Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige amtliche Mitteilungen zu machen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung ergänzt um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten ({0}) - Drucksachen 9/26, 9/429, 9/508 -. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 25. Mai 1981 ihren Antrag auf Drucksache 9/421, Punkt 4 der Tagesordnung, zurückgezogen.
Im interfraktionellen Einvernehmen wird vorgeschlagen, in der nächsten Sitzungswoche mit Rücksicht auf die für diese Woche vorgesehenen Haushaltsberatungen keine Fragestunden durchzuführen. Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß nach § 126 unserer Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Damit ist auch die erforderliche Mehrheit gegeben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China Platz genommen. Ich habe die Ehre, den Stellvertretenden Vorsitzenden und Generalsekretär des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, Herrn Yang Shangkun, und die Mitglieder der Delegation recht herzlich zu begrüßen.
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Es ist uns eine besondere Freude, zum erstenmal Parlamentarier der Volksrepublik China als offizielle Gäste des Deutschen Bundestages in unserem Lande und in diesem Hause willkommen heißen zu können. Ihr Besuch gibt uns Gelegenheit, in einem offenen Meinungsaustausch aktuelle Fragen der Politik zu diskutieren, Ihnen aber auch gleichzeitig für die Gastfreundschaft zu danken, die Sie Mitgliedern des Deutschen Bundestages bei ihrem Besuch in der Volksrepublik China gewährt haben. Ich hoffe, daß Ihre Begegnungen und Gespräche nützlich sind und
Ihnen die Bestätigung der guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China geben. Alles Gute!
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Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Baustopp, Stationierungsstopp und Abbau der SS-20
- Drucksache 9/291 Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung am 24. November des letzten Jahres hatte ich die Grundlinien der Außenpolitik dieser Bundesregierung aufgezeigt, eine Politik der verläßlichen Partnerschaft, eine für jedermann berechenbare Politik im Zeichen der Kontinuität. Ich möchte heute über die Entfaltung unserer Beziehungen mit einigen unserer wichtigsten Partner im Westen berichten, eine Entwicklung, die wir alle - das möchte ich vorwegnehmen - mit großer Befriedigung zur Kenntnis nehmen können und die das Vertrauen in unsere Freunde und unseren Mut in die Zukunft stärkt.
Ich habe mich in den letzten zwei Tagen mit zwei Staatsmännern getroffen, die seit kurzer Zeit an der Spitze zweier unserer wichtigsten Partnerstaaten stehen: mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der seit Januar amtiert, und mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand, der sein Amt am Donnerstag voriger Woche angetreten hat. Wenn ich auch beiden Herren schon früher begegnet war, so habe ich mich doch sehr über die Gelegenheit gefreut, mit ihnen in Washington und Paris in ihren neuen Funktionen ausführlich sprechen zu können. Beide Gastgeber haben für eine sehr freundschaftliche Atmosphäre bei den Besuchen gesorgt. Wir konnten den Grund für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit legen.
Vor diesen Besuchen in Washington und Paris habe ich mich am 11. und 12. Mai auf dem Landsitz des britischen Premierministers mit Frau Thatcher zu den deutsch-britischen Konsultationen getroffen. Wir haben die Gespräche in Chequers sehr freundschaftlich und offen geführt; vor allem in dem Bewußtsein, daß wir in Europa und in unserem Vorgehen in der Welt aufeinander angewiesen sind und bleiben.
Die deutsch-britische Übereinstimmung in weltpolitischen Fragen hat sich bestätigt. Zu Fragen der EG war das Treffen in Chequers nicht der Ort und nicht die Zeit für Absprachen. Jedoch haben wir die Erwartung ausgedrückt, daß die Brüsseler Kommission zeitgerecht den ihr erteilten Auftrag erfüllen wird und daß dann in der zweiten Jahreshälfte die anstehenden Fragen, insbesondere des EG-Haushalts und - damit zusammenhängend - der Struktur der Agrarpolitik, befriedigend gelöst werden können.
Von meinem Besuch in Washington möchte ich zunächst berichten, daß der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die schweren Folgen des gegen ihn gerichteten Attentats zu meiner Freude in einer erstaunlich kurzen Zeit überwunden hat.
({0})
Ich habe mit dem Präsidenten zwei intensive Gespräche geführt. Er ließ es sich auch nicht nehmen, für meine Begleitung und mich eine glanzvolle Abendveranstaltung im Weißen Haus auszurichten.
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- Aber etwas sehr Schönes.
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Ich kann Ihren Zuruf durchaus verstehen, nachdem Sie nun schon so viele Jahre und Jahrzehnte auf eine ähnliche Gelegenheit warten.
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Ich hatte außerdem Gelegenheit zu Gesprächen mit dem Vizepräsidenten, Herrn Bush, mit Außenminister Haig, Verteidigungsminister Weinberger, Finanzminister Regan sowie dem leitenden Wirtschaftsberater des Präsidenten, Professor Weidenbaum. Ich traf auch mit dem Mehrheitsführer des Senats, Senator Baker, sowie mit den für die Außenpolitik zuständigen Ausschüssen des Senats wie auch des Repräsentantenhauses zu ausführlichen Gesprächen zusammen.
Von den Begegnungen außerhalb von Administration und Parlament möchte ich erwähnen, daß ich auch diesmal je ein Gespräch mit dem Präsidenten der AFL/CIO, Kirkland, und mit Vertretern jüdischer Bürger der USA geführt habe, nämlich mit Repräsentanten der „Conference of Presidents of Major Jewish Organizations".
Ich empfand es als einen sehr günstigen Auftakt für meine Gespräche mit der neuen Administration, daß unmittelbar vor meiner Reise die Ernennung von Arthur Burns zum Botschafter der Vereinigten Staaten in Bonn bekanntgegeben wurde. Als eminenter Nationalökonom und Finanzfachmann genießt Burns nicht nur im eigenen Land höchstes Ansehen. Wir begrüßen sehr, daß jetzt der für den ständigen Meinungsaustauch zwischen unseren Regierungen so wichtige Posten des Botschafters der USA in Bonn bald wieder besetzt sein wird.
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Der Besuch in Washington fand zu einem gut geeigneten Zeitpunkt statt. Angesichts kritischer Entwicklungen im Ost-West-Verhältnis, angesichts der Zuspitzung oder Fortdauer zahlreicher Krisen in der Dritten Welt, angesichts der Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Weltwirtschaft sind Konsultationen mit den Staats- oder Regierungschefs unserer Partner heute wichtiger denn je.
Es erwies sich für die Gespräche mit Präsident Reagan als sehr vorteilhaft, daß sie an zahlreiche deutsch-amerikanische und europäisch-amerikanische Begegnungen anknüpfen konnten, die mit der neuen Administration bereits stattgefunden hatten. Insbesondere die abgestimmte Erklärung über die Gespräche zwischen Bundesminister Genscher und Außenminister Haig vom März sowie die wichtigen Kommuniqués nach der Sitzung des Nordatlantikrats in Rom vom Mai und des Verteidigungsplanungsausschusses ({5}) in Brüssel Mitte Mai waren Grundlagen, von denen unsere Gespräche ausgingen.
Sowohl die amerikanische Seite als auch wir hatten besonderes Interesse an einem hochrangigen und intensiven Meinungsaustausch gerade zu diesem Zeitpunkt, weil über einige wichtige Fragen der Außenpolitik der USA noch nicht endgültig entschieden ist.
Es wurde in allen Gesprächen deutlich, daß die neue Administration sehr ernst nimmt, was sie von Anfang an als Kernstück ihrer Außenpolitik bezeichnet hat: effektive Konsultationen mit ihren atlantischen Partnern.
Solcher Meinungsaustausch unter Freunden braucht eine bestimmte Atmosphäre. Mit Befriedigung kann ich feststellen, daß die Gespräche mit Präsident Reagan geprägt waren von großer Bereitschaft zu gegenseitigem Verständnis und zu gegenseitigem Vertrauen. Mich haben die Ruhe, die Geradlinigkeit und das hohe Verantwortungsbewußtsein der oft sehr ernsten Ausführungen des Präsidenten beeindruckt.
Diese Grundstimmung unserer Gespräche hat es leichtgemacht, über ein breites Spektrum gemeinsamer Probleme Einigkeit zu erzielen. Dies kommt in der Gemeinsamen Erklärung über meinen Besuch, die Ihnen ja vorliegt, klar zum Ausdruck. Diese Erklärung, die die Ergebnisse unserer Gespräche festhält, steht im Zeichen der Kontinuität der Bündnispolitik. Sie bekräftigt den breiten, bisher schon erzielten Konsens aller Bündnispartner und baut ihn weiter aus.
Ein Schwerpunkt der Gespräche war die Lage in West-Europa. Wir haben gesprochen über die wirtBundeskanzler Schmidt
schaftliche und politische Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft, auch über die Lage in einzelnen Staaten. Ich habe dem Präsidenten eine Einschätzung dessen gegeben, was in einigen Zeitungen in unzulässiger Vereinfachung „Neutralismus" genannt worden ist. Ich glaube, daß meine Darlegung der Ursachen, des Inhalts und des Umfangs solcher Strömungen dazu beigetragen hat, das Problem in richtigen Proportionen zu sehen.
Alle meine Gesprächspartner in Washington haben nach der weiteren Entwicklung Frankreichs gefragt. Präsident Reagan und ich waren uns einig in dem Willen, mit Präsident Mitterrand auf das engste zusammenzuarbeiten. Es wurde deshalb in Washington sofort nachdrücklich begrüßt, als bekannt wurde, daß ich auf dem Rückflug bei einem Zwischenstop in Paris mit Präsident Mitterrand zusammentreffen würde.
Das Verhältnis zwischen Ost und West ist für die deutsche wie für die amerikanische Regierung eine zentrale Frage der Außenpolitik. Beide Regierungen teilen die Sorge über die anhaltende Aufrüstung der Sowjetunion und über ihr expansionistisches Vorgehen, z. B. in Afghanistan, z. B. im Süd-Jemen, z. B. in Äthiopien. Wir haben gemeinsam die Schlußfolgerung gezogen: Um dieser und anderen Herausforderungen der Sowjetunion zu begegnen und den Frieden zu sichern, wollen wir einerseits mit Festigkeit reagieren und gleichzeitig andererseits den Dialog mit der Sowjetunion pflegen. Beide Elemente sind nach unserer gemeinsamen Auffassung unverzichtbar.
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Im Rahmen der Politik des Dialogs mit der Sowjetunion habe ich begrüßt, daß Präsident Reagan persönlichen Kontakt mit Generalsekretär Breschnew hergestellt hat und daß Außenminister Haig bereits eine Mehrzahl von Gesprächen mit dem sowjetischen Botschafter in Washington geführt hat. Ich habe in diesem Zusammenhang über unsere Vorstellungen von jenem Arbeitsbesuch berichtet, zu dem ich Generalsekretär Breschnew für die zweite Hälfte dieses Jahres nach Bonn eingeladen habe.
Wir waren uns über die Bedeutung eines ausgewogenen Ergebnisses der KSZE-Folgekonferenz in Madrid für die Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses einig. Andererseits war beiden Seiten auch klar, daß es für die Politik des Dialogs ernsteste Folgen hätte, falls es in und um Polen zu Entwicklungen käme, die niemand wünschen kann.
Mit Präsident Reagan, mit dem Vizepräsidenten, mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister hatte ich Gedankenaustausch über Grundfragen unserer Sicherheit. Wir waren uns einig, daß die Partner des Bündnisses alles tun müssen, was erforderlich ist, um den durch die Sowjetunion ausgelösten negativen Einwirkungen auf das militärische Gleichgewicht entgegenzutreten. Ich habe den großen und wachsenden Beitrag der USA zur westlichen Verteidigung gewürdigt. Dies gab mir aber auch Gelegenheit, den unverzichtbaren Beitrag zu erläutern, den die Bundesrepublik Deutschland zur Sicherheit des Westens und zur friedlichen Entwicklung unserer Welt leistet: durch die nach Quantität und Qualität erstklassige Bundeswehr und auch - unter anderem - durch unsere Hilfen an Bündnispartner. Ich berichte mit Befriedigung, daß sich insbesondere der amerikanische Präsident von unserem Beitrag zur Verteidigung beeindruckt gezeigt hat; Kritik ist nicht zum Ausdruck gekommen.
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Erneut bekräftigte die amerikanische Seite, daß sie mit uns der Ansicht ist, daß Rüstungskontrolle und Abrüstung - ich zitiere - „integrale Bestandteile der Sicherheitspolitik des Bündnisses sind".
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Dies gilt für das gesamte Waffenspektrum: für strategische Waffen, für nukleare Mittelstreckenwaffen und für die konventionelle Rüstung. In ernsten Worten kam die klare Entschlossenheit des Präsidenten zum Ausdruck, auf auszuhandelnder Rüstungsbegrenzung zu bestehen.
Als über einen der Aspekte unserer gemeinsamen Sicherheit wurde auch über die wachsende Bedrohung durch sowjetische eurostrategische Nuklearwaffen oder Mittelstreckenwaffen gesprochen. Der Rahmen dieser Diskussion war durch die Kommuniqués der diesjährigen Frühjahrstagungen der Außen- und Verteidigungsminister des NordatlantikPaktes gesteckt: Wir waren uns einig, daß an beiden Teilen des Doppelbeschlusses, d. h. am Nachrüstungsbeschluß und am Verhandlungsangebot, festgehalten werden muß.
Die von einigen in Europa - auch von der sowjetischen Propaganda - in Frage gestellte Verhandlungsbereitschaft der USA hat sich gegenüber alien diesen Zweifeln erneut bestätigt: z. B. dadurch, daß in der Gemeinsamen Erklärung von der amerikanischen Regierung offiziell mitgeteilt wird, daß Außenminister Haig die vorbereitenden Gespräche über nukleare Mittelstreckenwaffen mit der Sowjetunion tatsächlich schon aufgenommen hat;
({9})
z. B. auch dadurch, daß Präsident Reagan in der Gemeinsamen Erklärung dahin präzisiert, daß es nicht nur auf Verhandlungen als solche ankommt, sondern daß diese Verhandlungen auch zu konkreten Ergebnissen führen müssen.
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Ich weiß, daß die USA dabei sind, sich auf diese Verhandlungen sorgfältig vorzubereiten. Wir werden dabei konsultiert werden, auch im späteren Prozeß. Ich bin überzeugt, daß die Amerikaner zügig und zielstrebig verhandeln wollen. Ich füge hinzu: Jeder, der die Geschichte der Rüstungskontrollbemühungen kennt und mit den komplizierten Problemen der nuklearen Mittelstreckenwaffen vertraut ist, wird wissen, daß diese Verhandlungen schwierig und langwierig werden. Entscheidend wird es darauf ankommen, ob auch die Sowjetunion, die auf diesem Felde der Rüstung tatsächlich einen so ungewöhnlich großen Vorsprung erreicht hat, bereit ist, konstruktiv zu verhandeln.
Auch auf dem Felde der Politik gegenüber der Dritten Welt ging es mir darum, die Motive und den Inhalt der amerikanischen Politik kennenzulernen und unsere Meinungen soweit wie möglich in Einklang zu bringen oder einander anzunähern. Auch hier hatten die Außenminister in Rom - wie Sie wissen - bereits vorgearbeitet. Der Präsident und ich stimmten überein, daß echte Blockfreiheit der Staaten der Dritten Welt ein wichtiger Stabilitätsfaktor der internationalen Beziehungen ist.
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Wir wollen die Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt auf der Grundlage gleichberechtigter Partnerschaft weiterhin stützen. Das ist nach unserer gemeinsamen Ansicht auch die beste Strategie, um den unmittelbaren und mittelbaren Versuchen der Sowjetunion entgegenzuwirken, ihren machtpolitischen Einfluß auf diese Länder auszudehnen.
Im intensiven Meinungsaustausch über Krisengebiete in der Dritten Welt waren wir uns einig, daß der Nahost-Konflikt die gesamte Region destabilisiert und der Sowjetunion zusätzliche Ansatzpunkte zur Einwirkung auf diesen Raum bietet. Wir stimmten deshalb überein, daß die Bemühungen sowohl der USA als auch der Europäischen Gemeinschaft, zu einem umfassenden, gerechten, dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu kommen, mit Nachdruck fortgesetzt werden müssen. Die europäischen und die amerikanischen Bemühungen um eine Lösung des Nahost-Konflikts sollen sich auch in Zukunft gegenseitig ergänzen.
Für die Bemühungen um eine friedliche und international akzeptierte Namibia-Lösung war der Besuch des südafrikanischen Außenministers. in Washington eine wichtige. Etappe. Ich habe in Washington den festen Eindruck gewonnen, daß die neue Administration mit großer Energie eine Namibia-Lösung anstrebt und das auch gegenüber Südafrika deutlich macht. Das Kommuniqué der fünf Außenminister vom 4. Mai 1981 und die entsprechenden Beschlüsse der Vereinten Nationen werden die Grundlage einer Verhandlungslösung sein bzw. sein müssen. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern - das sind die USA, Kanada, Frankreich und England - überlegen, welche zusätzlichen Elemente der Vertrauensbildung geschaffen werden können. Das gilt insbesondere für die Grundzüge einer künftigen verfassungsrechtlichen Ordnung eines unabhängigen Namibia.
Eine grundsätzliche Übereinstimmung kam auch in Überlegungen zu neuen Ansätzen für eine ökonomische Stabilisierung des mittelamerikanisch-karibischen Raumes zum Ausdruck. Wir waren uns einig, daß die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in dieser Region Voraussetzung für eine politische Stabilisierung ist. Ich begrüße daher die amerikanischen Überlegungen für einen mittelamerikanisch-karibischen Entwicklungsplan, der eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten dieses Raumes zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder anstrebt. Nach unserer Ansicht sollte ein solcher Plan auch die Ölproduzenten Mexiko und Venezuela einschließen, die durch verbilligte Öllieferungen an ihre Nachbarländer helfen könnten, den Entwicklungsplan wirtschaftlich abzusichern. Eine solche Zusammenarbeit hätte Beispielcharakter für die OPEC-Länder insgesamt. Die Ungebundenheit der Länder der mittelamerikanischen und karibischen Region würde gestärkt, und kommunistischer Subversion würde entgegengewirkt.
Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik haben einen breiten Raum eingenommen. Beide Seiten führten diesen Meinungsaustausch auch im Hinblick auf das Gipfeltreffen der großen Industriedemokratien, das im Juli in Ottawa stattfinden wird.
Beide Regierungen sind entschlossen, das freie Welthandelssystem zu stärken und sich einer Ausweitung des Protektionismus zu widersetzen. Ich habe in diesem Zusammenhang meiner Sorge über die amerikanisch-japanischen Vereinbarungen zur Beschränkung der Automobilexporte in die USA Ausdruck gegeben.
Ich habe meinen amerikanischen Gesprächspartnern erläutert, daß und wie die deutsche Energiepolitik darauf abzielt, unsere Abhängigkeit vom Ausland, sowohl was die einzelnen Energierohstoffe als auch was ihre geographische Herkunft anbelangt, so weit wie möglich zu diversifizieren. Dabei wird in der gemeinsamen Erklärung ausdrücklich festgestellt, daß weltweite kooperative Anstrengungen erforderlich sind, um die drängenden Energieprobleme zu meistern.
Großes Interesse beiderseits fand die Darlegung der jeweiligen Wirtschaftspolitik. Ich habe auf die Bedeutung der amerikanischen Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik für die übrigen Volkswirtschaften und für die Weltwirtschaft hingewiesen. Es war in Washington spürbar, daß die amerikanische Unternehmenswirtschaft in die Politik der neuen Administration große Hoffnungen setzt. Wir haben allen Grund, zu wünschen, daß es in den USA bald zu dem erhofften wirtschaftlichen Aufschwung kommt, von dem dann neue, positive Impulse auf die Weltwirtschaft ausgehen würden.
Ich habe aber auch unsere Sorge über die Auswirkungen des hohen Zinsniveaus auf die europäische Wirtschaft zum Ausdruck gebracht.
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Wir stimmten überein, daß die Wirtschaftspolitik insgesamt zwischen den Industrieländern eng aufeinander abgestimmt werden muß. Dies wird eines der Hauptthemen für das Treffen in Ottawa darstellen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, Präsident Reagan und ich haben die anvisierten Ziele der Begegnung voll erreicht. Wir haben unsere Bekanntschaft vertieft, eine persönliche herzliche Verbundenheit hergestellt. Das wird den bilateralen Beziehungen zugute kommen und auch unserer Zusammenarbeit im multilateralen, im internationalen Bereich. Wir haben den Kernbestand unserer Allianzpolitik bekräftigt, und wir haben in Feldern, in denen Neues gesucht und versucht werden muß, ProBundeskanzler Schmidt
bleme definiert, Lösungswege abgesteckt. Der Boden für enges Zusammenwirken ist bereitet, für ein Zusammenwirken, das in diesem frühen Stadium einer neuen Administration von besonderem wechselseitigem Nutzen ist und das in der kritischen Weltlage unersetzlich und unerläßlich ist.
Ich bin aus Washington zurückgekehrt mit dem tiefen Eindruck gewachsenen amerikanischen Selbstvertrauens und neuer Zuversicht in die Möglichkeiten dieses großen Landes. Präsident Reagan ist entschlossen, die amerikanische Führungsrolle in der Welt wahrzunehmen.
Meine Zwischenlandung in Paris gab dem französischen Präsidenten François Mitterrand und mir die von beiden Seiten gewünschte Gelegenheit zu einem ersten Gedankenaustausch kurz nach seinem Amtsantritt. Ich habe dies außerordentlich begrüßt. Inhalt und Atmosphäre dieser Begegnung haben mich sehr befriedigt. Wir waren uns einig, die deutsch-französische Zusammenarbeit weiter zu festigen und auszubauen.
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Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist für die Kontinuität und Berechenbarkeit der westlichen Politik, ist für die Stellung Europas in der Welt und ist für die Zukunft unserer beiden Völker lebenswichtig.
Präsident Mitterrand und ich konnten in dem dreieinhalbstündigen Meinungsaustausch, der auf früheren Gesprächen aufbaute, die große deutschfranzösische Übereinstimmung in allen wichtigen internationalen Fragen bestätigen. Ich habe dem Präsidenten die Grüße Präsident Reagans übermittelt und ihn natürlich sorgfältig über meine Gespräche in Washington unterrichtet.
Sehr wesentlich war die volle Übereinstimmung in Fragen der Bündnispolitik und des Ost-West-Verhältnisses. Wir sind beide überzeugt, daß das militärische Gleichgewicht gewahrt oder - wo es gestört ist - wiederhergestellt werden muß. Auch Frankreich setzt sich für die Durchführung beider Teile des Doppelbeschlusses ein, obwohl es selbst nicht direkt daran beteiligt ist.
Auf der Grundlage des Gleichgewichts werden die Franzosen ebenso wie wir den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit dem Osten fortsetzen.
Zur Politik gegenüber der Dritten Welt, die Präsident Mitterrand besonders am Herzen liegt, streben wir beide nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Diese partnerschaftliche Einstellung beruht auf dem Respekt vor der Souveränität und Blockfreiheit der Länder der Dritten Welt, die unverzichtbare Elemente des Weltfriedens sind.
Wir haben eine Reihe aktueller weltpolitischer Probleme erörtert und unsere Urteile, unsere Haltungen abgestimmt. Das gilt für die Probleme des Nahen und Mittleren Ostens, insbesondere für die gefährliche Lage in Libanon, für unsere Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und mit den Staaten der Golfregion, für die Probleme im südlichen Afrika, für die Lage in Zentralamerika und in der Karibik.
Meine Damen und Herren, Frankreich ist und bleibt unser wichtigster Handelspartner, Wirtschaftspartner überhaupt. Es ist klar, daß wir über Fragen der Weltwirtschaft eingehend zu sprechen hatten, ebenso wie über die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Ich war beeindruckt von der Entschlossenheit des Präsidenten und seiner Regierung, die Stabilität des französischen Franc zu verteidigen. Wir wollen beide das Unsere tun, um das Europäische Währungssystem ({14}) intakt zu halten. Von ihm geht gerade in der gegenwärtigen Lage eine wichtige stabilisierende Wirkung aus, auch für die übrigen europäischen Volkswirtschaften.
Wir teilten die Sorge vor den Rückwirkungen der hohen Zinsen in Amerika auf die europäischen Partner, und wir wollen beide mithelfen, zu verhindern, daß sich die USA und Europa wirtschaftlich auseinanderentwickeln.
Zur Europapolitik möchte Präsident Mitterrand trotz der französischen Wahlen, die im nächsten Monat bevorstehen, keine Verschiebung des Europäischen Rats, der am 29. und 30. Juni in Luxemburg stattfinden soll, anregen. Er möchte wie wir mit einem ersten Gespräch der Regierungschefs die gründliche Prüfung der dort erwarteten Vorschläge der Kommission für eine Anpassung der Finanzstrukturen und eine Reform der Agrarpolitik einleiten, die dann nach unseren gemeinsamen Vorstellungen bis zum übernächsten Europäischen Rat, also bis Ende November, zu konkreten Beschlüssen führen sollte.
Alle Fragen, meine Damen und Herren, die der französische Präsident und ich in diesem ersten Gedankenaustausch berührt haben, müssen nun weiter vertieft werden. Wir haben beide die Mitglieder unserer Regierungen gebeten, miteinander den Kontakt und die enge direkte Zusammenarbeit aufzunehmen, die im deutsch-französischen Verhältnis ja seit langem üblich sind. Wir sind übereingekommen, die nächsten deutsch-französischen Konsultationen dieses Sommers im Juli hier in Bonn zu haben. Präsident Mitterrand und mir liegt daran, uns noch vor dem Weltwirtschaftstreffen in Ottawa abzustimmen, das am 20. Juli beginnen soll.
Ich fasse diesen Abschnitt zusammen: Die Begegnung mit Präsident Mitterrand so kurz nach seinem Amtsantritt war politisch wichtig, sie war außerdem erfreulich. Wir sind beide überzeugt davon, daß sich die deutsch-französische Zusammenarbeit auch in den schwierigen Jahren bewähren wird, die vor uns liegen.
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Zum Schluß, meine Damen und Herren: Meine Besuche in Washington und in Paris haben gezeigt, daß der in Demokratien völlig normale Wechsel an der Spitze von Regierungen und Staaten
({16})
unsere Partnerschaft mit den USA und mit Frankreich nicht beeinträchtigt.
({17})
Die in Jahrzehnten gewachsene Gemeinsamkeit der Interessen, die für unsere Staaten entscheidende Gemeinsamkeit der Grundwerte, besonders auch die gemeinsame Freundschaft und die gegenseitige Zuneigung der Völker sind so stark, daß parteipolitische oder personelle Veränderungen in unseren Staaten darauf kaum Auswirkungen haben.
({18})
- Ich freue mich über Ihre Zustimmung, Herr Dr. Kohl. Die Hoffnungen, die Sie damit verbinden, kann ich nicht teilen.
({19})
In der Regierungserklärung vom 24. November des letzten Jahres, nach Bildung dieser Bundesregierung, hatte ich gesagt, daß wir unsere deutsche Rolle in der Welt nicht zu groß schreiben wollen oder durch andere zu groß schreiben lassen wollen. Dies bleibt richtig.
Meine Damen und Herren, ich bin von beiden Besuchen mit der festen Überzeugung zurückgekehrt, daß Stetigkeit und Berechenbarkeit der Außenpolitik dieser Bundesregierung unverzichtbar sind - unverzichtbar für unsere Partner im Osten, unverzichtbar für den Zusammenhalt des westlichen Bündnisses, unverzichtbar für den Frieden in einer zunehmend unsteten und unsicheren Welt. - Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Regierungserklärung einen umfassenden Reisebericht über viele Begegnungen gehört. Herr Bundeskanzler, wir haben aber wenig über die Konsequenzen gehört, die Sie aus den Erfahrungen in Amerika, Paris und anderswo für Ihre Politik in der Bundesrepublik Deutschland hier vor Ort ziehen wollen.
({0})
Ich habe auch viel Mitgefühl und Verständnis für Ihr freudig gespendetes Selbstlob. Dieses Selbstlob ist in Ihrer Lage durchaus verständlich. Denn wer lobt Sie denn hierzulande überhaupt noch?
({1})
Sie müssen schon auf Reisen gehen, um das zu erreichen. Um auch dies gleich zu sagen: Herr Bundeskanzler, wir gönnen Ihnen auch die „glanzvolle Abendveranstaltung" im Weißen Haus von Herzen.
({2})
Sie sind ja auf dem Weg von Aalen nach Wolfratshausen mit glanzvollen Veranstaltungen nicht gerade verwöhnt.
({3})
Wer sich so durch seine eigene Partei winden muß wie Sie, dem ist eine glanzvolle Veranstaltung im Weißen Haus mehr als zu gönnen.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum Sie hier Ihre Zwischenrufe machen.
({5})
- Allein die Tatsache, Herr Kollege Wehner, daß Sie einen ganzen Tag brauchen, um in Ihrer Fraktion eine armselige Erklärung mehrheitsfähig zu machen, zeigt doch die Malaise, in der Sie stecken.
({6})
Zunächst ein Wort zu Ihrem Paris-Besuch. Herr Bundeskanzler, wir begrüßen Ihre Reise und die Begegnung mit Präsident Mitterrand.
({7})
Wir begrüßen auch das, was Sie hier zur deutschfranzösischen Freundschaft gesagt haben. Die deutsch-französische Freundschaft - ich wiederhole es - ist für uns keine Frage der Freundschaft von Regierungen. Es ist für uns die Freundschaft zwischen zwei Völkern, die aus einer leidvollen Geschichte zu lernen versuchen, die im deutsch-französischen Jugendwerk der jungen Generation eine Markierung auf ihren Weg mitgegeben hat. Wir, die CDU/CSU, die klassische Partei der deutsch-französischen Freundschaft,
({8})
wissen all dies zu schätzen. - Nun, meine Damen und Herren, Robert Schuman, Konrad Adenauer, Charles de Gaulle haben die deutsch-französische Freundschaft begründet.
({9})
Ich kann mich nur zustimmend äußern, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute erklären, Sie wollen diesen Weg fortsetzen, weil für uns die Frage der Freundschaft unserer beiden Völker das Kernstück jeglicher Europapolitik ist.
({10})
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann sehr bemerkenswerte Äußerungen gemacht, d. h., so bemerkenswert sind sie nicht, sie sind nur bei Ihnen bemerkenswert: daß der demokratische Wechsel im Leben eines Volkes normal sei. Da haben Sie recht.
({11})
Ich meine nur, Sie sollten solche Erkenntnisse auch einmal vor Wahlkämpfen offen aussprechen. Sie sollten aus dieser heutigen Äußerung lernen, daß Sie in Zukunft Ihre Diffamierung politisch Andersdenkender vor Wahlen endgültig aufgeben.
({12})
Daß Sie bald zum Präsidenten Mitterrand gefahren sind, ist auch deswegen gut, weil Sie ja einen gewissen Nachholbedarf haben, Herr Bundeskanzler. Es paßt zur Janusköpfigkeit der deutschen Sozialdemokratie, daß der Kollege Brandt mit Herrn MitterDr. Kohl
rand wandert und daß Herr Schmidt dem Herrn Giscard Wahlkampfhilfe gegeben hat.
({13})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie für die Zukunft dazulernen, dann ist das eine Entwicklung, die wir rundum begrüßen. Es ist kein guter Stil der Politik, wenn man in den Wahlkampf eines anderen Landes so eingreift, wie Sie es sich 1976 und 1980 in Paris bestellt haben - ich sage das deutlich - und wie Sie es jetzt zu geben versucht haben, allerdings ohne jeden Erfolg.
({14})
Vielleicht ist das für alle - ich sage bewußt: für alle hier im Hause - eine wichtige Lektion: daß der Respekt vor dem Partner, vor dem befreundeten Nachbarland dazu führen sollte, daß wir Wahlergebnisse respektieren und nicht versuchen, uns dort einzumischen.
Auffällig, Herr Bundeskanzler, an Ihrer Regierungserklärung - und dann sind wir mitten in Ihrem Thema - ist, daß sie in entscheidenden Punkten wesentlich dürftiger ist als die Gemeinsame Erklärung, die Sie mit dem amerikanischen Präsidenten in Washington abgaben. Sie haben uns heute einige Themen mitgeteilt und im übrigen versichert, es stehe ja alles zum besten. So haben Sie jetzt Ihre persönliche Sympathie zum Präsidenten Reagan deutlich gemacht: „Ich mag diesen Mann, ich fühlte mich außerordentlich wohl, ich bin tief beeindruckt." In Washington haben Sie gesagt, daß Sie sich schon seit November bemüht haben, „das simple, kindische Cowboy-Image" zu korrigieren, das einige in Europa Reagan zugeschrieben hätten. Warum sagen Sie eigentlich immer „Europa", Herr Bundeskanzler, wenn Sie Deutschland und Ihre eigene Partei meinen müssen?
({15})
Wir können dazu nur feststellen, daß bisher Ihre Stimme in diesem Zusammenhang in der Bundesrepublik nicht zu hören war. Ich darf für die CDU/CSU erklären: Wir sind sehr glücklich darüber, wenn sich dies jetzt nach Ihrem Besuch in Washington ändert. Wir können dabei nur hoffen, daß Ihre plötzliche Sympathie zu Präsident Reagan nicht allein darauf beruht, daß dieser „in erster Linie zugehört" habe, wie Ihr Regierungssprecher in Washington erklärt hat. Auch das ist ein Stilelement Ihrer Politik.
Unsere Besorgnisse über die Haltung Ihrer Partei und vor allem auch Ihrer Fraktion zur amerikanischen Regierung und Politik sind durch diese Erklärung in nichts ausgeräumt.
({16})
- Herr Wehner, Sie selbst wissen, daß es wichtige Mitglieder Ihrer Partei sind, die die Stimmung gegen unsere amerikanischen Bündnispartner gezielt und bewußt anheizen. Sie, Herr Bundeskanzler, waren noch vor Wochenfrist dabei, als der SPD-Landesvorsitzende in Bayern, Herr Rothemund, auf seinem Parteitag erklärte, daß die SPD es „mit einer amerikanischen Administration zu tun habe, deren politische Ziele in wichtigen Bereichen nicht die unsrigen sind". Jetzt frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Wie
stimmt das mit dem überein, was Sie heute gesagt haben?
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Mitglieder Ihrer eigenen Partei veranstalteten vor einer Woche und während Sie in Washington waren Anti-Amerika-Veranstaltungen. Ein Mitglied Ihrer Fraktion warf der CDU und der FDP vor, nichts gegen die „Aufrüstungspolitik der Reagan-Regierung" zu tun, sondern sich wie „Satelliten der USA" zu verhalten. Ein anderer Kollege aus Ihrer Fraktion bezeichnete vor drei Tagen - Herr Bundeskanzler, in dieser Woche! - den amerikanischen Außenminister als „Schwerverbrecher an der Menschheit".
({18})
Wann werden Sie, Herr Bundeskanzler, endlich den Mut haben, hier einmal das zu sagen, was zu sagen ist, und sich von solchen Ungeheuerlichkeiten zu distanzieren?
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Das sind doch keine Einzelfälle, und Sie, Herr Bundeskanzler, wissen dies. Sie selbst mußten doch an Ihre eigenen Parteifreunde appellieren, „den Friedenswillen der USA nicht zu bezweifeln".
In welch einem Umfang die deutsche Sozialdemokratie dabei ist, die Realitäten aus den Augen zu verlieren und alle politischen Maßstäbe zu verändern, beweisen doch Ihre eigenen Worte auf dem bayerischen Landesparteitag vor wenigen Tagen. Da riefen Sie Ihren Genossen zu - ich zitiere -: „Hört endlich auf, Euch suggerieren zu lassen, als ob die Amerikaner unsere Feinde und die Russen unsere Freunde seien." Trotz aller unserer Erfahrungen mit sowjetischer Aggressionspolitik - Juni 1953, Ungarn 1956, Prag 1968, Afghanistan 1979/80 - sagten Sie dann weiter, Sie hätten Zweifel, daß für die Bundesrepublik „das Schutzdach kommunistischer Diktatur besser sei als der gegenwärtige Zustand".
Ich frage mich, Herr Bundeskanzler: In welch einer Partei befinden Sie sich, daß Sie zu solchen Formulierungen greifen müssen, um dort überhaupt mehrheitsfähig zu werden und über die Runden zu kommen?
({20})
Wenn Sie in Ihrer eigenen Partei eine überzeugende Mehrheit für Ihre Politik hätten, wäre es doch nicht notwendig, daß Sie Ihren Rücktritt drohend in den Raum stellen, wie Sie dies in Recklinghausen und vor den Bayern in Wolfratshausen tun mußten. Wer die Zustimmung zu seiner Politik nur noch mit der Drohung des Machtverlustes erzwingen kann, der steht in der Tat vor dem Bankrott seiner Politik.
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Man kann und muß leider heute die Voraussage wagen, daß entweder die Regierung bald nur noch Offiziere umfassen wird, denen die Soldaten fehlen, oder aber die deutschen Interessen durch weiteres Nichthandeln Schaden leiden müssen. Realitätsmangel, Führungslosigkeit und Bequemlichkeit for1974
dern heute ihren Preis und lähmen die Außenpolitik unserer Nation.
Tatsächlich, meine Damen und Herren, entzieht sich die weltweite Realität allen Beschwichtigungsversuchen, und die schweren Turbulenzen in der SPD machen es unwahrscheinlich, daß sich Mut und Führung noch zu später Stunde einstellen werden, um diesen Gefahren zu begegnen.
Die weltweite Energieknappheit hat die Energiesicherung zu einer Frage von Reichtum oder Armut, zu einer Frage von Krieg oder Frieden gemacht.
Die zielstrebig vorangetriebene Überrüstung der Sowjetunion auf konventionellem und nuklearem Gebiet hat die Strukturen des strategischen Gleichgewichts verschoben. Es soll eine Lage hergestellt werden, in der es den Frieden nur noch zu den Bedingungen gibt, die Moskau diktiert.
Meine Damen und Herren, die Unwilligkeit der westlichen Demokratien, für die Erhaltung ihrer Lebensform und ihrer politischen Kultur Einschränkungen hinzunehmen, gar Opfer zu bringen, vergrößert nur die Gefahr, unsere Freiheit, die Freiheit des Denkens und der Gewissen, zu verspielen. Die Illusion, es gebe Freiheit und materielle Sicherheit zum moralischen und politischen Nulltarif, muß tödlich enden. Wer sich nicht scheut, den Ernstfall zu denken, wird hierzulande als Spielverderber denunziert. Und doch ist es allein die Einsicht in die bestehende Gefahr, die es ermöglicht, diese Gefahr ohne Kapitulation zu bewältigen.
Meine Damen und Herren, wir sehen heute im Verhältnis USA - Bundesrepublik eine Reihe aktueller politischer Verständigungsschwierigkeiten, zu denen unser Volk eine Antwort erwartet. Dahinter stehen Gemeinsamkeiten des Denkens und der politischen Kultur, aus denen Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung endlich Führung, Zusammenhang und Perspektive herleiten müssen. Zwischen strukturellen Bedingungen und aktuellen Problemen klafft eine Glaubwürdigkeitslücke. Wir sehen mit wachsender Sorge um das Wohl und Wehe unserer Nation einen Bundeskanzler, der durchaus zur richtigen Diagnose imstande ist und auch zu einer mehrheitsfähigen Außenpolitik, aber dahinter seine eigene Partei, die an dieser Diagnose nicht mehr interessiert ist, aber vor allem entschlossen ist, die Therapie zu verhindern. Ihnen, Herr Bundeskanzler, fehlt der Mut, das zu verändern.
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Lassen Sie mich einiges zu den Details der Gespräche in Washington sagen:
Erstens: Der Nachrüstungsbeschluß der NATO. Wir begrüßen es, daß in dem Kommuniqué der NATO-Frühjahrstagung in Brüssel und in der Gemeinsamen Erklärung in Washington unmißverständlich darauf hingewiesen wurde, was den Weltfrieden, die Entspannung und die Sicherheit in Europa gefährdet: die sowjetische Aufrüstung, die sowjetische Besetzung Afghanistans, die sowjetische Bedrohung Polens, die sowjetische Auslösung und Ausnützung von Krisensituationen und Instabilität in der Dritten Welt. Wir hätten es gewünscht, Herr
Bundeskanzler, wenn Sie und die Mitglieder Ihrer Regierung in den letzten zehn Jahren nicht immer nur von Entspannung geredet hätten, sondern auch Ihrer eigenen Partei und Teilen der deutschen Öffentlichkeit mehr über diese Realitäten vermittelt hätten.
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In diesem Zusammenhang will ich doch noch eine Anmerkung zum Kommuniqué machen. Im speziellen, Herr Bundeskanzler, ist es bemerkenswert, daß dieses Kommuniqué das Wort „Entspannung" nicht mehr enthält. Meine Damen und Herren, wenn wir, Franz Josef Strauß und ich und andere, dies im Juli und August 1980 so gesagt hätten, wären wir friedensschändende Elemente der deutschen Politik gewesen. So ändern sich die Bilder. Auch diese sehr bemerkenswerte Veränderung muß in diese Debatte eingebracht werden.
Entsprechend den jetzt vorliegenden Dokumenten, Herr Bundeskanzler, werden wir Ihre Politik daran messen, daß Sie nicht nur in der „Beurteilung der weltpolitischen Lage" mit dem amerikanischen Präsidenten übereinstimmen - ich zitiere immer wieder direkt aus dem Kommuniqué -, sondern auch in den „sich daraus für das westliche Bündnis ergebenden Folgerungen"; daß USA und die Bundesrepublik Deutschland eine „Schicksalsgemeinschaft" bilden mit „gemeinsamen Sicherheitsinteressen" und gemeinsamen „Wertvorstellungen"; daß die „westliche Verteidigung gestärkt" und daß „Abschreckung und Verteidigung" wie „Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile der Sicherheitspolitik des Bündnisses bilden".
Diese Feststellung - das ist wohl das Wesentlichste an Ihrer heutigen Regierungserklärung - aus der Gemeinsamen Erklärung von Washington findet sich so, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung heute nicht wieder. Heute sprechen Sie wiederum nur davon, daß Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile der Sicherheitspolitik sind. Kein Wort in der Regierungserklärung davon, daß Abschreckung und Verteidigung in gleicher Weise dazugehören!
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Dieser elementare Unterschied zwischen Ihrer heutigen Erklärung und der Gemeinsamen Erklärung aus Washington ist von größter Bedeutung, denn genau an diesem Punkt, Herr Bundeskanzler, liegt der fundamentale Unterschied in der Politik zwischen Ihnen und uns und in Wahrheit auch zwischen der amerikanischen Regierung und der Ihrigen.
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Wir sind nicht davon überzeugt, daß Sie, Herr Bundeskanzler, wegen Ihrer innerparteilichen Situation noch in der Lage sind, heute die notwendigen Maßnahmen für die Zukunft treffen zu können, denn sie haben in Wahrheit - ich sage es noch einmal - keine Mehrheit mehr für diese Politik. Ihre heutige Erklärung ist ein erneuter Beweis dafür.
Dies gilt auch für den nächsten Punkt der Gemeinsamen Erklärung von Washington, in dem es heißt,
daß „beide Elemente des NATO-Beschlusses vom Dezember 1979" durchgeführt werden und „gleiches Gewicht" haben; daß „die Modernisierung der nuklearen Mittelstreckenwaffen für die Sicherheit des Bündnisses und als Grundlage für gleichzeitige Verhandlungen wesentlich ist".
Herr Brandt, da Sie gleich sprechen, können Sie ja die Frage beantworten: Wo bleibt eigentlich der Moratoriumsvorschlag, Herr Bundeskanzler, den Herr Breschnew aufgenommen hat und den damals Herr Brandt, Herr Eppler und andere so nachdrücklich unterstützt haben? Wenn ich dieses Kommuniqué lesen kann, ist er doch ausgeschlossen. Das bedeutet doch für Sie auch eine Wende in Ihrer Politik.
Wir begrüßen ausdrücklich die Einsicht der Regierung, daß sie bereit ist, über die NATO-Grenzen hinaus auf das „expansionistische Vorgehen der Sowjetunion und ihrer Rüstungsanstrengungen" mit „Festigkeit", wie es heißt, zu reagieren,
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sich „allen unmittelbaren oder mittelbaren Versuchen der Sowjetunion" zu widersetzen, die „die Unabhängigkeit und Stabilität" der Länder der Dritten Welt unterhöhlen, und den „destabilisierenden Auswirkungen der sowjetischen Intervention in Afghanistan auf die gesamte Region" entgegenzuwirken.
Wir begrüßen es ebenso, daß in der Gemeinsamen Erklärung festgehalten wurde, daß sich die Außenpolitik der USA und der Europäer „auf der Grundlage des Erreichten ergänzen" soll, was doch in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Meine Damen und Herren, wir, die CDU/CSU, unterstützen diese Festlegung nachdrücklich, und wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß Sie, Herr Bundeskanzler, in Washington zu der Einsicht gekommen sind, daß Sie die vor Ihrer Reise gegenüber den USA erhobene Forderung, die Verhandlungen möglichst weit vorzuziehen, gegenüber dem amerikanischen Präsidenten nicht wiederholten. Dennoch befürchten wir, daß die gefundene Übereinstimmung in der Frage des Verhandlungsbeginns nur ein Formelkompromiß bleibt, weil die amerikanische Regierung mit Recht Verhandlungen erst dann als sinnvoll ansieht, wenn sie Substanz und Gegengewicht an den Verhandlungstisch bringen, während Sie bislang auf möglichst schnelle Verhandlungen drängten. Beim gegenwärtigen Stand, meine Damen und Herren, würde das bedeuten, daß die Verhandlungen über mehr als 220 sowjetische SS-20 mit mehr als 660 atomaren Sprengköpfen geführt werden würden, um die Sowjetunion zum Verzicht zu bewegen, zur Vernichtung ihrer Raketen, die bereits schon durch ihre bloße Existenz zu einem politischen Faktor geworden sind.
Wer bei diesen amerikanisch-sowjetischen Gesprächen oder Verhandlungen auf rasche Ergebnisse hofft oder darauf, daß die Modernisierung der amerikanischen Mittelstreckenwaffen in Europa verzichtbar werde, der verkennt die sowjetische Politik und der mißachtet alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Ich begrüße es, daß Sie heute in Ihrer Regierungserklärung eigentlich mehr zur Geduld mahnten. Die Erfahrungen sind doch auch entsprechend. Seit acht Jahren scheitern die Truppenabbauverhandlungen in Wien und die Abrüstungsverhandlungen in Genf an der sowjetischen Weigerung, die notwendigen militärischen Potentiale und Daten offenzulegen. Wer deshalb jetzt möglichst schnelle Verhandlungsergebnisse haben will, der begünstigt im Ergebnis die friedensgefährdende Politik Moskaus, weil er Hoffnungen und Erwartungen weckt, die sich rasch als Illusionen erweisen, aber Wasser auf den Mühlen derer sind, die den Verteidigungswillen der freien Welt lähmen wollen.
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Zweitens. Wir unterstützen die Festlegungen beider Regierungen in der Gemeinsamen Erklärung „auf der laufenden KSZE-Folgekonferenz in Madrid ein Einvernehmen über ein ausgewogenes und substantielles Schlußdokument" erzielen zu wollen, das - ich zitiere - „größere Achtung für die Menschenrechte, vermehrte menschliche Kontakte, freieren Informationsfluß sowie Zusammenarbeit zwischen allen Teilnehmern und Sicherheit für alle Teilnehmer einschließt". Dies gilt auch für die Festlegung, daß das Mandat für eine Konferenz über Abrüstung in Europa „präzise" sein müsse und daß es „die Anwendung militärisch bedeutsamer, verbindlicher und verifizierbarer vertrauensbildender Maßnahmen auf dem gesamten europäischen Kontinent vom Atlantik zum Ural" vorsehen muß. Doch auch hier gilt für uns: Die Worte hören wir wohl, wir wollen, daß ihnen auch die Taten Ihrer Politik folgen.
Drittens. Die USA verlangen von ihren Verbündeten burden sharing, Lastenverteilung, weltpolitische Arbeitsteilung. Es geht vor allem um den Nahen Osten, aber nicht nur darum. Im Nahen Osten hat die Bundesrepublik durch ihre Türkeihilfe bisher wesentlich zur Stabilisierungspolitik beigetragen, und jeder weiß, dies geschah mit voller Unterstützung auch der Opposition in diesem Hause. Aber ich glaube, das wird nicht genug sein. Auf die Dauer wird es sich erweisen, daß die Amerikaner nicht bereit sind, die Hauptlast des militärischen Gegengewichts in der Golfregion zu tragen, die Europäer und die Deutschen jedoch den Hauptnutzen davon haben. Hier wird es konstruktiver, maßgenauer Antworten bedürfen, um in künftigen Krisen handeln zu können. Insbesondere wird die amerikanische Politik, die Israel stützt, aber auch Ägypten und Saudi-Arabien dem Westen sichern will, vermehrte und stärkere Arbeitsteilung der Europäer verlangen. Arbeitsteilung ist auch in anderen Bereichen der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und ihren Helfern erforderlich: Mittelamerika, der Nordbereich der NATO, südliches Afrika, um nur die allerwichtigsten Gebiete zu nennen. Das alles erfordert nicht nur wachsende Kosten, für die, wie wir wissen, die Mittel hierzulande längst verbraucht sind. Es verlangt auch jene klare Analyse und Führungsfähigkeit, an der es der Bundesregierung bisher offensichtlich fehlt.
Viertens. Das Gas- und Röhrengeschäft mit der Sowjetunion wird von den Repräsentanten der Bundesregierung als ein beinahe unpolitischer Handel hingestellt, der hierzulande Arbeitsplätze sichern soll und zugleich die Energieversorgung des eigenen
Landes und der Nachbarn aufbessert. Mit dieser kurzfristigen Erklärungsweise, so sagt man uns, wären die Amerikaner einverstanden. Aber gilt das auch für die langfristigen Folgen? Wir hoffen, daß die deutsche Politik, wir alle, es als eine Mahnung versteht, wenn es in der Washingtoner Erklärung heißt - ich zitiere -, daß „die Verwundbarkeit des Westens gegenüber einem möglichen Lieferstopp, durch wen auch immer, verringert" werden muß. Es ist unübersehbar, daß die Standfestigkeit der Bundesrepublik im westlichen Bündnis weiter leiden müßte, wenn über 30 % unserer Erdgasversorgung vom sowjetischen Wohlwollen abhängig wären, jederzeit unter technischen Vorwänden unterbrechbar und auch in der Tat bei mangelnder technischer Kompetenz äußerst störanfällig wäre.
Fünftens. Es geht um die Sicherung der transatlantischen Verständigung gegen Protektionismus als Mittel nationaler Wirtschaftspolitik und gegen jene Haltung im internationalen Geschäft, die in St. Florian ihren Schutzheiligen hat: Verschon' mein Haus und zünd' andere an! Wir sind mit unseren Freunden durch Austauschbeziehungen so tief verbunden, daß jede Politik, eigene Schwierigkeiten vor der Haustür des anderen abzuladen, gefährliche Folgen haben muß. Das amerikanisch-japanische Selbstbeschränkungsabkommen bezüglich reduzierter Automobilverkäufe in den USA bedeutet doch in Wahrheit für den deutschen Produzenten nichts anderes, als daß nun dem Export nach Deutschland in Japan vermehrte Aufmerksamkeit zuteil wird. Dieser Anfang darf nicht Schule machen. Wir müssen diesen Anfängen nicht nur innerhalb des westlichen Bündnisses wehren, wir müssen auch selber wie unsere Freunde mit der Gesundung der Wirtschaft zu Hause anfangen. Der neue amerikanische Präsident hat einen mutigen Anfang gesetzt, während Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung sich immer hoffnungsloser in eigener wirtschaftspolitischer Unfähigkeit und Schuldenpolitik verstricken.
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Sechstens. In Ihrer Haltung zur Dritten Welt, die ja keine geschlossene ist, sondern viele Gruppierungen umfaßt, deren Interessengegensätze untereinander größer sind als im Verhältnis zum Westen sprechen die Europäer vom Nord-Süd-Dialog. Die Amerikaner sehen vor allem den Ost-West-Konflikt am Werke. In Mittelamerika, meine Damen und Herren, kann diese Unvereinbarkeit der Perspektive schon in naher Zukunft zu Konflikten führen. Im Nahen Osten wird sich zeigen, daß die Amerikaner mit ihrem Einsatz in dieser Region unser 01 sichern und daß wir zu mehr aufgerufen sind als zu moralischer Mißbilligung und halbherziger verbaler Unterstützung.
Wo liegt denn der Rahmen einer künftigen Lastenverteilung? Die CDU/CSU hält zur Sicherung des Friedens in der Golfregion ein vom Westen unterstütztes Konzept für den Nahen Osten für dringlich geboten, ein Konzept, in dem die Bundesrepublik über das gegenwärtige Maß hinaus internationale Verantwortung übernehmen muß. Wie diese Verantwortung aussehen kann, wird und muß mit den Verbündeten, ' von allem mit den Vereinigten Staaten, diskutiert und ausgearbeitet werden. Mangel an Geld und Mangel an Verantwortungsbereitschaft reichen angesichts der Krisen der Welt als Gegenargument nicht aus.
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Die aufgeführten aktuellen Probleme, meine Damen und Herren, sind nur dann zutreffend zu beurteilen und in verantwortliches Handeln umzusetzen, wenn man sie an dem mißt, was die Allianz seit 30 Jahren für die freie Welt bedeutet, an dem, was für die westlichen Nationen, auch für die Bundesrepublik Deutschland, heute auf dem Spiel steht: unsere Lebensform, die Würde unseres Landes, unsere Freiheit.
Der beherrschende Eindruck in Washington ist der, daß die USA ein Land im Aufbruch sind, eine neue „frontier" suchen, eine neue Grenze, eine jenseits von Vietnam und Watergate liegende Identität. Diese neue Identität müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie ist hilfreich für uns. Sie setzt sich im wesentlichen aus zwei sehr unterschiedlichen Elementen zusammen: der Besinnung der Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika auf die großen, opfervollen puritanischen Tugenden, die das Land großgemacht haben, und auf dem Willen, in der Weltpolitik wieder zu führen und der sowjetischen Herausforderung eine Struktur des machtpolitischen Gleichgewichts, der inneren Erneuerung und der eigenen wirtschaftlichen Leistung entgegenzusetzen.
Die Leitidee der neuen Administration - ich bin froh, daß Sie mit solcher Wärme von dieser Administration gesprochen haben, Herr Bundeskanzler -, dieser neuen Regierung Reagan, Führung und Erneuerung, geben auch einen Maßstab ab, um unsere eigene Situation in der Bundesrepublik Deutschland angemessen zu beurteilen. Diese Situation ist geprägt von Müdigkeit, Zerstrittenheit, Führungsschwäche, einer gefährlichen Ahnungslosigkeit und der Bereitschaft der linken Öffentlichkeit, Wunschdenken an die Stelle der Wirklichkeit zu setzen. Während sich die Amerikaner Gott sei Dank wieder der Außenpolitik und auch ihrer Bedrohung erinnern, regiert in weiten Teilen der deutschen Sozialdemokratie die Hoffnung, man könne durch Wegwünschen und Parteiresolutionen die Gefahren bannen. Der amerikanischen Wandlung zu Führung und Weltpolitik entspricht leider das deutsche Festhalten an Wohlstand als Staatsziel und Entspannung als Ersatzreligion. Das aber ist das sichere Rezept für die sowjetische Hegemonie in Europa.
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Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch ein paar Gedanken zu unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten hinzufügen, weil dieser törichte Antiamerikanismus es einfach notwendig macht, daß wir uns auf unsere Erfahrungen, die Erfahrungen unserer Generation, wieder besinnen und sie an die Jungen weitergeben.
Die gegenwärtigen Probleme sind zutreffend nur zu beurteilen und in verantwortliches Handeln umzusetzen vor dem Hintergrund dessen, was Deutsche und Amerikaner seit mehr als 30 Jahren verDr. Kohl
bindet, dann wird auch erst sichtbar, was heute und in Zukunft auf dem Spiel steht.
Nach der Phase des 30jährigen europäischen Bürgerkriegs, der 1914 begann und 1945 endete, haben es doch vor allem Mut und Opferbereitschaft der Amerikaner geschafft, daß wir Europäer noch einmal eine Atempause erhielten. Mut zum „Containment" der Sowjetunion, wie es damals George F. Kennan nannte, Bereitschaft zu wirtschaftlichen Opfern für den Kriegsgegner von gestern bei der CARE-Paket-Aktion, für die Freunde von später in der Marshallplan-Hilfe, der größten Zukunftsinvestition des Friedens: Wir dürfen diese Werke des Friedens niemals vergessen.
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Europa erhielt nach diesen schrecklichen Kriegszeiten am Ende seiner Weltgeltung und ungeachtet der tödlichen Bedrohung aus dem Osten noch einmal die Chance eines lebenswerten Lebens. Die ältere Generation konnte nach Jahrzehnten des Krieges und der Not endlich wieder aufatmen, ihre Kräfte für sich und für ein freies Gemeinwesen regen, und die Jüngeren wuchsen hinein in eine Welt voller Chancen und Hoffnungen. Soll dies alles vergessen sein, untergehen in Unzufriedenheit, einem kindlichen Mangel an Realismus geopfert werden, dem Wunschdenken verwöhnter Kinder, die nicht mehr begreifen können, daß ihr Glück der Geschichte durch Mut und Mühe abgerungen wurde?
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- Daß Sie dazu lachen, ist ein exemplarischer Beweis für diese Stimmung.
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Wie war das denn in den Jahren nach dem Krieg? Unser Land ein Trümmerfeld; die Rote Armee auf dem Sprung, nach Abzug der US-Truppen die restliche Ernte einzubringen; die Menschen in Angst und Schrecken. Das Schicksal unserer Mitbürger im anderen Teil Deutschlands lehrte doch viele Deutsche in der Bundesrepublik, ihr günstigeres Schicksal zu begreifen.
Es folgten die blutigen Daten in Berlin, Warschau, Prag, Budapest: 1953, 1956, 1970, 1976. Das ist die Reihe sowjetischer Gewalttaten mitten in Europa, vor unserer Haustür. Und die Krise in Polen, die im letzten Jahr erneut ausbrach, ist noch lange nicht zu Ende. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, sehen die Gefahr, daß eine Intervention in Polen „die gesamte weltpolitische Lage von Grund auf ändern würde". In Afghanistan hat die Sowjetunion gezeigt, wie sie zu handeln weiß, wenn sich machtpolitisch verdünnte Zonen auftun.
Uns, den Bürgern der Bundesrepublik, und unseren Mitbürgern in West- und Mitteleuropa ist dieses Schicksal erspart geblieben, erspart geblieben deshalb, weil es bei Kriegsende Männer mit Mut und Vision gab, die zu führen wußten: Harry S. Truman in den Vereinigten Staaten, Churchill in England, Monnet und Schuman in Frankreich, de Gasperi in Italien und Konrad Adenauer in der jungen Bundesrepublik Deutschland. Sie haben einem tödlich erschöpften Europa das Schicksal der Osteuropäer erspart. Sie haben dafür die Geschicke der Völker auf beiden Seiten des Atlantiks in ein großes Bündnis eingebracht, das militärische Zusammenarbeit mit wirtschaftlicher und währungspolitischer Kooperation und Partnerschaft verband.
Nichts aber hat dieses Bündnis bei all seiner Vielfalt und all seiner großen Unterschiedlichkeit und Bewegung ungeachtet der Krisen der Tagespolitik enger verbunden als das Bewußtsein, daß nur in der Gemeinsamkeit der atlantischen Partner der Frieden zu bewahren sei und nur dort die Menschenwürde ihren Platz habe. Diese ethischen Grundlagen, meine Damen und Herren, sind es, die Westeuropa und die Vereinigten Staaten bis heute verbinden und die uns auch weiterhin verbinden werden, wenn wir unsere Freiheit und unsere Würde nicht selbst preisgeben.
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Die Atlantische Allianz, die Westeuropäische Gemeinschaft - wer will das leugnen - haben ihre Probleme, ihre Krisen. Aber nur ein Narr kann das Irdisch-Unvollkommene ständig dem Maßstab des Himmlisch-Vollkommenen aussetzen.
Der amerikanische Schutz, meine Damen und Herren, hat uns Westeuropäern und uns Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland drei Jahrzehnte der Prosperität gesichert. Sie hat nach außen Sicherheit gegen die Bedrohung geschaffen und es uns nach innen erlaubt, Wohlstand zu schaffen und soziale Netze zu knüpfen, von denen unsere Väter und Großväter in ihren kühnsten Träumen noch nichts wußten. Vor allem hat das Bündnis mit den Amerikanern es den Überlebenden der europäischen Katastrophen erlaubt, Freiheit und Menschenwürde in die Tat umzusetzen.
Alle, die ihre Malaise an Wohlstand und Freiheit heute so genüßlich zu Markt tragen, sollten sich doch einmal ehrlich fragen, wer denn noch auf ihren Jammer hören würde, wäre Europa nach dem Krieg nicht Partner der USA geworden.
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Dies sind verwöhnte Kinder, die sich den Luxus erlauben, die Voraussetzungen zu ignorieren, unter denen sie so glücklich unglücklich sein dürfen, unter denen auch der gröbste Mangel an realpolitischer Einsicht noch als „kritische Utopie" des Beifalls und auch des bedeutenden Honorars sicher sein darf.
Meine Damen und Herren, der amerikanische Schirm erst war es, der die Lösungen in Österreich oder in Finnland möglich machte. Wer heute von Neutralisierung und einseitiger Abrüstung, wer von Friede ohne Waffen träumt, muß auch die Frage nach dem machtpolitischen Widerlager beantworten, das jede Neutralisierung in Europa braucht, um dauerhaft zu sein. Die Bundesrepublik gehört und gehörte zu diesem Widerlager. Sie hat auf diese Weise ihren Beitrag zum Frieden in Europa geleistet. Ohne das Widerlager dieser Allianz gäbe es keine Neutralität mehr, nirgendwo, keinen Frieden, der nicht der Frieden des Kirchhofs, und keine Ruhe, die nicht die Ruhe des GULag wäre. Was unserer Republik heute not tut, ist eine Besinnung auf
diese Grundlagen, die immer auch eine Besinnung auf die Grundlagen ist, in denen die Werte verankert sind, auf denen die Bundesrepublik Deutschland ruht, jene Werte, die aus der christlichen und Aufklärungs-Tradition unseres Landes kommen. Die gegenwärtige weltpolitische Krise kann, indem sie die essentiellen Bedingungen des Überlebens in Erinnerung ruft, Ausgangspunkt einer heilsamen Erneuerung sein, einer schmerzhaften Überprüfung der Gegenwart und eines von Mut und Entschlossenheit bestimmten Aufbruchs in die Zukunft, die nicht nur von Ängsten und Krisen umstellt ist, sondern auch Hoffnungen und Versprechen enthält.
Meine Damen und Herren, vieles von dem, an dem heute unser Herz hängt, ist, wenn es not tut, entbehrlich. 1949 war das meiste entbehrlich, nicht aber das Gefühl der Freiheit, die Hoffnung auf Frieden und der Gebrauch der eigenen Hände. Ein solcher Aufbruch tut uns heute not, eine Besinnung auf das, was uns das moralische und materielle Elend hat überwinden lassen. Das aber ist - damals wie heute - nicht allein, im nationalen Alleingang zu leisten, sondern im Verbund mit dem Westen, mit den Vereinigten Staaten, und zwar in einem moralischen, in einem wirtschaftlichen und in einem militärischen Sinne.
Gleichgewicht ist nicht nur eine Rechengröße. Gleichgewicht hat auch moralische und wirtschaftliche Fähigkeiten in Rechnung zu stellen. Im militärischen Bereich hat uns die Sowjetunion überholt. Sie bedroht uns, sie möchte uns gefügig machen. Aber unsere Kraft liegt nicht allein und nicht vor allem im Militärischen. Sie liegt in der Existenz des Menschen, dem Gott natürliche Rechte gab und die Fähigkeit zu hoffen, sich Ziele zu setzen und sich seiner Kräfte zu bedienen. Das sind die Grundlagen der freiheitlichen, der westlichen Allianz, die wir mit Mut, mit realpolitischem Augenmaß und Arbeit zu erneuern haben, um sie an die nächste Generation weiterzugeben.
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Herr Bundeskanzler, für die deutsche Innenpolitik liegen die Folgerungen auf der Hand. Führung wird verlangt, Klarheit vor allem in den Entscheidungen, die unsere Stellung im Bündnis festigen müssen, eine Besinnung auf die geistigen und die materiellen Fundamente, auf denen die Bundesrepublik Deutschland ruht.
Der Aufbruch in den Vereinigten Staaten von Amerika und die zunehmende Ermüdung in unserem eigenen Lande wären als Kontrastprogramm vielleicht noch ein interessantes Schauspiel. Als Voraussetzung unserer Sicherheit, des Gleichgewichts und des Friedens kann dieser Zwiespalt nicht dauern. Hinter den geschliffenen Formeln bündnispolitischer Höflichkeit, die die deutsche ,,Tagesschau" von Ihrem Besuch übertrug, verhehlt Washington nicht die tiefe Besorgnis, daß die Handlungsfähigkeit der gegenwärtigen Regierung aus der größten Regierungspartei durch die Demagogie einseitigen Waffenverzichts, durch Volksfronttendenzen und einen gefühlvollen Antiamerikanismus gelähmt wird.
Auf die Dauer kann es nicht dabei bleiben, daß den Deutschen der Wille zur Selbstverteidigung mangelt und daß allein die Amerikaner nachdrücklich zur Front gebeten werden. Das ist im amerikanischen Kongreß und im amerikanischen Volk auf die Dauer undenkbar. Der amerikanischen Bevölkerung könnte beim Blick auf die Landkarte eines Tages doch einfallen, daß zwischen ihr und der Sowjetunion immer noch ein Ozean liegt, während zwischen uns und der Sowjetunion nichts als die dünne Linie liegt, die Krieg und Frieden, Freiheit und Unterwerfung trennt. Diese dünne Linie hat bisher gehalten. Ob sie es auch in Zukunft tut, hängt von niemandem mehr ab als von uns selbst, unserem Mut, unserer Fähigkeit zur Realpolitik und unserer Bereitschaft, die Grundlagen unserer freiheitlichen Kultur zu verteidigen.
Herr Bundeskanzler, wir werden Ihre Regierung daran messen, ob sie bei der Lösung der aktuellen Probleme der Bündnisräson entspricht und ob sie in den fundamentalen, in den grundsätzlichen Fragen wieder den Weg zurückfindet zu Realitätssinn und Mut, den Mut, der Nation und auch der eigenen Partei zu sagen, daß ohne Opfer, ohne Leistung und ohne Arbeit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und die Freiheit von uns allen verloren werden.
({37})
Meine Damen und Herren, ich hole eine geschäftsordnungsmäßige Entscheidung nach. Interfraktionell ist eine Redezeit von vier Stunden - einschließlich der Regierungserklärung - vereinbart, also bis 13 Uhr. Weiter ist vereinbart, die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung in verbundener Debatte zu behandeln. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, ich sollte nicht über Gebühr den polemischen Spuren folgen, die zumal den ersten Teil der Ausführungen von Herrn Kohl so stark gekennzeichnet haben,
({0}) sondern ich möchte zur Sache reden.
Was ist die Sache heute? Sache ist, daß die Ergebnisse von Washington und Paris - ich beziehe London gern mit ein, wie es auch der Bundeskanzler getan hat - Positiva der deutschen Politik sind. Die sollte man unabhängig von kleinlicher parteipolitischer Polemik würdigen können.
({1})
Dies gilt auch, meine Damen und Herren, für die mehrfach erwähnten - ich komme gleich darauf zurück - Ergebnisse der Tagungen, die so wesentlich durch den Bundesminister des Auswärtigen und durch den Bundesminister der Verteidigung mitgeprägt worden sind.
Was Paris angeht: Ich finde, im deutsch-französischen und im europäischen Interesse lag es, daß die
Gespräche in Paris denen in Washington unmittelbar folgen konnten. Nun lassen Sie mich ganz offen sagen - das wird ja außerdem keinen überraschen -: Ich habe mich aufrichtig darüber gefreut, daß François Mitterrand nicht nur Präsident geworden ist, sondern daß er die innenpolitische Landschaft in Frankreich verändert hat.
({2})
Aber das ändert doch nichts an dem anderen, worin ich insofern mit Herrn Kohl übereinstimme, daß das, was zwischen den beiden Völkern gewachsen ist, schon bisher unabhängig war und bleiben muß von den Regierungskonstellationen dort und hier.
Allerdings - das muß ich jetzt in Abwesenheit von Herrn Kohl sagen, der mich hat wissen lassen, daß er im Augenblick wegen eines ausländischen Besuchs nicht da sein kann -: Ich stimme Herrn Kohl zu, wenn er darauf hinwies, was Schuman, was de Gasperi, was Adenauer, was de Gaulle für Europa und was Adenauer, Schuman und de Gaulle für die deutsch-französischen Dinge getan haben. Doch wenn man dann hinzufügt „Wir sind" - das war auf die CDU/CSU bezogen - „die Partei der deutschfranzösischen Freundschaft", dann frage ich mich: Welcher Mangel an Sinn für Geschichte!
({3})
Ich bin am Donnerstagnachmittag dabei gewesen, als der neugewählte Präsident der französischen Republik, umgeben von einer Million Menschen, in Paris zum Pantheon gegangen ist, um seine Blumen am Grab von Jean Jaurès niederzulegen, dem französischen Sozialistenführer, der unmittelbar vor Ausbruch des 1. Weltkriegs ermordet wurde, so wie sein deutscher Freund und Kollege August Bebel schon 1871 lieber ins Gefängnis gegangen ist, als für die Annexion von Elsaß und Lothringen Mittel zu bewilligen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die deutsch-amerikanische Freundschaft angeht, hätte ich Herrn Kohl gern gesagt: Wir sollten darauf verzichten, einander dazu Belehrungen erteilen zu wollen. Ich sage ohne Hochmut: Manche von uns haben sich an den Schuhsohlen abgelaufen, was einige rechte Polemiker vorbringen, als ob sie die Welt neu entdeckt hätten.
({5})
Wir wissen, wo die Bundesrepublik liegt, daß sie ihre Sicherheit nicht im Alleingang finden kann, daß sie sich um Sicherheit mit den, wie ich bewußt sage, Verwandten in der Europäischen Gemeinschaft und mit den Partnern im Atlantischen Bündnis und damit zumal mit den Vereinigten Staaten zu bemühen hat und zusätzlich, wo dies möglich ist, durch offenen Meinungsaustausch und sachliche Zusammenarbeit mit den Nachbarn im Osten und mit möglichst vielen Partnern in der Dritten Welt.
Niemand kann für sich allein Sicherheit verwirklichen. Eigene Sicherheit ist immer weniger denkbar ohne die Sicherheit anderer oder der anderen. Aber dann ist es auch eine alte Erfahrung: Nicht derjenige ist der beste Freund oder überhaupt ein Freund, der dem anderen, zumal dem Stärkeren, nach dem Munde redet, statt offen zu sagen, was die eigenen Überzeugungen und Interessen gebieten oder weshalb man sie einbringt in das Ganze, so, wie andere dies auch tun. Zuverlässig sein, heißt nicht, auf Selbständigkeit verzichten, hat der neue französische Außenminister vor ein paar Tagen gesagt.
({6})
Aus Washington hören wir z. B. - der Bundeskanzler hat es berichtet -, daß die Amerikaner, ihre Regierung, ihr Präsident, aus ihren, sicher guten Gründen meinen, es liege in ihrem Interesse, an der Hochzinspolitik noch eine ganze Weile festzuhalten. Wir können daran nichts ändern. Aber wir brauchen auch nicht darüber zu jubeln, sondern wir müssen hoffen, daß hier wie auf anderen Gebieten beim Wirtschaftsgipfel in Ottawa im Sommer eine bessere Abstimmung westlicher Politik erfolgt - ohne daß ich von Veranstaltungen dieser Art, gestützt auf Erfahrungen, nun allzuviel erwarte.
({7})
Nicht mehr ganz neu, meine Damen und Herren, aber immer wieder enttäuschend ist die Begleitmusik, die mancherorts auch diesmal von interessierter Seite gespielt wurde, während der Bundeskanzler in Washington wichtige Gespräche führte. Was da einige Leute geschrieben und gesagt haben,
({8})
berechtigt sie nicht, aufzutreten, als verträten sie nationale Interessen.
({9})
Man sollte im übrigen nicht so tun - und es im Ausland mit verbreiten -, als bräuchten wir Nachhilfeunterricht in Sachen Landesverteidigung und Bündnis.
({10})
Und was soll es, wenn man nicht hinreichend informierten Leuten im Ausland den Eindruck vermitteln will, wir stünden nicht zu unseren im Bündnis eingegangenen Verpflichtungen?
Tatsache ist: In all den Jahren dieser sozialliberalen Koalition und mit sozialdemokratischen Bundeskanzlern - wenn ich jetzt mal den Plural benutzen darf - ist die Bundesrepublik ihren Verpflichtungen so nachgekommen, daß sie keinen Vergleich zu scheuen braucht.
({11})
Die Leistungen für die Bundeswehr sind entsprechend gestiegen; unsere Streitkräfte können im europäischen nichtnuklearen Bereich jeden Vergleich aushalten. Warum so tun, meine Damen und Herren, als ob die Sicherheit unserer Bürger aufs Spiel gesetzt werde oder worden sei?
Die uns zuhörende deutsche Öffentlichkeit spürt vermutlich: Hier suchen einige die Konfrontation an der falschen Stelle.
({12})
Ich sage für uns alle miteinander - was uns auch sonst trennt -: Wenn wir die Zeichen der Zeit richtig verstünden, müßte dies heute die Gelegenheit sein, kleinliche parteipolitische Polemik beiseite zu schieben ...
({13})
Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Nein, das möchte ich nicht. Der Vorsitzende der CDU hat seine Ausführungen auch ohne Zwischenfragen machen können. Ich habe eine begrenzte Redezeit und möchte die nutzen. ({0})
... und klar zu sagen, meine Damen und Herren von der Opposition, ob man die Regierung bei schwierigen bündnispolitischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen stützen will oder nicht. Darum geht es heute. Nicht drumherum reden!
({1})
Zur Entscheidung steht heute nicht der Doppelbeschluß - der ist längst gefaßt; die Frage ist, was aus ihm wird -,
({2})
sondern zur Entscheidung steht, was man damit macht. Davon handelt die Entschließung, die Ihnen die Fraktionen der SPD und FDP unterbreitet haben. Wir unterstützen die Gemeinsame Erklärung von Washington. Die Opposition muß sich fragen lassen, ob sie guten Gewissens dagegen sein kann.
({3})
Wir unterstützen das, worin sich Bundeskanzler Schmidt und Präsident Mitterrand einig waren. Die Opposition wird sich hoffentlich nicht dagegenstellen.
({4})
Wir unterstützen das, was Außenminister Genscher und Verteidigungsminister Apel zu den heute hier anstehenden Fragen in Rom und Brüssel ausgehandelt und mit beschlossen haben - es sind natürlich auch noch andere Fragen behandelt worden.
({5})
Die Opposition hat schon ein paar Wochen Zeit zur Prüfung gehabt und sollte hier keine Scheingefechte führen, da es doch in Wirklichkeit darum geht, ob man die Bemühungen der Regierung mitträgt oder nicht. Das soll man deutlich sagen.
({6})
Dies gilt auch und gerade für den vielzitierten Doppelbeschluß. In der Gemeinsamen Erklärung Reagan/Schmidt haben beide Elemente gleiches Gewicht, so auch in der Entschließung, die Ihnen die Koalitionsfraktionen unterbreitet haben, so im Beschluß des Parteivorstandes der SPD von Ende März dieses Jahres, wo es heißt:
({7})
Die Aufstellung von Mittelstreckenwaffen als Antwort auf die sowjetische SS-20-Rüstung wird von dem Ergebnis dieser Verhandlungen abhängig sein.
Dann heißt es - Herr Kollege Kohl, da Sie dies gerne zusätzlich wissen wollten: das ist die wörtliche Wiedergabe dessen, was unser Parteitag im Dezember 1979 in Berlin beschlossen hat -:
Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen - gleich Moratorien -- so steht es darin über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtert würden.
Das ist doch eine klare Aussage, auf den Verhandlungsprozeß bezogen, der vor uns liegt. Wir Sozialdemokraten waren und bleiben für Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau.
({8})
Es hat mich gefreut, daß der Kollege Genscher am Sonntag in einem Interview den Grundgedanken so klar zum Ausdruck gebracht hat, als er - etwas salopp formuliert, aber auch für einen Außenminister zulässig - in der Du-Anrede an die andere Seite sagte: Stoppt eure Vorrüstung; beseitigt eure Vorrüstung; dann brauchen wir nicht nachzurüsten.
({9})
Das heißt, der Bundesaußenminister sagt - und wir sagen das auch -: Vom Prinzip her ist sogar die Nulloption noch offen. Das hängt doch nicht von uns ab; das hängt doch von einer ganzen Menge anderer Leute ab.
({10})
Wir deutschen Sozialdemokraten sind für jeden möglichen brauchbaren Schlüssel, der nicht nur zu Verhandlungen, sondern der zu Vereinbarungen führt.
({11})
Im Dezember werden allerdings schon zwei Jahre seit dem Brüsseler Beschluß vergangen sein. Das macht die Dinge nicht leichter. Um so wichtiger ist das, was in der Gemeinsamen Erklärung von Washington zur Frage der Verhandlungen und Vorverhandlungen ausgesagt wird. Ich bitte das nochmals nachzulesen. Da sind Sie wieder bei einem Punkt, zu dem ich zu meinem Erschrecken gestern gelesen habe, daß der, der für die CDU/CSU sprach, sagte: Wir können nicht dafür sein, die Politik der aktiven Friedenssicherung zu bekräftigen, für die diese ReBrandt
gierung sich in ihrem Regierungsprogramm ausgesprochen hat. - Das kann man zur Not noch verstehen.
({12})
Aber, Herr Kollege Jenninger, in einer anderen Passage heißt es, daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen der NATO im Lichte konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird. Dies bezeichnen Sie als Verbesserung und wissen nicht, daß die Koalitionsfraktionen hier das übernommen haben, was im Bündnis dazu verbindlich festgestellt worden ist.
({13})
Wir sind hier auf der Linie dessen, was das Bündnis für richtig hält. Also heißt es ganz logisch an dieser Stelle im vorletzten Absatz unserer Entschließung „Er" - der Bundestag, den wir dazu einladen - „unterstreicht in diesem Zusammenhang die Feststellung des Doppelbeschlusses" - wir unterstreichen nicht einen Parteitagsbeschluß, wir unterstreichen die Feststellung des Doppelbeschlusses -, „daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen der NATO im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird". - Das ist doch im Idealfall so, daß der Bedarf auch ein Nullbedarf sein kann. Ich hoffe, daß man möglichst daran kommt.
({14})
Ich füge hinzu: Doch sollte die Nulloption nicht zu erreichen sein, dann wäre jede Vereinbarung besser als keine Vereinbarung.
({15})
Über das, was ich jetzt sage, streiten wir in der SPD nicht, sondern darüber sind wir in der SPD einig. Aber natürlich trifft es zu, daß wir es uns nicht leicht machen, wo es um todernste Fragen geht. Dabei bin ich mir wohl bewußt, wie leicht es ist, „Gleichgewicht" oder „annäherndes Gleichgewicht" zu sagen, und wie schwer es ist, diesen Begriff dann in einem Prozeß des dauernden Wandels konkret zu erfassen. Man braucht nicht eigentlich ein Experte zu sein, um ein Gefühl davon zu bekommen, wie schwierig es ist, regionale Gleichgewichte - es geht j a da nicht nur um das unsere - im Zusammenhang mit einer globalen Balance der Kräfteverhältnisse so zu interpretieren, daß daraus vernünftige Schlüsse gezogen werden können. Ganz zu schweigen von dem nicht nur bedrückenden, sondern - ich sage - niederdrückenden Gefühl, daß die Waffentechnik noch einmal neue qualitative Sprünge macht, während gleichzeitig strategische Absprachen ins Rutschen kommen, auf die sich Kennedy und Chruschtschow vor 20 Jahren mit Ach und Krach verständigt hatten.
Das ist doch keine Parteisache. Was sich hieraus an Fragen und Sorgen ergibt, das müßte uns doch alle nicht nur beschäftigen, sondern aufwühlen. Es wäre jedenfalls, meine verehrten Kollegen von der CDU und von der CSU, doch ganz und gar unnatürlich, wenn die deutsche Sozialdemokratie eilfertig oder gar leichtfertig über das hinwegginge, was viele in unserem Volk mit Sorge erfüllt und manche der Jungen so umtreibt,
({16})
daß die Regierenden sich mit ihrem friedenspolitischen Engagement nur schwer verständlich machen können. Kann man denn wirklich die Gefahr übersehen, das wichtige Teile einer neuen Generation das Gefühl haben, wir hätten für ihre Ängste kein Verständnis? Gehört der Dialog mit den zweifelnd oder verzweifelnd Fragenden nicht auch zu dem, was Sicherheitspolitik in einem demokratischen Staat ausmacht?
Natürlich geht es hier um Fragen, auf die es innerhalb der SPD nicht von vornherein nur eine einzige Antwort gibt.
({17})
Aber wer dies zum Anlaß für Schadenfreude nimmt, der zeigt, daß er wenig von der Antwort einer Partei verstanden hat, die den Begriff „Volkspartei" im Sinne des Godesberger Programms ganz ernst nimmt.
({18})
Im übrigen - ich hörte einen leichten Zwischenruf „Aalen" - wird unsere Diskussion häufig j a auch noch verzerrt wiedergegeben. Selbst hier im Bundestag - ich konnte nicht da sein - hat Herr Kollege Kohl über meine Rede in Aalen nicht auf Grund dessen berichtet, was ich wirklich gesagt habe, sondern auf Grund dessen, was ihm als das berichtet worden ist, was ich gesagt hätte.
({19})
Es sind ja auch nicht nur junge Sozialdemokraten - nicht nur junge und nicht nur Sozialdemokraten -, die bohrende Fragen stellen. Nehmen wir z. B. den erfahrenen amerikanischen Diplomaten und Historiker George Kennan. Dem fließt es doch nicht so leicht aus der Feder, wenn er sagt, beide Seiten häuften Kernwaffen an wie Leute in Trance, wie Lemminge, die sich ins Meer stürzten. Er hat sich das doch überlegt, wenn er sagt: Bei einer Million Hiroshima-Waffen müßten auch 20 % auf beiden Seiten ausreichen, um das Gleichgewicht des Schrekkens zu haben.
({20})
Er wird ja keinen Erfolg mit dem Hinweis haben,
({21})
man sollte erst einmal auf beiden Seiten um 50 % heruntergehen;
({22})
aber derjenige, der dies aufwirft, ist doch kein Narr.
({23})
Oder nehmen wir Carl Friedrich von Weizsäcker. Er zweifelt - Sie werden das nachgelesen haben, Herr Kollege Kohl - an dem Beschluß, den er einen unseligen nennt, und zwar nicht deshalb, weil er der Regierung etwas vorwirft, sondern deshalb, weil er die Zusammenhänge aufzeigt. Sein Votum - wie das des Grafen Baudissin und anderer - für seegestützte Raketen behält ein Gewicht, auch wenn das jetzt nicht gehen sollte.
({24})
Carl Friedrich von Weizsäcker macht sich Sorgen wegen der nächsten Jahre, wenn er schreibt, zum erstenmal trete er öffentlich - öffentlich! - für - ich zitiere - die große Abrüstung als Verhandlungsgegenstand ein.
Man mag nun im einzelnen zu anderen Ergebnissen kommen, doch niemand darf das verdächtigen, was aus Sorge oder aus mitmenschlicher oder nationaler Verantwortung vorgebracht und eingebracht wird.
Ich habe mir vorgenommen, hier und anderswo noch einmal und immer wieder darzulegen, weshalb wir uns nicht seitwärts in die Büsche schlagen können, weshalb man nicht sicher ist, wenn man die Augen schließt und glaubt, man könne sich selbst genug sein, und darzulegen, daß Unterschriftenkampagnen keine Politik ersetzen können.
Im übrigen bin ich gegen eine isolierte Betrachtung des Mittelstreckenwaffenvorgangs. Dieses Thema gehört natürlich zu dem der Interkontinentalraketen. Deshalb ist es richtig, in der Gemeinsamen Erklärung vom SALT-Prozeß zu sprechen, in den dies wieder hineinkommt.
({25})
Das gehört natürlich auch zu den Madrider Verhandlungen - auch mit dem Blick auf eine europäische Abrüstungskonferenz - und zu den Wiener Verhandlungen, so fruchtlos sie bisher auch geblieben sind; es gehört auch zu den regionalen Krisen, heute vor allem im Nahen Osten; es gehört zur zunehmenden Militarisierung der Dritten Welt und zur Rolle der Blockfreien, die, wie ich mit Befriedigung sehe, dort, wo die deutsche Außenpolitik sich äußert und andere dazu bewegt, mit ihr zusammen etwas zu tun, eine immer größere Rolle spielen. Dazu gehört auch das Nord-Süd-Verhältnis als zusätzliche Dimension von Friedenspolitik. Der Präsident François Mitterrand hat für sein Land am Donnerstag im Elysée gesagt: Die Rolle Frankreichs wird es sein, mit Nachdruck deutlich zu machen, daß es eine echte Weltgemeinschaft nicht geben kann, solange zwei Drittel des Planeten im Austausch für ihre Menschen und Güter nur Hunger und Verachtung erhalten.
({26})
Da muß man doch ernsthaft etwas miteinander bereden können, wie es auch schon angeklungen ist.
Meine Damen und Herren, warum in diesem Zusammenhang nicht auch stärker von Europa sprechen, von dem, was europäische Regierungen - natürlich bei uns im Westen, aber auch darüber hinaus, in West und Ost - bei aller Bündnisloyalität tun oder zu tun sich bemühen könnten, auch die der beiden deutschen Staaten? Beide Supermächte haben ihr Risiko berechenbar gemacht, sie haben unter Erhaltung der Bündnisse bündnisüberwölbende Vereinbarungen getroffen. Nun müßte es unter Erhaltung der Bündnisse um bündnisüberwölbende Vereinbarungen für Europa gehen, damit auch für Europa das Risiko berechenbar wird.
({27})
Das ist das eigentliche Ziel der Verhandlungen, meine verehrten Kollegen, die zu erreichen die SPD dem Doppelbeschluß zugestimmt hat. Ohne Doppelbeschluß, wie die Welt aussieht - wir können sie uns nicht neu zurechtmachen -, gibt es wohl keine Verhandlungen, ohne Verhandlungen keinen Stopp der sowjetische Mittelstreckenrüstung und dann danach keinen Stopp der amerikanischen mit folgender Stationierung. Es bleibt unser erklärtes Ziel, die Option zu erreichen, die Europa auf beiden Seiten freihält von dem Teufelszeug.
({28})
So unwahrscheinlich das von vielen gehalten wird, sowenig das einige wollen, - es muß erprobt werden, wieviel der Sowjetunion daran liegt, amerikanische landgestützte Waffen in Europa zu verhindern, die ihr Territorium erreichen können.
Herr Kollege Kohl, für mich besteht kein Grund, nicht weiter von Entspannung zu reden.
({29})
Übrigens tut es auch das Bündnis. Ihre kritische Bemerkung dazu hat, wenn ich so sagen darf, die Aktenlage nicht hinreichend berücksichtigt. Wie sieht das aus? Das Bündnis hat bei der Sitzung in Rom einmütig in Punkt 8 festgehalten:
Sie werden den Dialog mit der Sowjetunion aufrechterhalten und gemeinsam für echte Entspannung und die Entwicklung des Ost-WestVerhältnisses arbeiten, ...
({30})
- Waren wir je für unechte?
({31})
Herr Kohl hat weder von echter noch von unechter gesprochen, er hat gesagt - ({32})
- Augenblick! Zuhören und, wenn ich das so sagen darf, das nächste Mal noch ein bißchen besser lesen!
({33})
Jetzt kommt zu dem Text aus Rom, den ich eben genannt habe, der Text aus Brüssel dazu. Da heißt es in Ziffer 2:
Diese Stabilität erfordert es, daß alle Staaten mit Mäßigung und Verantwortungsbewußtsein handeln, und zwar im Interesse der Förderung echter Entspannung und der Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses .. .
Und dann heißt es in der Gemeinsamen Erklärung von Washington:
Der Bundeskanzler und der Präsident begrüßten und bekräftigten die Ergebnisse der jüngsten NATO-Konferenzen auf Ministerebene in Rom und Brüssel als erneuten Beweis ...
({34})
Also ich muß schon sagen, man darf eine solche Polemik nicht anbringen, wenn man die Texte nicht hinreichend kennt.
({35})
Meine Damen und Herren, Entspannungspolitik - vergessen wir dies nicht - mit allen Unzulänglichkeiten war dort, wo sie stattgefunden hat, nicht ohne Erfolg: Regionale Spannungen wurden abgebaut - denken wir an Berlin -; Ansätze für regionale Rüstungsbegrenzung - Wien -, so schwierig das ist; Ansätze für vertrauenbildende Maßnahmen - Helsinki, jetzt Madrid. Falsch ist es, wenn immer wieder behauptet wird, die Sowjetunion sei der Gewinner der Entspannungspolitik. Entschärfung der Konfliktpunkte liegt objektiv im Interesse beider Seiten.
Ich muß und werde sehr zurückhaltend sein beim Thema Polen. Ich halte es für höchst fragwürdig, vor dem Hintergrund des polnischen Geschehens von allem, was östlich von uns liegt, als von einem großen östlichen GULag zu sprechen. Das ist tief ungerecht gegenüber den Polen.
({36})
Aber zum anderen: Entspannung diente doch, ohne daß wir uns eingemischt haben, auch ein bißchen den Bürgern Osteuropas. Das, Herr Kollege Kohl, ist der Grund, warum uns Besucher aus der DDR und Gesprächspartner aus der Volksrepublik Polen sagen, wir möchten, so schwierig das alles geworden sei, nicht aufgeben. Wir wollen auch nicht aufgeben!
({37})
Wir wollen immer wieder neu ansetzen. Also sprechen wir, und wenn es noch so schwierig geworden ist, weiter vom Abbau von Spannungen und von sachlicher Zusammenarbeit.
Dabei gilt es, deutlich zu sagen, daß es eine Perspektive für Entspannung nicht gibt, wenn sie in den nächsten vor uns liegenden Jahren, in den 80er Jahren, nicht ihre Ergänzung auf den Gebieten von Rüstungsbegrenzung und Abrüstung findet. Es ist eine Illusion, zu glauben, Europa und die Deutschen würden anders überleben.
Die entscheidende Frage, meine Damen und Herren, ist weiterhin: Wie kommen wir über Vorgespräche, die Haig und Dobrynin führen, hinaus, oder wie kommen die Amerikaner und die Russen zu seriösen, zügigen Verhandlungen, die für beide Seiten doch noch etwas bewirken können, was nicht auf dem Weg in das große Unheil liegt, sondern auf der Linie, die trotz allem Stabilisierung des Friedens bedeuten kann?
({38})
Dann auch dies noch: Ausgangspunkt und Grundlage der sozialliberalen Koalition vom Herbst 1969 war es, dem unverrückbaren Bündnis und der unerschütterlichen Freundschaft mit dem Westen etwas hinzuzufügen, nämlich den Ausgleich und - soweit dies möglich ist - sogar die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn, um den jetzt in dieser Zeit möglichen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen.
({39})
So sind wir angetreten. Wir konnten uns auf das Konzept der gegenseitigen Abhängigkeit von Verteidigung und Entspannung stützen, das im HarmelBericht des Bündnisses aus dem Jahre 1967 herausgearbeitet wurde. Das war wohlgemerkt, Herr Kollege Kohl, zur Zeit der Großen Koalition. Wir waren darüber zunächst auch nicht unterschiedlicher Meinung, wenn auch hinterher Teilaspekte aus diesem Bereich mit zur Beendigung jener Form von Zusammenarbeit geführt haben.
Heute stellt sich vieles neu, doch unverändert geblieben ist für meine politischen Freunde und für mich die Pflicht, unverzagt an einer Politik der aktiven Friedenssicherung zu arbeiten. Davon handelt die Entschließung, die wir anzunehmen bitten. - Herr Präsident, ich beantrage namentliche Abstimmung zur Entschließung der Koalitionsfraktionen.
({40})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt die Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers wie auch die Ergebnisse der NATO-Tagungen von Rom und Brüssel, die die inhaltlichen Aussagen der Gespräche des Kanzlers in Washington vorgeprägt haben. Die Ergebnisse dieser Begegnungen der Bundesminister Apel und Genscher sowie des Bundeskanzlers unterstreichen unsere Überzeugung, daß Stetigkeit und Berechenbarkeit der Außenpolitik unverzichtbar sind für den Zusammenhalt des westlichen Bündnisses und für den Frieden in einer zunehmend unsteten und unsicheren Welt. Wir unterstützen von daher auch die Entschließung, die zu den aktuellen Fragen der Sicherheitspolitik, insbesondere zum NATO-Doppelbeschluß, eingebracht worden ist und unmißverständlich die Position der Bundesregierung, der NATO und wenn wir ehrlich sind, aller Fraktionen dieses Hauses bekräftigt.
({0})
Wir würden es von daher auch bedauern, wenn die Union den vorgelegten Antrag nicht unterstützen könnte, der doch die wesentlichen Inhalte der beiden Unionsanträge voll aufgenommen hat.
Mir scheint ohnehin, daß diese Debatte um unsere Sicherheitspolitik zuviel von der Taktik und zuwenig von den Grundsätzen bestimmt wird:
({1})
Taktik, die das Verhältnis innerhalb der Parteien kennzeichnet, Taktik des Verhältnisses zwischen den Parteien. Ich denke, wir sollten uns nicht den Luxus erlauben, hier eine sterile Diskussion zu führen, die an den Diskussionen draußen in der Bevölkerung - die ist nun einmal auch in diesen Fragen sehr kontrovers - völlig vorbeigeht. Dann würde der Bundestag seine Aufgabe verfehlen.
({2})
Ich denke darüber hinaus, Herr Kollege Dr. Kohl, es ist nicht recht einsichtig, wenn Sie versuchen, jedermann, der kritische Fragen aufwirft, gleich in eine bestimmte Ecke zu drängen. Fragen Sie doch einmal Ihren Kollegen Wissmann, der sich jetzt um die Probleme der Jugend kümmern will, fragen Sie Herrn Geißler, die beide zuletzt erklärt haben, die Union müsse deutlich machen, daß es auch in Ihren Reihen zu diesen Fragen eine kontroverse Debatte gibt! Es hilft uns wirklich nicht weiter, wenn wir diese Diskussion mit Verteufelungen führen.
({3})
Es hat auch keinen Sinn, die Kritiker zu diskreditieren, als kämen sie alle aus einer ganz bestimmten politischen Ecke. Statt dessen müssen wir informieren, argumentieren und überzeugen. Das haben wir eine ganze Zeitlang gerade in Fragen der Sicherheitspolitik versäumt. Natürlich müssen wir auch darüber informieren, wer sich da manchmal an manche Kampagnen anhängt oder diese gestaltet. Ein inhaltliches Ziel ist nicht allein schon deswegen schlecht, weil es auch von Leuten verfochten wird, die einem nicht gefallen.
Ich denke, man muß, gerade weil viele der Kritiker der von allen Parteien im Grundsatz gemeinsam verfochtenen Position unterstellen, wir betrieben mit dieser Politik keine Friedenspolitik, definieren, was das Ziel unserer Außenpolitik ist: Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Sie dient in allen ihren Schritten erkennbar dem Ziel, den Frieden in Europa und in der Welt zu sichern und zu wahren. Es ist die mit vielen Opfern bezahlte historische Erfahrung unseres Volkes, daß wir mit allen unseren Kräften für ein friedliches Zusammenleben der Völker arbeiten müssen. Dazu gehört der Wille, Spannungen abzubauen und nicht zu verschärfen, einen gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu sichern, die Zusammenarbeit in vielfältiger Form zu fördern und überall in der Welt für die Verwirklichung der Freiheitsrechte und für soziale Gerechtigkeit einzutreten.
Friedenspolitik ist eine übergreifende Strategie, die alle Bestandteile unserer Außenpolitik einschließt: die Partnerschaft im westlichen Verteidigungsbündnis und die enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, die Bereitschaft, im Rahmen der Kriegsverhinderungsstrategie des westlichen Bündnisses zur Wahrung des Gleichgewichts unseren Verteidigungsbeitrag zu leisten, das Eintreten für die Vereinigung Europas zu einer politischen Union, auf der Grundlage der Gleichberechtigung die Hilfe und Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt bei der Lösung ihrer Entwicklungsprobleme, den Dialog zwischen Ost und West mit dem Ziel, die Entspannungspolitik fortzusetzen und Spannungen und Spannungsursachen durch Verhandlungen abzubauen bzw. ihr Entstehen zu verhindern. Diese Politik wird auch dann nicht widerlegt, wenn sie Rückschläge erleidet. Schließlich gehört dazu das Bestreben, durch Rüstungsbegrenzung und Rüstungsverminderung zu einem Gleichgewicht der Rüstungen auf möglichst niedrigem Niveau zu kommen.
({4})
Natürlich gehören zu einer nüchternen Bestandsaufnahme und zur Darlegung der Grundsätze nicht nur die Definition der eigenen Absicht, sondern genauso die Frage und die ehrliche Antwort darauf, wer diesen Absichten eigentlich entgegenstehen könnte, oder, kürzer formuliert, eine nüchterne Bedrohungsanalyse. Hier führt nun einmal - ich denke, auch das ist gemeinsame Erkenntnis - kein Weg an der Tatsache vorbei, daß der einzige Bedrohungsfaktor für dieses Konzept der westlichen Welt der Warschauer Pakt ist. Ideologisch, strategisch und militärisch hat er seine Ziele klar definiert. Es sind Zieldefinitionen, die im übrigen dem Geist der für den politischen Bereich definierten und praktizierten Entspannung in vielen Punkten widersprechen.
Leider - das kommt hinzu - hat er darüber hinaus sein militärisches Potential in der letzten Zeit auch deutlich gesteigert. Ich zitiere deswegen aus dem in unserer Entschließung aufgeführten Kommuniqué, dem Sie eigentlich nur zustimmen könnten. In Abs. 3 des Kommuniqués der Verteidigungsminister heißt es:
Die Verteidigungsminister waren übereinstimmend der Auffassung, daß die sowjetische militärische Stärke in den letzten zehn Jahren im gesamten Spektrum der militärischen Einsatzmöglichkeiten unablässig ausgebaut worden ist, und zwar auf strategischem Gebiet, bei den taktischen Nuklearwaffen und auf konventionellem Gebiet. Dies steht im Widerspruch zu zahlreichen sowjetischen Erklärungen, in denen Frieden und Abrüstung befürwortet werden.
({5})
Diese beunruhigende Zunahme der militärischen Stärke ermöglicht es der Sowjetunion, in vielen Teilen der Welt Druck auszuüben, insbesondere durch die zunehmende globale Mobilität ihrer Streitkräfte und die Entwicklung einer starken Seestreitmacht. All dies lief parallel zu ständigen Verbesserungen bei den StreitkräfMöllemann
ten, denen sich das Bündnis in Europa und im Atlantik gegenübersieht.
Soweit das Zitat aus dem Kommuniqué der Verteidigungsminister. Ich denke, es beschreibt eindeutig und klar die Situation.
({6})
Nun gibt es natürlich leider immer wieder - ich glaube, weniger im Parlament, aber doch in der Öffentlichkeit - Bürger, die Zweifel haben, ob solche Kommuniqués der Verteidigungsminister hinreichend objektiv seien im Blick auf das, was der Warschauer Pakt tut oder will. Deswegen, so meine ich, ist es immer sinnvoll, Repräsentanten der anderen Seite selber zu Wort kommen zu lassen. Ich will das hier aus einer Flut von Quellen, die jedem von uns zur Verfügung stehen, nur mit zwei Zitaten tun.
Zum einen möchte ich den Verteidigungsminister der DDR zitieren, der im Jahre 1975, was also noch gar nicht so lange her ist, erklärte:
Nicht ein gewisses Minimum an militärischem Defensivpotential unserer Koalition, auch kein sogenanntes Gleichgewicht des Schreckens haben einen Zustand in den internationalen Beziehungen herbeigeführt, den die Menschheit erleichtert als Wende vom Kalten Krieg zur Entspannung empfindet. Die im zähen Kräfteringen der Nachkriegsjahre hart erkämpfte militärische Überlegenheit der Sowjetunion und ihrer Verbündeten über die imperialistischen Hauptmächte war es, die den Frieden sicherer, die antiimperialistischen Kräfte selbstbewußter gemacht und den weltrevolutionären Prozeß vorangebracht hat.
({7})
Oder aus einer strategischen Schrift eines sowjetischen Militärtheoretikers, des Generalleutnants Sawjalow aus dem Jahre 1973:
Es gibt gerechte und ungerechte Kriege. Die ersten, die gerechten, sind die Fortsetzung der revolutionären Politik mit anderen Mitteln. Der sozialistische Staat kann seinem Wesen nach nur gerechte Kriege führen. Ein gerechter Krieg, ein Krieg gegen die Imperialisten, wird unter den derzeit gegebenen Umständen sofort ein globaler, interkontinentaler Krieg sein müssen.
({8})
und dieser globale Krieg wird immer auch ein nuklearer Krieg sein,
({9})
der keinen Unterschied zwischen Front und Hinterland kennt.
Ich denke, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, auch diese Seite gehört zu einer realistischen Betrachtung; denn wenn man sie nicht so nüchtern betrachtet, ist es niemandem, schon gar nicht den jungen zweifelnden Bürgern deutlich zu machen, warum wir denn diese großen Anstrengungen unternehmen müssen.
Ich sage in der Auseinandersetzung, die auch in meiner Partei läuft - ich glaube, sie läuft in allen Parteien -, gerade den Freunden von seiten der Jungdemokraten immer wieder: Es hat keinen Zweck, die Kritiker in ihren Vorurteilen und Unkenntnissen zu bestärken, sondern wir müssen über die Fakten aufklären, damit sie die Schlußfolgerungen, die wir ziehen, mit uns teilen können.
({10})
- Ich habe Sie gar nicht verstanden. Ich fand, daß die Rede des Parteivorsitzenden der SPD absolut nicht undeutlich war, sondern daß er seine Position sehr präzise markiert hat.
Schutz vor der genannten Bedrohung auf der einen Seite, aber genauso die Möglichkeit zu Rüstungskontrolle, Abrüstung und internationaler Kooperation auf der anderen Seite haben wir - auch das ist in diesem Parlament an sich Konsensus - nur auf der Grundlage eines funktionierenden westlichen Bündnisses, der NATO. Bei allen Fehlern und Schwächen einzelner Staaten und Regierungen, uns eingeschlossen, innerhalb der NATO darf es doch aber, liebe Kollegen, keinen Zweifel daran geben, daß der Westen ausschließlich defensiv ausgerichtet ist, daß er demokratisch und auf die Menschenrechte festgelegt ist.
({11})
Es ist eine gedankenlose, wenn nicht gar böswillige Gleichsetzung der UdSSR und der USA, wenn man ihnen unterstellt, sie seien quasi auf das gleiche Ziel gerichtete Großmächte, die nicht auf unterschiedliche Werte fixiert seien.
({12})
In diesem Punkt der Einschätzung, Herr Kollege Brandt, unterscheide ich mich von dem, was Sie gesagt haben. Ich glaube nicht, daß Rüstungs-, Aufrüstungs- oder Nachrüstungsprozesse sich selbst steuernde Prozesse sind. Ich glaube, daß sie durch politische Intentionen und Absichten gesteuert werden. Diese Intentionen und Absichten sind auf unserer Seite rein defensiv. Das kann man leider von der anderen Seite bei allen ihren politischen Aussagen und Praktiken nicht behaupten.
({13})
Was ist nun im Blick auf die hier geführte Diskussion insbesondere über den Doppelbeschluß ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Blöcken? Da ist auf der einen Seite der Westen als eine offene Gesellschaft mit den Möglichkeiten der Veränderung auch dieser Politik z. B. durch Kritik und Wahlen. Es gibt Einflußmöglichkeiten, wenn auch bescheidene, der Friedens- und Konfliktforschung, Einflußmöglichkeiten durch Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Argumentation. Ein offener Disput schließlich ist im Bündnis möglich. Er wird praktiziert. Es ist doch kein Geheimnis, daß besonders das Engagement des Bundesaußen1986
ministers in Rom in fairer Partnerschaft darauf Einfluß genommen hat, daß die Rüstungskontrollverhandlungen noch in diesem Jahr konkret angefangen werden. Darauf sind wir als Liberale natürlich sehr stolz.
({14})
Auf der anderen Seite steht ein System, das gekennzeichnet ist von einem weitgehend geschlossenen Parteiapparat, von der Festlegung der Ziele und Werte von oben nach unten, wo es keine Veranstaltungen, keine Versammlungen, keine Demonstrationen und keine Möglichkeit des einzelnen Bürgers, wo auch immer, gibt, seinen Protest gegen Afghanistan oder die SS-20 irgendwo einzubringen. Überdies entscheidet die Sowjetunion im Warschauer Pakt in den zentralen Fragen weitgehend allein.
Diesen Unterschied müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, wenn wir die Möglichkeit der Beeinflussung unseres Gegenübers mit Methoden erörtern, die bei uns gewollt, machbar und erfolgreich sein können,
({15})
aber auf Grund des systematischen Unterschieds auf der anderen Seite keine Wirkung zeitigen können.
Und nun einige Bemerkungen zum Doppelbeschluß selbst, nicht etwa zu seinem Inhalt. Über den Inhalt ist hinreichend oft diskutiert worden, obwohl ich das Gefühl habe, daß wir alle uns noch nicht genug Mühe gemacht haben, argumentativ seine Berechtigung, seine wesentlichen Zielsetzungen und unsere Hoffnungen, die sich damit verknüpfen, darzustellen. Es gibt in dieser Hinsicht noch sehr viel an Arbeit zu leisten.
Es müssen hier drei Feststellungen getroffen werden, und zwar wiederum gemeinsam.
Erstens. Es war das durch die sowjetische Vorrüstung im Mittelstreckenbereich entstandene Ungleichgewicht, das dazu geführt hat, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland immer wieder zunächst die Sowjetunion und dann auch die übrigen Mitglieder der Regierung den Warschauer Pakt aufgefordert haben, diese Vorrüstung, die den Frieden und das Gleichgewicht gefährdet, einzustellen. Darauf ist nicht reagiert worden. Erst als ein Zustand erreicht wurde, der sicherheitspolitisch auch bei gewissen Toleranzbreiten nicht mehr hinnehmbar erschien, mußte das Bündnis eine Entscheidung treffen. Man muß also auch hier - und das muß man vielen Bürgern draußen immer wieder sagen - darauf hinweisen, daß der Auslöser die Besorgnis der Europäer gewesen ist und nicht eine wilde Rüstungswut unserer amerikanischen Freunde, die zunächst überzeugt und gewonnen werden mußten.
({16})
Zweitens. Etwas wirklich Neues im Procedere, im Umgang der beiden Großmächte, der Blöcke miteinander war ein Vorschlag, der auf dem sicherheitspolitischen Kongreß der Liberalen in Münster entwikkelt wurde - ein bißchen muß man ja auch mal auf etwas, was man mitentwickelt hat, stolz sein dürfen -, nämlich nicht dadurch zu reagieren, daß man sagt, diesem Übergewicht setzen wir auf unserer Seite genauso eine Waffenansammlung entgegen, sondern indem man sagt, es soll eine doppelte Verfahrensweise praktiziert werden: Wir bieten den Sowjets an, auf die Aufstellung aller 572 Systeme zu verzichten, wenn sie ihrerseits bereit sind, auf dem Verhandlungsweg einen Nullzustand herbeizuführen. Gleich, ob das realistisch oder unrealistisch erscheint - es ist unser offen und ehrlich gemeintes Angebot. Hier kann also niemand sagen, es gehe uns um die Rüstung um der Rüstung willen. Es geht uns um das Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau. Wir sind bereit, auf die Aufstellung dieser Systeme zu verzichten. Wir hoffen, daß dieses doppelte Verfahren die Chance bietet, diesem Ziel näherzukommen.
Auch hier, Herr Kollege Brandt, bin ich in einem Punkt anderer Auffassung als Sie. Sie erklärten, daß Ihnen, wenn -es denn schon nicht möglich sei, zur Null-Lösung zu kommen - ich wünschte mir wie Sie, daß wir dazu kommen -, jede Vereinbarung immer noch lieber sei als keine.
({17})
- Ja, gut, dann habe ich das falsch verstanden. Denn es wäre, glaube ich - wenn das unabhängig von ihrem Inhalt gemeint gewesen wäre -, eine gefährliche Entwicklung, zu sagen: Um überhaupt zu Vereinbarungen zu kommen, akzeptiert man jede.
({18})
Wir meinen: Maßstab muß immer das sein, was ja auch im Doppelbeschluß niedergelegt worden ist, nämlich auf dem Verhandlungswege - wenn auch schrittweise - zu einem ungefähren Kräftegleichstand zu kommen.
({19})
Daran müssen sich die Ergebnisse messen lassen.
Ein weiterer Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der in der öffentlichen Diskussion - ich habe das Gefühl: zunehmend - eine wichtige Rolle spielt - nicht bei denen, die grundsätzlich gegen die Nachrüstung sind, sondern bei denen, die das konkrete Konzept in Zweifel ziehen -, ist der Vorschlag, daß man dann, wenn die Verhandlungen denn schon nicht zu einem Ergebnis führten, die neuen Nuklearsysteme nicht zu Lande, sondern seegestützt aufstellen solle. Ich glaube, daß man diesen Vorschlag nicht einfach vom Tisch wischen kann; für ihn sprechen ernstzunehmende Gründe.
({20})
Ich meine allerdings, daß die gewichtigeren Argumente bei der NATO-Beschlußfassung dagegensprachen und letztlich überzeugender waren. Aber es ist ja überhaupt nicht schlimm, einzuräumen, daß es bei der seegestützten Aufstellung auch, wie gesagt, positive Gesichtspunkte gibt. Mich nun überzeugen hinsichtlich der landgestützten Aufstellung in mehreren europäischen NATO-Staaten weniger die militärtechnischen Argumente - sie scheinen nach beiden Richtungen hin, also pro und contra, verwendbar zu sein -, sondern mich überzeugen besonders die politischen Argumente, die ausschlaggebend waren und sind.
Da ist die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten mit der Aufstellung ihrer Systeme in Europa unterstreichen, daß sie gewillt sind, ihre Verantwortung für eine glaubhafte Abschreckung gegenüber den europäischen Bündnispartnern zu übernehmen und die Abschreckung für Europa mit der interkontinentalstrategischen Abschreckungsstreitmacht der Vereinigten Staaten glaubhaft zu koppeln. Andererseits - das ist nicht davon zu trennen - bekunden die Europäer im Wege des „risk sharing", des Teilens auch der Risiken, sichtbar ihre Solidarität mit den Vereinigten Staaten durch die Bereitschaft, die für erforderlich gehaltenen Raketensysteme in Europa stationieren zu lassen und damit das nukleare Risiko im Bündnis gemeinsam zu tragen.
Ein weiterer Punkt, der von den Zweifelnden, den Kritikern, immer wieder vorgebracht wird, ist der Hinweis, man solle doch nicht so schnell über den Vorschlag eines Moratoriums hinweggehen; eigentlich sei ein Moratorium doch immerhin schon etwas, das könne man doch wenigstens akzeptieren.
Bei einer ernsthaften Betrachtung der unterschiedlichen Zielsetzungen und der Ausgangslage kann einem das Angebot Leonid Breschnews, ein solches Moratorium vorzunehmen, d. h. die Zahl der Mittelstreckenwaffen, so wie sie jetzt gegeben ist, in Ost und West einzufrieren, nicht sehr seriös erscheinen. Zunächst: Wie können wir etwas einfrieren, was wir selbst noch nicht haben? Die Sowjetunion dagegen hat aber schon 220 SS-20-Abschußvorrichtungen stationiert und sich damit ein erdrückendes Übergewicht verschafft. Von daher wäre diese Situation mit der Annahme des Breschnew-Vorschlags vielleicht auf unabsehbare Zeit zementiert. Bei nüchterner Einschätzung der Situation der Willensbildung und der Entscheidungsfindung im Westen, die ja nicht einfach ist, wäre es, glaube ich, sehr schwer, das Moratorium, wenn es notwendig wäre, in einer als dafür geeignet erscheinenden Situation wieder aufzugeben, weil Rüstungskontrollverhandlungen nicht zu Ergebnissen geführt haben.
({21})
Ein letzter Hinweis, meine Damen und Herren, der immer wieder gegeben wird, ist der, daß man sagt, man solle doch einen einseitigen Verzicht praktizieren; auch das könne ja ein Einstieg sein und sozusagen vertrauensbildend wirken. Auch dies kann den, der sich ohnehin schon in einer unterlegenen Position befindet, kaum sonderlich beeindrucken, insbesondere dann nicht, wenn man sieht, daß dieser einseitige Verzicht, insbesondere im Mittelstreckenbereich, faktisch seit 1977 praktiziert wird und weiterhin bis mindestens 1984 praktiziert werden soll.
Nach alledem wird deutlich sein, daß wir die Entschließung, die dem Haus vorliegt, unterstützen. Wir bitten die Opposition, noch einmal zu prüfen, ob sie angesichts der Auseinandersetzungen, die es in der Öffentlichkeit gibt, angesichts des Disputs, den es im übrigen auch bei manchem unserer NATO-Partner gibt - daran sind Ihre christ-demokratischen Schwesterparteien j a nicht ganz unbeteiligt, und ich hoffe, daß sich das nach den heutigen Wahlen in Holland heute nicht verschärft -, die parteitaktische Vorstellung, die ich subjektiv auch ganz gut nachvollziehen kann, zugunsten einer gemeinsamen Position zurückstellen kann, die doch von der Sache her eigentlich gegeben ist.
({22})
Ich bitte Sie, das noch einmal zu prüfen.
({23})
Sie werden verstehen, daß wir die Haltung des Bundesaußenministers und des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit den konkreten Problemen des Doppelbeschlusses und seiner Umsetzung nachdrücklich unterstützen. Niemand mehr als der deutsche Bundesaußenminister hat sich in den letzten Monaten dafür eingesetzt, daß beide Teile dieses Beschlusses realisiert werden können. Insbesondere durch seine Kontakte mit Ost und West hat er dazu beigetragen, daß der Dialog zwischen den beiden Großmächten über dieses Thema in diesem Jahr in konkrete Verhandlungen einmünden wird.
An dieser Stelle möchte ich einmal eines deutlich sagen. Ich halte es für den Ausdruck nicht nur einer gewissen Einäugigkeit, sondern im Grunde einer absolut unkollegialen Haltung, wenn Kollegen in diesem Haus dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister deswegen, weil sie eine faire Partnerschaft mit der NATO, mit den USA praktizieren, vorwerfen, sie seien quasi Vasallen der Vereinigten Staaten von Amerika.
({24})
Das darf kein Umgangston zwischen den Parteien sein. Wer so mit seinem eigenen Bundeskanzler umgeht, darf sich nicht wundern, wenn dieser so reagiert, wie er reagiert hat. Wer so auch mit dem Koalitionspartner umgeht, darf sich nicht wundern, wenn dieser nicht bereit ist, das hinzunehmen.
({25})
Abschließend habe ich eine Bitte. In einer Vielzahl von Veranstaltungen, die ich selbst und, ich denke, viele Kollegen in den letzten Monaten zum Thema Sicherheitspolitik durchgeführt haben, ist deutlich geworden, daß eine große Zahl engagierter Bürger gegenüber unserer Sicherheitspolitik in bestimmten Teilbereichen Skepsis zeigt, bestimmte Entscheidungen von uns nicht nachvollziehen will oder kann. Ich meine, wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, statt den wirklich nur taktischen Streit der Parteien über graduelle Unterschiede fortzusetzen nunmehr eine gemeinsame, von Regierung und Fraktionen des Bundestages getragene Offensive des Dialogs, der Argumente und der Überzeugung zu starten,
({26})
um diejenigen für diese Politik zu gewinnen, die bislang noch nicht haben überzeugt werden können. - Ich danke Ihnen.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Möllemann hat über notwendige Gemeinsamkeiten gesprochen. Ich kann Ihnen im Namen meiner Fraktion sagen: Wir sind der Überzeugung, daß wir in dieser schwierigen Situation Gemeinsamkeiten brauchen.
({0})
Aber, Herr Möllemann, was wir vorher gehört haben, waren j a zwei Reden von zwei verschiedenen Parteien: die Regierungserklärung von Herrn Schmidt und der Debattenbeitrag seines Vorgängers, Herrn Brandts.
Bei allem Verständnis für die parteipolitischen Gegensätze hier brauchen wir diese parteipolitischen Gegensätze nicht auch noch in die internationale Politik zu übertragen.
Für die CDU/CSU ist die deutsch-französische Zusammenarbeit das bewegende Element der europäischen Einigung über parteipolitische Konstellationen hinweg. So sehr wir erfreut sind, daß in den Vereinigten Staaten eine Administration da ist, die eine deutliche Politik für unsere Sicherheit, für den Frieden, betreibt, so sehr ist über alle Regierungen und Administrationen hinweg die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit unabdingbar für unsere gemeinsame Sicherheit und für die Erhaltung der Freiheit in Europa und in der Welt.
({1})
Herr Brandt, wenn Sie hier von Scheingefechten gesprochen haben, so kann ich nur fragen: Wer führt denn hier die Scheingefechte?
({2})
Wir unterstützen die Bundesregierung in den wesentlichen Punkten dieser Politik und der Reise in die Vereinigten Staaten und deren Ergebnis.
({3})
Sie sind es doch gewesen, es war Ihre Fraktion, die tagelang gebraucht hat, um überhaupt zu der Formulierung einer Erklärung zu kommen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für diese Bundesregierung ist auf fast allen Gebieten der Politik die Stunde der Wahrheit gekommen. Dies gilt ganz besonders für das Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik. Herr Bundeskanzler, Sie haben in den letzten Wochen drei wichtige außenpolitische Kommuniqués unterzeichnet: NATO-Außenministertagung in Rom, NATO-Verteidigungsministertagung in Brüssel, deutsch-amerikanisches Kommuniqué in Washington. Die CDU/CSU-Fraktion trägt in allen wesentlichen Punkten diese Erklärung mit.
({5})
Nur: Für Sie, Herr Bundeskanzler, sind diese Erklärungen j a nicht zu einem Erfolg, sondern für Sie sind sie zum Offenbarungseid Ihrer Politik geworden.
({6})
Für Ihre Partei sind Sie doch mit leeren Händen aus Washington zurückgekehrt. Sie haben in Washington vergeblich versucht, die amerikanische Regierung zum Erfüllungsgehilfen bei der Lösung Ihrer innerparteilichen Probleme zu machen.
({7})
Noch am Tag Ihrer Abreise in die Vereinigten Staaten hieß es nach Angaben von Regierungskreisen in Bonn, Sie strebten an - ich zitiere wörtlich -„den vor Jahresende geplanten Beginn der Verhandlungen mit Moskau über die europäischen Mittelstreckenwaffen zeitlich vorzuziehen". Keine 24 Stunden später teilte Ihr Pressesprecher, Staatssekretär Becker, mit, der Kanzler habe nicht die Absicht, eine Beschleunigung dieser Gespräche zu fordern, darauf zu drängen oder auch nur darum zu ersuchen. Dies zeigt doch die tiefe Krise, in die diese Regierung nicht nur sich selbst, sondern auch unser Land gebracht hat.
Der Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung", Fred Luchsinger, schreibt hierzu:
Bundeskanzler Schmidt's Besuch in Washington steht im Zeichen einer politischen Krise in der Bundesrepbulik. Sie ist nicht, wie man vorschnell interpretiert, ein Sommergewitter im Spätfrühling, das mit der Rücktrittsdrohung des Kanzlers und ihrer oberflächlichen Sofortwirkung die Atmosphäre gereinigt hätte und heiteren Himmel zurückließe. Eher sieht sie nach einem Zerfallsprozeß aus, der sich in den letzten Monaten beschleunigt hat und der Bonner Koalition wie der westlichen Allianz noch schwierige Zeiten bescheren könnte.
Meine Damen und Herren, wir machten es uns als Opposition zu einfach, wenn wir diese Krise, in die sich die Bundesregierung hineinmanövriert hat, mit Schadenfreude quittierten. Fred Luchsinger schreibt zu Recht:
Es geht nicht nur um die Weiterexistenz der Regierung in Bonn, sondern einmal mehr um den politischen Standort der Bundesrepublik Deutschland überhaupt.
Daß es zu dieser ernsten Situation gekommen ist, haben Sie, Herr Bundeskanzler, Ihr Vorgänger Willy Brandt und ein erheblicher Teil der politischen Führung Ihrer Partei zu verantworten.
Ich betone nochmals: Wir von der Union tragen die wesentlichen Elemente der Erklärungen von Rom, Brüssel und Washington mit, aber wir sind nicht bereit, die Verantwortung für die verfehlte Politik mit zu übernehmen, die uns in diese ernste Situation gebracht hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier?
({0}) - Entschuldigung, ist schon erledigt.
Wir wollen nicht die Schlachten von gestern nochmals schlagen. Wir müssen gemeinsam in die Zukunft schauen, um weiteren Schaden von unserem Lande abzuwenden. Meine Fraktion hat daher den Antrag eingebracht, die Bundesregierung bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen zu unterstützen.
Sie können uns aber nicht zumuten - wie es im Antrag der Regierungsparteien heißt -, „erneut die Politik der aktiven Friedenssicherung zu bekräftigen, wie sie in der Regierungserklärung vom 24. November 1980 niedergelegt ist".
({0})
- Herr Wehner, ich werde Ihnen gleich sagen, warum wir dagegen sind.
({1}) - Jawohl, Sie werden es gleich hören.
({2})
Dort heißt es nämlich:
Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition ist zu einem wesentlichen Element der Ost-West-Beziehungen in Europa insgesamt geworden.
Wir sind nicht bereit, Ihnen nachträglich einen Blankoscheck zur Deckung uneingelöster Versprechungen über einseitige Entspannungsillusionen auszustellen, Herr Wehner.
({3})
Vor über zehn Jahren habe ich unsere Kritik an der illusionären Ostpolitik dieser Koalition in dem Satz zusammengefaßt, in Wirklichkeit gehe es nicht um Grenzen von gestern, sondern um unsere Freiheit von morgen. Zehn Jahre lang haben Sie und Ihre Partei Ihren gesamten Staats- und Propagandaapparat eingesetzt, um in der deutschen Öffentlichkeit Illusionen über eine trügerische einseitige Entspannungspolitik zu wecken. Herr Brandt hat dies hier gerade noch einmal bekräftigt. Zehn Jahre lang haben Sie immer von deutscher Ost- und Friedenspolitik, kaum jemals von sowjetischer West- und Aggressionspolitik, gesprochen. Zehn Jahre lang haben Sie erklärt, Sie wollten den Frieden sicherer machen.
Sie können sich doch nicht wundern, Herr Bundeskanzler, Sie haben es im Gegenteil selbst zu verantworten, wenn jetzt Ihre eigene Partei gegen Sie aufbegehrt, wenn Ihre Regierung auf einmal Schlußkommuniqués unterzeichnet, in denen es heißt, die Sowjetunion verfolge eine Politik ohne Mäßigung und Verantwortungsbewußtsein.
Aber es geht eben nicht nur um die Person des Bundeskanzlers und um seine Partei, denn Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihr Vorgänger haben durch jahrzehntelange Schönfärberei nicht nur die SPD, sondern auch weite Teile der deutschen Öffentlichkeit hinters Licht geführt.
({4})
Es kommt fürwahr einem Offenbarungseid gleich, wenn eine Regierung zehn Jahre lang behauptet, sie habe den Frieden immer sicherer gemacht, und man dann plötzlich mit dem Ernst der wahren Lage konfrontiert wird.
Es wird die Aufgabe der Historiker sein, die Motivforschung für die illusionäre Politik Ihres Vorgängers, Herr Bundeskanzler, zu betreiben - ich will dem an dieser Stelle nicht vorgreifen. Aber Sie, Herr Bundeskanzler, haben doch besser gewußt, wie die Lage wirklich ist - nicht erst seit Ihrer Rede vor dem Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien von 1977. Warum haben Sie denn Ihrer Partei und der deutschen Öffentlichkeit nicht seit Jahren reinen Wein über den Ernst der Situation eingeschenkt?
Sie wissen doch seit langem, was Moskau unter Entspannung versteht. Sie wissen doch, daß Breschnew hierzu im April 1974 erklärt. hat:
Wir Kommunisten müssen eine Zeitlang mit den Kapitalisten zusammenarbeiten. Wir brauchen deren Landwirtschaft und Technologie. Aber wir werden unsere massivsten Rüstungsprogramme fortsetzen und Mitte der 80er Jahre in der Lage sein, zu einer wesentlich aggressiveren Außenpolitik zurückzukehren, um in unseren Beziehungen zum Westen die Oberhand zu gewinnen.
({5})
- Die Quelle kann ich Ihnen sagen. Das stand als wörtliches Zitat im „Spiegel" vom 7. Januar 1980. Aber wenn Ihnen das noch nicht genügt, Herr Corterier, nenne ich Ihnen ein schöneres Zitat von Breschnew von vor drei Jahren in Prag. Da hat er wörtlich erklärt:
Bis 1985 werden wir die meisten Ziele, die wir uns in Westeuropa gesetzt haben, als ein Resultat der Entspannung erreicht haben.
({6})
- Das kann ich Ihnen gerne sagen. Das ist das, was Ihre Regierung unterzeichnet hat - Anhang des Nachrichtenspiegels der Bundesregierung vom 14. Mai 1981, Annex zum Brüsseler Kommuniqué, NATO-Militärbericht. Das habe ich wortwörtlich zitiert
({7})
Wie oft haben wir von Vertretern dieser Regierung gehört, zur Entspannung gebe es keine Alternative. Meine Damen und Herren, hier ist nur das nachgesagt worden, was kein anderer als der Chef des sowjetischen Geheimdienstes KGB und Mitglied des Politbüros, Juri Andropow, folgendermaßen geprägt hat. Ich nenne auch hier die Quelle, Herr Corterier: Es ist die „Prawda" vom 6. August 1978. Dort war zu lesen:
Es gibt im Westen jene, die eine realistische Position einnehmen und von der Tatsache ausgehen, daß es unter dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis in der Weltarena keine Alternative zur Entspannung gibt ... und daß der Kapitalis1990
mus sich deshalb an die neue Situation anpassen muß ...
In diesen für unsere Zukunft entscheidenden Fragen hätte der Bundeskanzler geistige Führung zeigen müssen, aber hierauf hat er ja selbst öffentlich verzichtet. Auch dies, Herr Bundeskanzler, war ein Offenbarungseid. Statt sich seiner Verantwortung zu stellen, hat der Kanzler versucht, sich durchzumogeln.
({8})
Darum hat er die Situation zu verantworten, in die er heute geraten ist. Man kann eben nicht erst Breschnews Moratoriumsvorschlag vor dem eigenen Parteivorstand begrüßen und dann im Kommuniqué mit den Allianzpartnern verwerfen. Man kann eben nicht als Bundeskanzler gegenüber seinem Parteigenossen Manfred Coppik erklären - ich zitiere wörtlich -: „Wir wollen nicht aufrüsten. Es sind vielmehr die Amerikaner und die übrigen Bündnispartner." Statt dessen ist es doch in Wirklichkeit so, daß es in unserem deutschen und europäischen Interesse liegt, ein strategisches Gleichgewicht auch in Europa herzustellen, um den Frieden zu sichern.
Die Irrtümer in der Politik dieser Regierungskoalition und die Irrtümer, die sie in der Öffentlichkeit seit über zehn Jahren geweckt haben, rächen sich nun. Wie sagte doch Bismarck:
Irrtümer in der Kabinettspolitik der großen Mächte strafen sich nicht sofort, aber unschädlich sind sie nie. Die geschichtliche Logik ist noch genauer in ihren Revisionen als unsere Oberrechenkammer ...
Der Herr Bundeskanzler hat es zu verantworten, daß Täuschungen, daß Fiktionen die Vorstellungen seiner Partei und weiter Kreise der deutschen Öffentlichkeit beherrschen. Hierzu schreibt Fred Luchsinger in der „Neuen Zürcher Zeitung":
Wie seit den Aufschwüngen der Entspannungspolitik üblich, überwuchern nun auch hier die Fiktionen die Wirklichkeit: Die Fiktion, daß Verhandeln ein Wert an sich sei, ungeachtet der Zielbestimmung und der Erfolgsaussichten; die Fiktion, daß baldige Verhandlungen aus schwacher Position heraus besser seien als spätere aus einer stärkeren; die Fiktion, daß man Moskau aus seiner Übermacht herausreden könne, ohne sich über adäquate Gegenmacht ausweisen zu müssen. Das Spiel hat seine unübersehbaren Gefahren. Je mehr der Westen durch sein Drängen zeigt, daß er - unter innerem Druck - verhandeln muß, um so mehr wird die Verhandlung selber ein Instrument der sowjetischen Politik, mit dem sie ihren Partner manipulieren kann:
({9})
ein bißchen Hoffnungsmache, ein bißchen Panikmache, ein bißchen Drama, ein bißchen Hinhalten, alles ohne eigentliches Interesse an Resultaten in der Sache, aber in der Wirkung so sicher wie der Zug am Marionettendraht.
({10})
Niemand wird dem deutschen Regierungschef unterstellen wollen, daß er die Gefahren nicht sehe, die er durch sein Drängen auf rasche mehr als auf aussichtsreiche amerikanisch-sowjetische Verhandlungen heraufbeschwört. Daß er sie in Kauf nimmt, mag zeigen, wie wichtig ihm trotz dem Debakel der Entspannungspolitik der „Dialog" mit Moskau immer noch ist, auch wenn er nicht allzuviel abzuwerfen verspricht. Vor allem aber zeigt es, wie sehr ihm in Bonn politisch das Wasser am Hals steht.
({11})
Der Bundeskanzler setzt aber seine Politik der Illusionen und Fiktionen fort.
({12})
- Er kann nicht anders. Er ist Gefangener seiner eigenen Ostpolitik und der von ihm und seiner Partei geschaffenen Illusionen. Vor zehn Tagen erklärte er vor dem deutschen Fernsehen:
Ich möchte sehr deutlich sagen, mit der Verwirklichung beider Teile,
- nämlich des NATO-Nachrüstungsbeschlusses insbesondere nicht nur Beginn von Verhandlungen oder Beginn von Rüstung, sondern Erfolg von Verhandlungen - damit stehe ich und falle auch damit.
Damit wird doch die Illusion geweckt, als ob der Kanzler so gut wie sicher sein könne, daß die Verhandlungen bis 1983 zu einem Erfolg führen werden. Es ist genau dieselbe Illusion, die Brandt hier wieder geweckt hat. Dabei weiß doch kaum jemand genauer als der Kanzler selber, wie kompliziert und wie schwierig diese Verhandlungen sind und daß es nicht vom Westen und von Washington allein, sondern insbesondere von Moskau abhängt, ob es zu einem erfolgreichen Abschluß überhaupt kommen wird.
({13})
Aber das Schlimme, meine lieben Freunde, ist doch die Tatsache, daß der Bundeskanzler mit solchen Erklärungen sein politisches Schicksal in die Hand Breschnews legt,
({14})
nur um neuerliche Illusionen in der deutschen Öffentlichkeit und Wunschträume zu wecken. Wir alle, Herr Bundeskanzler, wünschen den Erfolg dieser Verhandlungen. Wir werden ihn aber um so weniger erreichen, je mehr der Westen sich selber unter Erfolgszwang setzt.
Auch in Grundsatzfragen hat es der Bundeskanzler zugelassen, daß seine eigene Partei mit illusionären Formulierungen abgespeist wird. So heißt es im Parteitagsbeschluß der SPD von Berlin, daß rüstungspolitischen Regelungen der politische Vorrang zu geben sei, und man müsse gleichzeitig die notwendigen verteidigungspolitischen Optionen festlegen, damit diese im Falle eines Scheiterns rüGraf Huyn
stungskontrollpolitischer Bemühungen wirksam werden könnten. So das wörtliche Zitat. Aber in Wirklichkeit sind doch beide Teile des NATO-Beschlusses von gleichem Gewicht. Das hat doch Ihr Kanzler selber jetzt wieder in dem Schlußkommuniqué festgestellt - im Gegensatz zu Ihrem Parteibeschluß.
({15})
Auch sind keine verteidigungspolitische Optionen festgelegt worden, sondern es ist beschlossen worden, in unserem deutschen und europäischen Interesse an Frieden und Sicherheit die amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren, es sei denn, daß bis dahin - was nach bisherigen Erfahrungen mit Moskau zwar erfreulich, aber höchst unwahrscheinlich wäre - die Abrüstungsverhandlungen bereits abgeschlossen und die Sowjetunion zu einer Verschrottung ihres Mittelstreckenpotentials bereit wäre.
Es ist daher auch nicht richtig, wenn Egon Bahr am 24. Mai vor der Gustav-Heinemann-Initiative in Rastatt glauben machen will, daß 1983/1984 erst überlegt werden wird - ich zitiere wörtlich - „ob und was stationiert, werden soll, wenn die Verhandlungen noch nicht zu einem Ergebnis gekommen sein werden". - Nein, in Wirklichkeit wird stationiert, wenn die Verhandlungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen sind. Das sind die Tatsachen, mit denen Ihre Partei sich auseinandersetzen muß, ohne Wenn und Aber.
({16})
Auf dem Berliner Parteitag läßt der Bundeskanzler einen Beschluß seiner Partei durchgehen, in dem es heißt, die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müßten von der Friedensbereitschaft des Anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. So wörtlich. In der vergangenen Woche in Washington stellte Helmut Schmidt dagegen in der gemeinsamen Erklärung fest - ich zitiere wörtlich -, daß „das expansionistische Vorgehen der Sowjetunion und ihre Rüstungsanstrengungen eine ernste internationale Lage geschaffen haben". - Was ist denn nun richtig? Immer diese Doppelzüngigkeit!
({17})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese widersprüchlichen Äußerungen und Handlungen dieses Bundeskanzlers
({18})
ließen sich noch weiter fortsetzen. Wir können uns aber nicht einen Bundeskanzler mit einem Januskopf leisten, der je nach Gelegenheit und je nach Gespächspartner entweder mit dieser oder jener Zunge spricht. Ich fordere daher den Bundeskanzler auf, sich nun endlich auch vor seine eigene Partei und vor die deutsche Öffentlichkeit zu stellen und in seinen Reden und Äußerungen zu den drei Erklärungen von Rom, Brüssel und Washington zu stehen.
Haben Sie, Herr Bundeskanzler, doch endlich den Mut, auch hier von der expansionistischen Politik Moskaus zu sprechen!
({19})
Haben Sie doch endlich den Mut, der deutschen Öffentlichkeit und Ihrer Partei darzulegen, daß die expansionistische Politik Moskaus auch außerhalb der Grenzen der NATO die lebenswichtigen Interessen des Westens bedroht und daß auch unsere deutschen Interessen hierdurch berührt sind! Haben Sie, Herr Bundeskanzler, doch endlich den Mut, auch hier in unserem Lande deutlich zu machen, daß Sie sich allen unmittelbaren oder mittelbaren Versuchen der Sowjetunion widersetzen werden, die Unabhängigkeit und Stabilität wirklich blockfreier Staaten der Dritten Welt zu unterhöhlen! Haben Sie den Mut, endlich zu sagen, daß der Griff Moskaus nach dem Erdöl des Mittleren Ostens und nach den Rohstoffen des südlichen Afrikas unsere deutsche und europäische Freiheit bedroht, daß Entspannung nicht teilbar ist und daß die Sowjetunion das Ziel hat, uns von den Vereinigten Staaten abzukoppeln!
Von Korea über die thailändisch-kambodschanische Grenze, Afghanistan, Südjemen, Angola, Mozambique, Äthiopien, den Tschad, die ehemals spanische Sahara bis hin in die Karibik spannt sich der Bogen sowjetischer Expansion.
({20})
Im Libanon zieht Moskau die Drähte, und dort kann jeden Tag ein Pulverfaß entzündet werden, das zu einem Weltbrand führt. Auch gegenüber Polen ist in wenigen Wochen wieder mit einer Zuspitzung der Situation durch die sowjetische Bedrohungspolitik zu rechnen, die im Herzen Europas zu höchsten Gefahren führen kann.
In dieser ernsten Situation braucht die Bundesrepublik Deutschland eine handlungsfähige Regierung mit klarer Haltung, mit Augenmaß, mit Festigkeit sowie eine weitgehende innere Geschlossenheit in den Grundfragen der Friedenssicherung. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich dieser Herausforderung bisher nicht gewachsen gezeigt.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Fraktion der SPD heute den Besuch des Bundeskanzlers in Washington und Paris als Erfolg wertet, muß man das, Herr Kollege Kohl, auf dem Hintergrund der Tatsache sehen, daß seit dem amerikanischen Wahlkampf auch in der deutschen Diskussion eine ganze Reihe von Besorgnissen bestanden haben, die doch gar nicht zu bestreiten sind, Besorgnisse vor allem in der Frage, ob denn die Bündnispolitik von der neuen amerikanischen Administration so fortgesetzt würde, wie sie in den letzten Jahren geführt worden war. Der Kollege Schäfer von der FDP hat dazu neulich hier eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten, auf die ich verweisen darf.
Der Erfolg, der eingetreten ist, ist zunächst einmal, daß die amerikanische Administration ihr Versprechen wahrgemacht hat, das, was sie tut, mit ihren Verbündeten, darunter der Bundesrepublik, zu konsultieren. Die zweite Stufe ist, daß diese Konsultationen, geführt vom Verteidigungsminister, vom Außenminister, vom Bundeskanzler, nun zu einer
1992 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2G. Mai 1981
Übereinstimmung und zu einer Bekräftigung dieser Übereinstimmung geführt haben, und zwar in den Kommuniqués von Brüssel und Rom wie in der Erklärung von Washington. Gleichzeitig ist das gute deutsch-amerikanische Verhältnis noch einmal unterstrichen und ist die Bedeutung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses für das Bündnis betont worden.
Der Besuch in Washington folgte einem Besuch in Großbritannien, und an den Besuch in Washington schloß sich ein Besuch in Paris beim neuen französischen Staatspräsidenten Mitterrand an, dem ich im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion auch von dieser Stelle aus noch einmal sehr herzlich zu seinem großen Erfolg in Frankreich gratulieren möchte.
({0})
Ich halte es für wichtig, daß sich in diesem Gespräch des Bundeskanzlers mit dem französischen Staatspräsidenten Übereinstimmung in Sachen Verteidigungspolitik und auch in Sachen Doppelbeschluß ergeben hat, was ja keine Selbstverständlichkeit ist, da Frankreich auf der einen Seite Mitglied des Bündnisses ist, auf der anderen Seite seine Streitkräfte aber nicht integriert sind.
Vielleicht wird in diesen schnell aufeinanderfolgenden Besuchen in Washington und Paris und ihren Ergebnissen auch deutlich, daß wir endlich aufhören sollten, die Frage zu erörtern, ob die Bundesrepublik zwischen Washington und Paris zu wählen habe. Europa braucht die deutsch-französische Freundschaft, das Bündnis braucht die Freundschaft zwischen Europa und Amerika, und dafür ist das Verhältnis von Franzosen und Amerikanern ein wichtiger Pfeiler. Wir können sagen: Der Erfolg des Bundeskanzlers war es, nach Änderung der amerikanischen Administration und der Machtverhältnisse in Frankreich in kurzer Zeit die Gemeinsamkeit des Bündnisses in einer schwierigen außenpolitischen Situation zu festigen und noch einmal darzustellen.
Wenn man sich jetzt fragt, Herr Kollege Kohl, warum dieser einfache politische Tatbestand keine Anerkennung von Ihrer Seite finden kann, so glaube ich, daß - was ich bei der Opposition durchaus verstehe - taktische Elemente im Spiel sind. Dagegen ist in der Politik nichts zu sagen. Die Begleitmusik zu dem Besuch in Washington war taktisch. Ihr Antrag hier war im Grunde auch taktisch, nämlich gezielt auf ein Auseinanderdividieren der Koalition. Auch der erste Teil Ihrer Rede war sehr taktisch bedingt. Nur, Herr Kollege Kohl, meines Erachtens begeben Sie sich dabei selbst in einen gewissen Zwiespalt. Denn auf der einen Seite wollen Sie erklären und darstellen, daß Sie die eigentlichen Garanten des Bündnisses sind, daß Sie viel zuverlässigere Bündnispartner des Nordatlantischen Bündnisses sind,
({1})
auf der anderen Seite sehen Sie sich außerstande,
unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, in
dem diese gemeinsame Bündnispolitik und der Beitrag, den die deutsche Bundesregierung und die Bundesrepublik dazu leisten, ganz unanfechtbar dargestellt worden ist.
({2})
Ich darf auf den Kollegen Huyn zurückkommen. Die NATO-Politik, wie sie seit 1967 nach dem Harmel-Bericht geführt worden ist - das war im Dezember 1967, und Willy Brandt hat daran erinnert; da waren wir in einer Großen Koalition -, geht davon aus, daß Sicherheit und Verteidigung auf der einen Seite und Entspannung und Dialog auf der anderen Seite kein Widerspruch sind, wie Sie es so oft darstellen, wie es auch der Kollege Huyn eben wieder dargestellt hat, sondern sich notwendigerweise ergänzen. Ich muß dem Kollegen Huyn sagen, den Satz, daß es zur Entspannungspolitik keine Alternative gibt, halte ich nach wie vor für richtig.
({3})
Die Entspannungspolitik ist nicht das Ganze der Bündnispolitik, aber selbst wenn wir wieder durch lange Zeiten eines Kalten Krieges gingen, was j a keiner hoffen wird, würde man wieder zum Dialog und zur Entspannung zurückkommen müssen, denn die Alternative dazu wäre nur die kriegerische Auseinandersetzung, und die will keiner in diesem Hause.
({4})
- Nein, das sind doch künstliche Dinge, die Sie da aufbauen. Der Harmel-Bericht sagt: Sicherheit und Verteidigung auf der einen Seite, Entspannung und Dialog auf der anderen Seite. Willy Brandt hat schon darauf hingewiesen, daß genau dies in den Kommuniqués von Rom und Brüssel und in der Erklärung von Washington fortgeschrieben worden ist.
({5})
Wir haben Zeiten gehabt, etwa nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, wo sehr stark diskutiert worden ist: Soll man nicht die ganze Entspannungspolitik als zweites Bein des Harmel-Berichts fallen lassen? Das ist auch angesichts der sowjetischen Mittelstreckenraketenrüstung diskutiert worden. Es war mit ein Verdienst der Bundesrepublik, auf die Kontinuität der Politik auch in dieser Situation hinzuwirken. Wir haben das mit unseren amerikanischen Freunden sehr offen diskutiert, übrigens nicht allein. Ich muß mich noch einmal bei dem Kollegen Mertes bedanken für die Diskussion, die wir in Princeton gemeinsam mit unseren amerikanischen Freunden geführt haben, um unsere Meinung aus verschiedenen Sichten und mit Nuancen deutlich zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Gern.
Herr Kollege Ehmke, wie erklären Sie es sich, daß das Bündnis in den letzten zwei, drei Jahren das Bedürfnis hat, echte Entspannung und unechte Entspannung, realistische und unrealistische einander gegenüberzustellen? Hat es unrealistische Entspannung gegeben? Hat es unechte Entspannung gegeben?
Nein. Es hat aber etwas gegeben, worauf Willy Brandt schon hingewiesen hat, nämlich daß wir unsere Pflichten im Bündnis erfüllt haben, übrigens, wie ich sagen möchte, in einem höheren Maße als die Vereinigten Staaten in den letzten zehn Jahren.
({0})
Ich glaube, der eigentliche Wechsel ist in Amerika eingetreten, wo man nach einer langen Zeit der Dämpfung, der Enttäuschung, des Sichzurückziehens, nämlich nach dem Vietnam-Krieg und nach Watergate, jetzt einen neuen Anlauf zu einer entschiedenen Politik macht. Es ist aber nicht so, daß in diesen Jahren von unserer Seite für die Sicherheit in unserem Bereich nicht das getan worden wäre, was getan werden mußte.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt weiterreden.
In der Kontinuität dieser Bündnispolitik betont die Erklärung von Washington die Bereitschaft der Bundesrepublik, mit den USA, Herr Mertes, und in Zusammenarbeit der NATO-Partner die westliche Verteidigung zu stärken und den durch die sowjetische Aufrüstung ausgelösten negativen Tendenzen mit Festigkeit entgegenzutreten. Die Washingtoner Erklärung, Kollege Huyn, mit unterschrieben von Präsident Reagan, betont eben auch die Bereitschaft und den Willen, mit der Sowjetunion einen Dialog zu führen.
({0})
Dies kommt auch in dem ersten Absatz unseres Entschließungsantrages zum Ausdruck, in dem das Washingtoner Kommuniqué zitiert wird, daß Abrüstung und Rüstungskontrolle wie Abschreckung und Verteidigung integrale Bestandteile der westlichen Politik sind.
({1})
- Wenn Sie mir zurufen: „Wir wollen das alle", möchte ich Sie herzlich bitten, doch diesem Teil des Entschließungsantrages zuzustimmen, statt ihn abzulehnen.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Petersen?
Nein, jetzt nicht. - Es soll nicht erst gerüstet und dann verhandelt werden - solche
Anklänge gab es ja im amerikanischen Wahlkampf; die gab es auch bei uns, Herr Kollege Wörner -,
({0})
sondern beides soll parallel geschehen, so wie es schon im Harmel-Bericht niedergelegt worden ist. Das muß mit den USA als freier Partner diskutiert werden. Sie bringen sich in folgende Situation: Auf der einen Seite - wie gesagt - tun Sie so, als seinen Sie der eigentliche treue Vasall der Amerikaner, während wir nicht zuverlässig seien
({1})
- bei Ihnen gibt es ja starke Tendenzen, die deutsche Politik wieder in die Rolle des Musterschülers in der NATO zu bringen -, aber auf der anderen Seite will ich Ihnen einmal vorlesen, was der Kollege Strauß in seiner Aschermittwochsrede von 1980 gesagt hat.
({2})
- Jetzt nicht, Herr Wörner.
Keine Zwischenfrage, Herr Wörner.
Er setzte sich dafür ein, „daß ein Europa geschaffen wird, das weniger abhängig ist von Amerika, das von amerikanischem Schutz und Schirm nicht so bedingungslos abhängt, wie wir es sind" - alles Strauß -: „Ein Europa, das nicht am Rockzipfel der Amerikaner hängt,
({0})
das nicht von den innenpolitischen Wechsellagen der amerikanischen Politik bestimmt wird, das nicht von der wechselnden Meinung des amerikanischen Präsidenten mit seinem Lebensschicksal abhängt."
({1})
Sehen Sie, man kann nicht diese ruhige, distanzierte Betrachtung im Bündnis anstellen und gleichzeitig jede ensprechende Äußerung von unserer Seite in der Form, wie der Herr Kollege Kohl das gemacht hat, als „Anti-Amerikanismus" verdächtigen. Das geht nicht,
({2})
und das dient weder dem Verhältnis der Parteien in diesem Hause zueinander noch den deutschamerikanischen Beziehungen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Nein, ich bin in meiner Zeit beschränkt und möchte daher jetzt fortfahren.
({0})
Nun bezieht sich die Übereinstimmung zwischen uns und den USA auch auf die Frage des Doppelbeschlusses. Ich bin der Meinung, es ist doch ein wesentlicher Schritt, daß auch die neue amerikanische Administration an der Doppelpolitik der NATO festhält und daß in Rom und in Washington auch der SALT-Prozeß bekräftigt worden ist,
({1})
nämlich in dem Satz, daß Verhandlungen über Mittelstreckensysteme im SALT-Rahmen stattfinden sollen. Ich halte das für eine wesentliche Klarstellung,
({2})
bekräftigt durch den Besuch des Bundeskanzlers in Washington. Wir wollen beide Seiten verwirklichen: Auf der einen Seite sollen die Produktion und die Stationierung von Waffen vorbereitet werden, auf der anderen Seite soll verhandelt werden mit dem Ziel, dann, wie der NATO-Beschluß selbst sagt - insofern hat Herr Kollege Brandt die Äußerungen von Herrn Kollegen Jenninger mit Recht zurückgewiesen -, den Mittelstreckenwaffen-Bedarf der NATO, das, was wir am Ende aufstellen, im Lichte dessen zu prüfen, was bei den Verhandlungen herauskommt.
Nun gibt es neben der CDU-Kritik noch eine andere Kritik an der Politik der Bundesregierung, zum Teil aus dem eigenen Lager, auch von Kollegen der eigenen Fraktion, vor allen Dingen aber draußen aus dem weiten Bereich der Protestbewegung und der Friedensbewegung. Ich bin der Meinung, Willy Brandt hat mit Recht gesagt, daß es nicht nur die Aufgabe der SPD, sondern die Aufgabe des ganzen Parlaments ist, sich dieser Diskussion zu stellen. Ich glaube, wir alle hier im Hause, auch die Bundesregierung, haben uns das Versäumnis vorzuwerfen, daß wir in den zwei Jahren nach dem Doppelbeschluß nicht genügend für diese Diskussion getan haben, sondern sie praktisch erst aufgegriffen haben, als sie von außen auf uns zukam. Diese Kritik und Selbstkritik muß man üben. Wir Sozialdemokraten werden die Debatte mit der Protestbewegung so führen, wie wir die Debatte mit der APO geführt haben, wie wir die Debatte mit der ökologischen Bewegung geführt haben und führen, d. h. in Respekt vor der Meinung der anderen, aber auch in klarem Widerspruch zu Meinungen, Äußerungen oder Hoffnungen, wie wir für politisch unvertretbar halten.
({3})
- Das erleben Sie schon täglich, Herr Kollege. Wenn die CDU in der Diskussion mit der Friedensbewegung so engagiert wäre wie SPD und FDP es bereits sind, wären wir in der deutschen Öffentlichkeit mit der ganzen Frage ein ganzes Stück weiter.
({4})
- Herr Kollege Huyn, ich halte das für schlimm, was Sie zwischenrufen. Für mich ist das eine Friedensbewegung, wenn ich deren Meinungen auch meist nicht teile, wenn ich auch meine, sie könnten das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollen, und wenn ich auch weiß, daß es Kräfte gibt, die diese Friedensbewegung zu mißbrauchen suchen. Aber nehmen wir doch die Sorgen der Leute ernst!
({5})
- Dann polemisieren Sie doch nicht gegen jeden, der eine kritische Frage stellt, als sei das „anti-amerikanisch".
({6})
Die Menschen haben mit Recht Angst vor der Masse der Waffen, die bereits in Europa lagern.
({7})
Sie haben Angst davor, daß Waffen eingeführt werden - ich teile Ihre Meinung, wir müssen der Friedensbewegung immer sagen: Sagt das zunächst der Sowjetunion, die hat mit der SS-20 angefangen! -,
({8})
sie haben Angst davor, daß Waffen aufgestellt werden, die die Philosophie der Abschreckung durch die Idee zu ersetzen drohen, man könne vielleicht doch begrenzte nukleare Kriege führen. Ich sage nur, derjenige, der Angst vor Pershings und Cruise missiles hat, der muß seine Sorge zuerst einmal an die Sowjetunion adressieren, die uns vor diese Frage gestellt hat.
({9})
- Wenn Sie diesen Teil für richtig halten, so wäre es mir lieb, wenn Sie auch den zweiten Teil für richtig hielten.
({10})
Auch die westliche Reaktion ist nicht ohne Gefahren, sondern führt die „Kriegsführungs"-gefahr neuer Waffensysteme weiter. Diese Frage muß offen und anständig mit den Kritikern diskutiert werden.
({11})
Über seegestützte Systeme ist gesprochen worden. Ich darf daran erinnern, daß ich mich hier in diesem Hause sehr nachdrücklich für eine solche Lösung eingesetzt habe, bevor der NATO-Doppelbeschluß im anderen Sinne gefaßt wurde. Kollege Möllemann hat die Gründe für und wider dargelegt. Ich halte es
nicht für ausgeschlossen, daß man im Laufe der Verhandlungen auf diese Frage mindestens partiell zurückkommt.
Schließlich müssen wir auch die Frage beantworten, wie es mit dem Gleichgewicht steht. Bisher ist es so gewesen, daß wir das Gleichgewicht zwar ungefähr gehalten haben, aber das geschah auf immer höherem Niveau. Das spricht aber nicht gegen die Idee des Gleichgewichts, sondern besagt nur, daß diese allein noch nicht ausreicht, um auf ein niedrigeres Rüstungsniveau herunterzukommen. Da gehören noch der Abbau von Mißtrauen und vertrauensbildende Maßnahmen hinzu, damit das Niveau nicht in gegenseitigem Mißtrauen immer höhergeschraubt wird.
Eines muß ich den Kritikern unserer Politik in den eigenen Reihen und außerhalb allerdings sagen: Ich glaube nicht, daß man Gleichgewicht „berechnen" oder „definieren" kann, da es eine politische Kategorie ist. Ungleichgewicht liegt vor, wenn die eine Seite eine Drohungs- oder Angriffsmöglichkeit hat, der die andere Seite keine adäquate Abschrekkungs- oder Verteidigungsmöglichkeit entgegenstellen kann. Im Mittelstreckenbereich in Europa ist dieser Fall des Ungleichgewichts geradezu klassisch gegeben. Es war schon gegeben, als wir uns der Parität der Supermächte im interkontinentalen Waffenbereich näherten. Die Sowjets haben es - so sagen wir übrigens auch in unserem Antrag, dem Sie nicht zustimmen wollen - durch die SS-20-Rüstung noch verstärkt. Darum der Doppelbeschluß.
In Ihrem Antrag, den wir umgebaut haben, meine Damen und Herren von der Opposition, hat mich folgendes gestört, was vielleicht nicht so gemeint war. Wenn man sagt, man wolle beide Teile gleichmäßig „verwirklichen", dann ist das mindestens eine etwas mißverständliche Formulierung für das, was wir eigentlich wollen.
({12})
- Sie haben dafür ein anderes Wort, Sie wissen, was ich meine. Herr Vogel, seien Sie nicht spitzfindig!
({13})
- Doch, es ist spitzfindig, was hiergegen eingewandt wird, wenn ich nur ein anderes Wort nehme. Stellen wir dann doch lieber fest, daß wir uns vielleicht einig sind! Wir wollen beide Teile nicht hundertprozentig „verwirklichen".
({14})
- Herr Wörner, ich hatte schon gesagt, daß ich mich an die Zeit halten muß.
({15})
- Ich kenne es. Sie dürfen mir höchstens das richtige Wort sagen.
Wir sagen: Dieser Antrag bringt ohne den Nachsatz, den wir hinzugefügt haben, nicht zum Ausdruck, daß wir Produktion und Stationierung vorbereiten und parallel verhandeln wollen, in der Hoffnung, den Beschluß nicht oder jedenfalls nicht ganz durchführen zu müssen, weil die Sowjetunion in den Verhandlungen Zugeständnisse macht.
({16})
- Wenn Sie einverstanden sind, dann fordere ich Sie auf, auch unserem Passus insgesamt zuzustimmen, denn genau das steht in unserem Antrag.
({17})
- Herr Jenninger, ich meine den ganzen Antrag, und Sie können jetzt nicht so tun, als ob Sie auf der einen Seite die großen Stabilisatoren des Bündnisses wären; aber wenn hier abgestimmt werden soll, ziehen Sie sich auf taktische Finessen zurück.
({18})
Jetzt komme ich zu der Frage der Verhandlung.
({19})
- Ich habe mich sogar dafür ausgesprochen; Herr Jenninger, wenn Sie richtig zugehört hätten, wüßten Sie das.
({20})
- Sprechen Sie mich an.
Wenn ich jetzt zum Verhandeln komme, dann muß ich unseren Kritikern eines sagen. Ich verstehe, wenn jemand meint: Da die Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen bisher nicht zu einem großen Ergebnis geführt haben, wird es auch diesmal nicht klappen. Ich verstehe, daß jemand diese Skepsis hat.
Ich stelle hier nur fest: Ich kenne in der ganzen literarischen und politischen Friedensdiskussion, in der Diskussion um diese Frage zum Weg der Verhandlungen keinen Alternativvorschlag.
({21})
Ich wäre gern bereit, auf etwas Besseres als Verhandlungen überzuspringen, um Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau zu erreichen. Ich sage nur: Bisher ist kein Vorschlag gemacht worden, übrigens auch nicht von meinem Kollegen Eppler, der unsere Politik, was sein gutes Recht ist, so vehement kritisiert.
({22})
In einer Diskussion hat Rudolf Bahro eine Alternative genannt, über die ich nicht lache; ich bitte Sie, das auch nicht zu tun. Bahro hat gemeint, wir könnten einen Erfolg eigentlich nur erzielen, wenn wir auch in der Sowjetunion eine Friedensbewegung auf die Beine stellten und die Friedensbewegungen in Ost und West zu einem gemeinsamen Erfolg führten. Ich will das, langfristig gesehen, gar nicht lächerlich
machen. Nur ist das keine Antwort auf unsere heutigen Probleme.
Darum ist meine Meinung: Solange uns von den Kritikern, die wir ernst nehmen, nicht ein anderer, besserer Weg gezeigt wird als Verhandlungen - so wie es im Doppelbeschluß festgelegt ist -, um zu einem niedrigen Niveau von Rüstung zu kommen, würden wir verantwortungslos handeln, wenn wir von diesem politischen Weg mit einer großen Hoffnung, aber ohne jeden Weg zu ihrem Ziel abgingen. Das können wir politisch nicht.
({23})
Dabei spielt auch eine Rolle, daß Mandatsträger in Regierungen und Parlamenten Treuhänder für das Leben, die Gesundheit und die Interessen anderer Menschen sind. Sie tragen daher eine andere Verantwortung als jemand, der nur für sich selbst spricht. Diesen Unterschied muß man in der Diskussion deutlich sehen.
Herr Kollege Huyn, ich bin dagegen, wenn Sie zu den Verhandlungen sagen: Das sei ganz klar, bis 1984 könnten wir kein Ergebnis haben; also würden die Klamotten - ({24})
Sie haben gesagt, es sei illusionär, was der Bundeskanzler dazu gesagt hat.
({25})
- Aber gleichzeitig haben Sie „illusionär" gesagt.
({26})
- Gut, wenn Sie „unwahrscheinlich" sagen, dann will ich nicht widersprechen.
Aber lassen Sie mich dann folgendes sagen. Der NATO-Doppelbeschluß ist doch selber stufenweise angelegt. Der NATO-Doppelbeschluß sagt in seinem verteidigungspolitischen Teil doch nicht: Jetzt verhandeln wir über alles, was Mittelstreckenwaffe ist: Flugzeuge, französische Raketen, englische U-Boote, Trägerflugzeuge usw. Nein, er sagt: Wir wollen über SS-20 und vielleicht über Backfire verhandeln und auf der anderen Seite über Pershing und Cruise Missiles. Das soll die erste Runde sein. Das ist aber natürlich nur eine Runde. Danach muß auch über die übrigen Mittelstreckenwaffen verhandelt werden.
({27})
Man kann nicht über alles auf einmal verhandeln.
Darum sage ich: Da der Beschluß selbst stufenweise
angelegt ist, können wir auch in der ersten Runde
- wenn sich die Amerikaner mit den Sowjets auf die vorgeschlagene Begrenzung einigen, das muß noch geschehen -, zu stufenweisen Ergebnissen kommen. Es kann sein, daß man bis 1984 noch nicht durchverhandelt hat. Da bin auch ich skeptisch. Aber es kann durchaus gerade auch unter dem Druck des ersten Teils des NATO-Doppelbeschlusses ein Ergebnis erreicht werden, das Luft zu weiteren Verhandlungen schafft, und es kann sein, daß
sich die NATO im Licht solcher Zwischenergebnisse, stufenweiser Ergebnisse überlegt, was weiter zu tun ist. Wir sind j a dann in einem Verhandlungsprozeß.
Den Kollegen meiner Fraktion, die glauben, diesem Entschließungsantrag nicht zustimmen zu können, muß ich sagen: Ich respektiere zwar die Gründe, aber ich bedaure die Haltung, weil ich der Meinung bin, daß dies ein Nein zu einer Regierungspolitik ist, zu der ich bisher keine Alternative sehe. Daß ich die Opposition, die ohne Alternative ist, nicht als Alternative zu dieser Regierungspolitik sehe, werden Sie verstehen.
({28})
- Nachdem wir eben so differenziert miteinander gesprochen haben, wäre es, Herr Kollege Vogel, für unser gegenseitiges Verhältnis außerordentlich gut
- ich meine nicht unser persönliches Verhältnis, sondern unser Verhältnis hier im Hause -, aber auch für das Verhältnis zur Friedensbewegung draußen, wenn sich die CDU/CSU einen Ruck geben würde, diese Probleme der Protestbewegung auch zu diskutieren, statt zu meinen, sie könne sich im wesentlichen darauf beschränken, zu sagen, sie sei für eine Lösung „ohne Wenn und Aber". Lösungen ohne Wenn und Aber gibt es in der Politik nicht. Darum sollten Sie endlich von dieser unglückseligen Formel herunterkommen.
({29})
Wir stimmen alle überein - ich hoffe, auch jene, die diesen Entschließungsantrag nicht mittragen können -,
({30})
daß wir an dieser Stelle in erster Linie die Sowjetunion noch einmal auffordern müssen, zu Verhandlungen und akzeptablen Verhandlungsergebnissen zu kommen. Denn, wie gesagt, in diesem Mittelstrekkenbereich kann es ja, anders als in anderen Bereichen, keinen Streit darüber geben, wer uns in diesen Zugzwang gebracht hat, obgleich wir seit Jahren vorausgesagt haben, daß die Mittelstreckenrüstung der Sowjetunion eine Antwort der NATO zur Folge haben müsse.
({31})
Ich erinnere auch daran, daß beim Besuch des sowjetischen Generalsekretärs im Mai 1978 in Bonn ein Kommuniqué unterschrieben worden ist, in dem von beiden Seiten - auch in Hinsicht auf den Mittelstreckenbereich - anerkannt worden ist, daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen. Es ist damals auch unterschrieben worden, daß beide Seiten es als wichtig betrachten, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt.
({32})
Und man muß bei unseren Partnern in der Sowjetunion bitte verstehen, daß wir der Meinung sind, daß
das, was dann mit SS-20-Rüstung und Backfire-RüDr. Ehmke
stung weitergegangen ist, sich etwas schwer in Übereinstimmung bringen läßt mit dem Kommuniqué vom Mai 1978 in Bonn.
({33})
- „Schwer" sage ich. ({34})
Denn es sind ja, Herr Kollege, inzwischen von der Sowjetunion Folgerungen gezogen worden, zum Teil in Vorwegnahme des NATO-Beschlusses. Ich erinnere an die Ostberliner Rede Breschnews vom Oktober 1979, in der die Bereitschaft, einen Teil der Waffen zurückzuziehen, ausgedrückt worden ist.
({35})
- Nein, dies ist eine Polemik, die ich für falsch halte. Sie wissen wie ich: die Sowjets haben die Panzer und die Mannschaften abgezogen, die sie angeboten hatten;
({36})
und die Amerikaner haben die 1 000 Sprengköpfe abgezogen, die dafür abgezogen werden sollten.
({37})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Huyn?
Nein. Ich will jetzt beim Thema bleiben.
({0})
- Ich bin jetzt beim Mittelstreckenbereich. Herr Kollege Würzbach hat etwas hereingebracht, was im MBFR-Bereich eine Rolle spielt. Ich bleibe beim Mittelstreckenbereich. Dort ist angeboten worden, SS-20 zurückzuziehen. Wir haben aber gesagt - so steht es jetzt auch in unserem Entschließungsantrag -: Rücknahme vom Gebiet westlich des Urals reicht bei der Reichweite der SS-20 nicht aus. Darüber muß man mehr wissen. Darüber muß man genauer verhandeln. Nachdem der NATO-Beschluß in Kraft getreten war, hat die Sowjetunion zunächst gesagt, sie werde gar nicht verhandeln. Diese Meinung hat sie dann beim Besuch des Bundeskanzlers 1980 in Moskau geändert. Diese Verhandlungsbereitschaft ist dann mehrfach bestätigt worden: in diesem Frühjahr beim Besuch von Außenminister Genscher in Moskau; auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU in der Rede des Generalsekretärs; und vor wenigen Tagen beim 60. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Georgiens.
Wir sind der Meinung, daß diesen Worten nun in den Vorgesprächen mit den Amerikanern, die im Gange sind, Taten folgen müssen. Wir sagen auch in dieser Situation noch einmal - so steht es auch in unserem Entschließungsantrag -: Es würde sehr erleichtert werden, in Verhandlungen einzutreten und für Europa akzeptable Verhandlungsergebnisse zu erzielen, wenn die Sowjetunion sich entschließen könnte, die weitere Produktion und Stationierung von SS-20 einzustellen und sich mit einem schrittweisen Abbau der schon vorhandenen Raketen einverstanden zu erklären. Wir sollten alle unsere Kraft auf das Verhandlungsziel richten, darauf, daß die Rüstungsspirale gerade in Europa nicht weiter hochgedreht wird und daß eine Lösung am besten auf dem Null-Niveau oder wenigstens auf einem möglichst niedrigen Niveau erreicht wird.
({1})
Wir sollten diese Kraft nicht durch Taktieren erschöpfen, wie die Union es hier mit ihrem Antrag getan hat.
({2})
Tut mir leid, Kollegen! Das war sehr stark taktisch.
Aber wir sollten diese Kraft auch nicht erschöpfen, indem wir nur, wie es viele in der Friedensbewegung tun, Sehnsüchten Ausdruck geben, die ich teile und für die ich volles Verständnis habe, die aber konkrete, verantwortungsvolle Politik nicht ersetzen können. - Schönen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben die Freude, auf der Diplomatentribüne eine gemeinsame Delegation von Mitgliedern des italienischen Senats und des Abgeordnetenhauses zu begrüßen.
({0})
Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt und danken Ihnen für Ihren Besuch.
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dallmeyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte, die Beiträge des Bundeskanzlers und die Rede des Kollegen Brandt haben das ganze Dilemma der augenblicklichen deutschen Politik deutlich sichtbar gemacht.
({0})
Während der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auf die Teile des Kommuniqués eingegangen ist, die von einer breiten Übereinstimmung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland berichten, hat der Kollege Brandt hier dargestellt, daß es beträchtliche Differenzen zwischen der Politik der Bundesrepublik und der der Vereinigten Staaten gibt. Er hat das in dem Satz deutlich gemacht, in dem er gesagt hat, man müsse Differenzen zwischen den Bündnispartnern ausräumen. Er hat das nicht nur auf die Differenzen in der Abstimmung der Wirtschaftspolitik, sondern auch auf andere Bereiche - in einem Nachsatz hat er das hinzugefügt - bezogen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß mit dem Beitrag, mit der Rede von Herrn Brandt sichtbar geworden ist, woher breite Teile der Sozialdemo1998
kratie im Lande ihre moralische Legitimation beziehen, wenn sie heute gegen den Doppelbeschluß der NATO zu Felde ziehen.
({1})
Wenn Herr Brandt davon spricht, daß die Null-Option möglich ist, und nicht darauf eingeht, welches die Bedingungen für die Null-Option sind, dann macht das diese Standpunkte ganz deutlich sichtbar.
Ich glaube, daß auch der Beitrag von Herrn Ehmke gezeigt hat, daß nicht die Opposition zu taktischen Mätzchen gegriffen hat, sondern daß es die Regierungsparteien sind, die das taktische Scharmützel durch ihren Antrag erst ausgelöst haben.
({2})
Allein der Weg der Anträge hat dies sichtbar gemacht. Meine Damen und Herren, wenn Sie bedenken, daß die Union beide Anträge seit sehr langer Zeit vorbereitet und in die parlamentarischen Beratungen eingebracht hat, die Koalition dagegen bis zum gestrigen Nachmittag gebraucht hat, um einen Antrag zu formulieren - und dies unter allergrößten Schwierigkeiten -,
({3})
so ist das der beste Beweis für diese meine Aussage.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich komme, da Sie diesen Zwischenruf hier machen, auf die Qualität zu sprechen.
({5})
Sie und Herr Ehmke wollten nicht, daß der Kollege Wörner den Antrag, den die Union vorgelegt hat, hier vorliest und der Öffentlichkeit bekannt gibt. Ich darf das hier tun, damit sichtbar wird, worum es in der Debatte eigentlich gegangen ist. Ich zitiere:
Angesichts der anhaltenden und sich beschleunigenden Aufrüstung des Warschauer Paktes im Bereich nuklearer Waffensysteme und der fortlaufenden Verschlechterung des militärischen Kräfteverhältnisses in Mitteleuropa zu Lasten des Westens bekräftigt der Deutsche Bundestag seine Entschlossenheit, die Bundesregierung bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen zu unterstützen.
Nicht mehr und nicht weniger war es, wozu Sie heute Ihre Zustimmung geben sollten.
({6})
Sie haben Ihren Antrag hingegen - ich komme jetzt noch einmal auf die taktischen Mätzchen zu sprechen, Herr Kollege Ehmke - im ersten Teil mit einer Lobhudelei für die Bundesregierung versehen. Nun gut, das ist Ihre Sache. Aber im letzten Teil verlangen Sie von der Opposition, einen Blankoscheck für eine Politik auszustellen, die sich zunehmend als falsch, als unrichtig erweist. Das wollen wir nicht tun.
({7})
Ich gehe noch einmal auf den Beitrag des Kollegen Brandt ein. Er hat gemeint, es seien die Sozialdemokraten gewesen, die sich die deutsch-amerikanische Freundschaft an den Füßen abgelaufen hätten. Er ist allerdings nicht auf die Äußerungen eingegangen, die sein Fraktionskollege Schöfberger auf dem Marienplatz in München gemacht hat. Es wäre wünschenswert gewesen, von Herrn Brandt klar und eindeutig zu hören, was er davon hält, wenn Kollegen seiner Fraktion solche antiamerikanischen Äußerungen machen.
({8})
Damit Sie nicht denken, diese Äußerungen beschränkten sich nur auf einige wenige SPD-Politiker - vornehmlich auf solche, die an der Basis angesiedelt sind -, darf ich ein weiteres Zitat hinzufügen. Bemerkenswert ist schon die Schlagzeile im „Flensburger Tageblatt": „SPD-MdL Busack: Schmidt und Genscher betreiben regierungsamtliche Roßtäuscherei."
({9})
Nun zu dem Zitat des Abgeordneten, das mich besonders betroffen hat. Ich bin überzeugt davon, daß alle Kollegen des Bundestages aus Ihren Wahlkreisen ähnliche Beispiele anführen könnten, die zeigen, wie die Diskussion außerhalb dieses Hauses heute in Wahrheit läuft.
({10})
Herr Busack hatte an einer Podiumsdiskussion bzw. an einem Arbeitskreis mit dem Titel Atomforum teilgenommen, eine der vielen Friedensveranstaltungen, die in diesen Tagen durchgeführt werden. Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich, was er dort laut diesem Zeitungsbericht ausgeführt hat:
Busack betonte, er sei für die Zusammenarbeit mit Kommunisten, weil die abenteuerliche Politik der USA dafür die Voraussetzung geschaffen habe. Die Regierungsvertreter der USA erinnern allein schon in ihrer Sprache an die der Nationalsozialisten gegen die Sowjetunion.
({11})
Der Versuch von Bundeskanzler Schmidt, US- Präsident Reagan zu baldigen Verhandlungen zu bringen, gleiche dem Versuch, den Syndikus einer Schlachterinnung zum Ehrenpräsidenten einer Vegetariergesellschaft zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Bitte.
Herr Kollege Dallmeyer, da wir beide Herrn Busack kennen, darf ich Sie fragen, ob Sie wirklich glauben, daß Herr Busack repräsenRonneburger
tativ für die SPD der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen imstande ist?
({0})
Herr Ronneburger, es ist für mich bezeichnend, daß Sie nun den Versuch unternehmen, sozusagen eine Deckung aufzubauen. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Ronneburger, daß in diesen Tagen viele Sozialdemokraten das Gegenteil von dem sagen - im Grunde hat Ihr Kollege Möllemann das heute morgen auch festgestellt -,
({0})
was Ihr eigener Bundeskanzler im Deutschen Bundestag sagt.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Das tue ich besonders gern.
Herr Kollege Dallmeyer, ist Ihnen bekannt, daß just in den Tagen, in denen der Bundeskanzler in Amerika war und dort das Kommuniqué erarbeitet hat, über das wir reden, die SPD in Stuttgart - ebenfalls unter Führung eines Bundestagskollegen - beschlossen hat, 44 Veranstaltungen durchzuführen, die genau das in Frage stellen, was der Herr Bundeskanzler heute morgen mit soviel Emphase vorgetragen hat?
({0})
Herr Kollege, ich kann das bestätigen. Ich habe auch davon gehört.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Darf ich diesen Satz zunächst einmal zu Ende bringen. Dann bin ich gern dazu bereit.
Aber sagen Sie das nicht so unfreundlich zu mir, Herr Abgeordneter.
Ich möchte im Zusammenhang darstellen, was sich im Augenblick in unserem Land abspielt. Meine Damen und Herren, ich räume ja ein: Ich bin ein junger Abgeordneter. Vielleicht sehe ich deshalb manches noch etwas unbefangener. Hier im Bundestag höre ich die Reden des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers und von Herrn Ehmke. Wenn ich dann nach Hause in meinen Wahlkreis gehe treffe ich Sozialdemokraten die jüngst den Krefelder Beschluß unterschrieben haben, und das sind nicht etwa Vertreter irgendwelcher untergeordneter Parteiorganisationen, sondern es ist der Kreisvorsitzende, der Landtagsabgeordnete. Wenn ich sie dann mit den Worten von Herrn Glotz angreife und sage: „Herr Glotz hat doch selber darauf hingewiesen ,Unterlaßt es, diesen Krefelder Appell zu unterschreiben`", dann lachen sie mich aus.
Meine Damen und Herren, damit kann ich leben. Sozialdemokraten können mich gern auslachen; das ficht micht nicht an. Aber mich stört, daß hier der Eindruck einer großen Geschlossenheit erweckt wird, aber sobald man dieses Haus verläßt, hört man es aus dem Munde derselben Parteigenossen genau umgekehrt.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schöfberger?
({0})
Herr Kollege Dallmeyer, wie beurteilen Sie den Ausspruch des amerikanischen Außenministers Haig, es gebe etwas Wichtigeres als den Frieden und etwas Schlimmeres als den Krieg?
({0})
Meinen Sie nicht auch, daß der amerikanische Außenminister, wenn er so handelt, wie er denkt, eine akute Gefahr für den Weltfrieden ist!
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, doch wieder Platz zu nehmen. Hier hat im Augenblick der Redner das Wort. Bitte schön, Herr Dallmeyer, fahren Sie in Ihrer Rede fort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß sich Herr Schöfberger einmal mit dem deutschen Bundeskanzler unterhalten sollte. Der sollte ihm einmal nach seinem Amerikabesuch erläutern, wie groß die Übereinstimmung zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten ist. Sie sollten nicht immer den Versuch unternehmen, dieses in Widerrede zu stellen. Das macht nämlich die Verunsicherung aus, mit der wir es heute zu tun haben.
({0})
Lassen Sie mich noch einmal auf diese Verunsicherung zu sprechen kommen, weil mich das wirklich bedrückt. Die Voraussetzung oder die Vorbedingung für den Doppelbeschluß war die zunehmende Rüstung der Sowjetunion im Mittelstreckenbereich. Der Bundeskanzler selbst hat in der hier mehrfach schon genannten Rede von 1977 vor dem Londoner Institut von der sogenannten Grauzonenproblematik gesprochen. Er hat ja im Grunde sehr frühzeitig angefangen, die Gefährlichkeit der Disparität zu beschreiben und zu sagen, daß sich hier ein Ungleichgewicht ergibt, das eines Tages - und diese Tage sind erreicht - gefährliche Dimensionen annimmt. Er hat das j a auch nicht ohne Begründung getan.
Es wäre vielleicht ganz gut, Herr Bundeskanzler, wenn Sie daran dächten, eine Neuauflage Ihres
Buches „Strategie des Gleichgewichts" an Ihre eigenen Parteifreunde zu verteilen, damit sie noch einmal nachlesen, was eigentlich der Grund für die Nachrüstung ist, was eigentlich die Bedingung ist, unter der unser Frieden hier heute herrscht.
Herr Kollege Ehmke, Sie sagten: „Nehmen Sie die Angst der Bürger ernst." Die nehmen wir ernst. Sie sagten: „Nehmen Sie die Diskussion um Abrüstung und Frieden ernst." Die nehmen wir ernst. Aber wir wünschen uns, daß nun endlich einmal auch ganz besonders von Ihrem Parteivorsitzenden Herrn Brandt deutlich gemacht wird, daß der Grund für die Diskussion um den Doppelbeschluß eindeutig bei der Sowjetunion zu suchen ist, und zwar durch die Rüstung in diesem sogenannten Grauzonenbereich. Davor haben wir auch Angst.
({1})
Wer wollte denn bestreiten, daß das angstauslösend ist? Das erklärt auch den Antrag der Union der SS- 20.
Es gab doch auch eine Initiative aus diesem Haus, meine Damen und Herren. Jetzt komme ich noch einmal auf die taktischen Mätzchen. Der Kollege Würzbach hat ein halbes Jahr vor den Beratungen und vor dem Beschluß vom 12. Dezember, zu Ostern 1979, eine Initiative mit der Aufforderung an die Sowjetunion gestartet, doch die Rüstung im SS-20-Bereich zu unterlassen. Viele Kollegen haben sich dem damals angeschlossen, die Sozialdemokraten nicht. Sie haben damals gesagt, man müsse diese Dinge einer höheren Ebene überlassen, das könne man nicht auf eine solche Initiative gründen. Hätten Sie doch damals in breiter Form die Initiative unterstützt! Dann wäre unter Umständen der Doppelbeschluß gar nicht mehr notwendig gewesen.
({2})
Ich sage noch einmal, daß der Ausgangspunkt für die gesamte Problematik die aggressive Rüstungspolitik der Sowjetunion ist. Sie kann heute schon fast mit ironischer Gelassenheit auf den nächsten SPD-Parteitag blicken und damit die Hoffnung verbinden, daß möglicherweise dort, nicht am internationalen Verhandlungstisch, die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik und die Möglichkeit der flexiblen Reaktionen zu Fall gebracht werden.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich fordere Sie auf, den Bundeskanzler in dieser Frage, in der wir doch wirklich eine breite Übereinstimmung haben, künftig zu unterstützen und ihm nicht immer wieder draußen im Lande ein Bein zu stellen und mit antiamerikanischen Äußerungen unserer Politik zu erschweren.
({3})
Ich finde es auch bedauerlich, meine Damen und Herren - auch das sage ich jezt ganz besonders aus meiner Situation als jemand, der diesem Hohen Hause erst sehr kurze Zeit angehört -, daß, nachdem die Unionsfraktion zwei Anträge vorgelegt hat, die nach dem Bekunden hier heute morgen eigentlich gar nicht strittig sind, in diesem Verfahren, das ich vorhin schon einmal beschrieben habe, ein Eilantrag - so möchte ich ihn einmal bezeichnen - von der Koalition formuliert und dann mühselig noch zeitgerecht zur Debatte eingebracht wird, mit dem erreicht werden soll, daß die Union so dargestellt wird, als sei sie nicht für die wesentlichen Inhalte dieses Antrags.
({4})
- Herr Ehmke, Sie haben doch gerade durch taktische Formulierungen erreicht, daß es der Union unmöglich ist, diesen Antrag zu unterstützen,
({5}) und das haben Sie gewollt.
Meine Damen und Herren von der FDP, der Außenminister hatte schon angekündigt, daß er den Unionsanträgen zustimmen wolle,
({6})
und dann plötzlich hat er sich eines anderen besonnen. Es fand ein gemeinsames Mittagessen von Herrn Brandt und Herrn Genscher statt, und plötzlich gab es einen eigenen Antrag der SPD/FDP. Das mutet außerordentlich taktisch und merkwürdig an; lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ausgangspunkt unserer Debatte sind der Doppelbeschluß der NATO und die Anträge, die hier heute vorliegen. Ich habe nach den bisherigen Debattenbeiträgen - man weiß nicht, was für welche noch kommen - festgestellt, daß es hier im Hause eine breite Übereinstimmung gibt. Es wäre für die Öffentlichkeit von großer Bedeutung, wenn wir dies in den wesentlichen Teilen auch zum Ausdruck bringen könnten. Die Anträge der Union zur Nachrüstung und zum Baustopp der SS-20 liegen auf dem Tisch. Ich vermag nicht einzusehen, warum man ihnen nicht zustimmen sollte. - Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der Rede des Herrn Kollegen Dallmeyer kam es soeben zu einer Zwischenfrage, die mich veranlaßt, eine Bemerkung zu machen. Ich habe das Original der Rede von Herrn Haig nirgends gesehen. Ich weiß nicht - aber das ist sicher mein Fehler -, aus welchem Zusammenhang das Zitat stammt, das hier in Form einer Frage vorgetragen wurde.
Ich möchte auf einen Punkt sehr deutlich hinweisen und möchte meine Meinung sehr deutlich sagen. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß der amerikanische Außenminister ein Mann des Friedens ist.
({0})
Ohne die Rede, aus der zitiert wurde, gesehen zu haben, kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß er dort
von der Notwendigkeit gesprochen hat, die Freiheit
zu verteidigen. Dabei muß ich nun allerdings auf eines aufmerksam machen: Nicht erst seit der gegenwärtigen amerikanischen Regierung, sondern seit es eine abendländische Moral und Ethik gibt, hat es immer zu deren Grundbestand gehört, bereit zu sein, seine eigene Freiheit zu verteidigen.
({1})
Die Grundwerte „Freiheit" und „Leben" können dabei miteinander in Konflikt geraten. Es sind Grundwerte, wie sie sich j a auch im Grundrechtskatalog unseres Grundgesetzes wiederfinden; Grundrechte, die auch miteinander in Konflikt geraten können, so wie Grundwerte und moralische Werte miteinander in Konflikt geraten können. Die Moral des einzelnen zeigt sich j a immer erst dann, wenn er in die Lage gezwungen wird, zwischen konfligierenden Grundwerten oder - als Richter - zwischen konfligierenden Grundrechten abzuwägen. Für die Bundesregierung und ihre Außen- und Sicherheitspolitik folgt daraus, daß sie eine Politik betreiben muß, die es vermeidet, den Staat und das ganze deutsche Volk in einen Konflikt hineinzutreiben, in dem diese nur noch zwischen Freiheit einerseits oder Krieg andererseits zu wählen hätten.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst namens der Fraktion der CDU/CSU hier feststellen, Herr Bundeskanzler, daß wir Ihre Äußerungen nachdrücklich begrüßen und unterstützen.
({0})
Ich darf als Zweites feststellen, daß die Art und Weise, wie hier das Mitglied der SPD-Fraktion Herr Schöfberger mit der Reputation, dem Ansehen und der Ehre des amerikanischen Außenministers Alexander Haig umgeht, unerträglich ist.
({1})
Ich darf am Ende dieser Debatte von uns aus auch noch einmal betonen, daß wir alle den Frieden wollen, daß aber die bittere Erfahrung dieses 20. Jahrhunderts in Europa und außerhalb Europas und nicht zuletzt die bittere Erfahrung der Deutschen im eigenen Vaterland eigentlich doch jedem deutlich machen sollte, der guten Willens ist, daß wahrer Friede, wie wir ihn verstehen, eben nur ein Friede in Freiheit ist
({2})
und daß das, was aus den Äußerungen des Abgeordneten Schöfberger hier anklang, die bittere Frucht einer Entwicklung ist, in der seit Jahren immer - ich sage das jetzt bewußt - nur über Frieden und nicht über Frieden in Freiheit und mit Freiheit gesprochen wurde.
({3})
Herr Bundeskanzler, wenn Ihre heutige Erklärung zu dem, was hier gesagt wurde, ein Anfang auf einem Wege wäre, mit Mut und Entschlossenheit zur Klarheit der Begriffe in allen politischen Lagern beizutragen, dann, so darf ich Ihnen versichern, werden Sie die volle Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion haben.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg ein Wort in Anknüpfung an das, was hier eben diskutiert wurde. Ich glaube, so einfach kann man es sich mit der „Verteidigung der Freiheit" als etwas Abstraktem im nuklearen Zeitalter nicht machen.
({0})
Ich glaube, es sieht etwas anders aus, ob man ethische Erwägungen über die Verteidigung individueller Freiheit zu Zeiten Augustins anstellt oder in Zeiten des atomaren Overkills. Ich will es dabei belassen.
({1})
Ich möchte versuchen, der dauernden Fehlinformation der Öffentlichkeit
({2})
über den sogenannten Doppelbeschluß und seine möglichen Folgen die Besorgnisse von vielen Menschen innerhalb und außerhalb der SPD gegenüberzustellen.
Die SPD hat Anfang Dezember 1979 sehr ausführlich über den bevorstehenden sogenannten Doppelbeschluß der NATO diskutiert. Ergebnis: Wenn es eine Lücke im eurostrategischen Gleichgewicht gibt, sollten vorrangig politische Verhandlungen über die Beseitigung dieses Urigleichgewichts stattfinden mit dem Ziel, die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen auf europäischem Boden überflüssig zu machen. Erst nach Scheitern solcher Verhandlungen sollte die Bundesrepublik der Stationierung zusätzlicher Mittelstreckenraketen zustimmen, aber auch dann nur gemeinsam mit anderen europäischen Bündnispartnern. Eine neue Lage würde auch dadurch entstehen, wenn der SALT-II-Vertrag durch die USA nicht ratifiziert würde.
In den vergangenen 18 Monaten sind diese vernünftigen Forderungen der SPD zur Fortsetzung der Entspannungspolitik von der Entwicklung besonders in den USA überrollt worden. Schon der sogenannte Doppelbeschluß war also ein Aufrüstungsbeschluß mit Verhandlungsfußnote.
Die Aufstellung von zusätzlichen landgestützten Raketen und Marschflugkörpern in amerikanischer Hand in Europa ist militärisch nicht zu rechtfertigen. Als direkte Gegenwaffe gegen die sowjetischen SS-20 sind sie ungeignet, weil sie diese nicht erreichen können. Landgestützt sind sie leicht verwundbar und bieten lediglich zusätzliche Ziele für die Ra2002
keten der anderen Seite. Die einzig sinnvolle militärische Antwort auf die SS-20 wäre die Stationierung modernisierter Mittelstreckenwaffen auf U-Booten. Diese Maßnahme ist aber überflüssig, weil das vorhandene seegestützte Potential der NATO das Gleichgewicht des Schreckens nach der bisher geltenden Doktrin von der gesicherten gegenseitigen Zerstörung, um einen möglichen Angreifer von der Selbstmordoption abzuhalten, immer noch vollauf gewährleistet. Die Gegenwaffen gegen die SS-20 gibt es also schon.
Zu Recht wird somit die militärische Notwendigkeit der Produktion und Stationierung neuer Mittelstreckenraketen von Politikern, Friedensforschern und Militärs bestritten. Die Kritiker reichen von George F. Kennan, dem die Berechnungsmethoden eines Kräftevergleichs „vom schlichten Betrug nicht mehr weit entfernt" zu sein scheinen, über Carl Friedrich von Weizsäcker bis zu amerikanischen, englischen, französischen, italienischen und deutschen Generalen und Admiralen, j a sogar bis hin zu dem Befehlshaber der NATO-Heeresgruppe Mitte, dem US-General Kroesen. Wenn das so ist, müssen andere, politische Gründe für das Drängen der USA, ihre neuen Raketen auf europäischem Boden auf zustellen, maßgebend sein.
Wenn die Ankündigung der Produktion und möglichen Stationierung solcher Waffen das Ziel hatte, die Sowjetunion zum Verhandeln zu zwingen, so ist dieser Zweck erreicht. Nach seiner Rückkehr aus Moskau hat der Bundeskanzler am 7. Juli 1980 folgendes erklärt:
Breschnew und seine Kollegen der sowjetischen Führung haben ganz genauso Angst vor einem Krieg wie wir hier. Sie möchten nicht das Risiko eines Krieges laufen und wissen auch, daß aus einem Rüstungswettlauf Schlimmeres entstehen kann. Deswegen auch hatte ich schon im vorigen Jahr vorausgesagt, die Russen würden bereit sein, zu verhandeln; nur wann und unter welchen Bedingungen, das konnte ich nicht vorhersehen. Jetzt hat sich unter dem Eindruck all dieser vielfältigen Bemühungen gezeigt, sie sind jetzt bereit, zu verhandeln, sind sogar bereit, sofort zu sprechen.
Die Sowjetunion hat seither mehrfach Verhandlungen angeboten. Vor allem hat die Sowjetunion Anfang dieses Jahres ein Moratorium über die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen und Verhandlungen ohne Vorbedingungen vorgeschlagen. Sie hat damit das aufgegriffen, was der Bundeskanzler 1980 öffentlich angeregt hatte. Danach wäre es ohne zusätzliches Risiko möglich, für eine bestimmte Zahl von Jahren auf die Stationierung von neuen Mittelstreckenwaffen in Ost und West zu verzichten.
Der Bundesaußenminister hat diesen Vorschlag Breschnews umgehend ungeprüft zurückgewiesen. Da hierzulande einige sich zu Recht besorgt fragen, wieviel Zeit für Verhandlungen noch bleibt, weil niemand weiß, ob die erkennbare Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion auch nach Breschnew fortdauern wird, könnte sich diese Zurückweisung des Moratoriumsangebots als großer historischer Fehler in der Geschichte des Versuchs einer Entspannungspolitik erweisen, nur vergleichbar mit der ebenso brüsken Ablehnung von Friedensangeboten der UdSSR 1952 durch Konrad Adenauer.
({3})
Ob es damals für Deutschland eine Chance der Entwicklung eines anderen Weges - nämlich ohne Aufrüstung - gegeben hätte, wissen wir nicht, aber daß wir es heute nicht wissen können, wird für immer die historische Schuld Adenauers bleiben.
Außerdem werden sich alle diejenigen, die die Notwendigkeit einer sogenannten Nachrüstung mit der fortlaufenden Stationierung von SS-20-Raketen begründet haben, spätestens nach der Ablehnung dieses Moratoriumsangebots eine neue Begründung ausdenken müssen. Das Ereignis „Afghanistan", das nach dem sogenannten Doppelbeschluß stattfand, reicht dazu wohl nicht aus.
({4})
Somit bleibt festzustellen: Bis heute fehlt ein klares und realistisches Verhandlungskonzept der NATO als Antwort auf die diplomatische Offensive der UdSSR. Schlimmer noch, alles, was wir seit dem Amtsantritt von US-Präsident Reagan in oft ungenierter Manier von jenseits des Atlantik hören, läßt nur den einen Schluß zu: Die neue US-Regierung will erst aufrüsten - manche sagen sogar: „wiederaufrüsten". Die USA wollen der Sowjetunion auf allen Ebenen - konventionell, taktisch und strategisch - überlegen sein. Deshalb ist es nur konsequent, daß der politische Berater des Präsidenten, Meese, über die Verträge zur Begrenzung strategischer Waffen erklärt: „Wir glauben, es gibt keine rechtliche oder moralische Verpflichtung, SALT I oder SALT II zu befolgen." Das US-Außenministerium hat diese Auffassung bestätigt.
Die hochgepriesenen Kommuniqués von Rom und Brüssel am Anfang dieses Monats zeigen die gleiche Handschrift. In Rom haben die Minister des Nordatlantikrates den USA darin zugestimmt, daß „die Modernisierung der Mittelstreckenwaffen des Bündnisses wesentlicher ist denn je und die einzig realistische Grundlage für parallellaufende Rüstungskontrollgespräche" ist. Aber selbst solche Gespräche - wohlgemerkt, Gespräche, nicht Verhandlungen - werden noch unter den Vorbehalt des weltweiten Wohlverhaltens der UdSSR gestellt. Das läßt Zweifel an der Zusage aufkommen, noch in diesem Jahr im Rahmen des SALT-Prozesses in wirkliche Verhandlungen mit der Sowjetunion einzutreten. Die Entschlossenheit der USA, erst nach der - aus ihrer Sicht, nicht entsprechend der objektiven Lage - wiedererlangten militärischen Überlegenheit Verhandlungen mit der Sowjetunion aufzunehmen, ist unübersehbar.
Plausibel wird das Beharren der Reagan-Regierung auf der Stationierung amerikanischer Raketen in Europa erst im Lichte einer neuen Gesamtstrategie. Neben der geplanten Einführung der MX-Rakete, einer Erstschlagwaffe, ist die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa ein wesentliches Element dieser veränderten Strategie. Die neuen Waffen erreichen die Sowjetunion in fünf
bis sieben Minuten und können auch unterirdische Bunker fast punktgenau treffen. Sie sollen auf politische und militärische Lenkungszentren in der Sowjetunion gerichtet werden. Das macht sie zu Erpressungswaffen, die das Ganze der Abschreckungstriade durchbrechen.
Die Aufstellung dieser Waffen bedeutet die Abkehr von der bisherigen Strategie der Kriegsverhütung. Sie sind Teil des neuen Konzepts einer Strategie, die nicht nur einen Krieg mit Atomwaffen für denkbar und damit auch führbar hält; eine solche Kriegsführungsstrategie nimmt Europa zur Geisel gegenüber der Sowjetunion, um den USA mehr Handlungsfreiheit in der übrigen Welt zu verschaffen, d. h. Vorteile im sich verschärfenden und militärisch abgesicherten weltweiten Handels- und Rohstoffkrieg. Die Antwort der Sowjetunion kann nur die Produktion entsprechender neuer Gegenwaffen sein. Das von allen als Wahnsinn bezeichnete Wettrüsten ginge ungebremst weiter.
Das ist es, wovor sich viele Menschen in der Bundesrepublik und in anderen Teilen Europas zu Recht fürchten: nicht daß die USA oder die Sowjetunion bewußt einen Krieg herbeiführen wollen, aber daß sie Situationen herstellen, in denen es dazu kommen kann. Deswegen rufen sie in einer immer stärker werdenden Friedensbewegung zum Widerstand gegen die Zumutung eines möglichen Stellvertreterkrieges der Supermächte auf. Sie wehren sich gegen die Ausweglosigkeit eines militärischen Verteidigungskonzeptes, das die mögliche eigene Vernichtung bedeutet. Hier kann ich auch anmerken: Freiheit gibt es eben nur als Freiheiten für Lebendige und nicht als abstraktes Gut.
Deshalb - und damit bin ich am Ende, ohne meine Redezeit ganz auszuschöpfen - ({5})
- Ja, meine Herren von der Opposition, ich rede auch für Menschen in Ihrer Partei oder solche, die sich Ihnen nahe fühlen,
({6})
weil sie auf Ihren Krolloper-Parteitagen nicht zu Wort kommen. Deshalb kann ich mit einigen Kollegen einer Entschließung, die die Absicht der Stationierung neuer Atomraketen auf dem dicht besiedelten Boden der Bundesrepublik festschreibt, nicht zustimmen. Denn gerade für uns Europäer - und dies wiederhole ich bewußt - gibt es keine wichtigeren Dinge, als bloß Frieden zu haben. - Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Corterier.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Hansen hatten einen Vorteil: Sie waren so klar, daß deutlich geworden ist, daß er nur für sich selber gesprochen hat und nicht für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
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Ich möchte, bevor ich unsere Haltung zu dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen noch einmal zusammenfasse, ganz kurz auf einige der Argumente, die er hier vorgetragen hat, eingehen.
Kollege Hansen hat von der dauernden Fehlinformation der Öffentlichkeit über die Frage des Kräfteverhältnisses im eurostrategischen Bereich gesprochen. Ich will mich hier auf keine Zahlendebatte einlassen, sondern mich darauf beschränken, in drei oder vier Sätzen die neueste Agenturmeldung über eine Äußerung des Londoner Instituts für strategische Studien zu zitieren. Dort heißt es in einer ddpMeldung vom heutigen Tage:
Die Sowjetunion verfügt gegenwärtig über insgesamt 220 bis 225 modernste Kernwaffen des Typs SS-20. Davon sind nach Erkundungen des Internationalen Instituts für strategische Studien etwa zwei Drittel, also rund 140, in Europa stationiert. Wie ein IISS-Sprecher am Dienstag gegenüber dem Deutschen Depeschendienst erklärte, betrug die Anzahl der sowjetischen Waffensysteme des Typs SS-20 vor einem Jahr rund 160. Das bedeutet, daß in der Sowjetunion in jeweils fünf Tagen eine weitere SS-20 hinzukommt.
({1})
Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich; dem braucht man nichts hinzuzufügen.
Gleich in diesem Zusammenhang die Frage: Hat der Bundesaußenminister und hat die Bundesregierung übereilt den sowjetischen Moratoriumsvorschlag zurückgewiesen? - Ich meine, daß der Moratoriumsvorschlag in dieser Form tatsächlich nicht akzeptabel war; denn er hätte nur dazu führen können, daß dieses Übergewicht der Sowjetunion, das in den Zahlen, die ich soeben vorgetragen habe, deutlich wird, festgeschrieben worden wäre. Deswegen kann ein Beitrag der Sowjetunion für den Einstieg in Verhandlungen doch nur darin bestehen, wie es in unserem Antrag richtig heißt:
Verhandlungsergebnisse zwischen den USA und der Sowjetunion würden erleichtert, wenn die Sowjetunion den Bau und die Stationierung weiterer SS-20-Raketen einstellen und die vorhandenen Mittelstreckenraketen schrittweise abbauen würde.
Schließlich hat Herr Kollege Hansen eine These wiederholt, die leider in den Diskussionen auch draußen im Lande eine Rolle spielt, nämlich die, daß es angeblich den Vereinigten Staaten darum gehe, einen Stellvertreterkrieg der Supermächte in Europa führbar zu machen. Ich glaube, das einfachste Argument gegen diese These ist das folgende: daß doch zu einem Stellvertreterkrieg zwei gehören würden, d. h. daß die Sowjetunion hinnehmen würde, daß die Amerikaner sie mit Atomwaffen aus Westeuropa angreifen, und daß sie dann nur gegen Westeuropa und nicht gegen die USA zurückschlagen wür2004
de. Es gibt sehr eindeutige Erklärungen aus der Sowjetunion, übrigens auch von Herrn Arbatow, die er sogar hier in Bonn gemacht hat, daß sie so etwas natürlich niemals mitmachen würde. Trotzdem wird diese These immer weiter verbreitet. Ich glaube, sie kann einer näheren Prüfung überhaupt nicht standhalten.
Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren, warum es der SPD bei diesem Antrag, den wir hier zusammen mit unserem Koalitionspartner vorgelegt haben, geht. Es geht uns um Kontinuität, Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Bundesrepublik als Partner im westlichen Bündnis und im Ost-West-Dialog. Wir wollen dazu beitragen, daß das militärische Gleichgewicht als Grundlage für die Entspannungspolitik erhalten bleibt, und sehen das Prinzip, weder eine Position der Schwäche hinzunehmen noch Überlegenheit anzustreben, als notwendig für die Stabilität der Ost-West-Beziehungen an, die wir dadurch in ihrem Bestand sichern wollen. Was wir im einzelnen auf westlicher Seite militärisch tun, ist sicherlich umstritten, allein schon deshalb, weil es Alternativen zu dem gegeben hat, was am 12. Dezember 1979 im Bündnis beschlossen worden ist. Es ist ja heute schon mehrfach von der Frage seegestützter Systeme die Rede gewesen.
Wir haben nicht nur bei uns eine Debatte darüber, was auf unserer Seite militärisch notwendig ist. Dieser Debatte muß man sich stellen. Das tun wir, und dazu werden wir auch in Zukunft bereit sein, auch nachdem wir dieser Entschließung zugestimmt haben werden.
Eines ist jedenfalls nicht zu bestreiten - ich habe es soeben darzulegen versucht -: daß sich die Sowjetunion im Bereich nuklearer Mittelstreckenwaffen eine Überlegenheit verschafft hat, die im Westen berechtigte Sorgen und Fragen aufgeworfen hat, wozu das eigentlich dienen soll. Mit dem Doppelbeschluß der NATO sollen die verteidigungs- und rüstungskontrollpolitischen Voraussetzungen für Verhandlungen geschaffen werden. Es gibt Kritiker, die mit großer Überzeugung von den großen Risiken dieser Entscheidung sprechen. Ich möchte sagen, daß man die Risiken des eigenen Handelns sehr wohl bedenken muß, aber man darf sie auch nicht überschätzen; denn der Beschluß eröffnet, weil er in sich begrenzt ist, eben nicht einen ungebremsten Rüstungswettlauf. Wir wollen diesen ja gerade verhindern. Dazu ist allerdings auch sowjetisches Zutun erforderlich. Wir können und wollen nicht einseitig abrüsten oder einseitig auf verteidigungspolitisch notwendige Maßnahmen verzichten. Wir würden sonst dazu beitragen, beide Supermächte aus ihren im Nichtverbreitungsvertrag und in den SALT- Vereinbarungen gegebenen Verpflichtungen zu entlassen, die Nuklearrüstung zu vermindern.
Der, wie ich meine, große Erfolg der Bundesregierung, insbesondere des Bundeskanzlers, war es, ganz entscheidend zur Einhaltung dieser Verpflichtungen auf beiden Seiten beigetragen zu haben. Niemand kann ernstlich am Friedenswillen dieser Regierung zweifeln. Sie hat auf beiden Seiten schwierige Gespräche geführt und in diesen Gesprächen in Moskau und Washington und auf Bündnisebene durch das Kommuniqué von Rom zu einem klaren Engagement für Rüstungskontrollverhandlungen beigetragen. Der Weg für Rüstungskontrollverhandlungen ist vor allem auf der Basis des Kommuniqués von Rom jetzt frei. Es ist durch die Gemeinsame Erklärung des amerikanischen Präsidenten und des Bundeskanzlers unterstützt und bekräftigt worden. Auf diesem Weg sollten wir jetzt weitergehen. Ich meine, eines muß klar sein: Wenn es einen Wählerauftrag aus der Wahl vom 5. Oktober 1980 gibt, dann ist es der, daß die Abgeordneten der Mehrheit in diesem Hause die Friedenspolitik dieser Bundesregierung, die Friedenspolitik des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers unterstützen,
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und in diesem Sinne wird die überwältigende Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion diesem Antrag zustimmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zum Abstimmungsverfahren hat der Herr Abgeordnete Dr. Jenninger das Wort zur Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich, über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/505 zu den einzelnen Abschnitten gesondert abzustimmen. Wir bitten, über den vorletzten Absatz dieses Antrages gesondert abzustimmen, der lautet:
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. 12. 1979 in seinen beiden Teilen. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang die Feststellung des Doppelbeschlusses, daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen der NATO im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird.
Wenn das Hohe Haus, wenn insbesondere die Antragsteller, diesem unseren Begehren nicht widersprechen und diese Passage mit Mehrheit beschließen, kann der Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 9/506 in der Sache im wesentlichen als erledigt angesehen werden. Ich bitte das Hohe Haus, so zu verfahren und die Schlußabstimmung, so wie es der Kollege Brandt beantragt hat, in namentlicher Abstimmung durchzuführen.
Die Koalitionsfraktionen haben dem zugestimmt, so daß wir jetzt zur Abstimmung über den Antrag 9/505 der Fraktionen der SPD und der FDP kommen, zuerst ohne den Absatz, den Ihnen Herr Kollege Jenninger vorgelesen hat. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist in diesem Teil angenommen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich komme jetzt zur Abstimmung über den soeben vorgelesenen Text: „Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung ...". Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, damit wir das noch einmal überschauen können. - Ich sehe 6 Gegenstimmen. Enthaltungen bitte! - Bei 6 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.
Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen, kommen wir zu den Erklärungen, die von den einzelnen Kollegen nach § 31 der Geschäftsordnung gewünscht werden. Dazu hat als erster Herr Abgeordneter Waltemathe das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zugleich im Namen des Kollegen Dr. Schöfberger, gebe ich gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages folgende Erklärung zur Schlußabstimmung ab.
Erstens. Jeder einzelne Abgeordnete muß nach seinem besten Wissen und Gewissen entscheiden, was das ihm verliehene Mandat ihm abverlangt. Als Sozialdemokrat bin ich daran interessiert, daß eine Regierung existiert und auch weiterhin existieren wird, die Friedenssicherung durch Verhandlungen einer Politik der Stärke und militärischen Bedrohung vorzieht. Ich selbst - das sage ich jetzt für mich persönlich - bin zeit meines Lebens für eine Politik der Gewaltlosigkeit eingetreten.
Zweitens. Der Wahnsinn des Wettrüstens nimmt in zunehmendem Maße den Mut zu einer friedlichen Zukunft. Europa droht im Osten wie im Westen zu einem Platz der Anhäufung atomarer Vernichtungswaffen zu werden, welche die territoriale Sicherheit nicht erhöhen, sondern die Gefahren eines tatsächlichen Einsatzes verstärken. Die vereinfachende Darstellung: weil der Osten mit SS-20-Raketen modernisiere, brauche auch der Westen neue Mittelstreckenwaffen, und zwar zusätzliche zu den bereits vorhandenen, und deshalb müsse schon jetzt praktisch über ihre Stationierung positiv entschieden werden, ist für mich genauso bedenklich wie die hier und da in der öffentlichen Diskussion sehr einseitig vorgebrachte Forderung, der NATO-Beschluß müsse ersatzlos gestrichen werden.
Herr Kollege, bitte, fangen Sie mit Ihrer Erklärung keine Diskussion an, sondern nehmen Sie nur persönlich Stellung!
Ich begründe mein Abstimmungsverhalten, Frau Präsident.
Aber das erneute Ingangsetzen einer verhängnisvollen Rüstungsspirale durch eine Politik militärischen Hegemoniestrebens kann nicht im Interesse einer friedvollen Entwicklung Europas liegen. Aufrüstung und die Drohung von Massenvernichtung behindern die Ansätze zur Zusammenarbeit.
Ich bin wie auch andere daran interessiert, daß Verhandlungen mit dem Ziel geführt werden, konkrete Abrüstungsschritte zustande zu bringen. Dieses Ziel wird um so schwieriger erreichbar werden, je mehr zunächst aufgerüstet wird, um dadurch vermeintlich bessere Verhandlungspositionen zu erreichen.
Drittens. Ich greife insbesondere keinen Sozialdemokraten oder keinen Freien Demokraten an, der der Auffassung ist, nur die Verwirklichung des ersten Teils des NATO-Beschlusses - d. h. Stationierung von Mittelstreckenwaffen -
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie. Sie fangen wieder an, in der Sache zu diskutieren. Ich bitte Sie, eine kurze persönliche Erklärung abzugeben. Sonst muß ich Ihnen leider das Wort entziehen.
({0})
Frau Präsident, ich glaube, ich darf zur Abstimmung begründen, weshalb ich zu einem anderen Ergebnis als die Mehrheit meiner Fraktion komme.
Teilen Sie bitte das Ergebnis mit!
({0})
Das Ergebnis teile ich mit. Aber ich darf auch meine Motive nennen.
Im vorliegenden Fall muß sich jeder entscheiden, ob er durch sein Abstimmungsverhalten einen Beitrag zur Chance leistet, den Frieden, wenn schon nicht ohne, so doch mit weniger Waffen, zu schaffen.
Die CDU/CSU hat heute deutlich gemacht, daß ihr Nein zum Entschließungsantrag der Koalition dadurch motiviert ist, daß sie eine Politik der größeren militärischen Stärke fordert. Wenn ich mit Nein stimme, so aus einem anderen Grunde.
Herr Abgeordneter Waltemathe, ich habe Sie jetzt zweimal ermahnt. Ich bitte Sie nun, zum letzten Satz Ihrer Erklärung zu kommen. Sie fangen hier eine Diskussion an. Ich kann das nicht zulassen. Verstehen Sie bitte, daß ich mich nach der Geschäftsordnung richten muß.
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Frau Präsident, ich bin bei meinem letzten Satz. Ich meine, daß der Rückfall in einen Teufelskreis des Wettrüstens die Möglichkeit zu einer Zukunft verbaut, die größere Sicherheit durch weniger Waffen gewährleistet, und deshalb stimme ich dem Entschließungsantrag Drucksache 9/505 nicht zu.
Das Wort gemäß § 31 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Conradi. - Ich bitte Sie, sich entsprechend meinen eben gegebenen Hinweisen zu verhalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte hier lieber einen Debattenbeitrag geleistet, als eine Erklärung zur Abstimmung zu geben. Ich hätte es für besser gefunden, wenn sich der Bundestag in dieser wichtigen Frage etwas mehr Zeit genommen hätte, als es unsere Herren Geschäftsführer vereinbart haben,
({0})
zumal der Ältestenrat keinen Beschluß über die Dauer der Debatte gefaßt hat. Nachdem vier Stunden verstrichen sind, kann ich hier nur noch eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Ich will versuchen, es so zu tun, daß Sie, Frau Präsidentin, mich nicht rügen müssen.
Ich wäre Ihnen dankbar.
Ich werde in der Schlußabstimmung der Entschließung zustimmen, weil ich am Friedenswillen und an der Friedensfähigkeit dieser Bundesregierung keinen Zweifel habe. Der Bundeskanzler hat sie in den Krisen des vergangenen Jahres überzeugend unter Beweis gestellt. Nachdem er nun sein politisches Schicksal an diesen Doppelbeschluß gebunden hat, wird diese Abstimmung für andere und mich zu einer Abstimmung über eine Vertrauensfrage. Weil ich die Handlungs- und auch die Verhandlungsfähigkeit dieser Regierung will, werde ich der Entschließung zustimmen, obwohl ich sie in einigen Punkten nicht billige.
Vor der Alternative einer CDU/CSU-Regierung, die hier zwar beide Teile des Doppelbeschlusses betont, tatsächlich aber vorrangig eine Politik der Aufrüstung, nicht des Verhandelns, verfolgt,
({0})
erscheint mir meine Zustimmung vertretbar.
({1})
Meine Vorbehalte und meine Zweifel kann ich hier nicht darlegen. Aber ich will zum Schluß sagen, daß die Beweislast bei den Befürwortern des Doppelbeschlusses liegen wird, ob ihre Annahme, durch Aufrüstung kämen wir zu Verhandlungen und durch Verhandlungen kämen wir zur Abrüstung, richtig ist. Wenn die Verhandlungen zustande kommen, wenn ernsthaft verhandelt wird, wenn als Ergebnis herauskommt, daß wenig oder nicht nachgerüstet wird, wenn das alles so kommt, dann kann der Doppelbeschluß ein Schritt zur Friedenssicherung werden. Und weil ich das wünsche - bei allen Vorbehalten und Zweifeln -, werde ich mit Ja stimmen.
Kommt es aber nicht so, werden die Verhandlungen nur zögerlich geführt, wird nur zum Schein verhandelt, bleiben die Verhandlungen ohne Ergebnis, wird weiter aufgerüstet, dann wird der Widerstand gegen den Doppelbeschluß mit Sicherheit zunehmen. Deswegen ist nicht unsere Abstimmung hier heute entscheidend, sondern entscheidend wird sein, ob die weitere Entwicklung es den Befürwortern des Doppelbeschlusses ermöglicht, ihre Parteien und ihre Wähler von der Richtigkeit dieses Weges zu überzeugen.
({2})
Das Wort zu einer weiteren Erklärung hat der Abgeordnete Voigt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte der Erklärung der Koalitionsparteien zustimmen und möchte meine Zustimmung wie folgt begründen.
Erstens. Die Zustimmung zur gemeinsamen Entschließung von SPD und FDP ist Ausdruck der Zustimmung zur sozialliberalen Koalition und den Grundlagen und Grundsätzen ihrer Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik.
Zweitens. Diese Zustimmung dient der Fortsetzung der sozialliberalen Koalition, die nach meiner Meinung die einzige sinnvolle und realistische Regierungskoalition ist, in der die Fortsetzung einer aktiven Friedens- und Abrüstungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt möglich sein wird.
({0})
Drittens. Die Zustimmung ist gleichzeitig die einzige Garantie dafür, daß die parlamentarische Basis und die Regierungsfähigkeit dafür gesichert werden, daß die Sorgen vor den Gefahren eines Rüstungswettlaufs, das Drängen auf Rüstungskontroll-
und Abrüstungsverhandlungen auch aus der Friedensbewegung ernstgenommen werden und daß Vorschläge aus der Friedensbewegung in der Bevölkerung überhaupt eine Chance haben, im Rahmen von praktischer Politik realisiert zu werden.
({1})
Viertens. Die Zustimmung zu dieser Erklärung ist im Interesse der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese sozialliberale Koalition ist seit 1969 Ausdruck der Ziele in der Mehrheit der Friedensbewegung und des Wunsches nach einer aktiven Friedenspolitik in der Mehrheit der Bevölkerung gewesen. Die Fortsetzung dieser Koalition und dieser Regierung ist die einzige Chance, daß Elemente der Politik, die in dieser Friedensbewegung gewünscht und gefordert werden, realistisch umgesetzt werden. Die Fortsetzung dieser Koalition und dieser Regierung ist die einzige Chance, daß Betroffenheit, Bedrohtheitsgefühle und Ängste angesichts von Rüstungspotentialen und eines andauernden Rüstungswettlaufs nicht nur geäußert werden können, sondern auch in praktischer Politik ihren Niederschlag finden.
Zuletzt: -
Herr Kollege, auch Sie fangen an, die Debatte wieder aufzunehmen. Ich darf auch Sie bitten, sich kurz zu fassen.
Die Zustimmung zu dieser Entschließung ist Ausdruck der Zustimmung zu einer friedens-, sicherheits- und abrüstungspolitisch glaubwürdigen, erfolgreichen und für ihre Bündnispartner im Westen und unsere Gesprächspartner und Verhandlungspartner im Osten kalkulierbaren Regierung. Die Ablehnung einer solchen Entschließung würde nach meiner Meinung die Gefahr steigern, daß mit der formalen Zustimmung zum Doppelbeschluß auf seiner Grundlage eine andere Regierung heraufkommen würde, die eine andere Politik, in Realität aber eine Konfrontationspolitik betreiben würde.
({0})
Aber ich bitte Sie, das sind persönliche Erklärungen.
({0})
- Meine Damen und Herren, einen Moment! In dieser Debatte sind so viele Änderungen erfolgt, daß Sie jetzt auch noch die letzten beiden Beiträge entgegennehmen können. Wir sind gleich am Ende und kommen dann zur Abstimmung. Alle konnten ihre Meinung in der Diskussion sagen. Sie brauchen sich doch davon nicht belastet zu fühlen.
({1})
- Wir hatten nicht so viel Zeit, Herr Kollege Kohl. Im übrigen ist die Rededauer ja interfraktionell vereinbart worden.
Wir kommen jetzt zu einer Erklärung des Kollegen Thüsing.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, so schwierig sind die Dinge nun einmal. Wer dafür - wie einige von Ihnen; ich sehe sich einige auch anders verhalten - nur Hohn und Spott übrig hat, tut mir leid.
Eine Erklärung, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Öffentlichkeit habe ich in den letzten Monaten zu denjenigen gehört, die den sogenannten Doppelbeschluß der NATO kritisiert und die Bundesregierung aufgefordert haben, ihre Zustimmung zu dem Beschluß zurückzuziehen. KarlHeinz Hansen hat die wesentlichen Argumente hier noch einmal genannt, die in der Befürchtung münden, daß die Nachrüstung den Atomkrieg in Europa wahrscheinlicher machen würde.
Wenn ich der vorliegenden Entschließung der Koalitionsfraktionen heute dennoch zustimmen werde,
({0})
dann deshalb, weil nur diese Regierung, soweit es die Bundesrepublik betrifft - trotz allem, was an Vorentscheidungen schon feststeht -, will, daß die Großmächte verhandeln, Verhandlungen führen, die alle Menschen guten Willens wünschen müssen mit der Hoffnung, daß auf die Stationierung zusätzlicher amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa schließlich doch noch verzichtet wird.
Meine Zustimmung wird durch die Reden, die schlimmen Reden der Opposition sowie durch die Rede meines Parteivorsitzenden Willy Brandt erleichtert, dessen Rede in einer sehr schwierigen Situation eine Ermutigung für alle war, die sich Sorge um die Erhaltung und die Sicherung des Friedens machen. - Danke schön.
({1})
Das Wort gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Kollege Kühbacher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mein Abstimmungsverhalten wie folgt begründen: Auf dem Hintergrund, daß ich 1976 und 1980 den Wahlkreis Braunschweig direkt gewonnen habe - zuletzt gegen einen Vertreter des Wirtschaftsrates der CDU mit 51 % der Stimmen-...
({0})
- Herr Kollege Kohl, lassen Sie mich doch bitte ausreden!
In der Tat, dies hat mit einer Erklärung gemäß § 31 nichts zu tun. Herr Kühbacher, bitte kommen Sie zu Ihrer Erklärung.
({0})
Das ist der Hintergrund meines Abstimmungsverhaltens! ... und auf dem Hintergrund, daß ich mich der linken Seite dieses Hauses zugehörig fühle, in Wahrheit aber von den 51 % der Stimmen, die ich erhalten habe, Herr Dr. Kohl, 1 % auf mich und 50 % auf den Herrn Bundeskanzler entfallen sind, ist mein Abstimmungsverhalten als linker Sozialdemokrat zu erklären.
({0})
Mein Abstimmungsverhalten beruht nach dieser Debatte auf folgender Einschätzung.
({1})
- Wenn Sie doch ein wenig mehr Geduld hätten, Sie, die Sie alles besser wissen!
Meine Damen und Herren, noch zwei Minuten Ruhe!
Frau Präsident, ich kann mich hier überhaupt nicht durchsetzen.
Es ist natürlich sehr schwierig. - Wenn Sie fortfahren wollen, Herr Kollege.
Mein Abstimmungsverhalten ist dadurch begründet, daß ich glaube, daß die CDU/ CSU eine Friedenspolitik auf der Basis der Stärke durchsetzen will, während unsere Einschätzung - dessen bin ich überzeugt - Friedenspolitik durch Gleichgewicht auf niedrigstem Niveau bei gegenseitiger Achtung darstellt. Ich zitiere hierzu aus dem Godesberger Programm, das ich in diesem Punkt ganz ernst nehme:
Die Bundesrepublik darf atomare und andere Massenvernichtungsmittel weder herstellen noch verwenden. Die Sozialdemokratische Partei erstrebt die Einbeziehung ganz Deutschlands in eine europäische Zone der Entspannung und der kontrollierten Begrenzung der Rüstung, die im Zuge der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit von fremden Truppen geräumt wird und in der Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel weder hergestellt noch gelagert oder verwendet werden dürfen.
Das ist eine Grundposition der Sozialdemokraten, erarbeitet im Zusammenhang mit dem Godesberger Programm, an dessen Zustandekommen Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt beteiligt waren zu einem Zeitpunkt, als z. B. die Kollegen Schöfberger, Hansen und ich noch nicht Mitglied unserer Partei waren. Das bestimmt mein Abstimmungsverhalten.
Weil ich als Sozialdemokrat mit einem klaren Verstand,
({0})
weil ich als linker Sozialdemokrat weiß, daß dieser Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland aus dieser Debatte nur gestärkt hervorgehen kann, stimme ich für den Antrag der Koalitionsfraktionen.
({1})
Wir kommen jetzt zur beantragten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/505. Ich eröffne die Abstimmung. ({0})
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hohen Hauses ihre Stimme abgegeben? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte auszuzählen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zwischendurch bekanntgeben, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung vorgesehen ist, nach dem Ende der Abstimmung in eine Mittagspause einzutreten, die um 14.30 Uhr beendet ist. Dann nehmen wir die Arbeit wieder auf.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 9/505 bekannt. Es wurden 494 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 254 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 234 Abgeordnete gestimmt. Der Stimme enthalten haben sich 6 Kollegen.
Ergebnis
Abgegebene Stimmen 494; davon ja: 254
nein: 234
enthalten: 6
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. van Aerssen
Dr. Althammer
Amrehn
Dr. Arnold Bahner
Dr. Barzel Bayha
Frau Benedix-Engler Frau Berger
Biehle
Dr. Blüm
Böhm ({0})
Dr. Bötsch Bohl
Borchert
Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({1})
Burger
Carstens ({2}) Clemens
Conrad ({3})
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke
Deres
Dörflinger Dr. Dollinger
Dr. Dregger Echternach Eigen
Engelsberger
Erhard ({4}) Eymer ({5})
Dr. Faltlhauser Feinendegen Fellner
Frau Fischer Fischer ({6}) Francke ({7}) Franke
Dr. Friedmann
Ganz ({8})
Frau Geier Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({9}) Gerstein
Gerster ({10})
Glos
Dr. Götz
Günther
Haase ({11})
Dr. Hackel
Dr. Häfele Handlos
Hanz ({12})
Hartmann Hauser ({13})
Hauser ({14})
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath von der Heydt
Freiherr von Massenbach Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Frau Hoffmann ({15})
Dr. Hornhues
Horstmeier Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({16})
Jagoda
Dr. Jahn ({17})
Dr. Jentsch ({18})
Dr. Jobst
Jung ({19})
Kalisch
Dr. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Kiep
Kittelmann
Dr. Klein ({20})
Klein ({21})
Dr. Köhler ({22})
Dr. Köhler ({23}) Köster
Kolb
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Kunz ({24})
Dr. Kunz ({25})
Lamers
Dr. Lammert
Lampersbach
Landré
Dr. Langner Dr. Laufs Lenzer
Link
Linsmeier Lintner
Löher
Lorenz
Louven
Vizepräsident Leber
Lowack
Maaß
Magin
Dr. Marx
Dr. Mertes ({26}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({27}) Müller ({28})
Müller ({29})
Nelle
Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Petersen Pfeffermann Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann
Dr. Pohlmeier Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({30})
Röhner
Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Rühe
Ruf
Sauer ({31})
Sauer ({32})
Sauter ({33})
Sauter ({34})
Dr. Schäuble
Schartz ({35})
Schmitz ({36}) Schmöle
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder ({37}) Schröder ({38}) Dr. Schulte ({39}) Schulze ({40})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seiters
Sick
Spilker
Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({41}) Graf Stauffenberg
Dr. Stercken
Straßmeir Stücklen Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({42})
Vogt ({43})
Volmer
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({44}) Weiß
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({45}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Baron von Wrangel Würzbach
Dr. Wulff
Zierer
Dr. Zimmermann Zink
SPD
Coppik
Meinike ({46}) Dr. Schöfberger Waltemathe
Ja
SPD
Amling Antretter
Dr. Apel
Auch Baack Bahr
Bamberg
Becker ({47}) Bernrath
Biermann
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({48}) Börnsen
Brandt ({49}) Brück
Büchler ({50})
Dr. von Bülow Buschfort
Catenhusen
Collet Conradi
Curdt Daubertshäuser
Dr. Diederich
Dr. von Dohnanyi Dreßler
Dr. Dübber
Egert
Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen Feile
Fiebig
Fischer ({51}) Fischer ({52})
Franke ({53})
Frau Fuchs Gansel
Gerstl ({54})
Dr. Geßner Ginnuttis Glombig
Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar
Haase ({55})
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herberholz Herterich
Hoffmann ({56}) Hofmann ({57})
Dr. Holtz Horn
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer ({58}) Jahn ({59})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Junghans Jungmann Kiehm
Kirschner
Klein ({60})
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Kretkowski
Dr. Kreutzmann
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leber
Lennartz Leonhart
Frau Dr. Lepsius Leuschner Liedtke
Dr. Linde Löffler
Frau Luuk Männing Mahne
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({61}) Dr. Mitzscherling Möhring
Müller ({62}) Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({63}) Neumann ({64})
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Pensky
Polkehn
Poß
Purps
Rapp ({65})
Rappe ({66})
Rayer
Reschke
Reuter Rohde Rosenthal
Roth
Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer ({67}) Schätz
Dr. Scheer
Schirmer
Schlaga
Schlatter
Schluckebier
Frau Schmedt ({68}) Dr. Schmidt ({69}) Schmidt ({70}) Schmidt ({71})
Frau Schmidt ({72}) Schmidt ({73}) Schmidt ({74}) Schmitt ({75})
Dr. Schmude
Schreiber ({76}) Schröder ({77}) Schröer ({78})
Dr. Schwenk ({79}) Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({80})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stöckl
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm
Topmann
Frau Traupe
Dr. Ueberschär
Urbaniak
Vogelsang
Voigt ({81})
Vosen Walther
Wartenberg ({82}) Wehner
Weinhofer
Weisskirchen ({83}) Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wieczorek ({84}) Wiefel
von der Wiesche
Wimmer ({85}) Wimmer ({86}) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram ({87}) Wrede
Würtz Wuttke Zander Zeitler Frau Zutt
Vizepräsident Leber FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bergerowski
Frau von Braun-Stützer Bredehorn
Cronenberg Eimer ({88})
Engelhard Frau Fromm Funke
Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher Grüner
Dr. Hirsch Hölscher
Hoffie
Holsteg
Hoppe
Jung ({89})
Dr. Graf Lambsdorff
Frau Matthäus-Maier Merker
Mischnick Möllemann Neuhausen
Paintner
Popp Rentrop
Dr. Riemer
Rösch Ronneburger
Dr. Rumpf
Schäfer ({90}) Schmidt ({91}) von Schoeler
Frau Schuchardt
Timm
Dr. Vohrer
Dr. Wendig
Wolfgramm ({92}) Wurbs
Dr. Zumpfort
Enthalten
SPD
Duve Gilges Heyenn
Peter ({93}) Schreiner
Sielaff
Der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/505 ist damit angenommen.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/506. Auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion, des Antragstellers also, soll der Entschließungsantrag für erledigt erklärt werden, wenn der zweitletzte Absatz des Entschließungsantrages auf Drucksache 9/505 angenommen worden ist. Das ist in der Zwischenzeit geschehen. Ich stelle fest, der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ist damit erledigt.
Wir stimmen nun über die Vorlage unter Tagesordnungspunkt 3 - Antrag der Fraktion der CDU/ CSU betreffend Baustopp, Stationierungsstopp und Abbau der SS-20, verzeichnet auf Drucksache 9/291 - ab. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/291 dem Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung und dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren, einer Vereinbarung entsprechend unterbrechen wir nun die Sitzung. Die Arbeit des Bundestages wird um 14.30 Uhr fortgesetzt.
({94})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts
- Drucksache 9/27 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/507 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Dr. Soell
Dr. Zumpfort
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
- Drucksachen 9/443, 9/500 ({2}) Berichterstatter: Abgeordneter Hartmann
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Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart worden. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Als erster Redner hat der Abgeordnete Marschall das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Neuordnung des Betäubungsmittelrechts, so wie sie nunmehr in der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vorliegt, hat eine bewegte Entwicklungsgeschichte hinter sich. Nachdem die im Juni 1980 von allen Fraktionen des Bundestags getragene Gesetzesvorlage an den Hürden des Bundesrates gescheitert war, haben die Fraktionen von SPD und FDP in der neuen Wahlperiode des Bundestags unverzüglich einen entsprechenden Entwurf eingebracht, um das baldige Inkrafttreten des neugestalteten Betäubungsmittelrechts zu erreichen. In langwierigen Verhandlungen aller am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten wurden Regelungen gesucht, die ein erneutes Scheitern des Gesetzes nach Verabschiedung durch den Bundestag vermeiden und ein schnelles Umsetzen des neuen Rechts ermöglichen sollten.
Mit dem nun vorliegenden Kompromiß wird erreicht, daß unter anderem die dringend nötige Neuordnung des Strafrechts für den Bereich der Rauschgiftkriminalität unverändert und ohne Verzögerung das gesamte Gesetzgebungsverfahren einschließlich des Bundesrats passieren kann.
Die sozialdemokratische Fraktion stimmt unter diesen Voraussetzungen den Änderungen des ursprünglich im Bundestag gemeinsam getragenen Entwurfs - wenn auch in manchen Punkten schweren Herzens - zu, weil die angebotenen Hilfen für den einzelnen drogenabhängigen Straftäter dringend notwendig sind und keine Verzögerung erlauben.
({0}) Es geht um Menschenschicksale.
Mit der Verankerung des Grundsatzes „Therapie vor Strafe" im Strafrecht soll erreicht werden, daß möglichst viele Drogenabhängige wieder eine Chance zu einem freieren Leben sehen und wahrnehmen können. Wenn Drogenabhängigen neue Wege eröffnet werden, sollte der Öffentlichkeit aber klar sein, daß dies keine Wege der Bequemlichkeit
für die Betroffenen sind. Nicht umsonst gilt bei Erfahrenen der Spruch: „Therapie ist hart, Knast ist weich." Wer die neuen Möglichkeiten zur Therapie nutzt, hat einen schweren Weg vor sich. Dennoch ist dieser Weg die einzige Hoffnung für den in Abhängigkeit Geratenen, der einzige Weg, der - auch für die leidgeprüfte Umwelt - Licht am Ende des Tunnels erkennen läßt.
Die Anhebung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre für gewissenlose Händler von Elend und Tod steht dazu keinesfalls im Gegensatz. Die in § 29 vorgesehene Anhebung des Strafrahmens auf 4 Jahre soll nicht bedeuten, daß nun für abhängige Straftäter eine höhere Strafe anzusetzen ist. Die in den §§ 33 bis 36 angebotenen neuen Möglichkeiten des Gesetzes, die für Abhängige mit einer ausgesprochenen oder zu erwartenden Strafe bis zu 2 Jahren gelten, sollen nach Auffassung des Ausschusses nicht beschnitten werden. Der höhere Strafrahmen ist für nicht abhängige Täter vorgesehen.
Die neuen Möglichkeiten für betäubungsmittelabhängige Straftäter, die Möglichkeiten, die der Therapie einen Rang vor der Strafe einräumen, sind der zentrale Teil des Gesetzes. Mit dem Grundsatz, daß die Strafe der Therapie nicht im Wege stehen darf, wird zum erstenmal in aller Deutlichkeit die in diesem Falle nachrangige Bedeutung des Strafanspruchs kodifiziert. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 33, die Anrechnung und die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 34 sowie insbesondere das Absehen von Verfolgung nach § 35 dokumentieren dies.
Zu den Bedingungen des § 35 ist zu betonen, daß bei der vorgesehenen Dreimonatsfrist für diejenigen, die sich aus eigener Entscheidung in eine therapeutische Behandlung begeben, nicht durch eine Erhebung der öffentlichen Klage vor Ablauf dieser Zeit die gebotene Chance gemindert werden soll und die geforderte Resozialisierungserwartung dann anzunehmen ist, wenn sich der Abhängige freiwillige drei Monate lang einer Therapie unterzogen hat.
Der neue § 35 schließt auch mögliche Drogenrückfälligkeit nicht aus. Das Begehen einer Straftat soll nach Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 zur Fortsetzung des Verfahrens führen, wenn der Beschuldigte durch die Straftat zeigt, daß sich die Erwartung, die dem Absehen von der Erhebung der öffentlichen Klage zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Ich zitiere zu diesem Punkt aus dem Bericht des Kollegen Hartmann:
Da eine „Drogenrückfälligkeit" zu Beginn der Therapie keineswegs selten ist und vor allem den endgültigen Resozialisierungserfolg der Behandlung nicht ausschließt, wird sie zumeist auch zu der Erwartung, die dem Absehen von der Erhebung der öffentlichen Klage zugrunde lag, nicht im Widerspruch stehen. Denn diese Erwartung kann sich der Sache nach immer nur auf den Zeitpunkt der Beendigung der zur Erreichung des Rehabilitationsziels für erforderlich gehaltenen Therapie beziehen.
Der 7. Abschnitt mit den Angeboten der §§ 33 bis 36 stellt einen ganzen Fächer neuer Instrumente zur Verfügung. Darüber hinaus öffnet er unser Strafrecht für wirksame Wege der sozialen Eingliederung.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hofft, daß die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1982 von den Verantwortlichen in Einrichtungen der Drogenhilfe, in Rechtsprechung und Verwaltung dazu genutzt wird, die Voraussetzungen für eine Ausschöpfung der angebotenen Möglichkeiten zu schaffen.
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Außerdem legen wir großen Wert auf einen Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Gesetz. Die vorgelegte Entschließung fordert diesen Bericht bis Ende 1983.
Mit dem Gesetzentwurf wird das fünf Jahrzehnte alte Betäubungsmittelrecht vereinfacht und an neue Entwicklungen angepaßt. So werden z. B. an Stelle von 16 nur noch 4 Verordnungen nötig sein.
Die Verpflichtungen aus internationalen Suchtstoffübereinkommen werden in deutsches Recht umgesetzt; damit wird die Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs auf weitere Stoffe bzw. Präparate erstreckt. Bei den Beratungen des federführenden Ausschusses konnten u. a. auch jüngste Beschlüsse der VN-Suchtstoffkommission berücksichtigt werden.
Zum wiederholten Male ist zu betonen: Dies ist ein wichtiges Gesetz, das uns im Kampf gegen die Folgen der Drogenabhängigkeit voranbringt. Der Gesetzgeber kann dazu aber nur einen Teil beisteuern. Dies kommt im Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs ebenso zum Ausdruck wie in der Entschließung, die der federführende Ausschuß dem Bundestag heute zur Annahme empfiehlt. Dieses Gesetz kann nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, die personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Motivation der Drogenabhängigen und die soziale Eingliederung der Therapiewilligen zu schaffen.
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Die entscheidenden Aufgaben sind vor allem den Ländern gestellt. In der Entschließung werden die Länder aufgefordert, für ein ausreichendes Angebot an Therapieplätzen zu sorgen, bei der Kostenregelung eine möglichst schnelle Zusage der Kostenübernahme anzustreben und um eine ausreichende Zahl von Fachkräften für Beratung und Therapie bemüht zu sein.
An die Bundesregierung richtet sich vor allem die Forderung, auf Grund eines mit den Ländern und den freien Wohlfahrtsverbänden abgestimmten Konzepts alle in ihrer Zuständigkeit liegenden Maßnahmen zu treffen, um der Gefährdung durch Rauschgift und andere Suchtstoffe vorzubeugen. Der Grundgedanke der Vorbeugung durchzieht als roter Faden die Entschließung, die den Maßnahmen gegen Rauschgiftangebot und Rauschgiftnachfrage gleichen Stellenwert zumißt. Dazu wird zum Ausdruck gebracht, daß den Ursachen der Rauschgiftsucht die Aufmerksamkeit zugewandt werden muß. Für den Bereich der Familien-, Jugend- und Bil2012
dungspolitik wird das Ziel betont, die sozialen Bindungen zu fördern, weil darin der bestmögliche Schutz gegen Suchtgefahren zu suchen ist.
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Als vordringlich wird in der Entschließung angesehen, daß der Ausbau und die Entwicklung neuer Einrichtungen zur Früherkennung, Therapie und Nachsorge voranzutreiben ist. Mehr gesundheitliche Aufklärung und mehr Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber der Drogenproblematik wird gefordert und dabei die besondere Bedeutung der Medien herausgestellt. Wie wenig in einzelnen Bereichen unserer Gesellschaft die angesprochene Sensibilität vorhanden ist, zeigt nicht nur die teilweise sehr oberflächliche Vermarktung der sogenannten Drogenszene z. B. im Film. Darüber mag man streiten. Nicht mehr nachvollziehbar wird es, wenn vermeintlich tüchtige Geschäftemacher Drogenspritzen mit Traubenzuckerfüllung als Plastikspielzeug auf den Markt werfen.
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Der gesamten Gesellschaft ist eine Aufgabe gestellt,
nicht nur der Aufklärung, sondern auch des Angehens gegen Skrupellosigkeit in aller Öffentlichkeit.
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Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Hartmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst dafür entschuldigen, daß ich bei Aufruf dieses Tagesordnungspunktes noch nicht im Saale war. Man hat mir heute früh gesagt, die Tagesordnung sei umgestellt worden, und dieser Punkt werde erst nach der namentlichen Abstimmung um 17 Uhr aufgerufen. Deshalb habe ich mich noch in meinem Büro befunden, bin aber nach Verständigung sofort hierhergeeilt.
Aber jetzt sind Sie hier und haben das Wort.
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Da ich ein höflicher Mensch bin, hielt ich es für notwendig, mich zu entschuldigen.
Meine Damen und Herren, Mißbrauch und Abhängigkeit von Suchtstoffen haben in unserem Land in der Vergangenheit dramatisch zugenommen: 623 Drogentote im Jahre 1979, noch 494 im Jahre 1980, 50 000 Drogenfälle 1980 bei 6 800 Ersttätern und 10 000 Wiederholungstätern in der Drogenkriminalität - die Zahlen stammen von Herrn Staatssekretär Füllgraff -, eine geschätzte Zahl von 60 000 bis 90 000 Drogenabhängigen - die Zahl stammt von dem Kriminologen Professor Kreuzer aus Gießen -, das, meine Damen und Herren, ist die Realität der Drogenszene.
Nach einer Veröffentlichung von Professor Keup ist auch 1979/80 keine entscheidende Wende zum besseren auf dem Gebiet des Drogenmißbrauchs zu erkennen gewesen. Gerade deswegen aber sei - so Herr Keup - unter Fachleuten die Sorge um die weitere Entwicklung gestiegen, während sich das volle Problembewußtsein bei der Bevölkerung und vor allem in der Politik nur langsam einstelle. Entwicklung und Einsatz von Bekämpfungsmaßnahmen erfolgten noch immer zu langsam und seien so unzureichend, daß die Bilanz negativ geblieben sei:
Der harte Kern der Heroinabhängigen - immer noch nach Professor Keup wächst offenbar weiter an, noch immer ist eine Verschiebung des Einstiegsalters zu jüngeren Jahrgängen zu bemerken, und häufiger als früher wird direkt mit Heroin begonnen. Die „Szene" ist in bedenklicher Weise etabliert. Es gibt keine Versorgungsschwierigkeiten irgendeiner Abhängigkeitssubstanz. Der Preis für Heroin ist etwa gleich geblieben, regional sogar gesunken. Die Tatsache eines in jeder Hinsicht ausreichenden Angebots bei noch immer relativ hoher Konzentration des Heroins und eines Angebotes der ganzen Palette von gefragten Suchtmitteln und Ausweichmitteln hat zu einer bedenklichen Scheinberuhigung in der Szene geführt. Die Szene hat sich privatisiert und dezentralisiert, der „Stoff" wird in der Wohnung des Fixers oder am vereinbarten Ort ausgeliefert, die Überwachung ist erschwert. Suchtmittel sind in Städtchen und Dörfern zu haben. Die Kosten für die Suchtmittel-Tagesmenge können auch weiterhin durch Ladendiebstähle, Dealen, Prostitution und die florierenden Kreditnahmen bei Bankinstituten aufgebracht werden. Apothekeneinbrüche, Rezeptfälschungen und andere Delikte der Beschaffungskriminalität sind deutlich zurückgegangen. Dies ist nicht die Folge einer intensiven Bekämpfung, sondern leider - im Gegenteil - ein Zeichen der Erfolglosigkeit, den Suchtstoff-Markt und seine Belieferung einzuschränken.
Der Cannabis- und Kokainverbrauch steigt an, auch LSD wird unvermindert weiter mißbraucht.
Mißbrauch und Sucht, meine Damen und Herren, sind eine Geißel, deren Folgen erschreckend sind: sozialer Abstieg, unermeßliches persönliches Leid bis hin zum qualvollen Tod, mitleidende Angehörige und Nahestehende, ganz zu schweigen von den erheblichen wirtschaftlichen Schäden für die Allgemeinheit.
Die erste parlamentarische Konsequenz wurde von der CDU/CSU gezogen durch Einbringung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 23. Oktober 1979. Dann folgte der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Januar 1980, der in der Ausschußfassung vom 19. Juni 1980 vom Deutschen Bundestag
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- aber trotzdem dürfen wir das Erstgeburtsrecht für einen solchen Gesetzentwurf für uns in Anspruch nehmen - am 26. Juni 1980 einstimmig verabschiedet worden ist. Dagegen hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Infolge des Ablaufs der 8. Wahlperiode konnte das Vermittlungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden.
Der Gesetzentwurf wurde von den Koalitionsfraktionen nach Beginn der 9. Wahlperiode im November 1980 neu eingebracht. In Anbetracht der Tatsache, daß es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, rief die Sache nach einem Kompromiß unter den Fraktionen. Da die kontroversen Punkte hauptsächlich im Bereich des strafrechtlichen Teils des Gesetzentwurfes angesiedelt sind, wurde ein Kompromiß im mitberatenden Rechtsausschuß gesucht und auch gefunden. Der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hat sich dieser Kompromißlösung angeschlossen, deren Einzelheiten für meine Fraktion von Herrn Kollegen Sauter im Verlauf dieser Debatte noch erläutert werden.
Dieses von unseren Rechtspolitikern herbeigeführte Ergebnis wurde in enger Fühlungnahme mit den B-Ländern erzielt. Wir gehen deshalb davon aus, daß es im Bundesrat nicht zu einer erneuten Anrufung des Vermittlungsausschusses kommen wird.
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Dieser Vorgang der Kompromißfindung und die Genese dieses Gesetzentwurfs lassen folgende Feststellungen zu:
Erstens. Wieder einmal hat sich erwiesen, daß die Mehrheit des Bundesrates und die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses nicht automatisch gleichgeschaltet sind.
Zweitens. Es ist die Feststellung angebracht, daß, wenn die Koalition einmal bereit ist, von ihrem Unfehlbarkeitsanspruch zugunsten konstruktiver Vorschläge der Opposition abzugehen, auch in schwierigen Sachfragen ein Kompromiß möglich ist.
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Ich glaube, meine verehrten Herren Kollegen von der Koalition, daß die Bürger unseres Landes einen Anspruch darauf haben, daß die im Parlament vertretenen Parteien trotz gegensätzlicher Standpunkte alle Kompromißmöglichkeiten ausschöpfen, wenn es darum geht, schwierige Probleme rasch und wirksam gesetzgeberisch anzugehen.
Bei einem parlamentarischen Kompromiß gilt das gleiche wie bei einem Vergleich in einem Prozeß: Eine Einigung ist nur im Wege gegenseitigen Nachgebens möglich. So will es uns z. B. gar nicht schmecken, daß entgegen dem Petitum des Bundesrates die öffentliche Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln nicht unter Strafe gestellt werden soll. Im Interesse einer akzeptablen und schnellen Gesamtregelung haben wir diese Forderung fallenlassen, damit nichts scheitert. Dies ändert aber nichts daran - ich halte dies hier fest und vermerke es -, daß wir es nach wie vor für falsch halten, daß die öffentliche Verherrlichung von Betäubungsmittelmißbrauch aus falsch verstandener
Liberalität unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit weiterhin betrieben werden darf und so Neugier geweckt, geistige Verführung betrieben, das Problembewußstsein eingeschläfert und allen Anstgrengungen, der Drogensucht Herr zu werden, Hohn gesprochen und entgegengewirkt werden kann.
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Andererseits, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, haben wir aber wesentliche, sehr substantielle Verbesserungen gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage und auch gegenüber dem im Vorjahr im Bundesrat hängengebliebenen Gesetz durchsetzen können. Ich nenne nur die wesentlichsten davon.
Erstens. Die Strafandrohung für die Grundtatbestände betäubungsmittelrechtlicher Straftaten wurde auf vier Jahre erhöht. Dies zielt in erster Linie auf diejenigen Täter, die, ohne selbst drogenabhängig zu sein, die Abhängigkeit anderer ausnützen.
Zweitens. Bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern, die zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, kann die Strafvollstreckung längstens zwei Jahre zurückgestellt werden, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen und deren Beginn gewährleistet ist. Eine Therapiezeit kann auf die Strafe angerechnet werden.
Drittens. Bei betäubungsmittelabhängigen Beschuldigten ist zwar der Tatbestand bis zur Anklagereife auszuermitteln von der Erhebung der öffentlichen Klage kann jedoch abgesehen werden, um eine Therapie zu ermöglichen. In den Sonderregelungen der §§ 33 und 35, in denen dies steht, kommt der Grundsatz zum Ausdruck, daß Strafvollstreckung und die Strafverfolgungsmaßnahme der Anklageerhebung unter bestimmten Voraussetzungen der Therapie nicht im Wege stehen dürfen. Es geht für die Betroffenen doch darum, den Teufelskreis von Sucht und Kriminalität über Strafverfolgung und Strafvollstreckung zurück in die Szene zu durchbrechen und den therapiefähigen und therapiewilligen Drogenabhängigen eine Chance zur Resozialisierung zu geben.
Die gefundene Kompromißregelung bedeutet eine Abkehr von dem irreführenden Slogan „Therapie statt Strafe". Insofern muß ich auch dem Bericht des Haushaltsausschusses - mit allem Respekt - widersprechen, wo diese These wiederholt ist. Das ist falsch. Die Hamburger Professoren Renn und Feser haben in ihrer Kritik des Aktionsprogramms der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs 1980 die plakative Gegenüberstellung „Therapie statt Strafe" als eine unangebrachte Einengung des Problems bezeichnet. Auch der Gießener Kriminologe Professor Kreuzer, den ich heute bereits zitierte, hat erst jüngst wieder die Auffassung vertreten, daß man der Komplexität des Problems nicht gerecht werde, wenn der Abhängige entweder als krank oder als kriminell eingestuft werde. Es gibt drogenabhängige Straftäter, die auf
Grund ihrer Abhängigkeit „krank" im herkömmlichen Sinne sind, von denen aber eine so intensive kriminelle Energie ausgeht, daß im Interesse der Allgemeinheit die Anwendung des Strafrechts unverzichtbar ist. Andererseits gibt es Straftäter, deren kriminelle Energie sich ausschließlich aus ihrer Sucht ableitet und die deshalb behandelt statt bestraft werden müssen.
Therapie und Strafe, also kurative und repressive Einwirkungen, um es auf Neudeutsch zu sagen, müssen flexibel anwendbare Instrumente zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs sein. Dabei ist insoweit zugunsten der Therapie zu gewichten, als Maßnahmen der Strafverfolgung und Strafvollstreckung einer aussichtsreichen Therapie nicht im Wege stehen dürfen. Wenn man schon zu einem Slogan greifen will - wie „Therapie statt Strafe" -, so muß dieser wohl annähernd richtig lauten: „Therapie vor Strafe".
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Allerdings: Welche Priorität man der Therapie auch immer einräumt, - es ist zunächst entscheidend, daß überhaupt genügend Therapieplätze zur Verfügung stehen. Diese müssen dann die erforderlichen räumlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen. Die Therapie muß nach einem fachwissenschaftlich anerkannten Konzept und von qualifiziertem Fachpersonal durchgeführt werden. Die Therapie muß der Rehabilitation des Abhängigen dienen, d. h. sie muß ihn dazu bringen, ein Leben ohne die Droge führen zu können.
Dieses Problem wird nicht nur in dem vorliegenden Gesetzentwurf - in § 33 - angeschnitten, sondern auch in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Entschließung, deren Inhalt der Kollege Marschall bereits zutreffend dargelegt hat. Darin fordert der Bundestag die Länder auf, die bereits begonnenen Maßnahmen zum Ausbau der Einrichtungen für Langzeittherapie weiterzuführen, damit bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes ein ausreichendes Angebot an Therapieplätzen zur Verfügung steht.
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen, daß der vorliegende Gesetzentwurf gegenüber dem geltenden Recht und gegenübendem in der 8. Wahlperiode verabschiedeten Gesetz wesentliche, substantielle Verbesserungen enthält. Ich warne aber davor, zu glauben, dieses Gesetz könne Patentrezepte anbieten. Es betrifft ja nur einige, beileibe nicht alle Aspekte des Drogenproblems. Das Gesetz reduziert einerseits den Zugang zu Betäubungsmitteln, strebt diese Reduzierung jedenfalls an. Andererseits will es durch Strafandrohung, teilweise durch verschärfte Strafandrohung, abschrecken, gleichzeitig aber auf die Möglichkeit sozialtherapeutischer Rehabilitation Rücksicht nehmen. Hier soll also sowohl das Drogenangebot, die Drogenverfügbarkeit, als auch die Drogennachfrage mit gesetzlichen Mitteln verringert werden.
Damit aber ist es nicht getan. Es geht vielmehr darum, weitergehende, vorbeugende Maßnahmen im Bereich von Erziehung, Bildung, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu treffen.
In diesem Zusammenhang darf ich auf die Untersuchung der Hamburger Professoren Renn und Feser zurückkommen. Diese halten Maßnahmen von Justiz und Polizei, sogenannte repressive Maßnahmen, in Kombination mit Maßnahmen der Gesundheitssicherung, also mit kurativen Maßnahmen, nicht für ausreichend, weil diese Maßnahmen zu sehr auf die Droge als zentrale Komponente ausgerichtet seien. Die Professoren fordern vielmehr zusätzlich vorbeugende Maßnahmen, die auf die gefährdeten Personen ausgerichtet sind. Sie sagen: Das Drogenproblem wird nicht durch die Unterbindung eines Drogenangebots bzw. der Inanspruchnahme desselben gelöst, sondern eher dadurch, daß die Drogennachfrage und ihre individuelle Motivation bekämpft werden. Man muß sich nur davor hüten, die verschiedenen Maßnahmenbündel falsch zu gewichten.
Meine Damen und Herren, der Angriff auf die Geißel „Rauschgift" muß konzentrisch erfolgen: mit polizeilichen und strafrechtlichen ebenso wie mit therapeutischen und gesellschaftspolitischen Maßnahmen.
„Kampf dem Rauschgift" muß die Devise heißen, nach der sich dieses Haus nicht nur in der Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zusammenfinden sollte, sondern nach der alle Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft ihr Problembewußtsein weiter schärfen und mit Sensibilität, aber auch mit äußerstem Nachdruck der Gefahr Nummer eins in unserer Jugend begegnen sollten.
Zum Schluß folgende Überlegung. Wir kommen um das Nachdenken über die Fragen nicht herum: Was treibt einen jungen Menschen in den Drogenrausch? Welches sind die Faktoren in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Berufswelt, Schule und Familie, die Drogenanfälligkeit begünstigen? Welches sind die Defekte unseres Wert- und Ordnungssystems? Wo stimmen die Strukturen nicht mehr? Und wie können wir das reparieren?
Was machen wir Eltern falsch, was die Lehrer? Was ist die Qualität der personalen Beziehungen unserer jungen Menschen zu ihrer Umwelt? Wie steht es um die gefühlsmäßigen Bedürfnisse der Jugend nach Geborgenheit, danach, verstanden, ernst genommen, gerecht behandelt zu werden? Welcher Art ist das Lebensgefühl der Jugend? Was versäumen die Kirchen, und was machen die Massenmedien in unseren Kindern kaputt? Wird von der Jugend zuviel oder zu wenig gefordert? Wie steht es um das Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten? Wo liegen die Grenzen für die Forderungen der Jugend und für die Toleranz der Älteren?
Eine Kongruenz jugendlicher Erwartungen mit der Realität hat es nie gegeben, wird es nie geben. Wer der Jugend unerfüllbare Versprechungen macht, ist ein verantwortungsloser Verführer.
Wie aber können wir verhindern, daß junge Menschen an der Realität zerbrechen und in eine Scheinwelt des Rausches, in das Nichts des totalen Ausstiegs flüchten? Diese Fragen stellen sich jedem verantwortungsvollen Bürger und nicht nur uns PolitiHartmann
kern. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wir Politiker sind aber diejenigen, die hinsichtlich der allgemeinen Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens die relativ größten Gestaltungsmöglichkeiten haben. Ich sage, die „relativ" größten. Deshalb bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, darum, daß wir in der besonderen Verantwortung, in der wir stehen, unser Problembewußtsein, für die Gefährdungen unserer Jugend mehr und mehr schärfen, daß wir nicht nur das Heil in Polizei- und Justizmaßnahmen suchen, so notwendig sie auch sind, daß wir uns nicht darauf beschränken, zu behandeln und heilen, so sehr dies oft die Ultima ratio ist, sondern, daß wir in erster Linie nach Wegen der Vorbeugung und Immunisierung suchen.
Ich meine, daß diese Wege nur über die Wiederherstellung eines intakten Wert- und Ordnungssystems einschließlich einer ausbalancierten Wirtschafts- und Sozialordnung führen. Dies ist eine Frage der Gesamtpolitik, die zu tief in der Krise steckt, als daß sie durch einige punktuelle schnelle Entscheidungen des Parlaments korrigiert werden könnte. Was in dieser Richtung kurzfristig getan werden kann: eine intensivere Erforschung der Ursachen des Drogenproblems und eine verstärkte Aufklärungsarbeit. Das konkrete Aktionsprogramm der Bundesregierung und auch der Länderregierungen muß in dieser Hinsicht ergänzt und aktualisiert werden.
Was wir heute beschließen können, ist nur ein Teil des Notwendigen. Meine Fraktion stimmt der vorliegenden Beschlußempfehlung zu.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts am 10. Dezember des letzten Jahres haben die Sprecher aller drei Fraktionen betont, daß dieses Gesetz schnell verabschiedet werden und dann auch schnell in Kraft treten soll. Die Behandlung dieses Gesetzes in zweiter und dritter Lesung heute, sechs Monate später, stellt allerdings kein Traumergebnis an Schnelligkeit dar. Das spricht aber dafür, daß in einem hart errungenen Kompromiß zwischen den Fraktionen des Hauses eine einvernehmliche Fassung dieses Gesetzes vorgelegt wird, bei der beide Seiten einiges von ihren ursprünglichen Vorstellungen und Wünschen aufgeben mußten. Ich bekenne frei, daß beide Seiten sicherlich Schwierigkeiten hatten, den Kompromiß, der jetzt vorliegt, zu akzeptieren. Daraus erklärt sich auch, daß wir etwas länger gebraucht haben, als wir ursprünglich dachten.
Wir hatten noch ein zusätzliches Problem. Der gefundene Kompromiß sollte auch noch für den Bundesrat akzeptabel sein, handelt es sich bei dem Betäubungsmittelgesetz um ein, wie es ein Kollege einmal ausdrückte, „unheilbar" zustimmungspflichtiges Gesetz. Ich muß betonen, daß ich nachdrücklich hoffe, daß die Zeichen aus dem Bundesrat, die Zustimmung zu diesem Gesetz signalisieren - der Kollege Hartmann hat es soeben auch noch einmal betont - nicht trügen und daß das Gesetz am 1. Januar 1982 nun endlich in Kraft treten kann.
Das Bild der Drogenszene, daß der Kollege Hartmann soeben gezeichnet hat, zeigt deutlich, daß wir auch neue und unübliche Methoden bei der Bekämpfung von Drogensucht und Drogenkriminalität brauchen. Ich denke, daß wir diese Methoden mit diesem Gesetz zur Verfügung stellen. Alle mit der Bekämpfung der Drogensucht und -abhängigkeit Befaßten warten auf dieses Gesetz, wird doch zum erstenmal ein Prinzip festgeschrieben, von dem wir uns Hilfe für Süchtige versprechen. Hier wird erstmals in einem Gesetz anerkannt, daß süchtige und abhängige Straftäter krank sind und daß der Strafanspruch des Staates gegenüber diesen Straftätern in gewissen Grenzen zurückzutreten hat, wenn sie ernsthaft den Weg aus ihrer Abhängigkeit von Drogen suchen, d. h. wenn sie wirklich ernsthaft entschlossen sind, eine Therapie durchzustehen.
Ich möchte hier keine Einzelheiten der strafrechtlichen Bestimmungen aufzählen oder besprechen - das wird gleich sicherlich noch erfolgen -, allerdings begrüße ich nachdrücklich, daß auch im Ausschußbericht klar gesagt wird, was in unserer Diskussion bei der interfraktionellen Abstimmung eine erhebliche Rolle gespielt hat, daß nämlich mit der Erhöhung des Strafrahmens im vorliegenden Gesetz gegenüber dem geltenden Recht nicht beabsichtigt ist, betäubungsmittelabhängige Straftäter generell mit höheren Strafen zu belegen als heute. Dies ist notwendig, damit das Konzept des Zurückstellens des Strafanspruchs zugunsten einer Therapie auch tatsächlich ziehen und wirkungsvoll praktiziert werden kann.
Ich möchte hier keine Diskussion darüber entfachen, was nun richtiger ist: das Konzept - wie in diesem Gesetz - „Therapie vor Strafe", das Konzept „Therapie statt Strafe" oder das Konzept „Therapie vor Strafvollstreckung". Dies scheint mir eine etwas müßige Diskussion zu sein. Wichtig ist, wie dieses Gesetz in der Rechtsprechung anschließend angewandt wird, ob sich die Hoffnungen, die wir in es setzen, dann auch tatsächlich erfüllen.
Ich möchte noch zwei andere Punkte ansprechen, und zwar die Therapieplätze und die Kostenübernahme. Zu den Therapieplätzen ist zu sagen, daß es notwendig ist, am 1. Januar 1982 sowohl für die stationär durchzuführende Entgiftung als auch für die Langzeitbehandlung ein ausreichendes Angebot zur Verfügung zu stellen. Die Zusagen der Länder lassen darauf schließen, daß dies der Fall sein wird. Für uns ist - neben der Forderung nach einer ausreichenden Zahl von Therapieplätzen - aber auch notwendig, daß ein vielfältiges Angebot nach unterschiedlichen Konzeptionen arbeitender Einrichtungen gegeben ist.
Hier möchte ich auf ein Problem hinweisen: In § 35 des Gesetzes ist vorgesehen - der Herr Kollege Hartmann hat dies soeben sehr ausführlich dargelegt -, daß nur eine Therapie in einer staatlich anerkannten Einrichtung zur Zurückstellung der An2016
klageerhebung führt. Der Begriff „staatlich anerkannte Einrichtung" steht hier im Mittelpunkt. Dies darf unserer Meinung nach nicht dazu führen, daß die mit unkonventionellen Methoden - häufig nach der Art von Selbsthilfeorganisationen und in besonderen Fällen auch ohne ärztlichen Leiter - arbeitenden Einrichtungen benachteiligt oder gar ganz aus der Therapie verdrängt werden.
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Ich will hier zwar nicht irgendwelchen Scharlatanerien das Wort reden, aber Erfahrungen, vor allem aus den USA, zeigen, daß für uns neue Methoden gerade im Bereich der Drogentherapie mindestens den gleichen Erfolg zeigen können wie die herkömmlichen.
Besonderes Augenmerk sollte auch auf die Entwicklung und die Einrichtung von halbstationären offenen Einrichtungen als Ergänzung zu den bisher vorrangig betriebenen stationären offenen Einrichtungen gelegt werden. Hier sind nämlich mit relativ geringen Mitteln und auch in kurzer Zeit Therapiemöglichkeiten für die Therapiewilligen zu schaffen, die für ihre Rückkehr aus der Abhängigkeit von Drogen keinen längeren stationären Aufenthalt brauchen. Auch müssen wir Wert darauf legen, daß jetzt noch bestehende Lücken im Therapieangebot, vor allen Dingen für süchtige und abhängige Kinder, im Zuge dieser Ausbaubemühungen für Therapieplätze geschlossen werden.
Ein anderes Problem ist die Regelung der Kostenübernahme. Es stehen verschiedene Kostenträger zur Verfügung. Das führt dazu, daß häufig mehrere Wochen bis zur Klärung der Übernahme der Kosten für die Therapie eines Therapiewilligen vergehen. Es ist aber ungewöhnlich schwierig, einen Therapiewilligen über mehrere Wochen bei der Stange zu halten. Hier müssen, meine Damen und Herren, neue Regelungen gefunden werden, zunächst vielleicht durch Übereinkommen und Absprachen zwischen den einzelnen Kostenträgern auf Länderebene oder auch auf der Ebene von Versorgungsgebieten. Sollte dies nicht ausreichen, dann müssen wir uns, denke ich, auch hier überlegen, ob gesetzliche Maßnahmen in Angriff genommen werden müssen.
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Noch einige Worte zum Anlaß dieses Gesetzes. Mit diesem Gesetz werden etwa 20 Substanzen neu den Betäubungsmitteln gleichgestellt. Einige dieser Substanzen, z. B. aus dem Bereich der Barbiturate, waren bisher als Schlaf- und als Schmerzmittel auch in Deutschland sehr häufig und weit im Gebrauch. Auf die Gefahren, die durch den Mißbrauch von Schlaf- und Schmerzmitteln drohen, muß, glaube ich, auch an dieser Stelle noch einmal hingewiesen werden. Es geht nicht an, daß dieses Problem neben dem Problem des Mißbrauchs von nicht verkehrsfähigen Drogen wie Haschisch und Heroin aus den Augen verloren wird. Es ist deshalb gerechtfertigt, die Bundesregierung um einen Bericht über die Erfahrungen mit dem Betäubungsmittelgesetz zu bitten, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Ausnahmen, die für Zubereitungen mit niedrigem Gehalt an bestimmten Schlaf- und Schmerzmitteln in diesem Gesetz festgeschrieben werden.
Mit diesem Gesetz bekommt die Bundesopiumstelle, die den Umgang mit den verkehrsfähigen Betäubungsmitteln überwacht, mehr Arbeit. Das ist völlig klar und steht außer Frage. Ich denke aber, daß die Entscheidung des Haushaltsausschusses, die wir heute alle auf unseren Tischen gefunden haben, nämlich dem Bundesgesundheitsamt zunächst keine neuen Stellen zu bewilligen, richtig ist. Bei leeren Kassen muß einfach alles versucht werden, durch vereinfachte Arbeitsabläufe zu einer Verbilligung der Verwaltung zu kommen.
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Dieses Gesetz zieht wie die meisten gesetzlichen Maßnahmen erst, wenn bereits Schaden eingetreten ist. Wichtig ist, daß wir verstärkte Anstrengungen zur Vorbeugung unternehmen. Die Ursachen für die Entwicklung einer Drogenabhängigkeit und Drogensucht sind vielfältig. Über die Ursachen ist auch schon viel spekuliert worden; es ist viel geschrieben und geredet worden. Ich denke auch, die gesellschaftlichen Probleme, die sicherlich nicht zu leugnen sind und die auch dazu führen können, daß sich eine Drogenabhängigkeit entwickelt, dürfen nicht verkleinert werden. Nur, wir werden nie in der Lage sein, gesellschaftliche Mißstände für immer und alle Zeit abzubauen. Was wir in der Prävention von Drogensucht brauchen, ist, daß wir die gefährdeten Jugendlichen auf Risikosituationen vorbereiten, ihnen Alternativen zu ihrer Fluchtreaktion in die Sucht aufzeigen.
Das Betäubungsmittelgesetz ist nur ein Stein im Mosaik zur Bekämpfung von Drogensucht und Drogenkriminalität, ein Stein, der dazu beiträgt, Abhängigen das endgültige Scheitern auf ihrem Lebensweg zu ersparen. Deshalb stimmen wir dem gefundenen Kompromiß in der vorliegenden Form zu. - Ich danke Ihnen.
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Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Gnädinger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist unverkennbar: In den vergangenen Wochen und Monaten haben die Probleme der Drogensucht und das damit zusammenhängende Betäubungsmittelrecht in der öffentlichen Diskussion eine geringere Rolle gespielt, als das zuvor der Fall gewesen war. Das darf nicht zu dem falschen Schluß verleiten, die Probleme seien kleiner geworden. Nichts deutet auf eine Entschärfung der Problematik hin. Es geht nach wie vor um eine Frage von Rang - nicht nur für unsere gesellschaftliche Ordnung insgesamt, sondern auch deshalb, weil so viele tragische Einzelschicksale mit dem Konsum von Drogen verbunden sind.
Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt, daß die heute zur Beratung und Beschlußfassung anstehenden neuen Vorschriften des Betäubungsmittelrechts es ermöglichen werden, besser auf das Drogenproblem reagieren zu können, als das mit den bisherigen Regelungen der Fall war. Intensive Kontrollen an den Grenzen, die Aufklärung über schädliche
Folgen des Drogenkonsums und die Bemühungen um Rehabilitation der Abhängigen sind aber von eben solcher Bedeutung. Ich meine, gerade die bei der Drogenberatung und bei der Rehabilitation geleistete Arbeit verdient vorrangige Aufmerksamkeit und unseren gemeinsamen Dank.
Dabei spielen die strafrechtlichen Bestimmungen nach meiner Überzeugung eine untergeordnete Rolle, allerdings eine Rolle, auf die wir keinesfalls verzichten wollen und verzichten können. Das Strafrecht darf die in der Therapie zu leistende Arbeit nicht behindern, sondern es muß diese fördern. Es sollte vornehmlich dazu dienen, die Motivation der Abhängigen, sich in Therapie zu begeben, zu stärken.
Aus der ersten Lesung im Deutschen Bundestag und aus den Beratungen des Bundesrats ist uns in Erinnerung, daß alle verantwortlichen politischen Kräfte im Bund und in den Ländern von der Notwendigkeit einer Neuregelung des Betäubungsmittelrechts überzeugt sind. Allerdings gab es in wichtigen Einzelheiten sehr unterschiedliche Meinungen, zum Teil unüberbrückbar erscheinende Gegensätze. Es wäre jedoch nicht zu verantworten gewesen, das Gesetz an diesen Gegensätzen scheitern zu lassen. Dabei war allen klar, daß dieser Gesetzentwurf der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Es war aber auch klar, daß aus diesem Grunde die Notwendigkeit zu einer Verständigung, zu einem Kompromiß bestand.
Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß es gelungen ist, schon bei den Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestags eine solche Verständigung herbeizuführen, die auch die Bundesländer und deren Auffassungen einbezogen hat. Die Folge wird sein, daß der Bundesrat auf einen Einspruch bzw. auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichten wird. Die heute bekannt gewordene Erklärung des bayerischen Staatsministers der Justiz, Herr Dr. Hillermeier, bringt diese Absicht der Länder deutlich zum Ausdruck. Ich darf auch für die Fraktion der Sozialdemokraten sagen, Herr Hartmann, daß ich Ihnen für Ihre Erklärung in diesem Zusammenhang außerordentlich dankbar bin.
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Denn, meine Damen und Herren, die Vorteile einer solchen Verfahrensweise sind unverkennbar. Sie bestehen darin, daß wir auf langwierige Vermittlungsverfahren verzichten mit der angenehmen Folge, daß das Gesetz entsprechend den Forderungen aller politischen Gruppierungen bald in Kraft treten kann.
Mir liegt auch daran zu unterstreichen, daß manche Vorschriften in diesem Gesetz anders lauten würden, hätte die sozialliberale Koalition allein darüber zu entscheiden gehabt.
Bei einem wesentlichen Ziel des Gesetzes allerdings bestand schon von Anfang an Übereinstimmung. Ich meine die Strafverschärfung für nichtabhängige Drogenhändler. Gerade für diesen Personenkreis stellt die Erhöhung des Strafrahmens von 10 auf 15 Jahre eine wirksame Maßnahme dar, die geeignet ist, die Täter zu beeindrucken.
Mit Genugtuung erfüllt uns jedoch, daß es gelungen ist, den für uns wichtigsten Teil des Gesetzes, nämlich die Vorschriften über das Zusammenwirken von Strafe und Therapie, zu erhalten. Der ursprüngliche Text dieser Vorschrift wurde zwar durch die Notwendigkeit zum Kompromiß in manchen Punkten verändert. Die Grundidee des Entwurfs der Fraktionen der SPD und FDP ist jedoch erhalten geblieben.
Die Motivation zur Therapie ist bei vielen Abhängigen oft schwach entwickelt. Wir wissen auch, daß Langzeittherapie die einzige Chance für den Abhängigen ist. Der Stafvollzug stellt oft - Herr Kollege Hartmann hat schon darauf hingewiesen - nur eine Unterbrechung des Drogenkonsums dar, in manchen Fällen nicht einmal das. Eine Lösung der Probleme des einzelnen bringt der Strafvollzug nicht. Wir müssen die Strafvorschriften also so ausgestalten, daß sie einen Beitrag dazu leisten können, den Teufelskreis Konsum, Vollzug und wieder Konsum zu durchbrechen.
Diesem Ziel, meine Damen und Herren, dienen die Bestimmungen der §§ 33 bis 35 des heute zu verabschiedenden Gesetzes. Sie ermöglichen dem Gericht, die Vollstreckung einer empfindlichen Strafe auszusetzen, wenn der Betreffende von Heilungsmöglichkeiten Gebrauch macht. Sie ermöglichen, den Strafverfolgungsbehörden von einer Verfolgung abzusehen, wenn sich der Beschuldigte bereits in Therapie befindet.
Ein wichtiger Punkt scheint mir zu sein, daß die neuen strafrechtlichen Bestimmungen wohl stärker als das, was bisher im Betäubungsmittelrecht zu finden war, den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten einen weiten Spielraum einräumen. Vom Verhalten der Behörden und der Gerichte wird es abhängen, ob dieses Gesetz sein Ziel erreichen kann. Deshalb liegt uns sehr daran, in dieser Beratung noch einmal auf das hinzuweisen, was in dem Bericht des federführenden Ausschusses zum Verständnis der einzelnen Vorschriften steht. Ich kann heute darauf verzichten. Der Kollege Marschall hat dankenswerterweise in breiter Form auf den Bericht abgehoben und auf das, was dazu an Erläuterungen notwendig ist.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich allen aus dem Hause, von der Bundesregierung und vom Bundesrat recht herzlich dafür danken, daß sie mit dazu beigetragen haben, daß wir heute dieses Gesetz einmütig verabschieden können. Weil wir Sozialdemokraten der Auffassung sind, daß es auch einen justizpolitischen Fortschritt darstellt, sind wir besonders gerne bereit, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben. - Danke schön.
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Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Sauter ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Kompromiß ist zustande gekommen. Und ich möchte sagen: Gott sei Dank ist dieser Kompromiß zustande gekommen.
Sauter ({0})
Wir stimmen diesem Kompromiß zu, und zwar deshalb, weil er im wesentlichen unsere Handschrift trägt. Der ursprüngliche Gesetzentwurf ist entscheidend verändert worden. Dieser Gesetzentwurf hat zwischenzeitlich ein anderes Gesicht bekommen, und von den ursprünglichen Absichten von SPD und FDP ist nicht viel übriggeblieben.
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- Ein Kompromiß in unserem Sinne, wenn ich das bei der Gelegenheit sagen darf.
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- Und wir haben das Gesetz, das wir schon immer wollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetz ist erfreulicherweise in einer breiten Zusammenarbeit zustande gekommen, in dem Versuch, sich abzustimmen. Ich darf sehr herzlich den Kollegen danken, insbesondere denen im Rechtsausschuß, Herrn Gnädinger und Herrn Engelhard, die dies mit ermöglicht haben.
Was die Schnelligkeit anlangt, meine Damen und Herren, so wäre die ganze Sache noch viel flotter gegangen, wenn sich nur die Rechtspolitiker hätten einigen müssen. Wir waren uns schon vor langer, langer Zeit einig über das, was bei diesem Gesetz wohl herauskommen sollte. Wenn es nach uns gegangen wäre, dann hätten wir sicherlich neue Rekorde aufstellen können.
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Aber offensichtlich war es nicht so leicht, sich mit dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit abzustimmen.
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- Ich habe jetzt bloß von der Schnelligkeit gesprochen. Wir waren uns verhältnismäßig schnell einig, und es sind noch einige andere dazugekommen, die es eben anders wollten. Darum hat man sich noch einmal unterhalten müssen. Aber wenn hier schon davon gesprochen wird, daß alles nicht schnell genug gegangen sei, dann dürfen wir von unserer Seite aus doch wohl betonen, daß wir die Sache recht flott angegangen und auch entschieden haben.
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- Haben Sie eine Ahnung! Da lade ich Sie mal ein!
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst zu einer Vorfrage kommen, einer Vorfrage deshalb, weil sie insbesondere bei uns in der Fraktion noch sehr nachhaltig diskutiert worden ist und weil sie vor kurzem auch noch im Rechtsausschuß zur Sprache gekommen ist. Es geht darum, ob der Eigenverbrauch von Betäubungsmitteln nicht auch in diesem Gesetz hätte pönalisiert werden sollen. Bisher ist der Eigenverbrauch nicht strafbar. Auch das jetzige
Gesetz geht von einer solchen Strafbarkeit nicht aus.
In der Praxis wirkt sich diese Strafbarkeitslücke kaum aus, da fast jeder Konsument das Betäubungsmittel vor der Einnahme besitzt und sich nach dieser Begehungsform sowieso strafbar macht. Über dieses Merkmal des Besitzes wird also eine faktische Strafbarkeit des Konsums erreicht. Es ist allerdings Tatsache, daß es - insbesondere heute - Erscheinungsformen gibt, die davon nicht erschlossen werden, z. B. das Anfixen, wenn also einer den Arm hinhält, oder das Problem, wenn einer in einer Runde mitraucht.
Eine solche Handlung darf nach unserer Auffassung vom modernen Strafrecht nur dann unter Strafe gestellt werden, wenn dies erforderlich ist, um Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Dritter zu schützen. Diese individuelle Freiheit will das moderne Strafrecht nicht antasten. Deshalb werden die Selbstschädigung, die Selbstverletzung, j a sogar der Selbstmordversuch bei uns nicht geahndet. Ein Straftatbestand zum Schutze der Unversehrtheit des Täters ist nach dem Selbstverständnis unseres Strafrechtes nicht denkbar.
Nun ist allerdings nicht zu übersehen, daß dann, wenn viele Bürger sich selbst schädigen, eine Gefahr beispielsweise für die Volksgesundheit vorliegen kann, die für die Allgemeinheit erhebliche finanzielle Belastungen mit sich bringen kann. Wollte man allerdings diesem Gesichtspunkt Raum geben, müßte man auch daran denken, beispielsweise gefährliche Sportarten oder gefährliche Tätigkeiten bzw. Gewohnheiten zu verbieten. Ich habe gestern bei uns in der Fraktion als Beispiel u. a. das Rauchen erwähnt und dabei keinen großen Zuspruch gefunden.
Strafgrund für den verbotenen Besitz von Betäubungsmitteln ist nicht die Selbstschädigung des Täters, sondern die Gefahr, die der Täter durch den Besitz für andere schafft. Es besteht die naheliegende Möglichkeit, daß der Täter Betäubungsmittel an andere weitergibt, auch wenn er dies beim Erwerb noch nicht vorhatte, oder daß es ihm sonst abhanden und in fremde Hände kommt.
Insgesamt erscheint es zwar nicht ausgeschlossen, den Eigenverbrauch zu pönalisieren; das praktische Bedürfnis ist nach meiner Überzeugung aber gering, und die Diskussion über den Strafgrund würde in Bereiche führen, die nicht abzusehen sind und mit unserem derzeit herrschenden Verständnis vom Strafrecht auch nicht zu vereinbaren sind.
Nach dieser Vorbemerkung zunächst ein paar Sätze zur Erweiterung des Strafrahmens beim Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 von drei auf vier Jahre. Es ist bekannt, daß wir eine Erweiterung des Strafrahmens auf fünf Jahre vorgezogen hätten. Systematisch passen die vier Jahre nicht so richtig in das Strafrecht hinein. Es ist dies zweifelsohne ein kleiner Schönheitsfehler, der uns aber in diesem Fall nicht stören soll. Wir haben die jetzt vorgesehene Regelung deshalb akzeptiert, weil dies im Endeffekt die einzige Möglichkeit war, hier überhaupt noch eine Einigung zu erzielen, nachdem dies am
Sauter ({6})
Schluß der einzige Punkt war, bei dem noch Meinungsverschiedenheiten aufgetaucht sind.
Grundsätzlich bin ich der Ansicht, daß der Strafrahmen auf alle Fälle erweitert werden mußte. Zunächst müssen wir davon ausgehen, daß der Grundtatbestand gegenüber dem jetzigen § 11 des Betäubungsmittelgesetzes erweitert worden ist und insofern also auch keine Vergleichbarkeit, auch was den Strafrahmen anbelangt, gegeben ist. Wir wollen mit der Erweiterung des Strafrahmens auch endlich der Praxis der Gerichte entsprechen, die bei Erstverurteilungen zu Freiheitsstrafen jetzt schon über das sonst übliche Drittelmaß hinausgehen. Wir wollen, daß hier über den erhöhten Strafrahmen wieder eine Anpassung erfolgt. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Fälle, in denen es jetzt zu einer Verurteilung kommt oder in denen eine Strafe im Sinne des § 35 zu erwarten ist, wird weiterhin unter die Regelungen nach § 33 und § 35 fallen.
Die Erweiterung des Strafrahmens ist auch aus kriminalpolitischen Gründen geboten, und zwar insbesondere deshalb, weil das Täterbild sich zusehends verändert hat. Nunmehr wird überwiegend in kleinen Mengen gehandelt, aber dafür findet der Handel ständig und beharrlich statt. Hier ist ein höherer Strafrahmen durchaus schuldangemessen, und das Täterbild ist auf diese wesentlich größere Gefährlichkeit und Intensität auszulegen.
Eine weitere Ergänzung, die der Gesetzentwurf erfahren hat, ist in § 30 a die sogenannte „kleine Kronzeugenregelung". In Zukunft besteht die Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe nicht nur dann, wenn der Täter durch die freiwillige Offenbarung seines Wissens dazu beiträgt, daß Straftaten von Bandenmitgliedern verhindert werden können. Sie besteht auch bei allen wesentlichen sonstigen Drogendelikten, wenn der Täter dazu beiträgt, daß über die Aufdeckung seiner eigenen Tat auch noch andere Taten aufgedeckt werden können. Dies ist in den problematischen Fällen kriminalpolitisch sicherlich von einiger Bedeutung.
Wir haben in § 33 eine Ergänzung bei der Zurückstellung der Strafvollstreckung: er muß sich in eine seiner Rehabilitation dienende Behandlung begeben. Dafür sind ein fachwissenschaftliches Konzept, eine entsprechende Räumlichkeit und qualifiziertes Personal die Voraussetzungen.
Wir haben die Strafaussetzung zur Bewährung nicht im Sinne der Sonderregelung beibehalten, so wie es bisher der Fall war, sondern wir haben dies wieder dem allgemeinen Strafrecht angeglichen. Das soll auch ein Hinweis von unserer Seite darauf sein, daß wir uns auch in Zukunft solchen angestrebten Sonderregelungen widersetzen werden, insbesondere wenn sie darauf hinauslaufen, das Bewährungsrecht im Sinne der jetzt geltenden Fristen zu ändern bzw. zu verkürzen.
§ 35 - das Absehen von der Verfolgung - ist das eigentliche Glaubensbekenntnis dieses Gesetzes. Während man früher gerne mit dem Schlagwort durch die Runden marschierte, hier gelte „Therapie statt Strafe", muß heute wohl gesagt werden, daß unter diesem Gesichtspunkt der § 35 völlig ausgehöhlt worden ist. Es ist ein Schlagwort, das der Vergangenheit angehört. Es gehört deshalb der Vergangenheit an, weil in Zukunft wieder ermittelt und verfolgt wird in dem Sinne, daß lediglich von der Erhebung der öffentlichen Anklage abgesehen werden kann. Aber es ist weiterhin dafür Sorge getragen, daß in solchen Fällen zumindest die Vorbereitung dafür getroffen wird, daß eine Hauptverhandlung durchgeführt werden kann. Das ist deshalb notwendig, weil sonst - nach Ihren Vorstellungen - jeder drogenabhängige Täter nur hätte behaupten müssen, er gehe irgendwann in Therapie, und dieses rein verbale Bekenntnis hätte Ihnen genügt, von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung abzusehen. In diesem Punkt ist unseren Bedenken im gesamten Umfang Rechnung getragen worden. Heute gilt das Wort - ({7})
- Das werden Sie schon sehen. Schauen Sie in das Gesetz! Dort steht, daß nur dann, wenn - ({8})
- Gut, wir sind ja offensichtlich - - ({9})
- Ich mache das nicht kaputt. Ich sage Ihnen das, was darinsteht. Wenn Sie es noch nicht nachgelesen haben, dann tun Sie es spätestens jetzt, oder wir besprechen es noch einmal.
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Dort steht, daß von der Klageerhebung dann abgesehen wird, wenn a) der Täter sich einer dreimonatigen Behandlung unterzogen hat und wenn b) seine Resozialisierung zu erwarten ist. Sie hatten bisher vor, zu sagen: Es wird nicht einmal mehr ermittelt, wenn du nur erklärst „Ich gehe in die Therapie". Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das nicht zwei Paar Stiefel sind, möchte ich von Ihnen ganz gerne einmal hören, was sich in diesem Zusammenhang überhaupt noch voneinander unterscheiden kann.
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Es besteht auch die Möglichkeit, das Verfahren in ganz bestimmten Fällen fortzusetzen, nämlich erstens dann, wenn die Therapie nicht abgeschlossen wird, zweitens dann, wenn die Nachweise nicht erbracht werden, drittens dann, wenn eine neue Straftat begangen wird, und viertens dann, wenn eine höhere Strafe als zwei Jahre zu erwarten ist. Wir haben damit - vielleicht ist es Ihnen nicht recht - Ihrer ursprünglichen Intention zuwidergehandelt. Es heißt nicht mehr „Therapie vor Strafe", es heißt auch nicht „Therapie statt Strafe"; es heißt jetzt „Rücksichtnahme auf die Therapie", auf sie wird Rücksicht genommen, auf nichts anderes. Aber es hat einmal so geschienen, als ob dies alles für Sie unverzichtbar wäre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben auch das Verfolgungshindernis auf vier Jahre
Sauter ({12})
erweitert; ursprünglich waren zwei Jahre vorgesehen.
Ich glaube, wir alle sind uns darüber im klaren, daß dies nur ein kleiner Schritt im Kampf gegen die Droge sein kann, ein Kampf, den wir gern auch weiterhin mit Ihnen gemeinsam führen wollen, wobei wir davon ausgehen, daß wir uns auch in Zukunft wie in diesem Fall auf vernünftige Kompromisse einigen können. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Innerhalb von nur 16 Monaten beraten wir heute zum viertenmal über den Gesetzentwurf zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts. Für mich zeigt dies zweierlei an. Zum einen: Wenn der Gesetzgeber gefordert ist und die Zeit drängt, wissen wir uns dieser Herausforderung zu stellen und wissen wir zügig zu arbeiten.
Es zeigt mir aber auch ein Zweites an: daß wir zu besseren Ergebnissen kämen und das Notwendige schneller tun könnten, wenn wir uns abgewöhnen würden, auch bei voraussehbaren Kompromissen auf den Wegen dahin hohe Hürden zu errichten, um nicht den Pfad dorthin zu einem langwierigen und schwierigen Hindernisrennen werden zu lassen.
Ich meine, das Ergebnis, das hier heute abschließend verabschiedet wird, könnte ein Schul- und Lehrbeispiel auch für andere Gesetzentwürfe sein. Wenn ich so zurückdenke, liegen ja noch so manche Blöcke in der gesetzgeberischen Landschaft herum.
Herr Kollege Sauter, wir sollten - das haben Sie schon den Zwischenbemerkungen der Kollegen entnehmen können - das erreichte Ergebnis nicht irgendwie in einer Weise, die dem Kompromiß nicht guttut, dadurch antasten,
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daß wir allzusehr den Erfolg an die eigene Fahne - und nur an die eigene Fahne - zu heften versuchen. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß jeder glaubt, er habe etwas erreicht, wenn er sich für tüchtig hält.
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Und wer hielte sich nicht für tüchtig? Auch gibt es die alte Weisheit, daß, wenn bei einem Kompromiß niemand zufrieden ist, dies eine schlechte Sache nicht sein muß. Vielleicht ist es, wo heute überall Zufriedenheit lautgeworden ist, so, daß auch das Umgekehrte gilt und wir hier ein gutes Ergebnis erzielt haben.
Herr Kollege Sauter, in all den Verhandlungen habe ich Sie als einen ungemein sachbezogenen Mann kennengelernt, als einen Mann, dem es immer nur um die Sache ging und der dabei ganz ruhig blieb. Aber da existiert ein Problem: Wenn man vor mehr als fünf Leuten spricht,
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gibt es - insbesondere in der Politik - Menschen, die sich nicht dem Drang widersetzen können, etwas für Belebung zu sorgen.
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So betrachtet, will ich einiges von dem, was Sie hier gesagt haben, auffassen und keinesfalls überbewerten.
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- Es ist ganz in diesem Sinne, Herr Kollege KrollSchlüter, wenn ich die vier Stationen, von denen ich gesprochen habe, kurz nachzeichne.
Wir hatten in der letzten Legislaturperiode im Januar 1980 die erste Lesung des damaligen Gesetzentwurfes. Das war ein verdienstvoller Entwurf, nur fehlte ihm das rechtspolitische Herzstück, nämlich auf der einen Seite Drogenhändler härter zu bestrafen, sich aber auf der anderen Seite und vor allem darum zu bemühen, Drogenabhängige, wo immer es geht, in Therapie zu bringen. Das fehlte damals, und das war unsere Aufgabe. Das hatten wir bereits im Juni 1980 geschafft. Das damalige Gesetz ist mit allen Stimmen dieses Hauses, auch mit den Stimmen der Opposition, verabschiedet worden. Nur hatten wir die Rechnung ohne den Bundesrat gemacht. Er hat ein umfangreiches Anrufungsbegehren aufgetischt, und über die Hürde des Vermittlungsausschusses sind wir durch Ablauf der Legislaturperiode nicht mehr hinweggekommen. Das hat bei den Betroffenen, bei den Eltern abhängiger Jugendlicher und Kinder, das hat bei allen Betreuern große Enttäuschung ausgelöst, Enttäuschung auch bei uns, aber bei uns vielleicht auch die Einsicht, daß man frühzeitiger aufeinander zugehen müsse.
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Als wir den Gesetzentwurf neu einbrachten, habe ich gesagt, man müsse sich, Bundestag und Bundesrat, rechtzeitig zusammensetzen. Es könne überhaupt nicht richtig sein, sich immer erst im Vermittlungsausschuß zu begegnen. Vom Ergebnis her ist dieser Appell nicht ungehört verhallt. Ich bin ja nicht so vermessen, zu glauben, dieser kleine Appell sei die Ursache oder auch nur der Anstoß gewesen, daß sich hier etwas bewegt hat. Ich sehe das Ergebnis, und das Ergebnis ist, daß wir heute wiederum zu einer einhelligen Verabschiedung kommen werden und daß die Zustimmung des Bundesrates ohne den Umweg über den Vermittlungsausschuß zu erwarten ist.
Ich meine, wir sollten überhaupt einmal über die Kompromißfähigkeit in diesem Hause nachdenken. Ich sage das in zwei Richtungen. Gerade bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen und wenn die politische Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat unterschiedlich ist, ist dies um so dringender, und da reicht es ganz einfach nicht aus, die eigene politische Flagge zu zeigen. Man muß sich vielmehr mit den Dingen auseinandersetzen, damit man weiß, was der politische Gegner dazu sagt und dazu meint. Ich sage es in zwei Richtungen: Für die Opposition ist es, neudeutsch gesprochen, frustrierend, ein Gesetz zwar verhindern, aber nicht das erreichen zu könEngelhard
nen, was sie will. Auch sie will das, was wir heute verabschieden werden. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien stehen unter Erfolgszwang. Ich mache gar kein Hehl daraus, daß ich mir darüber völlig klar bin: Draußen im Lande werden wir nicht nach dem Maß unserer aufrechten Gesinnung beurteilt, sondern nach dem, was wir an politischer Ernte in die Scheuer zu fahren wissen, nach nichts sonst.
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Daran haben wir uns zu orientieren, und daran sollten wir vielleicht auch bei künftigen Fällen etwas stärker denken.
Im Frühjahr dieses Jahres ist uns die Einigungsbereitschaft signalisiert worden. Von der Möglichkeit zu Verhandlungen haben wir eingehend Gebrauch gemacht. Das waren j a schwierige Verhandlungen, Herr Kollege Sauter und Herr Kollege Gnädinger, schwierige, langwierige und bei aller Freundlichkeit manchmal auch harte Verhandlungen. Auf eines aber lege ich Wert, und das ist auf allen Seiten so, wenn ich es recht sehe: Es war niemals das Bemühen, ganz einfach um des Kompromisses willen einen zurechtfrisierten Formelkompromiß zu Lasten der Sache zustandezubringen, sondern immer der Versuch, ohne Substanzverlust und ohne Gesichtsverlust einer Seite in vernünftiger Weise aufeinander zuzugehen. Das ist gelungen. Deshalb möchte ich allen, die daran mitgewirkt haben, sehr herzlich danken, insbesondere aus dem rechtspolitischen Bereich meinen unmittelbaren Verhandlungs- und Gesprächspartnern, Herrn Kollegen Sauter und Herrn Kollegen Gnädinger.
Erlauben Sie mir eine kleine Abschweifung. Wir werden auf dem Bundesparteitag in Köln u. a. das Antidrogenprogramm der FDP an diesem Wochenende zu beraten haben. Dieses Programm liegt seit langem vor. Der normale Gang der Dinge in der Politik ist ja, daß Parteiprogramme weit, weit der parlamentarischen Umsetzung vorauseilen. Jetzt haben wir einmal das umgekehrte: Einem Programmparteitag ist bereits der parlamentarische Vollzug zu vermelden. Damit wir uns richtig verstehen: Keiner Kollegin und keinem Kollegen der beiden anderen Fraktionen mute ich zu, etwa zuzustimmen, um einen Beitrag zum FDP-Parteitag zu leisten. Vielleicht sind Sie einverstanden, wenn ich es so sage: Stellvertretend ist, wenn wir den Entwurf heute verabschieden, dies ein deutliches Zeichen für die Funktionsfähigkeit unseres parlamentarischen Systems.
Wir werden diesen Gesetzentwurf verabschieden. Uns wurde signalisiert, daß der Bundesrat zustimmen wird. Daß er diese Zustimmung alsbald erteilt, hoffen wir nicht nur, das erwarten wir dringend.
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Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein schrecklicher Irrtum, zu glauben, daß es einen einfachen Ausstieg aus den Schwierigkeiten dieser Welt und einen sozusagen chemischen Einstieg ins Glück gibt. Dennoch lassen sich viele junge Menschen auch in unserem Land immer noch dazu verführen, Drogen auszuprobieren. Drogen verschaffen ihnen ein paar Träume, die aber auch entsetzliche Zwänge auslösen, körperlichen Verfall und frühen Tod bringen, wenn es den Abhängigen nicht gelingt, wieder von der Droge loszukommen. Den Drogenhandel deshalb mit allen Mitteln zu bekämpfen und abhängig Gewordenen zu helfen, ist das Ziel des Drogenprogramms, das die Bundesregierung im vorigen Jahr verabschiedet hat.
Ein Kernstück dieses Programms ist das Betäubungsmittelgesetz, das vor elf Monaten hier im Bundestag einstimmig verabschiedet worden ist. Nachdem die Koalitionsfraktionen zu Beginn der 9. Periode das Gesetz in der alten Fassung wieder eingebracht haben und die Ausschüsse - auch durch die Bemühungen der Vertreter der Opposition - die Einwendungen des Bundesrates soweit wie möglich berücksichtigt haben, ist nun mit dem endgültigen Abschluß dieses Gesetzesverfahrens zu rechnen. Der gefundene Kompromiß dürfte für die Beteiligten akzeptabel sein, wenn auch natürlich - wie bei jedem Kompromiß - noch Wünsche offenbleiben. Ich möchte mich deshalb bei den Kollegen aller Fraktionen für diesen Kompromiß bedanken. Es warten in der Tat zu viele Menschen auf dieses Gesetz, als daß man es verantworten könnte, seine Verabschiedung nun noch einmal hinauszuzögern.
Als die Bundesregierung nach sorgfältigen Analysen der Situation das Aktionsprogramm gegen den Drogen- und Rauschmittelmißbrauch zu Beginn des vergangenen Jahres fortgeschrieben hat, wurde das neue Betäubungsmittelrecht als ein Instrument eingebaut, das nicht nur die Verfügbarkeit illegaler Drogen weiter einschränken, sondern auch die problematische Situation der jugendlichen Drogenabhängigen endlich verbessern soll. Obwohl die Zahl der Drogentoten gesunken ist und der Nachschub von Rauschgift in unser Land offenbar etwas nachgelassen hat, ist die Drogensituation in der Bundesrepublik weiterhin ernst; denn der Rückgang der Zahl der Todesfälle durch Drogen ist, sosehr wir uns darüber freuen, gewiß noch kein Indikator für die Zahl der Drogenabhängigen insgesamt, und deshalb müssen wir uns nach wie vor mit allen Mitteln bemühen, den Drogen Einhalt zu gebieten.
Der Mißbrauch von Drogen ist offenbar weithin verbreitet, besonders unter jungen Leuten, die in subjektiv belastender Konfliktsituation stehen, sei es durch eine gestörte Entwicklung, durch Überforderung, durch Isolierung, gestörte Familienverhältnisse oder durch andere Orientierungsschwierigkeiten. Hierüber nachzudenken, geht weit über das Thema Drogenbekämpfung hinaus. Wir haben uns diesem Thema erst kürzlich in der Jugenddebatte gewidmet. Herr Kollege Hartmann, ich unterstreiche die Fragen, die Sie in diesem Zusammenhang gestellt haben.
Der Schwerpunkt unserer Bemühungen, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen, muß selbstverständlich im präventiven Bereich liegen, damit
Jugendliche gar nicht erst der Versuchung unterliegen, Drogen zu nehmen. Die Bekämpfung des illegalen Handels und Hilfen zur Umstrukturierung in den Anbauländern sind auch Teile unseres Drogenbekämpfungsprogramms.
Daneben ist aber die Behandlung bereits abhängig Gewordener wichtig. Diesem Ziel dient das Betäubungsmittelgesetz, insbesondere der strafrechtliche Teil dieses Gesetzes. Denn der Drogenmißbrauch soll nicht etwa nur nach althergebrachtem Prinzip durch Verbot und Strafe erschwert und unterbunden werden. Das neue, wie ich meine, wirkungsvolle und auch praktisch durchführbare Konzept einer differenzierten Betrachtung strafrechtlicher und sozialtherapeutischer Aspekte soll den Opfern, einschließlich derjenigen, die auf Grund ihres krankhaften Handlungszwanges in einem gewissen Umfang selbst in kriminelle Handlungen verwickelt oder in Schuld geraten sind, dabei helfen, endgültig aus der Drogenszene auszusteigen. Wir haben schon in der vorjährigen Debatte nicht von „Therapie statt Strafe", sondern vom Vorrang der Therapie gesprochen, und dies soll auch erhalten bleiben.
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Es steht schon in unserem Entwurf, also in der alten Fassung, daß solche Erleichterungen nur jenen gewährt werden, die sich schon in Therapie befinden oder die Teilnahme zusagen, wobei der Antritt der Therapie gewährleistet sein muß. Es ist auch die Rede davon, daß ein Nachweis darüber erbracht werden muß. Also stimmt es nicht, daß man einfach nur sagen können sollte, man sei willig, so etwas anzufangen, und dann sei man aller Strafen ledig.
Das neue Betäubungsmittelrecht ist aber auch unter Berücksichtigung der internationalen Suchtstoffübereinkommen dringend geboten. Wir sind verpflichtet, die Übereinkommen in deutsches Recht umzusetzen. Durch die eingetretene Verzögerung bei der Verabschiedung des Gesetzes konnte der ursprünglich ins Auge gefaßte Termin für das Inkrafttreten, nämlich der 1. Juli 1981, nicht gehalten werden. Es ist dafür jetzt der 1. Januar 1982 vorgesehen.
Wenn wir jetzt ein neues, besseres Instrumentarium zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs schaffen, so müssen wir aber auch dafür sorgen, daß die gesetzesbegleitenden Maßnahmen gut vorbereitet und ausgereift sind. Nur so kann in der Praxis, bei den Therapieeinrichtungen, den Verwaltungsbehörden und den Gerichten, der richtige Gebrauch von dem neuen rechtlichen Instrumentarium gemacht werden. Zu diesen Vorbereitungen gehört vor allem der Ausbau der Therapieeinrichtungen in den Ländern. Die Verwaltungsbehörden in den Ländern und die Bundesopiumstelle im Bundesgesundheitsamt müssen auf die neue rechtliche Situation durch Richtlinien und Erlasse vorbereitet, die Anwälte und Richter müssen unterrichtet werden. Wir sind bemüht, die begleitenden Verordnungen so zügig vorzubreiten, daß sie zugleich mit dem Gesetz in Kraft treten können.
Zu den wichtigsten materiellen Änderungen in dem nunmehr gefundenen Kompromiß möchte ich aus gesundheitspolitischer Sicht einige Anmerkungen machen. Es handelt sich da um den 6. und 7. Abschnitt, Regelungen für kriminelle Straftäter und betäubungsmittelabhängige Straftäter. Durch das Gesamtkonzept zieht sich wie ein roter Faden die schärfere Bestrafung der kriminellen Täter und die Verbesserung der Situation der betäubungsmittelabhängigen Täter, soweit sie in einem bestimmten Rahmen kriminell geworden sind. Allerdings birgt die Anhebung der Höchststrafe im Grundtatbestand des § 29 von drei auf vier Jahre durchaus die Gefahr, daß weniger betäubungsmittelabhängige Straftäter in die Therapieeinrichtung kommen. Man wird die Erfahrung mit diesem Paragraphen in diesem Gesetz machen und auch beobachten müssen, wie sich das in der Praxis nachher auswirkt.
Eine Chance „Therapie vor Strafe" besteht nur für Personen, die gemäß § 33 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden. Es ist deshalb gut - und auch ich begrüße es -, daß im Bericht des Ausschusses eigens festgestellt wird, daß mit der Anhebung des Strafrahmens auf vier Jahre nicht beabsichtigt sei, die drogensüchtigen kleinen Täter zu treffen, sondern daß dieser Strafrahmen kriminellen Tätern gelten soll, die keine Nachsicht verdienen,
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vor allem denjenigen, die selber gar nicht süchtig sind, sondern aus der Sucht anderer Profit ziehen.
Eines der Hauptanliegen war die Erhaltung des § 35, mit dem der Staatsanwalt die Möglichkeit haben soll, mit Zustimmung des Gerichts vorläufig von der Erhebung einer Anklage abzusehen, wenn der Beschuldigte nachweist, daß er sich in therapeutischer Behandlung befindet. Diese Möglichkeiten sind jetzt zwar eingeschränkt worden, aber erhalten geblieben. Ich hoffe, daß mit dieser Fassung das Hauptziel unserer Bemühungen erreicht wird, mehr als bisher drogenabhängige Straftäter erfolgreich zu behandeln. Denn leider beträgt bisher der Anteil der Therapiewilligen z. B. unter den Heroinabhängigen nur 5 %, und zwar trotz der Erfolge, die die Therapie inzwischen aufweisen kann.
Wenn ich mich nun noch der Ihnen vorliegenden Empfehlung zuwenden darf, so möchte ich besonders den ersten Punkt unterstreichen, in dem die Länder zu einem weiteren und beschleunigten Ausbau der Therapieeinrichtungen aufgefordert werden. Ich werde in meinem Geschäftsbereich alles daransetzen, daß entsprechend dem letzten Punkt im Teil A der Entschließung Anträge auf Zulassung von Fertigarzneimitteln beschleunigt geprüft werden, nämlich von solchen, die den Betäubungsmitteln jetzt gleichgestellte Präparate ersetzen sollen.
Leider hat jedoch das noch geltende alte Betäubungsmittelrecht der Bundesrepublik wiederholt zu Beanstandungen des Internationalen Suchtstoffkontrollamts geführt, weil notwendige und international beschlossene Kontrollen der Ausfuhr von Betäubungsmitteln aus der Bundesrepublik nicht durchgeführt werden konnten. Da es wegen des starken internationalen Drucks und aus Gründen der internationalen Solidarität bei der DrogenbekämpBundesminister Frau Huber
fung unvertretbar wäre, mit diesen Änderungen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1982 zu warten, sieht sich die Bundesregierung gezwungen, einige dringende erforderliche Änderungen bereits im Verordnungswege nach dem noch geltenden Betäubungsmittelrecht vorab zu regeln und diese Verordnungen zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft zu setzen.
Das gilt insbesondere für verschärfte Maßnahmen bei dem Stoff Methaqualon, dessen Gefährlichkeit in der Bundesrepublik häufig unterschätzt wird, weil es bei uns bis jetzt nur in geringem Umfang mißbräuchlich verwendet wird. Methaqualon stellt aber in vielen Teilen der Welt, insbesondere in Amerika, ein herausragendes Drogenproblem dar. So sind die beschlagnahmten Mengen von Methaqualon in den USA in nur zwei Jahren, nämlich von 1978 bis 1980, um das 20fache gestiegen, während dort beispielsweise die Beschlagnahme von Heroin deutlich zurückgegangen ist.
Neben Marihuana handelt es sich bei diesem Stoff, also bei Methaqualon, um die gegenwärtig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den USA am meisten verwendete Droge. Methaqualon wird von den Abhängigen üblicherweise als Tablette genommen, wobei diese Tabletten zum ganz überwiegenden Teil in illegalen Waschküchenlaboratorien in Süd- und Mittelamerika hergestellt werden. Bedauerlicherweise ist aber festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland vielfach das Exportland des in diesen Laboratorien verwendeten Stoffes ist. Da diese Exporte überwiegend über den Hamburger Hafen abgewickelt werden, ist es nötig, daß wir dies unverzüglich unterbinden. Dazu sind die erwähnten Verordnungen jetzt unumgänglich.
Meine Damen und Herren, mit dem neuen Betäubungsmittelgesetz und den noch zu erlassenden Rechtsverordnungen erhalten wir ein besseres und wirkungsvolleres Instrument. Dieser Gesetzgebungsakt ist sehr wichtig. Allein bringt er aber noch keine befriedigende Lösung des Problems. Erforderlich sind, wie wir in dem Aktionsprogramm vom vorigen Jahr auch betonen, Maßnahmen zur Verbesserung des Therapieangebots, Maßnahmen der Polizei und des Zolls und Hilfen für die Länder, die solche Produkte anbauen. Diese Hilfen sind natürlich sehr schwer zu erbringen. Da können wir nur an internationalen Maßnahmen mitwirken. Wir tun das auch. Leider leisten nur 75 Länder dazu Beiträge. Manche leisten auch nur einen symbolischen Beitrag. Die Bundesrepublik aber hat ihren Beitrag im letzten Jahr um 2 Millionen DM erhöht. Im Februar dieses Jahres wurde auch unter unserer Mitwirkung ein fünfjähriges Aktionsprogramm von der SuchtstoffKommission der Vereinten Nationen beschlossen. Der Erfolg dieses Programms hängt natürlich davon ab, ob Finanzmittel ausreichend zur Verfügung gestellt werden können.
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Ich hoffe aber, daß alle begreifen, daß die Bekämpfung der Drogen ein globales und nicht nur ein nationales Problem ist.
Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit wir einen Schritt vorwärts kommen und nächstes Jahr bei den Debatten um junge Leute und ihre besonderen Probleme vermelden können, daß wir eine bessere Situation erreicht haben.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 39 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/443 unter Ziffer II die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/443 unter Ziffer III die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem am 29. August 1975 in Genf unterzeichneten Genfer Protokoll zum Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle
- Drucksache 9/234 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 9/426 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klejdzinski Dr. Wittmann
({1})
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Dies ist nicht der Fall. - Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der
Vizepräsident Windelen
Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist damit ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen, Kraus, Engelsberger, Lenzer, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Bugl, Dr. Laufs, Pfeifer, Magin und der Fraktion der CDU/CSU
Zukünftige Kernenergie-Politik
Ausbau der Kernenergie
- Drucksache 9/440 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen, Kraus, Engelsberger, Lenzer, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Bugl, Dr. Laufs, Pfeifer, Magin und der Fraktion der CDU/CSU
Zukünftige Kernenergie-Politik
Entsorgung
- Drucksache 9/441 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen, Kraus, Engelsberger, Lenzer, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Bugl, Dr. Laufs, Pfeifer, Magin und der Fraktion der CDU/CSU
Zukünftige Kernenergie-Politik Fortgeschrittene Reaktorlinien
- Drucksache 9/442 -
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP
Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik"
- Drucksache 9/504 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine verbundene Debatte für die Punkte 7 a bis 7 d und eine Redezeit von drei Stunden vereinbart worden. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riesenhuber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, ob wir Kernenergie brauchen, die Frage, ob wir Kernenergie verantworten können, steht bis heute noch im Streit. Dies ist kein Streit zwischen Koalition und Opposition, kein Streit zwischen Regierung und Opposition - soweit sich die Bundesregierung von Ideologie freigehalten hat, haben wir ihre Energiepolitik unterstützt -, es ist ein Streit innerhalb der Regierungsparteien selbst.
Der Mehrheitsbeschluß des SPD-Parteitags von 1977, ein gewundenes Votum für die Kernenergie, wurde von der Minderheit in der SPD nie akzeptiert. Die Beschlüsse der Regierung standen immer unter dem Vorbehalt der Partei, dem Vorbehalt eines Ausstiegs aus der Kernenergie. Die Folge war Unsicherheit bei den Bürgern, war Unsicherheit bei den Unternehmen, war Unsicherheit für die Arbeitsplätze. Die Folge war, daß in Deutschland seit sieben Jahren kein neues Kernkraftwerk bestellt worden ist. Herr Koschnick hat heute früh gesagt - ich zitiere -: „Irgendwo muß in der Partei entschieden werden." Er hat weiter gesagt: „Faule Kompromisse helfen nicht weiter." Herr Koschnick hat recht, und deshalb stellen wir heute unsere drei Anträge in der Sache.
Wir sind uns in dieser Debatte darüber einig, was wir von der Kernenergie verlangen: hohe Sicherheit, geschützte Umwelt und Entsorgung. Sicherheit hat Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Deutsche Kernkraftwerke sind im internationalen Vergleich vielleicht die teuersten, aber in der Sicherheit liegen sie an der Spitze.
Die Strahlenschutzberichte des Innenministers weisen aus, daß die Auflagen zum Umweltschutz voll erfüllt werden, daß eine einzige Durchleuchtung beim Röntgenarzt eine höhere Strahlenbelastung mit sich bringt als die deutschen Kernkraftwerke.
Das Konzept zur Entsorgung ist zwischen Bundeskanzler und Ministerpräsidenten vereinbart, es ist beschlossen und liegt fest. Zwischenlagerung, Wiederaufarbeitung, Rückführung von Uran und auch Plutonium - besonders von Plutonium - in den Reaktor, Endlagerung der Endabfälle im Salz - auch dies ist ein außerordentlich aufwendiges Konzept. Es ist aber ein Konzept, das durch unsere Verantwortung für künftige Generationen gerechtfertigt ist, die wir vor Risiken zu schützen haben. Dies ist unsere Aufgabe, deshalb haben wir uns darauf eingelassen.
Auf dieser Grundlage ist Kernenergie in Deutschland deshalb grundsätzlich verantwortbar. Wenn dies so ist, dann ist es unsere politische Pflicht, dies auch öffentlich und mit aller Entschiedenheit zu sagen, keinen Zweifel an dem zu lassen, was wir wollen, keinen Zweifel daran zu lassen, daß wir es für vertretbar halten, und das, was wir für richtig halten, auch durchzusetzen.
Es wird in der Diskussion eingewandt, Kernenergie sei nicht notwendig, der Energiebedarf wachse langsamer. Es trifft zu: Im vergangenen Jahr ist der Energiebedarf sogar rückläufig gewesen. Aber er ging zurück unter den Bedingungen minimalen wirtschaftlichen Wachstums, unter der Bedingung einer Verdoppelung der Ölpreise innerhalb von 18 Monaten, unter der Bedingung einer einmaligen Anstrengung zur Energieeinsparung. Sie können die Temperatur von 23 auf 19 Grad herunterschrauben, aber dies können Sie nur einmal tun.
Der Energiebedarf ging zurück, aber zugleich ist der Strombedarf weiter gestiegen. Dies bedeutet für uns nicht unmittelbar mehr Kernkraft. Dies bedeutet, daß wir alle Möglichkeiten ausnützen müssen, Energie sparsam, gezielt und rationell einzusetzen. Dies bedeutet, daß wir alle Energien und EnergieDr. Riesenhuber
techniken ausnützen müssen, die uns zugänglich sind und die verantwortbar sind. Wir müssen die Fernwärme und die Wärme-Kraft-Kopplung ausbauen.
({0})
Wir müssen die neuen Energietechniken ausbauen. Dazu haben wir am Beginn dieser Legislaturperiode einen Antrag eingebracht. Ich freue mich sehr, daß die SPD hier mit Begeisterung applaudiert. Als wir in der letzten Legislaturperiode die entsprechenden Anträge im Bundesrat und im Bundestag eingebracht hatten, haben Sie sie beide Male abgelehnt. Wir hoffen, daß Sie unserem Antrag, der die Förderung der neuen Energietechniken und der Fernwärme zum Ziel hat, diesmal zustimmen; denn beides brauchen wir ganz dringend.
({1})
- Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Die Weisheit der Mehrheit, die die Tagesordnung beherrscht, hat beschlossen, daß diese Sache heute nicht ansteht, sondern etwas anderes, nämlich die Enquete-Kommission, an deren Einsetzung Sie seit einem halben Jahr arbeiten, weil Sie sich in der Sache nicht einigen konnten.
Wir brauchen die Fernwärme aber als Technik und nicht als Alibidiskussion. Wenn wir Alibidiskussionen aufbauen, wie es Herr Klose mit dem Hochtemperaturreaktor gemacht hat, werden wir die Sache nicht treffen. Alibidiskussionen führen von der Sache weg. Alibidiskussionen führen zu einem un-kalkulierbaren Risiko in jeder Debatte. Herr Klose ist mit seiner Politik gescheitert, weil er die Wirklichkeit nicht mehr von seinem Wunschdenken trennen konnte, weil er die Notwendigkeiten geleugnet hat. Deshalb mußte Herr Klose zurücktreten. Die Konsequenz sollte für alle offenkundig sein.
({2})
Es ist schon immer unsere Politik gewesen, alle Energiequellen, aber auch alle Energieeinsparungsmöglichkeiten zu nutzen.
({3})
- Die erste Partei, die überhaupt ein geschlossenes Energieprogramm vorgelegt hat, war die Union.
({4})
Das steht über allen Debatten, die wir in den letzten Jahren geführt haben, eindeutig fest. Dagegen haben Sie mit partikulären und zerrissenen Beschlüssen ständig mit sich selbst und der Bundesregierung im Streit gelegen. Das ist doch wohl offenkundig.
({5})
- 1977, Herr Kollege.
({6})
- Das ist doch glatter Unfug. Damals bin ich zufällig in den Bundestag eingerückt. Aber die Fraktion der CDU/CSU hat seit sehr vielen Jahren eine konsequente und eindeutige Energiepolitik betrieben. Ihre liebenswürdige Schmeichelei geht eindeutig zu weit und ist in der Sache absolut unbegründet. Die Kontinuität unserer Energiepolitik, auch unserer Kernenergiepolitik, ist bis zur Entscheidung von Herrn Stoltenberg zurückzuverfolgen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege Dr. Riesenhuber, wollen Sie diesem Hause bestätigen, daß das erste Energieprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1973 von der Regierung der sozialliberalen Koalition vorgelegt worden ist und daß es in den Jahren vorher während Ihrer Regierungsverantwortung kein in sich geschlossenes Energiekonzept gegeben hat?
({0})
Herr Abgeordneter Wolfram, das trifft eindeutig zu; denn damals, als Sie an der Regierung waren - das ist nicht Ihre Schuld, aber die historische Wahrheit -, sind alle diese Probleme im Zusammenhang mit der Energieversorgung in einer Massivität, unter der wir heute noch leiden, aufgebrochen.
({0})
- Sie wissen selbst, daß 1973 das Jahr der Ölkrise gewesen ist.
({1})
- Ich habe soeben eindeutig gesagt: Das ist nicht Ihre Schuld. Historisch ist es wahr, daß Ihr Energieprogramm nichts mit Ihrem Regierungsantritt zu tun hat, sondern ausschließlich mit dem Ausbruch der Ölkrise.
Herr Abgeordneter Riesenhuber, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Bitte.
Herr Kollege Riesenhuber, wollen Sie bitte diesem Hause bestätigen, daß das erste Energieprogramm ein halbes Jahr vor der ersten Ölkrise vorgelegt worden ist, und wollen Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die von Ihnen geführten Bundesregierungen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre nicht auf sozialdemokratische Warnungen gehört haben, sich zu stark in die Abhängigkeit vom Ölimport zu begeben, und daß sie nicht bereit waren, der heimischen Kohle den richtigen Stellenwert einzuräumen?
Das Energieprogramm der Bundesregierung war das erste Programm dieser Art. Das bestätige ich Ihnen. Wenn ich
die Bilanz ziehe, muß ich heute feststellen, daß seine wesentlichen Ziele nicht erreicht worden sind. Ich stelle fest, daß das Ziel, die Abhängigkeit vom Öl durch den Ausbau der Kernenergie auf 50 000 MW zu mindern, nicht erreicht worden ist. Ich stelle fest, daß damals 45 000 MW - besser noch: 50 000 MW - Kernenergie gefordert worden waren und daß Sie heute nicht die Hälfte erreicht haben. Das ist im Grunde nichts anderes als das Dokument des Scheiterns Ihrer Politik. Sonst nichts.
({0})
Dabei gehen wir davon aus, daß wir Kernkraft brauchen, und zwar entscheidend mehr Kernkraft, als derzeit im Bau ist. Die Elektrizitätswirtschaft stellt fest, daß wir 11 000 MW Grundlast mehr brauchen. Wir stellen fest, daß der Kraftwerkspark nicht stimmt, daß Mittellastkraftwerke in der Grundlast gefahren werden müssen. Erdgas, eine der kostbarsten Edelenergien, wird im Grundlastbereich verfeuert. Braunkohle, deren Veredelung technisch schon längst möglich wäre, weil sie wirtschaftlich geworden ist, wird allein deshalb nicht veredelt, weil sie durch Kernkraft nicht freigeschaltet werden kann. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit, Kernkraft auszubauen, liegen auf der Hand.
Es handelt sich hier nicht um irgendwelche abstrakten Megawatt, sondern es handelt sich um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft, Arbeitsplätze in allen Industrien, die von der Energie abhängig sind. Und das ist ein Großteil der Industrie, von dem wir sprechen. Das ist nicht etwa nur die KWU. Das ist die Vielzahl der mittelständischen Unternehmen, die ihr zuliefern. Das ist der Standort Dortmund, das sind die Arbeiter von Hoesch. Dies alles ist eine Frage rechtzeitiger, angemessener energiepolitischer Entscheidungen. Wenn wir die nicht treffen, werden wir die Arbeitsplätze nicht haben.
({1})
Wir haben die Bedingungen für den Einsatz von Kernenergie festgesetzt, und wir haben festgesetzt, daß sie notwendig ist. Der Streit ist trotzdem nicht zu Ende. Die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" des 8. Deutschen Bundestages
({2})
war ein Versuch, zur Akzeptanz beizutragen. Wir hatten sie im 7. Deutschen Bundestag schon vorgeschlagen, wir haben sie im 8. Deutschen Bundestag mit beantragt. Die Bilanz dieses Versuchs ist bis jetzt negativ, er ist mißlungen. Die Mehrheitsaussagen der Enquete-Kommission haben mehr Unsicherheit geschaffen, nicht mehr Klarheit. Sie haben die Sachentscheidungen nicht erleichtert, sie haben das Vertrauen nicht gemehrt. Unsere Sorge ist, daß eine neue Enquete-Kommission Entscheidungen aufschiebt, die nötig sind, die möglich sind, die fällig sind.
({3})
Der ursprüngliche Antrag der Antragsteller dieser neuen Enquete-Kommission hatte Zeitpläne vorgesehen, die erst im Jahre 1984 Beratungen ermöglicht hätten, auch zur Wiederaufarbeitung, auch zum Genehmigungsverfahren.
({4})
Daß dies unvertretbar ist, liegt auf der Hand. Ob die revidierten Zeitpläne, die jetzt vorgelegt worden sind, eingehalten werden können, ist offen. Allein die Definition des Auftrags der Enquete-Kommission hat sich Monat für Monat hingeschleppt, und wir haben erst vor zwei Tagen den Antrag in der Form erhalten, in der er offiziell verabschiedet worden ist.
({5})
Die Mehrheitsaussagen der alten Enquete-Kommission sind in der Sache unbefriedigend. Die vier Pfade, von denen die Enquete-Kommission ausgegangen ist, gehen von einer kontinuierlichen Entwicklung in der heilen Welt aus. Das einzige, womit wir sicher rechnen müssen, ist die Wahrscheinlichkeit der Krise. Was wir nicht brauchen, sind Schönwetter-Szenarien. Was wir brauchen, ist auch und entscheidend ein Mangellagen-Szenario, das uns für kritische Situationen rechtzeitig absichert.
({6})
Die Mehrheitsmeinung der Kommission ist ordnungspolitisch zweifelhaft. Die Annahme, daß vom Staat her energiepolitische Strategien vorgeschrieben werden können, geht davon aus, daß der Staat die Energiepolitik, die Energiebedarfsdeckung, den Energieverbrauch in einer Weise in die Obhut nimmt, daß Marktwirtschaft noch weiter zurückgedrängt wird.
({7})
Der Geist der Energieverbrauchsordnung, die vorgeschlagen worden ist, der Geist der Energiekontrolle und der Energiekontrolleure ist in diesem Antrag unverändert erhalten. Aufgabe des Staates ist es, Normen zu setzen zur Sicherheit, zum Umweltschutz und zum Wettbewerb. Der Staat soll Hemmnisse abbauen und Marktkräfte stärken. Der Staat hat nicht die Aufgabe, im einzelnen zu definieren, was hier gebaut werden soll. Der Markt reagiert sehr viel empfindlicher, als irgendeine staatliche Maßnahme es erreichen kann. Schauen Sie nur die Energieeinsparungen, die Heizöleinsparungen in den letzten Monaten, im letzten Jahr an. Das war eine Wirkung des Marktes, es war eine erfolgreiche Wirkung des Marktes in einer unerwarteten Massivität.
({8})
Die Mehrheitsmeinung der Enquete-Kommission ist politisch unzureichend. Der Ausbau nach Bedarf ist unmittelbar anschließend von allen Beteiligten gegensätzlich und widersprüchlich interpretiert worden. Der Ausbau nach Bedarf ist wenige Tage später in Podiumsdiskussionen so interpretiert worden: Also kein Ausbau, denn wir haben in den vier Pfaden nachgewiesen, daß es auch keinen Bedarf
gibt. Wenn so etwas so widersprüchlich ist, dann haben wir Formelkompromisse nach der Art des klassischen, des entschiedenen Sowohl-als-Auch des Herrn Brandt. Auf der Entscheidung des Sowohl-alsAuch des Herrn Brandt können Sie vielleicht eine Parteitagsdebatte aufbauen. Reale Politik ist auf dieser Grundlage nicht durchführbar. Deshalb ist dies eine gefährliche Formel.
({9})
Als Entscheidungsgrundlage ist die Mehrheitsmeinung der Enquete-Kommission nicht ausreichend.
({10})
Die Option offenzuhalten, Kernenergie einzusetzen, die Option offenzuhalten, aus der Kernenergie auszusteigen, dies ist etwas, was der Situation nicht mehr angemessen ist. Der Kanzler selbst hat eindeutig gesagt, daß die Option des Ausstiegs aus der Kernenergie für äußerst unwahrscheinlich anzusehen ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Steger?
Bitte schön.
Herr Kollege Riesenhuber, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß Ihre Rede im wesentlichen auf der Frustration darüber beruht, daß es Ihnen nicht gelungen ist, eine Mehrheit in der Enquete-Kommission zu gewinnen, sondern auch die von Ihnen benannten Sachverständigen dem Mehrheitsvotum der Enquete-Kommission zugestimmt haben?
Es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu entscheiden, ob Sachverständige politisch entscheiden oder nicht.
Ich möchte aber eines eindeutig festhalten: Die Mehrheitsentscheidung der Enquete-Kommission messen wir nach ihrem eigenen Wert, nicht nach irgendwelchen taktischen Abwägungen von Mehrheiten. Und über diesen Wert reden wir hier und sonst gar nichts.
({0})
Meine Damen und Herren, der Kanzler hat hier festgestellt, daß er sich glücklicher, sicherer fühlen würde im Hinblick auf unsere zukünftige Elektrizitätsversorgung, wenn wir ein Programm ähnlich wie Frankreich hätten. Wir gehen nicht davon aus. Unser Antrag zur Kernenergie, den wir heute zur Abstimmung stellen, nennt keine Mengen. Aber wir haben in der Enquete-Kommission darüber gesprochen, daß ein bis zwei Kraftwerke pro Jahr angemessen sein dürften. Das ist kein Fetisch. Der Markt wird entscheiden, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, wenn klar ist, daß die Regierung die Kernenergie abstützt, nicht aber in Zweifel zieht. Diese Klarheit des politischen Willens ist Voraussetzung für alles, was wir in der politischen Debatte erreichen können.
Der Bundeskanzler hat erklärt, daß er Genehmigungsverfahren straffen werde. Gut so! Dies soll geschehen ohne Minderung des Schutzes von Bürger und Umwelt. Wir wären aber zuversichtlicher, wenn diese Aussage von den Bundeskanzlern nicht ständig in den letzten acht Jahren vorgetragen worden wäre, in einem Zeitraum, in dem sich die Bauzeiten einschließlich der Genehmigungszeiten für Kernkraftwerke von 41/2 auf 12 Jahre nahezu verdreifacht haben. Der Kanzler will gestraffte Verfahren. Dies ist in Ordnung. Aber wichtiger als jedes technokratisches Detail zur Verfahrensstraffung ist, daß der politische Wille klar und eindeutig vorliegt, daß Kernkraft von der politischen Führung, von der Regierung und vom Parlament, gewollt wird.
In dem Moment, in dem ein Beamter befürchten muß - und sprechen Sie mal mit den Genehmigungsbehörden -, daß hier Kernkraft grundsätzlich nicht gewünscht oder bezweifelt wird, wird er geneigt, sich durch Gutachten und Gegengutachten rückzuversichern, durch vielfältige Unterschriften die Verantwortung zu zerstreuen. Dies dient nicht den klaren und den sachgerechten Entscheidungen. Sie will unser Antrag befördern.
Wir haben einen Antrag zur Entsorgung eingebracht. Der entspricht der Vereinbarung zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Er erledigt die Unsicherheiten aus dem Mehrheitsvotum der Enquete-Kommission. Das einstimmige Votum scheiterte damals an der Weigerung der Mehrheit, dem Konzept zuzustimmen, das zwischen Kanzler und Ministerpräsidenten vereinbart worden ist. Der Antrag entspricht Ihren Parteitagsbeschlüssen.
({1})
Sie haben auf Ihren Parteitagen Entsorgung als Bedingung des weiteren Ausbaus von Kernenergie gefordert.
Herr Börner versucht in Hessen, diesen Auftrag zu erfüllen. Er hat in Hessen die Unterstützung der Opposition. Er wird aus der eigenen Partei heftig - mit demütigenden Abstimmungsergebnissen - bekämpft. Seine Gegner in der SPD berufen sich auf die Voten der Mehrheit in der Kernenergie-EnqueteKommission.
({2})
Sie können nicht Entsorgung zur Bedingung für die Nutzung von Kernenergie machen und anschließend die Kernenergieentsorgung im Land blockieren. So war es in Niedersachsen gewesen, so ist es jetzt in Hessen. Wir haben täglich die Debatte in Hessen unter Berufung auf die Mehrheitsentscheidung in der Kernenergie-Enquete-Kommission. Dies ist eine schlechte Sache.
Wir glauben, daß der Bundestag hier mit seinem Votum Klarheit schaffen kann. Darauf zielt unser Antrag hin. Wir brauchen die Klarheit, um im Land zu unterstützen, was Börner will.
({3})
Wir beantragen schließlich, daß die fortgeschrittenen Reaktorlinien, der Hochtemperaturreaktor und
der Schnelle Brüter, in ihren Versuchsanlagen zügig ausgebaut und in Betrieb genommen werden.
({4})
Wir gehen davon aus, daß es heute unvertretbar ist, den Verzicht auf eine der Technologien festzulegen.
Wer bezahlt es, fragen Sie. Wir haben hier eine sehr grundsätzliche Debatte geführt, auch im Ausschuß, auch mit der Bundesregierung; Herr Staatssekretär Stahl war dabei. Dabei hat sich gezeigt, daß einer der Hinderungsgründe für die Industrie, sich stärker zu beteiligen, darin liegt, daß das Parlament noch einen politischen Entscheidungsvorbehalt aufrechterhalten hat.
({5})
- Ich beziehe mich auf eine Aussage der Bundesregierung vor dem Ausschuß, und ich werde diese Aussage nicht in Zweifel ziehen.
({6})
Wenn diese Aussage aber stimmt, ist es die politische Aufgabe des Parlaments, solche politischen Hemmnisse rechtzeitig zu beseitigen und den Rechtsstand herzustellen, wie er vom Bundesverfassungsgericht 1978 umrissen wurde, jenseits allen Zweifels, mit aller Klarheit. Dann sind dieses Argument und dieses Problem vom Tisch. Dann ist wenigstens der Grund oder der Vorwand - wie Sie wollen
- der EVUs, sich am Schnellen Brüter, am Hochtemperaturreaktor nicht zu beteiligen, vom Tisch. Auch dies gehört zur Klarheit der Entscheidung.
Meine Damen und Herren, die Studien, die in Auftrag gegeben worden sind, wollen wir hier im Bundestag diskutieren. Unsere Mitglieder in der Enquete-Kommission haben eindeutig festgestellt, was wir hier wollen. Wir wollen eine auf möglichst breiter Basis abgesicherte positive Stellungnahme zu diesen neuen Technologien einschließlich des Schnellen Brüters. Wir gehen davon aus, daß es einer Zustimmung aller gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen bedarf, wenn wir so kritische Technoligien langfristig durchsetzen wollen.
Es ist ein Problem - wir sprachen darüber gerade im Zusammenhang mit Ihrer Frage, wer es bezahlen soll -, wenn die Politik erst politische Hemmnisse errichtet - hierüber haben wir vor kurzem im Zusammenhang mit dem Kraftwerk Voerde diskutiert
- und dann Bürgschaften anbieten muß oder zumindest erwägen muß, dies zu tun, um die Unternehmen dagegen zu sichern, daß diese politischen Hemmnisse den Betrieb der Anlagen verhindern. Wir müssen die Hemmnisse beseitigen. Dann brauchen wir hier nicht mehr mit Bürgschaften zu arbeiten. Es ist kein gutes System, wenn der Steuerzahler für Fehlentscheidungen der Bundesregierung bezahlt.
({7})
Wir sind noch ein wohlhabendes Land. Wie dieser Wohlstand aber erhalten bleiben kann, wenn wir gleichzeitig das beste, das aufwendigste Sozialsystem, die höchsten Lohnkosten und die höchsten Energiekosten haben, steht völlig dahin. Wenn wir hier ein einigermaßen stetiges und vernünftiges Wirtschaftswachstum erreichen wollen, so ist eine gesicherte, ausgewogene Energieversorgung mit allen Energien und Energietechniken, die wir haben, hierzu eine Voraussetzung. Wir brauchen die Arbeitsplätze, und wir erreichen sie unter den Bedingungen eines Wirtschaftswachstums. Wir brauchen sie auch für die vielen Hunderttausende von jungen Menschen, die in den nächsten Jahren ins Berufsleben eintreten werden. Unsere Chance besteht darin, daß wir alle Energiequellen - auch die Kernenergie - ausbauen. Energieversorgung oder der Ausbau von Energiequellen sowie Blockierung von Energieinvestitionen dürfen nicht zum Verlust an Arbeitsplätzen führen.
Ich möchte hier auch noch auf eines hinweisen, was bei den Kritikern der Kernenergie, die moralisch argumentieren - man muß ja moralisch argumentieren -, manchmal übersehen wird. Wir müssen mit den jungen Leuten, die der Kernenergie kritisch gegenüberstehen, die Risiken der Technik, aber auch die Risiken eines Verzichts auf die Technik ehrlich und umfassend diskutieren. Wenn wir auf Kernenergie, auf Kerntechnik verzichten, dann hat dies Folgen für die Weltenergiemärkte, für unseren Ölverbrauch, für die Versorgung der Entwicklungsländer mit den knappen fossilen Brennstoffen, mit Öl und mit Kohle. Wenn sie nicht hinreichend mit Energien versorgt sind, fehlt ihnen nicht etwa Reichtum, sondern dann fehlen ihnen Düngemittel, Meerwasserentsalzung, Bewässerung, Reis und Korn sowie die Möglichkeit, sich zu ernähren. Wer über Moral spricht, muß beides sehen: die Risiken des Verzichts auf Kerntechnik und die Risiken, eine solche Technik einzusetzen. Wir sind der Ansicht, eine umfassende Politik muß auch auf unsere Verantwortung gegenüber der Dritten Welt Rücksicht nehmen.
Meine Damen und Herren, es ist offenkundig, daß die Zeit des scheinbaren Reichtums, der Wahlfreiheit, der Optionen vorbei ist. Mit Schmidt und Eppler für und gegen Kernenergie - das geht offenkundig nicht mehr. Der Kanzler hat seine politische Zukunft mit dem Doppelbeschluß der NATO verbunden. Er kann seine politische Zukunft nicht von seinen Zielen in der Energiepolitik trennen. Wir werden hier für eine sachgerechte Energiepolitik eintreten, wie wir es in den vergangenen Jahren immer getan haben. Bei einer sachgerechten Energiepolitik hat die Bundesregierung die Unterstützung der Opposition, und sie hat damit eine sichere und breite Mehrheit im Deutschen Bundestag. Aufgabe der Bundesregierung ist es, eine Politik zu betreiben, die von der Mehrheit des Deutschen Bundestages getragen wird, nicht aber eine, die von einer Minderheit innerhalb der Koalition gefordert wird. Wenn die Bundesregierung ständig auf die Minderheiten in der Koalition schielt, dann wird sie niemals zu den klaren und eindeutigen Entscheidungen kommen, von denen unsere zukünftige Arbeit abhängt.
({8})
Wir brauchen klare Entscheidungen. Wir brauchen
sie rechtzeitig, und wir brauchen sie jetzt. Wir müsDr. Riesenhuber
sen vor allem mit dem ständigen Bestreiten der Entscheidung durch die Parteien Schluß machen, die derzeit die Bundesregierung tragen. Sicherheit für unsere Arbeit in Deutschland werden wir sonst nicht gewinnen. - Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will es mir versagen, im einzelnen auf die Anträge der Union unter den Punkten 7a) bis c) einzugehen. Dies werden die Redner meiner Fraktion nach mir im Rahmen des Notwendigen tun. Ich will mich in meinen Ausführungen auf den Tagesordnungspunkt 7d) - Einsetzung der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" - beschränken.
({0})
Ich will auch zu Beginn dieser Arbeit versuchen, unnötige Schärfen in der Debatte zu vermeiden. Denn mir liegt daran, daß das ganze Haus, alle Fraktionen, mit dem notwendigen Ernst die zur Entscheidung anstehenden Fragen auf den parlamentarischpolitischen Prüfstand bringen und zukunftsentscheidende Fragen nicht in kleinlicher parteipolitischer Münze handeln.
({1})
Es steht dem Bundestag nicht an, persönliche Entscheidungen von Landespolitikern zu qualifizieren. Dies gilt auch für den Rücktritt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg. Trotzdem wird niemand Hans-Ulrich Klose den Respekt für seine Entscheidung versagen können, die er um seiner Glaubwürdigkeit willen so und nicht anders getroffen hat. Es wäre freilich falsch - dies sagen wir vor allem den Bürgern, die der Kernenergienutzung skeptisch oder kritisch gegenüberstehen -, in der Entscheidung von Klose ein Signal zu sehen, ein Signal dafür, daß nicht die Politik, nicht das Parlament, sondern die Wirtschaft, die Kernindustrie oder Experten über die künftige Energiepolitik in unserem Lande entscheiden.
Mit der Einsetzung der neuen Enquete-Kommission unterstreicht der Bundestag - wenn auch bei Ablehnung durch die Opposition, wie zu vermuten steht und was ich bedaure -, daß er, der Bundestag, Herr der energiepolitischen Entscheidungen bleiben will.
({2})
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat anläßlich der Plenardebatte zum Haushaltsgesetz 1981 am 30. Januar der Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages für ihre Arbeit gedankt und wörtlich hinzugefügt - ich zitiere -: „Nur wer Sorgen und Ängste ernst nimmt, kann Vertrauen gewinnen. Ohne Vertrauen geht es hier nicht." So weit der Bundeskanzler. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstreicht diese Aussage.
Herr Abgeordneter Schäfer, darf ich Sie für einen Augenblick unterbrechen.
Auf der Diplomatentribüne hat der Staatspräsident von Ghana, Herr Dr. Limann, Platz genommen. Ich begrüße ihn und seine Begleitung sehr herzlich, und ich wünsche ihm einen guten und erfolgreichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Vertrauen - und darin unterscheiden wir uns von der Union - kann nur gewinnen, wer die unterschiedlichen, von der Sache her kontroversen Fragestellungen und möglichen Antworten ernst nimmt, sie auf die parlamentarische Tagesordnung setzt, sie einer fairen, gleichberechtigten Diskussion und Bewertung unterzieht und dann die notwendigen Entscheidungen trifft. Die Frage der Energiepolitik ist eine für die Zukunft unseres Landes so wichtige Frage, daß sie nicht ohne den Sachverstand von Experten entschieden werden kann. Sie ist andererseits eine zu wichtige Frage, als daß sie der Entscheidung von Experten überlassen werden könnte. Ich wiederhole: die Politik muß deshalb zu ihren Rechten und Pflichten stehen, der Bundestag Herr der energiepolitischen Entscheidungen sein, wenn er seinem Anspruch auf Sach-, Verantwortungs- und Entscheidungskompetenz gerecht werden will.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Riesenhuber hat soeben die alte Enquete-Kommission und ihre Empfehlungen einer im Grunde vernichtenden Kritik unterzogen. Wir teilen diese Kritik aus verständlichen Gründen nicht.
({0})
Wir meinen, daß die Kommission sowohl von der Art ihrer Zusammensetzung als auch von ihrem Arbeitsstil her Maßstäbe gesetzt hat.
({1})
In ihr waren sowohl Befürworter als auch Gegner der Kernenergie vertreten. Die unterschiedlichen Positionen in der Kernenergie-Politik wurden in der Kommission kontrovers in die Beratungen eingebracht.
Im Verlauf der Beratungen der Enquete-Kommission wurde zweierlei deutlich, das festgehalten zu werden verdient, das nicht zerredet werden darf. Erstens: Jede Seite lernte zu respektieren, daß auch die andere Seite dem Wohl der Gesellschaft dienen will und sich ihr verantwortlich fühlt und daß unterschiedliche Positionen keine Frage unterschiedlicher Moral sind, man also den Vertreter einer gegenteiligen Meinung moralisch nicht abqualifizieren darf. Zweitens wurde deutlich, daß es oft sehr viel mehr Mut erfordert, eine Meinung zu ändern, als an ihr festzuhalten.
Diese Bereitschaft, meine Damen und Herren, sein eigenes Urteil oder Vor-Urteil zu ändern, bleibt
Schäfer ({2})
eine unerläßliche Voraussetzung auch für die Arbeit der neuen Enquete-Kommission. Beides sind im übrigen Grundvoraussetzungen für eine rationale Energiepolitik. Beides bedingt aber auch, auf die Energiepolitik bezogen, daß die stupide Ja-Nein-Diskussion nach dem Motto „Kernenergie? - Nein, danke" oder „Kernenergie ohne Wenn und Aber" nicht weiterführen kann.
({3})
- Worauf es ankommt, ist - auch wenn Ihnen das, Herr Kollege Probst, nicht angenehm ist -, die unterschiedlichen Voraussetzungen, Bedingungen und Folgewirkungen der jeweiligen Positionen zu identifizieren, um eine rationale Grundlage für Handlungsalternativen und Entscheidungen zu schaffen. Dies ist und bleibt auch und gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine der wichtigen Aufgaben der Energiepolitik.
({4})
- Ich komme darauf noch zurück, Herr Kollege Kolb.
Wenn eine Partei, wie beispielsweise die Oppositionspartei, mit annähernd einer Million Mitgliedern zu Fragen, die in sich selbst kontrovers sind, die von anerkannten Experten unterschiedlich bewertet werden, gleichsam mit einem Munde spricht, so zeigt dies, daß sie nicht fähig ist, den notwendigen Konsens in der Energiepolitik herzustellen.
({5})
- Meine Damen und Herren, Sie sind letztlich in dieser Frage dem Anspruch einer Volkspartei nicht gerecht geworden.
({6})
- Ich verstehe j a Ihre Aufregung! Ich treffe hier einen wunden Punkt, weil Sie selbst erkennen, daß Sie in dieser Frage letztlich - ich sage es noch einmal - nicht politikfähig sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Probst?
Nein. Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang zu Ende führen.
({0})
Gefragt sind also weniger markige Worte, wie Ihre Kampfanträge, sondern gefragt sind und bleiben rational begründbare und rational begründete Entscheidungen.
Die Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages ist mit ihren Empfehlungen diesen Ansprüchen gerecht geworden.
({1})
Ich will dies nun etwas ausführlicher, als ich es vorhatte, vor allem nach Ihrer Rede, Herr Kollege Riesenhuber, begründen.
Die Kommission hat bewußt darauf verzichtet, den verschiedenen Energieprognosen weitere hinzuzufügen. Sie hat statt dessen versucht - dies ist aus unserer Sicht eines ihrer Verdienste -, das Spektrum der in Frage kommenden, möglichen Ausgestaltungen von Energieversorgungsstrukturen in vier energiepolitischen Pfaden zu beschreiben und damit das in der Kommission, aber auch das in der Gesellschaft vorhandene Meinungsspektrum wiederzugeben. Die Kommission versteht in ihrer Mehrheit - mit Ausnahme der drei Mitglieder der Opposition - die quantitative Ausgestaltung der vier energiepolitischen Pfade als ein probeweises Ausleuchten von diskutierten Zukunftsperspektiven, nicht - ich wiederhole dies - als Prognosen. Die Kommission ist sich dabei durchaus der Unsicherheit in den quantitativen Annahmen bewußt. Trotzdem war diese Beschreibung alternativer Energiestrategien mit und ohne Kernenergie mit ihren jeweiligen Bedingungen und Konsequenzen notwendig. Diese Beschreibung muß einerseits als Fortschritt und andererseits als Basis für die weitere energiepolitische Diskussion gewertet werden.
Die Pfadbetrachtungen stellen auch die Grundlage für die Empfehlungen der Mehrheit der Enquete-Kommission dar. Ich wiederhole, was Sie, Herr Kollege Riesenhuber, gerügt haben: Der Mehrheit der Enquete-Kommission, allen Mitgliedern mit Ausnahme der drei Vertreter von CDU und CSU, erschien es heute weder angezeigt noch notwendig, sich entweder auf den endgültigen Ausbau der Kernenergie oder aber ausschließlich auf Entwicklungen zu verlassen, die einen Verzicht auf Kernenergie möglich machen. Angesichts der zwei denkbaren Energiezukünfte mit und ohne Kernenergie wird empfohlen, in den 80er Jahren eine Politik umzusetzen, die als rationale und faire Vermittlung beider Wege angelegt ist. Unter der Voraussetzung, daß die von der Enquete-Kommission empfohlenen Maßnahmen zur Technologieentwicklung, zum Energieeinsparen und zur Nutzung erneuerbarer Energieträger in Angriff genommen und durchgeführt werden, sollte nach Auffassung der Kommissionsmehrheit etwa 1990 geprüft werden, ob sich ein endgültiger Ausbau der Kernenergie durch brütende Reaktorsysteme mit allen Konsequenzen als notwendig erweist, ob der Einsatz der Kernenergie auf nicht brütende Reaktoren begrenzt bleiben sollte oder ob jede Kernenergienutzung in Zukunft verzichtbar ist.
Meine Damen und Herren, diese Offenhaltung der endgültigen Entscheidung der Mehrheit der Enquete-Kommission bis zum Jahre 1990,
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Schäfer ({3})
diese bewußte Entscheidung, sich nicht bereits im Jahre 1980 für oder gegen die endgültige Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik auszusprechen, ist von Ihnen, Herr Riesenhuber - und Sie finden teilweise Unterstützung -, als Dokument hilfloser Entschlußlosigkeit und Entscheidungsunfähigkeit dargestellt worden, als ob die Enquete-Kommission mit ihren Empfehlungen für ein energiepolitisches Nichtstun plädiert. Sie wissen, meine Damen und Herren, wenn Sie den Bericht der EnqueteKommission gelesen haben, daß das Gegenteil richtig ist. Die Empfehlungen der Enquete-Kommission bedeuten eine ausgesprochene Aufforderung zu energiepolitischen Entscheidungen. Das, was energiepolitisch entscheidungsreif ist und entschieden werden mußte, wurde von der Enquete-Kommission in klare Empfehlungen umgesetzt. Die noch offenen, erörterungsbedürftigen Fragen - im Grunde weist dies auch das Minderheitsvotum aus; Sie sollten sich nicht schlechter darstellen, als Sie tatsächlich sind, meine Damen und Herren - werden einer weiteren gründlichen parlamentarischen Behandlung anempfohlen.
Die Vernünftigkeit dieser Empfehlungen - ich werde jetzt etwas ausführlicher einige Stellungnahmen zitieren - wird übrigens auch von Teilen der Wirtschaft ähnlich gesehen. Mit Ausnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, dessen Stellungnahme sich weitgehend mit Ihrer Kritik deckt, begrüßt die deutsche Wirtschaft nämlich weitgehend diese Empfehlungen der Enquete-Kommission.
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So hat beispielsweise das Deutsche Atomforum - Herr Lenzer, da wissen Sie ja Bescheid -,
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das mit Sicherheit nicht im Verdacht steht, den Kernenergieausbau in der Bundesrepublik Deutschland behindern zu wollen oder gar ein Leben ohne Kernenergie als wünschenswerte energiepolitische Zukunft anzusehen, die Ergebnisse der Enquete-Kommission, auch ihre Empfehlungen, insgesamt positiv gewürdigt. Ich zitiere jetzt wörtlich.
Nach Auffassung des Deutschen Atomforums ist die Verfolgung dieser Doppelstrategie „Energiesparen und begrenzte Kernenergienutzung" vernünftig und akzeptabel. Sie bietet allen Beteiligten einen Mindestrahmen, innerhalb dessen sie verantwortungsvoll und aktiv an der Lösung der Energieprobleme arbeiten können. Das Deutsche Atomforum begrüßt den Bericht bei aller Kritik im einzelnen.
Auch die Kerntechnische Gesellschaft, ebenfalls nicht im Verdacht stehend, den Kernenergieausbau in der Bundesrepublik Deutschland behindern und ein Leben ohne Kernenergie anstreben zu wollen, begrüßt die Empfehlungen der Enquete-Kommission als ausgesprochen positiv.
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Ich zitiere auch hier:
Zum erstenmal wird von Politikern und Wissenschaftlern, die der Kernenergie erklärtermaßen kritisch gegenüberstehen, ein Konsens mitgetragen, der den Zubau weiterer Kernkraftwerke im Rahmen des Bedarfs ermöglicht, die Errichtung einer in ihrer Kapazität noch festzulegenden Wiederaufarbeitungsanlage empfiehlt und sich für die Eignungserkundung möglicher Endlager für radioaktive Abfälle ausspricht.
Bei aller Kritik im einzelnen
- fährt die Kerntechnische Gesellschaft fort wird dies von uns als ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur Versachlichung der Kernenergiediskussion und zur Überwindung emotionaler Vorurteile gegen die Kernenergie gesehen und als Basis für eine konstruktive Energiepolitik im kommenden Jahrzehnt beurteilt.
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- Zu der neuen Kommission komme ich gleich noch, Herr Kollege Kolb. Ihnen empfehle ich übrigens, einmal den Bericht zu lesen.
Ich darf jetzt noch einen Vertreter eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens zitieren, und zwar Herrn Klätte von den RWE, der wieder nicht in dem Verdacht steht, besonders kernenergiefeindlich zu sein. Er führt aus - ich zitiere wörtlich -:
Unter mittelfristigen und energiepolitischen Gesichtspunkten stellen diese Kommissionsempfehlungen alles in allem einen Kompromiß dar, mit denen die Energiewirtschaft meines Erachtens leben kann.
Ich sage das nur, weil mir daran liegt, daß wir die gemeinsame Arbeit - auch die Kollegen der Opposition, sofern sie nicht zugestimmt haben, haben dort sachlich mitgearbeitet - nicht durch solche Ausfälle - Sie entschuldigen, Herr Kollege Riesenhuber - in Frage stellen.
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Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt die Empfehlungen der Enquete-Kommission.
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Ich will noch kurz drei Stellungnahmen - damit komme ich zum zweiten Punkt meiner Ausführungen - von kernenergieskeptisch eingestellten Organisationen in unserem Lande zitieren. Die Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute begrüßt den Bericht der Enquete-Kommission.
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Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz ist demgegenüber, wie er es formuliert, von den Empfehlungen der Enquete-Kommission enttäuscht. Er hält - in dieser Frage ist er mit Ihnen von der Opposition einer Meinung - die Fortführung der Enquete-Kommission für eine Farce. Die
Schäfer ({11})
Deutsche Energiegesellschaft - Frederic Vester - empfiehlt demgegenüber dem Deutschen Bundestag eine unverzügliche und intensive Fortführung der sachlichen und vielversprechenden Arbeit.
Ich will das nicht weiter fortführen, meine Damen und Herren. Ich will mit diesen Stellungnahmen nur deutlich machen, daß das ganze Parlament - ich will Sie von der Opposition ausdrücklich mit einbeziehen ({12})
bei der Einsetzung der neuen Enquete-Kommission hier seinen politischen Pflichten nach sorgsamer Prüfung unterschiedlicher Möglichkeiten gerecht geworden ist.
Für die aktuelle Energiepolitik kommt es nun entscheidend darauf an, daß die Empfehlungen der Enquete-Kommission vom Bundestag bearbeitet werden, was mit allem Ernst in acht Ausschüssen geschieht, und dann in die energiepolitische Wirklichkeit umgesetzt werden.
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Insonderheit gilt dies für die Empfehlungen zur Energieeinsparung. Das geht an Ihre Adresse, meine Damen und Herren von der Opposition.
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Wer tatsächlich die erklärte Politik des „Weg vom Öl" erfolgreich und konsequent auf absehbare Zeit betreiben will, der muß den Weg des Energieeinsparens als den erfolgversprechenden Weg des „Weg vom Öl" gehen.
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Die Forderung nach dem Ausbau der Kernenergie „ohne Wenn und Aber" kann - wie die Pfadbetrachtungen der Enquete-Kommission ausweisen, insonderheit Überlegungen zu Pfad 1 - zu der Politik des „Weg vom Öl" nur einen vergleichweise bescheidenen Beitrag leisten. Sie gaukeln den Bürgern Lösungsmöglichkeiten vor, wo es keine gibt, wenn Sie suggerieren, daß ein Ausbau der Kernenergie ohne Wenn und Aber unsere Probleme auf dem Mineralölmarkt lösen könnte. Dies ist, meine Damen und Herren, nicht richtig.
Mit Ausnahme der CDU/CSU-Mitglieder haben sich alle Sachverständigen und alle Kommissionsmitglieder für die Fortführung der bisherigen Arbeit der Enquete-Kommission ausgesprochen. Sie ist in der Tat von der Sache her geboten und notwendig. Für meine Fraktion gilt dabei die Kontinuität des Auftrages und die Kontinuität der Arbeitsweise. In dem Ihnen vorliegenden Auftrag zur Bildung einer neuen Enquete-Kommission sind deshalb im wesentlichen auch nur die Fragen enthalten, die die alte Enquete-Kommission noch nicht oder nicht abschließend behandeln konnte.
Sie wissen, daß die Enquete-Kommission zwischen den Phasen Kernenergie 1 und Kernenergie 2 unterscheidet. In der Phase Kernenergie 1 scheint der Kommission in ihrer Mehrheit das sicherheitstechnische Risiko vertretbar zu sein. In der Tat - auch das ist ein Fortschritt - wurden Extrempositionen zur Reaktorsicherheit in der Kommission nicht vertreten. Niemand verlangte dort bedingungslose Annahme der Kernenergie ohne Wenn und Aber,
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niemand verlangte absolute Sicherheit. Die Einigkeit in der Frage der Reaktorsicherheit ging sogar so weit, daß kein Kommissionsmitglied, auch Sie von der Union nicht, eine Verminderung der Reaktorsicherheit zulassen wollte, selbst wenn dringender Bedarf nach Atomstrom bestehen sollte. Nur, wer wie Sie Kernenergieausbau ohne Wenn und Aber fordert, der muß dem Bürger auch sagen, daß das Risiko in der Kernenergiephase 2 nicht nur von der Kommission noch nicht bewertet ist, sondern nach dem heutigen Kenntnisstand auch nicht verantwortbar akzeptabel ist.
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- Ich komme darauf im Zusammenhang zurück, Herr Kollege Lenzer. Ich gehe auf Ihre Frage gern ein.
Tatsächlich sind heute noch viele Fragen der Reaktorsicherheit nicht hinreichend geklärt. Wir wissen, daß die Endlagerung radioaktiver Abfälle weltweit nirgendwo praktisch gelöst ist. Ich empfehle Ihnen übrigens eine kritische Lektüre der Berichte über die letzten Probebohrungen, die in der letzten Woche in einem Symposion in Gorleben zur Frage der Geeignetheit des Salzstocks in Gorleben vorgestellt worden sind. Da nützen Ihnen keine Hurra-Entscheidungen. Da nützen Ihnen keine Kampfentscheidungen.
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- Entschuldigen Sie bitte, Herr Spies von Büllesheim, die Bundesregierung hat drei alternative Standorte, die für ein Endlager geeignet sein könnten, vorgeschlagen. Die niedersächsische Landesregierung hat keinen dieser drei Standorte akzeptiert und statt dessen aus politischen Gründen Gorleben angeboten. Jetzt machen Sie daraus hier bitte kein SchwarzerPeter-Spiel! Wenn die Verantwortung irgendwo liegt, dann mit Sicherheit nicht bei der Bundesregierung, sondern bei Herrn Albrecht in Niedersachsen.
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Ich will aber meinem Vorsatz treu bleiben und versuchen, einige Aufgaben der neuen EnqueteKommission von der Sache her nüchtern darzustellen. Es fehlt nach wie vor - ich komme damit auf Ihre Fragen, Herr Kollege Lenzer - ein grundsätzlicher Sicherheitsvergleich, der für uns in der Bundesrepublik aufgezeigt hätte, daß das Entsorgungskonzept mit Wiederaufarbeitung tatsächlich günstiger als andere entsprechende Entsorgungsvarianten ist. Auch die Sicherheit großtechnischer kommerzieller Wiederaufarbeitung ist heute noch nicht abschließend geklärt. Niemand, auch die Befürworter
Schäfer ({20})
nicht, kann diesen Tatbestand bestreiten. Diese Frage wurde auch nicht in der Kommission behandelt, wie Sie wissen. Darüber hinaus, Herr Kollege Lenzer, stehen noch hinreichende Sicherheitsvergleiche zwischen den verschiedenen Reaktortypen aus, also zwischen dem Leichtwasserreaktor, dem Hochtemperaturreaktor und dem Schnellen Brutreaktor. Es wird eine ganz wichtige Aufgabe der neuen Enquete-Kommission sein, die möglichen Alternativen des Leichtwasserreaktors, also insbesondere Schneller Brutreaktor und Hochtemperaturreaktor, zusammen mit den notwendigen Brennstoffkreisläufen zu bewerten und entsprechende Empfehlungen zur Reaktorstrategie zu erarbeiten, falls Kernenergienutzung endgültig notwendig wird.
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Auch die Risiken brütender Systeme sind noch nicht hinreichend geklärt. Oder bestreiten Sie etwa, das weltweit noch keine der Leichtwasserreaktortechnologie vergleichbare Risikostudie vorliegt? Haben nicht auch Sie, meine Damen und Herren, in der Enquete-Kommission den Empfehlungen in dieser Frage zugestimmt, daß eine risikoorientierte Studie zum SNR 300 und ein Gutachten zur Obergrenze der Energiefreisetzung beim sogenannten Bethe-TaitStörfall notwendig ist? Besteht heute überhaupt eine sachliche Notwendigkeit, ja zur Inbetriebnahme des Schnellen Brutreaktors zu sagen? Haben nicht alle Sachverständigen in der Enquete-Kommission im Grunde diese Auffassung geteilt?
Ich möchte es noch einmal unterstreichen: Meine Fraktion bleibt bei ihrer Auffassung, daß es notwendig ist, den Schnellen Brutreaktor in Kalkar zu Ende zu bauen. Wir halten es auch für richtig, daß der Deutsche Bundestag den politischen Vorbehalt. den er 1978 beschlossen hat, in dieser Frage wahrnimmt.
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Die Frage der möglichen Inbetriebnahme des SNR 300 - ich sage es noch einmal; das sagen auch die Vertreter der Elektrizitätswirtschaft selbst - ist heute in der Tat nicht entscheidungsnotwendig. Ich sage mit der Mehrheit der Enquetekommission: Sie ist noch nicht entscheidungsreif.
Wenn man über die mögliche Inbetriebnahme des Schnellbrutreaktors unter Sicherheitsgesichtspunkten entscheidet, dann muß es doch nachweisbar sein, daß das Risiko dieses Brüters und darüber hinaus aller möglichen brütenden Systeme, falls wir uns dafür entscheiden, nicht größer ist als das Risiko eines modernen Leichtwasserreaktors.
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Es muß doch das sicherheitstechnische Gebot gelten, daß das Risiko trotz möglicher Zunahme kerntechnischer Anlagen nicht steigt.
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Was in der Automobilindustrie, was in der Luftfahrtindustrie möglich ist, muß für uns auch hier, wenn
wir das Wort „Sicherheit" ernst nehmen, die Meßlatte sein. Ich verstehe nicht, wie man gegen eine solche Empfehlung der Mehrheit des Deutschen Bundestages polemisieren kann.
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Ich will am Beispiel des SNR 300 deutlich machen, wie wir uns die Arbeit in der neuen Enquete-Kommission vorstellen. Wir meinen, daß die Enquete-Kommission bis zum 31. Juli 1982 nach Auswertung der beiden Gutachten die Empfehlung an den Deutschen Bundestag vorlegen sollte. An diesem Beispiel wird die Vorgehensmaxime deutlich. Es soll und darf nicht dilatorisch verhandelt werden. Es darf aber, meine Damen und Herren, auch nicht unter Zeitdruck das, was an notwendiger Erörterung geleistet werden muß, unterbleiben. Dies müßte doch ein Maßstab sein, auf den wir uns gemeinsam verständigen könnten.
Meine Damen und Herren, das Risiko kerntechnischer Anlagen darf nicht isoliert gesehen werden. Eines der wichtigen Ergebnisse der Enquete-Kommission - ich unterstreiche das - besteht in der Erarbeitung von vier Kriterien, die als Beurteilungsmeßlatte an verschiedene Energiepolitiken anzulegen sind: das Kriterium der Sozialverträglichkeit, also möglicher Auswirkungen unterschiedlicher Energieversorgungsstrategien auf die Gesellschaft, auch im Falle von Krieg, Terror und Sabotage und beim Ausfall wichtiger Energieversorgungssysteme; das Kriterium der Umweltverträglichkeit, also der möglichen, auch langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt; die Frage der internationalen Verträglichkeiten, also das Verhältnis innerhalb der internationalen Beziehungen, beispielsweise durch einen Mißbrauch der Kernenergienutzung zu militärischen Zwecken; schließlich gilt das wichtige Kriterium der ökonomischen Verträglichkeit.
Vergleichende Analysen, die an Hand dieser Kriterien bezüglich verschiedener Energieversorgungsmöglichkeiten angestellt worden wären, liegen in der Bundesrepublik noch nicht vor. Es wird eine der wichtigen Aufgaben der Enquete-Kommission sein, an Hand der von ihr erarbeiteten Kriterien die unterschiedlichen Energieversorgungsmöglichkeiten der Zukunft einer vergleichenden Betrachtung zuzuführen und entsprechende Vorschläge zur Verhinderung von Fehlentwicklungen bei der Energieversorgung zu machen.
Zentrale Bedeutung kommt dabei dem ökonomischen Vergleich verschiedener Energieversorgungssysteme zu, da die Behauptung, Kernenergie sei in jedem Fall preisgünstiger,
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gesamtwirtschaftlich noch nicht in einem zusammenhängenden Vergleich mit anderen Energieerzeugungsarten in der Bundesrepublik dargestellt worden ist.
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Schäfer ({28})
Zu Recht, meine Damen und Herren, wird darauf hingewiesen, daß die Frage der Energieversorgung nicht in engem nationalem Rahmen gesehen werden darf. Wer die Situation in unterentwickelten Ländern einigermaßen vor Augen hat, weiß, daß in der Tat gerade dort ein zunehmendes Angebot an Energie notwendig ist, wenn die Länder ihre Lebenssituation verbessern wollen.
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Umstritten ist freilich - auch das muß offen ausgesprochen und einer Klärung zugeführt werden -,
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welchen Beitrag die Kernenergie für die weltweite Energieversorgung, gerade in unterentwickelten Ländern, leisten kann. Bereits der 1977 veröffentlichte Atombericht der amerikanischen Ford Foundation hat davor gewarnt, die nukleare Alternative in den unterentwickelten Ländern zu stark zu forcieren.
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- Verzeihung, ich rede von den unterentwickelten Ländern.
Auch eine Analyse der Weltbank aus dem Jahre 1970 kommt zu dem Schluß, daß wegen der Notwendigkeit großer Anlagen für eine wirtschaftliche Produktion und wegen der damit verbundenen hohen Anforderungen an den technischen und verwaltungsmäßigen Aufwand der Einsatz von Kernkraftwerken vor allem auf Staaten mit, wie es die Weltbank formuliert, mittlerem Einkommen
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und auf große Länder begrenzt sein werden.
Gerade dieser Tage ist vom Max-Planck-Institut von Dr. Fritz eine Studie vorgelegt worden, wonach sich die Rentabilitätsgrenze für den wirtschaftlichen Betrieb von Kernkraftwerken, die von der IAEO noch vor einigen Jahren mit 600 MW angegeben wurde, weiter nach oben verschiebt. Aber nach Berechnungen von Fritz kämen allenfalls 43 von 156 in die Schätzung einbezogene unterentwickelte Länder, also weniger als 30 %, für eine eventuelle Stromerzeugung durch Kernenergie in Frage.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, wird von vielen ernst zu nehmenden Wissenschaftlern der wesentliche Beitrag der Kernenergienutzung gerade für die Lösung der Energieprobleme in unterentwickelten Ländern betont. Aus unserer Sicht ist es jedenfalls notwendig, auch diese Frage in der neuen Enquete-Kommission einer gründlichen Beratung mit entsprechenden Empfehlungen zuzuführen.
Meine Damen und Herren, wir haben eben im groben die wichtigsten Aufgaben dargelegt, die in der neuen Enquete-Kommission anstehen. Ich wiederhole: Die Empfehlungen der alten Enquete-Kommission stehen für uns weder zur Diskussion noch zur Disposition. Wir werden versuchen, aufbauend auf den Empfehlungen, den Auftrag kontinuierlich weiterzubehandeln.
Herr Abgeordneter Schäfer, für Sie waren 30 Minuten angemeldet. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die Zeit verflossen ist.
Herr Präsident, ich bin in einer Minute fertig.
Natürlich, meine Damen und Herren, besteht auch für die Enquete-Kommission die Möglichkeit, von sich aus Fragen, die mit ihrem Auftrag im Zusammenhang stehen, aufzugreifen und einer Behandlung zuzuführen, wie beispielsweise die Frage der Größe der von der Enquete-Kommission empfohlenen Demonstrations-Wiederaufbereitungsanlage.
({0})
Zum Schluß, meine Damen und Herren, will ich sagen, daß meine Fraktion es sehr begrüßt hätte, wenn neben der Kontinuität des Auftrags auch die Kontinuität der Sachverständigen in der neuen Enquete-Kommission hätte gewahrt werden können.
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Mit anderen Worten: Jeder der bisherigen Sachverständigen, der bereit war, wieder in der Kommission mitzuarbeiten, hätte nach unserer Auffassung auch Mitglied in der neuen Enquete-Kommission sein sollen.
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Dies ist dank der Haltung der Union leider nicht möglich. Ich will jetzt darauf nicht näher eingehen.
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weil ich die Arbeit der neuen Enquete-Kommission nicht durch entsprechende Äußerungen belasten möchte.
Wir Sozialdemokraten streben noch immer an, daß es möglich wird, daß alle Fraktionen gemeinsam die Sachverständigen berufen, weil es - jedenfalls nach unserer Vorstellung - schlecht wäre, gleichsam nach politischer Präferenz oder nach der unterschiedlichen Einstellung der Parteien zur Kernenergie Sachverständige den jeweiligen Fraktionen zuzuordnen. Wir sollten uns wirklich darauf verständigen, die Sachverständigen gemeinsam als kompetente Sachverständige zu berufen und jede politische Zuordnung von vorneweg zu unterlassen.
Meine Fraktion sieht in der Fortführung der Enquete-Kommission eine große Chance und Möglichkeit,
({4})
den notwendigen Konsens in der Energiepolitik weiter herzustellen und damit dazu beitragen, die energiepolitischen Entscheidungen dieses Bundestages
Schäfer ({5})
den Bürgern unseres Landes rational nachvollziehbar zu machen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Ich möchte in meinen Ausführungen weniger auf allgemeine energiepolitische Aspekte eingehen. Ich möchte auch nicht so sehr den Schwerpunkt meiner Ausführungen auf eine Interpretation oder eine erneute Darstellung des Berichtes der Enquete-Kommission legen. Ich möchte nur eine kurze Bemerkung zu Herrn Kollege Riesenhuber machen, der hier gesagt hat, Kernenergie sei vertretbar, Kernenergie sei sicher, Kernenergie sei notwendig, und daher müsse man sie durchsetzen. Etwas später hat er gesagt, man müßte mit den jungen Leuten über die Risiken der Energietechniken wie auch über die Risiken einer Energie-Unterversorgung diskutieren.
({1})
- Herr Riesenhuber, ich glaube, Sie hatten auch Gelegenheit dazu. Wenn ich mich recht erinnere, hat unser Kollege Wissmann, der Vorsitzende der Jungen Union, am Wochenende doch gerade darüber Ausführungen gemacht, daß auch innerhalb der CDU/CSU verständlicherweise nicht alle mit großem Hurra auf die Kernenergie setzen und Volldampf voraus marschieren wollen.
({2})
- Also, wen trifft dieser Vorwurf dieser Fußnoten? Ich weiß nicht an wen Sie ihn richten. Ich fühle mich dadurch überhaupt nicht angesprochen. Ich nehme an, Sie meinen Ihre eigenen Kollegen.
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- Sie sollten sich einmal eine Grundausbildung in Statistik geben lassen und nicht von einer Fußnote gleich auf viele schließen.
({4})
- Ich komme darauf inhaltlich noch zurück, Herr Kollege Stavenhagen.
Es wird seitens meiner Fraktion besonders begrüßt, daß die Enquete-Kommission zukünftige
Kernenergiepolitik nun nach langen Verzögerungen, auf die schon hingewiesen wurde, endlich eingesetzt wird. Ich hoffe, daß sie dann unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen kann, d. h. daß wir dann die Sachverständigen in gemeinsamer Liste werden benennen können, damit diese berufen werden. Wir bedauern diese Verzögerungen, und dies um so mehr als sie nicht unmittelbar in Sachfragen begründet lagen.
Der Bericht der Enquete-Kommission aus der 8. Legislaturperiode ist ja inzwischen vom Parlament aufgenommen worden und wird in den Ausschüssen beraten, damit die Empfehlungen der Kommission in politisches Handeln, in politische Entscheidungen umgesetzt werden können. So sind bereits die Studien beschlossen worden, das Gutachten in Auftrag gegeben. Die Empfehlungen zur rationellen Energieverwendung sind in den parlamentarischen Beratungen. Herr Kollege Riesenhuber, diese Empfehlungen werden nun im Parlament und vom Parlament beraten werden müssen. Wir werden am Ende der Beratungen wissen, ob der Bericht unverändert das Parlament passieren soll oder nicht.
({5})
- Ja, aber der resultiert doch aus den nicht erledigten Aufgaben des bisherigen Aufgabenkatalogs, der in der ursprünglichen Einsetzung vorgesehen war. Es ist doch eine ganz logische Schlußfolgerung auf der Grundlage der Empfehlungen der alten Enquete-Kommission, das, was damals aus zeitlichen Gründen nicht behandelt werden konnte, jetzt fortzusetzen. Dies ist ein Beschluß des Parlaments. Wir sind dabei, das hier zu beschließen. Das ist politisches Handeln. Das sind politische Konsequenzen, die wir aus dem Bericht ziehen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus der Tatsache, daß dieser Bericht nunmehr vom Parlament aufgenommen worden ist, kann und darf aber
- und das sage ich hier ganz offen - nicht der Schluß gezogen werden, daß nun auch notwendigerweise und logischerweise alle Empfehlungen eventuell auch in modifizierter Form vom Parlament beschlossen werden müßten. Vielmehr hat das Parlament diese Empfehlungen im Gesamtzusammenhang aller Bereiche der Politik zu betrachten. Es hat die Systemzusammenhänge, Abhängigkeiten und Verzahnungen zu anderen Bereichen der Politik zu berücksichtigen, wenn es über die vorgelegten Empfehlungen beschließt.
Ich möchte an dieser Stelle auch gleich der Versuchung entgegentreten, daß eine wie auch immer benannte Kommission sozusagen als ein Obergutachtergremium anzusehen wäre.
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Die Kommission wird vom Parlament eingesetzt,
um diesem Parlament Entscheidungshilfen für politische Entscheidungen grundsätzlicher Art zu ge2036
ben. Derartige Empfehlungen können sich also nicht direkt als Auftrag an die Exekutive richten. Sie können und sie dürfen die politische Verantwortung des Parlaments nicht ersetzen. Die besondere Bedeutung der Enquete-Kommission zukünfige Kernenergiepolitik sieht meine Fraktion darin, daß damit erstmalig Technikfolgen-Bewertung und Technikfolgen-Abschätzung im demokratisch-parlamentarischen Raum geleistet wird.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie verstehe ich mit Ihrer Kritik überhaupt nicht, der Sie jahrelang für ein Amt für Technikfolge-Bewertung kämpfen.
({8})
Sie wollen Bürokratie, wir wollen Technikfolgen-Bewertung als politische Aufgabe praktisch umsetzen.
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- Eben, weil wir keine zusätzliche Bürokratie brauchen. Was wir hier in der Enquete-Kommission tun, ist Erfüllung der politischen Aufgabe TechnikfolgenBewertung und Technikfolgen-Abschätzung.
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- Aber Sie wollten sie zur Dauereinrichtung machen, zur Bürokratie, das wollen wir nicht.
Es ist ganz wichtig - dies möchte ich hier mit allem Nachdruck herausstellen -, daß durch diese Enquete-Kommission drängende, breite Teile der Öffentlichkeit beunruhigende Fragen im Zusammenhang mit wissenschaftlichen, technischen Entwicklungen, die zu Großtechnologien führten, aufgegriffen werden.
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Es ist ganz wichtig, daß das Für und Wider von Sachverständigen, die unterschiedliche Positionen vertreten, in einem argumentativen, offenen Prozeß diskutiert und zu diesen Fragen aus einer breiten Öffentlichkeit Antworten gefunden werden.
Herr Kollege Probst, ich bin doch hoffentlich mit Ihnen einer Meinung, daß wir die vielfältigen Fragen, die aus der Öffentlichkeit kommen, die von Bürgern an uns gerichtet werden, aufzugreifen haben.
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Diesen Auftrag haben wir als Mandatsträger, und dem wollen wir entsprechen. Es kann sein, daß Sie eine andere Klientel haben, aber ich jedenfalls - ({13})
- Herr Kollege Stavenhagen, ich denke immer an Berlin, aber an Berlin als Stadt, als Vorposten der Freiheit.
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- Überlassen Sie es uns doch bitte schön, mit den Problemen in unseren eigenen Reihen selbst fertig zu werden! Ich glaube, Sie sollten sich insoweit mehr an Ihrer eigenen Partei und Fraktion orientieren. Ich glaube, da haben Sie genug zu tun.
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Die Enquete-Kommission hat in der 8. Legislaturperiode zu wichtigen Teilbereichen Antworten erarbeitet. Das Ergebnis der Kommission ist nicht nur in unserem Lande beachtet worden, sondern es hat weltweit, d. h. internationale Beachtung gefunden. Daran können Sie, verehrte Kollegen von der Opposition, nicht herumdeuteln, das können Sie auch nicht kleiner machen. Herr Kollege Schäfer hat ja deutlich gemacht - ich brauche das nicht zu wiederholen -, wie positiv die Beurteilungen im Grunde waren. Man könnte dieser Darstellung durchaus noch einiges hinzufügen.
Niemand konnte und niemand kann erwarten - auch das möchten Sie bitte beachten -, daß eine solche Kommission unfehlbar sei. Selbstverständlich bedarf sie hier und da auch der Kritik, selbstverständlich ist diese Kritik hier und da berechtigt.
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Auf Grund der vielfältigen Stellungnahmen zu dem Bericht der Enquete-Kommission möchte ich aber grundsätzlich feststellen, daß ihre Arbeit positiv bewertet wurde, daß ihre Ergebnisse als sehr hilfreich für die Versachlichung der Diskussion um die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Öffentlichkeit angesehen werden können. Ihre negative Beurteilung, Herr Riesenhuber, kann ich überhaupt nicht teilen.
Die Kommission konnte den umfangreichen Aufgabenkatalog, den das Parlament ihr aufgetragen hatte, in der 8. Legislaturperiode mangels Zeit nicht vollständig aufarbeiten. Deshalb hat sie die Fortsetzung der Arbeiten empfohlen, hat die Empfehlung ausgesprochen, in der 9. Legislaturperiode eine neue Kommission einzusetzen. Dieser Empfehlung wollen wir heute entsprechen und die Wiedereinsetzung dieser Enquete-Kommission beschließen.
Eine der vordringlichsten Aufgaben der neuen Kommission wird es sein, Empfehlungen zur möglichen Inbetriebnahme des SNR 300 im besonderen und zur Nutzung der Brütertechnologie generell zu erarbeiten. Dieser Themenbereich ist für meine Fraktion die eigentliche Begründung für die Einsetzung dieser Enquete-Kommission auf Grund unserer Parteitagsbeschlußlage. Das möchte ich noch einmal ausdrücklich herausstellen.
Im Hinblick auf die finanzielle Entwicklung beim Bau der Prototypen fortgeschrittener Reaktorlinien,
zu denen außer dem Brüter in Kalkar auch der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen gehört, müssen politische Unsicherheiten nun endlich ausgeräumt werden. Das halte ich für eine zwingende Voraussetzung dafür, daß sich die Industrie und die Elektrizitätswirtschaft stärker an den enorm gestiegenden Kosten beteiligen, als das bisher vertraglich vorgesehen ist.
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Mit Fug und Recht kann niemand jemanden veranlassen, ein Haus zu bauen und zu finanzieren, wenn die Entscheidung darüber, ob er dieses Haus je nutzen darf, bis zur endgültigen Fertigstellung vorbehalten bleibt.
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Ich halte es auch für politisch nicht vertretbar, das Risiko einer parlamentarischen Entscheidung durch eine Bundesbürgschaft abzusichern. Das ist nicht nur ordnungspolitisch nicht vertretbar; und zumindest muß man den Einwand gelten lassen, daß eine solche Bürgschaft die parlamentarische Entscheidung schließlich präjudiziert. Diese Freiheit der Entscheidung wollen wir uns bis zur abschließenden Beratung vorbehalten.
Dennoch - ich wiederhole -: Es muß möglichst rasch Klarheit geschaffen werden. Deshalb soll die Kommission bis spätestens Juli 1982 ihre Stellungnahme zum Brüter-Projekt vorlegen, damit dann unverzüglich eine parlamentarische Entscheidung getroffen werden kann, unbeschadet - ich füge dies hinzu - der rechtlichen Relevanz eines solchen Beschlusses.
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Darüber hinaus wird sich die Kommission mit den Entwicklungen alternativer Folgelinien zum Leichtwasserreaktor und deren Technologie und energiepolitische Bedeutung einschließlich der entsprechenden Brennstoffkreisläufe, der Brennstoffversorgung und der Entsorgung befassen müssen.
Schließlich ist die wichtige und umfassende Aufgabe zu leisten, die verschiedenen Energieversorgungsstrukturen nach den Kriterien Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und internationaler Verträglichkeit zu beurteilen. Dies ist bisher noch nicht geleistet worden. Dabei wird der Untersuchung, welche Auswirkungen sich bei plötzlichem Ausfall wichtiger Energieversorgungssysteme ergeben, die auch von Sabotageakten oder Kriegseinwirkungen ausgelöst werden können, eine zentrale Bedeutung zukommen.
Es ist unverständlicherweise im Zusammenhang mit den Vorgängen um das Kernkraftwerk Brokdorf von einem „regionalen Problem" gesprochen worden. Das mag für die Konsequenzen einzelner Politiker zutreffen, für die Energiepolitik jedenfalls nicht.
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Ich bin der Meinung, daß die Energiepolitik, daß die Fragen der Energieversorgung über nationale Grenzen, über Europa hinweg in globalen Bezügen gesehen werden müssen.
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Deshalb begrüßt meine Fraktion ausdrücklich, daß die Bedeutung, daß Nutzen und Risiken der Kernenergie auch in Zusammenhang mit der weltweiten Entwicklung der Versorgungsstrukturen und insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung in den Enwicklungsländern von der Kommission dargestellt werden sollen.
Damit nicht auch in diesem Bereich wie in der Vergangenheit in der Bundesrepublik mit einseitigen, manchmal unhaltbaren opportunistischen Argumenten die Brunnen vergiftet werden, müssen die Gesamtzusammenhänge in objektiver Darstellung aufgezeigt werden. Es genügt beispielsweise nicht, nur auf die Gefahr von Verteilungskämpfen um die begrenzten Vorräte an Rohstoffen und Energierohstoffen hinzuweisen, ohne gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer sparsamen und rationellen Rohstoffverwendung, auf die Notwendigkeit einer Abkehr von bisherigen Verschwendungsgewohnheiten hinzuweisen. Eine solche Darstellung ist meines Erachtens auch für die innenpolitische Diskussion unerläßlich.
Rapide steigende Bevölkerungszahlen in der Welt, Sicherung der Ernährung und des Energiebedarfs dieser Menschen, Verpflichtung der hochentwickelten Industriestaaten, ihr geistiges Potential, ihre Erkenntnisse über negative Folgen wirtschaftlicher und technischer Entwicklungen, auch zur eigenen Existenzsicherung, bereitzustellen, dies alles muß den Bürgern unseres Landes vermittelt werden. Herr Kollege Schäfer, ich glaube nicht, daß es darum geht, daß wir in die Entwicklungsländer Kernkraftwerke exportieren. Dies ist nicht der Punkt, mit dem wir uns vorrangig befassen müssen. Es geht vielmehr darum, diesen Ländern die einfach zu handhabenden Energieträger, auch erneuerbare Energieträger, verfügbar zu machen und zu vernünftigen, vertretbaren Preisen verfügbar zu halten.
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Es wäre sinnvoll gewesen, schon um der Kontinuität der Arbeit willen, die Kommission mit denselben Sachverständigen zu besetzen, wenn sich auch aus den Aufgabenformulierungen heraus andere Schwerpunkte ergeben haben. Einige der bisherigen Mitglieder stehen nun allerdings nicht mehr zur Verfügung, so daß ohnedies Ergänzungen notwendig werden. Die Opposition hat konkrete Vorstellungen über von ihr vorzuschlagende Sachverständige. Die Koalitionsfraktionen streben eine sowohl fachlich als auch von der Einstellung zur Kernenergie her ausgewogene Besetzung an. Die FDP-Fraktion akzeptiert daher, neun Sachverständige anstatt bisher acht zu berufen. Meine Fraktion geht dabei davon aus, daß die Liste der Sachverständigen von allen Fraktionen gemeinsam aufgestellt und dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegt wird.
Lassen Sie mich schließlich noch ein Wort zum Termin für den Schlußbericht, den 31. Juli 1983, sa2038
gen. Dieser Termin liegt weit genug vor dem nächsten Termin der Bundestagswahlen, so daß noch nicht zu befürchten ist, daß wahltaktische Überlegungen die Berichtsformulierung beeinflussen könnten. Zum anderen hat das Parlament dann noch genügend Zeit, innerhalb der Legislaturperiode politische Konsequenzen zu ziehen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Enquete-Kommission ist kein Instrument zur Verhinderung unumgänglicher energiepolitischer Entscheidungen, sondern sie ist im Gegenteil darauf angelegt, die Widerstände gegen notwendige Entwicklungen zu überwinden, die zum Teil auf gefühlsmäßige Ablehnung, auf einseitige und unvollständige Information über die komplexe Problematik zurückzuführen sind. Die Enquete-Kommission hat bisher und wird in ihrer zukünftigen Arbeit die unterschiedlichen Positionen zusammenführen, Einsichten bei Befürwortern und Gegnern der Kernenergie herbeiführen. Sie ist ein Instrumentarium dafür, daß gerade nicht eintritt, was mancher befürchtet: daß Großtechnologie den politischen Prozeß bestimmen und die Demokratie entmachten kann. Das Instrument einer Enquete-Kommission ermöglicht es dem Parlament, das Gesetz des Handelns in Fragen der technischen Entwicklungen zurückzugewinnen. - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag auf Drucksache 9/440 betreffend den Ausbau der Kernenergie zielt darauf, die Bundesregierung aufzufordern, in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms klare Aussagen und Entscheidungen zugunsten des weiteren Ausbaus der Kernenergie unter voller Berücksichtigung von Sicherheit, Umweltschutz und Entsorgung zu treffen.
Ich möchte aber, bevor ich diesen Antrag begründe, noch auf einiges eingehen, was hier in der Debatte bisher gesagt wurde. Der Kollege Schäfer sprach von „kleinlicher parteipolitischer Münze". Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie Ihre Partei den Landtagswahlkampf 1978 in Niedersachsen geführt hat, wo im wesentlichen die gleichen, die hier in Bonn für die Vertretung des Energieprogramms der Bundesregierung eintraten, diese Landtagswahl zu einer Abstimmung für oder gegen die Kernenergie hochstilisieren wollten.
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Zum Thema „kleinlicher parteipolitischer Münze" gehört auch, Herr Kollege Laermann, wenn man sich im Bericht - und ich brauche Ihnen das sicher nicht vorzulesen - gegen Mehrheitsbeschlüsse im Bereich des Sparens sehr kritisch äußert, aber dann doch zustimmt, weil man glaubt, daß das Bild der Geschlossenheit kein differenziertes Votum vertragen würde.
Daß so viele auch aus dem Kreis der Sachverständigen dieses Mehrheitsvotum mitgetragen haben, liegt daran, daß sie ernsthaft glaubten, einen Beitrag zur Versachlichung und zur Befriedung zu leisten. Beides ist nicht eingetreten. Die Diskussion ist eben nicht sachlicher geworden und Brokdorf war danach und nicht davor. Wenn ein Mitglied der alten Enquete-Kommission im Bericht mit unterschreibt, daß das, was bisher an Sicherheit geleistet worden sei, im Prinzip richtig gewesen sei, er sich allerdings noch weitere Fortschritte denken könne - wer kann das nicht? -, aber im nachhinein zu Brokdorf sagt, Brokdorf dürfe nicht sein, weil die Sicherheitsphilosophie ganz falsch sei und grundlegend geändert werden müsse, dann hat sich dieser Sachverständige eben nicht in die Kontinuität dessen gestellt, was er mit unterschrieben hat. Auf der anderen Seite gibt es Sachverständige, die im nachhinein sagen: Ich habe zwar den Kompromiß mitgetragen, bin aber eigentlich für viel mehr Kernenergie.
Ich glaube, es dient der Akzeptanz, wenn wir den Bürgern sagen, was wir meinen, und auch den Versuch machen zu quantifizieren, uns aber nicht vor Entscheidungen herumdrücken.
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Die Kollegen Paul Gerlach, Ludwig Gerstein und ich haben deswegen Empfehlungen ausgesprochen. Wir haben gesagt, daß sich eine langfristige Energiepolitik am oberen Rand der Bedarfserwartungen orientieren müsse, weil Energie nicht zum Engpaßfaktor für Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung werden dürfe. Wir haben weiter gesagt:
Eine sichere Energieversorgung darf keine der uns zur Verfügung stehenden Energiequellen ausschließen. Es dürfen auch keine Einsparmöglichkeiten außer acht gelassen werden. Aber es reicht nicht, eine Option Kernenergie offenzuhalten. Vielmehr müssen weitere Kernkraftwerke zugebaut werden.
Wir haben auch gesagt, was wir für möglich halten und wie wir den Bedarf einschätzen: nämlich etwa zwei Kernkraftwerke pro Jahr bis 1990. Siehe da, dieser kleine Kreis der Minderheit ist mittlerweile durch die Wirtschaftsminister von Bund und Ländern erweitert worden, die sich Anfang dieses Jahres auf 18 Kernkraftwerke in den 90er Jahren verständigt haben. Dies ist ziemlich genau die gleiche Zahl, die auch wir genannt haben.
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Der Bundeskanzler hat - es wurde schon zitiert - in der Regierungserklärung am 24. November letzten Jahres gesagt:
Über die Notwendigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie besteht international breite Übereinstimmung.
Er hat den Blick allerdings offenbar zu weit ins Ausland gerichtet; er hat nicht so sehr seine Partei im Auge gehabt.
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Im Süden bläst Herr Eppler zum Kampf gegen die Kernenergie. Ich nehme an, daß er nun im Norden von Herrn Klose unterstützt werden soll.
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Der Kanzler sagte damals:
Die Bundesregierung hält einen weiteren Ausbau der Kernenergie sicherheitstechnisch für vertretbar und ... energiepolitisch für notwendig.
Er hat - dies sehen wir selbstverständlich auch so - das Primat der Sicherheit betont.
Es gab dann weitere Äußerungen des Bundeskanzlers, auch im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Brokdorf. Er zitierte den Wirtschaftsminister und sagte, es könne überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß Brokdorf zur energiepolitischen Zielsetzung der Bundesregierung gehöre. Auf die Frage, ob er dafür auf dem Hamburger Parteitag kämpfen werde, sagte er: „Ich kämpfe hier dafür. Dies ist mein Ort, Herr Kollege." - Wir werden j a sehen, wie die Bundesregierung heute hier an diesem Ort für dieses Programm kämpfen wird.
Es war schon die Rede davon - Herr Kollege Riesenhuber hat es gesagt -, daß sich der Kanzler - wie auch wir in der Enquete-Kommission - gegen die Option ohne Kernkraft ausgesprochen hat. Er hält sie für äußerst unwahrscheinlich. Auf die Frage, wie es denn mit den Parteitagsbeschlüssen sei, sagte er:
Ich bin nicht der Meinung, daß die Beschlüsse von SPD-Parteitagen oder des SPD-Parteivorstands an die Stelle der Beschlüsse einer Bundesregierung oder des Bundestages treten können.
Na denn!
Der hessische Ministerpräsident Börner hat sich in diesen Tagen - dies wurde ja vorhin hier kritisiert - ebenfalls klar für die Kernenergie ausgesprochen. Er sagt: Kernenergie ist notwendige, aber natürlich nicht hinreichende Voraussetzung für die Sicherheit von Arbeitsplätzen. - Richtig, genauso ist es: notwendige Voraussetzung. Er weist darauf hin, daß ohne Kernenergie internationale Verteilungskämpfe um das Öl bis hin zur Gefahr für den Frieden drohen können. Die Jusos haben dies, eine ausgewogene und eine vernünftige Position, wie ich meine, als „atomare Wahnsinnspolitik" abgetan.
Meine Damen und Herren, während auf den SPD- Parteitagen - das ist ja das Problem, warum die Bundesregierung hier nicht zu Handlungen kommt - zukunftsgerichtete Energiepolitik mit Parteitagsbeschlüssen verhindert wird, ist unser Nachbar Frankreich im Begriff, uns nicht nur energiepolitisch, sondern wirtschaftspolitisch insgesamt zu überholen. Beide Industriestaaten haben eine in etwa gleiche Ausgangslage: Es besteht eine hohe Importabhängigkeit bei Energie und Rohstoff. In Frankreich gingen seit 1977 inzwischen zwölf von insgesamt 34 weitgehend baugleich geplanten Kernkraftwerke in Betrieb, in der letzten Zeit alle zwei Monate eines. Wir haben seit 1976 kein neues Kernkraftwerk bestellt. Frankreich deckt zur Zeit 24 % seiner Stromerzeugung aus Kernenergie. 1985 wird es schon rund die Hälfte sein, und 1990 werden es drei Viertel des Stroms sein. Kernenergie verringert die Energieimportabhängigkeit Frankreichs, während wir trotz einer geringen Verbesserung der Ölbilanz unsere Energieimportabhängigkeit insgesamt stark erhöhen.
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Wir sind der internationalen Preisentwicklung schon heute weitgehend schutzlos ausgeliefert, und zwar nicht nur beim Mineralöl, sondern auch bei Erdgas und Importkohle, bei denen die Preise nachziehen und sich in gleicher Richtung wie der Erdölpreis bewegen werden. Für die Ölrechnung 1980 haben wir 66 Milliarden DM bezahlt. Es steht zu befürchten, daß wir 1990 für die Ölrechnung über 100 Milliarden DM bezahlen werden. Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft kann sich jeder mit einem gewissen Maß an Phantasie leicht vorstellen.
Es wurde auch vorhin davon gesprochen, daß die Kostenvorteile der Kernenergie gänzlich unbewiesen seien. Schauen Sie auch hier auf Frankreich und auf unsere Situation! Die Stromgestehungskosten in Frankreich bewegen sich auf wesentlich niedrigerem Niveau als bei uns. Man kann heute vorausberechnen, daß etwa 1990 die Stromgestehungskosten bei uns doppelt so hoch sein werden wie in Frankreich. Dies bedeutet, daß wir mit ganzen Branchen, energieintensiven Branchen große Probleme bekommen werden. Ich will zwei, drei Gründe nennen,
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- ich sage Ihnen das j a gerade - warum diese Stromgestehungskosten sich so unterschiedlich entwickeln. In Frankreich dauert ein Genehmigungsverfahren maximal zwei Jahre. Frankreich betreibt konsequente Standardisierung und hat dadurch beim Bau von Kernkraftwerken einen Rationalisierungseffekt,
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während bei uns die Bauzeit für Kernkraftwerke nicht kürzer, sondern länger wird. Die Summe der Bauverzögerungen deutscher Kernkraftwerke addiert sich mittlerweile auf etwa 1 200 Monate.
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Die Stromerzeugungsmehrkosten allein durch diese Bauverzögerungen werden sich bis 1990 auf eine Zahl von über 60 Milliarden DM addieren. Dies ist deswegen abschätzbar - ich will Ihnen das sagen, Herr Kollege -, weil im Grunde genommen heute die Struktur der Elektrizitätsversorgung für 1990 im wesentlichen determiniert ist; da wird sich so Wesentliches gar nicht mehr ändern lassen.
Wenn also nichts entschieden wird
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- und genau das ist j a der Punkt des Mehrheitsvotums -, werden wir schwerwiegende Auswirkungen für unsere Wirtschaft zu erwarten haben. Produkte und Dienstleistungen werden sich verteuern, Exporte werden schwerer, die internationale Wettbewerbsfähigkeit wird leiden, die Leistungsbilanz wird weiter schlechter, das Problem des Devisenabflusses wird immer akuter. Nicht nur die gesamte Volkswirtschaft leidet, sondern auch einzelne Branchen und einzelne Betriebe. Bei einer angenommenen Verdoppelung des Strompreises gegenüber dem französischen Strompreis wird bei sonst gleichen Annahmen bei uns z. B. die Aluminiumerzeugung um 25 % teurer als in Frankreich. Dies ist ruinös. Dies ist nicht mehr wettbewerbsfähig.
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Deswegen ist jetzt und nicht 1990 der Zeitpunkt der Entscheidung. Es ist keine Zeit mehr für das Offenhalten von Optionen. Sondern es muß entschieden werden, ob wir unsere Volkswirtschaft in die Lage versetzen wollen, in den kommenden Jahrzehnten wettbewerbsfähig zu bleiben oder nicht. Ein gangbarer und schnell realisierbarer Schritt in die richtige Richtung wäre die Auflösung des Investitionsstaues im Bereich des Kraftwerksbaus. Wir müssen wissen, daß allein fünf Kernkraftwerke seit 1975 auf die erste Teilerrichtungsgenehmigung warten. Die freiwerdenden 15 Milliarden allein in diesem Bereich hätten fast denselben Effekt wie alle Konjunkturprogramme der Jahre 1974 bis 1976.
Deswegen fordern wir Sie auf, jetzt zu handeln und nicht 1990. Tragen Sie mit dazu bei, daß wir weiteren Schaden von unserer Volkswirtschaft fernhalten!
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Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei solchen energiepolitischen Debatten im allgemeinen und Debatten über die friedliche Nutzung der Kernenergie im besonderen kommt mir die Union weithin wie ein Steinewerfer vor, der im Glashause sitzt.
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Denn bei den Vorhaltungen wegen Unzulänglichkeiten und Versäumnissen, auf die einseitig von Ihnen hingewiesen wird, sehen Sie bei der Gelegenheit den Balken im eigenen Auge nicht. Das wollen wir doch zum wiederholten Male, aber notwendigerweise noch einmal ganz klarstellen: Den entscheidenden Schlag gegen ein angemessenes Tempo beim Zubau der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat eine christlich-demokratisch geführte Landesregierung geführt,
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indem sie die viele Jahre verfolgte, zwischen dem
Bund und den Ländern verabredete Entsorgungsregelung torpedierte - wegen Feigheit vor der eigenen Opposition.
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Ich sage noch einmal: Wenn die Koalition hier in Bonn und die Bundesregierung hier in diesem Hause vor Ihnen kapitulierten, weil Sie anderer Meinung sind, und sie sich so verhielten wie Ihre politischen Freunde in Niedersachsen,
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ginge im Bund schon lange nichts mehr.
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Hier wird auch dann entschieden, wenn Sie anderer Meinung sind.
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Im übrigen: Wenn Sie von einem Investitionsstau sprechen, rate ich Ihnen, sich einmal im Land Baden-Württemberg umzusehen und sich zu fragen, wieso an einem ganz bestimmten Standort, der eine Reihe von Jahren stark umstritten war, nicht gebaut wird. Dort trägt Ihr Parteifreund Herr Ministerpräsident Späth die Verantwortung dafür. Er mag seine Gründe dafür haben, daß er in Wyhl nicht weiterbauen läßt. Aber wenn Sie schon über solche Investitionsstaus reden, dann kümmern Sie sich bitte zunächst im eigenen Hause um die eigenen Probleme.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stavenhagen?
Herr Stavenhagen, dem ich gleich gerne Rede und Antwort stehen werde, beklagte mit bewegten Worten den noch immer beträchtlichen Ölverbrauch. Ich bitte Sie dringend, dabei mitzuhelfen, daß der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein seine Unterschrift unter einen Vertrag zwischen dem Bund und den Ländern leistet, damit wir auf diese Weise endlich überall dort zum Ausbau von Fernwärmenetzen kommen, wo diese sinnvoll und zweckmäßig sind.
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Das wäre ein besserer Beitrag zur Reduzierung des Ölverbrauchs, als hier Reden darüber zu halten, wie schrecklich das alles ist.
Herr Kollege, halten Sie es für einen hinreichenden Grund, in Whyl nicht zu bauen, daß die Sache noch bei Gericht anhängig ist?
Ich will darauf nicht näher eingehen. Sie wissen ebensogut wie ich, daß die Baumöglichkeit besteht.
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- Welche Gründe dafür maßgebend sind, will ich hier nicht untersuchen. Ich sprach ja nur von dem Splitter und dem Balken, die Sie bitte nicht übersehen sollten.
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Herr Stavenhagen hat völlig zu Recht festgestellt, daß bei uns immer noch zuviel Öl verbraucht werde. Dies ist das Erbe, das christlich-demokratisch geführte Regierungen diesem Lande eingebrockt haben.
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Ich war noch ein junger Bursche, 25 Jahre alt, als ich eines Morgens in der Zeitung las,
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daß ein wütender Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard das Haus, in dem die Ruhrkohle AG heute ihren Sitz hat, weil er keine Einigung erzielt hatte, mit der Drohung verlassen habe, jetzt würden in diesem Lande die Schleusen für Öl geöffnet, und jetzt werde er es der Kohle einmal zeigen. Das war der Anfang der Ölabhängigkeit.
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Auf diesem Wege wären, wenn man Ihren Vorstellungen gefolgt wäre, die deutsche Ruhrkohle, die deutsche Kohle an der Saar endgültig ruiniert worden.
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Sie haben für die Kohle keinen Finger krumm gemacht.
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Sie haben uns der Illusion geziehen, als wir in den 60er und dann auch in den 70er Jahren auf den Sicherheitssockel Kohle setzten. Das war in Ihren Augen Fantasterei. Heute sagen Sie: Ihr habt das nicht energisch genug vertreten. Sie kommen immer zehn Jahre zu spät. Das ist der Punkt.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riesenhuber?
Bitte sehr.
Herr Kollege Reuschenbach, wie erklären Sie auf dem Hintergrund Ihrer Aussagen die Tatsache, daß der Steinkohleverbrauch in Deutschland von 1973 bis 1980 trotz der Anstrengungen Ihrer Bundesregierung, von der Sie sprachen, nicht zu-, sondern abgenommen hat?
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Belehrungen oder Informationen über die Entwicklung in der Stahlindustrie geben muß. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Informationen über den Absatz im Ausland geben muß.
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Das ist der Hintergrund. Müssen Sie so tun, als ob Ihnen das unbekannt wäre, oder meinen Sie, daß Sie mich damit hereinlegen könnten, mein lieber Herr Riesenhuber?
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Auch was die Kernenergie angeht, gibt es auf der Bundesebene keine Unterlassungen. Nachdem Gorleben „über den Jordan gegangen" war, hat sich die Bundesregierung zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder unverzüglich darum gekümmert, daß eine neue Entsorgungskonzeption zustande kam - der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister haben darauf gedrängt -, und sie ist auch zustande gekommen. Die neuen Entsorgungsgrundsätze stehen nirgendwo einem Antrag auf Errichtung eines Kraftwerks entgegen. Das ist in den entsprechenden Genehmigungsverfahren zu klären. Sie müßten noch darlegen und beweisen, daß der Bundesinnenminister eine unüberwindliche Hürde für die Erteilung einer den Sicherheitsaspekten entsprechenden Genehmigung für den Bau von Kernkraftwerken aufgebaut hat.
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Wenn Sie das im Detail darlegen können, wollen wir der Sache gerne nachgehen.
Ich will im Zusammenhnag mit Entsorgungsgrundsätzen ein Wort aber auch an die Kritiker der Nutzung der friedlichen Kernenergie richten und ihnen sagen: Das paßt nicht zusammen, auf der einen Seite unter Hinweis auf fehlende Entsorgung Vorbehalte gegen den Bau von Leichtwasserreaktoren anzumelden und auf der anderen Seite bei anderer Gelegenheit gegen eine Regelung der Entsorgung da, wo es konkret wird, aufzutreten. Auch wenn es überhaupt kein einziges neues Kernkraftwerk gäbe, müßte die Entsorgung für die laufenden und die im Bau befindlichen geklärt werden.
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- Das sage ich überall, hier und woanders, aber Sie haben meist nur ein Ohr frei, das andere ist meistens verstopft.
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Es ist ein beliebtes Spiel, sich in einer solchen Debatte hinzustellen und mit pathetischen Worten zu erklären: „Jetzt muß endlich einmal die Entscheidung gefällt werden." Sagen Sie mir einmal, welches „die Entscheidung" in der Energiepolitik ist. In der Energiepolitik, wenn sie ordentlich werden soll und wenn sie vorangehen soll, gibt es Tausende von Entscheidungen: in den Gemeinden, beim Bebauungsplan, bei der Genehmigung von Fernwärmenetzen, bei den Regierungspräsidenten, bei den Ministerpräsidenten, bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen, bei den Bundesländern und auch auf der Bundesebene, was die Rahmenbedingungen angeht.
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Wenn Sie der Meinung sind, daß das alles sehr ungeordnet und nicht befriedigend sei, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Länder und der Bund für die Energiepolitik gemeinsame Verantwortung tragen.
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Reden Sie mit denen, die in den Ländern allererste Verantwortung für Standortvorsorge und für Genehmigungsverfahren haben. Ich kenne wenige Bundesländer, die einen Entwicklungsplan für Standorte haben, z. B. Nordrhein-Westfalen.
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- Gut, dann sind es zwei. Aber es gibt doch noch mehr, mit denen Sie sich auch einmal auseinandersetzen können, sich bemühen können, daß die eine anständige Standortvorsorge treiben.
Herr Abgeordneter Reuschenbach, der Abgeordnete Probst möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Herr Probst, bitte.
Herr Kollege Reuschenbach, würden Sie mir zustimmen, daß für die rechtliche Verunsicherung auf dem Gebiete des Kernkraftwerkbaus das Atomrecht verantwortlich ist und daß hierfür wiederum die Bundesregierung zuständig ist? Würden Sie weiter dafür kämpfen, daß Schwachstellen des Atomrechts ausgebessert werden?
Herr Probst, es ist ganz selbstverständlich, daß ein Sozialdemokrat lernfähig ist. Wenn Sie nachweisen würden, daß es in diesem Gesetz wirklich Unzumutbares, Unrechtes, Überflüssiges gibt, dann werden wir darüber reden, aber ich habe Ihre Anträge zu dem Thema bisher nicht kennengelernt. Vielleicht liefern Sie sie nach der Sommerpause oder vor dem nächsten Wahlkampf.
Nun habe ich gesagt - das ist nicht bestritten -, daß Wirtschafts- und Energiepolitik insbesondere eine Frage der Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen im föderativen Staat sind. Glauben Sie denn vor dem Hintergrund, daß es ein nützlicher, ein hilfreicher Beitrag zu dieser Kooperation im föderativen Staat ist, wenn Sie uns auffordern, einem Entschließungsantrag zuzustimmen, wonach die Bundesregierung anzuweisen hat, eine Landesregierung anzuweisen hat, dieses und jenes zu tun?
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Wenn Sie glauben, Sie könnten uns auf diesen Weg bringen, die Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen so zu belasten, dann irren Sie sich. Sie mögen diese Belastung herbeiführen wollen, aber das ist Ihr Bier. Schon deshalb werden wir dem Antrag auf Drucksache 9/442, mit dem Sie anweisen wollen, nicht zustimmen.
Es ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn, wie Herr Stavenhagen es auch gemacht hat, davon geredet wird, die Mehrheit der Enquete-Kommission „Kernenergiepolitik" habe empfohlen, im Jahre 1990 über die weitere friedliche Nutzung der Kernenergie zu entscheiden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Mehrheit der Enquete-Kommission dieses Bundestages plädiert für einen weiteren bedarfsgerechten Zubau von Leichtwasserreaktoren.
({1})
- Nein, nicht einerseits und andererseits, sondern klar für den bedarfsgerechten Zubau von Leichtwasserreaktoren. Im einzelnen ist das in den Genehmigungsverfahren der Länder zu entscheiden, nicht einerseits und andererseits, sondern klar und eindeutig.
Etwas völlig anderes ist es, daß man nicht heute, sondern irgendwann um 1990, wenn dieses Forschungsprojekt „Schneller Brüter" gelaufen ist und wenn wir absehen, wie das mit der Energieeinsparung gelaufen ist, ob man in die Brütertechnologie hineingeht. Das ist mit 1990 gemeint. Sie wissen das genau, Herr Stavenhagen. Sie sagen der Öffentlichkeit und Ihren Kollegen die Unwahrheit.
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Wir sind bereit, mitzuhelfen, mitzuprüfen, mitzuberaten, wie Genehmigungsverfahren gestrafft werden können. Aber wenn Sie etwa die Vorstellung damit verbinden, daß man Bürgerrechte kappen könnte, daß man das Recht der Betroffenen beseitigen könnte, versuchen könnte, ihr - vermeintliches oder tatsächliches - Recht zu suchen, dann werden wir nicht an Ihrer Seite stehen,
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sondern darauf achten, daß sich Menschen beschweren können, wenn sie subjektiv glauben, daß sie beschwert sind.
Für uns hat in der Energiepolitik - daran lassen wir überhaupt keinen Zweifel - Kohle Vorrang.
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Dies war insbesondere im letzten Jahrzehnt wegen des Ölerbes, das Sie uns beschert haben, nötig. Da waren wir gehalten, uns wenigstens wieder diesen Sicherheitssockel zu schaffen. Wir haben uns darum bemüht, die Verträge zwischen der Kohlewirtschaft und der Elektrizitätswirtschaft zustande zu bringen, damit wachsend Kohle verstromt wird. Wir sind auch durchaus der Auffassung, daß die Politik des Vorrangs der Kohle vernünftig ist, daß sie uns ein sicheres Standbein verschafft. Daneben befürworten wir einen zusätzlichen Zubau von Leichtwasserreaktoren. Die Leichtwasserreaktoren, die am Netz sind, stehen nicht in Frage; die, die im Bau sind, sollen ans Netz gehen. Im übrigen bestimmt das Gesetz die Modalitäten, unter denen die Energieversorgungsunternehmen einen Antrag stellen können, wenn sie es für nötig halten. Dieser Antrag wird von den Landesregierungen genehmigt
({5})
oder nicht genehmigt.
Zu Ihrem dritten Antrag hätte man auf den ersten Blick vielleicht sagen können: Das ist ja nasses Wasser, denn die Bundesregierung hat es ja zusammen mit den Landesregierungen für richtig gehalten, daß Wiederaufarbeitungsanlagen vorbereitet und auch errichtet werden. Die Enquete-Kommission hat die gleiche Empfehlung ausgesprochen. Das ist Ihnen inzwischen hoffentlich nicht entfallen, oder haben Sie es verdrängt? Aber Sie haben eine Begründung zu Ihren drei Anträgen geliefert, der wir dann ja vielleicht auch noch unsere Zustimmung geben müßten. Sie sagen: Diese Enquete-Kommission stellt eine große Gefahr dar, sie ist der große Verhinderer. - Nichts hat sie verhindert!
Ich muß in dem Zusammenhang auch die Sachverständigen in Schutz nehmen. Ich finde es nicht in Ordnung, wie Herr Riesenhuber über die Sachverständigen hergefallen ist,
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als ob sie ihre Meinung aus billigen taktischen Erwägungen so herum und so herum geäußert hätten!
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Gegenüber Professor Häfele, gegenüber Professor Meyer-Abich, gegenüber Professor Schaefer, gegenüber unserem DGB-Kollegen Alois Pfeifer ist das eine unfaire Handlungsweise. Das muß ich Ihnen sagen.
({8}) Ich muß sie in Schutz nehmen.
So kommen wir zu dem Ergebnis, das Sie im Grunde keinen der drei Anträge ernst meinen, daß Sie mit allen drei Anträgen zum Ausdruck bringen wollen, daß diese Enquete-Kommission eigentlich „des Teufels" sei. Das haben Sie vor vier Jahren schon einmal so gesagt.
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Mithin kommen wir zu dem Ergebnis, daß diese Anträge als Kampfanträge abzulehnen sind. Im übrigen hoffe ich trotz allem, daß Sie wenigstens bereit sind, an den weiteren Erörterungen der Enquete-Kommission mitzuwirken und nicht wieder wie letztens, weil Landtagswahl war, Ihr eigenes abweichendes Minderheitsvotum fabrizieren,
({10})
weil Sie dachten, Sie könnten auf diese Art und Weise die Grundlage für einen Wahlerfolg legen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kraus. - Entschuldigung, mir wird gesagt, daß der Herr Abgeordnete Wolfgramm das Wort begehrt. Das ist mir nicht gemeldet worden. Wir würden aber in der Reihenfolge bleiben, wenn jetzt der Abgeordnete Wolfgramm das Wort erhielte. - Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden den Kollegen Kraus j a in Kürze hören. Es wird sicherlich nichts von dem verlorengehen, was zu sagen ist.
Ich meine, dies ist eine Debatte des Parlaments, Herr Kollege Stavenhagen, und deswegen ist die Anmerkung, wie intensiv die Bundesregierung hier heute ihren Part zu vertreten gedenkt, falsch am Platze; denn wir haben die Debatte, die Entscheidung und Diskussion des Parlaments gewollt, und das ist heute unsere Sache.
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Ich bin sehr froh darüber, daß es eine Debatte des Parlaments ist und bleibt.
Wir haben seinerzeit - ich möchte das noch einmal ins Gedächtnis rufen - kurz vor Weihnachten 1978 anläßlich der Debatte über den Schnellen Brüter in Kalkar alle festgestellt, daß es uns an Informationen, an Kenntnissen fehlt, daß sich der einzelne Abgeordnete diese Kenntnisse nicht selbst verschaffen kann und daß auch unsere Arbeitskreise und Arbeitsgruppen, so hilfreich und engagiert sie sein mögen, das nicht leisten können. Sie können eine so komplexe Materie nicht aufarbeiten, sie können uns keine Entscheidungshilfen geben, sie können uns auch keine Entscheidungsalternativen vorlegen. Angesichts dieser Debatte, bei der auch zum erstenmal deutlich wurde, daß das Parlament bisher zwar immer über Kernenergie, deren Folgen und Risiken diskutiert hat, daß es aber nie Entscheidungen an sich gezogen hat, haben wir, die Freien Demokraten, gemeint, daß das Instrument einer Enquete-Kommission hier hilfreich und notwendig ist. Wir haben in diesem Bundestag die eine oder andere Enquete2044
Wolfgramm ({1})
Kommission; aber wenn es überhaupt einen politischen Bereich gibt, bei dem eine Enquete-Kommission eingesetzt werden sollte, die Entscheidungshilfen, Entscheidungsmöglichkeiten für die einzelnen Abgeordneten, für die Fraktionen erarbeitet, dann ist es die Kernenergie.
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Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern der Kernenergie-Enquete-Kommission, sowohl den Abgeordneten des Deutschen Bundestages als auch den Sachverständigen, den Dank meiner Fraktion sagen, weil sie sich nicht nur bemüht und einen erheblichen Zeiteinsatz eingebracht haben, sondern weil sie auch Zwischenergebnisse vorlegen konnten, die für uns wichtig und für unsere weiteren Entscheidungsmöglichkeiten hilfreich sind.
Wir haben diese Enquete-Kommission damals gemeinsam eingesetzt. Ich habe hier die Drucksache 8/2628 vom März 1979, in der ein Unterschied zwischen den Fraktionen nur darin deutlich wird, daß sich die Opposition damals nur ein Jahr für die Vorlage des Berichts vorgestellt hat. Sie haben feststellen müssen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß das sicher ein zu kurzer Zeitraum gewesen wäre und daß wir auch heute noch nicht so weit sind. Es war eigentlich allen, die sich damit beschäftigt haben, klar, daß wir 1980 nur einen Zwischenbericht entgegennehmen können und daß wir weitere Hilfen, Gutachten, Auswertungen und Beratungen brauchen, um hier zu weiteren Erkenntnissen zu kommen.
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- Herr Kollege, das Problem ist wirklich diffizil. Ich sage für mich, daß ich nicht nur im technischen Bereich nicht in der Lage bin, diese Materie ohne eine solche Hilfestellung umfassend zu durchdringen.
Ich halte die Empfehlungen, die wir hier vorfinden, für nützlich. Die unmittelbaren Empfehlungen werden auch für die Diskussion mit dem Bürger draußen hilfreich sein. Die Auswertungen von Betriebserfahrungen mit kerntechnischen Anlagen können die Ergebnisse in angemessener Form verdeutlichen. Ich glaube, daß wir bei einer solch komplexen und, wie wir alle wissen, umstrittenen Energieform, wie die Kernenergie auch nach Abschluß der Beratungen über die Kommissionsvorlage bleiben wird, nur mit größter Öffentlichkeit arbeiten können.
Auch die Tatsache, daß es einen weiteren Beauftragten für die Kernenergieanlagen geben wird, nämlich außer für Strahlenschutz und Objektschutz auch einen Beauftragten für nukleare Sicherheit, halte ich für wichtig. Damit wird deutlich gemacht, welchen Stellenwert wir diesem Ziel beimessen.
Die Kommission spricht die Sicherheit über die Grenzen hinweg an. Dieses Thema quält uns alle. Wie Sie wissen, sind wir nur ein Teil derjenigen, die die Möglichkeit zur Ausübung von Einfluß haben. Ich hoffe, daß die Verhandlungen mit der DDR, sosehr sie auch ins Stocken geraten sind, hier doch noch ein Ergebnis zeitigen, weil beide Seiten ein Interesse daran haben müssen, zu einem gemeinsamen Abschluß nach gemeinsamen Kriterien zu kommen. Das gilt auch für den Bereich der europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus.
Kernenergie - das möcht ich hier noch einmal unterstreichen - ist nicht allein ein technisches Problem. Sie bedeutet - jedenfalls wird es draußen so gesehen - die Kumulierung der Probleme eines technischen Fortschritts, der in sich problembehaftet ist und der mit der Frage verbunden ist: Ist er so nützlich? Ist er lebenswichtig? Ist er uns dienlich?
Ich will jetzt gar nicht den „faustischen Pakt" von Professor Weinberg beschwören. Aber ich will noch einmal deutlich machen, was damit zusammenhängt. Wir dürfen das Problem nicht isoliert sehen. Es geht um die umfassende Frage nach Umweltschutz, Lebensqualität, Lebensstil, ja, ich will sogar so weit gehen, um die Frage nach der Beibehaltung oder der Neuausrichtung der Grundwertorientierung.
Sosehr wir in diesem Hause, glaube ich, darüber einig sind, daß eine reine Ablehnung, wie sie auch seitens Parteien oder Organisationen geschieht, welche örtlich oder landesweit den einen oder anderen Erfolg haben, dieses Problem nicht lösen kann und auch nicht lösen wird, so sehr müssen wir natürlich diese Überlegungen als einen Ausdruck dafür sehen, daß der Fortschritt in Frage gestellt wird.
Deswegen glaube ich nicht, Herr Kollege Riesenhuber, daß die Vorstellung, Kernenergie sei sicher, vertretbar und notwendig, eine Vorstellung sein kann, unter der wir diese Diskussion bestreiten können. Genau das ist es gewesen, was die Diskussion der Wissenschaftler 1955 auf dem Symposium in Genf gebracht hat. Dort wurde gesagt, es handle sich um eine sichere, eine billige Energie, es sei die Energie der Zukunft. Wir sind von diesem Standort weit entfernt.
Jetzt sind, nachdem sich Wissenschaftler und Exekutive damit beschäftigt haben, die Politiker am Zuge. Es ist wichtig, hier noch einmal festzuhalten, daß das Parlament, der Bundestag, die wichtigen Entscheidungen in dieser Frage an sich gezogen hat. Die Diskussion darüber ist heute ein weiterer Schritt dazu. Vielleicht wäre es nützlich gewesen, wenn wir die Diskussion erst nach Abschluß der Beratung des Zwischenberichts, wie ich ihn nennen möchte, in den Ausschüssen geführt hätten. Trotzdem ist es wichtig, daß wir unsere Meinung und unsere Position hier zwischendurch wieder deutlich machen.
Was fehlt bei diesen Positionen noch? Es fehlt die weitere Überlegung zu den fortgeschrittenen Reaktorlinien. Es fehlt aber auch - das ist für meine Fraktion ein ganz wichtiger Punkt - die Prüfung der gesellschaftlichen Voraussetzungen für die langfristige Einführung oder die Nichteinführung der Kernenergie.
In der „Zeit" stand am letzten Donnerstag, ein Artikel von Carl Friedrich von Weizsäcker, in dem er noch einmal sehr nachdrücklich auf seine Position hingewiesen hat, daß die Kernenergie, die er in der technischen Beherrschung in Friedenszeiten bejaht, Probleme bei Terror, Sabotage und vor allem in
Wolfgramm ({4})
Kriegs- und Spannungszuständen aufwirft. Ich meine, wenn ein Mann, der sich mit dieser Frage so intensiv beschäftigt hat, dies an dieser Stelle noch einmal deutlich macht, ist das sicher auch für uns und die Kommission ein Anlaß, das sorgfältig zu prüfen.
Ich möchte mir jetzt versagen, die einzelnen Anträge noch einmal eingehend zu untersuchen. Alle drei Anträge der Opposition sind nicht hilfreich. Sie sind deswegen nicht hilfreich, weil entweder die Enquete-Kommission z. B. bei der Frage des Antrags auf Drucksache 9/442 - Fortgeschrittene Reaktorlinien - diese Entwicklung erst darstellen soll.
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- Entschuldigung, Herr Kollege, wir haben 1978 bei der Kalkar-Debatte beschlossen, und zwar gegen Ihre Stimmen, - was uns immer noch sehr eindrucksvoll erscheint, wenn wir Ihre Position im Bundestag betrachten -, daß der Weiterbau des KalkarBrutreaktors bis zur Betriebsgenehmigung sicher sein soll. Die Betriebsgenehmigung allerdings behält sich der Deutsche Bundestag vor. Das werden wir hier beschließen oder nicht beschließen, je nach dem, wie es sich dann darstellt.
Ich meine weiter, daß es schwierig ist, auf der Grundlage eines Minderheitsvotums des Ausschußberichts eine Abstimmung, eine Beschlußfassung der Mehrheit des Hauses vorzubereiten. Dazu kommt, daß die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms sinnvollerweise erst vorliegen sollte, bevor wir uns dazu äußern. Das zu Ihrem Antrag auf Drucksache 9/440.
Schließlich und endlich haben wir den Antrag zur Entsorgung. Sie wissen, daß das Gutachten gerade vorliegt. Es wird im Ausschuß in Kürze behandelt. Es wäre nicht sinnvoll, wenn der Bundestag sozusagen in einer Art Spezialsachkennerschaft zusätzlich und vorher ein solches Votum abgäbe.
Wir setzen besondere Hoffnung in die Weiterarbeit der Kernenergie-Kommission, und zwar die Hoffnung, daß es eine sachliche Diskussion wird, daß wir weitere Entscheidungshilfen, auch alternative Entscheidungshilfen erhalten. Das wünschen wir uns.
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Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal auf Herrn Reuschenbach eingehen, der glaubte, vortragen zu müssen, daß die CDU/CSU-regierten Länder an der Tatsache Schuld sind, daß unser Kernenergieprogramm nicht zügig genug durchgeführt wird. Zwei Bemerkungen dazu: Herr Reuschenbach, Sie wissen doch genau, daß die letzten zehn Kernkraftwerke, für die Teilerrichtungsgenehmigungen erteilt wurden, allesamt in CDU/CSU-regierten Ländern stehen. Das ist natürlich kein Zufall, sondern das ist die konkrete Politik, die dort gemacht wird.
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Zum zweiten ist es doch ein ungewöhnlich durchsichtiger Trick, zu sagen, die Niedersächsische Landesregierung hätte verhindert, daß wir in dieser Frage ein Stück vorwärts kommen, indem die Forderungen der Bundesregierung nicht erfüllt wurden. Tatsache ist aber doch, daß diese Forderungen zwar von einer mehrheitlich durch die SPD gestützten Bundesregierung aufgestellt wurden, gleichzeitig aber durch die Partei, die diese Regierung mehrheitlich trägt, im Lande Niedersachsen praktisch verhindert wurden. Das ist ein durchsichtiger, einfacher und, ich möchte sagen, heuchlerischer Trick.
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Unsere Diskussion findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem die Kernkraftwerke einerseits ihren Kinderkrankheiten entwachsen und zu zuverlässigen umweltfreundlichen Stromerzeugern herangereift sind und andererseits die verheerenden Auswirkungen unserer Abhängigkeit vom 01 sichtbar werden. Nicht nur die Erpreßbarkeit politischer Art, die Einschränkung unserer politischen Entscheidungsfreiheit ist damit gemeint, sondern vor allem auch die Auswirkungen auf unseren Lebensstandard.
Es war doch wohl niemals eine Frage, daß beim Bau von Kernkraftwerken die Sicherheit vorgeht. Ich glaube, hier besteht bei allen Beteiligten Übereinstimmung. Der Streit um die Sicherheit der Kernenergie befaßt sich im Grunde genommen mit einer Frage, die so alt ist wie die Menschheit selbst: Wir müssen die Natur gestalten, um leben zu können. Jeder Eingriff in die Natur bedeutet aber auch, daß wir mit den nachteiligen Folgen eines solchen Wirkens fertig werden müssen. Keine Technik ohne Risiko! Das gilt natürlich auch für die Kernenergie.
Sollen wir aber mitten auf einem Weg umkehren, der sich als einziger Ausweg aus einer klar vorhersehbaren Katastrophe des industriellen Zeitalters anbietet, das einen bisher nicht für möglich gehaltenen Massenwohlstand für alle gebracht hat und heute zur fundamentalen Voraussetzung für die physische Existenz von voraussichtlich 6 Milliarden Menschen im Jahr 2000 geworden ist?
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- Sie wissen genau, daß es wichtig ist, das hier zu sagen. Warum haben wir denn hier die lasche Handhabung der Dinge, die bewußte Verzögerungspolitik? Doch nur deshalb, weil ein Teil von Ihnen - ich möchte nicht sagen: die Mehrheit, aber eben doch ein gewichtiger Teil - den Einsatz der Kernenergie im Grunde genommen überhaupt ablehnt. Deshalb ist die Mehrheit der Koalition zu einem vernünftigen Handeln praktisch nicht in der Lage.
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Gegen den weiteren Ausbau der Kernenergie sind vor allem die Wachstumsgegner.
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- Das ist ein einfacher Trick, der zieht bei mir nicht.
- Sie bestreiten die Notwendigkeit eines Wachstums überhaupt. Es ist auf den ersten Blick einleuch2046
tend, wenn gesagt wird: Es geht uns doch gut, wir sollten es bei dem Erreichten belassen. Sie fordern deshalb die Strategie des sogenannten Null-Wachstums. Wenn Sie mit Wachstumsgegnern sprechen, können Sie häufig aber folgendes feststellen: Die große Mehrheit von ihnen handelt ganz anders, als sie argumentiert. Nahezu jeder ist heute in seinem persönlichen Handeln auf Wachstum eingestellt. Sie werden nahezu niemanden finden, der nur seinen Ersatzbedarf neu anschafft.
Seltsamerweise aber treten viele Wachstumsgegner zugleich für eine Ausweitung staatlicher Aufgaben ein. Die Bewältigung öffentlicher Aufgaben wäre bei einem Null-Wachstum völlig unmöglich. Bei einem Null-Wachstum hätten wir, verglichen mit einem wirtschaftlichen Wachstum von 4 %, ein Weniger an Steuereinnahmen in Höhe von 410 Milliarden DM allein für die Zeit bis zum Jahre 1985. Ein Abbau der ungeheuren Staatsverschuldung, die für manche offenbar gar nicht sehr drückend ist, wie ich zugeben möchte, wäre dann natürlich völlig unmöglich. Es käme zu einem unerträglichen Verteilungsstreit. Eine Ausweitung des Staatsanteils würde zu tiefen Einschnitten bei den privaten Konsumansprüchen führen oder zu Lasten der privaten Investitionen gehen.
Der Zwang zum Wachstum bedeutet zwangsläufig aber auch einen höheren Energieverbrauch und stärkere Inanspruchnahme von Rohstoffen. Trotzdem gibt es gegen den Einsatz und die friedliche Nutzung der Kernenergie größte Widerstände. Bürgerinitiativen haben sich dabei hervorgetan, unterstützt von Politrockern und Rowdies, deren „Bürgersinn" auf das genaue Gegenteil der Maxime „Gemeinwohl geht vor Eigennutz" hinausläuft.
Wenn auch die Risiken, die von Kernkraftwerken ausgehen, technisch sicher niemals voll zu beseitigen sind, so ist doch sicher, daß die Risiken, die aus dem Verzicht auf den Einsatz von Kernenergie herrühren, höher einzuschätzen sind. Das gilt einmal im nationalen Bereich bei einer Verschärfung der Verteilungskämpfe. Es zeigt sich bereits jetzt, daß das soziale Klima sofort sehr viel frostiger wird, sobald soziale und sonstige Forderungen nicht - wie bisher - ohne weiteres aus dem Zuwachs der wirtschaftlichen Leistungen befriedigt werden können. Um so mehr gilt das natürlich, wenn dieser Zustand lange anhält, vielleicht sogar zu einem längerfristigen Rückgang des Bruttosozialprodukts in spürbarem Ausmaß führt.
Dasselbe gilt aber - noch vermehrt - für die Verteilungskämpfe auf internationaler Ebene. Die große Mehrheit der Menschheit wird nicht dulden, daß ein kleiner Teil der Weltbevölkerung die leicht zu handhabenden natürlichen Energiereserven der Welt für sich verbraucht, den Lebensstandard ständig verbessert, mindestens aber in etwa aufrechterhält, während ein großer Teil der Welt ständig ärmer wird. Aus diesem Grunde haben wir geradezu eine moralische Verpflichtung zur Nutzung unserer technischen Möglichkeiten.
({5})
Daß es auch anders geht als bei uns hier, zeigt am besten unser Nachbar Frankreich. Trotz ähnlicher demokratischer Grundstrukturen gibt es im westlichen Nachbarland Frankreich - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland - keine Stagnation im Kernenergieausbau. Vielmehr wird dort ein Kernenergieprogramm verfolgt, das der französischen Wirtschaft in zunehmendem Maße erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen wird.
Kürzlich hat sich der französiche Botschafter in der Bundesrepublik zu den Problemen der Kernenergienutzung in Deutschland und der deutschfranzösischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet geäußert. Fazit dieser Aussagen ist es, daß Frankreich mit großer Sorge die Schwierigkeiten der Deutschen beobachtet. Durch innenpolitische Diskussionen und administrative Hindernisse sei die Bundesregierung gehemmt, ihre auf dem Wirtschaftsgipfel in Tokio eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich der Einsparung von Öl zu erfüllen.
Herr Kollege Kraus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Ich habe zu wenig Zeit, um hier auf Zwischenfragen einzugehen.
({0})
Diese Stagnation, so der Botschafter, werde für Deutschland schwerwiegende Folgen haben, denn Nuklearenergie sei nicht nur ein Mittel, um sich vom Erdöl unabhängig zu machen, sondern auch eine äußerst zukunftsträchtige Industrie- und Exportbranche.
Auch in Deutschland hatte man einmal große Pläne. Was daraus geworden ist, ist zwischenzeitlich klar. Was wurde tatsächlich erreicht? Wir haben heute etwa 9 000 MW Kernenergiestrom am Netz und werden 1985 höchstens 17 000 MW am Netz haben. Jede Kilowattstunde Strom, die auf Grund der Nichtverfügbarkeit von Kernkraftwerken noch in Ölkraftwerken produziert werden muß, führt zu Brennstoffmehrkosten in Höhe von 10 Pf.
Frankreich dagegen hat seine Kapazitäten bestens ausgebaut. Frankreich realisiert sein eindrucksvolles Programm durch die massive Unterstützung des Staates, durch einen breiten Konsens aller politischen Kräfte, durch ein zentralisiertes und durch das Standardbau-Programm höchst rationelles Genehmigungsverfahren und durch ein sehr straff durchgeführtes Rechtsmittelverfahren. Übrigens hat auch der neue französische Präsident ausdrücklich erklärt, daß die in Bau oder in der Planung befindlichen Kernkraftwerke durchgeführt werden sollen.
Es stellen sich hier natürlich einige interessante Fragen: Sind etwa die Franzosen oder die Regierungen in anderen Nachbarländern leichtsinniger als wir in der Bundesrepublik? Sind sie technisch von vornherein so wesentlich besser, daß sie ohne Probleme auskommen? Oder sind es Leute, die potentielle Selbstmörder sind, die sich sozusagen selber vergiften und ihre Nachkommenschaft schädigen
wollen? Ich glaube, es handelt sich um Verantwortliche, die es eben verstehen, für sich und für die kommenden Generationen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auch in Zukunft in Wohlstand gelebt werden kann.
({1})
Einer der Hauptgründe für die Besorgnisse in einem Teil der Bevölkerung ist der Streit um die Entsorgung der Kernkraftwerke. Zunächst möchte ich feststellen, daß es nach dem Atomgesetz Aufgabe des Bundes ist, Endlagerstätten für atomare Abfälle zu schaffen.
Das Dilemma, in dem sich die deutsche Energiepolitik auf dem Gebiet der Entsorgung befindet, hat der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht treffend so ausgedrückt: Technisch machbar, politisch wegen der Zerstrittenheit der Verantwortlichen nicht durchsetzbar.
({2})
Man könne vor diesem Hintergrund von der Bevölkerung natürlich auch nicht erwarten, daß sie Vertrauen in das nukleare Entsorgungszentrum fasse. Vielleicht wäre die Problematik deutlicher zum Ausdruck gekommen, wenn Albrecht formuliert hätte: Technisch machbar, auch politisch durchaus durchsetzbar, wenn endlich alle politischen Kräfte in diesem Land an einem Strang ziehen ({3})
etwa so, wie es hier von einigen Rednern bereits in Aussicht gestellt worden ist.
Insbesondere die SPD in Niedersachsen, aber offenbar auch einige Kollegen hier haben in der Diskussion um das integrierte Entsorgungszentrum Gorleben massiv Gegenpropaganda betrieben und damit die Bevölkerung in einem Maß verunsichert, daß die niedersächsische Landesregierung bei der Durchsetzung des technisch realisierbaren Konzeptes bürgerkriegsähnliche Zustände befürchten mußte.
({4})
Das deutsche Konzept des integrierten Entsorgungszentrums über einem als Endlager geeigneten Salzstock der norddeutschen Tiefebene wurde weltweit als vorbildlich anerkannt.
Herr Kollege Kraus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Steger?
Bitte, schön. Es reicht vielleicht noch.
Herr Kollege Kraus, Sie reden so von Mut. Würden Sie diesem Hohen Hause bestätigen, daß der bayerische Ministerpräsident im Jahre 1979 der Deweka einen Brief geschrieben hat, in dem er es abgelehnt hat, die Frage nach einem Standort für eine Wiederaufarbeitungsanlage in
Bayern vor der Bundestagswahl 1980 überhaupt zu prüfen?
Das kann ich nicht bestätigen, weil ich das nicht weiß. Ich weiß nur, daß der bayerische Ministerpräsident bzw. die bayerische Staatsregierung derzeit dabei ist,
({0})
das Verfahren zur Auffindung eines geeigneten Standortes für eine Wiederaufbereitungsanlage durchzuführen. Das ist in vollem Gange.
({1})
Das deutsche Konzept des integrierten Entsorgungszentrums über einen als Endlager geeigneten Salzstock der norddeutschen Tiefebene wurde weltweit als vorbildlich anerkannt. Das technische Konzept kann, das hat auch das Gorleben-Hearing ergeben, als realisierbar betrachtet werden, wenn auch im Detail noch Änderungen und technische Entwicklungsarbeiten erforderlich sind. Leider ist es jedoch der Bundesregierung - ich sagte es schon - nicht gelungen, in den Koalitionsparteien einen Konsens über die rasche Verwirklichung dieses Konzepts zu erzielen.
({2})
- Kommen Sie doch hierhin, ich verstehe Sie so schlecht. Ganz einfach, Herr Hirsch. Er redet dauernd dazwischen, man versteht ihn aber kaum.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch, Herr Kollege Kraus?
Ja.
Herr Kollege, ich wollte nur wissen, ob Sie dem Hohen Hause verraten könnten, wo die von Ihnen angekündigte Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern hinkommt, ob sie vielleicht nach München kommt.
({0})
Es gibt viele kleine Tricks, es gibt miese Tricks, und einer der miesesten ist natürlich, das hier so zu fragen.
({0})
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß hier ein Verfahren durchgeführt wird, bei dem der geeignete Standort in Bayern gesucht wird. Auch wenn ich wüßte, wo er wahrscheinlich hinkommt, würde ich das selbstverständlich hier nicht sagen.
({1})
Was wäre denn die Folge? Die Abteilung „schmutzige Dienste" würde sofort zur Verhinderung genau der Dinge, die zu tun sind, in Bewegung gesetzt werden.
({2})
- Sie würden wahrscheinlich aktiv mitarbeiten, wie ich Sie kenne.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die Atomkraft ist jedenfalls billiger als die Energieproduktion der Kohlekraftwerke. Die schweren Umweltschäden durch schwefelhaltige Abgase werden vermieden.
Für uns ist die Energiekrise kein blinder Alarm. Beim bisherigen Tempo der Entwicklung werden die gewinnbaren Vorräte an Erdöl und Erdgas in wenigen Jahrzehnten bei wachsenden Förderungskosten erschöpft sein. Es ist die Feigheit der Instanzen vor ihren eigenen Kompetenzen, die uns nicht nur in der Energiewirtschaft in eine so heillose Lage zu manövrieren droht.
({3})
Unausweichlich ist, daß die Regierenden regieren. Das ist ihre Aufgabe. Wir sind der Meinung, daß damit angefangen werden sollte. Sie müssen wirklich wieder im Sinne von Regieren tätig werden, vor allem dann, wenn sie vorgeben - das wurde heute schon einige Male gesagt -, zu wissen, worum es geht.
Die Risiken der Kernkraftwerktechnik sind nach unserer Auffassung beherrschbar. Sie sind geringer als die Gefahren vieler großtechnischer Anlagen. Ihr Einsatz verhindert den Ausbruch drohender nationaler und internationaler Verteilungskämpfe und ist damit auch ein wichtiges Instrument zur Bewahrung des Weltfriedens.
({4})
Das Wort hat der Herr Kollege Stockleben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bewundere zwar den Mut von Herrn Kraus, aber - wissen Sie - wenn das gesamte Parlament sich seine Aufgabe der Befassung mit der Kernenergie so leicht gemacht hätte, wie Sie das hier getan haben, dann hätten wir es in der Tat nicht mit einer inzwischen - zumindest seit der Einsetzung der Enquete-Kommission - zunehmend versachlichten Diskussion zu tun,
({0})
sondern dann wäre es eine Diskussion nach der Art von Politrockern.
Bei Ihnen konnte man nicht den Eindruck haben, daß Sie zur Versachlichung dieses Themas beitragen wollten, sondern daß Sie bereits die Erkenntnis haben, daß wohl alle Fragen, die im Rahmen der Kernenergienutzung gestellt und beantwortet werden müßten, von Ihnen schon beantwortet werden können. Sie kommen mir vor wie ein Bankenvertreter im Aufsichtsrat, der seine Qualifikation nur damit begründet, daß er immer wieder die Frage nach der Kapitalrücklaufzeit stellt. Sich so hierhin zu stellen, reicht heute weder im Aufsichtsrat noch in der Politik aus.
Ich darf Ihnen dazu aber folgendes sagen: Die CDU/CSU-Fraktion hat im Februar 1978, als mein Kollege Ueberhorst hier noch engagiert für die Einsetzung der Enquete-Kommission kämpfte, in einer Presseverlautbarung davon gesprochen, daß diese Enquete-Kommission ausschließlich dem Ziel einer Verzögerung der zu lösenden Fragen und Aufgaben dienen sollte und daß die Opposition die Einsetzung dieser Kommission nur als Ausdruck der Entscheidungsunfähigkeit dieser Regierung ansehe. Zudem gebe es überhaupt keine neuen Erkenntnisse, die die Bildung einer derartigen Kommission rechtfertigten. Sehen Sie sich jetzt den Zwischenbericht und das, was dort geleistet wurde, doch einmal an. Dann werden Sie doch Lügen gestraft. Das wissen Sie doch sehr gut.
Wenn Sie in die Lage kämen - und mein Kollege Schäfer sagte das vorhin -, einen Konsens in Fragen der Kernenergie herstellen zu müssen, dann gäbe das für Sie ein böses Erwachen.
Nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, daß Überkapazitäten in der Energie- und insbesondere in der Stromversorgung - auch von Kernkraftwerken, der Energiewirtschaft nicht nützlich sind, sondern daß auch hier Überkapazitäten zu einer Verschlechterung der Betriebsergebnisse, der Ertragslage insgesamt führen können. Wenn Sie meinen, jedes Jahr zwei oder mehr Kernkraftwerke hinstellen zu müssen, dann sagen Sie bitte auch deutlich: Ich bin der Meinung, daß das, was die Landesregierung in Niedersachsen vorhat, nämlich auf dem Wärmemarkt bevorzugt Strom aus Kernenergie einzusetzen, falsch ist. Wir müssen den Weg gehen, den Heizenergiemarkt jetzt verstärkt mit Fernwärme zu versorgen. Das werden wir tun.
Ich darf Ihnen auch versichern, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - und wir sind uns hier auch mit der FDP einig - dafür sorgen wird, daß das, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung angesprochen hat, nämlich, verstärkte Nutzung der Fernwärme und die Lösung der Frage der Wiederaufbereitung und der Frage der Entsorgung Priorität erhalten.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Antrag, den Sie hier vorgelegt haben. Sie haben mit dem Antrag 9/441 einen Antrag vorgelegt, dem wir durchaus zustimmen könnten, wenn Sie in der Begründung nicht wieder sagten:
Die kritische energiepolitische Situation erfordert jetzt klare Entscheidungen. Es besteht die Gefahr, daß durch Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission die notwendigen Entscheidungen weiter hinausgeschoben werden.
({1})
Sie sehen die Gefahren, die im Energiebereich bezüglich der Sicherheit entstehen, nicht. Sie sehen vielmehr auch heute wieder die Problematik allein in der Einsetzung der Enquete-Kommisssion. Das hat doch auch dazu geführt, daß Sie ihre Probleme mit den Sachverständigen hatten.
({2})
Ich bitte Sie wirklich ganz herzlich: Wenn Sie es ehrlich meinen mit der Gemeinsamkeit in der Energiepolitik, dann müssen Sie zu mehr Sachlichkeit kommen, auch hier im Parlament. Die jungen kritischen Bürger draußen, die wollen nicht diese Polemik; sie wollen Antworten. Die jungen Bürger sind sehr wohl in der Lage, ihre Fragen zu präzisieren. Aber wir haben heute Schwierigkeiten, diese Fragen präzise zu beantworten, und weichen vielfach in den Bereich der Polemik aus. Die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" soll dabei helfen, Antworten zu finden und einen breiten Konsens herzustellen.
Ich darf in diesem Zusammenhang einmal an etwas erinnern, was mein Kollege Reinhard Ueberhorst gesagt hat: Die Kommission wird das Ohr dort haben, wo Wünsche, wo Anliegen, wo Hoffnungen zwischen Mülheim und Gorleben ausgesprochen werden. Ich sage heute nicht „zwischen Mülheim und Gorleben", sondern zwischen Kalkar und Volkmarsen.
Diese Fragen müssen wir aufgreifen. Hier müssen wir mit dem Bürger reden. Wenn ich mir die kurze Zeit, die bis zur Erstellung des Zwischenberichts vergangen ist, in dem wir viele Antworten gegeben haben, einmal vorstelle und den Termin, den wir uns für den Endbericht der Enquete-Kommission gesetzt haben - Erstellung dieses Berichts bis zum übernächsten Jahr - betrachte, dann meine ich, daß die Einsetzung dieser Kommission keine Verzögerung bedeutet, sondern eine nachhaltige Unterstützung unserer Regierungspolitik insgesamt.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben hier gestanden und versucht, mit uns den Dialog über Technologiefolgenabschätzung zu führen, und waren enttäuscht, als es nicht dazu kam, hier im Deutschen Bundestag Bürokratien und Institutionen zu schaffen. Ich muß Ihnen sagen: Meine Erfahrung hat gezeigt, daß dieses nicht durch Institutionen allein zu schaffen ist. Hier bedarf es vielmehr eines breiten Dialogs. Die Enquete-Kommission ist hierfür das richtige Instrument. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, indem wir die Einsetzung der Enquete-Kommission unterstützen. Der Fachausschuß für Forschung und Technologie wird dabei federführend sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen. Sie haben in Ihrer Begründung mit Blick auf die EnqueteKommission von einer Gefahr gesprochen. Wir bewerten dies so, daß Sie nicht bereit sind, aus voller Überzeugung und genügend sachlich in der Enquete-Kommission mitzuarbeiten. Wir müssen bei Ihnen immer wieder das Gefühl haben, daß Sie meinen, Ihnen sei etwas aufgezwungen worden.
Wenn es ein Problem in der bundesrepublikanischen Landschaft gibt, dann sicherlich das Problem der Energieversorgung und ihrer Großtechnologie. In diesem Zusammenhang ist auch das Verständnis der jüngeren Generation für diese schwierigen Aufgaben zu nennen. Hier sind viele Probleme in einem zusammengefaßt. Ich meine, daß wir an dieser Stelle deutlich machen können und sollen, daß wir als Parlament durchaus in der Lage sind, diese Fragen anzugehen und sie einer sachlichen Entscheidung zuzuführen. Das, was wir als Sozialdemokraten dazu beitragen können, werden wir tun.
Ich möchte Ihnen aber heute schon sagen, daß wir auch von der Industrie erwarten, daß sie hinsichtlich der Finanzierungsprobleme nicht versucht, auf dieses Parlament Druck auszuüben, wenn es um die Inbetriebnahme des SNR 300 geht. Darüber wird momentan verhandelt. Ich appeliere von dieser Stelle an die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, in verstärktem Maße einen finanziellen Beitrag zu leisten. Es kann nicht angehen, daß wir viele wichtige Forschungsaufgaben nicht mehr wahrnehmen können, weil der Schnelle Brüter uns so viel Finanzvolumen aus dem Haushalt nimmt und deshalb von dieser Seite her auch erheblicher Druck in der Öffentlichkeit gegen den Schnellen Brüter erzeugt wird. - Schönen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, ehe ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich gern eine Mitteilung machen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung, die bereits heute morgen um einen Punkt ergänzt wurde, um weitere zwei Beratungspunkte ergänzt werden. Die beiden Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte zur Tagesordnung - Stand von heute, 13 Uhr - unter den Ziffern 2 und 3 aufgeführt. Es handelt sich um die Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und SPD betreffend Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutsche Welle" - Drucksache 9/510 - und um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betreffend Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk" - Drucksache 9/511 -. Ist das Haus mit dieser Ergänzung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es entsprechend beschlossen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Zywietz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und und Herren! Es war im Rahmen dieses kleinen Probelaufs zur Debatte über die dritte Fortschreibung des Energieprogramms schon einigermaßen verräterisch, daß Sie, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Riesenhuber, den Beginn der Energiepolitik, der Energieprogrammatik auf das Jahr 1977 beziffert haben. Richtig daran kann nur sein, daß Sie, die Union, die Opposition, Ihr erstes Energieprogramm im Jahre 1977 verabschiedet haben. Um es ein bißchen salopp zu sagen: Das war in der Halbzeit; nachdem die Koalition und die FDP bereits bei der zweiten Fortschreibung waren, sind Sie sozusagen überhaupt erst an den energiepolitischen Start gegangen.
({0})
- Möglicherweise war es auch noch ein Fehlstart.
Auf jeden Fall haben Sie noch nicht soviel Training
mitgebracht, um die Rolle des energiepolitischen Lehrmeisters einzunehmen, die von Ihnen als Opposition hier einzunehmen versucht worden ist. Dieser Versuch ist nach meinem Eindruck aber nicht sonderlich gelungen.
({1})
Neben dieser zeitlichen Fehleinschätzung, was die Energiepolitik anbelangt, unterliegen Sie, so möchte ich meinen, auch einer sachlichen Fehleinschätzung, was die Rolle, die Aufgabe und die Notwendigkeit der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" anbelangt. Sie haben hier die Sorge geäußert, als könnte dadurch der weitere Ausbau der Kernenergie behindert oder gar verhindert werden. Wir sehen in dieser Enquete-Kommission eine hilfreiche Einrichtung, die dieses Haus bei der Meinungsbildung unterstützt. Wir erwarten, daß diese Enquete-Kommission hilfreiche Arbeit für den Dialog mit dem Bürger und damit letztlich für die Akzeptanz der Kernenergie in der breiten Bevölkerung leistet.
({2})
Ich meine, daß wir in der gesamten Energiepolitik sehr darauf angewiesen sind, diesen Dialog mit den Bürgern weiterzuführen, und daß wir, was die Umsetzung der Energiepolitik und speziell der Kernenergiepolitik anlangt, sehr auf die Kooperation mit den einzelnen Bundesländern angewiesen sind. Beides erscheint mir außerordentlich wichtig. Ich meine, daß bei Ihnen diese Dialog-Notwendigkeit reichlich zu kurz gekommen ist. Dabei denke ich insbesondere an Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden eines großen Energieunternehmens, der VEBAAG, des Herrn Dr. Benningsen, der erst kürzlich in einem nach meinem Dafürhalten bemerkenswerten Beitrag Selbstkritik geübt hat an der verfehlten „Kernenergie-ja-nein-Schnelldiskussion": „Bist du dafür oder dagegen?" und auch an der verkehrten Art der Darstellung seitens der Elektrizitätsversorgungsunternehmen, für die Kernenergie zu werben. Das ist in einem nach meiner Meinung in der Tat lesenswerten Vortrag nachzulesen, der in diesem Jahr vor dem Deutschen Atomforum von einem besonderen Kenner der energiepolitischen Szene gehalten worden ist.
({3})
Natürlich bedarf es nicht dieser drei Anträge, die auch sinnigerweise alle die gleiche Begründung tragen, um uns erneut - und zum wievielten Male eigentlich hier? - zu einem Bekenntnis zur Kernenergie zu bringen. Das ist doch in diesem Hause in mehreren Debatten, in Großen und Kleinen Anfragen und in zwei Fortschreibungen eines Energieprogramms geschehen. Das brauchen wir uns nicht erneut abfragen zu lassen, und das brauchen wir Ihnen nicht erneut zu bestätigen. Wir haben Kernenergie, und wir haben diverse Male - letztlich in der Regierungserklärung - gesagt, daß der bedingte Ausbau weitergeführt wird. Sicher wissen wir, daß Kohle und Kernkraft nötig sind für die Stromerzeugung. Selbst wenn auch die Zuwachsraten sehr viel bescheidener ausfallen mögen als in der Vergangenheit, wird ein begrenzter, bedingter Ausbau wohl nötig sein.
Wenn wir alle der Meinung sind - ich habe das heute hier auch gehört -, daß Öl und Gas aus der Verstromung herausgenommen werden sollen, so wird ein gewisser Substitutionsbedarf durch andere Energieträger zu decken sein, und das können - im Klartext - nur Kernkraft und Kohle sein. Von daher besteht also nicht der große Dissens, der hier hin und wieder versucht wird. Nur die Bedingungen und die Menge sind schon die Diskussion wert. Da bleibt es dabei, daß die Entsorgung auf den Weg gebracht wird.
Ich frage Sie: warum freuen Sie sich so über den Antrag, daß in Hessen ein Standort benannt wird? Tun Sie mehr dafür, daß die Entsorgung in Niedersachsen vorangebracht wird, wo Sie die Mehrheit haben. Dann ist das eine schlüssige Politik, und Sie brauchen hier nicht zu fragen, was die Koalition für die Entsorgung, für die Erfüllung der Bedingungen tut. Sie haben in vielen Bundesländern, wo Sie das politische Sagen haben, mit einer eindeutigen Mehrheit beste Gelegenheit, diese Ihre Absichten konkret unter Beweis zu stellen. Sie könnten in Bayern weiter sein und in Niedersachsen, was die Realisierung der Entsorgung anlangt, schon ein gutes Stück weiter.
({4})
Dann brauchten wir uns über manches nicht zu unterhalten. Sie haben gesagt, der politische Wille sei das Entscheidende. Nutzen Sie doch den politischen Willen in Niedersachen! Da haben Sie doch die Mehrheit.
({5})
- Wozu brauchen Sie uns, wenn Sie die Mehrheit haben? Machen Sie doch das, was Sie richtig finden. Sie bezweifeln bei der Koalition zum dutzendenmal den politischen Willen und das Durchsetzungsvermögen. Beweisen Sie den politischen Willen, beweisen Sie das Durchsetzungsvermögen dort, wo Sie einen aktiven Beitrag zur Entsorgung realisieren können! Dann ist das alles sehr viel besser.
Was die Bedingungen und das Verfahren anlangt, unter denen wir Kernkraftwerke realisieren können, können wir uns vielleicht noch ein bißchen austauschen. Ich empfinde es schon mehr als nur störend, Herr Dr. Riesenhuber, wenn Sie bei der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht von „Luxusdebatte" sprechen, wenn Sie heute die Vokabel „AlibiDebatte" benutzen, wenn Herr Strauß bei der Debatte über die Regierungserklärung sagt: Ihr müßt euch da über die kleinkarierten Einwände innerhalb der Parteien hinwegsetzen. Bei der Kalkar-Debatte wurde vor vier Jahren gesagt, Anweisen sei die Devise. Das sind alles Slogan-Bildungen, die in die gleiche Richtung gehen, nämlich eine Geringschätzung des Bürgerwillens darstellen
({6})
und irgendwo ein etwas schieflastiges Demokratieverständnis zeigen. Ich möchte das hier in aller Deutlichkeit sagen.
Natürlich wissen wir, daß Energierisiken, was die weltweite Betrachtung anlangt, zugenommen haben, daß man nicht immer von Optionen leben kann. Aber ich sage auch: Bei niemandem ist das Licht ausgegangen, keiner in diesem Staat hat bisher nicht die Energie, die er benötigt, zu vernünftigen Konditionen bekommen, und es kann auch niemand sagen, wir hätten eine verantwortungslose Energiepolitik betrieben, die bald ganz anders gemacht werden müsse. So die Diktion Ihrer Äußerungen.
({7})
Wir haben viele Projekte gefördert. Im Bereich der Entsorgung kann sich Herr Dr. Albrecht in Niedersachsen über mangelnde Unterstützung durch dieses Haus und diese Regierung nicht beklagen. Was den Hochtemperaturreaktor und den Schnellen Brüter anlangt, kann man sich auch nicht über deren finanzielle Förderung beklagen. Man könnte aber darüber nachdenken, ob nicht die Industrie, die hier einen Auftrag hat, etwas mehr tun müßte. Sie hat j a nicht nur den Auftrag, die Energieversorgung sicherzustellen, sondern sie spricht in ihren Broschüren auch davon, daß sie die Pflicht habe, Investitionen vorzunehmen. Wer das so sieht, der hat auch die Pflicht, auf eigene Rechnung Forschung zu betreiben. Die Industrie hat j a auch eine gute Methode, um ihre Kosten über den Strompreis vom Bürger zurückerstattet zu bekommen. Das heißt: die Branche, die damit Geld verdient, muß auf eigene Rechnung sehr viel mehr Forschung betreiben, als sie es bisher getan hat. Das sind Aufgaben, die nicht, zumindest nicht in dem Ausmaß wie bisher, einfach dem Staat zugeordnet werden dürfen.
Ich muß leider, weil ich hier ein Zeichen sehe, einige Stichworte, die ich gern noch aufgenommen hätte, überspringen. Lassen Sie mich nur noch zwei Punkte nennen. Herr Dr. Riesenhuber, wir sind uns darin einig: Energiesparen hat bei uns hohe Priorität und sollte am liebsten über den Markt geschehen. Aber warum haben Sie sich denn so sehr gegen die Mineralölsteuererhöhung gewandt? Das ist eine Methode, über den Preis zu Einsparungen zu kommen. Warum haben Sie in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern das Angebot, Fernwärme als energiesparende Methode zu nutzen, abgelehnt? Warum ist das geschehen? Das frage ich Sie ganz konkret.
({8})
Ist das die konsequente Umsetzung Ihrer energiepolitischen Zielsetzung?
Herr Kollege Zywietz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riesenhuber? - Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Heißt dies, daß ich dann nicht mehr zu antworten brauche?
Die von Ihrer Fraktion für Sie angemeldete Redezeit ist seit einer Minute zu Ende.
Wir haben bald eine Möglichkeit zur Fortsetzung dieser Diskussion, Herr Kollege.
({0})
Vielleicht darf ich noch einen Schlußsatz anfügen. Wer sagt: „Weg vom Öl" - das ist die Politik, die wir unterstützen -, der kann nicht einfach schlußfolgern: Das heißt, hin zur Kernenergie. Die Situation ist etwas differenzierter.
({1})
Wir haben uns hier nichts vorzuwerfen. Wir haben mit großer Umsicht Energiepolitik betrieben, und wir werden sie in der Zukunft fortsetzen. Sie haben heute keine konkreten, konstruktiven Anregungen gegeben, sondern sich in einige zusätzliche Widersprüche verwickelt.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bugl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zum Antrag 9/442: Fortgeschrittene Reaktorlinien. Darüber hinaus muß ich auf Grund des Verlaufs der Debatte natürlich auch, so meine ich, einiges andere klarstellen.
Das Energieprogramm der Bundesregierung beinhaltet neben der Nutzung der Leichtwasserreaktoren auch die Entwicklung der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien Schneller Brüter und Hochtemperaturreaktor. Schneller Brüter und Hochtemperaturreaktor sind langfristig für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik ebenso notwendig wie die Kernenergie selbst; denn die am Markt vorherrschenden Leichtwasserreaktoren nutzen - ungeachtet ihres wirtschaftlichen Vorteils im Vergleich zu Steinkohlekraftwerken - die Primärenergiequelle Uran nicht genügend aus. Bei Beschränkung des Kernkraftwerkzubaues in aller Welt auf Leichtwasserreaktoren würden die bekannten und die voraussichtlich vorhandenen Uranressourcen nur um wenige Jahrzehnte über die Erschöpfung der Erdöllagerstätten hinausreichen.
({0})
Der Schnelle Brüter, der während des Leistungsbetriebs mehr Spaltstoff produziert, als er verbraucht, kann diese zeitliche Begrenzung des Kernenergieeinsatzes um Jahrhunderte hinausschieben. Dies bedeutet, daß wir langfristig von Uranimporten unabhängig werden.
Herr Kollege Steger, auch hier lehrt uns ein Blick auf Frankreich die richtige Strategie. In Frankreich wird der dem SNR 300 vergleichbare SchnellbrüterPrototyp, der Phénix, mit einer Leistung von 160 MW seit 1973 erfolgreich betrieben.
({1})
Die Großanlage Super Phénix mit 1200 MW Leistung soll bereits im Jahre 1982 in Betrieb gehen. Frankreich hat also parallel zur Substitution von Erdöl durch den Bau von Leichtwasserreaktoren die als Ergänzung notwendige Entwicklung des Schnel2052
len Brüters so konsequent vorangetrieben, daß die Bundesrepublik auf diesem Gebiet jetzt zwischen zwölf und 15 Jahren zurückliegt,
({2})
dies, meine Damen und Herren, obwohl wir zur gleichen Zeit mit den Franzosen in den Startlöchern standen. Ich glaube, Herr Professor Laermann wird mir zustimmen: Das ist keinesfalls die Schuld unserer Wissenschaftler und Ingenieure, das ist auch nicht die Schuld unserer Wirtschaft, das ist einzig und allein die Schuld einer von der Bundesregierung zwar richtig erkannten, aber nicht durchgesetzten Energiepolitik.
({3})
Meine Damen und Herren, ebenso wichtig wie der Schnelle Brüter ist für unsere künftige Energieversorgung die Weiterentwicklung des Hochtemperaturreaktors.
({4})
Dieser Reaktortyp ermöglicht im Vergleich zum Leichtwasserreaktor nicht nur eine bessere Ausnutzung des Energieträgers Uran, sondern auch die wirtschaftliche Bereitstellung von nuklearer Energie für den Wärmemarkt. Herr Staatssekretär Stahl, ich glaube, wir stimmen überein: eine offensive Kohlepolitik einschließlich des Ausbaus der Kohleveredlung ist langfristig nur unter Einbeziehung des Hochtemperaturreaktors denkbar. Wir haben dies in unseren Anträgen zum Verbund Kohle und Kernenergie in diesem Hause mehrfach vorgetragen.
({5})
Daher ist die Fertigstellung und Inbetriebnahme des THTR 300 in Schmehausen von so zentraler Bedeutung für die Strukturverbesserung des Ruhrgebietes. Es wäre verhängnisvoll, wenn diese Einrichtung nach den vielen Verzögerungen durch das Genehmigungsverfahren nun durch finanzielle Schwierigkeiten erneut behindert würde.
({6})
Herr Kollege Schäfer, ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, das technisch Machbare müsse nicht immer auch das politisch Wünschbare sein. Wir als Politiker sind natürlich verpflichtet, die Folgen technologischer Entwicklungen im Hinblick auf gesellschaftliche Auswirkungen abzuschätzen, damit die Technik zum Nutzen aller eingesetzt werden kann. Meine Fraktion hat deshalb schon vor vielen Jahren eine technologische Folgeabschätzung im Deutschen Bundestag gefordert.
({7})
Leider ist das aber, Herr Kollege Steger, am Widerstand der Koalitionsparteien gescheitert.
({8})
Hätten Sie damals, Herr Kollege Steger, diesem Antrag zugestimmt, hätten wir heute eine Antwort auf eine Reihe von Fragen, die Sie jetzt stellen.
({9})
Herr Kollege Schäfer, wir von den Unionsparteien haben das Für und Wider der friedlichen Nutzung der Kernenergie immer sorgfältig abgewogen. Wie bei anderen politischen Entscheidungen haben wir im Gegensatz zu Ihnen, nachdem wir das Pro und Kontra ausdiskutiert hatten, ein klares Ja zur friedlichen Nutzung der Kernenergie gesagt,
({10})
ein klares Ja erstens, weil wir überzeugt sind, daß es zur friedlichen Nutzung der Kernenergie keine Alternative gibt, auch nicht in zehn Jahren - unsere Vertreter in der Enquete-Kommission haben dies deutlich gesagt -, und zweitens, weil wir überzeugt sind, daß Kernenergieanlagen sicher betrieben werden können. An dieser Aussage, Herr Kollege, ändern auch die Beschlüsse der alten und neuen Enquete-Kommission nichts.
Wer sich heute hier hinstellt und sagt, die bisherige Enquete-Kommission habe ja auch gegen das Votum der CDU/CSU-Vertreter zu einem Kompromiß geführt, dem möchte ich hier antworten: Was ist denn das für ein Kompromiß, dem nur wegen des breiteren politischen Konsenses zugestimmt wird, zu dem dann aber sogleich Gegner wie auch Befürworter der Kernenergie in persönlichen Erklärungen und Fußnoten feststellen, wie sie es denn nun tatsächlich mit der Gretchenfrage halten?
Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier davon gesprochen, daß Sie dem Zubau von Kernkraftwerken nach Bedarf zustimmen. Ich frage Sie: Hat das irgend etwas in Ihrer Partei bewirkt? Es war doch der gestern zurückgetretene Bürgermeister Klose, der mit seinem fadenscheinig begründeten Nein zu Brokdorf alle weiteren Vorgänge um das Kernkraftwerk Brokdorf erst ausgelöst hat, obwohl in einer Studie der Elektrizitätsversorgungsunternehmen nachgewiesen ist, daß wir selbst bei Annahme einer Stromzuwachsrate von 4 % noch Kernkraftwerke mit einer Grundlast von 11 000 MW bis 1991 zu bauen haben. Dieses Ziel kann eben nur dann erreicht werden, wenn Brokdorf und die nachfolgend geplanten Kernkraftwerke ohne Verzögerung termingerecht ans Netz gehen können.
({11})
Meine Damen und Herren, Bürgermeister Klose ist, wenn Sie so wollen, ein Opfer dieser für die Enquete-Kommission und für die Regierungskoalition so typischen Haltung geworden.
({12})
Matthias Walden trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf, wenn er heute in der „Welt" schreibt:
Die Regierenden am Rhein haben durch Halbherzigkeit dazu beigetragen, daß Klose sich mit
seinem Sträuben verstieg, verrannte und in die Ausweglosigkeit geriet.
In der Tat, die Mehrheitsbeschlüsse der EnqueteKommission haben zu Verunsicherung geführt. Wundern wir uns dann, daß in der Weiterentwicklung fortgeschrittener Reaktorsysteme eine finanzielle und eine sachliche Konfusion herrscht?
Herr Minister Bülow, Sie wundern sich über die mangelnde Bereitschaft der Elektrizitätswirtschaft, sich an der Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorsysteme zu beteiligen. Wie würden Sie denn handeln, wenn Sie auf dem Vorstandsstuhl eines deutschen Elektrizitätsversorgungsunternehmens säßen? Wer als verantwortungsbewußter Unternehmer die Ergebnisse der Enquete-Kommission wertet und die Aufgabenstellung der neuen Kommission, so wie sie uns heute vorgelegt wurde, in Betracht zieht, der muß im Interesse derer, deren Geld er schließlich verwaltet - das sind in diesem Falle auch Gelder der öffentlichen Hand - eine höhere Eigenbeteiligung in Frage stellen, denn er weiß ja im Falle des Schnellen Brüters z. B. gar nicht einmal, ob er diese Anlage jemals in Betrieb nehmen kann.
({13})
Aus diesem Grunde, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir in unserem Antrag formuliert:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Rahmen ihrer Kompetenzen die erforderlichen Entscheidungen im Genehmigungsverfahren für den Schnellen Brutreaktor einschließlich der Betriebsgenehmigung in eigener Zuständigkeit zu treffen, wie dies der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 8. August 1978 entspricht.
Herr Kollege Laermann, ich nehme an, daß Sie nach dem, was Sie hier heute gesagt haben, auch diesen unseren Antrag unterstützen können.
({14})
Man kann es nicht oft genug sagen: Auch die neue Enquete-Kommission ist überflüssig. Herr Reuschenbach, wir brauchen in der Tat Entscheidungen, und es ist traurig, daß diese neue Enquete-Kommission von den Koalitionsparteien dazu benutzt wird, wichtige andere parlamentarische Gremien in ihrer Arbeit zu behindern, indem Sie immer wieder alles vor sich herschieben und sagen: Darauf wird uns dann die Enquete-Kommission eine Antwort geben. So war es auch hier heute nachmittag.
Herr Kollege Schäfer, es ist Schlichtweg ein Skandal, daß der Unterausschuß Reaktorsicherheit und Strahlenschutz beim Innenausschuß bis heute noch nicht eingesetzt wurde.
({15})
Gerade die intensive parlamentarische Kontrolle der Genehmigungsbehörde halten wir im Interesse unserer Bürger für unverzichtbar.
({16})
Der vorliegende Antrag auf Drucksache 9/442 soll der Bundesregierung Gelegenheit geben, endlich die notwendigen Maßnahmen für die fortgeschrittenen Reaktorlinien -
Einen Augenblick, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, es ist kein gutes Bild, das das Haus im Augenblick abgibt. Es wird an allen Stellen laut geredet. Ich darf darum bitten, daß das Unterhalten etwas eingestellt wird, damit der Redner seine Rede ungestört vortragen kann.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident.
Der vorliegende Antrag - ich wiederhole das - soll der Bundesregierung Gelegenheit geben, endlich die notwendigen Maßnahmen für die fortgeschrittenen Reaktorlinien in die Wege zu leiten. Ich bitte Sie namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen, damit die Bundesregierung veranlaßt wird, das unbedingt Notwendige in die Wege zu leiten. Dies muß getan werden, und wir beantragen dazu eine namentliche Abstimmung. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir bleibt nur eine etwas melancholische Schlußbetrachtung der heutigen Debatte, in der es an sich um die Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik ging, in der aber die CDU erneut die alte und bekannte Leier gespielt hat, die Koalition sei zerstritten, es würden keine Entscheidungen getroffen und ähnliches mehr. Mein Kollege Reuschenbach ist darauf im einzelnen eingegangen.
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben heute Ihre Debattenstrategie so angelegt, daß Sie versucht haben, einen erfolgreichen Wildwestfilm zu kopieren. Sie haben sozusagen als eine Art rhetorischer John Wayne mit einem Feuerwerk von Platzpatronen den großen shoot out in der mainstreet versucht, indem Sie sich bemüht haben, ein Gesamtenergiekonzept aufzustellen - dem wir aber in vielen Teilen durchaus zustimmen können. Nur haben Ihre Mitspieler in diesem Film leider nicht so gespurt, wie Sie es wollten. Der nächste Redner war schon nicht mehr John Wayne, weder rhetorisch noch sachlich, sondern das war mehr Fuzzy, der Westernheld. Herr Kraus hat sich dann wohl in der Rolle besonders wohlgefühlt, die in Winnetou Band 2 dieser Old Wabble spielt, der auch immer im falschen Moment, auf dem falschen Bein stehend schießt. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, Herr Kraus, bestand Ihre Aufgabe im wesentlichen darin, Herrn Riesenhuber in allen wesentlichen Punkten zu widersprechen.
({0})
Sie haben die Kernenergie als einzigen Ausweg bezeichnet, wogegen Herr Riesenhuber ein breites Spektrum von allen möglichen zu ergreifenden energiepolitschen Maßnahmen aufgezeichnet hat. Ich
muß Ihnen bestätigen, Herr Riesenhuber: Wir sind bei Ihnen sehr viel näher als bei Ihren Kollegen von der CSU.
Wir haben uns andererseits lange und vergeblich gefragt, warum die CDU diese Enquete-Kommission ablehnt. Ihre Motive erscheinen mir nicht durchsichtig. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie haben vor der Enquete-Kommission mehr Angst als manche Bürger vor der Kernenergie. Deswegen empfehlen Sie uns hier einige Kampfanträge, die für sich genommen vielleicht zustimmungsfähig wären, für die Sie uns aber eine Begründung liefern - Herr Reuschenbach hat auch das im einzelnen ausgeführt -, die uns eine Zustimmung unmöglich macht.
Sie kennen die Geschäftsordnung des Bundestages genau: Eine Enquete-Kommission dient der Vorbereitung von Entscheidungen des Bundestages, wie sie etwa für die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters nach 1983/84 anstehen wird. Wir stehen zu der damals vereinbarten Linie, diese Entscheidung des Deutschen Bundestages sorgfältig vorzubereiten. Darum werden wir Ihre Kampfanträge hier ablehnen, weil sie Unterstellungen gegenüber der Enquete-Kommission enthalten, die wir als völlig ungerechtfertigt ansehen.
({1})
Ich will die Debatte hier nicht verlängern. Meine Vorredner haben darauf hingewiesen, wie unzulässig es ist, uns hier das französische Modell zu empfehlen. Sie sollten wirklich einmal sehr sorgfältig, Herr Stavenhagen und vor allen Dingen Herr Kraus, studieren, was etwas intelligentere Unternehmer zum Thema Energie gesagt haben, etwa Herr von Benningsen oder Herr Buddenberg. Ich habe immer noch den Eindruck: Sie benutzen die Argumente von vorgestern; Sie haben in der ganzen Kernenergiedebatte nichts dazugelernt.
({2})
Sie sind jetzt stinksauer, weil Sie in der letzten Enquete-Kommission in eine hoffnungslose Minderheitenposition geraten sind. Deswegen wollen Sie Sachverständige, die Ihnen nicht linientreu genug waren, auswechseln. Aber ich kann Ihnen versichern: Auch in der neuen Enquete-Kommission wird es Ihnen nicht erspart bleiben, einiges Gehirnschmalz in die Fragen zu stecken, die in dem Arbeitsauftrag der Kommission aufgeworfen werden.
({3})
Wenn Sie keine Antworten auf die dort aufgeworfenen Fragen kriegen, werden Sie zwar weiter forsche Sprüche klopfen,
({4})
aber in der praktischen Energiepolitik werden Sie nichts bewegen. Sie werden nichts dazu beitragen, ganz im Gegensatz zu dem, was wir in den letzten fünf, sechs Jahren auf die Herausforderung durch die Energiekrise haben bewirken können. Dazu haben Sie keine Alternative. Sie werden sie auch dann
nicht entwickeln, wenn Sie diese Verweigerungsstrategie gegenüber der Kernenergie weiter fortsetzen. - Schönen Dank.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich darf die Damen und Herren bitten, Platz zu nehmen, damit die Abstimmungslage besser überschaubar ist.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den unter Tagesordnungspunkt 7 a aufgeführten Antrag der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU betreffend zukünftige Kernenergiepolitik/Ausbau der Kernenergie - Drucksache 9/440 -. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe zur Abstimmung den unter Tagesordnungspunkt 7 b aufgeführten Antrag der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen und anderer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU betreffend zukünftige Kernenergiepolitik/Entsorgung - Drucksache 9/441- auf. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe abweichend von der Reihenfolge der Tagesordnung Punkt 7 d auf: Antrag der Fraktionen der SPD und FDP betreffend Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik", verzeichnet auf der Drucksache 9/504. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke sehr. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7 c: Antrag der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Gerstein, Dr. Stavenhagen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU betreffend Zukünftige Kernenergie-Politik, Fortgeschrittene Reaktorlinien, verzeichnet auf der Drucksache 9/442. Von der antragstellenden Fraktion ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 480; ungültige Stimmen keine; mit Ja haben gestimmt 218; mit Nein haben gestimmt 262; enthalten hat sich niemand.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 478; davon
ja: 217
nein: 261
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. van Aerssen
Dr. Althammer Amrehn
Dr. Arnold
Dr. Barzel
Vizepräsident Leber
Bayha
Frau Benedix-Engler
Frau Berger Biehle
Dr. Blüm
Böhm ({0})
Dr. Bötsch Bohl
Borchert
Braun
Broll
Brunner
Bühler ({1})
Burger
Carstens ({2})
Clemens
Conrad ({3})
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke
Deres
Dörflinger Dr. Dregger Eigen
Engelsberger
Erhard ({4}) Eymer ({5})
Dr. Faltlhauser Feinendegen Fellner
Frau Fischer Fischer ({6})
Francke ({7})
Ganz ({8})
Frau Geier Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({9})
Gerstein
Gerster ({10})
Glos
Dr. Götz
Günther
Haase ({11})
Dr. Hackel Dr. Häfele Hanz ({12})
Hartmann Hauser ({13})
Hauser ({14})
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath von der Heydt
Freiherr von Massenbach Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Frau Hoffmann ({15})
Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn
Jäger ({16})
Jagoda
Dr. Jahn ({17})
Dr. Jentsch ({18})
Dr. Jobst
Jung ({19})
Kalisch
Dr. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Kittelmann
Dr. Klein ({20}) Klein ({21})
Dr. Köhler ({22}) Köster
Dr. Kohl Kolb
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn Kunz ({23})
Dr. Kunz ({24}) Lamers
Dr. Lammert Lampersbach
Landré
Dr. Langner
Dr. Laufs Lenzer
Link
Linsmeier Lintner
Lorenz
Louven
Lowack
Maaß
Magin
Dr. Marx
Dr. Mertes ({25}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({26}) Müller ({27})
Müller ({28})
Nelle
Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann
Dr. Pohlmeier Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({29})
Röhner
Frau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith
Rühe
Ruf
Sauer ({30})
Sauer ({31})
Sauter ({32}) Sauter ({33}) Dr. Schäuble
Schartz ({34})
Schmitz ({35}) Schmöle
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder ({36}) Schröder ({37})
Schröder ({38}) Dr. Schulte ({39}) Schulze ({40})
Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seiters
Sick
Spilker
Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({41}) Graf Stauffenberg
Dr. Stercken
Straßmeir Stücklen Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogt ({42})
Volmer
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({43})
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer ({44})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Baron von Wrangel Würzbach
Dr. Wulff Zierer
Zink
Nein
SPD
Amling
Antretter Dr. Apel Auch
Baack
Bahr
Bamberg
Becker ({45}) Bernrath
Berschkeit Biermann Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({46}) Börnsen
Brandt ({47})
Brück
Büchler ({48})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Collet
Coppik
Dr. Corterier Curdt
Daubertshäuser
Dr. Diederich Dreßler
Dr. Dübber Duve
Egert
Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Esters
Ewen
Feile
Fiebig
Fischer ({49}) Fischer ({50}) Franke ({51})
Frau Fuchs Gansel
Gerstl ({52})
Dr. Geßner Gilges
Ginnuttis
Gnädinger Gobrecht
Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haase ({53}) Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Heistermann Herberholz Herterich Heyenn
Hoffmann ({54}) Hofmann ({55})
Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Huonker
Ibrügger
Immer ({56}) Jahn ({57})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jungmann Kiehm
Kirschner
Klein ({58})
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Kretkowski
Dr. Kreutzmann
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leber
Lennartz
Leonhart
Frau Dr. Lepsius Leuschner
Dr. Linde
Löffler
Frau Luuk Männing
Mahne
Marschall Matthöfer
Meinike ({59}) Meininghaus
Menzel
Vizepräsident Leber
Dr. Mertens ({60})
Dr. Mitzscherling
Möhring
Müller ({61})
Müller ({62})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({63}) Neumann ({64})
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Pensky
Peter ({65})
Polkehn
Poß
Purps
Rapp ({66})
Rappe ({67}) Rayer
Frau Renger Reschke
Reuter
Rohde
Roth
Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer ({68}) Schätz
Dr. Scheer Schirmer Schlaga
Schlatter Schluckebier
Frau Schmedt ({69}) Dr. Schmidt ({70}) Schmidt ({71}) Schmidt ({72})
Frau Schmidt ({73}) Schmidt ({74}) Schmidt ({75}) Schmitt ({76})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schreiber ({77}) Schreiner
Schröder ({78})
Dr. Schwenk ({79}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl ({80})
Dr. Steger Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stockleben Stöckl
Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm
Topmann Frau Traupe
Dr. Ueberschär
Urbaniak Vogelsang
Voigt ({81})
Vosen
Waltemathe Walther
Wartenberg ({82}) Wehner
Weinhofer
Weisskirchen ({83}) Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({84}) Wiefel
von der Wiesche
Wimmer ({85}) Wimmer ({86}) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram ({87}) Wrede
Würtz
Wuttke
Zander
Zeitler
Frau Zutt
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bergerowski
Frau von Braun-Stützer Bredehorn
Cronenberg Eimer ({88})
Dr. Feldmann
Frau Fromm Funke
Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher Grüner
Dr. Hirsch Hölscher Hoffie
Holsteg
Hoppe
Jung ({89})
Kleinert
Dr. Graf Lambsdorff
Frau Matthäus-Maier Merker
Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Popp
Rentrop
Rösch
Dr. Rumpf Schmidt ({90})
von Schoeler
Frau Schuchardt
Dr. Solms Timm
Dr. Vohrer Dr. Wendig
Wolfgramm ({91}) Wurbs
Dr. Zumpfort
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({92}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat"
- Drucksachen 9/310, 9/411 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Karwatzki
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das Wort wird nichtgewünscht. - Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit auf Drucksache 9/411, eine Enquete-Kommission einzusetzen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke sehr. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Es ist antragsgemäß beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten ({93})
- Drucksache 9/26 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({94}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 9/508 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({95}) Grobecker
Dr. Zumpfort
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({96})
- Drucksache 9/429 Berichterstatter:
Abgeordnete Bahner Lutz
Schmidt ({97})
({98})
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? - Ich sehe, daß das nicht der Fall ist. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der dritte und, wie ich hoffe, endlich erfolgreiche Versuch, für die selbständigen Künstler und Publizisten in diesem Lande eine eigenständige soziale Sicherung aufzubauen,
({0})
ihnen etwas zu geben, was für die Richter, für die Arbeiter, für die Angestellten, für die Beamten, für die Soldaten, für die Rechtsanwälte und für die Ärzte in diesem Lande längst eine Selbstverständlichkeit ist.
({1})
Dies ist zugleich auch die dritte Legislaturperiode, in der der Deutsche Bundestag das versucht. Und es ist zugleich das dritte Mal - ({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Es ist unmöglich, dem Redner zu folgen. Ich bitte Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen fortzusetzen.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Meistens sind wir Sozialpolitiker unter uns und hören dann aufmerksam zu.
Es ist zugleich das dritte Mal, daß die Koalitionsfraktionen in ihrem Bemühen um eine vernünftige gesetzliche Regelung von der Opposition im Stich gelassen werden. Sie, meine Damen und Herren von der CDU und CSU, üben sich wieder einmal in der Rolle der Verweigerer vom Dienst und bringen sich so in angenehme Erinnerung bei den Vermarktern. Ich bin immer wieder verblüfft, wie ausdauernd herzlos Sie auf die vielfältigen Bitten der Verbände der Künstler und Publizisten reagieren, wie taub Sie sich stellen, wie uninteressiert Sie sich geben. Es gibt nur eine Erklärung dafür, und die liegt in Ihrem ohnehin gespaltenen Verhältnis zu Kunst und Kultur. Und das ist sicherlich in dieser Legislaturperiode nicht allein zu beklagen. Meine Kollegen von der FDP und wir Sozialdemokraten würden Ihnen ja gern beim Künstlersozialversicherungsgesetz aufs Pferd helfen, weil es gut wäre, wenn das Parlament den sozialen Schutz der selbständigen Künstler und Publizisten einvernehmlich beschließen würde.
({0})
Aber Sie lassen sich ja nicht helfen und bleiben ein weiteres Mal bei Ihrer Politik des sturen Nein.
({1})
Sie werden viel Druckerschwärze und viel Stimmaufwand daransetzen müssen, um Ihre Verweigerungspolitik zu rechtfertigen, und es wird Ihnen der Versuch nicht abgenommen werden, sich hinter angeblichen Verfassungsbedenken zu verstecken.
({2})
Merken Sie sich eines: Das Drohen mit Karlsruhe ist kein Ersatz für politisches Handeln!
({3})
Im Gegenteil: Es ist eher ein Indiz der eigenen Substanzlosigkeit und Sterilität.
({4})
Wir von der Koalition leugnen nicht, daß mit diesem Gesetz Neuland betreten wird. Wir bezweifeln nicht, daß trotz allen Mühens ein verfassungsmäßiges Restrisiko verblieben ist. Dieses Restrisiko kann uns aber niemand abnehmen.
({5})
Wie Sie an einem heutigen Urteil gesehen haben, liegen wir durchaus richtig.
({6})
Nichts zu tun und die Künstler und Publizisten weiterhin ohne jeden sozialen Schutz zu belassen, wie er für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung längst schon eine Selbstverständlichkeit ist, das ist in einem gewissen Umfang - lassen Sie mich das sagen - schändlich. Auch ein Gang nach Karlsruhe wird an der Tatsache nichts ändern, daß die Künstlersozialabgabe keine Steuer und keine Abgabe, sondern ein Sozialversicherungsbeitrag ist.
({7})
- Sie können sich ja nachher melden. Die Weisheit unserer Geschäftsführer zwingt mich zu schnellem Reden.
Auch der Gang nach Karlsruhe wird nicht mehr erbringen als die Erkenntnis, daß bei allen Besonderheiten des Gesetzes die Interessenidentität zwischen Abgabepflichtigen und Versicherungsbegünstigten gegeben ist. Der Gang nach Karlsruhe - sollte er je eingeschlagen werden - wird zeigen, daß der Gesetzgeber seinen Gestaltungsrahmen ausgefüllt, aber nicht überdehnt hat. Ich meine allerdings, im jetzigen Stadium täten wir gut daran, uns nicht den Kopf der Richter in den roten Roben zu zerbrechen. Wir haben allein darauf zu achten, ob die Spielregeln des Grundgesetzes beachtet worden sind. Das glauben wir guten Gewissens bejahen zu können.
({8})
Ich behaupte sogar, daß die Änderungen, die wir in unserem Koalitionsantrag eingebaut haben, letzte Verfassungbedenken ausräumen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ehe ich mich den Einzelheiten des Gesetzes zuwende, möchte ich noch einmal in aller Form an den Mann erinnern, ohne dessen Beharrlichkeit das Künstlersozialversicherungsgesetz nicht zustande gekommen wäre. Ich finde, wir schulden Dieter Lattmann, unserem Kollegen aus den letzten beiden Legislaturperioden, Dank für sein zähes Mühen.
({9})
Er saß uns gewissermaßen auch in der 9. Legislaturperiode im Nacken. Er hat uns gebeten, beschworen, bedrängt, wohl wissend, daß in diesem Parlament nur mit Druck und Nachdruck etwas zu erreichen ist.
({10})
Die lieblose Republik, Dieter Lattmann, hat immer
noch ein soziales Gewissen, und sie wird so lange ein
soziales Gewissen haben, solange die sozialliberale
Koalition in Bonn das Sagen hat, was sich an diesem Gesetzentwurf erneut beweist.
({11})
Nun erlauben Sie mir ein paar grundlegende Bemerkungen zur Technik des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs.
Erstens. Ab 1983 werden die selbständigen Künstler und Publizisten im Krankheitsfalle und im Rentenalter sozialversichert sein.
Zweitens. Sie werden, ausgehend von ihren Honoraren und Vergütungen, Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten haben wie jeder andere Sozialversicherte auch.
Drittens. Da Künstler und Publizisten allerdings häufigen Einkommensschwankungen unterliegen, sind Konstruktionen geschaffen worden, die zu einer Verstetigung des Beitragsaufkommens und damit auch zu einer Verbesserung der späteren Leistungen führen.
Viertens. Die Vermarkter werden zu einer Künstlersozialabgabe herangezogen, die immer genauso hoch wie das Beitragsaufkommen der Künstler, gemindert durch den Bundeszuschuß, ist.
Fünftens. Aus Praktikabilitätsgründen beträgt die Künstlersozialabgabe 1983 und 1984 5 v. H. aller Honorare. Das Jahr darauf wird sie noch einmal einheitlich für alle Vermarkter festgesetzt, aber dann schon am tatsächlichen Bedarf orientiert.
Sechstens. 1986 wird der Bundesminister für Arbeit gespaltene Beitragssätze für die Bereiche Wort, Musik, bildende Kunst und darstellende Kunst festlegen. Diese Sätze werden sich ebenfalls am tatsächlichen Bedarf orientieren.
Siebtens. Die Vermarkter können sich allerdings auch auf andere Erhebungskriterien verständigen, wenn sie in ihrer Sparte Ausgleichsvereinigungen bilden.
Achtens. Diese Konstruktion, so flexibel wie nur irgend denkbar, räumt unseres Erachtens die Bedenken aus, daß es an der Homogenität von Künstlern und Vermarktern mangele.
Neuntens. Die Künstlersozialabgabe wird von allen Honoraren erhoben, um nicht jenen Künstlern und Publizisten, die bereits sozialversichert sind, einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber jenen zu bringen, die jetzt zu sozialversichern wären.
Zehntens. Trotz aller Bitten und Warnungen der Verbände der Künstler und Publizisten hält die Union hartnäckig an der Beitragsindividualisierung und damit an einer schweren Wettbewerbsverzerrung, an einer Torpedierung des Gesetzes fest.
Elftens. 17 % der Künstlersozialabgabe werden durch den Bundeszuschuß gedeckt. Das machen wir, weil eine Reihe von Vorgängen mit Privaten abgewickelt wird.
Zwölftens. Einzugstelle für die Beiträge der Künstler und Publizisten, für die Künstlersozialabgabe und die Zusammenführung mit dem Bundeszuschuß ist die Künstlersozialkasse, die ihren Sitz in Wilhelmshaven haben wird.
Dreizehntens. Diese Kasse wird keine Mammutbehörde sein, sondern lediglich eine Clearingstelle, die die verschiedenen Beitragsteile an die gesetzlichen Versicherungsträger weiterleitet.
Vierzehntens. Der Vorschlag der Union, diese Aufgabe den verschiedenen Krankenkassen aufzuerlegen und damit an die 1 400 Erfassungsstellen zu schaffen, hat sich bereits in den ersten Ausschußberatungen als unpraktikabel erwiesen.
Fünfzehntens. Das Neuland, auf das wir uns mit diesem Gesetz begeben, die Besonderheiten des versicherten Personenkreises und der Vermarkter erfordern eine sorgfältige Vorbereitung. Sie wird gewährleistet sein, wenn wir noch vor der Sommerpause zu einem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens gelangen. Deshalb appellieren wir an den Bundesrat, sich nicht noch einmal dem Gesetz entgegenzustemmen.
({12})
Meine Damen und Herren, wir alle stehen in der Pflicht, auch unseren selbständigen Künstlern und Publizisten ein Mindestmaß an sozialer Absicherung zu schaffen. Wer die Verabschiedung dieses Gesetzes verzögert oder das Gesetz torpediert, beweist, daß es ihm lediglich auf Lippenbekenntnisse und auf sonst gar nichts ankommt. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben heute noch eine letzte Chance, sich von einem solchen Makel zu befreien.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geschätzter Herr Kollege Lutz,
({0})
Ihrer Rede möchte ich trotz heftiger Polemik
({1})
ein sympathisches Wunschdenken nicht absprechen. Auch für Ihr mehrfach geäußertes Bedauern, daß Sie bezüglich der Haltung von CDU und CSU genannt haben, habe ich viel Verständnis. Schließlich wollen Sie bei Ihrem verfassungsrechtlichen Husarenritt, bei dem Ihnen der Sattelgurt schon geplatzt ist und der Sattel unter dem Rücken schon weggerutscht ist, von der CDU/CSU-Fraktion nicht im Regen stehengelassen werden.
Die notwendige Verbesserung der sozialen Sicherung der Künstler und Publizisten ist ein seit Jahren diskutiertes Problem. Das Ziel war zu keinem Zeitpunkt umstritten. Künstler und Publizisten, deren Einkommen in der Regel erheblichen Schwankungen ausgesetzt ist, sollen und müssen gegen die Risiken Krankheit und Alter abgesichert werden.
({2})
Der Regierungsentwurf hält nichts von der Selbständigkeit der Künstler und Publizisten, obwohl gerade von diesen Berufen ein Höchstmaß an Selbständigkeit und Freiheit erwartet wird. Der Regierungsentwurf behandelt die selbständigen Künstler und Publizisten vielmehr wie Arbeitnehmer und stuft gleichzeitig die sogenannten Vermarkter in die Kategorie von Arbeitgebern ein.
Die Künstlersozialversicherung könnte längst in Kraft sein, wenn die Bundesregierung nicht auf ihrem einmal eingeschlagenen Weg unflexibel beharrt und die Einbeziehung der Künstler und Publizisten in das vorhandene Netz der sozialen Sicherung systemkonform vollzogen hätte.
({3})
- „Systemkonform" heißt nach Ansicht der CDU/ CSU, daß die Künstler und Publizisten wie andere Selbständige in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung hätten eintreten können oder müssen. Wenn man der Auffassung ist, Künstler und Publizisten könnten den doppelten Beitrag - Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag - nicht voll finanzieren, was sicherlich für eine Gruppe von Künstlern und Publizisten zutrifft, so hätte man einen gemeinsamen Weg finden können, über Steuererleichterungen und direkte Bezuschussung die Beitragslast der Betroffenen zu verringern. Die Bundesregierung, insbesondere das Bundesarbeitsministerium, war aber in der letzten Legislaturperiode - und erst recht in dieser - nicht bereit, auch nur teilweise auf unsere Vorstellungen der Integration der Künstler und Publizisten in das soziale Sicherungsnetz einzugehen.
({4})
Die CDU/CSU hat in der 8. Legislaturperiode Änderungsanträge gestellt, die auf eine systemkonforme Einbeziehung hinausliefen. Sie alle wurden von der SPD und der FDP abgelehnt. In einem Verfassungshearing hat die Anhörung von vier Verfassungsrechtlern nach Auffassung der CDU/CSU eindeutig ergeben, daß die Künstlersozialabgabe kein sozialversicherungsrechtlicher Beitrag ist, weil die Bedingungen für die Charakterisierung der Künstlersozialabgabe als sozialversicherungsrechtlicher Beitrag nicht gegeben sind, und zwar aus folgenden Gründen.
Erstens. Eine generelle soziale Einstandspflicht der Vermarkter für die Künstler und Publizisten als Voraussetzung für die Auferlegung eines Arbeitgeberbeitrags fehlt. Zweitens. Eine Fürsorgepflicht des Quasi-Arbeitgebers liegt nicht vor. Drittens. Die Homogenität der Gruppen der Vermarkter und der Künstler und Publizisten fehlt. Viertens. Es fehlt auch die einem sozialversicherungsrechtlichen Beitrag eigene grundsätzliche Bemessung nach dem individuellen Arbeitsverdienst. Die Künstlersozialabgabe ist vielmehr eine Pauschalabgabe, die sich an den Gesamtaufwendungen für Künstler und Publizisten orientiert. Fünftens. Es fehlt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für eine solche Abgabe. Sechstens. Die sogenannte Deckungsungleichheit der Aufbringung ergibt zusätzliche verfassungsrechtliche Bedenken.
({5})
Für die CDU/CSU sind die selbständigen Künstler und Publizisten weder arbeitnehmerähnliche Personen in Analogie zu § 12 a des Tarifvertragsgesetzes noch die Vermarkter Arbeitgeber im herkömmlichen Sinne. Die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung ist in diesem Gesetzentwurf konstruiert, aber in der Realität nicht gegeben.
Neben den erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken und der teuren hyperbürokratischen Organisation lehnt die CDU/CSU-Fraktion den Gesetzentwurf auch deshalb ab, weil diejenigen, deretwegen das Gesetz angeblich in erster Linie erarbeitet wurde, nämlich die alten und besonders bedürftigen Künstler, überhaupt nicht berücksichtigt sind.
({6})
Der Vorwurf, die CDU/CSU habe das Gesetz blokkiert, ist unzutreffend.
({7})
Bundesregierung, SPD und FDP hätten in der 8. Legislaturperiode die Möglichkeit gehabt, den Einspruch des Bundesrates mit der Kanzlermehrheit zurückzuweisen.
({8})
Nichts unterstreicht die Warnungen der CDU/ CSU vor der Schaffung einer komplizierten Bürokratie, die einem Riesenkraken namens Künstlersozialkasse gleicht, mehr als das drastische Verschieben des Inkrafttretens des Regierungsentwurfs bis zum 1. Januar 1983.
({9})
Die Saugnäpfe dieses überflüssigen Riesenkraken werden dem Steuerzahler erst einmal viele Millionen aus der Tasche ziehen, bevor die erste Mark denen hilft, denen geholfen werden soll.
Auch die Länder im Bundesrat können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({10})
Die CDU/CSU bedauert aufrichtig, daß die Einbeziehung der Künstler und Publizisten in das Netz der sozialen Sicherung nicht früher und in einer Form stattgefunden hat, der auch die CDU/CSU ihre Zustimmung hätte geben können.
({11})
Um zu zeigen, daß die CDU/CSU das Ziel der Verbesserung der sozialen Situation der Künstler und Publizisten voll bejaht,
({12})
den vorhandenen Weg jedoch für nicht gangbar hält,
({13})
werden wir dem ersten Kapitel des Gesetzentwurfs zustimmen, dem Gesetz als Ganzem aber unsere Zustimmung verweigern.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir die Argumente, die wir nun oft genug untereinander ausgetauscht haben, hier für das Protokoll wiederholen, lassen Sie mich einige Feststellungen treffen.
Zunächst einmal, Herr Kollege Bahner, bedaure ich es ein wenig, daß Sie das Argument hier vorgetragen haben, wir hätten dieses Gesetz ja mit Hilfe der Kanzlermehrheit durchboxen können. Sie wissen, daß unser Bemühen, Ihnen die Chance nicht zu verbauen, trotz des Hearings zustimmen zu können, auch eine Ursache für unsere Verhaltensweise war. Es ist natürlich gut, wenn man programmatischen Teilen eines Gesetzes, hier dem Kapitel 1, zustimmt. Aber Sie ziehen daraus nicht die notwendigen Konsequenzen. Denn wer dieses Ziel für richtig hält, muß den vorgesehenen Weg beschreiten, wenn er glaubhaft bleiben will. Ich werde gleich versuchen, noch einmal auseinanderzusetzen, warum andere Möglichkeiten als diejenigen, die in dem Gesetz stehen, in Wirklichkeit nicht vorhanden gewesen sind.
Bevor ich dies aber tue, verehrter Herr Kollege Bahner, möchte ich mich trotz allem für die Argumentation, die Sie hier vorgebracht haben, bedanken, vor allem dafür, daß Sie nicht versucht haben, dieses Gesetz aus Haushaltsgründen abzulehnen. Das heißt, Sie sind bereit, die Mittel, die im Haushalt für 1983 eingestellt worden sind, nämlich die 80 Millionen DM, im Prinzip als eine notwendige Ausgabe für die soziale Sicherheit der Künstler zu akzeptieren. Ich halte dies für um so bedeutsamer, als ich davon überzeugt bin, daß wir heute hier in einem relativ leeren Hause ein Sozialgesetz, ein Leistungsgesetz, verabschieden, das für lange, lange Zeit das letzte Leistungsgesetz gewesen ist, das hier verabschiedet werden kann.
({0})
Soziale Sicherheit, recht verstandene Solidarität werden den Gesetzgeber demnächst mehr veranlassen, an der richtigen Stelle zu kürzen, Mißbrauch abzustellen, als Leistungen zu verteilen.
Wenn wir trotzdem heute ja zu diesem Gesetz sagen - und, was die Einstellung in den Haushalt anlangt, auch die grundsätzliche Zustimmung der Opposition vermerken dürfen -, dann deswegen, weil wir zutiefst überzeugt sind, daß es notwendig ist, dies zu tun. Das vom Kollegen Lutz mit Recht eben angesprochene soziale Gewissen verlangt aber, daß wir uns auf diesem Sektor in Zukunft mehr zurückhalten, uns mehr, wenn Sie so wollen, Mißbräuche kürzend betätigen denn neue Ausgaben provozierend.
Ich glaube, daß es notwendig ist, dies bei der Verabschiedung des Gesetzes noch einmal mit aller Deutlichkeit jedem bewußt zu machen; denn die Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, werden wir alle gemeinsam zu spüren bekommen.
Unsere Position zu diesem Gesetz, mehrmals vorgetragen, sei hier kurz wiederholt: Wir haben dafür gesorgt, daß die Wahlfreiheit in der Krankenversicherung und Alterssicherung unter Einbeziehung der bestehenden Versorgungswerke gewährleistet ist. Wir haben auch dafür gesorgt, daß ein möglichst hohes Maß an Pluralität für die Versicherten vorhanden ist. Wir haben entgegen allen Behauptungen dafür gesorgt, daß die Finanzierung systematisch und ordnungspolitisch sauber ist. Die Bezugsgröße ist nichts anderes als das Einkommen des Versicherten wie in der gesamten Sozialversicherung. Es wird nicht mehr und nicht weniger kassiert, als die Summe der Versicherten an Eigenbeiträgen zu leisten gewillt und verpflichtet ist. Es ist unbestritten, daß wir bei den Selbstvermarktern Bundesmittel für die anderen 50 % einsetzen. Wir haben für die Vermarktung eine Künstlersozialabgabe geschaffen, die parallel zum lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag an die Entgelte der Versicherten gebunden ist. Da ist nichts mit Wertschöpfung, da ist nicht mit Maschinensteuer, da ist ganz schlicht und einfach das Entgelt Grundlage der Berechnung. Das ist ordnungspolitisch sauber, vernünftig und richtig. Da kann man soviel herumreden, wie man will, es ist auch im Hearing, hochverehrte Kollegen von der Opposition, von keinem derjenigen, die sich dazu geäußer haben, bestritten worden.
({1})
- Nein, Herr Kollege Kolb, das ist nicht streitig gewesen. Streitig war die Frage der Deckungsgleichheit. Darauf komme ich gleich noch. - Dieser Punkt war ganz klar und unbestritten.
Verfassungsmäßig ist dies, so haben die Gutachter im Hearing festgestellt, eine Abgabe, die im Umlageverfahren erhoben wird, und zwar ein Sozialversicherungsbeitrag besonderer Art. Vorbild: Stichwort Unfallversicherung; gar nicht so neu, wie Sie sehen. Es ist keine Sondersteuer; denn sie dient nicht dem allgemeinen Staatsbedarf, obwohl niemand leugnet, daß der allgemeine Staatsbedarf zusätzliche Einnahmen mehr als gut gebrauchen könnte. Aber diese Einnahmen dienen unbestritten nicht der Deckung des allgemeinen Staatsbedarfs. Es ist auch keine Sonderabgabe im Sinne des Verfassungsgerichtsurteils vom 10. Dezember 1980 in der Frage der Ausbildungsplatzförderungsabgabe. Auch hier besteht Übereinstimmung.
Was ist Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit? Kollege Bahner hat das angesprochen, wenn auch unterschiedlich bewertet. Die soziale Einstandspflicht im Sinne der Sozialversicherung: Gibt es die Sozialverpflichtung der Vermarkter für die
Künstler? Wir meinen, ja; die Schutzbedürftigkeit der Künstler wird nicht bestritten. Die Verbände der Vermarkter haben immer wieder deutlich gemacht, daß sie die Verantwortung für die Künstler übernehmen wollen, daß sie sich verantwortlich fühlen und daß sie insgesamt leistungswillig sind. Sie haben nur Kritik am Inkassoverfahren geübt. Der Beweis, daß Sie von der CDU/CSU die Dinge im Grunde genommen genauso betrachtet haben, sind Ihre Änderungsanträge, die Sie in der letzten Legislaturperiode vorgelegt haben. Das alles konnte durch das Hearing in keiner Weise erschüttert werden.
Zur Alternative möchte ich Sie bitten, sich selbst zu fragen: Ist Ihre Argumentation eigentlich schlüssig? Sie sagen selber, ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis liege nicht vor, Sie sagen aber ebenso, ein individueller Beitrag scheine Ihnen eine diskutable Lösung zu sein. Nun muß man doch wohl eines sicher zugeben: Wer die individuelle Lösung - d. h. der Vermarkter führt für den jeweilig versicherten Künstler, bezogen auf ihn allein, Beitrag ab - propagiert, muß sich doch sagen lassen, daß er genauso wie der Gesetzentwurf einen Quasi-Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerstatus quasi - immer dreimal unterstrichen - voraussetzt. Das heißt, Sie können so nicht schlüssig argumentieren.
Wir haben den individuellen Bezug abgelehnt. Ich bin nach wie vor entschieden gegen diesen individuellen Bezug. Denn was bedeutet diese Lösung? Es bedeutet, daß die wenigen selbständigen freien Künstler, die mir sehr am Herzen liegen, insbesondere im Verhältnis zu den vielen, vielen angestellten und beamteten Künstler mit der Belastung leben müssen, daß für sie ein eigener Fragebogen - möglicherweise von mehreren Vermarktern - ausgefüllt werden muß. Allein dieses bürokratische Hemmnis ist Wettbewerbsverzerrung par excellence. Im Hearing ist ja auch gesagt worden, dies sei ein Verstoß gegen die Chancengleichheit dieser Künstler und würde ein ebenso großes, wenn nicht größeres verfassungsrechtliches Risiko beinhalten als die vorgesehene Lösung.
({2})
Das heißt, um der Chancengleichheit willen, Herr Kollege Franke, und zur Vermeidung bürokratischen Aufwandes ist es geradezu notwendig, die individuelle Abrechnungsmethode nicht vorzusehen.
({3})
- Die Leute im Hearing haben gesagt, die Abgabe sei nicht deckungsgleich.
({4})
Da haben wir eben versucht - wie ich meine: erfolgreich -, die Deckungsgleichheit herzustellen. Wir haben nicht über den Verordnungsweg, sondern per Gesetz vier Sparten geschaffen, in denen unterschiedliche Abgaben berechnet werden können. Ich weise von dieser Stelle noch einmal ganz besonders darauf hin, daß darüber hinaus Ausgleichsgemeinschaften gebildet werden können, die für den jeweiligen Bereich eine spartenspezifische, eine gruppenspezifische Ausgleichsabgabe vereinbaren können. Dann sind wir der Deckungsgleichheit ein gutes Stück näher. Niemand macht Vorschriften, wie die jeweilige Branche, die jeweilige Gruppe den Beitrag aufbringt. Entscheidend ist doch nur, daß er aufgebracht wird, und zwar keinen Pfennig mehr, als die Summe der Versicherten aufbringt. Wir haben in § 26 diese vier Sparten noch einmal festgelegt. - Das rote Licht beginnt zu leuchten, ich muß mich also sehr kurzfassen. Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal klarmachen, welche Alternativen möglich gewesen wären. Erstens. Sie machen überhaupt nichts. Das war nicht Ihr Wille. Zweitens. Sie lassen den Staat als Mäzen auftreten und bezahlen alles aus der Staatskasse. Das kann nicht Ihr Wille sein, ich hoffe es wenigstens. Drittens. Sie nehmen den individuellen Bezug. Wenn Sie das tun, dann besteht - das habe ich soeben nachgewiesen - ein hohes verfassungsrechtliches Risiko, und es entsteht mehr Bürokratie. Also ist das falsch. Um das von Ihnen gewünschte Ziel, für die freien und selbständigen Künstler eine gute und systemgerechte und ordnungspolitisch saubere soziale Sicherheit zu schaffen, bleibt Ihnen zum Schluß nichts anderes übrig, als den Weg dieses Gesetzes zu beschreiten. Ich kann nur hoffen, wenn Sie das Ziel des Gesetzes wirklich bejahen, daß das Bundesverfassungsgericht dies genauso beurteilen wird wie wir.
({5})
Nochmals herzlichen Dank an die Opposition, daß sie nicht die Begründung „ernste Haushaltslage" benutzt hat. Ich hoffe, daß das Ziel dieses Gesetzes, soziale Sicherheit für die Künstler durch die Sozialversicherung für Künstler, erreicht wird. - Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist fast genau auf den Tag ein Jahr her, daß das Parlament hier mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen das Künstlersozialversicherungsgesetz verabschiedet hat, das dann wegen des Einspruchs des Bundesrates nicht mehr zustande kam.
({0})
Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Regierungsfraktionen, daß sie diesen Gesetzentwurf so zügig eingebracht und in den Ausschüssen zu einem guten Abschluß gebracht haben. Ich kann den Dank an die Opposition nicht aussprechen, weil Sie sich entgegen so vielen großen Ankündigungen den Künstlern gegenüber leider nicht in der Lage gesehen haben, dem Gesetz zuzustimmen, und noch nicht einmal Alternativvorschläge gemacht haben.
({1})
Sie haben damit und auch mit Ihren vorgeschobenen verfassungsrechtlichen Begründungen den Künstlern wie den Arbeitnehmern deutlich gemacht, daß sie sich auf die sozialliberale Koalition und auf niemanden sonst in diesem Hause verlassen können.
({2})
Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Sie vorbringen, halten einer sorgfältigen Nachprüfung nicht stand.
({3})
Der Justizminister, der Bundesinnenminister und der Bundesarbeitsminister
({4})
haben alle drei sehr sorgfältig und sehr gründlich die verfassungsrechtlichen Bedenken geprüft. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist. Wenn Sie eines weiteren Beweises bedürfen, wie verfassungsgemäß die Gesetze dieser Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition sind, dann empfehle ich Ihnen, das Urteil zum Schwerbehindertengesetz nachzulesen, das das Bundesverfassungsgericht heute ausgesprochen hat.
({5})
- Verehrter Herr Kollege Franke, ich kann Ihnen einmal die Bilanz der Verfassungsgerichtsurteile zustellen, die in der Zeit von 1949 bis 1966, und der, die danach für die jeweilige Regierung negativ ausgegangen sind. Das geht, über den Daumen gerechnet 4 : 1 für uns und nicht für Sie aus. Lassen Sie es bitte nachprüfen, bevor Sie das abstreiten!
({6})
- Dann ist es ja gut, dann sind wir uns einig. Ich kann Ihnen das gern zustellen, wenn Sie es nicht wissen; wir sind hier zu jeder Nachhilfe bereit.
Wir sind in der Lage, verfassungsgemäße Gesetze vorzulegen. Falls Sie sie in Karlsruhe nachprüfen lassen wollen, steht Ihnen das frei. Sie werden dann bestätigt bekommen, wie gut unsere Gesetzgebung ist.
({7})
- Nicht jeder Professor ist auch ein kluger Mann; das sollten auch Sie wissen.
Das Modell, das dieser Gesetzentwurf enthält - nach den Vorbildern versicherungspflichtiger Selbständiger, seit Jahrzehnten im deutschen Sozialversicherungsrecht unbestritten anerkannt, wird alles was hier für Künstler und Vermarkter übertragbar ist, übernommen -, können Sie sehr exakt nachprüfen. Das gibt uns die Gewißheit, hiermit einen verfassungsgemäßen Gesetzentwurf vorgelegt zu haben, mit dem den berechtigten Interessen der Künstler an sozialem Schutz Rechnung getragen wird.
Ich glaube, hier nicht mehr zu Einzelheiten sagen zu müssen. Es wäre eine völlige Fehlinterpretation, dies in eine Parallele zu irgendeiner Art von Maschinenabgabe, die zur Herstellung von Beitragsgerechtigkeit zwischen kapitalintensiven und lohnintensiven Unternehmen ein sehr vernünftiges Instrument wäre, zu bringen. Denn weder Maschinen noch Wertschöpfung stehen hier zur Debatte. Dazu hat Herr Kollege Cronenberg schon das Nötige gesagt.
Die Schuld für die Verschiebung des Inkrafttretens für den 1. Januar 1983 müssen Sie bei Ihren Kollegen, bei Ihren Parteifreunden im Bundesrat suchen. Ich glaube die Sorgfalt einer derartigen Vorbereitung gebietet es, daß wir der Künstlersozialkasse die Zeit für eine gründliche Vorbereitung geben. Diese Zeit wollen wir nicht auf sechs Monate beschränken, sondern wir wollen 18 Monate vorsehen. Ich bedanke mich nochmals bei den Regierungsfraktionen dafür, daß dieser Gesetzentwurf so schnell zustande kam. - Herzlichen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU hat gesonderte Abstimmung über das erste Kapitel, nämlich die §§ 1 bis 7, beantragt. Ist das Haus damit einverstanden?
- Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die §§ 1 bis 7 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen?
-Enthaltungen? - Die Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe die §§ 8 bis 61 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? ({0})
Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. ({1})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist angenommen.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/429
Vizepräsident Wurbs
unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982
- Drucksache 9/458 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Innenausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren ({4})
sowie des
Gutachtens des Sozialbeirats zu den Anpassungen der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 1982 sowie zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis 1995
- Drucksache 9/290 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Das Wort zur Einbringung hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für den Bundesarbeitsminister ein guter Tatbestand, sich nacheinander bei den Fraktionen für die zügige Beratung eines Gesetzes in zweiter und dritter Lesung bedanken zu dürfen und eine Runde später - ich hoffe, das hört auch der Herr Kollege Cronenberg - ein neues Leistungsgesetz einbringen zu können, wie ich es dem Deutschen Bundestag hier jetzt vorlege.
Die solide Finanzierung und die gerechte Weiterentwicklung der sozialen Alterssicherung waren, sind und bleiben ein Eckpfeiler unserer Sozialpolitik. Der Ihnen vorliegende Entwurf des Rentenanpassungsgesetzes 1982 erfüllt die Zusage der Bundesregierung aus dem 21. Rentenanpassungsgesetz, ab 1982 die Rentenanpassung wieder nach dem Prinzip der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente vorzunehmen. Es wird mit diesem Gesetzentwurf die gleichfalls schon vor drei Jahren beschlossene Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner durchgeführt.
Für die Rentnerinnen und Rentner ist besonders wichtig, daß sich nach der notwendigen Konsolidierung die Anpassung wieder nach der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter vollzieht. Die Anpassung zum 1. Januar 1982 wird grundsätzlich 5,8% betragen. Das gleiche gilt für die Altershilfe der Landwirte. Auch die Kriegsopfer können mit dieser Anpassung rechnen; damit das zum 1. Januar 1982 in Kraft treten kann, werden wir rechtzeitig ein entsprechendes Anpassungsgesetz vorlegen.
Herr Kollege Franke, ich weiß nicht, was Sie zitiert haben, aber zu dem Wort „grundsätzlich" würde ich gerne sagen: es gibt eine kleine Zahl von Rentnern, bei denen die Anpassung nicht 5,8, sondern 4,15 % beträgt. Das sind jene Rentenneuzugänge aus dem ersten Halbjahr 1978, die auf einer zu hohen Bemessungsgrundlage berechnet worden sind und jetzt zum letzten Mal von dem Abschmelzungsprozeß betroffen werden.
Die Erhöhung um 5,8 % kommt mehr als 12 Millionen Rentnern zugute. Wenn man die Familienangehörigen der Rentnerinnen und Rentner dazuzählt, dann wird hiermit etwa ein Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik eine wesentliche Verbesserung ihres Lebensstandards erfahren.
Es lohnt sich ein Blick über den Zeitraum seit 1969. Die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung sind in diesem Zeitraum um 153 % gestiegen. Wenn man den Preisanstieg berücksichtigt, also auf die Realeinkommenszuwächse abstellt, dann heißt das, daß bis zum heutigen Zeitpunkt eine Verbesserung des Lebensstandards der Rentner um 75 % stattgefunden hat. Das schlägt auf das Rentenniveau durch, das zur Zeit 72 % eines vergleichbaren Nettoeinkommens nach 45 Versicherungsjahren beträgt. Das ist - das lohnt sich festzustellen - das höchste Rentenniveau, das es in der Bundesrepublik je gab.
Die Grundlage hierfür ist mit der Konsolidierung durch das 21. Rentenanpassungsgesetz gelegt worden. Daß diese Konsolidierung gelungen ist, wird inzwischen nirgendwo mehr bestritten. Der Ihnen gleichzeitig vorgelegte Rentenanpassungsbericht 1981 zeigt dies sehr deutlich. Auch der Sozialbeirat hat ausdrücklich bestätigt, daß eine realistische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen finanziellen Situation und des gegenwärtigen Leistungsstandes der gesetzlichen Rentenversicherung vorgelegt wird.
Natürlich basieren die Vorausschätzungen über 15 Jahre auf Alternativrechnungen. Wer würde sich auch zutrauen, eine Rechnung über 15 Jahre hinweg mit einer einzigen Annahmenkombination vorlegen zu wollen!
({0})
- Die Bundesanstalt für Arbeit hat ihre Haushalte entsprechend der Veränderung der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt, die nicht wir alleine, verehrter Herr Kollege,
({1})
sondern der geballte Sachverstand der Finanzminister von Bund und Ländern und der Deutschen Bundesbank gemeinsam Ende Dezember positiver eingeschätzt hat, als sie dann tatsächlich verlaufen ist.
Die Grundlage des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit ist keine andere als die der Hauhalte im Bund und elf Bundesländern;
({2})
also haben auch in den von der CDU regierten Ländern die gleichen Annahmen gegolten.
({3})
- Verehrter Kollege Franke, ich höre Ihnen zwar manchmal zu, aber noch lange nicht auf das, was Sie sagen!
({4})
- Nein, das werde ich auch nicht, weil das keine guten Ratschläge für eine gute Politik wären.
({5})
Ich würde es für die Arbeitnehmer in unserem Lande nicht für gut halten, wenn ich auf Ihre Ratschläge hörte. Da ich das nicht tue, sind wir nach wie vor diejenigen - das haben wir vorher auch mit dem Gesetz für die Künstler bewiesen -, die die Interessen der arbeitenden Menschen in diesem Lande vertreten. Die Menschen wissen das auch - da bin ich ganz sicher -, wie sie auch wissen, daß es uns gelungen ist, finanzielle Stabilität und Liquidität der Rentenversicherungsträger sicherzustellen.
({6})
Natürlich verkennen wir nicht, daß vor der Rentenversicherung, allein auf Grund der demographischen Entwicklung, große Probleme stehen. Aber es ergibt sich daraus kein akuter Handlungsbedarf. Ich würde hier in diesem Hause ganz gern deutlich sagen: Die gleichen Probleme, die sich aus dem demographischen Aufbau der Bundesrepublik, aus der sich verändernden Relation zwischen Beitragszahlern und Aktiven ergeben, gelten hinsichtlich der Relation zwischen Altersbezügen aus allen Systemen und Steuerzahlern. Was hier in den nächsten 15 bis 20 Jahren für die Rentenversicherung an Problemen entsteht, trifft genauso für das Verhältnis Steuerzahler und Beamtenpensionen sowie für das Verhältnis Beitragszahler und Leistungsbezieher in der privaten Lebensversicherung zu. Das ist ein Problem für alle Altersversorgungssysteme und nicht für die Rentenversicherung allein.
Darum hat die Bundesregierung mit der beabsichtigten Berufung einer „Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme", die wir im Kabinett demnächst vornehmen werden, den Auftrag gegeben, in ähnlich umfassender Weise wie bei der Meinhold-Kommission für die 84er Reform zu prüfen, welche Konsequenzen sich in allen anderen Altersversorgungssystemen ergeben. Das wird ein gutes Stück Arbeit sein, es wird in der Öffentlichkeit noch viel an Problembewußtsein zu wecken sein, aber wir werden das Unsere dazu tun.
Meine Damen und Herren, der zweite Schwerpunkt dieses Gesetzes enthält die Neuordnung der
Krankenversicherung der Rentner, wie sie schon mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz im Grundsatz beschlossen worden ist und jetzt durchgeführt wird. Um auch hier den Versicherungsträgern die nötige Vorbereitungszeit zu geben, haben wir gegenüber dem damaligen Beschluß eine Abweichung vorgenommen, nämlich das Inkrafttreten dieses Teils des Gesetzentwurfs für den 1. Januar 1983 vorgesehen.
Von diesem Zeitpunkt an wird die bisherige Pauschalzahlung der Rentenversicherung an die Krankenversicherung in einen individuellen Beitragssatz jedes Rentners umgewandelt, aber er erhält in gleicher Höhe, nämlich in Höhe von 11,8 % - das entspricht dem gegenwärtigen Durchschnittsbeitragssatz der Krankenversicherung -, einen Zuschuß auf seinem Rentenbescheid ausgewiesen. Er wird also damit finanziell zwar nicht belastet, aber er bekommt zum ersten Mal vor Augen geführt, daß seine Krankenversicherung nicht kostenlos ist, sondern daß die Beitragszahler erhebliche Mittel aufwenden müssen, um die Krankenversicherung der Rentner sicherzustellen.
Wir halten es für einen der Beitragsgerechtigkeit grob widersprechenden Tatbestand, daß auch jene Rentner aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die der Solidargemeinschaft nur kurze Zeit angehört haben und dementsprechend eine niedrigere Rente beziehen, für 11,8 % von dieser Minirente, die von der Rentenversicherung an die Krankenversicherung überwiesen werden, eine für sie kostenlose Krankenversicherung erhalten. Um diesen ungerechten Tatbestand zu beenden, sieht der Gesetzentwurf vor, daß alle mit der gesetzlichen Rente vergleichbaren Alterseinkommen beitragspflichtig werden, allerdings mit dem halben Beitragssatz, wie auch der Arbeitnehmer den halben Beitragssatz zahlt.
Gestatten Sie mir, diese Zusatzeinkommen hier der Reihe nach einmal anzuführen, damit deutlich wird, was hiermit alles erreicht wird. Es geht um die Pensionen von Beamten, Richtern, Soldaten und ihren Hinterbliebenen, die Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, die Betriebsrenten und Zusatzversorgungen auf Grund tariflicher Ansprüche oder Betriebsvereinbarungen, Ruhestandsbezüge aus den Versorgungseinrichtungen beispielsweise der Ärzte, Architekten, Apotheker, Notare und Journalisten, Renten aus der landwirtschaftlichen Alterssicherung, Zusatzversorgungsbezüge der Bezirksschornsteinfegermeister, der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft und in der Hüttenknappschaft und selbstverständlich auch um die Pensionen von Abgeordneten, Parlamentarischen Staatssekretären und Ministern.
({7})
- Ich wollte Ihnen diese lange Reihe nicht ersparen, und zwar deshalb nicht, weil in der Stellungnahme des Bundesrates angeregt worden ist, zu prüfen, ob die Bundesregierung nicht alle Bezüge aus dem öffentlichen Dienst ausnehmen sollte, und gleichzeitig der Vorschlag gemacht worden ist, daß wir den Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes bis zum TerBundesminister Dr. Ehrenberg
min des Inkrafttretens der Reform 1984 verschieben sollten.
({8})
Genau das werden wir nicht tun. Das ist eben kein guter Ratschlag, Herr George. Zwar sind gerechte Beiträge im Jahre 2000 gut, aber Beitragsgerechtigkeit im Jahre 1983 ist besser. Darum wollen wir die Änderung jetzt durchführen und nicht irgendwann später.
({9})
Wenn man von gerechten Beiträgen spricht, kann man die Vielzahl der Beamten nicht vergessen, die zu Beginn ihres beruflichen Lebens Arbeiter oder Angestellte waren und in dieser Zeit vor ihrer Verbeamtung eine Rentenanwartschaft errungen haben. Der Rentenanspruch, der aus dieser Zeit herrührt, der ihnen zusteht und nicht gekürzt werden soll - natürlich nicht; den haben sie durch Zahlung von Beiträgen erworben -, bleibt erhalten. Aber aus dieser Minirente den Anspruch auf eine kostenlose Krankenversicherung abzuleiten und die im Verhältnis zu dieser Minirente viel größere Pension nicht heranzuziehen, widerspricht der angestrebten Beitragsgerechtigkeit so total, daß wir dieser Anregung des Bundesrates mit Sicherheit nicht folgen werden. Hier sind alle vergleichbaren Alterseinkommen heranzuziehen - darum habe ich diese lange Liste aufgezählt -, weil man nur dann dem angestrebten Ziel der Beitragsgerechtigkeit wirklich näherkommt.
Wir haben im übrigen versucht, das so kostengünstig wie möglich zu organisieren. Alle Zahlstellen, die für mehr als 30 Bezugsberechtigte zuständig sind, werden von den Krankenkassen im Einzugsverfahren erfaßt. Dort, wo die bundesweiten Beitragssätze nicht gelten, werden wir den jeweiligen halben Beitragssatz nach dem Landesdurchschnitt berechnen, um das Verfahren so unkompliziert wie möglich zu machen.
Selbstverständlich sind alle jene Einkommen nicht beitragspflichtig - um die lange Liste zur anderen Seite hin abzugrenzen -, die ausschließlich auf eigener Vorsorge beruhen bzw. die als Entschädigung für Opfer von Kriegsfolgen, Gewalttaten, Impfschäden gewährt werden. Das gleiche gilt auch für Unfallausgleichsrenten und ähnliche Leistungen. Sie werden selbstverständlich nicht erfaßt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, diesen Gesetzentwurf zügig zu beraten, damit die notwendigen Vorarbeiten durch die jeweiligen Versicherungsträger rechtzeitig und gründlich vor den beiden Terminen des Inkrafttretens abgeschlossen werden können, d. h. vor dem 1. Januar 1982 hinsichtlich der Rentenerhöhung und vor dem 1. Januar 1983 hinsichtlich der Veränderung der Krankenversicherung der Rentner. Diese Bitte gilt auch bezüglich des dritten Teils des Gesetzentwurfs, nämlich der Neuregelung des Auslandsrentenrechts. Auf diesem Gebiet entsprechen wir zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und nehmen entsprechende Änderungen vor, auf die ich in meiner Einbringungsrede nicht im Detail eingehen muß.
Ich glaube, insgesamt gesehen zeigt der Ihnen vorliegende Entwurf, daß die Bundesregierung entgegen allen so oft vorgebrachten Unterstellungen Wort gehalten hat, was die im 21. Rentenanpassungsgesetz gemachten Versprechungen anlangt. Der Entwurf zeigt auch, daß sozialer Fortschritt, wenn der politische Wille vorhanden ist, selbst unter schwierigen ökonomischen Bedingungen möglich ist. Das wird auch so bleiben. - Herzlichen Dank.
({10})
Im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b verbundene Debatte mit einer Redezeit von 90 Minuten vereinbart worden.
({0})
- Gut, 60 Minuten. - Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beinahe könnte ich Sie zu so später Stunde namentlich aufzählen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Nach zweijähriger Unterbrechung der sonst alljährlich durchgeführten Diskussion über ein Rentenanpassungsgesetz liegt uns heute der Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1982, kurz RAG 82 genannt, zur Beratung vor. Die CDU/CSU begrüßt natürlich die Rückkehr zur bewährten Bruttolohnanpassung,
({0})
die den Rentnern ab 1. Januar 1982 eine Erhöhung ihrer Renten um 5,8 % bringt. Der gleiche Prozentsatz wird bei der Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte und der Landabgaberente in Ansatz gebracht. Nach einer Durststrecke von vier Jahren, in denen die Rentner entweder überhaupt keine Anpassung, wie im Jahre 1978, oder eine verkürzte, willkürlich festgesetzte Rentenerhöhung von 4,5 % im Jahre 1979 und jeweils 4 % in den Jahren 1980 und 1981 erhielten, orientiert sich die nächste Rentenanpassung wieder an der Lohnentwicklung. Die Rückkehr zur Bruttolohnanpassung ist bekanntlich schon im 21. Rentenanpassungsgesetz festgelegt worden.
({1})
Die CDU/CSU hat unbeirrt an ihrer Auffassung zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung festgehalten und dies auch immer wieder zum Ausdruck gebracht. Daß es im RAG 1982 eine Rückkehr zur lohnorientierten Rentenanpassung überhaupt gibt, dürfte nicht zuletzt auf die klaren Aussagen der CDU/CSU
({2})
und die Angst von SPD und FDP zurückzuführen sein, wieder eines nicht gehaltenen Versprechens geziehen zu werden.
({3})
Die Rentenbetrugsdiskussion schwingt hier mit.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß sich der Bundesarbeitsminister vor dem Bundesrat und auch vor diesem Hohen Hause brüstet und expressis verbis zum Ausdruck bringt, daß die Bundesregierung ihr im 21. RAG gegebenes Versprechen hält.
({4})
Die Einhaltung von Versprechen ist eine Selbstverständlichkeit. Eine Regierung, die extra darauf hinweisen muß, daß sie gesetzlich fixierte Versprechen einhält, zeigt, daß sie unsicher ist, nicht nur in diesem Bereich.
Wie üblich weist die Bundesregierung auch darauf hin, daß die Renten seit 1969 um 153 % - das ist eine Lieblingszahl von Herrn Ehrenberg, die er immer wieder verwendet -, die Lebenshaltungskosten der Rentner im gleichen Zeitraum aber nur um rund 75 % gestiegen seien. Sie weist auch auf das Rentenniveau hin, das nach 45 Versicherungsjahren knapp 72 % des vergleichbaren Nettoeinkommens beträgt. Meine Damen und Herren, ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu erläutern, woran es liegt, daß es auf 72 % gestiegen ist. Sie müssen in diesem Zusammenhang auch die Steigerung der Abgabenraten für die aktiv Versicherten nehmen, die eine Bemessungsgrundlage für diesen Vergleich sind. Dann kommen Sie auf 72 %. Das ist also eine Roßtäuscher-Rechnung. Die Bundesregierung weist also, wie gesagt, auch auf das Rentenniveau hin, das nach 45 Versicherungsjahren 72 % des vergleichbaren Nettoeinkommens beträgt. Meine Damen und Herren, nun muß man aber auch fragen: Wieviel Prozent erwerben 45 Versicherungsjahre?
Aus der Sicht der CDU/CSU ist erneut anzumerken, daß sich die Bundesregierung, die derzeit noch amtierende Bundesregierung, mit fremden Federn schmückt. Die Steigerung der Renten ist eine Folge der Rentenformel, die von der CDU/CSU im Jahre 1957 durchgesetzt wurde. Der Hinweis auf die Steigerung der Lebenshaltungskosten ist irreführend; denn wir haben keine preisorientierte Rentensteigerung, sondern eine lohnorientierte Rentensteigerung, bis auf die. dreijährige Aussetzung. Der Rentner soll auch am Produktivitätszuwachs, soweit er sich in Lohnerhöhungen niederschlägt, teilhaben. Jedenfalls war und ist das die Absicht der CDU/ CSU-Rentenpolitik.
Meine Damen und Herren, darum kann von der Bundesregierung nicht geleugnet werden, daß in den letzten Jahren die Rentner echte Einbußen, echte Kaufkraftverluste, erleiden mußten. In den letzten Jahren lag die Anpassungsrate eindeutig unter der Inflationsrate. Es ist das zweifelhafte Verdienst der Bundesregierung, die Renten durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz um 15 % gekürzt zu haben.
({5})
Ich verweise hier auf das, was der stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende und Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Gerd Muhr, in einem Presseseminar vor einigen Monaten gesagt hat.
Die CDU/CSU hofft, daß mit der Rückkehr zur lohnorientierten Anpassung der Renten auch langfristig die bewährten Kriterien der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente wieder angewandt werden und damit eine Teilhabe der Rentner am Produktivitätszuwachs und insbesondere eine Absicherung gegen die Inflation sichergestellt ist.
Der Rentenanpassungsbericht, den wir heute ebenfalls debattieren, weist für den mittelfristigen Zeitraum bis 1985 bei Annahme einer Steigerung der Durchschnittsentgelte der Versicherten von 6 eine befriedigende Entwicklung aus. In keinem Jahr wird bis 1985 die Mindestschwankungsreserve unterschritten. Probleme ergeben sich für die Zeit nach 1985, wenn sich die Verschlechterung der Altersstruktur bei den Beitragseinnahmen stärker bemerkbar macht. Bei einer verringerten Entgeltzuwachsrate, z. B. bei 5 %, und mittlerem Beschäftigungsstand treten schon 1988, bei 6 % im Jahre 1991 und bei wohl unrealistischen 7 % - das wäre eine inflationäre Entwicklung - erst nach 1995 Finanzschwierigkeiten auf.
Erstes Gebot - und Folgerung, die man aus den Zahlenreihen des Rentenanpassungsberichts 1981 ziehen muß - ist, daß die Konjunktur wieder angekurbelt werden muß, die Arbeitslosigkeit nicht nur aus gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Erwägungen, sondern auch aus rentenpolitischen Erwägungen dringend verringert werden muß. Ein Mehr an Beschäftigung, weniger Arbeitslosigkeit, wird dazu führen, daß auch über den Zeitpunkt 1985 hinaus, den Rentnern und Versicherten keine gravierenden Opfer abverlangt werden müssen. In langfristiger Betrachtung, über 1990 hinaus, ist nicht auszuschließen, daß die Verschlechterung des Verhältnisses der Zahl der Versicherten zur Zahl der Rentner, insbesondere wenn kumuliert mit einer schlechten Konjunkturlage auftretend, dazu führen wird, daß auch Rentnern und Versicherten zur Erhaltung des bewährten Rentensystems gewisse Opfer abverlangt werden müssen.
Auch wenn zur Zeit das vom Sozialbeirat initiierte Wissenschaftlergutachten, ein Sondergutachten des Sozialbeirates, welches offiziell noch nicht auf dem Markt ist, die Ergebnisse der TransferKommission und die Ergebnisse der Rentenbestands- und Rentenstrukturerhebung der Rentenversicherungsträger noch nicht vorliegen, sind wir als Gesetzgeber gehalten, schon jetzt darüber nachzudenken, wie wir in den nächsten Jahren die Weichen in der Rentenversicherung zur Erhaltung des bewährten Systems der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente zu stellen haben.
Der CDU/CSU erscheint eine saubere Trennung der Risiken in konjunkturelle und demographische sinnvoll zu sein.
({6})
So könnten beispielsweise die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Situation der Rentenfinanzen durch gezielte Maßnahmen wie z. B. den Einbau einer bevölkerungspolitischen Komponente in die Rentenformel neutralisiert werden.
Ich habe in diesem Hause und auch in Publikationen schon wiederholt auf die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der einschlägigen Überlegungen von Professor Wilfrid Schreiber, dem Vater der Rentenreform von 1957, hingewiesen. Erfreulicherweise gibt es in der Festschrift für Professor Meinhold aus Anlaß seines 65. Geburtstages und auch in Ausarbeitung von Experten des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger Ansätze für eine Änderung der Rentenformel in dem gewünschten Sinne. Ich darf hier auf die sogenannte Niveaustabilisierungsformel von Professor Grohmann und die Korridorlösung von Professor Schmähl hinweisen. Es ist hier nicht der Ort, diese wissenschaftlich noch nicht voll ausdiskutierten Vorschläge vorzutragen; denn der Grad der Kompliziertheit ist erheblich.
Wichtig ist, daß das demographische Risiko, das über die Rentenversicherung nicht gesteuert werden kann, in gerechter Weise sowohl auf Rentner wie Versicherte verteilt wird und nicht einseitig.
Die demographische Entwicklung - dies ist wohl unausweichlich - wird früher oder später, 1990, 1995 oder 2000, zu gewissen Opfern der Versicherten und Rentner in Form einer verringerten Rentenerwartung bzw. einer höheren Beitragsbelastung führen.
Eine einseitige Belastung der Rentner, wie sie letztlich durch das Zwanzigste und Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz den Rentnern durch eine Verringerung der Renten um insgesamt 15 % zugemutet worden ist, darf, jedenfalls aus der Sicht der CDU/CSU, nicht Schule machen. Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen. Mit anderen Worten: Eine einseitige Belastung der Rentner muß in Zukunft auch bei extremer Verschlechterung der Finanzlage vermieden werden. Hier bietet sich der Einbau einer Komponente in die Rentenformel, die die Lasten auf Versicherte über Beitragserhöhung und Rentner durch verringerte Rentenanpassungssätze gerecht verteilt, geradezu an.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen bitte folgendes nicht aus dem Auge verlieren: Wir haben im Grunde genommen j a drei Arten von Beitragszahlern, nämlich Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Hand. Die öffentliche Hand hat sich in den letzten Jahren aus der Verantwortung gestohlen, so daß ihr Beitrag - Bundeszuschuß zu den Ausgaben der Rentenversicherungsträger - Frau Fuchs, Sie können noch so mit dem Kopf schütteln, an dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei - von 33 % auf 15 % durch die Übertragung von 3,5 Milliarden DM an die Bundesanstalt für Arbeit herabgesunken ist.
({7})
Die öffentliche Hand hat sich hier also aus der Verantwortung gestohlen.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Nur eine - wegen der Zeit, nicht aus grundsätzlichen Erwägungen.
Herr Kollege Franke, hätten Sie die Güte, zu bestätigen, daß sich die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt seit Beginn der Republik immer in der Höhe von 10 % des Bundeshaushaltes bewegt haben und daß insoweit von einer Kürzung der Leistungen der öffentlichen Hand für die Versicherungsträger überhaupt nicht die Rede sein kann?
Lieber Herr Kollege Cronenberg, Sie vergleichen hier doch Äpfel mit Birnen.
({0})
Wir beide wissen doch ganz genau - Sie wissen es genausogut wie ich -, daß die Bemessungsgröße nicht der Bundeshaushalt ist. Bemessungsgröße sind vielmehr die Ausgaben der Rentenversicherungsträger.
({1})
Der Bundestag - egal, unter welcher Regierung - hat den Rentenversicherungsträgern ganz bestimmte Auflagen gemacht, auch zu unserer Zeit. Diese Ausgaben, die wir den Rentenversicherungsträgern auferlegt haben, die die Beitragszahler originär nicht zu verantworten haben, machen 33 % der Rentenausgaben aus. Der Bund setzt heute aber nur 15 % als Gegenleistung dafür ein. Lieber Herr Kollege Cronenberg, ich lade Sie bald ein, in unserer Arbeitsgruppe mit uns darüber zu diskutieren. Dann werden wir Sie entsprechend aufklären. Diese Einladung ist ernst gemeint.
({2})
- Ja, es gibt auch etwas zu trinken, wenn Sie kommen.
Es gilt in Zukunft, eine gleichmäßige Verteilung der aus der demographischen Entwicklung resultierenden Belastung gerecht auf Beitragszahler und Rentner zu erreichen. Eine solche Stellgröße oder ein solcher zusätzlicher Faktor in der Rentenformel hätte auch den Vorteil, daß nur dann im notwendigen Umfange eine Änderung erfolgt, ein Opfer abverlangt würde, wenn dies eindeutig aus der demographischen Entwicklung abzuleiten ist. Eine geringfügige Veränderung der Beitragshöhe bzw. der Rentenanpassung scheint - trotz der Höhe, die wir jetzt schon zu verzeichnen haben - zumutbar, zumal die jährlichen Änderungen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich als Änderungen hinter dem Komma auswirken würden. Der Einbau einer bevölkerungspolitischen Komponente in die Rentenformel, deren technische Durchführung sicherlich kompliziert ist, sollte zu einer Zeit erfolgen, zu der sich die demographische Entwicklung noch nicht in den Rentenfinanzen auswirkt.
Durch die oben geschilderte Maßnahme, die noch durch eine Aktualisierung - ein neuer Vorschlag - der Rentenanpassung ergänzt werden könnte, ist es unseres Erachtens möglich, die Rentenversicherung langfristig aus den konjunkturellen und auch aus den demographischen Turbulenzen herauszuhalten, in die sie nach heutiger Auffassung um die Jahrtau2068
sendwende zu geraten droht. Der Einbau von mehr Regelmechanismen in die Rentenversicherung ist notwendig. Dies wird auch von den fachkundigen Kollegen der SPD und FDP - folgt man Presseäußerungen und Äußerungen hier im Plenum - anerkannt.
Lassen Sie mich nun noch einige Sätze zur Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung sagen, bevor ich auf die Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner im RAG '82 zu sprechen komme. Die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung ist uns vom Bundesverfassungsgericht bis zum 1. Januar 1985 auferlegt worden. Dank der Vorarbeiten der Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, der sogenannten 84er-Kommission, zeichneten sich Lösungsvorschläge ab, die in Form der Teilhaberente
- in der Variante 3 - von allen drei Parteien dieses Hauses als mögliche realisierbare Lösung ins Auge gefaßt wurden. Die Verschlechterung der Finanzlage - auf Grund der konjunkturellen Entwicklung
- der Rentenversicherungsträger, noch verstärkt durch die von der Bundesregierung vorgenommene Kürzung der Bundeszuschüsse um 3,5 Milliarden DM und vielleicht weitere notwendige Kürzungen - wenn ich heute das „Handelsblatt" lese und hier das Streichduo, -quartett, -quintett oder -sextett der FDP zitiert worden ist, weiß ich nicht, was noch alles auf uns zukommt -, führt dazu, daß heute alle Rentenversicherungsträger dieses Modell der Teilhaberente mit 70 % der gemeinsam in- und außerhalb der Ehe erworbenen Rentenanwartschaft, mindestens jedoch 100 % der eigenen erworbenen Rentenanwartschaft, als nicht mehr finanzierbar bezeichnen
- jedenfalls nicht beitragsneutral. Herr Kollege Egert, Sie können sich vorstellen, daß hier Ihr Name auf meinem Zettel steht. Ich will nur auf das verweisen, was Sie im „Vorwärts" gesagt haben.
({3})
Ich will das jetzt nicht weiter vertiefen. In der Kommission, aber auch in anderen Fachkreisen besteht einhellig die Meinung, daß eine Teilhaberente in Höhe von nur 65 %, die eventuell noch finanzierbar wäre, mehr negativ Betroffene als positiv Betroffene mit sich bringen würde.
({4})
Die erwerbstätigen Frauen würden ohnehin bei Realisierung der Teilhaberente selbst bei einem Teilhabesatz von 70 % eine Einbuße gegenüber dem Besitzstand erfahren. Eine Teilhaberente mit 65 % erscheint aus heutiger Sicht nicht mehr als Rentenreform, sondern eher als Rentendemontage,
({5})
gerade für den Personenkreis - nämlich Witwen -, deren Rentenhöhe ohnehin als zu niedrig angesehen wird.
Die SPD macht es sich zu leicht, angesichts dieser selbstverschuldeten Lage die Besitzstandsklausel - hier steht wieder „Egert" - und die Besitzstandsklausel aufzugeben. Die 100 % Garantie der eigenerworbenen Ansprüche ist essentieller Bestandteil der Teilhaberente in der Variante 3. Sie ist verfassungs gerichtlich geboten ich verweise hier auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Versorgungsausgleich - und kostet im übrigen nicht soviel, wie man bisher angenommen hat, Herr Kollege Egert. Ein Verzicht würde also nicht einmal, wie Sie es erdacht haben, die Finanzmasse ergeben, die für die Finanzierung der 70 % Teilhaberente erforderlich wäre.
Die prekäre Finanzlage der Rentenversicherung, von SPD und FDP herbeigeführt, wird die Regierung wahrscheinlich zwingen, andere Modelle zu überlegen. Der Herr Kollege Egert hat hier so einen Versuchsballon gestartet. Ich befürchte, daß Sie den Kollegen Egert erst einmal ins Minenfeld geschickt haben, um den Weg für nachkommende Anregungen aus der zur Zeit noch amtierenden Bundesregierung freizumachen.
({6})
Im Augenblick hat er das, zumindest hier - von Berlin will ich nicht reden -, unbeschadet überstanden; das liegt wahrscheinlich an seiner Figur.
In diesem Zusammenhang wird auch die Anrechnung von Erziehungszeiten eine gewichtige Rolle spielen. Auch hier ist die Finanzierung ins Wanken geraten. Es ist bekannt, daß die Anrechnung auch nur eines Erziehungsjahres für Neugeborene bei der Rente der Mutter jährlich mindestens 3,5 Milliarden D-Mark an Bundesmitteln erfordert. Bei dem hohen Verschuldensstand, dem Zustand der öffentlichen Finanzen, von Ihnen herbeigeführt, finden wir in den Kassen des Bundes nicht eine Mark zu der Finanzierung dieser Probleme von 1984 - im Gegenteil, das ist verfrühstückt worden. Der Erwartungspegel in bezug auf die Rentenreform 1984 kann vom Gesetzgeber infolge der fehlenden Finanzmassen durch Reformen nicht erfüllt werden.
Die CDU/CSU hält an ihren Grundüberlegungen der Anrechnung von Erziehungszeiten fest. Man wird aber wegen der leeren Kassen, die Sie, meine Damen und Herren, herbeigeführt und zu verantworten haben, diesem Ziel der familien- und rentenpolitischen Maßnahme in absehbarer Zeit nur in kleinen Schritten näherkommen können. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei Ihnen, meine Damen und Herren!
({7})
Lassen Sie mich nun zu dem stark umstrittenen Teil des Rentenanpassungsgesetzes 1982, der Krankenversicherung der Rentner, kommen. Die beabsichtigte Neuregelung der KVdR, der Krankenversicherung der Rentner, ist aus der Sicht der CDU/CSU mit heißer Nadel genäht.
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Die Kritik, soweit sie schon zum Ausdruck gebracht wurde, ist sehr heftig. Der CDU/CSU erscheint bei grundsätzlicher Befürwortung eines Krankenversicherungsbeitrags der Rentner - falls eine solche Belastung der Rentner unbedingt erforderlich ist - das schrittweise Vorgehen bei der Reform der KVdR wenig sinnvoll. Statt 1982, wie vorgesehen, soll bekanntlich 1983 zunächst eine sogenannte Individualisierung des Krankenversicherungsbeitrages, den die Rentenversicherung an die KrankenversicheFranke
rung pauschal zahlt, durchgeführt werden. Herr Mischnick, dabei gucke ich Sie an! Diese Regelung, die wahrscheinlich mehr Kostenbewußtsein in der Krankenversicherung herbeiführen soll, wird mit Sicherheit ihr Ziel verfehlen. Grund hierfür sind die gegenüber der ursprünglichen Konzeption - Mischnick - durchgeführt erheblichen Änderungen. Statt der individuellen Beitragszahlung bleibt es bei der pauschalen Beitragszahlung, und für den Rentner wird lediglich auf dem Rentenbescheid eine zusätzliche Zahl ausgedruckt. Das ist ein Buchungsvorgang. Auf dem Rentenanpassungsbescheid würde in Zukunft die Höhe des Zuschusses, den die Rentenversicherung an die Krankenversicherung für die KVdR zahlt, ausgewiesen.
Der Effekt dieser Maßnahme ist fragwürdig. Eine Kostensteuerung durch mehr Kostenbewußtsein ist wohl kaum zu erwarten. Die Maßnahme bietet weder der gesetzlichen Rentenversicherung noch der gesetzlichen Krankenversicherung noch den Versicherten irgendwelche Vorteile. Außer zusätzlichen Verwaltungskosten bringt die Realisierung des sogenannten erheblich reduzierten Mischnick-Planes - ich tue Ihnen die Ehre an, verehrter Herr Kollege ({9})
nichts. - Sie haben sich nicht durchgesetzt, Herr Mischnick. Da ist nur eine Überschrift geblieben.
Für die Rentenversicherung ändert sich an der Höhe der Leistungen nichts, und auch für die Versicherten ist die Änderung zunächst belastungsneutral. Die CDU/CSU sieht in der sogenannten Individualisierung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner, der Umwandlung des Beitrags in einen Krankenversicherungszuschuß, keinen Sinn; denn Kostendämpfung durch mehr Kostenbewußtsein - falls dies das Ziel sein sollte - findet nicht statt.
Auch der zweite Schritt der Neuregelung der KVdR, die Einbeziehung von sogenannten Versorgungsbezügen in die Beitragspflicht der Krankenversicherung, muß von der CDU/CSU kritisiert werden.
({10})
Folgt man den Äußerungen des Bundesarbeitsministers und der Begründung des Gesetzes, so soll die Einbeziehung der Versorgungsbezüge mehr Beitragsgerechtigkeit bringen. Die ursprüngliche Idee und wohl auch Begründung für die geplante Neuregelung war, Versorgungsbeziehern, z. B. Beamten und Betriebsrentnern, die kostenlose Krankenversicherung bei gleichzeitigem Rentenbezug abzuschneiden und durch die Belastung der Pensionen und Betriebsrenten kleine Schritte in Richtung Harmonisierung der Alterssicherungssysteme zu machen. Die vorgeschlagene Lösung bringt kaum mehr Beitragsgerechtigkeit, bewirkt kaum eine Harmonisierung der Alterssicherungssysteme und verhindert letztlich auch nicht eine Überstrapazierung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Die Ausnutzung der Solidargemeinschaft durch Kleinstrentner mit hohen anderen Altersbezügen ist durch das KVKG - dort haben wir durch § 165 Abs. 1 Ziffer 3 eine erhebliche Einengung ermöglicht schon erheblich reduziert worden. Bekanntlich muß der Rentner, wenn er kostenlos versichert sein will, die Hälfte der Zeit seit dem 1. Januar 1950 von der erstmaligen Aufnahme der Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein. Hierdurch ist das Ausnutzen der Renten- und Krankenversicherung und damit eine Überstrapazierung der Solidargemeinschaft für die Zukunft weitgehend ausgeschaltet.
Um eine Ausnutzung der Renten- bzw. Krankenversicherung in Zukunft noch stärker zu vermeiden
- und das ist j a eines der von Ihnen propagierten Ziele -, müssen Sie nach meiner Auffassung - ich zähle das nur einmal auf - mit anderen Maßnahmen an diese Sache herangehen. Die kostenlose Krankenversicherung können Sie z. B. noch mehr einengen, indem Sie statt der Hälfte der Zeit, wie es jetzt im Gesetz steht, zwei Drittel oder gar drei Viertel der Zeit - Herr Schewe beugt sich gerade vor - als notwendige Zeit der Mitgliedschaft bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung vorschreiben. Ich plädiere nicht dafür; ich sage nur, das wäre eine Möglichkeit, wenn Sie das wollen; und Sie wollten das ja. Ich darf auf die Argumentation des Bundesrats hinweisen. Ich verweise darauf, ich zitiere nicht mehr. Das Ziel der Verhinderung der Ausnutzung der Solidargemeinschaft ist also auf anderem Wege einfacher und wirkungsvoller zu erreichen.
Im Hinblick auf Beitragsgerechtigkeit ergeben sich nach unserer Ansicht durch die neue Regelung eher weitere Verzerrungen als eine gerechtere Verteilung der Beiträge. So muß z. B. ein freiwillig versicherter Beamter von seinem Gesamteinkommen 11,7 bis 12 % Krankenversicherungsbeitrag zahlen.
- Ich rede deswegen so schnell, lieber Parlamentarischer Geschäftsführer Gerhard Kunz, weil hier die gelbe Lampe schon leuchtet. Du hast mir nur 25 Minuten Redezeit herausgeholt. - Hierbei sind bis zur Beitragsbemessungsgrenze auch Einkommen aus Vermietung und Verpachtung mit eingeschlossen. Ein anderer Beamter hingegen, der nur 100 DM Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aber neben einer Pension von 2 000 DM erhält, würde nach der Neuregelung neben dem Beitrag des Rentenversicherungsträgers in Höhe von 11 DM bei seiner Beamtenpension nur mit 5,9 % zusätzlich belastet. Herr Ehrenberg ist eben darauf eingegangen. Bei der Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze würde zudem bei dem erstgenannten Beamten das Einkommen aus Vermietung und Verpachtung angerechnet und belastet, beim letzteren würden diese Einkommen jedoch außen vor bleiben. Das Beispiel ließe sich für Betriebsrentner genauso bilden.
Meine Damen und Herren, hinzu kommen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten innerhalb der einzelnen Kategorien der Versorgungsbezüge. Dies gilt insbesondere auch für die betriebliche Altersversorgung in ihren Abgrenzungen zur privaten Eigenvorsorge und hier wiederum verstärkt für den Bereich der Lebensversicherung. So ist beispielsweise nicht geklärt, ob eine betriebliche Altersversorgung, die zu 90 % durch den Arbeitnehmer selbst finanziert
wird und nur zu 10 % durch den Arbeitgeber, in die Beitragspflicht der KVdR einbezogen wird oder nicht. Bei Gehaltsumwandlungsversicherungen ergeben sich ähnliche Schwierigkeiten der Abgrenzung, insbesondere auch dann, wenn eine betriebliche Altersversorgung z. B. auf dem Wege der Direktversicherung einem ausscheidenden Mitarbeiter mitgegeben wurde.
Herr Abgeordneter Franke, würden Sie bitte zum Schluß kommen.
Ich komme sofort zum Schluß, Herr Präsident. Es tut mir außerordentlich leid, ich habe noch eine ganze Reihe von Punkten. Ich breche hier einfach bei einem Punkt ab, möchte aber noch folgendes sagen:
Wenn ein anderes Motiv, nämlich das der Finanzierung eine Rolle gespielt haben sollte, dann muß ich sagen, daß bei der Einnahme von 800 Millionen bis 1 Milliarde DM ein Verwaltungsaufwand von 500 bis 600 Millionen DM gegenübersteht. Also auch das kann nicht das Motiv sein.
Harmonisierung findet nicht statt, Beitragsgerechtigkeit findet nicht statt, finanzieller Aufwand findet nicht statt, aber hohe Verwaltungskosten finden statt: Weshalb machen Sie dieses Theater?
Herr Präsident, darf ich noch zwei, drei Sätze sagen?
Herr Abgeordneter Franke, Sie haben Ihre Redezeit um über zwei Minuten überschritten. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich will nicht davon sprechen, daß es die Krankenversicherungsträger und die BfA übernehmen müssen, diese Beiträge einzuziehen. Diese Selbstverwaltungsorgane - sie sind selbst schon daraufhin angesprochen - sagen, das sei wirklich keine Regelung und keine Möglichkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der Argumente gegen KVdR und Einbeziehung der anderen Einkommen würde ich Ihnen im Namen der CDU/CSU vorschlagen, die Punkte 1 und 2, Dynamisierung der Renten ab 1. Januar 1982 und die Regelung der Auslandsrenten, vom Abschnitt KVdR und Versorgungsbezüge abzukoppeln; dann haben Sie das sehr schnell über die Bühne, und es bleibt uns Zeit für die Bearbeitung des Teiles Krankenversicherung und seiner Probleme.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf mit einem Zitat aus dem letzten Gutachten des Sozialbeirats schließen. Er sagt:
Die Lösung grundsätzlicher Probleme der Altersversicherung, z. B. der Verteilungsrelationen zwischen Rentnern und Erwerbstätigen und damit der Höhe des Rentenniveaus sowie der Gleichbehandlung verschiedener Einkünfte durch isolierte Regelung der Krankenversicherung der Rentner zu präjudizieren ..
Der Sozialbeirat spricht sich dafür aus, direkt und indirekt eine Abkopplung dieses Teils herbeizuführen. Die Fraktion der CDU/CSU schließt sich diesem Petitum an. Ich bitte um die Zustimmung der Fraktionen von SPD und FDP zu diesem Punkt. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Franke wäre sicher nicht in die Verlegenheit gekommen, seine Redezeit so zu überziehen, wenn er nicht im zweiten Teil seiner Rede so getan hätte, als wären wir in einer Ausschußberatung. Ich möchte mich mit Ihrer Hilfe davor hüten, ihn nachzuahmen. Über die Dinge, die im zweiten Teil seiner Rede angesprochen worden sind, können und müssen wir in den Ausschußberatungen sehr eingehend miteinander reden. Dazu sind wir auch bereit.
Ich muß sagen: Zumindest im ersten Teil der Rede des Kollegen Franke habe ich diesmal eine für ihn eigentlich außergewöhnliche Sachlichkeit festgestellt.
({0})
- Vielleicht. - Ich danke Ihnen dafür, weil das in der Tat die Basis für gemeinsame Beratungen und Entscheidungen in den zuständigen Ausschüssen, vor allem im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, sein kann. Dabei wollen wir uns allerdings befleißigen, daß sehr schnell zu tun, weil dieser Gesetzentwurf sehr schnell verabschiedet werden muß. Er soll ja zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten.
Ich kann Ihnen bereits jetzt sagen, daß wir nicht bereit sind, den Teil „Krankenversicherung der Rentner" von diesem Gesetzentwurf abzukoppeln,
({1})
und zwar deswegen nicht, weil dieser Teil überhaupt der einzige Ansatz in diesem Gesetzentwurf ist, um die Belastungen, die hier unvermeidbar sind, für Arbeitnehmer und Rentner gerecht und gleichmäßig zu verteilen. Das ist der Einstieg in eine solche Regelung, und ich glaube, wir sollten damit nicht warten; aber ich komme darauf gleich noch zu sprechen.
Ich wollte noch sagen, daß das, was ich heute von Herrn Kollegen Franke gehört habe, natürlich merkwürdig von dem absticht, was ich von ihm lese, insbesondere von dem, was er am 17. Februar im „Deutschland-Union-Dienst" verbreitet hat. Da steht zum Schluß folgender Satz:
Unseriosität beherrscht die Regierungsrentenszene.
({2})
Das hört sich immer gut an, das klingt immer gut.
Die Versicherten und Rentner werden hinsichtlich der Planung ihres Lebensabends immer stärker irritiert und verunsichert.
({3})
Er hat hier vergessen anzufügen: durch die CDU/ CSU, meine Damen und Herren,
({4})
denn bei den Rentnern ist durchaus keine Verunsicherung, keine Irritation zu spüren. Ich glaube, es hat selten seit
({5})
1976/77 ein solches Vertrauen in die Rentenversicherung und in die Rentenzusage
({6})
gegeben wie heute. Es gibt dieses Problem, von dem Sie reden, unter den Rentnern nicht.
({7})
Wir sind eigentlich sehr stolz darauf, weil wir doch immerhin 1977 mit dem Zwanzigsten und dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz Konsolidierungsmaßnahmen durchgeführt haben,
({8})
die nicht ganz einfach waren, die aber - von seiten der Rentner, und auch von seiten der Versicherungsträger anerkanntermaßen - gelungen sind. Sie haben diesen Maßnahmen damals nicht zugestimmt. Sie haben bedauert, daß wir die Rentenanpassung für drei Jahre festgeschrieben haben. Sie haben allerdings gesagt, daß sie es begrüßen, daß wir ab 1. Januar nächsten Jahres zur bruttolohnbezogenen Anpassung zurückkehren. Das begrüßen wir als Sozialdemokraten auch ganz besonders.
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Wir verspüren auch so ein bißchen stolz in der Brust dabei, daß trotz Ihrer Propaganda, wir seien „Rentenbetrüger" und ähnlicher Unappetittlichkeiten, hier doch eigentlich ganz klar geworden ist, daß man sich auf die Zusagen der Sozialdemokraten - übrigens nicht nur im Bereich der Sozialpolitik, aber da natürlich insbesondere ({10}) verlassen kann.
({11})
Meine Damen und Herren, das ist mit aller Deutlichkeit festzustellen: Wären wir Ihrem Rat gefolgt, könnten wir am 1. Januar 1982 die bruttolohnbezogene Anpassung nicht durchführen.
({12})
Das können wir allerdings jetzt auf Grund dieser Maßnahme.
({13})
- Sie hätten natürlich etwas zur Konsolidierung der Rentenfinanzen tun müssen,
({14})
denn Sie wären viel weniger Herr der nationalen und vor allem auch der internationalen wirtschaftlichen Entwicklung gewesen. Das ist doch alles Geschichtsklitterei! Nun fangen Sie doch damit nicht wieder an!
Sie haben nun versucht, Herr Franke, hier heute eine Debatte in Sachen Rentenreform 1984 bzw. 1985 zu führen. Das steht gar nicht auf der Tagesordnung. Ich will deswegen hier auch nicht auf die einzelnen Probleme eingehen; ich möchte Ihnen nur folgendes dazu sagen: Die Aussage des Kollegen Egert in der vergangenen Woche, die Sie sich selber schon zu eigen gemacht hatten, haben Sie zum Anlaß für eine Kritik genommen. Sie haben nämlich im „Deutschland-Union-Dienst" der CDU mit dem Datum 17. Februar erklärt, wenn man sich die wahre Lage der Rentenversicherung anschaue, werde wohl die Partnerrente in Höhe von 70 % der gemeinsamen Ansprüche nicht finanzierbar sein.
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Außerdem muß ich bei dieser Gelegenheit - das dürfen wir nicht auslassen - auf Vorschläge des früheren CDU-Generalsekretärs und des heutigen CDU-Oppositionsführers im Düsseldorfer Landtag Biedenkopf verweisen, der, wenn man sich diese Vorschläge einmal genauer ansieht, schlicht die Rentenversicherung abschaffen will.
({16})
Wenn wir dies in der unsachlichen Form, in der Sie in Ihren schriftlichen Äußerungen Kritik üben - im Gegensatz zu dem, was Sie heute gesagt haben -, ausschlachten und in einen Zusammenhang mit der CDU brächten, würden Sie nicht ganz gut aussehen. Wir werden in der nächsten Zeit noch Gelegenheit haben, etwas näher über die Vorschläge von Herrn Biedenkopf zu reden und auch deutlich zu machen, was das eigentlich für die Arbeitnehmer und für den Bestand der gesetzlichen Rentenversicherung, den Sie so gefährdet sehen, auf die Dauer bedeutet.
({17})
- Ich will hoffen, daß das geschieht. Im übrigen habe ich den Eindruck - das muß ich offen sagen -, daß die Vorschläge Biedenkopfs nicht in allen Teilen der CDU/CSU-Fraktion auf helle Begeisterung gestoßen sind.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Rentenanpassungsgesetzes 1982. Dies gilt vor allem für den wichtigsten Bestandteil dieses Gesetzes, nämlich für die Erhöhung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung um 5,8 % zum 1. Januar nächsten Jahres.
({18})
Ich betone noch einmal, daß die sozialliberale Koalition damit das Versprechen einlöst, das sie bereits bei der Verabschiedung des 21. Rentenanpassungsgesetzes im Jahre 1978 gegeben und im vergangenen Bundestagswahlkampf erneut bekräftigt hat.
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- Ich weiß genau, was ich 1976 gesagt habe; aber Sie scheinen es nicht zu wissen. Sie sollten das einmal nachlesen! Damals haben wir jedenfalls zugesagt, die Renten ab 1982 wieder der Bruttolohnentwicklung anzupassen. Herr Kollege Franke hat hier vorhin nur von einer Lohnanpassung und nicht von einer Bruttolohnanpassung gesprochen.
({20})
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zeigt, daß wir unser Wort halten.
Wir befürworten auch die von der Bundesregierung im Gesetzentwurf vorgeschlagene Bestimmung zur Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages. In diesem Punkt unterscheiden wir uns ganz grundsätzlich von der CDU/CSU.
({21})
Auch wenn sich für diejenigen Rentner, die lediglich eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als einzige Einkommensquelle haben, im finanziellen Ergebnis nichts ändert, ist es gut, wenn die Zahlungen, die bislang pauschal von den Rentenversicherungsträgern an die Krankenkassen geflossen sind, zukünftig offen als Beitrag des einzelnen Rentners ausgewiesen werden. Wir stehen voll dahinter. Es kann dann nicht mehr das Mißverständnis entstehen, das sich bei manchen Arbeitnehmern eingestellt hat, daß die Rentner durch eine scheinbar kostenlose Krankenversicherung einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber den aktiven Versicherten hätten, weil das auch nicht den Tatsachen entspricht.
({22})
Den Hauptvorteil des individuellen Rentnerkrankenversicherungsbeitrags sehen wir Sozialdemokraten aber darin, daß er die Verteilungsproportionen unter den Rentnern wesentlich verbessert und die Verteilungsproportion im Verhältnis der Rentner zu den Arbeitnehmern verbessert. Ich finde, das haben Sie bei Ihren Überlegungen sträflicherweise vernachlässigt, und da werden wir natürlich noch auf Sie zukommen. Wir wissen, daß die Einkommenssituation der Rentner außerordentlich unterschiedlich ist. Das ist nicht zuletzt deshalb so, weil ein großer Teil der Rentner allein auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angewiesen ist, während ein anderer Teil durch eine oder mehrere Zusatzrenten demgegenüber oftmals beträchtliche Einkommensverbesserungen hat. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Sie diesen Zustand so weiter schluren lassen wollen, ohne mit uns zusammen zu überlegen, wie das besser gemacht werden kann.
Der individuelle Krankenversicherungsbeitrag der Rentner schafft einen gewissen Ausgleich, übrigens auch gegenüber den Arbeitnehmern - das scheinen Sie übersehen zu haben -, indem er den Beziehern von Zusatzrenten eine maßvolle Beitragsbelastung zumutet, während die Rentner, die ohne Zusatzrente auskommen müssen, belastungsfrei bleiben. Auch das muß hier besonders unterstrichen werden.
Ich möchte an dieser Stelle bereits betonen, daß deshalb für uns Sozialdemokraten die unterschiedslose Heranziehung aller zusätzlichen Alterseinkommen zum Krankenversicherungsbeitrag ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Gesetzesvorhabens ist und bleiben muß.
({23})
Wir stellen mit Befriedigung fest, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung in nahezu allen Punkten den Vorstellungen entspricht, die von sozialdemokratischer Seite bereits bei früheren Gelegenheiten als Grundpositionen für die Einführung des individuellen Rentnerkrankenversicherungsbeitrags genannt worden sind.
Wir begrüßen, daß der Gesetzentwurf die lückenlose Einbeziehung aller zusätzlichen Alterseinkommen in die Beitragspflicht vorsieht. Das gilt auch für die Direktversicherungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung und für diejenigen Versorgungsbezüge, die in Form von Einmalzahlungen geleistet werden. Ohne diese Bestimmungen wäre es ein leichtes, durch entsprechende Umgestaltung der betrieblichen Versorgungsleistungen den Krankenversicherungsbeitrag für das zusätzliche Alterseinkommen zu umgehen. Das wollen wir auf alle Fälle verhindern.
Wichtig ist auch, daß für den Einzug der Rentnerkrankenversicherungsbeiträge in aller Regel ein Quellenabzugsverfahren vorgesehen ist. Wir legen größten Wert darauf, daß der einzelne Renter nach Möglichkeit von unnötiger Bürokratie und Papierkrieg verschont bleibt. Zwar ist bei Versorgungseinrichtungen mit weniger als 30 Versorgungsberechtigten eine persönliche Beitragszahlung durch den Rentner vorgesehen; wir gehen aber davon aus, daß hiervon nur relativ wenige Rentner betroffen sein werden.
Wir begrüßen auch, meine Damen und Herren, daß bei der Bemessung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags ein einheitlicher Beitragssatz vorgesehen ist, unabhängig davon, welcher Krankenkasse der einzelne Rentner angehört. Ohne diesen einheitlichen Beitragssatz wäre ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand - da hätten Sie recht, Herr Franke; das kann hier aber nicht passieren - bei den Rentenversicherungsträgern unvermeidbar gewesen.
Aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist allerdings zu bedauern - auch das will ich nicht verschweigen -, daß bezüglich der Beiträge, die auf zusätzliche Alterseinkommen zu entrichten sind, der Beitragssatz in Höhe des Arbeitnehmeranteils der jeweiligen Krankenkasse zugrunde gelegt werden soll. Da die KrankenkassenGlombig
Beiträge trotz eines nahezu einheitlichen Leistungsniveaus - das stimmt j a wohl - eine erhebliche Spannbreite von 8 bis 15 % aufweisen, kommt es dadurch zu einer sozialpolitisch eigentlich kaum vertretbaren unterschiedlichen Behandlung der Rentner. Außerdem erschwert die Anwendung unterschiedlicher Beitragssätze natürlich das Verwaltungsverfahren beim Einzug der Beiträge. Wir werden uns bei der Ausschußberatung dafür einsetzen, daß dieser Punkt überprüft wird, und ich meine, das kann man auch vertreten.
Die Notwendigkeit einer weiteren Diskussion besteht aus sozialdemokratischer Sicht auch bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Sonderbehandlung der Altersrenten der Landwirte. Es wäre an sich konsequent gewesen, die für die Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung vorgesehene Lösung auch auf die Altershilfe der Landwirte zu übertragen. Immerhin sehen wir einen positiven Ansatz darin, daß die landwirtschaftlichen Altersrenten wenigstens in den Fällen zum Krankenversicherungsbeitrag herangezogen werden sollen, in denen sie als Zusatzrenten zu einer Rente aus der Arbeiterrentenversicherung oder der Angestelltenversicherung hinzukommen.
Vielleicht werden die besseren Argumente schließlich doch zu einer Verbesserung des Gesetzentwurfs auch in diesem Punkt im Sinne von mehr Gerechtigkeit und Solidarität führen.
Eine besondere Bemerkung verdienen die Änderungsvorschläge, die der Bundesrat zu dem geplanten Krankenversicherungsbeitrag der Rentner beschlossen bzw. angeregt hat. Da ist zunächst die Forderung, auch für Krankenkassenbeiträge auf zusätzliche Alterseinkommen einen einheitlichen Beitragssatz anzuwenden, also keine unterschiedliche Beitragsbelastung - je nach dem, bei welcher Krankenkasse der Rentner versichert ist - zuzulassen. Diese Forderung entspricht, wie ich bereits ausgeführt habe, auch den Intentionen der SPD-Bundestagsfraktion. Deshalb hoffen wir, daß das Votum des Bundesrates in diesem Punkt in den Ausschußberatungen Berücksichtigung findet.
Herr Abgeordneter Glombig, Sie werden sicher gemerkt haben, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. Würden Sie bitte zum Schluß kommen.
Ich danke Ihnen für diesen Hinweis. Ich will es auch nicht unbedingt dem Kollegen Franke nachmachen. Ich möchte mit zwei Bemerkungen schließen. Herr Präsident, darf ich das tun?
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Ja, ja, sicher.
({1})
Ich möchte abschließend noch einmal betonen: Völlig unannehmbar für uns ist ein weiteres Begehren des Bundesrates, nämlich die Pensionen der Beamten zur Beitragspflichtigkeit nicht heranzuziehen. Wir werden auf diesem Punkt des Gesetzentwurfes bestehen und alle Mittel einsetzen, damit er zum Zuge kommt.
Zum anderen habe ich noch eine inständige Bitte: Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf trotz der Mammutanhörung, die erst für Mitte des kommenden Monats vorgesehen ist, zügig und möglichst sachlich beraten. Die baldige Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Ganzen, in beiden Teilen, ist sozialpolitisch notwendig.
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Wir werden jedenfalls einer Abkoppelung des zweiten Teils dieses Gesetzentwurfes unsere Zustimmung nicht geben können. - Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn auch den letzten an diesem Tage in dieser Debatte
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die Zeituhr der parlamentarischen Geschäftsführer am meisten beißt - mir stehen nur noch zehn Minuten von der gemeinsam vereinbarten Zeit zur Verfügung -, so möchte ich doch zwei Vorbemerkungen machen.
Zunächst ein Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen, die noch hier sind und es wenigstens ermöglichen, in einer „erweiterten Ausschußsitzung" über diese Vorlage zu diskutieren.
Eine zweite, etwas kritischere Bemerkung aus der Erfahrung 20jähriger Sozialpolitik an die parlamentarischen Geschäftsführer und vielleicht auch an den Ältestenrat; ich glaube, ich spreche hier im Namen vieler Sozialpolitiker. Man sollte sich einmal überlegen, welchen Eindruck es macht, wenn die sozialpolitischen Debatten immer oder fast immer am Ende einer langen Tagesordnung stattfinden,
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was aus vielerlei Gründen zu einer so geringen Besetzung führt. Ich sehe das vor allen Dingen aus einem Grunde als etwas problematisch an. Die Themen, die wir diskutieren, sind für die Öffentlichkeit und alle Bürger draußen mindestens so wichtig - das darf ich wohl einmal sagen - wie die beiden anderen Themen „Sicherheit" und „Energie", die uns heute stundenlang beschäftigt haben.
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Über die Zukunft der Rentenversicherung sollte nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit diskutiert werden, wie das heute leider der Fall ist.
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Nun wenige Sätze - wie gesagt, aus Zeitgründen - zu der Vorlage. Zunächst darf ich es für die Freien Demokraten sehr begrüßen und der Bundesregierung dafür danken, daß sie sowohl das Anpassungsgesetz mit der Anpassungsrate für 1982, aber auch
Schmidt ({4})
den zweiten Teil, nämlich die Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner zum 1. Januar 1983, so rechtzeitig vorgelegt hat, daß durch zügige Beratungen das Inkrafttreten aller darin enthaltenen Bestimmungen ermöglicht und technisch durchführbar wird.
Wir begrüßen, daß mit der Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Anpassung zum 1. Januar 1982 das auch von uns gegebene Versprechen eingehalten wird. Damit ist klar, daß die Renten in Zukunft weiter anwachsen werden. Klar ist - da hat der Kollege Franke eine Reihe von Anregungen angesprochen -, daß wir uns in aller Kürze mit den Fragen, die 1984 und 1985 vor uns stehen und über die wir uns in den Grundzügen interfraktionell in der 84er Kommission schon so langsam etwas verständigt haben, beschäftigen werden, damit diese Entscheidungen auf den Weg gebracht werden können.
Ich möchte dazu einige Bemerkungen machen, ohne dabei allerdings von Minenhunden zu reden, die die einen herausschicken, wie Herr Kollege Franke gesagt hat, noch von Luftballons, die Herr Biedenkopf oder andere in die Höhe steigen lassen.
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Angesichts der zukünftigen Entwicklung und der zukünftigen Möglichkeiten sollte die CDU/CSU, ehe sie hier so oft hehre und manchmal auch polemische Worte findet - letzteres geschah heute nicht so sehr, Herr Kollege Franke -, vielleicht wieder manches Mal nachlesen, was ihr großer Nestor Nell-Breuning über die Möglichkeiten der Rentenversicherung über Generationen hin gesagt hat, über das wir gemeinsam nachdenken müssen.
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Man kann sich nicht immer nur das heraussuchen, was einem gerade paßt, sondern man muß, wenn man über die Zukunft diskutieren will, alles das, was dazu gesagt worden ist, mit einbeziehen.
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- Herrn Nell-Breuning haben Sie in den letzten Jahren, wenn Sie hier zu diesen Fragen gesprochen haben, bestimmt nicht mehr einbezogen.
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- Wir können uns, Herr Kollege Franke, Zwischenfragen jetzt leider nicht leisten.
Nun einige für uns wichtige Bemerkungen zu 1984: Wir gehen davon aus, daß das, was 1984/85 geregelt werden muß, so kostenneutral wie möglich geschieht. Wir gehen weiter davon aus, daß die Regelung unbedingt eine Garantie des eigenen Rentenanspruchs enthält. Dies ist für uns ein Grundsatz dieses versicherungsrechtlichen Systems, von dem wir nicht abzugehen gedenken. Ich glaube, dies für alle drei Fraktionen dieses Hauses sagen zu können, wenn auch manchmal von „Minenhunden" oder „Luftballons" die Rede ist. Denn ich habe bisher von keiner Seite dieses Hauses etwas anderes gehört.
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- Ich habe nicht von Minenhunden und nicht von Luftballons, sondern von den Seiten dieses Hauses gesprochen.
Nun noch einige Bemerkungen - ich sehe, es geht schon dem Ende zu - zum Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, zur Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner. Herr Kollege Franke, natürlich ist das eine Individualisierung der bisherigen Regelung. Natürlich ist hier der Weg, den wir Freien Demokraten seit langem gehen wollten, aufgezeichnet. Daß wir bei den 11,8 % zu einem Direktabzug kommen, spart auf der einen Seite die von Ihnen kritisierten Verwaltungskosten, auf der anderen Seite stehen diese 11,8 % individuell beim Rentner genauso auf dem Rentenbescheid wie beim Lohnempfänger die Abzüge für die Krankenversicherung.
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Lediglich die 11,8 % Pauschalbeitrag sind also nicht nach den einzelnen Krankenkassen individualisiert.
Überhaupt kein Verständnis habe ich dafür - Sie haben es nicht ganz so deutlich gesagt, wie Vertreter des Bundesrates es vorgetragen haben -, daß die Mehrheit des Bundesrates, die Ihnen ja wohl nahesteht, den öffentlichen Dienst bei den vergleichbaren Alterseinkommen ausklammern will, war es doch seinerzeit - gegen unsere Stimmen in diesem Hause ist es erfolgt - sicher eine Sünde wider die Solidarität, Rentenbezieher - unabhängig davon, ob sie eine kleine Zufallsrente oder eine große Alterspension hatten - krankenversicherungsfrei zu machen. Dies war eine Sünde wider den Geist der Solidarität. Jetzt wollen wir hier Gerechtigkeit, und Sie wollen da gerade diejenigen ausklammern, die aus Gerechtigkeitsgründen mit einbezogen werden müssen. Dafür habe ich allerdings kein Verständnis.
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Wir begrüßen es sehr, daß der nunmehr vorliegende Regierungsentwurf mit der Beitragsbemessungsgrenze auch die Beziehungen zur Lohnersatzfunktion der Alterseinkommen ganz klar wiederherstellt; ursprünglich waren j a auch einmal andere Überlegungen im Gange.
Wir werden uns bei den Beratungen noch darüber unterhalten müssen, ob eine Reihe von technischen Fragen besser geregelt werden kann. Ich gebe beispielsweise offen zu, daß der Komplex BfA als Einzugsstelle für mich eine Frage ist, die im Ausschuß noch einmal beraten werden muß. Ich glaube aber, auch hier werden wir gemeinsam eine Lösung finden, die vernünftiger als die vorgeschlagene ist und die Probleme gar nicht erst aufkommen läßt, die im - sagen wir einmal - Selbstverständnis der BfA und ihrem Verhältnis zu ihren Versicherten sonst entstünden.
Ich könnte mir auch vorstellen, daß wir noch einmal über den Quellenabzug nachdenken, der ja kein Quellenabzug im ursprünglichen Sinne ist, sondern
Schmidt ({12})
im Grunde genommen lediglich noch ein technischer Quellenabzug; das wollen wir doch einmal sehr deutlich sagen. Wichtig ist jedenfalls, daß die Berechnung durch die Krankenkassen erfolgt und die Einzugsverfahren technisch irgendwie geregelt werden, damit die auch von Ihnen kritisierten Verwaltungskosten nicht so hoch werden. Auch das wollen wir ja nicht.
Insoweit wird es bei den Beratungen noch einiges, wenn auch zügig, zu tun geben. Aber dabei handelt es sich nicht um Grundsatzfragen.
Ich kann nur hoffen, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich dessen bewußt werden, daß der zweite Teil, die Krankenversicherung der Rentner, genauso zu diesem Rentenanpassungsgesetz 1983 gehört. Es ist sehr wichtig, diese gerechtere Lösung so bald wie möglich einzuführen, um den Rentnern selbst und den Beitragszahlern mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als das in der Vergangenheit manches Mal geschehen ist, wo mancher zu Lasten der Beitragszahler krankenversicherungsfrei war, der überhaupt erst mit seinem Rentenbezug Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung wurde. Daß das nicht im Sinne sozialliberaler Vorstellungen, aber, ich glaube, auch nicht christlicher Vorstellungen liegen kann, möchte ich doch noch einmal feststellen.
Ich möchte Sie bitten, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir in dieser Frage nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen können. Von einem Abkoppeln werden wir Freien Demokraten nicht reden. Das Abkoppeln kommt für uns nicht in Frage.
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- Es wird uns etwas anderes übrig bleiben, nämlich das Gesetz zu verabschieden. Auch der Bundesrat wird sich überzeugen lassen.
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Meine Damen und Herren, der Uhrzeiger ist fortgeschritten. Um 9 Uhr sollte Schluß sein. Ich darf mich von Ihnen mit einem „Gute Nacht" verabschieden. - Vielen Dank.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 a. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/458 zu überweisen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für Wirtschaft sowie zur Mitberatung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 b. Der Ältestenrat schlägt vor, den
Bericht der Bundesregierung sowie das Gutachten des Sozialbeirats auf Drucksache 9/290 zu überweisen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 6. März 1980
- Drucksache 9/427 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Für die Minderheit derer, die nicht wissen, um was es geht, sei gesagt, daß es um das Personalausweisgesetz geht.
Das Wort wird nicht gewünscht? - Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs an den Innenausschuß vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Sammelübersicht 11 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/399 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 9/399, die in der Sammelübersicht 11 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 02 Titelgruppe 07 ({2})
- Drucksachen 9/219, 9/413 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Dr. Soell
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/413, von der Unterrich2076
Vizepräsident Windelen
tung durch den Bundesminister der Finanzen auf Drucksache 9/219 Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 bis 15 auf:
13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission an den Rat über das Informationsnetz landwirtschaftlicher Buchführungen INLB
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 79/65/EWG zur Bildung eines Informationsnetzes landwirtschaftlicher Buchführungen über die Einkommenslage und die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse landwirtschaftlicher Betriebe in der EWG
Erklärung der Kommission, die wahrscheinlich in die Niederschrift über die Ratstagung aufgenommen wird, auf der der Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 79/65/EWG erlassen wird
- Drucksachen 9/108 Nr. 22, 9/372 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Zutt
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Einbau, die Position, die Funktionsweise und die Kennzeichnung der Betätigungs-, Kontroll- und Anzeigeeinrichtungen von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern
- Drucksachen 9/158 Nr. 11, 9/369 - Berichterstatter: Abgeordneter Herkenrath
15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschläge für Verordnungen ({6}) des Rates
- zur Änderung der Verordnung ({7}) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide, der Verordnung ({8}) Nr. 3330/74 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker und der Verordnung ({9}) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif
- zur Änderung der Verordnung ({10}) Nr. 2742/75 über die Erstattungen bei der Erzeugung für Getreide und Reis
- zur Änderung der Verordnung ({11}) Nr. 2744/75 über die Regelung für die Einfuhr und Ausfuhr von Getreide- und Reisverarbeitungserzeugnissen
- Drucksachen 9/127 Nr. 15, 9/403 Berichterstatter:
Abgeordneter Sauter ({12})
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse jetzt über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 9/372, 9/369 und 9/403 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutsche Welle"
- Drucksache 9/510 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 9/510 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen. Damit sind die vom Bundestag zu benennenden Mitglieder des Rundfunkrats der „Deutschen Welle" gewählt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk"
- Drucksache 9/511 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Vorschlag auf Drucksache 9/511 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Damit sind die vom Bundestag zu benennenden Mitglieder des Rundfunkrats des „Deutschlandfunks" gewählt.
Ich habe Ihnen noch eine Mitteilung zu machen. In Kürze läuft die Amtsdauer von zwei Mitgliedern des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank aus, die vom Bundestag auf Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gewählt wurden. Die Fraktion der CDU/CSU hat den Abgeordneten Dr. Czaja und die Fraktion der SPD hat Herrn Walter Haack, Bonn, zur Wiederwahl vorgeschlagen. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist dies so beschlossen. Damit sind der Abgeordnete Dr. Czaja und Herr Walter Haack gemäß § 7 Abs. 4 des GesetVizepräsident Windelen
zes über die Lastenausgleichsbank erneut als Mitglieder des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank gewählt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 27. Mai 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.