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Welttextilabkommen - Drucksache 9/1072 Im Ältestenrat und interfraktionell ist für die Aussprache eine Debattenrunde vereinbart worden. Darf ich feststellen, daß das Haus damit einverstanden ist? - Ich stelle dies fest. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dies ist offenbar nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.

Heinz Rapp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001774, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschäftigten der Textil-und Bekleidungsindustrie setzen in diese Debatte hohe Erwartungen. Über 20 000 von ihnen haben am vergangenen Wochenende hier in Bonn für die Verlängerung und Verbesserung des Welttextilabkommens demonstriert. Mit der Entschließung, über die wir heute sprechen, tritt die SPD-Bundestagsfraktion den Forderungen der Gewerkschaft Textil-Bekleidung wie auch den Forderungen der Textil- und Bekleidungsindustrie bei; am Fortgang der dieser Tage in Genf wiederaufgenommenen Verhandlungen nehmen wir engagiert Anteil. Mit unserer Entschließung geben wir auch unsere Betroffenheit darüber zum Ausdruck, daß von 1968 bis heute allein in der Bundesrepublik Deutschland über 400 000 Beschäftigte der Textil- und Bekleidungsindustrie ihren Arbeitsplatz verloren haben - ohne Frage zum großen Teil, wenn auch nicht ausschließlich als Folge von Niedrigpreiseinfuhren, wobei zu sagen ist, daß Niedrigpreiseinfuhren nicht nur direkt Arbeitsplätze kosten, sondern auch indirekt, Rapp ({0}) und zwar insoweit, als sie den Rationalisierungsdruck verstärken. Wir Politiker müssen aufpassen, daß wir uns bei unserer notwendigerweise abstrakten Befassung mit solchen Entwicklungen - wir betrachten diese Entwicklungen etwa unter dem Gesichtspunkt der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung oder des Strukturwandels - den Blick nicht vor der Tatsache verstellen lassen, daß von über 400 000 menschlichen Schicksalen die Rede ist. In unserem Entschließungsantrag weisen wir darauf hin, daß der ständige Verlust an Textilarbeitsplätzen vor allem Frauen getroffen hat und daß er ohnehin strukturschwache Regionen weiter schwächte. „Strukturwandel" ist eine beschönigende und verschleiernde Formel für etwas ganz anderes, nämlich für den meist definitiven Sturz in Arbeitslosigkeit. Zumal in einer Zeit der Wachstumsschwäche, wie wir sie weltweit haben, strukturiert sich da nichts mehr um von der einen Beschäftigung in die andere hinein. Vielmehr bedeuten weitere Verluste an Arbeitsplätzen in der Textil-und Bekleidungsindustrie jetzt knallhart steigende Dauerarbeitslosigkeit. Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie beschäftigt genauso viele Arbeitnehmer wie die chemische Industrie - das möchte ich hier einmal aussprechen -, und sie beschäftigt doppelt so viele Arbeitnehmer wie die Stahlindustrie. Die Textilwirtschaft ruft nicht nach Staatshilfen, wie sie jetzt im europäischen Subventionswettlauf auch der deutschen Stahlindustrie gewährt werden müssen. Aber, wie gesagt, doppelt so viele Arbeitsplätze wie in der Stahlindustrie stünden auf dem Spiel, wenn es nicht zu einem verbesserten handelspolitischen Flankenschutz käme. Selbst wenn es nur um den Erhalt von Realkapital ginge, wäre zu sagen, daß nach Jahrzehnten des Strukturwandels und der Rationalisierung der Textilarbeitsplatz heute einer der teuersten und kapitalintensivsten in unserem ganzen Produktionsgefüge ist. Meine Damen und Herren, das im Jahre 1974 abgeschlossene und bis Ende dieses Jahres geltende, zwischenzeitlich einmal verlängerte Welttextilabkommen vermag unter den seitdem veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen seinen Zweck nicht mehr hinreichend zu erfüllen, zugleich den Entwicklungsländern einen angemessenen und steigenden Anteil am Welttextilhandel zu sichern und die Industrieländer vor einer unkontrollierten und marktzerrüttenden Überschwemmung mit Textilwaren aus diesen Ländern zu schützen. Ein solches Einerseits-Andererseits ist unter allen Bedingungen schwierig. Die Probleme spitzen sich zwangsläufig zu, wenn der Markt stagniert und so zum Nullsummenspiel wird, in dem einer nur gewinnen kann, was ein anderer verliert. Der Textilverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland stagniert bei 50 Milliarden DM im Jahr. Vor zehn Jahren stammten 22 % dieser Waren aus dem Ausland; jetzt sind es über 50 %. Von 1971 bis heute ist der Einfuhrüberschuß der Bundesrepublik Deutschland im Textilbereich von 1,8 auf über 10 Milliarden DM im Jahr gestiegen, d. h. um über 400 %. Für das, was dazwischen liegt, stehen die erwähnten Arbeitsplatzverluste. Die davon Betroffenen können sich auf die Definition des Begriffs „Marktzerrüttung" im Welttextilabkommen stützen, wenn sie jetzt kategorisch und, wie gesagt, demonstrativ nicht nur die Verlängerung, sondern substantielle Verbesserungen des Welttextilabkommens fordern, sozusagen seine Anpassung an die veränderten und erschwerten weltwirtschaftlichen Bedingungen. Und sie erwehren sich dabei, meine Damen und Herren, zu Recht des immer wieder, vorzugsweise aus akademischen Gefilden, aber auch aus Interessentenkreisen erhobenen Vorwurfs, ihre Probleme protektionistisch zu Lasten Schwächerer lösen zu wollen. Sollte es Leute geben, für die die aufgezeigte Entwicklung der Textileinfuhren in die Bundesrepublik Deutschland da noch nicht beweiskräftig genug ist, so ist ihnen vielleicht mit der folgenden Vergleichsreihe zu helfen: Japan führt pro Kopf und Jahr Textilien im Werte von 38 Dollar ein, die Vereinigten Staaten im Wert von 39 Dollar, Frankreich im Wert von 114 Dollar und die Bundesrepublik Deutschland im Wert von sage und schreibe 225 Dollar. Das Welttextilabkommen bildet den Rahmen für einen Interessenausgleich, den man aus Gründen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, nicht ausschließlich dem Marktgeschehen überlassen kann, weil das reine Marktgeschehen eben einen fairen Interessenausgleich nicht zustande brächte. In diesen Interessenausgleich ist ohne Frage auch das Interesse der Verbraucher an einem breiten und preisgünstigen Angebot an Textilwaren einzubeziehen. Was aber soll man sagen, wenn die Spannen des Handels geradezu gleichschrittig mit der Zunahme von Niedrigpreiseinfuhren gestiegen sind und steigen? Ich denke nicht daran, dem Handel das Recht einer flexiblen Gestaltung der Spannen abzusprechen. Wenn aber, wie die Gewerkschaft Textil-Bekleidung ausfindig gemacht hat, ein paar Herrenstrümpfe aus Südkorea mit dem Importpreis von 68 Pfennigen in der Bundesrepublik Deutschland im Laden 2,10 DM kostet - Spanne: 209 % -, wenn die Spanne bei einem Trainingsanzug aus Taiwan 174 % beträgt, bei einem Damenpullover aus Hongkong 155 %, dann kann der deutsche Verbraucher von der kontinuierlichen Ausweitung der Niedrigpreiseinfuhren nicht allzuviel gehabt haben. Darüber hinaus kann man sich ja vorstellen, wie sich die Importpreise entwickelten, wenn erst die deutsche und die europäische Textil- und Bekleidungsindustrie von einer ungebremsten Flut von Billigeinfuhren vollends hinweggespült wäre. Meine Fraktion hat oft und oft ihre hohe Sensibilität für die Belange und die Interessen der Entwicklungsländer unter Beweis gestellt, die es im Rahmen des Welttextilabkommens hochrangig ebenfalls zu berücksichtigen und auszugleichen gilt. Kann es aber sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit genannt werden, wenn die Ausnutzung billiger Arbeitskraft unter oft menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen kaum etwas zur Ausbildung einer ge3986 Rapp ({1}) deihlichen Sozialstruktur in diesen Ländern beiträgt, weil z. B. die Erträge aus diesen Produktionen aus den Ländern selbst herausgezogen werden und weil sich dort infolge Fehlens unabhängiger Gewerkschaften aufnahmefähige Binnenmärkte gar nicht erst entwickeln können, so daß die Niedrigpreisware im Übermaß in die Industrieländer drängt und dabei womöglich gar noch subventioniert wird? Die wiederum daraus resultierende Zerstörung von Arbeitsplätzen in den Industriestaaten kann - je länger, je mehr - deren Fähigkeit zur finanziellen Zusammenarbeit beeinträchtigen. Was im Welttextilabkommen „geordnete und ausgeglichene Entwicklung des Handels", an anderer Stelle „Handel auf gesunder Grundlage" genannt wird, ist der Ausschluß von catch as catch can, ist die Vermeidung von ruinösem Wettbewerb. Ein Wettbewerb, in dem es auf Grund kraß unterschiedlicher Ausgangssituationen zu Marktzerrüttungen kommt, ein verzerrter Wettbewerb also, kann schwerlich ein produktiver genannt werden. Wer da rigide mit der Alternative „freier Welthandel versus Protektionismus" hantierte, der polemisierte. Ein ungeordneter Welttextilmarkt endete nach ganz kurzer Zeit im Chaos urabgestimmter nationaler Protektionismen, also im Handelskrieg. Die großen Ziele des Welttextilabkommens - eben nicht Abkoppelung, sondern Integration in machbaren Schritten - sind verpflichtend geblieben. Besonders unter den Bedingungen der verschlechterten weltwirtschaftlichen Gesamtsituation aber bedarf das Welttextilabkommen jetzt der Einarbeitung von Zwischenzielen, wie sie im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen gefordert werden. Der Text unserer Entschließung, meine Damen und Herren, stellt noch auf den Zustand vor dem Zustandekommen des einheitlichen Verhandlungsmandats der EG-Kommission ab. Er ist früher konzipiert worden. Mittlerweile gibt es das einheitliche Mandat. Ich will hier auf die Auseinandersetzungen, die zum Mandat geführt haben, gar nicht zu sprechen kommen. Vielmehr möchte ich in der gebotenen Kürze noch einige Anmerkungen zu den in unserer Entschließung aufgestellten Forderungen machen. Da gibt es zur Bemessung der Kontingentszuwächse zunächst neu die Kriterien der Berücksichtigung der voraussichtlichen Verbrauchsentwicklung und der Differenzierung nach lieferstarken industrialisierten Entwicklungsländern, sogenannten Schwellenländern, einerseits und den schwächer entwickelten Lieferländern andererseits. Bezüglich der Schwellenländer, aber auch der in das Welttextilabkommen einbezogenen Staatshandelsländer wird an anderer Stelle gesagt, daß auch für sie der Außenhandel keine Einbahnstraße bleiben dürfe. Es gilt die Forderung, daß auch diese Staaten ihre Textilmärkte in zumutbaren Schritten öffnen müssen. In das Kommissionsmandat ist zusätzlich als Verhandlungsziel ein Surge-Mechanismus eingegangen, durch den verhindert werden soll, daß es im Bereich der sensiblen Waren bei unausgenutzten Quoten zu plötzlichen Einfuhrschüben kommen kann. Hohen Rang, meine Damen und Herren, hat für uns die Forderung, das im Welttextilabkommen angesprochene Ziel des sozialen Fortschritts der Entwicklungsländer durch Normen zu konkretisieren, wie sie z. B. im Katalog der sozialen Mindestbedingungen der Internationalen Arbeitsorganisation genannt sind. Damit sind so elementare und für uns so selbstverständliche Normen gemeint wie das Verbot von Kinderarbeit, Arbeits- und Gesundheitsschutz und das Recht auf den kollektiven Arbeitsvertrag. Eigens hervorgehoben haben wir das Recht auf Errichtung und auf freie Betätigung unabhängiger Gewerkschaften. Zwei Forderungen richten sich an unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft: erstens die nach strikter Anwendung einer fairen Lastenverteilungsformel und zweitens unsere Absage an einen Subventionenwettlauf im Textilsektor, vor dem zu warnen leider einige unserer EG-Partner Anlaß geben. Ein besonderes schwieriges Thema ist die passive Lohnveredelung. Die Aussage, die wir in unserer Entschließung dazu treffen, macht deutlich, daß es nicht angeht, den Unternehmen der Textilwirtschaft handelspolitischen Flankenschutz zu geben, ohne daß dies zum Erhalt von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland führt, weil im Übermaß Produktionen nach draußen gegeben werden. Vor allem in diesem Punkt unterscheiden sich die Forderungen der Gewerkschaft von denen des Industrieverbands. Wir halten es hier mit der Gewerkschaft. ({2}) Im Entschließungsantrag, den die Opposition nachgereicht hat, finden sich diese beiden letztgenannten Positionen - Lohnveredelung und Konkretisierung der Sozialklausel - nicht. Da alle anderen Forderungspositionen unseres Antrags enthalten sind - mit einer einzigen winzigen Ausnahme; da handelt es sich vielleicht um einen Flüchtigkeitsfehler beim Abschreiben -, muß ich annehmen, daß sich die Opposition durch die Vorlage eines eigenen Antrags just von den beiden genannten Positionen distanzieren wollte. Die beiden mickrigen polemischen Spitzen gegen die Bundesregierung, die noch drinstecken, können es ja wohl nicht gewesen sein. Die Arbeitnehmer der Textil- und Bekleidungsindustrie werden begierig sein, nachher vom Sprecher der CDU/CSU zu erfahren, wie er das Fehlen dieser beiden hochsensiblen und schwierigen Positionen - Sozialklausel und passive Lohnveredelung - erklärt. ({3}) Gönnen Sie mir bitte abschließend noch wenige Sätze der Zusammenfassung. Das Welttextilabkommen bietet Flankenschutz im Strukturprozeß und ist als solcher weiterhin und in verbesserter Form erforderlich. Nicht minder wichtig, nein, noch wichtiger ist alles, was den Welthandel aus dem Tief einer Nullsummenveranstaltung herausholt. Wachstum Rapp ({4}) macht einen Interessenausgleich nach vorn möglich, der durch das Welttextilabkommen in mehr defensiver Weise erreicht werden muß. Aber das wäre jedenfalls in wesentlichen Bezügen ein anderes Thema. Wir stimmen der Überweisung unserer Entschließung in die Ausschüsse zu und hoffen, daß es gelingt, in den Ausschüssen eine gemeinsame Entschließung des ganzen Bundestages zuwege zu bringen. Gestatten Sie mir ein allerletztes Wort. Ich sagte zu Beginn, daß die Beschäftigten der Textil- und Bekleidungsindustrie an dieser Debatte Anteil nehmen. Ich denke, ich schulde ihnen ein Wort der Begründung dafür, daß die Debatte in so kleinem Kreis stattfindet. Das hängt mit dem Terminkalender des Herrn Bundeswirtschaftsministers zusammen. Es ist allgemein begrüßt worden, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute zum Welttextilabkommen spricht. Er kann es, wie gesagt, nur zu diesem Zeitpunkt. Ich denke, daß die Beschäftigten der Textil-und Bekleidungsindustrie dafür Verständnis aufbringen. Nochmals versichere ich, daß die ganze SPD-Bundestagsfraktion - deren meiste Mitglieder heute zu diesem Zeitpunkt bereits in ihre Wahlkreise abreisen mußten - an der Sorge der Beschäftigten der Textil- und Bekleidungsindustrie Anteil nimmt. ({5})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt es, Herr Kollege Rapp, daß die Koalitionsfraktionen mit ihrem heutigen Antrag nunmehr die bald einjährigen Bemühungen unserer Fraktion um eine Verlängerung und Verbesserung des Welttextilabkommens unterstützen. Ich verweise dazu auf unsere Kleine Anfrage vom 19. Februar 1981 und auf die Presseerklärung unseres wirtschaftspolitischen Sprechers, Herrn Dr. Waigels, vom 19. März 1981, ebenso auf den Briefwechsel mit dem Bundeswirtschaftsministerium bereits im Jahr 1980. Also nicht wir haben abgeschrieben, sondern Sie sind da hinterher, Herr Kollege Rapp. Wir haben uns angesichts des Schlußtermins des Abkommens und angesichts gewisser Bemühungen interessierter Kreise deshalb frühzeitig für eine Verlängerung ausgesprochen, weil ohne sie größte Arbeitsplatzverluste unumgänglich wären. Dies hat auch die Gewerkschaft Textil/Bekleidung dazu gebracht, sehr früh unsere Aktivitäten zu unterstützen. In Versammlungen und Diskussionen, besonders aber in der großen Demonstration in Bonn sind von seiten der Gewerkschaft harte Vorwürfe gegen die von Ihnen getragene Bundesregierung gefallen, daß diese sich nicht genügend für die Erhaltung der Textilarbeitsplätze einsetze. In den letzten Jahren - so die Gewerkschaft; Sie haben die Zahl wiederholt - seien 350 000 Arbeitsplätze in dieser Industrie vornehmlich wegen der Zufuhren aus Niedrigpreisländern verlorengegangen. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen suchen wir händeringend nach neuen Arbeitsplätzen; leider mit sehr mäßigem Erfolg. Um wieviel mehr müßten wir dann gemeinsam danach trachten, bestehende Arbeitsplätze in gesunden, leistungsfähigen Betrieben zu erhalten! Es geht hier ja nicht um die Abschottung eines Wirtschaftszweiges, der nicht auch das Seinige getan hat und es weiter tun will. Es geht in keiner Weise um eine Schutzmauer für jemanden, der sich dem internationalen Wettbewerb nicht stellen wollte. Es geht auch nicht darum, veraltete Strukturen zu erhalten, veraltete Arbeitsplätze in Europa zu Lasten aufstrebender Entwicklungsländer zu zementieren. Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ist technologisch an der Spitze; sie hat dafür viele Millionen investiert. Bei der heutigen Hochzinsphase spürt sie diese Investitionen leider in sehr negativer Weise. Sie hat eine hervorragende Mitarbeiterschaft, gut ausgebildet, die eine moderne Produktpalette, modische Muster und geschmacklich sehr gute Leistungen hervorbringt. Unsere Industrie ist in der Lieferung pünktlich und, weil es sich meist um mittelständische Firmen handelt, beweglich wie kaum eine zweite deutsche Industriegruppe. Sie ist sogar zu starkem Export in der Lage. 25% ihrer Produkte gehen ins Ausland, allerdings ganz überwiegend in Nicht-WTA-Länder. Trotzdem ist der Import wesentlich größer. Die Bundesrepublik ist der größte Textilimporteur der Welt. Im vergangenen Jahr haben wir für 9,5 Milliarden DM mehr ein- als ausgeführt. Die Bundesrepublik ist auch dasjenige Land, das mit Abstand die meisten Textilien aus Entwicklungsländern einführt. Die Bundesrepublik kann also nicht dafür gescholten werden, daß sie hier versucht, der Textil- u. Bekleidungsindustrie einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Es ist doch so, daß ein großer Teil der Auslandskonkurrenz durch Wettbewerbsverzerrungen, insbesondere durch Subventionen, bevorzugt wird. Der Zugang zu Auslandsmärkten ist durch Handelshemmnisse erschwert. Deshalb ist auch - trotz aller Bemühungen in den 70er Jahren - jeder vierte Betrieb geschlossen worden und jeder dritte Arbeitsplatz verlorengegangen. Zur Zeit ist die Lage besonders schwierig. Von Januar bis April war der Produktionsrückgang 12,4 %, von Januar bis März der Rückgang der Beschäftigtenzahl 5,1 %. Ich bitte auch, zu beachten, daß sich hier wieder einmal zeigt, daß gerade mittelständische Unternehmen beim Abbau von Mitarbeitern sehr behutsam, sehr zögernd sind. Wir haben jetzt noch ca. 550 000 Textilarbeitsplätze. Diesen wollen, ja müssen wir eine Chance der Erhaltung lassen, indem wir für vernünftige Einfuhrpolitik sorgen. Kann jemand dieses Bestreben als verwerflichen Protektionismus angreifen, wenn es nur darum geht, zu verhindern, daß die Importe zu einer solchen Überschwemmung werden, daß eine eigene Textilproduktion nicht mehr möglich ist und alle Arbeitsplätze bei uns verlorengehen? Im übrigen - Herr Kollege Rapp, Sie haben es bereits gesagt - liegen diese Arbeitsplätze vielfach auch in Entwicklungsgebieten, und zwar in den strukturell schwachen Gebieten der Bundesrepublik. Die Textilfirmen bieten Arbeitsplätze vor allem auch für Bauern, die aus der Landwirtschaft ausscheiden müssen, Nebenerwerbsarbeitsplätze, besonders Frauenarbeitsplätze und auch Teilzeit- und Heimarbeitsplätze an. Diese Arbeitsplätze können von keiner anderen Industrie ersetzt werden. Angesichts dessen, was zur Zeit für die Großbetriebe der Stahlindustrie geschieht, kann ich nur sagen: Es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn der mittelständischen Industrie dieser Mindestschutz versagt würde, der weit weniger wirksam ist als die Maßnahmen im Stahlsektor. Den Gegnern des WTA möchte ich auch noch sagen: Würde es dieses Abkommen nicht geben, dann hätten die Länder der Gemeinschaft die Möglichkeit, die Einfuhren nach Art. 19 des GATT zu beschränken, und die meisten würden es tun. Dieses Verfahren wäre für die Niedrigpreisländer wahrscheinlich wesentlich schmerzlicher als die Folgen aus diesem Abkommen, und der Welthandel würde durch ständige Einzelaktionen empfindlicher gestört werden. Mit vernünftig geregelten Liefermengen und Konditionen ist beiden Seiten am besten gedient. Im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen über eine Verlängerung und Verbesserung des Abkommens fordert die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung auf, folgende Forderungen bei den Verhandlungen in Genf zugrunde zu legen und nach Möglichkeit durchzusetzen. Erstens: Eine angemessene Verlängerung. Wir fragen uns: Warum geht man eigentlich nicht auf den Vorschlag des Europäischen Parlaments ein, diese neue Regelung um zehn Jahre zu verlängern? Damit würden Investitionsentscheidungen erleichtert, und zwar auf beiden Seiten. Zweitens. In den kommenden Jahren wird nur noch mit einer minimalen Steigerung des Textilverbrauchs in der Bundesrepublik gerechnet werden können. Die bisher schon zu hohen Zuwachsraten der Niedrigpreisimporte - in den letzten Jahren war bei uns mengenmäßig ein Plus von 7 % zu verzeichnen - müssen entscheidend reduziert werden, und zwar bei manchen Waren auf Null. Es geht hier vor allem um die Zuwächse, nicht um den Bestand, um das, was bisher geliefert worden ist. Drittens. Die Liste der hochsensiblen Produkte muß sorgfältig überprüft werden. Hier soll den Experten der Wirtschaft die Möglichkeit gegeben werden, ihre Argumente erfolgreich anzubringen. Ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, aber wenn die Importquote bei manchen Artikeln bis zu 50 oder 60 % beträgt, z. B. bei Strümpfen oder Nachtwäsche, dann muß hier eine entsprechende Änderung in dem Katalog der hochsensiblen Produkte zustande kommen. Viertens. Über 70 % der vom WTA erfaßten Einfuhren kommen aus den sogenannten Schwellenländern. Deren Industrie ist technisch hochentwikkelt, Lohn- und Nebenkosten sind dazu so niedrig, daß unsere heimische Textilindustrie im Ernstfall gegen diese Länder keine Chance hätte. Dazu kommen hohe Subventionen dieser Länder, um Devisen ins Land zu holen. Außerdem schirmen sich diese Länder gegen Europa ab, so daß die Gegenseitigkeit der Handelsbeziehungen oft nicht gegeben ist. Die Schwellenländer - Hongkong, Taiwan, Südkorea und Brasilien - liefern allein 62 % der Niedrigpreiseinfuhren in die Bundesrepublik. Die Handelsbilanz der Bundesrepublik mit diesen vier Ländern ist mit 4,2 Milliarden DM im Defizit. Das zeigt die Fragwürdigkeit der Vorstellung, durch äußerst generöse Importpolitik zu Lasten unserer heimischen Textilarbeitsplätze den Export anderer Branchen stärken zu können. Nun gibt es zweifellos arme Entwicklungsländer, die zur Deckung ihres Lebensunterhalts und für die Bezahlung ihrer wichtigsten Einfuhren auf Textilexporte angewiesen sind. Sie müssen die Chance haben, eine steigende Menge ihrer Produkte in die Industriestaaten zu liefern. Diese Regelung müßte möglich sein, so daß diese Entwicklungsländer zu Lasten der Mengen der Schwellenländer einen größeren Anteil bekommen. Fünftens. Die Umgehungseinfuhren, besonders über die DDR, haben teilweise einen großen Umfang angenommen, wie verschiedene Strafverfahren in der Bundesrepublik gezeigt haben. Deshalb sind diese Umgehungseinfuhren mit Nachdruck zu bekämpfen, und die eingeführten Mengen müssen den jeweiligen Lieferländern voll auf ihre Importkontingente angerechnet werden. Sechstens. Eine Änderung der Importlastenteilung innerhalb der EG zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland muß vermieden werden. Um dies sicherzustellen, muß die Bundesregierung in Zukunft von den regionalen Schutzklauseln ebenso Gebrauch machen wie andere EG-Mitgliedstaaten, die Grenzen für die Produkte aus den Niedrigpreisländern schließen. Sonst wird die Bundesrepublik Deutschland zum Abladeplatz für Waren, die in anderen EG-Ländern unerwünscht sind. Dies sage ich, obwohl ich im Grundsatz für eine möglichst restriktive Anwendung der Schutzklauseln bin. Nun, Herr Kollege Rapp, zur passiven Lohnveredelung. Auch dazu haben wir etwas zu sagen, aber wir haben dieses Thema erst vor kurzem im Wirtschaftsausschuß behandelt. Deshalb ist es in unserer Entschließung nicht mehr enthalten. Dort ist ja einstimmig beschlossen worden, daß der passive Lohnveredelungsverkehr aufrechterhalten bleiben muß, daß die Regelung so elastisch wie möglich gehalten werden muß. Vor allem bei den Schwellenländern sollte ein Teil der Kontingente in passive Lohnveredelung umgewandelt werden können, und - darauf lege ich besonderen Wert - diese Möglichkeit der Mischkalkulation sollte vor allem den Produktionsbetrieben vorbehalten bleiben und nicht von Handelsfirmen ausgenutzt werden können. Sie wissen sicher, was ich damit meine. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bemühungen um einen Interessenausgleich im Welttextilhandel müssen durch die Wiederherstellung eines fairen innergemeinschaftlichen Wettbewerbs ergänzt werden. Wir haben deshalb in unserem Antrag folgendes gefordert: Erstens. Die vertragswidrigen Subventionspraktiken sind durch Verabschiedung eines EG-Subventionskodexes für den Textil- und Bekleidungssektor abzubauen. Hier, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie die Möglichkeit, sofort noch einen Wunsch zu berücksichtigen, nämlich Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben, wenn Sie solche verbotenen Beihilfen erkennen. Das ist zur Zeit bei dem belgischen Texilbeihilfeplan, bei dem Claes-Plan, der Fall. Da sollten Sie aktiv werden. Zweitens. Eine restriktivere Handhabung von Art. 115 des EWG-Vertrags ist notwendig. Das bedeutet, daß die Bundesregierung ihren Einfluß dahin gehend geltend machen sollte, daß die EG wirklich ein Binnenmarkt bleibt, ein Markt ohne Begrenzung und ohne ständige Unterbrechung durch die Anwendung des Art. 115. Diese ständige Abschirmung der Grenzen durch einzelne Mitgliedsländer - bei Frankreich war das im letzten Jahr fast zweihundertmal der Fall - zerstört den gemeinsamen Markt. Drittens. Der Abbau technischer Handelshemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit Textil- und Bekleidungsprodukten - z. B. die Ursprungskennzeichnung - ist ebenfalls notwendig. Aber auch darüber haben wir in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses gesprochen. Der dort gefaßte Beschluß erfolgte einstimmig. Wir sind gegen solche Kennzeichnungspflichten, vor allem dann, wenn sie dazu dienen, eine gewisse Strömung im Land zu unterstützen, nur Ware zu kaufen, die aus dem eigenen Land kommt. Solche und andere Hemmungen des freien Warenverkehrs widersprechen dem Geist der EG und wirken zerstörend. Wir sind uns alle darüber im klaren, daß ein Scheitern der Verhandlungen über das Welttextilabkommen zu einem Chaos auf den Weltmärkten, einem ausufernden Protektionismus und einem rückläufigen Welttextilhandel führen würde. Dies alles würde den Entwicklungsländern keine Vorteile bringen, sondern, wie es Herr Kollege Rapp und auch der Vorsitzende der Textilgewerkschaft gesagt haben, nur einem Teil des internationalen Handels. Deshalb lassen Sie mich zum Schluß noch die Grundsätze zusammenfassen: Erstens. Unsere Arbeitsplätze in der Textilindustrie müssen erhalten werden. Es hilft den Entwicklungsländern nicht, wenn bei uns nochmals zigtausend Arbeitsplätze verlorengehen. Die Folge wäre nur ein Schrumpfen unserer finanziellen Möglichkeiten, den Entwicklungsländern zu helfen. Zweitens. Auf weite Sicht muß der Verbraucher für Textilprodukte mehr zahlen, wenn wir keine eigene Textilindustrie mehr haben; dann geraten wir in eine Abhängigkeit. Ich erinnere nur an die Argumente, die hier zur Zeit bezüglich des Stahls angeführt werden. Drittens. Es kann keine Rede davon sein, daß wir hier künstlich etwas erhalten wollen, was nicht erhaltenswert ist. Diese Industrie hat in beeindruckender Weise gezeigt, was man bei der Umstrukturierung aus eigenen Kräften erbringen kann. Sie ist vielleicht überhaupt das Musterbeispiel für eine gelungene Umstrukturierung. Sie ist absolut konkurrenzfähig, wenn entsprechende Rahmenbedingungen gegeben sind. Viertens. Wir wollen keine totale Abschottung. Das Welttextilabkommen ist nichts anderes als der Versuch, Zuwächse von Liefermengen aus Niedrigpreisländern zu begrenzen, weil sie sonst zu einer Überschwemmung führen würden, die die ganzen heimischen Textilarbeitsplätze vernichten würde. Im fünften mittelfristigen Programm der EG wird als Schwerpunkt neben der Inflationsbekämpfung eine aktive Beschäftigungspolitik gefordert. Dies darf bei fast 9 Millionen Arbeitslosen in der EG wahrlich nicht eine schöne Deklamation bleiben, wenn es um die Erhaltung von Arbeitsplätzen geht. Das Welttextilabkommen ist ein Stück solcher Beschäftigungspolitik, aber auch ein Stück Struktur- und Mittelstandspolitik. Deshalb muß es verlängert und verbessert werden. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Um mit Herrn Schwörer zu beginnen: Ganz so war es ja nicht, daß wir auf jahrelanges Drängen der CDU nun doch nachgegeben und uns zur Verlängerung des Welttextilabkommens bereit erklärt hätten. Man kann über dieses Welttextilabkommen durchaus verschiedener Meinung sein. Ich bitte Sie wirklich herzlich, sich die Mühe zu machen, alles das zu verfolgen, was sämtliche wirtschaftswissenschaftlichen Institute zum Thema Welthandel sagen. Die Behauptung, daß durch die Angebote der Entwicklungsländer in der Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren 350 000 Arbeitsplätze kaputtgegangen seien, ist einfach falsch und schlichtweg so nicht zu halten. Entscheidend ist, daß zwei Drittel unserer Einfuhren aus Ländern der EG kommen. Entscheidend ist, daß natürlich der Kapitaleinsatz und die Rationalisierung in der Bundesrepublik - nicht auf Grund der Entwicklungsländer, sondern um der eigenen Wettbewerbsfähigkeit willen durchgeführt - zu einem ständigen Verlust an Arbeitsplätzen führen. Ich halte es für sehr gefährlich, gerade angesichts der Konferenz von Cancun und den Nord-SüdKonferenzen allgemein so zu tun, als kosteten uns die Billigeinfuhren aus den Entwicklungsländern so viele Arbeitsplätze. Insofern fand ich da nicht viel Neues, außer daß Sie den Vorschlag gemacht haben, Herr Schwörer, die Nachtwäsche zu den hochsensiblen Waren zu zählen. Das ist sicher ein Vorschlag, den der Wirtschaftsminister prüfen muß. Ich nehme an, daß er ihn aufnehmen wird. Herr Rapp sagte, seine Kollegen seien inzwischen in den Wahlkreisen. Nach dem, was ich bei mir in den Nachbarwahlkreisen erlebt habe, habe ich erwartet, daß die SPD heute in voller Fraktionsstärke hier sitzt. Es wurde ständig darauf hingewiesen, daß die SPD-Fraktion diesen „überliberalen" Wirt3990 schaftsminister im Plenum dazu zwingen wird, dieses Welttextilabkommen zu verbessern und zu verlängern. Auch alle Kolleginnen und Kollegen, die hier sind, haben nebenher Wahlkreise. Auch sie hätten natürlich einen Grund, in ihre Wahlkreise zu fahren. Das ist ein wichtiges Thema hier; aber die Kollegen scheinen darauf verzichten zu können. ({0}) Als Freie Demokraten brauchen wir nicht ständig zu wiederholen, daß uns die Arbeitsplätze in den mittelständischen Betrieben der Textilindustrie am Herzen liegen. Wir handeln danach. Aber in meinem Wahlkreis Reutlingen - Herr Schwörer, wir kennen uns ja gut genug - sind eben alle Interessen versammelt, die mit diesem Welttextilabkommen zusammenhängen. Natürlich gibt es Betriebe, die von Billigeinfuhren gefährdet sind. Aber es gibt auch viele Betriebe und Arbeitsplätze, die durch die Ausfuhr von Textilmaschinen gerade in Schwellenländer ihre Existenz sichern müssen. Es gibt viele entwicklungspolitisch engagierte Leute, die der Meinung sind, daß wir, die Bundesrepublik, in diesem klassischen Textilbereich bei einer Handelsbeschränkung mitmachen, die keine zehn Jahre verlängerungsfähig ist. Ich bin schon der Meinung: Man kann über fünf Jahre reden; aber dann muß erneut verhandelt werden. Aber heute zu sagen, man bräuchte bei verschlechterten Bedingungen zehn Jahre gegenüber den Entwicklungsländern, halte ich persönlich nicht für richtig. Auch fünf Jahre sind durchaus ein Planungszeitraum, auf den sich die Unternehmer mit ihren Investitionen einstellen können. Weiter gibt es in meinem Wahlkreis natürlich auch viele Leute, die auf offene Handelsgrenzen in anderen Industriebereichen angewiesen sind. Ich sehe hier Herrn Unland. Wir sind diese Woche von einer sehr instruktiven Japanreise des Wirtschaftsausschusses zurückgekehrt. Es ist, glaube ich, wichtig, hier auch zu erwähnen, welch bedeutende Funktion die Bundesrepublik als einziges Land innerhalb der EG hat und welche Rolle dies international gegenüber den Japanern spielt. Wenn diese liberale Wirtschaftspolitik der Regierung nicht auf internationalen Konferenzen so intensiv vertreten würde, hätten die Japaner heute überhaupt keinen Grund, die letzten Handelshemmnisse abzubauen. Herr Unland, es war für uns erfreulich festzustellen, daß in den japanischen Kaufhäusern hochwertige deutsche Textilien zu tollen Preisen verkauft werden. Das ist eben ein Hinweis darauf, daß wir ein großes Ausfuhrland sind. Deshalb sollten die Gewerkschaft und die CDU-Fraktion nicht so tun, als gefährde der Wirtschaftsminister durch einen falschen Handelsliberalismus Arbeitsplätze. Nein, er hat Verantwortung für alle Branchen. Er hat Verantwortung für alle Arbeitsplätze. Wenn wir uns die gegenwärtige Handelsstatistik ansehen, stellen wir fest, daß die einzige Chance, einen weiteren Einbruch in Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, in mehr Exporten besteht. Deshalb ist das Welttextilabkommen, Herr Schwörer, ein Testfall nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für viele andere entwickelte Länder, die sehr genau darauf achten, welche Position die Bundesrepublik innerhalb der EG einnimmt. Was heute für Textil gilt, könnte morgen genauso für Schuhe, für elektronische Artikel gelten. Das ist eben das Gefährliche. Deshalb muß man hier sehr vorsichtig sein. Die FDP ist es daher auch leid, daß der Wirtschaftsminister von den verschiedensten Seiten als Blitzableiter benutzt wird; ob es nun die Gewerkschaft ist, die natürlich die Bundesregierung meint, aber nur den Bundesminister für Wirtschaft anspricht, oder ob es die Arbeitgebervereinigungen sind, die Dinge von ihm verlangen, die eigentlich eine funktionierende Oppositionspartei selbst in Ordnung bringen müßte. ({1}) Deshalb ist es entscheidend, Herr Waigel, daß in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit diese Stellvertreterkriege gegen ein Mitglied der Bundesregierung aufhören und daß im wirtschaftlichen Bereich wieder ein psychologisches Klima hergestellt wird, das eindeutig unserer Stärke entspricht. Diese Stärke besteht darin, daß wir das exportstärkste Land der Erde sind. Der Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland hat deshalb die Aufgabe, ({2}) dafür zu sorgen, Herr Schwörer, daß wir einen mittleren Kurs wählen. Sie kennen ja die Forderungen der Engländer, der Franzosen und anderer Länder innerhalb der EG. Daher war es richtig, daß wir mit unserem Verhandlungsmandat gezögert haben, bis wir jetzt einen Kompromiß erreicht haben, der unseres Erachtens akzeptabel ist. Wichtig sind für uns fünf Punkte. Erstens eine stärkere Differenzierung der Einfuhren zwischen lieferstarken Schwellenländern - Sie haben das ebenfalls angesprochen, Herr Rapp - und den wirklichen Entwicklungsländern. Dort müssen Umschichtungen vonstatten gehen. Zweitens. Eine strikte Einfuhrüberwachung ist notwendig. Aber das kann eine Regierung nicht allein; dort besteht eben sehr häufig die Roß-und-Reiter-Problematik. Sie haben ja selbst das Problem der Umwegeinfuhren angesprochen. Häufig hängt es natürlich auch, Herr Waigel, an den Unternehmen und den Verbänden selbst. ({3}) - In diesem Fall nicht; ich kann Sie beruhigen. Drittens ist eine andere Lastenverteilung innerhalb der EG erforderlich. Hier ist der CDU/CSU-Antrag nach unserer Auffassung sehr wenig hilfreich; denn er spricht lediglich von „keiner Veränderung" innerhalb des EG-Schlüssels. Wir möchten aber eine Veränderung zugunsten der Bundesrepublik erreichen. Viertens. Wir brauchen eine flexible Regelung des passiven Lohnveredelungsverkehrs. Ich halte diese Frage für sehr, sehr wichtig. Gerade Textilbetriebe mit einem breiteren Produktionsprogramm sind auf die passive Lohnveredelung dringend angewiesen. Wir sollten nicht so tun, als könnten wir hier im Saldo der Arbeitsplätze durch strengere Regelung etwas erreichen. Fünftens. Wir halten es für wichtig, daß die Hauptziele der Textilhandelspolitik der Gemeinschaft nicht ausschließlich den bilateralen Verhandlungen mit den Lieferländern vorbehalten bleiben, sondern im multilateralen Verlängerungsprotokoll verankert werden, weil wir sonst zu wenige Einflußmöglichkeiten auf diese bilateralen Verhandlungen hätten. Alle diese Punkte - ich möchte das wiederholen - dürfen nicht im Widerspruch zu dem stehen, was wir auf Nord-Süd-Konferenzen, zuletzt in Cancun, den Entwicklungsländern versprochen haben, nämlich zu einer Öffnung unserer Märkte. Auch im Deutschen Bundestag muß gegenüber Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen darauf hingewiesen werden, daß das Welttextilabkommen - sicher mit Gründen - eine Ausnahme ist. Es ist eine befristete Ausnahme von den international geltenden GATT-Regeln. Deshalb bedarf es ständig der Begründung, deshalb halte ich auch die Forderung der Gewerkschaften und der CDU nicht für richtig. ({4}) - CDU/CSU oder CSU/CDU, Herr Waigel; wie Sie wünschen -, dieses Abkommen für zehn Jahre zu verlängern.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schwörer?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Bitte, Herr Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haussmann, ist Ihnen entgangen, daß ich nur gefragt habe, warum der Bundeswirtschaftsminister bzw. die Verhandlungsdelegation nicht wenigstens auch den Beschluß des Europäischen Parlaments erwogen hat, eine Frist von zehn Jahren vorzusehen? Ich habe nicht gesagt, daß die CDU/CSU das beantragt hat.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke für die Richtigstellung. Wir haben das natürlich erwogen; aber wir haben gute Gründe, nicht auf die zehn Jahre einzugehen. Lassen Sie mich abschließend noch kurz etwas zu den Forderungen der Gewerkschaft sagen, wir sollten stärker auf Entwicklungsländer einwirken, damit deren Kosten durch die Anerkennung gewisser sozialer Mindeststandards angehoben werden. Ich habe mich im Entwicklungshilfeausschuß informiert. Dies ist ein schwieriges Thema. Wir können dieses Ziel im Welttextilabkommen erneut als soziales Ziel verankern; wir haben aber in praxi in unserer Wirtschafts- und Entwicklungspolitik keine konkreten Instrumente, um dies zu erreichen. Wer Entwicklungsländer kennt, weiß auch, wie empfindlich sie sind, wenn von einem Industrieland versucht wird, in die inneren sozialen Verhältnisse einzuwirken und ihnen Vorschriften zu machen. Zum anderen ist es in den Entwicklungsländern leider so, daß auch Arbeitsplätze mit geringem Lohn immer noch anstrebenswert sind, und deshalb ist es das Ziel, arbeitsintensive Produktionsfaktoren durch billige Löhne im Land zu halten, und nicht so sehr durch ein starkes Anziehen der Löhne dafür zu sorgen, daß wiederum andere Entwicklungsländer diese Arbeitsplätze bekommen. Das sind die Hintergründe, die es der Bundesregierung einfach unmöglich machen, mehr als dieses soziale Ziel durch praktische Verhandlungen umzusetzen. Bei diesem Thema sollten aus meiner Sicht - das ist meine persönliche Meinung - auch die Gewerkschaften über eine Forderung nachdenken, die wir wiederholt aufgestellt haben: Eine differenzierende Lohnpolitik sollte die Frage berücksichtigen, ob es auch heute richtig ist, daß im Textil- und Bekleidungsbereich genau die gleichen Löhne wie im Metallbereich gezahlt werden müssen, wo ganz andere Wettbewerbsverhältnisse vorherrschen. Ich komme zum Schluß und möchte betonen, daß wir bei aller Diskussion über das Welttextilabkommen nicht vergessen sollten, daß nach meiner Meinung eigentlich die Frage des Kampfes gegen Subventionen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft von größerer Bedeutung ist. Zwei Drittel der Einfuhren kommen nicht aus Entwicklungsländern, sondern aus der Europäischen Gemeinschaft. Herr Schwörer, mich freut es, daß Sie meinen Vorschlag vom 30. September zum Subventionskodex hier aufgenommen haben. Ich habe mich informiert. Offiziell gibt es die Subventionen noch nicht, und wenn wir hier einen Subventionskodex forderten, würde bei den europäischen Nachbarländern der Eindruck entstehen, daß wir davon ausgehen, daß diese Subventionen kommen. Deshalb halte ich es im Moment für wichtiger, gegen den Claes-Plan anzugehen, und zwar mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, und dafür zu sorgen, daß diese Hauptbedrohung unserer Arbeitsplätze, die nicht aus den Entwicklungsländern, sondern aus den entwickelten Nachbarländern kommt, schon im Vorfeld von der Bundesregierung bekämpft wird. - Herzlichen Dank. ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt es, daß wir Gelegenheit haben, auf der Grundlage der beiden Entschließungsanträge, aus denen auch nach unserer Meinung ein einheitliches Papier werden kann, dieses außerordentlich schwierige und vielschichtige Thema kurz zu diskutieren. Ich hätte mich, offen gestanden, nicht zu Wort gemeldet. Jedenfalls habe ich mich veranlaßt gefühlt, dies zu tun, als der Kollege Rapp meine Anwesenheit zitierte. Selbstverständlich wollte ich bei dieser Debatte da3992 bei sein, und insofern bedanke ich mich für die Rücksichtnahme auf meinen Terminkalender. Einige Bemerkungen lassen sich vielleicht doch anfügen. Man muß sich über eines im klaren sein. Ein so exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik Deutschland muß in diesem Bereich mit äußerster Vorsicht tätig werden. Man muß sehen, daß wir es bei uns nicht nur mit Textilien, sondern mit sehr vielen Produktionszweigen zu tun haben, und man muß auch sehen, daß nicht zuletzt daraus die außerordentlich vorsichtige und, wie ich finde, verantwortungsbewußte Haltung anderer Industriegewerkschaften folgt, die in einen lauten Ruf nach mehr Schutzmaßnahmen und protektionistischen Maßnahmen nicht eingestimmt haben. ({0}) Das ändert nichts daran, daß wir alle - ich schließe mich hier ausdrücklich ein - großes Verständnis für die Sorgen der Beschäftigten in diesem Bereich haben. Diese können nicht damit getröstet werden, daß andere Leute Maschinen exportieren können, sie wollen ihre Arbeitsplätze behalten, und das ist sicherlich verständlich, und das ist sicherlich unserer Unterstützung wert. Daß eine solche Auseinandersetzung - Herr Kollege Haussmann, vielen Dank für Ihre assistierenden Worte - gelegentlich draußen anders klingt, als wenn man sich in den vier Wänden des Bundeswirtschaftsministeriums oder anderenorts mit denselben Gesprächspartnern unterhält, gehört zur Spielregel, glaube ich; daran muß man sich gewöhnen. Dann muß man auch ein bißchen publikumswirksam beleidigt reagieren. Vielleicht meint man das auch gar nicht so besonders ernst. Ich habe mit Interesse dem zugehört, Herr Schwörer, was Sie uns hier vorgetragen haben. Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Aber ich will nur ein paar Zitate noch einmal wiederholen: 550 000 Arbeitsplätze wollen, ja müssen wir erhalten. - Nicht einmal die Gewerkschaft Textil glaubt, daß wir dazu in der Lage sind, niemand, auch nicht der Gesamtverband Textilindustrie. Sie sagten, wir müßten die Liste der sensiblen Produkte ergänzen. Herr Haussmann hat das mit der Nachtwäsche aufgegriffen. Vielen Dank für diesen Auftrag. Da wird es natürlich außerordentlich prekär. ({1}) Herr Schwörer, die Anwendung des Art. 115 durch Frankreich gefährde den Gemeinsamen Markt, wurde gesagt. Bisher hat Ihre Fraktion die Bundesregierung immer aufgefordert, gegen die übermäßige Anwendung des Art. 115 vorzugehen. Sie empfehlen uns, wir sollten ihn nun auch mehr in Anspruch nehmen. ({2}) - Wenn die anderen es tun, müssen dann auch wir zur Zerstörung des Gemeinsamen Marktes beitragen? Ist das die logische Konsequenz? Zehn Jahre schlagen Sie uns für die Verlängerung des Welttextilabkommens vor. Vorher haben Sie selber gesagt, daß der Wettbewerbsdruck, dem die deutsche Textilindustrie immer ausgesetzt gewesen ist - nicht zuletzt dank des zuerst von Ihnen gestellten Bundeswirtschaftsministers übrigens -, dazu geführt hat, daß sie eine der leistungsfähigsten Textilindustrien der Welt ist, eine der kapitalintensivsten Industrien in der Bundesrepublik Deutschland, mit einem ungewöhnlich hohen Exportanteil. Eines stimmt ja nicht: daß es im wesentlichen die Billigimporte aus den Billig-Lieferländern seien, die hier die Importmenge ausmachen. Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen steht es richtig. Der größte Teil ist der Druck aus den Industrienationen, der hier als Import in unseren Markt kommt. Sie, Herr Schwörer, fordern die Bundesregierung auf, in Genf dies und das durchzusetzen. Sie wissen natürlich ganz genau, daß die Bundesregierung in Genf überhaupt nicht am Verhandlungstisch sitzt. Sie kann dort gar nichts durchsetzen. Sie kann allenfalls der Kommission ein Mandat erteilen und dann, wenn sie sich mit neun anderen geeinigt hat, versuchen, etwas durchzusetzen. ({3}) - Das ist gar nicht formalistisch. Ich komme zum Kernpunkt. Das Welttextilabkommen ist natürlich ein massives Stück Protektionismus und paßt in ein außenwirtschaftlich liberales Welthandelssystem, das wir alle wollen und das die Bundesrepublik als erstes Land der Welt aus Selbsterhaltungsgründen wollen muß, überhaupt nicht hinein. ({4}) - Dann sagen wir es doch wenigstens, meine Damen und Herren. Ich bin ja auch der Meinung, daß uns nichts anderes übrigbleibt, als hier in der gegebenen Lage den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Aber sich hinzustellen und zu sagen, das Welttextilabkommen und die Ergänzung und Verschärfung hätten mit Protektionismus überhaupt nichts zu tun, brächte ich jedenfalls nicht fertig. Das überlasse ich gerne Ihnen. ({5}) Es ist natürlich richtig, daß ohne Welttextilabkommen massive nationale Beschränkungen den Markt vollständig zerrütten würden. Wir wissen das. Die Entwicklungsländer haben deswegen selber lieber ein Welttextilabkommen, als sich dem Art. 19 des GATT ausgesetzt zu sehen. Von dieser Ausgangsposition aus bewegen wir uns. Nun war es das Ziel der Bundesregierung, ihr Konzept für die Verlängerungsverhandlungen über das Welttextilabkommen so zu gestalten, daß es einen vernünftigen Ausgleich mit herbeiführen könnte zwischen den Notwendigkeiten dieses außenwirtschaftlichen Flankenschutzes für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie einerseits, die wir j a gar nicht bestreiten, und der außenBundesminister Dr. Graf Lambsdorff wirtschaftlichen Gesamtverantwortung der Bundesregierung andererseits. Deswegen begrüßen wir, daß der Ministerrat sich am 17. November 1981 in den bisher offengebliebenen Punkten auf Verhandlungsziele geeinigt - und damit das im Juli beschlossene Mandat ergänzt hat -, die die EG-Kommission in die Lage versetzen, aktiv an den Verhandlungen in Genf mitzuwirken, die am 18. November wiederaufgenommen worden sind. Ich behaupte - ich kann das nicht beweisen -, wenn man das Verhandlungsergebnis des Ministerrates vom 17. und dann 18. November - wir haben da wieder bis in die Nacht verhandelt - schon vier Wochen vorher auf dem Tisch gehabt hätte, wäre am 21. November die Demonstration in Bonn nicht durchgeführt worden, weil sich nämlich ganz wesentlich die Forderungen, die dort aufgestellt worden sind, mit dem Verhandlungsmandat decken, nicht in allen Punkten, aber ganz weitreichend. Daß Sie eine einmal angesetzte Veranstaltung drei Tage vorher nicht absagen können, ist völlig klar. Deswegen braucht man das auch gar nicht übelzunehmen. Man muß es ernst nehmen. Denn immerhin bewegen sich j a eine große Zahl von Menschen dorthin, um für ihre Arbeitsplätze einzutreten, um für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Aber wir sind gar nicht so schrecklich weit auseinander. Wir sind uns auch völlig einig - sowohl mit der Gewerkschaft Textil wie mit dem Gesamtverband Textil -, daß die Bundesregierung die Verhandlungstaktik für ihre Position selber bestimmen muß. Über Inhalte kann man streiten, aber wie verhandelt wird und zu welchem Zeitpunkt wir verhandeln und unsere Dinge vorbringen wollen, das ist unsere Sache. Das kann uns nicht von außen, von niemand vorgeschrieben werden. Wir haben es nie anders sehen können, als daß dieses Welttextilabkommen, das am 31. 12. dieses Jahres ausläuft, frühestens am 30. 12. verlängert und unterschrieben werden wird, wenn es gut geht. Das hat es noch nie gegeben, daß man so etwas Monate vorher hinkriegt. Wie soll das plötzlich diesmal anders werden? Dann kommt hinzu, meine Damen und Herren, daß in dieser Frage die einzelnen Beschränkungen und Zusätze und was Sie weiter angeregt haben und was öffentlich diskutiert wird, gar nicht so sehr in dem Rahmenabkommen des Multifaserabkommens enthalten sind, sondern in 29 bilateralen Selbstbeschränkungsabkommen, die alle noch bis zum Ende des nächsten Jahres laufen und so lange noch gültig sind. Dies wird alles erst im nächsten Jahr verhandelt werden. Wir werden deswegen mit Sicherheit in den nächsten zwölf Monaten, wenn uns daran gelegen ist, viel Anlaß haben, hier noch über Einzelheiten der Entwicklung beim Welttextilabkommen miteinander zu sprechen. Ich will es damit bewenden lassen, meine Damen und Herren, weil ich Sie nicht länger aufhalten möchte und weil ich glaube, daß die Positionen hier im wesentlichen klargestellt sind, weil Ihnen die Position der Bundesregierung bekannt ist und weil wir diese Konzeption, die wir in Brüssel durchgesetzt haben - im übrigen nahtlos gemeinsam mit der Kommission - auch weiterhin durchhalten wollen. Ich möchte nur zu zwei Punkten eine Bemerkung machen. Erstens, Herr Rapp, Ihre Darstellung, die Gewerkschaft sei beim passiven Lohnveredelungsverkehr so zurückhaltend, wie Sie es geschildert haben, entspricht nicht meinem Eindruck. Der passive Lohnveredelungsverkehr, so wie wir ihn hier einsetzen, sichert unsere Arbeitsplätze. Wir kämpfen darum, daß er uns nicht gestrichen wird. Unsere europäischen Partner wollen ihn uns nämlich teilweise nehmen, weil sich die deutschen Unternehmen damit Wettbewerbsfähigkeit und einen Wettbewerbsvorsprung verschafft haben. Wenn das jetzt in die Importquoten einberechnet wird, was dort zurückkommt, ist dieser Wettbewerbsvorsprung dahin, und es würden Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Ich habe nicht den Eindruck, daß wir dies anders sehen als die Gewerkschaft. Herr Schwörer sagt, dies solle nicht für den Handel gelten. Das wäre auch unsere Position; aber ich sage Ihnen schon jetzt: Dies ist in der EG nicht durchsetzbar, nicht zu erreichen. ({6}) - Das „möglichst" haben Sie jetzt hinzugefügt; aber ich nehme gerne davon Kenntnis. Zum Thema Subventionen, meine Damen und Herren! Ich möchte sehr nachdrücklich unterstreichen, was Herr Haussmann gesagt hat: Bitte, keinen Subventionskodex für Textilien vorschlagen! Sonst wird das ja noch salonfähig; da kriegt das ja noch Spielregeln. Das ist alles gegen die Spielregeln. Wir müssen in der Tat, wenn wir den Claes-Plan auf dem Tisch haben - es läßt sich noch immer nicht vollinhaltlich übersehen, was eigentlich darin steht -, überlegen, ob wir beim Europäischen Gerichtshof dagegen klagen. Wir haben das j a in aller Öffentlichkeit gesagt und haben das angekündigt. Wir werden auch dann nicht davor zurückscheuen, wenn wir darin eine Vertragsverletzung sehen, die die Kommission absegnet und der die Kommission nicht in ausreichendem Maße entgegentritt. Wir wollen nicht, nachdem wir die trostlose Entwicklung beim Stahl miterlebt haben, daß sich dasselbe in Gestalt von Subventionen aus den Staatskassen jetzt in der Textilindustrie und dann immer weiter fortsetzt; aber ein Subventionskodex für Textil im gegenwärtigen Zeitpunkt wäre der falsche Weg. Im übrigen bedanke ich mich noch einmal für die Diskussion, auch für die Absicht, aus dieser Entschließung eine gemeinsame Entschließung zu machen. Ich hielte dies für nützlich. - Vielen Dank. ({7})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist beantragt, sowohl den Antrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/ 1044 ({0}) als auch den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1072 an den Ausschuß für Wirtschaft zur weiteren Beratung zu überweisen. Vizepräsident Windelen Darf ich die Zustimmung des Hauses feststellen? - Ich stelle die Zustimmung fest. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. August 1981 zur Änderung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage - Drucksache 9/899 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) - Drucksache 9/1066 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram ({2}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. Dezember 1981, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.