Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung soll nach einer Vereinbarung im Ältestenrat die heutige Tagesordnung um den Beratungspunkt ergänzt werden, der in der Mitteilung „Zusatzpunkt zur Tagesordnung" aufgeführt ist. Diese liegt Ihnen vor:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Bericht der Sachverständigenkommission der Bundesregierung - Zusammenfassender Bericht - über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland - Dritter Familienbericht - sowie Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht
Bericht der Sachverständigenkommission der Bundesregierung über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland
- Dritter Familienbericht -
- Drucksache 9/822 -
Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Sind Sie auch damit einverstanden, daß wir diesen Punkt sofort behandeln? - Es erhebt sich auch kein Widerspruch.
Ich bitte diejenigen, die dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 9/822 zustimmen wollen, um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich habe Ihnen als zweiten Punkt folgendes mitzuteilen: Die Fraktion der FDP schlägt für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Hoffie den Abgeordneten Merker, der bisher stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost war, als ordentliches Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung; es ist so beschlossen.
Damit ist der Abgeordnete Merker als ordentliches Mitglied in den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost berufen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 bis 10 auf:
2. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 ({0})
- Drucksache 9/770 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1981 bis 1985
- Drucksache 9/771 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur ({1})
- Drucksache 9/795 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß ({2})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
4. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kiep, Dr. Jahn ({3}), Dr. Schneider, Dr. Möller, Hauser ({4}), Müller ({5}), Dr. Waffenschmidt, Dörflinger, Günther, Dr:Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter ({6}), Zierer, Dr. Blüm, Clemens, Erhard ({7}), Faltlhauser, Herkenrath, Kolb, Linsmeier, Dr. Pinger, Rühe, Sick, Repnik und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche
Präsident Stücklen
Vergünstigungen zur Förderung des Wohnungsbaus
- Drucksache 9/467 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({8})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Investitionstätigkeit im Baubereich und zum Abbau ungleichmäßiger Besteuerung in der Wohnungswirtschaft
- Drucksache 9/796 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({9})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen ({10})
- Drucksache 9/797 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({11})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
6. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung ({12})
- Drucksache 9/799 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({13}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
7. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ({14})
- Drucksache 9/800 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({15}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsauschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
8. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes ({16})
- Drucksache 9/801 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({17}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
9. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung
der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung ({18})
- Drucksache 9/798 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({19}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
10. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Lammert, Kiep, Dr. Waigel, Müller ({20}), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Müller ({21}), Dr. Warnke, Frau Pack, Ganz ({22}), Günther, Frau Hürland, Link, Löher, Prangenberg, Sauer ({23}), Stutzer, Gerstein, Metz, Vogel ({24}), Borchert, Kittelmann, Vogt ({25}), Frau Fischer, Frau Karwatzki, Reddemann, Schwarz, Breuer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
Strukturkrise der deutschen Stahlindustrie - Drucksache 9/612 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({26})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist gestern erwähnt worden und es ist überhaupt in letzter Zeit nicht nur bei der Opposition, sondern auch in deutschen Zeitungen üblich geworden, uns die Frage zu stellen bzw. uns darauf aufmerksam zu machen, daß wir - damit meine ich sowohl die Bundesregierung insgesamt wie auch den Koalitionspartner Freie Demokraten - die Verantwortung für die wirtschafts- und sozialpolitische Entwicklung der letzten Jahre tragen. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß wir zu dieser Verantwortung stehen und uns zu dieser Verantwortung bekennen.
({0})
Wir bekennen uns, wir stehen auch zu den Fehlern, die dabei gemacht worden sind. Wer Entscheidungen trifft, ob in Politik oder Wirtschaft oder Geschäft, macht auch Fehler. Ich habe das hier auch bei früherer Gelegenheit schon einmal gesagt.
Wir haben daraus - um noch einmal auf den Vorwurf der Wählertäuschung einzugehen - auch im Wahlkampf. des letzten Jahres kein Hehl gemacht. Sie wissen, daß ich immer wieder gesagt habe, es werde eine gute Leistung sein, wenn wir die Bundesrepublik Deutschland in den nächsten vier Jahren in dem Zustand erhalten könnten, in dem sie sich im Jahre 1980 befinde. Vielleicht war das zu optimistisch, wenn man die Dinge heute sieht. Ich habe jedenfalls und wir haben jedenfalls die Probleme nicht verschwiegen.
Meine Damen und Herren, ich habe auch gesagt und sage das auch dem Kollegen Westphal - ich bitBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
te, das nicht mißzuinterpretieren; andere haben es ja auch getan -, daß wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Wie Frau Matthäus gestern hier zutreffend ausgeführt hat, drückt sich das im Leistungsbilanzdefizit aus. Wenn ich „wir" sage, Herr Westphal, dann meine ich nicht den einzelnen kleinen oder großen Mann, sondern zunächst einmal die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir insgesamt haben die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie einem solchen Zustand abgeholfen werden kann.
({1})
-Richtig, natürlich ist dann diese Entscheidung zu treffen.
Heute ist erfreulicherweise festzustellen, daß die Deutsche Bundesbank - heute morgen um 7.15 Uhr im Deutschlandfunk ihr Vizepräsident - davon gesprochen hat, daß die Tendenzwende in der Entwicklung des Leistungsbilanzdefizits eingetreten sei: Keine zu großen Hoffnungen, dies ist eine kurzfristige Entwicklung, aber es ist durchaus ein Ergebnis einer konsequenten Stabilitätspolitik, die die Deutsche Bundesbank mit der Unterstützung der Bundesregierung betrieben hat.
Meine Damen und Herren, ich sagte, wir stehen auch zu den Entscheidungen, die sich als fehlerhaft erwiesen haben. Ich möchte aber auch die Opposition bitten, sich in ähnlicher Weise zu verhalten. Verehrter Herr Kohl, Sie haben uns gestern vorgehalten, 47 % Staatsanteil seien zu hoch. Ich bin absolut bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren.
({2})
Fügen Sie dann aber bitte auch hinzu, daß Sie nahezu allen Entscheidungen, die zu diesen 47 % Staatsanteil geführt haben, als CDU/CSU im Bundestag und Bundesrat - ich ziehe mich nicht nur auf den Bundesrat zurück - zugestimmt haben.
({3})
Wir wollen, meine Damen und Herren, hier und heute nicht die Schlachten der Vergangenheit schlagen, sondern wir wollen Antworten auf Fragen suchen, die unser Land und die Bevölkerung bedrängen.
Welches sind diese Fragen? Selbstverständlich steht ganz oben das Problem der Arbeitslosigkeit, der bedrückenden Entwicklung am Arbeitsmarkt. Deshalb - das Thema ist j a gestern von einem der Kollegen angesprochen worden - hat meine Partei, übrigens schon im Mai, beschlossen, sich im nächsten Monat mit dem Thema Beschäftigungspolitik auf einer Sonderveranstaltung zu beschäftigen. Aber ich möchte alle beruhigen, die daran falsche Erwartungen oder Kombinationen knüpfen: Es wird sicherlich nicht zum Ergebnis haben, daß wir ein aus Steuern oder zusätzlichen Schulden finanziertes Beschäftigungsprogramm empfehlen werden. Man kann doch die beschäftigungspolitische Debatte
nicht nur unter der Verengung auf das Stichwort eines solchen Programms führen.
({4})
Die Lage am Arbeitsmarkt und die Perspektiven am Arbeitsmarkt geben nach wie vor Anlaß zu großer Sorge. Auch Herr Schlesinger hat heute morgen gesagt: Der Arbeitsmarkt ist unter den konjunkturpolitischen Daten ein Spätindikator. Erst mit langer Verzögerungswirkung zeigen sich am Arbeitsmarkt Besserungen der konjunkturellen Entwicklung.
Die Gründe dafür sind in diesem Jahr vielfältig: weltwirtschaftliche Umbrüche, geburtenstarke Jahrgänge, Produktivitätssteigerung und - das muß man offen aussprechen, auch wenn es nicht immer gern gehört wird - Verzerrungen in unserem Lohngefüge, die sich auf die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen negativ auswirken.
Man muß darüber diskutieren dürfen, ob ein zu starker Anstieg der Lohnkosten in Relation zu den Kapitalkosten nicht zu einem höheren Kapitaleinsatz und damit zur Verdrängung von menschlicher Arbeitskraft in unnötigem und übertriebenem Ausmaß führt, ob wir nicht einen zu starken Anstieg der Beschäftigungskosten für die weniger Leistungsfähigen in Relation zu den Leistungsfähigeren hatten, ob nicht auch ein zu starker Anstieg der mit der Neueinstellung von Arbeitskräften verbundenen Risiken in Relation zu den Überstundenzuschlägen ein Hindernis für Neueinstellungen ist und ob sich nicht auch - das ist hier unbestritten - ein teilweise stärkerer Anstieg der sogenannten „Vorteile der Arbeitslosigkeit" negativ auswirkt, wenn diese Vorteile im Verhältnis zu den Realeinkommen bei Arbeitsbeschäftigung existieren. Diese Fragen müssen diskutiert werden. Insgesamt jedenfalls steht fest: Man kann nicht einfach über dieses Thema und über diese Probleme zur Tagesordnung übergehen. Niemand nimmt Arbeitslosigkeit leicht. Es geht hier nicht nur um ökonomische Stabilität; es geht hier auch um gesellschaftspolitische Stabilität.
({5})
Aber ich verwahre und wehre mich dagegen, daß der Bundesregierung oder auch Teilen der Bundesregierung Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeitslosigkeit dann vorgeworfen werden, wenn sie auf Rezeptvorschläge, die sie für ungeeignet hält, mit Nein antwortet. Ein ökonomisches Problem kann nicht dadurch gelöst werden, daß eine Antwort vielleicht politisch wünschenswert erscheint, wenn sie aber ökonomisch sinnlos ist, wenn sie ökonomisch eher schädlich ist.
({6})
Damit ist klar, meine Damen und Herren, daß in der gegenwärtigen Situation - Herr Kollege Westphal, was Sie gestern zu den Beschäftigungsprogrammen der 70er Jahre gesagt haben, findet mit ein paar Einschränkungen, da sie nicht alle hervorragend waren, durchaus meine Zustimmung -, da wir es mit anderen strukturellen Problemen zu tun haben - Sie haben das gesagt -, mit, wie man heute sagt, fremdfinanzierten, also aus Steuermitteln oder
zusätzlichen Schulden finanzierten heterogenen Beschäftigungsprogrammen keine Abhilfe geschaffen werden kann. Damit werden die grundlegenden Ursachen der Wirtschaftsschwäche nicht beseitigt, und die Finanzierung solcher Programme über Steuern oder Kredite verschlechtert die Investitionsbedingungen für die private Wirtschaft. Darauf aber kommt es an.
({7})
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß uns alle Bundesländer noch vor 14 Tagen erklärt haben, sie seien zur Finanzierung derartiger Dinge überhaupt nicht in der Lage. Auch dies ist natürlich für die Bundesregierung ein sehr wesentliches Datum.
Deswegen hat der Bundesfinanzminister mit Recht ausgeführt, daß solche Programme ökonomisch eher schädlich seien. Deswegen muß man von ihnen Abstand nehmen.
Das heißt nun aber nicht, damit sei die Frage beantwortet und die Diskussion beendet, sondern das muß heißen: Wo ist denn die adäquate Antwort auf die von mir aufgezeigten Probleme? Ich denke, daß die weltwirtschaftlichen Umbrüche in erster Linie eine positive Strukturanpassung und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit verlangen. Das ist eine Aufgabe, die von Unternehmen, Tarifparteien und Wirtschaftspolitik gemeinsam gelöst werden muß. Die Devise muß lauten: private Investitionen, Innovationen für neue, kostengünstige, dauerhafte Arbeitsplätze, neue Märkte, neue Produkte zur Verbesserung der Absatzposition im Inland und auf Drittmärkten.
Hierzu sind selbstverständlich in erster Linie die Unternehmen gefordert. Sie müssen die notwendigen arbeitsplatzschaffenden Investitionen in An- griff nehmen, kreativ, risikofreudig und flexibel sein.
({8})
- Und sehr bald, sehr richtig. - Das kann der Staat nicht leisten. In diesem Sinne sagen wir: mehr Markt und weniger Staat, mehr Eigeninitiative und mehr Leistungsbereitschaft.
Die Tarifparteien müssen mit situationsgerechten Lohnabschlüssen helfen, die Kosten zu senken und den Raum zur Finanzierung von Investitionen zu schaffen. Ich möchte auch hier ausdrücklich sagen, daß ich das Verhalten der Tarifparteien und ihre Abschlüsse über die letzten Jahre anerkenne. Die Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, daß dieses Verhalten, über die Jahre hinweg gesehen, verantwortungsbewußt und situationsgerecht gewesen ist.
({9})
Aber selbstverständlich stellen sich jetzt Fragen im Zusammenhang mit den strukturellen Änderungen. Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt und im Lohngefüge müssen abgebaut werden, und stärkere Leistungsorientierung bei der Lohnfindung scheint mir notwendig zu sein. Differenzierungen in
der Lohnstruktur sind notwendig. Dazu gibt es in diesen Tagen außerordentlich interessante Diskussionen, die insbesondere von Gewerkschaftsvorsitzenden eingeleitet worden sind. Ich begrüße es, daß hierüber nachgedacht wird.
Herr Minister Posser hat gestern z. B. die Frage gestellt: Ist denn die Arbeit einer Krankenschwester auf der Intensivstation keine Leistung? Die Antwort darauf: Natürlich ist das Leistung. Zusätzlich muß aber die Frage gestellt werden: Ist nicht die Arbeit einer Krankenschwester auf der Intensivstation - und ein bißchen verstehe ich davon - eine schwerere Leistung als die Arbeit auf einer Normalstation, und findet sich das in der Differenzierung dessen, was sie verdient, irgendwo wieder?
({10})
Das heißt also: sowohl innerbetriebliche Lohnstruktur wie auch Branchendifferenzierung.
Auch wenn das gerade in den letzten Tagen gelegentlich kritisiert worden ist, werden wir das Thema der Arbeitszeitverkürzung als möglichen Lösungsansatz oder Lösungsbeitrag - keiner kann glauben, das löse das Problem; ich habe das nie anders gesehen, und manche Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß wissen das - zu diskutieren haben. Aber ich füge hinzu: Das kann aus meiner Sicht nur eine Diskussion über die Verkürzung der Lebensarbeitszeit sein. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit würde bei dem eklatanten Facharbeitermangel zusätzlichen Überstunden- und Kostendruck mit sich bringen.
({11})
Eine solche Arbeitszeitverkürzung darf nicht so erfolgen, daß der Rentenversicherung zusätzliche, unvertretbare und unbezahlbare Lasten aufgebürdet werden. Hierhin gehören dann auch die gestern von Frau Matthäus in die Debatte eingeführten Punkte Teilzeitarbeit und Jobsharing.
Eines sollten wir bitte nicht übersehen: Spätestens ab 1990 sieht die demographische Entwicklung so aus, daß wir auf dem Arbeitsmarkt mit deutschen Arbeitskräften Sorgen in umgekehrter Richtung haben werden. Hier dürfen die Weichen jetzt nicht in der Weise falsch gestellt werden, daß hinterher nichts mehr korrigiert werden kann.
({12})
Aufgaben der Wirtschaftspolitik? Auch wenn es noch so sehr langweilt, heißt die Antwort: Der Staat muß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern. Kein kurzfristiger Aktionismus, sondern langfristiges Wirken, d. h. eine langfristige Aufgabe.
({13})
In diesem Sinne hat das Kabinett unter dem Punkt Finanzpolitik am 3. September 1981 entschieden und gehandelt.
Die Kollegen Kohl und Strauß haben gestern den Brief, den der Parteivorsitzende der Freien Demokraten im Sommer geschrieben hat, angesprochen.
Herr Genscher selber hat gesagt, er finde sich in der Einbringungsrede des Bundesfinanzministers wieder. Ich möchte hier ganz ausdrücklich bestätigen - es wird auch niemanden wundern -, daß ich mit dem, was der Bundesfinanzminister zur Beschreibung unserer Lage, zur Therapie und zu den Notwendigkeiten gesagt hat, vom ersten bis zum letzten Satz übereinstimme.
({14})
Ich halte nichts davon, meine Damen und Herren, daß wir einen semantischen Streit in der Frage führen: Gibt es die Tendenzwende? Darf man den Ausdruck benutzen, darf man ihn nicht benutzen? Denn wohin führt denn dieser Streit um Worte, der Streit darüber, ob ich nun „Tendenzwende" - ich persönlich bin zwar davon überzeugt, daß sie eingeleitet ist, aber ich will mich gar nicht auf die Wortwahl festlegen -, „massive Kursänderung", „enorme Umkehr in den Staatsfinanzen", wie der Kollege Westphal gestern gesagt hat, oder „neue Weichenstellung" sage? Wichtig ist doch, ob die richtigen Schritte in die richtige Richtung unternommen worden sind.
({15})
Und da bin ich der Auffassung: Dem ist so, das ist geschehen.
({16})
Denn: Erstens. Der Staatsanteil am Sozialprodukt wird 1982 nicht weiter zunehmen, sondern er wird zurückgehen; die Neuverschuldung wird drastisch reduziert.
({17})
- Die Neuverschuldung, meine Damen und Herren, wird drastisch reduziert.
({18})
Zum ersten Mal - nun enttäuschen Sie mich doch nicht aufs neue - habe ich gestern in der Rede des Oppositionsführers gehört, es müsse das Anwachsen der Staatsverschuldung begrenzt werden. Das ist die einzig vernünftige Formulierung; bisher haben Sie immer vom Abbau der bestehenden Staatsverschuldung gesprochen, was zu ruinösen Zuständen an unseren Märkten führen würde.
({19})
Zweitens. Die Rahmenbedingungen für Investitionen sind entscheidend verbessert worden. Es handelt sich immerhin um einen Gesamtbetrag von 16 Milliarden DM zur Verbesserung der Rahmenbedingungen bis 1985: Abschreibungserleichterungen für bewegliche Wirtschaftsgüter, für Betriebsgebäude, Erweiterung des Verlustrücktrages, Verbesserungen im Baubereich, Investitionszulagen im Stahlbereich. Ich brauche das zwar im einzelnen nicht aufzuzählen, aber ich tue es dennoch, meine Damen und Herren, weil die beschäftigungspolitischen Anregungen und Anreize, die hierin liegen, weil die Investitionsverbesserungen und Investitionserleichterungen, die hierin liegen, in der allgemeinen Diskussion in einer Weise stiefmütterlich und schlecht behandelt worden sind, für die ich kein Verständnis habe.
({20})
- Die Frage, Herr Kiep, ist von Ihnen zu Recht gestellt. Die Diskussion ist auch von uns - Frau Matthäus hat das gestern zutreffend gesagt - nicht gerade so geführt worden, daß wir eine Goldmedaille in Public Relations verdient hätten.
({21})
- Ich komme noch zu dem, was Sie auf dem Gebiet geleistet haben, Herr Dregger.
Meine Damen und Herren, dagegen ist im wesentlichen erstens die Erhöhung der Verbrauchsteuern, zweitens die Kürzung der Steuervergünstigung bei Pensionsrückstellungen, die ich persönlich in der gegebenen Situation zwar nicht für sehr erfreulich, aber doch für vertretbar halte, und schließlich der Wegfall des Vorsteuerabzugs bei Betriebs-Pkws zu rechnen, den ich nicht begeistert begrüßt habe. Aber, meine Damen und Herren, mit Recht hat hier gestern jemand darauf hingewiesen, daß es auch darum geht, den Haushalt 1982 auf der Einnahmenund Ausgabenseite auszugleichen. Das ist es ja, was ich bei Ihren Vorschlägen, auch in den vielen, in Frageform gekleideten, zum Teil durchaus bedenkenswerten Anregungen, die der bayerische Ministerpräsident vorgetragen hat, bis heute vermisse: Sie haben bisher keine Antwort auf die Frage gegeben, wie der Bundeshaushalt des Jahres 1982 auf der Einnahmen- und Ausgabenseite ausgeglichen werden kann.
({22})
Und um die Frage geht es heute!
Ich habe gestern, was den Vorsteuerabzug bei Betriebs-Pkws anlangt, dem Kollegen Spöri aufmerksam zugehört. Er hat gesagt, hier sei ein Gerechtigkeitsgefälle abgebaut worden. Das hat einen sachlichen Hintergrund. Aber, meine Damen und Herren, bei dieser Einebnung sind eben leider auch z. B. die Interessen der Taxifahrer mit eingeebnet worden. Das sind doch nun weiß Gott kleine, selbständige Unternehmer, die ein Taxi oder zwei Taxis laufen haben. Bitte, Herr Spöri, deutsche Unternehmer sind nicht alle immer nur unter dem Oberbegriff „Flick" zu subsumieren, sondern vielmehr unter den Hunderttausenden von kleinen Leuten, die sich als Unternehmer betätigen.
({23})
Aber per Saldo verbleibt bei diesen Aktionen und Entscheidungen ein deutliches Plus in der richtigen Richtung hin zu mehr Investitionen und hin zu mehr Innovationen.
Drittens. Dort, wo Sozialleistungen leistungsfeindliche Wirkungen erzeugt haben, ist dem mit unseren Beschlüssen und unseren Vorschlägen entgegengewirkt worden. Es ist - da stimme ich ausdrücklich zu - nicht in das soziale Netz eingeschnitten wor3030
der. Aber man wird sagen müssen, daß - und das ist ja auch notwendig gewesen, was Mißbrauchstatbestände anlangt - das soziale Netz gestrafft worden ist.
Und wenn von einigen Ihrer Vertreter, meine Damen und Herren von der Opposition, gesagt wird, diese Einschnitte seien nicht tief genug gewesen, dann möchte ich doch die Gegenfrage stellen, ob eigentlich wirklich jeder einzelne Posten - Herr Glombig hat es gestern angeführt - so genau unter die Lupe genommen worden ist, daß Sie dieses Urteil aufrechterhalten können. Ich weiß, daß es eine Diskussion über die Absenkung der Sätze beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe gegeben hat. Aber ebenso muß man sich einmal das ansehen, was auf dem Gebiet der Ausbildung, der Weiterbildung, der Rehabilitation, der Eingliederung und ähnlichem weggenommen worden ist. Und das beläuft sich immerhin beim Arbeitsförderungsgesetz auf mindestens 3½ Milliarden DM. Das ist schon ein ganz erheblicher Batzen, der hier weggenommen und eingeschnitten worden ist.
Ich möchte Herrn Glombig und anderen, die das hier gesagt haben, ausdrücklich zustimmen, daß der soziale Frieden wesentlich ist und daß niemand von uns ihn in Frage stellen will. Ich höre gelegentlich Äußerungen, die da meinen, der Wirtschaftsminister habe dafür sowieso kein Verständnis. Glauben Sie ihm doch wenigstens eines: daß dieser soziale Frieden ein entscheidender Produktionsfaktor für die Wirtschaft dieses Landes ist.
({24})
Das ist vielleicht eine Argumentation, die mir abgenommen wird.
Ich bitte noch um eines. Wir haben jetzt offensichtlich aufgehört, uns gegenseitig „soziale Demontage" vorzuwerfen.
({25})
- Ja, verehrter Herr Kohl, wenn Sie das als gewaltigen Fortschritt bezeichnen,
({26})
dann brauche ich mich nicht mehr an das zu erinnern, was ich im Dezember aus Ihren Reihen gehört habe, als man mir vorwarf, ich hätte zur Hatz auf Arbeitslose aufgerufen, als ich die Zumutbarkeitsregeln ändern wollte.
({27})
- Sagen Sie doch nicht „Och", sondern sehen Sie sich an, was Herr Scharrenbroich von der CDA damals zum besten gegeben hat.
({28})
Nur, wenn wir diesen Ausdruck „soziale Demontage" dadurch ersetzen, daß wir uns gegenseitig vorwerfen, wir lüden alles auf den kleinen Mann ab, hat sich zwar die Wortwahl geändert, der Inhalt aber nicht. Vielleicht könnten wir auch darüber noch mal nachdenken.
Ich will noch ein von Herrn Strauß gestern angetipptes Thema ansprechen, das sensibel und heikel ist und über das es Meinungsverschiedenheiten gibt, nämlich die Frage der Karenztage bei der Lohnfortzahlung. Hier gibt es einen Kabinettsauftrag - Herr Genscher hat das in seiner Zwischenfrage gestern deutlich gemacht -, die verfassungsrechtlichen und rechtlichen Probleme, die mit der Einführung von Karenztagen für Beamte, Angestellte und Arbeiter - niemals ist von irgend jemand etwas anderes vorgeschlagen worden, als dies für alle zu tun - verbunden sind, bis zum 31. März 1982 zu prüfen. Dann kommt das Prüfungsergebnis auf den Tisch des Bundeskabinetts, und dann ist die Frage zu entscheiden.
Dabei ist von uns immer gesagt worden, daß dies nicht eine Entlastung der Unternehmen sein soll, sondern daß über eine entsprechende Belastung der Unternehmen mit Zahlungen für Kurzarbeit eine endgültige Entlastung bei der Bundesanstalt für Arbeit eintreten soll und damit mittelbar die Zuschußansprüche an den Bundeshaushalt verringert werden sollen. Das steht hinter dieser Diskussion. Ich weiß, daß es schwer ist, sie emotionsfrei zu führen, besonders für die, die dieses Instrument erfunden haben. Ich kann nur hoffen, daß wir diesen Auftrag und diese Aufgabe, das dennoch zu diskutieren, erfüllen werden.
Fazit: Die Beschlüsse der Bundesregierung haben die Ausgabendynamik in wichtigen Leistungsbereichen begrenzt. Sie stärken das Vertrauen in die Finanzpolitik und in die Leistungskraft unserer Volkswirtschaft.
Dabei bin ich dem Finanzminister ausgesprochen dankbar, daß er den Mut gehabt hat, die Risiken anzusprechen, die auch in diesem Haushaltsentwurf selbstverständlich liegen und die man in Zahlen zur Zeit noch gar nicht einfangen kann, die aber vorhanden sind. Weil es solche Risiken gibt, warne ich jeden von uns davor, nun zementierte Positionen einzunehmen, daß für den Fall einer Entwicklung, die schlechter sein sollte, als wir sie annehmen, dies nicht geht und jenes nicht geht und überhaupt nichts bewegbar ist. Wer das anfängt, macht uns immobil und nimmt uns die Möglichkeit, auf die Herausforderungen, die es in den nächsten Jahren geben kann, zu reagieren. Das darf nicht sein.
Wir alle wissen, daß mit den Anstrengungen für 1982 auf dem Gebiete der Haushaltsgestaltung die Aufgabe noch nicht gelöst ist, sondern daß dies auch in den nächsten Jahren ein Problem bleiben wird. Aber was wir jetzt vorgelegt haben, ist in meinen Augen insgesamt ausgewogen, sozial angemessen, gesellschaftspolitisch vertretbar und finanzpolitisch solide.
Ich glaube, Herr Kohl, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Ihre Position, Ihre Opposition, Ihre Kritik sowohl verfehlt als auch unangemessen ist,
({29})
verfehlt, weil der wirtschaftspolitische Ansatz der
Koalitionsmaßnahmen richtig ist, und unangemessen, weil die Oppositionsvorschläge weit hinter den
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Koalitionsvorschlägen zurückzubleiben scheinen, weil kaum Greifbares und Konkretes gesagt worden ist.
Wenn Sie vorschlagen - das ist gestern schon erwähnt worden -, die Subventionen um 5 % zu kürzen, dann ist das vom Ergebnis her überhaupt nicht zu beanstanden, im Gegenteil, es ist wünschenswert. Aber das Problem beginnt doch erst dann, wenn man sagt, wo ich kürzen soll.
({30})
Soll ich dem Bundesinnenminister seine Subventionen für die Bamberger Symphoniker um 5 % kürzen, damit er fünf Geiger wegnehmen kann? Oder was soll eigentlich geschehen? Dies geht mit dem Rasenmäher alleine sicherlich nicht. Man muß jetzt den Mut haben, zu sagen, wo angesetzt werden muß.
({31})
Ich habe außerdem - daß muß ich Ihnen schon dazu sagen - zwei Dinge zu tun versucht. Ich habe eine Synopse aufgestellt, um einmal Ihre ganzen Erklärungen - in allen Bereichen: Fraktionen, Ministerpräsidenten, Partei - auf ein einheitliches Bild zu bringen - ich habe zwölf Seiten zusammenbekommen -, es ist mir nicht gelungen.
({32})
Ein zweites! Sie waren über meine etwas harsche Reaktion nicht erfreut; ich verstehe das. Aber das, was Sie am 9. September als Stellungnahme der Fraktion zu den politischen Beschlüssen der Bundesregierung veröffentlicht haben, das war so inhaltlos, daß Sie besser z. B. das Interview aus dem „Rheinischen Merkur", das der schleswig-holsteinische Ministerpräsident ein paar Tage vorher gegeben hatte, an Stelle dessen beschlossen hätten. Da standen mehr Zahlen, mehr Einzelheiten, mehr Vorschläge darin als in den Beschlüssen der Bundestagsfraktion.
({33})
Ich kann mir nicht helfen, meine Damen und Herren, aber: wenn ich mir vorstelle, was alles hätte beschlossen - vielleicht ist es noch möglich - und hätte bewegt werden können auf finanzpolitischem und wirtschaftspolitischem Gebiet, wenn Sie nur gewollt hätten! Ob Sie gewollt haben, vermag ich nicht zu sagen. Aber, Herr Kollege Kiep, ich hatte den Eindruck, daß die Kritik an Ihnen ganz ungerechtfertigt war. Wenn die Presseberichte stimmen, wonach Sie den Auftrag hatten, einer Kommission vorzusitzen, über Einsparungen zu beraten, aber möglichst kein Ergebnis zu erzielen, dann haben Sie diesen Auftrag, glaube ich, vorbildlich erfüllt.
({34})
Lassen Sie mich, Herr Kiep, bei dieser Gelegenheit eine betrübliche Bemerkung aus meiner Sicht hinzufügen. Ich habe es sehr begrüßt - Sie erinnern sich daran, es ist erst acht oder neun Monate her -, daß die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für Wirtschafts- und Finanzpolitik in Ihrer Fraktion in eine Hand, in diesem Fall in Ihre Hand, gelegt worden sind. Sie haben mir damals mit Ihren Vergleichen über Hamburger Hafenviertel Anlaß zu der Bemerkung gegeben: Nun bleiben Sie bitte mal hier und wechseln Sie nicht den finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher in absehbarer Zeit wieder aus! - Neun Monate her, schon wieder Aufbruch zu neuen Ufern.
({35})
Ich habe nicht wie Herr Häfele Macchiavelli zur Hand. Wilhelm Busch tut's auch. Da steht bei „Plisch und Plum": „Schön ist es auch anderswo, und hier bin ich sowieso." Aber das ist natürlich - ({36})
Aber das ist, glaube ich, nicht die angemessene Position.
Sie müssen sich doch nicht wundern - das sage ich in allem Ernst -, daß draußen im Lande und bei uns der Eindruck entsteht, Sie behandelten die Probleme der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht mit der angemessenen Eindringlichkeit, nicht mit der angemessenen Entschlossenheit, wenn Sie dies so in Ihren personalpolitischen Entscheidungen zum Ausdruck bringen.
({37})
Herr Kiep, Sie kennen natürlich Wilhelm Busch. Die Geschichte geht j a damit weiter, daß der Mann mit dem Perspektiv in der Hand in einen Teich stolpert. Das war aber nicht die Alster.
({38})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort über die wirtschaftliche Position und Situation der Bundesrepublik heute und die Aussichten, wie wir sie sehen, sagen. Wirtschaftlicher Pessimismus - ich möchte das mit allem Nachdruck unterstreichen - ist nicht angebracht.
({39})
Er ist nicht angebracht, obwohl wir sehen, daß die Konjunktur noch nicht genügend auf Touren gekommen ist. Er ist nicht angebracht, obwohl wir sehen, daß die wirtschaftlichen Herausforderungen beträchtlich sind und daß sie noch keineswegs als überwunden gelten können.
Wir haben deutlich positive Entwicklungen zu verzeichnen, vor allem im außenwirtschaftlichen Bereich. Exporte und Auslandsaufträge nehmen kräftig zu; die Importe gehen tendenziell zurück. Vor allem die Abnahme der Ölimporte ist beachtlich. Das Leistungsbilanzdefizit vermindert sich. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres war das Leistungsbilanzdefizit mit 17,5 Milliarden DM kaum höher als im Vorjahr. Hier ist die auch von der Bundesbank in ihrem Monatsbericht festgestellte Tendenzwende eingeleitet oder erreicht.
Meine Damen und Herren, dies ist nun in der Tat ganz wesentlich, denn diese Entwicklung - gerade bei der Leistungsbilanz - geht in ihrer Bedeutung weit über die bloße Registrierung steigender Ex3032
porte und sinkender Importe hinaus. Diese Registrierung ist nur das statistische Zahlenwerk. Die Leistungsbilanzentwicklung zeigt, daß die deutsche Wirtschaft die Herausforderungen annimmt. Die deutsche Wirtschaft ist viel besser als die Presseverlautbarungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
({40})
Die Mär, die deutsche Wirtschaft sei erschlafft, erweist sich erfreulicherweise als falsch. Der Anpassungsprozeß ist in Gang gekommen. Mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der internen Umstrukturierung wird sich die Leistungsbilanz weiter positiv entwickeln.
Dies wirkt sich - wir sehen dies jeden Tag - mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit auf die Wechselkurserwartungen aus. Für einen US-Dollar wurden gestern nur noch 2,27 DM gezahlt. Je stärker aber das Vertrauen in die Deutsche Mark wächst, je mehr wir wieder Aufwertungserwartungen und nicht mehr Abwertungserwartungen für die Deutsche Mark haben, desto niedriger können die Zinsen bei uns im Vergleich zu den ausländischen Zinsen sein. Dies ist der Weg - es ist aber auch der einzige Weg -, auf dem wir uns von der ausländischen Zinsentwicklung abkoppeln können.
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Nach meiner Erwartung wird die Bundesbank am Anfang des nächsten Jahres höchstwahrscheinlich in der Lage sein, eine Zinspolitik zu betreiben, die uns auf dieser belastenden Front der deutschen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik Erleichterung verschafft. Darüber kann schließlich kein Zweifel bestehen: Das beste Konjunkturprogramm, das wir uns denken können, liegt in einer Zinssenkung.
({42})
Es sind ja vor allem die hohen Zinsen, die auf der Investitionsbereitschaft lasten. Es ist doch nicht zu bestreiten, daß ein Unternehmen vor eine schwierige Frage gestellt ist, wenn die Verzinsung aus einem Pfandbrief oder einer Anleihe höher liegt als der erwartete return on investment aus der Anschaffung einer Maschine. Deswegen brauchen wir diese Zinssenkung, aber nicht durch staatlichen Ukas, durch Verordnung, durch Abkoppeln, sondern durch unsere eigene wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Leistung. Anders geht es nicht. Auf diesem Wege sind wir aber.
Je aktiver, je kreativer und je mutiger unsere Unternehmen die Herausforderung annehmen, desto mehr wird das über die Verbesserung der Leistungsbilanz und über die Wechselkurserwartungen auf den Zinssenkungsprozeß durchschlagen. Es ist falsch, auf immer neue staatliche Impulse, Programme oder Vergünstigungen zu warten. Solcher Attentismus schadet nur. Er wirft das einzelne Unternehmen im Wettbewerb zurück. Er behindert die Zinssenkung und vergrößert die Beschäftigungssorgen der gesamten Wirtschaft. Das politische Ceterum censeo dazu ist: Die Wirtschaftspolitik darf nicht zum Entstehen eines solchen Attentismus beitragen. Sie muß ihn abbauen.
Unsere finanzpolitischen Beschlüsse werden zur beabsichtigten Vertrauensstabilisierung an den internationalen Devisen- und Finanzmärkten nur dann beitragen, wenn sie nicht zerredet und wenn sie nicht madig gemacht werden.
({43})
Deshalb darf und kann nicht wieder alles neu diskutiert werden. Wirtschaft und Arbeitnehmer dürfen nicht mit immer neuen Ankündigungen verunsichert werden, und es dürfen keine falschen Erwartungen erweckt werden. Wir müssen rasch Klarheit über die Entwicklung der Staatsfinanzen schaffen.
Meine Damen und Herren, gestern habe ich in einer Zeitung, die der Koalition nicht gerade wohlgesonnen ist, nämlich in der „Welt" einen Aufsatz zur Wirtschaftspolitik unter der Überschrift: „Mit knirschenden Zähnen" gelesen. Den Schlußsatz zur Rede des Finanzministers möchte ich auch hier als Schlußsatz zitieren:
Man sollte die Einbringungsrede - des Finanzministers so nehmen, wie sie gehalten wurde: als einen Appell für Investitionen, damit der soziale Frieden gewahrt werden kann.
Ich bedanke mich.
({44})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiep.
({0}) Kiep ({1}): Jawohl, Herr Wehner. ({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einbringung des Haushalts und die anschließende Debatte sind Stunden und Tage des Bundesfinanzministers. Ich möchte deshalb meine Einlassung mit einer kurzen Bemerkung beginnen.
Herr Kollege Matthöfer, ich glaube, Sie haben ja schon hinreichend Lob und Anerkennung für das gefunden, was Sie in Ihrer Einbringungsrede gesagt haben. Ich möchte dem hinzufügen, daß wir von der Opposition, von der CDU/CSU, Ihnen gerne - bildlich gesprochen - für Ihre Einlassung hier zwei Oskars verleihen möchten: einen Oskar für große Standfestigkeit in fast hoffnungsloser Lage, und zweitens den Oskar für Lernfähigkeit, weil Sie es fertiggebracht haben, in relativ kurzer Zeit auf Grund Ihrer Rede, die Sie hier bei der Einbringung gehalten haben, von einem demokratischen Sozialisten zu einem sozialdemokratischen Marktwirtschaftler zu werden scheinen.
({3})
Diese Tatsache wird j a auch dadurch bestätigt, daß der FDP-Parteivorsitzende und Bundesaußenminister Genscher Sie unmittelbar nach Ihrer Rede voll und ganz für die FDP vereinnahmt hat.
Kiep
Das Hauptthema aber, meine Damen und Herren, ist an diesem heutigen Morgen nach der Rede des Bundeswirtschaftsministers die Wirtschaftspolitik. Ich möchte Sie, Graf Lambsdorff, eigentlich einmal fragen: Wer fragt in dieser Debatte hier eigentlich wen? Verkehren Sie nicht eigentlich die Wirklichkeit zwischen Opposition und Regierung, wenn Sie sich in aller Öffentlichkeit - auch heute wieder - hier hinstellen und gewissermaßen so tun, als ob wir aufgerufen seien, Ihnen ein Rezept dafür zu liefern, wie jetzt die Dinge weitergehen sollen?
({4})
Auch in Ihrer maßvolleren Rede heute vormittag, die sich in gewissen Punkten wohltuend von dem unterscheidet, was Sie der Öffentlichkeit in den letzten Wochen gesagt haben, wird die tiefe Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich.
({5})
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir müssen das, was Sie als Werk zusammen mit Ihrem Koalitionspartner hier vorgelegt haben, an den Ankündigungen messen. Das ist genau das, was auch in der Öffentlichkeit geschieht. Der Anspruch ist ein erheblicher gewesen.
Sie haben als einer der Hauptteilnehmer des „Sommertheaters" - ich würde sagen: sogar in einer herausgehobenen Rolle - ganz gewaltige Erwartungen geweckt. Sie haben am 25. Juni von 15 bis 20 Milliarden DM Einsparungen gesprochen. Sie haben dann in Ottawa noch einmal hinzugefügt, daß Sie knapp unter 20 Milliarden DM bleiben müßten, wenn die Einsparungen das notwendige Volumen, das notwendige Ergebnis haben sollten. Sie sind nicht müde geworden, dies allerorten zu erklären. Heute liegt das Ergebnis vor: Es liegt bei den echten Einsparungen unter 10 Milliarden, und ich darf daran erinnern, daß dieses Sparergebnis oder diese Senkung der Staatsausgaben im Haushalt 1982 nur möglich war unter Inanspruchnahme eines Bundesbankgewinns, von dem Sie zuvor immer erklärt hatten, er dürfe unter gar keinen Umständen in diese Rechnung eingebracht werden.
({6})
- Kommt gleich.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vor der Sparaktion erklärt, daß die Einstellung des Bundesbankgewinns in die Rechnung '82 gleichbedeutend wäre mit einer Bundesregierung, die sich „zum Nulltarif Geld besorgt". Ich zitiere ihn wörtlich. Er hat hinzugefügt, daß die Einstellung des Bundesbankgewinns, der ja gewissermaßen - worüber wir uns einig sind - eine angenehme Begleiterscheinung eines höchst unangenehmen Gesamtzustandes ist, bedeute, daß - ich zitiere Graf Lambsdorff fast wörtlich - der Bundesfinanzminister „nachts im Keller heimlich Geld druckt".
Dann, Graf Lambsdorff, haben Sie zugelassen, daß dieser Bundesbankgewinn in die Rechnung in einer
Höhe eingestellt worden ist, die nicht die Erwartung zulassen kann, daß er in ähnlicher Höhe wieder anfällt. Damit ist bereits jetzt für die Jahre nach 1982 neben vielen anderen Risiken eine neue Haushaltslücke vorprogrammiert.
({7})
Ich darf Sie daran erinnern, Graf Lambsdorff, daß entgegen Ihrer Ankündigung die Senkung der Neuverschuldung 1982 gegenüber 1981 geringer ist als die Summe von Bundesbankgewinn und Steuererhöhungen. Damit, meine ich, wird deutlich, daß Ihr Manöver, das Sie angekündigt haben, nicht stattgefunden hat.
({8})
Ich muß Ihnen sagen, Graf Lambsdorff, daß ich Ihre Ausfälle gegen die Opposition in den letzten Wochen als maßlos und sogar teilweise bösartig empfunden habe.
({9})
Ich verstehe sie gewissermaßen als den Versuch, den Anspruch aufrechtzuerhalten, den Sie mit Ihrer Äußerung vor der Aktion '82 landauf, landab erweckt haben. Ich verstehe Ihre Rolle, die Sie hier spielen, immer stärker als eine Doppelrolle:
({10})
Teilnehmer an einem Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten und zugleich der Versuch, draußen als der „Erhard der 80er Jahre" über die Runden zu kommen. Aber ich sage Ihnen, Graf Lambsdorff: Auch heftige marktwirtschaftliche Brunftschreie im Unternehmerrevier reichen in Bonn nicht aus, um etwas zu bewegen.
({11})
Graf Lambsdorff, ich muß die SPD mit Erlaubnis von Herrn Wehner ein wenig in Schutz nehmen. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, die FDP habe im Bundestagswahlkampf 1980, der ja weniger als ein Jahr zurückliegt, dauernd nur die Realitäten so geschildert, wie sie sind. Ich bitte um Ihre Erlaubnis, doch nur einige ganz wenige Einzelheiten aus dem Wahlprogramm der FDP zitieren zu dürfen, das ja unter Ihrer Federführung, Graf Lambsdorff, entstanden ist. Da haben Sie z. B. die Forderung gestellt, die Entwicklungshilfe müsse in der kommenden Legislaturperiode das 0,7 %-Ziel erreichen; bis 1990 sei das 1 %-Ziel anzustreben. Sie haben dann eine Reihe von weiteren Wünschen und Forderungen angemeldet: die Gewerbesteuer in Stufen abzusenken, die Entfernungspauschale einzuführen, die Erhöhung der Vorsorgepauschale, die Verdoppelung der 800-Mark-Grenze. Mutterschaftsurlaub und Kindergelderhöhung, um nur einige wenige Teile dieses Wahlprogramms zu nennen.
Graf Lambsdorff, wie vereinbart sich denn das mit der Aussage von Herrn Genscher und Ihnen gestern, die FDP sei immer der Rocher de bronze der Solidität in der Finanzpolitik gewesen?
({12})
Kiep
Ich darf vielleicht, nur damit das Kontrastprogramm deutlich wird, Graf Lambsdorff, einen einzigen Satz aus dem Wahlprogramm der CDU/CSU zitieren. Da steht drin: „Zur Sicherstellung dieser Prioritäten" - die wir im einzelnen aufgeführt haben -„sind eine Prüfung bestehender Ausgaben auf ihre weitere Notwendigkeit und die Bereitschaft zu Opfern unerläßlich. Wir sind uns darüber im klaren, daß unser Programm nur im Rahmen der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung und der Lage der Staatsfinanzen verwirklicht werden kann."
Meine Damen und Herren, ich frage Sie selber: Klingt nicht das Programm der FDP wie das Programm einer Partei, die in der Opposition ist und hofft, durch Versprechungen an die Regierung zu kommen? Klingt nicht das Programm der CDU/CSU wie ein Programm einer Regierungspartei, die Verantwortung für die Solidität und Stabilität der Staatsfinanzen trägt?
({13})
Es hat dann viel Kritik von Ihnen, Graf Lambsdorff, hier, sonst und auch gestern in der Debatte an den Vorschlägen der Union gegeben. Vielleicht darf ich Sie, Graf Lambsdorff, noch einmal an eine Eigentümlichkeit unseres parlamentarisch-demokratischen Systems in aller Höflichkeit erinnern. Dieses System sieht nämlich merkwürdigerweise vor, daß die Mehrheit die Regierung stellt und regiert und die Opposition in der Minderheit ist und aus der Minderheit heraus Kontrollfunktionen, Kritik, aber auch konstruktive Begleitung vorzunehmen hat. Wenn Sie diese Grundvorausgabe in unserem System einmal unterstellen, dann müßten Sie eigentlich ehrlicherweise zugeben, daß die CDU/CSU in dieser Lage weit über das hinausgegangen ist, was man mit Fug und Recht von einer Opposition erwarten kann.
({14})
- Verehrter Herr Vorsitzender Wehner, ich bin jetzt versucht - aber die Zeit ist sehr knapp -, Sie noch einmal an das zu erinnern, was Sie persönlich, Herr Wehner, in diesem Hause gesagt haben, als sich die CDU/CSU zusammen mit der FDP in einer Regierungskoalition befand und wir uns in einer wirtschaftlichen und finanziellen Krise befanden, die im Vergleich zur heutigen geradezu blond und blauäugig war.
({15})
In dieser Situation haben Sie hier erklärt: Wir werden keinen Finger rühren.
({16})
Sie haben es noch etwas drastischer gesagt. Sie haben dieses unappetitliche Beispiel von der Wäsche gewählt, die schmutzig sei und die man nicht waschen wolle. Ich darf daran erinnern, daß auch der
Herr Bundeskanzler damals hier im Deutschen Bundestag sogar dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard angedroht hat, er gehöre im Grunde genommen ins Gefängnis, weil er eine Deckungslücke von 3 Milliarden DM habe entstehen lassen.
({17})
- Verehrter Herr Kollege Wehner, wenn Ludwig Erhard Ihnen damals leidgetan hat, dann haben Sie Ihr Mitgefühl aber sehr erfolgreich unterdrückt.
({18})
Wir werden also hier wegen der Vorlage unserer Vorschläge kritisiert, die sich um Welten von dem unterscheiden, was die SPD in ähnlicher Lage getan hat. Wir werden hier von Ihnen, Graf Lambsdorff, kritisiert, weil wir die Ausgabenpolitik der letzten 12 Jahre kritisieren, obwohl wir doch, wie Sie es soeben ausgeführt haben, in allen wesentlichen Punkten den Vorschlägen der SPD/FDP-Regierung zugestimmt hätten. Auch diese Kritik, aus der Verlegenheit Ihrer Situation erwachsen, geht ganz einfach an den Gegebenheiten eines parlamentarischen Systems vorbei; denn was Sie hier fordern, ist nichts anderes, als daß eine Opposition Geschenke der Bundesregierung durch ihr Veto verhindern sollte. Das ist gewissermaßen die gleiche Aufforderung, die man an jemanden richtet, den man bittet, am 23. Dezember eines Jahres den Weihnachtsmann zu erschießen.
({19})
Sie sollten, verehrter Graf Lambsdorff, die Bereitschaft der Opposition, das mitzutragen, dankbar anerkennen, und Sie sollten sich an das halten, was Herr Matthöfer in seiner Einbringungsrede gesagt hat: Es solle keiner politischen Kraft aus ihrer Bereitschaft Schaden erwachsen, an der Bewältigung der Finanzmisere mitzuwirken. Diese goldenen Worte, Herr Kollege Matthöfer, sind bereits gestern in der Debatte von einer Reihe Ihrer Fraktionskollegen nicht beachtet worden. Im Gegenteil, auch Redner der SPD haben die Gelegenheit, wie zu erwarten war, benutzt, um wieder das alte Lied von der sozialen Demontage zu beginnen.
({20})
Warum, Graf Lambsdorff, beginnen wir diese Unternehmung im Jahre 1981? Warum, Graf Lambsdorff, haben wir nicht Jahre des realen Wirtschaftswachstums, wie 1978, 1979 und 1980 benutzt, um hier endlich mit einer Konsolidierung der Staatsfinanzen zu beginnen?
({21})
Kiep
Damals hatten wir reales Wachstum und hätten die Dinge ohne so harte Maßnahmen, wie sie heute notwendig sind, in Gang bringen können.
Herr Hoppe, ich muß zugeben, Sie gehören zu denjenigen, die seit 1976 darauf drängen, daß dies endlich geschieht, aber Sie haben zugleich die Mehrheit dafür geliefert, daß bis zum heutigen Tage nichts geschehen ist.
({22})
Wenn ich Ihre Reden, Herr Kollege Hoppe, einmal freundschaftlich-ironisch karikieren sollte, müßte ich Ihnen sagen, sie erinnern mich an den Werbeslogan einer großen internationalen Ölgesellschaft, der da - jetzt abgewandelt - heißt: Es gibt viel zu tun, lassen wir's liegen.
({23})
Meine Damen und Herren, die Haushaltsproblematik muß - darauf hat Graf Lambsdorff völlig zu Recht hingewiesen - im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang gesehen werden. Auf den ersten Blick - auch das haben einige Redner der SPD hier gestern ausgeführt - sieht das Bild der Bundesrepublik Deutschland in dieser Lage im Vergleich zu anderen Ländern relativ günstig aus.
({24})
Aber bei näherem Hinsehen ergeben sich einige schwierige Problembereiche. Nehmen wir die Leistungsbilanz, bei der wir nur hoffen können, daß das eintritt, was Graf Lambsdorff hier als Hoffnung geäußert hat, nämlich daß die Tendenzwende kommt; bisher ist sie nicht unwiderruflich sichtbar. Wir haben im vergangenen Jahr mit 29 Milliarden das größte Leistungsbilanzdefizit aller Industrienationen gehabt.
Wir haben eine Wachstumserwartung, die mit 1 bis 2 % im negativen Bereich angesiedelt ist. Vor allem - das ist unser Hautproblem - haben wir eine steigende Arbeitslosigkeit. Wir haben Verbraucherpreise, die in einer Größenordnung von 6 % steigen. Wir haben eine Verschuldung von insgesamt 460 Milliarden, davon die Hälfte beim Bund.
Wir wissen, daß, gemessen an diesen Problemen, eine Begrenzung der Neuverschuldung auf 26,5 Milliarden für 1982 - wenn es dabei bleibt! - nicht ausreicht, um die Konsolidierung der Staatsfinanzen so überzeugend einzuleiten, daß dadurch eine Plattform entsteht, auf der die Kräfte der wirtschaftlichen Gesundung in Gang gesetzt werden können.
Die Hautprobleme sind die folgenden. Erstens: Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen. Wir müssen in diesem Zusammenhang die Teilzeitarbeit, das Job sharing und andere neue Gedanken voll in unsere Überlegungen mit aufnehmen.
Zweitens. Wir müssen die Abhängigkeit vom Energie-Import als ein wichtiges Thema in den Vordergrund stellen. Dasselbe gilt für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ebenso wie für eine angemessene verstärkte Bemühung um die Erhaltung des Umweltschutzes.
Schließlich müssen wir dafür sorgen, daß in unserem Lande strukturelle Veränderungen stattfinden können.
Die Arbeitsplätze sind, so sagte ich, unsere Hauptsorge. Dazu ist festzustellen, daß wir nach den Aussagen der Fachleute bis 1985 pro Jahr mit 200 000 zusätzlichen Arbeitskräften zu rechnen haben. Hier möchte ich Sie, Graf Lambsdorff, und vielleicht auch den Herrn Bundeskanzler fragen: Können Sie den Widerspruch aufklären, der zwischen der finanziellen Planung und der gesamtwirtschaftlichen Projektion sichtbar wird, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß laut Finanzplan ab 1983 1 Milliarde weniger zur Abdeckung des Defizits in der Arbeitslosenversicherung vorgesehen ist und eine solche Maßnahme ja nur dann ohne Beitragserhöhung und ohne Kürzung der Arbeitslosenbezüge verständlich und machbar wäre, wenn man mit sinkenden Arbeitslosenzahlen rechnen könnte? Genau hier ist der Widerspruch sichtbar, denn die gesamtwirtschaftliche Projektion geht davon aus, daß eine Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen 1985 gegenüber 1980 so gut wie nicht eintritt.
Wenn Sie noch hinzunehmen, daß in dieser Fünfjahresfrist eine Vergrößerung der Zahl der Arbeitsuchenden um insgesamt 1 Million eintritt, ergibt sich die Frage, wie eigentlich 1985 das Defizit gedeckt werden soll, das hier logischerweise entstehen muß, das Defizit, das man bei vorsichtiger Berechnung für das Jahr 1985 irgendwo zwischen 8 und 10 Milliarden DM beziffern muß. Hier müßte der Bundeswirtschaftsminister, hier müßte auch der Bundeskanzler eine Aufklärung geben können.
Wie ist nun die Lage unserer Wirtschaft angesichts der hier übereinstimmend festgestellten Notwendigkeit, die Investitionstätigkeit wieder anzuregen?
Zunächst einmal geht es darum, ein Vertrauensklima zu schaffen. Ich stimme mit allen Rednern, auch denen der SPD, voll überein, wenn sie davor warnen, jetzt hier in eine Weltuntergangsstimmung zu verfallen. Weltuntergangsstimmung und Pessimismus wären zusätzlich zu den konkreten Schwierigkeiten, die wir haben, das Schlimmste, was uns passieren könnte. Wir brauchen Vertrauen, meine Damen und Herren. Und ich muß Ihnen sagen, Graf Lambsdorff: Sie, Ihre Freunde, diese Bundesregierung, die beiden Koalitionsparteien haben in dem Sommertheater des Sommers 1981 einen Beitrag zur Verunsicherung geliefert, der durch nichts übertroffen werden kann.
({25})
Dieses Sommertheater war ein gewaltiges Investitionsverhinderungsprogramm. Mir ist es kalt den Rücken heruntergelaufen, als ich gestern von einigen Rednern hörte, daß dieses Sommertheater, sprich: die Diskussion um die Gestaltung der Staatsausgaben, von Ihnen als eine Daueraufgabe angesehen werde. Dürfen wir denn damit rechnen, meine Damen und Herren, daß diese Diskussion in der bisherigen Form und in dem Stil weitergeht, wenn neue Haushaltslücken, was mit Sicherheit zu erwarten ist, auftauchen?
Kiep
Wir brauchen Vertrauen, aber wir brauchen auch konkrete Erkenntnisse, und wir müssen gewisse Wahrheiten akzeptieren, wenn wir die richtige Politik machen wollen. Die Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen ist zu schwach. Das Eigenkapital unserer Unternehmen ist in der Zeit von 1966 bis 1980 von 30 % auf 20 % der Bilanzsumme gesunken. Die Nettoumsatzrendite ist in der gleichen Zeit um ein Viertel gesunken, nämlich von 3,3 auf 2,4. Die Investitionsquote ist zwischen 1970 und 1980 von 25,6 auf 23,4 % zurückgegangen. Diese Tatsachen sind natürlich auch mit dafür verantwortlich, daß in wirtschaftlichen Schwierigkeiten unsere Unternehmen sehr schnell an den Rand einer Katastrophe geraten können. Regierungsprogramme haben da nichts geholfen - Regierungsprogramme, Graf Lambsdorff, die unsere finanziellen Möglichkeiten überstrapaziert haben, ohne die wirtschaftliche Wirkung hervorzurufen, die im Interesse der Erhaltung unserer Arbeitsplätze notwendig gewesen wäre.
Die effektive Belastung, Herr Spöri, des Unternehmensgewinns ist, wie ich weiß, ein etwas heikles Thema. Es wird erst seit jüngster Zeit bei Ihnen über diese Fragen sehr offen und klar diskutiert. Ich darf Sie daran erinnern, daß es gewaltige Unterschiede der Situation unserer Unternehmen im Vergleich zu Wettbewerbern im Ausland gibt. Das wird deutlich, wenn man sich einmal der Mühe unterzieht, Körperschaftsteuer und Abschreibung zusammenzunehmen, um die effektive Belastung der Unternehmensgewinne - mit der Unterstellung der vollen Reinvestition - zu vergleichen. Wenn Sie das tun, also Körperschaftsteuer und Abschreibungsmöglichkeiten, bezogen auf voll reinvestierte Unternehmensgewinne, zusammennehmen, dann ergibt sich die interessante Zahlenreihe, daß sich z. B. in Großbritannien - aus den besonderen Umständen dort erklärlich -0 Prozent Belastung ergeben, in Frankreich 6,5 Prozent und bei uns 19,4 Prozent. Diese Tatsache zeigt ein Stück Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb muß unsere mittelfristige Politik, auf die ich gleich komme, darauf ausgerichtet sein, diese Unterschiede zu unseren Wettbewerbern auszugleichen, um unseren Unternehmen eine Chance zum Wettbewerb zu geben.
Die Lohnquote, auch ein sehr heikles Thema, meine Damen und Herren, ist von 1970 auf 1980, also in zehn Jahren, von 66,1 % auf 71,8 % gestiegen. Wenn man einmal, rein theoretisch-akademisch, das Verteilungsverhältnis von 1969 auf die heutigen Volkseinkommen überträgt, dann wäre - also bei der Unterstellung des Verteilungsverhältnisses von 1969 in der heutigen Einkommenssituation - ein zusätzlicher Betrag von 60 Milliarden DM für Unternehmensinvestitionen verfügbar. Auch hier liegt ein Stück der Probleme struktureller Art, die es durch die Politik in den nächsten Jahren zu beseitigen gilt.
Ich füge gleich hinzu: Alle Tarifabkommen tragen zwei Unterschriften. Hier ist nicht eine Seite allein verantwortlich.
({26})
- Ich darf Sie aber auch daran erinnern Herr Spöri, daß Sie ausgezogen sind, die Belastbarkeit dieser Wirtschaft zu testen, mit dem Ergebnis, daß wir heute diese Debatte führen müssen.
({27})
Ich frage Sie, ob es wirklich sehr sinnvoll ist, die Unternehmen zunächst einmal bis an den Rand dieser Probleme zu bringen, um dann die Arbeitsplätze, wenn sie in Gefahr sind, durch Staatshilfe - von Ihrer Seite immer wieder gefordert - zu sichern.
({28})
- Herr Kollege Spöri, ich bitte wegen der knappen Zeit sehr um Verständnis, wenn ich - entgegen meiner sonstigen Übung - auf Fragen nicht antworte, aber ich bin von der Geschäftsführung angewiesen worden, absolut in der Zeit zu bleiben, weil jeder der Redner nur 30 Minuten Redezeit hat.
({29})
- Ich bitte sehr um Verständis; ich werde das bei allernächster Gelegenheit mit besonderem Vergnügen nachholen.
({30})
Erlauben Sie mir noch einige wichtige Bemerkungen, was die weiteren Fragen der Wirtschaftspolitik betrifft. Zunächst einmal kommt es darauf an, dafür zu sorgen, daß unsere Unternehmen in ihrer Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften, gestärkt werden, das heißt, wir brauchen mittelfristig eine Verbesserung unserer steuerlichen Situation unter anderen Rahmenbedingungen. Wenn ich sage „mittelfristig", dann nenne ich kein Jahr, weil die Chance für solche Maßnahmen erst dann gegeben ist, wenn die Konsolidierungsmaßnahmen im Bereich der Staatshaushalte greifen. In dem Augenblick aber, in dem die Handlungsfähigkeit zurückgewonnen wird, ist es unerläßlich, daß im Bereich der Steuern und der Belastungen notwendige und überfällige Maßnahmen unternommen werden. Ich möchte besonders daran erinnern, daß wir im Bereich der gewinnunabhängigen Steuern und im Bereich der gewinnunabhängigen Steuern plus Körperschaftsteuer Maßnahmen einführen müssen, die zu einer Renditeverbesserung der Unternehmen - auch im internationalen Vergleich - führen.
Ich darf daran erinnern, daß es auch notwendig sein wird - Kollege Strauß hat gestern davon gesprochen -, bei dieser Veränderung unseres Steuersystems die inzwischen verzerrte Relation zwischen direkten und indirekten Steuern wieder zu korrigieren, und zwar in Richtung auf eine Verstärkung des Prozentsatzes der indirekten Besteuerung zugunsten des Bereichs der direkten Besteuerung.
({31})
Kiep
Diese Maßnahmen sind dringend notwendig, wenn wir die Ertragslage unserer Wirtschaft verbessern wollen.
({32})
Voraussetzung aber ist die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Voraussetzung ist eine deutliche Tendenz- und Trendwende,
({33})
die Wende, von der der Bundesaußenminister und FDP-Parteivorsitzende in großer Ausführlichkeit vor dieser Debatte gesprochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen sagen, daß wir sehr wohl erkennen, daß in Ihrem Programm Entscheidungen enthalten sind, die in die richtige Richtung zeigen. Wir haben j a auch als konstruktive Opposition erklärt, daß wir diese Maßnahmen mittragen und mitunterstützen wollen. Insgesamt können Sie bei Gott davon ausgehen, eine Opposition zu haben, die in dieser schwierigen Lage bereit ist, mehr zu tun, als von Oppositionen in solcher Situation im allgemeinen erwartet werden kann.
({34})
Wenn Sie uns den Vorwurf machen, daß wir in unseren Vorlagen und in unseren Aussagen nicht konkret genug wären,
({35})
dann bitte ich Sie, sich doch wieder einmal daran zu erinnern, daß gerade dieses Angebot der Opposition die Aufforderung an die Regierung beinhaltet, durch konkrete Vorschläge den Rahmen auszufüllen, den wir mit unserem Angebot gesetzt haben. Ich bitte Sie, in der Öffentlichkeit und im Bundestag doch nicht ständig die Rollen zu verkehren und so zu tun, als ob wir die Regierung und Sie, meine Herren, die Opposition seien.
({36})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluß auch nach der Debatte des gestrigen Tages noch einmal daran erinnern, daß die Freien Demokraten und insbesondere ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Graf Lambsdorff in der Vergangenheit als die Apostel der Marktwirtschaft, als diejenigen, die die richtige Richtung vertreten, durch die Lande gezogen sind und daß auch jetzt in dieser Debatte nach der Haushaltserklärung der Bundesregierung immer wieder zum Ausdruck kam: Wenn es einen Partner gäbe, wären wir ja im Grunde genommen bereit, aber es geht ja wohl doch nicht. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß Sie allmählich das Ende der Fahnenstange dieser Politik erreicht haben. In dem Umfange, in dem deutlich werden wird, daß Sie gar nicht mehr imstande sind, mit den sachlichen Schwierigkeiten, die uns etwa in der Abwicklung des Haushalts 1981 und der Gestaltung der Haushalte 1982 folgende, bevorstehen, fertig zu werden, wird auch deutlich werden, daß Sie zu einer Fortsetzung dieser Taktik, die einerseits das Banner der Marktwirtschaft vor sich herträgt, auf der anderen Seite aber die Partnerschaft mit einer Partei fortsetzt, die zu dieser marktwirtschaftsorientierten Politik nicht j a sagt, nicht in der Lage sind. Nirgendwo habe ich dies deutlicher und präziser zusammengefaßt gefunden als in einem Artikel, der vor einigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschien und der neben vielen kritischen Aussagen auch über die Opposition zum Thema der FDP etwas Entscheidendes aussagt. Ich zitiere:
Indem die FDP die Tendenzwende fordert, hat sie eingeräumt, daß sie aus ihrer Sicht nötig sei.
Weiter heißt es in diesem Artikel:
Der große Kompromiß heißt, die SPD konzediert der FDP gesellschaftspolitische Reformen im Sinne der Emanzipation, die FDP konzediert der SPD die schrittweise Möglichkeit größerer ökonomischer Gleichheit.
Meine Damen und Herren, dies ist der entscheidende Punkt für die Zukunft, dies ist die Überschrift über unsere Steuer- und Finanzpolitik der kommenden Jahre: Wenn es uns nicht gelingt, zusätzliche Leistungsbereitschaft unserer Menschen durch eine wiedereingeführte Belohnung von Leistung durchzusetzen, wenn es nicht wieder so ist, daß derjenige, der mehr leistet, auch mehr erhält als derjenige, der weniger leistet, wird die Leistungsbereitschaft weiter geschwächt, wird Leistung nicht hinreichend erbracht und ist unser ganzes Bemühen um ein Wiederingangsetzen der Investitionstätigkeit letzten Endes zum Scheitern verurteilt.
({37})
In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine ich, ist es wichtig, sowohl im Bereich der Besteuerung der Unternehmen als auch im Bereich der Besteuerung des einzelnen zur Kenntnis zu nehmen, daß Belohnung von Leistung in beiden Bereichen Voraussetzung ist, wenn Leistung erbracht werden soll.
Zum Schluß: Alles dies - damit möchte ich das aufgreifen, was von anderer Seite gestern und heute gesagt wurde -, alle diese Veränderungen sind nur möglich in einem Klima des sozialen Friedens. Die wichtigste Rahmenbedingung für die Verwirklichung unserer finanz- und wirtschaftspolitischen Ziele, für die Überwindung der strukturellen Probleme, vor denen wir stehen, ist die Erhaltung eines sozialen Klimas, das das Gespräch, das den Dialog möglich macht, das auch in Zukunft dafür sorgt, daß Partnerschaft anstelle von Klassenkampf die Verhaltensweise der Tarifpartner und der Politiker bestimmt.
({38})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte der letzten Tage
und der letzten Woche über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die jetzige Debatte über den Haushalt und die damit verbundenen Gesetze haben beide eine eigenartige innenpolitische Wetterlage beleuchtet. Die Opposition hatte geglaubt und gehofft, die beiden Koalitionsparteien in einem Tief anzutreffen. Letzten Donnerstag glaubte sie deshalb, sich mit ein paar kalten Kriegern als Rednern begnügen zu dürfen. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit jedoch war negativ, und die Wirkung auf die Koalitionsparteien war natürlicherweise stimulierend.
({0})
Gestern nun haben CDU und CSU jeweils ihren ersten Mann ins Gefecht geschickt, aber die beiden Herren haben eigentlich bloß ihre Zettelkästen geleert, und zur Sache haben wir wenig gehört.
({1})
Die Wirkung auf die Koalition war abermals stimulierend, eine Regierungskoalition übrigens, Herr Kohl, die längst aus ihrem Tief herausgekommen war.
({2})
Ihre Worte und die des Herrn Strauß wie „unerträglich", „zerrüttet", „grotesk", „feige", „betrogen", „Ignoranz", „Hypokrisie" usw. sind noch kein Ersatz für ein finanzpolitisches Konzept der Opposition.
({3})
Ich kann Herrn Strauß nicht mehr ansprechen; er ist schon wieder weg. Er ist eine Eintagsfliege geblieben.
({4})
Aber ich muß doch sagen: Zitate aus Springers „Welt", aus „ddp", aus Balzac, aus Karl Marx und aus Murks - was es alles war - haben zwar viel Gelächter ausgelöst, aber noch keine Aha-Erlebnisse. Wir hätten alle gerne einmal „aha" gesagt: Das also ist das Konzept, das ist des Pudels Kern. Nichts von „aha", bloß Zettelkasten.
({5})
Es ist klargeworden, warum das Konzept ausgeblieben ist,
({6})
obwohl beide von Ihnen über eineinhalb Stunden gesprochen haben. Es ist klargeworden, daß Sie in den eineinhalb Stunden das Konzept nicht vorlegen wollten, weil Herr Strauß dagegen war. Er hat es auch geschrieben; wir haben es gelesen. Das ist ja auch ganz glücklich für ihn. Wenn er nicht dagegen gewesen wäre, hätte er ein Konzept offenbaren müssen. So konnte er sagen: Es lag in meiner Strategie, es nicht zu offenbaren.
Sie haben zusammen nichts, fast überhaupt nichts darüber gesagt - auch Herr Kiep eben nicht; die Hamburger werden es mit Ihnen, Herr Kiep, leicht haben, und auch Herr von Dohnanyi -, wie Sie denn handeln würden, wenn Sie eine Mehrheit besäßen. Sie müssen sich infolgedessen jetzt und in Zukunft allerhand Vermutungen über das gefallen lassen, was Sie wohl täten.
Sie sind mit Ihren Reden dem Maßstab nicht gerecht geworden, den Minister Matthöfer mit seiner Rede gesetzt hatte. Frau Matthäus, Herr Westphal, Herr Posser und viele andere haben Sie mühelos überboten, was sachliche Konzeption und Darstellungskraft angeht.
({7})
- Ja, ich schließe Graf Lambsdorff ein. - Nun war es ja für die Sprecher der Opposition gar nicht so selbstverständlich, sie daß von den Sprechern der Koalition überboten wurden; denn die letztere war in der Tat mehrere Wochen lang in einer sehr miesen Verfassung gewesen.
({8})
Die Koalition hat für ihr Konzept die Zeit von Montag, den 27. Juli 1981, bis Donnerstag, den 3. September 1981, gebraucht. Dazwischen lag eine längere Unterbrechung durch eine Sommerpause, was sich in der Tat als ein eindeutiger Fehler herausgestellt hat.
Wir hatten in dieser Zeit insgesamt drei erhebliche Probleme zu lösen. Erstens: Wir hatten bei der Erarbeitung der Regierungserklärung nach der Bundestagswahl im letzten Herbst das Ausmaß der inzwischen eingetretenen weltwirtschaftlichen Rezession und der rezessiven Auswirkungen auf unser Land weit unterschätzt. Wir waren übrigens nicht die einzigen, die das unterschätzt haben.
({9})
Die Auswirkungen, insbesondere die Arbeitslosigkeit, haben in diesem Sommer erheblich zugenommen. Es bedurfte jetzt also in umgekehrter Richtung einer erheblichen Korrektur.
Zweitens: Die Frage nach dem einzuschlagenden Weg setzte ein übereinstimmendes Urteil über die Ursachen dieser Rezession voraus. Das war noch relativ einfach. Auch die Zielsetzung gemeinsam zu finden, nämlich Arbeitslosigkeit eindämmen, Aufschwung einleiten, Leistungsbilanzdefizit senken, Zinsen senken, war noch relativ einfach.
Drittens: Sehr viel schwieriger war es, die Übereinstimmung über die anzuwendenden Mittel und Instrumente zu finden, steuerliche Instrumente zum Anreiz von Investitionen, Abbau von steuerlichen und Haushaltssubventionen, Kürzungen von Ausgaben und Leistungen. Mir hat es leid getan, daß von diesen zum Teil sehr engagiert geführten Debatten innerhalb der Koalition etwas zuviel in die Öffentlichkeit gekommen ist; denn das hat vorübergehend Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Koalition erlaubt. Aber das liegt nun alles hinter uns.
Ich sehe am Anstieg der D-Mark-Devisenkurse, daß die internationalen Märkte unsere Meinung teilen.
({10})
Ich will das gern erläutern: Der Anstieg der D-Mark beträgt seit dem Tag der Kabinettsbeschlüsse, seit dem 3. September, gegenüber dem Dollar und gegenüber dem Pfund 6 %. Gegenüber anderen Währungen findet er auch statt - dies alles in bloß zwei Wochen, dies alles trotz der Tatsache, daß Geldanleger in New York in Dollar, in London in Pfund, in Paris in Franc natürlich nach wie vor sehr viel mehr Zinsen verdienen können als in D-Mark in Frankfurt oder in Düsseldorf.
Herr Kohl, Sie haben davon gesprochen, daß der deutschen Volkswirtschaft Vertrauen not tue. Ich stimme Ihnen zu; das ist vollständig richtig. Aber ich fordere Sie dann auf, der Deutschen Mark und der hinter ihr stehenden deutschen Volkswirtschaft wenigstens ebensoviel Vertrauen zu schenken wie die internationalen Märkte der ganzen Welt.
({11})
Ich erinnere mich an die teils Schadenfreude, teils Häme, als die D-Mark in diesem Hochsommer gegenüber dem Dollar sehr schwach erschien. Der Dollar stieg auf 2,57 DM; gestern war er schon wieder auf 2,27 DM gefallen. Die D-Mark hat in wenigen Wochen 30 Pfennig gewonnen. Die „FAZ" schreibt heute morgen dazu:
Auf den internationalen Finanzmärkten ... setze sich mehr und mehr eine positive Beurteilung der Entwicklung der deutschen Wirtschaft durch. Immer mehr Anleger zögen daher eine Anlage ihrer Mittel in D-Mark anderen Währungen vor.
Nun heißt es j a, hinter der „FAZ" stecke immer ein kluger Kopf. Herr Dr. Kohl, Ihrer war es diesmal nicht.
({12})
- Das ist nicht billig, sondern das sind Tatsachen, und Sie machen dagegen hier den Nebelwerfer, Herr Barzel.
({13})
Die von Herrn Strauß herausgegebene Wochenzeitung schrieb heute von einer - ich zitiere - „seit Jahren zu beobachtenden Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft". Welch eine schwarzmalerische Verzerrung, die Angst auslösen soll!
({14})
- Richtig. - Und welche Angstmacherei in Ihren Reden gestern bei Herrn Kohl, bei Herrn Strauß! Gewiß haben wir große Probleme, aber unsere deutschen Probleme sind doch nun weiß Gott nicht größer als die der anderen EG-Länder oder der Länder Nordamerikas, der anderen großen Industriestaaten. Im Gegenteil, sie sind etwas kleiner. Und wir werden sie lösen!
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Ich höre, Herr Barzel, Sie werden nach mir reden, wie meistens. Ist es denn etwa nicht wahr, Herr Barzel, daß wir - vom Großherzogtum Luxemburg einmal abgesehen - in der ganzen Europäischen Gemeinschaft und gegenüber Kanada, gegenüber Amerika die geringste Arbeitslosigkeit und den geringsten Preisanstieg gehabt haben und heute haben und daß dazu - unter damals anderen weltwirtschaftlichen, weltkreditpolitischen Bedingungen - unsere bisherige Haushalts- und Kreditpolitik sehr wesentlich und wohltuend beigetragen hat? Ist es denn nicht wahr, daß unsere Reallöhne hier in Deutschland, unsere realen Sozialleistungen, unsere realen Renten im Vergleich zu den soeben genannten Ländern zur Spitze der ganzen Welt gehören? Ist es denn nicht wahr, daß die von Herrn Strauß dramatisch, künstlich beweinte Staatsquote - ich spreche von den Ausgaben des Staates, von Bund, Ländern und Gemeinden, und der Sozialversicherung - in Deutschland fast gleich hoch ist wie in Frankreich, Italien und England, nämlich etwa 44 % des Sozialprodukts? Was sollen denn alle diese Übertreibungen, als ob es bei uns schlecht gehe? Was soll dieses Schreckensgemälde über die angeblich zerrütteten Staatsfinanzen? Ist es denn nicht wahr,
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daß wir mit den Zinsen, die unser Staat alljährlich zu zahlen hat, deutlich unter England und Italien und Japan und den USA liegen, und zwar immer als Anteil an den jeweiligen Staatsausgaben dieser Staaten gerechnet?
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Ähnlich ist es beim öffentlichen Schuldenstand pro Kopf der Bevölkerung. Es gibt ein großes westliches Industrieland, das besser dasteht. Das ist Frankreich. Das wollen wir anerkennen - mit einem bißchen Neid im Hintergrund. Das müssen wir anerkennen. Frankreich hat eine solidere Finanzwirtschaft betrieben. Das ist wahr.
Aber Sie sollen uns doch nicht erzählen, daß wir mehr Arbeitslose als Frankreich hätten oder daß wir niedrigere Löhne oder schlechtere Sozialleistungen hätten. Wir haben also etwas anderes, etwas Positives dafür eingehandelt.
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Noch eines will ich hier deutlich sagen. Wenn wir gegenwärtig wesentlich mehr Staatsausgaben kürzen wollten, wie einige Ihrer Redner in den letzten Wochen in der öffentlichen Debatte verlangt haben, dann könnten wir in der Tat auch die Gefahr deflationistischer Entwicklungen auslösen. Auch das wollen wir nicht. Ich stimme mit der Brüsseler Kommission und ihrem Präsidenten Thorn überein, der mir vor wenigen Wochen in dieser Richtung einen besorgten und mahnenden Brief geschrieben hat.
Wenn wir heute die Staatsausgaben so weit bremsen, wie es durch den Haushaltsgesetzentwurf und die übrigen Gesetzentwürfe, die wir vorgesehen haben, geschehen soll, so tun wir das nicht wegen Ihres törichten Worts vom Staatsbankrott. Sondern wir begrenzen den Zuwachs der staatlichen Kreditaufnahme, weil wir den Kapitalmarkt von Kreditnachfrage entlasten müssen und weil bei den heutigen weltwirtschaftlichen Bedingungen ein zusätzliches Defizit unsere Beschäftigungsprobleme nicht lösen könnte. Ich gebe ausdrücklich Herrn Matthöfer,
Frau Matthäus-Maier und Graf Lambsdorff recht, die diesen Punkt vorgetragen haben.
Warum? Weil wir ermöglichen wollen, daß die Zinsen in Deutschlnd fallen können, damit die Unternehmen und Gewerbebetriebe, die Bauherren und die Häuslebauer wieder zu normalen Zinsen Kredite und Hypotheken aufnehmen können, damit mehr gebaut wird, damit mehr investiert wird, damit unsere Wirtschaft weiter modernisiert wird, damit sie sich den wandelnden Strukturen der Weltwirtschaft noch schneller anpassen kann, damit noch weniger Öl verbraucht wird, damit insgesamt noch weniger Energie verbraucht wird, damit wir unsere Leistungsfähigkeit an den Weltmärkten stärken, und dies alles, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Billiger als gestern können wir gegenüber dem Ausland nicht liefern. Unsere Löhne und unsere Sozialleistungen sind zu hoch dafür; wir wollen sie auch nicht senken. Das heißt also: unsere Lohn- und Lohnnebenkosten sind zu hoch dafür. Billiger werden wir also nicht. Aber wir müssen moderner als gestern werden, leistungsfähiger; wir müssen andere, neue Produkte anbieten, schneller, pünktlicher, einen besseren Service bieten. Bitte, Herr Dr. Kohl, schauen Sie sich doch die Exportzahlen an. Sie steigen doch sehr schön. Verschließen Sie doch bitte nicht immer Ihre Augen, und nehmen Sie einmal die schwarze Brille ab, ehe Sie dieses Pult betreten.
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Diese Modernisierung, diese Anpassung der Struktur unserer Volkswirtschaft an das, was die Weltwirtschaft von uns verlangt, geschieht letztlich zu dem Ziel, daß wir unseren Lebensstandard halten, damit wir mehr Arbeitsplätze und wieder höhere Beschäftigung erreichen können.
Nun stehen wir alle unter starkem wirtschaftlichen Druck, nicht nur in allen westlichen Ländern, sondern auch in allen südlichen Ländern, übrigens auch in den östlichen Ländern. Es gibt gegenwärtig keine Gruppe von Staaten ohne schwerste wirtschaftliche Probleme. Es gibt tatsächlich eine WeltWirtschaftsrezession.
In vielen uns vergleichbaren Ländern haben in den letzten zehn Jahren unter diesem Druck der sich wirtschaftlich verschlechternden Umstände viele Regierungen gewechselt: in Frankreich, in England, in Italien, in Norwegen, in Dänemark, in Holland, in Belgien, in Luxemburg, in Irland, in Schweden, in Kanada, in den USA. In vielen Staaten haben die Regierungen sogar zweimal, ja mehrere Male gewechselt. Ob das in jedem Falle gerecht war, haben wir nicht zu beurteilen. Ob es den Staaten wirtschaftlich genützt hat, will ich auch nicht beurteilen. Bei uns - zum Leidwesen der Christlichen Demokraten - und übrigens auch in Österreich, auch in Japan hat bisher ein solcher Regierungswechsel nicht stattgefunden. Er ist auch nicht nötig und wird auch so bald nicht eintreten, Herr Kiep, auch nicht in Hamburg.
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Sie hatten dieser Tage eine Chance, meine Damen
und Herren von der Opposition. Wenige Augustwochen lang hatten Sie eine Chance, sich als ökonomisch besser beschlagen darzustellen. Nun ist die Chance vorbei. Aber das ist auch gut so. Denn sonst würden Sie durch Spargewaltaktionen möglicherweise doch noch das soziale Netz und vor allem den sozialen Grundkonsens gefährden.
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- Ja, ich meine, was ich sage. - Sie könnten auch die wirtschaftliche Erholung gefährden.
Sie tun bei allen Reden so, als ob wir ein isoliertes Land seien. Aber wir verkaufen ein Viertel unseres Sozialprodukts auf den Märkten der Welt; fast ein Viertel ist Export. Wir können uns aus der Weltwirtschaft nicht abkoppeln. Wir sind fest verflochten, im Guten wie im Bösen, auch mit unseren Arbeitsplätzen. Wer für den Export arbeitet, hängt von den Märkten der Welt ab, und wer mit dem Import sein Geld verdient nicht minder. Wir können uns aus dem Geleitzug nicht entfernen. Was wir aber können und mit Erfolg tun und in der Vergangenheit mit großem Erfolg getan haben, ist, in dem Geleitzug der Industrieländer das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit und der geringsten Inflation zu sein. Das bleibt auch in Zukunft auf unserem mittleren Weg erreichbar, dem mittleren Weg zwischen einer reinen Angebotsökonomie, wie das heute heißt, auf der einen Seite und einer reinen Nachfrageökonomie auf der anderen Seite. In der heutigen inflationistischen Weltlage müssen wir an einem vernünftigen mittleren Weg zwischen Friedman hier und Keynes dort festhalten.
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Gewiß enthalten unsere Gesetzentwürfe und unser Haushaltsgesetz vielerlei schmerzliche Details. Darüber ist schon ausführlich gesprochen worden. Auf zwei Details möchte ich noch einmal eingehen.
Ich weiß, daß die Kürzung des Kindergeldes für die zweiten und die dritten Kinder um jeweils 20 DM für viele schwer zu akzeptieren ist. Ich muß hier allerdings einfügen: Nach der Kürzung wird im ganzen Land für keine Familie das Kindergeld geringer sein als bis zum Jahre 1980 einschließlich. Kinderreiche Familien werden mehr haben als im Jahre 1980. Es scheint so, als ob die CDU/CSU im Bundesrat an Stelle dieser Kürzung beim Kindergeld eine Kürzung beim Bundesausbildungsförderungsgesetz - beim BAföG - für Schüler anvisiert. Das wäre jedenfalls ein härterer Eingriff, und die Bildungschancen der sozial Schwächeren würden betroffen - im Gegensatz zu dem gleichen Kindergeld, gleich für alle.
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Aber wir werden sehen, was Sie im Bundesrat dazu vortragen. Ich will für meine Person sagen: Mir wäre an Stelle von Eingriffen in das Kindergeld am liebsten gewesen, die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten wieder zu beseitigen, die Sie im Bundesrat eingeführt haben.
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Das hat nämlich mit Gerechtigkeit wirklich nicht viel zu tun, was Sie da eingeführt haben, und es kostet viel Geld.
Die zweite Bemerkung zu einem wichtigen Detail betrifft den Verteidigungshaushalt. Der Etat des Bundesministeriums der Verteidigung wird im nächsten Jahr um dieselbe Rate ansteigen wie der Bundeshaushalt insgesamt: um 4,2 %. Das heißt, daß der reale Anstieg geringer sein wird als in den vergangenen zehn Jahren. Allerdings sind auch die ökonomischen Voraussetzungen schlechter als damals. Allerdings sehen sich auch andere Staaten - auch die Vereinigten Staaten von Amerika - gezwungen, aus denselben Gründen ihre Verteidigungsetats, ihre Planungen etwas zu revidieren und zurückzuführen.
Ich möchte hier aber mit aller Deutlichkeit sagen: Die Verteidigungsfähigkeit eines Landes hängt nicht allein von der Höhe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ab. Sie hängt davon ab, ob diese Finanzmittel zweckentsprechend und vernünftig eingesetzt werden. Vor allem hängt sie aber davon ab, daß es junge Männer gibt, die Soldat sein wollen - auch wenn sie dazu keine große Lust und daran keine große Freude haben -, und daß es eine Gesamtgesellschaft gibt, die diese Motivation trägt und bestätigt.
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Das ist bei uns tatsächlich der Fall. Kleine Ausnahmen am Rande bestätigen die Regel. Niemand von uns sollte so tun, als ob eine Million oder eine Milliarde mehr oder weniger für die Bundeswehr auch nur zu einem kleinen Teil so entscheidend sein könnte wie - ich sage es noch einmal - die Motivation und die Ausbildung der jungen Männer und die Motivation der Gesamtgesellschaft, die sie tragen muß.
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Für den Haushalt gilt dasselbe wie für jeden Privatmann: Man kann dieselbe Mark nicht zweimal ausgeben. Das, was wir z. B. für unsere polnischen Nachbarn in diesem Jahr tun und im nächsten Jahr wiederum tun müssen - für die Umschuldung, für die Lieferung von Nahrungsmitteln, für die Lieferung von gewerblichen Gütern -, muß natürlich an anderer Stelle eingespart werden. Wir halten diese über eine Milliarde DM pro Jahr hinausgehende Hilfe für Polen für notwendig, weil es den Menschen dort unvergleichlich viel schlechtergeht, weil es für sie unvergleichlich viel schwieriger ist als für jeden von uns und weil wir nicht so tun können und wollen, als ginge uns das Schicksal der Polen nichts an.
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Das haushalts- und finanzwirtschaftliche Gesamtkonzept, das der Bundesfinanzminister vorgetragen hat, kann sich, wie ich meine, internationaler Kritik durchaus stellen. Es kann sich sehen lassen. Selbstkritisch müssen wir zugestehen, daß wir das, war wir zustande bringen, bis zum Mittwoch eigentlich deutlich unter Wert verkauft haben. Das war Ihr
Glück, Herr Kohl. Das war Ihre Chance, aber Sie haben die Chance nicht genutzt. Wer Ihnen und Herrn Strauß gestern über drei Stunden zugehört hat, hat immer noch keine Ahnung davon, ob Sie ein anderes Konzept haben und wie dieses eventuell aussieht. Herr Kiep hat uns eben auch nicht schlauer gemacht. Die Sache mit dem Weihnachtsmann, den Sie am 23. Dezember nicht erschießen wollen, Herr Kiep, habe ich nicht verstanden. Was ich angeblich im Bundestag zu Ludwig Erhard gesagt haben soll, Herr Kiep, ist eine Erfindung Ihrer Propagandastelle. Zeigen Sie mir im Protokoll, was Sie meinen.
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- Auch das bleibt Ihre Propaganda, Herr Kohl.
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- Sie lesen eine Meldung aus einer Bremer Zeitung vor, die ich seinerzeit dementiert habe. Das ist über zehn Jahre her. Sie haben heute nichts zu bieten. Deswegen wühlen Sie in den Zettelkästen der 60er Jahre.
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Ein Wort an die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften. Hier weiß jedermann, daß ich bei großer Wertschätzung für tüchtige Unternehmensleiter und selbständige Handwerker, Gewerbetreibende, Freiberufler zeit meines beruflichen Lebens Mitglied einer DGB-Gewerkschaft bin und bleibe. Daß der Papst mit seiner neuen Enzyklika die Notwendigkeit freier Gewerkschaften überzeugend begründet, erfüllt mich mit Genugtuung.
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Die Arbeitnehmer tragen in der jetzigen Wirtschaftslage eine schwere Last. Das gilt besonders in einigen Branchen, die in besondere Strudel der weltwirtschaftlichen Krise geraten sind: früher schon der Schiffbau - Herr Kohl wird ja wohl nicht sagen, die Sozialliberalen in Bonn hätten die Schiffbaukrise gemacht -, heute der Stahl - da werden Sie wohl auch nicht sagen, daß wir das gemacht hätten - oder die Textilindustrie.
Ich möchte gern Herrn Strauß nachrufen - nach dem, was er gestern über Arbeitslosigkeit sagte -: Die Stahlkocher - von Duisburg bis Dortmund und in Bremen oder Salzgitter oder in Niederbayern oder in Siegen oder in der Georgsmarienhütte oder an der Saar - werden wenig Verständnis dafür haben, daß wir zwar einerseits im Bundeshaushalt erhebliche Mittel für die Stahlindustrie zur Verfügung stellen, auch für soziale Zwecke, daß aber zum anderen die Uneinigkeit der Vorstände der deutschen Stahlunternehmen unnötig die roten Zahlen verlängert. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe zu dem Urteil des IG-Metall-Vorstandsmitglieds Judith in dieser Sache mehr Vertrauen als zu manchem Vorstand
manches sehr großen, weltangesehenen deutschen Stahlunternehmens.
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Es ist nicht einfach für eine sozialliberale Bundesregierung, der ganzen Stahlbranche zu sagen - das sagt Graf Lambsdorff -: Wir erwarten von euch, daß ihr alles tut, um die Preise zu erhöhen. - Es fällt einem nicht leicht, für Preiserhöhungen einzutreten. Aber wir haben das getan, wir tun das auch heute, weil wir wissen, daß Preise notwendig sind, die die Kosten decken. Ich habe kein Verständnis dafür, daß Quengelei und Eifersucht unter verschiedenen Vorständen dies unnötig verzögern.
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Ein arbeitslos werdender Stahlkocher hat wenig Verständnis für die Überlegungen, die der Ministerpräsident Strauß gestern zum Arbeitslosengeld angestellt hat. Der Stahlkocher hat nämlich sein Leben lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt.
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Und er ist auch nicht freiwillig ohne Arbeit, sondern er ist arbeitslos gegen seinen eigenen Willen und manchmal trotz seiner Verzweiflung. Ich stehe auf seiner Seite.
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Seine Kollegen, auch seine Gewerkschaft, die Gewerkschaften insgesamt werden sich manches anders erhofft haben. Wir hören ihnen zu, wir sprechen mit ihnen. Wir erklären ihnen auch in Tausenden von Belegschaftsversammlungen, was wir tun, warum wir es tun und warum wir es tun müssen.
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Wir haben dabei allenthalben eine Einsicht gespürt: Die Bürger und zumal die Arbeitnehmer sind zu Opfern durchaus bereit, aber sie wollen wissen, ob es alle trifft, ob es sorgfältig geprüft und abgewogen wurde und ob es Erfolg haben wird. Den Erfolg kann niemand garantieren. Schließlich stehen ganz Europa und ganz Nordamerika in diesem Winter vor der höchsten Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten. Aber daß wir uns anstrengen, daß wir mit aller Kraft um diesen Erfolg ringen, das spüren sie.
Ich gehöre zu denen, die wissen, daß es neben den Drückebergern und den Schwarzarbeitern Hunderttausende echter arbeitswilliger arbeitsloser Frauen und Männer in Deutschland gibt. Die Sorge um sie ist heute für mich die größte innenpolitische Sorge. Ich habe als Junge und als junger Mann miterlebt, wie mein behinderter Schwiegervater von 1929 bis 1936, sieben Jahre lang, arbeitslos war. Ich habe es jede Woche miterlebt. Ich weiß, was es damals bedeutete und was es heute bedeutet.
Menschliche Arbeit ist der archimedische Punkt im Leben des Menschen, der archimedische Punkt, aus dem übrigens auch in der neuen Sozialenzyklika der Papst seine Soziallehre, die Soziallehre der Kirche entwickelt. Menschliche Arbeit wird dort zum Schlüsselproblem der sozialen Frage erklärt. Wer da
glaubt, er könne die Lösung des Beschäftigungsproblems allein den selbstheilenden Marktmechanismen überlassen - wobei natürlich die Marktpartner auch gefordert sind -, der könnte sich jedenfalls auf dieses Lehrdokument des Papstes nicht berufen.
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Da wird das ganze ursprüngliche Bekenntnis der Soziallehre der katholischen Kirche zur Interventions- und Gestaltungspflicht des Staates ausdrücklich bekräftigt. Mir liegt es sehr fern - ich bin ein Protestant -, den Papst und seine Enzyklika für meine politischen Auffassungen zu vereinnahmen.
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Wer aber allemal ideologische Krämpfe primitiv-kapitalistischer Art vorführt - das ist ein Ausdruck, den ich der Enzyklika entnehme: Primitivkapitalismus -, wer kritisiert, wenn ein Sozialdemokrat dem Staat den dem Staat zukommenden Teil der Verantwortung zuweisen will, der hat es noch ein bißchen notwendiger als ein Sozialdemokrat, Herr Kohl, diese Enzyklika zu lesen und sie sich innerlich zu eigen zumachen.
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Ich sage dies auch an bestimmte unternehmerische Adressen.
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Die Unternehmensleiter in Deutschland sollten anerkennen - viele tun es auch -, was sie an den Belegschaften, an den Betriebsräten in ihren Unternehmen, was sie an den deutschen Gewerkschaften haben. Viele von Ihnen sind klüger, als die zweckpessimistischen Jeremiaden von BDI oder DIHT vermuten lassen, die Graf Lambsdorff eben apostrophiert hat. Viele der deutschen Unternehmensleiter leisten Vorzügliches. Gerade in diesen Tagen beweisen der gute Anstieg unserer Exportziffern und die Zielländer dieses Exportes diese Leistung.
Bitte - das sage ich auch den Unternehmern -, lassen Sie es den Herrn Strauß wissen, daß entgegen seiner gestrigen Rede ihr „Unternehmergeist" keineswegs „getötet" ist, wie er behauptet hat.
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Lassen Sie Herrn Strauß auch die unternehmerische Erfahrung hören, daß soziale Sicherung, Betriebsverfassung und Mitbestimmung in den deutschen Unternehmen eine größere Stabilität geschaffen haben als in vielen anderen Unternehmen vieler anderer Länder in Europa.
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An die Unternehmer, spezieller noch an die Bankiers, wende ich mich mit der Bitte: Sagen Sie Herrn Strauß laut und deutlich, was Sie von seinem Geschwätz über eine neue Währungsreform tatsächlich halten.
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Ich nehme heute ein Wort wieder auf, das ich nach dem Ausbruch der ersten Ölkrise vor siebeneinhalb
Jahren gebraucht habe. Wir setzen unseren Kurs stetig fort, aber wir konzentrieren uns auf das, was jetzt vordringlich geworden ist: Kontinuität und Konzentration. Ich bin sicher: Das, was wir tun, wird wirken, wenn auch erst im weiteren Verlauf des kommenden Jahres. Unser Export steigt bereits, unsere Leistungsbilanz normalisiert sich bereits, unsere Zinsen werden sinken, unsere Investitionen werden steigen, und ebenso wird dann die Zahl der Arbeitsplätze steigen.
Nun hat Herr Dr. Kohl, der Übung des Hauses entsprechend, die Haushaltsdebatte gestern auch auf andere als Haushaltsthemen ausgeweitet. Seine ernsten und von mir ernst genommenen Passagen zu unserem Freundschafts- und Bündnisverhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika finden, wie Sie wissen, die Zustimmung der Bundesregierung und beider Koalitionsparteien, ebenso Ihre Worte, Herr Dr. Kohl, über die amerikanische Schutzmachtrolle in Berlin. Herr Genscher hat, für die ganze Bundesregierung sprechend, gestern schon darauf geantwortet; aber ich möchte heute ausdrücklich auch mein eigenes Wort hinzufügen.
Ich habe Herrn Minister Haig für seine Bekräftigung des amerikanischen Engagements in Berlin ausdrücklich gedankt und habe ihn gebeten, das auch Präsident Reagan zu übermitteln. Herr Haig hat in Berlin in vorbildlicher, in gelassener Weise auf die ihn betreffenden Demonstrationen reagiert. Er hat in Berlin übrigens eine bedeutende Rede gehalten, in der, neben nachdenkenswerten Passagen, die Aufbruchstimmung in den Vereinigten Staaten von Amerika und der spezifisch amerikanische Optimismus ohne Kraftmeierei zum Ausdruck gekommen sind. Ich freue mich, feststellen zu können, daß das Gleichgewicht der Angelpunkt der amerikanischen Sicherheitspolitik bleibt. Der Haig-Besuch in Berlin und übrigens auch hier in Bonn war eine eindrucksvolle Bestätigung deutsch-amerikanischer Freundschaft, der gemeinsamen westlichen Politik des Gleichgewichts und des Dialogs mit dem Osten, einer gemeinsamen Politik, der wir unsere Sicherheit, unsere Freiheit, auch unsere Weltoffenheit verdanken.
Auf unsere amerikanischen Freunde ist Verlaß, und die amerikanische Nation kann sich auf uns Deutsche verlassen.
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Ich stimme Ihnen zu, beides hat tiefe Wurzeln in gemeinsamen Überzeugungen und Werten, die wir nicht vergessen machen lassen dürfen, auch wenn es bisweilen natürlicherweise Meinungsverschiedenheiten und Interessengegensätze gibt und geben muß. Die gemeinsamen Werte tragen auch das Bündnis, das uns Schutz gewährt, zu dem wir nach unseren Kräften beitragen. Ich sage hier: Die Grundrechte in unserem Grundgesetz - manchem ist das nicht bewußt - stammen nur zum Teil aus deutscher und europäischer Tradition, zum ganz großen Teil stammen sie aus der Freiheitstradition, die in den Vereinigten Staaten von Amerika vor etwas über 200 Jahren begründet worden ist. Wir sind uns dessen bewußt.
({45})
Wir haben mit dem amerikanischen Außenminister vor seinen wichtigen Begegnungen mit seinem sowjetischen Kollegen intensiv über die gemeinsame westliche Linie für die Rüstungskontrollverhandlungen über die eurostrategischen Waffen gesprochen. Die Konsultation darüber wird, wenn die eigentlichen Verhandlungen zu diesem Spezialthema im November beginnen, intensiv fortgesetzt werden, ebenso wie wir unsererseits konsultieren werden, wenn wir mit der sowjetischen Seite in Gespräche eintreten.
Ich habe übrigens - das möchte ich dem Hause sagen - Präsident Reagan bei dieser Gelegenheit offiziell zu einem Besuch in unserem Land eingeladen. Wenn er kommt, wird er erfahren, daß es stimmt, was Herr Kohl gesagt hat, was Herr Genscher gesagt hat und was ich sage: daß Deutsche und Amerikaner Freunde sind.
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Ich will hier hinzufügen, daß wir die Gewaltakte gegen Angehörige der amerikanischen Streitkräfte und deren Einrichtungen zugleich als Anschläge gegen unsere eigene Sicherheit und unsere Freiheit ansehen.
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Wir verabscheuen ganz besonders die dabei erneut sichtbar gewordene Absicht zum Mord.
Die Bundesregierung wird gemeinsam mit unseren amerikanischen und all unseren europäischen Freunden alle Anstrengungen unternehmen, um den Kampf gegen den Terrorismus erfolgreich fortzusetzen. Wir wissen uns darin einig mit der überwältigenden Mehrheit aller Deutschen.
({48})
Deswegen hatte und hat der Terrorismus in den vergangenen Jahren und auch in der Zukunft in unserem Land keine Chance.
Nicht nur mit Amerika, auch mit den übrigen Staaten in Westeuropa ist das Netz unserer Partnerschaft eng geknüpft. Konsultationen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Spadolini vor wenigen Tagen haben ein beiderseits großes Vertrauenskapital und eine Übereinstimmung in allen entscheidenden sicherheitspolitischen und außenpolitischen Interessen und in ihrer Bewertung offenbart. Dem italienischen Staatspräsidenten Pertini, einem europäischen Staatsmann von ganz überragender moralischer Autorität, habe ich für ein wichtiges Gespräch zu danken.
({49})
Ich denke aber auch mit Bewegung an die Begegnung mit Papst Johannes Paul II. zurück, dem ich die Wünsche aller Deutschen, der Katholiken wie der Protestanten wie der Freidenker, zur Genesung
und zur Fortsetzung seiner Friedensmission überbracht habe.
({50})
Die jüngsten Gespräche in Norwegen, in Dänemark und demnächst mit dem österreichischen Bundeskanzler sind nur andere Beispiele des engen Kontaktes mit unseren Nachbarn, andere Beispiele des europäischen Zusammenhalts auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Und, Herr Kohl, in Norwegen beruft sich nicht nur die sozialdemokratische Seite, sondern auch die konservative Seite, die nun vermutlich die Regierung bilden wird, auf unsere Außen- und Sicherheitspolitik, nicht auf Ihre Schwarzmalerei.
({51})
Von größter Bedeutung bleibt natürlich die deutsch-französische Zusammenarbeit - nach dem Willen beider Regierungen. Ich werde demnächst den französischen Staatspräsidenten besuchen. Die englische Ministerpräsidentin wird hierher kommen. In all diesen Gesprächen zeigt sich die Selbstverständlichkeit der engen Zusammenarbeit und der dauernden Konsultationen, die gewachsene Übereinstimmung in allen wichtigen Fragen.
Wir können auf diesem europäischen Kapital weiterhin bauen, auch bei den schwierigen Diskussionen über Anpassungen und Reformen in der Europäischen Gemeinschaft, die das Bundeskabinett heute nachmittag beraten wird. Wir haben auf der Grundlage dieser umfassenden engen Beziehungen und Konsultationen sowie der guten Nachbarschaft in den letzten 12 Jahren der sozialliberalen Außen-und Sicherheitspolitik viel erreicht bei der Herstellung von Friedenssicherung, von Zusammenarbeit in Europa. Aus dem schmalen Weg der Ostpolitik von 1969 ist inzwischen eine breite, zweispurige Straße geworden. Und es steht dahinter eine gemeinsame westliche Politik, wie sie vor anderthalb Jahrzehnten im Harmel-Bericht beschrieben wurde: Militärische Sicherheit und Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch dar, sondern eine gegenseitige Ergänzung.
({52})
Zuletzt wurde dies in der Erklärung der sieben Regierungschefs in Ottawa bestätigt - unter Hervorhebung der Prinzipien des Gleichgewichts, der politischen Mäßigung, des Dialogs mit dem Osten und der Zusammenarbeit mit dem Osten. Wir werden alles tun, um die Bedrohung Mitteleuropas zu vermindern und zu einem militärischen Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau zu gelangen. Ein notwendiger Schritt auf diesem Wege, Herr Dr. Kohl, ist der Doppelbeschluß über die europäischen Waffensysteme: Nachrüstung soweit wie nötig zur Herstellung des ungefähren Gleichgewichts, aber soweit wie möglich gegenseitig vereinbarte Rüstungsbegrenzung zur Herstellung eines ungefähren Gleichgewichts. Konkrete Verhandlungsergebnisse werden wir nur erreichen, wenn wir an beiden Teilen
dieses Beschlusses festhalten und nicht, wie Herr Strauß es möchte, nur an dem einen Teil.
({53})
- Er hat auf dem Parteitag der CSU so gesprochen. Und wer so spricht, der stellt die Übereinstimmung der Allianz in Frage. Herr Strauß sollte dies nicht tun, er sollte das unterlassen.
({54})
Ihnen, Herr Dr. Kohl, sage ich: Ich denke nicht daran, mich von dieser Haltung zu entfernen, die ich seit 1977 eingenommen habe, von diesem Doppelbeschluß, den ich mit initiiert habe. Bitte, unterlassen Sie solche mißverständlichen, unterschwelligen Verdachtszuweisungen!
({55})
- Ich habe ja genau zugehört, was Herr Dr. Kohl, mich adressierend, in dem Punkt gesagt hat. Ich bitte Sie, auch zur Kenntnis zu nehmen, Herr Dr. Kohl - im Gegensatz zu dem, was Sie gestern über die sogenannte Null-Option ausgeführt haben; ich stelle mich hier an die Seite des Außenministers Genscher -, daß ebenso Herr Außenminister Haig öffentlich die beiderseitige Null-Option als eine, vielleicht nicht sehr wahrscheinliche, aber an die Spitze der Verhandlungsziele zu setzende Option bezeichnet hat.
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Ich muß Ihnen auch zur Neutronenwaffe antworten. Die vieldiskutierte Frage einer möglichen Stationierung in Europa ist nicht aktuell. Darin sind wir uns mit den Verbündeten in Washington einig. Wir werden auch hier an der gemeinsamen Bündnislinie festhalten. Rüstungskontrollpolitik ist Teil unserer Sicherheitspolitik. Die Bundesregierung hat am 13. April 1978 hierzu im Bundestag Ausführungen gemacht: Stationierung nur nach ernsthaften Rüstungsbegrenzungsverhandlungen, einstimmiger Bündnisentscheidung, nur, wenn wir nicht das einzige Stationierungsland in Europa wären.
Auch hierzu bin ich - nicht von Ihnen, aber von Herrn Kollegen Strauß - in unzulässiger Weise falsch zitiert worden. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich meine Meinung nicht geändert habe. Aber ich sage noch einmal: Es liegt überhaupt kein Anlaß vor, diese Sache heute zu debattieren. Sie ist absolut nicht aktuell und wird es auch morgen nicht werden.
Andererseits bitte ich, die Bundesregierung seitens der Opposition zu unterstützen,
({57})
wenn wir auf der Erfüllung eines Anspruchs bestehen, den wir Deutschen gemeinsam mit anderen Nichtnuklearwaffenstaaten und ihren Völkern im Atomwaffensperrvertrag gegenüber den Nuklearwaffenstaaten erworben haben, des Anspruchs nämBundeskanzler Schmidt
lich, daß sie ihre nukleare Rüstung vermindern. Ich füge hinzu: im Gleichgewicht vermindern, damit es realistisch möglich wird.
({58})
Ich bin überzeugt, das Gespräch der Großmächte darf nicht abreißen. Dialog, Zusammenarbeit sind gerade in schwierigen Zeiten dringendes Gebot der Friedenswahrung. Alle Möglichkeiten dafür müssen genutzt werden. Deswegen sind der Außenminister und ich letzten Sommer zum sowjetischen Generalsekretär und seinen Mitarbeitern gefahren - um Positionen zu klären, Ansatzpunkte herauszufinden. Deshalb werden wir den Dialog mit der sowjetischen Seite beim Besuch von Generalsekretär Breschnew hier in Bonn im November fortsetzen. Und ich muß Ihnen sagen: Ich bin froh über diesen Besuch.
({59})
Wir werden vorher auch den ungarischen Premierminister hier sehen - natürlich liegt die größere Bedeutung beim sowjetischen Generalsekretär. Ich hoffe, daß wir auch ein Treffen zwischen dem Staatsratsvorsitzenden der DDR und dem Bundeskanzler zustande bringen. Das muß aus zwei Gründen so sein: Zum einen, weil von uns Deutschen keine zusätzlichen Störungen der Lage in Europa ausgehen dürfen. Im Gegenteil: Wenn wir uns gemeinsam um die Entwicklung vernünftiger und gutnachbarlicher Beziehungen bemühen, dann können wir zu Zusammenarbeit und Vertrauensbildung beitragen. Es ist deshalb wichtig, daß es nun endlich zu dieser - aus nicht von uns und auch nicht von ihm zu verantwortenden Gründen - verschobenen Begegnung kommt, einer Begegnung ohne Vorbedingungen. Die etwaigen Vorbedingungen, die einige schon formulieren wollen, lasse ich mir auch von niemandem vorschreiben.
Zweitens ist es darum notwendig, weil Beispiele dafür gegeben werden müssen, daß Deutsche mit Deutschen reden und daß Deutsche auf Deutsche hören.
({60})
Mit dieser Gesprächsbereitschaft und mit diesem Friedenswillen, dem Willen zu guter Nachbarschaft gegenüber dem Osten, fühlen wir uns ganz fest und sicher auf der Grundlage, die in unseren Westbindungen durch die Europäische Gemeinschaft und die Nordatlantische Allianz gegeben ist. Ich bitte Sie sehr, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, im Interesse unseres Volkes diese Gemeinsamkeit nicht durch polemische Verzerrungen in Frage zu stellen.
({61})
Ich verstehe Ihre Sorge - und ich teile sie - über manche Verirrung, außenpolitische Verirrung, zumal, die man hier und da in unserem Land erlebt, gerade auch bei jungen Menschen, die für Unruhe und Verführung natürlich anfälliger sind als andere. Man spürt diese Anfälligkeit auch in anderen Ländern Europas, übrigens nicht nur Westeuropas. Die deutsche Jugend ist wahrscheinlich noch aus einem anderen Grunde in einer anderen Situation als die skandinavische oder die westeuropäische Jugend. Ein Mensch wächst normalerweise auf in der Geborgenheit durch die Familie, durch die Heimat. Viele von uns haben diese Geborgenheiten nach dem Kriege durch die Kriegsereignisse, durch die Vertreibung, durch die Flucht verloren und haben sie neu aufbauen müssen. Normalerweise wächst ein Mensch auch auf in der Geborgenheit in der eigenen Nation, in der selbstverständlichen Bindung an die eigene Nation. Diese ist aber für die heutige deutsche junge Mannschaft sehr schwer zu erleben. Ich verstehe, daß hier etwas fehlt. Ich verstehe, daß die jungen Leute eine besondere Verantwortung der Deutschen für den Frieden erkennen. Aber ich möchte ihnen auch sagen, daß sie sich bitte nicht einreden sollen, die Deutschen wüßten besser als alle anderen, was dem Frieden in der Welt frommt.
Es gibt die Versuchung, die ich zu spüren glaube, die Wiederauferstehung alter falscher Vorstellungen, als ob am deutschen Wesen, diesmal am deutschen Friedenswillen die Welt genesen solle. Sie möchten bitte auch nicht aus der eigenen Lebensangst eine Tugend machen, und sie möchten bitte die Lebensangst, die sie selber haben, nicht auf andere zu übertragen suchen.
({62})
Es gibt allzu viele, die eine Zukunft ohne Hoffnung malen, viele, die die Demokratie verunglimpfen, auch manche, die einäugig die Gefahren nur im Westen sehen wollen. Alexander Haig hat dazu gesagt:
Wir müssen vorsichtig sein, damit wir nicht die dünne Linie zwischen Freiheit und Anmaßung überschreiten.
Er hat das in Berlin gesagt - ein nachdenkenswertes Wort.
({63})
Ich selbst habe vor einigen Wochen bei einer im Fernsehen übertragenen Diskussion mit vielen Jugendlichen in einer Kirche in meiner Vaterstadt, in Hamburg-Altona, zu zeigen versucht, wie man zuhören muß, wenn junge Menschen ihre Ängste um den Frieden aussprechen, zum Teil herausschreien, weil man unsere Politik des Gleichgewichts, des Dialogs, der Zusammenarbeit geduldig dagegenstellen und begründen muß und wie man Ängste abzubauen helfen kann, indem man die Vernunft, die Gott in jeden Menschen eingepflanzt hat, in Arbeit setzt. Aber bitte: nicht einfach jeden als Kommunisten oder als Chaoten abtun, der seine Angst herausschreit. Es sind Ihre Söhne und Töchter genauso wie unsere.
({64})
Ganz gewiß, Herr Abgeordneter Kohl, sind auch Kommunisten und Chaoten darunter. Den Politikern, die auf solchen Kundgebungen reden und damit ein Grundrecht aus Art. 5 unserer Verfassung in Anspruch nehmen, möchte ich sagen, daß sie immer auch die unerwünschten Folgen mit bedenken müssen, daß sie ausreichende organisatorische Vorsorge gegen den Mißbrauch ihrer Demonstration treffen
müssen, um verantworten zu können, was insgesamt aus der Sache wird.
({65})
- Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Wehner.
Ich bin mit vielen Einseitigkeiten und Verfälschungen solcher Reden und solcher Demonstrationen zutiefst nicht einverstanden. Es muß immer wiederholt werden, daß z. B. die SS-20- und Backfire-Rüstung der Sowjetunion seit vier Jahren längst läuft - seit 1977 -, während die Pershing-Nachrüstung des Westens frühestens Ende 1983 beginnen kann.
Ich sagte: Haigs Gelassenheit in Berlin war groß. Ich füge hinzu: Sie war beispielgebend; ein Beispiel auch für den einen oder anderen gestrigen Oppositionsredner. Bitte lassen Sie solche Verdächtigungen, die Sozialdemokraten führten Deutschland in die Neutralisierung, und lassen Sie die Verdächtigung, wir seien auf dem Wege zu einem deutsch-sowjetischen Bündnis!
({66})
Ich lese Ihnen, Herr Abgeordneter Kohl, die „International Herald Tribune" von gestern vor, die von Ihnen spricht. Es ist eine der angesehensten Zeitungen der Welt. Der Artikel beginnt mit dem Bericht über den terroristischen Angriff auf den amerikanischen General Kroesen bei Heidelberg und sagt:
Wenn Politiker wie der christlich-demokratische Führer Helmut Kohl diesen Anschlag in denselben Zusammenhang stellen wie die Demonstration gegen Minister Alexander Haig in Berlin vor ein paar Tagen, dann helfen sie den Terroristen, das zu erreichen, was eines ihrer vördersten Ziele sein könnte, nämlich einen Keil zu treiben zwischen die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre europäischen Verbündeten.
({67})
Der gestrige Leitartikel der „International Herald Tribune" schließt:
Es ist deshalb notwendig, daß der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, daß der Präsident Reagan und daß die übrigen NATO-Führer diese Anschläge für das nehmen, was sie sind, nämlich die Arbeit einer winzigen Bande von Fanatikern, und daß sie sich nicht in überflüssige Auseinandersetzungen durch fälschlicherweise aufgeregte öffentliche Meinung treiben lassen.
({68})
Ich sage Ihnen das, Herr Dr. Kohl, weil Sie davon geredet haben, der Kredit als Bündnispartner werde verspielt. Welch ein Zerrbild!
({69})
Welch ein Zerrbild des Antiamerikanismus haben
Sie hier entrollt, und welch falsches Bild haben Sie
damit sogar von der inneren Haltung Ihrer eigenen Partei gegeben!
Wenn von Friedensbewegung die Rede ist - nicht alles, was sich so etikettiert, verdient diesen Namen -, lesen Sie bitte den Friedensappell des Deutschen Gewerkschaftsbundes! Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist seit drei Jahrzehnten auf das engste mit den amerikanischen Gewerkschaften, mit der AFL/CIO verbunden, früher insbesondere mit der Person George Meanys und heute Lane Kirklands, beides Männer, die ich bei jedem Besuche, den ich in Washington gemacht habe, aufgesucht habe. An seiner Verbundenheit mit Amerika kann niemand einen Zweifel haben.
Wenn Sie den Appell lesen, werden Sie auch seine Ausgewogenheit erkennen und akzeptieren. Ich begrüße diesen Appell. Ich frage: Wie viele Abgeordnete Ihrer Fraktion haben diesen Appell der deutschen Einheitsgewerkschaft, der größten deutschen Friedensbewegung, inzwischen auch unterschrieben?
({70})
Das ist kein einäugiger Appell wie manch andere. Er ist nicht verblendet, er ist gleichgewichtsorientiert. Heinz Oskar Vetter zeigt damit gerade der gewerkschaftlich organisierten Jugend, wo es lang gehen muß. Es muß gehen in Richtung auf Gleichgewicht der Abschreckung, auf Gleichgewicht der militärischen Mittel, auf Begrenzung dieser militärischen und Abschreckungsmittel im Gleichgewicht, auf Begrenzung der Rüstungen im Gleichgewicht, auf Dialog mit dem Osten zu diesem Zweck und zum Zwecke weiterer Zusammenarbeit, auf Sicherheit, auf Partnerschaft mit dem Osten, auf Zusammenarbeit. Nur so kann der Frieden gefestigt werden.
Zu diesem Zweck treffen wir dieses Jahr erneut Leonid Breschnew, zu diesem Zweck treffen wir dieses Jahr - zum dritten Mal in diesem Jahr - Präsident Ronald Reagan. Ich weiß, daß Reagan verhandeln will und daß er verhandeln wird. Ich weiß ebenso, daß Breschnew verhandeln will und daß er verhandeln wird. Beide wollen verhandeln, weil beide davor Angst haben, daß der Frieden zum Teufel gehen könnte. Und sie haben recht, davor Angst zu haben, sie haben recht zu verhandeln.
({71})
Trotzdem bleibt das ein schwieriges Verhandlungsgeschäft - nicht zuletzt deshalb, weil so viel Vertrauen verlorengegangen ist.
Wir Deutsche können und wollen mithelfen, Vertrauen zu bilden - nicht nur durch die vertrauensbildenden Maßnahmen, über die wir in Madrid reden -, Vertrauen neu zu bilden. Wir gehören zum Westen, aber wir können mithelfen, daß sich West und Ost verstehen. Wir gehören zum Westen, aber für uns hört Deutschland nicht an der Elbe auf, und Europa hört nicht an der Oder oder an der Weichsel auf. Wir ringen darum, daß sich die Europäer in West und Ost begegnen können. Auch darin sind sich FDP und SPD vollständig einig.
({72})
Ich darf zusammenfassen. Der Haushalt 1982 und die dazu vorgelegten Gesetzentwürfe zeigen: Sozialdemokratie und Freie Demokratische Partei bleiben eine handlungsfähige Partnerschaft. Partnerschaft heißt nicht, in allen Punkten einer Meinung zu sein. Partnerschaft heißt in fairer und sachlicher Zusammenarbeit die Probleme lösen, die gelöst werden müssen, heißt notfalls auch sich zusammenraufen, heißt vor allem anderen: gemeinsam Verantwortung tragen.
({73})
Diese Partnerschaft hat sich seit zwölf Jahren bewährt.
Hans-Dietrich Genscher hat kürzlich auf die Frage, was denn von dieser Koalition noch zu erwarten sei, die kürzeste - übrigens die einzig mögliche - Antwort gegeben. Er hat nämlich gesagt: die Verwirklichung der Regierungserklärung vom November des Jahres 1980.
({74})
In jener Regierungserklärung haben wir die großen Schwierigkeiten dargestellt, vor denen unser Land steht. Sie sind seither nicht kleiner, sondern größer geworden, sowohl in der Weltpolitik als auch in der Weltwirtschaft. Wir brauchen unsere Kraft, wir müssen sie zusammennehmen, um durch diese Schwierigkeiten durchzukommen: beharrlich in der Sache, aber auch behutsam im Umgang miteinander. Dazu gibt es keine Alternative. Wir haben sie auch gestern nicht, wir haben sie heute nicht gehört. Ich weiß, Herr Barzel wird anschließend, wie schon häufiger, das vermissen, was er die „geistige Führung" nennt.
({75})
- Da können Sie einmal sehen, wie gut ich Sie inzwischen kenne, Herr Barzel. ({76})
Ich liebe Ihr anspruchsvolles Wort von der „geistigen Führung" nicht; ich begnüge mich mit politischer Führung. Ich habe übrigens in den Reden von Herrn Kohl und von Herrn Strauß keine Spur von geistiger Führung entdecken können.
({77})
Aber ich verlange sie von Ihnen auch nicht, Herr Kohl, Herr Barzel verlangt sie von Ihnen, die geistige Führung.
({78})
Ich würde mich an Ihrer Stelle, Herr Dr. Kohl, mit der politischen Führung begnügen; das wäre auch schon sehr viel.
({79})
Ich stelle fest: Erstens. Wir sind auf dem richtigen Weg.
({80}) - Ja, Sie nicht, Sie nicht,
({81})
die Opposition gewiß nicht, aber die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Unternehmer, die Arbeitnehmer und die Verbraucher haben fabelhaft schnell und richtig reagiert.
({82})
Sie haben weniger Heizöl und weniger Benzin verbraucht, damit wir uns an die neue Lage der Weltwirtschaft anpassen, damit wir mehr exportieren, damit wir uns am Weltmarkt behaupten, ohne daß unsere sozialen Sicherungen Schaden leiden. Der Haushalt 1982 weist unter verschärften äußeren Bedingungen die nächsten Schritte. Dies ist ein mittlerer Weg; von dem lassen wir uns nicht abbringen. Wir werden auch keine neuen Theorien, die draußen in der Welt vorgetragen werden, am Leibe der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft experimentell ausprobieren.
({83})
Zweitens. Wir werden den sozialen Frieden bewahren. Dazu ist dieser Haushalt ein Beitrag. Frieden und Stabilität nach innen sind notwendige Bedingungen auch für den äußeren Frieden.
Drittens. Wir dürfen Selbstvertrauen haben, nicht weil wir übermütig wären oder weil wir die Schwierigkeiten geringschätzten, sondern weil wir realistisch das hoch einschätzen, was wir in Deutschland bisher erreicht und aufgebaut haben, weil Politik und Wirtschaft reaktionsfähig, weil sie handlungsund leistungsfähig sind. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieses Landes auf der ganzen Welt ist unverändert groß, und mit Recht ist dieses Vertrauen in Deutschland groß.
Viertens. Wir sind handlungsfähig und handlungsbereit, in der Wirtschaftspolitik wie auch in der auswärtigen Politik. Wir sind und bleiben Partner im westlichen Bündnis, aus Überzeugung, aus Notwendigkeit; beide können von Tagesereignissen nicht unterhöhlt werden.
Fünftens. Wir sind zur guten Nachbarschaft nach West und Ost, nach Norden und Süden bereit, fähig und willens. Ich appelliere an jedermann in unserem Staat, an alle Bürgerinnen und Bürger, an ihre Vernunft: Das, was wir heute ins Werk setzen, ist sachgerecht und zweckmäßig, es ist zielstrebig und aussichtsreich. Ich appelliere an ihre Einsicht, daß bloße Bekenntnisse zu hohen Zielen niemandem nützen, schon gar nicht, wenn sie mit Miesmacherei verbunden werden.
({84})
Ich appelliere an jedermanns Zuversicht und Beharrlichkeit. So wie bisher werden wir auch dieses Mal mit unseren Problemen fertig werden - vielleicht abermals ein bißchen besser als die anderen. Lassen Sie sich nicht eine moralische Krise der Ge3048
sellschaft aufschwatzen, sondern bewahren Sie sich Ihren Mut und Ihr Selbstvertrauen!
({85})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mir ist nach dem bisherigen Gang der Debatte danach, ein Kompliment zu verteilen - freilich nicht an Ihre Adresse, Herr Bundeskanzler. Ich möchte den bisherigen Rednern der Opposition, allen voran dem Vorsitzenden, Helmut Kohl, ein Kompliment machen: Es ist nämlich gelungen, den Kanzler, wenn auch nach 24stündiger Vorbereitungszeit, endlich zum Reden zu bringen,
({0})
und dann auch noch zum Reden mit Energie zu bringen.
Stellen Sie sich mal vor, er würde mit dieser Energie die Bundesregierung führen, in seiner Fraktion sagen, wo es langgehen soll! Ja, das wäre doch gar nicht mehr auszuhalten.
({1})
Seit der Wahl, Herr Bundeskanzler, sind Sie doch eigentlich mehr auf Tauchstation gegangen. Und nun gehen Sie gleich ins andere Extrem und kommen energisch gegen die Opposition hierher. Als ich Sie hier so stehen sah, habe ich an manche gemeinsame Stunde zu Ende der 60er Jahre, als wir mit der APO und solchen Sachen zu tun hatten, und an ihre Sätze damals gedacht. Da fiel mir das ein. Damals haben Sie irgendwelchen jungen Leuten an den Kopf geworfen, sie seien voll „elitärer Arroganz". Warum ist mir das wohl vorher eingefallen?
({2})
Herr Bundeskanzler, nun stellen Sie sich mal vor, Sie wären bei den ersten innerparteilichen Nachrichten - denn wenn die. Jusos in Berlin etwas veranstalten, muß es doch innerparteiliche Nachrichten geben, die den stellvertretenden Parteivorsitzenden erreichen - über die Absicht, dort etwas zu initiieren und etwas zu veranstalten gegen die Politik der USA und natürlich auch gegen Ihre eigene Politik, ins Flugzeug gestiegen und hätten dort mit dieser Energie gewarnt, das Falsche zu tun, Herr Bundeskanzler!
({3})
Dann hätten wir heute doch gar nicht diesen Teil dieser Debatte hier.
({4})
Ich habe auch schon mal die „Herald Tribune" gelesen. Die kriegt man j a im Flugzeug ziemlich leicht; in Deutschland und der Welt. Was meinen Sie, was ich da alles schon über Ihre Politik und über Mitglieder Ihrer Regierung gelesen habe! Aber ich habe eigentlich immer gedacht: Wenn ich etwas zu kritisieren habe, sage ich das mit meinen schlichten Worten. Denn wer da nun gerade als Artikelschreiber in „Herald Tribune" dran ist, hat doch auch nicht jeden
Tag den Heiligen Geist bei sich. Das ist doch nicht eine Quelle, mit der man nun den Westen insgesamt eigentlich hier zitieren kann. Nein, ich finde, das war eigentlich - verzeihen Sie, Herr Bundeskanzler - nicht das Niveau, wie Sie den Oppositionsführer angreifen sollten.
({5})
Da müssen Sie schon etwas anderes als „Herald Tribune" zur Hand haben.
({6})
Nun zu den wenigen Punkten Ihrer langen Rede, auf die zu antworten sich lohnt.
Der erste Punkt war: Die D-Mark stehe seit dem Kabinettsbeschluß besser. Herr Bundeskanzler, lesen Sie heute die Zeitung mit dem letzten Bundesbankbericht. Dann werden Sie das nicht aufrechterhalten können.
Zweitens haben Sie lange ausgeführt, hier sei eigentlich alles gut. Sie haben später in einer anderen Passage das selber dementiert, als Sie mit guten Worten über die Arbeitslosigkeit sprachen. Aber Sie können doch nicht sagen, hier sei alles gut, wenn keines der vier Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erreicht ist.
Dann haben Sie etwas Neues geboten - ein Widerspruch natürlich auch zu Ihrem Finanzminister -: es sei der Sinn dieser Politik, die hier beschlossen sei und die Sie großartig „Operation" oder so nennen, die Zinsen zu senken, und die Zinsen seien ein großes Wachstumshemmnis. Dann ist doch erst einmal zu fragen: Wie sind denn die Zinsen zustande gekommen? Wir haben doch bisher von Herrn Matthöfer immer nur gehört, die Hochzinspolitik in der Bundesrepublik Deutschland sei die automatische Folge der bösen Hochzinspolitik der Administration in Washington. Jetzt plötzlich ist es hier möglich, die Zinsen durch hausgemachte Politik zu senken? Also sind ja wohl die deutschen Zinsen auch durch hausgemachte Politik, z. B. Verschuldungspolitik, in die Höhe gekommen, in der sie sind, Herr Bundeskanzler.
({7}) Jeden Tag eine andere Wahrheit. Nein!
Nun der dritte Punkt aus Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob Sie das aufrechterhalten wollen. Das war so böse wie Ihr Wort von der mangelnden Friedensfähigkeit. Gucken Sie mich hier an, ja - ich bin nicht friedensfähig!? Würden Sie wagen, mir hier das zu sagen? Oder einem von uns? Aber schreiben, nicht, Herr Kollege Wehner! Es ist ja so leicht, andere zu verleumden. Kommen Sie doch her und sagen Sie das hier!
({8}) Wir wollen mal sehen, was dann hier los ist.
So böse wie dieses Wort war das, wir seien nicht imstande, den sozialen Grundkonsens zu halten, wir würden ihn zerstören. Herr Bundeskanzler, Ihre PoDr. Barzel
litik der Schulden, der Inflation, der Arbeitslosigkeit, die zerstört diesen Konsens.
({9})
Ich will mich nicht ereifern, Herr Bundeskanzler. Sie haben gesagt, ich sei berechenbar. Das finde ich ganz gut.
Ich habe gestern abend gedacht: Du hast einen freien Abend, weil der Kanzler nicht gesprochen hat; eigentlich sollte er ja gestern kommen. Ich sagte: Was machst du mit dem freien Abend? Ich wollte mich nicht verabreden. Ich sagte mir: Der kommt aus Rom und liest bestimmt was aus der neuen Enzyklika vor. Da habe ich mir gestern abend die Enzyklika zur Hand genommen.
({10})
Herr Bundeskanzler, „Laborem exercens" - Lateinstudium machen wir ja lieber unter vier Augen.
({11})
Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, da kommt nun ein fundamentaler Satz in diesem neuen Lehrschreiben. Daran würde ich Sie doch gerne mal erinnern, Herr Bundeskanzler, wenn Sie das so loben. Da lobt der Papst in diesem neuen Lehrschreiben, aus dem Sie nur einen polemischen Satz zitierten, den ich noch gar nicht gefunden habe - aber ich habe nur einen Auszug, vielleicht haben Sie als Bundeskanzler den vollen Text -, da lobt er ausdrücklich eine Gesellschaftspolitik, die das Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches bewirkt. Das könnte geradezu, verehrte Damen und Herren, aus einem Erfolgskatalog der CDU/CSU-Regierung 1961 entnommen sein.
({12})
Denn diese Dinge haben wir doch geschaffen. Das sind doch Sozialreformen, die Konrad Adenauer 1957 in Auftrag gab und zum Zeichen dessen das Ministerium umbenannte in „Arbeit und Sozialordnung". Was haben Sie denn in den zwölf Jahren aus der „mehr Sozialordnung" gemacht? Sie haben ein bißchen Mitbestimmung daraufgesattelt und den Betrag des 312-DM-Gesetzes erhöht. Was haben Sie denn mit dem Miteigentum gemacht? Fehlanzeige in dieser Koalition. Wenn Sie sich also hier auf die Enzyklika berufen wollen, finde ich das ganz gut, nur nützen auch da nicht die Worte, nur die Taten.
({13})
Ludwig Erhard: Nicht an ihren Sprüchen sollt ihr sie erkennen, sondern an ihren Früchten.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, auf diesem Weg einer aus den Werten gestaltenden Gesellschaftspolitik weiter tätig wären, dann brauchten Sie hier nicht so alberne Sätze über geistige Führung zu sagen - darauf komme ich zurück -, sondern dann würden Sie auch eine ganz andere Situation gegenüber jungen Menschen haben. Sie haben doch jetzt keine Perspektiven. Sie haben doch das Gefühl, daß Sie für den Tag werkeln und daß Sie nicht einmal mehr am Sonntag eine Rede halten, die eine Perspektive gibt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann das Zitat bestritten, daß Ludwig Erhard ins Gefängnis gehört. Eilfertige Helfer der Bundestagsfraktion haben mir zwei Quellen gegeben, einmal den „Spiegel" vom 28. November 1966 mit diesem Zitat und dann den vom 12. Dezember 1966. Wenn es ein Dementi im „Spiegel" gegeben hätte, hätte es am 12. Dezember dort sicher nicht mehr gestanden, Herr Bundeskanzler.
Wenn Sie Franz Josef Strauß unterstellen, er wolle nur einen Teil des Doppelbeschlusses, dann sage ich ganz ganz schlicht: Dies ist infam!
({14})
Wir haben durch unseren Antrag das Haus veranlaßt - und auf unserer Seite herrschte Einstimmigkeit -, für beide Teile einzutreten. Sie haben Herrn Strauß gehört, Sie haben Herrn Kohl gehört, Sie haben andere gehört. Sie kennen auch unsere subtilen Einlassungen aus dem Auswärtigen Ausschuß. Distanzieren Sie sich deshalb von dieser Unterstellung. Es ist immer Größe, wenn man sich entschuldigt oder einen Fehler zugibt. Sie haben ja auch zugegeben, daß es ein Fehler war, über den Sommer hinweg eine Vertagung vorzunehmen. Es war auch ein Fehler. Kommen Sie her, und bringen Sie die Sache wieder in Ordnung. Das würde die Zusammenarbeit erleichtern.
Herr Bundeskanzler, auf die USA und Berlin komme ich nachher in anderem Zusammenhang noch einmal zurück. An dieser Stelle nur eine Frage. Sie waren im Vorfeld der jüngsten Initiativen nicht in Berlin. Ich verstehe etwas von den Protokollregeln. Ich verstehe auch etwa von den - so will ich es einmal formulieren - Bildbedürfnissen Ihres Nachbarn zur rechten in solchen Zusammenhängen. Ich weiß, wie schwierig es mit Berliner Protokollfragen ist. Aber hätte es Ihnen nicht gut angestanden, wenn Sie sich als deutscher Bundeskanzler im Hinblick auf diese Lage in Berlin und auf eine angekündigte Grundsatzrede des Außenministers der USA schlicht und einfach als der wichtigste Zuhörer in die erste Reihe gesetzt hätten, um so zu zeigen: „Jawohl, ich bin einfach hier, wenn Sie hier etwas zu sagen haben. Diese Geste will ich mir nicht nehmen lassen."? Ich glaube, das hätte Ihnen gut angestanden, Herr Bundeskanzler.
({15})
- Herr Ehmke, guten Morgen! Ich freue mich, daß Sie sich melden.
({16})
Herr Bundeskanzler, nun kommt etwas, bei dem Sie sich nun endlich einmal zu dem durchringen müssen, was Sie wirklich wollen. Sie haben die Opposition in einer längeren Passage, die an den Kollegen Kohl gerichtet war, um Unterstützung in sicherheitspolitischen Fragen gebeten. Das ist dieselbe Opposition, von der Sie behaupten, sie sei „nicht friedensfähig". Das ist dieselbe Opposition, von der Sie vor ein paar Wochen - ich glaube, auch an dieser
Stelle - gesagt haben: „Ich brauche die Opposition nicht." - Es hat doch keinen Zweck, Kanzlerworte so zum Blech eines Bauchladens zu degenerieren. Was wollen Sie nun eigentlich?
({17})
Sie brauchen viele von uns nicht zu ermuntern, den DGB-Appell zu unterschreiben. Warum verpaßt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach dem, was er in Berlin an mangelnder vorsorglicher energischer Befassung erlebt hat, im Bundestag die Chance, in dieser Richtung zu sagen: Ihr alle unterschreibt bitte den Krefelder Appell nicht!? Warum hat er das denn eigentlich nicht gesagt?
({18})
Herr Bundeskanzler, über die Frage der geistigen Führung werden wir uns doch nicht verständigen. Ich möchte Sie aber doch einladen, mir noch einmal eine Unterscheidung zu erlauben. Wir gehören beide der Kriegsgeneration an. Wenn Sie - das verstehe ich sehr gut - für einen Politiker, für einen Staatsmann, für einen Bundeskanzler geistige Führung im Sinne von Weltanschauung, von Religion, von Geschmack, von Kultur ablehnen, dann findet das meine Unterstützung. Das bedeutet doch aber nicht, daß Politik eine ungeistige Sache wäre. Die geistige Führung, die ich von Ihnen einfordere, Herr Bundeskanzler, ist doch, daß Sie sich auf die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die Grundentscheidungen unserer Außen- und Innenpolitik stützen und diese Entscheidungen kraftvoll nach vorne vertreten und allen entgegentreten, die z. B. Äquidistanz zwischen USA und UdSSR, Äquidistanz zwischen DDR und uns wollen. Wenn man das jungen Menschen nicht vermittelt, die Gott sei Dank nicht unsere Erfahrungen haben machen müssen, kommen sie doch eines Tages und fragen: Wofür eigentlich Bundeswehr und Wehrpflicht? Sehen Sie sich einmal Ihren Bericht zur Lage der Nation an. Das ist doch die große Verschweige. Sie müssen von diesen Wertvorstellungen reden.
Herr Bundeskanzler, nun noch ein paar Worte zunächst zu Ihrem Haushalt. Wir bekommen einen Haushalt vorgelegt, durch den die Schuldenlast des Bundes, die zur Zeit 264 Milliarden DM beträgt, um weitere 26,5 Milliarden DM auf über 290 Milliarden DM erhöht wird. Das nennen Sie Sparen.
Herr Bundeskanzler, Sie legen eine mittelfristige Finanzplanung vor, die ausweist, daß ab 1983 die Zinsaufwendungen des Bundes die Neuverschuldung übersteigen, daß also ab 1983 die neuen Schulden nicht ausreichen, die Zinsen für die alten Schulden zu zahlen. Das nennen Sie dann Konsolidieren. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht leugnen, daß Sie dabei bleiben, den Haushaltsausgleich weiterhin Jahr für Jahr durch neue Schulden zu suchen. Das ist doch nicht die Wende, meine Damen und meine Herren.
Sie senken die investiven Ausgaben von 17 % im letzten Jahr unserer Regierung - übrigens zusammen mit Ihnen - im Jahre 1982 auf 13,7 %. Das nennen Sie „Mut zur Zukunft". Sie legen einen Haushalt vor, durch den Sie das Kindergeld kürzen und lassen
spüren - das ist Ihre Reaktion auf unsere eigene Zurückhaltung in der Diäten-Frage -, daß Sie bereit sind, die Ministergehälter zu erhöhen. Das nennen Sie dann sozial, meine Damen, meine Herren.
({19})
Sie legen einen Haushalt vor, in dem der Staatsanteil fast 11 Prozentpunkte höher ist als in den 60er Jahren. Das nennen Sie dann liberal. Verzeihen Sie, das alles - ich muß dies sagen - ist unredlich. Ich finde, die Regierung motiviert ja nicht den Wirtschaftsaufschwung, sie frustriert; sie bewirkt nicht, sie hemmt. Ich kann nur auf das verweisen, was mein Kollege Waigel in einer der letzten Debatten aufs Trefflichste dazu hier vorgetragen hat.
Herr Bundeskanzler, jetzt sprechen Sie selbst von Schulden. Vor einem Jahr - da hatten wir noch nicht einmal den Wahltag - war ungefähr der Tag, als die Beschimpfung der katholischen Bischöfe durch den Bundeskanzler erfolgte, weil die gewagt hatten, von Schulden zu sprechen.
({20})
- Dann war es ein brüskes Poltern.
({21})
- Herr Kollege Wehner, wenn Sie jetzt so reagieren, ermuntert mich das, daß vielleicht wir beide den Bundeskanzler bitten, sich bei den Herren für das zu entschuldigen, was er damals gesagt hat.
({22})
- Ich höre und akzeptiere gern, Sie hätten' das schon getan, Herr Wehner.
({23})
- Dann stünde es dem Bundeskanzler gut an, Ihnen nachzufolgen.
({24})
Aber das schlimme ist eigentlich - das werden Sie nicht ganz gerne hören -, daß doch diese Bundesregierung, gehemmt durch einen Teil dieser Fraktion, nicht das tut, was sie weiß und was sie eigentlich könnte. Sie tut das, was ihr jetzt noch gerade möglich ist, aber das ist weniger als das Nötige und das objektiv Mögliche.
Herr Kollege Matthöfer, Sie haben doch hier in der letzten Haushaltsdebatte vorgetragen - ich zitiere -:
Entscheidend sind nicht staatliche Ausgaben, sondern unternehmerische Entscheidungen und Initiativen, Investitionen und Innovationen.
Da kann ich nur sagen: Wie wahr! Nur: Was haben Sie eigentlich getan, um das hier zu verbessern? Ich wünschte, Ihre Taten auf dem Gebiet wären so, wie Ihre stramme Haltung vorgestern hier in Ihrer Rede. Stramme Haltung, in der Lage, Donnerwetter! Aber Ihre Worte sind doch keine Taten. Das sind wieder weitere Absichtserklärungen.
Herr Kollege Genscher, Herr Kollege Kiep hat aus Ihrem Wahlprogramm vorgetragen: Senkung der Gewerbesteuer, Privatisierung, Abbau der Bürokratisierung; das steht doch da alles. Das sollte man viel mehr unter die Leute bringen als diesen Brief; denn von diesem Programm, Herr Kollege, ist doch auch nicht viel übriggeblieben. Wenn ich nun sehe, wie Sie hier gestern Ihren Brief, auf den Herr Kohl mit Recht abgehoben hat, interpretiert haben, dann haben Sie doch die Wende vom Horzizont in einen ungewissen Nebel vertagt.
({25})
Das ist doch alles nicht die Realität. Sie machen doch weiter: Haushaltsausgleich - ungewisse Risiken - nur auf dem Papier durch Schuldaufnahme. Das soll weitergehen.
Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben doch hier im Januar einen guten Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt. Wir haben dem doch zugestimmt. Darin steht all das, was jetzt geschehen müßte. Sie nennen das nicht „Beschäftigungsprogramm", aber Sie sagen: Wir müssen wieder Wachstum und Vollbeschäftigung erzeugen. Das ist doch prima! Sie brauchen sich doch nicht über ein Wort zu streiten, aber dort steht doch: mehr Initiative, mehr Anreiz für Private. Warum machen Sie denn das nicht?
Da kommen Sie mit einem Programm her, das Sie heute morgen loben. Nun nehmen Sie einmal die Größenordnung, die Sie für Inzentivs, für Anreize zur Verfügung stellen, und vergleichen Sie die mit den Schulden oder mit den höheren Belastungen usw. Dann können Sie doch nun wirklich nicht sagen, dies sei Ihre Priorität. Das stimmt doch einfach nicht. Das, was als Begründung der mittelfristigen Finanzplanung angegeben ist, stimmt eben damit auch nicht überein.
Wenn Sie guten Rat brauchen - nicht von der Opposition -: Der Wissenschaftliche Beirat bei Ihnen hat Ihnen doch im Februar - Datum: 23. Februar 1983 - konkrete Vorschläge gemacht. Er fordert eine „Neuorientierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik". Er wird dann ganz konkret und sagt auch, „ein Klima vorurteilsfreier rationaler Diskussion muß geschaffen werden". Das gibt es also nicht. Wir haben heute von der Regierung nichts erlebt, was in diese Richtung geht.
Der Wissenschaftliche Beirat sagte:
Am Beispiel der Energiepolitik wird erkennbar werden, ob die Bundesrepublik Deutschland weiterhin den wirtschaftspolitischen Weg eines Industrielandes gehen will.
Wir hören von Ihrer Seite mit Recht, daß dieses Industrieland Vollbeschäftigung braucht, weil wir von der Arbeit leben. Wenn dieser Zusammenhang geboten ist, dann ist Ihre schlappe Energiepolitik doch unverantwortlich.
({26})
Der Sachverständigenrat hat etwas früher, nämlich Ende 1980 gesagt, ihm sei es nicht möglich gewesen, sich ein klares Bild über die energiepolitische Planung der Regierung zu verschaffen. Das ist der
Sachverständigenrat, den Sie berufen haben, Herr Bundeskanzler.
Jetzt, im August, brachten die fünf Institute, die die Strukturberichterstattung machen, ihre Gutachten heraus. Da haben nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern auch die Regierung laut gesagt: Wir stimmen zu. Da steht drin: Wir brauchen ein „Mehr an marktwirtschaftlicher Steuerung". Wo bleibt denn die Verwirklichung dieser Forderung? Was haben Sie denn in Ihrer praktischen Politik gemacht, um das wirklich in Ordnung zu kriegen?
Herr Kollege Matthöfer, Ihre Politik kann doch nicht sein, daß wir den Rotstift zum nationalen Statussymbol erheben. „Rotstift, Rotstift über alles" löst doch nicht die Probleme. Die Frage ist doch: Wie werden wir wieder flott? Mit welcher Wirtschaftspolitik kriegen wir wieder Arbeit und volle Kassen in der Sozialversicherung und im Staatshaushalt?
({27})
Herr Bundesfinanzminister, ich höre dann auch noch Ihre faulen Ausreden, wie am 26. Juli dieses Jahres im ZDF. Er sagte - ich zitiere -, daß wir praktisch keine ökonomischen Probleme hätten, wenn wir unser Hauptproblem, das Leistungsbilanzdefizit, und die hohen amerikanischen Zinsen, nicht hätten.
({28})
Sie sind doch der Erfinder von Märchen, Herr Kollege. Wir hatten doch die Probleme vor diesen Zinsen. Wir hatten die Probleme vor diesem Defizit. Die Zinsen - das habe ich eingangs dargetan - haben etwas mit Ihrer Politik zu tun. Das Defizit hat doch etwas mit Ihrer Energiepolitik zu tun. Sie können doch nicht so tun, als gäbe es hier keinen Zusammenhang. Das ist gegenüber dem deutschen Volk nicht aufrichtig, Herr Kollege Matthöfer. Ich könnte ein anderes Wort sagen, aber ich mag es nicht.
Als Willy Brandt, der leider nicht hier ist - ob absichtlich, weiß ich nicht; ich gucke da noch nicht so ganz durch ({29})
- Ehmke lacht, also bin ich auf einer guten Spur.
({30})
Als Brandt noch Kanzler war, da wußte der Bundesminister Schmidt die Krankheitsursache der Bonner Politik noch genau zu erkennen und auch zu benennen. „Unsicherheit ist Gift", sagte er, und er schrieb so. Brandt ging, Schmidt kam, das Gift blieb.
({31})
Es bekam nur einen anderen Namen. Jetzt sind immer alle anderen schuld. Es kommt alles von draußen. Manchmal frage ich mich: Wozu haben wir eine deutsche Regierung? Lassen wir doch da, auf der Regierungsbank, einen Computer aufstellen, wo wir abfragen können, wo die Zahlen anders sind als bei
uns. Sie betreiben doch nicht genügende deutsche Politik.
({32})
- Ich räume doch ein, Herr Ehmke, daß von daher Probleme kommen, aber doch bitte keine Katastrophe. Übersehen Sie doch nicht den hausgemachten Teil der Probleme, die wir haben.
Sie können doch nicht die Multis und die OPEC dafür verantwortlich machen, wenn hier eine Million Wohnungen fehlen. Sie müssen doch diese Regierungsbank da verantwortlich machen. Sie können doch niemand verantwortlich dafür machen, wenn wir durch mangelnde Energiepolitik immer erpreßbarer werden, und zwar im Preis wie sozial wie auch politisch. Das geschieht doch nicht durch die Saudis, sondern durch diese Regierung. Wir hindern Sie doch gar nicht daran.
Niemand hindert Sie daran, die Investitionshemmnisse abzubauen. Herr Posser hat dazu gestern eine ganz komplizierte Rede gehalten. Ich bin aber viel hausbackener. Ich denke immer noch an den Kanzler der vorvorigen Regierungserklärung, der die Formulare nicht lesen konnte und über Bürokratie und solche Sachen gesprochen hat. Warum können Sie denn dagegen nichts machen? Sie sind doch lange genug im Amt. Sie tun es aber nicht, Herr Bundeskanzler.
({33})
- Verehrter Herr Kollege Westphal, das, was Sie jetzt machen, daß gerade jungen Menschen nicht genügend Sozialwohnungen zur Verfügung stehen, ist doch das Unsozialste, was es überhaupt gibt. Das hat mehr mit staatspolitischen Fragen und auch mit dem Verhalten von jungen Menschen zu tun.
({34})
Herr Bundeskanzler, vielleicht erklären Sie doch einmal - nicht nur mit den abstrakten Worten des Bundesfinanzministers von vorgestern, sondern ganz praktisch - und rechnen aus, was Sie in den letzten zehn Jahren für öffentliche angebliche Investitionsprogramme ausgegeben haben. Dann legen Sie dem deutschen Volk vor, was diese gekostet haben. Fragen Sie dann, ob die Arbeitslosigkeit heute größer oder kleiner ist als damals. Fragen Sie, was Sie eigentlich mit dem ganzen öffentlichen effekthascherischen Strohfeuer erreicht haben. Wenn Sie von diesem Betrag einen kleinen Teil genommen hätten und für Steueranreize oder Prämien verwendet hätten, dann sähe die Sache doch ganz, ganz anders aus.
({35})
Die öffentliche Hand kann es nicht, und das ist kein Vorwurf an die öffentliche Hand. Ich komme aus dem Stand der Beamten. Beamte haben die Rechtsvorschriften anzuwenden, die wir beschließen. Rechtsvorschriften sind die Summe der Erfahrungen bis gestern, und wirtschaftliches Wagnis ist Mut in die Zukunft.
Lesen Sie folgendes vielleicht in der Debatte bei Ihnen nach, bevor Sie neue Milliarden verlangen! Herr Kollege Roth - ich sehe ihn nicht - sollte das einmal studieren, da er wohl dafür zuständig ist. Es gibt in Niedersachsen ein Mittelstandsinstitut, das dieser Tage ein Forschungsergebnis vorgelegt hat. Ich lese nur einen Satz vor:
Allgemein ergab die Untersuchung, daß öffentliche Hilfstätigkeiten im Schnitt kurzfristig um 86 %, langfristig um 108 % teurer als entsprechende private Leistungen sind.
Am Schluß heißt es:
Nach unserer Schätzung dürfte die Privatisierungsreserve
- das haben Sie doch versprochen, Herr Kollege Genscher auf Bundesebene zwischen 10 und 20 % des Bundeshaushalts ({36}) umfassen.
({37})
Das sollten Sie wenigstens einmal ernsthaft prüfen, bevor Sie das aus irgendwelchen ideologischen Gründen abtun.
Statt dies alles zu machen, bleiben Sie einfach zusammen und tun nicht das Richtige. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Meine Damen, meine Herren, das ist dann eben unverantwortlich. Herr Bundeskanzler, es wird dann noch mehr Arbeitslose geben.
An einem Punkt kann ich Sie überhaupt nicht verstehen. Sie haben doch nicht eine Koalitionszusage von der FDP an die SPD, sondern eine Koalitionszusage unter Ihrer Kanzlerschaft. Der Kollege Wehner hat zur Zeit keinen Nachfolger für Sie im Ärmel. Warum regieren Sie da eigentlich nicht, Herr Bundeskanzler?
({38})
Warum lassen Sie sich alles das Vernünftige, was aus Ihren eigenen Papieren kommt, abhandeln, weil es da irgendwo Coppik und Co. oder irgendwelche Ideologen in der Wirtschaftfrage, Herr Roth vielleicht, gibt? Herr Bundeskanzler, das wäre, glaube ich, etwas Gutes.
Ich muß - ich will das aus einer großen Besorgnis sehr gern tun - denselben Tatbestand, den wir innenpolitisch alle kennen, daß etwas gemacht werden müßte, was wegen der Hemmnisse dort nicht geht, auch auf dem Gebiet der Außenpolitik feststellen. Auch auf dem Gebiet der Außenpolitik empfängt die Bundesregierung aus der Koalition mehr Hemmnisse, als es uns guttut. Herr Kollege Wehner, bevor Sie über den sonntäglichen Skandal in Berlin nörgeln, sollten Sie einmal prüfen, was Herren aus Ihrem Lager im Vorfeld der geistigen Aufbereitung geleistet haben.
({39})
Dieser Sonntag wird uns allen teuer zu stehen kommen. Da genügt es nicht, wenn sich der Außenminister und der Kanzler hier nun hinstellen und nun
PR-Millionen suchen. Politische Haltung ist durch keine PR zu ersetzen.
({40})
Die Realität der Koalition schadet - ich schließe hier nahtlos an Herrn Kohl an - unserer Geltung wie unserem Ansehen. Unser Wort wird bezweifelt, unsere Standfestigkeit und unsere Berechenbarkeit werde mit Fragen versehen. Da erklärt ein veritables Mitglied der Bundesregierung, Minister Engholm - Herr Kohl hat das zitiert -, der Kanzler werden wohl in der Sicherheitsfrage auf dem kommenden Parteitag keine Mehrheit mehr haben. Was geschieht? Nichts. Energisch läßt man wieder die Flügel schleifen.
({41})
Der SPD-Vorsitzende ist gegen und der Bundeskanzler ist für den Beitritt Spaniens zur NATO. Beides bleibt so stehen, zur freien Auswahl und zur Stärkung der Klarheit des deutschen Worts in aller Welt.
Der SPD-Vorsitzende, auch hier - es tut mir leid, das sagen zu müssen - der Moskauer Meinung näher als der heimischen Regierung, ermuntert die Skandinavier, den Erwägungen zur atomwaffenfreien Zone näherzutreten. Die Bundesregierung will Sicherheitsfragen allein im Bündnis lösen. Herr Bahr sucht - illoyal und an uns hier vorbei - den Kontakt über Sicherheitsfragen in der Volkskammer. Die Bundesregierung beschließt, den Bau und den Export eines U-Boots nach Chile zu genehmigen, dann widerruft sie das wegen Gegenwind aus der Koalition.
Die Bundesregierung stärkt saudiarabische Erwartungen auf deutsche Panzer, läßt aber dann die stolzen Herren im Burnus wie Bittsteller allein, wieder wegen Widerspruchs aus den eigenen Reihen. Der König war hier zum Staatsbesuch, der Kanzler war drüben, und nun sitzen wir hier den vierten Monat ohne einen Botschafter aus Riad. Das ist nicht mehr Verärgerung, das ist Protest. Das kommt uns, Graf Lambsdorff und Herr Bundeskanzler, teuer zu stehen - wegen mangelnder Tatkraft, Führung und Voraussicht!
({42})
Unser neuer Botschafter in Israel könnte sich glücklich schätzen, wenn er dort auf der grünen Wiese neu anfangen könnte. Meine Damen und Herren, er wird sich bei den dortigen politischen Tempa-raturen ganz warm anziehen müssen. Das war eben ein „Glanzstück"; es ist das „Glanzstück", sich auf beiden Seiten Verärgerung zu verschaffen, sich zwischen die Stühle zu setzen und sich herauszumanövrieren.
({43})
Das ist kein Glanzstück von Außenpolitik! Herr Kollege Genscher, ich kann mir nicht vorstellen, daß das stimmt, daß Sie sich da und so „wohl" fühlen.
Dann kam das nächste Exempel negativer Staatskunst: Griechenland und Türkei. Hü und hott, einer so, der andere so - wieder wegen Hemmnissen aus dieser Koalition.
Über all dem schwebt dann - nebelverbreitend - Ihr Herr Vorgänger, der zugleich der Vorsitzende Ihrer Partei ist, Herr Bundeskanzler. Er macht sich weltweit zum öffentlichen Bürgen des Friedenswillens der in Afghanistan gerade einen Angriffskrieg führenden Sowjetunion: Der rote Zar „zittere" um den Frieden.
Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, das alles hat Methode: über Reagan die Augenbrauen erheben, Weinberger und Haig kritisieren, uns die Friedensfähigkeit absprechen und den Moskauern das Zittern um den Frieden bescheinigen. Meine Damen und Herren, das hat doch Methode!
({44})
Dann kommt es eben dazu, daß Ihre jungen Leute sagen, das müsse man eben selbst in die Hand nehmen, das seien j a gar keine Verbündeten, sondern - der Kollege Kohl hat das Zitat von Bahr gebracht -„Besatzer". - Ja, wir haben Besatzer in Deutschland: die rote Armee; die ist ungebeten da.
({45})
Aber die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen sind unsere Freunde, die wir hier gerne begrüßen!
({46})
So denke ich - und ich hoffe, daß Sie das so aufnehmen, wie ich es meine -, der Kollege Brandt müßte sich einmal darüber klarwerden - ich hätte ihn härter gefragt, wenn er hier säße -, ob er sich nicht manchmal selbst fragt, daß er das erzeugt, was er bestimmt fürchtet, nämlich deutschen Nationalismus.
({47})
Ich könnte hierzu heute den sozialistischen „Matin" zitieren, aber ich brauche gar nicht ausländische Stimmen heranzuziehen. Ich habe hierzu die Besorgnis des Bundesaußenministers im Ohr, die ich seinem Interview mit der „Zeit" entnommen habe, und im Ohr habe ich auch den Ton dessen, was er hier in der vergangenen Woche sagte - ich zitiere nach dem Protokoll -:
Die Annahme, deutsche Interessen im Alleingang vielleicht besser verfolgen zu können, würde die Grundlagen unserer gesamten Politik in Frage stellen.
Auch die Sicherung unserer besonderen Belange in der deutschen Frage und im Rahmen der Entspannungspolitik ist nicht trotz des Zusammenwirkens mit unseren westlichen Partnern, sondern nur im Zusammenwirken mit ihnen überhaupt erst möglich geworden.
Ohne Grund redet doch der Vizekanzler nicht so! Und von uns hat doch keiner Anlaß gegeben, uns so anzusprechen und zu ermahnen. Das geht an Ihr Lager! Das ist eine Besorgnis, die der Bundesaußenminister hat, aber der Kanzler schweigt, verschweigt sich, verschweigt sich der Nation. Im Grundgesetz steht, er habe die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Die Wirklichkeit, Herr Bundeskanzler, läßt uns
das nicht wahrnehmen! Und das ist eine höfliche Formulierung.
({48})
Dieses Stück Sprachlosigkeit statt Führung - ich beschreibe das, was wir wahrnehmen, wieder höflich - wirkt dann auch auf die Lage junger Menschen ein, die wiederum Sie zu verantworten haben. Auf dem politischen Felde ist es doch - wie auch auf dem sozialen und ökonomischen - nicht so, daß uns der Himmel eine Prüfung unserer Leidensfähigkeit verordnet hätte. Da läßt sich doch eine Menge machen! Z. B. dies - ich bin auch hier konkret, Herr Bundeskanzler -:
Erstens. Sie haben vom Besuch von Herrn Breschnew gesprochen. Ich glaube, es ist notwendig, die Häufigkeit dieser Besuche öffentlich zu erklären und zu begründen; sonst entstünde leicht der Eindruck, daß die Quantität dieser Besuche in die Qualität unserer Politik umschlägt, und solche fragenden Vermutungen bekämen der deutschen Sache schlecht.
({49})
Ich sähe es gern, wenn wir diesen hohen Besuch als Ausweis guter Nachbarschaft werten könnten. Leider ist dem nicht so. Der Besucher ist verantwortlich für die Realität „DDR",
({50})
für die Mauer, für die Abgrenzung.
({51})
Auch bemüht er sich darum, das westliche Bündnis zu zersetzen, die militärische Übermacht der Sowjetunion zu stabilisieren und unseren Nachrüstungswillen zu beseitigen. Die Einmischung der Sowjetunion in unsere inneren Angelegenheiten ist offenkundig. Man denke nur an die Rede des Moskauer Delegierten auf dem letzten KP-Parteitag hier.
Es wird an Ihnen liegen, Herr Bundeskanzler, das alles in gehöriger Form zur Sprache zu bringen und darauf hinzuweisen
({52})
- und diesen Hinweis nehmen Sie bitte ganz ernst -, wie sehr die internationale Lage entspannt würde, wenn die Sowjetunion den Plan der EG zum Frieden in Afghanistan annähme. Auch muß der Besucher den festen Eindruck mitnehmen, daß wir weiter nachrüsten werden, wenn nicht Gegenleistungen der Sowjetunion das erübrigen.
({53})
Zweitens. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen davon, daß Sie Herrn Honecker sehen werden. Sie haben früher dazu erklärt - und ich unterstütze dies ausdrücklich -, das habe dann einen Sinn, wenn dabei etwas herauskomme. Herauskommen muß - und das ist keine Vorbedingung, sondern das Selbstverständliche ({54})
- er liest das nach, ich bin sicher ({55})
zunächst die verläßliche Vertragstreue der DDR.
({56})
Was da drüben hinsichtlich der Journalisten geschieht, entspricht nicht den Verabredungen. Der Zwangsumtausch errichtet eine Finanzmauer und betrifft deshalb nicht nur den Geist, sondern den Gegenstand der Vereinbarungen.
({57})
54 % weniger Berliner können dieser Kosten wegen von ihrem Recht noch Gebrauch machen. - Das ist die Auskunft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.
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Herr Bundeskanzler, was Herr Honecker im Oktober 1980 in Gera gefordert hat - Staatsbürgerschaft, Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter und Botschafteraustausch - bedeutet, um es beim Namen zu nennen, die Forderung nach Revision des Grundlagenvertrages zugunsten der DDR.
({59})
Wir können das nicht gewähren und haben hier nichts zu verschenken, auch nicht beim Bau der Autobahn Berlin-Hamburg. Ich habe dazu im April das Nötige gesagt.
Herr Bundeskanzler, das dritte, was ich Ihnen sagen möchte: Sie können auch in Europa etwas machen. Da schimpfen wir immer alle über die Umständlichkeit des Verfahrens. Natürlich ist das umständlich, weil man da einen Einstimmigkeitsfetischismus aufgebaut hat. Aber der Kompromiß von Luxemburg - der Vertrag sieht Mehrheitsentscheidungen vor; Frankreich hat gesagt: Das wollen wir eigentlich nicht; andere dachten ähnlich, haben es aber nicht gesagt - sieht vor, daß sich keines der Länder in wesentlichen Fragen überstimmen lassen soll. Und de Gaulle ließ wissen, wesentliche Fragen seien vielleicht zwei pro Jahr, sicher nicht fünf.
Wie wäre es denn, wenn Sie anregten, daß sich alle Regierungen verpflichten, die vorher erkennbaren Fragen vorher als im nationalen Interesse besonders zu unterstreichen. Dann könnte nicht in irgendeiner Sitzung ein Beamter kommen und sagen: Wir sind noch nicht soweit, wir mögen noch nicht. Dann gibt es nicht das große Liegenlassen. Sie könnten Europa allein durch diesen Verfahrensvorschlag wieder ein ganzes Stück flottmachen, meine Damen und meine Herren.
({60})
Das Vierte: Und das liegt mir nun besonders am Herzen; da würde ich, Herr Bundeskanzler, doch sehr herzlich darum bitten, daß ich vielleicht
Der Bundeskanzler
hört nicht zu! „Elitäre Arroganz" war noch
ein harmloses Wort!)
das geneigte Ohr der beiden Herren vorn auf der Regierungsbank finde. Ich möchte also versuchen, Ihnen das Vierte nahezubringen. Ich will die Frage stellen, die uns alle angeht, wenn wir draußen im Lande sind: Warum eigentlich ist der Westen, warum sind wir draußen in der Friedensfrage oft in der Devensive? Die Moskauer kämpfen doch in Afghanistan. Sie verantworten weitgehend die blutige und traurige Spur ihrer Politik, die 15 Millionen Flüchtlinge z. B. zeichnen. Und sie haben doch vor- und übergerüstet.
Warum ergreift nicht das Bündnis die Initiative mit einem lauten und sichtbaren konkreten Friedensplan? Warum tut es das nicht? Es käme so in die Vorhand und drehte die Beweislast um. Das, zum Beispiel das, könnten Sie tun, Herr Bundeskanzler. Es stünde Ihnen wohl zu Gesicht. Wie sonst - verzeihen Sie - wollen Sie eigentlich mit Ihrer Kanzlerschaft in die Geschichte eingehen?
({0})
Zerbröselt zwischen roten Zahlen? In den Sand getreten von Eppler, Coppik und Genossen?
({1})
- Herr Kollege Wehner, es ist sehr interessant, an welcher Stelle Sie losgehen.
Die Friedfertigen sitzen doch im Westen, verehrte Damen und Herren. Die USA haben nach dem Krieg, Herr Kollege Wehner, die Macht, welche ihnen über Jahre der alleinige Besitz der Atomwaffe gab, weder eingesetzt noch mißbraucht. Sie haben in den letzten Jahren in Abrüstungsfragen vorgeleistet: keine Wehrpflicht, kein B-1-Bomber, keine Neutronenwaffe unter Carter. Die Antwort der Sowjetunion war Überrüstung. Warum sucht nicht der Westen die geistige und politische, auch die psychologische Initiative? Sie liegt doch auf der Straße, man muß sie nur greifen.
({2})
- Das im Bündnis durchzusetzen, Kollege Ehmke, wäre sicher eine bessere Politik für uns Deutsche, als Herrn Breschnew küssen und das Weiße Haus bekritteln.
({3})
Das wäre auch besser, als im Anflug eines neuen Größenwahns unserer verletzbaren Republik die „Brückenfunktion zwischen Ost und West" zuordnen zu wollen. Das ist eine lebensgefährliche Utopie, so gefährlich wie der Versuch, eine „Friedensgarantie" für den Nahen Osten anzubieten.
Herr Kollege Wehner, Marxisten sind immer bemüht, im Gegner ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Das ist die Methode des nationalen wie des internationalen Klassenkampfes. Und so bemühen sie sich, in uns der Nachrüstung wegen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Sie haben bei vielen Erfolg, die da schon sauertöpfisch mit dem schlechten Gewissen herumlaufen. Ich frage mich manchmal, ob alle die, die da mit Transparenten „Frieden" herumlaufen, wissen, daß sie ihn mehr gefährden als der Nachrüstungsdoppelbeschluß.
({4})
Hier finde ich nun gegen Schluß doch eine Möglichkeit, wenigstens in einer Sache dem Herrn Bundeskanzler zuzustimmen. Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, wenn Sie vor einiger Zeit in Ihre Partei hineinriefen:
Hört endlich auf, euch suggerieren zu lassen, als ob die Amerikaner unsere Feinde und die Russen unsere Freunde seien.
Das haben Sie einmal gesagt. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten das den Initiatoren in Berlin direkt ins Gesicht gesagt, und Sie würden so öfter sprechen. Sie würden ja nicht so reden, Herr Bundeskanzler, wenn Sie nicht wüßten, daß in Ihrem Lager auch so gedacht wird.
Meine Damen und Herren, um Deutschland wird gekämpft, um seine innere Ordnung wie um seine außenpolitische Zuordnung. Herr Bundeskanzler, Herr Kollege Schmidt, da geht es um mehr als um Ihren verdienstvollen Einsatz bei der Hamburger Hochwasserkatastrophe. Die Geschichte wird Sie an dem messen, was Sie in dieser Zeit für Deutschland, in Deutschland und um Deutschland getan haben.
({5})
Das wird der Maßstab sein.
Meine Damen, meine Herren, ich habe einige konkrete Punkte genannt, innen- und außenpolitisch. Man könnte also, wenn man wollte, aber man kann nicht, weil man sich nicht traut. Wenn man sich der Kanzlermehrheit sicher wäre, würde es hier wohl anders aussehen. Dann ginge es auch leichter. Aber, verehrte Damen und Herren, wer es leicht haben will, soll nicht Bundeskanzler werden.
({6})
- Es ist doch eine ganze Weile her, Herr Kollege Wehner, und Sie haben ja einiges dazu getan, das auf verschiedenen Wegen zu verhindern.
({7})
Herr Bundeskanzler, überlegen Sie einmal, ob Sie nicht dem Bild zustimmen können, das ich einmal gebraucht habe: „Eine Mütze macht noch keinen Lotsen, und ein Lotse ist noch kein Kapitän." Das Schiff Bundesrepublik Deutschland ist in rauher See. Es braucht einen Kapitän, der nicht sagt, morgen kämen die Wellen noch höher, und der sich nicht unter Deck zum Schweigen verzieht. Da bedarf es eines Kapitäns, der Zuversicht gibt und Kraft ausstrahlt und der zeigt, wo es langgeht. Sie sollten sich einmal prüfen, Herr Bundeskanzler, ob Sie seit dem Tage der Bundestagswahl diesem Anspruch genügt haben.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da sind heute Worte gewechselt worden, als ginge es - ({0})
- Ich weiß. Kommen Sie doch hierher, dann wird man noch mehr Ihr Geblödel hören, Herr Soundso! Sie sind ja bekannt dafür, Sie stehen auch im Protokoll dafür.
Allen Ernstes: „Der Worte sind genug gefallen, laßt uns nun endlich Taten sehen", so lautet ein Satz. Kommen wir dazu, wozu wir gewählt worden sind, zur wirklichen Behandlung dessen, was der Haushaltsplan 1982 diesen gewählten Abgeordneten auferlegt, statt hier so zu tun, als könne man anfangen, Risse in politische Erlebnisse und politische Handlungen - oder versäumte Handlungen - hineinzubringen.
({1})
Herr Kollege Barzel, mir tun Sie leid; nicht deswegen, weil Sie sich hier heute in dieser Weise wieder einmal in dem Gefilde auswärtiger Politik betätigt haben, um darüber unterschiedliche und gegensätzliche Meinungen auszutauschen. Ich bin froh gewesen, als Sie sich am Anfang dieser Periode wählen ließen und Wert darauf gelegt haben, Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses zu werden. Ich bin auch heute noch der Meinung: Gut, daß der Mann, den ich sehr bedaure für vieles, was er in den vergangenen Jahren hat ertragen müssen, eine wirkliche Möglichkeit hat.
Nun haben wir heute gesehen, wie er die erste Möglichkeit hatte. Aber bitte, ich enthalte mich allen Spottes. Wir könnten jetzt einige Stunden miteinander über das reden, was Sie angerührt oder wozu Sie sich geäußert haben.
({2})
- Ich bitte Sie um Entschuldigung. Was führen Sie denn noch für Namen ein? Was denn noch? Wieso bringen Sie das in einen Zusammenhang mit Herrn Barzel? So dumm bin ich nicht, wie Sie mich einschätzen, meine Herren, die Sie da am Rande sitzen.
Nein, ich will mit aller Eindringlichkeit sagen: Dies hier ist die Sitzung des gewählten Bundestages, in der eine Beratung stattfindet, der Ausschuß-, Arbeitskreis- und Fraktionssitzungen vorausgegangen sind. Ich suche heute noch nach dem, was zu Papier gebracht worden ist über die Absichten der Christlich Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union, die hier ja eine gemeinsame Fraktion darstellen.
Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer das ist, weil es da mehrere Gründe gibt. Die einen sagen: Jetzt aber den „Roten" und ihren Koalitionspartnern eins überbraten! Dann gibt es die anderen, die sagen,
welche Forderungen ihnen am meisten liegen. Und dann gibt es die, die andere trösten - ({3})
- Lassen Sie mich doch mal weiter meiner Phantasie Ausdruck geben.
Da sind die, die genau wissen: Die eigentliche Auseinandersetzung kommt, wenn wir an die Mauer des Bundesrats zu stoßen scheinen.
({4})
- Sie können doch einem alten Fuhrmann nichts einreden, als wüßte er nicht, was diese Sachen bedeuten, um die gerungen werden werden muß.
({5})
Sie tun mir wirklich leid, Herr Barzel. Jetzt wollen Sie am Ende dieser kurzen Debatten, während deren diejenigen, die für uns - das betrifft Sie, das betrifft unsere Seite - Verantwortung dafür haben, wie nun in den zuständigen Ausschüssen gearbeitet wird, wozu man eigentlich zwei plenarsitzungsfreie Wochen brauchte, damit man mit dem Problembündel, um das es hier geht, fertig werden kann, nämlich mit dem Bundeshaushalt 1982 - ({6})
- Gut, daß Sie darauf so reagieren. Ich würde mich freuen, wenn bei allen Unterschieden, die wir haben, Übereinstimmung darüber besteht, daß in den Ausschüssen die Möglichkeit zu intensiver Erörterung des Haushaltsplans 1982 und seines Ausgleichs bestehen sollte, nachdem diese Möglichkeit hier vergeudet worden ist.
({7})
Ich denke, Sie haben das nicht nur so dahingesagt. Wir können doch ernsthaft darüber reden.
Mancherlei unterschiedliche und auch gegensätzliche Einschätzungen und Vorstellungen sind während dieser Debatten des gestrigen Tages und des heutigen Halbtages hervorgetreten. Da wird die Belegschaft allmählich immer dünner, wie das eben Sitte ist.
({8})
- Ich meine natürlich immer alle. Warum regen Sie sich denn auf? Ich bin doch nicht so dumm, wie Sie meinen. Ich weiß ganz genau, daß die Gleichheit aller Parlamentarier in diesem Punkt leider nicht unterschätzt werden darf.
({9})
- Na also. Was regen Sie sich auf?
({10})
- Quatschkopf. Hören Sie einmal, was zeigen Sie immer mit dem Finger? Wir sind doch hier nicht auf der Straße. Wir sind doch im Plenarsaal des Bundestags.
({11})
Was immer wir voneinander halten, gemeinsame Notwendigkeit ist, auf der Grundlage der Ausführungen des Bundesministers der Finanzen die Kompromisse zu suchen und zu finden, die der Bundesrepublik Deutschland und den Mitbürgerinnen und Mitbürgern dienen. Ich danke dem Bundeskanzler ausdrücklich - ich nehme an, ich darf das im Namen der sozialdemokratischen Fraktion auch für alle ihre Mitglieder sagen - für seine heutigen Ausführungen.
({12})
Nach diesen Debatten geht es um folgendes: in den Ausschüssen bemüht zu sein, Leistungsfähigkeit und Sicherungsnotwendigkeit gleichgewichtig zu machen. Ich denke dabei an die Debattenausführungen, die gestern und zum Teil auch heute zum Haushaltsplan zu hören waren, z. B. an den Beitrag des Herrn Finanzministers Posser aus NordrheinWestfalen mit ganz interessanten Details, auf die ich heute gerne eingegangen wäre. Aber ich bin in einer völlig falschen Umgebung. Sie reden jetzt über große Politik, Sie reden jetzt darüber, wie der eine den anderen dahin boxt.
({13})
- Ja, sicher. Ich gönne Herrn Barzel dieses Erlebnis von fast einem Jahr Vorsitz im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Ich freue mich bei aller Gegnerschaft, daß er wieder etwas gefunden hat, das ihn aus - mir sehr verständlichen - Leiden herausführt, die ihm auferlegt gewesen waren. Nehmen Sie das bei allem, was wir aneinander auszusetzen haben, bitte ernst.
Aber wir hätten auch noch Herrn Kieps Ausdruck über Dauerbrenner zu behandeln. Das alles geht heute nicht mehr, weil dann die Besetzung immer dünner wird. Das kann ich gut verstehen. Die einen haben noch das, die anderen haben noch das. Das ist ja kein Ausdruck für Faulenzerei.
({14})
- Nein. Bitte, wir müssen an die Arbeit. Ich hätte es gern gehabt, wenn man wenigstens den zweiten Tag, der ja nur ein Halbtag ist, für diese Debatten, Bundeshaushalt 1982, wirklich noch nutzbar gemacht hätte. Das ist anders gelaufen. Das ist jetzt eine Sache, die vorwiegend in den Ausschüssen oder in den Arbeitskreisen behandelt werden muß.
Aber in dem Verlauf dieser Debatten hat man eines lernen können.
({15})
- Ja, z. B. habe ich es bei Herrn Strauß gelernt - im
Unterschied zu manchem, was Herr Strauß geäußert
hat und was ich auch immer einmal wieder ins Gedächtnis anderer zu rufen, zurückzurufen oder einzuprägen versuche.
Ich hatte mir gestern erlaubt, dem bayerischen Regierungschef, also dortigen ersten Mann - wenn man das so sagen darf, ohne ihm zu nahe zu treten; er ist ein Übermann -,
({16})
eine Frage zu stellen in bezug auf eine Rede, die er am 18./19. November 1974 gehalten hat, die sogenannte Sonthofener Rede. „Wir müssen sie ..." - so lautet das wörtlich; aber keine Angst, ich wiederhole nicht, was ich ihn gestern gefragt habe. Er hat darauf mit einer Einschränkung dessen geantwortet, was in der Sonthofener Rede durch ihn sonst noch
({17})
- ja, also - historisch geworden ist. Der Mann ist ein historischer Mann.
({18})
Es ist ein Stück Geschichte eines Parlaments und eines Landes, der Bundesrepublik. - Nein, nein, lassen Sie mich das Ihnen noch einmal genau in Erinnerung bringen. Sie sind ja alle, was das Parlament betrifft, nicht so lange drin, wie ich es bin oder auch der Herr Strauß es war, der ja raus ist und inzwischen in höhere Sphären gestiegen, nämlich Chef einer Landesregierung geworden ist.
({19})
Damals hat der damalige Kollege und heutige Ministerpräsident in Richtung und mit dem Finger auf uns, wie das bei Ihnen inzwischen j a Mode zu sein scheint - oder es wird nachgeahmt, weil er es so macht -, gesagt:
Wir müssen sie so weit treiben, daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen
({20})
oder den Staatsbankrott erklären müssen oder drastische Steuererhöhungen mit abermals einschneidenden negativen Folgen für die Wirtschaft.
({21})
- Den Rest sollten Sie sich noch einmal anhören, damit Sie sehen, ob der Wehner schwindelt oder ob das wirklich so drinsteht.
Vorher haben wir gar keinen Grund, mehr öffentliche Investitionen und Anreiz für private Investitionen zu verlangen. Ich habe gesagt: Ich stimme diesen Grundsätzen zu, bloß soll man sie jetzt nicht verkünden. Wir haben durch Zuwarten gar nichts verloren. Das blöde Gerede, ihr habt j a keine Alternative, mit dem dann wir uns immer hineintreiben lassen also in eine Mitverantwortung, interessiert ja doch die 95 % der Wähler nicht. Ich will
- so betonte er überhaupt nicht im kleinen sagen, was wir uns vorstellen mit der Sanierung der öffentlich-rechtlichen Krankenkassen, mit Berufsausbil3058
dung, mit Krankenhausfinanzierung usw. usw. Nein, wir müssen sagen: Ihr seid doch an der Regierung, ihr habt doch in diesem Staat seit fünf Jahren diese Wirtschaft ruiniert.
({22})
- Ha, ha, ha, ich kann nur lachen über das, was Sie alles beklatschenswert finden; Sie sind mir Klatschbasen.
({23})
Lassen Sie mich weiter auf den gemeinsam bekannten, wenn auch von unterschiedlichem Vertrauen getragenen Herrn Franz Josef Strauß kommen:
Wir müssen doch jetzt endlich einmal Schluß machen, das Risiko zu privatisieren, die Gewinne zu sozialisieren und die Entscheidungen zu kollektivieren. Das sind die drei Schlagworte. Damit ist diese allmählich immer kränker gewordene Wirtschaft nicht mehr zu retten. Damit komme ich zu einem Punkt, d. h. Anreiz zu privater Investition.
Nun haben Sie bitte keine Angst, daß ich Ihnen den auch noch ins Gedächtnis bringe.
({24})
- Ich denke nicht daran. Denn sonst werden Sie sagen: Der hat uns den Strauß durch seine lange Vorleserei so geschmackswidrig gemacht;
({25})
das möchte ich nicht verantworten müssen. Nein, nein, nehmen Sie von einem, der nach Ihrer Sprechweise und Ihrer denunziatorischen Art,
({26})
politisch Andersdenkende zu disqualifizieren - Ich habe immer diese scheußliche Broschüre bei mir
- Herr Zimmermann, Sie wissen j a, wo das Loch gelassen worden ist
({27})
- ja, ja, hier haben Sie das -, in der Sie von der „Moskau-Fraktion" in der SPD als Gefahr für unsere Freiheit geschrieben haben.
({28})
- Ja, sicher. Sie haben jetzt so sehr über Politik gesprochen, daß ich erklären möchte, wo das seinen Humusboden - das ist j a alles Dünger, was Sie da zusammenholen - hat. Das war alles, worauf es mir in dem Zusammenhang ankam.
({29})
Wir könnten auch noch diesen letzten Halbtag miteinander über vieles reden, was nun nach Schluß dieser Debatten zu sagen notwendig ist. Aber wir müssen, soweit das menschenmöglich ist, einiges
versuchen. Wir müssen erstens es fertigbringen, die Wahrheit zu sagen, d. h. vor allem - ({30})
- Sehen Sie, da sind wir j a einig. Dann brauchen wir nur zu sagen: wir müssen genau herausfinden, was die einen und die anderen unter Wahrheit verstehen.
({31})
Wir müssen zweitens zu Zusammenarbeit fähig sein. Das heißt vor allem, bemüht zu sein, im Bundestag und im Bundesrat zu konstruktiven, effektiven und gerechten Beschlüssen zu kommen.
Drittens gilt es, Vertrauen zu stärken. Das heißt vor allem, der schlimmen Versuchung zu widerstehen, die großen Probleme dieser Zeit dazu zu mißbrauchen, die Menschen in eine sie lähmende Angst zu jagen.
({32})
Alle diese Dinge sind leider in der Art, wie jetzt Auseinandersetzungen geführt werden, enthalten.
Das wollte ich, da es ja bald dem Schluß dieser Debatte zugeht und noch einige bedeutende - - Ich sehe ihn schon. Er knetet immer die Hände, ob dann noch genug - so wie jetzt - davor sitzen werden: der Herr Dregger. Er möge uns bitte diesen Vormittag bis über den Mittag hinaus auch noch das Vergnügen geben.
Schönen Dank für Ihre große Aufmerksamkeit und gute Wünsche für die Ausschußtätigkeit, mit der jetzt der Haushaltsplan 1982 zustande gebracht werden muß.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer auch nur etwas von Wirtschaft versteht - er braucht da nicht an der ständigen Ermahnung durch den Bundeswirtschaftsminister Maß zu nehmen -, weiß, daß in der Wirtschaftspolitik nicht nur das richtige Konzept zum Erfolg führt, sondern daß Wirtschaftspolitik zu einem Großteil Psychologie ist.
Der Haushalt 1982 ist sicher eine schwierige Operation. Aber es geht nicht nur um das Ergebnis. Draußen wird man in diesen Tagen darüber hinaus aufmerksam verfolgen, wie bei der ersten Lesung das Parlament - alle drei Fraktionen - und die Bundesregierung die Sache dargestellt haben und ob man als Bürger aus den Äußerungen das Vertrauen haben kann, auf einem guten Weg, auf einem Weg der Konsolidierung und der Besserung zu sein, die wir, ganz gleich, wo wir sitzen, wünschen.
Ich habe es als interessant empfunden - die Kollegen werden es ebenso verfolgt haben -, daß bei aller Gegensätzlichkeit in diesen Tagen der böse Ton ausgeblieben ist.
Selbstverständlich muß die Opposition sagen - das ist ihr gutes Recht -: Unsere Aufgabe ist es nicht, euch die Arbeit abzunehmen; ihr stellt die Bundesregierung, leistet diese Arbeit, und wir sagen euch, was ihr versäumt habt. Das ist alles ganz klar. Aber Aufgabe und Erfüllung sind zweierlei.
Die Art und Weise, wie das die Opposition weithin getan hat, ist bei uns nicht ohne Beachtung geblieben. Der Bürger, der in diesen Tagen diese Debatte verfolgt hat, wird den Eindruck gewonnen haben, daß alle Parteien ihre Rolle zu spielen haben, daß aber der gemeinsame Wille, zu einem Ergebnis zu kommen, vorhanden ist, wobei sich jeder in die Rolle des anderen hineindenkt und die Opposition in der Hoffnung, einst wieder die Regierung zu stellen, bereits jetzt ihren Beitrag in einer Weise leistet, die deutlich macht, daß auch sie sich mit diesem Problem zu Recht und als eine leistungsfähige politische Partei beschäftigt.
Ich greife drei Beiträge heraus, und zwar in der Reihenfolge, in der sie geliefert wurden: den Beitrag des Bundesfinanzministers, den Beitrag des Kollegen Häfele zu Beginn der Aussprache, der natürlich seine Rolle für die Opposition zu spielen hatte, aber doch deutlich werden ließ, daß man zusammenkommen kann und daß man sich mit der Problematik ernsthaft, sachbezogen und ohne das ständige Bestreben, dem andere eins auszuwischen, beschäftigen kann und schließlich den Beitrag von Graf Lambsdorff, der in dem Konzert dieser Drei klar gemacht hat, daß hier der Wille zur Zusammenarbeit vorhanden ist.
Dann nahm der Kollege Dr. Barzel das Wort. Ich habe mir überlegt: man könnte überhaupt hier anders antworten und einen anderen kleinen Beitrag leisten, wenn Sie nicht gesprochen hätten. Aber das soll den großen Trend dessen, was ich eben ausgeführt habe, nicht unter den Teppich kehren. Wir wollen uns hier nicht irremachen lassen.
Nein, Herr Kollege Barzel, ich verstehe nicht, wie Sie der Versuchung erliegen konnten, kraft der Brillanz der Formulierung sich um die Wirksamkeit der Worte zu bringen.
({0})
Denn Sie sind insofern völlig aus der Rolle gefallen, als Sie der Versuchung nicht widerstanden haben, mit einem Klingelbeutel schillernder, glänzender, leuchtender Worte vor dieses Parlament zu treten und dabei jene Bescheidenheit, die die Opposition in dieser Debatte ausgezeichnet hat, völlig beiseite zu wischen. Die Bescheidenheit ist es j a, die die Wirksamkeit oft ausmacht.
({1})
Da tritt jemand von der Opposition vor die Öffentlichkeitund sagt, gewandt zur Regierungsbank: „Ihr Nichtskönner, ihr Versager! Oh, wären wir nur an eurer Stelle gewesen, wir hätten euch vormachen können, wie man auch schwierige Fragen zu lösen weiß."
({2})
Daß man sagt, man sei der Bessere, ist legitim. Das wird bei günstigem Wahlausgang, schließlich auch ausgewiesen durch das Wahlergebnis, vom Bürger geglaubt. Aber generell sich zu überheben und zu sagen: „Wir hätten dies alles gekonnt, wir wären ja fähig gewesen" - wer glaubt denn dies? Wer kann es heute noch ernst nehmen, wer glaubt es Ihnen, wenn Sie die Bedrängungen, die uns durch den Ölpreis, durch die OPEC auferlegt wurden - zwar nicht der alleinige Grund des Übels -, und die sich mittlerweile in der gesamten Bevölkerung voll herumgesprochen haben, mit einer Handbewegung hier vom Pult zu wischen suchen, als sei dies alles nichts gewesen.
({3})
Nicht diese OPEC, nein, die Unfähigkeit dieser Bundesregierung, mit diesem gewaltigen Problem umzugehen, das sei es.
Herr Kollege Barzel, mehr Worte bedarf es eigentlich nicht, weil ich glaube, daß Sie Ihren politischen Freunden keinen Gefallen getan haben, weil da versucht wurde, ein Stück von der Ernsthaftigkeit wegzunehmen, die bisher diese Debatte in diesen Tagen bestimmt hat.
Nun wäre es reizvoll, noch einen Moment bei dem zu verweilen, was wir für die Zukunft lernen können. Ich will nicht wiederholen, was Graf Lambsdorff zur Wende gesagt hat. Aber da möchten wir auch alle zusammen sehen. Sie, Herr Dr. Barzel, werden auch nicht bestreiten, daß bestimmte Begriffe die Gesellschaftspolitik prägen und Erwartungen der Bürger auf uns zukommen. Sie werden zugeben, daß dies alles auch nicht spurlos an Ihrer Partei vorbeigegangen ist. Da können wir uns im Kreise der Drei einmal darüber unterhalten, welche Lehren zu ziehen sind.
Im Zusammenhang mit der Haushaltskonsolidierung wird viel von der Gerechtigkeit gesprochen. Dazu scheint mir persönlich wichtig, sich einmal in dem politischen Bereich mit diesem Begriff wieder ernsthaft auseinanderzusetzen und den Begriff wieder so auszuformen, wie es seiner unverzichtbaren Bedeutung entspricht, und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß er nicht zu einem billigen Schlagwort verkommt, das, ich sage es einmal so hart, bei jedem Dreck herhalten muß, benützt zu werden. „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk." Oder der heilige Augustin - wir wissen es -: Ohne Gerechtigkeit wären die Staaten nichts anderes als große Räuberbanden. Aber was bedeutet es mittlerweile, wenn wir über Gerechtigkeit sprechen?: Die Vorstellung herrscht vor, daß jeder übers Jahr gerechnet auf 12,50 DM genau zugemessen das Seine und ihm als richtig Erscheinende bekommen muß; sonst sei die Gerechtigkeit fundamental verletzt. Das, mit der Klage über die Normenflut kombiniert, ergibt eine interessante, nicht aufzulösende und ungenießbare Mischung.
({4})
Zu der Frage, daß die Bürger heute hoffen, daß wir Erfolg haben und daß wir - um das Wort des Kollegen Gärtner gegenüber der Opposition aufzugreifen - nicht zu kurz gesprungen sind: Wir kennen die Schwierigkeiten, die Unwägbarkeiten und die Bela3060
stungen, die im Zusammenhang mit dem Haushalt noch auf uns zukommen können. Wir sind aber sicher, daß wir diese Herausforderungen bewältigen werden, weil heute die Bereitschaft bei der Bevölkerung - wenn man ihr die Wahrheit sagt - vorhanden ist, nicht nur etwas beizutragen, sondern darüber hinaus auch wirkliche Opfer zu bringen. Aber diese Bereitschaft besteht nur dann, wenn man sicher sein kann, daß dies nicht eine unablässige Kette immer neuer Beratungen, immer neuer Auseinandersetzungen und immer stückweise zugeteilter Belastungen sein wird. Regierung und Parlament - die Opposition eingeschlossen - müssen vielmehr nicht nur den Willen, sondern die Fähigkeit haben, die Dinge hier tatsächlich in den Griff zu bekommen. Ich glaube, das wird uns nur gelingen, wenn wir umgekehrt der Bevölkerung deutlich machen, daß die Herausforderungen einer veränderten Situation - wie es der Bundesaußenminister dargestellt hat - von uns auch aufgenommen werden können.
Ich habe das Wort von der Gerechtigkeit gesprochen, weil wir heute schon bei der kleinsten Auseinandersetzung in der Gefahr sind, die Bewegungsfähigkeit zu verlieren. Wir müssen flexibler sein. Die hehren Prinzipien, die diesen Staat tragen, einen Rechtsstaat und Sozialstaat, dürfen nicht verletzt sein. Sie dürfen nicht verletzt werden.
Aber was ist Gerechtigkeit? Was ist sozial? Muß man hier beim Zaune stehenbleiben, der sich einem vordergründig in den Weg stellt, oder muß man nicht über den Zaun hinaus ins Morgen schauen? Kann es richtig sein, daß jede Überlegung in diesem Bereich - man mag zu ihr politisch stehen wie immer - mit Tabuworten blockiert wird, die den Weg versperren? Das ist keine Frage einer politischen Partei. Das erleben wir j a alle.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Zeit, als ich Mitte der 50er Jahre das Kirchenrechtliche Seminar in Erlangen besuchte. Dort haben wir uns nicht nur über den Corpus juris Canonici unterhalten, sondern damals habe ich auch so manche Lebensweisheit mit auf den Weg bekommen, die auch für die Politik nützlich sein kann. Professor Liermann sagte einmal, man solle über das Problem nachdenken, daß es Tabus gäbe, die als Waffe eingesetzt werden können, um einen Menschen zu vernichten. Wer im mittelalterlichen Europa ein Glied aus der Gesellschaft herausnehmen wollte, wer jemanden völlig vernichten wollte, der mußte nur sagen, dieser Mensch glaube nicht an Gott. Heute, so sagte er damals, scheine es ihm, reiche es aus, um einen Menschen zu vernichten, zu sagen, er habe nicht sozial gehandelt, er sei nicht sozial.
({5})
Wir wissen, welche Bedeutung der sozialen Gesinnung, dem sozialen Handeln im Sozialstaat zukommt. Was ich - neben der kritischen Anmerkung zur Gerechtigkeit - zum Sozialbegriff zu bedenken geben wollte, ist, daß wir uns selbst nicht den Weg verstellen dürfen, wirkliche Sozialstaatlichkeit, wie schon bisher in der Vergangenheit, im großen Wurf zu erreichen. Wir dürfen uns nicht selbst den Weg durch kleine Fußangeln verstellen und - uns gegenseitig in falscher Weise beschuldigend - Tabus aufrichten, die uns daran hindern, das zu leisten, was uns allen als Aufgabe gestellt ist.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
({0})
Das werden Sie gleich merken. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle hatten heute morgen viel Anlaß zum Lachen, wir alle lachen j a auch gern. Ohne Humor wäre Parlamentarismus eh nicht zu ertragen, aber am Schluß der Debatte möchte ich doch die Frage stellen, ob denn eigentlich die Lage unseres Landes zu solchen Freudenkundgebungen Anlaß bietet, ob denn alle Beiträge der Lage dieses Landes gerecht geworden sind. Ich meine nicht meine unmittelbaren Vorredner. Herr Wehner hat wehnerisch gesprochen
({0})
und Herr Engelhard philosophisch. Ich meine vor allem den Bundeskanzler und den Bundeswirtschaftsminister, die sich meinem Eindruck nach doch sehr oberflächlich über die Lage des Landes hinweggeplaudert haben. Wie ist sie denn, die wirtschaftliche und finanzielle Lage?
({1})
Sie läßt sich knapp wie folgt beschreiben: Unsere Position in der Weltwirtschaft ist nicht mehr die alte. Sie ist beeinträchtigt. Der finanzielle Handlungsspielraum des Staates ist nahezu vollständig verspielt. Der steigenden Arbeitslosigkeit und der steigenden Geldentwertung, die die Fünf-ProzentMarke weit überschritten haben, steht die Bundesregierung hilflos gegenüber. Ich glaube, daß die Gewerkschaften in ihrer Kritik recht haben.
({2})
Die Tatsache, daß die beiden Koalitionspartner ein völlig unterschiedliches Konzept zur Therapie besitzen und daß sie sich gegenseitig protokollarisch bestätigt haben, in welchen Punkten sie nicht übereinstimmen, läßt doch nichts Gutes für die kommenden Jahre erwarten.
Heute morgen wurden die Leistungsbilanz, ihre Entwicklung, ihre Tendenzen sehr optimistisch dargestellt. Aber wie ist sie denn wirklich? Wir hatten 1980 das höchste Leistungsbilanzdefizit aller Länder der Erde.
({3})
In den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist dieses Defizit nicht zurückgegangen, sondern noch weiter angestiegen. Selbst wenn die Abwertung der D-Mark gegenüber dem Dollarraum unseren Export beflügelt, ist doch wiederum mit einem Leistungsbilanzdefizit zu rechnen, das das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorsichtig auf 20 bis 25 Milliarden DM schätzt. Die Bundesbank war zu vorsichDr. Dregger
tig, eine ähnliche Aussage zu machen. Ich glaube, man wird nach wie vor das Leistungsbilanzdefizit und seine Entwicklung als bedrohlich bezeichnen müssen.
Für diese Entwicklung gibt es gewiß verschiedene Ursachen. In den Lohn- und Lohnstückkosten haben wir unsere Hauptkonkurrenten auf den Weltmärkten, die USA und vor allem Japan, inzwischen weit überrundet. Diese Spitzenposition in den Löhnen und den Lohnnebenkosten ist tragbar, solange wir leistungsfähiger sind als die anderen und solange wir das übrige Kostenniveau, Steuern und Abgaben, Energie und anderes auf einem niedrigen Stand halten. Aber diese Voraussetzung ist entfallen. Die Energiekosten steigen dramatisch. Unsere Rechnung für den Energieimport 1981 wird voraussichtlich 85 Milliarden DM betragen. Das ist mehr als das Doppelte des Betrages von 1978. Zwar hat die Preisbremse den Ölimport mengenmäßig reduziert, aber die Preisexplosion hat das mehr als ausgeglichen.
Die Koalition - und das ist mein erster Vorwurf ({4})
hat auf die Ölpreisschübe der Jahre 1973 und 1979 nicht angemessen reagiert. Statt die Kernenergie zu forcieren, wie es Frankreich getan hat, hat man ihre Entwicklung zum Teil gestoppt, zum Teil verzögert. Die Mehrkosten der Verzögerung, die bei jedem Kraftwerk mehrere hundert Millionen DM betragen - für die Zeit von 1974 bis 2000 sind Mehrkosten in Höhe von etwa 100 Milliarden DM bei allen Kraftwerksbauten errechnet worden -, gehen in den Strompreis ein und belasten damit die Wirtschaft ebenso wie den Geldbeutel der breiten Schichten unseres Volkes.
Die Brennstoffkosten je Kilowattstunde betragen auf Kernkraftbasis knapp 2 N, auf Steinkohlebasis 8 bis 10 Pf und auf Ölbasis ca. 15 Pf. Nimmt man die Investitionskosten hinzu, so ergibt ein Gesamtkostenvergleich, daß in der Grundlast Strom auf Ölbasis das Dreifache, Strom auf Steinkohlebasis das Doppelte kostet wie Strom auf Kernkraftbasis.
({5}) - Das können Sie nachlesen.
({6})
Frankreich, dessen Gaullisten und Kommunisten zur Zeit nicht gegen, sondern für die Kernenergie demonstrieren und dessen sozialistischer Präsident, von einigen Korrekturen abgesehen, die forcierte Kernkraftpolitik seines Vorgängers fortsetzt, wird im Jahre 1990 in der Stromerzeugung von Öl und Gas unabhängig sein. Wir werden es nicht sein. Schon jetzt bemüht sich die französische Wirtschaftswerbung, deutsche Unternehmen mit einem hohen Energieverbrauch mit dem Hinweis auf diese Tatsachen nach Frankreich abzuwerben.
Hinzu kommt, daß die Antikernkraftpolitik einen in Deutschland besonders leistungsfähigen Industriezweig in seiner Existenz gefährdet, nämlich die Kraftwerksindustrie. Die Schwierigkeiten in Deutschland führen auch zu Erschwerungen im Export, wo die deutschen Kraftwerkshersteller eine
Spitzenstellung hatten - aber nicht mehr haben -, weil ihre Kraftwerke als die besten und die sichersten der Welt galten. Inzwischen hat der bedeutendste deutsche Hersteller mitgeteilt, daß seine Kapazität nur noch zu 50 % ausgelastet und er gezwungen sei, sich von hochqualifizierten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Facharbeitern zu trennen. Selbst wenn es für sie eine andere Verwendung geben wird - bei ihrer hohen Qualifikation ist das anzunehmen -: ihre Intelligenz, ihr Können und ihre Erfahrungen gehen der deutschen Kraftwerksindustrie auf Dauer verloren.
Meine Damen und Herren, wir leugnen nicht, daß die Kernkraft technische Risiken enthält, aber wir sind überzeugt, daß diese Risiken technisch beherrschbar sind.
({7})
Unser Angewiesensein auf Öl- und Gasbezüge dagegen enthält ein politisches Risiko, das nicht beherrschbar ist.
Wenn man das alles zusammennimmt, die Verteuerung der Energie in Deutschland,die Folgen für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Risiken, die damit verbunden sind, muß man leider sagen, daß die Antikernkraftpolitik weiter Teile der SPD und zum Teil auch der FDP in ihren Folgen einen Anschlag auf die Zukunft Deutschlands als Industrienation bedeutet.
({8})
Zur Verminderung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit hat die Abkoppelung des Bildungssystems vom Beschäftigungssystem beigetragen. Die Folge ist, daß wir mit immer mehr arbeitslosen Akademikern rechnen müssen, die wahrscheinlich weniger glücklich sind als Ingenieure und Facharbeiter, die uns fehlen. Die verfehlte Oberstufenreform an unseren Gymnasien und der Kampf um den Notenquerschnitt haben dazu geführt, daß von der Möglichkeit, die jetzt gegeben ist, Fächer abzuwählen, in der Weise Gebrauch gemacht wird, daß insbesondere naturwissenschaftliche Fächer, weil sie schwer sind, Mathematik, Physik, Chemie, abgewählt werden. Daß das deutsche Abitur in der Schweiz nicht mehr allgemein anerkannt wird, daß sich die Farbwerke Hoechst gezwungen sahen, einen wichtigen Forschungsauftrag an eine amerikanische Universität zu vergeben, daß Nobelpreise für Naturwissenschaften anders als früher in der Regel an Deutschland vorbei in die USA gehen, all das beeinträchtigt unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiet.
Auf derselben Linie liegt es, daß sich bei uns im Hinblick auf technische Großprojekte das FlorianPrinzip und eine allgemeine Technikfeindlichkeit ausbreiten. Es gibt nur wenige Bürgerinitiativen, die für etwas sind. Unklare Gesetze und Rechtsverordnungen - wobei ich den Eindruck habe, daß die Unklarheit nicht selten gewollt ist, um sich vor unangenehmen Verantwortungen zu schützen - und die Fülle der Rechtsinstanzen führen in Deutschland zu einer Prozeßdauer, wie wir sie aus anderen Ländern nicht kennen. Wir laufen Gefahr, daß bei uns in
Deutschland nahezu alles verhindert, aber kaum noch etwas gemacht werden kann, und ich glaube, mit dieser Mentalität werden wir den Wettbewerb nicht bestehen können.
({9})
Ein positiver Faktor ist das nach wie vor gute Betriebsklima. Unsere Arbeitnehmer sind am Erfolg ihres Unternehmens interessiert, unsere Betriebsräte leisten eine gute, sehr häufig eine hervorragende Arbeit. Ich kann nur allen Unternehmern und den Gewerkschaften empfehlen, an diesem Element sozialer Stabilität aus der Adenauer-Zeit festzuhalten und es mit Nachdruck zu pflegen.
({10})
Das politische Klima hat sich dagegen verschlechtert. Die Adenauersche Sicherheitspolitik und ihre eindeutige Westbindung wurde durch eine Ost-WestPolitik abgelöst, die von den Koalitionsparteien und ihren führenden Vertretern recht unterschiedlich interpretiert wird.
({11})
Der Gegensatz zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister auf der einen Seite und der Parteiführung der SPD auf der anderen Seite ist unübersehbar. All das führt zu Unsicherheiten, die sich auch auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmer, auch der ausländischen Unternehmer, auswirken. Der Rabatz auf unseren Straßen, Gewaltdemonstrationen und Hausbesetzungen sind ebenfalls nicht dazu angetan, zu Investitionen in Deutschland anzuregen.
({12})
Die Anti-Haig-Demonstration in Berlin hat uns nicht nur politisch geschadet, sie bedeutet auch einen Anschlag auf die Attraktivität Berlins als Industriestandort.
({13})
Schädlich ist die häufig gebrauchte Ausrede der Bundesregierung, den anderen gehe es noch schlechter.
(Cronenberg ({14})
Wir haben das beste und, wie Sie nicht bestreiten werden, auch das kostspieligste Sozialsystem der Erde. Wer es erhalten will - wir wollen es erhalten, von Mißbräuchen und Übertreibungen abgesehen - kann sich nicht an den Fußkranken der Weltwirtschaft, sondern nur an den Besten orientieren.
({15})
Unsere Maßstäbe werden neben der Schweiz, die als kleineres Land nicht voll vergleichbar ist, von Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika gesetzt.
Die Ausgangslage Japans ist im Hinblick auf Rohstoffe und Energie im eigenen Land, auf Entfernungen zu den Absatzgebieten schwieriger als die unsere. An Japan beeindruckt der ungebrochene Leistungswille, die außerordentliche Lernbereitschaft, die Förderung der Hochbegabten auf Elite-Universitäten, die Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitungen und Arbeitnehmern mit dem Ziel, die Effizienz und die Rentabilität ihres Betriebes zu erhöhen. Es ist daher kein Wunder, daß die Werftindustrie, die optische Industrie, die elektronische Industrie, die Autoindustrie ihre Konkurrenten entweder überrundet haben oder dabei sind, es zu tun.
Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind als künftige Konkurrenten sehr ernst zu nehmen. Ob die Wirtschaftstheorie des Präsidenten Reagan richtig ist, darüber kann man diskutieren. Entscheidend ist, daß es dem amerikanischen Präsidenten gelungen ist, die Amerikaner zu motivieren. So wie sich die Malaise hier ausbreitet, so breitet sich der Optimismus in den Vereinigten Staaten von Amerika aus. Entscheidend ist, daß es ihm gelungen ist, die Amerikaner wieder zu ermutigen, zu ihren alten Tugenden zurückzukehren: weniger Bürokratie, weniger Steuern, mehr wirtschaftliche Effizienz, weniger leeres Pathos, mehr Wahrnehmung der nationalen und - wie Haig es in Berlin demonstriert hat - auch der Bündnisinteressen.
Wir können die Politik Reagans nicht kopieren und die der Frau Thatcher schon gar nicht. Aber Leistungsbereitschaft, Sozialpartnerschaft, geistige und politische Führung, von der Optimismus ausgeht, die Rückkehr zu den Prinzipien, Einstellungen und Handlungsweisen, die uns in den 50er und 60er Jahren großgemacht haben, das ist möglich und dringend notwendig.
({16})
Wir fordern die Regierung noch einmal auf, die ideologischen Bremsklötze wegzuräumen, die dem Fortschritt entgegenstehen. Im Kraftwerksbau liegen ca. 30 Milliarden DM brach. Die dadurch verursachte Arbeitslosigkeit ist insbesondere von der SPD verschuldet.
In der Kommunikationstechnik ist der Investitionsstau noch gravierender. Die deutschen Zeitungsverleger wollen sich an einem Satelliten beteiligen, der vom Großherzogtum Luxemburg aus in die Luft geschossen wird.
({17})
Das Großherzogtum Luxemburg hat weniger Einwohner als z. B. der Main-Kinzig-Kreis in Hessen. Aber die Luxemburger haben den Vorzug, daß sie nicht von Bonn aus regiert werden.
({18})
Deswegen kann in Luxemburg geschehen, was in Deutschland nicht mehr möglich ist. Das Investitionshindernis hier heißt Helmut Schmidt, der die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor privater Konkurrenz schützen möchte.
({19})
Am absurdesten, meine Damen und Herren, ist die Lage im Wohnungsbau. Wir haben Wohnungsuchende, die keine Wohnungen finden. Dafür haben wir leerstehende Wohnungen - übrigens meistens
im Besitz der öffentlichen Hand -, die dann besetzt werden, wobei die Besetzer nur selten Wohnungsuchende sind. Wir haben anlagesuchendes Kapital, das im Gegensatz zu früher den Wohnungsbau meidet und entweder in zweifelhafte Abschreibungsobjekte oder gleich nach Amerika fließt, und wir haben arbeitslose Bauarbeiter.
Meine Damen und Herren, dafür Spekulanten verantwortlich zu machen, ist schlicht lächerlich. Spekulanten haben nur dann eine Chance, wenn die Politik die Marktkräfte auszuschalten versucht. Das geht nur in begrenztem Umfange, weil der Markt ausdrückt, was die Menschen brauchen und was sie wollen.
Wir brauchen ein Mietrecht, das neben den Interessen der Mieter auch die berechtigten Interessen der Vermieter beachtet. Wir brauchen einen Grundbestand billiger Sozialwohnungen, die dann aber auch denen vorbehalten werden, die sie benötigen, was j a heute nicht der Fall ist.
({20})
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht dem schlimmen Beispiel der sozialistischen Länder mit ihren viel zu wenigen und dazu verlotterten Wohnungen folgen wollen, müssen wir unsere Wohnungswirtschaft ein Stück liberalisieren - eine Aufgabe, die die Liberalen in einer Koalition mit der SPD sicher nicht verwirklichen können.
Neben der Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist es der Verlust des finanziellen Handlungsspielraums des Staates, der uns gegenüber der Gefahr steigender Arbeitslosigkeit weitgehend hilflos macht. Wie sehr dieser Handlungsspielraum durch das Versagen der Koalition verlorengegangen ist, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Schulden. Im Jahre des Regierungswechsels, 1969, vor zwölf Jahren, hielten sich Schuldenaufnahme und Schuldrückzahlungen nahezu die Waage.
({21})
Die Nettokreditaufnahme des Bundes im Jahre 1969 betrug 1 Million DM, eine einzige Million DM. In den 20 Jahren von 1949 bis 1969, Jahren des Aufbaus und eines dementsprechend hohen Kreditbedarfs, betrug die durchschnittliche Nettoneuverschuldung des Bundes 0,7 Milliarden DM, also 700 Millionen DM, pro Jahr. Für dieses Jahr ist die Nettoneuverschuldung des Bundes mit 33,8 Milliarden DM veranschlagt. 33,8 Milliarden DM für ein einziges Jahr, das ist das 48fache des Betrages, der von 1949 bis 1969 im Jahresdurchschnitt aufgenommen wurde.
({22})
Meine Damen und Herren, die ersten beiden Finanzminister der Koalition, Alex Möller und Karl Schiller, traten zurück, um dadurch vor einer Finanzpolitik zu warnen, die sie für verhängnisvoll hielten. Dann kam ein neuer Mann, Helmut Schmidt, der die Hemmungen seiner Vorgänger nicht hatte. Unter seiner Verantwortung, zunächst als Bundesfinanzminister und dann als Bundeskanzler, begann die Fahrt in den finanziellen Abgrund.
Jetzt rufen die Gewerkschaften, bei steigender Arbeitslosigkeit verständlicherweise, nach Beschäftigungsprogrammen. Aber woraus sollen sie finanziert werden? Aus Rücklagen? Das geht nicht; denn in der Zeit des Überflusses wurden keine Rücklagen gebildet. Aus Schulden können Beschäftigungsprogramme nicht finanziert werden, weil hohe neue Schulden aufgenommen werden müssen, um den Schuldendienst - Verzinsung und Tilgung - für alte Schulden, die in der Zeit des Überflusses aufgenommen wurden, zu leisten. Beschäftigungsprogramme aus Steuern zu finanzieren, würde die Arbeitslosigkeit nicht senken, sondern erhöhen. Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, muß die Steuern senken, sie aber nicht erhöhen. Das geht jedoch nicht, weil der finanzielle Handlungsspielraum verlorengegangen ist - siehe oben.
Herr Bundeskanzler, es gibt keinen Politiker, der in ähnlichem Ausmaße schuldig geworden ist an der Arbeitslosigkeit, die jetzt bei uns entsteht, und an der schweren Hypothek, die die Zukunft unseres Landes, insbesondere der jungen Generation belastet.
({23})
Aber was soll geschehen? Der Parteivorsitzende der FDP, Herr Genscher, hat von der Notwendigkeit der Wende gesprochen. Er hat sie nicht bewirken, ja nicht einmal einleiten können. Herr Wehner hat ihm sofort erklärt, daß das mit der SPD nicht zu machen sei. In der Tat, eine sozialistische Partei ist ihrer Natur nach außerstande, einen Staatshaushalt zu sanieren.
({24})
Und eine sozialistische Partei ist ihrer Natur nach außerstande, den Steuer- und Abgabendruck auf Arbeitnehmer und Unternehmer zu lockern. Ohne diese Lockerung wird es keinen Aufschwung geben.
({25})
- Ich weiß, daß Sie es bis zum Oberleutnant gebracht haben, Herr Schmidt. Aber ich finde, daß diese militärischen Dienstgrade in dieser Debatte keine Rolle spielen sollten; denn wenn heute einer scheinbar schneidig war, dann sind Sie es gewesen. Ich habe nur Tatsachen aufgeführt.
({26})
Meine Damen und Herren, damit das konjunkturpolitisch Notwendige, die Steuern zu senken, es der Bundesbank zu erleichtern, die Zinsen zu senken, die staatlichen Investitionsausgaben zu erhöhen - es geschieht auf allen drei Feldern das Gegenteil -, möglich wird, muß unser Land eine Durststrecke durchschreiten, die die SPD und FDP verschuldet haben. Der Staat muß seine laufenden Ausgaben erheblich vermindern, was leider nicht schlagartig geht.
Neben den Transferleistungen sind die Personalausgaben der größte Ausgabenblock. Dazu möchte ich einige Bemerkungen machen. In den 70er Jahren haben sie sich verdreifacht, von 62 Milliarden DM auf 176 Milliarden DM. Davon entfallen 60 % auf Einkommensverbesserungen, 40 % auf Stellenvermehrungen.
({27})
-- Das bezieht sich auf Bund, Länder und Gemeinden, die öffentliche Hand insgesamt - völlig richtig. Das hat gar nichts mit Bund und Ländern zú tun. Es geht um die gesamte öffentliche Hand.
({28})
Aber Sie wissen j a auch, daß die Länder und Gemeinden in erster Linie Gesetze des Bundes auszuführen haben und der Bund dafür kein Geld überweist. Es hat also gar keinen Sinn, das hin- und her-zurechnen.
({29})
Befassen wir uns lieber mit den Fakten! Die Zahl der öffentlich Bediensteten hat sich in den 70er Jahren um 1,1 Millionen vermehrt, während die Zahl der Beschäftigten in der Privatwirtschaft in der gleichen Zeit um 1,3 Millionen zurückgegangen ist. Der öffentliche Dienst ist als Auffangbecken für den Arbeitsmarkt völlig ungeeignet. Er erdrückt die öffentlichen Haushalte, was die so dringend benötigten öffentlichen Investitionen unmöglich macht. Ferner kann uns der öffentliche Dienst nicht vor der japanischen Konkurrenz schützen. Das kann nur eine leistungsfähige Industrie. Damit die Industrie leistungsfähig sein kann, muß erreicht werden, daß der öffentliche Aufwand nicht so hoch ist und daß die daraus erwachsende Steuerlast sie nicht erdrückt.
({30})
In den letzten Wochen war häufig von einem Sonderopfer des öffentlichen Dienstes die Rede. Dabei wurde verkannt, daß es nicht nur Staatssekretäre und Ministerialräte gibt, sondern auch Postschaffner und Beamte des einfachen und mittleren Dienstes, denen es wirtschaftlich nicht besser geht als gleichgestellten Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft. Den Eindruck zu erwecken, der öffentliche Dienst bestehe in erster Linie aus Leuten, die sich vor anstrengender Arbeit drücken wollen, ist unanständig, wie ich finde. Wir sollten glücklich sein, daß wir zu den wenigen Ländern der Erde gehören, die einen intakten öffentlichen Dienst haben.
({31})
Trotzdem muß der Personalaufwand vermindert werden. Dafür gibt es nur einen erfolgversprechenden Ansatzpunkt, nämlich die Erkenntnis: Wir haben zu viele öffentliche Aufgaben, wir haben zu viele und zu komplizierte öffentliche Vorschriften, und wir haben zu viele öffentliche Bedienstete, zu viele Staatsdiener.
({32})
Um ein Beispiel zu bilden: Die Koalition hatte vor der Bundestagswahl die Absicht, ein neues Jugendhilferecht zu schaffen. Das hätte zur Einstellung von 14 000 weiteren Staatsdienern geführt, und zwar mit einem Kostenaufwand von knapp 1 Milliarde DM im Jahr. Meine Damen und Herren, nicht alles, was Politikern einfällt, und erst recht nicht alles, was Ideologen einfällt, darf gemacht werden, schon deshalb nicht, weil man es nicht bezahlen kann.
Neben der Aufgabenbegrenzung steht die Aufgabenvereinfachung. Wir brauchen weniger Vorschriften, weniger Rechtsbehelfe, wohl auch weniger Gerichtsinstanzen, und wir brauchen schnellere Entscheidungen. All das hängt zusammen. Nicht die Bürokratie vermehrt sich selbst, sondern die Regierung vermehrt und verschlechtert den öffentlichen Dienst.
({33})
Wenn die Kosten für den öffentlichen Dienst überborden, dann gilt es nicht, den öffentlichen Dienst zu verändern, sondern die Politik zu verändern, und das ist unsere Absicht.
({34})
Lassen Sie mich zum Abschluß dieser Überlegungen zur Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der finanziellen Handlungsfähigkeit unseres Staates noch ein Zitat von Rainer Barzel aus seiner ersten Rede als Oppositionsführer im Jahre 1969 bringen. Damals hat Rainer Barzel der Bundesregierung Brandt/Scheel zugerufen:
Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen.
Keiner dieser Tatbestände trifft heute noch zu.
({35})
In der Tat, Sie konnten 1969 aus dem Vollen schöpfen, und Sie haben es ohne Rücksicht auf die Zukunft getan. Sie haben Wohltaten verteilt und Pflichten reduziert, Sie haben unser Volk nicht mit der Wirklichkeit vertraut gemacht, Sie haben es mit falschen Informationen gefüttert, Sie haben es eingelullt. Dabei wurden die Gebote der Wahrheit und des Anstandes aufs schwerste verletzt, insbesondere vor Bundestagswahlen. Niemand hat das sarkastischer und treffender zum Ausdruck gebracht als unser Kollege aus der SPD-Fraktion, Herr Gansel. Er sagte nach der letzten Bundestagswahl:
14 Tage nach der Bundestagswahl 1976 wurden wir über die wirkliche Lage der Rentenfinanzen aufgeklärt; 14 Tage nach der Bundestagswahl 1980 wurden wir über die wirkliche Lage der Staatsfinanzen aufgeklärt; ich schlage vor, die nächste Bundestagswahl um 14 Tage zu verschieben.
({36}) So der Kollege Gansel.
Meine Damen und Herren, wenn diese Bundesregierung im Amt bleibt, wird die Terminverschiebung nichts nutzen. Ihre Propagandisten werden in der Lage sein, auch vor der nächsten Bundestagswahl die Wahrheit zuzudecken. Leidtragender ist unser demokratisches System, das auf diese Weise seinen
I Kredit insbesondere bei der jungen Generation verspielt. Leidtragende sind alle Parteien, nicht nur die schuldigen, sondern auch diejenigen, die die Wahrheit gesagt haben und dafür der unchristlichen Panikmache bezichtigt worden sind.
Trotzdem: Wenn die Wende auch schwer sein mag, sie ist möglich. Sie kann nicht von einer abgewirtschafteten Regierung ausgehen, die kein Vertrauen mehr genießt, sie kann nur von einer neuen Regierung ausgehen. Nicht eine schwache Regierung zu stützen, sondern sie abzulösen liegt jetzt im demokratischen und nationalen Interesse.
({37})
Lassen Sie mich noch eine zweite Herausforderung nennen. Manche Bürger fragen sich: Was ist das für ein Staat? Kann er das Recht, kann er uns noch schützen, unsere Bewegungsfreiheit, unser Eigentum? Oder muß sich dieser Staat vor der Gewalt zurückziehen, muß er mit ihr paktieren?
Ferner: Welche Chance haben noch Polizeibeamte? Können sie sich gegen Gewalttäter noch durchsetzen, oder sind sie nur noch hilflose Zielscheiben für Molotow-Cocktails, Eisenkrampen und sonstige Schlagwerkzeuge?
Was hier vorliegt, kann nur als Verfall des Rechtsbewußtseins und der demokratischen Gesinnung eines Teils der Gesellschaft bezeichnet werden. Dieses Problem ist mit polizeilichen Mitteln allein nicht zu lösen. Meine Damen und Herren, die Polizei wird
zum Prügelknaben, wenn sie von der Politik, von der Publizistik und vielleicht auch teilweise von der Justiz im Stich gelassen wird.
Anti-Haig-Demonstrationen oder Anti-Bundeswehr- Demonstrationen aus Anlaß öffentlicher Gelöbnisfeiern wirken sich für das politische Bewußtsein unserer Bevölkerung katastrophal aus, wenn daran auch junge Mitglieder der SPD und teilweise der FDP beteiligt sind.
({38})
Die SPD hat sich darauf beschränkt, in beiden Fällen die Gewaltanwendung zu verurteilen, nicht aber die politische Zielsetzung dieser Demonstrationen selbst.
({39})
Auch Herr Kollege Genscher ist gestern im wesentlichen auf den Gewaltaspekt ausgewichen.
Natürlich ist es zulässig, gewaltlos gegen alles zu demonstrieren. Aber nicht alles, was zulässig ist, ist verantwortbar.
({40})
Wer die Bundeswehr und den Außenminister der Garantiemacht unserer Freiheit in dieser Weise attackiert, gefährdet die innere und die äußere Sicherheit unseres Landes.
({41})
Wer Hausbesetzungen toleriert und dadurch scheinbar legitimiert, bejaht das Faustrecht und löst den Rechtsstaat auf.
({42})
Ein zweites Problem der Innenpolitik brennt uns auf den Nägeln; Herr Kollege Genscher hat es gestern angesprochen. - Bitte schön.
Herr Kollege Dregger, würden Sie bitte einräumen, daß ich entgegen Ihrer Behauptung, ich sei auf den Gewaltaspekt ausgewichen, gestern ganz ausdrücklich unter Bezugnahme auf eine Rede, die ich vorher im Bundestag gehalten habe, die Demonstration als solche wegen ihrer Zielrichtung verurteilt habe?
Herr Kollege Genscher, Sie haben sich gestern - ich habe genau zugehört - in erster Linie mit dem Gewaltaspekt beschäftigt, dann aber auch in einem Nebensatz gesagt, daß Sie natürlich die Zielsetzung dieser Demonstration bedauern.
Darf ich Sie dann fragen, Herr Kollege Dregger, ob es nicht insgesamt unsere Aufgabe ist, uns in erster Linie mit gewaltsamen Demonstrationen auseinanderzusetzen?
Herr Kollege Genscher, ich bin der Meinung, daß bei diesen Demonstrationen der politische Aspekt, nämlich die Demonstration gegen das Instrument unserer äußeren Sicherheit, die Bundeswehr, und gegen den Außenminister der Garantiemacht unserer Freiheit, noch schwerwiegender ist als der Gewaltaspekt, dem wir ja auch bei anderen Demonstrationen zu begegnen haben.
({0})
Ein zweites Problem der Innenpolitik hat Herr Kollege Genscher gestern angeschnitten, nämlich das Ausländerproblem. Meine Damen und Herren, Deutschlands Ostgebiete kamen am Ende des Kriegs unter fremde Herrschaft. Die vertriebenen Deutschen - etwa 12 Millionen - haben wir bei uns aufgenommen. Wir haben es gern getan. Das gilt auch für alle, die noch den Weg zu uns suchen sollten.
Wir haben inzwischen in unserem auch dadurch noch dichter besiedelten Land außerdem über 4,5 Millionen Ausländer aufgenommen, und ihre Zahl steigt weiter. Wir haben das selbst eingeleitet. Wir wollten weniger arbeiten, wir wollten die Arbeitszeit verkürzen. Wir wollten - sagen wir es offen - die weniger angenehmen Arbeiten Ausländern überlassen. Den Ausländern, die auf unseren eigenen Wunsch gekommen sind, sind wir verpflichtet.
Aber jetzt überschwemmt uns auch noch eine Flut von Scheinasylanten und von Familienzusammenführungen, wobei wir beachten sollten, daß die Stellung der Frau und der Familie in der islamischen Welt eine andere ist als in unserer Welt. Bei diesem Zustrom wachsen die menschlichen und sozialen Spannungen, insbesondere in unseren Großstädten. Es ist zu befürchten, daß sie sich eines Tages entla3066
den wie in Großbritannien, das nur 2,3 Millionen Ausländer und nicht 4,5 Millionen Ausländer bei sich hat und das mit diesen Problemen nicht fertig wird.
Ich will unsere grundsätzliche Position noch einmal kurz umreißen, die wir seit 1977 in einer großen Zahl von Initiativen im Bundestag und Bundesrat vorgetragen haben, die aber nahezu sämtlich am Widerstand eines Teils der Koalition gescheitert sind. Wir sind Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, in der Freizügigkeit vereinbart ist. Das gilt. Wir bekennen uns zum Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte. Aber dieses Grundrecht auf politisches Asyl wird nicht aufrechtzuerhalten sein, wenn wir nicht endlich wirksame Barrieren gegen den Zustrom von Scheinasylanten errichten.
Und noch eines - das sollte vielleicht auch der Herr Außenminister hören -: Es ist nicht notwendig, daß alle politisch Verfolgten der Welt ihre Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland finden. Es ist eine humanitäre Aufgabe der ganzen Menschheit, vertreten durch die UNO, in allen Kontinenten und in allen Kulturkreisen Auffangfelder für politisch Verfolgte zu schaffen.
({1})
Die Länder Südostasiens, Vietnam benachbart, lehnen es z. B. ab, bei sich Vietnamflüchtlinge aufzunehmen. Warum? Weil diese zum größten Teil chinesischer Nationalität sind und weil es der Bevölkerungspolitik dieser Länder widerspricht, den Bevölkerungsanteil der sehr tüchtigen Chinesen in ihren Ländern zu erhöhen. Vom humanitären Standpunkt aus halte ich das nicht für vertretbar.
Die kleine Bundesrepublik Deutschland ist, wie ich meine, schon aus ökologischen Gründen nicht in der Lage, die humanitären Defizite aller Länder der Welt auszugleichen. In der Ausländerpolitik brauchen wir Herz und Verstand, Herz für unsere Mitmenschen und Verstand, der verhindert, daß wir der nächsten Generation Probleme hinterlassen, mit denen sie nicht fertig werden kann.
({2})
Herr Kollege Mertes hat in einem anderen Zusammenhang gesagt, wir sollten nach bestem Wissen und Gewissen urteilen. Das Gewissen kann das Wissen nicht ersetzen - man hat oft den Eindruck, daß das der Fall ist -, wie umgekehrt das Wissen auch nicht das Gewissen ersetzen kann. Aber beides sollten sich in diesem Zusammenhang alle, die sich mit diesem schwerwiegenden Problem beschäftigen - auch die Kirchen -, angelegen sein lassen, damit wir so menschlich wie möglich, aber auch so vernünftig wie möglich dieses Problem einer Lösung zuführen.
Ich möchte anregen, Herr Bundesaußenminister, daß Sie einmal überlegen, ob es nicht gut wäre, wenn die Bundesrepublik Deutschland in der UNO eine Initiative ergreifen würde, um in allen Kulturkreisen der Erde, in allen Kontinenten dafür zu sorgen, daß politische Flüchtlinge Aufnahme finden; denn für sie selbst ist es sicherlich sehr viel besser, wenn
sie in ihrem Kulturkreis statt bei uns eine Bleibe finden.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde nicht auf die Teile der Rede von Herrn Kollegen Dregger eingehen, die ganz offenbar mehr dem hessischen Landtagswahlkampf gewidmet waren: Probleme der Oberstufe, der Polizei. Sprechen Sie einmal mit den sieben CDU/CSU-Innenministern der Länder, die ja in unserem Lande die Hauptverantwortung für die Ausübung von Polizeifunktionen haben!
Ich will mit Ihnen auch gar nicht streiten, daß es besser ist, Flüchtlinge in ihrem Kulturkreis zu belassen.
({0})
- Ich freue mich ja, daß Herr Dregger auf den Börnerschen Kurs einschwenkt.
({1})
Nur, ich frage: Muß er das unbedingt hier im Bundestag in der Debatte zum Haushalt 1982 tun? -({2})
Ich stimme Herrn Dregger, wie gesagt, auch zu, daß es besser ist, Flüchtlinge in ihrem Kulturkreis zu belassen. Ich frage mich nur: Wer waren denn die ersten, die mit enormem Aufwand - ich meine natürlich: Publizitätsaufwand - vietnamesische Flüchtlinge zu uns geholt haben?
({3})
War das nicht der Herr Ministerpräsident Albrecht? War das nicht der Frankfurter Oberbürgermeister Wallmann? Ich habe zwar überhaupt nichts Jage-gen, daß dies gemacht wird, lieber Herr Dregger, aber Sie können nicht beides machen, nämlich auf der einen Seite latente Ausländerfeindschaft schüren
({4})
und gleichzeitig auf der anderen Seite Publizität abkassieren.
({5})
- Ich komme noch einmal auf Herrn Dregger zurück. Aber ich will mich jetzt zunächst einmal mit Herrn Barzel auseinandersetzen, der wenigstens einiges zum Haushalt gesagt hat.
Ich bin ein bißchen enttäuscht. Ich habe mir Mühe gegeben,
({6})
in der Rede darzustellen, wie dieser Haushalt in seinen ökonomischen Zusammenhängen, in der besonderen Situation, in der wir jetzt sind, zu verstehen ist. Ich habe mich bemüht, darzulegen, was nun für die nächsten Schritte wichtig ist, um bei der Oberwindung der Schwierigkeiten voranzukommen. Das, was ich hier gehört habe, insbesondere auch in der letzten Rede wieder, sind die alten Klischeeargumente.
({7})
Nun werde ich j a nicht müde, ich werde Ihnen also wiederum all dies unverdrossen widerlegen müssen; tut mir leid.
Herr Barzel stellt die rhetorische Frage: Wer treibt die Zinsen? Als Antwort verweist er dann auf die hausgemachte Inflation.
({8})
- Ja, jetzt kommen Sie schon zu einem hausgemachten Teil. Dann brauchen wir nur noch zu fragen, wie groß der ist. Lieber Herr Barzel, die Bundesrepublik Deutschland ist wie kein anderes Land der Welt in die internationale Arbeitsteilung eingebettet. Auch die Japaner haben keinen so hohen Anteil wie wir. Der Anteil der Einfuhr am Bruttosozialprodukt im Jahre 1980 betrug 29 %.
({9})
- Lieber Herr, „völlig neu". Wenn das, was neu gewessen wäre, von Ihren Rednern hier hätte vorgetragen werden müssen, dann hätten wir den ganzen Vormittag nichts als Schweigen gehabt.
({10})
Die durchschnittliche Preissteigerung 1980 betrug bei der Einfuhr 16,5 %. Rund ein Drittel des Bruttosozialprodukts, das eingeführt wurde, wurde mit einer durchschnittlichen Preissteigerung von 16,5 % eingeführt. Wir in der Bundesrepublik dagegen hatten eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 5,5 %. Sicher ist da auch ein hausgemachter Teil an Inflation. Wir haben geschichtlich immer 1 %, 2 % Inflation gehabt, wenn Sie das Inflation nennen wollen. Aber zu sagen, die Politik dieser Bundesregierung sei etwa an den Ölpreissteigerungen, an den anderen Preissteigerungen schuld,
({11})
die dazu geführt haben, daß die Einfuhren eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 16,5 % aufweisen, ist falsch.
({12})
- Aber hier wird von hausgemachter Inflation gesprochen, die die Zinsen in die Höhe treibt. Ich sage Ihnen: Wer die falsche Diagnose stellt, hat auch die falsche Therapie.
({13})
Darum geht's mir doch jetzt. Es geht in der Tat um drei ganz wichtige Faktoren, die für die Inflation verantwortlich sind. Es lohnt sich doch, über unser Leistungsbilanzdefizit und über seine Komponenten zu sprechen, hinsichtlich derer man nichts machen kann, etwa bei den internationalen Transfers.
Wir haben die Entwicklungshilfe j a nicht gesenkt, sondern wir haben sie in all diesen Jahren überdurchschnittlich erhöht.
({14})
Wir sind mittlerweile der größte Nettozahler in Europa. Wir zahlen jetzt schon so viel für Europa, daß dies so nicht weitergehen kann.
({15})
Wie ist es denn mit den Käufen an Waffen im Ausland? Wie ist es mit der Ausbildung unserer Piloten in den USA? Das muß doch alles bezahlt werden. Wir wollen das auch weiter bezahlen; da können wir wenig einschränken.
Auch wollen wir die Ausgaben unserer Touristen nicht einschränken. 40 Milliarden DM in diesem Jahr, doppelt so viel wie das gesamte amerikanische Volk im Ausland ausgibt, geben unsere Bürger im Ausland aus. Wir haben nichts dagegen, weil das ja in Ländern ausgegeben wird, die unsere besten Kunden sind. Unsere Probleme im Außenhandel liegen doch nicht in Jugoslawien, Italien, Frankreich, Spanien oder Portugal. Sie liegen doch im wesentlichen bei den hohen Ölpreissteigerungen. Und deshalb muß man da ansetzen. Deshalb war es falsch, daß Sie die Minieralölsteuererhöhung abgelehnt haben.
({16})
Wir werden mit unserer Politik Erfolg haben. Und wir werden sagen, wer die falsche Therapie hatte und wer die richtigen Therapiemaßnahmen abgelehnt hat. Das war unpopulär. Wir nehmen diese Unpopularität gern auf uns. Wir werden das auch in Zukunft machen.
Keine Volkswirtschaft der Welt ist in der Lage, einen zusätzlichen Kaufkraftentzug von 30 Milliarden DM, der in zwei Jahren - 1978 und 1980 - aufgetreten ist, durch höhere Ausfuhren zu verkraften oder die Verbrauchs- und Produktionsstrukturen so zu ändern, daß man so drastisch viel mehr Öl in so kurzer Zeit spart. Deshalb war das Leistungsbilanzdefizit fast unvermeidlich. Nun, wir sind da auf gutem Weg.
Ich komme zum zweiten Punkt: Wir haben hohe amerikanische Zinsen. Bitte, ich will niemandem
dreinreden. Aber für die ganze Weltwirtschaft haben sie natürlich eine enorme bremsende Wirkung. Das bezweifelt doch keiner. Auch wenn wir immer noch ein Deport zugunsten der DM von 5 oder 6 % haben, fließt natürlich vor allem kurzfristiges Kapital in die USA, solange keine Aufwertungserwartung für die DM besteht. Deshalb haben die hohen amerikanischen Zinsen im Zusammenhang mit unserem Leistungsbilanzdefizit die hohen deutschen Zinsen erforderlich gemacht. Und die hohen deutschen Zinsen haben die Investitionen behindert. Diese Zusammenhänge sind doch ganz und gar unbestritten.
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Und nun kommen sowohl der Herr Barzel wie der Herr Dregger wieder zu der Schuldendiskussion. Zunächst einmal, Herr Barzel: Es ist nicht richtig, was Sie sagen, nämlich die Programme, die wir gemacht haben, hätten keinen Einfluß auf die Arbeitslosigkeit gehabt. Was unterscheidet uns denn von anderen? Wir müssen 97 % des Öls einführen.
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- Es ist natürlich unfair, zu verlangen, daß gewissermaßen jeder Satz einer Haushaltsrede studiert und dann nicht einmal darauf eingegangen wird. Aber ich habe Ihnen in dieser Haushaltsrede die Schwierigkeiten dargelegt, die rein methodischtechnisch - jeder Ökonom wird Ihnen das bestätigen - bestehen, um zu sagen, wie viele Arbeitsplätze denn da geschaffen worden sind. Das können Sie vielleicht in der ersten Stufe noch kontrollieren. Wir bauen eine überbetriebliche Berufsausbildungsstätte, und in der Zeit, in der das Geld dort ausgegeben wird, werden soundsoviel Arbeitsplätze geschaffen. Aber schon in der zweiten Stufe ist es anders, wenn diese Einkommen, die zusätzlich geschaffen worden sind, ausgegeben werden und sich multiplikativ in der ganzen Wirtschaft ausbreiten und völlig diffundieren und man überhaupt keine Ursachenanalyse mehr anstellen kann. Das sind ganz globale Schätzungen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Ja.
Herr Bundesminister Matthöfer, wenn der Kollege Barzel Ihnen nicht glaubt, würden Sie ihn vielleicht auf den Bericht der Deutschen Bundesbank hinweisen, die diagnostiziert hat, daß im Frühjahr 1980 der höchste Beschäftigungsstand, die höchsten Arbeitsplatzzahlen in der Bundesrepublik gewesen sind, die es je gegeben hat?
Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Kühbacher. Damit ist freilich die Frage von Herrn Barzel nicht beantwortet, welches Programm welche Wirkungen gehabt hat. Diese Frage ist nicht methodisch sauber zu beantworten. Deshalb werden Sie von mir gewiß keine Antwort darauf erwarten. Aber es gibt doch einen wirklichen Vergleich, den Sie zwar ablehnen, den ich aber für legitim halte. Das ist der Vergleich mit anderen Volkswirtschaften, die etwa so strukturiert sind, wie sich unser Volk eine Struktur geschaffen hat. Warum sollen denn Italien, Frankreich, Großbritannien, die USA, Kanada, Belgien und was weiß ich mit der Bundesrepublik Deutschland nicht vergleichbar sein? Wenn Sie die Länder, die ich genannt habe, auf Arbeitslosigkeit untersuchen und deren Arbeitszahlen dann auf die Größenordnung der Bundesrepublik umrechnen, dann werden Sie finden, daß wir gut eine Million Arbeitslose im Schnitt weniger haben als diese Länder. Dies, Herr Kollege Barzel, ist die Wirkung unserer Programme und unserer Maßnahmen.
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Ich bitte, mir das nicht übelzunehmen. Ich sage Ihnen noch einmal: Wer sagt, wir hätten diese Kredite nicht aufnehmen dürfen, der sagt: ihr hättet eine Million Arbeitslose mehr in Kauf nehmen müssen.
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Herr Kollege Barzel, nun haben wir eine Sache, die können Sie nachrechnen. Das ist das Verhältnis Steuersenkung und Ausgabenprogramme. Das Verhältnis ist folgendermaßen: Nehmen wir einmal das, was von 1974 bis zu diesem Jahr gemacht worden ist. Dann werden Sie finden, daß wir Ausgaben insgesamt - Bund, Länder und Gemeinden zusammen, denn Gesetze haben wir gaemeinsam gemacht -in Höhe von 37 Milliarden DM getätigt haben. Wenn Sie die Steuerentlastungen zählen, nach dem Entstehungsjahr gerechnet, kommen Sie auf 65,5 Milliarden. Es ist also ein Verhältnis von knapp 2 zu 1.
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- Bitte schön, Herr Kollege Häfele.
Eine Zwischenfrage, bitte.
Herr Matthöfer, könnten wir uns darauf verständigen, daß wir die Rückgabe von heimlichen Steuererhöhungen künftig nicht mehr als Steuersenkungen bezeichnen?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß das starke Anwachsen insbesondere der Lohnsteuer immer mal wieder, wenn wir es können, von Zeit zu Zeit korrigiert werden sollte. Aber Sie werden auch nicht bezweifeln, daß dadurch zusätzliche Kaufkraft in den Taschen der steuerzahlenden Bürger verbleibt, die arbeitsplatzwirksam ausgegeben wird. Nur dieses ist gesagt.
Wenn man aber gleichzeitig - wie auch der Herr Kollege Strauß gestern - wieder davon spricht, direkte und indirekte Steuern in ein besseres Verhältnis zu bringen, dann frage ich mich, warum Sie aus
Popularitätshascherei unsere Erhöhung bei Verbrauchsteuern, also indirekten Steuern, ablehnen.
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Sie können nicht das eine tun, wenn Sie das Verhältnis wieder in Ordnung bringen, gewissermaßen nur das Angenehme, Steuersenkungen, mitbeschließen, ohne dann aber, was auch erforderlich ist, nämlich auch die - weil sie mengenmäßig bezogen sind und nicht wertmäßig wachsen - immer wieder nachhinkenden indirekten Steuern zu erhöhen. Beides werden Sie nicht können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, ich habe Zeit, bitte schön.
Ich wäre doch dankbar, wenn Sie auf die ursprüngliche Frage zurückkämen: daß es sich hierbei nicht um Steuersenkungen in den letzten Jahren handelt, sondern nur um Rückgabe von heimlichen Steuererhöhungen, die ja durch das Zusammenwirken von Progression und Inflation entstanden sind.
Lieber Herr Häfele, was ist denn heimlich an einem Progressionstarif, und was ist denn heimlich an den öffentlich bekannten Inflationsraten?
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Jeder mit einer normalen Volksschulbildung kann sich ausrechnen, was passiert, wenn beides zusammentrifft. Insofern ist da überhaupt nichts Heimliches daran.
Der Herr Kollege Barzel hat eine interessante Rechnung angestellt, nämlich den bekannten Vergleich, daß die Nettoneuverschuldung nicht ausreicht, um die Zinsen zu zahlen. Lieber Herr Kollege Barzel, je niedriger wir die Nettoneuverschuldung setzen, desto eher erreichen wir den glorreichen Zustand, wo wir die Zinsen damit nicht mehr zahlen können. Haben Sie sich das schon einmal überlegt? Haben Sie sich Ihre Milchmädchenrechnung schon einmal richtig verinnerlicht, welch methodisch angreifbaren Punkt Sie hier vorgetragen haben?
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Wenn wir Glück haben, können wir im nächsten Jahr mit der Neuverschuldung drastisch heruntergehen. Dann müssen wir natürlich immer noch die Zinsen weiterzahlen. Selbstverständlich werden diese zurückgehen, weil die Zinsen allgemein zurückgehen, usw., usw., im Vergleich zum Bruttosozialprodukt, im Vergleich zum Bundeshaushalt. Aber diese Rechnung aufzustellen - ({2})
- Ich komme nachher noch zu den Dreggerschen ökonomischen Argumenten.
Eines möchte ich Ihnen zur Außenpolitik sagen, Herr Barzel, als jemand, von dem Sie wissen, daß er enge Verbindungen zu Spanien auch in jenen dunklen Zeiten der Franco-Diktatur gehalten hat, als Herr Strauß noch in Madrid Vorträge gehalten hat, in denen er die Bundesrepublik Deutschland und Franco-Spanien als die beiden „Pfeiler des antikommunistischen Bündnisses in Europa" bezeichnete. Selbst in jenen dunklen Zeiten bin ich nach Spanien gegangen. Eines habe ich mich immer gefragt, wenn man etwas sagte: Wie werden die Spanier reagieren? Meine spanischen Freunde werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich das sage: Wie wirst du reagieren, wenn du dich auf einen extremen Ehrenstandpunkt stellst? So wird auch der Spanier reagieren. Normalerweise hat man recht mit dieser Annahme.
Lieber Herr Kollege Dr. Barzel, der Bundeskanzler hat sich nicht für den Eintritt Spaniens in die NATO ausgesprochen. Es ist Sache des spanischen Volkes, darüber zu entscheiden. Wir haben hier keine Ratschläge zu geben.
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Ich würde Ihnen im Interesse der Sache raten, sich nicht in innerspanische Angelegenheiten - und sei es auch nur durch Rat - einzumischen.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Kollege Petersen zieht seine Wortmeldung zurück. Damit ist das gegenstandslos, Herr Minister.
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Nun zu der Frage des Leistungsbilanzdefizits, die Herr Dregger angeschnitten hat. Er sagte, die Bundesbank sei zu vorsichtig gewesen, sich zu äußern. Keineswegs! Der Vizepräsident der Bundesbank, den ich als sehr gutén Ökonomen wirklich schätzen gelernt habe, hat heute morgen im Deutschlandfunk - also keineswegs unter Ausschuß der Öffentlichkeit - erklärt, es sei eine Tendenzwende eingetreten. Das Leistungsbilanzdefizit habe sich deutlich verringert. Dennoch müsse sich das Exportwachstum weiter fortsetzen. Wenn diese Entwicklung länger anhalte, sei auch eine Zinssenkung nicht auszuschließen. Schon jetzt gebe es auf dem Kapitalmarkt bei den Zinsen rückläufige Tendenzen.
({0})
Er macht dann das, was ich auch getan habe: Er warnt davor, zu erwarten, dies würde alles von selbst so weiterlaufen. Wir dürfen jetzt, wie ich sagte, nicht lockerlassen, sondern müssen weiter alles tun, um den Ölverbrauch zu drosseln und um die Leistungs3070
und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhöhen.
Nun kamen Sie wieder mit der alten Klamotte „Kernenergie".
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Es hieß, der Ausbau der Kernenergie sei verzögert worden; deshalb hätten wir ein Leistungsbilanzdefizit. Lieber Herr Dregger, wer hat den Ausbau denn verzögert? Sind Sie dem, wie ich das habe berufsmäßig machen müssen, schon einmal Punkt für Punkt nachgegangen? Haben Sie einmal gemeinsam mit der KWU, gemeinsam mit dem Innenminister und gemeinsam mit den Betreibern analysiert: Wo hakt es denn eigentlich? Was kann der Bundesgesetzgeber tun, damit die Bahn wieder freigemacht wird? Woran liegt es denn, daß das Kraftwerk in Wyhl in Baden-Württemberg nicht gebaut wird? Warum unterhalten Sie sich nicht einmal mit Herrn Späth oder mit dem Innenminister darüber? Der Bau dort wird durch Gerichte verzögert.
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- Ach so! Ich dachte, Sie hätten gesagt - habe ich denn gar nicht richtig zugehört? -, die Arbeitslosigkeit sei von der SPD verschuldet. Sie haben wörtlich - im Zusammenhang mit Kraftwerken - gesagt, Herr Dregger, die Arbeitslosigkeit sei von der SPD verschuldet.
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Und die Gerichte werden von der SPD besetzt?!
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Langsam komme ich dahinter, warum die CSU das Grundgesetz abgelehnt hat. Wir haben das Grundgesetz angenommen. Vielleicht sind wir deshalb an der Arbeitslosigkeit und an den unabhängigen Gerichten schuld. Das mag schon so sein.
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Dann hat Herr Dregger endlich neue Verbündete gefunden - darüber war ich doch sehr verblüfft -: die französischen Kommunisten, die auch für Kernkraft sind.
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Das sind doch aber nicht nur die französischen, sondern auch die anderen Kommunisten: In der DDR, in der Sowjetunion, überall sind die Kommunisten - immer feste drauf - für Kernenergie.
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Herzlichen Glückwunsch zu den Verbündeten!
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- Lieber Herr Kohl, ich habe etwas dagegen, mit Kommunisten in eine Reihe gestellt zu werden - auch von Herrn Dregger. Merken Sie sich das!
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Sie haben dann eine Bemerkung gemacht, die Sie
- Sie werden mir zustimmen, wenn ich Ihnen das sage - nicht wiederholen sollten. Wir geben uns Mühe - ich persönlich auch -, Kernkraftwerke im Ausland zu verkaufen. Ich finde es nicht gut, daß Sie sagen - ich habe mir das hier mitgeschrieben -: Unsere Kernkraftwerke galten als die besten der Welt.
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Lieber Herr Dregger, unsere Kernkraftwerke sind
die besten der Welt.
({11}) Das ist doch wichtig.
Warum ist denn die KWU
nicht mehr ausgelastet?)
Warum machen sie uns draußen, wenn wir Kernkraftwerke verkaufen wollen, das Leben schwer, indem Sie behaupten, sie seien nicht mehr die besten in der Welt? Was soll denn das?
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Übrigens darf ich Ihnen noch eine weitere kleinere Bitte, was die Terminologie angeht, vortragen. Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Nation. Deshalb sprechen Sie bitte in Zukunft nicht mehr von der Bundesrepublik Deutschland als Industrienation! Tun Sie mir terminologisch den Gefallen!
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Einige Worte noch zu der Geschichte mit dem öffentlichen Dienst. Ich habe das in meiner Rede gesagt, weil ich mir dachte, daß so etwas schon kommt. Der Bund hat seit 1975 6 000 Posten abgebaut.
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Das heißt: Wenden Sie sich an Ihre Länderkollegen, da, wo die Union führend ist. Da ist der Zuwachs erfolgt und, wie ich gesagt habe, durchaus nicht zu Unrecht.
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Natürlich war es richtig, sich um die innere Sicherheit zu kümmern, um die sozialen Dienste, um die Bildung. Natürlich war es richtig, dies zu tun. Deshalb beklagen Sie das anschließend nicht immer wieder so!
Ein letztes Wort. Ich glaube, diese Debatte hat Ihnen gezeigt, daß der Zustand der Koalition wohl besser ist, als Sie gedacht haben.
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Einer Ihrer Kollegen sagte: Das ist so wie die Oma, die das Zeitliche am Segnen ist
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und die noch einmal so in einem letzten Aufbäumen mit der Hand auf die Bettdecke schlägt. Das sei der Zustand der Koalition. - Das ist nicht mein Bild, sondern das stammt aus Ihren Reihen.
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Sie haben wohl gesehen, daß diese Koalition nicht nur sehr lebendig ist, sondern daß sie auch sehr arbeitsfähig ist, daß sie auch zusammenhält und daß sie auch weiterhin das deutsche Volk besser durch die internationalen Schwierigkeiten bringen wird, als dies in anderen Ländern der Fall ist.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen - Tagesordnungspunkte 2 bis 10 - an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung.
Zusätzlich sollen nach einer interfraktionellen Vereinbarung der Entwurf des ArbeitsförderungsKonsolidierungsgesetzes - Punkt 6 der Tagesordnung - an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Rechtsausschuß sowie der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung - Punkt 7 der Tagesordnung - an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus mit den Übeweisungsvorschlägen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 10 einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 30. September 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.