Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Herrn Kollegen Collet zu seinem 60. Geburtstag, den er am 15. September gefeiert hat, herzlich beglückwünschen.
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Auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Togo Platz genommen. Ich habe die Ehre, Seine Exzellenz, den Präsidenten der Nationalversammlung, und die Mitglieder der Delegation sehr herzlich zu begrüßen. Ich freue mich, daß Sie der Einladung zum Besuch in die Bundesrepublik Deutschland gefolgt sind. Ihre Anwesenheit darf ich zum Anlaß nehmen, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern auch auf der parlamentarischen Ebene zu betonen. Es ist uns eine besondere Freude, Sie im Deutschen Bundestag recht herzlich willkommen zu heißen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung der Tagesordnung fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 bis 10 auf:
2. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 ({2})
- Drucksache 9/770 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1981 bis 1985
- Drucksache 9/771 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der
Haushaltsstruktur ({3})
- Drucksache 9/795 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß ({4})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
4. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kiep, Dr. Jahn ({5}), Dr. Schneider, Dr. Möller, Hauser ({6}), Müller ({7}), Dr. Waffenschmidt, Dörflinger, Günther, Dr.-Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter ({8}), Zierer, Dr. Blüm, Clemens, Erhard ({9}), Faltlhauser, Herkenrath, Kolb, Linsmeier, Dr. Pinger, Rühe, Sick, Repnik und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen zur Förderung des Wohnungsbaus
- Drucksache 9/467 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({10})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Investitionstätigkeit im Baubereich und zum Abbau ungleichmäßiger Besteuerung in der Wohnungswirtschaft
- Drucksache 9/796 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({11})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer2902
Präsident Stücklen
Besetzen ({12})
- Drucksache 9/797 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({13})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
6. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung ({14})
- Drucksache 9/799 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({15}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
7. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ({16})
- Drucksache 9/800 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({17}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
8. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes ({18})
- Drucksache 9/801 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({19}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
9. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung ({20})
- Drucksache 9/798 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({21}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lammert, Kiep, Dr. Waigel, Müller ({22}), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Müller ({23}), Dr. Warnke, Frau Pack, Ganz ({24}), Günther, Frau Hürland, Link, Löher, Prangenberg, Sauer ({25}), Stutzer, Gerstein, Metz, Vogel ({26}), Borchert, Kittelmann, Vogt ({27}), Frau Fischer, Frau Karwatzki, Reddemann, Schwarz, Breuer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
Strukturkrise der deutschen Stahlindustrie - Drucksache 9/612 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({28})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine verbundene Debatte der Tagesordnungspunkte 2 bis 10 für die Plenarsitzungen heute und morgen vereinbart. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. August dieses Jahres, also vor noch nicht ganz einem Monat, hat Herr Genscher, der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler der Bundesregierung, einen Brief an führende Persönlichkeiten seiner Partei gerichtet. In diesem Brief heißt es u. a.: „Unser Land steht an einem Scheideweg."
({0})
Und weiter:
Nein, jetzt geht es darum, die Weichen deutlich auf mehr Selbstverantwortung, auf Leistung und Selbstbestimmung zu stellen, d. h. eben auf mehr Freiheit.
({1})
Die CDU/CSU teilt die Bewertung unserer Lage durch Sie, Herr Genscher. Sie teilt aber auch die Bewertung des Ergebnisses von zwölf Jahren Regierungspolitik durch die SPD und FDP.
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Es ist Aufgabe der Opposition, nüchtern zu prüfen, ob die Finanzbeschlüsse der Bundesregierung die von Ihnen, Herr Genscher, geforderte durchgreifende Wende gebracht haben.
Zunächst möchte ich durchaus anerkennen, daß es für die Bundesregierung keine leichte Aufgabe war, die Ausgaben gegenüber der Fortschreibung der bisherigen Finanzplanung herunterzuführen. Sonst hätten wir womöglich eine Neuverschuldung von 46 oder gar 50 Milliarden DM statt von 26,5 Milliarden DM erhalten. Ich will auch durchaus anerkennen, daß die Regierung schließlich Eingriffe in Besitzstände, auch gesetzliche Besitzstände vorgenommen hat. Daß das für die Regierung nicht einfach war, liegt auf der Hand. Aber es war für sie besonders schwer, da das Problem der Staatsverschuldung noch vor einem Jahr - es ist noch nicht ganz ein Jahr her -, vor dem 5. Oktober 1980 vor allem durch den Bundeskanzler in einer nicht vertretbaren Weise verniedlicht wurde.
({3})
Ich habe in diesen Tagen zufällig eine Äußerung von Niccolò Machiavelli in die Hand bekommen,
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die geradezu prophetisch, Herr Wehner, für das
geschrieben ist, was Ihr Bundeskanzler Schmidt
vor einem Jahr an Wählertäuschung in puncto Staatsverschuldung vorgenommen hat.
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Es heißt hier:
Großes leistet ein Fürst, der es versteht, seinem Volke entgegen den landläufigen Begriffen von Treu und Glauben die Köpfe zu verdrehen. Nie dürfen ihm gute Gründe fehlen, sein Tun zu beschönigen. Zustatten kommt ihm, wenn er ein Meister der Schönfärbekunst ist.
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Daß es für Sie, Herr Wehner, besonders schwierig ist, Eingriffe in soziale Besitzstände vorzunehmen, muß man verstehen. Denn Sie haben den Bürgern jetzt teilweise Dinge weggenommen, wegnehmen müssen, was, wenn man es vor einem Jahr oder zwei Jahren vorgeschlagen hätte, von Ihnen als „soziale Demontage" kritisiert und gebrandmarkt worden wäre.
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Das war doch das Schlimme der letzten Jahre, daß jeder, der auch nur den schüchternen Versuch gemacht hat,
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zu sagen, daß die Ausuferung der Staatsleistungen nicht so weitergehen kann und zu einem bösen Ende führen muß, von Ihnen sofort mit dem Totschlagwort „soziale Demontage" belegt worden ist.
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Ich schlage Ihnen vor, daß wir dieses böse, giftige Wort sofort aus unserem Wortschatz streichen. Es führt nur zu mehr Vergiftung, und es führt noch mehr in die finanzpolitische Sackgasse, in der wir ohnedies schon sind.
Eine Überprüfung der Auswirkungen der Finanzbeschlüsse führt uns zu folgendem Resultat: Das Ergebnis ist unzureichend, vor allem im Vergleich zu den Ankündigungen, und es ist teilweise fehlerhaft.
Erstens. Es ist unzureichend. Wenn wir die Neuverschuldung, also die Zunahme der Verschuldung, des Bundes in den kommenden Jahren an den Zahlen der Regierung ablesen, müssen wir feststellen, daß die Neuverschuldung auch in den kommenden Jahren mit die höchste seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Für 1982 nehmen Sie 26,5 Milliarden an, für 1983 25,8 Milliarden und für 1984 24,5 Milliarden.
Im ersten Jahr - das will ich durchaus anerkennen - wäre dies als erster Schritt noch hinnehmbar, wenn diese Zahl von 26,5 Milliarden glaubhaft wäre. Aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre ist diese Glaubwürdigkeit eben nicht vorhanden. Was haben wir in diesem Jahr 1981 erlebt! Zunächst legte die Regierung einen Entwurf mit einer Neuverschuldung von 27,4 Milliarden vor. Sie bestritt hartnäckig, daß das nicht stimme. Ganz am Schluß mußte sie dann zugeben, daß die Neuverschuldung sich im laufenden Jahr sogar auf 33,8 Milliarden beläuft.
({10})
Wir fragen uns: Wo werden wir am Schluß dieses Jahres enden? Sind es nur 35 Milliarden, oder bewegt sich die Neuverschuldung in Richtung 40 Milliarden?
Dieses Vertrauen ist für die kommenden Jahre der mittelfristigen Finanzplanung erst recht nicht gerechtfertigt. Und darauf kommt es vor allem an. Ein Jahr allein ist nicht mehr entscheidend, um die Glaubwürdigkeit herzustellen, sondern es geht um das Vertrauen, daß in den nächsten Jahren insgesamt mit einer durchgreifenden Herabführung der Neuverschuldung tatsächlich Ernst gemacht wird.
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Herr Finanzminister Matthöfer, Sie haben gestern dankenswerterweise selber einige Risiken beim Namen genannt, die in der Tat vorhanden sind. Das sollte uns alle mit Sorge erfüllen. Dazu gehören u. a. die gesamtwirtschaftlichen Daten und die Zahl der Arbeitslosen.
Ein großes Risiko ist der Verteidigungshaushalt. Hier nehmen Sie für 1982 eine nominelle Steigerung von 4 % an. Bei einer Preissteigerungsquote im Augenblick von 6 % sinkt der Verteidigungshaushalt real, obwohl Sie international im Wort sind, die Verteidigungsausgaben um 3 % real zu erhöhen. Noch schlimmer ist es in den Jahren darauf. Sie nehmen beim Verteidigungshaushalt eine Steigerungsquote von nominell 2,5 % je Jahr an. Mit Sicherheit kann dies nach den Erfahrungen, die wir gerade im Verteidigungshaushalt im Laufe dieses Jahres gehabt haben, keine realistische Größe sein.
Ein weiteres Risiko ist bei der Bundesbahn. Sie stocken im kommenden Jahr die Zuschüsse für die Bundesbahn um 250 Millionen auf 12,8 Milliarden auf. So soll der Zuschuß für die kommenden Jahre festgeschrieben werden. Wenn Sie dies tun, ist es nur eine Verschiebung der Verschuldung auf die Bahn. Dann wird die Bahn genötigt, eine zusätzliche Verschuldungspolitik in den kommenden Jahren zu treiben, die alles Bisherige noch in den Schatten stellt.
({12})
Ob der Bund sich unmittelbar verschuldet oder die Bahn, ist volkswirtschaftlich im Ergebnis genau das gleiche.
Ein weiteres Risiko: bei den Zinsausgaben. Im kommenden Jahr ist dies die höchste Steigerungsquote überhaupt mit 36% Steigerung. In den Jahren darauf ab 1983 sinkt dann die Annahme der Regierung: nur noch 13 % 1983 und nur noch 9% Steigerung 1984. Dies erscheint nicht realistisch
angesichts der Nichtherunterführung der Neuverschuldung.
Wir müssen uns kurz einmal klarmachen, was dies für den Bundeshaushalt in den kommenden Jahren bedeutet - trotz der von der Bundesregierung behaupteten eingeleiteten Sanierung. Also selbst wenn ich jetzt die Zahlen der Regierung alle als realistisch zugrunde lege, bedeutet dies folgendes. Im kommenden Jahr muß der Bund mit einer Bruttokreditaufnahme in Höhe von 72,3 Milliarden DM an den Kapitalmarkt gehen. Davon braucht er weit mehr als die Hälfte für die Tilgung bisheriger Schulden, nämlich 45,8 Milliarden DM. Er hebt also seinen Schuldenstand um 26,5 Milliarden an, zahlt aber 23,2 Milliarden DM als Zinsendienst für bisherige Schulden. Nur 3,3 Milliarden DM bleiben also von der Neuverschuldung nach Zinsleistung für echte öffentliche Aufgaben übrig. Dieser Zinsendienst in Höhe von 23,2 Milliarden DM allein beim Bund im kommenden Jahr ist mehr als die Summe für Entwicklungshilfe, Forschung und Technik, Bildung und Wissenschaft sowie Wohnungs- und Städtebau zusammengenommen.
Der Zinsendienst wächst im kommenden Jahr um 6,2 Milliarden DM und umfaßt damit zwei Drittel des Ausgabenanstiegs des Bundeshaushalts. Der Ausgabenanstieg gegenüber 1981 beläuft sich auf 9,6 Milliarden DM. Zwei Drittel von diesem Ausgabenanstieg sind allein für den Zinsendienst, so daß die tatsächliche Ausgabensteigerungsquote für öffentliche Ausgaben beim Bundeshaushalt sich nur auf etwas mehr als 1 % beläuft. Das muß man einmal ganz nüchtern feststellen.
Im Jahr darauf: Bruttokreditaufnahme 66,6 Milliarden DM, Tilgung 40,8 Milliarden DM, Nettokreditaufnahme, also Neuverschuldung, 25,8 Milliarden DM, Zinsendienst 26,3 Milliarden DM. Die Neuverschuldung reicht also 1983 schon nicht mehr aus - nach der Planung der Regierung selbst -, den Zinsendienst auszugleichen. Eine halbe Milliarde mehr Zinsendienst als Neuverschuldung! Das bedeutet: Trotz der behaupteten eingeleiteten Sanierung - selbst wenn ich alle diese Zahlen als realistisch akzeptiere - ist in den kommenden Jahren selbst nach den Zahlen der Bundesregierung keinerlei Gestaltungsspielraum für irgendwelche öffentlichen Ausgaben vorhanden.
Dies ist der tiefste Grund dafür, daß kein Vertrauen bei den Finanzmärkten entstehen kann, daß ein Ende des Verdrängungsprozesses am Kapitalmarkt in Sicht sei, daß dieser Kapitalmarkt wieder mehr für Privatinvestitionen zur Verfügung stehe. Das ist der tiefste Grund, warum wir so schrecklich hohe Zinsen haben, die unsere Investitionstätigkeit belasten und unsere Häuslebauer so hart treffen. Das ist der tiefste Grund.
({13})
Deswegen sollte der Bundeskanzler endlich davon
Abstand nehmen, die Vereinigten Staaten von
Amerika zum Sündenbock für unseren hohen
Zinsstand zu erklären. Er weiß es selber besser. Wir können uns so lange nicht abkoppeln, so lange niemand glauben kann, daß die Bundesregierung mit dieser hohen Verschuldung fertig werden kann und daß wir mit unserem hohen Leistungsbilanzdefizit in den kommenden Jahren fertig werden.
Zweitens. Das Ergebnis ist teilweise fehlerhaft. Es sind ja nicht bloß echte Sparbeschlüsse im Sinne von Ausgabeneindämmung, sondern vielmehr teilweise und großenteils Einnahmeverbesserungen des Staates.
Da ist zunächst einmal die Abführung des Bundesbankgewinns mit mehr als 6 Milliarden DM. Man muß klar sehen, was das volkswirtschaftlich bedeutet. Das bedeutet das gleiche, wie wenn die Neuverschuldung um über 6 Milliarden DM größer wäre, nicht fiskalisch, sondern volkswirtschaftlich gesehen. 32 bis 33 Milliarden DM ist die Inanspruchnahme. Um den entsprechenden Betrag - fragen Sie die Bundesbank, sie wird es Ihnen erklären; wir waren bei ihr - muß die Bundesbank ihre Geldmengensteuerung auf dem privaten Sektor einschränken, damit die Geldmenge nicht entsprechend höher wächst. Das ist die volkswirtschaftliche Betrachtungsweise.
Es wäre besser gewesen - die Vorschläge waren im Raum -, eine Verstetigung der Ablieferung der Bundesbankgewinne für die kommenden Jahre vorzunehmen. Denn wenn die Politik erfolgreich ist - das wollen wir j a -, werden in den kommenden Jahren keine Gewinne mehr bei der Bundesbank entstehen. Sogar Verluste sind wieder möglich. Dann sind keine Spielräume mehr da. Verstetigung, wie es andere Länder teilweise auch machen, das ist der Vorschlag sowohl der Bundesbank selbst wie auch anderer Sachverständiger gewesen. Man muß klar sehen, daß diese Bundesbankgewinne eine Art „Zinssteuer" sind. Die Bürger und die Investoren, die ohnedies unter den hohen Zinsen hier zu leiden haben, müssen jetzt noch praktisch an den gleichen Fiskus, an die gleiche Regierung, die eine Hauptursache für diese Fehlentwicklung, für diese hohen Zinsen, durch ihre Verschuldungspolitik gesetzt hat, eine Art Zinssteuer entrichten, die der Bundesfinanzminister einkassiert, in Höhe von über 6 Milliarden DM. Der Bundesfinanzminister zieht Gewinne aus den Fehlern der eigenen Finanzpolitik.
({14})
Die echten gesetzlichen Einsparungen für alle Gebietskörperschaften belaufen sich im kommenden Jahr auf insgesamt 6 bis 7 Milliarden DM. Davon entfällt der Löwenanteil von 5 bis 6 Milliarden DM auf den Bund.
Herr Finanzminister Matthöfer, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie vielleicht einen Moment zuhören würden. - Herr Matthöfer, Ihre Zahl von 60 Milliarden DM Einsparungen in den kommenden vier Jahren ist nicht zutreffend. Das sind nicht echte Einsparungen, nur knapp zur Hälfte sind das echte gesetzliche Einsparungen, rund 30 Milliarden DM in vier Jahren. Sie haben die EinnahmeDr. Häfele
verbesserungen und das Verschieben von Ausgaben auf andere öffentliche Träger hier als Einsparung deklariert. Das ist nicht zulässig.
({15})
Wir können nicht als eine Einsparung bezeichnen die Erhöhung des Beitrags für die Arbeitslosenversicherung. Das ist ein Verschieben auf andere Träger und eine Beitragsanhebung. Wir können nicht als Einsparung akzeptieren die Einführung der Versicherungspflicht für geringfügige Tätigkeiten. Wir können nicht als echte Einsparung akzeptieren die Abschaffung der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe. Die Betroffenen wandern dann in die Sozialhilfe ab und fallen den Gemeinden und Ländern zur Last. Das sind keine Einsparungen, sondern Verschiebungen und Beitragsanhebungen.
Die Flucht in Abgabenerhöhungen ist keine Einsparung, sondern ein vermeintlicher Ausweg. Wenn ich einmal addiere, welche Abgabenerhöhungen vorgesehen sind - Arbeitslosenversicherungsbeitragsanhebung, Verbrauchsteueranhebung, die Steuererhöhungen im Zweiten Haushaltsstrukturgesetz und auch die Beibehaltung der Heizölsteuer, die j a eine Steuererhöhung bedeutet -, so komme ich auf Abgabenerhöhungen um 7 Milliarden DM in einem Jahr. Die Abgabenerhöhungen sind mit 7 Milliarden DM also größer als die echten Einsparungen gesetzlicher Art, die die Bundesregierung vorgenommen hat.
Ein weiterer Mangel ist, daß trotz aller Anstrengungen der Investitionsanteil in den kommenden Jahren sogar sinken wird. - Herr Matthöfer, ich wäre Ihnen überhaupt dankbar, wenn Sie hier nicht Zeitung lesen würden. Ich habe Ihnen gestern anderthalb Stunden zugehört, und das verlange ich auch von Ihnen.
({16})
Herr Matthöfer, ich setze mich nüchtern mit Ihren Zahlen auseinander. Dann kann ich vom Bundesfinanzminister erwarten, daß er zuhört und nicht Zeitung liest. Legen Sie die Zeitung weg und hören Sie zu!
({17})
Herr Matthöfer, ich teile
({18})
Ihre skeptischen Bemerkungen, die Sie gestern bezüglich der öffentlichen Investitionen gemacht haben. Nicht alles, was man gemeinhin unter den Begriff öffentliche Investitionen faßt, bedeutet tatsächlich eine Förderung der privaten Produktivität. Hier teile ich Ihre Auffassung. Trotzdem können wir daraus aber nicht die Schlußfolgerung ziehen: Je höher der konsumtive Anteil bei den öffentlichen Ausgaben ist, desto besser ist es für die private Produktivität. Das wäre sicher eine falsche Schlußfolgerung.
({19})
Aber daß der Investitionsanteil in den kommenden Jahren sogar sinkt, ist sicher nicht der richtige Weg. Wir haben einen Investitionsanteil von 13,8 % im laufenden Jahr; er sinkt über 13,7 % im nächsten Jahr auf bis zu 12,3 % im Jahre 1985. Wenn wir bedenken, daß sich der Investitionsanteil im Bundeshaushalt 1969 noch auf 17 % belief, sehen wir, was dies strukturell bedeutet.
Ich komme also zu dem Ergebnis: Die Finanzbeschlüsse der Bundesregierung sind unzureichend. Sie sind zudem teilweise fehlerhaft, weil sie zu einem großen Teil aus Einnahmeverbesserungen und nicht aus echten Sparbeschlüssen bestehen, weil sie zu einem Teil aus Verschiebungen auf andere öffentliche Träger bestehen und weil sich die Beschränkungen der Investitionen in den kommenden Jahren fortsetzen. Auf jeden Fall ist es nicht die „große Wende", die der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler dieser Regierung angekündigt hat.
({20})
Nun ist zu fragen: Warum sind diese Finanzbeschlüsse mißraten? Der tiefste Grund dafür besteht darin, daß sich hier zwei völlig verschiedene Grundauffassungen gegenüberstanden, die auch nicht mit Kompromissen zu vereinbaren sind. Bei einer Seite, im Lager der SPD, die sich die ganze Sommerpause hindurch fast täglich mit der Forderung nach sogenannten Beschäftigungsprogrammen, finanziert durch eine Ergänzungsabgabe und höhere Steuern, artikuliert hat, scheint der Glaube an mehr Staat unausrottbar zu sein. Die andere Grundauffassung - artikuliert in Worten von der FDP - ist: Es komme vor allem darauf an, wieder mehr Privatinitiative und Selbstverantwortung in unserem Land zu haben.
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- Herr Wehner, ich verstehe Sie. Welche Auffassung Sie haben, ist mir sowieso klar. Jetzt geht es darum, daß wir uns mit Ihrer Auffassung auseinandersetzen. Ich werde in meinen Ausführungen auch noch zu Ihnen deutlich Stellung nehmen. - Herr Matthöfer, Sie haben dankenswerterweise - ({22})
- Herr Wehner, ich muß Ihnen einfach mal etwas sagen: Wenn wir uns hier sachlich mit Ihren Beschlüssen auseinandersetzen, dann müssen Sie sich hier auch wie jeder andere Parlamentarier verhalten und zunächst einmal zuhören, und dann können Sie Ihre Meinung sagen. Das verstehe ich unter Parlamentarismus und nicht Ihren Stil.
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Herr Matthöfer, Sie haben gestern dankenswerterweise wiederum - das ist schon das zweite Mal; Sie taten es bereits in Ihrer Einbringungsrede im Januar, und Sie tun es jetzt wieder - betont, es komme vor allem darauf an, die Privatin2906
vestitionen zu fördern. Bloß: Die Äußerungen aus dem Lager der SPD, die wir ja täglich lesen können, die auf die Forderung nach einem sogenannten Beschäftigungsprogramm über staatliche Ausgaben hinauslaufen, stehen ja in diametralem Gegensatz zu dieser Grundauffassung. Das muß man völlig klar sehen.
Den tiefsten Grund für diese Fehlentwicklung haben Sie j a selbst in Ihrer Rede, die Sie am 27. Juli vor der SPD-Bundestagsfraktion gehalten haben, angegeben. Sie haben in Zahlen nachgewiesen, wie sich die Investitionslücke im letzten Jahrzehnt in Deutschland insgesamt entwickelt hat. Sie haben gesagt, daß sich die volkswirtschaftliche Investitionsquote noch 1970 auf 27,8 % belief, während es in diesem Jahr nur noch 23,5 % seien. Das sind beachtliche Summen, drückt man sie in Milliarden DM aus. Sie haben weiter gesagt, daß die Sozialversicherungsausgaben im Jahre 1970 noch eine Quote von 16 % ausmachten, während es in diesem Jahr 21,5 seien. Das ist eine völlig zutreffende Diagnose.
Die Entwicklung des Sozialprodukts in den letzten zehn Jahren verdeutlicht am besten diese Fehlentwicklungen. Das Bruttosozialprodukt ist von 1970 bis einschließlich 1980 nominell um 121 % angewachsen. Die öffentlichen Ausgaben der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung sind aber um 174 % angewachsen. Die Beitragseinnahmen bei der Sozialversicherung stiegen um 184 %, die Schulden der Gebietskörperschaften um 276 %, die Steuern um 137 %, dabei die Lohnsteuer um 218 %. Darin spiegelt sich der Anstieg des sogenannten Staatsausgabenanteils von 38 % im Jahre 1970 auf über 47 % in den letzten Jahren wider.
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Das hat übrigens auch zur Folge, daß die Reallohn- und Gehaltssumme je abhängig Beschäftigten geringer gewachsen ist als das reale Bruttosozialprodukt. Das reale Bruttosozialprodukt ist in diesem Jahrzehnt um 32 % gewachsen, dagegen der Reallohn durchschnittlich nur um 20,2 %.
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Die Löhne und Gehälter der Arbeitenden, auch die Investitionen - das habe ich schon nachgewiesen -, sind geringer gewachsen als die Übertragungseinkommen, die der Staat ausgibt. Das ist das Ergebnis dieser Fehlentwicklung.
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Deswegen haben Sie völlig recht - das ist endlich die richtige Diagnose, die Sie, Herr Matthöfer, seit etwa anderthalb Jahren mit uns teilen, nachdem Sie uns Jahre vorher widersprochen haben Wir haben im Verhältnis zu den Investitionen und zu den Leistungen, die erbracht wurden, zuviel Konsum gehabt. Deshalb müssen Sie jetzt zu Recht sagen - das ist keine Ideologie; Sie haben es gestern gesagt, und das anerkennen wir -, daß sich der Staat in konsumtiver Hinsicht zurückziehen muß, daß überhaupt das Konsumtive im Verhältnis zum Investiven zurücktreten muß, daß der Staatsanteil kleiner werden muß, daß die Abgabenlast nicht steigen darf und daß die öffentlichen Ausgaben beschränkt werden müssen. Das ist spätestens deutlich geworden, seit wir im letzten Jahr das höchste Leistungsbilanzdefizit hatten, das je ein Staat in der Geschichte hatte.
Was Sie, Herr Matthöfer, gestern zu dem Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung, Investitionsschwierigkeiten, Investitionskrise und Leistungsbilanzdefizit gesagt haben, ist völlig zutreffend. Bloß hört man jeden Tag Äußerungen aus dem Lager der SPD, die das nicht wahrhaben wollen.
Was Sie zu den Nachfrageproblemen gesagt haben, ist jetzt völlig zutreffend, im Gegensatz zu dem, was Sie früher immer gesagt haben, vor allem im Gegensatz zu dem, was die SPD heute noch sagt.
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Soweit Sie mit Recht sagen, bezüglich der Handelsbilanz zeige sich ein Silberstreifen am Horizont, wissen Sie, daß wir in dieser Frage noch nicht über den Berg sind.
Sie wissen, daß Sie infolge der Schuldenaufnahme im Ausland - im letzten Jahr rund 22 Milliarden DM, in diesem Jahr etwa der gleiche Betrag; das sind rund 45 Milliarden DM in zwei Jahren - im nächsten Jahr etwa 5 Milliarden DM Zinsen an das Ausland zahlen müssen. Wenn Sie also den Saldo der Handelsbilanz um 5 Milliarden DM verbessern, was wir hoffen, dann wird dies allein durch den Zinsendienst des Bundes an das Ausland im Rahmen der Leistungsbilanz wieder konterkariert. Das wird noch ein großes Problem.
Wenn wir, was im Augenblick im Gange ist - wir können nur hoffen, daß sich das fortsetzt -, den Kurs der D-Mark zum Dollar und zu anderen Währungen wieder verbessern - auch beim Europäischen Währungssystem wird bald eine Änderung kommen -, dann ist unser Vorteil, den wir im Augenblick durch eine für den Export günstige Kursrelation haben, sehr schnell wieder dahin. Der Kostenvorsprung muß dann erst binnenwirtschaftlich verkraftet werden. Das wird das Hauptproblem des kommenden Jahres sein, was vor allem eine ungeheure Verantwortung für die Lohn- und Gehaltstarifpartner mit sich bringt. Diesen Zusammenhang muß man sehen.
Aber, meine Damen und Herren, solange Sie nicht in aller Redlichkeit - und das ist die Antwort auf Sie, Herr Wehner - die Ursachen der Fehlentwicklungen auf den Tisch legen, verdienen Sie auch keine Glaubwürdigkeit für die richtige Therapie.
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Dies alles, meine Damen und Herren, ist in den letzten zwölf Jahren nicht nur vom Ausland über uns gekommen. In den letzten zwölf Jahren hatte
eine SPD/FDP-Regierung die Regierungsverantwortung, und sie trägt die Hauptverantwortung für diese Fehlentwicklung. Ich will Ihnen kurz sagen, worin die Hauptfehler der letzten zwölf Jahre unter dieser Regierungsverantwortung bestanden haben.
({29})
Erstens. Die Bundesregierung hat durch ihre Politik der „inneren Reformen" im Ergebnis den Staatsanteil und den Staatseinfluß ausgeweitet, das Anspruchsdenken und die Subventionsbegehrlichkeit gesteigert, die „Belastbarkeit der Wirtschaft ausprobiert", Kostensteigerungen und sinkende Leistungsbereitschaft hervorgerufen und das Schwinden unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit eingeleitet.
({30})
Das hören Sie nicht gern, aber das ist die Wahrheit.
({31})
Die Rücktritte der Minister Möller und Schiller 1971 und 1972 waren die ersten Blinkzeichen am Beginn dieses falschen Weges.
Zweitens. Die Bundesregierung hat, als das Ausland - vor allem durch die Ölpreissteigerungen - einen größeren Anteil an unserem Sozialprodukt verlangte, die sich dadurch verschärfende Krise zu lange als vermeintliche „Beschäftigungspolitik" mit scheinbar bequemen Programmen der Nachfragebelebung und der Staatsverschuldung beantwortet und damit in unserem Volk eine überzogene Konsumhaltung gefördert und Substanzverzehr betrieben.
({32})
Drittens. Die Koalition hat mit der Ausbreitung der Philosophie des Neides - Herr Spöri, dazu haben Sie immer beigetragen ({33})
und mit der Herabsetzung des Unternehmertums und des Leistungsdenkens bewirkt, daß der Gemeinsinn in unserem Land abnahm und immer mehr vergessen wurde, daß soziale Einstellung auch bedeutet, daß man anderen nicht zur Last fallen darf, wenn man selber etwas leisten kann.
({34})
Viertens. Die Bundesregierung hat durch eine Energiepolitik des gleichzeitigen Ja und Nein zur Kernenergie wertvolle Jahre verloren und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit geschwächt.
Fünftens. Die Bundesregierung hat die ordentlichen Wachstumsjahre 1978, 1979 und 1980 nicht genutzt, um die Schuldenlawine einzudämmen.
Sechstens. Die Bundesregierung, vor allem der Herr Bundeskanzler, hat vor der Wahl 1980 das Schuldenproblem in unvertretbarer Weise verniedlicht und Warner als „Panikmacher" abgetan.
({35})
Siebentens. Die Bundesregierung stand sich nach der Wahl infolge ihrer Wahlkampftäuschungen selber im Weg und hat nicht den Mut zur Einleitung einer Wende gehabt.
Achtens. Die Bundesregierung hat jetzt verspätet und nur unzureichend und teilweise fehlerhaft gehandelt, obwohl die FDP die große „Wende" angekündigt hatte.
Ich komme nun zur Haltung der CDU/CSU. Wir werden die Vorschläge der Bundesregierung in den Ausschüssen nüchtern prüfen. Wir werden uns dabei konstruktiv verhalten.
({36})
Wir werden zum größten Teil der Einsparungsvorschläge ja sagen können. Wir werden die Abschreibungsverbesserungen unterstützen, weil sie ein richtiger Schritt sind.
Wir sagen nein zu den Steuererhöhungen. Wir haben nicht zu wenig Abgaben in Deutschland, sondern zu viele öffentliche Ausgaben.
({37})
Wir sagen auch nein zur Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags. Damit entziehen Sie der Rentenversicherung Finanzmittel, und jedermann weiß, daß damit eine weitere Abgabenerhöhung bei der Rentenversicherung vorgezeichnet ist. Das ist der Marsch in noch mehr Abgaben zu Lasten der Rentenversicherung, zu Lasten der Zukunft der Renten. Wie wollen Sie eine Reform 1984 machen, wie wollen Sie das Problem im Jahre 2000 bei den Renten lösen, wenn Sie jetzt der Rentenversicherung Finanzmittel entziehen?
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Wir sagen nein zur Kürzung des Kindergeldes. Das richtet sich im Verhältnis zu Ihren sonstigen Maßnahmen, die Sie getroffen und unterlassen haben, einseitig gegen die Familie und ist vor allem wiederum eine Täuschung der Wähler. Man kann das nicht vor der Wahl gesetzlich versprechen, es am 1. Februar nach der Wahl in Kraft setzen und es ein paar Wochen später wieder zurücknehmen.
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Die Steuererhöhungen, die im 2. Haushaltsstrukturgesetz vorgesehen sind, werden wir daraufhin genau überprüfen, ob sie nicht genau in die falsche Richtung gehen, nämlich wirtschaftshemmend sind. Hier haben wir zwei Dinge, die bei uns von vornherein auf jeden Fall Bedenken erwekken. Die Einschränkung der Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte ist in unserer ökonomischen Lage Gift. Das führt zu weniger Produktivität oder zu mehr Schwarzarbeit, wahrscheinlich zu beidem. Die skurrile Einführung einer Investitionssteuer - Wegfall der Vorsteuer für die Anschaffung von Pkws für Betriebe - ist
im Mehrwertsteuersystem absurd und für unsere wirtschaftliche Entwicklung genau falsch.
({40})
Im übrigen möchte ich dazu einen Vorschlag machen. Wenn Sie bei der Anschaffung von BetriebsPkws eine 13 %ige Mehrwertsteuerbelastung verlangen, warum tun Sie das dann nicht bei der Anschaffung von Wagen für Minister und Staatssekretäre, wenn bei den Betrieben von vornherein vermutet wird, daß ein Teil privat genutzt wird? Das wäre eine gleiche Behandlung für beide, für die Betriebe und für die Minister und Staatssekretäre. Dann wäre es wenigstens konsequent.
({41})
Darüber hinaus erklärt die Opposition ihre Bereitschaft, dazu beizutragen, die öffentlichen Ausgaben noch mehr zu begrenzen. Wir haben hier einige Beispiele dafür vorgelegt, wie weitere Ausgaben begrenzt werden können, etwa daß beim Ausbildungsförderungsgesetz die Flut der Ausgaben eingedämmt wird. Wir haben auch den Vorschlag gemacht, daß die Bemessungsgrundlage bei der Arbeitslosenversicherung mit der Folge geändert wird, daß der Wille und der Anreiz zur Arbeit auf jeden Fall gefördert werden, daß auch die Vermittelbarkeit der Arbeitslosen anwächst und daß sich derjenige, der arbeitet, nicht als der Dumme vorkommt, sondern daß er sagt: Arbeit lohnt sich auf jeden Fall. Dieser Grundsatz muß auf jeden Fall gelten.
({42})
Wir halten es auch für sachgerecht, die Ausuferung bei der Sozialhilfe zu überprüfen. Sie machen es sich einfach. Sie streichen die originäre Arbeitslosenhilfe in Höhe von 600 Millionen DM mit der Folge, daß die Gemeinden Sozialhilfe zahlen müssen. Daß das überprüft werden muß, daß das nicht zusammenpaßt, liegt auf der Hand. Auch das Problem der Scheinasylanten ist bei der Sozialhilfe natürlich mit zu erfassen. Das war Ihr Versagen beim Anpakken dieses Problems.
({43})
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben wir den Vorschlag gemacht, alle Ausgaben auf Grund von Subventionen und Leistungsgesetzen um 5 % zu kürzen. Damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit einem Vorschlag des Sachverständigenrates, der in seinem Sondergutachten im Juli dieses Jahres - das sollte von jedem dreimal gelesen werden - diesen Vorschlag auch gemacht hat. Dieser Vorschlag ist auch schon von anderen gemacht worden. Die Schweiz hat in den letzten Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, alle Subventionen um 10 % zu kürzen. Auch der Deutsche Industrie- und Handelstag macht seit vielen Monaten den Vorschlag, alle Subventionen um einen bestimmten Prozentsatz zu kürzen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie auf den Boden dieser Vorschläge treten würden, würde das ein Mehr an Einsparungen von über 10 Milliarden für den Gesamthaushalt - nicht nur für den Bund, für den Gesamthaushalt! - mit sich bringen - über die rund 5 Milliarden DM Einsparungen hinaus, die Sie vorgeschlagen haben und die wir wahrscheinlich mittragen werden. Bloß müssen Sie sich, wenn wir das mittragen sollten, anständig verhalten, und nicht so, wie Sie es gerade tun, Herr Wehner.
({44})
Meine Damen und Herren, mit diesen eigenen Sparvorschlägen und mit der Bereitschaft, Sparvorschläge von Ihnen mitzutragen, verhält sich die Opposition konstruktiv, auf jeden Fall völlig anders, als sich die SPD als Opposition 1965 und 1966 verhalten hat.
({45})
Herr Wehner, vielleicht hätten wir von Ihnen lernen sollen. Das gebe ich zu. Sie haben damals gesagt, solange Sie noch in der Opposition waren: „Für wen halten Sie uns denn? Wir sind doch anständige Leute; wir waschen doch nicht die Wäsche fremder Leute." Das heißt, erst wenn wir erst an der Regierung sind, machen wir Sparvorschläge! - Nein, das tun wir nicht.
Helmut Schmidt hat damals gesagt: „Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus der Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selber hineinmanövriert hat." - Ein kurzsichtiges Wort von ihm, das er am 3. Juni dieses Jahres hier bei der Haushaltsberatung gesagt hat, lautet, er wolle die Hilfe der Opposition gar nicht. Was ist das für eine Konstruktivität der CDU/ CSU im Verhältnis zu diesen Anwürfen von Ihnen! So eine Opposition hat es in der Parlamentsgeschichte überhaupt noch nicht gegeben, die Ihnen beim Sparen noch hilft.
({46})
Wir behaupten nicht, meine Damen und Herren, daß wir ein vollständiges Alternativprogramm zum Sparen vorgelegt hätten. Das behaupten wir nicht.
({47})
Aber wir haben hier Beispiele vorgeschlagen,
({48})
die zeigen, daß man durchaus, wenn Sie die Bereitschaft haben, noch wesentlich durchgreifender sparen kann. Statt dies hier zu begrüßen und dankbar entgegenzunehmen, kritisieren Sie uns.
Die Aufgabe der Opposition kann nicht darin bestehen, den Haushalt zu sanieren. Das kann sie nicht. Wir können nur versuchen, die Regierung in die richtige Richtung zu drängen. Deswegen ist Ihre Kritik so kurzsichtig.
({49})
Graf Lambsdorff, Sie haben hierzu große Worte der Kritik gesprochen. Man muß das verstehen; Sie haben einen Nachholbedarf. Sie haben die große „Wende" angekündigt. Was ist daraus geDr. Häfele
worden? Jetzt müssen Sie nach der anderen Richtung große Worte sprechen. - Sie werden nach Ihren Taten gemessen, nicht nach Ihren großen Worten!
({50})
Die SPD, die uns kritisiert - wobei Sie sich erst noch verständigen müssen, in welche Richtung Ihre Kritik geht -, sagt auf der einen Seite, es seien keine Sparvorschläge, und auf der anderen Seite sagt sie, wir würden an den kleinen Mann herangehen. Nur das eine oder das andere kann wahr sein, meine Damen und Herren.
({51})
Wer selber im Glashaus sitzt, darf nicht mit Steinen werfen. Was tun Sie denn? Wer muß denn jetzt ran an den kleinen Mann als Folge Ihrer Schuldenpolitik? Wer hat denn die Mineralölsteuer angehoben? Wer greift denn jetzt in soziale Besitzstände ein? Wer macht denn 6 % Inflation, 1,3 Millionen Arbeitslose? Das machen doch nicht wir!
({52})
Wer geht denn hier an den kleinen Mann? Also, hören Sie damit auf!
({53})
Wer Sparvorschläge zur Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes macht, genau der trägt dazu bei, daß der Kernbestand unseres sozialen Sicherheitssystems in Zukunft gesundgehalten wird, und das will die CDU/ CSU mit ihren Vorschlägen erreichen.
({54})
Ziel unserer Vorschläge ist, Investitionshemmnisse zu beseitigen. Die Staatsverschuldung ist heute das Investitionshemmnis Nummer eins geworden, weil zuviel am Kapitalmarkt durch den Staat in Anspruch genommen wird und damit nicht für private Investitionen zur Verfügung steht. Andere Investitionshemmnisse - seit Jahren reden wir davon - haben wir im Wohnungsbau - jetzt endlich, verspätet, handeln Sie etwas in unsere Richtung - oder im Kraftwerksbau oder in der modernen Nachrichtentechnik. - Ein gewaltiges Leistungs- und Investitionshemmnis, das man nicht von heute auf morgen, aber in den kommenden Jahren in der Finanzplanung wird berücksichtigen müssen, ist nach wie vor auch unser Steuerrecht. Vor allem, wenn man private Investitionen so fördern will, wie Sie, Herr Matthöfer, es gesagt haben, können wir die Besonderheit, die wir im deutschen Steuerrecht im Vergleich zum Ausland haben, eine ertragsunabhängige Belastung wie kein anderes Land, nicht so aufrechterhalten. Das beste Beschäftigungsprogramm wäre das Wegräumen dieser Investitionshemmnisse, auch die Schaffung eines Steuerrechts mit einer Entlastung bei den ertragsunabhängigen Steuern. Das wäre ein besseres Beschäftigungsprogramm als alle staatlichen Ausgabenprogramme.
({55})
Es ist die doppelte Aufgabe des „Jätens und Säens". Die Sanierung der Staatsfinanzen muß gepaart werden mit dem Freisetzen und der Ermunterung der wirtschaftlichen Dynamik.
Nun zum Schluß, meine Damen und Herren: Worum geht es denn im Kern?
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- Herr Wehner, wollen Sie Ihre Gesetze durchhaben oder nicht? Wer will denn hier Gesetze durchhaben? Haben Sie hier je eine Opposition erlebt, die Sparvorschläge noch darüber hinaus macht? Sie haben sich anders verhalten. Wir werden uns konstruktiv verhalten.
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Es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um Finanzfragen, es geht auch nicht bloß - so wichtig und schwer das ist - um die Sanierung der öffentlichen Finanzen, um weniger Staat und mehr private Freiräume, sondern es geht um mehr, um eine grundlegende Neuorientierung, die auch geistig-moralisch vorgenommen werden muß. Die Leistungen und die Ansprüche in unserem Lande müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Die Rechte und Pflichten müssen wieder in Übereinstimmung gebracht werden.
Ich habe kürzlich einen Vortrag nachgelesen, den unser ehemaliger Kollege Hermsdorf, Mitglied der SPD-Fraktion, erster Staatssekretär unter Finanzminister Möller, kürzlich gehalten hat. Darin führte er u. a. wörtlich aus:
Ein Hinderungsgrund ist sicher in der weit verbreiteten Anspruchsmentalität zu sehen. In unserem ganzen Handeln und Streben tun wir noch immer so, als hätte sich für uns nichts geändert. Weniger Leistung und höhere Lebensansprüche sind selbstverständliche „Tugenden". Weit und breit geht es um Rechte und um die sogenannte Selbstverwirklichung. Wörter wie Pflicht und Disziplin gelten geradezu als unanständig. Ein hemmungsloser Egoismus scheint die moderne Lebensmaxime zu sein. Diese Geisteshaltung zu verändern ist vorrangige Aufgabe der heute in der Verantwortung stehenden Generation.
Ende des Zitats des ehemaligen SPD-Abgeordneten Hermsdorf; heute Landeszentralbankpräsident in Hamburg.
({58})
Meine Damen und Herren, das ist genau das gleiche, was etwa ein Professor Wilhelm Röpke in seinem nahezu prophetischen Buch „Jenseits von Angebot und Nachfrage" schon 1958 geschrieben hat. Es geht nicht, wie Sie immer so polemisch sagen, um die Herstellung einer „Ellenbogen-Gesellschaft". Nein, die wirklich großen Liberalen haben immer
gewußt, daß das Wagnis der Freiheit auf Dauer nur gelingt, wenn sie ethisch fundiert ist. Freiheit heißt Selbstverantwortung, und Selbstverantwortung geht auf die Dauer nur gut, wenn sie gepaart ist mit Werten, mit Tugenden und Pflichten. Nur wenn der geistig-moralische Rahmen stimmt, kann die Freiheit auf Dauer schöpferisch sein, sonst führt sie ins Chaos. Das ist die Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft. Das haben die ethisch fundierten Liberalen immer gewußt.
Meine Damen und Herren, dies ist keine Botschaft etwa des Pessimismus, nein, umgekehrt: Wir müssen unser Land wieder herausreißen aus diesem Defätismus, aus dieser Resignation, aus diesem Pessimismus, in den diese Regierung unser Land gebracht hat.
({59})
Dies ist umgekehrt eine Ermunterung zu Selbstvertrauen und zu Zukunftsmut. Aber man muß den Menschen natürlich die Wahrheit sagen, das heißt, man muß den Menschen wieder sagen, daß sie in erster Linie selbst verantwortlich sind für die Gestaltung ihres Lebens, daß der Staat nicht so viel leisten kann, wie er vorgegeben hat, daß das eine Täuschung der Bürger war,
({60})
daß der Staat, je mehr er sich auf das Wesentliche beschränkt, desto mehr den wirklich Schwachen auch helfen kann - nicht so, wie er es jetzt macht -, daß die Lebensleistung vor allem jeder selbst erbringen muß und nicht der Staat für ihn leisten kann, und daß die Anstrengung für sinnvolle Ziele zugleich der einzige realistische Weg auch zum persönlichen Glück ist. Das ist die Antwort auf die Sinnfrage. Hier gehen das Ethische und das Ökonomische und das Finanzpolitische ineinander über. Das sind die Zusammenhänge der Grundideen der Sozialen Marktwirtschaft, die in den letzten Jahren verwirtschaftet worden sind.
Wir haben hier nicht die „Wende" für die Einleitung der Sanierung der Finanzen erlebt. Wir haben auch nicht die geistige Tendenzwende erlebt, die die FDP angekündigt hatte. Herr Genscher, die FDP muß sich fragen, inwieweit sie dies verantworten kann. „Partei" kommt von „pars". „Pars" heißt „der Teil". Aber eine Partei, die in der Regierungsverantwortung steht, hat dem Ganzen zu dienen. Wenn nur noch der Regierungsmachterhalt der Hauptzweck des Regierens und der fast einzige übrigebliebene gemeinsame Nenner ist, dann wird die Krise der Parteien auf den Staat übertragen zum Schaden unseres ganzen Volkes. - Deshalb hat die Regierungskoalition SPD/FDP das Vertrauen verloren.
({61})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walther.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt dem Herrn Bundesfinanzminister Hans Matthöfer für seine wohlfundierte und hervorragende Einbringungsrede zum Bundeshaushalt 1982.
({0})
Um es schlicht und einfach zu sagen, diese Republik hat einen hervorragenden Bundesfinanzminister.
({1})
Wenn man, meine Damen und Herren, Ihre eigene Reaktion an der Stelle verfolgt, als der Herr Kollege Häfele den Bundesfinanzminister anrempelte, dann kann jeder in der Öffentlichkeit nachvollziehen, wie sehr es Sie trifft, daß dieser Bundesfinanzminister draußen gut ankommt.
({2})
Ich möchte Sie, Herr Bundesfinanzminister, da Sie Ihre Arbeit ja nur dann leisten können, wenn Sie gute Beamte und Angestellte haben, bitten, auch Ihren Mitarbeitern unseren herzlichen Dank zu sagen für die hervorragenden und wirklich zeitaufwendigen Vorbereitungsarbeiten, die sie in den letzten Wochen und Monaten leisten mußten.
({3})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, diese Koalition besteht zwölf Jahre.
({4})
- Das ist wahr. Herr Kollege Kohl, es ist auch wahr, daß wir uns nicht verstecken müssen oder uns gar für die Ergebnisse unserer gemeinsam getragenen Politik zu schämen brauchen.
({5})
Dies gilt für die Friedens-, für die Außen-, für die Sicherheits-, für die Wirtschafts-, für die Finanz- und für die Sozialpolitik. Ich sage in allem Ernst: Niemannd in der Koalition - ich meine damit beide Seiten - sollte diese Ergebnisse leichtfertig zerreden.
Trotz allem, Herr Kollege Häfele, was Sie gesagt haben, ist die Bundesrepublik Deutschland auch ökonomisch sehr viel besser als viele, viele andere Länder der Welt über die Runden gekommen.
({6})
- Weil Sie hier lachen: Viele unserer Bürger sind auch in diesem Jahre mehr als die Bürger aller anderen Länder der Welt, auch mehr als die Bürger der reichen Vereinigten Staaten, ins Ausland verreist. Das spricht ja wohl nicht dafür, daß hier die große Armut ausgebrochen ist.
({7})
- Millionen unserer Bürger, Herr Kollege Kohl, hatten in diesem Sommer wieder Gelegenheit, sich
draußen im Ausland umzusehen. Sie sind nach
Hause gekommen und wissen, um wieviel besser es ihnen in der Bundesrepublik geht als den Bürgern in vielen anderen Ländern dieser Welt.
({8})
Ich frage Sie, Herr Kollege Häfele, bei aller Kritik, so berechtigt oder unberechtigt sie sein mag - das lasse ich im Moment dahingestellt; ich komme darauf noch zurück -: Welche Länder der Welt haben denn die Kombination der vier gesamtwirtschaftlichen Ziele besser erreicht als wir? Welche denn? Sie können solche Länder an drei Fingern abzählen; sie brauchen noch nicht einmal die ganze Hand dazu.
Warum sage ich Ihnen das, meine Damen und Herren? Ich sage Ihnen das deshalb, weil, auch wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen - Herr Kollege Häfele, Sie haben das eben wieder bestritten -, nicht auf der einen Seite die Ausweitung des Welthandels, die Steigerung unserer Exportfähigkeit, die Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit unserer Exportindustrie auf den Weltmärkten gefordert und gleichzeitig geleugnet werden kann, daß die Folgen der weltwirtschaftlichen ökonomischen Ereignisse auch auf uns zurückschlagen. Dies können Sie doch nicht im Ernst leugnen wollen.
({9})
Ich habe gesagt: Es gibt wenige Länder, die die Kombination der vier gesamtwirtschaftlichen Ziele besser erreicht haben als wir. Dies gilt auch, Herr Kollege Häfele, für die in den letzten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren - wie immer Sie das wollen - heftig kritisierte öffentliche Schuldenaufnahme. Herr Kollege Häfele, ich habe festgestellt: Sie sind ein Meister in den absoluten Zahlen. Sie werden mir bestätigen, daß wir, was die absolute Höhe der Staatsverschuldung anlangt, in der Welt gar nicht so schlecht dastehen.
Sie können mir entgegenhalten, die hätten keine Währungsreserven gehabt. Nur: Wenn Sie diese Beträge einmal gegeneinander aufrechnen, werden Sie feststellen, daß es marginale Größen sind.
Wir stehen sogar gut da, was den Zuwachs der Schuldenaufnahme und die Zinsbelastung anlangt. Überall dort stehen wir sehr gut da.
Meine Damen und Herren, wir haben sogar trotz des in den letzten 24 Monaten bedenklich angestiegenen Leistungsbilanzdefizits, Herr Kollege Kiep, immer noch sehr viel höhere Devisenpolster als beispielsweise die Japaner oder die reichen Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben nahezu doppelt soviel.
({10})
- Ich rate Ihnen, das einmal nachzulesen. Da ist noch gar kein großer Schwund eingetreten. Wir können uns lange darüber unterhalten, woran das liegt.
({11})
Ich wiederhole: Niemand kann, nein niemand darf unsere Probleme verniedlichen. Dies tun wir nicht, meine Damen und Herren. Aber ich wiederhole auch: Das, was sich weltwirtschaftlich vollzieht, kann nicht ohne Rückwirkungen auf die Lage in unserem Land sein. Wenn beispielsweise die Ölpreise oder auch andere Rohstoffpreise explosionsartig in die Höhe gehen - der Bundesfinanzminister hat gestern Zahlen genannt -, bedeutet dies realen Kaufkraftentzug, besonders in Ländern wie der Bundesrepublik, die kaum über eigene Rohstoffe, insbesondere über keine eigenen Rohölvorräte - bis auf das „OPEC-Land", in dem Sie einmal Finanzminister waren, Herr Kollege Kiep -, verfügen.
Im Energiesparen ist unser Volk sogar Weltmeister. Dies möchte ich auch an dieser Stelle anerkennen und respektieren. Aber jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik ist doch vom Export abhängig; im Produktionsbereich ist es sogar nahezu jeder zweite Arbeitsplatz. Weil das so ist, müssen wir hoffen, daß andere Länder, vor allem auch die USA, bei der Bekämpfung ihrer eigenen wirtschaftlichen Probleme Erfolg haben, wenn auch - ich sage das ein bißchen leiser - manche Zweifel daran angebracht sind, wenn man an das denkt, was heute morgen über die Nachrichtenticker gelaufen ist, wenn man daran denkt, wie das Börsenbarometer in der Wall-street auf die Wirtschaftspolitik, die dort betrieben wird, reagiert. Das Börsenbarometer ist tief im Keller.
Deshalb rate ich jedem hier, der mit Rezepten für unsere Volkswirtschaft operieren möchte, wie sie dort drüben probiert werden, auf solche Rezepte bei uns nicht zurückzukommen.
({12})
Was Frau Thatcher und ihre Rezepte anbelangt, so können wir auf die nun wirklich nicht hoffen. Das Rausschmeißen von Legionen von Ministern aus der Regierung ist j a wohl keine Lösung ökonomischer Probleme.
Die ungeheuren weltwirtschaftlichen Verwerfungen, von denen ich andeutungsweise gesprochen habe und die auch eine Krise unseres ganzen ökonomischen Systems signalisieren, mit ihren Rückwirkungen auf unsere eigene Volkswirtschaft, zwingen uns jetzt zu harten Konsequenzen. Die Dynamik der öffentlichen Ausgaben hält mit den Einnahmevolumina keinen Schritt mehr. Sich auf niedrigere, auch reale, Wachstumsraten als in der Vergangenheit einzustellen ist aus vielen Gründen ein Gebot der Nüchternheit.
Die Begrenzung der öffentlichen Kreditaufnahme und ihre mittelfristige Rückführung sind vor allem aus drei Gründen unumgänglich.
Erstens. Steigende Zinsen in den öffentlichen Haushalten verengen den finanzpolitischen Handlungsspielraum. Nur, Herr Kollege Häfele, Ihre Argumentation, daß die Nettokreditaufnahme demnächst möglicherweise die Höhe der Zinsen übersteigen könnte, ist j a nun naiv. Wenn ich der Logik Ihrer Argumentation folgte, dann dürften wir aus diesem Grunde überhaupt die Rückführung der Nettokreditaufnahme nicht vornehmen, weil wir dann ganz erheblich unter die Zinsbelastungen kämen. Dies ist ein irrationales Argument. Wenn dies wirklich ein vernünftiges Argument wäre, spräche dies
eigentlich für eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme, aber nicht für ihre Senkung.
Zweitens - das ist für uns Sozialdemokraten besonders wichtig -: Verteilungspolitisch sind hohe Zinszahlungen aus den öffentlichen Haushalten bedenklich, weil sie eine nicht zu rechtfertigende Einkommens- und Vermögensumverteilung vom Steuerzahler auf den Geldkapitalbesitzer nach sich ziehen. Herr Kollege Häfele - ich habe nichts dagegen, wenn Sie Herrn Dr. Kohl sachverständig machen -, Sie haben polemisch davon gesprochen, daß die Abführung der Bundesbankgewinne eine Zinssteuer sei. Das ist - Sie haben darum gebeten, ich sollte nett zu Ihnen sein; deswegen sage ich es mit gebotener Zurückhaltung - nicht zutreffend. Denn erstens haben wir zu einer Zeit, als Sie regiert haben, in diesem Parlament beschlossen, daß die Bundesbank ihre Gewinne abzuführen hat. Wenn sie dies tut, ist das j a wohl nicht zu beanstanden.
({13})
Es gibt - Sie haben das teilweise zutreffend dargestellt - einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen hohen Zinsen, die ja nicht wir, sondern der Zentralbankrat festsetzt- ohne daß ich das jetzt bewerten will -, daraus folgendem Konjunkturverlauf und niedrigeren Steuern und Bundesbankgewinnen. Diesen Zusammenhang können Sie doch nicht leugnen. Wenn es diesen Zusammenhang schon gibt, halte ich es nicht nur für legitim, sondern sogar für geboten, daß diese Bundesbankgewinne eingesetzt werden, um konjunkturell bedingte Steuerausfälle auszugleichen.
({14})
Drittens. Eine geringere Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch die öffentlichen Hände kann natürlich auch dringend notwendige Zinssenkungstendenzen unterstützen. Nur, Herr Kollege Häfele, wenn Sie den Eindruck zu erwecken versucht haben, die Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch die öffentliche Hand sei die eigentliche Ursache für das hohe Zinsniveau in der Bundesrepublik, dann nehmen Sie sich wahrscheinlich selbst nicht sehr ernst. Herr Kollege Häfele, ich unterschätze Ihren Intellekt überhaupt nicht, wenn ich glaube feststellen zu dürfen: Sie wissen genauso wie viele andere in diesem Hause, daß die Frage des Diskontsatzes und der diversen Lombardfenster nichts mit den Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand, sondern insbesondere etwas mit dem Versuch zu tun hat, Kapitalabflüsse aus der Bundesrepublik an den Kapitalplatz New York zu verhindern. Dies ist die eigentliche Ursache. Nur, ich bestreite überhaupt nicht, daß es einen gewissen - aber ich sage: marginalen - Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch die öffentliche Hand und dem Zinsniveau gibt. Diese Tatsache, daß das auch ein beschäftigungswirksames Problem ist, ist - jedenfalls für uns Sozialdemokraten - der Hauptgrund für die Operation '82, die Nettokreditaufnahme zurückzuführen. Man kann lange darüber streiten, ob man diese Operation schon im Frühjahr hätte durchführen müssen. Ich will da heute nicht mehr nachtarocken. Aber der Weltwirtschaftsgipfel in Ottawa hat sicherlich letzte Erkenntnisse darüber gebracht, daß wir handeln müssen. Es ist auch wahr - ich will das ganz selbstkritisch sagen -: Die Koalition hat das journalistische „Sommerloch" nicht unbedingt optimal ausgefüllt, wenn Sie mir diese Untertreibung gestatten. Ich hoffe, daß auch in dieser Hinsicht auf allen Seiten die Lernfähigkeit gestiegen ist. Doch, to whom it may concern: Es macht nach meiner Überzeugung keinen Sinn, diese Koalition - durch welche verbalen, rhetorischen Kraftakte auch immer - kaputtreden zu wollen. Denn es gibt noch ein überaus hohes Maß an Gemeinsamkeiten, vor allem auf den Gebieten der Friedens-, Sicherheits-, Entspannungs-, Rechts- und Bildungspolitik, um nur einige wichtige Felder zu nennen. Die Debatte der letzten Woche zur KSZE-Konferenz hat ja deutlich gezeigt, wie groß die Unterschiede zumindest zwischen Ihren Scharfmachern und der Koalition sind.
({15})
Dort hat die Koalition nach wie vor einen, wie ich meine, historischen Auftrag.
({16})
Aber es hat gleichwohl auch keinen Sinn - man muß das hier in aller Öffentlichkeit sagen -, verschweigen zu wollen, daß beide Koalitionspartner von unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Grundauffassungen ausgehen.
({17})
Wenn es möglich war, Herr Kollege und Minister Genscher, diese unterschiedlichen Grundauffassungen in den letzten zwölf Jahren gleichwohl kompromißfähig zu machen, achten wir Sozialdemokraten dies nicht gering.
({18})
Daß solche Kompromißfähigkeit in Zeiten größerer Verteilungsspielräume leichter zu erzielen war als in Zeiten harter Sparmaßnahmen, liegt auf der Hand. Ich will keine Semantik betreiben, aber ich füge für uns hinzu: Was immer mit Trend- oder Tendenzwende gemeint gewesen sein mag,
({19})
ich hoffe, diese Semantik hört auf.
({20})
Wir Sozialdemokraten sehen die Aussage in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und soziale r Bundesstaat sei, Herr Kollege Dr. Kohl,
({21})
nicht als Zustandsbeschreibung, sondern als einen ständigen Auftrag an, der immer wieder neu ausgefüllt werden muß.
({22})
- Wir wissen, Herr Dr. Kohl, daß die arbeitende Bevölkerung in unserem Lande - Sie würden sagen: in
diesem unserem Lande - trotz mancher Irritationen der letzten Wochen Vertrauen vor allem in uns Sozialdemokraten setzt,
({23})
daß wir Sachwalter ihrer Interessen sind, vor allem in schwierigen Zeiten. - Herr Kollege Dr. Kohl, ich würde Ihnen raten, auf solche Umfrageergebnisse nicht allzu viel zu geben. Darauf haben Sie schon zu oft gesetzt, und anschließend haben Sie so oft verloren.
({24})
- Herr Dr. Kohl, Sie haben doch nun wirklich leidvolle Erfahrungen mit solchen Umfrageergebnissen gemacht. Ich an Ihrer Stelle würde das Thema etwas niedriger hängen. - Meine Damen und Herren, aber jetzt wieder ernst.
({25})
- Ja, mit dem Herrn Dr. Kohl kann man sich nur lustig unterhalten, oder?
({26})
Wir bitten unsere Wähler im Lande um Verständnis dafür, daß Sozialdemokraten keine Schönwetterpartei sein dürfen, die in schwierigen Zeiten vor ihrer Verantwortung davonläuft.
({27})
Meine Damen und Herren, was immer in dem von den Koalitionsspitzen in langwierigen Verhandlungen erzielten Kompromißpaket kritikbedürftig sein mag - da gibt es aus sozialdemokratischer Sicht einiges, insbesondere was die vorgesehenen Regelungen beim Kindergeld anlangt -, eines dürfen Sie nicht übersehen, auch Sie nicht, Herr Kollege Häfele: Die Koalition hat einen Kraftakt vollbracht, den ihr vor wenigen Monaten keiner der berufsmäßigen Kritiker sowohl aus der Opposition als auch aus der veröffentlichten Meinung zugetraut hätte.
({28})
Was sollen wir denn mit einer Kritik in manchen Medien anfangen, die uns ständig vorhalten will, wir hätten nicht genügend gespart, ohne uns auch nur einen einzigen Fingerzeig zu geben, welche anderen Einsparungen denn sozial verträglich oder vernünftig sind?
({29})
- Da Sie das Stichwort „Journalisten" geben: Wir haben von denen - ich könnte jetzt ein paar Namen derer nennen, die zu den berufsmäßigen Kritikern in den Medien gehören; ich lasse das aber einmal sein - noch nicht einmal den Vorschlag gehört, daß Sie auf ihre, wie ich meine, ungerechtfertigten steuerlichen Präferenzen hier in Bonn verzichten sollten.
({30})
Was sollen wir mit einer Kritik anfangen, die von
uns zwar Sparen verlangt, aber am laufenden Band
gleichzeitig erklärt, Sparen an dieser und jener Stelle sei falsch, besonders wenn es einen selber betrifft; im übrigen sei man natürlich zum Sparen bereit; nur Sonderopfer dürften nicht verlangt werden, wobei natürlich konkrete Sparmaßnahmen im eigenen Fall immer sofort als Sonderopfer deklariert werden. Das haben wir ja in diesen Wochen und Monaten bis zur Neige auskosten dürfen. Der Sankt Florian geht ja von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, wo immer Sie hingucken.
Und was soll ich von dieser merkwürdigen Sparerschutzgemeinschaft halten, die behauptet, das Vertrauen in die DM würde gefestigt, wenn es weniger Arbeitslosengeld gäbe und die Lohnfortzahlung ein bißchen tangiert oder das Mietrecht geändert würde. Wenn das Kriterien für das Vertrauen in die DM wären, dann würden wir in einem verdammt armen Land leben.
({31})
Das von uns mühsam mit dem Koalitionspartner und auch mit Hilfe der Opposition - das will ich überhaupt nicht verschweigen, Herr Kollege Dr. Kohl - aufgebaute Netz der sozialen Sicherheit darf nicht zur freien Disposition stehen. Wir haben es doch gerade für schwierige Zeiten, also für Zeiten wie diese, und nicht für Schönwetterzeiten aufgebaut. Natürlich gibt es auch Mißbräuche bei der Inanspruchnahme des sozialen Netzes - übrigens bei weitem nicht nur von Arbeitnehmern und Arbeitslosen. Ich kann Ihnen dazu aus meinem Wahlkreis eine ganze Menge Dinge erzählen, die mit Arbeitslosen und Arbeitnehmern überhaupt nichts zu tun haben. Ich habe etwas dagegen, daß man so tut: Die Arbeitslosen sind die Faulen, und alle anderen sind die jenigen, die die tollen Leistungen erbringen.
({32})
Wenn es Mißbrauchsmöglichkeiten gibt, sind auch wir in diesem Parlament daran schuld.
({33})
- Das ist wahr, Herr Dr. Kohl! Deshalb wehre ich mich gegen die Beschimpfung von Leuten, die gesetzliche Lücken und Möglichkeiten, die wir selber eingebaut haben, ausnutzen. Wenn es solche Mißbräuche gibt, müssen wir sie beseitigen. Und genau daran gehen wir jetzt.
Herr Kollege Häfele, ich frage mich, mit welchem Computer Sie rechnen. Obwohl Sie all diese Zahlen mit einem kleinen Taschencomputer, für 23,20 DM im Kaufhaus zu kaufen, ausrechnen könnten, erzählen Sie uns, wir würden ein Abgabenerhöhungsprogramm von 7 Milliarden DM machen. Sie rechnen die Heizölsteuer mit ein, die es seit vielen Jahren gibt. Da können Sie uns gleich vorwerfen, daß wir die Einkommensteuer und Lohnsteuer nicht abschaffen. Die rechnen Sie auch noch dazu, um zu solch merkwürdigen Ergebnissen zu kommen. Wahr ist, daß von den 13 Milliarden DM, die im Jahr 1982 durch Kürzungen eingespart werden, nur 2 Milliarden DM aus der Erhöhung von Verbrauchsteuern kommen.
Übrigens, Herr Dr. Häfele, Sie haben sicher nichts dagegen, daß gerade die Verbrauchsteuern, über die wir hier reden, erhöht werden. Ich bin zwar selber Raucher. Aber ich mache das mit. Ich mache das sogar gern mit, weil es möglicherweise dazu beiträgt, daß der gesundheitsschädliche Zigarettenkonsum ein bißchen eingeschränkt wird.
({34})
Der Abbau steuerlicher Subventionen bringt für den Bund nur 1,4 Milliarden. Da müssen Sie die knapp 400 Millionen gegenrechnen, die wir für verbesserte AfA - Sie wissen das alles, was in den Gesetzen steht - einsetzen wollen. Dann sind wir bei 1 Milliarde DM. Wir kommen auf ein Gesamtpaket von 16 Milliarden. Das sind andere Beträge als die, die Sie nennen.
Ich fühle mich verpflichtet, an dieser Stelle den beschäftigungspolitischen Vorbehalt meiner Fraktion erneut in Erinnerung zu bringen. Ich habe mich gefreut, daß der Vorsitzende unserer Koalitionspartei - ich habe das dieser Tage über den Ticker laufen sehen - ein eigenes beschäftigungspolitisches Konzept angekündigt hat. Wir werden miteinander darüber reden müssen. Ich denke schon, daß wir uns einigen. Denn es kann nicht sein,
({35})
- nein, Herr Kollege Dr. Kohl! - daß die Arbeitslosen die einzigen sind, die Sonderopfer bringen müssen. Dies ist der Punkt.
({36})
Auch wir wissen natürlich, daß das schnellste und am dauerhaftesten wirkende Beschäftigungsprogramm eine rasche, nachhaltige, fühlbare Zinssenkung wäre. Was immer wir über den Bundeshaushalt tun, das kann nicht so viel an Investitionsbereitschaft bringen wie eine nachhaltige Zinssenkung. Dafür gibt es eine Reihe von Anzeichen. Der Bundesfinanzminister hat sie gestern genannt - auch Sie, Herr Dr. Häfele -, nämlich Anstieg des Wertes der DM - schon wieder drei Pfennige über Nacht gegenüber dem Dollar, wie ich heute morgen gelesen habe -, steigende Exportzahlen, rückläufige Importzahlen, Abbau des Leistungsbilanzdefizits, auch ein leicht sinkendes Zinsniveau. Da gibt es eine ganze Menge Indikatoren, die möglicherweise den Handlungsspielraum der Bundesbank erweitern. Ich möchte an dieser Stelle die Bundesbank, den Zentralbankrat durchaus ermuntern, möglichst schnell zu reagieren, wenn er solche Handlungsspielräume sieht.
Nun gehe ich auf das ein, was darüber hinaus, Herr Kollege Dr. Häfele, an zusätzlichen Risiken für den Bundeshaushalt draußen in den Medien von Ihnen - auch heute wieder - und anderen gehandelt wird. Lassen wir die Bundesanstalt einmal draußen; da wissen wir alle noch nicht, was auf uns zukommen wird. Ich hoffe, die Annahmen der Bundesregierung sind richtig. Aber im übrigen gibt es überhaupt keinen Grund, riesige Schlagzeilen darüber zu liefern, daß es schon jetzt erkennbare Milliardenlöcher im Bundeshaushalt gebe. Was soll denn diese Panikmache, frage ich, meine Damen und Herren?
({37})
Eine solche Panikmache, wer immer sie in die Welt setzen mag, nutzt doch nicht dem notwendigen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates, das auch die Wirtschaft und die Bürger draußen brauchen. Wer immer solche Tatarenmeldungen fabriziert, der versündigt sich auch an dem, was an Philosophie für die Konjunktur notwendig ist.
({38})
Ich will bei der Gelegenheit - weil das auch gestern und vorgestern eine Rolle gespielt hat - deutlich sagen: wir haben uns große Mühe gegeben, über die Problematik, die es im Zusammenhang mit MRCA, neu in der Presse aufgemacht, gegeben hat, informiert zu werden, Herr Kollege Haase. Ich kann heute morgen - ich glaube, die Medien bringen dies auch - versichern, daß nach unserer Erkenntnis kein zusätzliches Finanzierungsrisiko bei diesem Wundervogel besteht.
Nun hat es Kritik darüber gegeben, daß wir unseren Verteidigungshaushalt nur um 4,2 % steigern wollten. Das ist nicht so viel wie im Vorjahr, das ist wahr. Nur: die Verteidigungspolitiker können Ihnen sagen, daß wir seit 1970 im Verteidigungshaushalt reale Zuwachsraten hatten, die sehr viel höher als bei den meisten anderen NATO-Partnern waren. Wenn das nun einmal ein, zwei oder drei Jahre nicht möglich ist - aus den Gründen, über die wir jetzt reden -, wenn wir geringere Zuwachsraten haben, dann müssen wir auch diejenigen um Verständnis bitten, die in der Vergangenheit weniger getan haben als wir.
Ich bitte auch die Soldaten der Bundeswehr, bei allem, was sie jetzt an Einsparungen mittragen müssen, um Verständnis dafür, daß es äußere Sicherheit nicht ohne innere Sicherheit, hier insbesondere soziale Sicherheit, geben kann. Dies muß in der Waage bleiben.
({39})
Von diesem Haushalt gehen eine Reihe beschäftigungspolitischer Impulse aus. Wir steigern den Investitionsteil auf über 33 Milliarden DM. Das Fernwärmeprogramm ist gut dotiert im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers. Ich sage das deshalb, weil manche Leute draußen sagen: Nun macht mal endlich etwas für die Fernwärme! Es ist überhaupt kein Problem, das zu finanzieren, sondern das Problem liegt darin, daß diejenigen, die solche Fernwärmenetze bauen, das Geld bei Bund und Ländern abrufen sollen oder müssen. Dies ist das eigentliche Problem.
({40})
Wir schaffen auch eine ganze Menge Investitionsvolumen, wie wir glauben, in der Wirtschaft über die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten. Der Bundesfinanzminister quantifiziert sie mit über 20 Milliarden DM, zusammen mit dem, was wir tun im Bundeshaushalt. Ich hoffe, Länder und Gemeinden
tun noch ein bißchen dabei. Das ist das, was die öffentliche Hand zur Zeit mit ihren Haushalten leisten kann. Das ist - 6,4 Milliarden DM von der KfW dazugerechnet - schon eine ganze Menge.
({41})
- Und 9 Milliarden Investitionen gerade bei der Post. Es ist gut, Herr Kollege Westphal, daß Sie mir das sagen, weil Herr Kollege Häfele von den Kommunikationstechniken gesprochen hat und meinte, da würde es einen Investitionsstau geben. Herr Kollege Häfele hat sich sicher auch einmal Gedanken gemacht, wer das bezahlen soll. Wenn die Deutsche Bundesbahn und die Post allein 9 Milliarden DM in einem Jahr für das aufbringen, was sie jetzt investieren müssen, wo sollen sie denn das zusätzliche Geld herbekommen, um über diese 9 Milliarden DM hinaus zu investieren? Ihre Vertreter im Postverwaltungsrat - ich nenne jetzt gar keine Namen - haben ja der Postgebührenerhöhung, die wir nur schweren Herzens mitgetragen haben, nicht zugestimmt. Hätten wir uns genauso verhalten, wären die Investitionsmöglichkeiten der Bundespost noch erheblich geringer gewesen.
({42})
Weder Verbalbeschimpfungen noch Panikmache schaffen Vertrauen, Herr Kollege Dr. Kohl.
({43})
- Nein, ich muß mit dem Herrn Häfele reden; ich glaube, der versteht mehr davon -, noch das, was Sie an Sparprogramm auf den Weg gebracht haben. Herr Häfele, Sie haben sich ja große Mühe gegeben. Wir haben den Bundesfinanzminister mit seinen sachkundigen Beamten gebeten, einmal auszurechnen, wie groß das Sparvolumen dessen ist, was Sie vorschlagen. Das ist ja so entsetzlich nebulös. Was heißt denn: 5% von allen Leistungen und Subventionen weniger? Ich frage ergänzend: wo, bei wem, in welcher Zeit, wem kommt das zugute? Der Kollege Schröder hat in der Pressekonferenz bei Herrn Kohl gesagt, bei dem einen könnte das 1 %, bei dem anderen könnten es 10 % sein; so genau wüßten Sie das noch nicht. Sagen Sie uns doch bitte einmal, wie Sie zu einem Betrag von 10 Milliarden DM kommen. 5%
- Herr Kollege Westphal hat es im Haushaltsausschuß vorgerechnet - bedeuten doch ein Gesamtvolumen von 200 Milliarden DM. Wo soll denn das herkommen? Kommen Sie doch bitte hier hoch - wer immer von Ihnen nachher redet - und rechnen Sie uns das einmal vor.
({44})
- Ja, das wäre ein Ereignis; darin gebe ich Ihnen recht.
Herr Kollege Häfele, ich will von Ihnen ja nicht den letzten Paragraphen, das letzte Komma, den letzten Punkt aufgezeigt bekommen. Sie müssen uns doch aber zumindest sagen: Dieser Einsparungsvorschlag bringt dieses. - Stoltenberg und Albrecht haben ja Rechnungen angestellt. Herr Stoltenberg sagt, es seien 8 Milliarden DM. Herr Albrecht sagt, es seien 11 Milliarden DM. Sie sagen - ebenso wie Herr Kohl -, es seien 10 Milliarden DM. Sagen Sie uns doch bitte einmal, wie hoch Ihr Einsparvolumen wirklich ist und wen Sie damit treffen wollen.
({45})
Nach dem, was ich über die Pressekonferenz von Herrn Stoltenberg gelesen habe, kann ich nur feststellen: Sie wollen die Rentner treffen. Sie wollen die Schüler treffen. Sie wollen die Beamtenanwärter treffen. Sie wollen die Sozialhilfeempfänger treffen. Wir haben aber nicht ein einziges Wort darüber gehört, wie Sie denn denen Lasten zumuten wollen, deren Schultern breiter sind als die Schultern von Arbeitslosen.
({46})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte zur Erheiterung des Publikums - nicht zur Erheiterung von Herrn Kohl und Herrn Kiep - vortragen, wie die Presse auf Ihre Vorschläge reagiert hat. Herr Kollege Dr. Riedl, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mit Ihren Oppositionshaushältern diese beiden Herren zum Sparen getragen haben. Sie wollten doch gar nicht sparen.
({47})
Herr Kiep, Sie haben es im Presseecho selber gesagt, wie Sie entzaubert worden sind. Der Wundermann Kiep ist doch dahin; dem glaubt doch kein Mensch mehr, daß er etwas vom Sparen versteht.
({48})
- Herr Kollege Kiep, hier leuchtet schon die rote Laterne.
({49})
Wenn der Herr Präsident mir die Zeit nicht anrechnet, bin ich gern bereit, Ihre Zwischenfrage zu beantworten.
Herr Abgeordneter Walther, bei einer Haushaltsdebatte kann der Präsident immer großzügig sein.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter Kiep, bitte sehr.
Herr Kollege Walther, würden Sie die Güte haben, sich zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: entweder die Opposition anzugreifen, weil sie keine Vorschläge gemacht hat, oder sie anzugreifen, weil sie Vorschläge gemacht hat, die Ihnen nicht passen.
({0})
Herr Kollege Dr. Kiep - ({0})
- Ich bitte um Entschuldigung. Ich hatte gedacht, weil Sie so intelligent sind, hätten Sie auch noch den
Doktortitel. Ich nehme das also mit dem Bedauern darüber, daß Sie ihn nicht haben, zurück.
Herr Kollege Kiep, ich glaube, das ist überhaupt nicht die Alternative. Ich greife Sie ja nicht an, sondern ich kritisiere, daß Sie Ihre Sparvorschläge nicht genau quantifizieren, ich kritisiere, daß - nach den Zeitungsberichten - Herr Dr. Riedl sehr viel sparfreudiger war als Herr Kollege Kiep. Letzterer hat eigentlich erst Sparvorschläge gemacht, nachdem Riedl und Carstens gesagt haben: Jetzt muß langsam einmal Butter bei die Fische. Dies war in allen Gazetten zu lesen. Darauf habe ich hingewiesen. Ich habe mich bei Herrn Riedl auch dafür bedankt, daß er dafür gesorgt hat, daß von Ihrer Seite endlich etwas kommt.
Ich habe gesagt: Dies ist unzulänglich. Die Zahlen stimmen nicht. Ich möchte von Ihnen auch einmal hören, wie Sie denn die Besserverdienenden in unserem Lande belasten wollen. Dies sind meine Fragen.
({1})
- Ich bin dankbar für den Zwischenruf. Wenn Sie endlich auch einmal darangehen wollten, über die Gehälter von Vorstandsmitgliedern bedeutender und weniger bedeutender Unternehmen - auch Bundesunternehmen - zu reden, bin ich auch gern bereit, mit Ihnen über dieses Thema zu reden.
({2})
Herr Abgeordneter Walther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ja.
Verehrter Herr Kollege Walther, machen Sie doch bitte einmal den Zusammenhang klar, der zwischen der Besoldung beispielsweise von Arbeitsdirektoren - diese sind doch auch Vorstandsmitglieder - und der des Kanzlers besteht. Darf ich einmal fragen: Haben wir es hier in diesem Hause nicht mit dem Herrn Kanzler und seinen Gehaltszulagen sowie denen seiner Herren Ministerkollegen, nicht dagegen mit den Bezügen von Vorstandsmitgliedern zu tun?
Herr Kollege Haase, dies ist wohl wahr, und ich sage j a gar nicht, daß ich persönlich etwas dagegen hätte, wenn es einen solchen Beitrag gegeben hätte. Das behaupte ich ja gar nicht. Nur: Ich habe etwas dagegen, daß Sie auf Minister und Kanzler schießen, weil die nicht Ihrer Partei angehören,
({0})
und kein Wort über diejenigen verlieren, die mit den Millionen-Verdiensten im Jahr in Ihrem CDU-Wirtschaftsrat sitzen.
({1})
Herr Dr. Häfele, ich bedanke mich schon im voraus dafür, daß Sie konstruktive Mitarbeit angekündigt haben - ich bedanke mich ausdrücklich dafür -, bei allem notwendigen Streit, der nun einmal sein muß. Wenn Verbesserungen und Veränderungen an den eingebrachten Entwürfen möglich sein sollten, sollten sie eingearbeitet werden. Wir Sozialdemokraten haben ja Vorschläge dazu gemacht. Ich hoffe, daß sie konsensfähig sein werden.
Herr Kollege Häfele, ich möchte noch gern eine Frage loswerden: Wie halten Sie es denn eigentlich, wenn Sie die Kürzung des Kindergeldes ablehnen, mit der Abschaffung der sozial unverträglichen und ungerechten Kinderbetreuungsfreibeträge als Ausgleich für das Volumen?
({2})
Den Bundesrat, meine Damen und Herren, bitte ich trotz aller notwendigen Kritik, die heute nicht verschwiegen werden durfte, um ein kooperatives Verhalten. Jeder möge bei den Beratungen daran denken, daß der soziale Friede in unserem Land ein so hohes Gut ist, daß er nicht beschädigt werden darf, denn gerade er hat mitgeholfen, unser Volk durch schwierige Zeiten vertrauensvoll zu führen. Wir Sozialdemokraten werden uns den unpopulären, schwierigen und dem Volk noch, wie ich glaube, deutlich zu machenden Operationen nicht entziehen. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat seine gestrige Haushaltsrede mit einem Dank an das Parlament geschlossen. Es ist mehr als koalitionspolitische Höflichkeit, wenn ich hier heute dem Finanzminister den Dank der Fraktion der Freien Demokraten für seine überzeugende Begründung der Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung abstatte.
({0})
Es nötigt schon Respekt ab, wie Hans Matthöfer in einer schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation die notwendigen finanzpolitischen Entscheidungen herbeigeführt hat und wie er das an Konsolidierung und Stabilität ausgerichtete Konzept, das sich gleichzeitig auch der Verantwortung für die Probleme des Arbeitsmarkts bewußt bleibt, hier vertreten hat.
({1})
Meine Damen und Herren, das ist eine Politik, die Mut für die Zukunft macht.
({2})
Eine zukunftsorientierte kritische Betrachtung
hätte diese Rede hier verdient gehabt. Da hat sich,
wie mir scheint, der Kollege Häfele etwas zu lange in
der Vergangenheit und in der Düsternis aufgehalten.
({3})
Mit dem Etatentwurf für 1982 versucht unsere Finanzpolitik, sich auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Fähigkeit zur Durchsetzung der gefundenen Lösungen wird über den Erfolg dieser Politik entscheiden. Nur wenn „Solidität die Richtschnur unserer Finanzpolitik" bleibt, werden wir unsere haushaltspolitischen Gestaltungsräume zurückgewinnen und bewahren können. Es sollte heute nicht schwerfallen, sich an diesen verpflichtenden Satz aus der Regierungserklärung Willy Brandts vom 28. Oktober 1969 zu erinnern. Letztlich werden wir auch nur mit diesem konsequenten Handeln jene Elemente für die Beschäftigungspolitik beisteuern, die allein geeignet sind, das herausragende Ziel jeder Wirtschaftspolitik zu sichern, nämlich die Vollbeschäftigung.
Umgesetzt wurde, wie mir scheint, auch der uns zuteil gewordene Rat eines erfahrenen Politikers, ein Rat, der ohne Ideologie und ohne Theorie verabreicht wurde. Alex Möller hat nachdrücklich gemahnt, nicht länger mit der energischen Eindämmung der Neuverschuldung zu warten und die Sanierung der öffentlichen Haushalte als vorrangige Gemeinschaftsaufgabe zu lösen. Sein nüchterner Appell war an alle Parteien und Verfassungsorgane gleichermaßen gerichtet.
({4})
Er ist, wie mir scheint, auch gehört worden.
Ob aber die gewonnene Einsicht und die jetzt von der Bundesregierung mit dem Haushalt beschlossenen Sanierungsmaßnahmen auch Bestand haben werden, wird und muß sich am Ende der Beratungen zeigen. Koalitionsfraktionen, Opposition und Bundesrat stehen gleichermaßen auf dem Prüfstand.
Der Bundesfinanzminister hat dem Hause den Etat und die begleitenden Vorlagen mit Erleichterung und Zufriedenheit erläutern können. Er darf in der Tat Genugtuung darüber empfinden, daß es gelungen ist, mit einer Beschränkung der Ausgabenerhöhung im Bundeshaushalt auf nur rund 4 % auf die veränderten außenwirtschaftlichen Daten zu reagieren und dabei die Neuverschuldung deutlich zurückführen.
Unsicherheiten bleiben. Wir werden sie aber vergrößern und uns um die positive Wirkung dieses ersten Schrittes bringen, wenn wir die gewandelte finanzpolitische Konzeption nicht sicher durch die Klippen und Fährnisse steuern, die uns während der Beratung sicher noch begegnen werden.
Weil die Bewährungsprobe erst noch vor uns steht, will ich das Erreichte auch mit aller Zurückhaltung kommentieren. Jubelposen passen nicht in die Landschaft und Possen schon gar nicht.
({5})
Was allerdings geschafft wurde, wird deutlich, wenn man sieht, was die Oppositionsfraktion nicht geschafft hat. Da wirken die Nachbesserungsversuche der Länderchefs direkt rührend.
Aufmerksamkeit verdienen aber die Darlegungen des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, der den Einsparungskurs der Bundesregierung konstruktiv mit eigenen Beiträgen im Bundesrat untersützen will. Herr Kollege Häfele hat diesen Teil des Angebots hier heute noch dazugetan. So mag die Opposition die Zeit der Beratungen nutzen, dafür auch den Beweis anzutreten.
Es liegt mir angesichts der von Alex Möller beschworenen Gemeinschaftsaufgabe sowieso fern, mich mit boshaften Bemerkungen an den Schwierigkeiten der CDU/CSU zu delektieren. Statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen und mit Worten aufeinander einzudreschen, ist es geboten, die Schwere der Aufgabe zu begreifen und ihre Lösung gemeinsam zu bewirken. Dabei empfiehlt es sich, den Knüppel mit der Aufschrift „soziale Demontage" im Sack zu lassen. Das gilt für alle, Herr Kollege Häfele. Sie waren in der Übung mit diesem Knüppel auch schon zu gelehrigen Schülern geworden.
({6})
Der Bundeswirtschaftsminister hat es dann zu spüren bekommen.
Meine Damen und Herren, der Anfang ist gemacht. Mit den für 1982 geplanten Konsolidierungsmaßnahmen, die sich in ihrer entlastenden Wirkung in den nächsten Jahren noch vergrößern, sind die Voraussetzungen durchaus gegeben, es auch mittelfristig zu packen. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß mit den vorgesehenen Maßnahmen noch nicht alle Probleme aus der Welt geschafft sind. Das Thema der Haushaltskonsolidierung wird uns nicht nur in diesem Jahr beschäftigen, die Verbesserung der Struktur des Bundeshaushalts wird zu einer Daueraufgabe der nächsten Jahre werden. Scheitern wir mit dieser Aufgabe, werden wir unfähig, jene Entscheidungen nach Prioritäten zu treffen, vor denen wir angesichts der außenwirtschaftlichen Probleme stehen. Darauf hat der Finanzminister gestern abgehoben, als er über die Notwendigkeit von Veränderungen in unserer Wirtschaft in den 80er Jahren sprach: Weniger Energieverbrauch, mehr Umweltschutz, mehr Arbeitsplätze für hochqualifizierte Kräfte.
Natürlich muß der Gesetzgeber dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Es genügt nicht, das Zuweisungssystem zu vervollständigen. Ich sage es noch einmal: Wir müssen vielmehr das Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft weiterentwikkeln. Es gilt, deren Dynamik durch Sicherung des Wettbewerbs auf Touren zu halten. Solange nämlich der Steuerungsmechanismus der Marktwirtschaft funktioniert, werden die Ressourcen dorthin gelenkt, wo sie den produktivsten Beitrag erbringen. Zur Bewältigung unserer Zukunftsaufgaben ist das unerläßlich.
Die Bundesregierung macht mit ihrem Konsolidierungskonzept -deutlich, daß der privaten Initiative wieder mehr Gewicht gegeben wird, und des2918
halb schafft sie für Produktion und Beschäftigung den notwendigen Finanzspielraum. Nach Jahren ständig steigender Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte mit der darin eingeschlossenen Gefahr der Überforderung des Kapitalmarkts werden die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft jetzt deutlich verbessert.
({7})
Es bleibt ein Schönheitsfehler, daß es des Bundesbankgewinns von über 6 Milliarden DM bedurfte, um zu einer so deutlichen Rückführung der Nettokreditaufnahme zu kommen.
({8})
Es ist zwar richtig, daß dieselben Faktoren einerseits Steuerausfälle und Einnahmeminderungen im Bundeshaushalt und andererseits Bundesbankablieferungen an den Bundeshaushalt bewirken - mit dieser Kausalität läßt sich dann auch trefflich argumentieren -; aber es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, daß ein dauerhafter Konsolidierungsbeitrag davon einfach nicht ausgehen kann.
({9})
Der Sachverständigenrat hat in seinem Sondergutachten vom Sommer 1981 den Konsolidierungsbedarf im öffentlichen Gesamthaushalt mit 40 Milliarden DM beziffert. An dieser Größenordnung werden die Konsolidierungsbemühungen von Bund, Ländern und Gemeinden gemessen. Die Beseitigung des Strukturdefizits in dieser Höhe bleibt ein finanzpolitischer Brocken. Aber es ist keine unlösbare Aufgabe, vor der wir stehen.
Sicher ist es gewagt, bereits 1982 von einem umstrukturierten Haushalt zu sprechen; aber neue Konturen sind erkennbar, und der Wille, diesen Prozeß entscheidend voranzubringen, ist allenthalben gewachsen. Wir wissen, daß wir so manche liebgewordenen Ansprüche zurückschrauben müssen, und haben erkannt, daß wir dabei bis an die Grenze des Zumutbaren vorstoßen müssen. Ich wiederhole hier für uns alle, daß es dabei nicht nur um das dem Bürger Zumutbare, sondern auch um das den Parteien für ihr Selbstverständnis Zumutbare geht. Damit stellt sich für uns die Frage, ob wir bereit sind, uns auch das fast Unzumutbare zuzumuten.
({10})
Die verantwortlichen Kräfte in Parlament und Regierung müssen dabei unter Beweis stellen, wie sehr ihnen gerade in dieser schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Krise, der Verteilungskämpfe, der harten Sparmaßnahmen an einer Verteidigung einer Gesellschaft gelegen ist, die für den Wandel offenbleibt. Meine Damen und Herren, der Wandel von einem Land mit hohen Wachstumsraten und Vollbeschäftigung zu einem Land mit begrenzten Möglichkeiten sollte und kann uns gerade deshalb gelingen, weil wir eine bemerkenswerte soziale Stabilität haben und weil sich die Bürger in unserem Lande auf diesen Wandel bereits eingestellt haben.
Denn dies ist j a doch wohl auch der Grund dafür, daß von den Angehörigen des öffentlichen Dienstes der ihnen abverlangte Verzicht zwar nicht ohne Beschwer akzeptiert wird, daß dafür sie aber doch weitgehend Verständnis haben - das Verständnis einer privilegierten Bevölkerungsgruppe im Staatsdienst, die den Staat mit materiellen Ansprüchen offenbar nicht überfordern will. Die den Beamten auferlegten Einschränkungen sollen wahrlich keinen Strafcharakter haben; sie sollen vielmehr Signalwirkung ausüben.
({11})
Das gilt nicht nur für den Tarifbereich des öffentlichen Dienstes, sondern auch für die Tarifparteien schlechthin. Denn die künftigen Tarifabschlüsse in unserer Wirtschaft werden von entscheidender Bedeutung für die Wachstums- und beschäftigungspolitischen Perspektiven in unserem Lande sein.
Meine Damen und Herren, so gesehen wird sich auch der Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV, ein Mann mit tiefen Einsichten in die Erfordernisse des Gemeinwohls, noch einmal selbstkritisch mit seiner Kampfansage an die Sparpläne beschäftigen müssen; dies um so mehr, als gerade im öffentlichen Dienst noch ein Nachholbedarf an Strukturbereinigung besteht.
({12})
Schließlich bemühen wir uns bereits seit der Verabschiedung des Ersten Haushaltsstrukturgesetzes - und das war immerhin schon 1975 - um den Abbau der „Überversorgung" im öffentlichen Dienst.
({13})
Wenn in unserem Land so etwas wie eine Beamtenfeindlichkeit bestehen sollte, dann gibt gerade das Ärgernis der Überversorgung dem immer wieder neue Nahrung.
({14})
Die Gewerkschaften könnten sich und dem Ansehen des öffentlichen Dienstes einen unerhörten Gefallen tun, wenn sie diesen Dauerbrenner endlich zum Erlöschen brächten.
An einer anderen Stelle wollen wir darüber hinaus noch etwas für die Strukturverbesserung des öffentlichen Dienstes tun. Nach der für unsere Finanzen und für unsere Bürger gleichermaßen bekömmlichen Devise „mehr Qualität als Quantität" sollen die Stellen für die unmittelbaren und mittelbaren Bundesbehörden sowie für die Zuwendungsempfänger noch einmal um 1 % gekürzt werden. Dies soll keineswegs, wie Herr Stoltenberg offenbar befürchtet, einfallslos, gleichmacherisch und damit ungerecht erfolgen, sondern nach Aufgaben und Einrichtungen differenziert zugewiesen werden. Das bringt eine unerhörte Arbeitsbelastung mit sich, aber wenn ein Parlament sein immer wieder gerühmtes Budgetrecht ernst nimmt und seine Kompetenz nicht am Kabinettstisch abgeben will, dann muß es sich - dies gilt in erster Linie für die Kollegen des Haushaltsausschusses - dieser Aufgabe unterziehen. Und genau da läßt uns die Opposition im Stich. Bei
der Forderung nach Stelleneinsparungen kann sie sich gar nicht sparwütig genug zeigen.
({15})
Nicht 1 Prozent Kürzung 1981 und 1982, nein, das muß weitergehen im ganzen Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung.
Gleichzeitig haben uns aber die Kollegen der CDU/CSU im Haushaltsausschuß wissen lassen, daß sie sich an der Exekution dieses Beschlusses im Haushaltsausschuß, bei der Beratung in einer Personalkommission, nicht beteiligen wollen. Meine Damen und Herren, diese Enthaltsamkeit spricht
Bände.
({16})
Herr Abgeordneter Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ({0})?
Bitte sehr.
Herr Kollege Hoppe, würden Sie fairerweise zugeben, daß sich das, was Sie hier eben ausgeführt haben, nur auf die formale Frage bezog, ob der Haushaltsausschuß eine separate Personalkommission einsetzen sollte, und nicht auf das inhaltliche Problem von Stellenkürzungen?
({0})
Bevor Sie, verehrter Herr Kohl, den Chor „unerhört" anstimmen, sollten Sie erst meine Antwort hören.
({0})
Die uns zugegangene Mitteilung lautete: Wir beteiligen uns nicht an der Unterkommission Stellenplankürzung; denn das ist eine Aufgabe der Regierung; die soll uns sagen, wo gekürzt wird; das ist keine Aufgabe des Parlaments. Das gehört zu Ihrer Frage dazu. Denn so lautete die Antwort.
({1})
Meine Damen und Herren, die Bereitschaft und der Wille zum Wandel und zur Anpassung an geänderte Verhältnisse drücken sich auch in der beabsichtigten Kürzung des Kindergeldes für zweite und dritte Kinder aus. Es ist die politisch umgesetzte Einsicht, daß auch gut begründbare und mit Überzeugung gewährte Leistungen des Familienlastenausgleichs nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden können, weil die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit das nun einmal nicht mehr hergibt. Wer sich in dieser Situation seinen eigenen finanzpolitischen Entscheidungsspielraum für die notwendige Konsolidierung dadurch selbst einengt, daß er bestimmte Leistungsbereiche wie den Sozialbereich oder den Familienlastenausgleich davon a limine ausnimmt, muß an dieser Aufgabe scheitern. So wird denn auch die Opposition zu prüfen haben, ob die Tabuisierung dieses Themas politisch wirklich vernünftig ist.
Wenn meine Einschätzung richtig ist, werden wir mit dem Entweder-Oder nicht zurechtkommen. Fügen wir die einzelnen Schritte nicht zueinander, kann es nicht zu der von allen gewollten Grundsanierung der Staatsfinanzen kommen. Dann aber bleibt es dabei, daß die drastische Absenkung des Nettokreditbedarfs immer auf das vierte Jahr der mittelfristigen Finanzplanung verschoben wird und daß einer solchen Zielprojektion immer wieder der reale Hintergrund fehlen muß. - Die Bürger erwarten mehr von uns, meine Damen und Herren.
({2})
Natürlich ergeben sich auch für den Haushalt 1982 Risiken. Sie erwachsen schon aus der Ausgabenentwicklung des Bundeshaushalts 1981. Die Mehrausgaben und die damit verbundene höhere Nettokreditaufnahme werden um mehrere Milliarden DM steigen. Auch der Verlauf der Beschäftigungskurve bleibt ungewiß. Es muß für 1982 aber eher mit einer ungünstigen Entwicklung gerechnet werden, was zu einem höheren Zuschußbedarf bei der Bundesanstalt für Arbeit führen kann. Die Stichworte EG-Finanzierungsbeitrag, globale Minderausgabe, Inanspruchnahme aus Bürgschaften und Gewährleistungen und die gestern vom Finanzminister nicht verschwiegenen Themen - Zinsentwicklung, Bundesbahn, Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, internationale Verpflichtungen und die nächste Steuerschätzung - will ich hier nur noch einmal aufzählen, die Debatte darüber aber nicht jetzt führen. Ich folge dem Finanzminister nämlich durchaus in der Einschätzung, daß man negative Entwicklungen auch herbeireden kann, wenn man sich ohne gesicherte Erkenntnis spekulativ damit beschäftigt.
({3})
Was uns die kommenden Monate an neuen Fakten bescheren, werden wir dann während der Beratung zu meistern haben. Die Antwort, die wir dann auf sich neu stellende Fragen geben, wird entscheidend dafür sein, ob der jetzt auf Konsolidierung getrimmte Haushalt auch dann noch in den vom Finanzminister vorgelegten Eckdaten gehalten werden kann.
Die Fraktion der Freien Demokraten hat die Absicht, dieses finanzpolitische Konzept wirksam werden zu lassen. Sie ist entschlossen, die von der Bundesregierung vorgegebenen Entscheidungen auch zu vollziehen. Schließlich bestimmen nun einmal jene gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse das Gesamtpaket der Sparbeschlüsse und der steuerlichen Veränderungen, die der Bundesfinanzminister gestern noch einmal so eindrucksvoll dargelegt hat.
Dabei ist die Feststellung des Finanzministers zu unterstreichen, daß in einer Ausweitung der öffentlichen Defizite über das gegenwärtige Maß hinaus die Gefahr liegt, mehr Schaden anzurichten, als daraus überhaupt an positiven Beschäftigungswirkungen entstehen könnte. Dies hat ja schließlich auch dazu geführt, daß sich die finanzpolitischen Entscheidungen vornehmlich auf eine Herabsetzung der Nettokreditaufnahme konzentriert haben. Der Finanzminister hat deshalb bereits am 27. Juli vor der SPD- Fraktion erklärt, daß sich nur so ein Spielraum für Zinssenkungen ergibt. Er hat hinzugefügt, daß „alle anderen denkbaren staatlichen Maßnahmen die po2920
sitiven Wirkungen einer Zinssenkung auch nicht annähernd erreichen können".
Ich bin mit Herrn Matthöfer der Meinung, daß das wirkungsvollste Beschäftigungsprogramm, das wir uns überhaupt nur vorstellen können, tatsächlich in einer Senkung der Zinsen liegt.
({4})
Daß die Bundesregierung gleichwohl nicht auf eine beschäftigungspolitische Impulsgebung verzichtet hat, ist in der gestrigen Einbringungsrede für alle deutlich geworden. Die Dokumentation der beschäftigungspolitischen Elemente ist in der Tat eindrucksvoll. Die jetzt gezogene Grenze der Finanzierbarkeit von staatlichen Beschäftigungsstützen darf aber nicht wieder um den Preis der höheren Verschuldung überschritten werden. Andernfalls könnte der vertrauenstabilisierende Effekt der Maßnahmen verlorengehen, j a, die Wirkung könnte sich nur zu leicht ins Gegenteil verkehren.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten haben dem Finanzminister ihre rückhaltlose Unterstützung für seinen Stabilitätskurs zugesagt. Dabei wird es bleiben. Wir müssen uns endlich von der Vorstellung freimachen, daß soziale Gerechtigkeit auf Dauer mit wachsenden Staatsdefiziten gesichert werden kann. Nur eine an Stabilität orientierte Politik von Bundesregierung und Notenbank ist geeignet, auf Dauer Arbeitsplätze zu sichern. Nur eine Politik, die die Kaufkraft der D-Mark stärkt, kommt letztlich auch den Arbeitnehmern in unserem Lande zugute. Wer mehr verteilen will, als in unserer Volkswirtschaft produziert wird, mag vorübergehend Beifall finden; die Quittung für diese Täuschung und Selbsttäuschung folgt auf dem Fuße.
({5})
Deshalb ist es jetzt unverzichtbar, auf der Spur zu bleiben, die der Finanzminister gestern hier gezogen hat.
({6})
Die Haushalts- und Finanzpolitik 1982 und die klare Sprache des Finanzministers wirken wie ein Beitrag zum Preußenjahr, ganz im Geiste Friedrichs I. Der verkündete nach seiner Krönung in Hochstimmung eine Amnestie, ausgenommen jene, die getötet, Gott gelästert oder Schulden gemacht hatten.
({7})
Meine Damen und Herren, seit gestern bin ich davon überzeugt, daß wir für uns die Chance bewahren konnten, eines solchen Gnadenerweises auch teilhaftig zu werden.
Wir Freien Demokraten werden für die Vorschläge und Entwürfe der Bundesregierung mit konstruktiven Beiträgen eintreten. Wir wollen zu unserem Teil an dem Erfolg des Ganzen mitwirken. Vergeuden wir nicht länger unsere Kraft und unseren Einfallsreichtum bei der Lösung der Bonner Quizfragen: „Wie lange hält die Koalition?" und „Wann faßt die Opposition endlich Tritt?"
Nein, meine Damen und Herren, gehen wir an die Arbeit, gestalten wir eine zukunftsorientierte Politik, bei der die Solidität die Richtschnur unseres finanzpolitischen Handelns ist! Dies allein liegt im Interesse des Staates und seiner Bürger.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst, Herr Kollege Hoppe, muß ich Ihnen gegenüber meine Bewunderung zum Ausdruck bringen. Wie man in Ihrer Lage, nachdem Sie 12 Jahre hindurch mit die Hauptschuld für die Gesamtlage, die entstanden ist, mitzutragen haben, den Preußenkönig so zitieren kann, das ist schon bewunderswert!
({0})
Aber ich würde sagen: Das ist jenes Gottesgeschenk, das der FDP mit der Gründung 1949 in die Wiege gelegt wurde, nämlich jenes Gottesgeschenk, daß sie immer und auf allen Seiten ihre Position findet und so tut, als hätte es vorher eine andere Position überhaupt nicht gegeben.
Lieber Herr Hoppe, wenn man heute Ihre Rede gehört hat, muß man sagen, einen Unterschied zu früher gibt es schon! So vollmundig sprechen Sie nach den Manövern der letzten Monate nicht mehr. Es ist die Art und Weise etwas zurückgesetzt, wie Sie über den Koalitionspartner gesprochen haben, und Sie haben auch nicht mehr so markige Zitate gebracht. Sie haben den Preußenkönig bemüht: „original Hoppe" fand heute nicht statt. Ich komme auf „original Hoppe" aus den vergangenen Jahren zurück, denn das ist doch genau der Punkt.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen - es sind noch genau 18 Tage - ist der erste Jahrestag der Bundestagswahl 1980. Damit geht auch das erste Jahr der neuen Legislaturperiode zu Ende. Es ist vernünftig und richtig, daß bei einer solchen Gelegenheit Bilanz gezogen wird; das hat auch der Bundesfinanzminister gestern versucht.
Wenn wir die Bilanz des ersten Jahres der jetzigen Regierung Schmidt/Genscher ziehen, dann, so finde ich, lohnt sich bei dem heutigen Gegenstand der Debatte auch der Blick zurück auf jene Zeit vor 12 Monaten. Es ist schwierig geworden, über die Bundestagswahl 1980 zu reden, weil ja alles vernebelt wird, was gerade vor einem Jahr stattgefunden hat. Man tut sich manchmal schwer, sozialdemokratische Wähler wiederzufinden. Es ist so schwierig, sich dazu zu bekennen, daß man noch einmal den Aussagen des Bundeskanzlers auf den Leim gegangen ist.
Es ist wichtig, Herr Bundeskanzler, gerade bei dem, was Sie in diesen Tagen wieder so sagen und tun, daß Sie 12 Monate danach - es ist legitim, daß es auch hier noch einmal geschieht - an all das erinnert werden, was Sie versprochen haben, daß Sie an all das erinnert werden, was Sie nicht gehalten haben. Auf den Tag genau vor 12 Monaten haben Sie uns von der CDU und der CSU und viele unserer Kollegen namentlich und persönlich ganz pauschal in
beleidigender Form angegriffen, als wir es wagten, das Thema der dramatischen Staatsverschuldung im Wahlkampf anzusprechen.
({1})
In der Helmut Schmidt eigenen Weise hat er ganz pauschal gesagt - ich nehme ein Zitat für viele -: „Von Verschuldung zu reden ist dummes Zeug."
({2})
Herr Bundeskanzler, wie kommen Sie sich eigentlich vor, wenn Sie heute, zwölf Monate danach, eine Rede wie die Ihres eigenen Finanzministers anhören müssen, wo Sie doch vor weniger als einem Jahr den Wählern in der Bundesrepublik Deutschland noch vorgemacht haben, all die Probleme existierten nicht, als Sie jeden, der anderer Meinung war, pauschal diffamierten und verunglimpften?
({3})
Man muß weit zurückgehen - und man wird wenige Beispiele finden -, um Derartiges festzustellen: daß ein deutscher Regierungschef seine Mitbürger in einer solchen Weise hintergangen hat, wie Sie das vor zwölf Monaten bei der letzten Bundestagswahl wiederum getan haben.
({4})
Es ist unerträglich, das Wechselbad Ihrer Sprüche anhören zu müssen. Vor der Wahl war das alles dummes Zeug, und jetzt sagen Sie ebenso pauschal: „Das deutsche Volk ist verwöhnt". Herr Bundeskanzler, vieles in unserem Land ist so - wir werden in diesen Tagen darüber reden; unser Kollege Häfele hat Sie darauf schon angesprochen -, daß man über die geistig-moralische Kraft unseres Landes reden muß. Das ist ganz gewiß richtig. Aber nicht das deutsche Volk pauschal ist verwöhnt. Die große Mehrheit unserer Mitbürger arbeitet hart. Sie leiden darunter, daß sie über Steuern und Abgaben um den Ertrag ihrer Leistungen betrogen werden.
({5})
Aber Sie stehen j a nicht allein. Der Vorsitzende der FDP, Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher, hat einen bemerkenswerten Brief geschrieben, den man eigentlich an jede deutsche Haushaltung versenden sollte.
({6})
- Herr Kollege Mischnick, wenn es um das Bezahlen geht, haben wir größere Probleme als Sie. Aber dafür würde ich das Geld ausgeben. Wenn der Kollege von der SPD eben dauernd über die Beziehungen zwischen den Reichen und den Armen gesprochen hat, muß ich sagen, daß er immer die falsche Fraktion angeguckt hat. Das sind Sie. Deswegen haben Sie mehr Möglichkeiten. Aber ich bin gerne bereit, das zu finanzieren.
In diesem Brief steht: „Wir müssen den finanziellen Handlungs- und Gestaltungsspielraum zurückgewinnen." Verehrter Herr Bundesminister Genscher, wollen Sie mit der Fraktion der SPD, mit Sozialisten finanziellen, wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum zurückgewinnen? Sie haben doch gehört, wie die Antwort war.
({7})
Heute ist die Regierung gezwungen, Steuererleichterungen, die sie vor der Wahl versprochen hat, zurückzunehmen.
({8})
Heute wird die Erhöhung des Kindergeldes zurückgenommen, die unmittelbar vor der Wahl durchgeführt wurde.
Herr Bundeskanzler, unsere Gedanken schweifen natürlich nicht nur zwölf Monate zurück; denn vier Jahre zuvor haben wir bei der Rente ja das gleiche erlebt. Durch Ihre Regierungszeit, von Wahl zu Wahl zieht es sich wie ein roter Faden: Versprechungen, Ankündigungen vor der Wahl und Bruch der Versprechungen nach der Wahl.
({9})
Damit sind wir am Grundproblem der Regierung Schmidt/Genscher angelangt. Sie mögen tun und lassen, was Sie wollen: Ihr Problem ist, daß Sie das Vertrauen in der deutschen Bevölkerung verspielt haben.
({10})
Ohne Vertrauen kann niemand erwarten, daß es in der Wirtschafts-, in der Finanz-, in der Sozial- und auch in der Außenpolitik eine gute Zukunft gibt. Sie haben dieses Vertrauen verspielt, weil zwischen Ankündigungen und Leistungen niemals ein ausgewogenes Verhältnis eingetreten ist.
({11})
Für die wirtschaftliche Entwicklung, für den dringend notwendigen wirtschaftlichen Wiederaufschwung in der Bundesrepublik Deutschland - Voraussetzung für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit - ist das Allerwichtigste, daß die, die in der Wirtschaft Verantwortung tragen - seien es die Unternehmer, seien es die Gewerkschafter, wer immer dort tätig ist -, in die Rahmendaten, die die Politik setzt, Vertrauen haben dürfen, Vertrauen haben müssen. Zu Ihnen, Herr Bundeskanzler, hat niemand mehr Vertrauen! Das ist die Erfahrung dieser Jahre.
({12})
Die Bilanz Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik ist durch jene Probleme gekennzeichnet, unter denen unser Land heute leidet. Statt Vollbeschäftigung zu haben, ist die Arbeitslosigkeit auf den höchsten Stand seit 30 Jahren angestiegen. Es ist zu befürchten, daß sie im Winter die Grenze von 1,5 Millionen überschreiten wird. Meine Damen und Herren, Arbeitslosigkeit von mehr als 1,5 Millionen ist der Ertrag der Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die einmal ausgezogen ist, den kleinen Leuten zu helfen, und die heute die Interessen der kleinen Leute Tag für Tag verrät.
({13})
Statt Preisstabilität zu haben, leidet das Land an einer Inflationsrate von 6 %. Herr Bundeskanzler, denken Sie an die Äußerungen des Abgeordneten
Helmut Schmidt an dieser Stelle, damals, am Ende der Ära Erhard. Sie müssen sich für jedes Wort schämen, das Sie damals gegenüber dem großen alten Mann der deutschen Wirtschaftspolitik gesagt haben.
({14})
Unsere Wirtschaft wächst nicht mehr, sie schrumpft. Im ersten Halbjahr 1981 wurden für die Bundesrepublik insgesamt 6 400 Insolvenzen, d. h. Pleiten, gemeldet. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahreszeitraum von rund 23 %. Auf den Unternehmensbereich, meine Damen und Herren, entfielen insgesamt 4 500 Insolvenzen. Dies bedeutet eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 28 %. Vor diesem Hintergrund - wir haben jetzt die Statistik um die Jahresmitte - ist zu befürchten, daß die Zahl der Pleiten in diesem Jahr erstmals die Zahl 10 000 überschreitet. Herr Bundesminister Graf Lambsdorff, im letzten Erhard-Jahr 1966 betrug die gleiche Vergleichszahl 3 600. Sie sollten sich einmal überlegen, was das für die Politik des Mittelstandes und der breiten Mittelschichten unseres Volkes bedeutet. Jeder in der FDP soll sich einmal überlegen, was er dazu beigetragen hat, daß diese Entwicklung in unserer Gesamtwirtschaft eingetreten ist.
({15})
Meine Damen und Herren, das besonders Besorgniserregende an diesen Pleiten ist, daß sie weit über das übliche Maß - ich sage das, weil das Argument nachher gleich kommt -, auch volkswirtschaftlich vertretbare Maß, in konjunkturellen Abschwungsphasen hinausgehen. Das ist nicht nur mit der gegenwärtigen Konjunkturschwäche zu erklären, sondern das hat mit Stagnation und mit zunehmendem Pessimismus zu tun. Das hat - über die Insolvenzen hinaus - auch etwas mit einer Grundstimmung zu tun, die man gerade in mittelständischen Bereichen überall antrifft, daß sich immer mehr Leute fragen: Lohnt es sich noch? Sollen wir jetzt nicht aussteigen und in ganz andere Arbeitsverhältnisse hineingehen, in denen man nicht mehr auf eigenes Risiko arbeitet?
Alle Ihre Versuche, Herr Bundeskanzler, von dieser Entwicklung abzulenken, indem Sie die Andersdenkenden, vor allem im Wahlkampf, als Schwarzmaler, als Panikmacher beschimpft haben, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie die ganz persönliche Verantwortung dafür tragen, daß das Land, daß die Bundesrepublik Deutschland in Ihrer Kanzlerschaft in die größte Finanzkrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hineingeführt wurde.
({16})
In den 20 Jahren von 1949 bis 1969 wurden unter Ihren Vorgängern Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger nicht so viele Schulden aufgenommen, wie Sie, der Bundeskanzler Helmut Schmidt, 1981 in einem halben Jahr aufnehmen mußten. Allein in diesem Jahr nimmt der Bund 75 Milliarden DM Kredit auf. Davon muß er über 41 Milliarden DM für die Tilgung alter Schulden verwenden. Netto bleibt ihm also ein Betrag von knapp 34 Milliarden DM. Davon muß er 17 Milliarden DM - die Hälfte - für Zinsen abzweigen. Um den Rest von 17 Milliarden DM als Ausgaben in den Bundeshaushalt einstellen zu können, ist eine Schuldenaufnahme von brutto 75 Milliarden DM notwendig - oder, damit man es besser versteht, täglich 200 Millionen DM.
Schon 1982, Herr Bundeskanzler - Herr Kollege Hoppe, davon haben Sie nicht gesprochen -, werden Sie 90 % der Neuverschuldung benötigen, um die Zinsen zahlen zu können. 1983 wird die Neuverschuldung dafür schon nicht mehr ausreichen. Der Finanzplan sieht in den kommenden vier Jahren eine Neuverschuldung von etwas weniger als 100 Milliarden DM vor. Aber mehr als 170 Milliarden DM werden in der gleichen Zeit zur Rückzahlung alter Schulden fällig, weil Sie gezwungen sind, einen riesigen Berg alter Schulden auf immer kürzere Fristen umzuwälzen.
Herr Kollege Hoppe, so betrachtet, können Sie doch nicht im Ernst hier von Schuldenabbau oder auch davon reden, daß die amerikanische Zinspolitik an dieser Entwicklung schuld sei.
({17})
Herr Kollege Hoppe, Sie haben am 13. September 1979 hier gesagt - ich zitiere -:
Schließlich ist bei einer Gesamtverschuldung von 420 Milliarden DM ... ein gefährliches Potential erreicht, das mit einer tickenden Zeitbombe vergleichbar ist.
Herr Hoppe, dieses Potential ist, von Ihrer Summe aus gesehen, jetzt schon um 80 Milliarden überschritten, nämlich auf über 500 Milliarden DM gestiegen. Ich frage Sie: - ({18}) - Natürlich: Ticken tut's.
({19})
- Das ist die liberale Variante: Getickt hat's damals schon, und jetzt tickt's lauter. Das ist das, was wir hier aufnehmen müssen.
({20})
Herr Kollege Hoppe, wenn das das Ergebnis des Sommertheaters zwischen SPD und FDP ist, daß Sie sich in Ihrem Koalitionsprotokoll auf die Formel „Damals hat's getickt, und jetzt tickt's lauter" einigen, dann weiß das deutsche Volk, woran es bei der FDP ist.
({21})
Herr Hoppe, Sie werden schon in den nächsten Wochen unseren Mitbürgern sagen müssen, was Sie tun, um diese Zeitbombe abzustellen. Ich will Ihnen dabei gern helfen, indem ich Ihnen den klugen Rat eines Mannes, der hier im Haus auf allen Seiten und allen Bänken großen Respekt genießt, mit auf den Weg geben. Lesen Sie doch bitte, was der frühere Bundesfinanzminister Alex Möller in seinem neuen Buch mit dem Titel „Schuld durch Schulden" dazu geschrieben hat:
Niemand hat das Recht, seine Kinder anzupumpen, um für sich selber einen sozial unangemessenen Komfort finanzieren zu können ...
({22})
Wir würden dann, wenn wir dies mißachten, wirklich den Handlungsspielraum der nachfolgenden Generation einengen. Statt ihr eine weitere Chance zu geben, würden wir tatsächlich eine Last vererben, weil wir über unsere Verhältnisse leben.
Diesem Wort Alex Möllers ist nichts hinzuzufügen. Er hat es Ihnen, Herr Bundeskanzler, ins Stammbuch geschrieben, und sonst niemandem.
({23})
Da hier von den Kindern und Enkeln die Rede ist, will ich das in Zahlen ausdrücken. Heute legen Sie mit Ihrer Politik bei neuen Schulden von jährlich 25 Milliarden DM bei einer Geburtenrate von rund 500 000 im Jahr jedem neugeborenen Kind bereits eine Hypothek der Bundesregierung von 50 000 DM in die Wiege. Das ist Ihre Politik für die nächste Generation.
({24})
Die von Ihnen herbeigeführte Finanzkrise hat sich zu einer Krise der Regierung und der Koalition ausgewachsen. Es gilt nun, darum besorgt zu sein, daß eine Regierungskrise keine Staatskrise wird.
Angesichts dieser verheerenden Entwicklung hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - den Sie von der Bundesregierung berufen haben - aus Sorge vor den bevorstehenden Gefahren schon vor einigen Wochen, im Juli, Wichtiges festgelegt. Herr Kollege Matthöfer, diese Äußerung des Sachverständigenrates widerlegt auch Ihre Behauptung von gestern, daß alle diese Probleme sozusagen vom Himmel gefallen und neu seien. Der Sachverständigenrat legt ganz überzeugend dar, daß aus der Kontinuität Ihrer Politik diese schlimme Entwicklung entstanden ist. Ich zitiere:
Wie schon 1975 ist eine Situation eingetreten, in der der Staat fürchten muß, eine unverändert expansive Finanzpolitik werde sich über eine weitere Verschlechterung der Erwartungen sogar gegen sich selber kehren, also im Endeffekt kontraproduktiv wirken. Auf diese Möglichkeit - daß es bei Vernachlässigung der Aufgabe, die öffentlichen Defizite rechtzeitig zurückzuführen, dem Staat gerade dann an Verschuldungsspielraum fehlen werde, wenn er diesen Spielraum besonders nötig habe - ist in den vergangenen Jahren immer wieder mahnend hingewiesen worden - vergeblich.
So urteilt Ihr Sachverständigenrat. So urteilt das sachverständige Publikum über Ihre Politik.
Sie sind für diese Politik verantwortlich und damit für Wachstumsschwund und Investitionsstau, für Defizite, Inflation und Arbeitslosigkeit. Es geht nicht an, daß Sie immer wieder dann andere, weltweite Kräfte - Ölkrise, Unternehmer, Bundesbank, wie es gerade in den Kram paßt - vorschieben. Sie tragen die Verantwortung für diese Politik, Herr Bundeskanzler.
({25})
Jahr für Jahr - auch das an Ihre Adresse, Herr Kollege Hoppe - haben diejenigen, die richtige Einsichten in dieser Regierung und Koalition besaßen, es zugelassen, daß die Sozialisten in der Koalition vernünftige Politik verhindert haben, Politik, die auf Investitionen und wirkliche Sicherung der Arbeitsplätze gerichtet war. Heute ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sich die Politik der Koalition von SPD und FDP gegen die existentiellen Interessen unserer Bürger, gegen die existentiellen Interessen schon der nächsten und der übernächsten Generation und damit gegen die Zukunft des Landes richtet.
Deshalb, Herr Kollege Genscher, fordern Sie mit Recht - ich unterstreiche das - in Ihrem Schreiben an die Mitglieder der FDP die große ordnungspolitische Wende in der bisherigen Politik. Sie schreiben in diesem Brief:
Bei allem, was wir anpacken, müssen wir von dem Grundgedanken ausgehen, daß wir die Lasten der Gegenwart nicht unseren Kindern und Enkeln aufbürden dürfen. Unser Ziel muß sein: Wettbewerbsfähigkeit und nochmals Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und nochmals Investitionen, Arbeitsplätze und nochmals Arbeitsplätze.
Lieber Herr Kollege Genscher, mit dieser These, die völlig richtig ist, bestätigen Sie nur noch das, was wir durch zehn Jahre hindurch, durch jede Debatte hindurch Ihnen immer wieder zugerufen haben und was Sie nicht getan haben.
({26})
Herr Kollege Genscher und meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn Sie vor sich selber ehrlich sind, wissen Sie doch, daß Sie diese Politik mit dieser SPD-Fraktion niemals machen können. Das wissen Sie doch.
({27})
Das ist doch keine Frage von Vermutung.
({28})
Die Kollegen haben Sie doch darüber aufgeklärt, was Sie zu erwarten haben. Herr Brandt betonte doch - ich zitiere ihn -, niemand könne die SPD veranlassen, sich an „dubiosen Trendwenden" zu beteiligen. Der Altmeister, der Kollege Herbert Wehner, meinte gar: „Die von der FDP und ihrem Vorsitzenden angestrebte große Wende hat nicht stattgefunden und wird mit uns auch nicht stattfinden." ({29})
Die Vorbehalte der FDP in der Koalitionsvereinbarung nennt er mit der ihm eigenen Sprachgewalt „eine geradezu perverse Zumutung".
Meine Damen und Herren, in welch einer Gesellschaft befindet sich da eigentlich die FDP?
({30})
- Nein, ganz gewiß nicht. Auf den Gedanken, den Vergleich mit dem Heiratsmarkt hier einzuführen, komme ich nicht, Herr Kollege.
({31})
Wer sollte denn in dem Zustand, in dem Sie sich befinden, Ihr Partner sein?
({32})
Meine Damen und Herren, was jetzt mit diesem Haushalt offenbar wird, bedeutet, daß die Regierung in Wahrheit am Ende ist. Der nunmehr seit sieben Jahren versprochene, aber nie ernsthaft in Angriff genommene Abbau des Schuldenzuwachses findet 1982 wieder nicht statt. Herr Kollege Genscher, auch Ihre Forderung, die Weichen deutlich auf mehr Selbstverantwortung, auf mehr Leistung, auf mehr Selbstbestimmung, auf eben mehr Freiheit zu stellen, ist doch in diesem Haushalt nicht enthalten. 1969, als Sie zu den neuen Ufern der SPD/FDP-
Koalition aufbrachen, nahm der Staat vom Bruttosozialprodukt 37,9 % in Anspruch. Heute - 1981 - sind es 47 %. Herr Kollege Genscher, diese Steigerungsrate ist mit Ihrer Stimme zustande gekommen. Das muß man noch einmal in Erinnerung rufen.
({33})
Sie proklamieren - wir freuen uns darüber - das Prinzip der Subsidiarität, der Eigenverantwortung. Darüber werden Sie mit uns sehr rasch einig, wobei ich zugebe, daß zwischen dem Prinzip und dem Detail bekanntlich große Probleme stecken. Es ist aber das Wesen von Politik, daß man auch Differenzen austragen kann. Ich füge aber hinzu: Diese Politik, die auf Subsidiarität aufgebaut ist, können Sie mit deutschen Sozialdemokraten überhaupt nicht machen.
In Ihrer Regierungserklärung vom 15. Dezember 1976, die man gar nicht oft genug zitieren kann, Herr Bundeskanzler, haben Sie versprochen, die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern dauerhaft zu konsolidieren.
({34})
Nun weiß ich nicht, was er unter „dauerhaft" versteht.
({35})
- Das einzige, was in diesem Hause dauerhaft ist, sind Sie, Herr Wehner. Das ist gar keine Frage.
({36})
Immer dann, wenn die Koalition in einer schwierigen Lage ist, machen Sie hier Ihre Übungen, um vom Schauplatz abzulenken. Das wird Ihnen in diesen Tagen nicht gelingen. Wir können uns vorweg darauf einigen.
({37})
Herr Bundeskanzler, Sie sagten in der angesprochenen Regierungserklärung, deshalb müsse die bereits im Herbst letzten Jahres - das war damals 1975 - eingeleitete Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte fortgesetzt werden und die Neuverschuldung deutlich niedriger liegen als bisher. - 1978 waren alle diese Versprechungen schon nichts mehr wert. Die Neuverschuldung stieg, wie jedermann weiß, steil an.
Über die Neuverschuldung des Jahres 1982 ist ja im übrigen auch noch nicht das letzte Wort gesprochen worden, Herr Hoppe. Auch darin zeigt sich doch die ganze Hilflosigkeit und Schwäche der Regierung. Sie sind doch aus diesen Koalitionsverhandlungen in einer ganz einmaligen Art und Weise der öffentlichen Verabschiedung herausgegangen. Sie haben zunächst einmal festgelegt, auf was Sie sich geeinigt haben, und dann haben Sie nach Art von kriegführenden Mächten zu Protokoll gegeben, auf was Sie sich nicht geeinigt haben.
({38})
Nun ziehen Sie draußen im Land umher und ziehen je nach der Klientel entweder das Papier über das hervor, worauf Sie sich geeinigt haben, oder das Papier über das - vor allem die Kollegen, die im Mittelstand für die FDP reden, tun dies -, worauf Sie sich nicht geeinigt haben.
({39})
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen voraus: Sie werden im Verlauf dieser Haushaltsberatungen Gelegenheit haben, in namentlicher Abstimmung darüber abzustimmen, ob Sie noch zu Vorschlägen stehen, die Sie kürzlich gemacht haben und von denen Sie jetzt nichts mehr wissen wollen.
({40})
Ein Zweites kommt dazu. Sie glauben doch in Wahrheit selbst nicht mehr an die Richtigkeit der Zahlen. Auf der ganzen Regierungsbank sitzt doch niemand, der an die Richtigkeit dieser Zahlen glaubt. Bei dem Kollegen von der SPD, der gerade hier gesprochen hat, klang doch auch an, daß sich, was ich auch ganz vernünftig finde, natürlich im Verlauf der Debatte im Ausschuß manches ändert. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie schon in diese Debatte hineingehen und jedermann weiß: Das, was hier niedergeschrieben ist, wird so nicht bleiben, können Sie doch nicht erwarten, daß die Leute draußen Vertrauen haben. Was erwarten Sie denn eigentlich von einem Unternehmer, über dessen Gehälter hier vorhin so geredet wurde? Meine Damen und Herren, wenn Sie in einem Unternehmen Verantwortung tragen - sei es groß oder klein, ob Sie einen kleinen Handwerksbetrieb oder ein großes Unternehmen führen -, kommt es doch für Sie hinsichtlich Ihrer Dispositionen darauf an, daß Sie mittel- und langfristig eine Linie vor sich sehen, auf die Sie sich verlassen können. Bei einem Zustand, bei dem die Unruhe schon per Protokollnotiz ins Land getragen wird, können Sie doch nicht erwarten, daß neue Investitionen getätigt werden, daß dort Vertrauen herrscht. Warum soll denn die Wirtschaft investieren, wenn sie heute schon weiß, daß sich die politischen Rahmenbedingungen in wenigen Monaten erneut verändern können.
Ich bringe ein Beispiel vom heutigen Morgen. Auf der einen Seite sagt der Redner der FDP: Ein Beschäftigungsprogramm findet nicht statt. Auf der anderen Seite kommt der Redner der SPD hier ans
Pult und sagt: Ein Beschäftigungsprogramm findet doch statt. Dann zitiert er eine Nachricht, wonach der Herr Genscher nun auch für ein Beschäftigungsprogramm sei. Der hat durch entschiedenes freidemokratisches Kopfschütteln verneint; er sei auf gar keinen Fall dafür.
({41})
Meine Damen und Herren, das soll die Basis für Vertrauen in der deutschen Öffentlichkeit find in der Wirtschaft für Investitionen sein? Sie glauben doch selbst nicht, daß das Politik für morgen sein kann.
({42})
Herr Bundeskanzler, von Ihnen weiß doch die Wirtschaft erst recht nicht, was Sie denken; auch das rührt aus den letzten Wochen. Zuerst ließen Sie sich groß als Erfinder des Beschäftigungsprogramms feiern.
({43})
- Ergänzungsabgabe, Beschäftigungsprogramm, das alles ist doch genannt worden. Dann gingen Sie
- speziell bei der Ergänzungsabgabe - auf vorsichtige Distanz. Der Kollege Brandt hat sich die Sache schon gar nicht vorher zu eigen gemacht, wie man hört, und dann haben Sie sogar noch die geistige Urheberschaft geleugnet. Ich habe Sie in dieser Sache nie im Verdacht der geistigen Urheberschaft gehabt. Aber Sie hielten es zunächst wegen Ihres Gewerkschaftsflügels für opportun, bei diesem Thema vielleicht in der ersten Linie zu stehen. Heute sagen Sie, was ich sehr vernünftig finde, Sie halten überhaupt nichts von dieser Idee. Genau diese Sachverhalte zeigen, daß die Regierung nicht mehr in der Lage ist, Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Dieses Vertrauen ist die Voraussetzung für die notwendigen Investitionen, für die notwendigen Arbeitsplätze.
Noch am 22. Mai, Herr Kollege Matthöfer, haben Sie in der „Westfälischen Rundschau" auf die Frage: „Schließen Sie Steuererhöhungen für diese Legislaturperiode gänzlich aus?" geantwortet: „Nein, nur für das nächste Jahr." Gemeint war 1982. Aber im Juli, wenn ich noch denken kann - das ist ein paar Wochen nach diesem Termin -, hat die Bundesregierung die unbefristete Verlängerung der Heizölsteuer beschlossen. Damit war doch der Auftakt für die nächste Steuererhöhungsrunde eingeläutet. Dann folgten reihum die Vorschläge aus der Koalition: Erhöhung der Heizölsteuer, Einführung der Erdgassteuer, Ergänzungsabgabe, Erhöhung der Tabak-, der Branntwein- und der Sektsteuer. Das Allerschönste, Herr Kollege von der SPD, der Sie gerade hier gesprochen haben, ist, daß Sie das jetzt gesundheitspolitisch begründen.
({44})
Das ist wirklich für mich keine Frage, bei der ich mich mit letzter Entschiedenheit verkämpfe. Aber sagen Sie wenigstens ehrlich, daß Sie das Geld wollen, und reden Sie nicht von Gesundheit! Das hat damit gar nichts zu tun.
({45})
Herr Bundeskanzler, wie sagten Sie so vortrefflich im Juni im ZDF - das ist ein Zitat, das man wirklich auf sich wirken lassen muß -:
Die Belastung der Deutschen mit Steuern und Abgaben liegt nahe an der Grenze des politisch für sie Erträglichen. Da soll man sich nichts vormachen.
Da haben Sie ganz recht. Aber warum definieren Sie denn nicht einmal die Grenze, und wann hören Sie auf, unseren Mitbürgern etwas vorzumachen, was Sie dann nach den Wahlen nicht halten können?
Der Vorsitzende Ihrer Partei, Herr Brandt, meinte j a im Zusammenhang mit dem Haushalt, auch er sei mit den Kompromissen über den Haushalt nicht zufrieden, und die „Grenzen sozialdemokratischer Selbstachtung" seien jetzt erreicht. Nun, meine Damen und Herren, um dranzubleiben, werden Sie die Grenzpflöcke noch oft ausgraben, so wie ich die Lage einschätze.
({46})
Herr Wehner, ich schlage Ihnen vor, Sie stellen gleich eine ganze Kolonne ein, um die Grenzpflöcke transportabel zu gestalten. Das Wichtigste ist: dranbleiben. Von sozialdemokratischer Politik bleibt dann nichts übrig.
Herr Genscher, wir wollen Ihren Brief nicht vergessen. Sie schreiben ganz richtig:
Unser Land steht an einem Scheideweg. Gesellschaftspolitisch stehen wir in einer Bewährungsprobe der Marktwirtschaft.
Das ist alles richtig. Nur hat das, was ich hier schildern mußte, doch nichts mit dem Klima zu tun, das die Marktwirtschaft braucht,
({47})
mit einem Klima, in dem sich Hoffnungen, Optimismus und Mut zur Zukunft entfalten können.
Herr Wehner, daß Sie bei dem Stichwort „Marktwirtschaft" zusammenzucken, ist klar. Ich werde Ihnen ein Zitat bringen, das ich gerade durch einen Kollegen vermittelt bekommen habe. Kürzlich hat in der Hauptversammlung eines großen Schweizer Unternehmens ein Schweizer Unternehmer gesagt, das Problem der Bundesrepublik sei, daß sie sich in dem Niemandsland zwischen Ludwig Erhard und Karl Marx bewege. Den einen Punkt in diesem Rennen bestimmen Sie; das ist ganz klar.
({48})
Die Wiederbelebung unserer Wirtschaft setzt voraus, daß wir wieder ganz klare, prinzipielle Positionen beziehen. Ich kann sagen, Herr Kollege Genscher: Fast alle Positionen, die Sie bezogen haben, sind die richtigen Positionen. Das heißt konkret, daß die Hauptforderungen für ein grundlegendes Umdenken und für einen Neubeginn in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gar nicht neu sind. Sie lauten in jenem Satz Ludwig Erhards, gesprochen in der Nacht der Währungsreform im Sommer 1948: mehr Freiheitsraum für den Bürger, mehr Vertrauen in den Bürger und mehr Mißtrauen gegen den allmächtigen Staat. Das ist die Grundlinie, die sich hervorragend bewährt hat. Das heißt: mehr Leistungswille,
Ja zum Wettbewerb, stabiles Geld und weniger Staat.
Genau das - Sie rufen doch immer nach der Alternative, meine Damen und Herren von der SPD - ist die Alternative zu Ihrer Politik. Dazu brauchen wir kein spektakuläres Programm. Um dieses Programm verwirklichen zu können, genügt es, sich auf die Erfahrungen durch 20 Jahre Leistungsfähigkeit und funktionierende Soziale Marktwirtschaft zurückzubesinnen. Gerade die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft sind durch Ihre Politik in diesem Jahrzehnt verschüttet worden. Erfahrungen mit Ludwig Erhard und Müller-Armack stehen hier sinnbildlich für eine richtige Politik. Herr Häfele hatte schon recht, als er zum Schluß seiner Ausführungen hier sagte: Das ist das eigentliche Problem der deutschen Politik. Bei aller Bedeutsamkeit der ökonomischen Fragen ist die Frage nach der geistigmoralischen Haltung der Deutschen, ob sie fähig sind, die Herausforderung dieser Zeit zu erkennen und zu bestehen, das eigentliche Problem.
Wir werden die ökonomischen Daten nur dann in Ordnung bringen, wenn das in Ordnung ist, wenn eben ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem durchaus legitimen persönlichen Egoismus des einzelnen und dem Wollen und dem Willen zum Wir für das Ganze unseres Vaterlandes wieder da ist.
({49})
Die Bereitschaft zum eigenen Tun, zum eigenen Wagnis - ({50})
- Das halten Sie für generalisierend. Das ist, verehrter Kollege, eine Lebenshaltung. Wenn Sie das für generalisierend halten, dann ist das genau der Punkt, der uns trennt. Denn die Frage, ob wir mit jungen Leuten, Herr Kollege, nur noch über ihre Rechte und nie mehr über ihre Pflichten reden, hat etwas mit dieser Grundhaltung zu tun.
({51})
Das ist für mich, Herr Kollege, so erstaunlich bei den sogenannten Linken in der SPD, die doch sonst für Geschichte auf ihre Weise durchaus sensibel sind, daß sie gar nicht erkennen, daß sie, wenn wir von Tugenden reden, dabei sind, durch Ablenkung von diesen Begriffen und deren Ablehnung ein Stück der großen Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu verleugnen. Diese Parteigeschichte war doch nicht denkbar ohne das Bekenntnis auch zu diesen Tugenden. Wenn Sie heute aus einem Pseudomodernismus heraus, um dem Zeitgeist zu gefallen, das alles verleugnen, verleugnen Sie ein Stück Zukunft des Landes, aber auch Vergangenheit Ihrer eigenen politischen Bewegung.
({52})
Ohne Optimismus und ohne die Dynamik des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ist die Wiederbelebung der Wirtschaft, die Wiederherstellung der verlorengegangenen Handlungsfähigkeit des Staates, der Abbau der riesigen Defizite gegenüber dem Ausland und eine Senkung der hohen Zinsen nicht möglich. Meine Damen und Herren - hier stimmen wir doch überein, Herr Hoppe -, wir müssen die Anreize zur Leistung und zur Produktivitätssteigerung verbessern, um damit das Angebot an die Volkswirtschaft zu vermehren, um damit die Inflation in den Griff zu bekommen. Aber das bedeutet eine grundsätzliche Abkehr von einer Politik, die Leistung, Innovation, Investition systematisch bestraft. Diese Frage ist bei Herrn Genscher richtig gestellt, und es liegt jetzt an Ihnen von der FDP, diese Frage auch in der Tat richtig zu beantworten.
Ein wichtiger Grundsatz ist in diesem Zusammenhang der konsequente Kampf gegen die bürokratische Fesselung. Sie schränken im Alltag vor allem die kleinen und mittleren Betriebe ein. Wer - das kann hier zwischen den Fraktionen eigentlich gar nicht streitig sein - mit einem Unternehmer, einem Handwerksmeister spricht und sieht, was er im Bereich von Steuern, Abgaben, Sozialversicherung, Statistiken und amtlichen Meldungen sozusagen an Staates statt zu tun hat, der weiß, daß das natürlich jeden Willen zur Selbständigkeit tötet.
({53})
Diese Entwicklung hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht; das muß man wieder einmal in Erinnerung rufen.
({54})
Als weiteren Punkt, der eigentlich unstreitig ist, Herr Genscher und Herr Hoppe, nenne ich den notwendigen Abbau des Investitionsstaus bei Kohle- und Kernkraftwerken, im Wohnungsbau, beim Kabelfernsehen. Wie verhängnisvoll sich hier das Zögern der Regierung für die Investitionen ausweist, weiß jeder.
Die Weichenstellung für die ordnungspolitische Wende kann schließlich nur durch die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen gelingen. Deswegen kommt dieser Beratung eine besondere Rolle zu. Deswegen nehmen Sie das, was der Kollege Häfele hier für die Fraktion gesagt hat, ganz wörtlich: Wir sind bereit, hier vernünftig mitzuwirken. Grundsätzlich gehören - damit sagen wir nichts anderes, als wir im Wahlprogramm vor einem Jahr geschrieben haben - alle staatlichen Ausgaben auf den Prüfstand. Man muß fähig sein, darüber zu reden, ohne daß bereits beim Nachdenken über ein Problem der Chor einem entgegenbrüllt: soziale Demontage. Wir verstellen uns mit dieser Art Kleinkrieg den Weg zu einer wirtschaftlichen Vernunft für die Zukunft. Ich rate uns allen, dies nicht zu tun.
({55})
Herr Hoppe, ich verstehe Ihre Polemik nicht. Der Sachverständigenrat - das sind kluge Leute -, den ich vorhin zitiert habe, hat empfohlen, bei den Ausgaben linear zu kürzen. Er hat das nicht in der Form getan, daß er gesagt hat, jede Position müsse gekürzt werden, sondern man müsse zu einem Gesamtwert kommen. Das haben wir aufgenommen. Wir haben dieses Thema nicht nur beim Arbeitslosengeld, sondern auch bei Subventionen, die ausgesprochen die Wirtschaft betreffen, um hier einmal die soziale Symmetrie anzusprechen, aufgenommen. Der BunDr. Kohl
deswirtschaftsminister zitiert bei jeder Gelegenheit und gern - er hat immer Grund dazu, vor allem vor Wahlen - die Äußerungen des Deutschen Industrie- und Handelstages. Meine Damen und Herren von der FDP, warum nehmen Sie eigentlich jetzt nicht die Äußerung des Deutschen Industrie- und Handelstages auf, die doch genau das gleiche beinhaltete?
({56})
Herr Häfele hat einen konkreten Hinweis auf die Entwicklung in der Schweiz gegeben. Wenn ich mich nicht sehr täusche, meine Kollegen von der FDP, waren die Vorreiter dieser Überlegungen in der Schweiz die freisinnigen Abgeordneten, also Leute, die Ihnen geistig nicht gänzlich fernstehen. Wenn ich dies alles zusammen betrachte, so sollten Sie nicht zuerst schimpfen, sondern hingehen und das ganz konkret betrachten, und zwar auch das, was wir im Konkreten dazu sagen wollen.
Wir haben diesen Vorschlag mit unseren Beschlüssen aufgenommen. Wir haben geglaubt, daß man damit auch Weichen stellen kann. Unsere Beschlüsse entsprechen, so glauben wir, im Gegensatz zu denen der Regierung den Erfordernissen: mehr Selbstverantwortung im sozialen Bereich, Priorität für die Familie mit Kindern und sozial ausgewogene Sparmaßnahmen. Herr Häfele hat sehr im Detail dazu gesprochen. Dieses Konzept beansprucht viele und nicht nur eine soziale Gruppe. Es geht nicht zu Lasten des Mannes von der Straße und schont etwa den Unternehmer, sondern alle müssen daran beteiligt werden. Meine Damen und Herren, diesen Mut habe ich bei Ihnen von vornherein vermißt.
Nun ein Wort zu den heute j a sicher noch stattfindenden pauschalen Angriffen auf das Sparkonzept der Opposition: Meine Damen und Herren, ich kann es mir ersparen, in die Vergangenheit zurückzugehen und darauf hinzuweisen, daß die deutschen Sozialdemokraten, als sie hier in der Opposition waren, ihrer Rolle, wenn es um diese Dinge ging, nie gerecht wurden, sondern schlicht und einfach in Obstruktion machten.
({57})
- Ja, ausschließlich Obstruktion!
({58})
Das Motto war: Wir waschen Ihre Wäsche nicht.
Beeindrucken lasse ich mich auch nicht von dem ebenso törichten wie für einen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland entlarvenden Wort des Bundeskanzlers Helmut Schmidt - vor einigen Wochen hier zu mir vom Rednerpult gesprochen -: Wir brauchen euch nicht. - Herr Bundeskanzler, ob Sie uns brauchen oder nicht, berührt uns nicht.
({59})
Aber wir sind ein Teil unseres Volkes, wir sind eine
politische Gruppierung, die - auch nach der Zahl
der Abgeordneten dieses Hauses - fast die andere
Hälfte vertritt, wir sind als CDU/CSU die Partei, die in der anderen Kammer, im Bundesrat, über die klare Mehrheit verfügt, und wir sind die Partei, die in zwei Dritteln aller Gemeinden, Kreise und Städte in der Bundesrepublik über die relative oder die absolute Mehrheit verfügt. Wir können uns nicht aus der Verantwortung schleichen. Das mag Ihre Politik sein, aber es ist nicht die Politik der CDU/CSU!
({60})
So haben wir Vorschläge gemacht. Natürlich beinhalten diese Vorschläge nicht ein umfassendes Kompendium; das hat auch nie jemand von uns gesagt. Es sind aber Vorschläge, die auf die gesamtstaatliche Verantwortung eingehen. Wir haben beispielsweise zum Arbeitslosengeld Vorschläge gemacht, um unerträgliche Entwicklungen zu stoppen, aber auch um die Chance der Vermittelbarkeit zu vergrößern. Jeder Gewerkschaftsführer, der verantwortlich denkt, kann da unschwer beipflichten und das unterstützen.
Wir haben Vorschläge dazu, was sich daraus für den Bereich der Sozialhilfe ergibt, gemacht, weil wir nicht dafür sind, weil wir es nicht hinnehmen können, daß wie auf einem Verschiebebahnhof vorgegangen wird, daß also Herr Matthöfer versucht, seine Dinge in Ordnung zu bringen, man sich ansonsten aber nicht um das kümmert, was draußen im Lande passiert.
Wir gehen von der Sicht unserer Mitbürger aus, die alles aus einem Portemonnaie bezahlen müssen, die kommunalen Abgaben, das, was das Land bekommt, und das, was der Bund bekommt. Das muß der Bezugspunkt unserer Sanierungspolitik sein!
({61})
Unser Angebot steht. Da mögen Sie uns schmähen, soviel Sie wollen. Und lassen Sie mich auch dies einmal sagen: Mich trifft nicht, daß Sie, Herr Hoppe, den einen loben und den anderen tadeln. Der Bundesrat hat nach der Verfassung, nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, eine andere Aufgabe als der Bundestag, und unsere Freunde und Kollegen im Bundesrat werden selbstverständlich diesem Auftrag so gerecht, wie auch wir versuchen, unseren Beitrag zu leisten.
Wir stellen nur ganz einfach fest: Das, was bis jetzt vorliegt, ist ein fauler Kompromiß, den Sie zwischen SPD und FDP in einer Position der Schwäche - in der Sie nicht mehr bereit sind, sich gegenseitig Einsichten zu vermitteln - getroffen haben. Herr Genscher, das ist nicht die Wende, die Sie angekündigt haben; damit lassen sich nicht die Probleme der 80er Jahre bewältigen. Vor allem schaffen Sie damit - ich sage es noch einmal - kein Vertrauen.
Vertrauen ist das Wichtigste im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Der Staat muß für seine Bürger, auch für die in der Wirtschaft, ein verläßlicher Partner sein. Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt, Sie haben in Ihrer Zeit als Regierungschef wie wenige in der deutschen Geschichte Vertrauen verspielt. Sie haben es nach innen verspielt, und,
was noch schlimmer ist, Sie sind dabei, es nach außen zu verspielen.
({62})
Denn, meine Damen und Herren, auch das gehört in diese Debatte: Wir reden über Zahlen, wir reden über den Haushalt, aber jeder, der die Geschichte kennt und der die Gefahren, die in der Gegenwart lauern, erkennt, weiß, daß, so wichtig dies alles - die Sanierung des Haushalts - auch ist, das Allerwichtigste für unsere Bundesrepublik Deutschland die Erhaltung von Frieden und Freiheit ist.
Die Außenpolitik unseres Landes gerät in diesen Monaten immer stärker in ein gefährliches Zwielicht. Es war ein Signal, was am vergangenen Wochenende in Berlin an antiamerikanischen Ausschreitungen, Demonstrationen anläßlich des Besuches von Herrn Haig stattfand. Es war ein Blitzlicht auf jene Situation, in der wichtige Teile der SPD, leider unterstützt auch von den Rändern der FDP, dabei sind, den Standort der Bundesrepublik Deutschland von Grund auf zu verändern.
({63})
Meine Damen und Herren, seit dem Kriegsende, seit 36 Jahren, schützen Zehntausende von amerikanischen Soldaten die Freiheit und die Lebensfähigkeit West-Berlins. In den schwersten Berlin-Krisen haben die Berliner und mit ihnen wir in der Bundesrepublik mit gutem Grund, und zwar bedingungslos, auf den Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika gebaut und bauen können. Wenn der Kollege Brandt da wäre, würde ich ihn fragen: Wie oft sind Sie, Herr Brandt, als Regierender Bürgermeister nach Washington geeilt in konkreten Perioden der Bedrohung, der Aggressionsakte der Sowjetunion, wann immer die Lebensfähigkeit Berlins gefährdet war?
Ich will nur ein Beispiel für viele nennen. 1963 jubelten Hunderttausende von Berlinern einem amerikanischen Präsidenten zu, der stolz bekannte: „Ich bin ein Berliner". John F. Kennedy sprach diese Worte in der Stadt, die bis heute überall in der Welt, in der freien Welt, als Symbol der Freiheit, der Menschenrechte gegenüber der Unfreiheit gilt.
Jahrzehntelang demonstrierten die demokratischen Parteien in West-Berlin am 1. Mai gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund für den Frieden und für die Freiheit ihrer Stadt und den Freiheitswillen aller Deutschen. Nun, das ist alles leider Vergangenheit.
Am vergangenen Sonntag haben Sozialdemokraten und leider auch Freie Demokraten mit Kommunisten, mit Chaoten, mit den Feinden der Demokratie gegen unsere Freunde demonstriert. Sie haben gegen den amerikanischen Außenminister demonstriert, der für die amerikanische Regierung ausdrücklich in Berlin die Schutzgarantie bekräftigt hat. Sie haben gegen jenen Mann demonstriert, der überhaupt durch seine Existenz symbolisiert, daß diese Leute im freien Teil Berlins demonstrieren können.
({64})
Die Mitglieder der SPD und FDP, die dies taten, haben sich damit mit den exemplarischen Feinden der Demokratie gegen unseren wichtigsten Verbündeten zusammengetan. Und ich lasse mich nicht davon abbringen: Auch Jusos und Judos - da gehören auch die altgewordenen Jusos und Judos dazu -, das ist völlig gleichgültig, sind Repräsentanten von SPD und FDP, die hier in einer Volksfront gegen die Vereinigten Staaten eingetreten sind.
({65})
Meine Damen und Herren von der FDP, ich weiß, es kommt Sie schwer an, das anzuhören, aber es naht allmählich auch für Sie in der Bundesrepublik die Stunde der Wahrheit. Es gibt einen Punkt, an dem man klar sagen muß: Hier stehe ich. Und wenn es die FDP zuläßt, daß junge und ältere Mitglieder der FDP sich mit den Feinden der Demokratie gegen Alexander Haig in Berlin zusammentun und verbrüdern, dann ist Ihre Stunde der Wahrheit gekommen. Jetzt müssen Sie springen, jetzt müssen Sie Taten bekennen.
({66})
Ich sage das so engagiert, weil ich die völlige Gewißheit habe, daß das, was dort geschehen ist, von der riesigen Mehrheit der Freien Demokraten nicht geteilt wird. Ich komme gleich zu den Sozialdemokraten. Das ist ein Unterschied zu Ihrem Koalitionspartner. Aber gerade, weil das so ist, sollte es Ihnen um so leichter sein, völlige Klarheit zu schaffen, wohin der Weg der FDP in dieser Frage geht.
({67})
Alexander Haig hat in seiner Rede jenen ungeistigen, dummen, tölpelhaften Antiamerikanismus zutiefst beschämt. Er sagte:
Im Namen meines Landes - und im Namen der mehreren Hunderttausende meiner Landsleute, die in unseren Streitkräften in Europa dienen - lassen Sie mich damit schließen, daß, selbst, wenn wir nicht damit übereinstimmen, was sie sagen, wir bereit sind, bis zum Tod ihr Recht zu verteidigen, es zu sagen.
Das ist große europäische und amerikanische Freiheitstradition.
({68})
Meine Damen und Herren, was glauben Sie, was in Warschau los gewesen wäre, wenn der gleiche Alexander Haig das in Warschau gesagt hätte?
({69})
- Herr Wehner, lenken Sie nicht ab von der Sache. Aus Ihnen spricht das schlechte Gewissen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
({70})
Meine Damen und Herren, wenige Tage vor dem Besuch von Alexander Haig hatte Egon Bahr ein Interview mit der Zeitschrift „Metall". Dort heißt es:
Er halte es für politisch unmöglich, betonte
Bahr, daß sich „ehemalige Besatzer auf das BeDr. Kohl
satzungsstatut zurückziehen oder glauben, es wiederbeleben zu können".
({71})
Ich frage Herrn Bahr: Wer hat sich bei den amerikanischen Freunden in diesem Zusammenhang auf das Besatzungsstatut bezogen? Ich frage: Wer ist als Besatzer gemeint? Herr Bahr wäre doch gar nicht mehr möglich - wie ich auch nicht - als Mitglied des Deutschen Bundestages, wenn die Amerikaner Frieden und Freiheit der Bundesrepublik Deutschland in diesen 30 Jahren nicht garantiert hätten.
({72})
Wenn ich von Antiamerikanismus und der Tendenz dazu in der SPD spreche, meine ich genau dies, jene schleichende Verunglimpfung unserer Freunde, jene Art und Weise,
({73})
auf leisen Sohlen zu einer Veränderung zu kommen.
({74})
Herr Bundeskanzler, Sie wissen es so gut wie ich, auch Sie, Herr Bundesaußenminister, daß niemand von uns in dieser Stunde den Schaden ermessen kann, der West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, der allen Deutschen durch diese Vorgänge zugefügt wurde. Die Bilder im amerikanischen Fernsehen und in den Zeitungen am Montag sprachen ihre Sprache. Herr Bundeskanzler, was müssen eigentlich amerikanische Väter und Mütter gedacht haben, die ihre Söhne zur Verteidigung auch unserer Freiheit hierherschicken, wenn sie die Bilder irgendwo in den USA in ihrem Wohnzimmer sehen, wie dort Pöbel - etwas anderes kann man nicht sagen -, Pöbel
({75})
die amerikanische Fahne in den Dreck zieht? Was werden sie gedacht haben - das ist nicht das gleiche, damit das hier klar ist, aber es ist leider in einem Zeitzusammenhang passiert -, wenn sie wenige Stunden danach von dem Versuch eines Attentats auf den Oberkommandierenden der amerikanischen Soldaten in Europa, den höchsten Soldaten der Amerikaner, in Heidelberg gehört haben, wenn sie sich dann erinnern, daß dies vor wenigen Wochen auch in Ramstein so war und daß dies 1981 der zehnte Anschlag gegen amerikanische Soldaten und Einrichtungen ist? Ich frage mich - viele drüben in der DDR haben ja Gott sei Dank die Möglichkeit, unser Fernsehprogramm zu empfangen -: Was müssen eigentlich unsere Mitbürger in der DDR, in OstBerlin gedacht haben, als sie diese Bilder sahen, sie, die seit 1953 keinerlei Chance haben, überhaupt irgendeine Demonstration zu machen? Ich sage noch einmal: Was werden wohl die Polen gedacht haben, die diese Bilder sahen?
Der Besuch des Repräsentanten unseres engsten Verbündeten mußte in Berlin zum erstenmal aus Sicherheitsgründen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden.
({76})
Herr Bundeskanzler, um Schaden von unserem Land abzuwenden - ({77})
- Herr Wehner, den Ton, den ich anschlage, bestimme ich. Soweit sind wir noch nicht auf dem Weg zum Sozialismus, daß Herbert Wehner bestimmt, was im Deutschen Bundestag gesagt wird!
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Herr Bundeskanzler, ich hätte es begrüßt - denn wir sind uns völlig einig in der Verurteilung; darüber kann es ja keinen Zweifel geben -, wenn Sie aus den Gründen der zu erwartenden Eskalation den Gast auch nach Berlin begleitet hätten.
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Herr Bundeskanzler, da ja der Vorsitzende der SPD nicht da ist, spreche ich Sie als stellvertretenden Vorsitzenden der SPD an: Das Verhalten der Bundespartei der SPD kann ich nur wechselseitig Feigheit oder Schwäche nennen.
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Es ist unübersehbar - und an diesem Beispiel ist es exemplarisch deutlich geworden -: Wichtige Repräsentanten Ihrer Partei wollen sich vom amerikanischen Freund abkoppeln. Sie sind auf dem Weg, die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr Westeuropa von den Vereinigten Staaten abzukoppeln. Wieweit diese Politik bereits Früchte trägt, haben ja nicht nur die antiamerikanischen Ausschreitungen in Berlin gezeigt. Dokumente für diese Entwicklung liefern Sie ja fast täglich aus dem OllenhauerHaus.
Meine Damen und Herren, erst nach vielfachen öffentlichen Aufforderungen durch die Union hat sich der Parteivorstand der SPD bereitgefunden, die antiamerikanischen Demonstrationen in West- Berlin zu kritisieren.
({81})
-Natürlich war es so. Was haben Sie denn in Wahrheit getan? Die SPD-Vorstandsmitglieder Vogel und Glotz - nicht irgendwer; der eine ein sogenannter Kronprinz, der andere der Bundesgeschäftsführer der Partei - veröffentlichten einen offenen Brief in der Berliner Presse - lesen Sie ihn doch nach -, in dem sie zwar den Besuch des amerikanischen Außenministers begrüßen, aber gleichzeitig die amerikanische Sicherheitspolitik kritisieren.
Man kann so sagen: Damit lieferten Sie die Rechtfertigung für die Demonstrationen mit der linken Hand nach.
({82})
Meine Damen und Herren aus der SPD, Sie werden nicht sagen können: Der Eindruck ist falsch. Sie haben den Kronzeugen hier vor sich sitzen. Herr Wehner, Sie haben doch sehr rasch gemerkt, was das für ein politischer Schaden ist. Sie beklagten noch am Sonntag - Sie hätten das doch nicht getan, wenn Sie nicht Grund dazu gehabt hätten -, daß SPD und FDP zuwenig getan hätten, damit die Demonstrationen „nicht auch noch mit einer Art von Förderung durch die Parteien, die in Bonn die Koalition stellen, geschmückt" werden.
Doch bereits am nächsten Tag - und jetzt kommt das eigentlich Interessante, meine Damen und Herren -, nach all dem, was in Berlin stattgefunden hat, hat der Bundesvorstand der SPD eine Erklärung abgegeben, in der wörtlich steht, eine rationale Auseinandersetzung mit den Argumenten und Überzeugungen der Teilnehmer an der Demonstration sei durchaus der Mühe wert, eine pauschale Verdammung hingegen nicht am Platze. Das kann doch beim besten Willen nicht Ihre Meinung sein, Herr Bundeskanzler; ich muß Sie hier gegen die eigene Partei in Schutz nehmen. Daß darunter junge sozialdemokratische Mitglieder sind, mit denen zu diskutieren sich durchaus lohnt, ist doch ganz selbstverständlich. Aber so pauschal alles in Schutz zu nehmen, was da mitläuft - SEW bis hin zu den Chaoten -, kann doch nicht Ihre Politik sein. Sie verraten doch alles, was Sie bei der Gründung der Bundesrepublik mit auf den Weg gebracht haben.
({83})
Halten Sie es für denkbar, daß unter Kurt Schumacher ein Parteivorstand der SPD eine solche Formulierung abgesegnet hätte?
({84})
Meine Damen und Herren, was ist denn das für eine Politik? Ist es überhaupt eine Politik? Ist sie antiamerikanisch? Ist sie opportunistisch? Ist sie neutralistisch? Wie auch immer, diese Politik ist in ihrer Methode zwielichtig, in ihrem Inhalt eindeutig: Die SPD und einige Mitläufer in der FDP gehen auf Distanz zu den USA.
Wir, die CDU/CSU, haben die Partnerschaft und Freundschaft zu den Vereinigten Staaten vom Amerika nie als eine bedingungslose Anpassung oder gar Unterwerfung verstanden. Wer die Geschichte unserer Republik kennt, weiß, wie sehr Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger während ihrer Kanzlerschaft in wichtigen Detailfragen der Politik mit den amerikanischen Freunden gerungen haben, wie man zu Kompromissen kam. Freundschaft heißt doch nicht Unterwerfung. Freundschaft im Leben der Völker und im Leben des einzelnen heißt, daß man aufeinander zugeht und miteinander reden kann.
Aber, Herr Bundeskanzler, wir haben es nie zugelassen, daß Leute aus unseren Reihen auf der Straße gegen unsere Verbündeten mobilisiert werden. Wir sind nie irgendwelchen Bewegungen aus tagespolitischen demoskopischen Gründen nachgelaufen, die antiamerikanische Gefühle mobilisieren und die in Wahrheit ganz andere Ziele verfolgen.
({85})
Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion über Sicherheit und Abrüstung trägt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands entscheidend dazu bei, daß unser amerikanischer Bündnispartner in der Rolle desjenigen erscheint, der ein neues Wettrüsten einleitet und damit den Frieden gefährdet.
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Die militärische Macht der Sowjetunion, ihre verstärkte Aufrüstung gerade im letzten Jahrzehnt und ihre tatsächliche Gegnerschaft gegen die Entspannungspolitik werden verharmlost und aus der Diskussion gedrängt.
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Die politischen Absichten der Sowjetunion, ihre aggressive Politik gegen Afghanistan, ihre Stellvertreterkriege in Angola und Äthiopien und ihre Bedrohung Polens werden von nicht wenigen der SPD längst verschwiegen oder finden sogar verständnisvolle Interpreten. Herr Breschnew, so sagte Willy Brandt, zittere um den Frieden.
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Präsident Reagan gefährde den Frieden, verkündet Herr Eppler. Und Bahr? - Dazu fällt mir nichts Neues ein.
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Das ist doppelte Moral oder, wie es Außenminister Haig in Berlin sagte, „wachsender doppelter Maßstab im Westen gegenüber angemessenen Normen internationalen Verhaltens".
In Afghanistan und Vietnam, in Kambodscha, überall geschah und geschieht Völkermord. Wo bleiben eigentlich die großen Demonstrationen in Berliner Straßen, angeführt von den Jusos und den Judos, gegen denjenigen, der für diesen Völkermord verantwortlich ist? Wo bleibt der Aufschrei der Sozialistischen Internationalen und ihres Präsidenten Willy Brandt? Wo bleibt, Herr Bundeskanzler, angesichts der Nachricht, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten in Laos, Kambodscha und Afghanistan tödliches Giftgas eingesetzt haben, jetzt das Wort der Bundesregierung? Alle, die so schnell mit Wort und Tat gegen die Amerikaner in Vietnam protestiert, ja gewütet haben, stecken jetzt den Kopf in den Sand.
Wir wissen aus der eigenen Erfahrung unseres Volkes in einer Diktatur sehr genau, daß auch die Sowjetunion gegenüber der Meinung der Weltöffentlichkeit nicht gänzlich unempfindlich ist. Deshalb dürfen wir nicht schweigen und untätig bleiben. Auch die Sowjetunion muß das moralische Gewicht der Weltöffentlichkeit spüren. Wer soll denn in Deutschland reden, wenn nicht die Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes?
({90})
Wir müssen der Sowjetunion sagen, daß ihre öffentlichen Erklärungen über Friedensliebe, Entspannungsbereitschaft, über Abrüstung und RüstungsDr. Kohl
kontrolle so lange nicht überzeugend sind, so lange die Taten das nicht bezeugen. Meine Damen und Herren von der SPD, es ist doch geradezu grotesk, daß sich nach der Kritik an Präsident Carter wegen seiner angeblich zu idealistischen Menschenrechtspolitik, seines manchmal unbestreitbar plötzlichen Positionswechsels und seiner scheinbaren Unentschlossenheit jetzt häufig genug die gleichen Kräfte, die ihn kritisiert haben, gegen den jetzigen Präsidenten Reagan wenden.
Was tut den Präsident Reagan? Er fordert die Beschlüsse des Bündnisses ein: den Doppelbeschluß der NATO vom Dezember 1979, die jährliche Steigerung der Verteidigungsausgaben. Er betreibt eine Politik des starken Dollars, zu der die Europäer die Amerikaner unter Ihrer Anführung jahrelang mit Ratschlägen versehen haben. Präsident Reagan, Herr Bundeskanzler, verstärkt die amerikanische Rüstung mit dem Ziel, die Verhandlungen mit der Sowjetunion nicht aus der Position des Schwächeren, sondern der des Ebenbürtigen zu führen.
Dies als Politik der Stärke zu diffamieren, wie das immer mehr Leute in der SPD tun, ist schlicht und einfach falsch, und es verleugnet jede historische Erfahrung. Frage an Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Warum sollen die Sowjets zu Zugeständnissen und Kompromissen bereit sein, wenn sie sich dem Westen militärisch und damit auch politisch überlegen fühlen? Das ist doch bar jeder sowjetischen Logik. Immer wenn sich die Sowjetunion dem Westen und im besonderen den USA überlegen fühlte, hat dies zu ernsthaften Krisen und Bedrohungen geführt. Ich erinnere an den sowjetischen Sputnik 1957, der Chruschtschow dazu verführte, im Gefühl der Überlegenheit, das Berlin-Ultimatum 1958 zu stellen und die Vereinigten Staaten durch Raketen in Kuba herauszufordern. In beiden Fällen hielten wir mit der übrigen Welt den Atem an, als sich 1961 in Berlin amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden. Ich erinnere an die sowjetische Intervention in Afghanistan und an die Verweigerung von Verhandlungen seitens der Sowjetunion, solange die NATO ihren Doppelbeschluß nicht rückgängig mache.
Richard Löwenthal, Herr Bundeskanzler, ein Mann, von dem ich hoffe, daß auf sein Urteil auch Sie sehr viel geben, schrieb im Frühjahr dieses Jahres zu diesem Thema:
Beide sowjetischen Aktionen waren Ausdruck eines arroganten Übermaßes an Selbstvertrauen und einer anscheinenden Gleichgültigkeit gegenüber der Bewahrung einer Verhandlungsbeziehung mit dem Westen ... Beide liefen zwar nicht in Worten, aber in der Sache auf eine Kündigung des Entspannungsverhältnisses hinaus, weil die Sowjets sich anscheinend stark genug fühlten, das lange erschütterte Gleichgewicht nun völlig umzustürzen.
Ich kann Löwenthal nur zustimmen. Wir, die Union, sind deshalb mit der amerikanischen Regierung der Auffassung, daß das Gleichgewicht der Kräfte Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen bleibt, d. h. für Verhandlungen, die in Leistung und Gegenleistung ausgewogen sind.
Meine Damen und Herren, westliche Unterlegenheit würde die Sowjetunion nur dazu verführen, ihre eigene Überlegenheit zu zementieren, ihren politischen Druck gegen das Bündnis zu verstärken und vor allem einzelne Mitglieder des Bündnisses unter psychologischen Druck zu setzen. Die Politik, auch die Äußerungen von wichtigen Mitgliedern der Bundesregierung und der SPD müssen in der Sowjetunion den Eindruck vermitteln, daß sie dieses Ziel durch Abwarten erreichen kann. Ich will das begründen, Herr Bundeskanzler. Sie selbst waren es, der in der Bundesrepublik als erster das Moratorium für die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in die Diskussion einführte und damit den Doppelbeschluß in Frage stellte. Ihre eigenen Parteifreunde und die sowjetische Seite berufen sich auf Sie. Am 29. August, vor ein paar Wochen, erklärte der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und Kabinettsmitglied Engholm in einem Interview in aller Öffentlichkeit - ich zitiere wörtlich -:
Ich erwarte, daß der Nachrüstungsbeschluß auf dem Parteitag
- gemeint war der April-Parteitag der SPD im nächsten Jahr sehr heftig kritisiert werden wird. Das kann man heute bereits absehen. Niemand wird heute noch sagen können, der Nachrüstungsbeschluß fände in der alten Form noch einmal eine Mehrheit ... Das könnte etwa bedeuten, daß der Parteitag in der Richtung diskutieren wird: Solange verhandelt wird, wird nicht weitergerüstet, nicht nachgerüstet. Eine derartige Perspektive muß der Parteitag sich eröffnen, weil er der jetzigen Diskussion sonst nicht mehr Herr werden kann.
Meine Damen und Herren, das ist eine völlig andere Politik, als Sie sie in Ihren Regierungserklärungen, Herr Schmidt und Herr Genscher, hier immer wieder vorgetragen haben.
({91})
Was die SPD laut Herrn Engholm mehrheitlich will, besagt doch nichts anderes, als daß die Sowjetunion über Jahre die Verhandlungen nur hinhaltend zu führen braucht, um ihre erreichte Überlegenheit zu erhalten und eine Stationierung von Mittelstrekkenwaffen in der Bundesrepublik zu verhindern.
Wir haben doch Beispiele für diese Politik. Die Wiener Konferenz über einen Truppenabbau in Mitteleuropa geht nun ins achte Jahr, ohne daß sich Anfangsergebnisse zeigen. Bei der Abrüstungskonferenz in Genf ist es ähnlich. Die Sowjetunion rüstet und rüstet, während sie fortdauernd von Frieden und Entspannung redet. Der Westen aber soll in der Hoffnung auf Verhandlungsergebnisse seine Projekte zurückstellen und streichen. Er ist damit auf dem besten Weg, sich sowjetischer Überlegenheit auszuliefern.
Die gleiche Wirkung, Herr Bundeskanzler, erzeugt nun dieses neue Gerede von der Null-Option. Sie sagen, daß Sie sich im Idealfall sogar eine Null-Option vorstellen können, d. h. den Verzicht auf Nachrüstung, wenn die Sowjets ihre Mittelstreckenraketen
gänzlich abbauen. Lassen Sie mich doch in aller Deutlichkeit sagen, Herr Bundeskanzler: Dieses Gerede - etwas anderes ist es nicht - ist eine schlichte Täuschung der deutschen Öffentlichkeit.
({92})
Es ist doch ausgeschlossen, daß ein Mann mit Ihren Einsichten, mit Ihren Kenntnissen, mit Ihrer Intelligenz glaubt, daß das für die Sowjetunion möglich ist. Das heißt doch, jede Erfahrung der Geschichte in den Wind schlagen. Das ist ein Idealzustand, den Sie an die Wand malen, von dem Sie ganz genau wissen, daß er zu unseren Lebzeiten niemals Realität in Europa wird. Sie erwecken Hoffnungen, die zu schweren Enttäuschungen, nicht zuletzt bei jungen Leuten, führen müssen, wenn die NATO letztendlich gezwungen sein wird, in zwei Jahren die ersten Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren. Jede Erfahrung spricht dagegen, daß die Sowjetunion auf diese Rüstung verzichtet.
Wenn Sie schon von Idealvorstellungen reden, dann gebietet es Ihre Verantwortung als Regierungschef, ganz deutlich zu sagen, daß das genauso ein schöner Traum ist wie der Frieden ohne Waffen.
Ebenso bedenklich, Herr Bundeskanzler, ist Ihre jüngste Einlassung zu der amerikanischen Entscheidung, die Neutronenwaffe zu produzieren. Sie erwecken einmal den Eindruck, als seien Sie gegen diese Waffe. Ein andermal erwecken Sie den Eindruck, als seien Sie nur gegen den Zeitpunkt.
Ich will hier, weil es schon einmal von diesem Platz aus eine Kontroverse gab, daran erinnern, daß der Bundessicherheitsrat am 20. Januar und am 14. März 1978 den Bau der Neutronenwaffe und ihre Stationierung in der Bundesrepublik Deutschland befürwortet hat. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben mir damals in einer Kontroverse dankenswerterweise Einsicht in Unterlagen gewährt, damit deutlich werden sollte, daß Sie keinen negativen, verschiebenden Einfluß auf die Entscheidung von Präsident Carter - was ich vermutet hatte - genommen hatten, die Produktion zurückzustellen. Sie sind damals - das stelle ich, weil ich damals anderes gesagt hatte, auf Grund der Einsicht in diese Unterlagen fest - klar und entschieden für die Produktion und die Dislozierung eingetreten.
Ich frage Sie sehr konkret: Ist das heute noch Ihre Politik?
Sie haben damals, am 13. April, hier im Bundestag erklärt, daß die Bundesregierung bereit sei, der Lagerung der Neutronenwaffe auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zuzustimmen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren entsprechende Resultate der Rüstungsbegrenzungsverhandlungen vorlägen. Heute, drei Jahre danach, ist doch nachprüfbar: Weder liegen Verhandlungsergebnisse vor - weil die Sowjetunion jeden Fortschritt blockiert hat -, noch hat Moskau den damaligen Verzicht des Präsidenten Carter in irgendeiner Weise honoriert. Nein, im Gegenteil; nach dem Verzicht Carters hat sie Afghanistan überfallen; das war ihre Art des Honorierens des amerikanischen Schrittes.
Dennoch, Herr Bundeskanzler, ist es Ihre Partei, die SPD, die öffentlich Propagandakampagnen gegen diese Neutronenwaffe betreibt.
Ich habe den Eindruck - ich hoffe, ich täusche mich -, daß Sie heute selber auf Distanz zur damaligen Überzeugung gehen.
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Warum in aller Welt sollte eigentlich die Sowjetunion der freien Welt Zugeständnisse machen? Sie erlebt doch gegenwärtig, wie ihre „Friedens"-Propaganda gerade in Ihrer eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, breiten Widerhall findet, obwohl die sowjetische Politik Tag für Tag durch Taten diese Propaganda Lügen straft.
Herr Brandt - es wäre gut, wir könnten uns hier einmal darüber auseinandersetzen - setzt jetzt fast täglich die sowjetische Politik und die Politik der Vereinigten Staaten in seinen Formulierungen auch moralisch auf die gleiche Stufe.
Wohin soll diese politische Entwicklung führen?
Herr Bundesaußenminister, Sie wissen es doch besser als ich: die Konturen der deutschen Außenpolitik verschwimmen, Mißtrauen kommt auf, die Frage nach der Bündnisfähigkeit, der Bündnistreue der Deutschen wird gestellt, und zwar in West und Ost. Es offenbart sich zunehmend die wachsende Distanz - vor allem der Sozialdemokraten - zu unseren amerikanischen Partnern. Die wichtigsten Repräsentanten für diesen Antiamerikanismus innerhalb des demokratischen Lagers in Deutschland finden sich bei Ihnen in der SPD. Im gleichen Zeitraum - auch das ist bemerkenswert - mehren sich die Besuche von Regierungsmitgliedern und Politikern der SPD in Moskau und Osteuropa, die nicht nur den Eindruck einer politischen Annäherung, sondern auch Hoffnungen wecken, die Bundesrepublik Deutschland sei stark genug, globale Konflikte und insbesondere den Ost-West-Konflikt unmittelbar zu beeinflussen - obwohl jeder in diesem Saal weiß, daß wir die Hauptbetroffenen in diesem Konflikt sind.
Ich sage es noch einmal: das Bild wird immer verschwommener, unser politischer Kredit im Blick auf Bündnisfähigkeit wird immer mehr verspielt. Deswegen fand ich es verwunderlich, Herr Bundesaußenminister - ich wollte es erst gar nicht glauben, ich habe die Meldung noch einmal gelesen; vielleicht war es aber eine Falschmeldung vom Bundespresseamt -, als ich in diesen Tagen beim Bundespresseamt die Meldung las, daß Sie nach einer Teilnahme im außenpolitischen Arbeitskreis der SPD- Fraktion erklärten, Sie seien kein Gast; „ich fühle mich in dieser Koalition wie zu Hause." Bei wem, Herr Kollege Genscher, fühlen Sie sich wohl - bei Herrn Bahr?
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Robert Leicht - um es zusammenfassend und präzis zu sagen - hat es in der „Süddeutschen Zeitung" so formuliert: „Es zeigt sich sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik, wie sehr die SPD an Steuerungsfähigkeit verloren hat." Es darf niemanden überraschen, daß in vielen Hauptstädten der Welt, in der internationalen Presse bereits offen
darüber diskutiert wird: Wohin führt der Weg der Bundesrepublik Deutschland? Welchen Weg geht die SPD? Allen voran Brandt, Bahr, Eppler, und ich könnte noch viele andere nennen.
Wir sind wie in den frühen 50er Jahren wieder bei der Grundfrage des geistigen, moralischen und politischen Standorts der Bundesrepublik angekommen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland jetzt falsche Entscheidungen trifft, sind das Entscheidungen für den Rest dieses Jahrhunderts. Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland auf leisen Sohlen - nicht per Beschluß; so wird das nicht gemacht - von den Amerikanern abkoppelt und wenn sie noch den Versuch macht, das gemeinsam mit den Europäern zu tun, dann steht mitten in Europa wieder ein deutscher Staat da, ein für unsere Nachbarn in Ost und West mächtiger deutscher Staat, ein unerträglicher deutscher Staat. Ich frage mich wirklich in diesen Tagen: Ist eigentlich die geschichtliche Erfahrung der letzten 80 Jahre völlig umsonst gewesen? Ist das, was im Zusammenhang mit Ausbruch, Verlauf und Ergebnis des Ersten und des Zweiten Weltkrieges durch die Geschichtsforschung, durch die Akten und Materialien uns bekannt geworden ist, alles an uns vorbeigeglitten? Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt?
Denn es kommt bei dieser Art Politik doch sofort die Frage: Wer soll denn ein so von den USA abgekoppeltes Europa anführen? Es kommt doch - schon bei der Wirtschaftskraft der Deutschen - sofort der Verdacht der Hegemonie auf. Es kommt doch die bedrückende Frage: Steht am Ende quasi eine deutsch-sowjetische Allianz?
Wenn Herr Brandt da wäre, hätte ich gern von ihm erfahren, ob eine Nachrichtenmeldung stimmt, daß sein Freund, der Präsident der Französischen Republik, Mitterrand, ihn vor kurzem in diesem Zusammenhang daran erinnert habe, daß die Deutschen den Zweiten Weltkrieg verloren hätten.
Meine Damen und Herren, die Unsicherheit über diese Art von Politik wächst bei den Bündnispartnern in Europa, aber sie wächst auch innerhalb unserer eigenen Bevölkerung. Was sollen eigentlich junge Leute von dieser Politik halten? Was sollen eigentlich junge Leute - das frage ich Sie, Herr Bundeskanzler - davon halten, die wir ermuntern: Geht mit 18, 19 Jahren zur Bundeswehr, geht gemeinsam mit den amerikanischen Soldaten ins Manöver, pflegt die Partnerschaft!, wenn gleichzeitig junge deutsche Sozialdemokraten mit dem Pöbel von Berlin durch die Stadt ziehen und gegen Alexander Haig demonstrieren?
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Ich will nicht über den Stand Europas philosophieren. Man könnte ja noch sagen: Wenn sich Europa in einem glanzvollen Zustande befände, gäbe es eine gewisse Chance, das Gewicht Europas stärker zum Ausdruck zu bringen. Aber, meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch an, wohin wir gekommen sind! Ich sage das nicht anklagend. Ich sage das an jedermanns Adresse - auch in diesem Hause. Wir haben doch allesamt in den letzten Jahren den großen europäischen Aufbruch nicht geschafft. Es wird doch draußen im Lande in kleinster Münze gezahlt. Sehen Sie sich einmal die Schwierigkeit der Arbeit unserer Kollegen im Europäischen Parlament und auch hier bei uns an! Diesen negativen Erfahrungen in Europa stehen die zunehmende Verteufelung der USA, die ständigen Beteuerungen der gleichen Leute über den Friedens- und Abrüstungswillen der Sowjetunion gegenüber. Das alles hat das Klima verdorben. Sie tragen die Hauptverantwortung.
Herr Bundeskanzler, dann treten die Regierungschefs der westlichen Industrienationen zu Gipfelgesprächen zusammen. Sie bleiben ohne sichtbaren Beweis eines Ergebnisses. Die politische europäische Integration stagniert. Der Rückschritt ist unübersehbar. Initiativen westlicher oder neutraler Staaten, die die Sowjetunion zur Konfliktregelung zwingen wollen - denken Sie an Afghanistan! -, sind bisher alle verpufft. Wie sollen eigentlich angesichts dieser Entwicklung Bürger Sicherheit und Hoffnung gewinnen?
Es war eben der Zwischenruf von einem Kollegen der SPD gekommen: Wir reden doch über den Haushalt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht nicht aus, sich über die Sparvorschläge für den Bundeshaushalt auseinanderzusetzen. Wirtschaftliche Belebung, innere Stabilität unseres Staates und klare außenpolitische Orientierung bedingen sich gegenseitig.
({95})
Wir brauchen auch um der Wirtschaftspolitik willen einen klaren Kurs in der deutschen Außenpolitik,
({96})
die Wiederbesinnung auf die Grundlagen deutscher Außenpolitik, die durch 30 Jahre hinweg Frieden und Freiheit gesichert haben.
Meine Damen und Herren, das ist für uns ganz klar und entschieden die Freundschaft und die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist das Bündnis mit der freien Welt. Für uns ist die NATO nicht primär ein Militärbündnis, sondern nach seiner Geschichte, wie er entstanden war, war dieser Pakt - wie man noch heute in der deutschen Sprache sagt - immer eine Ideengemeinschaft. Völker mit gleicher Verfassungsordnung, mit gleichen Grundnormen, mit dem gleichen Menschenbild, geprägt von der gleichen geschichtlichen Tradition, Völker mit gleichen Vorstellungen von den Menschenrechten haben sich hier zusammengeschlossen. Das sind unsere Partner. Das ist unsere politische Heimat in der Welt. Auch die Einigung Europas ist in diesem Ziel mit eingeschlossen. Das sind und bleiben Grundlagen deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren, wenn jetzt der Bundesvorsitzende der SPD im Bundesvorstand seiner Partei - ich habe es kopfschüttelnd gelesen - eine Kommission einsetzen läßt, in der in einem Papier unter der Überschrift „Unser Weg" die Grundpositionen der SPD in der Außenpolitik erarbeitet werden sollen, dann enthüllt das doch schonungslos das Versagen Ihrer Partei. Sie sind zwölf Jahre an der Regierung und müssen nach zwölf Jahren jetzt eine
Kommission einsetzen, die sich über den Weg der SPD Gedanken macht. Die SPD sagt - ich gebe es nur wieder -, sie wolle damit die Alternative zur Union formulieren. Herr Bundeskanzler, ich gebe Ihnen einen guten Rat: Achten Sie bitte darauf, daß es nicht die Alternative der SPD zu Ihrer Regierung, zu Ihrer Politik und letztendlich zu Ihrer Person wird!
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Die Grundpositionen deutscher Politik waren zu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland heftig umkämpft und umstritten. Große Schlachten großer, unvergänglicher Kollegen auf allen Seiten fanden in diesem Hause statt. Einer der Gründe, warum wir uns entschlossen haben, daß der alte Plenarsaal bleibt, bei all dem, was an Schwierigkeiten darin sein mag, hat ja seinen Grund darin, daß wir sagen: Es ist eine traditionsreiche, eine geschichtliche Stätte deutscher Politik geworden. Gerade weil das so ist, weil wir im gleichen Saal darüber reden, will ich auf diese Kämpfe, auf diese Auseinandersetzungen zu Beginn der Bundesrepublik hinweisen. Wir haben uns dann alle gemeinsam aufeinander zubewegt, und über einen weiten Zeitraum durfte man sagen: In den Grundfragen der deutschen Politik - bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen - gibt es eine klare Übereinstimmung der demokratischen Parteien.
Diese Übereinstimmung ist leider - ich beklagt dies - unter Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt, verlorengegangen. Dies führte mit dazu, daß die Übereinstimmung auch in der westlichen Ostpolitik verlorenzugehen droht. Seit Afghanistan wächst sich dieser Mangel an Grundkonsens immer mehr zu einer Gefahr der Polarisierung im West-West-Verhältnis und auch im Verhältnis Bundesrepublik-USA aus. Wenn es darum geht, eine Politik der Friedenssicherung im Bereich der Ost-West-Beziehungen auch unter erschwerten Bedingungen weiterzuverfolgen, bedarf es mehr denn je einer grundsätzlichen und gemeinsamen Klärung der Mittel und Modalitäten der Politik des Westens gegenüber dem Osten. Ich sage noch einmal: Für uns bleibt dabei die militärische Vorsorge nur eines der Problemfelder. Das andere ist die grundsätzliche Übereinstimmung mit unseren Freunden und Partnern.
Herr Brandt hat in diesen Tagen - ich glaube, für die Mehrheit seiner Partei - „größere Eigenständigkeit" gegenüber den USA gefordert. Wenn die Europäer eigene Leistungen erbringen, kann man darüber reden. Von Leistung ist weit und breit keine Rede. Die geschichtliche Konsequenz dieser Forderungen im Europa von heute - das muß man aussprechen - ist das Ende des Bündnisses. Das ist ein anderer Weg, meine Damen und Herren von der SPD. Das Ende dieses Weges - das sage ich hier und heute - wäre die Neutralisierung der Bundesrepublik Deutschland, die Neutralisierung Europas und eine andere Republik. Wir, die CDU/CSU, wollen den Frieden und die Freiheit für die Deutschen, und wir wollen keine andere Republik.
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Wir wollen die Bundesrepublik Deutschland und keine andere Republik, und wir werden jeden Schritt, der in die Richtung einer Neutralisierung Deutschlands führen kann, mit äußerster Entschiedenheit bekämpfen.
({99})
Nach zwei verlorenen Weltkriegen, angesichts der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa, der fortdauernden Unterdrückung von über 17 Millionen Landsleuten im anderen Teil Deutschlands, in der DDR, ist unser Platz an der Seite der freien Welt, an der Seite der großen Demokratien der freien Welt. Daran werden wir von niemandem rütteln lassen.
({100})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war, Herr Kollege Dr. Kohl, am Ende der ersten Hälfte des ersten Teils Ihrer Rede ziemlich sicher, daß sie eine Entgegnung der Bundesregierung nicht herausfordern würde. Ich denke, daß jetzt eine Stellungnahme der Bundesregierung geboten ist; denn in Ihrem zweiten Teil haben Sie sich mit dem Verhältnis unseres Landes zu unserem Bündnis und zu unserem amerikanischen Verbündeten befaßt. Das ist eine Frage, die für unsere Freiheit und unsere Sicherheit von vitaler Bedeutung ist. Hier dürfen Zweifel nicht aufkommen.
Wenn wir im Deutschen Bundestag eine Debatte führen, in der wir durchaus streitig unsere Position in der Sache vertreten, so sollten wir uns immer der Bedeutung des Gegenstandes bewußt sein, über den wir jeweils sprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, nicht nur für dieses Haus und seine Protokolle, nicht nur für die Millionen unserer Zuhörer und Nachleser draußen im Lande, sondern vor allen Dingen für unsere Verbündeten in den Vereinigten Staaten, für unsere Verbündeten und Partner in Europa, aber auch an die Adresse der östlichen Nachbarn gerichtet, muß eines ganz unbezweifelbar bleiben - und das sollten wir uns gegenseitig nicht bestreiten -: daß unser Platz zusammen mit den Amerikanern in diesem westlichen Bündnis ist.
({1})
- Herr Kollege Jenninger, Herr Kollege Kohl hat eine Rede gehalten, die in vielen Feststellungen Zustimmung verdient, die in mancher Sorge von mir unterstützt wird, die an anderen Stellen aber auch etwas in Frage gestellt hat, von dem Sie unter demokratischen Parteien in guter Kenntnis unserer PosiBundesminister Genscher
tion eigentlich nicht glauben sollten, daß Sie es in Frage stellen müßten.
({2})
Das ist von den Kollegen der beiden Regierungsfraktionen mit großer Ruhe angehört worden. Bitte, meine verehrten Kollegen, bringen Sie dieselbe Geduld auf für das, was aus der Verantwortung desjenigen zu sagen ist, der für die Außenpolitik dieses Landes verantwortlich zeichnet!
Da muß ich zurückweisen, daß die Konturen unserer Außenpolitik in Zweifel gezogen werden könnten. Der amerikanische Außenminister war es, der hier in Bonn noch einmal darauf hingewiesen hat, welche Bedeutung die amerikanische Regierung gerade der Zusammenarbeit mit uns beimißt und wie sie sich in Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland befindet.
({3})
Ich habe in der letzten Woche den amerikanischen Außenminister als Freund und Verbündeten willkommen geheißen. Ich möchte ihm heute als Freund und Verbündeten danken, nicht nur für seinen Besuch, sondern auch für das, was er im Zusammenhang mit diesem Besuch gesagt hat. Dazu muß ich aus der großartigen Rede, die er in Berlin hielt, noch einmal die Feststellung in bezug auf Voltaire zitieren:
Ich stimme nicht mit dem überein, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.
Der Außenminister hat diesem Zitat dann hinzugefügt:
Im Namen meines Landes und im Namen der mehreren Hunderttausende meiner Landsleute, die in unseren Streitkräften in Europa dienen, lassen Sie mich damit schließen, daß, selbst wenn wir nicht damit übereinstimmen, was Sie sagen, wir bereit sind, bis zum Tod Ihr Recht zu verteidigen, es zu sagen.
Meine Damen und Herren, er hat da mit großer Würde zu den Ereignissen Stellung genommen, die sich während seines Besuchs in Berlin abspielten.
({4})
Ich frage mich, ob wir der Bedeutung dieser Ereignisse gänzlich gerecht werden, wenn wir sie in einer Form von Schuldzuweisungen zwischen demokratischen Parteien behandeln, der SPD ein bißchen mehr, der FDP ein bißchen weniger.
({5})
Meine Damen und Herren, ich rede im Augenblick nicht über jene Gewalttäter, die sich heute zu in vielen Fällen unwillkommenen und zurückgewiesenen Teilnehmern von Demonstrationen machen.
({6})
- Dazu werde ich gleich etwas sagen, Herr Kollege Vogel. - Ich rede vielmehr von denen, die glauben, dort in einer demokratischen Form Protest anbringen zu müssen. Ich frage mich, wie es möglich war,
daß dort eine so große Zahl zusammengekommen ist.
({7})
Da müssen wir uns gemeinsam, meine Damen und Herren, ob uns das gefällt oder nicht, die Frage stellen, wie wir verhindern können, daß in diesem Lande eine Grundstimmung entsteht und sich weiter ausbreitet, die sich nicht nur gegen die amerikanischen Verbündeten richtet. Herr Kollege Kohl hat hier die Zahl der Gewaltakte gegen amerikanische Einrichtungen, gegen amerikanische Militärangehörige aufgezählt. Es gibt auch eine große Zahl von Gewalttaten gegen deutsche Militäreinrichtungen, gegen Einrichtungen der Bundeswehr.
({8})
Deshalb war es richtig, daß die Bundesregierung gesagt hat, diese Handlungen richteten sich gegen die gemeinsame Freiheit und gegen die gemeinsame Sicherheit der Deutschen, der Amerikaner und aller unserer Verbündeten.
({9})
Nun wird sich jedermann folgende Frage stellen, die man aufwerfen muß. Wenn bei einer solchen Protestveranstaltung, mit deren Zielen, wie Sie sicher nicht bestreiten wollen, ich mich nicht identifiziere, sondern deren Ziele ich für falsch halte und zurückweise, damit gerechnet werden muß, daß sich Gewalttäter unter die Demonstranten mischen, daß Gewalttäter die Demonstration mißbrauchen - noch in einem ganz anderen Sinne -, sollte eine solche Demonstration dann nicht besser unterbleiben? Diese Frage muß sich jeder Veranstalter stellen. Aber es wird sich natürlich auch jeder die Frage stellen müssen, ob wir es zulassen dürfen, daß radikale, extreme und gewalttätige Gegner unserer freiheitlichen Ordnung auf diese Weise von innen heraus die Wahrnehmung eines an sich demokratisch legitimierten Demonstrationsrechts aushöhlen und unmöglich machen.
({10})
Da werden wir eine gemeinsame Antwort zu finden haben.
Mir geht es aber darum, sehr deutlich zu machen, daß wir in der Diskussion, die wir in dieser Zeit führen, auf der einen Seite nicht den Eindruck erwekken wollen, daß diese Bundesrepublik Deutschland ein Land ist, das unkritisch das hinnimmt, was andere Verbündete sagen - ich sage das nicht im Hinblick auf einen speziellen Verbündeten -, daß wir auf der anderen Seite aber auch nicht den Eindruck erwecken wollen, wie es in Äußerungen der letzten Zeit geschehen ist, als müßten wir dererlei Auffassungen anderer unkritisch hinnehmen.
Ich habe in der letzten Zeit manchmal den Eindruck gehabt, daß in der Diskussion über die Auffassungen der Amerikaner, auch ihrer neuen Admini2936
stration, durch Verkürzungen, durch gern wahrgenommene Mißverständnisse,
({11})
auch durch wollüstiges Aufbereiten von Erklärungen, die nicht meine Zustimmung finden konnten, der Eindruck erweckt wurde, als gebe es tiefe Diskrepanzen zwischen den Vereinigten Staaten und uns. Der amerikanische Außenminister selbst ist ja Gegenstand solcher Kritik geworden, und zwar wegen einer Erklärung - das war eines der Motive, die in Berlin für die Demonstration angegeben wurden -, die er bei seiner Anhörung vor dem Senatsausschuß abgegeben hat.
Meine Damen und Herren, es geht in der Tat um die Frage, was die Ziele unserer Außen- und Sicherheitspolitik sind und was die Staatsräson dieses Landes ist. Da habe ich keinen Zweifel daran, daß in diesem Lande Übereinstimmung darüber hergestellt werden kann, daß es unser gemeinsames Ziel sein muß, Frieden und Freiheit zu sichern, Frieden und Freiheit!
In der von mir eben erwähnten Anhörung vor einem Senatsausschuß hat der amerikanische Außenminister eine Feststellung getroffen, die gerade in Deutschland nicht überhört werden darf. Er hat gesagt: In diesem Jahrhundert allein kämpften und starben Amerikaner im Zweiten Weltkrieg, um eine Diktatur zu verhindern und zu verhüten, daß der Völkermord zum Gesetz des Handelns wird. Meine Damen und Herren, um es anders auszudrücken: Als Hitler die Völker Europas überfiel, war der Frieden der Vereinigten Staaten gewiß nicht bedroht; bedroht aber waren Freiheit und Menschenwürde hier in Europa, und dafür sind Amerikaner im Zweiten Weltkrieg eingetreten. Das hat er sagen wollen, als er meinte, daß es außer Frieden auch noch andere Werte gibt, die wir gemeinsam vertreten wollen.
({12})
Es geht um Frieden und Freiheit, um Frieden in Freiheit, meine Damen und Herren!
Als nach der Rede des amerikanischen Außenministers in Berlin Fragen gestellt wurden, wandte sich ein deutscher Journalist an den Außenminister - ich kann jetzt nur aus der Erinnerung zitieren - und fragte, ob der Führung der Vereinigten Staaten nicht verständlich sei, daß die Deutschen nach zwei Weltkriegen, nach den Schrecken zweier Weltkriege, sich in besonderer Weise für den Frieden verantwortlich fühlten. Darauf hat der amerikanische Außenminister geantwortet, er sei wie die Deutschen für den Frieden, aber er möchte doch daran erinnern dürfen, daß unter dem Holocaust des Zweiten Weltkrieges auch andere Völker zu leiden hatten. Er wollte damit wohl sagen, daß sich die amerikanische Nation dem Frieden wie wir verpflichtet fühlt.
Es wäre falsch, Herr Kollege Dr. Kohl, wenn wir bei der Würdigung des Besuchs in Berlin nur von der
Demonstration, die es dort gab, sprächen. Zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister habe ich den amerikanischen Außenminister bei einer etwa 30 km langen Fahrt durch die Stadt begleitet, bei einer Fahrt nicht durch - wie gesagt wurde - geisterhaft leere Straßen. Es waren nicht überfüllte Straßen, weil die Fahrtroute nicht bekanntgegeben worden war,
({13})
und dennoch waren Tausende und Abertausende von Berlinern entlang dieser 30 km langen Fahrtroute versammelt.
({14})
Diese Tausenden von Berlinern haben - das muß hier auch festgestellt werden - durch die Art, wie sie den amerikanischen Außenminister freundschaftlich und herzlich begrüßt haben, gezeigt, was Berlin und die Berliner für unsere amerikanischen Verbündeten empfinden.
Wenn Sie hier leichtfertig im Zusammenhang mit den gewalttätigen Demonstrationen, mit diesen Demonstrationen in Berlin ununterbrochen Freie Demokraten und Sozialdemokraten erwähnen, dann möchte ich Ihnen sagen: Unter diesen Tausenden von Berlinern standen die Mitglieder und Anhänger unserer Partei genauso wie die der Ihren. Das wollen wir doch nicht unter den Tisch fallen lassen.
({15}) Meine sehr geehrten Damen und Herren,
({16})
machen wir bitte nicht unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, machen wir bitte nicht unsere Position im Bündnis zu Gegenständen einer innenpolitischen Auseinandersetzung, bei der der Eindruck entstehen könnte, die einen seien dafür und die anderen ganz oder teilweise dagegen!
({17})
Die Substanz ist zu wichtig, und diese Substanz dürfen wir auf gar keinen Fall in Zweifel ziehen lassen.
Dann bleibt immer noch die Notwendigkeit offen, einer Grundstimmung entgegenzuwirken, die natürlich in bestimmten Teilen unserer Bevölkerung vorhanden ist, die Zweifel setzen in die Notwendigkeit unserer Verteidigungsanstrengungen, die Zweifel setzen in die Notwendigkeit des Bündnisses, die Zweifel setzen in die Richtigkeit der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Und hier sind nun allerdings klare Positionen erforderlich. Da werfen Sie bitte der Bundesregierung nicht vor, daß sie es an der gebotenen Klarheit in der Sache unserer Politik, in den Zielen unserer Politik und in der Darlegung unserer Politik habe fehlen lassen. Ich habe hier in der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages keinen Zweifel daran gelassen, daß, wenn Angehörige meiner Partei sich an solchen Veranstaltungen beteiligen, ich das genauso verurteile, als wenn es Leute aus anderen politischen Lagern sind. Da
kann es doch gar keinen Zweifel geben, meine Damen und Herren.
Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Freie Demokratische Partei und daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien zum Bündnis, zu den Vereinigten Staaten stehen. Und bitte, bei aller Kritik, tun Sie nichts, das auch nur durch Zitierung in den Vereinigten Staaten den Eindruck erwecken könnte, es sei anders in diesem Lande! Das würde unseren gemeinsamen Interessen schwer schaden können.
({18})
Herr Kollege Dr. Kohl hat im Anschluß an die Ausführungen zum deutsch-amerikanischen Verhältnis auch auf einige außenpolitische Fragen in der Sache Bezug genommen, und er hat in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen einmal unsere Haltung zur Neutronenwaffe und zum anderen die Haltung zur sogenannten Null-Option gestellt. Ich denke, daß auch hier die Positionen sehr klar sein müssen. Ausgangspunkte der Aufforderung des Bundeskanzlers an die Staaten des westlichen Bündnisses, sich der Gefahren bewußt zu werden, die sich aus der sowjetischen Vorrüstung mit SS-20-Raketen ergeben, war eben der Beginn dieser Vorrüstung mit SS-20-Raketen.
({19})
Und das westliche Bündnis hat lange Zeit, als erste die Bundesregierung, später andere, die Sowjetunion immer wieder aufgefordert, diese Raketenrüstung nicht fortzusetzen, sie zu beenden und die stationierten Raketen zu beseitigen, weil wir anderenfalls genötigt wären, durch Nachrüstung im Interesse des Gleichgewichts und damit der Sicherheit in Europa zu reagieren. Das Ergebnis war der Doppelbeschluß vom Dezember 1979, der unsere Entschlossenheit zur Nachrüstung zum Ausdruck bringt und diese Nachrüstung in Gang setzt und der parallel dazu das Angebot an die Sowjetunion eröffnet, über Mittelstreckenraketen zu verhandeln. In dem Beschluß heißt es - das ist keine Feststellung des Bundeskanzlers, auch nicht der Bundesregierung, auch nicht einer Regierungspartei -, daß der westliche Nachrüstungsbedarf überprüft werden kann
({20})
- jawohl - an Hand konkreter Verhandlungsergebnisse. Muß es nicht unser Ziel sein - Herr Dr. Kohl, so ideal es sein mag, wie sich der amerikanische Außenminister ausgedrückt hat; er hätte auch sagen können: so illusionär es sein mag -, muß es nicht in erster Linie unser Ziel sein, zu erreichen, daß die Sowjetunion
({21})
ihre schon stationierten Raketen beseitigt und verschrottet, um damit eine beiderseitige Null-Option - nichts anderes war gemeint - möglich zu machen?
({22})
Meine Damen und Herren, wer dieses optimale Verhandlungsziel von vornherein außer acht läßt und aufgibt, wird, wie ich fürchte, eine reale Reduzierung auf der östlichen Seite nicht erreichen können.
({23})
„Reduzierung auf der östlichen Seite" kann nicht bedeuten: Verzicht im Westen, sondern bedeutet ganz klar: Überprüfung unseres Nachrüstungsbedarfs. Wenn der Ausgangspunkt der westlichen Nachrüstung tatsächlich die sowjetische Vorrüstung ist, muß es doch unsere auch politische Aufgabe sein, und zwar nicht nur für Verhandlungen, sondern auch für die öffentliche Diskussion, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es ein Land in der Welt gibt, das den gesamten Komplex der Mittelstreckenvor- und -nachrüstung überflüssig machen kann, und das ist die Sowjetunion, indem sie ihre Vorrüstung beseitigt. Das ist das, was mit Null-Option, und zwar der beiderseitigen, gemeint ist.
Machen wir also nicht eine politische Zielvorstellung, über deren Erreichbarkeit es wenig Meinungsunterschiede geben wird, die aber notwendig ist, um das Ziel unserer Bemühungen deutlich zu machen, machen wir nicht eine solche politische Forderung zum Gegenstand einer Auseinandersetzung!
Ich frage mich, ob die harte Würdigung, die Sie der Forderung nach der Null-Option hier haben angedeihen lassen auch dann von Ihnen so formuliert worden wäre, wenn Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, sich in dem Zeitpunkt, als Sie es sagten, der Tatsache bewußt gewesen wären, daß bekanntlich auch der amerikanische Außenminister das durchaus als eine ideale Möglichkeit betrachtet hat.
({24})
- Lesen Sie doch einmal nach, was er vor der Bonner Presse dazu gesagt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verwischen wir bitte die Diskussion nicht. Es ist und bleibt so, daß der Schlüssel für den Bedarf an Nachrüstung, daß die Antwort auf die Frage, ob überhaupt nachgerüstet werden muß oder nicht, daß das Entscheidungszentrum dafür nicht in Bonn liegt. Es liegt auch nicht in Washington, es liegt allein in Moskau. Das deutlich zu machen ist durch nichts klarer und eindeutiger möglich, als die ideale Zielvorstellung aufzuzeigen. Darüber kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Es müßte doch eigentlich jedem von uns das erstrebenswerteste Verhandlungsergebnis sein, daß die Vorrüstung beseitigt und damit die Nachrüstung überflüssig gemacht wird.
({25})
Diesem Abrüstungsziel, meine Damen und Herren, fühlen wir uns nun allerdings verpflichtet. Da möchten wir die Sowjetunion nicht aus ihrer Verantwortung dafür entlassen, ob dieses Ziel erreicht werden kann.
Deshalb bitte ich, mit dem Begriff der beiderseitigen Null-Option, dem beiderseitigen Verzicht auf
Mittelstreckenwaffen, sorgsamer umzugehen und nicht zu versuchen, hieraus einen Prügel in der innenpolitischen Auseinandersetzung zur Frage „Verläßlichkeit im Bündnis - ja oder nein" zu machen.
({26})
Ich will auch ein Wort sagen zur Frage der Neutronenwaffe, die durch die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten in die Öffentlichkeit gedrungen ist und begreiflicherweise auch in unserem Land Diskussionen und Fragestellungen ausgelöst hat. Sie haben, Herr Kollege Dr. Kohl, zu Recht auf eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers aus dem Jahre 1978 verwiesen, die in ihren Grundbestandteilen das wiedergibt, was damals die Bundesregierung beschlossen hat, nämlich daß sie nach einem Zweijahreszeitraum von Verhandlungen, wenn diese nicht zu Ergebnissen geführt hätten, bereit gewesen wäre, diese Waffe angesichts der sowjetischen Panzerüberlegenheit zu stationieren. Es ist damals zu diesen Verhandlungen nicht gekommen, weil der amerikanische Präsident die Produktionsentscheidung zurückgestellt hat und damit auch die Position für die Verhandlungen nicht vorhanden war.
Es bleibt - und nichts anderes ist von der Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten dazu gesagt worden - bei der Beurteilung dieser Frage bei dem, was schon 1978 vorgesehen war:
Erstens. Die Entscheidung über die Produktion ist eine alleinige Angelegenheit der Vereinigten Staaten von Amerika.
Zweitens. Die Einführung dieser Waffe in das Bündnis, falls die Amerikaner das wünschen, kann nur vom Bündnis in seiner Gesamtheit entschieden werden.
Drittens. Es bedarf außerdem einer ausdrücklichen Zustimmung derjenigen Staaten, in denen eine Stationierung vorgesehen ist, in einem solchen Fall.
({27})
Das heißt, Herr Kollege Dr. Dregger, daß die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland in zwei Phasen dieses dreischrittigen Entscheidungsprozesses voll beteiligt ist. Ich erwähne das deshalb, weil ich auf gar keinen Fall den Eindruck entstehen lassen möchte - auch das habe ich in der Diskussion der letzten Wochen beklagt -, als sei da jemand in Washington, der über unseren Kopf hinweg etwas entscheiden will, wo wir nicht einmal gefragt werden.
({28})
Es wird niemanden geben, der die Alternative einer Stationierung solcher Waffen in Deutschland als eine begrüßenswerte Sache betrachtet, genauso wie ja wohl auch niemand es sozusagen als Idealfall einer Sicherheitslage betrachtet, daß dieses Land heute schon dasjenige ist, in dem eine ganz enorme Ansammlung von atomaren Waffen vorhanden ist. Das war ein ganz schmerzlicher Entscheidungsprozeß, auch in diesem Hause. Diejenigen, die sich noch an die 50er Jahre erinnern, werden wissen, daß auch damals eine große Bewegung der Unruhe durch unser Land ging. Deshalb tun Sie doch nicht so, als ob das ein Ergebnis der Tatsache sei, daß diese Regierung hier sitzt und nicht eine andere! Als Sie damals mit uns regiert haben - zum Teil waren wir in dieser Zeit auch in der Oppostion -, hat es das auch gegeben. Da hat es auch in Ihrer Partei, Herr Kollege Dr. Kohl, Stimmen gegeben, die durchaus beachtliche Argumente gegen diese Entscheidung vorgebracht haben. Nehmen wir doch bitte nicht allen, die gegen Fragen der atomaren Bewaffnung kritisch auftreten, ihre moralische Legitimation!
({29})
- Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, damals - ({30})
- Herr Kollege Dr. Kohl, die Tatsache, daß es damals
({31})
und, wie Sie sagen, auch heute Angehörige Ihrer Partei gibt, die zu Entscheidungen wie denen über Mittelstreckenraketen und über die Neutronenwaffe auch kritisch Stellung nehmen, ist doch für eine demokratische Partei ganz selbstverständlich. Aber das ist eben nicht nur für die Christlich Demokratische Union selbstverständlich, sondern es ist auch für die Sozialdemokratische Partei und genauso für die Freie Demokratische Partei selbstverständlich. Nehmen wir uns doch nicht selbst die Reputation, wenn in unseren Parteien so schwerwiegende Fragen kritisch diskutiert werden. Über die Ziele, die wir verfolgen, sind wir einig: Das sind Frieden und Freiheit. Wenn Sie die Politik der Regierung beurteilen wollen, die wir mittragen - und damit auch die Freie Demokratische Partei beurteilen wollen -, dann messen Sie sie an der Politik, die sie macht, und nicht an denen, die diese Politik kritisieren, mögen sie auch aus den eigenen Reihen kommen.
({32})
Es ist richtig, daß Sie das Thema der Demonstrationen und der Begleitumstände bei dem Besuch des amerikanischen Außenministers in Berlin in die Debatte eingeführt haben. Nur, Herr Kollege Dr. Kohl, ein Parlament muß ja auch das reflektieren, was dort geschehen ist. Wir sollten uns allerdings wirklich davor hüten, daß eine Politik ins Zwielicht geraten kann, die demokratisch verantwortet wird und auch in Wahlen durch die Zustimmung von Millionen von Wählern der Freien Demokraten und der Sozialdemokraten demokratisch bestätigt worden ist. Dann bleibt noch immer über manches zu diskutieren, was in den letzten Wochen, Monaten und auch Jahren gesagt worden ist und wo ich auch meine Fragezeichen mache.
Aber eines darf nicht beschädigt werden, was dieses Land auszeichnet, nämlich daß die demokratischen Parteien einen Grundkonsens hinsichtlich der Position unseres Landes in der Europäischen Gemeinschaft und im westlichen Bündnis haben; denn das ist die Voraussetzung aller Arbeit, die wir im übrigen zu leisten haben. Deshalb war es wichtig, daß hier noch einmal die Ziele dieser Regierung dargelegt werden, die darin bestehen, Freiheit und Sicherheit unseres Landes durch unsere Mitgliedschaft im westlichen Bündnis zu wahren, Freiheit und Sicherheit unseres Landes durch unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft, die wir ausbauen und stärken wollen, zu sichern und in einem geteilten Land im geteilten Europa auch dafür zu sorgen, daß aus dem Ost-West-Verhältnis nicht Gefahren entstehen, die am Ende zu Zuspitzungen führen, unter denen wir nun in der Tat am meisten zu leiden hätten.
Ich frage mich, ob die Opposition - auch das wäre vielleicht ein Thema für diese Debatte - das unterstützen will, was wir gemeinsam mit unseren Verbündeten an Zusammenarbeit mit dem Osten, an geduldigem Bemühen um Entspannung, an geduldigem Bemühen um Rüstungskontrolle und Abrüstung verwirklichen wollen. Wenn ja, sagen Sie uns das bitte; wenn nein, sagen Sie uns bitte, wo nicht. Darüber können wir uns verständigen.
Ich habe heute morgen die Freude gehabt zu hören, daß in den Reden der beiden bisherigen Vertreter der Christlich Demokratischen Union wiederholt ein Brief zitiert worden ist, den ich an die Mitglieder meiner Partei gerichtet hatte. Er wird durch Ihre dankenswerte Erwähnung nun eine noch größere Bedeutung und Verbreitung erlangen. In der Tat, ich würdige es, daß Sie sich da mit vielem einverstanden erklären.
Ich glaube indessen, daß die Rede, die der Bundesminister der Finanzen gestern hier gehalten hat, eine gleiche Würdigung verdient hätte.
({33})
Meine Damen und Herren, in dieser Rede kann ich mich wiederfinden; ich muß Ihnen das sagen.
({34})
Sie sollten, wenn Sie meinen Brief so gut finden, Herr Kollege Kohl, einmal nachdenken, ob auch Sie sich in dieser Rede vielleicht wiederfinden können. Dann würde es sich für Sie lohnen, diese Rede und die Ziele, die damit verkündet werden, etwas positiver zu beurteilen. - Herr Kollege Häfele nickt. Ich habe in Ihrer Rede, die begreiflicherweise nicht an allen Stellen meine Zustimmung gefunden hat, Herr Kollege Häfele, doch immerhin Ansatzpunkte für viele Fragen gefunden, über die man spechen kann. - Herr Kollege Dr. Kohl, um zu lernen, daß es gar nicht so leicht ist, sich über wiederstreitende Auffassungen zu verständigen, muß man ja nicht in einer
Koalition sein. Sie haben das doch gerade in Ihrer Fraktion erfahren; das gibt's dort auch.
({35})
Ich finde das auch gar nicht nachteilig. Dann haben Sie noch eine Draufgabe von Ihren Ministerpräsidenten bekommen. Auch das kann nur zur Veredelung des Produkts beitragen, über das wir nun gemeinsam zu reden haben.
({36})
Meine Damen und Herren, hier ist in Tat eine wichtige Frage aufgeworfen, nämlich die des Verhältnisses von Regierungsmehrheit und Opposition.
Was die Rede des Bundesfinanzministers angeht, so wird mancher unter Ihnen sein, der glücklich wäre, wenn er in seinem politischen Leben einmal eine so gute Beurteilung in der Presse bekäme - da kann man hier heute die ganze deutsche Presse anführen - wie der Finanzminister für seine Rede. Diese Rede war ein Angebot der Bundesregierung zur sachlichen Diskussion über Schicksalsfragen in unserem Lande. Diese Rede war der Ausdruck des Willens, sich auf Veränderungen in der weltwirtschaftlichen Lage einzustellen. Es wäre falsch - Sie würden zu kurz springen -, wenn Sie als Ursache für die Probleme, mit denen wir im Augenblick zu ringen haben, nur wirkliche oder vermeintliche Fehler der Regierungskoalition ansähen.
Meine Damen und Herren, am Ende des Zweiten Weltkriegs - Sie haben heute Ludwig Erhard zitiert - ist in diesem Lande unter einer großen Anstrengung eine wirtschaftliche Entwicklung eingeleitet worden, die uns einen einzigartigen Wohlstand beschert hat. Das gilt, Herr Kollege, der Sie zustimmend nicken, auch heute noch; das hat nicht aufgehört, als Sie aus der Regierung austraten. Diese Entwicklung war durch die Tatsache gekennzeichnet, daß man sich zunächst entschlossen hat, das zu tun, was man braucht, um Arbeitsplätze zu schaffen, um Wohlstand zu schaffen, nämlich Investitionen, wie Sie es ja heute zitiert haben, und nochmals Investitionen, und Rahmenbedingungen für die private Initiative zu schaffen. Ich denke, daß sich damals alle dessen bewußt gewesen sind, daß diese Politik der, aus ökonomischen Gründen verlangten, Betonung der Privatinitiative, die auch mit Unternehmergewinnen gepaart ist - Gewinnverteufelung bedeutet in ihrem Ergebnis auch Arbeitsplatzverteufelung - in einem bestimmten Zeitpunkt
({37})
- nein, warten Sie erst einmal ab -, wenn sie ihre ersten Stufen erreicht hat, Schritt für Schritt auch der sozialen Ausfüllung bedarf.
({38})
Meine Damen und Herren, da ist in dem letzten Jahrzehnt eine große Anzahl wichtiger sozialpolitischer Entscheidungen getroffen worden, die Teil dieser sozialen Ausfüllung waren. Und wenn Sie das alles kritisieren, dann muß ich Sie fragen, warum Sie eigentlich noch bis in den letzten Bundestagswahlkampf hinein sich gerühmt haben, keines dieser Ge2940
setze verhindert, sondern alle mit uns gemeinsam beschlossen zu haben.
({39})
Auch wenn man das gemeinsam beschlossen hat - und hier wird die Verantwortung immer bei den Regierungsparteien größer sein -, muß man sich trotzdem die Fähigkeit bewahren, dann, wenn die weltwirtschaftlichen Bedingungen sich verändert haben, dies zu erkennen, und sein Land auf diesen Wandel einzustellen.
({40}) Das ist die Wende, von der ich gesprochen habe.
Ich habe von den Ursachen dafür heute, Herr Kollege Dr. Dregger, nicht sehr viel gehört. Es wäre ein Irrtum, und wir würden unserem Volk Sand in die Augen streuen, wenn wir so täten, als ginge es hier um eine vorübergehende Problematik, ja als könnten wir mit massiven Eingriffen in unsere Haushalte, auch in die Leistungsgesetze, die Probleme schon als gelöst betrachten.
Nichts mindert die deutsche Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn wir hinzufügen, daß der Wohlstand in den Industriestaaten des Nordens auch dadurch möglich geworden ist, daß damals die Länder, die wir heute Entwicklungsländer nennen, aus dem kolonialen Status heraus am Weltmarkt für Energie und Rohstoffe nicht die Preise verwirklichen konnten, die die Entwicklungsländer heute durchsetzen können. Die Verteuerung unserer Energie macht uns bewußter, als es uns in der Vergangenheit war, daß wir ein energiearmes Land und auch ein rohstoffarmes Land sind.
({41})
Ich möchte auch unserer Öffentlichkeit sagen: Wir müssen uns bewußt sein: Es gibt zwei große Länder, die sich nicht in dieser Lage befinden - das sind die Vereinigten Staaten von Amerika, das ist die Sowjetunion -, die im Moment dabei sind, ihre eigenen Rohstoff- und Energiereserven zu mobilisieren. Das bedeutet für uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine zusätzliche Herausforderung.
Wenn wir über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sprechen, würden wir verkürzen, wenn wir nur das Phänomen und die große Herausforderung der japanischen Konkurrenz erwähnten. Wir meinen es doch ernst, wenn wir sagen, daß wir die Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft einbeziehen wollen, und zwar gleichberechtigt. Das bedeutet auch, daß ihre Wirtschaften integriert werden, daß sie zunehmend auf dem eigenen Markt und auf dritten Märkten auch Konkurrenten für uns sein werden. Heute schon sind Länder wie Brasilien und Korea eine fast genauso zu beachtende Konkurrenz wie Japan.
Auf diese Entwicklung müssen wir uns einstellen. Da werden wir nicht damit davonkommen, daß wir sagen: Also da hat die Regierung etwas falsch gemacht; das muß man ändern. Nein. Da müssen wir uns auch bewußt sein, was sich bei uns strukturell verändern muß. Da ist - Sie haben es dankenswerterweise durch die Zitierung meines Briefs unterstrichen - eine Menge gesagt worden über die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und für eine Förderung der investiven Ausgaben.
Aber nicht nur eine Struktur in unserer Wirtschaft, nicht nur die technische Struktur muß geändert werden. Hier wird auch ein Thema aufzugreifen sein, das uns in den Ländern insgesamt angeht, nämlich im Bereich der Bildungspolitik. Werden wir die Herausforderungen durch die Zukunft bestehen können, wenn wir einen großen Überschuß an Lehrern, die keine Lehrerarbeitsplätze finden können, und einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Ingenieuren haben? Hier ist eine Herausforderung für unsere Bildungspolitik.
({42})
- Ich bin ja nicht glücklich damit. Sie wissen es: Mir wäre es lieber, der Bund hätte die Verantwortung für die Bildungspolitik. Dann könnten Sie mir auch das noch zuweisen. Aber im Bereich der Bildungspolitik gibt es eine Verantwortung der Länder. Dort haben wir alle gemeinsam Verantwortung zu tragen. Da weise ich doch gar keine Schuld zu.
Aber ich denke, wenn wir über die, Zukunftschancen unseres Landes sprechen, dann müssen wir auch die Frage beantworten, wie wir neben technischen Innovationen auch die heranwachsende Jugend befähigen können, daß sie durch die Teilnahme an intelligenten Entwicklungen und Produkten die Konkurrenzfähigkeit unseres Landes am Weltmarkt für die kommenden Jahrzehnte sicherstellen kann. Da kommen Sie nicht weg, wenn Sie nur auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen in Bund, Ländern und Gemeinden verweisen.
Wenn wir über die Grundprobleme unserer Gesellschaft reden - da stehen wir wieder vor einer gemeinsamen Herausforderung -, dann möchte ich auf ein Thema eingehen, das heute noch nicht angeklungen, aber in Ihren Veröffentlichungen genannt ist: das ist die Ausländer- oder, wie man auch sagt, Asylantenproblematik. In der Drucksache, die Sie an die Presse verteilt haben, haben Sie auf die Kosten des Mißbrauchs, wie es dort heißt, des Asylrechts hingewiesen. Sie haben 1 Milliarde DM genannt. In manchen Presseorganen ist der Eindruck entstanden, man könne da 1 Milliarde sparen. Das werden Sie - ({43})
- Ich sage doch gerade, daß in einigen Presseorganen der Eindruck entstanden ist. Dem werden Sie ja selber hier nicht das Wort reden wollen.
Ich möchte aber auch davor warnen, so zu tun, als ob die Ausländerproblematik, die uns allen große Sorgen bereiten muß, etwas sei, was sich allein aus dem Mißbrauch des Asylrechts ergebe. Wir haben eine laufende Vermehrung der Ausländerbevölkerung in unserem Lande. Ein wesentlicher Teil dieser Vermehrung ergibt sich aus der Tatsache, daß die Ausländer, die bei uns arbeiten und die wir ja wohl hereingeholt haben - soweit sie nicht die FreizügigBundesminister Genscher
keit in der Europäischen Gemeinschaft genießen, ich meine vor allem die Türken -, das Recht des Familienzuzugs für Ehegatten und Kinder haben. Das schafft zusätzliche Belastungen in unserem Lande. Wir werden uns fragen müssen, ob wir diese Belastungen weiterhin tragen wollen. Nur: ich kann darüber nicht leichtfertig reden. Denn der Schutz der Familie gilt j a für alle, die bei uns leben. Hier tragen wir an einer Verantwortung, die wir in den Zeiten der Hochkonjunktur in den 60er Jahren auf uns genommen haben, als wir damals - ich nehme meine Partei nicht aus -, ohne die langfristigen Folgewirkungen zu beachten, Hunderttausende und Aberhunderttausende und dann Millionen von Ausländern in unser Land geholt haben.
Ein weiterer Grund für die Zunahme der Ausländerbevölkerung in unserem Lande liegt in der Geburtenrate der Ausländer bei uns. Auch das muß man mit dazu sagen.
Dann bleibt etwas übrig, was uns alle belastet, nämlich der Mißbrauch des Asylrechts. So wollen wir gemeinsam Vorsorge treffen. Wenn Sie vergleichen, wie sich die Zahl der Asylsuchenden entwikkelt hat, ist ja wohl ganz unbestreitbar, daß eine Reihe von Maßnahmen, die die Bundesregierung eingeleitet hat - bis hin zur Einführung eines Visums für bestimmte Länder -, schon eine beachtliche Wirkung gezeigt hat. Wir sind dafür offen, mit Ihnen über diese Fragen ganz rational zu diskutieren. Nur eines darf in unserem Lande auf gar keinen Fall eintreten: daß das Wort „Asylant" zu einem Schimpfwort werden kann.
({44})
Da sollten wir alle mit großer Verantwortung ans Werk gehen.
Wir werden bei der Behandlung dieses Bundeshaushalts - der Kollege Hoppe hat mit Recht darauf hingewiesen, wir haben es mit einer Langzeitaufgabe zu tun - noch sehr viel aufeinander zugehen müssen und miteinander reden müssen. Ich möchte mir wünschen, daß der Ton der Aussprache dem Sachverhalt angemessen ist, daß hier im Deutschen Bundestag Freie Demokraten und Sozialdemokraten und im Bundesrat Regierungen, die von CDU oder CSU geführt werden, die Mehrheit haben. So haben Sie eine staatspolitische Verantwortung; aber Sie haben durch Ihre Mehrheit im Bundesrat auch eine Gesetzgebungsverantwortung - ebenso wie wir hier.
Deshalb sollten wir den Versuch unternehmen, in dieser für unser Land nicht einfachen Lage, in einer Lage, in der es darum geht, den Weg dafür freizumachen, daß wir die Probleme beseitigen, die Menschen, vor allem junge Menschen beunruhigen, wenn sie keine Chance, keine berufliche Chance für sich sehen, die Diskussion über die Probleme in großer Sachlichkeit zu führen. Da wir wissen, daß wir diese Probleme nur lösen können, wenn wir auch unsere Freiheit nach außen bewahren, sollten wir auch in dieser Hinsicht versuchen, durch sachliche Diskussion einen gemeinsamen Weg zu finden. Es hat der Demokratie noch nie geholfen, wenn man sich gegenseitig die Verläßlichkeit abspricht. Es hilft der
Demokratie aber immer, wenn man in Sachlichkeit miteinander streitet und nach gemeinsamen Wegen sucht. - Ich danke Ihnen.
({45})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach einer Vereinbarung der Fraktionen im Ältestenrat ist eine Mittagspause vorgesehen. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
({1})
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort in der Aussprache hat der Herr Ministerpräsident des Landes Bayern, Herr Dr. Strauß.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Heute stehen sicherlich, wie auch der Vormittag ergeben hat, der Haushalt 1982, die mehrjährige Finanzplanung, das Haushaltsstrukturgesetz und alle anderen Probleme der Gegenwart und der Zukunft zur Diskussion, darunter auch ein Teilausschnitt, zu dem ich mich in einem Teil meiner Rede äußern werde, nämlich die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Es hieße aber, die Bedeutung dieser Debatte unterzubewerten oder ihren Akzent falsch zu setzen, wenn man nicht auch einen Blick zurück und einen Blick nach vorne, nämlich auch eine Art Bilanz der letzten zwölf Jahre Regierungspolitik, in diese Debatte einbeziehen würde.
({1})
Es gibt keinen Zweifel, daß im Laufe dieser Zeit eine grundlegende Wende zum Schlechteren in den grundlegenden Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft und unserer sozialen Sicherheit eingetreten ist. Diese Verschlechterung hat begonnen, nunmehr auch auf die persönlichen Lebensverhältnisse des arbeitenden Volkes, des kleinen Mannes auf der Straße, auf den man sich immer bei der Beschwörung der eigenen Politik zu berufen pflegt, durchzuschlagen.
Ich habe mit etwas Erstaunen vor einigen Tagen eine in Dänemark verkündete Erkenntnis des Bundeskanzlers vernommen, indem er davon sprach, daß die Verminderung der Realeinkommen die Lösung sei.
({2})
- Ich entnehme der „Welt"
({3})
vom 5. September, Meldung der ddp - „aha" -:
({4})
Als richtiges Rezept zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation hat Bundeskanzler Schmidt Einschränkungen bei den Reallöhnen bezeichnet. Die früheren Steigerungsraten sind einstweilen nicht drin.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({5})
Wenn er an der Regierung bleibt, werden Sie auch in der Zukunft nicht mehr „drin" sein.
({6})
Und dann kommt eine Reihe von weiteren sehr markanten Erkenntnissen und Äußerungen. Ich glaube, die Fantasie Balzacs würde kaum ausreichen, sich vorzustellen, welchen Schmähungen und Verteufelungen ein Redner der Union - er muß gar nicht unbedingt Strauß geheißen haben - ausgesetzt gewesen wäre, wenn er vor Jahren, als diese Wende sich abzuzeichnen begann, der gleichen Einsicht - hier oder anderswo - in der Öffentlichkeit Ausdruck gegeben hätte.
({7})
- Das ist natürlich richtig: Lieber mit Plato irren. Aber: Bundeskanzler Schmidt ist nicht Plato; das ist ein großer Unterschied.
({8})
Er ist nur gelegentlich Homer, der auch blind war.
({9})
Dabei hatte es doch damals so schön begonnen: Aufzeichnung eines düsteren Hintergrundes der Jahre 1949 bis 1969; Verächtlichmachung der Politik dieser zwei Jahrzehnte, ihrer Aufbauleistung, ihrer Ergebnisse; das ganze mit der sozialistischen Grundmelodie, daß der Ertrag dieser Periode zuwenig dem kleinen Mann zugute gekommen sei.
Nun, damit war eine Menge von Verheißungen verbunden: Wir fangen mit unserer Demokratie erst richtig an; Beseitigung des privaten Reichtums und Beseitigung der öffentlichen Armut. - Mir scheint, daß das erste Ziel unvollkommen und falsch gelungen ist, das zweite überhaupt nicht.
Die dritte Verheißung: weniger in den Export, dafür mehr in die Inlandsnachfrage. Das sollte zur Befriedigung des angeblich zu kurz gekommenen Konsums im Binnenmarkt dienen.
Dann sprach man von Vollbeschäftigungsgarantie
- bei leergefegtem Arbeitsmarkt. Es wäre besser, man würde heute die Vollbeschäftigungsgarantie geben
({10})
statt damals, wo man Eulen nach Athen getragen hat.
Weiter sprach man natürlich von dem Ausbau des Netzes der sozialen Sicherung. Es hieß: Erst jetzt beginnt die Verwirklichung des Sozial- und Bildungsstaates.
Damals wurde ein neues Zeitalter an die Wand projiziert. Damit wurde das attraktive Werbewort „Modell Deutschland" verbunden. Zwölf Jahre später wurde - durch Graf Lambsdorff schon im Sommer und gestern auch durch Herrn Matthöfer - das „Modell Japan" empfohlen.
({11})
Das „Modell Schweden" haben Sie in der Zwischenzeit anscheinend ganz vergessen.
({12})
Den Magiern und Propheten - um nicht zu sagen: Gauklern - des „neuen Zeitalters" - natürlich in Anführungszeichen - ist es gelungen, die Grundtatsachen und Grundeinsichten des volkswirtschaftlichen Wohlstands, der sozialen Sicherheit, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, der Voraussetzungen für den zukünftigen Fortschritt so zu verfälschen und zu verwirren, daß nunmehr unsere Zukunft nicht nur in einer, sondern in vielerlei Hinsicht gefährdet ist. Wie sagte François Mauriac: Der Bau von Luftschlössern kostet nichts, aber ihre Zerstörung ist sehr teuer.
({13})
Man könnte auch sagen, daß der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist.
({14})
Ein paar solcher Pflastersteine sind auch gestern wieder gelegt worden, aber die Richtung ist die gleiche geblieben.
Uns bewegen nicht allein die Tatbestände der wirtschaftlichen und sozialen Verschlechterung, sondern vor allen Dingen die Zerstörung der Einsichten in gewisse Grundtatsachen und Grundzusammenhänge in weiten Schichten unserer Bevölkerung, besonders in großen Teilen der Jugend, durch falsche Heilslehren, durch haltlose Verheißungen oder wie immer man es nennen mag. Es ist deshalb an der Zeit, einige Tatbestände und Zusammenhänge herauszustellen:
Erstens. Unser Wohlstand, unsere hohen Lebensansprüche, unser System der sozialen Sicherheit hängen von der Leistungsfähigkeit und der Ertragskraft unserer Wirtschaft ab.
Zweitens. Leistungseinkommen sind wichtiger als Übertragungseinkommen.
({15})
Der Sozialstaat lebt von der Leistungskraft und dem Leistungswillen der Bürger und nicht von der Umverteilungsmasse und der Umverteilungsphantasie der Funktionäre und Bürokraten.
({16})
- Herr Wehner, Sie haben Ihren Sachverstand auf diesem Gebiet auch heute bei der Garderobe abgegeben.
({17})
Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie mich nicht störten.
({18})
- Wenn Sie Ludwig Erhard zu Ihren Freunden rechnen, wäre das eine Ihrer weiteren Stationen auf dem Weg zwischen zwei Welten, zwischen Marx und Murks oder zwischen Marx und Kapital.
({19})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({20})
Drittens. Die Sachplanung und die Finanzplanung müssen wieder deckungsgleich werden. Es geht nicht an, daß man gesellschaftspolitische Programme anfinanziert mit der Vorstellung, nach einigen Jahren werde der liebe Gott oder eine Ersatzfigur für ihn dafür sorgen, daß das Geld regelmäßig zur Fortsetzung und zum Ausbau zur Verfügung stehe. Ich komme auf diesen Punkt noch im Zusammenhang mit einigen Gesetzen der letzten und dieser Legislaturperiode kurz zu sprechen.
({21})
Viertens. Nur erhöhte Wirtschaftsleistung verschafft dem Staat mehr Einnahmen, den Arbeitnehmern mehr Kaufkraft und den Unternehmern mehr Investitionsfähigkeit.
Fünftens. Übertriebene staatliche Fürsorge und staatliche Allzuständigkeit höhlen die persönliche Leistungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft aus und engen den Freiheits- und Verantwortungsraum des einzelnen unnötig ein.
Sechstens. Die Erhaltung unseres sozialen Systems und die Erhaltung unserer Lebensverhältnisse erfordern ein angemessenes wirtschaftliches Wachstum, wobei drei Prozent mit Sicherheit, real gerechnet, die unterste Grenze wären, um nach den Abstrichen, die die Bundesregierung jetzt vorhat, den Rest erhalten zu können. Ich möchte hier ja keinen Zweifel an den Grenzen lassen, die ich hier ziehe. Sie erfordern Vollbeschäftigung, im normalen Sinn des Wortes definiert, sie erfordern auch eine hohe Produktivität, und sie erfordern deshalb, daß sich die deutsche Wirtschaft an der Spitze des technischen Fortschrittes in der Spitzengruppe der Industrienationen auch in Zukunft bewegen kann.
Siebentens. Deshalb muß die Arbeitsleistung wieder zu höheren Ehren kommen. Der Sinn des Lebens und seine Erfüllung, der berühmte Prozeß der Selbstverwirklichung und Selbstemanzipation, darf nicht zu einer Vergötzung des Begriffes Freizeit und Ferien führen.
({22})
Achtens. Sicherung und Hebung der Lebensverhältnisse der breiten Massen und der sozialen Sicherheit werden nicht durch Nivellierung von oben nach unten erreicht.
({23})
sondern durch schöpferische, geistig-wissenschaftliche, technisch-organisatorische Leistung der Hochbegabten - ({24})
- Sie brauchen nicht zu lachen, Kollege Westphal, ich habe Sie dabei nicht gemeint.
({25})
Ich darf es zur Verdeutlichung wiederholen: Sicherung und Hebung der Lebensverhältnisse der breiten Massen und der sozialen Sicherheit werden nicht durch Nivellierung von oben nach unten erreicht, sondern durch schöpferische, geistig-wissenschaftliche, technisch-organisatorische Leistung der Hochbegabten, deren Fähigkeiten und Talente ausfindig zu machen und sorgfältig zu pflegen sind.
({26})
Ohne dieses wären wir als rohstoffarmes, als grundenergiearmes Land, angewiesen auf den Rohstoff Geist, weder im 19. und 20. Jahrhundert noch nach dem Zweiten Weltkrieg zu der wirtschaftlichen Weltstellung gekommen, von der heute auch noch diese Regierung und Ihre Koalition zehren.
Ich darf hier im Zusammenhang mit den vorher von mir gemachten Ausführungen - weniger in den Export, mehr in die Inlandsnachfrage, weniger für Investitionen, mehr in den Konsum - zwei interessante Zahlen nennen. Wie war es denn in den 60er und wie war es denn in den 70er Jahren? Von 1960 bis 1969 ist das Bruttosozialprodukt real um 40 % gewachsen, die Konsumausgaben sind real um 51 % gewachsen. In der Periode von 1970 bis 1979 sind das Bruttosozialprodukt noch um real 28 % und die Konsumausgaben um real 32 % gewachsen. Das heißt, daß trotz der Bemühungen, die gesamte Fiskal-, Steuer- und Sozialpolitik in den Dienst der Konsumkraft der breiten Massen zu stellen, das Experiment mißlungen ist. Die Steigerung der Konsumausgaben und die Steigerungsfähigkeit der Konsumausgaben in den 70er Jahren waren wesentlich niedriger als die Steigerung in den 60er Jahren, und zwar wegen geringerer Investitionen.
({27})
- Ich habe hier leider nicht die Zeit, Ihnen einen Nachhilfeunterricht zu geben, den ich wie der Kollege Schiller als „privatissime et gratis" bezeichnen würde.
({28})
Viele haben im Laufe der letzten Jahre vom Segen des Nullwachstums geträumt. Da sind ganze Philosophien, Ideologien, Pseudotheologien, theoretische Denksysteme entwickelt worden.
({29})
Jetzt haben wir das Nullwachstum erreicht, aber niemand ist mit den Folgen des Nullwachstums einverstanden,
({30})
von dem manche vorher so geschwärmt haben. Jetzt muß die Zeche für das Nullwachstum bezahlt werden. Es ist doch gelungen, das Wachstum totzuschlagen, und jetzt will man sich um die Leichenbestattungsgebühren herumdrücken,
({31})
die nun einmal mit dem Ende des Wachstums eng verbunden zu sein pflegen.
Ich darf hier wirklich fragen: Hat man denn nur tauben Ohren gepredigt, hat man denn nur verhetzten Gesichtern gepredigt, wenn man sagte, daß der Leistungsstand unseres sozialen Netzes nach der gegenwärtigen Rechtslage ohne ein angemessenes, und zwar recht beachtliches, jährliches Wachstum
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({32})
nicht aufrechterhalten werden kann? Man sollte sich des Zusammenhangs zwischen einer beträchtlichen Steigerung des realen Wachstums und der Aufrechterhaltung des sozialen Leistungsstandes auch in der politischen Praxis bewußt werden. Es sind viel zuviele Sünden dagegen begangen worden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat auch diesmal wieder - in seiner gestrigen Einbringungsrede des Bundeshaushalts 1982 und seiner Begleitgesetze - erstaunliche Einsichten verkündet. Allerdings hat heute der Koalitionskollege - Koalitionsgenosse, Stellvertreter des Bundeskanzlers, Vorsitzender der FDP - den Deckel von der Truhe des Zauberers gehoben, und da sind einige Geister herausgekommen,
({33})
daß nämlich zur Herstellung des koalitionsinternen Friedens der Herr Matthöfer einige Einsichten verkündet hat, die sozusagen dem berühmten Brief des Herrn Genscher an seine „lieben Parteifreunde" wenigstens eine Bruchteilabsolution, eine Teillossprechung, verliehen haben. Es wird also weiterhin die Frage nur durch die Praxis zu beantworten sein, ob diese Erkenntnisse wirklich eigener Einsicht und der Bereitschaft, daraus Konsequenzen zu ziehen, entsprechen oder ob sie ein Stück Kitt sind, um die Scherben der letzten Monate und Wochen wenigstens optisch einigermaßen zusammenzufügen. Er sagte:
Das Sozialprodukt wird von Millionen von Erwerbstätigen erarbeitet. Deshalb ist es grundsätzlich richtig, ohne Übertreibung den Menschen in unserem Lande zu sagen, daß wirtschaftlicher Erfolg, Zukunftsaussichten und Wohlstand buchstäblich in ihrer eigenen Hand liegen ..
Bisher hatte ich immer die Vorstellung, daß Gesellschaft und Staat dies zu leisten hätten und sich deshalb der einzelne weitgehend ausplündern zu lassen hätte, damit Gesellschaft und Staat die Mittel haben, diese Funktion zu erfüllen. Ich begrüße es, Herr Kollege Matthöfer, daß bei Ihnen der zweite Bildungsweg auf diesem Gebiet - ich hoffe, nicht nur aus koalitionspolitischen Rücksichtnahmen, sondern auch aus eigener Einsicht - diese Erkenntnisse zutage gebracht hat.
({34}) Und er sagte weiter,
daß es sich deshalb für jeden lohnt und lohnen muß, seine Leistungskräfte und seine Leistungsbereitschaft einzusetzen.
Das klingt ja beinahe wie „kapitalistische Ausbeutungstheorie". - Er fuhr fort:
Hier liegt auch ein entscheidender Grund dafür, daß eine weitere Erhöhung des Anteils der direkten Lohn- und Einkommenbesteuerung und der Sozialabgaben wirtschaftlich nicht sinnvoll, sondern eher schädlich wäre.
Ab wieviel Prozent wird es denn schädlich? Jetzt anscheinend ab 48 %. Wir sind der Meinung, daß es
schon ab 37 % schädlich geworden ist. - Er sagte schließlich:
Der Grenznutzen zusätzlicher Arbeitsanstrengungen darf nicht noch weiter geschmälert werden, zumal wir schon jetzt bedenkliche Formen des Unmuts und des Ausweichens in Schwarzarbeit und Untergrundwirtschaft beobachten müssen.
Der Bundeshaushalt 1982, die mehrjährige Finanzplanung bis 1985 und die Beschlüsse zur sogenannten Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sind aber alles andere als die Verwirklichung der richtigen Erkenntnisse, alles andere als ihre Umsetzung in die politische Wirklichkeit. Ich hatte schon im Januar dieses Jahres Gelegenheit, mich sehr wohlwollend oder lobend und anerkennend zu einigen grundsätzlichen Äußerungen des Bundesfinanzministers nach seiner damaligen Rede zu äußern. Aber übriggeblieben ist von den damaligen Erkenntnissen in der Praxis recht wenig. Ich glaube, daß vor dem Wirtshaus der SPD-FDP-Koalition seit geraumer Zeit wechselnde Speisekarten ausgehängt werden, die mit den Erzeugnissen der Küche und des Kellers seit vielen Jahren nicht mehr übereinstimmen.
({35})
Das Wahlprogramm 1980 der SPD ist eine Quelle ständiger Heiterkeit ({36})
wenn die Materie nicht so ernst wäre. Es liest sich heute wie ein Witz:
Eines garantieren wir: Soziale Demontage werden wir nicht zulassen. Im Gegenteil, wir wollen die soziale Sicherheit auch künftig weiter ausbauen.
Weiter:
Sie
- die SPD wird allen Versuchen der CDU/CSU entgegentreten, soziale Leistungen abzubauen
({37})
und damit in Wahrheit den erreichten sozialen Besitzstand breiter Bevölkerungsschichten zu schmälern.
({38})
Jetzt frage ich nur: Was bedeuten denn die Maßnahmen, um die Sie jetzt, wenn auch spät, nicht mehr herumkommen? Was bedeuten denn die?
({39})
Hätten Sie früher Augenmaß bewahrt, hätten Sie sich manches ersparen können, was Sie jetzt dem arbeitenden Volke und den im Ruhestand lebenden Bürgern zumuten müssen.
({40})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({41})
Warum verschweigt denn die SPD hypokritisch,
({42})
daß es ihr vorbehalten war, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik - wenn ich von Erhards sogenannter Gymnasiastenrente absehe - Sozialleisten in Höhe von vielen, vielen Milliarden DM zu demontieren, und zwar schon bevor sie das Wahlversprechen gestreut hatte, und noch mehr ein Jahr nach diesen Wahlversprechungen? Hauptleidtragende waren die Rentner, auch wenn sich selbstverständlich ihre Renten gemäß der Dynamik des Rentensystems, wie es im Jahre 1957 von uns eingeführt worden ist, sowohl nominal wie auch real erhöht haben. Aber - ich möchte heute nicht eine Debatte darüber eröffnen ({43})
wie wollen Sie denn die Rentenreform mit der Gleichstellung von Mann und Frau finanzieren, wenn Sie jetzt wieder mit Ihrem Verschiebebahnhof zwischen Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung fortfahren?
({44})
Aber darüber wollen wir heute nur andeutungsweise reden.
({45})
Die Frage ist: Ist es nun die CDU/CSU oder ist es die SPD, die eine Liste zum Abbau gesetzlicher Sozialleistungen vorlegt, wie wir sie in diesem Hause noch nie gesehen haben - jetzt auf einmal? Ich bin gar nicht der Meinung, daß das falsch angelegt ist. Nur, heute gilt es, Ursache und Wirkung, Folgen klar auseinanderzuhalten.
Wenn die SPD Sozialleistungen abbaut, dann ist das „Rettung des Sozialstaates".
({46})
Wenn wir rechtzeitig warnen, Übertreibungen zu unterlassen,
({47})
dann ist das „der finstere Wille, den Sozialstaat zu zerstören".
({48})
Die SPD hat weiter versprochen, sie werde die Arbeitsförderungsleistungen der Bundesanstalt für Arbeit weiter ausbauen und dadurch die beruflichen Qualifikationen der Arbeitnehmer verbessern. Warum haben wir dann heute hohe Arbeitslosigkeit und nicht besetzbare Stellen nebeneinander in großer Zahl? Sind die Reduzierungen z. B. der Einarbeitungszuschüsse, der Eingliederungsbeihilfen, der beruflichen Bildungsmaßnahmen, der beruflichen Rehabilitation, des Unterhaltsgeldes, des Übergangsgeldes der im Wahlprogramm der SPD versprochene Beitrag zur Verbesserung der beruflichen Qualifikation der Arbeitnehmer?
Was liest man noch?
Eine zusätzliche Selbstbeteiligung der Versicherten im Bereich der Krankenversorgung wird von der SPD in jedem Fall abgelehnt.
Ist die Selbstbeteiligung der Patienten durch die Vervierfachung der Rezeptgebühr, ist die Selbstbeteiligung der Patienten durch die Verdoppelung des Eigenanteils beim Zahnersatz, ist die Selbstfinanzierung von Arzneimitteln für sogenannte BagatellKrankheiten, ist die Reduzierung der Krankenhauspflege von zehn auf sechs Tage bei Entbindungen, ist die Verlängerung der Wartezeiten für Kuren, ist die Beschränkung der Möglichkeiten zur Verordnung von Brillen von einem Unions-Arbeitsminister oder von einem SPD-Arbeitsminister vorgeschlagen worden?
({49})
All das unter dem Motto: Wir kämpfen gegen die Demontage des Sozialstaates, wie CDU/CSU sie vorhaben.
({50})
Und die SPD versprach weiter:
Künftige Kindergelderhöhungen sollen vor allem einkommensschwachen Familien mit mehreren Kindern zugute kommen.
({51})
Ist die Reduzierung des Kindergeldes für Zweit- und Drittkinder - das Thema muß ich heute leider noch kurz vom Standpunkt der Länder aus streifen - die von der SPD versprochene bevorzugte Behandlung von Familien mit mehreren Kindern?
({52})
Echte Verbesserungen werden sie ja ohnehin nicht mehr erhalten. Selbst der erreichte Stand wird durch die Kürzungen und die inflationäre Entwertung des Geldes doch erheblich abgebaut.
Es wäre für mich ein echtes Problem der Arbeitsbeschaffung, wenn ich die Versprechungen alle aufzählen müßte, die diese Koalition nicht gehalten hat. Bei keiner Regierung - aber das ist nicht neu - klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine so große Lücke, ein so unüberbrückbarer Gegensatz wie bei den Regierungen seit Ende 1969 bis heute.
({53})
Wir sind es schon lange gewohnt, daß politische Leistung durch politisches Pathos, durch Staatsschauspielerkünste ersetzt wird.
({54})
Früher war es Aufgabe der Historiker, einen Vorgang für historisch bedeutsam zu befinden. Diese Koalition ist also gleich angetreten als selbsternanntes historisches Bündnis. Wer gläubiger Anhänger dieses „geschichtlich notwendigen historischen Bündnisses" war, muß sich allerdings fragen, warum einer der Bündnispartner in der Zeit, in der er sich erlaubte, seine Meinung zu sagen, auf einmal von der unbedingten Notwendigkeit einer gründlichen Wende gesprochen hat. Da stimmt doch etwas nicht mehr.
Alle vier Ziele des berühmten Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sind verfehlt worden. Davon war heute schon die Rede. Ich habe heute morgen die Bemerkung gehört: „Sagen Sie mir ein Land, wo
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({55})
sie erfüllt worden sind." Ich nenne Ihnen das Land: Die Bundesrepublik Deutschland, bevor die liberalsozialistische Koalition an die Herrschaft gekommen ist!
({56})
Ich male hier nicht in primitiver Einseitigkeit.
({57})
- Die Öffentlichkeit draußen wird es zur Kenntnis nehmen, mit welcher höhnischen Leichtfertigkeit Sie die Lebensfragen dieses Volkes in diesem Hause behandeln.
({58})
Ich wollte sagen und sage es jetzt: Es ist selten möglich, alle vier Ziele auf einmal in idealer gegenseitiger Zuordnung und Vollkommenheit zu erreichen. Man läuft immer Gefahr, daß ein Ziel oder, wenn es ganz schlecht geht, auch einmal zwei Ziele zu kurz kommen. Daß aber alle vier Ziele auf einmal so gründlich verfehlt werden, blieb allerdings denen vorbehalten, die das neue Zeitalter vor zwölf Jahren feierlich verkündet haben.
({59})
Wenn diese vier Ziele verfehlt sind, dann sind das die Folgen einer falschen Politik, vor der wir - nicht nur die CDU/CSU, sondern ich darf hier auch sagen: die Mehrheit, die wir im Bundesrat haben - seit vielen Jahren vergeblich gewarnt haben. Die entscheidenden Ursachen dafür sind falsche Grundentscheidungen, z. B. durch staatliche Konjunkturprogramme eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft erreichen zu wollen.
({60})
Es sind ferner unternehmerfeindliche und investitionshemmende Grundeinstellungen in entscheidenden Fragen der Finanz- und Sozialpolitik. Entweder ermöglicht man den Unternehmern, ihre Funktion zu erfüllen, oder man muß sie abschaffen. Wenn man ihre Funktion - vor allem im mittelständischen Bereich - sozusagen als Sprungfedern einer haltbaren Matratze des Systems abbaut und dann von ihnen volle Leistungsfähigkeit verlangt, ist der Gipfelpunkt entweder von Ignoranz oder von Hypokrisie erreicht. Leistungsfeindliche Belastungen der Arbeitnehmereinkommen - mein Kronzeuge heißt Matthöfer; allerdings meint er, jetzt hätten wir die Grenze erreicht; wenn er es ein bißchen früher gesagt hätte, wäre es besser gewesen - und, was schwer zu Buche schlägt, Einführung oder Nichtbeseitigung von Anreizen zur Leistungsverweigerung: Wenn der, der weniger, fast nichts oder nichts tut, fast genauso viel an Verfügungseinkommen hat, nimmt man eine Familie mit Mann, Frau, zwei Kindern, wie der, der als Alleinverdienender in seiner Familie ein normales Arbeitereinkommen hat, dann stimmt etwas im System nicht mehr.
({61})
Wenn im System etwas nicht mehr stimmt, dann liegt es an der Mentalität und der geistigen Grundhaltung derer, die das frühere System nachhaltig verschlechtert haben.
({62})
- Herr Westphal, ich bedauere, daß Sie nicht vor mir geredet haben; dann hätte ich auf Sie auch noch eingehen können.
({63})
- Sie sollten wenigstens, wenn Sie von Wirtschaft nichts verstehen, die Geschäftsordnung kennen!
({64})
- Sie hatten sich ja vor mir nicht gemeldet. Ich kann mich doch nicht dazwischendrängeln, wenn Sie gar nicht auf der Rednerliste stehen!
({65})
- Zu spät.
({66})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ist das eine der wesentlichen volkswirtschaftlichen Fragen, wann Sie sich zu Wort gemeldet haben? Es hat keinen Sinn, darüber zu reden.
({1})
Sie gestatten keine Zwischenfrage? - Ich darf feststellen: Der Ministerpräsident gestattet keine Zwischenfrage.
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Ich habe selbstverständlich Angst, mit Herrn Westphal zu diskutieren; das war schon mein ganzes Leben so!!
({2})
Es ist doch kein Zweifel, daß derjenige, der alle Lücken der sozialen und steuerlichen Bestimmungen ausnutzt, im Zweifelsfall dann über den Lohnsteuerjahresausgleich zum Schluß mehr an Verfügungseinkommen hat als die anständige Mehrheit derer, die das ganze Jahr normal durcharbeiten.
({3})
Dazu kommt ein mit der Erhöhung der Staatsquote Hand in Hand gehender Umverteilungsprozeß, durch den die marktwirtschaftliche Grundordnung mehr oder minder teilweise verdrängt wird. Wenn fast 50 % des Bruttosozialprodukts durch öffentliche, staatliche oder parafiskalische Kassen gehen, dann ist der Funktionsmechanismus der Sozialen Marktwirtschaft nicht mehr so arbeitsfähig, wie er für einen vollen Ertrag und eine volle Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaftsordnung sein müßte.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({4})
Hier liegt eine der Hauptursachen für den Niedergangsprozeß.
Natürlich geht Hand in Hand damit das von der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages durch überzogene Versprechungen geförderte Anspruchsdenken.
Die Bundesregierung muß nunmehr die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte unter sehr ungünstigen Bedingungen nachholen. Sie kann es nur teilweise, und deshalb ist auch diese Debatte heute nicht etwa die große Weichenstellung der Wende; sie ist nur eine Etappe, der weitere Auseinandersetzungen dieser Art mit absoluter Sicherheit folgen werden.
({5})
Ohne eine grundlegende Wende ist eine dauernde Konsolidierung der öffentlichen, Haushalte ebensowenig zu erreichen wie eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft mit Wiedergewinnung ausreichender Wachstumsraten, einem dauerhaften Abbau der Arbeitslosigkeit bis auf den Stand normaler Vollbeschäftigung. Dabei geht die Konsolidierungsaufgabe über die unumgänglichen fiskalischen Eingriffe weit hinaus. Es geht doch nicht nur darum, einen Haushalt in Ordnung zu bringen und damit die Angelegenheit für erledigt zu erklären. Das ist auch möglich bei einer Million Arbeitslosen oder bei zwei oder drei Millionen Arbeitslosen, wenn man nur haushaltstechnisch denkt. Gefordert ist ein umfassendes kurz-, mittel- und langfristiges Konzept, das in der Wirtschaft Vertrauen schafft, die Wachstumskräfte stärkt, die Wettbewerbsfähigkeit verbessert.
Entscheidende Bedeutung kommt dabei privaten Investitionen und Innovationen zu. Warum waren die 50er und 60er Jahre die Jahrzehnte der großen Investitionen? Warum klafft in den 70er Jahren eine Investitionslücke, die man, ohne sie genau quantifizieren zu können, zwischen 100 und 200 Milliarden DM allein in der privaten Wirtschaft beziffern kann? Dazu kommt noch der bedauernswerte und anhaltende Rückgang der Investitionsquote bei öffentlichen Investitionen im Bundeshaushalt, die einen skandalösen Tiefstand im Laufe der mehrjährigen Finanzplanung erreichen wird. Ohne diese Belebung privater Investitionen und Innovationen ist eine hohe Arbeitsproduktivität bei gleichzeitiger Vollbeschäftigung nicht zu erreichen. Deshalb ist es angesichts steigender Arbeitslosigkeit nicht zu verantworten, daß auf Grund politischer und administrativer Hemmnisse Investitionen in Höhe vieler Milliarden immer noch blockiert sind. Darauf sind heute morgen Herr Kohl und Herr Häfele eingegangen. Man kann nur mit Nachdruck die Forderung erheben, die überfälligen Entscheidungen zur Überwindung dieser Blockade bei lebenswichtigen Zukunftsinvestitionen jetzt endlich zu treffen.
Natürlich kommt bei der Überwindung der Schwierigkeiten der Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen eine Schlüsselrolle zu. Die Herabsetzung der Neuverschuldung auf ein vertretbares Maß, die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Staates sind ebenso wie die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch Dämpfung der Kosten, Abbau ertragsunabhängiger Steuern, höhere Erträge und Gewinne der Wirtschaft vor allen Dingen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmungen, unabdingbare Voraussetzungen für die Wiedergesundung des wirtschaftlich-finanziellen Bereichs, für den Abbau der Defizite gegenüber dem Ausland sowie auch für die Möglichkeit, die extrem hohen Zinsen in absehbarer Zeit zu senken.
Ich frage mich - ich greife nur eine der Detailfragen heraus -, warum man sich weigert, z. B. im Bereich der Gewerbekapitalsteuer die Konsequenzen aus diesem unnatürlich hohen Zinsniveau zu ziehen. Die Mehrheit dieses Hauses hat ebenso wie die Bundesregierung die von uns seinerzeit vorgeschlagene schrittweise Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer praktisch unterlassen. Es gab nur einen ersten Schritt, und dann war Ende. Sie wissen ja, daß nach dem System der Gewerbekapitalsteuer auch Fremdkapital als Eigenkapital gewerbeertragsteuerrechtlich besteuert werden muß, d. h. die auf aufgenommene Schulden langfristig - ein Jahr und mehr - pflichtgemäß zu zahlenden Zinsen werden als Gewerbeertrag versteuert. Das gilt selbstverständlich auch bei den Unternehmungen, die keinen Ertrag mehr haben oder die bereits von der Substanz leben.
Solange die Zinslast bei 6 oder 7 % lag, lag das eben im System. Wenn aber ein an sich schon fragwürdiges System noch mit einer extrem hohen Zinsbelastung-14,15,16,17 und 18 %, je nach Sicherheit - zusammenstößt, dann ist die Nichtberücksichtigung dieses Tatbestandes ein Skandal. Ich kann die Bundesregierung nur bitten und den Bundestag dazu auffordern, hier Konsequenzen zu ziehen und die Steuerbelastung nach dieser Rechnung auf einen fiktiven Zinssatz von 6 oder 7 % anzusetzen und damit ,wenigstens ein schreiendes Unrecht, das im Gefolge der eingerissenen Zustände aufgetreten ist, zu beseitigen.
({6})
Die Wende ist notwendig, haben wir im Sommer vernommen. Am 20. August dieses Jahres hat Herr Genscher versucht, seinen „lieben Parteifreunden" in einem Brief die Dramatik der Lage, in der wir uns befinden, klarzumachen. Er hat so ein bißchen Freiheit oder Sozialismus geübt und probiert.
({7})
Möchten hätte er schon wollen, aber dürfen hat er sich nicht ganz getraut.
({8}) Es heißt darin:
..., daß unter veränderten Bedingungen und mit deshalb auch veränderten Fragestellungen und Antworten eine ähnliche grundsätzliche Auseinandersetzung zu führen ist wie beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.
({9})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({10})
Ich sehe noch Plakate des Wahlkampfs 1949 in FDP- Versammlungen vor mir: „Freiheit oder Sozialismus".
({11})
Schön war es, Herr Genscher, als man über das Thema noch frei reden durfte.
({12})
Er schrieb weiter:
Wir müssen den finanziellen Handlungs- und Gestaltungsraum zurückgewinnen, ... Unser Ziel muß sein: Wettbewerbsfähigkeit und nochmals Wettbewerbsfähigkeit,
({13})
Investitionen und nochmals Investitionen,
({14})
Arbeitsplätze und nochmals Arbeitsplätze.
({15})
... Es gilt, eine Anspruchsmentalität zu brechen,...
({16})
Es ist gut, daß Sie bei mir abschreiben und mir die Last dafür bei Ihrem Koalitionspartner abnehmen. - Weiter:
... Es darf auch nicht heißen, den Verfügungsraum des einzelnen Arbeiters und Angestellten, des einzelnen Beamten und Unternehmers noch weiter einzuschränken durch Erhöhung der Belastung mit Steuern, Abgaben und Beiträgen.
Aha, das ist die Wurzel der entsprechenden Passage der Matthöfer Rede!
({17})
Hinc lacrimae rerum, oder: Da ist der Hund begraben.
({18}) Die Weichen
- heißt es dort sind deutlich mehr auf Selbstverantwortung, auf Leistung und Selbstbestimmung zu stellen.
Der Brief gipfelt in der Erkenntnis:
Wir entscheiden heute nicht nur für die nächsten Monate und Jahre, sondern über unsere Zukunftschancen schlechthin. Das macht das ganze Maß der Verantwortung deutlich.
Wahrhaft eine historische Monumentaldokumentation! Hier werden im Hintergrund die Konturen säkularer Entscheidungen sichtbar. Nur bestanden sie aus Pappkarton.
({19}) Und er schließt - jeder Zoll ein Genscher -:
({20}) „Eine Wende ist notwendig."
Ich kann das alles mit bestem Gewissen unterschreiben. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns, zwischen Helmut Kohl und mir auf der einen und Ihnen auf der anderen Seite - Lambsdorff kann man bei Ihnen j a dazurechnen -, besteht nur darin, daß wir unseren Parteimitgliedern keinen solchen Brief zu schreiben brauchen.
({21})
Denn Ihre Epistelsentenzen sind bei uns Binsenweisheiten.
({22})
Sie haben in diesem Brief natürlich aus dem Grundsatzprogramm der CDU/CSU, aus dem Mannheimer Manifest zur Bundestagswahl der Union 1980 abgeschrieben. Sie gestehen damit erstmals ein, daß es nicht genügt, sich zum Bremser des Koalitionszuges in den Sozialismus zu machen oder zu ernennen, sondern daß es auch erforderlich ist, sich darin zu versuchen, notfalls vom Zuge abspringen zu müssen. Aber unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik läuft weiter auf sozialistischem Kurs. Ich bin nicht so primitiv zu meinen, daß wir etwa einen Sozialismus der Enteignung hätten, daß der drohend vor der Türe stehe. Nein, die kalte Enteignung durch die Erhöhung der Staatsquote ist schon ein Fortschritt auf diesem verhängnisvollen Wege. Ich empfehle auch einmal sehr die Lektüre des Buches von Kurt Richebächer mit dem Titel: „Im Teufelskreis de. Wirtschaft - Fiskalsozialismus verdrängt Marktwirtschaft"; das ist das Thema!
({23})
Da sind Sie, meine Herren von der FDP, Herr Genscher und Herr Lambsdorff, leider nicht in der Lage, diesen Zug zu stoppen, geschweige denn, den Kurs zu ändern.
Sie hätten sich Ihre Überredungskunst sparen können. Sie hätten nur das zu zitieren brauchen, was ich in diesem Hohen Hause über den Kurs der Koalition in den vergangenen Jahren, protokollarisch noch nachweisbar, gesagt habe, z. B.:
Die Zerstörung der Demokratie durch Gefälligkeitspolitik, die Korrumpierung der Volkswirtschaft durch Inflation, die Überforderung der Arbeitnehmer und der Unternehmer durch überhöhte Belastungen haben bereits zum Verlust von mehr als 1 Million Arbeitsplätzen geführt. Sie werden mit dieser Politik weitere Arbeitsplätze vernichten, die soziale Sicherung gefährden und damit die Zukunftschancen der kommenden Generation erheblich beeinträchtigen.
So am 21. September 1968.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Welches Vergnügen, Herr Wehner. Ich darf Ihnen zu Ihrer Rentrée gratulieren.
Wenn Sie mir erlauben - ich bin dadurch angeregt, daß Sie jetzt von Historischem gesprochen haben -, Ihnen in dem Zusammenhang eine Frage zu stellen, einer historischen Rede vom 18./19. November 1974 entnommen. Ich habe den vollen Text.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Sie meinen die Sonthofener Rede?
Es war Sonthofen. - Da stand - keine Angst -:
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ich zittere nicht.
Wir müssen sie so weit treiben, - die damalige Koalition daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen oder drastische Steuererhöhungen mit abermals einschneidenden negativen Folgen für die Wirtschaft. Ich will überhaupt nicht im kleinen sagen, was wir uns vorstellen mit der Krankenhausfinanzierung, mit der Berufsausbildung, mit der Sanierung der öffentlich-rechtlichen Krankenkassen usw. Wir müssen sagen: Ihr seid doch an der Regierung.
({0})
Ihr habt doch in diesem Staat seit fünf Jahren diese Wirtschaft ruiniert.
Sehen Sie, das ist historisch. Und nun kommen Sie mit anderen Historien. - Ich danke Ihnen.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Das ist zwar keine Frage, sondern ein Zitat.
({2})
Wenn das in Zukunft möglich ist, bieten sich völlig neue parlamentarische Diskussionsmöglichkeiten.
({3})
Ich will gar nicht darauf eingehen, daß es sich hier nicht um eine Rede - ({4})
- Kann ich jetzt antworten, oder nicht? Ich will gar nicht darauf eingehen, daß es sich hier nicht um eine Rede, sondern um einen improvisierten Diskussionsbeitrag auf einige Fragen handelte.
({5})
Ich will gar nicht darauf eingehen, daß es nie eine autorisierte Fassung gegeben hat. Aber ich habe mich hier in 'einem Punkt geirrt: Wir brauchen Sie nicht dahin zu treiben; Sie haben sich freiwillig dorthin getrieben, Sie sich selber.
({6})
Ich verhehle allerdings nicht, Herr Kollege Wehner, daß ich immer der Meinung war: Je eher die
Stunde der Wahrheit aufbricht, desto leichter und kürzer und weniger schmerzhaft ist der Prozeß der Gesundung.
({7})
Das war der Sinn meiner damaligen, nicht einem Konzept entnommenen, nicht abgelesenen Äußerungen, eines spontanen Diskussionsbeitrags, den ich auch nicht zurücknehme.
({8})
Die eine oder andere Formulierung mag so oder so richtig oder falsch niedergelegt sein. Aber Sie haben doch jetzt - Sie sind ja mein bester Adjutant, Herr Wehner; schade, daß sich das nicht mehr so verwirklichen läßt - durch Ihr Zitat bewiesen, daß man mehr nicht recht haben kann, als ich recht habe.
({9})
Ich meine sogar, daß Sie mit der Verlesung dieses Zitats dieser Regierung eins haben auswischen wollen.
({10})
Ich habe schon in meiner Funktion als Ministerpräsident z. B. am 11. Dezember 1979 hier gesagt:
Es begann mit der Inflation der Versprechungen, es folgte die Inflation der Ansprüche, es mündete ein in die Inflation des Geldwertes und die Inflation des Geldwertes war die entscheidende Ursache für die jahrelange Dauerarbeitslosigkeit.
Sie haben doch vom Bundeskanzler vernommen - ich möchte ihn wirklich nicht strapazieren -, daß ihm 5% Inflation leichter erträglich erschienen als 5% Arbeitslosigkeit, daß für ihn Stabilität nur so ein Modewort sei. Allerdings, in London beim Weltwirtschaftsgipfel sagte er sehr deutlich, daß Inflation der sichere Weg zur Vermehrung der Arbeitslosigkeit sei. Auch bei ihm gibt es einen gewissen Erkenntnisprozeß, einen zweiten Bildungsweg.
({11})
Aber man soll halt die Lehre abschließen, bevor man Bundeskanzler wird, und nicht nachher erst einleiten.
({12})
Ich habe am 28. Januar hier an dieser Stelle gesagt, Herr Wehner:
Für das Jahr 1981 steht uns eine weitere Verschlechterung ins Haus.
Wofür haben Sie denn ein Haushaltsstrukturgesetz? Wofür haben Sie denn ein Kostendämpfungsgesetz usw.? Wofür haben Sie denn die ganzen Einsparungsmaßnahmen, wenn das nicht stimmt, was ich im Januar 1981 gesagt habe?
Die Reaktion damals war Hohn oder Spott. Aber das stört mich weniger.
({13})
Lange vor diesen wiederholten Warnungen in diesem Hause habe ich vor dem Überschreiten der Grenzen der Belastbarkeit unseres Sozialprodukts gewarnt. Ich kenne noch das Echo auf meine Rede
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({14})
beim Mannheimer Parteitag der CDU auf einen Satz, der lautete:
Wir müssen heute den Mut haben, zu sagen, daß die Grenzen des Sozialstaates erreicht sind, daß wir keine höheren Leistungen in Aussicht stellen können, solange nicht die Grundlage unserer Wirtschaft und die Solidität unserer Finanzen wiederhergestellt sind.
Wagt es jemand, die Richtigkeit der damaligen Äußerungen zu bestreiten?
({15})
Dafür wurde ich mit einer Schmähkampagne verfolgt. Ich gebe Ihnen einige Kostproben.
({16})
- Ich darf zuvor sagen: Das törichte Grinsen, mit dem Sie diese Äußerungen begleiten, spricht dafür, daß Ihnen wirklich die Ernsthaftigkeit fehlt. Ich bin sehr für Humor, aber am richtigen Platz und nicht auf Kosten anderer, nämlich des deutschen Volkes.
({17})
Wie sagte der Bundeskanzler:
Der, der sagt, es müsse das Leistungsangebot auf vielen Gebieten der Sozialpolitik verringert werden - Das babe ich gar nicht gesagt; ich habe nur gesagt: Es geht nicht mehr, darüber hinauszugehen.
Und das wird auch eintreten, wenn man diese Brüder an die Regierung ließe.
({18})
Die „Brüder" sind an der Regierung; das stimmt schon.
({19})
Weiter:
Wer diese Leute
- gemeint waren „der Biedermann Kohl, die Brandstifter Strauß, Carstens, Dregger" an die Regierung ruft in Deutschland, gefährdet
den sozialen Frieden in unserem Lande.
Das haben wir damals gehört.
({20})
Wenn Sie hin und wieder auch die Kritik unabhängiger Tageszeitungen zur Kenntnis genommen hätten, dann hätten Sie aus der Feder von Ernst Günter Vetter bereits am 17. Juni 1975 in der „FAZ" nachlesen können, wohin diese Politik führt. Ich zitiere nur einen Satz:
Eine von Opportunismus und Feigheit geprägte Politik wird den falschen sozialen Ideen den Weg bereiten, die im Gewande gängiger Schlagworte scheinbar harmlos daherkommen. Am Ende werden die Auflösung des Sozialstaates und der Zerfall der Freiheit stehen.
Es ist die Äußerung eines bekannten Journalisten und Publizisten. Sie unterscheidet sich im Gehalt in keiner Weise von dem, was ich im Bundestag und bei unzähligen anderen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit vertreten habe.
Erinnern Sie sich, was der damalige Bundesfinanzminister, der heute eine andere Verwendung hat und schon wieder nach neuen Ufern strebt, mir vorgeworfen und der CDU/CSU vorgehalten hat, als ich in meiner Rede vor dem Institut „Finanzen und Steuern" das Wachstum gewisser Leistungsgesetze im Laufe der 70er Jahre einfach in Zahlen herausgestellt und im Zusammenhang mit der Tatsache, daß auch das nominale Sozialprodukt langsamer wächst als die Ausgaben nach diesen Gesetzen, gefordert habe, daß hier rechtzeitig die Korrekturen eingeleitet werden.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Beckmann?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Danke schön, nein.
({1})
Damals hat Herr Apel den Vorwurf - - Halt, das ist ja einer von der anderen Fakultät.
({2})
Herr Abgeordneter, wünschen Sie eine Zwischenfrage noch zu stellen?
({0})
- Bitte, dann tun Sie das.
Herr Ministerpräsident, können Sie im Lichte Ihrer Ausführungen über die Belastbarkeit des Bruttosozialproduktes an dieser Stelle vielleicht auch noch einmal die bayerische Feiertagsregelung darstellen?
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Wir reden hier über die großen Fragen
({2})
der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme der Zukunft, und Sie spielen hier MickyMaus.
({3})
Allein das, was von Ihrem Koalitionspartner in den Ländern an zusätzlichem Bildungsurlaub verlangt wird, ist ein Vielfaches gegenüber dem einen Feiertag, den ich zusätzlich konzediert habe, um eine Gemeinschaftslösung zu erreichen.
({4})
Aber Herrn Apel ging damals der Vorwurf der „sozialen Demontage" sehr schnell von der Zunge. Ich greife hier den Appell des Kollegen Genscher von heute morgen auf, als er sagte, man solle dem andeMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({5})
ren nicht gleich die finstersten Absichten unterstellen. Ich habe ja damals schon Herrn Lambsdorff sozusagen nur als Wegbereiter vertreten. Ich habe die Rolle des Heiligen Johannes Baptista gespielt. Wenn ich ihn als den „großen Herrn" bezeichnen könnte, dann täte ich es j a gern. Aber ich habe damals nur gesagt: dieser Weg kann nicht weitergegangen werden. Der Sozial- und Bildungsstaat hat die Grenzen erreicht und zum Teil überschritten. Die Richtigkeit dieser damaligen Aussage kann im Lichte der inzwischen eingetretenen Tatsachen doch niemand mehr bestreiten. Einem dann gleich in der Öffentlichkeit die Zerstörung des Sozialstaates und die soziale Demontage als Endziel hinzustellen, das ist der Stil, mit dem hier trotz aller heuchlerichen Gegenbeteuerungen weitgehend Scheinpolitik betrieben worden ist.
({6})
Aber ich habe ja eben den Wirtschaftsgrafen erwähnt. - Aha, da ist er, Grüß Gott.
({7})
Er sagte am 10. August, damals noch im Genuß seiner Ferienfreiheit:
Wir müssen Entlastungen dort finden, wo sie sich auch in den Haushalten 1983/84/85 auswirken. Nur dann bringen wir - wie ich formuliert habe - das Haus Bundesrepublik auch wirklich nachhaltig und fortwirkend in Ordnung. Das sind die entscheidenden Punkte.
Ich darf das nur mit zwei Sätzen interpretieren. Sie sagen: Dann bringen wir das Haus Bundesrepublik in Ordnung.
({8})
Sie haben es hier einmal auf die Haushalte bezogen. Damit geben Sie erstens zu, daß dieses Haus in Unordnung ist;
({9})
denn man kann nur etwas in Ordnung bringen, die Notwendigkeit betonen, es müsse etwas in Ordnung gebracht werden, was nach eigener Einsicht in Unordnung ist. Aber die weitere Einsicht ist noch bemerkenswerter. Sie geben damit nämlich zu - und das verwundert mich bei Ihnen selbstverständlich auch nicht -, daß es nicht finstere Mächte, hintergründige kapitalistische Verschwörungen, unterirdische Umtriebe der Union,
({10})
teuflische, dämonische Kreise des Auslands sind. Wenn Sie sagen: Wir bringen das in Ordnung, dann geben Sie zu, daß zumindest der Großteil der Krise hausgemacht ist - home-made hätte Herr Schiller in Neuhochdeutsch gesagt -;
({11})
denn man kann nicht ein Gewitter in Ordnung bringen.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Bitte, Graf Lambsdorff, Herr Abgeordneter.
Herr Ministerpräsident, darf ich Sie fragen - nachdem Sie offensichtlich den Anregungen zustimmen, daß wir nicht nur die Aufgabe haben, den Bundeshaushalt 1982 zu konsolidieren, sondern daß das eine längerwirkende Aufgabe ist -, ob Sie sich in der Lage sehen, hier und heute in Ihrem Beitrag wenigstens so viele Vorschläge zu machen, daß Sie damit eine echte, in sich aufgehende Konsolidierung des Bundeshaushalts 1982 ermöglichen?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen.
({1})
Er sagte im Deutschlandfunk am 24. August 1981:
Wir müssen - ich habe das schon mal gesagt - das Haus Bundesrepublik Deutschland in Ordnung bringen, nicht nur den Haushalt 1982. Und so gesehen steht uns eine schwere Arbeit bevor.
Sie haben im Westdeutschen Rundfunk am 29. August 1981 auf Anfrage gesagt:
Ich habe schon bei anderer Stelle gesagt: Den Haushalt 1982 in Ordnung zu bringen, ist die eine Sache, das Haus Bundesrepublik in Ordnung zu bringen ist eine andere Sache, und die ist meiner Meinung nach mit den bisherigen Beschlüssen noch keineswegs gelöst.
Was am 2./3. September 1981 beschlossen worden ist, war doch nur die Teilausfüllung dessen, was schon Ende Juli festgelegt war.
Ende August 1981 sagen Sie also: Mit den bisherigen Beschlüssen ist das Problem noch lange nicht gelöst. Ich stimme Ihnen ja zu, Sie sollten sich darüber freuen, statt dagegen zu protestieren. Sie dürfen es doch hier sagen. Aber wenn Sie am 23. August sagen, der Haushalt 1982 sei die eine Sache und das Haus Bundesrepublik in Ordnung zu bringen sei die andere Sache, und diese andere Sache sei mit den bisherigen Beschlüssen noch keineswegs gelöst, dann können es doch nicht Mißverständnisse und Mißdeutungen sein, wenn man das so auffaßt, daß nach Meinung des Grafen Lambsdorff das Haus auch sonst nicht mehr in Ordnung ist.
Ich darf hier ein Zitat eines Autors bringen, den Sie sicherlich genauso anerkennen wie ich, auch wenn er keinen Anspruch auf biblische Unfehlbarkeit erheben kann, nämlich des ehemaligen Generalbevollmächtigten der Dresdner Bank, Kurt Richebächer, sicherlich in völliger Übereinstimmung mit dem Geist an der Spitze des Hauses. Und wer weiß, was Ihnen noch blüht!
({2})
Es heißt dort unter dem Thema „Neue Wirtschaftspolitik":
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({3})
Der Unterschied zu den 60er Jahren ist fürwahr unglaublich. Es scheint, als wäre es gar nicht mehr dieselbe Wirtschaft.
In der Tat, wie wir sehen, ist das alte Wirtschaftssystem innerhalb weniger Jahre bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet worden. Es war die geeignetste Politik, auf lange Sicht den industriellen Unternehmergeist zu töten, den technischen Fortschritt zu hemmen und überhaupt die Bedingungen für einen selbsttragenden Aufschwung immer mehr und endgültig zu beseitigen. Es ist tatsächlich wie verhext. Je mehr der Staat eingreift, je mehr er die Konsumeinkommen aufpumpt und auf diese Weise das Sozialprodukt umverteilt, desto schwächer wird dessen Plus, desto weniger bleibt zu verteilen.
Das ist doch der Auftrag, wie Sie ihn formuliert haben: das Haus wieder in Ordnung zu bringen. Was heißt denn das? Warum ist es nicht in Ordnung? Das sind nicht nur materielle Gründe; das sind geistige und materielle Gründe. Immer mehr Menschen haben eine immer größere Angst vor einer ihnen materiell immer unsicherer erscheinenden Zukunft. Wovor haben sie Angst? Warum haben sie Angst? Einmal vor der Zukunft auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Sie haben Angst, daß der Friede immer unsicherer wird; sie haben Angst vor der Bedrohung des Friedens, Angst vor militärischen Konflikten. All das ist doch das Gegenstück der Verheißungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Das ist doch auch das Gegenstück der Propheten: daß die Entspannungspolitik nunmehr den Frieden jeden Tag sicherer mache.
({4})
- Ja, wie sicher er ist, haben wir ja der Tatsache entnommen, daß Ihr Parteivorsitzender, Herr Brandt, Herr Schmidt, Herr Bahr ständig die Kriegsgefahr als Folge der amerikanischen Bündnispolitik an die Wand malen. Wo sitzen denn die Schuldigen für die heutige Beunruhigung der Bevölkerung?
({5})
Hier sollten wir doch einmal ehrlich reden, statt Allgemeinplätze zu verkünden.
({6})
Herr Graf Lambsdorff, Sie können doch die Frage, warum doch sehr viel Kapital - nicht nur bei der großen Wirtschaft, sondern gerade im kleinen und mittleren Bereiche - in das angeblich sicherere Ausland über den großen Teich geht - das war früher nicht so -, warum immer mehr Produktionsstätten in das kostenmäßig günstigere Ausland verlegt werden, selber beantworten. Warum sind gerade industrielle Zukunftsbranchen immer mehr der Meinung, daß neue Produktionsentwicklungen besser im Ausland vorgenommen werden sollen? Welche Rolle spielt die Überlastung mit Steuern, Sozialabgaben und sonstigen Abgaben, Gebühren und Beiträgen? Wohin führt die zunehmende Verteufelung der industriellen Technik, zu der immer größere Teile, nicht nur der Randgruppen, der Regierungsparteien übergegangen sind?
Unser Staat ist nicht in Ordnung. Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände. Das ist nicht meine Weisheit, das habe ich bei Herrn Schumpeter abgeschrieben, der sich sogar als Sozialist bezeichnete. Die Anspruchsmentalität, die Umverteilungspsychose, der Staat, die große Reservekasse. Sozialleistungen sollten gewährt werden auf Grund erworbener Rechtsansprüche oder auf Grund echter Bedürftigkeit, aber - ich unterscheide mich auch von manchem hier in den eigenen Reihen - nicht als Gießkannenleistungen. Wer sie nicht braucht, der soll auch nicht in den Genuß von Sozialleistungen kommen, damit wir endlich einmal unser Geld für wirkliche Schwerpunkte ausgeben können, um den Sozialstaat in seiner Substanz zu erhalten. Ich weiß schon, wie schwierig die Abgrenzungsprobleme sind. Dazu kommt die Falschbewertung der Arbeitsleistung, die falsche Vorstellung vom Sozial- und Bildungsstaat; dazu kommt die falsche Friedensbewegung in unserer Zeit. Aber das ist das Thema, mit dem sich Helmut Kohl in seiner Rede im besonderen befaßt hat.
({7})
Es geht nicht nur darum, Wirtschaft und Finanzen in Ordnung zu bringen; ohne deren Gesundung geht es nicht. Aber vorher, am Beginn muß die geistige Wende stehen, der grundsätzliche Kurswechsel, der mehr erfordert als eine optische, technische Ausgleichung des Haushalts und der mehrjährigen Finanzplanung.
Nun zu dem, was zu diesem Thema im engeren Sinn des Wortes zu sagen ist.
({8})
Hat man denn nie gelernt, daß es ein Aberglaube ist, durch Erhöhung der Einkommensteuern das Geld für eine Belebung der Wirtschaft und für einen Abbau der Arbeitslosigkeit gewinnen zu wollen? Wer dieser Ergänzungsabgabe das Wort spricht - selbst der Bundeskanzler hat gesagt, er wäre dafür, wenn ihr Ertrag für die Wirtschaftsbelebung verwendet würde -, der versteht doch wirklich nichts von wirtschaftlichen Zusammenhängen in einer freien - wenn auch sozialen - Marktwirtschaft.
Wir hatten doch die Ergänzungsabgabe. Wir haben sie damals in einer Zeit hochgehender Konjunktur, im Jahre 1968, eingeführt. Es war ein sozialdemokratisches Regierungsmitglied, das im damaligen Kabinett die Einführung der Ergänzungsabgabe beantragt hat. Mehr möchte ich nicht sagen. Es war eine Untat, diese ursprünglich als zeitweilig begrenzte Ergänzungsabgabe dann in den Tarif einzubauen. Und jetzt kommt derselbe Schwindel wieder. Der Tarif ist angehoben worden, und jetzt soll eine neue zeitlich begrenzte Ergänzungsabgabe erhoben werden. Das glaubt doch niemand mehr. Wenn sie käme - sie kommt ja nicht; ein Dankeschön an die Adresse des einen Koalitionspartners -, dann würde sie mit Sicherheit bald in den Tarif eingearbeitet werden, und dann würden ihre Erträge in die normale Finanzmasse eingereiht werden. Das ist das Schreckliche an diesem Bundeskanzler mit seinem Day-by-day-Management: von der Hand in den Mund. - Ihre Kollegen sind schon unruhig und unMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({9})
terbrechen mich dauernd. Jetzt muß ich weiterlesen.
Nichts vergessen, nichts gelernt! Der wirtschaftliche Sachverstand wurde an der Garderobe abgegeben. Hat man denn nichts aus der Tatsache gelernt, daß wir in den 70er Jahren ein halbes Dutzend Konjunkturprogramme mit einem Aufwand von 50 Milliarden DM hatten? Was war denn los? Strohfeuereffekt! Am Schluß hat es immer mehr Arbeitslose gegeben als vorher.
({10})
Von nachhaltiger Wirtschaftsbelebung kann doch überhaupt keine Rede sein.
Was brauchen wir denn? Wirtschaftswachstum, Wiederherstellung der finanziellen Investitionsfähigkeit, vor allem im mittelständischen Bereich, Wiedergewinnung der Investitionsbereitschaft. Das sind materielle und psychologische Faktoren. Aber, lieber Graf Lambsdorff, es hat doch keinen Sinn, regelmäßig, beinahe mit om-mani-padme-hum-artiger Periodizität, immer wieder zu verkünden, daß es demnächst aufwärtsgehe. Man braucht nur in Boulevardzeitungen vom letzten Sonntag zu lesen: „Den Deutschen geht es 1982 besser", „Graf Lambsdorff sieht eine Besserung der Konjunktur im Jahr 1982". Wie oft haben Sie eigentlich im Laufe Ihrer Amtszeit - genauso wie Ihre Vorgänger - eine Besserung der Konjunktur in Aussicht gestellt! Da muß man vor solchen Prophezeihungen glatt Angst haben.
Der Faktor Psychologie ist in der Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, aber nur dann, wenn die Rahmenbedingungen objektiv günstig sind. Nur dann!
({11})
Ich habe einmal - Herr Wehner hat mich ja öfter zitiert - in einer Rede gesagt, daß man eine gute Konjunktur durch pessimistisches Gerede zerschwätzen kann. Das stimmt. Wenn es objektiv gut steht, kann man durch Miesmacherei eine Konjunktur kaputtreden. Man kann aber nicht umgekehrt eine schlechte Konjunktur nach der Methode Coué - du wirst schon gesund, gesund, gesund; tausendmal wiederholt - wieder in Schwung bringen. Die Bezeugungen eines künstlichen Optimismus bei objektiv schlechten Umständen sind die sicherste Garantie für einen Rückschlag, der in absehbarer Zeit wieder zu erwarten ist.
Nun hat mich Graf Lambsdorff gefragt, was ich zur Behebung des Mißstandes vorschlagen würde, dieses auch von ihm zugegebenen Mißstandes, der ihn zu der mannhaften Forderung verleitet hat, es müsse die Wende eintreten, nicht nur beim Haushalt, sondern insgesamt, und es müsse das ganze Haus - nicht nur der Haushalt für 1982 - in Ordnung gebracht werden. Ich will Ihnen einmal sagen, was ich davon denke. Ein Teil davon ist meine Meinung, aber der größte Teil ist die Meinung aller Ministerpräsidenten; wir konnten noch nicht alles abstimmen.
Erstens. Wir sagen selbstverständlich nein zur Ergänzungsabgabe, gleichgültig, für welche Zwecke sie vorgesehen werden sollte. Denn aus dem Hinterkopf des sozialdemokratischen Koalitionspartners ist das Lieblingsspielzeug Ergänzungsabgabe noch lange nicht verschwunden.
({12})
Wir sagen auch nein zu einer bereits heute am Horizont auftauchenden Erhöhung der Mehrwertsteuer.
({13})
Ich werde mir nicht untreu, wenn ich hier abermals sage, daß ich nicht grundsätzlich gegen eine Erhöhung der indirekten Steuern bin, schon damit das Gleichgewicht zwischen dem Ertrag der direkten und der indirekten Steuern allmählich wieder herbeigeführt wird, wobei aber der Ertrag aus der Erhöhung indirekter Steuern zur Senkung des Ertrages aus direkten Steuern,
({14})
vor allem der ertragsunabhängigen, in der Rezession substanzverzehrenden Steuern und des allgemeinen Tarifs der Lohn- und Einkommensteuer, zu verwenden wäre. Steuern zu erhöhen, nur um mehr Geld zu haben, ist kein Programm der Sanierung.
({15})
- Sie wollen doch jetzt hören, war wir meinen.
({16})
Wir haben allergrößte Bedenken gegen alle steuerlichen Maßnahmen, die eine weitere Belastung der Wirtschaft bedeuten, z. B. gegen eine Abschaffung des Vorsteuerabzugs bei der Anschaffung von Betriebs-Pkw. Das ist doch gegen das System der Mehrwertsteuer, wie wir es seinerzeit gemeinsam in diesem Haus eingeführt haben.
({17})
Alle anderen steuerlichen Maßnahmen werden von uns unter dem Gesichtspunkt beurteilt, daß sie auf keinen Fall zu einer neuen Belastung der Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der Wirtschaft führen dürfen. Hier darf ich auch sagen: nein zur Lohnsteuerpauschalierung für Teil- und Aushilfsbeschäftigte. Ich frage einmal, Herr Genscher und Herr Lambsdorff: Ist denn das wirklich Ihre Philosophie?
Wir sagen auch nein
({18})
zur 'Einbeziehung der Niedrigsteinkommen unter 390 DM in die Renten- und allgemeine Sozialversicherungspflicht.
({19})
Das führt doch zur Schwarzarbeit oder zu mehr Arbeitslosigkeit.
({20})
Wir lehnen den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Steuerabzugsbetrag für Kinder ab, weil er dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaft2954
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({21})
lichen Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit den Wohnungsbauproblemen widerspricht.
({22})
Wir sind deshalb für eine Verdoppelung der Abschreibungshöchstsätze für Familien mit Kindern. Genauso lehnen wir eine Einschränkung bei der steuerlichen Behandlung von Zwei- oder Mehrfamilienhäusern ab, weil sie nicht sachgerecht ist.
Wir können Einsparungen erzielen, wir müssen sie erzielen - ich sage: wir können sie auch erzielen ({23})
zur Entlastung des Bundeshaushalts, aber auch der Länderhaushalte. Es geht nicht an, daß der Bund Einsparungen und Steuermehrungen zur Verbesserung seiner Kassenlage mit einer Überwälzung auf die Sozialhilfe bei Ländern und Gemeinden vornimmt.
({24})
- Ja, ich sage es Ihnen ganz genau. Haben Sie doch ein bißchen Geduld!
({25})
Zur Entlastung des Bundeshaushalts, aber auch der Länderhaushalte schlagen wir Einsparungen im Bereich des BAföG vor, wobei die Größenordnung von der Einzelausgestaltung abhängt. Wir werden uns im Bundesrat mit einem ausformulierten Gesetzentwurf zu dieser Streichung gewisser Leistungen bei BAföG im einzelnen äußern.
({26})
- Dieser Gesetzentwurf liegt ja vor, Herr Kollege Westphal. Aber Sie können von mir nicht gleichzeitig Kürze und die Darlegung aller Einzelheiten verlangen. Einsparungen können und müssen im Bereich von BAföG und auch im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes erzielt werden.
({27})
Die Einsparungen auf diesen beiden Gebieten sollten in einer Größenordnung - was ich hier sage, ist nicht allein meine Meinung, sondern die Meinung aller Unionsministerpräsidenten - zwischen 1,5 und 2 Milliarden DM liegen.
({28})
Sie wissen, daß für die Bundessozialhilfe jährlich 15 Milliarden DM und für BAföG etwa 3,5 Milliarden DM ausgegeben werden, so daß die Einsparungen von diesen insgesamt 18,5 Milliarden DM etwa 10% ausmachen. Welche Mißbräuche hier vorgekommen sind und noch vorkommen, brauche ich hier nicht im einzelnen zu schildern. Aber es geht gar nicht um die Abstellung von Mißbräuchen, es geht darum, jetzt das Notwendige zu finanzieren und auf das Wünschenswerte zu verzichten, damit die Finanzierungskraft für das Notwendige auch tatsächlich erhalten bleibt. Ich scheue mich nicht, auch für meine Person zu sagen - ({29})
- Bei Ihnen nützt es nichts, und ich brauche es nicht. Ich meine den Verzicht auf BAföG.
({30})
Ich scheue mich nicht, für meine Person zu sagen, daß im Bereich des Arbeitslosenunterstützungssystems drei Punkte überprüft werden müssen: die Höhe, die Bemessungsgrundlage, von deren Änderung man sich nicht zuviel erwarten darf - da sind höchstens 400 Millionen DM drin -, und die Frage der Zumutbarkeit. Wenn man das heute von sich weist, wird man angesichts der leider bei Fortsetzung dieser Politik zu erwartenden Erhöhung der Arbeitslosigkeit dieses Thema in einem, spätestens in zwei Jahren mit noch größeren und allmählich unlösbar werdenden Problemen wieder auf dem Tisch haben: Höhe, Bemessungsgrundlage und Zumutbarkeit. Die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg für die Arbeitslosenunterstützung betragen zur Zeit 18 Milliarden DM im Jahr mit steigender Tendenz.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, spricht von unerträglicher Belastung der Wirtschaft durch Lohnfortzahlung - ein sehr interessantes Thema! - und verlangt einschneidende Maßnahmen zur Beseitigung dieses von ihm in drastischen Farben gemalten Mißstandes. Aber, Graf Lambsdorff, es wäre schon gut, wenn Sie das nicht nur in Ihren Verbandsreden am Samstag für die Springer-Presse des Sonntags sagen würden, sondern wenn Sie diese Dinge in Ihrer Koalition und am Kabinettstisch mit Nachdruck vertreten würden. Ich habe allerdings selbst bei sorgfältiger Zeitungslektüre nicht herausgefunden, was Sie damit im einzelnen meinen. Graf Lambsdorff, ich kenne die Klagen vor allem aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft, die Klagen, daß das für sie eine unerträgliche Last bedeutet. Bei der Großwirtschaft schlägt es weniger zu Buche, obwohl dort die Zustände genauso sind. Aber könnten Sie uns hier einmal sagen - auch dann, falls ich es nicht mehr höre, nämlich wenn Sie es morgen sagen -, wie hoch nach Ihrer Meinung die Belastung ist und welche Möglichkeiten es gibt, diese Belastung abzubauen?
Ich stelle diese Frage nicht polemisch, Graf Lambsdorff, bestimmt nicht polemisch, wie ich ja auch vorhin, als ich vom Arbeitslosengeld sprach, meinen Kopf hingehalten und aus dem Fenster gehängt habe. Sie wissen, daß manche meiner Freunde sicherlich Bedenken haben, wenn ich das hier sage, aber ich spreche hier als bayerischer Ministerpräsident, als Mitglied des Bundesrates und als einer, der sich für die Gesamtheit nicht nur im Parteiverbund verantwortlich fühlt, und das schließt bei uns die Freiheit ein, auch so etwas zu sagen.
({31})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({32})
Wie sollen nach Ihrer Meinung Karenztage aussehen? Sollen Angestellte und Beamte einbezogen werden?
({33})
Ich habe Ihren Angaben dazu ein Ja entnommen; es wird mir eben zugerufen, und ich wollte das auch selber sagen.
Wie steht es mit der in Tarifverträgen vereinbarten Lohnfortzahlung? Soll eine gesetzliche Regelung die Tarifverträge ausnehmen oder Tarifverträge ändern? Es ist natürlich ein sehr dubioses Kapitel, durch Gesetze die Tarifautonomie - wenn auch nur an einem Zipfel, aber doch an einem fühlbaren Zipfel - einzuschränken.
({34})
Die Antwort auf diese Frage wäre für uns sehr interessant.
In Verbindung damit die nächste Frage: Wie stellen Sie sich zur Frage der Wiedereinführung des vertrauensärztlichen Dienstes zwecks Verhinderung von Mißbräuchen bei ärztlichen Bescheinigungen? Da liegen doch manche - so darf ich sagen - Gestaltungsräume.
Ich wäre sehr froh, wenn Sie das einmal zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion machen würden, wenn Sie Ihre Vorschläge dazu im einzelnen darlegen würden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Bitte.
({1})
- Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Kollege Westphal. Sie können doch hier nicht die Freiheit der parlamentarischen Rede durch Ihre unqualifizierten Bemerkungen einschränken wollen!
({2})
Ich darf hier doch wohl noch Fragen zulassen!
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
({0})
Herr Ministerpräsident, angesichts der öffentlich angestellten Erwägungen über eine gesetzliche Änderung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle Gruppen haben Sie hier sehr nachdenkenswerte Argumente gegen eine solche Änderung genannt. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß eben diese - wie ich noch einmal sage: sehr nachdenkenswerten - Argumente der Anlaß dafür waren, daß die Bundesregierung die zuständigen Ressorts beauftragt hat, die verfassungsrechtlichen und rechtlichen Implikationen einer solchen Änderung genau zu untersuchen, um zu vermeiden, daß möglicherweise mit vernünftigen Absichten Fehlentwicklungen eingeleitet werden?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis. Das habe ich auch gelesen. Aber dieser Auftrag ist doch sicherlich schon lange erteilt worden, bevor sich der Wirtschaftsminister z. B. am letzten Wochenende vor der gewerblichen Wirtschaft wieder lauthals und lautstark gegen diese Belastung und für die Notwendigkeit ihres raschen Abbaus eingesetzt hat.
({1})
Wir sind ja bereit, über dieses Thema zu reden, denn die Deutschen sind doch nicht das kränkste Volk der Welt. Das müßte man nämlich aus dem durchschnittlichen Krankheitsstand schließen. Ich weiß auch sehr wohl, warum z. B. im bayerischen Grenzgebiet mit der höheren Gefärdung der Arbeitsplätze der durchschnittliche Krankenstand 5 % beträgt oder warum er auch bei Kellnern und Friseuren nicht höher ist - weil da nämlich das Trinkgeld nicht in die Bemessungsgrundlage eingeht.
Ich stelle an Sie die Frage, Graf Lambsdorff: Halten Sie eine Überprüfung der Knappschaftsrente für erforderlich, und zwar in dem Sinne, daß selbstverständlich unter Tage verbrachte Arbeitszeit in vollem Umfange auf eine bessere Rentengestaltung - Stichwort: früher und höher - angerechnet wird?
({2})
Halten Sie es aber für richtig, daß Zeiten, die nicht unter Tage verbracht werden oder Beschäftigte, die nie unter Tage arbeiten, bei der Gewährung dieser Vergünstigungen ebenfalls berücksichtigt werden. Man muß doch bedenken, daß die Knappschaftsversicherung im Jahr 11,5 Milliarden DM auszahlt und davon etwa 8,5 Milliarden DM aus Bundeszuschüssen kommen. Das sind doch Fragen, die man hier stellen darf.
({3})
Das deutet doch an, auf welchen Gebieten man Überlegungen anstellen kann.
Wir haben uns einen Vorschlag der Arbeits- und Sozialminister zu eigen gemacht, wonach die Rentenversicherungsbeiträge der Nürnberger Anstalt für die Arbeitslosen nicht nach dem letzten Bruttoverdienst, sondern nach dem gewährten Arbeitslosengeld bezahlt werden. Das war ein einstimmiger Beschluß aller Arbeits- und Sozialminister der unionsregierten Länder.
({4})
- Ich habe den Satz nur zu Ende gesagt, Herr Kollege Ehrenberg.
Aber wenn Sie mich fragen, wo denn noch Möglichkeiten seien, dann bitte ich, mir doch zugute zu halten, daß wir in Steuererhöhungen nicht der Weisheit letzten Sinn und schon gar keinen Anstoß für
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({5})
eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft erblikken.
({6})
Ich deute doch diese Problembereiche, die im Detail überprüft werden müssen, nicht aus purer Lust zu streichen an, sondern weil uns die bittere Notwendigkeit dazu zwingt, hier im offenen Karten zu spielen, statt Agitationsmaterial für Wahlkämpfe daraus zu gewinnen.
({7})
Das ist eine Reihe von Einzelproblemen. Ich will ihre Behandlung nicht im einzelnen fortsetzen.
({8})
Sie wissen, was ich damit gemeint habe.
Aber wenn man alle die von mir hier angedeuteten Problembereiche in die Überprüfung einbezieht, dann ergibt sich im Sinne der geforderten Wende - Wende des Denkens, Wende des Handelns - ein, wenn auch schmerzlich auszufüllender, aber trotzdem möglicher Spielraum dafür, unser Haus wenigstens finanziell und wirtschaftlich - und das ist eines der Hauptprobleme der Gesamtordnung des Hauses - wieder in einen normalen Zustand zu versetzen.
({9})
Der Herr Kollege Kohl hat eingehend zu den Problemen der Friedensbewegung, des Pazifismus, des Verhältnisses Bundesrepublik Deutschland - USA hier Stellung genommen. Der Herr Kollege Genscher hat darauf geantwortet: Ich will nur mit wenigen Worten auf die Antwort des Kollegen Genscher auf den Kollegen Kohl eingehen.
Herr Kohl hat doch nicht Zweifel an der subjektiven Überzeugung der Bundesregierung, am Bündnis mit den USA unverrückbar festzuhalten, die sich aus diesem Bündnis ergebenden Pflichten getreulich zu erfüllen, geäußert. Aber das war auch nicht das Thema. Das Thema war und ist
({10})
diese Wanderdünenbewegung, wie sie sich in der SPD und Teilen der FDP, nicht nur anläßlich der Berliner Ereignisse, gezeigt hat.
({11})
Man kann doch nicht daran vorbeigehen, daß regierungsamtliche Erklärungen, auch subjektiv ehrliche Überzeugungen des Herrn Außenministers das eine sind - das bestreiten wir gar nicht -, daß aber die Klimaveränderung in der SPD, in der FDP, in Teilen der deutschen Öffentlichkeit gegen die Vereinigten Staaten von Amerika einfach eine Tatsache sind. Und Klimaveränderungen leiten dann auch Wetterveränderungen ein.
Wenn der Herr Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika - und Herr Genscher, Sie sind lange genug in der Außenpolitik, um das so zu würdigen, wie ich es meine - erklärt, die deutschamerikanischen Beziehungen seien dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, so ist das eine objektiv und subjektiv ehrliche Äußerung des Außenministers Haig, aber in einer Demokratie spielt die öffentliche Meinung eine größere Rolle als regierungsamtliche Erklärungen.
({12})
Die Bilder, die in den Vereinigten Staaten im Fernsehen, in der Tages-, Wochen-, Bilderpresse auf 200 Millionen Amerikaner geradezu herunterregnen, führen doch zu einem Beginn des Umschwungs der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika.
In der Sowjetunion - früher war es im Nationalsozialismus unter Hitler so - kann die Regierung ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung Kursänderungen vollziehen. Nehmen Sie z. B. den HitlerStalin-Pakt. Dazu sind Diktaturen, jedenfalls eine Zeitlang in der Lage, Demokratien gottlob nicht. Demokratien müssen auf die öffentliche Meinung und, was die Regierungsparteien betrifft, auch auf die Vorgänge innerhalb dieser Regierungsparteien Rücksicht nehmen.
Herr Kollege Genscher, ich habe mit großem Interesse vernommen, daß Helmut Schmidt - ich lasse ihm gerne den Gebrauchsmusterschutz dafür oder das ius primae noctis ({13})
als erster auf die Tatsache der Vorrüstung der Sowjetunion 1977 in seinem Vortrag in London aufmerksam gemacht hat und daß er damit nach der Bekundung seines Vertreters und Außenministers den Prozeß der Nachrüstung eingeleitet hat. Er braucht diesen Prozeß jetzt nur in seiner Partei zu vollziehen. Uns braucht er von der Notwendigkeit dieses Prozesses nicht zu überzeugen.
({14})
Zweitens. Die Themen Nachrüstung und Neutronenwaffe beinhalten zwei verschiedene Dinge, aber sie gehören in den Gesamtkomplex der Verteidigung hinein. Wenn Helmut Schmidt im Jahre 1978 die Neutronenwaffe für notwendig befunden hat, um damit auf westlicher Seite einen Ausgleich für die Überlegenheit der sowjetischen Panzerverbände, vor allem die Überlegenheit der Masse nach zu finden, muß ich fragen: Haben die Russen in der Zwischenzeit so viel Panzer abgezogen, daß dieses Thema nicht mehr existiert, oder macht er jetzt aus parteiinterner Rücksichtnahme die berühmten Schleiertänze um das Problem Neutronenwaffe herum,
({15})
obwohl er vor drei Jahren klipp und klar ja zu diesem Thema und ja zu ihrer Einführung gesagt hat? Das heißt aber doch, daß sich bei objektiv gleichbleibenden Bedingungen die Überzeugungen und Äußerungen des Bundeskanzlers mit Rücksicht auf parteiinterne Veränderungen und Verschiebungen in einer für unsere Sicherheit gefährlichen Weise verschoben haben.
({16})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({17})
Wir wollen doch nicht massive sowjetische Panzerverbände vernichten, wir wollen verhindern, daß sie in Marsch gesetzt werden. Das ist der Sinn der Gegenrüstung.
({18})
Hier kann man zwei Methoden anwenden. Ich bezeichne mich nicht mehr als Fachmann, aber eine Methode wäre, wir rüsten unsere eigene Panzerwaffe und Panzerabwehr so stark aus - vor allen Dingen mit Hilfe des heutigen Bundeshaushalts -, daß man ohne Neutronenwaffe das Gegengewicht zu den russischen Panzerverbänden hat. Das wäre eine denkbare Lösung. Genau das Gegenteil ist aber der Fall, und deshalb muß die Unterlegenheit an Quantität durch eine an Qualität überlegene Waffe ausgeglichen werden, die dem Angreifer schadet und dem Verteidiger zugute kommt. Dies ist doch das Thema, und hier sollte man mit innerparteilichen Rücksichtnahmen aufhören. Man sollte aufhören, diese Schleiertänze aufzuführen. Hier geht es um unsere gemeinsame Sicherheit, um die Glaubwürdigkeit des westlichen Bündnisses.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe 1958 als Bundesminister der Verteidigung die Atomtodkampagne erlebt. Die Argumente sind heute wie damals die gleichen. Was ist anders geworden? Heute marschiert eine andere Generation auf den Straßen. Ich muß allerdings sagen, die alten Initiatoren und Drahtzieher im Hintergrund sind die gleichen geblieben.
Ich sage Ihnen eines mit allem Nachdruck: Wer aus der Geschichte nicht lernen will, wird sie eines Tages nachvollziehen müssen. Ich habe damals als junger Mensch die Wirkung der Pazifismuspropaganda, wie sie in den 30er Jahren in Frankreich und in Großbritannien ständig an Boden gewann, als besorgter Zeitgenosse erlebt. Wer die Literatur kennt, wer als mitleidender und mithandelnder Zeitgenosse davon erfaßt war, der weiß, wie leicht Hitler der Entschluß zum Kriege gefallen ist - moralische Skrupel hatte dieser pathologische Verbrecher ohnehin nicht -, wie leicht Hitler seine Bedenken überwinden konnte. Er hat sich täglich nach dem Fortschritt der Pazifismusdebatte, täglich nach dem Fortschritt der Pazifismusbewegung in Frankreich und in England erkundigt. Wer damals bei den Westmächten aus gutem Grund den Pazifismus gegenüber Hitler gepredigt hat, der hat eine entscheidende Mitschuld daran, daß die Diktatur die Hemmnisschwelle überschreiten konnte.
({19})
Was wir heute wollen, ist nicht Aufrüstung, sondern lieber Abrüstung, allgemeine Abrüstung. Über dieses Thema haben wir uns doch schon oft und lange unterhalten.
Herr Genscher, wir sollten aufhören, uns in Wunschträumen mit Null-Optionen zu ergehen. Die Null-Option hieße, daß die Sowjets, die trotz aller Angebote auf Moratorium jede Woche ein neues SS-20-
System aufstellen, ihre 250 Systeme nicht nur an die chinesische Grenze verlegen, von wo aus sie jederzeit wieder hierher verlegt werden können, sondern einmotten. Sie müssen Ihre eigenen Anhänger in den Regierungsparteien, Ihre jungen Leute darauf vorbereiten, daß die Null-Option zwar ein schönes Verhandlungsziel ist, daß aber die Wirklichkeit, auf die wir uns einrichten müssen, etwas anders aussehen wird als die Null-Option.
Sie können auch nicht erwarten, daß die Sowjets ihre Panzerüberlegenheit soweit abbauen, daß die Panzer im Westen und die Panzer im Osten eine Parität darstellen. Man soll nicht immer auf Verhandlungen allein starren und von ihnen Wunder erwarten. Je mehr man auf Verhandlungen drängt, je mehr man auf Verhandlungen starrt, je mehr man die Amerikaner unter Druck setzt, unter allen Umständen Verhandlungen zu führen, desto schwieriger werden die Verhandlungsaussichten, desto fragwürdiger wird das Verhandlungsergebnis. Darin sollten wir im Interesse unserer gemeinsamen Sicherheit einig sein.
({20})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser.
Minister Dr. Posser ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe innerhalb eines Zeitraums von weniger als acht Monaten erneut Gelegenheit, unmittelbar nach meinem Bundesratskollegen, dem bayerischen Ministerpräsidenten, zu sprechen. Wie auch damals Ende Januar dieses Jahres war seine Rede ein zitatengespicktes, weit ausgreifendes und wortgewaltiges Referat mit gelegentlichen Seitenhieben auf die „Staatsschauspieler" und „Gaukler", eine „Micky Maus" und die „heuchlerischen Beteuerungen", die aus den Reihen der Koalition zu hören seien.
Herr Kollege Strauß, alle Oppositionsredner in allen Industriestaaten haben es heute leicht, die Regierung zu attackieren; denn in der Tat sind die Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, groß. Der Fehler, den Sie nach meiner Meinung machen, ist der, so zu tun, als gäbe es diese Schwierigkeiten nur oder hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland.
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Tatsächlich aber ist das, was wir an Schwierigkeiten anzupacken und zu bewältigen haben - niemand leugnet diese Schwierigkeiten -, eine Erscheinung, die Sie in allen Industrienationen finden. Sie müssen einmal nachlesen, was die Sprecher der Oppositionsparteien in Großbritannien, in Italien, in Belgien oder in anderen Industriestaaten sagen. Dann werden Sie dieselben Vorwürfe von der Inflation der Versprechungen bis zur Inflation des Geldwerts finden, die wir heute zu hören bekommen haben.
Sie verweisen immer sehr gern darauf, daß es früher nicht solche Preissteigerungsraten gegeben habe, wie wir sie heute auch in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben. Dieser Hinweis ist richtig. Aber er muß doch in ein Gesamtbild ein2958
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gefügt werden. Die OECD führt seit dem 1. Januar 1950 eine Statistik über die Preissteigerungsraten in 24 Industriestaaten. Darunter sind alle wichtigen Industriestaaten der westlichen Welt. In diesen nunmehr über 30 Jahren hat es vier Jahre gegeben, in denen die Bundesrepublik Deutschland die geringste Preissteigerungsrate hatte, also die günstigste Position. Das waren die Jahre 1967, 1969, 1974 und 1975. Das waren Jahre, in denen nicht Konrad Adenauer Kanzler war, in denen auch nicht Ludwig Erhard Kanzler war, sondern das waren zwei Jahre der Großen Koalition und zwei Jahre der sozialliberalen Koalition.
Rechnet man die Jahre 1970 bis 1976 als einen Zeitraum, dann steht die Bundesrepublik Deutschland an erster Stelle in der ganzen Welt - soweit überhaupt Daten veröffentlicht werden; aus den osteuropäischen Staaten erfahren wir ja nichts. 1978 - um zu den letzten Jahren zu kommen - hatten wir die beste Position nach der Schweiz. 1979 hatten wir eine etwas schlechtere Position. Aber 1980 hatten wir wieder die zweite Position nach der Schweiz, und wir haben die Schweiz im ersten Halbjahr dieses Jahres, 1981, wieder übertroffen, was die Preisstabilität angeht.
Ich bitte Sie also, bei einer einigermaßen unvoreingenommenen Beurteilung nicht zu übersehen, daß wir nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland - das ist unbestreitbar - mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sondern daß das schon seit Jahren eine allgemeine Erscheinung ist, mit der sich die Industrienationen auseinanderzusetzen haben, und das auch unter schmerzlichen Einschränkungen, die anderwärts noch deutlich spürbarer sind als bei uns.
Vor weniger als drei Wochen hatte ich Gelegenheit, an einer internationalen kirchlichen Konferenz in Frankreich teilzunehmen. Wir haben dort auch über die Berichte der Staaten, aus denen Delegierte erschienen waren, gesprochen. Ich sagte: Wir haben im August 1981 in der Bundesrepublik Deutschland eine Preissteigerungsrate von 6 %, und wir finden, das ist sehr hoch. Darauf antwortete der Leiter der amerikanischen Delegation: Wir haben gerade die Nachricht bekommen, daß sie bei uns 15 % beträgt. Das ist das Zweieinhalbfache.
Und der amerikanische Delegationsleiter fügte hinzu: Was die Entwicklung des Lebensstandards angeht, so haben wir in dem Zehnjahreszeitraum der 50er Jahre eine Steigerung von 37 %, in dem Zehnjahreszeitraum der 60er Jahre von 34 % und in dem Zehnjahreszeitraum der 70er Jahre von 4% gehabt. In den USA hatten wir Jahre mit negativer Entwicklung des Lebensstandards zu verzeichnen. Wenn Sie damit die Zehnjahreszeiträume unserer Entwicklung vergleichen, kommen Sie zu einem wesentlich günstigeren Bild. Das darf man bei einem Urteil, das man über die Lage in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 abgibt, doch nicht übersehen.
Oder: Ich berichtete in meinem Länderbericht davon, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland leider schon 1,3 Millionen Arbeitslose hätten. Jeder Arbeitslose ist einer zuviel, wenn er arbeitswillig ist - und davon gehen wir nach wie vor aus. Darauf sagte mir der Vertreter der britischen Delegation resignierend: Ach, wissen Sie, in dem Augenblick, in dem wir zusammen sprechen, am letzten Augusttage dieses Jahres, werden wir wohl bei den Arbeitslosen in Großbritannien die 3-Millionen-Grenze überschreiten. Nach den Zahlen ist diese Voraussage leider eingetroffen, wobei zu bedenken ist, daß Großbritannien eine geringere Bevölkerung als die Bundesrepublik Deutschland hat. Der Franzose sagte: Wir haben 1,8 Millionen Arbeitslose. Auch dabei ist zu bedenken, daß Frankreich eine geringere Bevölkerungszahl hat.
Deshalb gehen Sie in die Irre, wenn Sie Ihren Einsatz darauf richten, diese Regierung und die sie tragenden Parteien als unfähig hinzustellen.
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Wenn es Versäumnisse oder Unfähigkeit geben sollte, dann gibt es sie in allen Industrienationen. Wir sind mit den Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren besser fertig geworden, als es anderwärts möglich war. Das veranlaßt uns nicht zu Schadenfreude, aber es zeigt doch, daß das Bemühen, die auch von Ihnen genannten vier Zielwerte des Stabilitätsgesetzes mindestens annähernd zu erreichen, erfolgreich war. Das macht uns weder selbstgerecht noch selbstzufrieden.
Es bleibt eine Menge zu tun. Aber gerade das, was jetzt als ein Paket vorgelegt worden ist, zeigt doch, daß wir der Verantwortung nicht ausweichen und auch unpopuläre und leicht ins Lächerliche zu ziehende Forderungen aufstellen bzw. Maßnahmen vorschlagen.
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Es ist heute morgen, wie ich am Radio mithören konnte, teilweise wieder gesagt worden, ein Ergebnis der Politik, die diese Regierung treibe, sei es, daß die Menschen, die arbeitenden Menschen um die Früchte, die Erfolge ihrer Arbeit betrogen würden. Das soll angeblich durch eine unzumutbar hohe Steuer geschehen. Nun, auch hier will ich gern etwas geraderücken: Der Anteil der gesamten Steuereinnahmen am Bruttosozialprodukt liegt seit vielen Jahren unverändert bei etwa 24 %.
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Wenn man die Sozialabgaben hinzurechnet, kommt man zwar auf eine höhere Abgabenquote; aber auch die liegt - international gesehen - immer noch außerordentlich günstig.
Es ist hier das Stichwort „Vermögensteuer" gefallen. Da wird so getan, als sei diese ertragsunabhängige Steuer, die Vermögensteuer, eine schreckliche Sache, die man in Deutschland erfunden habe und die die Vermögensbildung, die Erreichung von Wohlstand erschwere. Ich kann das gar nicht verstehen. Sollte vielleicht übersehen worden sein, daß die Vermögensteuer bei natürlichen Personen zur Zeit 0,5 - 0,5 %! - und bei juristischen Personen 0,7 % beträgt und in Ihrer Zeit doppelt so hoch war? Da betrug sie 1 % und war damit noch immer relativ gering. Nun werden Sie mir entgegenhalten: Ja, aber
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damals konnte man die gezahlte Vermögensteuer von der Einkommensteuer abziehen. Das ist richtig. Wir waren übrigens das einzige Land, das Vermögensteuer hatte, in dem der Abzug von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer überhaupt möglich war. Jetzt haben wir einen Vermögensteuersatz von 0,5 %. Aber - und dies ist entscheidend -: Wir haben in den letzten Jahren hohe Freibeträge gerade im Interesse der Familien beschlossen; die sind wesentlich höher, als das früher war. In den 50er Jahren betrugen die Freibeträge 10 000 DM für jeden Ehegatten und 5 000 DM je Kind. Heute wird Vermögensteuer überhaupt erst bei 70 000 DM für den Ehepartner, also für Mann oder Frau, je nachdem, wem das Vermögen zugerechnet wird, und 70 000 DM für jedes Kind erhoben. Dies zeigt, in welch einem Maße wir, gerade aus Gründen der Familienfreundlichkeit, geringer verdienenden Menschen Vermögensbildung dadurch ermöglichen, daß wir die Vermögensteuer, die ja ohnehin gering ist, durch die im Verhältnis zu früher mehr als siebenfach angehobenen Freibeträge so niedrig halten.
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Oder nehmen Sie die Mehrwertsteuer. Da ist der Regelsteuersatz - es gibt j a auch die Ermäßigungen auf die Hälfte - seit dem 1. Juli 1979 auf 13 % angehoben worden. Italien hat einen Mehrwertsteuersatz von 15%, ebenso Großbritannien. Belgien hat einen Mehrwertsteuersatz von 16 %, Frankreich von 17,6 %, die Niederlande von 18 %, Irland von 25 %.
Nun muß ich j a zugeben, verehrter Herr Kollege Strauß: Bayern hat damals gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht nur gestimmt, sondern im Bundesrat auch noch einen Gesetzesantrag mit Datum vorn 29. März 1979 mit dem Ziel einer Rücknahme der Umsatzsteuererhöhung zum 1. Juli 1979 eingebracht, der allerdings keine Mehrheit gefunden hat, wie ich hier gern hinzufüge. Auch die CDU- regierten Länder haben da nicht mitgemacht. Wenn Ihr Antrag durchgekommen wäre, dann wären die Einnahmen 1981 nämlich um 7,6 Milliarden DM niedriger gewesen. In den beiden voraufgegangenen Jahren, nämlich im Restteil des Jahres 1979 und im Jahre 1980, wären sie zusammen 10 Milliarden DM niedriger gewesen. In den Kassen des Gesamtstaates wäre dann ein weiteres Defizit von 17,6 Milliarden DM auf Grund verminderter Umsatzsteuereinnahmen zu verzeichnen gewesen.
Sie mögen sich noch nachträglich darüber freuen oder darauf stolz sein, daß Sie dem damals widersprochen und ein Rückgängigmachen dieser Steueranhebung gefordert haben. Dennoch meine ich: Es sollte nicht zur Übung werden, daß wir in den Ländern mitteilen, wie wir bei einzelnen Bundesgesetzen abgestimmt haben.
Ich habe hier ein amtliches Formular von einem Finanzamt des Freistaats Bayern mit der Aufforderung, die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1980 abzugeben. Da ist ein Hinweis für Land- und Forstwirte, die erstmals eine Einkommensteuererklärung abgeben. Er beginnt mit den Worten:
Das von den gesetzgebenden Körperschaften in Bonn gegen die Stimme Bayerns beschlossene Gesetz
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zur Neuregelung der landwirtschaftlichen Einkommensbesteuerung macht es erforderlich,
daß ...
Dann heißt es:
Zu Ihrer Information: Die Bayerische Staatsregierung, die dem Gesetz zur Neuregelung
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der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft im Gesetzgebungsverfahren die Zustimmung versagt hat, wird sich um eine Änderung des beschlossenen Gesetzes bemühen, wenn im Vollzug des Gesetzes besondere Härten für bestimmte Personengruppen offenbar werden.
Ich meine, das ist immer unsere Aufgabe, daß wir dann, wenn wir feststellen, daß in der Durchführung eines Gesetzes besondere Härten auftreten, sie zu ändern oder zu mildern versuchen. Nur, wenn dies Übung werden sollte, dann können wir was erleben, wenn auf den amtlichen Vordrucken gleich eine Übersicht mitgeliefert wird, wie das einzelne Land im Bundesrat, vielleicht noch im Vermittlungsverfahren, gestimmt hat.
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Ich war über diesen Hinweis in den amtlichen Vordrucken des Freistaats Bayern auch deshalb etwas überrascht, weil das j a eine etwas merkwürdige Sache gegenüber den Bundesratskollegen Späth und Stoltenberg ist, die diesem Gesetz nämlich zugestimmt haben.
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Nicht jedermann, aber doch viele Leute wissen, daß ununterbrochen seit 1969 die Mehrheit im Bundesrat anders als die Mehrheit des Deutschen Bundestages ist und daß jedes Gesetz über Steuern, an deren Aufkommen nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Gemeinden beteiligt sind, zustimmungsbedürftig ist, also die Zustimmung der Mehrheit vorgelegen haben muß. Deshalb glaube ich auch nicht, daß Sie damit Freude bei Ihren CDU-Kollegen im Bundesrat erwecken konnten. Ich meine, wir sollten einig sein, daß wir solche Übungen nicht miteinander fortsetzen.
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Nun ist natürlich die wichtigste Steuer neben der mehrfach als ertragsunabhängig genannten Vermögensteuer sowie der Mehrwertsteuer die Lohn- und Einkommensteuer. Auch hier wird den Bürgern ein Eindruck vermittelt, als wären wir ein Steuersaugerstaat.
In Wirklichkeit ist die steuerliche Belastung bei uns ausgesprochen maßvoll, wenn ich an vergleichbare Industrienationen denke. Bei uns in der Bun2960
Minister Dr. Posser ({13})
desrepublik Deutschland ist der niedrigste Höchstsatz bei der Einkommensteuer 56 %, und er beginnt bei Ledigen mit 130 000 DM Jahreseinkommen und bei Verheirateten mit 260 000. In Frankreich beträgt er 60 % ab - umgerechnet - 58 509 DM, in Großbritannien 60 % ab 134 000 DM; in den USA ist er 75,3 %, allerdings erst ab 217 000; aber das ist immerhin noch schlechter als bei uns bei Verheirateten.
Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Erwecken Sie doch bitte nicht den Eindruck, als wäre bei uns die Steuerbelastung unerträglich groß. Zudem haben wir einen mehrmals angehobenen Grundfreibetrag, der sozusagen eine Null-Zone bei der Lohn- und Einkommensteuer darstellt. Überdies haben wir eine Proportionalzone. Früher hatten wir ja mal den durchgängigen progressiven Tarif. Jetzt haben wir eine Proportionalzone, die immerhin bei Ledigen bis 18 000 DM und bei Verheirateten bis 36 000 DM Jahreseinkommen geht. Darunter fällt mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerschaft; sie wird nur mit einem konstant bleibenden Steuersatz von 22 % innerhalb der Proportionalzone getroffen. Ich erwähne das deshalb, weil das nachher noch bei einem Vorschlag, den das Land Nordrhein-Westfalen machen will, eine besondere argumentative Rolle spielen wird. Insgesamt aber: Abgabenlast, Steuern und Sozialabgaben, international günstig für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger.
Nun höre ich immer wieder von Sprechern der Opposition und auch von Kollegen im Bundesrat aus den CDU/CSU-regierten Bundesländern, das Steuersystem dürfe nicht leistungsfeindlich sein, und Leistung dürfe nicht durch zu hohe Steuern bestraft werden. Das ist ein richtiger und verständlicher Grundsatz. Nur frage ich: Was ist denn Leistung? Ist denn dieser Begriff nur auf Hochverdienende anwendbar?
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Erbringen denn der Arbeiter im Hüttenbetrieb, der Bergmann vor Ort, die Krankenschwester in einer Intensivstation, die Lehrerin an einer Sonderschule für geistig behinderte Kinder nicht auch eine Leistung, die steuerlich nicht bestraft werden darf?
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Und ist das nicht vielleicht doch eine etwas gedankenlose Formulierung von dem „Bestrafen durch Steuerzahlen"? Ist denn Steuerzahlen eine Strafe? Oder ist es nicht unverzichtbar, daß diejenigen, die arbeiten und tätig sein können, ihren nach sozialen Gesichtspunkten ausgerichteten Beitrag leisten, damit der Staat, der Bund, die Länder und die Gemeinden, die Aufgaben erfüllen können, die für das Lenben der Menschen zu erfüllen unerläßlich ist?
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Wenn wir diesen Gedanken der Steuergerechtigkeit so deutlich nach vorn rücken, dann trifft uns auch nicht der Vorwurf - obwohl er immer wieder an unsere Adresse gerichtet wird -, wir betrieben so etwas wie Klassenkampf zu Lasten der Besserverdienenden oder weckten Neidgefühle. Das ist ganz falsch. Die Besteuerung der hohen Einkommen und der Vermögen ist, wie ich eben durch Zahlen belegt habe, gemessen an den Verhältnissen in anderen Industrieländern, maßvoll. Vor allem gilt für uns die Erfahrung: Wenn die Höherverdienenden, die Bessergestellten zuwenig an Steuern entrichten, dann muß die Masse der Arbeitnehmer mehr an Steuern zahlen, mehr, als ihnen eigentlich auferlegt werden sollte.
Deshalb haben wir auch in den vergangenen Jahren Stück für Stück die Vorrechte der Einkommenstarken abgebaut, ohne ihre Rechte anzutasten.
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Darum geht es, daß Vorrechte abgebaut werden, ohne in Rechte einzugreifen.
Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen in der Vergangenheit und auch in dem Paket, über das wir jetzt die parlamentarischen Beratungen beginnen. Wir haben z. B. das Außensteuergesetz geändert, um die Wiederholung eines bekannten Falles zu verhindern, wo der Betreffende mit einem Veräußerungsgewinn von mehreren 100 Millionen DM aus dem Verkauf von Warenhäusern in die Schweiz übersiedeln konnte, ohne einen Pfennig Steuern davon zahlen zu müssen. Wir haben das geändert.
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Wir haben zusätzlich Doppelbesteuerungsabkommen, die angeblich früher nicht erreichbar, nicht erzielbar waren, durchsetzen können, damit sich so etwas nicht wiederholt; nicht aus klassenkämpferischen Motiven, sondern weil wir meinen, wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Bürgern, die weniger haben.
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Es geht darum, daß einige nicht durch unberechtigte Privilegien bessergestellt werden.
Oder wir haben in der Vergangenheit - das ging ja bis in den Vermittlungsausschuß - so ein Schlupfloch für ganz, ganz Reiche geschlossen, nicht aus Neidgefühlen, sondern aus sozialer Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit. Mehr und mehr haben sehr reiche Familien Familienstiftungen gegründet und damit die Erbschaftsteuer sparen wollen. Erbschaftsteuer fällt ja nur an, wenn ein Mensch stirbt. Man wollte durch die Gründung solcher Stiftungen vermeiden, daß man alle 30 oder 40 Jahre beim Tode des jeweiligen Inhabers des Familienvermögens Erbschaftsteuer zahlen müßte. Da kam man auf den Gedanken, Familienstiftungen zu gründen. Das sind natürlich keine gemeinnützigen Stiftungen - damit kein Mißverständnis aufkommt -, sondern das sind Familienstiftungen, deren Erträgnisse nur Mitgliedern der betreffenden Familien zufließen. Wir haben gesagt: Das geht nicht. Nach langen Kämpfen haben wir dann eine sogenannte Erbschaftersatzsteuer eingeführt, die jetzt alle 30 Jahre entrichtet werden muß. Das hat übrigens auf weitere Anträge auf Einrichtung solcher Familienstiftungen sehr beruhigend gewirkt.
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Manchmal ist der Zeitraum bei normalen Ablauf des Geschehens ja länger als diese 30 Jahre.
Wir haben eine Vorschrift im Einkommensteuergesetz eingefügt, die das Betätigungsfeld sogenannter Verlustzuweisungsgesellschaften einschränkt, welche sehr gut verdienenden Steuerbürgern mittels der Konstruktion des sogenannten negativen Kapitalkontos ungerechtfertigte Steuervorteile von erheblichem Umfang verschafft haben. Ich nenne ferner die Eingriffe beim Entwicklungsländer-Steuergesetz und die BAföG-Novelle vom 13. Juli dieses Jahre. Das sind alles Schritte in Richtung Steuergerechtigkeit und mehr sozialer Gerechtigkeit. Es war auch so eine Besonderheit, daß man als Hochverdienender, als jemand, der eine Million oder mehr im Jahr verdient, legal - das sage ich ausdrücklich; es geht hier nicht um Steuerhinterziehungen - durch Verlustzuweisungen sein Einkommen so senken konnte, daß die Kinder eines solchen Einkommensmillionärs BAföG bekamen. Die Änderung, mit Wirkung vom 14. Juli dieses Jahres in Kraft getreten, besagt in § 21 nunmehr: „Als Einkommen ... gilt die Summe der positiven Einkünfte ... Ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des zusammenveranlagten Ehegatten ist nicht zulässig." - Ein solcher Ausgleich war bis dahin zulässig. Wir haben da groteske Sachen erlebt, z. B. das Leute, die Millionen und mehr verdienen, für ihre Kinder BAföG bezogen, weil sie rein rechnerisch, fiktiv trotz eines Rieseneinkommens Minus machten.
Deshalb sind die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf dem richtigen Weg, wenn jetzt auch in Bezug auf § 6 b Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes etwas unternommen wird, nämlich in der Frage, ob bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften der Gewinn weiterhin dann steuerfrei bleiben soll, wenn er wieder in Anteilen an Kapitalgesellschaften verwertet wird. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von bedauerlichen Fällen, die man beim besten Willen, auch im Interesse des Mittelstandes - ich sage das ausdrücklich -, nicht akzeptieren kann. Ich wiederhole, daß das Verfahren in diesen Fällen durchaus legal war. Aber eben weil es rechtmäßig ist und diese negativen Folgen hat, muß es geändert werden. Das ist der Grund.
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Hier ist jetzt ein Einstieg gemacht worden. Der Vorschlag sieht vor, daß die Übertragung der stillen Reserven auf insgesamt 80 % beschränkt wird, die Rücklage bei Auflösung verzinst werden muß und die Übertragung auf Anteile an Kapitalgesellschaften von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Ich sage offen, mir scheint das noch ein bißchen zuwenig zu sein. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen prüft zur Zeit, ob man hier noch einen ergänzenden Vorschlag machen kann. Wir werden uns beim ersten Durchgang im Bundesrat am Freitag nächster Woche wahrscheinlich näher dazu äußern können.
Nun hat es ein weiteres Stichwort gegeben, und zwar den angeblichen Investitionsstau, der hier bestehe und der natürlich die Schuld dieser Bundesregierung sei. Da sind wieder drei Punkte genannt worden: Wohnungsbau, Errichtung von Kraftwerken und neue Medien. Ich meine, es ist auch nützlich, daß wir hier einer Legendenbildung entgegentreten. Wie war denn das?
Nehmen wir einmal den Wohnungsbau. Da ist ja nun in dem Paket einiges. Ich nenne das Stichwort „degressive Abschreibung". Da ist die Erhöhung des Betrages, von dem abgeschrieben werden kann, um 50 000 DM, bei Einfamilienhäusern von 150 000 DM auf 200 000 DM, bei Zweifamilienhäusern entsprechend. Wir haben große Anstrengungen unternommen, um auch von Länderseite - denn der Wohnungsbau ist j a nicht in erster Linie eine Bundesaufgabe, sondern auch eine Länderaufgabe - Zusätzliches zu tun. Obwohl auch die Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen, wie ich schon mehrfach öffentlich gesagt habe, sehr, sehr kritisch ist, übrigens kritischer als die des Bundes - auch das habe ich mehrfach gesagt -, haben wir, weil da ein Schwerpunkt für Investitionstätigkeit liegt und man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, im Haushaltsentwurf 1982 557 Millionen DM mehr eingesetzt als 1981. Mit der Gesamtsumme von etwa 2,8 Milliarden DM leisten wir bei dem, was an Barmitteln fließt, über 44 % des Mitteleinsatzes aller Bundesländer bei einer Bevölkerung von knapp unter 28 %. Wir haben dies also erkannt. Es ist richtig, wenn gesagt wird, hier müsse ein größerer Mitteleinsatz erfolgen. Wir tun es bis an die Grenze, ja vielleicht sogar bis über die Grenze unserer finanziellen Möglichkeiten unter Zurückdrängung anderer auch durchaus wichtiger Aufgaben.
Aber was ist mit dem Investitionsstau bei Kraftwerken? Nehmen wir einmal die konventionellen Kraftwerke. 1979 betrug die - das ist die letzte für mich verfügbare Zahl - Nettokraftwerks- und Bezugsleistung im Bundesgebiet 77 000 Megawatt, die Nettohöchstlast, die angefallen ist, betrug 53 500 Megawatt. Das heißt, es war eine Reserveleistung von 23 500 Megawatt übrig. Natürlich muß man das für Störfälle vorhalten - das ist selbstverständlich -, aber darin steckt doch eine erhebliche freie Kapazität.
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Wir bauen zur Zeit in Nordrhein-Westfalen Kraftwerke mit einer Leistung von knapp 4 000 Megawatt. Wir haben positive Vorbescheide für Kraftwerke mit Leistungen von 2 250 Megawatt, ohne daß von den Betreibern bisher eine weitere Teilerrichtungsgenehmigung beantragt worden ist - die wir erteilen würden. Geplant sind in Nordrhein-Westfalen Kraftwerke mit einer Leistung von 6 142 Megawatt. Da haben die Betreiber die sofortige Vollziehung der von Bürgern angefochtenen, von uns erteilten günstigen Bescheide nicht beantragt. Ich kann daraus nur den Schluß ziehen - ich rede jetzt vom Bau konventioneller Kraftwerke -: Statt von einem Genehmigungsstau können wir aus unserer Sicht bei konventionellen Kraftwerken eher von einer Genehmigungshalde sprechen.
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Die Betreiber revidieren - das sage ich ohne Vorwurf - ihre früheren Angaben über den ständig rasch steigenden Stromverbrauch; er stagniert, manchmal ist er ein bißchen rückläufig, aber er hat bei weitem nicht mehr diese Zuwächse, die gewünscht oder befürchtet worden sind. Deshalb liegt bei uns viel auf Halde. Da kann sofort gebaut werden, aber die zuständigen Herren sagen - das sage ich wiederum ohne Vorwurf -: Es hat keine Zweck; wir können das nicht absetzen. Wir würden gern z. B. in Siersdorf bei Aachen - für den Eschweiler Bergwerksverein eine fast existentielle Frage - ein Kohlekraftwerk errichten. Wir helfen, wir geben jede Hilfe, Herr Kollege Strauß, aber wir wissen nicht, wer den Strom abnehmen soll. Es ist tatsächlich so.
Aber nun bleibt natürlich die Frage: Wie ist es bei Kernkraftwerken? Ich habe schon am 28. Januar gesagt, daß in Nordrhein-Westfalen ein einziger Antrag auf Prüfung für die Errichtung eines Leichtwasserreaktors vorliegt. Ohne der Prüfung vorgreifen zu wollen, da ich nicht zuständig bin, möchte ich doch so viel sagen: Nach all dem, was ich höre, wird diese Prüfung auf Grund der neuen „Baulinie 80" positiv ausgehen. Wir wissen doch alle, worauf die Verzögerungen beruhen. Das erleben wir in fast allen Bundesländern. Das Problem von Kalkar liegt doch nicht darin, daß die Landesregierung nach ordnungsgemäßer Prüfung da etwas nicht vorangetrieben hätte, sondern darin, daß unser oberstes Verwaltungsgericht einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht gerichtet hat mit der Behauptung, das Bundesatomgesetz sei möglicherweise verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht verneint. Die Sache hat aber mit allem Hin und Her über mehrere Instanzen Jahre gedauert.
Oder nehmen Sie Wyhl! Seit sechs Jahren schwebt der Prozeß. Jetzt soll die zweite Instanz darüber entscheiden.
Oder nehmen Sie Mülheim-Kärlich bei Koblenz! Auch da befassen sich die Verwaltungsgerichte mit den Fragen des Berstschutzes und der Entsorgung.
Wir müssen diese Fragen ernst nehmen. Wenn die Gerichte sagen, sie hielten die Voraussetzungen der Betriebssicherheit und der Entsorgung für nichtgelöst, dann können wir uns als Exekutive unmöglich darüber hinwegsetzen. Bei uns ist das im übrigen weitgehend kein Problem.
Oder nehmen Sie die letzte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt, daß in Kernkraftwerken nur kleine Mengen abgebrannter Brennstäbe gelagert werden dürfen. Diese Entscheidung ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber es ist eine Entscheidung gegen Kompaktlager, die ja einige von uns - auch das sage ich ohne Vorwurf - als eine mittelfristige Lösung angesehen haben.
Oder denken Sie an die Erklärung eines - wenn auch vielleicht nur vorübergehenden - Aufnahmestopps für abgebrannte Brennstäbe aus der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich.
Oder nehmen Sie die Meldungen über Gorleben! Ist der Salzstock, wie auch ich persönlich immer geglaubt habe, wirklich die am besten geeignete Endlagerstätte?
Diese Fragen, verehrter Herr Kollege Strauß, beschäftigen nicht nur die Bürger und die Behörden in unserem Land. Denken Sie einmal an die von ihrer Industriekapazität her sehr auf billige und rationelle Energieversorgung angewiesenen Vereinigten Staaten. Seit 1978 ist in den USA kein einziger Antrag mehr auf Errichtung eines Kernkraftwerks gestellt worden. 39 bestellte Kernkraftwerke sind abbestellt worden. Allein dieses eine Beispiel zeigt, daß alle Erklärungen, hier werde durch eine uneinsichtige Politik der Koalition irgend etwas versäumt, doch nicht richtig sein können.
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Lassen Sie mich nun zu dem Thema Investitionsstau im Bereich neuer Medien kommen. Ich hatte das wirkliche Vergnügen, bei der diesjährigen Internationalen Funkausstellung zu sein. Man ist geradezu überrascht von dem, was da an technischen Neuheiten geboten wird. Es ist wirklich beeindrukkend. Man muß dafür natürlich die Kunden finden. Da gibt es inzwischen Videorecorder, die sich hervorragend verkaufen und bei denen es erfreulicherweise einen großen Produktionsauftrieb gibt; da gibt es Videokameras, mit denen man selber Filme machen kann, die man sich dann mit dem Fernseher vorspielen kann; da kann man von ARD und ZDF Videotext haben; da gibt es einen Bildschirmtext, den die Post mit Service versieht; da gibt es die Bildschirmplatte. Die Frage ist - alle Hersteller haben sie aufgeworfen -: Kaufen die Bürger das denn? Denn das ist natürlich mit Kosten verbunden.
Nun kann man natürlich fragen: Wie ist es mit dem Kabelfernsehen? Hat da die Bundesregierung etwas versäumt und einen Investitionsstau verursacht oder gar verschuldet? Richtig ist, daß die Bundesregierung ursprünglich den Plan hatte, in zwölf Großstädten Verkabelungen mit Kupferkabeln vorzunehmen. Dieser Plan ist im September 1979 gestoppt worden, weil sich inzwischen eine sehr viel bessere Möglichkeit ergibt. Sie wissen, Kupfer müssen wir einführen, weil wir es nicht in ausreichender Menge zur Verfügung haben. Aber jetzt gibt es die Möglichkeit, das Breitbandglasfaserfernmeldenetz auszubauen. Das ist sehr viel günstiger, sehr viel weniger von Rohstoffeinfuhren abhängig.
Es ist doch vernünftig, wenn die Bundesregierung sagt: Wir haben jetzt eine neue Technologie zur Verfügung,
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die die Industrie entwickelt hat und die wir jetzt einsetzen wollen. Deshalb hat die Bundesregierung am 8. April dieses Jahres den Beschluß gefaßt- der zu unterstützen ist -, jetzt solche Glasfaserfernmeldenetze einzurichten. Daß es im übrigen Verkabelungen in sogenannten Abschattungsgebieten schon immer gegeben hat, ist ja bekannt.
Diese Kabelpilotprojekte, an denen sich die öffentliche Hand neben den Rundfunk- und Fernsehanstalten stark beteiligen soll, sind auf einige Städte
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begrenzt, aber mit erheblichen Kosten verbunden. Weil das in Nordrhein-Westfalen initiiert worden ist, möchte ich Ihnen nur sagen, daß das Kabelpilotprojekt Dortmund für 7 000 Teilnehmer eine Investitionssumme von 300 Millionen DM erforderte. Aber wir haben noch gar keine 7 000 Bürger in Dortmund, die bereit sind, sich daran anschließen zu lassen, weil sie natürlich einen gewissen Eigenbeitrag bezahlen müssen, der, gemessen an dieser gewaltigen Investitionssumme, natürlich sehr niedrig ist.
Ich bin also skeptisch, wenn ich höre, hier hätten die Bundesregierung, die politischen Parteien oder die Behörden versagt, weil sie für die neuen Medien zuwenig getan hätten. Wir werden immer wieder - das halte ich für ein gutes Zeichen - durch den Ideenreichtum unserer Ingenieure mit immer neuen Planungen und Projekten vertraut gemacht. Es ist doch selbstverständlich, daß wir, ehe wir Geld für ein technisch schon fraglich gewordenes oder gar überholtes Projekt einsetzen, die jeweils neueste Entwicklung nehmen. Da bietet sich z. B. jetzt verstärkt das Satellitenfernsehen an.
Nachdem das einige Zeit unklar war, ist nunmehr der Vertrag zwischen der Bundesregierung und der Regierung der französischen Republik vor einigen Wochen darüber geschlossen worden, daß zwei Satelliten gebaut werden, die in 36 000 km Höhe über dem Äquator stehen. Der deutsche Satellit wird übrigens drei Monate vor dem französischen fertig. Es ist faszinierend, mitzuerleben, wie die Techniker den Ablieferungstag, 15. August 1984 für den deutschen, drei Monate später für den französischen Satelliten, nennen. Ich habe dazu von der recht bemerkenswerten Firma Euro-Satellit GmbH einen Vortrag gehört, die in der bayerischen Landeshauptstadt München ihren Sitz hat. Man kann nicht bestreiten, daß gute Leute in dieser Euro-Satellit GmbH tätig sind. Sie haben gesagt: Mit diesem einen deutschen Satelliten, der ganz Mitteleuropa bedienen kann, machen wir 5 000 Sender überflüssig. Ich meine, es wäre durchaus sinnvoll, wenn wir das unterstützen, was die Bundesregierung ohnehin getan hat. Dann wird sich manches, was lange Zeit als letzter Schrei innovativen Ideenreichtums gegolten haben mag - das ist nicht gegen die, die das erdacht haben, gerichtet -, als schon überholt zeigen.
Ich möchte also sagen: Investitionsstau durch falsche Entscheidungen oder nicht getroffene Entscheidungen ist nicht nachweisbar.
Lassen Sie mich nun einen Punkt aufgreifen, bei dem das Land Nordrhein-Westfalen nicht den Vorschlägen folgen kann, die hier gemacht worden sind. Ich meine die Frage des Kindergelds. Beim Kindergeld ist die nordrhein-westfälische Landesregierung der Meinung - sie hat schon beschlossen, das im Bundesrat auch als Antrag vorzulegen -, daß die jetzigen Sätze beim Kindergeld beibehalten werden sollten, daß also keine Kürzung beim zweiten und dritten Kind um je 20 DM vorgenommen werden sollte. Es soll also das festgeschrieben werden, was seit 1. Februar dieses Jahres gilt.
({29}) Natürlich sehen wir vollauf, daß hier erhebliche Belastungen auf den Bund zugekommen sind. Ich möchte an die Beträge erinnern. 1974 zahlte der Bund ein Kindergeld in Höhe von 3,1 Milliarden DM. Daneben gab es einen steuerlichen Kinderfreibetrag; aber an dessen Aufbringung war der Bund damals nur mit 43 % beteiligt. Die Länder waren ebenfalls mit 43 % und die Gemeinden mit 14 % beteiligt. Mit anderen Worten, da war eine Lösung gefunden worden, von den Nachteilen des dualen Systems einmal abgesehen, die den Bund finanziell nicht allein belastete. Dann kam 1975, mit breiter Mehrheit in beiden gesetzgebenden Häusern beschlossen, eine Neuordnung des Kinderlastenausgleichs, durch die die Zweiteilung, einmal bar gezahltes Kindergeld, zum anderen steuerrechtliche Kinderfreibeträge, abgeschafft worden ist und die Förderung ausschließlich durch das Kindergeld vorgenommen wurde, das dann - wenn man will - bis zu diesem Jahr ausschließlich der Bund gezahlt hat. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sind für 1981 19 Milliarden DM eingesetzt worden.
Der Gedanke, der uns damals - nicht alle, das gebe ich zu, aber doch die ganz überwiegende Mehrheit - bei dieser Entscheidung zur Neuordnung des Kinderlastenausgleichs getragen hat, war, daß unabhängig von der Vermögens- und Einkommenssituation der Familie, in der das Kind lebt, für jedes Kind dasselbe gezahlt werden sollte. Das Prinzip war: Jedes Kind bekommt dasselbe Kindergeld. Daran möchten wir festhalten, selbstverständlich darum wissend, daß es zu bequem wäre, wenn die Länder jetzt sagten: Bund, bleib du bei deinen Lasten, und wir beteiligen uns daran - abgesehen von der Milliarde, über die ich gleich noch etwas sagen muß - nicht.
Wir haben einen Vorschlag zu machen, von dem ich hoffe, daß er nicht sofort auf Ihr Nein stoßen wird; jedenfalls bitte ich Sie sehr darum, zu prüfen, ob Sie nicht mit uns diesen Weg gehen können.
Bei der Einführung der Kinderbetreuungskosten hatten wir ja fest vor, daß wir nicht auf einem Umwege die 1974 abgeschafften Kinderfreibeträge wieder ins Steuerrecht einführen wollten. Das war unsere Überzeugung.
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Um da auch ganz sicher zu sein, haben wir den Betreuungsbetrag nicht als Freibetrag deklariert, sondern ihn beim § 33 a des Einkommensteuergesetzes, nämlich bei den außergewöhnlichen Belastungen, angesiedelt.
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Wir müssen sagen, daß die Entwicklung in den Ländern ganz uneinheitlich verlaufen ist. In einigen Bundesländern werden die Kinderbetreuungskosten heute praktisch wie ein Kinderfreibetrag behandelt, jedenfalls was die Hälfte des Betrages anlangt, d. h. 600 DM je Kind, wenn beide Eltern noch leben. Dies ist nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen.
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Minister Dr. Posser ({33})
Der zweite Punkt: Die Verwaltungsschwierigkeiten sind groß. Ich möchte Sie jetzt nicht damit langweilen, daß ich einmal wiedergebe, welche Erlasse die einzelnen Oberfinanzdirektionen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema herausgegeben haben. Die Abgrenzungen sind schwierig, und die Handhabung ist uneinheitlich. Nach derzeitigem Stand gelten als Kinderbetreuungskosten
- nicht überall, aber teilweise geht es so weit -: Nachhilfeunterricht, Einzelmusikunterricht, Tanzkurse, Reitunterricht, Beiträge zu Sportvereinen, Bezahlung eines Tennistrainers, Skikurse - ({34})
- Das alles entnehme ich Erlassen von Oberfinanzdirektionen an ihre nachgeordneten Behörden.
Alle, die damals am Vermittlungsverfahren beteiligt waren, werden sagen: Das war nicht der Sinn. Aber dies waren Originalbeiträge aus den Erlassen.
({35})
Die Abgrenzung ist also schwierig.
({36})
Diese uneinheitliche Handhabung ist also der zweite Punkt. Wir haben uns dann damit geholfen - das ist, wenn man so will, ein Ausweg, und zwar ein vielleicht bequemer, aber doch nicht redlicher Ausweg -, daß wir gesagt haben: Gut, die Hälfte des Betrages decken wir mit einer Nichtbeanstandungsgrenze ab; da braucht der Betreffende fast nichts zu sagen, er braucht nur zu sagen, ich habe drei Kinder, die bis 18 Jahre alt sind. Das ist die einzige Voraussetzung. Dann wird das von vielen Finanzämtern anerkannt. So ist es leider. Das ist nach meiner Meinung und auch nach der ganzen Entstehungsgeschichte nicht richtig.
({37})
- So war es nicht gemeint!
Jetzt kommt der dritte Punkt. Diese Kinderbetreuungskosten, die steuerlich berücksichtigt werden können, begünstigen nun wieder - wie ich einräume, wegen der Steuerprogression zwangsläufig
- die Besserverdienenden.
({38})
Im ganzen Bereich der Proportionalzone, also bei Verheirateten mit bis zu 36 000 DM Jahreseinkommen, beträgt die maximale Entlastung - bei dem Betrag von 600 DM, d. h. der Nichtbeanstandungsgrenze - 22 %, während sie bei höheren Einkommen bis zu 56 % dieses Betrages hinaufgeht. Und wenn man Reitkurse usw. mit einbezieht, kann man schon die 1 200 DM als Grundlage nehmen; das führt schon zu einem Betrag, der ins Gewicht fällt.
Gerade dies sollte durch den einheitlichen Kindergeldbetrag ausgeschaltet werden. Das ist der dritte Punkt, der gegen die Kinderbetreuungskosten spricht.
Ein vierter Punkt: Sie wissen, daß der Bund im Vermittlungsverfahren erklärt hat, er könne die angehobenen Kindergeldbeträge für zweite, dritte und folgende Kinder nicht mehr allein zahlen und daß sich die Länder beteiligen müßten. Dann ist es zu einer Vereinbarung gekommen - sie betrifft allerdings nicht nur das Kindergeld -, wonach die Länder an den Bund insgesamt eine Milliarde DM zahlen. Da gibt es nun Meinungsunterschiede. Mehrere Bundesratskollegen sagen: Wenn der Bund hier Kürzungen vornimmt, dann wird auf jeden Fall diese eine Milliarde DM, die die Länder an den Bund entrichten, entsprechend gekürzt. Ich habe Zweifel, ob das richtig ist, was da gesagt wird; denn die Vereinbarung lautet:
Die Länder zahlen dem Bund zum Ausgleich der finanziellen Folgen des Steuerentlastungsprogramms und zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs im Jahre 1981 eine Milliarde.
Das wurde am 3. April 1980 vereinbart.
Ob also die Meinung einiger Bundesratskollegen, das sei eine Milliarde DM, die ausschließlich als Ausgleich für die Erhöhung des Kindergeldes gezahlt werde, zutreffend ist, ist mindestens zweifelhaft.
({39})
- Ich sage vorsichtig: Sie ist mindestens zweifelhaft.
Der Wortlaut spricht jedenfalls für die Auffassung des Bundesfinanzministers. Mit Gesetzesauslegung beschäftigte Leute - solche habe ich hier vor mir sitzen - wissen: Für Auslegungen gibt es eigentlich gar keinen Raum, wenn der Wortlaut klar und eindeutig ist.
({40})
Wo der Wortlaut klar ist, da ist kein Raum mehr für
Überlegungen, was denn wohl teleologisch oder final
- und wie das alles so heißt - gemeint gewesen sein könnte. Der Wortlaut ist klar. Da steht ein „und". Es heißt: „... der finanziellen Folgen des Steuerentlastungsprogramms und zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs ..."
Ich meine deshalb, daß die Mehrheit im Bundesrat gut beraten wäre, nicht so zu tun, als könnte sie dem Bund - wie sie meint - 75 % dieser einen Milliarde DM, also 750 Millionen DM, vorenthalten, wenn es zu einer Kürzung des Kindergeldes käme.
Wäre es da nicht besser, sich auf diesen von mir vorgeschlagenen Kompromiß einzulassen, das Kindergeld unverändert zu lassen, diese eine Milliarde DM weiter zu bezahlen und vor allen Dingen auf die Kinderbetreuungskosten zu verzichten,
({41})
hinsichtlich derer noch ein fünfter Grund hinzukommt?
Dieser fünfte Grund ist folgender: Beim Bundesverfassungsgericht wird zur Zeit auf Grund einer Verfassungsbeschwerde geprüft, ob denn diese Regelung mit den Kinderbetreuungskosten insoweit überhaupt verfassungsgemäß sei, als sie eine Beschränkung des Höchstbetrages für Ein-Eltern-FaMinister Dr. Posser ({42})
milien auf 600 DM festlegt. Wenn beide Ehegatten leben und Kinder haben, können für jedes Kind Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1 200 DM abgesetzt werden. Ist aber eine Frau oder ein Mann verwitwet, kann sie oder er für das Kind nur die Hälfte absetzen, selbst wenn Belege für den vollen Betrag beigebracht werden. Ob das richtig ist, ist in der Tat nicht so eindeutig zu beantworten. Das Kindergeld, das bar bezahlt wird, ist eindeutig. Da ist Kind gleich Kind. Ob es eine Waise, Halbwaise oder Vollwaise, ist oder ob beide Eltern leben, das Geld wird für das Kind gezahlt. Bei der Regelung der Kinderbetreuungskosten ist der Anknüpfungspunkt nicht mehr das Kind, sondern die Frage, ob beide Eltern leben oder ob es eine Ein-Eltern-Familie ist.
Es gibt zwar viele Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht - und die meisten bleiben erfolglos -, aber ich weiß nicht, ob diese im Dreier-Ausschuß als offensichtlich unbegründet verworfen wird. Ich weiß es nicht. Darin liegt jedenfalls ein Risiko.
Diese fünf Gründe veranlassen das Land Nordrhein-Westfalen, dafür einzutreten, daß das Kindergeld unverändert in dem seit 1. Februar dieses Jahres geltenden Umfang gezahlt wird,
({43})
unter Beteiligung der Länder, und daß auf die Kinderbetreuungskosten verzichtet wird. Das Volumen der Minderung der Steuereinnahmen, das wir uns da gemeinsam vorgestellt haben, ist nämlich wesentlich überschritten. Wir hatten gedacht, maximal würden es vielleicht zwei Milliarden. Bei voller Anwendung als quasi Kinderfreibetrag betragen die Ausfälle für die einzelnen Ebenen bis zu 3,5 Milliarden DM.
({44})
Wir können zur Zeit nicht überblicken, in welchem Umfange es voll angewendet wird. Darin liegt wiederum ein Risiko, das zu 42 % von den Ländern mitgetragen werden muß.
Nun ist bei dem sogenannten sozialen Netz oft gesagt worden, es gebe zu viele Mißbräuche, es gebe zu viele Ungereimtheiten und ähnliches mehr. Es läßt sich nicht bestreiten, daß es auch dort Mißbräuche gibt. Ich möchte irgendeine Einrichtung in unserem Gemeinschaftsleben sehen, die nicht mißbräuchlich benutzt werden kann. Wir wissen alle, viele der besten Heilmittel werden, wenn sie in Überdosis genommen werden, zu einer schädlichen, manchmal tödlichen Wirkung führen. So ist auch hier selbstverständlich ein Mißbrauch möglich und denkbar, und manche haben solche Mißbräuche schnell zur Hand.
Lassen Sie mich zum sozialen Netz dies sagen: Das soziale Netz, das in Jahrzehnten geknüpft worden ist - es ist doch zu einem ganz erheblichen Teil mit breiten Mehrheiten geknüpft worden -, ist nicht, wie aus Unmut über einzelne Mißbrauchsfälle behauptet wird, eine Hängematte für Faulpelze, sondern dieses soziale Netz leitet sich aus dem auf dem
Grundsatz der Solidarität beruhenden Sozialstaatsprinzip der Bundesrepublik Deutschland her.
({45})
Mißbrauchsfälle müssen abgestellt werden. Es gibt in den Vorschlägen, die jetzt vorgelegt worden sind, Ansatzpunkte. Ich stimme bis auf die Höhe - das glaube ich nicht mitvertreten zu können - voll 'mit Ihnen überein, Herr Kollege Strauß. Bemessungsgrundlage, Mobilität und Zumutbarkeit bilden - da haben Sie recht - in der Tat ein Einfallstor für Mißbräuche, zwar nicht bei allen, bei weitem nicht, aber hier gibt es Ungereimtheiten. Es kann nicht richtig sein, daß ein Arbeitsloser, der acht Monate im Jahr gearbeitet hat, unter Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes über den Lohnsteuerjahresausgleich mehr zur Verfügung hat als der, der das ganze Jahr hindurch Tag für Tag gearbeitet hat. Das kann nicht akzeptiert werden und soll durch die Vorschläge der Koalition abgestellt werden. Wenn man eine solche Ungereimtheit erkannt hat, muß man sie beseitigen, und dazu sind wir bereit.
({46})
Glauben Sie nicht, Arbeitslosengeld sei eine Sache, die generös vergeben und die in einer von vielen gar nicht richtig erkannten Höhe gezahlt würde. Arbeitslosengeld wird doch nur dann gezahlt, wenn der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren mindestens ein halbes Jahr lang versicherungspflichtig beschäftigt war. Je nach Beschäftigungsdauer innerhalb dieses Zeitraums von drei Jahren besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von drei bis maximal zwölf Monaten. Die Höhe des Arbeitslosengeldes entspricht 68 % der in den letzten drei Monaten vor der Arbeitslosigkeit erzielten durchschnittlichen Nettovergütung - Nettovergütung, nicht 68 % des Gehalts oder des Lohns. Die Arbeitslosenhilfe, die spätestens nach einem Jahr einsetzt, beträgt nur noch 58 %. Da wird vieles eingerechnet, auch Einkommen oder Vermögen des Ehegatten und ähnliches mehr. Die Beitragsbemessungsgrenze für dieses Arbeitslosengeld beträgt 4 400 DM im Monat. Das ist die Bruttogrenze. Davon wird der Nettobetrag genommen und davon dann 68 %. Das ist das Arbeitslosengeld. Das sind nicht etwa riesige Summen, wie man sie sich da vorstellt. Ich habe das einmal ausgerechnet. Bei einem Verheirateten in Steuerklasse III beträgt das denkbar höchste Arbeitslosengeld, das für höchstens ein Jahr gezahlt wird, 1 912,80 DM, egal wieviel er vorher verdient hat. Das ist das maximal erreichbare Arbeitslosengeld bei dem, der viel verdient hat. Das gilt nicht für die Masse derjenigen, die arbeitslos werden.
Sicher gibt es Mißbräuche, sicher gibt es Fehlverhalten bei denen, die Schwarzarbeit machen. Das wollen wir ja auch abschaffen. Das ist auch ein Teil der Vorschläge: Kampf gegen die Schwarzarbeit.
({47}) Wir sagen auch, daß das nicht in Ordnung ist.
Aber ist die Schwarzarbeit nur eine Sache der Arbeitnehmer? In der Regel können diese ja nicht ohne
Minister Dr. Posser ({48})
Einschaltung eines Unternehmers auf einer Baustelle tätig werden. Da liegt wohl nicht nur auf Arbeitnehmerseite ein Mißbrauch vor.
({49})
Wir dürfen uns nicht von dem Gedanken leiten lassen, als hätten wir nicht beim Abstellen der Mißbräuche die tatsächliche energische Unterstützung der Arbeitnehmer selbst und der Gewerkschaften auf unserer Seite; denn die leiden ja gerade darunter.
({50})
Die Zahlungen in die Arbeitslosenversicherung werden doch zur Hälfte vom jeweiligen Arbeitgeber, zur anderen Hälfte aber vom Arbeitnehmer geleistet und nicht von den vielen, die den angeblich zu großen Umfang des Arbeitslosengeldes so heftig und so wortschnell beklagen. Die zahlen nämlich überhaupt nichts in die Arbeitslosenversicherung.
({51})
Deshalb haben die Arbeitnehmer ein Interesse daran, daß wir Mißbräuche aufspüren, ihnen nachgehen und sie abstellen. Dies soll ja geschehen: Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs, der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, der Schwarzarbeit. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, sondern ausdrücklich sagen: Dem stimmen wir zu.
Lassen Sie mich noch ein Stichwort nennen: Mißbrauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Damit wird auch sehr viel gearbeitet, und es wird so getan, als hätten die Arbeiter das Vertrauen nicht verdient gehabt, das damals Bundestag und Bundesrat in sie gesetzt haben, als sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für die Arbeiter beschlossen und damit endlich einen sozialpolitischen Skandal beendet haben, nämlich daß die Angestellten - oft ist die Abgrenzung zwischen Angestellten und Arbeitern fließend - diesen Anspruch hatten, die Arbeiter aber nicht.
({52})
Die gesetzliche Regelung, die freilich durch tarifvertragliche Vereinbarung abgeändert werden kann, sieht vor, daß die Arbeiter nach wie vor sofort zum Arzt gehen und sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen müssen. Diese Bescheinigung muß bereits den ersten Tag der Erkrankung umfassen. Angestellte und Beamte brauchen diese Bescheinigung erst vom vierten Tag ihrer Erkrankung ab vorzulegen. Ich glaube, dies muß man sehen, und das hätte ich gern in die Debatte eingeführt.
Nehmen Sie als Beispiel einen pflichtbewußten Angestellten - wir haben sehr viele pflichtbewußte Angestellte und Beamte, wie ich ausdrücklich hinzufüge -, der am Donnerstag krank wird. Aber diese Erkrankung ist leichter Art. Donnerstag und Freitag fehlt er. Samstag und Sonntag sind sowieso frei. Am Montag, am fünften Tag, meldet er sich wieder gesund. Er braucht für diese beiden Tage keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Mit anderen Worten: er taucht nicht in der Statistik auf.
Aber der Arbeiter, der krank wird, muß eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, und er taucht immer in der Statistik auf, selbst dann, wenn er nach zwei Tagen, wenn er für sieben Tage krankgeschrieben sein sollte, wieder im Betrieb erscheint. Der Arbeiter steht in der Statistik.
Die Angestellten, die, was ich lobend erwähnen will, ihre leichte Erkrankung nicht zu einer Dauerkrankheit werden lassen und wieder in den Betrieb zurückkehren, können, wenn man das Wochenende einrechnet, fünf Tage ohne eine solche ärztliche Bescheinigung der Arbeit fernbleiben. Das für uns wichtige Ergebnis ist, daß sie in der Statistik nicht erfaßt sind, denn für sie ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erteilt worden. Deshalb ist die Schlußfolgerung, die aus derartigen Statistiken gezogen wird, als seien die Arbeiter eher als andere bereit, „blau zu machen", oder eine Erkrankung vorzutäuschen, falsch. Die Statistik gibt aus dem Grund, den ich soeben geschildert habe, diese Aussage nicht her.
({53})
Ich bin sehr froh darüber, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei gesagt hat: Wenn der Gedanke der Karenztage überhaupt aufgegriffen wird, dann muß er für alle Gruppen von Arbeitnehmern gelten. Ich bin nicht dafür; ich habe die Gründe genannt. Aber wenn, dann muß diese Gleichbehandlung beibehalten werden. Sie ist einer der ganz wichtigen sozialpolitischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte.
({54})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der Bund erwartet Zustimmung des Bundesrates zu wichtigen finanzpolitischen Entscheidungen für den Zeitraum 1982 bis 1985, die - das ist von einigen meiner Kollegen im Bundesrat öffentlich kritisiert worden - zu sehr unterschiedlichen Haushaltsentlastungen führen. Es wird - richtig - vorgerechnet, daß der Bund in diesem Zeitraum 1982 bis 1985 eine Entlastung von 78 Milliarden DM, die Länder von 9,5 Milliarden DM und die Gemeinden von 1,5 Milliarden DM haben oder, wie das in Prozenten ausgerechnet worden ist: 88 % : 10 % : 2 %.
Es ist die Frage gestellt worden, ob es für Länder und Gemeinden nicht unzumutbar sei, wenn die Entlastung durch diese finanzpolitischen Entscheidungen zu fast 90% beim Bund lägen. Dieser Hinweis ist verständlich. Aber er geht fehl; denn es liegt in der Natur der Sache, daß die Entlastung beim Bund sehr viel höher sein muß als bei den Ländern und Gemeinden, wenn Einschränkungen bei Bundesgesetzen erfolgen, für deren Finanzierung der Bund entweder ganz - wie bei den Arbeitslosen - oder zu einem ganz überwiegenden Teil die Mittel bereitstellt. Deshalb sage ich: Der Hinweis ist richtig, aber er besagt nicht viel. Wenn der Bund Maßnahmen zu 100 % bezahlt hat, dann ist es doch selbstverständlich, daß er bei Einschränkungen in diesem Bereich auch zu 100 % entlastet wird.
Ich darf die verehrten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU daran erinnern: Wenn Sie mit Ihrem Vorschlag, den ich nicht unterstütze, durchkämen,
Minister Dr. Posser ({55})
bei der Arbeitslosenversicherung Entlastungen vorzunehmen, käme diese Entlastung zu 100% dem Bund zugute, d. h. die Länder und Gemeinden würden mit keiner Mark entlastet. Ich wollte das nur verdeutlichen.
({56})
- Richtig. Ich komme gerade darauf zu sprechen, verehrter Herr Kollege Westphal.
Eins ist sicherlich richtig - der Bundesrat muß sich da auch wirklich einbeziehen -, und das wollen wir als Grundprinzip unseres gesamtstaatlichen Verantwortungsbereiches gelten lassen: Es führt uns nicht auf den richtigen Weg, wenn eine Gebietskörperschaft - sei es der Bund, seien es die Länder oder Gemeinden - Entlastungen beschließt, die mehr oder weniger unvermeidlich zu Belastungen einer anderen Gebietskörperschaft führen.
({57})
Das muß ein Grundsatz sein. Deshalb sage ich - das sage ich auch im Bundesrat, übrigens in umgekehrter Richtung zum Bund hin; es ist immer leicht zu sagen, Bund bezahle, dann ist die Sache gelaufen, dann machen wir mit; so geht es nicht -: Wir haben alle eine gesamtstaatliche Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland. Wir müssen daher darauf achten, daß Entlastungen, die durch dieses Paket entstehen, nicht zu Mehrbelastungen der Länder und der Gemeinden etwa im Bereich der Sozialhilfe führen. Das wird in den weiteren parlamentarischen Beratungen sorgfältig zu beachten sein.
Ich habe mit großem Interesse gelesen, daß der Herr Bundesfinanzminister gestern bei Einbringung des Haushalts 1982 gesagt hat, er sehe für 1982 eine Nettokreditermächtigung von 26,5 Milliarden DM vor. Man kann natürlich sagen, auch jene Summe sei zu hoch. Dafür kann man Gründe nennen. Aber das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ich kann wirklich nur von ganzem Herzen wünschen, daß diese Zahl annähernd erreicht wird. Um einmal deutlich zu machen, wie ehrgeizig dieses Ziel ist und was es für den Haushaltsvollzug 1982 bedeutet, darf ich daran erinnern, daß die Nettoneuverschuldung des Bundes 1975 bei einem unvergleichlich niedrigeren Etatvolumen 29,9 Milliarden DM betrug. Wenn mich jemand fragt, ob es Anzeichen dafür gibt, daß der Bund erkennt, daß man Ausgaben - unter Beteiligung aller, die dazu beitragen können - zurückdrehen muß, dann antworte ich: Ein Anzeichen dafür ist, daß der Bund eine Nettokreditermächtigung für 1982 vorsieht, die um 3,4 Milliarden DM unter der liegt, die - bei einem wesentlich geringeren Haushaltsvolumen - 1975 tatsächlich erforderlich war. Ich wünsche dem Bundesfinanzminister von Herzen, daß er dieses ehrgeizige Ziel erreicht.
({58})
In der Öffentlichkeit ist durch die Fülle der Einzelvorschläge, die - nicht zuletzt während der Sommerpause - gemacht worden sind, weitgehend Unsicherheit, j a Verwirrung entstanden. Man sollte, glaube ich, für die Öffentlichkeit noch einmal deutlich machen - dies gehört nun auch zu den gemeinsamen Bemühungen -, wie diese Einzelvorschläge zu sehen sind. Man darf sie nicht addieren, und vor allen Dingen darf man sie nicht mit gefaßten Beschlüssen verwechseln, über die allein wir jetzt debattieren müssen: Es gibt keinen Vorschlag mehr zur Erhöhung der Heizölsteuer. Es gibt keinen Vorschlag mehr zur Einführung einer Erdgassteuer. Es gibt keinen Vorschlag zur Kürzung der Renten der Kriegsopfer bzw. zur Begrenzung auf eine maximal 2%ige Erhöhung. Es gibt in dem Paket keinen Vorschlag zur Kürzung der Arbeitslosenunterstützung von 68 % auf 63 % oder irgendeinen anderen Betrag. Es gibt keinen Vorschlag zur Verdoppelung der Mehrwertsteuer bei Büchern und Zeitschriften.
({59})
Es gibt keinen Vorschlag, bei Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Karenztage für Arbeiter oder Arbeitnehmer überhaupt einzuführen. Dies ist nicht Gegenstand des Paketes, über das jetzt debattiert und schließlich auch entschieden werden muß.
Das andere ist, daß wir dem Bürger gegenüber Offenheit mit Wissensvermittlung verbinden in dem ständigen Bemühen, dem Bürger Angst zu nehmen. Ein Stichwort: In den vergangenen Jahren war dem Bürger die Angst vor der Währungsreform sehr drastisch dargestellt worden, heute aber weiß jedermann, daß er Angst vor einem Wertverfall der Deutschen Mark nicht zu haben braucht.
({60})
Das Geld, die deutsche Währung war selten so wertvoll wie heute. Um deutsche Währung zu bekommen, muß man viel Geld aufwenden. In den vergangenen Jahren ist immer wieder beklagt worden, der Sparer werde auf kaltem Wege enteignet, weil der Sparzins - einige Jahre war es tatsächlich so - geringer sei als die Preissteigerungsrate. Heute, so stelle ich fest, ist der Sparer sehr begehrt. Um sein Geld bemühen sich auch die Banken und Sparkassen. Die Deutsche Mark ist eine wertvolle Währung. Ich bin froh, daß - allerdings nach langem Zögern - die Sachverständigen diesen Punkt in ihrem Sondergutachten vor einigen Monaten einmal herausgegriffen und gesagt haben: Dieses Gerede von der drohenden dritten Währungsreform in Deutschland muß vom Tisch; es ist völlig falsch.
Wenn wir das Programm, meine Damen und Herren, das wir nun im Bundestag und im Bundesrat beraten, durchziehen wollen - wenn auch in dem einen oder anderen Punkt vielleicht geändert oder ergänzt -, dann bin ich sicher, daß wir in unserem Volk auf viel Einsicht stoßen werden. Wir müssen nur den Mut haben, es den Bürgern zu sagen und Vorbild zu sein. Deshalb schließe ich mit einem Dank an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, mit Dank für ihren Beschluß, 1981 und 1982 auf eine Diätenerhöhung zu verzichten,
({61})
obwohl es - dies sage ich hier vor Ihnen und in der Öffentlichkeit als Mitglied des Bundesrates - gute Gründe dafür gibt, die seit 1977 unverändert gebliebenen Diäten im Hinblick auf die Einkommensentwicklung in anderen Bereichen anzuheben; das sage
Minister Dr. Posser ({62})
ich ausdrücklich. Ich meine, dies ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir werden in der Öffentlichkeit viel Unterstützung finden, wenn die Bürger merken, daß es uns Ernst mit dem ist, was wir vorhaben. Wir selber sind bereit, bei diesem Sparpaket, bei diesen Sparmaßnahmen soziale Gerechtigkeit ganz vorrangig als Wert zu erkennen und soweit wie möglich durchzuhalten.
({63})
Meine Damen und Herren, nachdem wir nun zwei Mitglieder des Bundesrates gehört haben, will ich nicht verhehlen, daß es mir eine besondere Freude bereitet, in Fortführung der Debatte wieder einem Mitglied des Bundestages das Wort zu erteilen,
({0})
und zwar einem Kollegen, dessen Wortmeldung - ich möchte das gern zu Protokoll hier klarstellen - hier schon seit dem Beginn der Debatte am frühen Vormittag vorliegt.
({1}) Das Wort hat der Kollege Westphal.
Danke schön, Herr Präsident! Herr Präsident, vielleicht darf ich dazu am Anfang eine Bemerkung machen. Herr Dr. Barzel und ich - wir gehören beide bekanntlich einander gegenüberstehenden Fraktionen an - haben eigentlich die Absicht, einen Vorschlag zur Änderung der Geschäftsordnung zu machen. Das ist ein bißchen sarkastisch, was ich hier sage. Wir wollten anregen, daß erstens in Zukunft keine Reden unter einer Stunde Dauer gehalten werden dürfen
({0})
und daß zweitens in einer Plenarsitzung mindestens ein Bundestagsabgeordneter zu Wort kommen darf, der nicht Minister ist.
({1})
Herr Kollege Westphal, wir haben zwar im Augenblick keine Debatte zur Geschäftsordnung. Aber ich will gern dafür Sorge tragen, daß die Bemerkungen, die Sie eben gemacht haben, im Protokoll nicht gestrichen werden.
({0})
Ich muß anschließend eine Bemerkung in Richtung von Herrn Strauß machen und mich dann Herrn Kohl zuwenden, dessen Rede schon eine ganze Reihe von Stunden zurückliegt.
Herr Strauß, Sie haben eineinhalb Stunden geredet, davon - ich habe mitgezählt - exakt fünf Minuten versucht - und ich würde sagen, es ist nicht falsch, wenn ich behaupte, es waren gestammelte Versuche -, hier Sparvorschläge vorzutragen.
({0})
Bei Herrn Kohl sah es so aus: Eine halbe Stunde die alte Verschuldungsarie, die wir aus vielen Debatten der vergangenen Zeit kennen, ohne einen einzigen neuen Gedanken,
({1})
und dann eine Stunde lang außenpolitische Unterstellungen - so muß ich sagen -,
({2})
der Aufbau eines Popanzes des Antiamerikanismus, Herstellung von Verbindungen, die es nicht gibt,
({3})
in einer Art und Weise, die hier - darüber bin ich froh - durch den Bundesaußenminister ihre klare Beantwortung gefunden haben.
({4})
Ich möchte es umgekehrt machen und zu dem, was den letzten Teil, die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die letzten Wochen und Tage betrifft,
({5})
seitens meiner Fraktion eine kurze Stellungnahme abgeben, um mich dann sehr intensiv der Thematik, die eigentlich auf der Tagesordnung steht, zuzuwenden.
Angesichts des jüngsten Terroranschlags auf den Oberbefehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa und angesichts dessen, was in diesem Zusammenhang die Debatte hier am Vormittag bestimmt hat, möchte ich sagen: Die deutschamerikanische Freundschaft ist eine Lebensgrundlage unserer Politik.
({6})
Wir lassen uns auch durch Terroranschläge nicht von der Seite der Vereinigten Staaten abbringen, insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, die Sicherheit unseres Landes und die Lebensfähigkeit Berlins aufrechtzuerhalten.
Zweitens. Der Besuch des amerikanischen Außenministers in Berlin und auch in Bonn hat die deutsch-amerikanischen Beziehungen gefestigt und nachhaltig gestärkt. Wir sind für diesen Besuch dankbar. Als Ergebnis der Konsultationen hier in Bonn stellen wir Sozialdemokraten fest: Wir werden gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika für Rüstungskontrollvereinbarungen eintreten. Mit uns wollen die Amerikaner den Frieden sicherer machen.
Drittens. Wir haben erwartet - ich muß Herrn Kohl ansprechen, der zur Zeit nicht im Saal ist -, daß Sie, Herr Kohl, die Berliner Demonstration zum Gegenstand dieser Haushaltsdebatte machen würden, um davon abzulenken - so muß man es ja wohl sehen, nachdem Sie einen großen Teil Ihrer Redezeit dazu verwandt haben -, daß Sie keine realistische Alternative zum Konzept der Koalition für die Haushaltssanierung haben.
({7})
Wir scheuen diese Auseinandersetzung nicht. Die zuständigen Gremien der Sozialdemokratischen
Partei und der Bundeskanzler haben die von den Jungsozialisten mitveranstaltete Demonstration gegen den Besuch des amerikanischen Außenministers als falsch und politisch schädlich bezeichnet. Sie bedurften dazu nicht der Anregung durch die Opposition. Sie haben dieses vorher getan. Dabei bleiben wir. Mit aller Entschiedenheit verurteilen wir die Gewalttätigkeiten, die nach dem Abschluß der friedlichen Demonstration von einigen hundert Chaoten ausgegangen sind. Es ist ein Widerspruch in sich, mit unfriedlichen Mitteln für den Frieden demonstrieren zu wollen.
({8})
Wir sind allerdings nicht bereit, uns einer argumentativen Auseinandersetzung mit Zehntausenden von friedlichen Demonstranten zu entziehen, indem wir sie in einen Topf mit einigen hundert gewalttätigen Wirrköpfen werfen.
({9})
Noch weniger sind wir bereit, den Versuch, der auch von einem CDU/CSU-Sprecher gemacht worden ist, unwidersprochen hinzunehmen, diese Demonstration in einen Zusammenhang mit den verabscheuungswürdigen Attentaten der letzten Tage auf Einrichtungen der amerikanischen Streitkräfte zu stellen.
Wer auch nur den Anschein zu erwecken versucht, daß friedliche Demonstranten in einen Topf mit Terroristen gehören, der muß sich die Frage stellen lassen, ob er damit nicht den Terroristen die Massenbasis bereitet, gar herbeiredet, die sie heute nicht haben und hoffentlich nie haben werden.
({10})
Auch ich erinnere an das, was der amerikanische Außenminister Haig unter Bezugnahme auf Voltaire am Sonntag in Berlin gesagt hat:
daß selbst, wenn wir nicht damit übereinstimmen,
- so sagte er was sie sagen,
- die Demonstranten wir bereit sind, bis zum Tod ihr Recht zu verteidigen, es zu sagen.
Damit hat er den Teil der Demonstranten beschämt, die mit überzogener Kritik an den USA die gemeinsame demokratische Tradition verleugnen wollen, in der die USA und die Bundesrepublik Deutschland stehen. Er hat aber auch diejenigen beschämt, die vorschnell nach einem Verbot der Demonstration gerufen haben.
Ich habe in diesem Zusammenhang daran gedacht, daß der amerikanische Außenminister eigentlich in gleicher Weise ein Zitat hätte verwenden können, das von Rosa Luxemburg stammt: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden."
({11})
Ich will gleich hinzufügen: Für mich ist dieses Zitat
eine Aussage einer unabhängigen Kommunistin das darf man in diesem Zusammenhang vielleicht einmal sagen -,
({12})
mit dem Erlebnis Ende der 40er Jahre in Berlin verbunden, daß ein junger Mann, der zum selben sozialistischen Jugendverband wie ich gehörte, von der sowjetischen Militärmacht damals zu 25 Jahren Zuchthaus - so hieß es damals - verurteilt worden ist, weil er dieses Zitat von Rosa Luxemburg auf einem kleinen Zettel in der Berliner S-Bahn im Ostsektor zur Verteilung brachte. Dies sage ich zuerst. Dieser junge Mann hat nachher - nachdem man ihn nach sieben Jahren entlassen hatte - mit uns in der gleichen Bewegung für Entspannungspolitik gestanden, weil sie uns Frieden sichern kann.
Ich sage dies hier deshalb, weil ich mir wünschte, daß gerade an dieser Stelle für alle deutlich wird, auch für die, die sich dort in Berlin als Chaoten so fehlverhalten haben, und auch für die, die die friedlichen Demonstranten gleich mit kritisieren: Wir sind den anderen, den kommunistischen Regimen nur dann überlegen, wenn wir diesen Spruch ernst nehmen. Geistig und freiheitlich sind wir ihnen dann überlegen, wenn wir diesen Satz auch weiterhin bei uns selbst respektieren.
({13})
Ich wünschte mir, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie endlich zu der Gelassenheit und Souveränität gegenüber abweichenden Meinungen gelangen, wie sie der amerikanische Außenminister am Sonntag demonstriert hat.
({14})
Meine Damen und Herren, wenn einige von Ihnen meinen, darüber lächeln oder lachen zu müssen, dann zitiere ich
({15})
- oh ja, doch, ich habe es gesehen - „International Herald Tribune", eine amerikanische Zeitung:
Wenn Politiker wie CDU-Führer Helmut Kohl die Anschläge in den gleichen Zusammenhang wie die Demonstrationen gegen Außenminister Haig vor einigen Tagen in Berlin stellen, so helfen sie den Terroristen, eines ihrer wichtigsten Ziele zu erreichen: zwischen die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten einen Keil zu treiben und dadurch die NATO zu schwächen.
({16})
Meine Damen und Herren, Herr Kohl hat in seiner Rede versucht, den Bundeskanzler in eine Ecke zu stellen, als wenn dieser Mann an der Spitze unseres Staates überhaupt kein Vertrauen mehr draußen in der Bevölkerung hätte.
({17})
- Sehen Sie, bei Ihnen wird geklatscht. - Er hätte
vielleicht einmal in die letzten Umfrageergebnisse,
in den Popularitäts- und Vertrauensindex gucken sollen. Da steht der Bundeskanzler, dem dieses fälschlich so unterstellt worden ist, dreimal so hoch da wie Herr Kohl.
({18})
Meine Damen und Herren, vielleicht mache ich das einmal mit einem Zitat, um die Rolle des Oppositionsführers hier im Haus in die richtige Betrachtung zu rücken:
Das Schlimmste aber ist, daß dem parlamentarischen Oppositionsführer von Politikern, die etwas von der Sache verstehen,
({19})
sei es in der Wirtschafts- und Finanz-, sei es in der Außenpolitik, vorgehalten werden kann, er sei dessen unkundig, worüber er spricht. Er erscheint ihnen als ein Unwissender unter Wissenden,
({20})
und das macht ihn unsicher. Kohls Vorhaben, die FDP im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens für den Haushalt an die Wand zu drücken - ({21}), konnte nur enttäuschter Hoffnung und dem Bedürfnis nach Rache entspringen.
({22})
- Das ist nicht die Juso-Zeitschrift, das ist die „Süddeutsche Zeitung" von dieser Woche, Montag, den 14. September, geschrieben von Herrn Klaus Dreher,
({23})
der Ihnen sicher nähersteht als den Sozialdemokraten.
({24})
Meine Damen und Herren, was sollte diese Darstellung der Lage unseres Landes, wie sie Herr Kohl uns gegeben hat? Da mußte man ja den Eindruck haben, als ob wir nur noch kurze Zeit brauchen würden, um bei anderen Ländern Entwicklungshilfe für uns zu beantragen. Da mußte man den Eindruck haben, als wenn der Bankrott sozusagen schon vor der Tür stünde.
({25})
Überlegen Sie doch bitte einmal, daß in diesem, nun gerade zu Ende gegangenen Sommer viele Millionen Menschen unseres Landes
({26})
die Grenzen unseres Landes passiert haben und in andere Länder in Urlaub gefahren sind, wo sie erlebt haben,
({27})
wie hoch dort die Preise gegenüber unseren Preisen sind,
({28})
wie hoch dort die Zahl der Arbeitslosen ist, wie dort die sozialen Verhältnisse im Vergleich zu den unseren sind.
Herr Häfele ist es, glaube ich, gewesen, der hier den Zusammenhang zu der Wirkung der Erhöhung von Benzinpreisen auf den kleinen Mann hergestellt hat. Er hat j a nicht unrecht. Ich habe das einmal in einer Versammlung versucht so darzustellen - vor Sozialdemokraten: Wenn wir Sozialdemokraten vor 15 Jahren etwa vorgeschlagen hätten, die Mineralölsteuer zu erhöhen, hätten uns unsere Genossen gleich kräftig Beifall gespendet. Sie hätten gesagt: Ja, da trefft Ihr endlich einmal die Reichen, die haben ein Auto. Heute ist es richtig, daß wir, wenn die Mineralölsteuer erhöht wird - und wir haben dies getan - die Kritik bekommen: immer auf den kleinen Mann! Jawohl, so verändert ist die Wohlstandssituation in unserem Land.
({29})
Wir leben heute in einem Volk, das man auf den Vordersitzen seiner Privatwagen transportieren könnte.
({30})
Vergleichen Sie doch bitte, bevor Sie hier schwarz in schwarz malen, endlich einmal die Daten miteinander!
Wie sieht es mit der Arbeitslosenquote aus, die wir als zu hoch empfinden und gegen die wir Maßnahmen wünschen und die in unseren Haushaltspaketen z. T. enthalten sind: 5,2 % im ersten Halbjahr 1981 gegenüber 10,4 % in Großbritannien und 7,6 % in Amerika.
Vergleichen Sie bitte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, real gesehen, bezogen auf die Zahlen des Jahres 1980. Wir hatten 1980 1,8 IN Wachstum. In Amerika gab es bereits 1980 ein Minuswachstum - wie man sich zu sagen angewöhnt hat. Wir haben jetzt zum ersten Mal ein Jahr ohne Wachstum des realen Kaufvermögens aus den Löhnen.
Die Währungsreserven sind bei uns immer noch die höchsten in der Welt. Wenn Sie auf den Schuldenstand abheben - und das war nun wieder die Arie von Herrn Kohl -, dann sehen Sie: die Staatsverschuldung macht in den Vereinigten Staaten von Amerika 48 %, bei uns 31 % des Bruttosozialprodukts aus. Ich kann Sie nur noch einmal bitten, Ihre Bankrott-Arien unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob Sie sie in Amerika auch singen würden.
({31})
Wenn Sie wüßten, daß die Schweiz genauso verschuldet ist wie wir, würden Sie dann meinen, die Schweiz stehe vor dem Bankrott? - Nein, sie steht nicht vor dem Bankrott. Wir auch nicht.
Ich habe dies hier vorausgeschickt, um deutlich zu machen, daß der Teil der Probleme, über den wir
hier zu reden haben, im Verhältnis zu anderen Fragen in dieser Welt einzuordnen ist, bevor man darüber Entscheidungen trifft. Was soll dieser Vorwurf, es sei die Bundesregierung, die für die gegenwärtige Wirtschaftsschwäche verantwortlich ist? - Sie wissen doch ganz genau, daß die entscheidende Bremse für Investitionsentscheidungen bei den zu hohen Zinsen liegt.
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Jeder Prozentpunkt Zinsen weniger würde acht Milliarden DM Entlastung der Wirtschaft bedeuten. Herr Pöhl und der Zentralbankrat halten die Zinsen doch nicht aus Spaß oder weil sie uns ärgern wollen so hoch, sondern weil sonst das Geld zu den noch höheren Zinsen in den USA aus unserem Land hinausfließen
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oder ausländisches Geld nicht den Weg zu uns finden würde.
Ich stelle mir immer vor, was Sie hier sagen würden, wenn der Bundeskanzler die Bundesbank wegen der hohen Zinsen kritisieren oder auch nur bitten würde, sie solle die Zinsen wenigstens etwas senken. Da hieße es gleich wieder: Eingriffe in die Unabhängigkeit der Bundesbank und ähnliches - selbst wenn Sie im stillen Kämmerlein einer solchen Kritik zustimmen sollten. Oder wenn Sie bei einem Betriebsbesuch von einem Unternehmer auf diese Frage angesprochen werden und er kritisiert, daß die Zinsen zu hoch sind, werden Sie vielleicht hierzu ähnliches ausführen. Sind Sie sich denn nicht im klaren darüber, daß wir mit der Verbesserung der Abschreibungsregelungen, die jetzt in den Maßnahmen enthalten ist, im Wissen um die vielen Mitnehmereffekte ein neues großes Loch in künftige Haushalte reißen, um Rahmenbedingungen zu verbessern, um Investitionen anzuregen, um Arbeitsplätze zu sichern? Dies ist doch ein Ersatz zur Überwindung der Investitionsbremse Hochzinspolitik, die uns von Amerika aus hier hereinwirkt,
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also einer von außen kommenden, nicht von unserer Regierung produzierten negativen Rahmenbedingung. Sie zu überwinden, ist unser Problem.
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Meine Damen und Herren, die Bürger draußen haben verstanden, daß wir vor gewandelten wirtschaftlichen Bedingungen stehen. Bei den tatsächlichen beachtlichen Einsparungen in der Verwendung der Energie, die aus importiertem Öl stammt, haben die Bürger uns allen gezeigt, daß sie bereit sind, daraus erwachsende Einschränkungen mitzutragen. Wir Politiker hätten eigentlich dankbar dafür zu sein, daß sich diese Handlungsbereitschaft in der Breite unseres Volkes täglich zeigt.
Doch wir müssen hinzufügen: Dieser Prozeß ist noch nicht zu Ende. Wenn sich die Ölrechnung allein in den letzten zwei Jahren noch einmal verdoppelt hat, dann steht das dafür aufzuwendende Geld in unserer Volkswirtschaft nicht mehr zur Verfügung, weder als Gewinne noch als zu versteuerndes Einkommen, noch als Mittel für Sozialleistungen.
Von daher ergibt sich die Notwendigkeit zur Einschränkung. Wir können uns Dinge, die wir alle als wünschens- und erstrebenswert angesehen haben und auf deren Durchsetzung gerade im Bereich der sozialen Sicherung wir nach wie vor Grund haben stolz zu sein, in der gegenwärtigen Ausformung nicht mehr leisten, ebenso wie wir uns eine Fülle von insbesondere steuerlichen Vergünstigungen nicht mehr leisten können.
Es ist ein Unsinn, zu behaupten, die zu hohen Sozialleistungen führende Politik sei falsch gewesen. Es kann nicht hingenommen werden, wenn fälschlicherweise behauptet wird, die Konjunkturprogramme der 70er Jahre seien wirkungslos gewesen. Für den hohen Preis einer schnell steigenden Verschuldung haben wir damit Hunderttausenden von Menschen Arbeitsplätze neu schaffen können oder haben verhindern können, daß ebenso viele ihren Arbeitsplatz verlieren.
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Welch eine überhebliche Behauptung der Politiker der Opposition, wenn sie mit direktem oder indirektem Hinweis auf die Absicht, soziale Leistungen zusammenzustreichen, sagen: Wir haben in diesem Volk über unsere Verhältnisse gelebt! Wer ist eigentlich „wir"? Ist das etwa der ohne eigene Schuld arbeitslos gewordene Familienvater,
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der auf Grund seiner eigenen Beitragsleistung 68 % seines letzten durchschnittlichen Nettoeinkommens für die Dauer von höchstens einem Jahr erhält? Sind dieses „wir" etwa die alleinstehenden Mütter, denen gegenüber der Kindesvater seinen Verpflichtungen nicht nachkommt und denen die CDU/CSU-Ministerpräsidenten die Unterhaltsvorschußkassen wegnehmen wollen?
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Und wieso soll es denn richtig sein, daß ausgerechnet der arbeitslos Gewordene vorrangig die Mittel aufbringen soll, die zur Deckung der Kosten der Arbeitslosigkeit gebraucht werden? Ich kann dafür kein Verständnis aufbringen. Dahinter steckt doch die nur schwach kaschierte Vorstellung, durch Senkung des Arbeitslosengeldes die Fälle des Mißbrauchs der Solidargemeinschaft, die es leider gibt, bekämpfen zu können.
Meine Damen und Herren, die Ihnen hier vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen konkret die Stellen auf, an denen Mißbrauch bekämpft werden soll und an denen er von uns im Interesse der ehrlichen Arbeitnehmer auch bekämpft werden wird. Solidarität mit den Schwachen, soziale Ausgewogenheit und Sachgerechtigkeit der Sparmaßnahmen sind das, was in dieser Situation gefragt ist. Das ist es, was die Bürger von uns mit Recht erwarten. Solche Sachgerechtigkeit, solche soziale Ausgewogenheit bekommt man nicht hin, wenn man die helfende, die regelnde Hand zurückzieht, wenn es der Staat dem
einzelnen überläßt, sich durchzusetzen, wenn also die Gemeinschaft unbeteiligt zusieht, wie dabei der Schwache dem Starken unterliegt. Weniger Bürokratie, mehr Menschlichkeit in den Ämtern, dazu sage ich gern j a. Aber weniger staatliche Hilfe, weniger sozialer Ausgleich über den Staat? Nein, meine Damen und Herren, das hatten wir schon, das haben wir längst überwunden. Ich darf das grob skizzieren: Das war doch die Zeit, wo jeder die Freiheit hatte, auch unter den Brücken schlafen zu dürfen.
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Um es auf unsere Zeit zu übersetzen: Wer es sich leisten kann, der baut den Swimming-Pool in seine Villa; die Gemeinde hat zur gleichen Zeit kein Geld für das städtische Bad. Sich so zu verhalten, ist weder sozialdemokratisch noch sozialliberal.
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Eine Wende nach rückwärts steht nicht zur Debatte. Es gibt keine Tendenzumkehr mit dieser Koalition. Das kann man aus den Beschlüssen und Gesetzentwürfen eindeutig ablesen.
Unter Ihrem Bild, Herr Häfele, stand Anfang August in einer unserer Tageszeitungen ein Zitat von Ihnen, das Ihre ganze Sehnsucht nach Steuersenkungen und Streichung von Sozialleistungen zum Ausdruck brachte. Wir brauchten, so hieß es da, ein Doppelprogramm, das wenigstens im Ansatz in die Richtung gehe, wie es im Augenblick ja so großartig in Amerika versucht werde. Exakt über Ihrem Bild, Herr Häfele, in der gleichen Spalte derselben Zeitung stand, wie eine solche Politik praktisch aussieht: Fast 20 der eingesparten 35 Millionen Dollar kommen aus den Töpfen für Sozialleistungen, und 300 000 Teilnehmer am Arbeitsbeschaffungs- und -förderungsprogramm werden zur Einsparung von 3,8 Milliarden Dollar plötzlich auf der Straße stehen. Rund 4,4 Milliarden Dollar werden im sozialen Wohnungsbau gestrichen. Stark eingeschränkt werden Wohlfahrtsleistungen wie die Ausgabe von Lebensmittelmarken für Einkommensschwache.
Nein, solche Folgen darf eine Politik der Einschränkung, des Sparens bei den öffentlichen Ausgaben bei uns nicht haben. Wir wünschen Präsident Reagan Erfolg bei seinen Bemühungen, die Inflation in seinem Land zu bekämpfen, die bekanntlich doppelt so hoch wie in unserem Lande ist. Wir sind sogar darauf angewiesen, daß die amerikanische Wirtschafts- und Finanzpolitik Erfolg hat, weil nur so das aus unserer Sicht unerträglich hohe Zinsniveau zurückgehen wird und seine negativen Auswirkungen auch auf uns verlieren kann. Aber die Art, wie es dort probiert wird, kann nicht unser Modell sein, zumal dieses Modell von Frau Thatcher in England bereits erprobt wurde und zu einer unerträglich hohen Zahl von Arbeitslosen geführt hat.
Unser Weg kann auch nicht der sein, der die Wirtschaftsbelebung durch noch mehr Aufnahme von Krediten und ohne Rücksicht auf dabei rapide wachsende Inflation zu erreichen versucht.
Unser Weg muß und wird ein mittlerer Weg sein. Die Einschränkungen, die wir uns auferlegen müssen, um mit den auf uns einwirkenden Schwierigkeiten fertig zu werden - ich nenne nur stichwortartig noch einmal die vervielfachten volkswirtschaftlichen Kosten für das einzuführende Öl, das damit im engsten Zusammenhang stehende und nur mühsam zu überwindende große Leistungsbilanzdefizit und die Folgen überhöhter Zinsen, insbesondere in den USA, - diese Einschränkungen müssen so gestaltet und auf viele Schultern verteilt werden, daß sie tragbar werden und daß sie die Grundpfeiler unseres Systems der sozialen Sicherung nicht aushebeln; denn der hohe Stand sozialer Leistungen hat uns eines unserer wertvollsten Güter, nämlich den sozialen Frieden in unserem Land, gesichert.
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Was heißt nun Einschränkung, was heißt Sparhaushalt, bezogen auf unsere Situation? Sparhaushalt heißt, die Struktur des Bundeshaushalts durch Kürzungen im Haushaltsverfahren, durch gesetzliche Eingriffe, die eine dauerhafte Ausgabenminderung bewirken, durch den Abbau steuerlicher Vergünstigungen und in begrenztem Umfang durch die Erhöhung von drei bestimmten Verbrauchsteuern - zusammengefaßt in einer Größenordnung von etwa 16 Milliarden DM zu verbessern. Hier, meine Damen und Herren, bei Ihnen auf den Tischen, liegen die dazu geschaffenen Vorlagen: der Bundeshaushalt 1982, die dazugehörige mittelfristige Finanzplanung und sechs begleitende Gesetze.
Für den Fall, daß sich der eine oder der andere noch an die öffentliche Diskussion vor, sagen wir, acht Wochen erinnert, sage ich: Diese Leistung, eine Verbesserung der Haushaltsstruktur des Bundes von einem Jahr auf das andere um 16 Milliarden DM, zustande zu bringen, hat uns vor acht Wochen noch niemand zugetraut; nicht einmal eigene politische Freunde meinten, wir würden das zustande bringen.
Für all diejenigen, die fälschlich immer noch die Vorstellung haben und die Behauptung aufstellen, das Ganze sei ein Paket von Steuer- und Abgabenerhöhungen, sei hier noch einmal klargestellt, daß die drei in dem Bündel von 60 Maßnahmen enthaltenen Erhöhungen von Verbrauchsteuern - bei Tabak, bei Sekt und bei Branntwein - ein Mehraufkommen von 2 Milliarden DM erwarten lassen. Das sind exakt 12,5 % des Volumens der gesamten Maßnahmen, die „Operation '82" zu nennen wir uns angewöhnt haben.
Wer also sagt, das Ziel sei nicht erreicht und das Ganze sei nur eine kurzfristig - für 1982 - wirkende Angelegenheit, der redet nicht die Wahrheit, der versäumt es, anzuerkennen, daß hier eine enorme Korrektur des Staatshaushaltes erfolgt, die uns helfen wird, insbesondere die Zinsbelastung zu begrenzen und auf mittlere Sicht wieder Freiraum für wirksame - auch finanzwirksame - politische Entscheidungen zu gewinnen.
Die Kritik in der öffentlichen Meinung steht eigentlich in deutlichem Gegensatz zur Kritik der von Einzelmaßnahmen jeweils betroffenen Gruppierungen. Allgemein werden in der öffentlichen Darstellung tiefe Einschnitte vermißt; von den Betroffenen
werden die Maßnahmen, auf den Einzelfall bezogen, als zu weitgehend angesehen. Ich möchte diese Kritik eigentlich so einordnen, daß sie, wenn auch indirekt, bestätigt, daß Grundbestandteile unseres sozialen Sicherungssystems eben nicht beschädigt werden.
Gewiß, derjenige, der jahrelang darauf gedrängt hat oder gar daran mitgewirkt hat, das Förderungssystem unseres Arbeitsförderungsgesetzes, z. B. für berufliche Umschulung und Fortbildung oder im Bereich der Rehabilitation, auf einen Stand zu bringen, um den wir in vielen Teilen der Welt beneidet werden, wird die Leistungsminderungen als hart empfinden und bedauern. Doch auch er wird anerkennen, daß die Lohnersatzleistungen für diejenigen, für die dieses soziale Sicherungssystem geschaffen worden ist - ein System, das dem Schutz des arbeitenden Menschen für den Fall der Arbeitslosigkeit dient -, in vollem Umfange erhalten bleiben.
Ich möchte hier gar keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß von uns der in diesem Maßnahmenbündel vorgesehene Einschnitt beim Kindergeld - auch wenn er nicht den finanziellen Umfang wie die Leistungseinschränkungen im Bereich der Arbeitsförderungsgesetzgebung erreicht - von seiner Bedeutung und Problematik her als viel gravierender betrachtet wird. Es ist leider so, daß die von ihrem finanziellen Volumen im Bundeshaushalt her größte Position der staatlichen Leistungen für Familien nicht völlig außerhalb der Betrachtung bleiben konnte, wenn man Einsparungswirkungen in einer Größenordnung von 16 Milliarden DM zustande bringen mußte.
Warum sollte hier verschwiegen werden, daß es uns schwergefallen ist, innerhalb der Koalition eine gemeinsame Antwort auf diese schwierige Frage zustande zu bringen? Wie schwierig das ist, hat ja inzwischen auch die Opposition in voller Breite ausgekostet. Da steht in dem Papier der CDU/CSU-Fraktion, daß die Senkung des Kindergeldes für Mehrkinderfamilien abgelehnt wird. Die logische Konsequenz dieser Formulierung ist doch - nicht wahr, Herr Schröder? -, daß die Unionsfraktion Streichungen beim Erstkindergeld für möglich halten würde. Als Herr Geißler, der CDU-Generalsekretär, dagegen aufbegehrte, erinnerten die Haushälter der CDU/CSU Herrn Kohl daran, dieser habe ja gesagt, nichts - also auch das Kindergeld nicht - sei bei Sparvorschlägen der Union tabu.
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- Ja, Herr Glos, das ist richtig; ich habe das mitverfolgt. Daneben steht die überraschend vernünftige Ansicht des CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Herrn Späth, bei seinem Einkommen würde er kein Kindergeld brauchen.
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Der CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Albrecht, treibt dagegen in die entgegengesetzte Richtung.
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Er sagt: Wenn es bei den Absichten der Kürzung von 20 DM monatlich bei zweiten und dritten Kindern bliebe, dann würden die unionsregierten Länder ihren Ein-Milliarden-Anteil am Steuerkompromiß 1980 kündigen.
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Ob dem Herrn Albrecht dabei wohl die Gefahr bewußt gewesen ist, daß dies noch weitere Einschränkungen bei den Familien heraufbeschwören könnte, für die die CDU/CSU dann die Verantwortung trüge? Meine Damen und Herren, wir- spüren doch alle aus den Reaktionen der Bürger draußen, die für Einschränkungen durchaus Verständnis haben und die uns andererseits mit gutem Grund sagen, daß Belastungen auch die Leistungsfähigkeit berücksichtigen müssen, daß auf diesem Gebiet, dort, wo es um die Leistungen für die Familie geht, wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen sein darf.
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Wir Sozialdemokraten wissen, daß wir bei allen anderen politisch relevanten Kräften leider keine Zustimmung für eine einkommensbezogene Kindergeldregelung bekommen können. Und wir wissen natürlich auch - das will ich nicht verschweigen -, daß es dabei Verwaltungsprobleme und auch verfassungsrechtliche Grenzen gibt. Aber die wären überwindbar.
Wir stehen zu dem, was wir mit unserem Koalitionspartner vereinbart haben. Ich füge hinzu, daß die SPD-Fraktion Kürzungen beim Kindergeld nur als die letzte Möglichkeit ansieht, die erforderliche Verbesserung der Haushaltsstruktur zu erreichen und den Bundeshaushalt 1982 ohne zusätzliche Nettokreditaufnahme auszugleichen.
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Wir würden in der Streichung des steuerlichen Kinderbetreuungskostenbetrages eine Lösung sehen, die sozial vertretbarer ist als die Kürzung des Kindergeldes, und meinen, daß darüber unter allen am Entscheidungsprozeß Beteiligten noch gesprochen werden sollte.
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Ich darf dankbar begrüßen, daß die nordrheinwestfälische Landesregierung diesen Gedanken aufgenommen hat und ihn in die Verhandlungen, die es im Bundesrat über diese Fragen geben wird, durch einen Antrag einspeisen wird.
Der Hinweis von Herrn Minister Posser hier, daß das Volumen bei voller Ausschöpfung dieses Kinderbetreuungskostenbetrages 3,5 Milliarden DM ausmachen würde, gibt vielleicht auch einen Grund, zu sehen, daß es hier eher möglich ist, das Problem zu lösen, als beim Kindergeld, auch und gerade zwischen Ländern und Bund. Vielleicht ist durch das, was Herr Posser hier vorgetragen hat, für jeden und gerade auch für die Menschen, die uns zuhören, eines deutlich geworden: Ist es denn nicht leichter, eine Vergünstigung, die noch dazu bei den Beziehern höherer Einkommen zu mehr Vorteilen führt als bei den Beziehern kleiner Einkommen - eine Regelung, die einen Reitkursus steuerlich begün2974
stigt -, wegzunehmen als das eigentliche Kindergeld?
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Meine Damen und Herren, die Opposition wirft uns zwar fälschlicherweise vor, daß wir vorrangig ein Abgabenerhöhungsprogramm gemacht hätten,
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- nein, nein, ich habe nachgewiesen, daß das nicht so ist, Herr Riedl -, aber an der gravierendsten Stelle, wo sehr ernsthaft zu überlegen war, welcher Weg in dieser Situation der vertretbarste ist, um die hohen Kosten von Arbeitslosigkeit zu decken, hat die Koalition eben nicht den Weg einer Abgabenerhöhung gewählt. Weil die Konsolidierung der Rentenfinanzen durch die Maßnahmen des Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes, in drei Jahresschritten nacheinander und ohne daß dabei etwa die Renten gesenkt werden mußten, zu einem Erfolg geführt worden ist, konnten wir es nach nüchterner Rechnung wagen, den Beitragssatz für die Rentenversicherung für zwei Jahre um 0,5 % zu senken, um diese Mittel der Beitragszahler in der gleichen Zeit der Arbeitslosenversicherung zukommen zu lassen.
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Wer diesen vertretbaren Weg als einen Trick diffamiert oder als einen Verschiebebahnhof, Herr Glos, der muß die Frage beantworten, ob er dem ab 1981 erhöhten Rentenversicherungsbeitrag vom Jahre 1982 an auch noch eine Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages hinzufügen wollte. Das müssen Sie beantworten, die Sie das als Trick bezeichnen.
Es blieb dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Müller ({52}), vorbehalten, die Rentner in die Belastungsdiskussion einzubeziehen und ihnen in diesem Zusammenhang einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag aufladen zu wollen. Wir in der Koalition sind von der Grundauffassung ausgegangen, daß die Rentner in die zur Entscheidung stehende Sparoperation nicht einbezogen werden sollen. Dies hat auch etwas mit der sozialen Ausgewogenheit der Maßnahmen zu tun. Ich bin froh, sagen zu können, daß die ursprünglich diskutierte Einbeziehung eines bestimmten Teils von Kriegsopferrenten wieder fallengelassen werden konnte. Die Anpassung der Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1982 wird mit 5,8 % in der gleichen Höhe erfolgen wie bei den Sozialversicherungsrenten.
Meine Damen und Herren, uns Sozialdemokraten ist durchaus bewußt, daß es gerade die arbeitenden Menschen sind, die zum Teil erhebliche Kritik daran üben, daß es Leute gibt, die sich nicht scheuen, das geschaffene engmaschige Netz sozialer Sicherung ohne Rücksicht auf die Solidargemeinschaft aus egoistischen Gründen für sich auszunutzen und damit zu mißbrauchen. Ich werde nicht den Brief vergessen, den mir Kumpels aus dem Saarland geschrieben haben, in dem es hieß: Glaubt ja nicht, daß wir noch einmal SPD wählen, wenn ihr nicht dem
Verhalten jener Leute einen Riegel vorschiebt, die bewußt nur einen Teil des Jahres arbeiten, dann Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen und anschließend durch den Lohnsteuerjahresausgleich ihre steuerliche Belastung so herabsetzen, daß sie netto mehr Geld zur Verfügung haben als der Kumpel, der das ganze Jahr lang malocht hat.
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- Nein, nein, diese Gesetzgebung stammt aus früheren Zeiten. Das muß zu Zeiten von Herrn Adenauer und Herrn Erhard gewesen sein.
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Diesen Mißbrauch korrigieren wir nun.
Es gibt leider noch Schlimmeres. Ich will hier ganz offen und auch ungeschützt sagen, daß ich es als viel schlimmer empfinde, wenn es unter den Bestverdienern unseres Landes, also z. B. Ärzten und Zahnärzten, auch solche schwarzen Schafe gibt, die sich nicht scheuen, für ihren Sohn BAföG zu beantragen,
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nachdem sie ihr Einkommen durch Mitwirkung an Abschreibungsgesellschaften theoretisch unter Null gebracht haben. Soweit es steuerrechtlich möglich war, haben wir uns bemüht, solche Fälle über die 7. BAföG-Novelle auszuschalten.
Diese Operation 82 enthält eine ganze Reihe von gesetzlichen Regelungen zur Verhinderung des Mißbrauchs. Dazu gehört die Neuregelung des Kurzarbeitergeldes, dazu gehört die Verhinderung der mißbräuchlichen Nutzung der 59er Regelung für Personalverjüngungskuren von Betrieben auf Kosten der Solidargemeinschaft, dazu gehört auch die Verlängerung gewisser Sperrzeiten und die Verhinderung eines überhöhten Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Ehegattenarbeitnehmern.
Noch bedeutsamer ist es, daß es der Koalition gelungen ist, sich darauf zu einigen, alle Formen der illegalen Beschäftigung mit größter Entschiedenheit zu bekämpfen. Das gilt für neue Strafvorschriften bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung und bei der illegalen Einschleusung von Ausländern, das gilt für die Bekämpfung von Schwarzarbeit, und das gilt vor allem für das Verbot der Leiharbeit in der Bauwirtschaft. Hierzu gehört auch, daß künftig die Betriebs- und Personalräte des Entleiherbetriebes bei der Arbeitnehmerüberlassung Mitwirkungsrechte bekommen werden.
Ich möchte ergänzend dazu klarstellen: Mit dieser Reihe sehr konkreter Maßnahmen zur Verhinderung der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von sozialen Leistungen schützen wir das von uns geschaffene soziale Netz. Wir wenden uns dabei mit aller Entschiedenheit gegen diejenigen, die, weil es leider auch Mißbrauch gibt, gleich ganze Sozialleistungen, die nach jahrzehntelangem Kampf endlich durchgesetzt worden sind, wieder ganz abschaffen oder in ihrem Kern zerstören wollen.
Es gibt keinen Grund, zu verschweigen, daß für uns eine Grenze dort erreicht wäre, wo versucht würde, die erst Ende der 60er Jahre für die Arbeiter endlich erreichte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch sogenannte Karenztage wieder zu unterbrechen.
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Zu solchen Bestrebungen haben wir Sozialdemokraten ein klares Nein gesagt. Wenn es in diesem Bereich auch Mißbrauch gibt, so stehen die Arbeitgeber nicht allein bei dessen Abwehr. Von meinen Betriebsbesuchen her weiß ich, daß sich die Betriebsräte im Interesse aller pflichtbewußten Kollegen gegen leichtfertiges Krankfeiern einzelner zur Wehr setzen. Aber auch über die Rolle von Ärzten wird man in diesem Zusammenhang nachdenken müssen.
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Völlig unakzeptabel ist es aber, in diesem Bereich auch nur darüber zu spekulieren, daß Arbeiter und Angestellte untereinander oder gegenüber Beamten unterschiedlich behandelt werden könnten. Dies geht nicht mit uns.
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Was die Opposition offensichtlich überhaupt nicht mag, ist der Abbau von Steuervergünstigungen. Mit der Maske eines Biedermannes wird versucht, den Bürgern weiszumachen, hier würden Steuererhöhungen stattfinden. An dieser Stelle kann man sehen, wie ehrlich es die Opposition damit meint, wenn sie allgemein von Subventionsabbau redet und ihn genau in dem Bereich ablehnt, in dem Subventionen steuerlichen Charakter tragen und damit in den meisten Fällen denen überproportional zugute kommen, die hohe Einkommen haben und folglich hohe Steuern zu zahlen haben.
Ich möchte es meinem Kollegen Dieter Spöri überlassen, auf Einzelheiten einzugehen. Aber mir ist wichtig, hervorzuheben, daß in diesem Bereich der Einschränkung oder des Abbaus steuerlicher Vergünstigungen die Koalition die beim ersten Subventionsabbaugesetz eingeschlagene Linie fortsetzt und in diesem Fall mehr als ein Dutzend solcher Subventionen einschränkt oder streicht.
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Dies ist auch der Bereich, in dem es zum Teil gelingt, finanziellbelastungsfähigere Personengruppen oder Institutionen in die Operation '82 einzubeziehen, um so einen Beitrag zu größerer Ausgewogenheit der Lastenverteilung zustande zu bringen.
Meine Damen und Herren, Sparen um des Sparens willen, so hat der Finanzminister gestern hier gesagt, sei allein noch keine Politik. Der Bürger will spüren, daß Einschränkungen gleichzeitig auch dazu führen, daß wirtschaftliche Strukturen verbessert werden, daß unsere Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber anderen Ländern der Welt erhöht wird und daß vor allem von den Maßnahmen, die hier beschlossen werden sollen, auch Wirkungen auf mehr Beschäftigung ausgehen. Es kann mit Recht erwartet werden, daß wir zu diesem schwerwiegenden Thema in diesem Zusammenhang Stellung nehmen.
Das einzige, was die Opposition auf diesem Gebiet erneut vorzubringen hat - wir haben es hier nun in mehreren Reden gehört -, ist das uns schon bekannte Gerede vom „Investitionsstau". Diether Posser hat das hier in einer Weise behandelt, daß ich es mir ersparen kann, darauf näher einzugehen.
Ich will Ihnen einmal sagen, wie diese Fata Morgana aussieht. Herr Kohl hat diesen Investitionsstau, den es praktisch nicht nachweisbar gibt, im Februar mit einer Größenordnung von 30 Milliarden DM beziffert. Derselbe Herr Kohl hat im April - zwei Monate später - den Investitionsstau mit 50 Milliarden DM beziffert. Nur 12 Tage später hat derselbe Herr Kohl diesen Investitionsstau mit 100 Milliarden DM beziffert.
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Nichts davon stimmt.
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Aus sozialdemokratischer Sicht sind zu den Wirkungen der Operation '82 in bezug auf die Beschäftigung zwei Dinge zu sagen:
Erstens. Ein Bundeshaushalt ist nicht kontraktiv, ist nicht konjunkturpolitisch falsch gepolt, wenn er - wie dieser Entwurf - für das Jahr 1982 33 Milliarden DM für Investitionen enthält. Dabei haben der Haushaltsentwurf und mit ihm zusammen die mittelfristige Finanzplanung durch die Entscheidung der Koalition neue zusätzliche Ansätze erhalten bzw. in ihnen wirken sich Einnahmeausfälle für eine zusätzliche steuerliche Förderung aus, die beide zusammengenommen einen Gesamtwert für den Zeitraum von 1982 bis 1985 von 20 Milliarden DM - davon 10 Milliarden DM beim Bund - haben.
Zweitens. Obwohl wir insgesamt gesehen, wie ich das vorhin dargelegt habe, besser dastehen als viele Industrieländer der Welt und obwohl es derzeit erfreuliche Ergebnisse insbesondere bei der Entwicklung des Exports gibt, kann keiner sagen, wie es um die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in unserem Land im nächsten Jahr bestellt sein wird. Die eigenen Sorgen und die von außen kommenden Sorgen müssen uns fürchten lassen, daß die Anstoßwirkungen, die der Bundeshaushalt enthält, in der gegebenen Konjunkturlage nicht groß genug sein könnten. Das ist der Grund dafür, warum der Vorsitzende unserer Fraktion und auch der Vorsitzende der SPD den Vorbehalt gemacht haben, daß die Sozialdemokraten auf das Thema zusätzlicher beschäftigungswirksamer Maßnahmen dann zurückkommen, wenn die Wirtschaftsdaten des Jahres 1982 klarer vorhersehbar sind und sich daraus die Notwendigkeit für zusätzliches Handeln ergibt. Wir werden uns auf diesen möglichen Zeitpunkt gut vorbereiten.
Es muß einmal gesagt werden: Wir haben die tapferste Opposi tion aller Zeiten.
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Nicht nur, daß sich die CDU/CSU selbst auf die Schulter geklopft hat, als sie sich beim ersten Subventionsabbaugesetz tapfer der Stimme enthielt und das als konstruktives Verhalten anpries. Nein, die Opposition liefert uns jetzt eigene Sparvorschläge. Wir wissen allerdings im Augenblick noch nicht so ganz genau, mit welchen von den mindestens drei erkennbaren unterschiedlichen Strategien der Einsparung wir uns auseinandersetzen sollen: mit der, die die CDU/CSU-Fraktion in einem ziemlich dünnen Papier vorige Woche der Öffentlichkeit vorgetragen hat, oder mit der, die Herr Strauß - sei es in Presseäußerungen oder heute hier - abweichend von anderen vertreten hat und die nach wie vor doch sehr deutlich an Sonthofen erinnert, oder mit dem, was Ministerpräsident Späth schon im Sommer als seine Meinung verkündete, oder mit der Linie, die Herr Stoltenberg - sicher nicht gerade glücklich über den unkoordinierten Gesamtablauf der Diskussion bei der Opposition - inzwischen als CDU/CSU- Auffassung verkündet hat.
Sie wissen es seit längerer Zeit, meine Damen und Herren: Wir halten uns bei diesen Fragen am ehesten an das, was Herr Stoltenberg sagt. Er haut zwar zuerst immer mit dem großen Hammer auf die Bundesregierung und sagt, sie sei an allem schuld, was überhaupt mit Finanzen zu tun habe. Aber da weiß jeder, daß das Propaganda ist und daß das dazu gehört. Anschließend legt er dann am relativ ruhigsten und konkretesten das vor, was zur Entlastung des ebenfalls mit einem hohen Schuldenberg belasteten schleswig-holsteinischen Landeshaushalts nützlich ist. Für diesen Haushalt ist ja nun weiß Gott nicht die sozialliberale Koalition in Bonn verantwortlich.
Immerhin, seine Absichten sind erkennbar und durchdacht. Sie zielen vornehmlich auf die Entlastung der Länderetats ab. Das kann man ihm als Länderchef nicht übelnehmen. Aber es muß hinzugefügt werden, sie sind problematisch wegen der Belastung der kleinen Leute und der Ärmeren in unserem Lande und deshalb für den Frieden im Inneren unseres Landes gefährlich.
Sehen wir uns aber erst einmal einen Moment lang an, was Herr Kohl und seine CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf dem Gebiet der Sparbeschlüsse zu bieten haben. Für uns war es - so muß man wohl sagen - ein etwas komisch wirkender Vorgang, als die Haushälter der CDU/CSU-Fraktion aus deren Sitzung kamen und - fast könnte man sagen: mit stolzgeschwellter Brust - von ihrem Sieg über Herrn Kohl erzählten, daß es ihnen gelungen sei, mit der Forderung durchzukommen, alle Leistungen und Subventionen - was immer das heißen mag - um 5°/o zu kürzen.
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- Mit Ihnen habe ich darüber auch gesprochen. Soll ich indiskret werden und ein bißchen von dem berichten, was Sie mir gesagt haben?
Ich bewundere Ihren Mut, mit einem solchen Gemeinplatz einer allgemeinen Fünf-Prozent-Kürzung vor die deutsche Öffentlichkeit zu treten,
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und dies zu einem Zeitpunkt, in dem Ihnen die konkreten Beschlüsse der Koalition und der Bundesregierung über Sparmaßnahmen bereits in der Textfassung vorlagen. Sie hätten also vorher feststellen können, daß die Koalition gut 15 steuerliche Subventionen in einem weitaus höheren Maße als um 5 % kürzt und in einer ganzen Reihe von Fällen sogar die völlige Streichung von Subventionen vornimmt. Sie hätten auch vorher bemerken können, daß in den vorliegenden Entwürfen der Regierung Eingriffe in verschiedene, genau ausgewählte Bereiche der staatlichen Leistungsgesetzgebung erfolgen, die im Einzelfall über die von Ihnen genannte Fünf-Prozent-Kürzung durchaus hinausgehen. Uns ist das, was wir dort als gemeinsames Ergebnis von intensiven Koalitionsberatungen zustande gebracht haben, verdammt schwergefallen. Aber wir stehen zu dem dort erreichten Kompromiß. Doch daß Sie als Opposition versuchen, sich von einer vielleicht nicht kritisch genug unterrichteten Öffentlichkeit für ihren schwachen, schwammigen, nicht faßbaren Beschluß einer rasenmäherähnlichen Kürzung um 5°/o auch noch feiern zu lassen, ohne zu sagen, wo diese wirklich wirken soll, ist schon ein starkes Stück.
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Nein, meine Damen und Herren, dies ist nicht seriös, dies ist ein Verwirrspiel. Um diese Art von Sparvorschlägen der Opposition noch einmal treffend zu charakterisieren, mache ich eine Anleihe bei meinem Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner. Herbert Wehner sagt in solchen Fällen zu solchen Plänen treffend: Das ist ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt, also eine Null.
Viel gefährlicher als dieses Null-Spiel ist das, was die CDU/CSU in einigen Beispielen als mögliche Kürzungsabsichten nennt und was bei Herrn Stoltenberg so klingt, als wolle die Bundesratsmehrheit die Bundesregierung auffordern, sie möge in deren Auftrag beschließen. Da sollen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gekürzt werden. Da sollen doch die Rentner in die Sparaktion einbezogen werden. Da sollen den Sozialhilfeempfängern die Leistungen beschnitten werden. Mir scheint, da soll der Abstand der Sozialhilfe zu den niedrigsten Lohngruppen vergrößert werden; das steckt wohl dahinter. Da soll bei der Ausbildungsförderung - trotz der bereits vollzogenen Einschnitte durch die 7. Novelle zum BAföG - von der Förderung derjenigen nicht viel übrigbleiben, die als Bezieher kleiner Einkommen die ihnen sonst nicht offenstehende Chance nutzen, ihre Kinder auf weiterführende Schulen zu schicken. Da werden von den Absichten die Behinderten nicht ausgenommen. Da soll verhindert werden, daß die Jugendhilfe endlich reformiert wird.
Meine Damen und Herren, das Fazit all dieser Absichten ist leider ganz einfach: Während die sozialliberale Koalition es vermieden hat, in die Leistungsgesetze tief einzuschneiden, und trotzdem eine längerfristig wirkende Verbesserung der Struktur des Bundeshaushalts erreicht, macht die Opposition es
sich zum Ziel, mit unbestimmten 5 %-Kürzungen zu operieren, aber ihre Sparabsichten zur gleichen Zeit auf dem Rücken der kleinen Leute auszutragen.
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Sie hat sich dafür Personengruppen ausgesucht, die alle nicht zu denjenigen gehören, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Ja, die CDU/CSU läßt in ihren Sparvorschlägen - prüfen Sie es bitte nach - alle Personengruppen aus, die von ihrem Einkommen her am ehesten in der Lage wären, einen Beitrag zur Verbesserung der Staatsfinanzen zu erbringen. Dazu sagen wir nein. Es war doch fatal, hier vom Ministerpräsidenten des Landes Bayern die Aufforderung hören zu müssen, daß die Arbeitnehmer fleißiger werden sollten, und dann zur gleichen Zeit zu sagen: Aber beim Arbeitslosengeld werden wir kürzen.
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Es war doch fatal, in ein und derselben Rede dieses bayerischen Ministerpräsidenten hier erleben zu müssen, daß er neue Steuersenkungen bei den ertragsunabhängigen Steuern forderte und zur gleichen Zeit sagte, das Arbeitslosengeld müsse gekürzt werden. Wie kann das zusammengehen? Dies macht für uns Sozialdemokraten klar, was wir von Konservativen in unserem Lande zu erwarten hätten, wenn sie regieren würden.
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Wir bleiben bei unserem Konzept, das im Verhältnis zu den erkennbaren Absichten der Konservativen auch von demjenigen, der mit dem Koalitionskompromiß an mancher Stelle unzufrieden sein mag, als eine in jeder Hinsicht ausgewogenere Lösung angesehen werden muß.
Zu dem, was wir Ihnen hier vorgelegt haben, stehen die Sozialdemokraten. Sie haben an einer Reihe von Stellen - ich habe sie hier zum Teil genannt - einige Änderungswünsche. Ich will am Schluß noch einmal sagen: Das Gravierendste für uns ist die Frage, ob es gelingen kann, in Gesprächen mit allen Beteiligten eine bessere, eine gerechtere, eine tragfähige Lösung mit allen Beteiligten in der Kindergeldfrage zustande zu bringen. Uns ist dies sehr wichtig. Wir hoffen, daß wir wenigstens an dieser Stelle ein bißchen Mitwirkung und Mitdenken von einer Opposition erleben werden, die sich hier sonst leider nicht als konstruktiv erwiesen hat. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Westphal, wer so verbittert Gift und Galle spuckt und
({0})
derart frustriert im Deutschen Bundestag zu einer zugegebenermaßen ernsten Thematik spricht, der muß doch in den letzten Monaten in seiner Fraktion ganz schreckliche Erlebnisse hinter sich gebracht haben.
({1})
Herr Kollege Westphal, Sie haben heute dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß vorgeworfen, er habe hier gestammelt. Wenn Sie so reden könnten wie Franz Josef Strauß, dann würden Sie nicht Westphal, sondern Graf von Westphalen heißen müssen. Das darf ich Ihnen mal sagen.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine - Dr. Riedl ({0}) ({1}): Herr Kollege Westphal, im Gegensatz zu Ihnen habe ich leider nicht eine Stunde, sondern nur 25 Minuten Redezeit. Wenn es mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident, dann lasse ich sehr gern diese Zwischenfrage zu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte sehr.
({0})
Darf ich Sie nur fragen, Herr Riedl, ob Sie gehört haben, daß das Wort „gestammelt" auf die fünf Minuten dauernden inhaltlichen Vorschläge zum Sparen bezogen war,
({0})
nicht auf die beachtlichen rhetorischen Fähigkeiten des bayerischen Ministerpräsidenten.
Da war nicht eine Sekunde dabei, die gestammelt war. Sie sollten so etwas hier nicht sagen. So wie ich dem Fraktionsvorsitzenden Wehner niemals absprechen würde, daß er zu den Großen der Politik in diesem Haus gehört,
({0})
genauso gehört Franz Josef Strauß dazu. Sie sollten über verdiente Parlamentarier hier so nicht reden, gerade Sie, der Sie sich als alter Sozialdemokrat immer gern an die Geschichte erinnern.
Das zweite, Herr Westphal. Sie haben hier in etwas larmoyanter Weise beklagt, Sie seien stundenlang auf der Rednerliste gestanden und nicht zum Zug gekommen. Sie müssen eigentlich sagen, wie es wirklich war. Vorgesehen war, daß der Kollege Häfele beginnt. Auf den Kollegen Häfele sollte der Kollege Walther antworten. So war Ihre Strategie. Auf den Kollegen Kohl sollte der Kollege Westphal, also Sie, antworten. Der Herr Genscher hat
Dr. Riedl ({1})
Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hat nämlich auf den Kollegen Kohl geantwortet. Dann konnten Sie nicht mehr reden. Es wäre also klüger gewesen, sich nicht auf die Bundesratsbank zu beziehen, sondern zum Koalitionspartner zu gehen und zu sagen, der Herr Genscher habe Ihnen die Redezeit weggenommen. Deshalb: Was soll dieses ganze Gerede über eine Änderung der Geschäftsordnung? Herr Westphal, so war es, und nicht anders.
({2})
Im übrigen: Wissen Sie, ich bin durchaus für Änderungen der Geschäftsordnung. Aber die Geschäftsordnung so zu ändern, daß Sie hier immer mindestens eine Stunde reden dürfen, ist natürlich schon eine Zumutung für das Parlament und die Öffentlichkeit.
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Wir sind etwa in der Mitte dieser eineinhalbtägigen ersten Lesung des Bundeshaushalts 1982 und der Finanzplanung bis 1985. Man kann in etwa schon eine kleine Zwischenbilanz der bisherigen Debattenbeiträge ziehen. Wenn man die Redebeiträge der Kollegen von der SPD gehört und sich zu Gemüte geführt hat, muß man feststellen: Zur Zeit ist in unserem Land eine offensichtlich ganz geniale Bundesregierung dabei, eine Krise, von der stets behauptet worden ist, es gebe sie gar nicht, dank einer ungewöhnlichen Kraftanstrengung innerhalb kürzester Zeit in den Griff zu bekommen.
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Das ist die eine Seite.
Wenn man sich die Redebeiträge der Kollegen aus der FDP zu Gemüte führt, hat man den Eindruck, daß eine offensichtlich tiefgreifende Wende gegen die eigene Politik eingeleitet worden ist, obwohl diese Politik dem deutschen Volk zwölf Jahre lang als die beste aller Möglichkeiten angepriesen worden ist. Wenn man SPD/FDP-Koalition und Ministerbank zusammenaddiert, dann hat man den Eindruck, daß sie gar nicht wissen, wie es um unsere Staatsfinanzen und um unseren Haushalt insgesamt steht. Aber wenn man genau hingehört hat - der Kollege Genscher, der Herr Bundesaußenminister Genscher war, obwohl es nicht unmittelbar sein Ressort ist, in Sachen Bundeshaushalt heute relativ ehrlich und relativ klar -, stellt man fest: die Existenz der Misere kann die Koalition nicht mehr leugnen.
Da kommen Sie immer mit der schönen internationalen Ausrede. Herr Kollege Westphal, was war denn in den 50er Jahren und 60er Jahren, als fast alle vier Eckpfeiler unserer gesamtwirtschaftlichen Konstellation stabil und in Ordnung waren? In Frankreich und Italien tobte eine Inflation nach der anderen. In Italien und Frankreich und England gab es Arbeitlosigkeit vielleicht mindestens so wie heute. Da sind Sie doch auch nicht gekommen und haben gesagt, daß dies alles auf unsere Binnenwirtschaft durchschlage.
({5})
Da war die Regierung eine andere. Lassen Sie doch endlich das Gerede, immer nur das Ausland sei schuld, bei uns sei alles in Ordnung.
Es kommen noch einige Ausreden hinzu, z. B. die Ölpreise. Mich würde einmal interessieren - Herr Staatssekretär Haehser, der den Herrn Bundesfinanzminister hier vertritt -: rechnen Sie doch mal aus diesem Bundeshaushalt genau die Positionen heraus, die wirklich ölpreisbedingt den Haushalt erhöht haben. Sie reden immer nur von ölpreiserhöhten Ausgabepositionen, sagen uns aber nicht, was wirklich bundesetatbedingt diese Ölpreiserhöhung als Anteil der Nettoneuverschuldung gebracht hat. Das machen Sie mal zum Anhang der mittelfristigen Finanzplanung! Dann können wir darüber offen und ehrlich reden.
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Angesichts der höchsten Arbeitslosigkeit seit bald 30 Jahren, die Sozialdemokraten verursacht haben, die Sozialdemokraten auf dem Gewissen haben, werfen Sie uns „soziale Demontage" vor, Herr Westphal. Angesichts rapide steigender Preise und schrumpfender Wirtschaftsleistung, angesichts eines enormen Defizits in der Leistungsbilanz und angesichts dieser zerrütteten Staatsfinanzen konnten und können Bundesregierung und SPD/FDP-Koalition in dieser Debatte bis zur Stunde nicht bestreiten, daß sie mit dem Haushalt, mit den Bundesfinanzen in allergrößten Schwierigkeiten sind. Ich darf noch einmal wiederholen, was heute von unserer Seite schon gesagt wurde. Was wir kurz nach 1969 befürchten mußten, hat sich in den letzten Jahren dramatisch bestätigt. SPD und FDP können mit den Problemen unserer Zeit ganz einfach nicht fertig werden.
({7})
SPD und FDP haben offensichtlich nicht die Fähigkeiten, die zur politischen Führung einer großen Industrienation wie der Bundesrepublik Deutschland ganz einfach erforderlich sind.
In den ersten Jahren nach 1969 konnte die damals erfolgte Weichenstellung, was die Finanzpolitik betrifft, eine geraume Zeit gerade noch kaschiert werden. Ab 1975 ging die Schuldenlawine bergab. Der Herr Westphal beklagt den Mangel an Redezeit. Eine Stunde Redezeit hatte er. Aber er sagte kein Wort dazu, daß wir in diesem Land Ende dieses Jahres den absoluten Rekord an Staatsverschuldung erreichen werden. Kein Wort von Herrn Westphal, aber pausenlose Angriffe auf die CDU/CSU, als ob wir seit 1969 mit Ihnen auf der Regierungsbank gesessen hätten.
({8})
Bis Ende 1981, Herr Westphal, werden wir bei 264 Milliarden DM Schulden gelandet sein. Ende 1982 - das steht hier in der mittelfristigen Finanzplanung; es ist keine Sonderbeilage des „Bayernkurier", sondern eine Edition der Bundesregierung - werden die Schulden des Bundes die 300 MilliardenGrenze erreicht haben.
Dr. Riedl ({9})
Der Herr Genscher hat völlig recht. Jetzt mache ich seinen Brief wieder publik, worum er uns ja nachhaltig gebeten hat. Den Genscher-Brief muß man in der Tat publik machen. Herr Kollege Haase, wir werden im übrigen einmal im Haushaltsausschuß überlegen, ob wir nicht den enorm hohen Titel für Öffentlichkeitsarbeit dadurch etwas abschöpfen, daß wir die Bundesregierung bitten, einige hunderttausend Exemplare dieses Genscher-Briefes als eine Edition der Bundesregierung zu publizieren.
({10})
Das wäre, glaube ich, eine Verwendung von Öffentlichkeitsmitteln, die sinnvoller ist, als Broschüren zu drucken, in denen steht, in unserem Land sei alles in Ordnung.
Ihre für Finanzierungsfragen blinde Reformideologie, das durch eine Flut von Versprechungen erzeugte Anspruchsdenken, der verhängnisvolle Versuch, die Belastungsfähigkeit von Wirtschaft und Abgabezahlern zu erproben, die sozialistische Doktrin vom Staat, der alles besser kann als die Bürger, und die hemmungslose Schuldenwirtschaft der vergangenen Jahre - all das ist es, was Wirtschaft und Staatsfinanzen in dieser Bundesrepublik Deutschland in die tiefste Krise der Nachkriegszeit gestürzt hat.
({11})
Es ist sicherlich - es würde sich lohnen, näher darauf einzugehen; aus zeitlichen Gründen geht das hier an dieser Stelle jetzt nicht - ein müßiger Streit, wer bei Ihnen mit wem die von Herrn Genscher detailliert geforderte Wende herbeiführen soll. Ich bin der Meinung, weder SPD noch FDP können diese Wende herbeiführen. Wenn die FDP sich jetzt hier herstellt und das, was als Bundeshaushalt 1982 und als mittelfristige Finanzplanung hier im Deutschen Bundestag zur Debatte steht, als die große Wende bezeichnet, dann muß man sich fragen, warum Herr Genscher diesen Brief überhaupt geschrieben hat. Vielleicht war dies, weil er damals andere koalitionspolitische Überlegungen hatte, der erste Versuch, bei seinen Parteifreunden um ein Ausscheiden aus der Koalition zu werben. Ich weiß nicht, was das Motiv damals war. Jedenfalls kann das, was an finanzpolitischen Ergebnissen heute auf dem Tisch liegt, mitnichten als finanzpolitische Wende in unserem Land angesehen werden.
({12})
Herr Kollege Westphal und meine Damen und Herren von SPD und FDP, in dieser Debatte ist darzulegen, was CDU und CSU früher und heute als ihre Ziele einer vernünftigen Haushaltspolitik angesehen haben bzw. ansehen.
Erstens. Wir wollen wirtschaftliche Belebung über eine Stärkung der Selbstverantwortung sowie der Fähigkeit und Bereitschaft zu Leistung und Investition.
Zweitens. Wir wollen die hohe Belastung von Arbeitern, Angestellten und Wirtschaft mit Steuern und Abgaben allmählich abbauen. Die Abgabequote beträgt, wie Sie wissen, 40 %, und sie steigt ständig.
Sie geht, wenn Sie gewisse Nebenleistungen dazurechnen, sogar auf 50 % zu. Das ist das Ergebnis einer langen sozialdemokratischen Regierungsarbeit hier in unserem Staat.
Drittens. Wir wollen den Abbau der politischen und administrativen Investitionshemmnisse - das ist heute schon verdeutlicht worden - im Wohnungsbau, im Kraftwerksbau und anderswo mehr. Gehen Sie doch einmal hinaus zu Ihren Jusos, zu Ihren Sympathisanten, die die Kernkraftwerke in Deutschland nicht wollen. Sie sollten ihnen einmal vorhalten, daß in Deutschland Hunderttausende nur deshalb arbeitslos sind, weil wir diese Hemmnisse dank dieser politischen Sperren in unserem Lande haben.
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Viertens. Wir wollen verbesserte Rahmenbedingungen für Investitionen, durch die allein Vertrauen gebildet werden kann. Noch so gutgemeinte Konjunkturprogramme - ich spreche Ihnen die Ehrlichkeit im Wollen gar nicht ab, daß Sie über Konjunkturprogramme einen Teil der Arbeitslosigkeit abbauen wollen; Sie können dies aber nicht oder wie immer man sie nennen mag, halten wir jedenfalls für ungeeignet, wirksam und dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Walther?
Bitte sehr.
Herr Kollege Riedl, nachdem Sie es eben so dargestellt haben, als seien nur die Jusos Kernkraftgegner, möchte ich Sie fragen, ob es zutrifft, daß auch in Bayern eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern Ihrer Partei gegen die Errichtung von Kernkraftwerken - beispielsweise in Ohu - ist.
Bloß mit dem Unterschied, daß bei uns in Bayern Kernkraftwerke seit Jahren voll in Betrieb sind und die Planungen für weitere Kernkraftwerke systematisch weiterlaufen, Herr Kollege Walther.
({0})
Das Beispiel Bayern zieht auf diesem Gebiet überhaupt nicht. Ich lade Sie ein, mit mir einmal einige Besichtigungsreisen durchzuführen.
Fünftens. Wir sehen in den Verbesserungen der steuerrechtlichen Investitionsbedingungen, wie jetzt endlich teilweise von Ihnen vorgeschlagen, erste vernünftige Ansätze. Sie werden von uns als Schritte in die richtige Richtung akzeptiert.
Herr Abgeordneter, verzeihen Sie, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
({0})
Herr Kollege Walther, lassen Sie mich einmal etwas im Zusammenhang vortragen. Es ist mit der Redezeit eine gewisse Schwierigkeit. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis. - Ich bedanke mich.
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Herr Kollege Walther, es ist keine Zwischenfrage zugelassen.
Herr Kollege Walther, Ihnen schlage ich Zwischenfragen sehr ungern ab. Sie haben aber Verständnis für die Kürze meiner Redezeit. Ich bedanke mich.
Sechstens. Wir wissen - dies ist ein ganz wesentlicher Punkt Ihrer Kritik, der völlig ins Leere geht -, daß Schwerpunkt einer jeden Haushaltssanierung Kürzungen in den großen Ausgabebereichen sein müssen. Steuer- und Abgabenerhöhungen sind ebenso der falsche Weg wie bloße Verschiebungen von Finanzmassen zwischen Teilen des Sozialversicherungssystems. Wir sind bereit - Herr Kollege Westphal, wenn Sie schon die Papiere nicht lesen, dann hören Sie wenigstens zu -, den Teil Ihrer Vorschläge, der echtes Sparen beinhaltet, bis auf die sozial unausgewogene Kürzung des Kindergeldes für Mehrkinderfamilien mitzutragen.
Wir haben darüber hinaus - das Gebot sozialistischer Ehrlichkeit müßte Ihnen auch den Verstand öffnen,
({0})
wenn es dies gäbe - weitere Einsparungsmöglichkeiten beispielhaft aufgezeigt. Wir schlagen insbesondere vor - Herr Kollege Westphal, noch niemals zuvor haben Sie als Regierung in diesem Deutschen Bundestag von einer Opposition dieses Volumen angeboten bekommen -, alle staatlichen Ausgaben mit dem Ziel zu überprüfen, Leistungen und Subventionen um 5 % zu kürzen. Wir befinden uns - das wissen Sie ganz genau - mit diesen Vorschlägen in einer sehr guten Gesellschaft, nämlich in der Gesellschaft des Sachverständigenrates und in der Gesellschaft des Deutschen Industrie- und Handelstages, wo Graf Lambsdorff ja ein- und ausgeht, die diese Vorschläge, die gut sind, die vernünftig sind, und die man miteinander diskutieren muß, aufgelistet haben. Aber wenn man hier, wie vor einem Jahr geschehen, die Bundesregierung auffordert, die Subventionen zu überprüfen und uns eine Auflistung einer Kosten-Nutzen-Analyse zu geben - wie sieht es mit den Subventionen in unserem Land aus, welche nützen unserem Staat, welche sind überflüssig, wo ist das Geld hinausgeworfen? -, und wenn bis zur Stunde eine solche Auflistung nicht hier ist, wie sollen wir dann im Haushaltsausschuß über dieses Thema im Detail überhaupt reden?
({1})
Herr Kollege Westphal, da gibt es keinen Sieg der Haushaltsgruppe über den Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl.
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- Herr Kollege Westphal, Sie sollten hier fair und anständig mit uns diskutieren. Das hat Ihnen auch niemand gesagt. Lassen Sie das. Es gibt und es gab einen ganz klaren Auftrag der Fraktionsführung an die Haushaltsgruppe, den wir zu erledigen hatten und den wir erfüllt haben. Wir haben dem Vorstand und der Fraktion unsere Arbeitsergebnisse, genau wie Sie das machen, vorgelegt. Wir haben dann ein gemeinsames Papier erstellt. Bei uns gibt es keine Unterminierungen oder sonstige Entwicklungen, wie Sie sie hier aufgezeigt haben. Ich muß mich einmal vor meine Kollegen der Haushaltsgruppe, deren Obmann ich bin, hinstellen und mich bei ihnen für ihre außerordentlich qualitativen Vorbereitungsarbeiten zu diesem Papier sehr herzlich bedanken.
In diesem Konzept der Finanzplanung bis 1985 und des Bundeshaushalts 1982 ist wenig übergeordneter Sinn, wenig erfolgversprechende Linie und erst recht wenig überzeugende programmatische Vorstellung zu erkennen. Ich will nur einige Punkte nennen.
Die Staatsverschuldung steigt wie eh und je. Mit dieser Haushaltsstruktur klettern die Schulden nur des Bundes Ende dieses Jahres auf fast 300 Milliarden DM. Allein in den nächsten vier Jahren sehen Sie, die Bundesregierung und die Koalition, Neuschulden von fast 100 Milliarden DM vor. Allein in den nächsten vier Jahren erhöhen Sie noch einmal die Steuern - selbst wenn ich nur die einzelnen Verbrauchsteuererhöhungen addiere - um sage und schreibe 12 Milliarden DM. Und das nennen Sie sparen, das nennen Sie konsolidieren.
({3})
Allein in diesem und in den nächsten Jahren entnehmen Sie der Rentenkasse über 10 Milliarden DM. Die Rentner und die Beitragszahler haben dies auszubaden, und Sie sagen: Die CDU/CSU macht eine Politik gegen den kleinen Mann. Herr Kollege Westphal, eine größere Unverfrorenheit in der Argumentation als die, die Sie gebracht haben, kann ich mir angesichts dieser Zahlen überhaupt nicht vorstellen.
({4})
Die Investitionsausgaben, die wir so dringend bräuchten, steigen kaum mehr. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben sinkt. Der Investitionsanteil am Haushalt 1969 betrug noch 17 %, 1982 wird er keine 14 % mehr und 1985 nur noch 12 % betragen. Da hoffen Sie auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit in unserem Land. Da kann ich nur lachen. Da feiern Sie die Rede des Bundesfinanzministers als eine Rede nach vorn. Die Rede des Bundesfinanzministers, der Bundeshaushalt 1982 und die mittelfristige Finanzplanung geben den 1,2, 1,3, 1,4 und vielleicht - hoffentlich nicht - 1,5 Millionen Arbeitslosen und denen in unserem Land, die hoffentlich nicht arbeitslos werden, leider Gottes keine Hoffnung. Herr Westphal, das ist kein Programm zum Abbau der Arbeitslosigkeit; leider, leider Gottes.
({5})
Wenn man die Rede des Bundesfinanzministers hört und noch einmal nachliest, dann fällt einem ein
Dr. Riedl ({6})
Zitat ein, das der bayerische Dichter Jean Paul vor sehr langer Zeit niedergeschrieben hat: Mit manchen Dingen muß man prahlen, um sich ihrer nicht schämen zu müssen.
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Über 16 Milliarden DM, so will man uns weismachen, sollen 1982 eingespart werden. Wie sehen die Zahlen beim Sparen in Wirklichkeit aus? Dreieinhalb Milliarden DM durch Steuererhöhungen, also Sparen à la Matthöfer; gibt es gar nicht. Drei Milliarden durch Plünderung der Rentenrücklage, um das Loch der Arbeitslosenversicherung zu schließen; Sparen à la Ehrenberg; gibt es als Sparen gar nicht. Drei Milliarden, die angeblich im Haushaltsverfahren gekürzt wurden, werden schlicht nicht mehr gebraucht, z. B. die Mittel zum Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen der deutschen Kokskohle auf Grund des früher niedrigen Dollar-Kurses; Sparen à la Lambsdorff. Es bleiben also allenfalls sechseinhalb bis sieben Milliarden DM übrig. Über die können wir uns unterhalten. Wenn es echte Einsparungen sind, werden wir, die CDU/CSU, da mitmachen.
Nicht mitmachen - das habe ich schon gesagt, ich unterstreiche es noch einmal - werden wir Ihre neuerlichen Steuer- und Abgabenerhöhungen. Sie haben überhaupt in letzter Zeit förmlich ein Kompendium an Steuer-, Beitrags-, Gebühren- und Tariferhöhungen über dieses Land ergossen. Ich darf es nur einmal so der Reihe nach aufzählen, weil das fast schon wieder vergessen worden ist: Die Beitragserhöhung und die Kürzung des Bundeszuschusses in der Rentenversicherung Anfang 1981; Mineralöl- und Branntweinsteuererhöhung im April; höhere Postablieferung, für die der Postbenutzer höhere Gebühren zahlen muß; Abbau von Steuererleichterungen z. B. für öffentliche Verkehrsunternehmen - die Fahrpreise sind ständig im Steigen -; höhere Bahntarife wegen zu geringer Bundeszuwendungen an die Bahn; Verlängerung der Heizölsteuer; Tabak- und Sektsteuererhöhungen; zweite Branntweinsteuererhöhung; noch einmal Abbau von Steuererleichterungen; höhere Bundesbank-Ablieferung - sozusagen eine Zinssteuer für die Wirtschaft, aber auch z. B. für private Bauherren - und schließlich ein erneuter Griff in die Rentenkasse.
Das nennen Sie ein vernünftiges, soziales Konzept für die 80er Jahre? So sieht Ihr modernes Deutschland aus,
({8})
das zu schaffen Sie 1969 angetreten sind? Schämen Sie sich! Sie von der SPD in allererster Linie.
({9})
- Das würde mir auch nicht passen, wenn ich auf Ihrer Seite säße und mir das einer sagte. Im Gegensatz zu Ihnen würde ich aber rot werden.
({10}) Sie werden j a nicht einmal mehr rot.
({11})
- Herr Wehner, wie das bei Ihnen mit dem Rotwerden ist, habe ich in Ihrem Lebenslauf nachgelesen. Der Herr Strauß hat Ihnen heute gesagt, welche Metamorphose Sie so mitmachen. Herr Wehner, Sie sind in diesem Fall für mich kein vorbildliches Beispiel. Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das auch einmal sage.
({12})
- Bitte sehr.
({13})
- Herr Wehner, Sie sind sicherlich einer derjenigen, die für diese Staatsverschuldung und diese Finanzmisere hauptverantwortlich sind.
({14})
Stellen Sie sich doch einmal in dieser eineinhalbtägigen Debatte einmal hierauf und sagen Sie, wie Sie es als Sozialdemokrat verantworten können,
({15})
daß in unserem Land die kleinen Leute die Zeche zu bezahlen haben und daß es in unserem Land mit den sozialen Leistungen nicht, wie Sie es als Sozialdemokraten hätten erbringen müssen, ständig nach oben, sondern ständig nach unten geht.
({16})
Einen Augenblick. - Ich rüge den Ausdruck, den der Herr Abgeordnete Wehner eben hier gefunden hat.
({0})
Herr Präsident! Ich hätte nicht verlangt, daß dieser Zwischenruf von Herrn Wehner gerügt wird. Wir sind ganz andere Ausdrücke im Deutschen Bundestag gewöhnt. Das war j a einer seiner vornehmen Einlassungen.
({0})
Zum Schluß noch etwas in aller Kürze, nämlich zu den Risiken, die in diesem Haushalt enthalten sind.
({1})
Erstens. Ich habe einige Fragen an den Herrn Bundesfinanzminister, der bis morgen Zeit hat, darauf zu antworten. Er wird sich ja morgen hier an dieses Pult stellen. Herr Bundesfinanzminister, wie steht es mit der Entwicklung der Arbeitslosenzahl im Jahre 1982? Die Regierung und dieser Haushalt gehen von einer Zahl von 1,4 Millionen Arbeitslosen
Dr. Riedl ({2})
aus. 100 000 Arbeitslose - ich sagte es schon, kosten den Bund 1,4 Milliarden DM an Mehrbelastung. Bei 200 000 Arbeitslosen mehr - im übrigen eine Zahl, über die in Ihrer Regierung schon geredet wird - wären dies fast 3 Milliarden DM.
Zweitens. Wie steht es mit der Deutschen Bundesbahn? Sie wollen doch die Deutsche Bundesbahn in den nächsten vier Jahren mit 20 Milliarden DM auf den Kreditmarkt schicken. Es ist heute schon mehrfach dargelegt worden, daß es volkswirtschaftlich egal ist, ob der Bund oder 'die Bundesbahn diese Schulden aufnimmt.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ja. Ich bin sofort fertig.
Drittens. Wie steht es mit dem Schnellen Brüter? Wie steht es mit den Notwendigkeiten des Verteidigungsetats? Wie steht es mit den Abführungen an die Europäische Gemeinschaft? Wie steht es mit dem Stahlprogramm? Wie steht es mit den verbürgten Polengeschäften? Wie steht es mit einer ganzen Reihe anderer Risiken, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, kennen? Das Schicksal des Bundeshaushalts 1982 ist schon deshalb ungewiß, erst recht, wenn ich über diese Risiken hinaus z. B. an das denke, was der Herr Minister Posser heute zum Kindergeld gesagt hat. Dieser Haushalt wird den Deutschen Bundestag in 2. und 3. Lesung, das kann man heute schon sagen, mit einem völlig veränderten Gesicht erreichen. Wie er heute dem Haus vorliegt, ist er kein Beitrag zur Sanierung unserer Staatsfinanzen, sondern führt die Bundesrepublik Deutschland weiter in Staatsverschuldung und damit in soziales Elend hinein.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Riedl! Es ist vielleicht gelegentlich besser, wenn man fünf Minuten kürzer spricht, weil dann nicht solche Sachen passieren, wie Sie sie leider hier am Ende Ihrer Rede gebracht haben. Ich finde, wenn wir über den Bundeshaushalt reden wollen, ist es nicht notwendig, in dieser Form miteinander umzugehen. Es ist ein bißchen viel gepöbelt worden.
({0})
Ich finde, es gibt Tatbestände, die man in einer sachlichen Form diskutieren kann ohne diesen Zuschlag, den der Kollege Riedl hier gebracht hat, indem er z. B. behauptete, es gebe ein Mitglied des Hauses, das für diesen großen Schuldenstand allein verantwortlich sei.
({1})
- Herr Haase, ich finde das deshalb nicht besonders toll, weil es ausgerechnet ein Vertreter eines Landes macht, das von den Ergänzungszuweisungen des Bundeshaushaltes relativ viel bekommt.
({2})
Der Kollege Strauß, der heute mittag eineinhalb Stunden über alles, aber nicht zum Bundeshaushalt geredet hat, es allenfalls fünf Minuten versucht hat, kommt ebenfalls aus einem Lande - genau wie Herr Kollege Riedl - das im Jahre 1981 als finanzschwaches Land 323 Millionen DM haben will.
({3})
- Ja, sehr schön. Ich habe nur von den Leuten geredet, die aus Ländern kommen, die von uns abhängig sind, Herr Kollege Kolb.
Das Land, aus dem der Kollege Kohl kommt, der hier auch so viel über die Staatsverschuldung erzählt hat, ist Empfänger von 305 Millionen DM.
({4}) .
- Ich weiß, daß es Ihnen wehtut, wenn man das sagt. Aber es muß einfach einmal gesagt werden, daß man sich nicht in der Art und Weise hier hinstellen kann und sagen kann, SPD und FDP wären für die Zerrüttung von Staatsfinanzen verantwortlich. Der Kollege Posser hat doch - ich fand das jedenfalls - deutlich genug gemacht, daß Sie alle Steuergesetze - ich weiß nicht, wie sich die Steuerfachleute, die nachher zu Wort kommen an dieser Ecke vorbeidrücken wollen -, die in ihren Auswirkungen kritisiert werden, mitge macht haben. Der Bundesrat hat ja sogar zu diesen Dingen noch etwas hinzugefügt.
({5})
Ich kann nur sagen: Wer den Kinderbetreuungskostenzuschlag für eine tolle Erfindung hält, muß auch wissen, was er verwaltungsmäßig kostet.
({6})
Wer auf großen Kongressen, bei Mittelstandsvereinigungen, erzählt, er sei für Verwaltungsvereinfachung, für Stelleneinsparung, der soll auch in der praktischen Politik nur Gesetze verabschieden und mitmachen, die im Verwaltungsablauf billig sind, und nicht solche Dinge, wie Sie sie gemacht haben.
({7})
Herr Kollege Riedl hat das Thema Investitionshemmnisse angesprochen, das ja - wie das Ungeheuer von Loch Ness jedes Jahr - in den Beiträgen alle fünf Minuten wiederkommt. - Herr Kollege Riedl, schenken Sie mir vielleicht einmal Ihre Aufmerksamkeit. Sie wollten doch zuhören.
In Bayern gibt es die tollsten Befürworter von Kernkraftwerken, das weiß ich. Die Frage des Kollegen Walther haben Sie natürlich nicht fair behandelt, jedenfalls nicht, was die Mitgliedschaft von Kernkraftgegnern in der CSU betrifft; das haben Sie ja nicht zugegeben.
({8})
Ich halte übrigens nichts davon, daß man das in der Form macht, wie der Riedl das gemacht hat, weil ich der Meinung bin, daß in Parteien durchaus unterschiedliche Positionen vertreten werden dürfen, wenn es um Fragen geht, die unheimlich wichtig sind.
({9})
Ich sage Ihnen, es muß doch auch zu denken geben, wenn jemand sagt, wir hätten Investitionshemmnisse, aber nicht bereit ist, einen Antrag für ein Zwischenlager - diesen Anlagen, die überall gebaut sonst werden sollen, aber nicht in Bayern - zu stellen.
({10})
Man müßte auch sagen, daß der Kollege Albrecht, was die Fragen der Endlagerung angeht, mindestens in die Rolle eines Investitionshemmnisses kommt. Wer hat uns denn dieses Thema so gebracht, daß wir, was das Thema Kernkraftwerke angeht im Augenblick - ({11})
- Kalkar, an der Stelle treffe ich j a manche Kollegen noch einmal wieder. Wie teuer muß eine Ruine sein, bis wir sie Ruine nennen dürfen? Das war ein Satz, der hier gefallen ist.
Dann darf ich noch folgendes sagen: Endlagerprobleme werden wir in der Bundesrepublik immer haben. Wir müssen jetzt nach Frankreich, nach Cap de la Hague gucken. Abnahmesichere Endlager, die bei uns Voraussetzung für jede Genehmigung sind, haben wir nicht. Wir sind in einer sehr schwierigen Position.
({12})
Warum gibt es inzwischen nicht die Position, daß Niedersachsen ein Endlager anbietet? Das Endlager kommt nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ({0})?
Ja, bitte.
Lieber Kollege Gärtner, ist Ihnen bekannt, wieviel Jahre für die Salzstockuntersuchungen erforderlich sind, bis ein endgültiges Urteil über eine Endlagereignung feststehen kann, und wenn Ihnen dieses bekannt ist, wie können Sie dann zu der Behauptung kommen, der niedersächsische Ministerpräsident sei eine Investitionsbremse?
({0})
Lieber Kollege Schröder, wir kennen uns gut genug. Ich weiß, daß Sie mit diesen Problemen sehr viel stärker vertraut sind als manch anderer, weil Sie in der Nähe dieses geplanten Endlagers sozusagen Ihre politische Heimat haben. Ich will Ihnen sagen: Solange es in Niedersachsen eine
Begründung für Gorleben als Endlager gegeben hat, war alles in der Frage der politischen Bewertung der Kernkraft noch in Ordnung. Dann kam aber die Ablehnung von Gorleben als Endlager
({0})
mit der Begründung von Herrn Albrecht, das sei politisch nicht durchsetzbar. Das war die Begründung, die er gegeben hat. Das haben allerdings die Gegner der Kernenergie schon länger vorher gesagt.
({1})
- Also wissen Sie, das Thema „Miteinander umgehen" haben wir eben schon einmal gehabt. Hören Sie sich doch wenigstens die Dinge an, auch wenn Sie sie nicht akzeptieren wollen. Dann haben Sie wenigstens die Chance, daß Sie hinterher ein schlechtes Gewissen haben.
Das genau ist der Punkt: In Gorleben, so ist gesagt worden, sollte ein Endlager gebaut werden.
({2})
Ich habe immer noch vor mir wie Herr Albrecht, der neben Herrn Pestel gesessen hatte, nach der Anhörung sagte: Es ist alles ganz schwierig. - Aber er hat vor allen Dingen gesagt, er würde nicht nur aus sachlichen Gründen, sondern aus politischen Gründen dem Endlager nicht zustimmen.
({3})
Und das fand ich nicht fair.
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ({0})?
Ich bin ja nicht so wie der Herr Kollege Strauß. Deshalb, bitte, Herr Kollege Schröder.
Lieber Kollege Gärtner, unterstellend, daß Sie Endlager und Wiederaufbereitung miteinander verwechselt haben - sonst kann ich Ihre Ausführungen überhaupt nicht begreifen, soweit Sie das auf Gorleben beziehen -, darf ich Sie noch einmal fragen, wann und in welchem Zusammenhang der niedersächsische Ministerpräsident jemals eine Erklärung oder Handlung gegen eine Zwischen- oder Endlagerung in Gorleben abgegeben hat
({0})
und ob Ihnen darüber hinaus bekannt ist, daß Ihre politischen Freunde vor Ort sowohl gegen eine Wiederaufbereitung als auch gegen eine Zwischenlagerung und eine Endlagerung eingestellt sind?
({1})
Herr Kollege Schröder, die Frage war doch die, ob der Kollege Albrecht bei der Behandlung des Themas, ob Kernkraftwerke in Deutschland gebaut werden sollen, bereit war, den Beitrag zu leisten, über ein Endlager, verbunden mit
einer Wiederaufarbeitungsanlage, den Kreislauf zu schließen. Der Diskussionsstand damals ging von einer Wiederaufarbeitung zum Zwecke der Endlagerung aus. So war der Zusammenhang.
({0})
Von daher brauchen Sie mir nicht zu unterstellen, ich würde den Kreislauf nicht kennen.
Jetzt wollen Sie sich vorbeimogeln, indem Sie sagen: Wir waren ja eigentlich für ein Endlager, aber nicht für so eines. Dazu kann ich nur sagen, daß es nicht angeht, wenn man noch nicht einmal für ein richtiges Zwischenlager ist - dort sieht man im Augenblick keine großen Bewegungen mehr -, wie der Kollege Riedl hinzugehen und zu sagen, daß Jungdemokraten, Jungsozialisten und andere Abgeordnete, die sich darüber ein bißchen mehr oder andere Gedanken machen, die Investitionshemmnisse seien. Man muß sie, wenn man sie auf der anderen Seite sieht, auch bei seinen eigenen politischen Freunden sehen, Herr Kollege Schröder.
({1})
Nachdem der Bundeshaushalt heute in stunden- langen Reden nicht so sehr behandelt worden ist, will ich noch ganz kurz ein paar Daten zurechtrükken, die der Kollege Strauß hier in die Diskussion gebracht hat. Er hat das Kunststück fertiggebracht, ein Gesetz zu kritisieren, das er selbst verabschiedet hat - das Gesetz über die Lohnfortzahlung. Ich will das ganz einfach feststellen. Wenn sich der Kollege Strauß hier hinstellt und sagt, das, was mit der Lohnfortzahlung passiere, sei alles ganz schlimm, kann ich nur bemerken: schuldig durch eigenes Zutun - wie er das auf Latein übersetzen würde, weiß ich nicht. Im Prinzip kommt das jedenfalls am Ende heraus.
({2})
Er kann auch nicht hingehen und sagen, es müsse überall gespart werden, und keinesfalls bereit sein, aus seinem Land - jedenfalls uns gegenüber, was den Haushalt angeht - einen einzigen Sparvorschlag einzureichen, wenn es um ganz wichtige Sachen geht. Ich will nur den Flughafen München II und den Rhein-Main-Donau-Kanal nennen. Da soll nicht eingespart werden, diese Investitionen sollen natürlich noch erhöht werden.
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- Herr Kollege Rose, da ich von Ihnen annehme, daß Sie Kosten-Nutzen-Analysen lesen können - so würde Herr Kollege Strauß sagen, wenn es sich um einen Kollegen der Regierungskoalition handelte - und das Ergebnis dieser Kosten-Nutzen-Analyse weiter unter 1 liegt, würde ich, wenn Sie als gestrenger Haushälter eine solche Investition genehmigten, ohne Ironie sagen: Gehen Sie in den Verkehrsausschuß. Da gehören Sie besser hin.
({4})
Daß das mit dem Einsparen so schwer geworden ist, sieht man allein daran, daß sich die Debatte heute weniger mit dem beschäftigt hat, was der Kollege Matthöfer hier in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Die Einbringungsrede hat ihre Würdigung in der Presse gefunden, in einer Qualität, wie sie sie auch verdient hatte. Die Debattenbeiträge heute beschäftigen sich, wohl weil die Einbringungsrede so gut war, im wesentlichen mit einem Brief. Es wurde für Wert befunden, einen Brief so lange hier in die Debatte einzuführen, bis die Nachfrage nach diesem Brief den Kollegen Riedl fast zu dem verfassungswidrigen Tun verleitet hätte, eine parteipolitische Propaganda mit Steuermitteln des Bundes unter die Leute zu bringen. Herr Riedl, das war ein Fauxpas, das dürfen wir nicht machen. Wir können das nicht für zulässig erklären, auch wenn wir der Meinung wären, der Brief sei es wert, verteilt zu werden.
({5})
Er wäre es auch deshalb wert verteilt zu werden, weil von Ihnen dann erwartet werden müßte, daß Sie nicht nur einen Brief lesen können, sondern im Anschluß daran bestimmte Positionen in die Spardiskussion einzuführen. Zunächst haben Sie mit 5 % oder 10 % eine Rasenmähermethode vorgeschlagen. Das ging nach dem Motto: Erst einmal mit dem elektrischen Rasenmäher über alles. Dann ist festgestellt worden, das geht zu schnell. Dann seid ihr umgestiegen auf einen Handrasenmäher. Das war immer noch zu grob. Im Augenblick seid ihr bei einer Heckenschere,
({6})
damit ihr nämlich beim Zuschneiden und Kürzen schlicht und ergreifend vorsichtig vorgehen könnt, keinem wehtut, niemandem etwas Böses tut.
An der Stelle treffen wir uns dann, wenn im Haushaltsausschuß das Thema Bürokratie ansteht - Herr Kollege Hoppe hat das heute morgen gesagt -, wenn Personal eingespart werden soll. Da bin ich wirklich gespannt, wo eingespart werden soll, wo Tausende von Stellen eingespart werden sollen, wie Sie beim letztenmal schon beantragt hatten.
({7})
- Da kommen Sie mit den 4 000 Stellen nicht zurande. Sie müssen weitergehen, und da wird es Positionen ähnlich wie beim Kindergeld geben, wie ich einmal sagen möchte, wo der Kollege Kohl, als er im Sommer einmal sagte, da dürfe es kein Tabu geben, gleich aus den eigenen Reihen korrigiert wurde.
({8})
- Er hat das vielleicht nicht so gemeint oder nicht verstanden. Das ist etwas anderes.
Aber an der Stelle wird es auch interessant werden. Man kann nicht sagen, im Personalbereich müsse abgebaut werden, und gleichzeitig Tabubereiche aufbauen. Das beginnt bei der inneren Sicherheit, wenn ich das richtig sehe. Da wird keine Stelle heruntergenommen, auch beim Bundesgrenzschutz nicht, auch beim Zoll nicht. Trotzdem wollen Sie um diese Stellenzahl verringern. Bei den ZuwendungsGärtner
empfängern wird es auch nichts geben dürfen. Ich bin einmal gespannt, welche Beiträge von Ihrer Seite zum Thema Personalkosten in der Einzelplanberatung geleistet werden.
Genauso interessant wird für uns die Antwort auf die Frage sein, wo 5 bis 10 % eingespart werden sollen. Der Kollege Schröder hat den hilfreichen Hinweis gegeben, man solle das nicht so ernst im Sinne von 5 % überall nehmen, sondern als 5 % insgesamt. Jetzt frage ich natürlich, wo Sie diese 10 Milliarden DM hernehmen wollen. Sie werden sie bei Subventionen und anderen Tatbeständen, die nur Hunderte von Millionen ausmachen, also weniger als eine Milliarde, schwer zusammen bekommen. Also müssen Sie an Beträge herangehen, die etwas über einer Milliarde liegen, sonst kommen Sie mit den 5 % nicht zurecht. Da bieten sich Positionen an wie z. B. die Bundesergänzungszuweisungen.
({9})
Das sind 1,5 Milliarden DM; 10 % davon wären schon einmal 150 Millionen DM.
Dann gibt es das Thema Berlin-Förderung. Ich habe nicht gehört, daß Sie sich zu diesem Thema äußern werden, indem Sie z. B. sagen: Berlin-Zuschuß oder Berlin-Präferenzen herunter. Das sind Milliardenbeträge, mit denen Sie auf Ihre 10 Milliarden kämen.
Wenn Sie dann das Thema der Transferleistungen nehmen, weil Sie ja die Umstrukturierung des Haushalts von konsumtiv zu investiv auch noch mitmachen wollen, werden Sie natürlich an Positionen kommen, die z. B., so leid es uns tut, etwas mit Kindergeld zu tun haben. Das kann Ihnen bei so einer Operation passieren. Sie dürfen nur nicht vergessen, daß das vorkommen kann, und dürfen nicht hingehen und sagen, wir wären es gewesen, die allein und an dieser Stelle nachdenklich geworden seien.
({10})
- Wissen Sie, Herr Hennig, Sie haben in der letzten Woche Ihre Redezeit in einer Form ausgenutzt, die wirklich für Sie spricht. Ich bin im Grunde dafür dankbar gewesen. Die Rede, die Sie gehalten haben, und einige Reden, die heute gehalten worden sind, machen deutlich, daß das Thema Koalitionswechsel bei Ihnen an einer Haushaltsstelle verbucht ist, wo ein Strich ist - ein sogenannter Leertitel.
({11})
An der Stelle ist klargemacht worden, daß auf die Art und Weise nicht vorgegangen werden kann.
({12})
- Wissen Sie, Herr Gerster, Herr Kollege Kohl hat heute mittag gesagt, wir wollten nur an der Macht bleiben. Ich kann da zurückgeben: Der Kollege Kohl will nur an die Macht kommen. Der hätte jede Protokollnotiz unterschrieben, wenn ich das einmal hypothetisch sagen darf, wenn es darauf angekommen wäre, hier auf die Regierungsbank zu kommen.
({13})
Wir sind nicht bereit, so miteinander umzugehen, daß wir uns von Ihnen vorwerfen lassen, wir hätten das nicht richtig gemacht und das nicht richtig gemacht, aber zu einer Koalition sollten wir uns gelegentlich bekennen.
({14})
Es wird gesagt, wir hätten 12 Jahre lang alles falsch gemacht. Sie sagen, in diesen 12 Jahren sei in dieser Bundesrepublik Deutschland ein Zustand der Zerrüttung der Staatsfinanzen eingetreten. Ich sage noch einmal: Wir sind bereit, über die Staatsverschuldung zu diskutieren.
({15})
Wir waren die ersten, die das im Bundestagswahlkampf auch mitgemacht haben. Wir sind der Meinung, daß das Thema nicht zu den Akten gelegt werden darf; im Gegenteil. Nur: Wir bekennen uns auch zu dem, was in den 70er Jahren mit Kreditmitteln der öffentlichen Hand passiert ist.
({16})
- Daß wir im Verhältnis zu allen anderen Ländern andere Wirtschaftsdaten in den 70er Jahren hatten.
({17})
- Herr Kroll-Schlüter, daß Sie von Jugendpolitik viel Ahnung haben, weiß ich; aber von Haushaltspolitik haben Sie offenbar gar keine Ahnung.
({18})
Wir haben in den 70er Jahren mit Kreditmarktmitteln eine Situation geschaffen, mit der wir über weltwirtschaftliche Krisen besser hinweggekommen sind als alle anderen Länder.
({19})
Wenn wir im Ausland erzählen, daß es uns nach Meinung der Opposition so schlecht geht, hören wir als Antwort: Was müßt ihr für eine schlechte Opposition haben!
({20})
Wir haben nicht erst heute gesagt, daß wir Schwierigkeiten bei der Finanzierung der 80er Jahre haben. Die Regierungserklärung dieser Koalition vom 5. Oktober und auch der vorhergehende Wahlkampf haben klargemacht, daß wir Schwierigkeiten bei der Finanzierung der 80er Jahre sehen.
({21})
- Herr Hennig, vielleicht begreifen Sie wenigstens
folgende Zahl: Wenn die Exportgüterpreise der Industrienationen in zehn Jahren um 200 % stiegen,
wenn die Energiepreise und die Einfuhrpreise für die benötigte Energie um 1 000 % stiegen, so ist ein schlichter Denkprozeß notwendig, um zu erkennen, daß wir fünfmal mehr ins Ausland transferiert haben, als wir von dort bekommen haben.
({22})
Das heißt schlicht und ergreifend, daß sich etwas verändert hat, was wir nicht allein zu verantworten haben; es rührt daher, daß wir eine Produktionsstruktur haben, die in den 60er Jahren auf die sogenannte billige Energiedarbietung umgestellt worden ist.
({23})
Wer hat denn in den 60er Jahren auf das sogenannte billige Erdöl umgestellt? Wir natürlich auch.
({24})
- Herr Haase, wir waren die ersten, die gesagt haben: Es wird schmerzvoll sein, davon wieder herunterzukommen. Es wird auch schmerzvoll sein, wenn man die Leistungsbilanzdefizite abbauen wird, wenn man den Leuten den Verbrauch etwas verteuert.
Nur: Wir haben das durchgesetzt, wir haben das gemacht. Sie waren immer dagegen. Aber draußen sind Sie die Größten, obwohl Sie diejenigen waren, die im Grunde alles verhindern wollten, was Belastungen angeht. Für alle guten Sachen wie Kindergeld oder Erziehungsgeld sind Sie da. Ich finde das schon beachtlich.
Niedersachsen steht mit einer Summe von 509 Millionen DM auf der Liste der Ergänzungszuweisungen. Aber dort gibt es ein Erziehungsgeld. Ich frage mich nur: Womit wird das in Niedersachsen eigentlich finanziert? Wird das aus dem Bundeshaushalt finanziert? Ich weiß es nicht.
({25})
Wenn wir das zweite Haushaltsstrukturgesetz im Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 auf den Weg bringen, wie wir es meinen, sind wir die Probleme nicht los. Das weiß bei uns auch jeder. Wir sind aber sicher, daß wir bis 1984 die Probleme lösen werden, und zwar gemeinsam.
({26})
- Wissen Sie, das ist j a das Schöne: Wenn Sie bei uns die Leute immer so auschecken wollen und sagen „Mit denen nicht!", dann sagen wir andersherum: Mit Ihnen auch nicht! Wir machen eine Koalition bis 1984 weiter, mit allen unseren Schwierigkeiten.
({27})
Von daher, so muß ich sagen, war die Operation für
eines gut: Sie und die Öffentlichkeit haben gemerkt,
daß diese Koalition aus zwei Parteien besteht, und das ist eigentlich gar nicht schlecht.
({28})
Bei Ihnen war die Operation schon schwierig, obwohl Sie angeblich aus einer Partei bestehen. - Vielen Dank.
({29})
Das Wort hat Herr Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat für den Haushalt 1982 ein „Sparkaket" angekündigt. Schnürt man dieses Paket auf, so findet man in ihm ein weiteres Paket. Auch wenn in diesem einige wichtige und seit Jahren geforderte Maßnahmen enthalten sind - wie die Abschreibungsverbesserungen für gewerbliche Wirtschaftsgüter und Gebäude, die Erweiterung des Verlustrücktrags, die Verbesserung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes -, so handelt es sich doch im ganzen gesehen um ein Steuererhöhungspaket. In ihm enthalten sind Verbrauchsteuererhöhungen, die alle treffen, und Erhöhungen der direkten Steuern im Unternehmensbereich, welche die Investitionsfähigkeit und -bereitschaft der Unternehmen beeinträchtigen und damit die Wirtschaft insgesamt, also auch die Arbeitnehmer, im Ergebnis also alle treffen.
Die Verbrauchsteuern auf Tabak, Branntwein und Sekt sollen drastisch erhöht werden und bereits 1982 2 Milliarden DM Mehreinnahmen erbringen, ansteigend auf 3,5 Milliarden DM im Jahr 1985. Im Finanzplanungszeitraum soll das eine Mehreinnahme von insgesamt 12 Milliarden DM ergeben.
Die Steuererhöhungen im Unternehmensbereich, die im Ergebnis auch die Arbeitnehmer treffen, werden durch die steuerlichen Erleichterungen, nämlich die bereits genannten degressiven Abschreibungen, die Erhöhung im Rahmen des § 7, des Einkommensteuergesetzes und die Erweiterung des Verlustrücktrags, weder rechnerisch ausgeglichen, noch wird damit das Ziel erreicht, das sich die Bundesregierung jetzt endlich selbst stellen mußte, nämlich die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern.
Das Kontraproduktive dieser Steuermaßnahmen ist der Bundesregierung natürlich bewußt. Demgemäß sucht sie es zu verbergen. In sehr geschickter Weise hat deswegen der Bundesfinanzminister bei seiner Einbringungsrede zum Bundeshaushalt 1982, die manch Bemerkenswertes enthielt und für die er nicht immer den gemeinsamen Beifall der beiden Koalitionsfraktionen erhielt - der Beifall war gelegentlich sehr unterschiedlich und sehr einseitig verteilt -, versucht, mit einem umfangreichen Zahlenspiel Verwirrung über die tatsächliche Struktur des Haushalts zu stiften. Aber das nützt nichts; denn rechnet man nach, zeigt sich das Übergewicht der Abgabenerhöhungen und Einnahmenverbesserungen gegenüber den Einsparungen auf der Ausgabenseite. Die Zahlen, entwirrt man sie, sprechen das deutlich aus.
Unter Einbeziehung des ersten Subventionsabbaugesetzes betragen die Mehreinnahmen 1982 zirka 17 Milliarden DM, während auf der Ausgabenseite nur zirka 5 bis 6 Milliarden DM wirklich eingespart werden. Die Bundesregierung hat damit gleich zu Beginn der Legislaturperiode, innerhalb der ersten zehn Monate, sämtliche Möglichkeiten der Einnahmeverbesserungen rigoros ausgeschöpft, die sie ohne Zustimmung der Union verwirklichen kann, d. h. ohne Zustimmung des Bundesrats.
Die nochmalige Branntweinsteuererhöhung innerhalb kürzester Frist kennzeichnet die Zwangslage dieser Regierung, aber auch die Rücksichtslosigkeit ihres Vorgehens. Nachdem sie in einer ersten Runde alle Steuererhöhungsmöglichkeiten genutzt hat, wird nunmehr mit der zweiten Branntweinsteuererhöhung die zweite Runde eingeleitet. Das Steuerkarussell dreht sich immer schneller. Das ist das wirkliche Ergebnis des Streites um den Haushalt 1982.
Es steht zu befürchten, daß manche der in diesem heißen Sommer aufgetauchten Pläne zu weiteren Steuererhöhungen demnächst wieder hervorgeholt werden und die Wirtschaft und den Steuerzahler erneut verunsichern. Die Brandbreite reicht von der Ergänzungsabgabe über eine allgemeine Mehrwertsteuererhöhung - sie ist um so näher, je mehr sie dementiert wird -, eine Mehrwertsteuer für Druckerzeugnisse - das haben wir alles schon gehört -, eine weitere Erhöhung der Heizölsteuer bis zur Erdgassteuer. Dem Erfindungsreichtum sind hier offenbar keine Grenzen gesetzt. Wir müssen befürchten: Diese Steuererhöhungspläne sind keineswegs vom Tisch, wie Herr Finanzminister Posser uns das vorhin hat glauben machen wollen und wie auch Herr Westphal es dargestellt hat. Das wird wiederkommen, und wir werden das auch wieder ablehnen.
({0})
- Wir reden über den Haushalt und über die Steuermaßnahmen, die Sie treffen wollten und nicht getroffen haben, möglicherweise aber wieder treffen wollen. Das Gespräch läuft ja immer wieder auf das gleiche hinaus. Wir reden jetzt über diesen Teil der Steuerpolitik im Rahmen des Haushalts.
({1})
Nun soll keineswegs verkannt werden, daß Bundesfinanzminister Matthöfer in seiner ausgefeilten Haushaltsrede manches Wichtige, Richtige und Beherzigenswerte, insbesondere über die Rahmenbedingungen, die für die Wirtschaft verbessert werden müssen, damit es uns allen wieder besser geht, gesagt hat. Wir stimmen mit ihm überein, daß alles getan werden muß, um die deutsche Wirtschaft zu Investitionen wieder fähig und bereit zu machen. Nur können solche Reden allein nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier gleichwohl ein Abgaben- und Steuererhöhungshaushalt vorgelegt wurde, der den privatwirtschaftlichen Handlungsspielraum, um den es nach den eigenen Erklärungen auch der Bundesregierung geht, nicht erweitert, sondern weiter einschränkt.
Aber der Bundesfinanzminister hat nicht nur Beherzigenswertes und Richtiges gesagt, sondern auch einiges, von dem ich annehme, daß er dies überhaupt nur aus taktischen Gründen gesagt hat, einiges, was aus der Mottenkiste des Klassenkampfes stammt und in der Sache unrichtig und absurd ist.
Nur mit Kopfschütteln, Herr Bundesfinanzminister, habe ich Ihre Bemerkung gehört - ich mußte sie nachlesen, weil ich nicht geglaubt habe, daß Sie dies gesagt haben -, die Opposition und die Bundesratsmehrheit komplizierten das Steuerrecht absichtlich, um den oberen Einkommensgruppen zu helfen, indem sie beispielsweise die Abschaffung des Kinderzuschlags bei den Sonderausgaben, nämlich 600 DM je Kind, ablehnten.
Erst einmal: Wer hat das Steuerrecht wirklich kompliziert? Wer hat es für nötig befunden, in seinem Haus ein Dekomplizierungsreferat zu schaffen, das allerdings auch nichts anderes zustande gebracht hat, als Jahr für Jahr weitere Komplizierungen ins Steuerrecht hineinzubringen? Schauen Sie sich doch bitte alle einmal ein Einkommensteuergesetz aus dem Jahre 1969 an und vergleichen Sie es mit einem Einkommensteuergesetz aus dem Jahre 1981. Sie stellen dann fest, welch unerhörte Komplikationen hier durch die Gesetzgebungstätigkeit dieser Bundesregierung hineingekommen sind.
({2})
- Nein, nicht der Bundesrat, sondern die Bundesregierung legt die Steuergesetze vor. Eine der groteskesten Vorschriften von der Komplikation her, die so weit geht, daß sich beispielsweise die Steuerrechtsprofessoren in einer Erklärung geweigert haben, diesen Gesetzesvorschlag, der dann auch Gesetz geworden ist, überhaupt auszulegen, ist § 15 a Einkommensteuergesetz, ein Ergebnis des Bundesfinanzministeriums.
Des weiteren: Wie stellt sich ein Bundesfinanzminister das Steuerrecht eigentlich vor? Will er denn alle Freibeträge, die von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden und daher progressionsgerecht wirken, abschaffen? Denn es stört ihn doch offenbar, daß der Kinderzuschlag bei den Sonderausgaben von der Bemessungsgrundlage abgezogen wird und daher denjenigen, die mehr Steuern zahlen, auch eine größere Entlastung bringt. Das ist aber genau die Wirkung, die der Progressionswirkung umgekehrt entspricht. Wenn der Bundesfinanzminister seine Überlegung, dies abzuschaffen, bei den Kindergeld-Additiven verwirklichen will, dann kann er dabei nicht haltmachen, dann wird er auch den Arbeitnehmerfreibetrag, dann wird er auch den Weihnachtsfreibetrag abschaffen müssen; denn der hat genau die gleiche progressionsmindernde Wirkung. Wenn er dies tut,
({3})
dann wird er bald merken, wie die Arbeitnehmer, die Facharbeiter, die Aufsteiger, die Fleißigen und Tüchtigen im Lande, die in der Progression zum Teil schon relativ hoch liegen und die auch durchaus Ihrer Klientel angehören, über solche Versuche zur
weiteren Einkommensnivellierung und damit Steuerbestrafung denken.
Wir kommen nicht umhin, nochmals einige Worte über die Ursachen der Finanzkrise zu sagen. Die Bundesregierung und die SPD/FDP-Koalition suchen - nach dem erprobten, mittlerweile aber nicht mehr glaubwürdigen Muster - die Schuld auch diesmal wieder bei allen anderen, aber nicht oder nur ganz wenig bei sich. Auch diesmal waren es wieder die außenwirtschaftlichen Einflüsse, auf die die Bundesregierung die Schrumpfung des Sozialprodukts, das Sinken der Realeinkommen, die bedrohlich ansteigenden Arbeitslosenzahlen und die zunehmenden Inflationstendenzen zurückführt.
Man will die eigentliche Ursache der jetzigen Finanzkrise in Vergessenheit geraten lassen. Aber diese reicht in die Zeit der Reformeuphorie zu Beginn der 70er Jahre zurück, die ein wachsendes Anspruchsdenken der Bürger durch eine Ausweitung des staatlichen Korridors entstehen ließ. Die dabei wachsende Ausgaben- und Steuerlast stieß bald an die Grenze der Belastbarkeit der Wirtschaft.
Es ist deshalb der falsche Weg, wenn der Staat, um seinen finanzpolitischen Handlungsraum zurückzugewinnen, die Steuern erhöht, welche Steuern auch immer. Denn der Staat hat nicht zu wenig Einnahmen; er hat zu viele Ausgaben. Erhöht er wie bisher und jetzt wieder die Steuern, so wird er zu einem inflationären Preistreiber. Die Verbrauchsteuererhöhungen bei Benzin und bei Diesel, bei Heizöl - in Form einer Verlängerung der Steuer -, bei Branntwein, bei Schaumwein, bei Tabak, also bei sämtlichen gewichtigen Verbrauchsteuern des Bundes, zusammen mit den administrativen Preissteigerungen zeigen, daß hier ein maßgeblicher Inflationsfaktor geschaffen wird. Denn wenn der Staat zugreift, macht er es gründlich. So geht man offenbar davon aus, daß alles um ein Drittel erhöht werden muß. Die Automaten-Zigarettenpackung wird wohl von 3 auf 4 DM erhöht werden müssen. Die Bundespost hebt ebenfalls um ein Drittel das Briefporto von 60 auf 80 Pfennig an. Kurzum, dort werden ganz wesentliche Inflationstendenzen angesteuert.
Im zweiten Haushaltsstrukturgesetz und den Verbrauchsteuergesetzentwürfen sind neben den drei genannten Steuerminderungen eigentlich nur Steuererhöhungen vorgesehen.
Von den Verbrauchsteuererhöhungen steht die Tabaksteuererhöhung zum 1. Juni 1982 wegen ihrer finanziellen Bedeutung für den Fiskus und wegen der drastischen Verteuerung der Tabakerzeugnisse um rund ein Drittel im Vordergrund des Interesses. Mehr erbost als belustigt entnimmt der Steuerzahler dabei der Begründung des Gesetzentwurfs, aus welch edlen und vor allem moralischen Motiven die Tabaksteuer angehoben wird. Wesentliche Verbesserungen der Steuerstruktur, so heißt es dort, würden erreicht; außerdem seien die Steuererhöhungen gesundheitspolitisch erwünscht. - Es wirkt mehr als komisch, wenn auf ein und demselben Blatt der Regierungsvorlage die Regierung vorrechnet, was die Erhöhung der drei Verbrauchsteuern bringen soll, und gleichzeitig auf die gesundheitspolitischen Folgen hinweist, die dadurch eintreten sollen, daß weniger getrunken und weniger geraucht werden dürfte.
Um die Gesundheit des Mitbürgers geht es dem Bundesfinanzminister offenbar nicht nur bei der Tabaksteuererhöhung, sondern auch bei der Schaumweinsteuererhöhung.
Als 1901 im Deutschen Reichstag die seinerzeitige Sektsteuervorlage beraten wurde, erklärte der SPD- Abgeordnete Schlegel, offenbar sehr viel weniger puritanisch, als man heute bei den Gesetzesbegründungen ist:
Ich glaube, daß die armen Leute in den schweren Stunden eines Labsals ebenso bedürftig sind wie die reichen Leute; und es ist in höchstem Maße ungerecht, wenn man dieses Labsal mit einer so hohen Steuer belegen will.
Der wackere SPD-Abgeordnete hat deswegen bei der Einführung der Sektsteuer für seine Fraktion erklärt:
Nach all dem sind wir nicht in der Lage, für diesen Gesetzesentwurf zu stimmen; und ich habe namens meiner Freunde zu erklären, daß wir ihn rundweg ablehnen werden.
Es wird deswegen den Enkel dieses SPD-Abgeordneten in diesem Hause nicht wundern, wenn wir, die wir gegen jede Steuererhöhung sind, die nur dem Stopfen von Haushaltslöchern dient und die deswegen nichts mit einer Sanierung des Staatshaushalts zu tun hat, uns diesem Votum anschließen.
Zur Sektsteuererhöhung noch eine etwas ernstere Bemerkung an den Bundesfinanzminister. Der Bundesfinanzminister braucht sich nicht zu wundern, wenn er unter den zunehmenden Druck der Europäischen Gemeinschaft kommt, nach der Sektsteuererhöhung endlich die Weinsteuer einzuführen. Der Bundesfinanzminister hat damit den Widerstand, den die Bundesrepublik Deutschland gegen die nicht in unser Steuersystem passende Weinsteuer geleistet hat, bedauerlicherweise selber entscheidend geschwächt.
Aber den Arbeitnehmer treffen nicht nur die geplanten Verbrauchsteuererhöhungen. Ihn treffen auch eine Reihe weiterer Maßnahmen wie die Begrenzung der Lohnsteuerpauschalierung, der Wegfall der bisherigen Sozialversicherungspflichtgrenze und insbesondere die Eingriffe in die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Käme es beispielsweise zu der vorgesehenen Einschränkung der Lohnsteuerpauschalierung für Teil- und Aushilfsbeschäftigte - aber es kommt nicht dazu -, so würden zahlreiche Wirtschaftsbereiche, die Gastronomie, der Fremdenverkehr und das Zeitungswesen, die alle auf die Aushilfsbeschäftigten angewiesen sind, nachhaltig geschwächt.
({4})
Man betreibt hier unter dem Motto „Beseitigung ungerechtfertigter Progressionsvorteile" einen Steuerperfektionismus zu Lasten der Arbeitnehmer. Die Einschränkung der Lohnsteuerpauschalierung und die Parallelmaßnahme in der Sozialversicherung bewirken genau das, was die Bundesregierung bekämpfen will: eine weitere Verkrustung des ArbeitsDr. Kreile
marktes, höhere Teilzeitarbeitslosigkeit und mehr Schwarzarbeit.
Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Einschränkung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer verfolgt die Bundesregierung konsequent ihren Weg weg von der individuellen und hin zur betrieblichen Vermögensbildung, zu der beständig von Schwindsucht bedrohten Kasse der Sozialversicherung.
In der Gesetzesbegründung steht ein bemerkenswerter Satz. Er besagt, daß die Förderung der Geldvermögensbildung eine nicht mehr zeitgemäße Subvention sei. Das läßt keinen Zweifel an den Absichten der Bundesregierung zu: nach der völligen Beseitigung der Sparprämie nunmehr die Herabsetzung der Arbeitnehmersparzulage und die Reduzierung der steuerlichen Förderung der Belegschaftsaktien.
Die Arbeitnehmer werden aber auch bald spüren, daß sich die Einschränkung der Pensionsrückstellungen - die Neuformulierung des § 6 a des Einkommensteuergesetzes - gegen sie richtet. Die betriebliche Altersversorgung ist eine der Säulen, auf denen die Altersvorsorge steht. Sie aus fiskalischen Gründen, also wegen Steuermehreinnahmen zu schwächen ist sozialpolitisch falsch, und steuerpolitisch konterkariert die Bundesregierung damit ihr eigenes Ziel, die Investitionsbereitschaft und Investitionsfähigkeit der Unternehmen zu stärken. Die Maßnahme ist darüber hinaus unverständlich, weil bei dem letzten Steuerpaket eine Anpassung der sogenannten Vermögensteuerbilanz an die Handelsbilanz angestrebt und zum Teil durchgeführt wurde. Hiermit nimmt man eine ganz wesentliche Erleichterung wieder zurück.
Außerdem: die Erhöhung des Zinssatzes von 5,5 % auf 6 % kann nicht stattfinden, wenn man nicht gleichzeitig auch die Sterbetafeln ändert. Die Sterbetafeländerung ist zwar bei einer anderen Regelung durchgeführt, aber hier aus fiskalischen Gründen nicht angewandt worden.
Es ist deswegen wirklich unverständlich, daß mit Rücksicht auf jenen starken Flügel in der Koalition, der die Gesundung unserer Wirtschaft nicht in der Stärkung privater Investitionen und Innovationen sieht, sondern in höheren Staatsausgaben und neuen Beschäftigungsprogrammen sucht, solche Maßnahmen aufgenommen wurden, die die Ertrags- und Investitionskraft der Unternehmen deutlich schwächen werden.
Abwegig ist der Vorschlag der Bundesregierung, den Vorsteuerabzug beim Kauf von Personenwagen durch Firmen wegfallen zu lassen. Dies ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sehr viel weniger von finanzieller Bedeutung. Es geht zwar im Umsatzsteuerbereich um 1 Milliarde DM. Diese 1 Milliarde DM wird aber dadurch, daß diese Investitionssteuer auf die Pkws im Unternehmensbereich zu den Anschaffungskosten gehören und degressiv abgeschrieben werden, zu einem gewissen Teil saldiert. Aber die grundsätzliche Frage ist doch: Mit dem Verbot des Vorsteuerabzugs bei einzelnen Waren und Dienstleistungen, die in die Produktion eingehen, wird die in den letzten 15 Jahren von diesem Bundestag stets verteidigte Systematik des Mehrwertsteuersystems durchbrochen. Ich kann mir nicht vorstellen - um dies einmal klar zu sagen -, daß, wenn eine der Mitschöpferinnen des Mehrwertsteuergesetzes, die seinerzeitige Vorsitzende des Finanzausschusses, die FDP-Abgeordnete Liselotte Funcke, noch in diesem Hause wäre, eine solche absurde Maßnahme getroffen worden wäre. Wer heute , den Vorsteuerabzug bei Personenwagen versagt, der kann morgen auch bei anderen dem Staat oder der gerade regierenden Partei unlieben Wirtschaftsgütern den Vorsteuerabzug versagen. Wissen wir denn, ob es morgen nicht heißt: Mikroprozessoren sollen mit einer höheren Steuer bestraft werden! oder: Um im Medienbereich eine politisch unliebsame Entwicklung nicht eintreten zu lassen, sollen Breitband- und Glasfiberkabel mit einer solchen erhöhten Umsatzsteuer belastet werden!?
Außerdem - das ist ganz wesentlich - wird damit ein weiterer entscheidender systematischer Gesichtspunkt der Umsatzsteuer verletzt. Zum System des deutschen Umsatzsteuerrechtes - und auch des europäischen Umsatzsteuerrechtes - gehört, daß eine Ware, die aus dem Erhebungsgebiet eines Landes, hier also der Bundesrepublik Deutschland, hinausgeht, von der Umsatzsteuer voll entlastet wird. Wenn Sie den Vorsteuerabzug versagen, geht in die betroffenen Produktionsbereiche - ich rede nicht von der Automobilindustrie, sondern von den Unternehmen, die Automobile für ihre Produktion brauchen - die Umsatzsteuer nicht als entlastbare Vorsteuer, sondern als Investitionsteuer ein und wird bei dem Grenzübergang nicht entlastet. Dies ist ein kardinaler Fehler. Er kann in keiner Weise dadurch entschuldigt werden, daß auch andere Länder diesen Fehler schon gemacht haben.
Die Bundesregierung weiß sehr gut, daß sie diese Maßnahme überhaupt nur mit Zustimmung der EG- Kommission treffen kann. Ich hoffe sehr, daß die EG-Kommission sich genau überlegen wird, ob sie einer solchen weiteren Durchlöcherung des Umsatzsteuergesetzes ihre Zustimmung geben wird.
Die Bundesregierung will das Umsatzsteuersystem aber offenbar nicht nur in diesem Punkt, sondern auch noch in einem anderen Punkt ramponieren, nämlich bei der Besteuerung der Leistungen der freien Berufe. Es wird so getan, als ob dadurch die freien Berufe unmittelbar belastet würden. Belastet wird aber auch hier der kleine Mann. Für den Rechtsanwalt, der ein Unternehmen berät und dem Unternehmen dafür nach der Rechtsanwaltsgebührenordnung eine Rechnung ausstellt, ist es völlig gleichgültig, ob er 6,5 % oder 13 % Umsatzsteuer in Rechnung stellt; denn im Umsatzsteuerkreislauf wird dies j a wieder ausgeglichen. Wenn der Rechtsanwalt aber einen Mieter in einem Mietprozeß vertritt und dieser dann die Kosten tragen muß, wird dieser, also der kleine Mann, künftig statt mit 6,5 % mit 13 % belastet. Wenn ein Ingenieur oder ein Architekt das Heim eines Häuslebauers plant - Planung und Durchführung des Häuslebauens sollen ja jetzt durch den verbesserten § 7 b des Einkommensteuergesetzes begünstigt werden -, dann wird gerade
dieser Häuslebauer durch die Erhöhung der Umsatzsteuer getroffen, nicht die freien Berufe. - Im künstlerischen Bereich werden allerdings auch -die freien Berufe betroffen. - Ich befürchte, man hat zu wenig bedacht wie manches andere in den nun in die Beratungen des Finanzausschusses gehenden Vorschriften, daß die Umsatzsteuer nicht den freien Beruf belastet, sondern den, auf den sie überwälzt wird. Man hat dies offenbar so wenig bedacht wie den Umstand, daß zu hohe Steuern oder ein unausgewogenes Steuersystem eine demoralisierende Wirkung haben.
Steuern sind dann zu hoch, wenn Leistungen - Produktionsleistungen, Arbeitsleistungen und Kapitalleistungen - einerseits und Nettoertrag andererseits nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Eine Gesellschaft wie die unsere, die nicht über natürliche Reichtümer verfügt, sondern ihren Wohlstand und ihre Sicherheit ausschließlich aus den Erträgen ihrer Arbeit zieht, darf mit Steuern nicht wuchern. Dies weiß man seit langem. Ein sehr kluger amerikanischer Beobachter hat - nicht jetzt, sondern im Jahre 1819 - den Satz gesagt: Wer die Macht hat, Steuern zu erheben, hat die Macht, zu zerstören. - Ich befürchte sehr, daß unter diesem Blickwinkel auch der steuerpolitische Teil des Haushaltspakets 1982 eher zu einer weiteren Zerstörung des Vertrauens der Bürger in den Staat als zur Überwindung der Haushaltskrise und zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten beiträgt. - Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spöri.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf hier als Steuerpolitiker, als Fachpolitiker, vielleicht zunächst einmal eine Vorbemerkung zu dieser Debatte machen. Ich finde es etwas enttäuschend, daß, nachdem die Bundesrepublik drei Monate lang in diesem publizistischen „Sommerloch" auf die „Operation '82" gestarrt hat, in der dann anschließend stattfindenden Debatte, zu der die Entscheidungen und die Gesetzesvorlagen hier auf dem Tisch des Hauses liegen, heute die Hälfte der Zeit mit dem größten Aufmerksamkeitsgrad eigentlich sicherheitspolitischen Rundumschlägen gewidmet worden ist.
({0})
Ich glaube, wenn wir etwas näher einsteigen - ich finde das durchaus angenehm, Herr Dr. Kreile - in die Bereiche konkreter Maßnahmen, in die Behandlung dessen, was jetzt hier gesetzgebungsmäßig eingebracht worden ist, dann merken wir sehr schnell, wer hier auf der einen Seite nur finanzpolitische Ansprüche formuliert und wer Sprüche klopft und wer auf der anderen Seite versucht, hier tatsächlich durch solide, bescheidene, vielleicht auch kritikwürdige Schritte dazu beizutragen, daß unsere Probleme im haushalts- und finanzpolitischen Bereich gelöst werden. Ich nehme einmal Ihren Faden der Bereiche konkreter Maßnahmen auf und wende mich zunächst einmal dem Bereich des Subventionsabbaus zu.
Ich habe heute morgen eigentlich nicht verstanden - Herr Dr. Häfele hat ja auch noch zur Finanzpolitik gesprochen -, wie eigentlich die Position der Union beim Subventionsabbau ist. Herr Kiep z. B. hat vor einigen Wochen nach dem „Handelsblatt" gesagt, er sei gegen einen Rasenmäher beim Subventionsabbau; so eindeutig Herr Kiep. Das habe ich heute morgen noch gelesen, gerade habe ich es nicht mehr gefunden. - Aber Sie bestätigen das durch Kopfnicken, Herr Kiep. - Anschließend kommt der Herr Häfele hier heute morgen an das Pult und erklärt, er sei in Anlehnung an die Vorschläge des Sachverständigenrates für eine Rasenmäherstrategie beim Abbau von Subventionen; das heißt, er ist für einen prozentual gleichmäßigen Abbau von Subventionen in allen Bereichen. Ich erinnere mich gleichzeitig aber noch an die Pressekonferenz in der letzten Woche, die Sie zu diesem bombastisch angekündigten Sparkonzept abgehalten haben. Da sind Sie von Journalisten gefragt worden, wie Sie es denn eigentlich mit dem Subventionsabbau halten. Da wurde dann gesagt: Wir wollen 5 % weniger haben, aber nicht pauschal, natürlich nicht mit dem Rasenmäher, sondern differenziert, konkretisiert, überall mit unterschiedlichen Prozentsätzen, mit unterschiedlichen Abschlägen in den einzelnen Bereichen. - Als man dann die Vertreter der Union auf dieser Pressekonferenz gefragt hat: Wo konkret wollen sie eigentlich streichen, bei welchen Steuervergünstigungen oder bei welchen Finanzhilfen wollen Sie streichen?, da sind Sie ausgewichen, da haben Sie nicht sagen können, wo. Da hat man nur das Schweigen im Walde gehört. Das ist vielleicht Ganghofer, aber das reicht hier nicht aus zu einer konkreten Debatte.
({1})
Herr Dr. Kreile ist, wo es konkret geworden ist, im Grunde genommen nur negativ auf unsere Vorschläge eingegangen.
({2})
Natürlich werden unsere Vorschläge immer wieder kritisiert. Aber es ist doch ein ziemliches Plus gegenüber Ihrer Strategie, daß wir überhaupt wagen, in Bereichen konkreter Maßnahmen zu definieren, was wir subventionsabbaupolitisch überhaupt wollen, und daß wir nicht nur Subventionsabbaulyrik betreiben, wie Sie das schon jahrelang in diesem Haus machen.
({3})
Das ist doch immer die alte Taktik: Sie fordern ständig Subventionsabbau, sagen dann auch vielleicht „5 % weniger", fordern Vorlagen von der Bundesregierung, und wenn man dann etwas vorlegt - was man natürlich kritisieren kann und darf; das gebe ich ja zu -, dann sagen Sie: So nicht. Das ist Ihre Strategie bei der Diskussion über den Subventionsabbau. Diese Erfahrung habe ich jahrelang machen müssen. Das ist einfach zuwenig, wenn man seriöse
Ansprüche an die Finanzpolitik im Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 formulieren will.
Meine Damen und Herren, in dieser Debatte sind die konkreten Vorschläge etwas in den Hintergrund getreten. Herr Dr. Kreile hat hier aber einige Punkte genannt. Als positiv will ich folgende Punkte erwähnen:
Erstens halt ich es für begrüßenswert, daß die steuerlichen Unternehmensvorteile bei den Pensionsrückstellungen in einer betrieblich verkraftbaren Art und Weise über mehrere Jahre hinweg zurückgedreht werden. Ich halte das deswegen für vertretbar, Herr Dr. Kreile, weil es nicht so ist, daß vor allen Dingen kleine oder mittelständische Betriebe von diesen Vorteilen profitiert hätten. In der Praxis ist es doch so, daß genau die Betriebe, die vor finanzieller Überpotenz kaum mehr laufen können, die vor Kraft strotzen, die das Geld haben, um riesige, überhöhte Pensionsrückstellungen zu machen, von dem Steuervorteil profitieren, nicht etwa irgendwelche finanzschwachen oder liquiditätsgedrückten Betriebe.
Als zweiten Punkt nenne ich hier einen sehr illustren Paragraphen, nämlich § 6 b des Einkommensteuergesetzes. Es ist zu begrüßen, daß hier ein erster Einstieg zur Reduzierung der Steuervorteile gemacht wird. Die Veräußerungsgewinne, die künftig wiederangelegt werden, werden steuerlich nur noch zu 80 % befreit. Weiter ist bei der Wiederanlage von Veräußerungsgewinnen in Kapitalgesellschaften wichtig, daß der Bundesarbeitsminister bei den Sondergenehmigungen zur Steuerbegünstigung eingeschaltet wird, damit das Arbeitsmarktkriterium ein stärkeres Gewicht bekommt. Das wäre ja bei besonders illustren Fällen auch durchaus angebracht gewesen. Ich begrüße im Namen meiner Fraktion diesen Reformierungsschritt, der vorsichtig die bisherige Genehmigungspraxis in diesem gesetzlichen Bereich einengt und vielleicht künftige Fehlentwicklungen verhindern könnte. Es ist aber ein bißchen schade, meine ich, daß diese begrüßenswerten Anfangsschritte durch einige Vorfälle im Zusammenhang mit der Abwicklung eines alten Falles im Rahmen des § 6 b des Einkommensteuergesetzes überlagert worden sind.
Drittens möchte ich die Tatsache hervorheben, daß wir als Steuer- und Finanzpolitiker aus der SPD endlich einmal einen alten Wunsch erfüllt bekommen: den Abbau der steuerlichen Vergünstigung im Zusammenhang mit den Rücklagen für die Entwicklungspolitik. In allen Hearings und allen Gesprächen mit Fachpolitikern hat sich ja gezeigt, daß diese steuerfreien Rücklagen überhaupt keine zusätzlichen entwicklungspolitischen Effekte bringen. Daher ist es sinnvoll, daß wir diese Steuervergünstigung abbauen.
Der nächste erwähnenswerte Punkt - und den haben Sie, Herr Dr. Kreile, angesprochen - ist der Wegfall des Vorsteuerabzugs beim Pkw. Sie haben gesagt, wir würden deshalb Schwierigkeiten im Rahmen der EG bekommen. Ich möchte Ihnen sagen, daß hier im Grunde genommen bisher bei Selbständigen ein großer Vorteil lag, die ihre BetriebsPkws ja auch anschaffen, um sie anschließend privat zu benutzen. Hier bestand ein steuerpolitisches Gerechtigkeitsgefälle zu Otto Normalverbraucher, der sich einen Wagen gekauft hat. Ich halte es für sinnvoll, dieses Gerechtigkeitsgefälle etwas abzubauen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kreile?
Bitte schön.
Herr Kollege Spöri, ist Ihnen bekannt, daß bei Pkws, die sich etwa im Betriebsvermögen eines freiberuflich Tätigen befinden, der Privatanteil umsatzsteuerlich bereits jetzt durch Besteuerung der Eigennutzung berücksichtigt wird, der Umsatzsteuervorteil also, von dem Sie glauben, daß er besteht, in Wirklichkeit schon jetzt nicht besteht und daß demgemäß künftig eine doppelte Belastung dort eintreten wird, wo es bisher nur darum ging, eine private Nutzung gesondert zu erfassen?
Ich habe Sie verstanden, Herr Dr. Kreile. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, Ihnen zu sagen, daß nach meiner Auffassung und meiner Kenntnis auf Grund von Gesprächen mit Selbständigen die Praxis so aussieht, daß die Privatanteile so sehr zugunsten der Selbständigen angesetzt werden, daß tatsächlich die Vorteile festzustellen sind, von denen ich hier gesprochen habe.
Lassen Sie mich auch noch auf den Aspekt des europäischen Vergleichs eingehen, Herr Dr. Kreile. Es ist nicht so, daß wir hier irgendwie einen gezielten isolierten Nadelstich gegen deutsche Selbständige vornehmen würden. Die meisten EG-Länder haben diesen Vorsteuerabzug schon längst eingeschränkt oder gänzlich abgebaut. Das heißt, die deutsche Konkurrenzfähigkeit wird dadurch im Rahmen der EG nicht vermindert.
Der nächste Punkt, der bei den konkreten Subventionsabbaumaßnahmen erwähnenswert ist - das haben Sie auch angesprochen - ist dieser angeblich finstere Anschlag auf die Vermögensbildung. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich ganz offensiv zu dieser zweiten Abbaumaßnahme in diesem Jahr - nach dem Subventionsabbaugesetz - bei der Geldvermögensbildung bekenne, Herr Dr. Kreile, weil ich davon ausgehe, daß gegenwärtig ein so hohes Realzinsniveau anzutreffen ist - und so drastisch wird es in absehbarer Zeit nicht absinken -, daß wir genügend zinspolitische Anreize für die Vermögensbildung haben. Wir werden durch die Reduzierung der Arbeitnehmersparzulage oder durch die Halbierung der Arbeitgebervergünstigung bei der Gewährung vermögenswirksamer Leistungen bei diesem hohen Realzinsniveau keinerlei vermögenspolitische Rückschläge hinnehmen müssen. Es liegt - das muß man aus meiner Sicht im Arbeitnehmerbereich ganz offen vertreten -, auch im Interesse der Arbeitnehmer, daß wir hier Subventionen reduzieren, um dann auf der anderen Seite die Möglichkeit und den Spielraum zu bekommen, zusätzliche investitions- und beschäftigungspolitische Maßnahmen zu ergreifen, wie es z. B. im Stahlsektor im Rahmen des Haushalts 1982 geschehen ist.
Wir nehmen aber mit diesem zweiten Haushaltsstrukturgesetz, das Ihnen vorgelegt worden ist, und mit den anderen Gesetzen nicht nur den Abbau von steuerlichen Erleichterungen vor, die verzichtbar sind, sondern wir setzen zusätzliche Anreize für die Verstärkung der Investitionstätigkeit in der Zukunft und für die Sicherung der Arbeitsplätze. Ich möchte hier uneingeschränkt die 10%ige Investitionszulage im Stahlsektor und auch die Investitionszulage für Ersatzarbeitsplätze in Stahlregionen begrüßen. Sehr sinnvoll ist es sicherlich auch, daß wir das Carry-back, d. h. den Verlustrücktrag, um ein Jahr auf zwei Jahre ausweiten, weil das einigen kleineren und mittleren Unternehmungen helfen kann, in einer schwierigen Liquiditätslage etwas leichter über die Runden zu kommen. Dies alles begrüßen wir uneingeschränkt.
Einige Fragezeichen habe ich bei der Erleichterung der degressiven Abschreibungen für bewegliche Wirtschaftsgüter anzumelden; darüber müssen wir in den Ausschußberatungen diskutieren. Kollege Westphal ist schon darauf eingegangen, daß hier einige beschäftigungsunwirksame und investitionsunwirksame Mitnehmereffekte eintreten werden. Ich gebe ganz offen zu, daß bei keinem steuerlichen Investitionsanreiz, den wir vergeben, Mitnahmeeffekte ausschließbar sind. Das ist sicherlich richtig, das haben wir bei vielen anderen Beispielen schon feststellen können. Auch beim Energiesparprogramm haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Aber mir scheint, daß diese Verbesserung der degressiven Abschreibung bei beweglichen Wirtschaftsgütern unverhältnismäßig große Mitnahmeeffekte auslöst. Ich bin der Ansicht, daß wir langfristig einmal überlegen sollten, ob wir diese Mitnahmeeffekte nicht z. B. durch eine Plafondierung, durch eine Investitionsobergrenze eingrenzen können. Kurzfristig möchte ich für meine Fraktion anmerken, daß wir den Wunsch haben, in den Ausschußberatungen einmal zu prüfen, ob wir nicht durch eine zeitliche Begrenzung dieser Verbesserung der degressiven Abschreibung einen Vorziehereffekt bei den Investitionen auslösen können, der in unserer schwierigen wirtschaftspolitischen Situation durchaus wichtig wäre. Ich weiß, daß es da Einwände gibt, daß man dagegen aus der Sicht nationalökonomischer Sandkastentheorie sagen wird: Wenn ihr einen Vorziehereffekt bei den Investitionen durch eine zeitliche Begrenzung auslöst, dann entsteht nachher ein Bestelloch, wenn diese Investitionsbestellungen anschließend nach dem Fristauslauf fehlen. Ich glaube, dies ist aber ein rein theoretisches Argument aus dem Sandkasten; denn wenn es uns wirklich gelingt, in dieser schwierigen Situation umfangreiche zusätzliche Investitionsimpulse auszulösen, dann merkt man anschließend das Fehlen der vorgezogenen Bestellungen überhaupt nicht; sie werden überhaupt nicht sichtbar.
Wir sollten ein bißchen darüber nachdenken und nicht zu überspitzt irgendwelche neuen theoretischen Modebegriffe der Nationalökonomie nachplappern, die ihren Ausdruck auch in einer einseitigen Vorstellung sinnvoller Rahmenbedingungen bei der Investitionstätigkeit finden. Es wird ja oft neuerdings so gesehen, daß heutzutage kurzfristige Investitionsankurbelungseffekte etwas Negatives seien, etwas Negatives deshalb, weil sie angeblich kurzatmige Politik seien. Hierüber müssen wir noch reden.
Wenn wir schon beim Stichwort „Rahmenbedingungen" sind, möchte ich noch auf das zu sprechen kommen, was Herr Häfele, der heute morgen so intensiv auf dieses Thema eingegangen ist, gemeint hat. Er hat j a hier die Konzeption vorgegeben „Der Staat muß sich stärker zurückziehen, damit die privaten Investoren, die Investoren im privaten Raum freier agieren können, wir müssen die Steuern senken usw. usf. - Der Herr Häfele hat vielleicht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, daß im Grunde genommen all das, was er heute morgen an finanzpolitischer Konzeption gefordert hat, gegenwärtig in den USA praktiziert wird. Da wird all dies gemacht, was der Herr Häfele heute morgen vorgeschlagen hat. Da werden auch die Rüstungsausgaben kräftig real erhöht; trotz der jetzt angekündigten Kürzungen werden sie, Herr von Wartenberg, real erhöht. Gleichzeitig wurden die Rahmenbedingungen für die privaten Investoren stetig durch Steuersenkungen usw. usf. kräftig verbessert.
Was ist das Ergebnis? Natürlich kann man keine sicheren Prognosen treffen, aber gegenwärtig ist das Ergebnis dieser Politik, die gegen die ökonomischen Realitäten geht - weil diese differenzierter sind -, eine ganz stark rezessive Entwicklung mit zusätzlicher Arbeitlosigkeit, und der Dollar fährt gegenwärtig, wie Sie feststellen, wenn Sie sich die neuesten Meldungen ansehen, in den Keller.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den Verbrauchsteuererhöhungen sagen. Herr Dr. Kreile, Sie haben sich hier mit einem treuherzigen bürgernahen Augenaufschlag gewissermaßen als Beschützer des Bürgers vor der bösen sozialliberalen Koalition dargestellt, die den Bürger bei der Branntweinsteuer, bei der Schaumweinsteuer und bei der Tabaksteuer, die wir nächstes Jahr erhöhen wollen, wieder steuerlich bestrafen will. Ich muß Ihnen zunächst raten: Sehen Sie einmal in unseren Gesetzentwurf hinein. Da steht als vorrangiges Ziel keineswegs irgendeine gesundheitspolitisch Motivation, sondern da steht offen und ehrlich, warum wir das machen wollen. Da steht, daß wir das Geld brauchen, um die Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt zu reduzieren. Als erstes Ziel steht dieses im Entwurf - nicht etwa, wie Sie behauptet haben, irgendeine scheinheilige gesundheitspolitische Motivation. Die ist als Nebeneffekt aufgeführt.
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Und der kann j a durchaus möglich sein.
Wir erreichen durch diese Verbrauchsteuererhöhungen und durch einige andere Maßnahmen im verbrauchsteuerlichen Bereich im Jahre 1982 eine zusätzliche Entlastung des Kapitalmarktes über den Bundeshaushalt von 2 Milliarden DM, und im Jahre 1985 werden dies 10 Milliarden DM sein.
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Wenn Sie, Herr von Wartenberg, auf diesen Dekkungsbeitrag bei gleichem Einsparziel - Sie haben sich ja ungefähr die gleiche Einsparhöhe oder die gleiche Entlastungshöhe für den Bundeshaushalt gesetzt - verzichten können, so können Sie das aus meiner Sicht nur deshalb, weil Sie in der letzten Woche unter tätiger Mithilfe von Herrn Sparkoordinator Kiep ein Alternativkonzept vorgestellt haben, das ein Scheinkonzept ist.
Lassen Sie mich das konkretisieren. Überall da, wo Sie unsere Vorschläge nicht übernehmen, wo Sie von unseren Einsparvorschlägen oder von unseren Verbrauchsteuererhöhungsvorschlägen abweichen, werden Sie unverbindlich, unkonkret, machen Sie - wie beim Subventionsabbau mit Ihrer Subventionsabbaulyrik - unkonkrete Versprechungen, oder Sie verwechseln gar, gewollt oder ungewollt, den gesamtstaatlichen Einspareffekt mit dem Einspareffekt auf der Ebene des Bundeshaushalts,
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weswegen Sie in der letzten Woche bei der Vorstellung Ihres Konzepts zu einem größeren Einsparvolumen gekommen sind.
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Nur deshalb, weil Sie im Grunde genommen das vorgegebene Entlastungsziel für den Bundeshaushalt nicht tatsächlich realisieren, sondern durch Ihre Konzeption vortäuschen, können Sie auf den Dekkungsbeitrag der Verbrauchsteuererhöhungen verzichten.
Ich möchte Ihnen in der Unionsfraktion aus meiner bescheidenen Erfahrung mit Debatten und Entscheidungsabläufen im Zusammenhang mit großen Steuergesetzen noch einen Hinweis geben. Wir müssen von der Interessenlage der Bundesländer ausgehen, sowohl der SPD-regierten Bundesländer als auch der CDU-regierten Bundesländer. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Sie sehr schnell verschämt in der Ecke stehen könnten, wenn Sie weiter auf diese konkreten Abbauvorschläge, die wir im Subventionsbereich gemacht haben, nur mit irgendwelchen Leerformeln oder mit der Parole antworten: So nicht, so machen wir das nicht mit. Ich weiß ganz genau, daß die CDU-regierten Länder ganz im Gegensatz zu dieser pharisäerhaften einseitigen Schuldenkampagne gegen den Bund - die heute auch wieder aufgewärmt worden ist - ähnliche Haushaltsprobleme haben wie der Bund. Das wissen auch Sie ganz genau, wenn Sie mit Ihren Landespolitikern sprechen.
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Die erhoffen sich von der Gesamtoperation 1982 im Windschatten dieser Bundesoperation auch eine Entlastung in ihren Landeshaushalten, weil sie sonst selber aktiv einschneiden müßten. Wenn wir das auf Bundesebene im Rahmen der Gesamtoperation erledigen, haben sie in ihren Landesparlamenten auch die Möglichkeit, uns noch ein bißchen die Schuld zuzuschieben und auf jeden Fall im Nebeneffekt eine gewisse Entlastung abzukassieren.
Wenn Sie bei dieser Interessenlage von SPD- und CDU-regierten Ländern nicht aufpassen und weiter so taktieren, dann schließen wir mit dem Bundesrat in diesem Jahr ohne Sie ab. Das kann ich Ihnen prophezeien. Dann stehen Sie ohne Hemd ganz verschämt in der Ecke. Das wollen wir nicht. Wir brauchen ja eine starke, eine unbeschädigte Opposition,
({5})
damit Sie in unserer Demokratie zur Kontrolle fähig sind.
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- Doch, doch, wir brauchen im Interesse einer funktionsfähigen Demokratie eine starke, zur Kontrolle fähige Opposition.
Ein Satz noch. Die Operation, wie sie jetzt in Form eingebrachter Gesetzentwürfe auf dem Tisch liegt, ist noch nicht die optimale Endformulierung aus sozialdemokratischer Sicht. Das ist sicherlich nicht in jedem Punkt das Gelbe vom Ei. Wir haben unsere Änderungsvorstellungen; ich habe sie im einzelnen dargelegt.
Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß.
Gegenüber Ihrem bombastischen Einsparkonzept, das Sie in der letzten Woche vorgelegt haben, ist das eine seriöse Ausgangslage für unsere Beratungen in diesem Hause. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte diese Sparoperation '82 bei allen Ecken und Kanten und auch Mängeln, die zweifellos vorhanden sind, für eine recht beachtliche Leistung. Wenn vor einem halben Jahr jemand prophezeit hätte, diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien würden innerhalb eines halben Jahres ein Paket vorlegen, das Einsparungen allein 1982 von über 17 Milliarden DM und höheren Beträgen in den Folgejahren mit positiven Auswirkungen auf Bund, Länder und Gemeinden und auch auf Tarifvereinbarungen bringen würde, dann hätte man ihn mit Sicherheit verlacht. Ich glaube also, wir können uns sehen lassen.
Als Herr Finanzminister Matthöfer gestern in dem Zusammenhang sagte, wir sollten uns diesen Erfolg nicht zerreden, da kann aus der Opposition der Zwischenruf: „Das tut ihr doch selbst!" Da ist etwas dran. Die Darstellung der Koalition war keine Glanzleistung. Sie war nicht gut. Wir haben Schwächen gezeigt. Aber wo die SPD/FDP-Koalition schlecht war, war die Opposition noch schlechter.
({0})
Wo wir nicht gut waren, da waren Sie miserabel. Wo wir ganz ohne Zweifel Schwächen gezeigt haben, da war die Opposition überhaupt nicht vorhanden und wenn, dann nur dürftig. Ich kann nur sagen, meine
Damen und Herren, wer unsere gewiß unter Schwierigkeiten und mit einem Sommertheater zustande gekommene Operation miterlebt hat, wer dies sieht und mit dem vergleicht, was Sie hier heute anbieten, dem, glaube ich, ist klar, daß, wie Graf Lambsdorff gesagt hat, die Opposition keine Alternativen hat und keine Alternative ist.
({1})
Die Vorstellung, hierüber würde die Koalition zerbrechen mit der Folge, daß Sie hier den Bundeskanzler stellen, oder die hie und da geäußerte Vermutung, die FDP-Fraktion würde Sie, Herr Kohl, z. B. auf Grund dessen, was Sie hier heute in Ihrer Rede geboten haben, zum Bundeskanzler wählen, halte ich nun doch für einigermaßen abwegig. Ich will das einmal klarstellen. Ich glaube, die Koalition hat wieder Tritt gefaßt.
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Es wird jetzt darum gehen, das, was wir an beachtenswertem Ergebnis zustandegebracht haben, nach draußen klarzumachen.
Die FDP steht zu der Politik seit 1969. Ich sage das hier ausdrücklich. Falsch war es - und das hat Herr Genscher heute sehr deutlich gemacht -, in das Wort „Wende" mehr hineinzugeheimnissen als das, was hier heute dargestellt worden ist. Es bedeutet nicht, daß all das, was wir gemacht haben, falsch war. Davon ist nicht die Rede, meine Damen und Herren. Das heißt nur, daß wir auf den tiefgreifenden Wandel in den ökonomischen Verhältnissen
({3})
- der ganzen Welt - mit einer Änderung, mit einer Wandlung auch unserer Politik reagieren müssen.
Ich glaube daher, daß das, was Sie hier immer in diesen Brief Gensehers hineingeheimnissen mit der „Wende", sogar mit der, wie Sie auch sagen, „gesellschaftspolitischen Wende", falsch verstanden ist. Wir haben als erste gesagt - übrigens nicht erst jetzt, sondern schon seit längerem -, wir müssen auf die geänderte Situation mit anderen Vorstellungen und anderen Reaktionen antworten. Das heißt aber beileibe nicht, daß das, was wir gemacht haben, etwa nicht in Ordnung wäre. Das, was hier in mehreren gigantischen Bildern vorgetragen wurde, nämlich hier handele es sich um eine lange, kontinuierliche Fehlentwicklung seit 1969, ist falsch. Aus diesem Grunde ist es legitim, unsere Situation mit dem Ausland zu vergleichen, nicht um von unseren zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten abzulenken, sondern um zu zeigen, daß wir im Vergleich zu den anderen mit unseren Maßnahmen - insbesondere seit 1975 ff. Verhältnisse erreicht haben, die uns unterscheiden von den USA mit der Reagan-Politik und von England mit dem Thatcherismus. So etwas werden Sie uns auch für die Zukunft nicht einreden können.
({4})
Meine Damen und Herren, dann hört man in dieser Diskussion wieder diese Uraltvorwürfe: etwa von Herrn Häfele, das sei eine Täuschung des Bürgers, oder von Herrn Kohl, im Wahlkampf sei etwas ganz anderes versprochen worden bzw. das Versprochene sei nicht gehalten worden.
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Die Bundesregierung und die zuständigen Politiker der Regierungsparteien - für die FDP unter anderem Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff und die Haushaltsexperten Hoppe und Gärtner - haben im Wahlkampf 1980 keinen Zweifel daran gelassen, daß nach der Wahl eine Hauptaufgabe der Politik eine deutliche Reduzierung der Neuverschuldung sein müsse.
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- Hören Sie mal, ich wollte mich j a bescheiden in den Hintergrund stellen. Da Sie mir aber die Fragen stellen, greife ich das gerne auf. Meine stereotypen Aussagen im Wahlkampf wie auch hier in diesem Hause, als wir noch in der Sitzungsperiode waren, waren die gleichen, nämlich, daß wir in der nächsten Legislaturperiode an eine Reduzierung der NettoNeuverschuldung herangehen müßten, daß alle Bevölkerungsgruppen betroffen sein würden, daß wir Subventionen und auch Leistungsgesetze in allen Bereichen würden einschränken müssen. Jeder wird das bestätigen.
({7})
Es ist auch nicht gerechtfertigt, einen Keil zwischen FDP und SPD treiben zu wollen, wie Sie es manchmal tun. Ich sehe durchaus, daß einige in der SPD-Fraktion die Einsparnotwendigkeit meiner Ansicht nach später begriffen haben als wir. Aber es hat z. B. der Bundesfinanzminister im Wahlkampf 1980 gesagt, diese Operation werde nicht ohne Heulen und Zähneknirschen abgehen. Also, von „Wahlbetrug" oder ähnlichen Dingen kann überhaupt keine Rede sein.
Der Vorwurf, wir hätten durch die Verschuldung der letzten Jahre über unsere Verhältnisse gelebt, ist auch nicht gerechtfertigt. Bis 1978 war das Gegenteil der Fall. Erst nach 1979 hat sich das in der Tat geändert. Seither ist nämlich unsere Leistungsbilanz negativ, d. h. wir nehmen mehr Güter und Dienstleistungen des Auslands in Anspruch, als wir umgekehrt dem Ausland zur Verfügung stellen. Zuvor haben wir, wenn Sie so wollen, unter unseren Verhältnissen gelebt.
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- Entschuldigen Sie, woran wollen Sie denn Leistungsfähigkeit - und das hat j a wohl etwas mit Leistungsfähigkeit zu tun - unseres Volkes ablesen, wenn nicht an seiner Leistungsbilanz. Unsere Leistungsbilanz wies einen großen Überschuß auf, so daß wir die höchsten Devisenreserven der Welt ansammeln konnten. Dies ist, wie gesagt, nicht mehr der Fall. Deswegen muß man darauf anders reagieren.
Heute morgen kam wieder der Vorwurf, Schuldenmachen des Staates bedeute, auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Obwohl ich, wie gesagt, seit über 1 1/2 Jahren sage, wir müssen die Netto-Neuverschuldung zurückschrauben, halte ich doch diese
pauschale Aussage für falsch. So waren sich schon Klassiker der Finanzwissenschaft einig über das, was etwa der Liberale Lorenz von Stein Ende des vorherigen Jahrhunderts so ausdrückte: „Ein Staat ohne Staatsschulden tut entweder zu wenig für seine Zukunft oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart." Entweder verzichtet ein solcher Staat auf Zukunftsinvestitionen und gefährdet dadurch die Grundlagen der zukünftigen volkswirtschaftlichen Leistungskraft, oder er zwingt die gegenwärtigen Steuerzahler, die vollen Kosten auch solcher Investitionen zu tragen, die zu einem erheblichen Teil erst der nachfolgenden Generation zur Verfügung stehen werden. Dies ist nicht sinnvoll.
({9})
Ein besonders deutliches Beispiel aus den letzten Jahren: Wir haben eine Kohlereserve, Uranvorräte und eine Mineralölbevorratung angelegt. Allein die letztere kostete über 1,5 Milliarden DM. Der Wert dieser Reserven beträgt heute ein Mehrfaches. Natürlich käme niemand auf die Idee, diese Vorräte zu verscherbeln, um damit den Schuldenabbau zu betreiben; denn selbstverständlich haben wir dadurch rentierliche Werte geschaffen. Wenn wir solche Investitionen zugunsten heutigen Konsums unterließen, würden wir tatsächlich auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben.
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Ein letztes: Hohe Kreditaufnahmen sind nicht nur gerechtfertigt, sondern nach unserem Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz sogar geboten, wenn durch Nachfrageausfall bei zugleich hoher Sparneigung und durch geringe Kreditaufnahme privater Investoren auf Grund nachlassender Investitionstätigkeit einerseits billiges Kapital reichlich vorhanden ist,
({11})
und andererseits ein Konjunktureinbruch droht. Das war 1975 und in den folgenden Jahren der Fall. Daß sich die Neuverschuldung damals nicht negativ auf den Kreditmarkt ausgewirkt hat, sehen Sie daran, daß von 1974 bis 1978 bei hoher Netto-Neuverschuldung die Kapitalmarktzinsen von 10,5 auf 5,5 % und die Preissteigerungsrate von 7 % auf 2,5 % zurückgegangen sind. Also ist die undifferenzierte Aussage, dieses Schuldenmachen sei falsch, dürfe nicht sein, gehe zu Lasten unserer Enkel, nicht richtig.
Aber, meine Damen und Herren, so wenig man Sparmaßnahmen heute damit begründen kann, daß die Politik relativ hoher Kreditaufnahmen in der Vergangenheit schon von jeher falsch gewesen sei, so wenig läßt sich eine weiter wachsende Neuverschuldung damit rechtfertigen, daß dies auch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erfolgreich war. Man kann das eine nicht aus dem anderen ableiten; denn wir haben heute ganz andere Rahmenbedingungen, z. B. die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wir haben die Ölkrise, ein Leistungsbilanzdefizit, eine Situation auf dem Kapitalmarkt, die ungleich ungünstiger ist. Wir haben die höchsten Realzinsen in der Nachkriegspolitik. Die Situation des Bundeshaushalts hat sich verschlechtert. Jede
Milliarde zusätzlicher Kreditaufnahme belastet die kommenden Haushalte - beim jetzigen Zinssatz mit deutlich über 100 Millionen DM jährlich. Schließlich: Haushaltsdefizite kommen heute nicht deshalb auf uns zu, weil die Regierung und der Bundestag höhere Investitionen für nötig halten, sondern weil die nicht investiven Teile des Haushalts, z. B. die hohen Zahlungen für die Bundesanstalt für Arbeit, den Finanzrahmen zu sprengen drohen.
Daher ist es wichtig - das sage ich insbesondere an diejenigen in diesem Hause, die noch nicht ganz einsehen, warum wir hier so einsparen müssen; es gibt sie, wie wir wissen, auch in den Koalitionsfraktionen -, in dieser Situation bei den konsumtiven Ausgaben einzusparen und die investiven Ausgaben des Haushalts zu steigern. Deswegen hat sich die FDP gegen ein isoliertes, kreditfinanziertes Ausgabenprogramm ausgesprochen - nicht, weil wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht für sinnvoll und wichtig erachten.
Durch die öffentliche Darstellung, die FDP lehne ein Beschäftigungsprogramm ab, ist leider der falsche Eindruck entstanden, als ginge es bei den einen darum, etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun, und den anderen wäre das egal. Nein, wir sagen nur: Der Weg nach dem Muster der Jahre 1975 ff. - deficit spending in Milliardenhöhe, was j a auf deutsch kreditfinanzierte Wachstumspolitik heißt - kann bei geänderten ökonomischen und finanzpolitischen Gegebenheiten nicht eingeschlagen werden. Ein solches Programm kann nicht finanziert werden.
Wir sind schon der Ansicht, daß wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weiter etwas tun müssen. Und in diesem Programm sind ja bereits, wie der Bundesfinanzminister ausgeführt hat, zahlreiche Maßnahmen investiver Art enthalten. Die FDP wird auf ihrer kommenden Sitzung des Bundeshauptausschusses weitere Vorschläge unterbreiten, ein ganzes Bündel von beschäftigungspolitischen Maßnahmen. Dazu gehören weitere Anreize zu privaten Investitionen, dazu gehören selbstverständlich auch weitere öffentliche Investitionen. Das ist auch nicht etwa ein Gegensatz. Ich denke dabei an den Bereich des Umweltschutzes, aber nicht nur daran. Ich will darüber hinaus ein konkretes Beispiel dafür nennen, daß in vielen Fällen öffentliche Investitionen Voraussetzung für private sind.
In der Nähe von Bonn gibt es eine kleine Ortschaft, in der die Leute gern weitere Eigenheime bauen würden. Sie können es nicht, weil dort noch nicht einmal Kläranlagen vorhanden sind, sondern nur Sickergruben. Das bedeutet doch, daß wir zusätzliche öffentliche Investitionen für Kläranlagen ermöglichen müssen als Voraussetzung dafür, daß dort private Investitionen - Eigenheimbau - überhaupt möglich werden.
({12})
- Wir brauchen einen billigeren Zins. Völlig richtig.
Deswegen nehmen wir diese Operation vor, um den
Kreditmarkt zu entlasten, um ihn nicht durch zu2996
sätzliche hohe staatliche Neuverschuldung zu belasten und den Zins dadurch höher zu treiben.
({13})
Oder ich denke an begleitende Maßnahmen wie etwa die Arbeitszeitverkürzung durch Senkung der Altersgrenze im Berufsleben, die ja viele Bürger wünschen. Viele Bürger wären nämlich bereit, einen versicherungsmathematischen Abschlag in Kauf zu nehmen, wenn sie etwas früher in Rente gehen könnten.
Ich denke weiter an das Job sharing. Es kann sein, daß im Zusammenhang mit dem Job sharing noch keine letztendlich gültigen Patentrezepte auf dem Tisch liegen. Aber wenn die Gewerkschaften das Job sharing generell und total ablehnen, so habe ich dafür kein Verständnis.
({14})
Ich erwarte vielmehr von einer Arbeitnehmerorganisation, die selbstverständlich weiß, daß es einerseits ein Bedürfnis bei Arbeitnehmern für ein solches Job sharing gibt, andererseits aber noch Probleme existieren - natürlich kann es nicht so aussehen, daß z. B. das Risiko der Krankheit zu Lasten der Beteiligten des Job sharings geht -, daß sie selber Modelle vorlegt, Vorschläge macht, wie ein solches Job sharing zu realisieren wäre. Ich erwarte, daß sich der DGB möglichst bald mit konkreten, konstruktiven Vorschlägen in die Diskussion einschaltet.
Noch etwas zur Arbeitslosigkeit. Vergessen wir doch bitte nicht, daß wir auf Grund der Maßnahmen, die wir bis heute schon privat oder öffentlich getätigt haben, diese hohe Arbeitslosigkeit gar nicht hätten, wenn nicht wegen der demographischen, d. h. der Bevölkerungsentwicklung Jahr für Jahr etwa 100 000 mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen würden. Diese Entwicklung wird etwa bis zum Jahre 1990 fortdauern. Das Arbeitslosenproblem ist heute ja deshalb so besonders groß, weil wir, begrenzt für einen gewissen Zeitraum, wegen der Bevölkerungsentwicklung Jahr für Jahr diesen hohen Neuzugang an Arbeitskräften zu verzeichnen haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir selbstverständlich, dieses Problem einerseits aufzugreifen, andererseits aber vor Augen zu haben, daß wir für die Zeit nach 1990 mit einem Arbeitskräftemangel zu rechnen haben werden. Ich bin sicher, daß die Koalition auch diese auf uns zukommenden Probleme meistern wird. Sie wird zu ihrer Lösung gemeinsame Vorschläge machen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Steuern sagen, die Sie, Herr Kreile, angesprochen haben. Wieder konnten wir heute in den verschiedenen Reden hören, die steuerliche Belastung des Bürgers nehme zu, die Steuererhöhungen im Zusammenhang mit dem Paket seien dafür ein Beispiel. Ich will Ihnen offen sagen, daß ich die Steuererhöhungen in der Sparoperation '82 nicht für optimal halte. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten die Sparoperation ohne Anhebung der Verbrauchsteuern vorgenommen, hätten diese Erhöhung vielmehr aufgehoben bis zu dem Zeitpunkt, wo die noch in dieser Legislaturperiode notwendig werdende Entlastung der Lohn- und Einkommensteuerzahler in einem weiteren Steuerentlastungspaket geregelt wird.
({15})
Nun, man kann sich als Steuerpolitiker diese Fragen nicht immer ganz aussuchen. Dies hätte ja ohne Zweifel bedeutet - das ist wichtig, Herr Dr. Kreile, wenn Sie dies kritisieren -, daß in Höhe dieses steuerlichen Mehraufkommens mehr Einsparungsvorschläge hätten gemacht werden müssen. Da die Vorschläge, die von Ihrer Seite kommen, nicht einmal das Volumen erreichen, das diese Regierung und diese Koalition vorlegen, muß ich die Frage stellen, wo Sie eigentlich zusätzlich einsparen würden, wenn Sie diesen Steuererhöhungen nicht folgen wollen.
Da Sie dauernd von Steuerbelastung sprechen, darf ich übrigens daran erinnern, daß von unserem letzten Steuerentlastungspaket noch einige Teile im Jahre 1982 in Kraft treten. Das heißt: Die von dieser Regierung ins Auge gefaßte Zielrichtung, die Belastung der Bürger mit direkten Steuern abzubauen und zugleich das Verhältnis von direkten und indirekten Steuern wieder etwas mehr hin zu den indirekten zu verschieben mit der Folge, daß wir bei den indirekten Steuern etwas anheben müssen, wird sich gerade im kommenden Jahr vollziehen. Allein 1982 - das Bedauerliche ist, daß niemand mehr davon spricht - wird es steuerliche Erleichterungen bei der Lohn- und Einkommensteuer in Höhe von 3,7 Milliarden DM geben, insbesondere durch die Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge und durch die Anhebung des sogenannten Vorwegabzuges. Ich glaube also, daß Sie dies bei Ihrem Lamento über die angeblich starke Belastung des Bürgers mit Steuern berücksichtigen müssen. Ich habe es hier zwar schon mindestens zehnmal gesagt, aber ich darf es noch einmal wiederholen, weil Ihre Kritik hier sonst unbeantwortet im Raum stehenbleiben würde: Die Steuerbelastung des Bürgers seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ist insgesamt nicht angewachsen, sondern in all diesen vielen Jahren gleichgeblieben.
({16})
Ihre Darstellung, das Gegenteil sei der Fall, ist nicht richtig.
({17})
Das, was angestiegen ist, sind die Abgaben für die Sozialversicherung; das bedauern wir sehr. Nur, deswegen haben wir j a schon einmal ein Gesetz zur Dämpfung der Krankheitskosten vorgelegt, und deswegen legen wir jetzt wieder einen Gesetzentwurf zur Dämpfung der Kosten im Krankheitsfalle vor. Ich glaube, daß dies wichtig ist. Denn in der Tat: Der Bürger unterscheidet, wenn er seinen Lohnzettel sieht, nicht zwischen Steuern einerseits und Abgaben andererseits. Aber Sie, Herr Kreile, als Steuerpolitiker wissen, daß die Steuerlast nicht angestiegen ist. Deswegen sollten Sie da ehrlich bleiben.
Lassen Sie mich noch einen Wermutstropfen in diese positive Betrachtung des Sparpakets gießen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe verkomplizieren
unser Steuerrecht ganz eindeutig. Aber, Herr Kreile, das ist ja nun nicht allein die Schuld dieser Koalition. Wie die Politiker der Koalition waren es z. B. doch genauso auch Ihre Politiker, die gesagt haben: Es ist ein Unding, daß jemand acht Monate lang arbeitslos ist, den Rest des Jahres arbeitet und durch den Lohnsteuerjahresausgleich unterm Strich mehr hat als jemand, der ganzjährig erwerbstätig war. Wir ändern dieses Ärgernis in diesem Gesetzentwurf. Aber, meine Damen und Herren, allein dieser Punkt, den wir finanztechnisch als Progressionsvorbehalt bezeichnen, führt zu einer ungeheuren Verkomplizierung des Einkommensteuerrechts. Jeder, der dieses Haushaltsstrukturgesetz mit seinen zahlreichen Änderungen allein auf Grund dieser Maßnahme einmal liest, wird mir bestätigen, daß diese materiell gerechtfertigte Maßnahme unter Steuervereinfachungsgesichtspunkten nicht sein dürfte. Ich nehme aber an, daß Sie trotzdem dafür sind, so wie wir es auch sind. Aber, bitte, stellen Sie sich dann nicht ein halbes Jahr später hin, wie soeben bei § 15 a, und bejammern, daß das Einkommensteuerrecht zu kompliziert wird. Es ist richtig - deswegen sollten wir es heute schon sagen -: Wer mehr Gerechtigkeit auch im Steuerrecht fordert, muß wissen, daß dies in erheblichen Teilen auch zu mehr Komplizierung führt. Das nehmen wir mit Bedauern in Kauf. Aber, bitte, ich weise darauf hin, daß gerade diejenigen, die keine Steuerpolitiker sind, dies wissen sollten und uns nachher keine Vorwürfe machen dürfen.
({18})
Ich hoffe und gehe davon aus, daß wir die Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes in diesem Jahr zügig abschließen.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sozialpolitik hat heute in den meisten Reden eine Rolle gespielt. Gegen Schluß der Debatte kommen nun auch die Sozialpolitiker zu Wort.
Dieser von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf 1982 und das, was die Koalitionsparteien dazu vereinbart haben, ist in der Sozial- und Gesellschaftspolitik erstens ein Dokument des Scheiterns und der Flucht aus der Verantwortung, zweitens ein Dokument der Flickschusterei und der Finanzverschiebungen, drittens ein Dokument der Handlungsunfähigkeit und der vielfach falschen Rezepte und viertens ein Dokument des sozialpolitischen Rückschritts, der einseitigen Belastung der Arbeitnehmer und der Ratlosigkeit.
({0}) Ich will das im einzelnen begründen.
Erstens. Gescheitert und am Ende ist eine Sozialpolitik, die so tat, als beginne mit der Regierungsverantwortung der SPD das soziale Zeitalter.
({1})
Gescheitert ist eine Politik, die Reformen wie am Fließband versprach. Dieser Haushalt, den Sie hier vorlegen, dokumentiert, daß die Wirklichkeit nach elf Jahren Regierungsverantwortung anders aussieht. Wie es bei der SPD üblich ist, klaffen Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinander.
({2})
Dieser Haushalt und die dazu gehörenden Gesetze beweisen, daß unter Ihrer Verantwortung in der Sozialpolitik vieles nicht besser, sondern zu Lasten der Arbeitnehmer schlechter geworden ist und leider auch weiter werden wird.
({3})
Als Ergebnis Ihrer Politik müssen wir feststellen: Seit sieben Jahren haben Sie jetzt rund eine Million Arbeitslose zu verantworten, und in diesem Jahr wird die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit 27 Jahren haben.
({4})
Sie haben die Rücklagen der Sozialversicherungsträger verwirtschaftet. 1970 hatten die Rentenversicherungsträger noch über acht Monatsausgaben und die Arbeitslosenversicherung noch das Eineinhalbfache der Jahresausgaben in der Kasse. Heute liegt die Rentenversicherung deutlich unter dem damaligen gesetzlichen Minimum von drei Monatsausgaben,
({5})
und die Arbeitslosenversicherung wäre ohne Bundeszuschüsse längst pleite.
({6})
Sie haben die Arbeitnehmer unter ein erdrückendes Beitrags- und Steuerjoch gezwungen.
({7})
Nach einer Berechnung des Steuerzahlerbunds blieben einem ledigen Durchschnittsverdiener 1980 von 100 DM Gehaltserhöhung gerade noch 38,11 DM übrig.
({8})
Durch die jetzt von Ihnen geplanten Beitragserhöhungen wird sich das weiter verschärfen - und das alles mit Hilfe der FDP.
Als Folge Ihrer Unfähigkeit, Vollbeschäftigung zu schaffen, sind Sie seit Jahren dabei, das Netz der sozialen Sicherheit zu durchlöchern. Ich erinnere an das Haushaltsstrukturgesetz von 1975 und das 20. und das 21. Rentenanpassungsgesetz, an das Subventionsabbaugesetz von Anfang Mai 1981 und an die jetzt hier vorgelegten Einzelgesetze.
Es wird immer offensichtlicher, und die Haushaltsunterlagen hier beweisen überdeutlich, daß Sie in der Sozialpolitik am Ende sind und vor dem Offenbarungseid stehen.
({9})
Müller ({10})
Eine geradezu unüberbietbare Unverfrorenheit ist es aber, wenn Sie jetzt versuchen, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Nach dem Motto „Haltet den Dieb!" entdeckt die SPD jeden Tag neuen Mißbrauch im Sozialbereich. Was früher von der SPD als Gebot sozialer Gerechtigkeit gefordert, als Verwirklichung von Chancengleichheit gepriesen und millionenfach in Hochglanzbroschüren als SPD-Leistung verkauft wurde, wird heute von den gleichen Leuten als Wildwuchs bezeichnet.
({11})
Da muß man doch an die SPD-geführte Regierung und an den Grafen Lambsdorff
({12})
die Frage stellen: Wer hat denn eigentlich die angeblichen Mißbrauchsmöglichkeiten geschaffen?
({13})
Wenn es Mißbrauch gibt, warum hat die Regierung den Mißbrauch so lange laufenlassen? Warum haben Sie jahrelang zugesehen und nichts gesagt, Herr Wirtschaftsminister? Ist das politisch verantwortlich gehandelt? Wie kommen Sie dazu, Graf Lambsdorff, jetzt das Unschuldslamm zu spielen, das mit all dem, was Sie beklagen, nichts zu tun hat? Das ist die Spitze der Unverfrorenheit. Denn nur mit Ihrer Hilfe, Graf Lambsdorff, war es möglich, daß der Karren jetzt so verfahren im Dreck steht.
({14})
SPD und FDP suchen jetzt die Schuld für die verfahrene Lage überall, nur nicht bei sich selbst. Wenn Sie schon mit Fingern auf Schuldige zeigen, dann zeigen Sie lieber auf sich selbst.
Zweitens. Dieser Haushalt ist ein Dokument der Flickschusterei und der Finanzverschiebungen. Als die Regierung vor knapp einem Jahr festgelegt hat, daß die Rentenversicherung für die notleidende Arbeitslosenversicherung um 3,5 Milliarden geplündert werden soll, hat Herr Ehrenberg heilige Eide geschworen, daß das ein einmaliger Vorgang bleiben wird. Kein Jahr danach soll diese Finanzverschiebung jetzt gleich für zwei Jahre wiederholt werden. 1978 haben Sie die Arbeitslosenversicherung und die Krankenversicherung für die damals notleidende Rentenversicherung zur Ader gelassen. Jetzt treiben Sie das Spiel wieder anders herum. Je nach Kassenlage und Opportunität verschieben Sie die Milliarden und plündern die Sozialkassen.
({15})
Das ist keine Politik mit Kurs und Kompaß, sondern Durchwurstelei und Flickschusterei.
({16})
Mit diesem Hin- und Herschieben verspielen Sie auch noch Hunderte von Millionen. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hat darauf aufmerksam gemacht, daß als groteskes Ergebnis der vorgesehenen Beitragsverschiebungen zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung der Sozialversicherung durch die unterschiedliche Struktur der Beitragszahler 1982/83 1,4 Milliarden DM verlorengehen. Da hat sich der Bundesarbeitsminister offensichtlich selber hereingelegt und ausgetrickst. Was sagen Sie zu den Behauptungen der DAG, Herr Ehrenberg, und warum geben Sie diese Differenz viel geringer an?
Auch in anderen Punkten des Sozialbereichs stehen die Berechnungen dieses Haushalts und der dazugehörigen Gesetze auf sehr wackeligen Füßen. Oder deutlicher gesagt: man hilft sich mit Finanztricks über die Runden. Nach Presseberichten ging man bei den Koalitionsgesprächen zu diesem Haushalt von 1,5 Millionen Arbeitslosen für 1982 aus. Trotzdem unterstellt die Bundesregierung für das Jahr 1982 bei ihren Berechnungen 1,4 Millionen. Sollte aber die höhere Zahl zutreffen - der Finanzminister hat gestern in seiner Rede selber offen zugegeben, daß ein Risiko darin steckt -, dann muß der Finanzminister weitere 1,3 Milliarden DM an die Arbeitslosenversicherung überweisen.
Nur als unseriös kann ich auch die 550 Millionen bezeichnen, die Sie bei der Rentenversicherung als Mehreinnahme durch den Wegfall der Versicherungsfreigrenze angesetzt haben. Die Rentenversicherungsträger gehen hier allenfalls von höchstens 200 Millionen DM aus. Soviel Leute mit geringfügiger Beschäftigung gibt es gar nicht, als daß Sie auf die von Ihnen angegebene Summe kommen können.
({17})
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die Beispiele zeigen: geschönte Zahlen und Verschiebungen zwischen den Sozialkassen sind wesentliche Elemente dieses Haushalts. Mir scheint, Ihnen geht es wie einem angeschlagenen Boxer, der nur noch klammert und mit allen Tricks über die Runden zu kommen versucht.
({18})
Drittens. Dieser Haushalt und die dazugehörenden Gesetzentwürfe und Vereinbarungen sind ein Dokument der Handlungsunfähigkeit und auch vielfach der falschen Rezepte.
({19})
Die Bundesregierung betont seit Jahr und Tag - in der Regierungserklärung ist es nachzulesen -, daß die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung die wichtigste Aufgabe in dieser Legislaturperiode ist. Ich glaube, in diesem Ziel sind wir uns alle einig. Mir scheint, da gibt es auch keinerlei Differenzen. Denn Millionen für die Arbeitslosigkeit zu zahlen, ist auf die Dauer viel zu teuer. Zudem ist Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern auch eine Form der Selbstverwirklichung; diese kann durch keine noch so hohe Arbeitslosenunterstützung aufgewogen werden.
({20})
Nur: in dieser unserer zentralsten und wichtigsten Frage ist die Koalition total zerstritten. In der Frage, wie die Vollbeschäftigung zu erreichen ist, vertreten Sie vollkommen entgegengesetzte Standpunkte, wie das beschämende Sommertheater um Ergänzungsabgabe und Arbeitsmarktprogramm gezeigt hat. Es ist angesichts der 1,3 Millionen Arbeitslosen schon
Müller ({21})
ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn die beiden Parteien, die die Regierung bilden, im Protokoll des Bundeskabinetts festhalten, daß sie in den Fragen der Beschäftigungspolitik und des Arbeitslosengeldes völlig verschiedener Meinung sind.
({22})
Damit hat man die Handlungsunfähigkeit öffentlich zu Protokoll gegeben. Offensichtlich um der Machterhaltung willen räumt die SPD in dieser Frage jetzt Position um Position. Was vor kurzem noch als unverzichtbar erklärt wurde - Ergänzungsabgabe und Beschäftigungsprogramm -, läßt die SPD jetzt sang- und klanglos fallen.
({23})
- Meine Herren, ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das sehr peinlich ist, weil Sie im Grundsatz eine völlig andere Meinung haben als das, was verabschiedet worden ist. Ich sage es aber trotzdem.
({24})
Der Kanzler richtet sich jetzt ganz offensichtlich nach der FDP und hängt die Bedingungen für ein Beschäftigungsprogramm sehr hoch. Zusätzliche beschäftigungswirksame Maßnahmen hält er jetzt nur für notwendig, wenn die wirtschaftliche Entwicklung in „ganz schweres Wasser" geraten sollte.
({25})
Da kann man nur fragen: Warum hat die Bundesregierung früher bei viel geringeren Arbeitslosenzahlen Beschäftigungsprogramme für notwendig gehalten? Wie hoch muß die Arbeitslosigkeit noch steigen, bis der Bundeskanzler „schweres Wasser" sieht?
({26})
Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit brauchen wir jetzt nicht das Strohfeuer eines weiteren kurzlebigen Arbeitsmarktprogramms. Vordringlich wäre jetzt ein konsequenter Abbau der politischen und administrativen Investitionshemmnisse, insbesondere die Inangriffnahme erfolgversprechender Maßnahmen zur marktwirtschaftsgerechten Ankurbelung des privaten Wohnungsbaus,
({27})
zur Wiederherstellung der erforderlichen Rechtssicherheit im Kraftwerksbereich und zur breiten Nutzung der Kommunikationstechniken.
({28})
Sogenannte Konjunkturprogramme, die nur aus einer Erhöhung der staatlichen Ausgaben bei Finanzierung durch Kreditaufnahmen oder Steuer- und Abgabenerhöhungen bestehen, sind, wie die Vergangenheit erwies, nicht nur für eine Verbesserung der Beschäftigungslage wirkungslos, sondern auch schädlich und falsch.
({29})
Wir dürfen das Thema „Arbeit" aber nicht nur auf die Arbeitslosigkeit verkürzen, so wichtig und vorrangig deren Beseitigung auch ist. Ich glaube, aktuell darf man sagen, daß der Papst uns mit seiner neuen Sozialenzyklika viele neue Anstöße gegeben hat. Mitbeteiligung der Arbeitnehmerschaft ist die zentrale Forderung dieser Sozialenzyklika. Das bedeutet: Beteiligung am Entscheidungsprozeß und am Ergebnis. Gerade jetzt wäre auch bei uns die stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ein Mittel, um die Tarifauseinandersetzungen zu entschärfen und den Arbeitnehmern das Bewußtsein zu geben, daß Wirtschaft und Betrieb auch voll und ganz ihre Sache sind.
({30})
Bei den Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz haben Sie sich in wichtigen Punkten eher von den kurzfristigen fiskalischen Wirkungen als von vernünftigen arbeitsmarktpolitischen Erwägungen leiten lassen. Wie schon beim ersten Haushaltsstrukturgesetz im Jahre 1975 verfällt der Minister wieder in den folgenschweren Fehler, den Löwenanteil der Leistungskürzungen in den Bereich der präventiven Arbeitsmarktpolitik zu verlagern. Von den mit zirka 3,6 Milliarden DM veranschlagten Minderausgaben entfallen allein 1,5 Milliarden DM auf Leistungskürzungen im Bereich der individuellen Förderung, der beruflichen Bildung und Rehabilitation.
({31})
Was hier passiert, ist Unsinn in Potenz, denn trotz Millionenarbeitslosigkeit haben wir nach wie vor einen erheblichen Facharbeitermangel. Die Hälfte der Arbeitslosen verfügt über keine berufliche Qualifikation. Im September 1980 standen 100 000 offenen Stellen für Arbeitnehmer mit beruflicher Qualifikation nur 58 000 entsprechende Arbeitslose gegenüber.
({32})
Wir sehen: Berufliche Bildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.
({33})
Dieses wichtige, nützliche und notwendige Instrument der Arbeitsmarktpolitik wollen Sie jetzt trotz der negativen Erfahrungen mit dem Haushaltsstrukturgesetz demontieren. Ich wage die Prophezeiung: Was Sie hier einsparen, müssen Sie beim Arbeitslosengeld wieder drauflegen.
({34})
Die Behauptung, daß nur eine Minderung der Kosten, nicht jedoch eine Senkung der Teilnehmerzahlen beabsichtigt sei, ist blanke Schutzbehauptung, Herr Ehrenberg, und Sie wissen das auch aus der Vergangenheit.
Aber, meine Damen und Herren, nicht ohne politische Pikanterie sind auch die neuen Erkenntnisse des Ministers über die Fragen der Zumutbarkeit. Nachdem er vor zwei Jahren den obersten Arbeitsmarktbeamten seines Ministeriums wegen der Verschärfung der Zumutbarkeit in die Wüste geschickt hat, betreibt er jetzt genau dasselbe.
Müller ({35})
Nach Ihrer Logik, Herr Ehrenberg, müßten Sie sich jetzt selbst in die Wüste schicken,
({36})
im Interesse der Arbeitsmarktpolitik aber recht bald.
Der Bundesminister der Finanzen hat in seiner Rede gestern dargelegt, daß die Bundesregierung die Möglichkeiten erschweren will, daß jemand durch ausgeklügelte Gestaltung von Steuervorteilen und Leistungen außerhalb ordentlicher Arbeitsverhältnisse besser dasteht als jemand, der regelmäßig arbeitet. Durch Überstundenzuschläge, die Anrechnung jährlich wiederkehrender Leistungen wie Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld und durch den Lohnsteuerjahresausgleich ist dieser Fall des Finanzministers auch in der Arbeitslosenversicherung möglich. Deshalb haben wir vorgeschlagen, die Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes entsprechend zu ändern.
({37})
Damit wird möglicher Mißbrauch ausgeschaltet, die Vermittlungsfähigkeit erhöht und werden Verwaltungskosten gesenkt.
({38})
Herr Westphal, den Teil, den ich jetzt vorbringen möchte, will ich gerade auf Ihre Ausführungen hin noch einmal sehr deutlich machen. Mir kommt es hierbei besonders auf den arbeitsmarktpolitischen Erfolg an. Der Vermittler muß besser als bisher in die Lage versetzt werden, einen Arbeitslosen in Arbeit zu vermitteln. Wenn man alle Zuschläge und jährlich wiederkehrenden Leistungen auf die letzten 20 Tage vor der Arbeitslosmeldung hinzurechnet, kann das Arbeitslosengeld in Einzelfällen bis zu 80 v. H. des Nettolohnes erreichen. Rechnet man dann die Mehrbelastung durch die Aufnahme der Arbeit wie Fahrgeld usw. hinzu, kann die Arbeitsaufnahme unattraktiv sein. Das muß ausgeschaltet werden. Solidarität, meine Damen und Herren, ist wechselseitig. Auch der Arbeitslose ist zur Solidarität verpflichtet, dazu, alles zu tun, um den Zustand der Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
({39})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Bitte sehr.
Herr Kollege Müller ({0}), sollte Ihnen nicht die Tatsache der Höhe des Arbeitslosengeldes den Mund für solche Behauptungen versiegeln?
Herr Kollege Lutz, Sie wissen, daß ich hier von diesen Dingen nicht wie ein Blinder von der Farbe rede. Ich habe zu lange in der aktiven Arbeit der Bundesanstalt gestanden, um nicht zu wissen, wovon ich hier rede. Sie wissen im übrigen auch ganz genau, daß ich recht habe. Gehen Sie einmal in die Vermittlungsstellen der Arbeitsämter und lassen sich einmal vorrechnen, wie durch die Anrechnung jährlich wiederkehrender Leistungen in der Tat das Arbeitslosengeld wesentlich höher ist als beispielsweise der Nettoverdienst eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers mit zwei Kindern in der Wirtschaft.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Nein, ich möchte jetzt mit meinen Ausführungen zu Ende kommen. - Eine völlig undifferenzierte Absenkung des Arbeitslosengeldes hat unsere Fraktion nicht aufgegriffen. Das würde in den meisten Fällen eine Verlagerung auf die Sozialhilfe bedeuten.
Im übrigen muß ich dem Finanzminister noch sagen: Aus meiner früheren Mitarbeit im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit weiß ich, daß der Präsident der Bundesanstalt Ihnen, Herr Finanzminister, schon vor Jahren den Vorschlag machte, die Arbeitslosenunterstützung in den Lohnsteuerjahresausgleich einzubeziehen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Warum haben Sie den Vorschlag Stingls abgelehnt? Warum haben Sie nicht gehandelt? Der Mißbrauch wäre früher beseitigt worden. Daß es nicht geschehen ist, haben Sie zu verantworten, Herr Minister.
({0})
Die Finanzlage der Rentenversicherung scheint dieser Regierung aber schnuppe zu sein. Durch Ihre Beitragsverschiebung kommt die Rentenversicherung in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Das Rücklagenpolster, das jetzt nur noch bei 2,2 Monatsausgaben liegt, wird durch Ihre Maßnahmen bedenkenlos geplündert. Nach Berechnungen der Rentenversicherungsträger wird 1984/85 nur noch das gesetzliche Minimum in der Kasse sein. Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung stehen dann vor erheblichen Liquiditätsproblemen und der Gefahr, die Restvermögenswerte unter erheblichem Verlust veräußern zu müssen. Dieser mögliche Verlust wird uns von Fachleuten der Rentenversicherung mit der gigantischen Summe von fast 4 Milliarden DM angegeben.
({1})
Allen Warnungen zum Trotz treiben Sie die Rentenversicherung in die Krise und in die Abhängigkeit vom Staatshaushalt. Von der Finanzierbarkeit der anstehenden Rentenreform 1984 will ich hier gar nicht reden.
Wir sind bereit, meine Damen und Herren, im Rahmen unserer konstruktiven Vorschläge den Krankenversicherungsbeitrag für Rentner einzuführen, wie wir es bisher immer sehr deutlich gemacht haben, damit die Rentenfinanzen dauerhaft ohne Beitragserhöhung gesichert werden können.
Ihre Rezepte zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, Herr Minister Ehrenberg, sind auch eher ideologisch als sachlich bestimmt. Ihr ursprünglicher Referentenentwurf hat uns in dem Verdacht bestärkt, daß die Kostendämpfung als willkommener Vorwand für Maßnahmen dienen sollte,
Müller ({2})
die auf eine schleichende Systemveränderung des Gesundheitswesens hinauslaufen.
({3})
Herr Ehrenberg, Sie suchen Kostendämpfungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen. Ich frage Sie: Warum entlasten Sie nicht endlich die Krankenversicherung von den versicherungsfremden Leistungen wie Schwangerschaftsabbrüche und Sterilisation? Diese kosten die Kassen 250 Millionen DM im Jahr und haben mit Krankheit rein gar nicht zu tun.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.
({0})
- Die Entscheidung liegt doch bei mir, ob ich Zwischenfragen zulasse oder nicht.
({1})
Wenn Sie in dem Zusammenhang das Wort „quatschen" gebrauchen, dann fällt es auf Sie zurück.
({2})
Ich stelle nur fest: Das ist wenig parlamentarischer Stil.
({3})
Wir werden alle sozial ausgewogenen und konstruktiven Vorschläge zur Kostendämpfung mittragen. Offene oder verdeckte Systemveränderungen zu Lasten des bewährten Systems der gegliederten Krankenversicherung lehnen wir dagegen kompromißlos ab.
({4})
Ohne Frage muß die Kostenexplosion im Gesundheitswesen gestoppt werden. Wir können aber nicht zulassen, daß man die Kleinen schröpft und die Großen ungeschoren läßt.
({5})
In allen Bereichen - bei Krankenhäusern, Apotheken, Patienten und auch bei den Ärzten - muß gespart werden.
({6})
Beim Kindergeld gehen Sie ebenfalls den falschen Weg. Die von Ihnen vorgesehene Senkung der Kindergeldsätze für das zweite und dritte Kind lehnen wir kompromißlos ab.
({7})
Es zeugt von gesellschaftspolitischer Blindheit, daß die Koalition ausgerechnet die finanzielle Situation der Mehrkinderfamilie verschlechtern will. In der Regierungserklärung vom 24. November 1980 brüstete sich der Bundeskanzler noch, in den letzten
Jahren für die Familien viel getan zu haben. Und kaum ist die Wahl vorbei, da wird wieder abkassiert.
Nicht zuletzt ist in diesem Haushaltspaket völlig verfehlt, daß Sie Beitragserhöhungen vorprogrammieren und ohne jeden Sachverstand neue Beitragsquellen erschließen. Die Art und Weise, wie Sie die Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung den Arbeitnehmern schmackhaft zu machen versuchen, ist schon eine Meisterleistung der Verschleierung. Da wird scheinheilig gesagt: Wir verlagern nur zwischen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung, und es wird so getan, als ob das ganze Verfahren beitragsneutral verlaufe. In Wirklichkeit werden aber Beitragserhöhungen vorprogrammiert. Der Beitragsrahmen, wie das so schön heißt, soll im Arbeitsförderungsgesetz auf 4 % erhöht werden. Gleichzeitig wird die Beitragsermäßigung in der Rentenversicherung auf zwei Jahre limitiert. Im Ergebnis laufen diese Manipulationen auf massive Beitragserhöhungen hinaus.
Ich möchte die FDP auch fragen, warum sie den Wegfall der Versicherungsfreigrenze mitmachen will. Diese Maßnahme führt zu widersinnigen Ergebnissen. Die hierdurch verursachten Verwaltungskosten dürften in den meisten Fällen höher als die zusätzlichen Einnahmen sein. Die Ungereimtheiten nehmen in dieser Frage kein Ende. Bei den freiwillig Versicherten verlangen Sie weiter einen Mindestbeitrag. Hier lassen Sie Minibeiträge zu, und Minirenten werden die Folge sein. Der Drang zu neuen Beitragsquellen hat hier wohl den Sachverstand etwas vernebelt, und die FDP macht trotz vieler schöner Sonntagsreden alles mit.
({8})
Nun komme ich zu meinem letzten Punkt. Dieser Haushalt ist ein Dokument des sozialpolitischen Rückschritts, der einseitigen Belastung der Arbeitnehmer und der Ratlosigkeit. Herr Lutz, jetzt komme ich auf Ihren Zwischenruf zu sprechen. Für den Fall, daß Sie das noch nicht gelesen haben sollten, sage ich Ihnen, daß das Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall Karl-Heinz Jansen jetzt sogar erklärt hat, zwischen IG Metall und SPD gebe es in der Sozialpolitik keine Gemeinsamkeiten mehr.
({9})
Er hat Ihnen vorgeworfen, daß Sie mit dem Mähdrescher über die sozialen Leistungen hinwegfahren.
({10})
- Ich nehme an, daß Karl-Heinz Jansen als geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes der IG Metall hauptamtlich ist. Obwohl Sie sich im letzten Wahlkampf als Garant des Netzes der sozialen Sicherheit aufgespielt haben, verunsichern Sie jetzt Versicherte und Arbeitnehmer.
Die neue Beschwichtigungsformel bei der SPD lautet jetzt - der Finanzminister hat sie in seiner Rede verwandt -: Wir garantieren den Kernbestand der sozialen Sicherung. Was verstehen Sie un3002
Müller ({11})
ter Kernbestand? Ich weiß natürlich auch, daß unser soziales Sicherungssystem vor ernsten Herausforderungen steht. Ihre Maßnahmen aber, kurzatmige Sparaktionen und Milliardenverschiebungen, helfen nicht weiter.
({12})
Mit diesen Maßnahmen dokumentieren Sie Ihre Rat- und Hilflosigkeit.
({13})
Voraussetzung für die dauerhafte Sanierung unseres Systems zur sozialen Sicherung ist die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, und da haben Sie sich gegenseitig bescheinigt, daß Sie dazu nicht in der Lage sind.
({14})
Sie haben den Sozialstaat in den letzten zehn Jahren zum Gefälligkeitsstaat verfälscht.
({15})
Unsere soziale Sicherung beruht auf dem Grundgedanken der Solidarität. Gemeinschaftlich werden die Risiken abgesichert, die der einzelne allein nicht bewältigen kann.
({16})
Die Solidarität der Gemeinschaft mit dem einzelnen erfordert aber auch die Solidarität des einzelnen mit. der Gemeinschaft und verbietet daher auch jeden Mißbrauch sozialer Leistungen.
({17})
Ich betone klar, eindeutig und mit Nachdruck: Mißbrauch muß überall, auch im Wirtschaftsbereich, abgebaut werden. Wir können nicht die Splitter im Auge der Arbeitnehmer entfernen und die Balken bei anderen übersehen.
({18})
Eine der bedeutsamsten Prinzipien der christlichen Soziallehre, die Grundlage unseres Handelns ist, ist das Subsidiaritätsprinzip. Es war nie moderner als heute. Nach diesem Gestaltungsprinzip gehört der kleineren Gemeinschaft der Vorrang. Aufgabe der Sozialpolitik ist die solidarische Hilfe zur Selbsthilfe, nicht die kollektive Versorgung.
({19})
Großorganisationen, Großkrankenhäuser, Mammutbehörden
({20})
verbreiten häufig Entpersönlichung, Anonymität und das Gefühl des Ausgeliefertseins. Es ist ein fataler Irrtum, zu glauben, daß allein der Staat soziale Probleme effizient und human lösen könnte. Trotz massiver Absicherung gegen die Wechselfälle des Lebens durch staatliche Existenzsicherung und Daseinsfürsorge ist eine gewisse Zukunftsangst auch bei der jüngeren Generation unverkennbar. Die Forderung nach weniger Staat kreuzt sich mit dem Ruf nach mehr Staat, der uns alle gegen Mißerfolge und Lebensrisiken, woher auch immer, schützen soll. Aber nicht Betreuung und damit teilweise Entmündigung ist das Gebot der Stunde, sondern die Hilfe zur Selbsthilfe
({21})
und Konzentration der geringer werdenden Mittel auf die wirklich Bedürftigen.
Das Gebot des Grundgesetzes, die Schwachen zu schützen, das Gemeinwohl gegen Individual- oder Verbandsegoismus zu verteidigen und soziale Gerechtigkeit anzustreben, wird sich künftig ernsthafter als bisher zu bewähren haben.
({22})
Diese Regierung hat bewiesen, daß sie dazu nicht in der Lage ist.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Strauß hat hier heute das Wort von der „höhnischen Behandlung der Lebensfragen unseres Volkes" gebraucht. Ich kann Ihnen versichern, daß mir bei der Behandlung des gesamten Themas, das wir schon den ganzen Tag und insbesondere heute abend diskutieren, nicht sehr leicht ums Herz ist. Aber ich finde, das ist ja nun wirklich der Gipfelpunkt des Zynismus, den wir in diesem Zusammenhang und bei dieser Gelegenheit heute erleben müssen.
({0})
Da wird also auf der einen Seite von Herrn Strauß von der „höhnischen Behandlung der Lebensfragen unseres Volkes" gesprochen. Wie man feststellt, wenn man sich seine Rede weiter durch den Kopf gehen läßt, meint Herr Strauß vor allem das Anspruchsdenken in unserem Volke, das angeblich durch die Gesetzgebung der sozialliberalen Koalition besonders gefördert worden ist. Er meint damit auch, mit dieser Gesetzgebung sei besonders der Mißbrauch gefördert worden.
({1})
Ich komme darauf gleich zu sprechen.
Auf der anderen Seite steht Herr Müller ({2}) in seiner neuen Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich finde, das war keine sehr rühmlich Vorstellung.
({3})
Das liegt auf der Ebene der Äußerungen - ({4})
- Ich denke, ich kann diese Beurteilung hier ruhig auch abgeben.
Herr Müller meint nun - was den Erfahrungen entspricht, die wir in den Auseinandersetzungen der Sozialpolitiker untereinander seit Jahren ständig machen müssen -, er müsse beklagen, daß hier ein Einbruch des Sozialleistungssystems vorliege und daß wir hiermit den Leuten etwas wegnehmen wollten.
Von Herrn Strauß ist heute nachmittag aufgezählt worden, wo dieser Leistungsabbau vorgenommen wird. Er hat die einzelnen Punkte aufgeführt. Gleichzeitig hat er versucht, Minister Lambsdorff zu Fragen des Eingriffs in den Kern unseres sozialen Leistungssystems herauszulocken.
Dazu kann ich nur sagen: Einen Einbruch, einen Eingriff in den Kern unseres sozialen Leistungssystems können Sie in dem Konzept, das jetzt vorliegt,
({5})
überhaupt nicht feststellen. Ich habe den Eindruck, das ärgert Sie, weil Sie im Grunde genommen diesen Einbruch gern wollen und jetzt den Leuten draußen vorgaukeln möchten, Ihnen gehe es doch nur um den Mißbrauch und nicht darum, an den Kern dieses Sozialleistungssystems heranzugehen.
({6})
Ich finde, diese Äußerungen von Ihnen, von Herrn Strauß und von anderen waren recht schwammig. Aber sie waren für mich nicht mißverständlich - für andere sollten sie mißverständlich sein -, so daß für uns -- ich komme noch darauf - doch eigentlich ganz deutlich wird, wohin die Reise mit Ihnen gehen würde, wenn Sie hier eines Tages allein oder mit anderen die Regierungsverantwortung übernähmen.
({7}) Ich denke, das muß ganz deutlich werden.
Was mich - auch in den Ausführungen von Herrn Strauß - besonders erschreckt hat - dazu haben Sie nichts weiter gesagt -, ist der Einbruch in einem Bereich, der auch zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört, in dem es um Menschen geht, bei denen es, wenn dieses Gesetz, das wir hier mit mehreren Novellen verabschiedet haben, richtig angewandt würde, überhaupt nicht zu Mißbrauch kommen könnte.
({8})
Und wenn dort Mißbrauch vorkommt, dann ist das ein Mißbrauch, der auf beiden Seiten begründet ist, nämlich auf der Seite derer, die mißbräuchlich Leistungen verlangen, und derer, die mißbräuchlich über die Gewährung dieser Leistungen entscheiden, sie denen geben, die sie eigentlich nicht bekommen dürften. Das ist der Bereich der Sozialhilfe.
Ich kann Ihnen dazu nur folgendes sagen: Bereits 1975, als wir die Debatten um ein erstes Haushaltsstrukturgesetz hier in diesem Hause hatten, meine Damen und Herren, kam von seiten der Länder und der Kommunen die Klage, daß ihre Belastungen in der Sozialhilfe besonders hoch seien. Ich will nicht bestreiten, daß es ähnlich wie im Krankenhausbereich Kostensteigerungen dort gibt, wo es um die Pflege alter Menschen in Altenheimen geht. Natürlich ist das eine große Belastung für die Kommunen, und es ist eine große Belastung für die Länder. Das ist eine Frage, die zwischen uns, auf die Dauer gesehen, erst einmal behandelt und dann gelöst werden muß.
Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit auf folgendes aufmerksam machen: Wir haben in den letzten Jahren, seit Bestehen der sozialliberalen Koalition, nicht zuletzt auf Betreiben der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, aber zusammen mit der freidemokratischen Bundestagsfraktion, und auch auf Betreiben und Druck der Fraktion der Christlich Demokratischen Union, die bei all dem möglichst noch etwas draufsetzen wollte, weil ihr das nicht genügte,
({9})
sozialpolitische Gesetze verabschiedet. Ihr Verhalten ist im einzelnen nachzuweisen. Ich erinnere nur an dieses sehr unwürdige Spiel im Zusammenhang mit den Renten im Jahre 1972.
({10})
Es war doch wohl wirklich ein unwürdiges Spiel, als man glaubte, immer noch einmal etwas draufsetzen zu müssen.
Nun haben wir bei den Renten eines festzustellen: Wir haben in einer Weise konsolidiert, die, wie ich glaube, auch vom Konzept her von jedem getragen werden kann. Inzwischen tragen Sie das j a mit; denn Sie wollen da doch viel weitergehen.
({11})
Wir können auch sagen: Bei den Renten passiert hier überhaupt nichts, weder bei den Renten aus der Rentenversicherung noch bei den Renten aus der Kriegsopferversorgung. Aber wir haben durch die Gesetzgebung, die wir damals initiiert haben und die Sie mitgetragen haben, die Sie sogar noch weiter ausgestalten wollten, beträchtliche Entlastungen der Länder und Gemeinden, und zwar hauptsächlich, aber nicht allein, auf dem Gebiet der Sozialhilfe herbeigeführt. Diese Entlastung der Länder und Gemeinden hat für den Bund Belastungen in Milliardenhöhe gebracht.
({12})
Das war unser gemeinsamer politischer und sozialpolitischer Wille.
Nun will ich einige Beispiele aufführen, damit Sie einmal einen Überblick über die gemeinsamen Leistungen - soweit wir hier von Gemeinsamkeit noch reden können - bekommen. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, zu diesem Zeitpunkt zu sagen, all das, was wir gemeinsam oder mit Teilen dieses Hauses gemacht haben, sei blanker Unsinn, den wir
jetzt, vielleicht insbesondere auf Ihr Betreiben, zurücknehmen müßten. Dort, wo es zum Ausgleich des Haushalts notwendig ist, werden wir uns ganz gewiß von Fall zu Fall darüber unterhalten. Ich sage Ihnen also mal, um was es sich handelt. Es geht dabei um folgende Gesetze:
Erstens um die Einführung der beruflichen Rehabilitation im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes. Ich erinnere Sie, weil Sie hier auch über Mißbräuche im Arbeitsförderungsgesetz geredet haben, daran, daß dieses Gesetz mit all den Regelungen, vom Ansatz her und im weiteren Ausbau, unter Ihrer Federführung in der Großen Koalition zustande gekommen ist. Es ist am 1. Juli 1969 in Kraft getreten. Sie waren damals Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit im Deutschen Bundestag.
({13})
- Ich glaube nicht, daß ich das verfälscht habe.
({14})
Ich glaube, es ist wichtig, Ihnen das einmal zu sagen. Damals haben Sie sich hier immer wieder als großer Gewerkschafter aufgespielt,
({15})
und heute tun Sie so, als wenn Sie damit überhaupt nichts zu tun hätten.
({16})
Zweitens. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz gehört dazu. Da wollen Sie auch kräftig ran, damit vor allem die, die aus minderbemittelten Familien kommen, die Chance der beruflichen Bildung nicht so haben wie diejenigen, die aus Familien höherer Einkommensgruppen kommen.
({17})
Dann die Dynamisierung und Verbesserung der Kriegsopferleistungen. Sie sind unter Katzer gegen die Dynamisierung der Kriegsopferleistungen gewesen. Das ist alles nachzulesen.
({18})
- Natürlich ist das wahr. Ich habe doch damals in
der Öffentlichkeit die Auseinandersetzung geführt.
({19})
Katzer wollte nur von Zeit zu Zeit eine Überprüfung der Höhe der Kriegsopferrenten. Nun kann man mir ja sagen, man dürfe darauf im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung unseres Volkes nicht besonders stolz sein. Meine Damen und Herren, das kann ja möglich sein, aber eines steht doch fest: Wenn die Renten nicht nur aus entschädigungsrechtlichen Gründen gezahlt werden, sondern zur Sicherstellung des Lebensunterhalts,
({20})
dann kann ich die Renten aus der Rentenversicherung nicht anderes behandeln wie die aus der
Kriegsopferversorgung. Das gilt auch für alle Überlegungen innerhalb der sozialliberalen Koalition.
({21})
Die Einbeziehung von Schülern, Studenten und Kindergartenkindern in die gesetzliche Unfallversicherung: Hätten wir nicht die entsprechenden Schritte getan, wären das unweigerlich auch weiterhin Verpflichtungen der Sozialhilfe und damit der Kommunen und der Länder gewesen. Wir haben ihnen die Lasten abgenommen.
({22})
Wir haben leider noch nicht die Möglichkeit gehabt - ich sage „leider"; ich frage mich selbst, warum eigentlich nicht -, das bei all diesen Überlegungen und Diskussionen einmal zu quantifizieren, damit die Leistung dieses Hauses gerade im Rahmen der Sozialpolitik auch im Interesse der Länder und Gemeinden etwas deutlicher wird.
({23})
Wie ist das mit der Einführung der Krankenversicherungspflicht für Landwirte, die mit einem ganz kleinen Betrage zu Lasten der Landwirte und damit fast ausschließlich zu Lasten der Steuerzahler, der Arbeitnehmer geht, die für ihre Krankenversicherung nicht einen Pfennig aus dem Bundeshaushalt bekommen?
({24})
Wie ist das mit der Rentenreform, mit der Rente nach Mindesteinkommen, die von Ihnen so attakkiert worden ist, und mit der Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung? Hätten wir das nicht gemacht, wäre vor allem in diesen Jahren unweigerlich eine unglaubliche Belastung für die Sozialhilfe entstanden.
({25})
Wie ist es denn mit der Vorziehung der Anpassungstermine in der Rentenversicherung und der Kriegsopferversorgung? - Herr Franke, Sie hätten ja auch schon, bevor Sie die Regierungsverantwortung abgeben mußten, an diesem Punkte etwas mehr machen können.
({26})
- Nein, da hatten wir nicht die Mehrheit. Ich habe aber den Kuhhandel im Ausschuß miterlebt, wie Sie uns da unter Druck gesetzt haben. Das ist doch wohl auch ein geschichtlicher Vorgang.
({27})
Beim Krankenhausfinanzierungsgesetz stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Wenn wir keine Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes bekommen, dann ist die Finanzierung der KrankenGlombig
häuser durch den Bund wie auch die Finanzierung der Kosten für die Ausbildung der Pflegekräfte mit Ablauf dieses Jahres am Ende,
({28})
und zwar deshalb, weil Sie von Mal zu Mal die Verabschiedung dieser Gesetze über Ihre Mehrheit im Bundesrat verhindert haben. .
({29})
Die Dynamisierung der Altershilfe für Landwirte war doch auch ein ganz gutes Geschenk, auch vornehmlich auf Kosten der Arbeitnehmer, die vor allem Steuerzahler sind.
Beim Rehabilitationsangleichungsgesetz wären ohne die Überwindung der Kausalität und die Entwicklung hin zur Finalität die Aufgaben im Bereich der Sozialhilfe geblieben.
Das Krankenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz mit der Einführung der zeitlich unbegrenzten Krankenhauspflege: Wissen Sie, was das heute für die Sozialhilfe bedeutete, wenn wir die Begrenzung nicht abgeschafft hätten?
({30})
Zur Einführung des Konkursausfallgeldes wollen Sie mir doch nicht erzählen, daß die wirtschaftliche Entwicklung ein Ausfluß der Verwirklichung des Sozialstaatprinzips, auf das wir nach dem Grundgesetz verpflichtet sind, ist. Sind Sie nicht genauso darauf verpflichtet wie wir auch?
({31})
Wollen Sie sich davon absetzen? Ist das eine Krise des Sozialstaates, womit wir es zu tun haben, oder ist das die Folge von Erscheinungen, mit denen unser Wirtschaftssystem nicht fertig wird?
({32})
- Die Schulden sind da, und die müssen wir auch alle gemeinsam tragen.
({33})
- Ich bestreite ja nicht, daß sie da sind. Wir sind ja auch bereit, zur Sanierung des Haushalts all das zu tun, was notwendig ist.
Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ist natürlich auch ein Gesetz, das zur Entlastung der Sozialhilfe führt.
Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, aus sozialdemokratischer Sicht den sozialpolitischen Teil des Haushaltsplans 1982 und die ergänzend dazu eingebrachten Gesetzentwürfe zu bewerten, so gibt es - das sage ich ganz offen - nur sehr wenig Anlaß zu freudiger Begeisterung. Das kann man aber auch nicht von uns verlangen. Ich weiß nicht, wer von uns so etwas verlangen wird. Es handelt sich zum Teil um schmerzliche Eingriffe. Auch das bestreite ich gar nicht; es wäre fast dumm, das nicht zuzugeben. Aber trotz allem: Wir untersützen diese Eingriffe, nicht aus Neigung oder weil sie unseren sozialpolitischen, Zielsetzungen entsprechen - beileibe nicht -, sondern aus Einsicht in das finanziell und politisch Notwendige.
Die Sozialpolitik vollzieht sich gegenwärtig in der Zeit einer weltweiten und sich ständig noch verschärfenden Wirtschaftskrise und unter schwierigen ökonomischen und finanziellen Rahmenbedingungen. Ich will sie hier nicht nennen; sie sind oft genug benannt worden.
({34})
Ich will hier auch niemandem den Schwarzen Peter zuschieben, sondern nur darauf hinweisen, daß sich innerhalb dieser ökonomischen Rahmenbedingungen auch unsere Gesellschafts- und Sozialpolitik bewegen muß. Das ist doch wohl völlig klar.
Die Sparbeschlüsse der sozialliberalen Koalition tragen dem in einer Art und Weise Rechnung, die auch aus sozialpolitischer Sicht vertretbar ist. Bei objektiver Betrachtung kann - und darauf kommt es mir an dieser Stelle an; das sage ich nicht nur so dahin, weil ich hier irgend jemandem einen Gefallen tun wollte oder weil manche glauben, ich müßte hier jemandem einen Gefallen tun, sondern ich sage das aus Überzeugung - an keiner Stelle bisher von einem wirklich gravierenden Einschnitt in das soziale Leistungsrecht gesprochen werden. Das sind Tatsachen. Wenn Sie mir das Gegenteil beweisen, bin ich bereit, um jede Veränderung in einem solchen Punkt zusammen mit Ihnen während der Ausschußberatungen zu kämpfen.
({35})
Vor allem aber enthalten die Sparvorschläge zahlreiche Elemente der Einschränkung von Privilegien - das ist nicht zu bestreiten - und auch von Mißbrauch - auch das ist nicht zu bestreiten - als Ansatz zu strukturellen Reformen im System der sozialen Sicherung. So kann das betrachtet werden.
Ich komme jetzt auf das Übergangsgeld bei der beruflichen Rehabilitation und auf das Unterhaltsgeld bei Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung zu sprechen. Ich habe mich gerade im Zusammenhang mit dem besonderen Abschnitt 6 des Arbeitsförderungsgesetzes, der erst während der parlamentarischen Beratungen im Jahre 1969 hinzugekommen ist - Sie können sich daran erinnern, Herr Kollege Müller - für diese Dinge eingesetzt. Mir ist natürlich im Laufe der Zeit auch klar geworden, daß man daran zweifeln kann, ob für Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation netto 100 % des Einkommens für jeden Rehabilitanden bezahlt werden müssen, vor allem dann, wenn er, wie in den meisten Fällen, neben dem Übergangsgeld auch noch Unterkunft und Verpflegung im Rahmen der Maßnahmen erhält, die von seiten der Bundesanstalt oder von seiten der Rentenversicherungsträger extra bezahlt werden müssen.
Ich gebe Ihnen offen zu - ich finde, auch einem Sozialpolitiker muß es möglich sein, Irrtümer einzugestehen -, daß das nicht in Ordnung ist. Ich habe das deutlich empfunden, als es unterschiedliche Leistungen einmal von seiten der Rentenversicherung
und zum anderen von seiten des Arbeitsförderungsgesetzes gab.
({36})
Ich bin in vielen Einrichtungen auch heute noch ehrenamtlich tätig und habe das besonders mitverfolgt. Ich glaube, das kann man verantworten.
Es ist richtig und im wahlverstandenen Sinn sozial, den Leistungsmißbrauch im Arbeitsförderungsrecht wirksamer als bisher zu bekämpfen. Ich sage hier auch: Die Bestimmungen über Sperrzeiten, die Zumutbarkeit und die Folge von Meldeversäumnissen müssen neu geregelt werden. Solange wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und die Mißbräuche wirklich da ausschalten, wo sie unweigerlich zur Entsolidarisierung der Arbeitnehmer führen und die Dinge auf Kosten derjenigen vor sich gehen, die die Zeche zu bezahlen haben, bin ich dafür.
({37})
Es ist besonders zu begrüßen, daß endlich auch die vielen von der Unternehmerseite - die will ich hier nicht aussparen, sondern sie besonders nennen - ausgenutzten Mißbrauchsmöglichkeiten eingeschränkt oder beseitigt werden. Ich meine, hier könnte noch einiges mehr geschehen.
({38})
Wir sollten in den weiteren Gesprächen, die wir miteinander führen, nicht so tun, als ob das doch eigentlich tabu oder nicht so gravierend wäre. Das stimmt nämlich auch im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen keineswegs. Das gilt für das bekannte Wechselbad von Kurzarbeit und Überstunden beim Kurzarbeitergeld, für die systematische Ausmusterung älterer Arbeitnehmer auch dann, wenn sie gar nicht wollen, durch Ausnutzung der Möglichkeit vorgezogenen Altersruhegeldes für Arbeitslose, für die Umgehung der Sozialversicherungspflicht bei geringfügiger Beschäftigung, für zahlreiche Steuervergünstigungen und Privilegien - hier, meine ich, ist in der Tat nicht genug geschehen - und für die Leiharbeit, deren unsoziale Auswüchse wir durch schärfere Kontrollen und durch das Verbot im Bereich der Bauwirtschaft endlich bekämpfen werden. Dies alles entspricht Forderungen, die wir Sozialdemokraten zum Teil seit Jahren immer wieder erhoben haben. Es ist übrigens nichts Neues.
Es ist ein Fortschritt, daß die Vorlage für das Zweite Haushaltsstrukturgesetz eine Umschichtung in der Finanzierung der landwirtschaftlichen Sozialpolitik - weg von der Steuerfinanzierung zur Beitragsfinanzierung - bringen wird. Das ist auch noch nicht genug, meine ich. Das haben die Sozialpolitiker der SPD seit langem gefordert. Von der CDU/ CSU habe ich heute auch beim Lamento des Kollegen Müller nicht einen Ton darüber gehört - ich müßte an dieser Stelle sonst wirklich geschlafen haben -, daß das Verhältnis von empfangener Sozialleistung und gezahlten Versicherungsbeiträgen in der landwirtschaftlichen Altershilfe und Unfallversicherung um ein Vielfaches höher ist als in der allgemeinen Sozialversicherung. In diesem Bereich wenigstens eine Teilkorrektur anzubringen war längst überfällig.
Positiv zu bewerten sind auch die Ansätze des Krankenversicherungs- Kostendämpfungs- Ergänzungsgesetzes, die auf eine Begrenzung der Marktmacht und der Privilegien der Anbieter von Gesundheitsleistungen zielen, z. B. bei den Preisen für Zahntechnik und für Heil- und Hilfsmittel. Aber auch da geschieht bei weitem nicht genug.
Es ist auch zu begrüßen, daß das Gesamtpaket - wir sind j a immer beim Schnüren von Paketen - den Vorschlag beinhaltet, die Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1982 bruttolohnbezogen, d. h. um durchschnittlich 5,8 % anzuheben. Auch unter schwierigen haushalts- und finanzwirtschaftlichen Bedingungen halten wir, wie gesagt, an dem Grundsatz der Parallelität der Entwicklung von Kriegsopferrenten und Sozialrenten fest. Es war richtig, daß die sozialliberale Koalition wie in der Vergangenheit so auch diesmal den Versuchen widerstanden hat - daß es solche Versuche gab, wird nicht bestritten -, den engen Verbund der Renten aus der Kriegsopferversorgung und aus der Rentenversicherung zu lösen.
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
- Was soll denn das, meine Herren? Wir haben doch Redezeiten vereinbart!
Wieviel Redezeit ist denn vereinbart worden, Frau Präsidentin?
Verzeihen Sie, die angemeldete Redezeit ist abgelaufen. Ich mache Sie doch nur ganz freundlich darauf aufmerksam.
Sind die 20 Minuten schon rum?
Die sind abgelaufen.
({0})
- Wenn die Fraktion es wünscht, bekommen Sie selbstverständlich noch fünf Minuten hinzu, Herr Kollege.
Ich bin auch gleich fertig. Ich habe mich durch Herrn Kollegen Müller davon abhalten lassen, alles das zu sagen, was ich ursprünglich sagen wollte.
Zu den positiven sozialpolitischen Aspekten der vorliegenden Gesetzentwürfe gehört nicht zuletzt, daß sie vieles nicht enthalten, was uns von konservativer Seite, auch von der CDU/CSU, in den letzten Jahren angedient worden ist und was sich prompt in dem - lassen Sie mich das ruhig so sagen; wenn das unparlamentarisch ist, nehme ich das sofort zurück und behaupte das Gegenteil - kläglichen, schlampigen, bruchstückhaften, oberflächlichen sogenannten Konzept, das sich das Sparprogramm der CDU/CSU nennt, wiederfindet.
({0})
Ich finde, das ist wirklich beschämend. Es gibt keine Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe! Es wäre reiner Zynismus, den Arbeitslosen, die ohnehin unter der Wirtschaftskrise leiden, zusätzliche Lasten aufzubürden. Es gibt keinen phantasielosen Rundumschlag nach Art der pauschalen Fünf-Prozent-Kürzung, denn es kommt auf mehr an als nur auf das Sparen, nämlich auf eine gerechtere Ausgestaltung unseres Sozial- und Steuerrechts.
({1})
Bei diesen 5 % sind ja auch die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemeint, sonst könnte man überhaupt nicht zu dem Volumen kommen, von dem die CDU/CSU spricht. Das sollten alle diejenigen wissen, die hier den Vorschlag der CDU/ CSU hören: Regelt das mal mit dem Krankenversicherungsbeitrag schon 1983, dann setzen wir noch ein Pfund darauf, nachdem bereits die Konsolidierungsmaßnahmen von über 80 Milliarden DM im Bereich der 15-Jahresrechnung 1976 vorgenommen worden sind. Es gibt bis jetzt keine Kürzung der Sozialhilfe, denn es widerspräche humanitären Grundsätzen, ausgerechnet die Ärmsten der Armen büßen zu lassen. Es gibt keinen Eingriff in die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung, denn dies wäre eine Provokation der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften, die sich dieses Recht erkämpft haben.
({2})
Es gibt - wenn ich das als zweites sagen darf - die Meinung der Volkswirtschaftler, daß das auch etwas für die Einsparung brächte. Es wäre eine gesundheitspolitische Fehlleistung, die letztlich nur Mehrkosten in der gesetzlichen Krankenversicherung brächte - auch die wollen wir doch eindämmen - und die nicht zu Haushaltseinsparungen bei Bund, Ländern und Gemeinden führen würde.
({3})
Es ist doch ein Märchen, uns das einreden zu wollen. - Und, wie gesagt, es gibt keine Kürzung der Renten.
Im übrigen hat unser Programm gegenüber dem unbeholfenen Flickwerk der Unionsfraktion einen unschätzbaren Vorteil, nämlich, daß es konkret ist, daß es durchgerechnet ist, daß es jedermann nachrechnen kann und daß jetzt politisch entschieden und praktisch gehandelt werden kann. Ich bin überzeugt, daß jetzt auch praktisch gehandelt wird. Demgegenüber erschöpft sich die Union in zusammenhanglosen und nebelhaften Andeutungen. Sie hat - so meine ich - bei der politischen Aufgabe, die heute zu lösen ist, total versagt.
({4})
Ich sage: sie hat selbst nach ihren eigenen christdemokratischen Maßstäben versagt. Allerdings sind gerade wir Sozialpolitiker das von der CDU/CSU gewöhnt. Ich erinnere nur an die Debatte über das 20. und das 21. Rentenanpassungsgesetz. Da hat man uns einen Deckungsvorschlag vorgelegt, der nur zur Hälfte belegt war; die andere Hälfte sollte durch die Selbstheilungskräfte unserer Wirtschaft hereingebracht werden.
({5}) Ich habe davon bis heute nichts gesehen. Es ist also nicht die erste verpatzte Vorstellung dieser Art. Wir kennen das, wie gesagt, schon von den Diskussionen zum 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz.
Ich möchte allerdings bei der Bewertung des vorliegenden Konsolidierungspaketes nicht den Hinweis unterlassen. daß einige Punkte aus der Sicht der sozialdemokratischen Sozialpolitik verbesserungswürdig sind. Das Paket enthält zwar eine deutliche Beschäftigungskomponente, aber diese Akzente dürften angesichts der 1,3 Millionen Arbeitslosen und der sich weiter verschärfenden Krise noch deutlicher ausfallen. Das ist meine Meinung.
({6})
Wir müssen in den nächsten Monaten gegebenenfalls darauf zurückkommen. Die SPD hatte den Vorbehalt angemeldet, bei weiter steigender Arbeitslosigkeit auf noch energischeren beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu bestehen.
({7})
Bei der Kostendämpfung im Gesundheitswesen sind die Eingriffe zu Lasten der Anbieter von Gesundheitsleistungen im Vergleich zu den Belastungen, die den Versicherten auferlegt werden sollen, unterproportioniert. Wir werden uns bei den Ausschußberatungen um Nachbesserung bemühen. Wir werden vor allem darauf bestehen, daß es im Jahre 1982 keine weitere Erhöhung der Arzt- und Zahnarzthonorare gibt, gleichgültig, ob dies durch vertragliche Vereinbarungen oder durch eine entsprechende Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfes geschieht.
Die Kürzung des Zweitkindergeldes und des Drittkindergeldes trifft bei uns auf schwerste Vorbehalte. Wir werden deshalb versuchen, das Kindergeld in seiner heutigen Höhe zu belassen und stattdessen den sozial ungerechten Kinderbetreuungskostenfreibetrag abzuschaffen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sollten gemeinsam -auch im Bundesrat - diesen Weg beschreiten, um die unerwünschte Kindergeldkürzung zu vermeiden. Herr Kollege Müller, hier hätten Sie wirklich die Möglichkeit gehabt, zu sagen, daß die Abschaffung der unsozialen Steuerregelung, von der ich eben gesprochen habe, besser wäre, als generell alle Leistungen in dem Bereich des Zweit- und Drittkindergeldes zu kürzen.
({9})
Wenn ich nun - ich komme zum Ende, Frau Präsidentin; ich bitte um mildernde Umstände - zur abschließenden Bewertung der Konsolidierungsgesetze komme, so gestatten Sie mir bitte eine auch ins Persönliche gehende Bemerkung. Ich sage noch einmal, das alles fällt mir nicht leicht. Ich trage das alles mit und in diesen Punkten, die ich aufgezeigt habe, auch aus Überzeugung. Die Vorlagen sind notwendig und sozialpolitisch vertretbar. Ich will aber meine Sorge nicht verschweigen, daß es Kräfte gibt, die hier nur einen Einstieg sehen, dem später ganz andere und dann auch wirklich gravierende und so3008
zialpolitisch unverantwortbare weitere Schritte folgen sollten. Das wäre der Versuch einer grundsätzlichen Kehrtwendung und einer Umprogrammierung der gesellschaftspolitischen Ziele der sozialliberalen Koalition in Richtung auf einen neokonservativen Kurs des planmäßigen Sozialstaatabbaus. Damit würden in tragischer Weise Fehler wiederholt, die in unserer Geschichte schon einmal gemacht worden sind.
({10})
- Das geht vor allem auch an Ihre Adresse, damit das einmal klar ist,
({11})
nach all den Reden, die ich hier heute von Herrn Strauß und von Ihnen gehört habe. Tun Sie doch nicht so, als würden Sie alle Richtungen der Sozialpolitik durch eine Partei, durch diese hervorragende CDU/CSU, vertreten. Ich hoffe, das nimmt Ihnen draußen auch keiner ab.
({12})
Ich sage Ihnen - das gilt auch für Sie und für unsere ganze demokratische Entwicklung -: Der sozialstaatliche Konsens ist für uns lebenswichtig, für uns alle lebenswichtig, ohne Ausnahme.
({13})
Es ist auch lebenswichtig für die Volkswirtschaft, die auf dem Fleiß unserer Arbeitnehmer aufbaut.
({14})
Wer ihn aufkündigt, läuft Gefahr, daß er in einigen Jahren unser Land nicht wiedererkennt.
({15})
Davon bin ich überzeugt. Einer solchen Politik müßte ich persönlich widersprechen, aber ich bin überzeugt, daß das auch nicht die Politik der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sein würde.
Ich danke Ihnen für Ihre Nachsicht und dafür, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, Ihnen das hier heute abend noch zu sagen.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In vielen Fragen stimme ich immer gern mit Eugen Glombig überein, aber in der Bewertung der Rede des Kollegen Adolf Müller möchte ich schon am Beginn meiner Ausführungen eine kleine Differenzierung machen. Ich meine, Eugen Glombig, daß sich diese Rede mindestens im Ton entscheidend von dem unterscheidet, was sein verehrter Vorgänger Norbert Blüm von dieser Stelle zu diesen Themen ausgeführt hat. Ich nehme Adolf Müller auch ab, daß er glaubt, was er sagt. Allerdings - das läßt sich nicht bestreiten - bin ich überzeugt, daß er sich in vielen Fragen irrt.
Ich möchte hier drei Punkte aufgreifen, bei denen ich kurz darlegen möchte, warum die Ausführungen von Adolf Müller nicht überzeugen können. Adolf Müller hat uns, der sozialliberalen Koalition, den Vorwurf gemacht, wir würden mit dem Senken der Beiträge zur Rentenversicherung und dem Anheben der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung sozusagen einen großen Verschiebebahnhof - in Fortsetzung dessen, was man uns das letzte Mal vorgeworfen hat - schaffen.
({0})
Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, disqualifizieren damit Ihre eigene Kritik. Damals haben Sie versucht, uns klarzumachen, daß die getroffenen Maßnahmen - Kürzung des Zuschusses des Bundeshaushalts von 3,5 Milliarden DM bei den Rentenversicherungsträgern und Hinleitung zur Bundesanstalt für Arbeit - falsch gewesen wären. Man hat uns geraten, wir sollten ehrlicher sein. Wir sollten nicht die Beiträge für die Rentenversicherung erhöhen, sondern dort, wo notwendig, bei der Arbeitslosenversicherung.
Da wir gewillt sind, Argumente, wenn sie ernsthaft vorgetragen werden, auch zu gewichten - jeder hat ja damals gespürt, daß wir, Hansheinrich Schmidt ({1}) und die Kollegen von der SPD, uns schwer getan haben, eine solche Maßnahme zeitweilig mitzutragen -, nehmen wir nunmehr den von Ihnen als richtig empfundenen Schritt vor, indem wir die Beiträge genau dahin lenken, wo wir und Sie sie hin haben wollen. Dies geschieht ja nicht aus Jux und Dollerei,
({2})
sondern aus dem einzigen Grund: unsere selbstgestellte Aufgabe zu erfüllen, Beitragsstabilität in der Sozialversicherung zur Erhaltung unserer Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren.
Ich muß mich in einem Punkt wiederholen, der in der letzten Debatte angesprochen wurde. Wenn hier wiederum das Argument eingeführt wird, damit sei die Reform von 1984 gefährdet, so ist dazu zu sagen: dieses Argument ist ungewöhnlich schlecht. Unter dem Motto: bevor man sich ans Rechnen gibt, Heinz Franke, muß man wissen, was herauskommt, muß man doch wissen, daß, wenn die Ansammlung dieser Summe - von 7 Milliarden DM, zweimal 3,5 Milliarden DM - die Grundlage für die Reform von 1984 sein soll, diese Reform ungewöhnlich schlecht finanziert wäre. Worum es geht, ist, diese Reform in sich selbst stimmig zu machen. Das heißt, die Summe des Beitragsaufkommens und der normalen Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt muß die Leistungen, die in der 84er Reform versprochen und gesetzlich geregelt werden, erbringen, und zwar möglichst kostenneutral, d. h. ohne Erhöhung der Beiträge über jene 18,5 % hinaus. Wenn wir das nicht schaffen, würden wir der selbstgestellten Aufgabe nicht gerecht werden, würden unsere Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern und würden sozusagen diesem Lande Böses antun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Franke, bitte.
Herr Kollege Cronenberg - Sie sind stellvertretender Vorsitzender der FDP- Fraktion -, darf ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß der sozialpolitische Sprecher der FDP- Fraktion gestern im „Handelsblatt" verlauten ließ, daß erstens kostenneutral nichts möglich sei und zweitens die 1984er Reform infolge der Verschiebung der Beitragsanteile von der Rentenversicherung auf die Arbeitslosenversicherung eine Menge Probleme aufwerfen würde?
Niemand leugnet, daß Mindereinnahmen Probleme aufwerfen. Aber ich weiß, daß Hansheinrich Schmidt ({0}) im Grundsatz meine Position vertritt. Er hat sie ja Anfang des Jahres bei der Beratung des Haushalts 1981 mit Deutlichkeit vertreten.
Ich möchte noch zu einem zweiten Punkt beispielhaft Ausführungen machen. Da werden in der Krankenversicherung die Aufwendungen für den Schwangerschaftsabbruch als für die Krankenversicherungen fremde Leistungen bezeichnet. Lassen Sie mich ein offenes Wort aus meiner persönlichen Position zu diesem Fragenkomplex sagen. Für mich ist Schwangerschaftsabbruch Sünde, und ich verabscheue ihn zutiefst. Aber ich halte es für eine unmögliche Heuchelei, in dem Zusammenhang dieses Argument einzubringen. Jeder von uns weiß, daß im Lande vorher illegal abgetrieben worden ist, bedauerlicherweise in einem unerträglichen Umfang. Jeder weiß, daß es uns nicht gelungen ist, diese illegalen Abbrüche zu verhindern. Jeder weiß auch, daß die Krankenversicherungen die Folgekosten in wesentlich höherem Umfang zu tragen gehabt haben. Ich meine, man sollte in dieser Frage redlicher diskutieren. So wie geschehen, glaube ich, kann man dieses Thema nicht abhandeln.
({1})
Herr Kollege Müller, lassen Sie mich noch ein offenes Wort zur Frage des Kindergeldes sagen. Ich weiß, daß das unpopulär ist. Wir haben die Absicht - ich halte dies wegen der gesamten Situation des Haushalts für unerläßlich -, auch im Bereich des Familienlastenausgleichs bei einem Volumen von etwa 20 Milliarden für Kindergeld und Mutterschaftsurlaubsgeld und Splittingvorteilen - alles wünschenswerte und richtige Maßnahmen, die in ihrer Substanz erhalten werden müssen - einen Beitrag zu leisten.
Nun sagen Sie immer, egal was wir in diesem Bereich vorschlagen, es sei falsch. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen: Wenn das ganze Unternehmen, das von dieser Stelle aus j a auch viel Anerkennung, widerwillige Anerkennung, gelegentlich sogar Zustimmung von Ihrer Seite gefunden hat, im Umfang ausreichend sein soll, dann müssen Sie uns freundlicherweise sagen, wo wir andere, zusätzliche Maßnahmen ergreifen sollen. Sonst werden die Maßnahmen eben nicht zu folgendem Gesamtergebnis führen: 4,2 % Erhöhung des Bundeshaushalts und eine Nettokreditaufnahme von 26,5 Milliarden. Auf diesem Hintergrund - ({2})
- Es ist gut, daß Sie mir das Stichwort geben. Herzlichen Dank, Herr Kollege Franke. Natürlich hat der Kollege Adolf Müller ({3}) hier den Vorschlag gemacht, die Einmalleistung für die Berechnung des Arbeitslosengeldes nicht mehr zu berücksichtigen, genauso wie der Kollege Strauß von dieser Stelle aus den Vorschlag gemacht hat, die Beiträge für die Rentenversicherung der Arbeitslosen auf das Arbeitslosengeld zu beschränken. Das klingt zunächst einmal vernünftig. Wir sind auch gerne bereit, darüber sachlich zu diskutieren. Nur muß man zwei Dinge sehen, Herr Kollege Franke. Wenn der Vorschlag des Kollegen Strauß Realität wird - wir sind ja bereit, über alles objektiv miteinander zu reden und sachlich zu streiten -, wird die Rentenversicherung natürlich genau in der Höhe des Betrages, um den es hier geht, nämlich 2 Milliarden DM,
({4})
Mindereinnahmen haben. Wenn das kein Verschiebebahnhof ist, weiß ich überhaupt nicht, was ein Verschiebebahnhof ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Cronenberg, können Sie sich vorstellen, daß in unseren Vorstellungen auch feststeht, daß wir dann die 0,5 % nicht auf die Arbeitslosenversicherung zu übertragen hätten?
Dann wird das ja noch schlechter finanziert. Sie summieren jetzt die Vorschläge für Mindereinnahmen. Das ist noch nie ein seriöses Finanzierungskonzept gewesen.
({0})
Nun haben wir uns in dieser Angelegenheit noch mit dem Argument des Kollegen Adolf Müller ({1}) zu befassen. Entschuldigung, jetzt habe ich den Faden verloren. Worum ging es Ihnen noch?
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, ich muß es ja.
Herr Kollege Cronenberg, Sie haben eben selber zugestimmt, daß die Maßnahmen, die Herr Strauß hier vorgeschlagen hat, zu einer Ersparnis von etwa 2 bis 2,2 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit führt.
Und zu Mindereinnahmen in der Rentenversicherung!
Und zu Mindereinnahmen in der Rentenversicherung.
Stimmen Sie mir nicht darin zu, daß das Konzept natürlich aufgeht, daß dann die 0,5 % bei der Rentenversicherung verbleiben müssen, so daß daher letztlich nur eine Differenz in Höhe von allerdings 800 Millionen DM, über die man dann miteinander reden muß, verbleibt?
Zunächst einmal müßten wir uns über den Differenzbetrag unterhalten. Außerdem habe ich eben schon ausgeführt und, wie ich meine, sehr deutlich gemacht, daß es ja nicht primär darum geht, die Liquiditätsreserve der Rentenversicherung zu erhöhen, sondern darum, diese Mittel nicht dem Kreislauf der Wirtschaft zu entziehen.
Nun möchte ich aber mit Ihrer freundlichen Genehmigung noch einige grundsätzliche Ausführungen aus unserer Sicht zu dem Gesamtthema machen. Die strukturellen Schwierigkeiten unserer Wirtschaft nicht zuletzt infolge der Ölpreisexplosion und des sich verschärfenden Konkurrenzkampfes müssen beseitigt werden. Ich meine, wir hätten hier Übereinstimmung darüber erzielt, und auch Zustimmung von der Opposition dazu erhalten, daß wir erreichen müssen, daß die Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft verbessert werden, um damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Kurz auf einen Nenner gebracht, heißt dies: weniger konsumieren und mehr investieren. Es ist auch nicht zu bestreiten - das muß ich auch dem Kollegen Glombig sagen -, daß die Transferausgaben, der Sozialkonsum in den letzten drei Jahrzehnten erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Es muß auch klargemacht werden - das ist eine bittere, aber deswegen nicht weniger wahre Erkenntnis -, daß dieser Trend zu ändern ist. Ob man das nun Trendwende nennt oder ob man dafür den Ausdruck des Bundesfinanzministers benutzt und sagt: Wir stellen die Weichen anders, in die richtige Richtung!, ist mir persönlich ziemlich schnuppe, wenn die Operation vernünftig ist und diesem Ziel dient.
Davon, daß es eine schmerzhafte Operation ist, können einige Leute ein Lied singen. Kollege Westphal, Kollege Kiep und auch ich wissen, daß selbst die Vorbereitungen solcher Aktionen schon zu erheblichem internen Streit führen. Es ist schon eine Kunst, nicht mit jedem und allen Krach zu bekommen und trotzdem das Notwendige und Richtige vorzuschlagen. Ich meine, wenn der Kollege Kiep bei dieser Aktion ohne Zweifel am besten weggekommen ist, dann deshalb, weil er sich bemüht hat - so mein Eindruck -, den Leuten am wenigsten auf die Füße zu treten. Somit hat er möglicherweise den geringsten Ärger, jedenfalls weniger als Kollege Westphal und ich.
Sie haben hier in der Diskussion - dies gilt für den Kollegen Müller, den Kollegen Blüm, den Kollegen Franke - häufig beklagt, die Sozialleistungen seien unzureichend. Im gleichen Atemzug haben Sie aber beklagt, daß die Ausgaben steigen und die Anspruchsmentalität der Bürger zunehme. Hier wird Richtiges mit Falschem vermischt. Unbestritten ist, daß der Sozialkonsum gestiegen ist, unbestritten ist, daß wir hier zu vernünftigen Ergebnissen kommen müssen. Das heißt, die Summe aller Kosten, die durch den Sozialkonsum entstehen, im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf ein Normalmaß zurückgeführt werden muß.
Die Koalitionsfraktionen haben dies erreicht und haben auch, wie notwendig die Rahmenbedingungen geändert, um die Investitionen zu fördern, obwohl in einer Zeit, in der die Entwicklung eben nicht mehr auf wirtschaftlichen Aufwärtstrend ausgerichtet ist, alles viel schwerer als in der Vergangenheit ist. Wir müssen uns einfach noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Sozialleistungsquote von 20 auf 26 % und daß die Sozialabgabenquote von 10 auf 12 % gestiegen ist. Sie beklagen dies ja auch und sehen hier eine Mitursache für die Probleme, mit denen wir uns heute zu beschäftigen haben. Aber ich muß Sie zum wiederholten Male daran erinnern, daß die Hauptursachen für diese Entwicklung zu Zeiten der Großen Koalition gesetzt worden sind und, Herr Kollege Franke, daß z. B. die diskutierte Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle das Ergebnis der Großen Koalition gewesen ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein offenes Wort zu dieser Problematik sagen. Schauen Sie, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, die jetzt von vielen wie ein Fetisch verteidigt wird, muß doch einer ernsthaften Überprüfung unterzogen werden. Es muß doch erlaubt sein, von dieser Stelle aus deutlich zu machen, daß uns die Kosten in diesem Bereich weggelaufen sind.
Ich will das einmal an einem konkreten Beispiel schildern. In den Betrieben der Eisen, Blech und Metall verarbeitenden Industrie in der Unternehmensgröße von 50 bis 200 Beschäftigten ist der Krankenstand von 1969 bis 1979 von 5,3 % im Schnitt bei den männlichen Beschäftigten wie folgt gestiegen: bei ausländischen männlichen Arbeitnehmern auf ca. 11 %, bei deutschen Arbeitnehmern auf ca. 7,5%. Das ist eine so bedauerliche Entwicklung, daß wir ihr nicht tatenlos zuschauen dürfen. Ich möchte noch einmal betonen, wie der Kollege Posser es ja auch von dieser Stelle aus getan hat: Es geht uns nicht darum, ausschließlich Lösungen für Arbeiter, sondern darum, Lösungen für alle Beschäftigten, auch für Angestellte und Beamte, zu finden. Wir halten die Überprüfung dieses Bereichs für unerläßlich, wenn wir unsere Kostenstruktur nicht weiterhin nachteilig verändern wollen.
Wir möchten darauf hinweisen, daß es uns hier nicht primär um mehr Einnahmen geht, sondern darum, die Verhaltensweisen der Menschen, die Motivationen zu verändern. Dies halten wir für unerläßlich.
({0})
- Lieber Kollege Eugen Glombig, ich leugne doch überhaupt nicht, wie Sie wissen, daß in diesem Bereich sehr viele Probleme bestehen, aber das ändert doch nichts an der Tatsache, daß ich nicht nur die Motivation der Ärzte, sich vernünftig zu verhalten, ändern muß, sondern daß selbstverständlich auch die Motivation der Versicherten - und dies ist möglich
- geändert werden muß. Wir werden sicher in ernsthafter Diskussion auch in diesem Bereich zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
({1})
- Aber lieber Kollege Urbaniak, Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß es im Grunde genommen ein unerträglicher Zustand ist, wenn der höchste Anwesenheitsgrad in den deutschen Betrieben am Mittwoch ist und an Montagen und Freitagen die Quote der Krankfeierer am größten ist. Aus meiner eigenen Lebenserfahrung kann ich Ihnen sagen, daß sehr viele Arbeitnehmer - der übergroße Anteil - keinen Mißbrauch begehen. Aber es gibt auch in erheblichem Umfang Arbeitnehmer, die Mißbrauch betreiben. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Kein Unternehmen kann die Produktion aufrechterhalten, wenn von sechs Italienern fünf in Form eines Krankenscheins aus dem Urlaub zurückkommen. Ich sage Ihnen: Das ist ein unerträglicher Zustand, den zu ändern - ohne daß ich hier Ausländerhetze betreibe - notwendig ist.
Nichtdestotrotz mögen Sie sehen, daß diese Diskussion, die hier zwischen Koalitionsfraktionen offensichtlich streitig geführt wird, zu - davon bin ich überzeugt - vernünftigen und dieser Wirtschaft und damit der Beschäftigung dienenden Ergebnissen führen wird.
Ich muß wiederholen: Es ist nicht zu bestreiten, daß wir in den letzten Jahren in eine Verschuldungsentwicklung hineingekommen sind, von der wir überzeugt sind, daß sie geändert werden muß. Deswegen kann ich nur wiederholen, was ich schon einmal von dieser Stelle aus zum Ausdruck gebracht habe: Sozialleistungen auf Pump bewirken nun einmal keine soziale Sicherheit und keinen sozialen Frieden.
({2})
Uns geht es darum, diese soziale Sicherheit gemeinsam mit den Sozialdemokraten im Kern zu erhalten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß unsere soziale Sicherheit so gestaltet wird, daß sie so- wohl in ihrer Lastquote erträglich als auch nur jenen zugedacht wird, bei denen die unbedingte Notwendigkeit gegeben ist. Das ist ein Beitrag zu mehr Beschäftigung.
Lassen Sie mich auch noch ein paar Worte zur Beschäftigungspolitik sagen. Landauf, landab werden mal diese, mal jene Beschäftigungsprogramme gefordert. Wir lehnen solche Programme ab, nicht etwa, weil wir gegen Beschäftigung wären, sondern weil wir zutiefst überzeugt sind, daß sie der falsche Weg sind, um dauerhafte produktive Arbeitsplätze zu schaffen. Solche Programme kurieren an den Symptomen und nicht an den Ursachen; es sind untaugliche Mittel.
({3})
Sie erzeugen bestenfalls Strohfeuer, finanziert durch Schulden. Am Ende bleiben die Schulden, und dauerhafte Arbeitsplätze sind auch nicht da.
Andere, an der Spitze der Kollege Blüm, fordern Arbeitszeitverkürzung. Auch hier ein offenes Wort. Wir leugnen nicht den Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und Arbeitszeit. Selbstverständlich ist die jetzige 40-Stunden-Woche das Ergebnis technischen Fortschritts. Aber wir sind uns eben auch des Zusammenhangs zwischen Arbeitszeit und Kosten bewußt. Wer die Wochenarbeitszeit verkürzen will, wer Urlaub verlängert, wer das Rentenalter ohne Veränderung der Rentenhöhe vorzieht, erhöht die Kosten. Wer die Kosten erhöht, verteuert unsere Produkte, verkauft weniger, gefährdet Arbeitsplätze. Wir müssen im Inland gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähig sein, und wir müssen es auch im Ausland sein.
({4})
Je fortschrittlicher unsere Produktionsmethoden, je geringer unsere Kosten, desto höher die Beschäftigung. Deswegen haben wir ja all diese Rahmenverbesserungen durchgeführt. Deswegen haben wir die Wettbewerbsvoraussetzungen in unserer Volkswirtschaft verbessert. Deswegen haben wir die Abschreibungen verbessert. Deswegen haben wir Maßnahmen ergriffen, um den Anstieg des Kostenfaktors Sozialversicherungsbeiträge zu bremsen.
Ich bin froh darüber, daß hier Übereinstimmung zwischen den Koalitionsfraktionen erzielt werden konnte; denn ich bin überzeugt, daß diese Maßnahmen der notwendigen Konsolidierung des Haushalts dienen, die notwendige Kostenstrukturveränderung in unserer Wirtschaft fördern und damit die Arbeitsplätze schaffen, die erforderlich sind.
Ich muß leider darauf verzichten, hier einiges zu sagen, was ich mir vorgenommen hatte. Die Frau Präsidentin macht mich nämlich durch das rote Licht darauf aufmerksam, daß meine Redezeit zu Ende geht.
Lassen Sie mich aber zum Schluß doch noch einmal der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß wir gemeinsam mit den Sozialdemokraten
({5})
diese unangenehmen Schnitte durchführen und das Sie von der Opposition uns die zugesagte Unterstützung gewähren und daß Ihre Zusage nicht leere Worte im Plenum bleiben. Ich erinnere hier insbesondere an den Bundesrat. Geschieht dies, dann bin ich um das Wohl dieses Landes und die Entwicklung unserer Wirtschaft nicht besorgt, nicht so besorgt, als wenn Sie mit Ihrem Mini-Programm die Dinge allein zu gestalten hätten. - Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Ehrenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur der Kollege Müller, der von der Sache etwas versteht, sondern auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU und der bayerische Ministerpräsident haben sich heute zum Teil sehr lange
und sehr ins Detail gehend in die Gefilde der Sozialpolitik begeben. Was dabei herauskommt- ({0})
- Herr Cronenberg versteht etwas davon, wenn ich auch nicht immer seine Ansichten teile. Aber es ist ein sehr freundschaftlicher Dialog zwischen uns, den Sie nicht stören können.
({1})
- Ich bedanke mich.
({2})
Wenn Sie daran denken, was der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hier heute morgen gesagt hat, daß die SPD Tag für Tag die Interessen der kleinen Leute verrät, und wenn Sie dem gegenüberhalten, was die CDU/CSU hier selber vorgeschlagen hat - nur ganz kurz zusammengefaßt: Streichungen in Höhe von 5 % bei allen Sozialleistungen in den nächsten Jahren,
({3})
Kürzung bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, jetzt Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags
({4})
und vieles andere mehr in Richtung der kleinen Leute Herr Kollege Müller, dann wissen Sie, warum wir das wollen, was Sie beklagen, nämlich weiterregieren, damit Sie das, was Sie wollen, nicht tun können.
({5})
- Das ist ein sehr legitimes Argument, weil wir das Bessere tun und weil Sie Unglück über die kleinen Leute in diesem Lande bringen würden. Das müssen Sie in Ihren eigenen Vorschlägen nachlesen.
({6})
- Herr Kollege Müller, Sie verstehen j a erstens etwas davon, und zweitens verstehen Sie etwas von den Dingen.
(Dr. Friedmann ({7})
Es ist erstaunlich, daß Sie es auch übernommen haben, hier davon zu reden, jetzt einen zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner einzuführen,
({8})
wo Sie genau wissen, daß die Rentner ihren Vorschuß zur Konsolidierung längst erbracht haben. Das macht mich gegenüber diesen Vorschlägen äußerst mißtrauisch.
({9})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?
Bitte schön.
Herr Kollege Ehrenberg, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich im Rahmen der allgemeinen Rentendiskussion auf unseren Vorschlag des Krankenversicherungsbeitrags eingegangen bin und daß Sie im 22. Rentenanpassungsgesetz die Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung vorgeschlagen haben und daß wir in dem Zusammenhang die Frage des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner entsprechend lösen wollen, wobei wir für positive Lösungen zur Verfügung stehen?
({0})
Ich bedanke mich sehr, Herr Kollege Müller, für diese Klarstellung.
({0})
In den Veröffentlichungen Ihrer Fraktion klingt es leider anders. Ich freue mich sehr, daß Sie hier jetzt klargestellt haben, was Sie wirklich meinen. Das konnte man aus den schriftlichen Äußerungen nicht ersehen.
({1})
- Lesen Sie es .doch bitte nach, Herr Kollege!
Dann hat sich Herr Strauß auf ein Feld begeben, das Sie, Herr Kollge Müller, auch ein bißchen, aber vorsichtiger betreten haben, weil Sie besser Bescheid wissen. Herr Strauß hat beispielsweise gefordert, bei dem, wie er sich ausdrückte, „Arbeitslosenunterstützungssystem" - ich habe wörtlich zitiert
- erstens die Höhe, zweitens die Bemessungsgrundlage und drittens die Zumutbarkeit zu überprüfen.
({2})
Bei der Höhe möchte ich jeden sehr ernsthaft bitten, sich genau anzusehen, was ein Facharbeiter bekommt, wenn er arbeitslos wird. Das sind im Regelfall zwischen 1 000 und 1 200 DM, und an dieser
Höhe werden wir nicht kratzen, so oft Sie auch entsprechende Forderungen stellen.
({3})
Bei der zweiten Forderung zur Bemessungsgrundlage, die Herr Strauß hier gestellt hat, hat er die Überstunden erwähnt. Sie haben das nicht getan, weil Sie wissen, daß es längst geltendes Recht ist, daß bei der Bemessungsgrundlage ausschließlich die tarifliche Arbeitszeit und keine Überstunden zugrunde gelegt werden. Hinsichtlich der Sonderzahlungen bitte ich Sie sehr, darüber nachzudenken, ob es wohl mit einem Versicherungssystem vereinbar wäre, die Sonderzahlungen bei der Bemessung der Leistungen nicht zu berücksichtigen,
({4})
dies aber bei der Bemessung der Beiträge zu tun. Beides wird man wohl nur gleichbehandeln können. Wenn wir es gleichbehandeln, ist der Verlust für die Arbeitslosenversicherung viel größer als das, was man einsparen könnte. Machen Sie doch bitte konkrete und nicht so nebulöse Vorschläge.
({5})
Des öfteren angesprochen worden ist die Diskrepanz zwischen den beiden Versicherungsträgern. Sie haben hier, als Herr Cronenberg dies durch eine Zwischenfrage angesprochen hat, noch einmal die Überlegung von Herrn Strauß aufgegriffen, ob man nicht für die Empfänger von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit als Bemessungsgrundlage für die Zahlungen der Bundesanstalt nicht den Bruttolohn, sondern das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe ansetzen sollte.
Haben Sie sich eigentlich überlegt, was das bedeutet? Diesem Vorschlag zu folgen würde bedeuten, daß Sie den Arbeitnehmer, der rentenversichert ist, im Falle der Arbeitslosigkeit um 50 % schlechter stellen, als er seit 1927 gestanden hat. Das kann doch wohl kein ernsthafter Vorschlag sein!
({6})
- Seit 1927 werden Zeiten der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeiten voll angerechnet, d. h. sie gehen mit dem Verdienst des Arbeitnehmers in die Berechnung ein. Wenn er dann auf 68 % netto oder auf 58 % netto gesetzt wird, ist das weniger als die Hälfte seines Bruttoverdienstes. Und wenn die Bundesanstalt nur das überweist, kann selbstverständlich auch nur das für die Rentenberechnung herangezogen werden; sonst würde es ja zu Lasten der Rentenversicherung gehen. Denken Sie also bitte über diesen Vorschlag erneut nach, bevor Sie ihn noch einmal machen.
Meine Damen und Herren, einer der wichtigsten Punkte - der aber heute nur sparsam behandelt worden ist - ist die Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Es wird, glaube ich, für jeden einsichtig sein, daß wir das von uns voll bejahte Ziel der Beitragssatzstabilität, der Vermeidung einer größeren Belastung für Arbeitnehmer und betriebliche Kalkulation durch höhere Beiträge, das wir durch eine schwierige, die Rentenversicherungsträger nicht erfreuende, aber für zwei Jahre gerade eben an den Grenzen der Liquidität entlangschrammende Operation sichergestellt haben, daß wir also die erreichte Beitragssatzstabilität nicht dadurch gefährden dürfen, daß in 2 000 autonomen Vertreterversammlungen der Krankenkassen die Beiträge erhöht werden und dies dann die mühsam gewonnene Stabilität überrollt.
({7})
Um das zu verhindern, haben wir gleichzeitig ein zweites Gesetz zur Kostendämpfung vorgelegt, und wir haben sehr sorgfältig die Belastungen der Patienten und Belastungen der Anbieter austariert. Herr Strauß hat es heute für richtig gehalten, davon zu reden, daß die SPD zwar mit Worten eine Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung ablehnt; danach hat er - so in meine Richtung - die rhetorische Frage gestellt, ob denn nicht aber eine, wie er sagte, Vervierfachung der Rezeptgebühr oder eine Verdoppelung der Leistungen des Patienten beim Zahnersatz eine Selbstbeteiligung sei.
Verehrter Herr Kollege Franke, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den bayerischen Ministerpräsidenten über seinen Irrtum aufklären würden. Ich muß das hier im einzelnen nicht erklären, denn Sie wissen es. Ich muß in dieser späten Abendstunde nicht darlegen, wie falsch diese Behauptungen von Herrn Strauß sind.
({8})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte.
Herr Minister Ehrenberg, können Sie mir denn sagen, wie Sie die Krankenversicherung um 1,4 bis 1,6 Milliarden DM entlasten wollen, wenn Sie nicht den Begriff „Selbstbeteiligung` bzw. „Erhöhung der Selbstbeteiligung" - man kann über die einzelnen Maßnahmen ruhig reden; das habe ich hier auch oft genug angeboten - einführen wollen? Wie würden Sie das sonst qualifizieren?
Das will ich gern tun. Ich wäre sowieso auf die Zahlen gekommen. Ich wollte Sie nur zunächst bitten, daß Sie Herrn Strauß über diesen Irrtum bezüglich der Vervierfachung und Verdoppelung aufklären.
Bei der Rezeptgebühr geht es um eine Erhöhung von 1 DM auf 1,33 DM. Da sich 4 DM auf drei Verordnungen beziehen, macht das für eine Verordnung 1,33 DM.
({0})
- Nein, er hat es deutlich so gesagt. Dann muß er
sich deutlicher ausdrücken, der verehrte bayerische
3014 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 52. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17: September 1981
Ministerpräsident, wenn er über Dinge spricht, von denen er nichts versteht.
({1})
Er hat es jedenfalls so gesagt.
Und die Verdoppelung beim Zahnersatz findet eben auch nicht statt. Es ist eine Erhöhung von 20 % auf 21,6 %. Ich will das hier zu so später Stunde nicht in allen Einzelheiten darlegen. Sie wissen es, und ich bitte Sie, das an den bayerischen Ministerpräsidenten weiterzugeben.
Was dort getan wird, ist, das, was wir bisher an Stärkung des Kostenbewußtseins hatten, an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Aber der viel wichtigere Teil, der auch dort greift, wo es am notwendigsten ist, nämlich dort, wo die Kostensteigerungen in der Vergangenheit am höchsten waren, bezieht sich auf die Anbieterseite der Gesundheitsleistungen.
Wir werden die Kosten für Zahnersatz mit Ablauf der jetzt geltenden Verträge für dann zwölf Monate um 5 % senken und die Vertragsparteien verpflichten, von diesem niedrigeren Niveau aus in zwölf Monaten neu zu verhandeln und neue Verträge abzuschließen. Und wir werden die so enorm gestiegenen Preise für Heil- und Hilfsmittel für die Jahre 1982 und 1983 auf dem jetzigen Stand einfrieren.
({2})
Die zwei größten Bereiche, Ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen, haben sich gemeinsam verpflichtet, die jetzt geltenden Verträge, die eine Laufzeit längstens bis zum 30. Juni 1982 haben, ohne Tariferhöhung mindestens bis Ende 1982 zu verlängern und gleichzeitig für eine strikte Mengenbegrenzung zu sorgen.
({3})
Ich will gern - ich hoffe, daß bei den Verbänden der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens die Protokolle des Deutschen Bundestages nachgelesen werden - hier ganz deutlich sagen: Ich halte eine Verlängerung zu jetzigen Tarifen mindestens bis Mitte 1983 für zumutbar, bei strikter Mengenbegrenzung,
({4})
und ich bin den Regierungsfraktionen sehr dankbar, daß sie sich beide bereit erklärt haben, dieses Thema, falls es nicht umgehend zur Konkretisierung dieser Zusagen kommt, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wiederaufzunehmen.
({5})
Ich baue hier auf die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Aber die Selbstverwaltung muß auch handeln. Es darf nicht bei Versprechungen bleiben, sondern es muß, noch während das Gesetzgebungsverfahren läuft, diese Zusage in Form von Verträgen konkretisiert werden.
({6})
Der letzte Punkt: Wir haben gleichzeitig - auch da habe ich mich bei beiden Regierungsfraktionen zu bedanken - noch ein paar Punkte in das schon in der Beratung befindliche Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz nachgeschoben, um das, was wir von Ärzten, Zahnärzten, der pharmazeutischen Industrie, Heilmittelanbietern und anderen erwarten, auch im Krankenhaus zu realisieren. Und ich bitte Sie, wenn Sie ernsthaft an Kostendämpfung interessiert sind, sehr herzlich, Ihren Kollegen im Bundesrat beizubringen, diesmal das Kostendämpfungsgesetz für das Krankenhaus auch den Bundesrat passieren zu lassen. Nur dann wird es zur Kostendämpfung kommen.
({7})
Eine letzte Bemerkung, als Nachtrag, an den Kollegen Müller: Sie haben vor dem Hintergrund der Beitragsverschiebung zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung für zwei Jahre Zweifel bezüglich der Stabilität der Rentenfinanzen und bezüglich der Möglichkeiten der 84er Reform angemeldet. Ich gebe Ihnen zu, das ist für die Sozialpolitiker und erst recht für die Rentenversicherungsträger, die natürlich viel lieber Rücklagen haben, als an der Liquiditätsgrenze entlangzuschrammen, schmerzlich, aber es ist vertretbar. Es wird in den zwei Jahren knapp werden, aber es wird für die Reform 1984 reichen. Da kann man weder ein noch zwei Jahre lang das Aufkommen eines halben Beitragspunktes ansparen. Bei einem Umsatz der Rentenversicherungsträger von rund 150 Milliarden DM jährlich kann man wohl einen halben Beitragspunkt, der in zwei Jahren 3,2 Milliarden DM bringt, nicht als einen Fundus ansehen, auf dem sich eine Reform aufbauen ließe. Die Reform muß so gemacht werden, und sie kann vernünftig so gemacht werden, daß mit dem ab 1. Januar 1984 wieder geltenden Beitragssatz von 18,5 % die neuen Leistungen erbringbar sind. So wird diese Reform geschneidert, und so ist sie durchführbar. Sie wird den Interessen der Versicherten und der Beitragszahler gleicherweise entgegenkommen.
Auf Grund unserer Ansätze in Verbindung mit der Abschaffung der Geringfügigkeit, der schärferen Kontrolle der Leiharbeit und des Verbots der Leiharbeit im Baugewerbe, wo sie nicht kontrollierbar ist, werden wir - aber das ist nicht der Hauptzweck - bei den Rentenversicherungsträgern zusätzliche Einnahmen zu erwarten haben. Der Hauptzweck ist aber das Abstellen des Mißbrauchs. Gerade bei der Geringfügigkeitsgrenze sind Hunderttausende von Frauen stets unterhalb des Versicherungsschutzes gehalten worden, oft mit zwei oder drei Namen - bei McDonalds und anderen Firmen - geführt, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen und die Frauen außerhalb des Schutzes zu halten.
Zu Ihrer Bemerkung, Herr Kollege Müller, daß dadurch nichts hereinkomme, möchte ich gerne aus einer Pressemeldung des Verbandes der Gebäudereiniger zitieren, der diese Regelung ausdrücklich bejaht, weil er in der bisherigen Praxis, daß fast 80% der Beschäftigten bewußt unterhalb der Pflichtgrenze beschäftigt wurden, einen groben Wettbewerbsverstoß gegen die anständigen Firmen in diesem Gewerbe sieht. Der Verband selbst beziffert die Kosten, die allein auf der Arbeitgeberseite entsteBundesminister Dr. Ehrenberg
hen - Renten- und Krankenversicherung zusammengerechnet - auf 380 Millionen DM. Wenn Sie diese Zahlen allein für das Gebäudereinigerhandwerk nehmen, werden Sie mir zugeben, daß unsere Annahmen auf sehr vorsichtigen Schätzungen beruhen und daß wir keineswegs leichtfertig vorgegangen sind.
Ich darf mich bei den Kollegen der Regierungsfraktionen bedanken, daß sie sich der dringlichen Aufgaben dieses Jahres so schnell angenommen haben, und hoffe auf schnelle und zügige Beratungen dieser Vorlagen in den zuständigen Ausschüssen. - Herzlichen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, zu einem neuen Komplex hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Lammert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß wir am Ende eines so langen Plenartages. noch Gelegenheit haben, über das Stahlproblem und seine Auswirkungen auch auf diesen Bundeshaushalt und die folgenden Haushalte zu reden. Dies ist ein Problem, dessen Dringlichkeit möglicherweise im umgekehrten Verhältnis zur Präsenz des Plenums zu diesem Zeitpunkt steht.
Dies ist bereits das siebente Jahr der Stahlkrise in der Europäischen Gemeinschaft. Die gravierenden Strukturprobleme sind nach wie vor ungelöst. Die Chance für eine vertretbare Lösung in diesem Bereich wird mit jedem Monat geringer, um den die zuständigen Regierungen diese Probleme vor sich herschieben.
Unbestrittene Ursache sind die erheblichen Überkapazitäten im Bereich der europäischen Stahlindustrie, die durch massive und rechtswidrige, vertragswidrige Subventionen in fast allen Nachbarländern künstlich aufrechterhalten werden. Damit wird den deutschen Unternehmen seit Jahren ein fairer Wettbewerb verweigert und die aussichtslose Konkurrenz mit den Staatskassen der Nachbarländer zugemutet. Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung der j a keineswegs unbeträchtlichen Anpassungslasten der deutschen Stahlindustrie und ihres im ganzen unbestrittenen technologischen Standards eine unerträgliche Entwicklung mit verheerenden Folgen für die Investitionskraft der deutschen Unternehmen und vor allen Dingen für die Beschäftigungssituation in den betroffenen Regionen, die im übrigen weit über den engeren Bereich der Stahlindustie hinaus zusätzliche Bereiche in Mitleidenschaft zieht.
Wer immer in der Versuchung sein könnte; die Probleme der Stahlindustrie eher gering zu veranschlagen, sollte nicht verkennen, daß gerade wegen des hohen Anteils von Vorleistungen anderer Sektoren bei der Stahlproduktion mit der Tätigkeit in diesem Bereich in nicht unerheblichem Maße auch Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen gleichzeitig mit gesichert, jedenfalls aber mit betroffen werden.
({0})
- Nicht nur, aber insbesondere etwa im Bergbau.
Allein seit 1974 hat sich die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der deutschen Stahlindustrie um ungefähr 60 000 verringert. Die meisten davon waren allemal leistungsfähiger und konkurrenzfähiger als diejenigen, die zum gleichen Zeitpunkt von den Nachbarregierungen massiv politisch gestützt und aufrechterhalten worden sind.
Dies, meine Damen und Herren, ist exakt der Punkt, bei dem deutsche Arbeitnehmer weder verstehen noch verstehen können, warum sie mit ihren Steuern Nettozahlungen der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Gemeinschaft finanzieren sollen, die im Ergebnis eine Lastenverteilung bewirken, mit der ihre eigenen Arbeitsplätze durch Leistungen anderer Regierungen gefährdet werden. Genau diese Situation auch in Zukunft weiter hinzunehmen sind wir nicht bereit.
Es geht aber überhaupt nicht um die sicher populäre und vor allen Dingen bequeme Vertretung nationaler Interessen ohne Berücksichtigung der europäischen Problemlage. Aber es kann doch nicht ernsthaft im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie liegen, wenn am Ende eines ruinösen Subventionswettlaufs, der mit fairem Wettbewerb ungefähr soviel Ähnlichkeiten hat wie eine öffentliche Schlägerei mit einem geordneten Boxsportturnier, genau diejenigen Stahlunternehmen übrig bleiben, in denen schon Asterix und Obelix Stahl gekocht haben. Damit würden wir mit Sicherheit die Wettbewerbssituation der 90er Jahre und danach im Bereich der europäischen Wirtschaft nicht durchstehen können.
Die Bundesregierung hat die Probleme jahrelang unterschätzt, jedenfalls aber nur zögerlich und mit unzulänglichen Mitteln angepackt. Dies gilt übrigens auch für manche Unternehmen; das will ich an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen. Ganze Serien ergebnisloser Tagungen des europäischen Ministerrats haben als Rechtfertigung für die Vertagung eigener, längst fälliger Entscheidungen dienen müssen. Auch die letzte Sitzung des europäischen Ministerrats vor der Sommerpause hat, wie wir alle wissen, im Ergebnis keine wesentlichen Erleichterungen gebracht. Es ist insbesondere die Fortsetzung der Subventionen sanktioniert und bis 1985 fortgeschrieben worden. Was vielleicht noch wichtiger werden könnte: Änderungen des, wie es heißt, verschärften Subventionskodex' können in Zukunft unter ganz bestimmten Voraussetzungen auch mit Mehrheit und damit gegen den Widerstand der Bundesregierung durchgeführt werden.
Ob diese Beschlüsse und die daraufhin verkündeten Maßnahmen der Bundesregierung vom 30. Juli dieses Jahres zur Verbesserung der Lage der deutschen Stahlindustrie ausreichen, muß bezweifelt werden. Für manche Unternehmen und für Tau3016
sende von Arbeitsplätzen kommen sie offenkundig bereits zu spät.
({1})
Im übrigen wird nur derjenige die Beschlüsse des Ministerrats als Beendigung des europäischen Subventionswettlaufs feiern können, der die tatsächliche Problemlage nur vom Hörensagen kennt. Das Problem für die deutschen Unternehmen ist doch überhaupt nicht, wie sie das Jahr 1985 erreichen, sondern ihr Problem ist, ob und wie sie das Jahr 1981 überstehen sollen. Es gehören, meine Damen und Herren, weder Mut noch Phantasie zu der Prognose, daß sich das Gesicht der deutschen Stahllandschaft schon in wenigen Monaten fast bis zur Unkenntlichkeit verändert haben wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie sagen, das Problem sei, wie die deutsche Stahlindustrie das Jahr 1981 überlebt: Werden Sie jetzt einen konkreten, klaren, brauchbaren Vorschlag machen, wie Sie sich das Überleben vorstellen?
Herr Kollege, wir haben uns allesamt auf Grund einer Vielzahl von Vorschlägen und Anfragen an die Bundesregierung mit dem Problem seit Monaten auseinandergesetzt. Ich will gar nicht auf die berühmte Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition abheben, aber ich kann das mindestens für den Zeitraum beurteilen, in dem ich die Freude habe, hier mitarbeiten zu dürfen. Wir haben immer wieder nachgefragt, ob und wann die Bundesregierung nun endlich Schlußfolgerungen daraus zu ziehen gedenke, daß die Vertröstung auf anstehende Entscheidungen auf europäischer Ebene nicht zu den gewünschten und notwendigen Ergebnissen führe.
Wegen genau dieser Situation haben wir die Konsequenz mit der Einbringung eines eigenen Antrages gezogen, und zwar mit dem Ziel, die Initiative zu ergreifen, die Bundesregierung zu genauen Festlegungen zu zwingen, zu denen sie bis zu diesem Zeitpunkt offenkundig nicht bereit und in der Lage war.
({0})
Wir sind nicht länger bereit, diesen Zustand hinzunehmen, der ja im übrigen nach übereinstimmender Auffassung schon viel zu lange mit verheerenden Folgen andauert. Unserer Aufforderung - das steht in unserem Antrag, übrigens in Übereinstimmung mit einem Votum des Europäischen Parlaments -, die Fortsetzung des rechtswidrigen Subventionswettlaufs unverzüglich zu stoppen und bei fortgesetzten Verstößen gegen die Bestimmungen des Montanvertrages die darin vorgesehenen Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zu den Beschlüssen des europäischen Ministerrates ganz sicher nicht nachgekommen.
Wir begrüßen selbstverständlich, daß die Bundesregierung - übereinstimmend mit unserem Antrag - ein kostendeckendes Stahlpreisniveau anstreben will, das alleine die Voraussetzung für eine Umstrukturierung aus eigener Kraft ermöglichen würde.
({1})
- Ich sage dazu an dieser Stelle gerne, daß mir beispielsweise nicht plausibel geworden ist, warum die für den 1. Oktober 1981 vereinbarte und verkündete Anhebung des Preisniveaus verschoben worden ist. Dafür habe ich eine überzeugende Begründung nicht gehört.
Ich nutze die Gelegenheit auch gerne, darauf hinzuweisen, daß der Eindruck wohl nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß im Augenblick einzelne Stahlunternehmen in sehr egoistischer Weise ihr betriebswirtschaftliches Süppchen kochen, während sie die Politiker öffentlich zur Lösung der grundsätzlichen Probleme des Stahlmarktes auffordern. Auch wenn das nur auf geteilte Freude stößt, will ich mir diese eher zurückhaltende Bemerkung von der Seele reden: Die Vorführung mancher Stahlunternehmer und Stahlmanager in den vergangenen Monaten hat durchaus nicht immer Anlaß zur Faszination gegeben.
({2})
Gleichwohl gilt, daß die Bewältigung des Strukturwandels in erster Linie Aufgabe der betroffenen Unternehmen ist.
Meine Fraktion erwartet, daß die deutsche Politik endlich verläßliche Rahmenbedingungen für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb im Bereich der europäischen Stahlindustrie setzt, damit sowohl die betroffenen Unternehmen wie die Gewerkschaften wie auch Land und Bund für ihre Entscheidungen wieder die notwendigen Orientierungsdaten finden. Jedenfalls kann man eines nicht tun: Man kann Unternehmen und Tausenden von Arbeitnehmern nicht jahrelang faire Wettbewerbsbedingungen verweigern - jedenfalls sie nicht herstellen können -, um dann am Ende eines europäischen Fingerhakelns der öffentlichen Hände die betroffenen deutschen Unternehmen mit zerquetschtem Daumen auf die Selbstheilungskräfte eines nicht vorhandenen Marktes zu verweisen.
({3})
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt - auch das haben wir im Antrag eindeutig formuliert - eine generelle Herauslösung der deutschen Stahlwerke aus dem heutigen Konzernverbund in der Bundesrepublik Deutschland ab. Eine Großfusion etwa zu einer Deutschen Stahl AG, möglicherweise nach dem Muster der Ruhrkohle AG, würde die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, so gut wie nicht lösen.
({4})
Der notwendige Abbau der Überkapazitäten - Sie sagen es - in der europäischen Stahlindustrie ist nicht durch verzweifelte Manipulationen an Rechts-und Eigentumsverhältnissen der deutschen Stahlunternehmen zu beseitigen, die in ihrer LeistungsfäDr. Lammert
higkeit, wären sie in staatlicher Regie, eher gefährdet als gefördert würden, wie gerade die Erfahrungen der Nachbarländer zeigen.
Wir begrüßen es deshalb, daß sich die Bundesregierung einen solchen Vorschlag ausdrücklich nicht zu eigen gemacht hat. Die IG Metall übrigens auch nicht. Ich nehme es als Zeichen der Einsicht und der tätigen Reue, daß SPD-Unterbezirke solche Beschlüsse auf Unterbezirksversammlungen zwar in spektakulärer Weise herbeigeführt haben, sie aber der Bundesregierung als Vorschlag vorzulegen sich nicht einmal ernsthaft getraut haben.
({5})
- Ich habe meinen Wahlkreis zufällig in der Gegend eines solchen Unterbezirkes.
({6})
- Das ist völlig zutreffend, ändert aber doch nichts an der Unsinnigkeit dieses Vorschlages. Ich habe doch im übrigen ausdrücklich meiner Freude Ausdruck gegeben, daß die Einsicht in Ihren Kreisen inzwischen soweit gediehen ist, daß man diesen Vorschlag der Bundesregierung nicht einmal mehr vorgelegt hat.
({7})
Da die rote Lampe hier leuchtet und ich eine lange Debatte hier nicht unnötig verlängern will, kann ich zum Stahlprogramm der Bundesregierung nicht im einzelnen Stellung nehmen. Wir haben unsere kritischen Anmerkungen zum Zeitpunkt und zu den Maßnahmen dieses Programms bereits in der vorletzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses dokumentiert. Wie groß die Zweifel daran sind, ob diese Maßnahmen reichen könnten, belegt nicht zuletzt die Formulierung des Betriebsratsvorsitzenden der Hoesch-Werke in Dortmund, der dazu gerade dieser Tage gesagt hat, dies reiche höchstens, um einen Ofen damit zu heizen.
({8})
Meine Damen und Herren, auf dem Hintergrund des bereits entstandenen Flurschadens kann als sicher gelten, daß die verspäteten Vorschläge der Bundesregierung zur Lösung der Stahlkrise ein Haushaltsrisiko von unbekannter Größe für das nächste Jahr und für die folgenden Jahre darstellen. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert diese Lage lebhaft. Mit unserem Antrag haben wir ein Signal setzen und einen konstruktiven Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten wollen. - Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Leute, die eine Minute, bevor der Zug abfährt, auf ihn aufspringen, nennt man Trittbrettfahrer. Die Union ist auf diesem Gebiet und bei dem Thema, über das hier zu reden ist, wirklich als ein sich in hervorragender Verfassung befindlicher Trittbrettfahrer zu bezeichnen. Am Ende des siebten Jahres und drei Tage vor der Sommerpause wird dann noch schnell ein Antrag zusammengeschustert, um auf diese Art und Weise erstens Daseinsberechtigung zu demonstrieren und zweitens ein Alibi zu haben. Da kann ich nur sagen: tiefer hängen, vor allen Dingen nicht die Krokodilstränen vergießen, wie Sie es hier demonstrieren wollten. Denn Ihre akademische Betrachtungsweise zeugt von Praxisferne, von allergrößter Praxisferne.
Dieser Antrag zeichnet sich durch Allgemeinplätze, von Koalition und Regierung schon aufgenommene Vorschläge
({0})
- j a, natürlich - und durch reichlich gefährliche Ideen aus. Als Sie Ende Juni Ihre Überlegungen aufschrieben, war alles das, was dann im August beschlossen worden ist, klar. Das wissen Sie so gut wie ich;
({1})
das ist ja auch nachlesbar.
Es ist ein Allgemeinplatz, von dem nicht fairen Wettbewerb in Europa zu sprechen;
({2})
da brauchen wir uns gar nicht zu streiten. Aber wer als Sprecher der Union dies so kennzeichnet und solche nationalistischen Töne anschlägt, von dem müßte man erwarten, daß er z. B. auch im Zusammenhang mit der Agrarwirtschaft hier eine solche Rede gegen europäische Regelungen halten würde. Das müßte er tun, wenn er glaubwürdig sein will.
Wir wissen das gut, daß das kein fairer Wettbewerb war. Die Bundesregierung hat sich nach Kräften eingesetzt, um eine angemessene Regelung zu erreichen. Da stand dann schließlich im Frühjahr dieses Jahres zur Debatte, ob man, da man ja nicht die GSG 9 nach Brüssel schicken kann, noch länger verhandeln oder zu Bedingungen abschließen sollte, die einem angemessen oder optimal erschienen. Wie auch immer man das wendet, sie schienen optimal zu sein, jedenfalls vernünftiger, als noch einmal ein halbes oder ein ganzes Jahr ins Land gehen zu lassen. Jetzt kommt es darauf an, diesen Kodex zu nutzen und unzulässige Subventionen zu verhindern.
Bundesregierung und Koalition - das ist das Überflüssige an diesem Antrag - brauchen nicht aufgefordert zu werden. Sie haben entschieden, daß sich weder die Modernisierung noch die Beschäftigten noch die Stahlstandorte selbst überlassen bleiben. In Ihrem Antrag steht - da kann ich wirklich nahtlos anschließen -, die Stahlregionen seien un3018
ter Nutzung der Selbstheilungskräfte des Marktes und aus eigener Kraft
({3})
- doch, es steht wörtlich drin: aus eigener Kraft - in der Lage, die Umstrukturierung, die Restrukturierung der Region herbeizuführen. Wer so formuliert, begibt sich auf ein verdammt gefährliches Gelände. Denn Umstrukturieren in Stahlrevieren aus eigener Kraft ist doch verdammt Ideologie, Marktideologie, von der Sie einfach nicht lassen können. Wie ernst es bei Ihnen mit der Hilfe für die Stahlindustrie gemeint ist, hat sich aus einem Vorschlag einer ganzen Reihe prominenter christlichdemokratischer Landes- und Bundespolitiker, ergeben, die in NordrheinWestfalen zu Hause sind. Sie haben allen Ernstes empfohlen, wie weiland beim Bergbau nach CDU- Manier die Stahlkrise mit Stillegungsprämien zu beheben, um auf diese Art und Weise ohne Rücksicht auf die Beschäftigten und auch auf die Zukunft der Stahlindustrie einfach den Eigentümern Geld in den Rachen zu schmeißen, um auf diese Art und Weise Kapazitäten zu reduzieren. Das ist Ihre Sorge um eine gesunde Stahlindustrie.
({4})
Die von Ihnen beschworenen Kräfte des Marktes haben die allerunrühmlichste Rolle in diesem Schauspiel und in diesem Prozeß gespielt. Denn die von Ihnen beschworenen Kräfte des Marktes sind doch wohl in erster Linie die Unternehmen und ihr Zusammenschluß, nämlich die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Da müssen Sie doch nun wirklich einräumen, daß das, was Sie beschwören, die Kräfte des Marktes, an dieser Stelle in diesem Prozeß eine so miese Rolle wie nur irgend denkbar gespielt haben,
({5})
jedenfalls eine viel miesere als alle Gewerkschaften, als alle staatlichen Institutionen, auch eine viel miesere als die Europäische Gemeinschaft und die Kommission. Denn diese Kräfte des Marktes, auf die Sie so sehr setzen, haben seit drei, vier Jahren - Sie sagen: sieben Jahren; ich will gar nicht darüber streiten - verhindert, daß eine vernünftige Grundlage für eine geordnete Anpassung der deutschen und indirekt auch der europäischen Stahlindustrie ermöglicht werden konnte. Aus purem Egoismus, aus Schielen nach dem Nachbarn, den man möglicherweise beerben könnte,
({6})
ist es unterblieben, im Zusammenwirken mit der Politik ausreichende Grundlage zu schaffen,
({7})
und da beschwören Sie immer noch die Kräfte des Marktes. - Ausgerechnet Sie, Herr Reddemann, beklagen nun nachträglich, daß der Staat nicht ausreichend stark in die Wirtschaft eingegriffen hat! Das wäre j a nun wirklich eine tolle Überraschung, wenn Sie ernsthaft zu denen gehören wollten, die die politische Verantwortung des Staates für die Entwicklung der Wirtschaft hochhängen würden. Die hängen Sie ganz niedrig. Nur aus Alibigründen reden Sie doch heute so.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Herrn Abgeordneten Gerstein?
Ja, mein lieber Herr Gerstein.
Herr Kollege Reuschenbach, würden Sie mir beipflichten, daß die Wurzel des Übels, das die deutsche Stahlindustrie betroffen hat, gerade darin liegt, daß im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft durch den Subventionsmechanismus anderer Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft die Marktkräfte entscheidend außer Kraft gesetzt worden sind, daß hierin das Problem liegt und daß auch die Lösung des Problems an dieser Stelle zu suchen ist?
Aber selbstverständlich gebe ich Ihnen das zu, mein lieber Herr Gerstein. An dem, was Sie beklagen, sind konservative, liberale, auch sozialistische Regierungen in anderen Ländern Europas beteiligt. Das bestreite ich nicht. Aber ich bestreite Ihnen allen das Recht, so zu tun, als ob Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundestages in der Lage wären, mit GSG 9 oder wie auch immer diese Praxis in anderen europäischen Ländern zu beseitigen. Ich empfinde es wirklich als schiere Heuchelei und auch unzulässig, mit einem solchen Antrag und mit einer solchen Art von Debattenbeitrag so zu tun, als sei die Bundesregierung in der Lage, die Praxis anderer Regierungen Europas einfach ungeschehen zu machen.
({0})
Dies ist nicht anständig. Dies ist unanständig.
({1})
- Natürlich! Das muß man Ihnen gelegentlich sagen. Sonst begreifen Sie es nie.
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- Das Haus? Das Haus besteht aus mehr als aus Ihnen, Herr Reddemann. Gott sei Dank besteht das Haus aus mehr als aus Ihnen. Sonst wäre das ein armes Haus.
({3})
Darüber hinaus darf man hier zu diesem Thema sagen, daß auch und besonders ein Sozialdemokrat festzustellen hat, daß der Staat in einer Wirtschaft und in einer Gesellschaft nicht alles verordnen darf. Er kann sich nicht an die Stelle von Unternehmensleitungen setzen wollen oder an deren Stelle ihre Entscheidungen treffen. Und bevor Maßnahmen als Hilfe zur Selbsthilfe festgelegt werden, muß man wissen, wie die Zukunftsplanungen der Branche aussehen.
Daß die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit ihrer Blockadepolitik schwerste ökonomische und soziale
Schuld auf sich geladen hat, ist offensichtlich und ist gesagt worden. Auch jetzt nach den entsprechenden Beschlüssen der Bundesregierung weiß sie nichts als Kritik zu äußern, aber keine Perspektive.
Vor diesem Hintergrund ist die Lage so, daß heute einzelne Unternehmenskonzepte und deren Zusammenhänge in Fragen der Kooperation miteinander zu prüfen sind, um auf dieser Basis Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und zu gewährleisten.
In diesem Zusammenhang muß ich sagen, auch Ihre bewegte Klage, verbunden und bestückt mit Krokodilstränen, hat nicht erkennen lassen, daß Sie die Beschlüsse, die die Bundesregierung in der Sommerpause getroffen hat, was deren richtige Richtung angeht, konterkarieren wollen, indem Sie etwa sagen, das müsse eine ganz andere Richtung sein. Davon nehme ich Ihren letzten Satz aus - den habe ich mir sehr gut angehört -, in dem Sie sagten, das kann alles so ganz schlimm teuer werden, und eigentlich dürfen wir das gar nicht bezahlen. Was stimmt denn nun? Stimmt Ihre Entschlossenheit und Ihre angebliche Bereitschaft zu helfen, oder stimmt Ihre Sorge, daß das Geld kosten könnte? Beides zusammen geht nicht, so wie bei Ihnen oft beides zusammen nicht geht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Bitte sehr.
Würden Sie - ganz abgesehen davon, daß Sie sich den Schlußsatz offensichtlich nicht annähernd so genau gemerkt haben, wie Sie das gerade vorgeben ({0})
die Freundlichkeit haben, bei dieser Gelegenheit zu erklären, ob Sie im Hinblick auf die Haushaltsrisiken, von denen ich gesprochen habe, den Eindruck haben, daß die gegenwärtig vorgesehene Dotierung des Stahlprogramms der Bundesregierung in genau diesem Volumen ausreicht, einen auch nur annähernd spürbaren Beitrag zur Lösung der Probleme und der Investitionsvorhaben der Stahlindustrie zu leisten, über die wir heute abend gemeinsam reden?
Es ist jedenfalls ein Beitrag, der längst bestand, bevor Sie sich erkennbar darüber Gedanken gemacht haben - ich meine nicht Sie persönlich; ich kenne Sie gar nicht so gut ({0})
- na ja, ich merke das; da muß er sich aber noch ein bißchen anstrengen -, ein Beitrag, der in die richtige Richtung zielt.
({1})
- Ich finde gut, daß Sie dem schon einmal zustimmen. Was die richtige Richtung betrifft, sind wir also d'accord.
Ob das, was das Volumen angeht, ein ausreichender Beitrag ist, das wird sich im Laufe der nächsten Monate und Jahre erweisen.
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Ich stehe überhaupt nicht an, zu sagen, daß meine Fraktion und ich durchaus darauf drängen werden, daß das, was in die richtige Richtung geht, auch in dem notwendigen, ausreichenden Volumen zu passieren hat.
({3})
Aber wir sind nicht der Meinung, daß man alles von heute bis in die Zukunft vorhersehen kann, sondern daß wir unsere Politik und unsere Methoden an der tatsächlichen Entwicklung und Praxis orientiert zu gestalten haben. Wir sind gar nicht ideologisch so festgelegt, wie Sie das oft meinen.
Ich finde, daß die Hilfen zur Modernisierung und Umstrukturierung und die soziale Flankierung als ein ganz wichtiges Instrument genau in die richtige Richtung gehen. Wir ermuntern und drängen die Bundesregierung, auf die Kommission einzuwirken, daß die Entscheidungen und Beschlüsse über die Anwendung von Art. 56 bald getroffen werden und daß sie nicht etwa im Dickicht der Bürokratie hängenbleiben.
Die Investitionszuschüsse für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in betroffenen Stahlregionen gehen genau und gleichermaßen in die gleiche Richtung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Kollege Reuschenbach, ist es nicht so, daß wir gerade durch die Vorschläge der Koalitionsfraktionen und durch das Handeln der Bundesregierung eine stahltypische soziale Flankierung bereits 1979 einführen wollten und jetzt rückwirkend ab 1. Juli 1981 sehr schnell einzuführen gedenken, um überhaupt die Voraussetzungen zu schaffen, die Sozialpläne für die betroffenen Arbeitnehmer so auszustatten, daß ältere Arbeitnehmer auch reibungslos aus den Betrieben gehen können, und die Bundesregierung dazu eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stellt?
Ich kann das nur bestätigen. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als dieser Antrag überhaupt nicht vorlag und als einige öffentlich mehr an die Einkommen und Anteile der Anteilseigner als an die Beschäftigten dachten.
Wir sind bereit und entschlossen, in den Beratungen eine Reihe von Fragen zu klären: erstens, ob die Investitionszulagen ausreichend sind, zweitens, ob und in welchem Umfan g Beiträge der Bundesländer erforderlich sind, um das Programm ausreichend zu bestücken. Wir glauben auch, daß die Frist für Investitionshilfen für Arbeitsplätze außerhalb der
Stahlindustrie länger sein sollte, als sie in den jetzigen Vorschlägen enthalten ist. Wir werden uns auch sehr sorgfältig die Obergrenzen der zulässigen Hilfen ansehen.
Wir gehen auch davon aus, daß es sein könnte, daß Unternehmen in Situationen geraten, die weit darüber hinaus gehende Stützungen und Flankierungen erforderlich machen. Das hängt natürlich davon ab, welche Preise erreicht werden können. Die Wirtschaftsvereinigung hat hier wieder einen beträchtlichen Sündenfall auf sich genommen. Ihre „Kräfte des Marktes" haben wieder einmal dafür gesorgt, daß die Preisstabilisierung zunächst einmal wieder um einen Monat vertagt worden ist.
Jedenfalls - und das ist seit Monaten unser Ziel; wir sind dem Ziel beträchtliche Stücke näher gekommen -: Wenn in einer Stadt Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen, können die betroffenen Menschen und ihre Arbeitsplätze nicht einfach im Regen stehenbleiben. Wir verlangen ausdrücklich, daß Bürokratien, die ja nun in Bewegung gesetzt werden, nichts unterlassen, um ohne Verzögerung die notwendigen und möglichen Entscheidungen zu treffen. Weder hier noch an anderer Stelle braucht irgend jemand den Eindruck zu erwecken, als ob er unsere Sorge um die Zukunft der Stahlindustrie, der Belegschaften, der Arbeitsplätze und der Stahlstandorte übertreffen könnte. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bitte von vornherein um Entschuldigung, daß ich Ihre arg strapazierte Zeit jetzt noch in Anspruch nehmen muß. Aber ich möchte Ihnen in kurzen Worten noch die Position der Freien Demokraten zu dem Antrag der CDU/CSU-Opposition darlegen.
Wir befinden uns, wie hier ausreichend dargelegt, in einer tiefgreifenden Krise der deutschen Stahlindustrie, und das angesichts weltweit schwieriger gewordener Rahmenbedingungen, knapper öffentlicher Kassen und eines ebenfalls sehr schwierigen binnenwirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesses. Mit Sorge fragen wir uns, ob es ausgeschlossen ist, daß deutsche Stahlunternehmen am Ende dieses Jahres vielleicht den Verlust der Hälfte ihres Eigenkapitals melden müssen. Es ist für jeden ordnungspolitisch Denkenden außerordentlich schmerzhaft, daß er sich angesichts der krisenhaften Lage des deutschen Stahls und der damit drohenden Gefährdung von Arbeitsplätzen an den Stahlstandorten und wegen des dadurch durchgreifenden negativen Effekts auf die Wirtschafts- und Sozialstrukturen ganzer Landstriche mit der Tatsache anfreunden muß, daß jetzt der Staat aufgerufen ist, unternehmerische Entscheidungen zu stützen.
Die deutsche Politik hat in den vergangenen Jahren einen zähen Kampf in Brüssel gegen die Subventionierung in den Stahlindustrien unserer Nachbarländer geführt. Wir danken der Bundesregierung hierfür sehr herzlich. Wir wissen, daß nicht alles hat erreicht werden können, was wir uns gewünscht haben. Aber die Verhältnisse in Europa - das wissen Sie alle -, die sind halt nicht so.
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Deswegen gehen auch diesbezügliche Bemerkungen im Antrag der Opposition an der Sache vorbei.
Meine Damen und Herren, es ist ja für jeden Außenstehenden klar zu erkennen, daß es Nachbarländer gibt, die ohne Aufgabe eigener essentieller Interessen von einer staatlichen Subventionierung ihrer Stahlregionen nicht absehen können. Es ist auch ein Teil europäischer Gemeinsamkeit, zur Kenntnis zu nehmen, daß tatsächlich notwendige Maßnahmen im belgischen Stahlrevier den Nationalitätenkonflikt dort auf unerträgliche Weise und vor allen Dingen auch nicht wünschenswerte Weise verschärfen würden. Wir müssen auch akzeptieren, daß unsere italienischen Partner die aus struktureller Sicht wichtigen Stahlinvestitionen im Mezzogiorno nicht zurücknehmen können. Diese Fälle sind nur beispielhaft genannt. Man könnte sie im übrigen quer über die Gemeinschaft fortsetzen.
Wenn wir aber die Europäische Gemeinschaft als Grundlage unserer gemeinsamen politischen Zukunft akzeptieren - und hierüber gibt es ja in diesem Hause wohl keinen Dissens -, müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß in einzelnen EG-Mitgliedstaaten die politische und soziale Stabilität Voraussetzung für das Zusammenwachsen des westlichen Teils unseres Erdteils ist. Ich füge hinzu: Eine endgültige Lösung der so schwierigen Stahlsituation in unserem Lande, aber auch in Europa kann nach unserem Dafürhalten letztlich auch nur eine europäische Lösung beim Stahl sein.
Das kann aber nicht bedeuten, daß wir dem Subventionswettlauf der europäischen Stahlindustrie tatenlos zusehen. Es wäre geradezu unerträglich, wenn auf Grund der Subventionstatbestände in den Nachbarländern die deutsche Stahlindustrie Arbeitsplätze in einem Ausmaß abbauen müßte, das zu tiefgreifenden Strukturveränderungen in den betroffenen Regionen führen würde. Hierdurch würden nämlich nicht nur wesentlich modernere Produktionsanlagen - im Vergleich zu den Nachbarländern - vernichtet, gleichzeitig würde auch der von mir eben schon angesprochene europäische Gedanke auf das schwerste beschädigt.
Keinem Arbeitnehmer der deutschen Stahlindustrie, der an einem modernen, eigentlich sehr wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz steht, ist zuzumuten, daß er wegen der verzerrten Wettbewerbslage im europäischen Stahlmarkt seinen im Grunde wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz verliert. Wir Deutschen leben nicht allein in Europa. Wir haben dies durch verschiedene Vertragssysteme akzeptiert, die in diesen Bereich greifen. Der Kohle- und Stahlbereich ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen.
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- Seit Jahrzehnten; Sie stimmen mir zu, Herr Kollege. - Niemand sollte verschweigen, daß wir diese
Bereiche nach dem verlorenen Krieg eingebracht haben in dem Willen, ein vereinigtes Europa zu schaffen. Hierzu stehen wir auch noch heute. Deswegen erwarten wir aber auch von den belgischen, französischen und italienischen Stahlarbeitern, daß sie Verständnis dafür haben, daß ihre Kollegen, die jahrelang für die europäische Idee mit eingestanden sind, nicht akzeptieren können, daß ihre Arbeitsplätze auf dem Altar Europas geopfert werden. Deswegen begrüßen wir das Stahlhilfeprogramm der Bundesregierung nachdrücklich, das zudem ja auch in seinem kumulativen Teil jedenfalls alle bisher bekannten Möglichkeiten in der Höhe überschreitet.
Ich stelle hier für die FDP ausdrücklich fest: Es handelt sich hier um eine Strukturhilfe, die nur aus der besonders schwierigen Situation der deutschen Stahlregionen zu begründen ist. Wir hoffen, daß durch dieses Programm die Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Stahlmarkt in etwa ausgeglichen werden können. Wir wissen aber auch, daß dies nur der erste Schritt zur Bewältigung der anstehenden Probleme sein kann. Wenn für den Zeitraum von 1982 bis 1985 Hilfen in Höhe von insgesamt 1,7 Milliarden DM eingeplant worden sind, dann ist das angesichts der europäischen Gemengelage, meine Damen und Herren, nur ein notwendiger Schritt, unsere Stahlindustrie wettbewerbsfähig zu halten. Wir begrüßen es daher, daß das Kabinett die eben schon zitierten besonderen Hilfen im Grundsatz beschlossen hat, weil sie dokumentieren, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen sich der besonderen Verantwortung für die Stahlregionen unseres Landes voll bewußt sind.
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Jedermann weiß aber auch, meine Damen und Herren, daß diese Maßnahmen zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gehen. Insofern sind natürlich auch die Unternehmen der deutschen Stahlindustrie gefragt, wieweit sie selbst gewillt sind, ihre besondere Verantwortung zu tragen. Bisher jedenfalls war es ein trauriges Beispiel zerstrittenen Unternehmertums, zu sehen, daß die deutsche Stahlindustrie nicht in der Lage war, mit einer Stimme auf die Herausforderungen des Auslandes zu antworten.
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Das Quotierungssystem von Eurofer I ist ja auch deswegen zusammengebrochen, weil wir unter dem Strich ein permanentes vertragswidriges Verhalten feststellen mußten. Ich hoffe nun sehr, daß angesichts der nun beschlossenen Quotierung nicht wieder das unterhöhlt wird, was nach monatelangen Verhandlungen beschlossen worden ist. Die EG- Kommission muß jetzt konsequent die Einhaltung der Vereinbarung kontrollieren und Verstöße unnachsichtig ahnden.
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Die deutsche Stahlindustrie weiß selbst - das ist ein neuer Komplex -, daß sie nur mit Preisanhebungen in eine erträgliche Liquiditätszone kommen wird. Die Verzögerung der Preisanhebung bis zum 1. November ist deshalb wirklich unzweckmäßig und völlig unverständlich. Erst wenn das Preisniveau des Weltstahlmarkts erreicht sein wird, kann sich die bedenkliche Liquiditätslage verbessern.
Mit der Unterstützung des Programms verbinden wir aber gleichzeitig die Forderung, daß es nicht mehr dahin kommen darf, daß miteinander konkurrierende Unternehmen mit Steuermitteln parallel zueinander neue Kapazitäten schaffen,
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die schon aus heutiger Sicht später nicht mehr wettbewerbsfähig sein würden und dann neue Subventionstatbestände schaffen würden.
Wenn wir das Stahlhilfeprogramm auch begrüßen, so bedeutet das für uns Freie Demokraten jedoch nicht, daß mit diesem Programm die Unternehmen der deutschen Stahlindustrie aus ihrer eigenen Verantwortung herausgenommen worden sind. Sie müssen in ihrem Bereich auch mit den Mitteln der Eigentümer die notwendigen Anpassungsmaßnahmen treffen.
Es ist für den Außenstehenden schon bisher recht schwer zu verstehen gewesen, daß es der deutschen Stahlindustrie bisher nicht gelungen ist, ihre Preise dem Weltniveau anzugleichen; dies hätte uns mancherlei Probleme erspart. Wir wünschten uns, wie ich eben schon gesagt habe, mehr Einigkeit in den deutschen Stahlunternehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Steuerzahler antreten soll, um die zukünftigen Investitionen zu finanzieren.
Wenn es die deutschen Stahlunternehmen - dieses Wort möchte ich hier nachdrücklich hinzufügen - nicht wünschen - ich bin nicht so sicher, ob es wirklich so ist -, daß sie unter einer Staats-Holding im Sinne einer deutschen Stahl-AG zusammengefaßt werden, müssen sie ihre Investitionen in den verschiedenen Bereichen aufeinander abstimmen und auch gemeinsam planen. Wir sind jedenfalls nicht gewillt, den Aufbau neuer Kapazitäten zu finanzieren, wenn diese wiederum an den Erfordernissen des Marktes vorbeigehen.
Mit dem Programm begeben wir uns natürlich - das verkennen wir gar nicht - in ordnungspolitisch schwieriges Fahrwasser. Wir unterstützen dieses Programm, weil wir uns der sozialpolitischen Verantwortung für die in der deutschen Stahlindustrie Beschäftigten bewußt sind und wissen, daß auch zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet wären, die nur mittelbar mit der Stahlindustrie zu tun haben.
In der letzten Zeit ist vielfach gefordert worden, die Stahlimporte mit der Quote ihrer Subventionierung zu belasten, um damit einen Ausgleich zu den Wettbewerbsmöglichkeiten des deutschen Stahls zu schaffen. Wir halten dieses Mittel für untauglich. Wir sehen ganz klar die Restriktionen, die sich aus solchen Maßnahmen bei unseren Partnerländern ergeben könnten. Wir haben überhaupt kein Interesse daran, daß Handelsschranken für unsere Produkte in anderen Ländern mit Berufung auf eine Grenzausgleichsabgabe errichtet würden.
Meine Damen und Herren, es ist also ganz klar - ich habe das eben schon angeführt -, daß wir eine
deutsche Stahl-AG sowohl aus ordnungspolitischen als auch aus verbraucherpolitischen Gründen ablehnen. Wir erwarten, daß die Unternehmen der deutschen Stahlindustrie und ihre Eigentümer alle möglichen Schritte unternehmen, um der Politik jetzt auch ihre unternehmerische Initiative zu zeigen.
Für die deutsche Stahlindustrie stellt sich heute die Frage, ob sie nicht ein Prüfstein - lassen Sie mich hiermit schließen - für das in unserer Republik praktizierte marktwirtschaftliche System ist. Diese Frage möchte ich angesichts der aktuellen Tatbestände verneinen. Der EGKS-Vertrag hat die Bereiche Kohle und Stahl, wie schon erwähnt, aus der marktwirtschaftlichen Ordnung herausgenommen. Wenn wir heute nach langen und ausführlichen Diskussionen und Überlegungen zu dem Bundeshilfeprogramm für den Stahl ja sagen, dann geschieht das nicht zuletzt unter Berücksichtigung des alten
Spruchs: Es kann der überzeugteste Ordnungspolitiker nicht in Frieden leben, wenn es dem subventionierenden Nachbarn nicht gefällt. - Ich bedanke mich.
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Jetzt liegen offensichtlich keine Wortmeldungen für den heutigen Tag mehr vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 18. September 1981, 9 Uhr ein. Wir fahren dann in der Beratung der Tagesordnungspunkte 2 bis 10 fort.
Die heutige Sitzung ist geschlossen.