Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Wir treten in die Tagesordnung ein.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Vorschläge zur kontrollierten Abrüstung der biologischen, chemischen und atomaren Waffen
- Drucksache 9/200 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart worden. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes ({1}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Umfang der Präsenz hier im Saal der Bedeutung des Gegenstandes, nämlich der kontrollierten Abrüstung, nicht entspricht.
({0})
Herr Abgeordneter Mertes, sprechen Sie zur Begründung oder gleich in der Aussprache?
Herr Präsident, ich äußere mich zum politischen Gesamtzusammenhang des Antrags meiner Fraktion.
Abrüstung und Rüstungsbegrenzung bei unverminderter Sicherheit bleiben zentrale Ziele der Politik der CDU und CSU, wie sie es seit Konrad Adenauer stets waren. Seit unserem Eintritt in das westliche Bündnis haben alle CDU/CSU-geführten Bundesregierungen ausgewogene Rüstungsminderung als ein wesentliches Ziel unserer Außenpolitik behandelt, und zwar aus drei Gründen, denen eine moralisch fundierte Politik sich ganz selbstverständlich verpflichtet weiß, und zwar:
Erstens, weil die modernen Waffenvernichtungswaffen immer mörderischer werden und im Falle eines kriegerischen Konflikts zu unvorstellbaren Katastrophen führen können;
zweitens, weil die Rüstungsanstrengungen Energien und Kosten verschlingen, die erheblich plausibler den Hunger und Not leidenden Menschen der Dritten Welt zur Verfügung stehen;
drittens, weil der Verzicht auf die Androhung und Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele und Rechtsauffassungen ein tragendes Prinzip unserer Außenpolitik ist, das universale Geltung beansprucht.
Für den Gewaltverzicht gibt es nur eine Ausnahme, die auch in der Charta der Vereinten Nationen verbrieft ist, nämlich das Recht auf individuelle und gemeinsame Selbstverteidigung der Staaten. Dieser Ausnahme liegt ein moralisches Postulat zugrunde, das ich angesichts der Diskussion in diesem Lande noch einmal hervorheben möchte, nämlich daß der Staat seine Bürger schützen muß. Die biblischen Forderungen nach letzter Vollkommenheit, darunter die Forderung nach Feindesliebe und nach der Bereitschaft, auch die andere Wange hinzuhalten, wenn man auf die eine Wange geschlagen wurde, sind kein Freibrief für Gewalttäter und Gewaltandroher, die der inneren oder der internationalen Ordnung Schaden zufügen wollen. Ich darf, wenn ich das aus persönlicher Überzeugung für richtig halte, meine eigene Wange hinhalten, nicht aber die meiner Mitbürger. Als staatlicher Verantwortungsträger habe ich dem höchsten moralischen Prinzip Vorrang zu geben: dem Schutz des Nächsten, der Liebe zum Nächsten.
({0})
Wer bereit ist, sein Leben für seinen Nächsten, für seine Mitbürger zu geben, übt aus der Sicht des christlichen Ethos eine außerordentliche Form der Nächstenliebe.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland hat bei ihrem Eintritt in das westliche Bündnis aus freien Stücken auf atomare, bakteriologische und chemische Waffen völkerrechtlich wirksam verzichtet und der Überwachung dieser Verpflichtung durch ihre Vertragspartner zugestimmt. Sie hat sich nicht nur strikt an diesen Verzicht gehalten, sondern immer
Dr. Mertes ({2})
wieder konstruktive Beiträge, dies gilt für alle Bundesregierungen - mit dem Ziel der Begrenzung und Verminderung der ABC-Waffen geleistet. Selbst der Nachrüstungsbeschluß der NATO vom 12. Dezember 1979 enthält ein Stück Rüstungsbegrenzung, denn er begrenzt - transparent für jedermann - die Modernisierung des amerikanischen Abschreckungspotentials auf eine bestimmte Zahl, während die Sowjetunion an ihrer traditionellen Verschleierungsmethode festhält und keinerlei Obergrenze erkennen läßt. Unser Land hat ein gutes Recht, in diesen Fragen besonders aktiv zu sein und andere Staaten zu drängen, dem Beispiel aller deutschen Bundesregierungen seit Konrad Adenauer zu folgen.
Kurz nach dem ABC-Waffenverzicht der Bundesrepublik erklärte der erste deutsche Bundeskanzler in Moskau, als er die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion, die Heimkehr der deutschen Kriegsgefangenen und die Rücksiedlung ausreisewilliger Deutscher aus der Sowjetunion vereinbarte - diese Worte sind immer noch von brennender Aktualität:
Das oberste Gut, daß es für alle Deutschen zu wahren gilt, ist Friede.
({3})
In Deutschland weiß man, daß die naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritte, die seit dem letzten Krieg gemacht worden sind, den Menschen Möglichkeiten der Vernichtung in die Hand geben, an die wir nur mit Schaudern denken können. Schließlich weiß jedermann in Deutschland, daß die geographische Lage unseres Landes uns im Falle eines bewaffneten Konfliktes besonders gefährden würde.
({4})
Neue Mittel zum Austrag von Differenzen und Konflikten müssen gefunden werden, Mittel, die internationale Zusammenarbeit zur Grundlage haben. Das alles ist für uns nicht Traum oder Theorie. Wo immer die Politik meiner Regierung eine Gelegenheit fand, danach zu handeln, hat sie es getan... Friede aber darf, wenn er seinen vollen Segen stiften soll, nicht gefährdet sein. Er muß gesichert sein.
Meine Damen und Herren, im letzten Satz steckt das uns so bedrängende politische Problem: die Spannung zwischen Sicherheit und Abrüstung. Es ist die Pflicht jedes Politikers in diesem Hause, dieses Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit der Sicherheit und dem Ziel der Abrüstung deutlich zu machen. Es ist nicht so, wie der Kollege Wischnewski gestern gesagt hat, eine Partei, nämlich die SPD, habe in diesem Hause den Vorrang dafür, stets der Mahner in Richtung Abrüstung zu sein. Uns allen ist aufgegeben, der Jugend und den Menschen dieses Landes zu erklären, daß wir Abrüstung mit Sicherheit wollen und daß die Not und die Aufgabe der praktischen Politik darin besteht, beides in Einklang zu bringen.
({5})
Wir alle waren und bleiben Mahner, und es wäre irreführend, ja gefährlich, wenn in diesem Hause irgend jemand für sich in Anspruch nähme, auf diesem Gebiet die höhere moralische Qualität zu besitzen.
Eines aber fordern wir von dieser Bundesregierung: Sie muß angesichts des weitverbreiteten Unwissens über die Leistungen und Bemühungen aller Bundesregierungen auf diesem Gebiet seit 30 Jahren - auch über die derzeitigen Bemühungen um Abrüstung und Rüstungsbegrenzung in Wien, in Genf, in New York, im bilateralen Gespräch, im Bündnis und mit dem Bündnis - eine viel intensivere Informationsarbeit leisten.
Immer wieder sage ich jungen Menschen: Urteilen über Menschen, über Parteien, über eine Politik darf man nur nach bestem Wissen und Gewissen. Es gibt auch eine moralische Pflicht zur Sachkunde, zum Wissen, eine Pflicht zum Kampf gegen das vordergründige und rein emotionale Urteil.
({6})
Wir verstehen die Abneigung gegen das ständige Wachsen der Zahl der Massenvernichtungswaffen.
({7})
Wir teilen diese Abneigung. Welcher Mensch mit einem klaren Kopf und einem Herzen kann denn für eine solche Massierung von Massenvernichtungswaffen sein? Aber das ist doch nicht das Problem. Sicherheitspolitik ist eine bittere Notwendigkeit. Die Spannungsbreite zwischen Sicherheit und Abrüstung zu erläutern ist unsere Pflicht.
({8})
Die Glaubwürdigkeit der Abrüstungspolitik aber steht und fällt mit der effektiven Überprüfbarkeit der von den Staaten eingegangenen Verpflichtungen. Das gilt insbesondere auch für die in ihrer Wirkung verheerenden biologischen und chemischen Kampfstoffe. Die umstrittenen Vorgänge bei dem bakteriologischen Unglück im Ural von 1979 und Meldungen über den Einsatz chemischer Waffen der Sowjetunion in Afghanistan, Laos und Kambodscha - mein Kollege Graf Huyn wird darüber noch einiges sagen - werfen Kontrollfragen von größter Tragweite auf, denen sich jede ernsthafte Abrüstungspolitik stellen muß. Eine B- und C-WaffenAufrüstung wäre eine so entsetzliche Geißel für unsere Kinder und Kindeskinder, daß sie im Keim effektiv und nachprüfbar erstickt werden muß.
Ich sage das trotz folgender bitterer Mitteilung der Bundesregierung - ich zitiere eine Mitteilung des Auswärtigen Amtes -:
Die sowjetische Militärdoktrin erkennt den Einsatz chemischer Kampfstoffe als Mittel der Kriegführung an, die Führungsgrundsätze sehen den offensiven Einsatz
- den offensiven Einsatz von C-Kampfstoffen im Rahmen der Operationsführung vor.
({9})
Dr. Mertes ({10})
Zweifelsfreie Erkenntnisse über den Umfang der Bevorratung der WP-Streitkräfte mit chemischer Munition liegen nicht vor.
({11})
- Diese Mitteilung ist vom 27. März 1981. Es darf jedoch
- hier kommt die entscheidende Präzisierung, Herr Kollege Würzbach mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad
- und das ist eine vorsichtige, diplomatische Mitteilung angenommen werden, daß insbesondere die Sowjetunion über ein erhebliches offensives C-Potential verfügt. Hinzu kommt, daß die Sowjetunion in der Lage ist, große Mengen chemischer Kampfstoffe kurzfristig ohne Indikationen für den Westen herzustellen. Dieses trifft auch für binäre Kampfstoffe zu.
Für den Einsatz bei den Streitkräften des WP sind entsprechende Einsatzmittel für die Verbringung chemischer Kampfstoffe vorhanden.
Die Streitkräfte der Warschauer Pakt-Staaten verfügen über eine hohe chemische Waffenfähigkeit, die sie auch in die Lage versetzen, eigene C-Einsätze auszunutzen und längere Zeit unter C-Bedingungen zu kämpfen.
Insgesamt kann davon ausgegangen werden, daß die sowjetischen Streitkräfte hinsichtlich Gliederung, Einsatzmitteln, Ausbildung und eigener C-Abwehr jederzeit zum Einsatz chemischer Kampfstoffe in der Lage wären.
Noch einige Worte zu unserem Antrag, der - so hoffe ich - für sich spricht und von dem wir hoffen, daß er für alle Fraktionen nach einer Beratung in den Ausschüssen konsensfähig sein wird; zumal begründete Aussicht besteht, daß es zu einer befriedigenden Klärung der Berlin ({12}) betreffenden Fragen kommen wird.
Bei der hoffentlich baldigen Beratung des Zustimmungsgesetzes zum B-Waffen-Verbotsvertrag, dem wir von Anfang an vollinhaltlich zugestimmt haben, muß die Bundesregierung ihre eigenen Bemühungen, die Interventionen der Opposition, die Auffassungen der drei Westmächte und das Ergebnis der Konsultationen betreffend die Geltung des Vertrages in und für Berlin darzustellen.
Im Genfer Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen wird seit Jahren über das totale und kontrollierte Verbot chemischer Waffen verhandelt. Aber ein Abkommen ist nicht in Sicht, weil sich die Sowjetunion gegen die Offenlegung ihrer eigenen chemischen Waffensysteme sträubt. Im Genfer Abrüstungsausschuß kam es 1972 zu dem B-Waffen-Verbotsvertrag, dem die Bundesrepublik Deutschland zu Recht beigetreten ist. Aber die Einhaltung dieses bisher einzigen wirklichen Abrüstungsvertrages ist noch nicht überprüfbar. Wir fordern eine entsprechende Regelung, durch die sich die Staaten einer wirksamen internationalen Kontrolle unterwerfen, um der Glaubwürdigkeit der Abrüstung willen.
({13})
Denn die Glaubwürdigkeit der Abrüstung steht wieder einmal auf dem Spiel.
Sie hängt ab von der immer dringlicher werdenden Transparenz der tatsächlich vorhandenen militärischen Mittel und - dies füge ich hinzu - auch von der Transparenz der Militärdoktrinen. Man kann über Abrüstung und Sicherheit nicht ernsthaft sprechen, wenn man nicht die Militärdoktrinen der Bündnisse kennt. Abrüstung darf kein Instrument der Irreführung und des Völkerbetruges werden. Einseitige Abrüstung des Westens hat vor und nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden gefährdet. Frieden ist ein Wort, mit dem viel Schindluder getrieben worden ist. Selbst im deutsch-sowjetischen Vertrag Hitlers mit Stalin vom 23. August 1939 steht in der Präambel, dieser Vertrag, mit dem Stalin dem anderen Diktator grünes Licht für den Angriff auf Polen, damit für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab, diene dem Frieden. Friedenssicherung durch Abrüstung bedarf äußerster Nüchternheit, wenn sie nicht zum Selbstbetrug mit bösen Folgen führen soll.
({14})
Die CDU/CSU bleibt für Abrüstung mit Sicherheit, aber sie bleibt auch gegen Abrüstung ohne Sicherheit, weil diese dem Osten ein Arsenal der Einschüchterung, des Drucks, der Drohung und der Erpressung verschaffen würde. Darin sind wir auch mit der neuen amerikanischen Administration einig, die dem Mißbrauch der Rüstungskontrollverhandlungen zugunsten der sowjetischen Aufrüstung, nicht aber verifizierbarer und ausgewogener Rüstungskontrolle eine Absage erteilt.
Noch ist volle B- und C-Waffen-Abrüstung möglich. Wir werden nicht aufhören, darauf zu dringen. Die Horrorvision einer Gesellschaft mit Gasmasken darf nicht Wirklichkeit werden. Die Verantwortung für die B- und C-Waffen-Abrüstung liegt offen zutage.
Meine verehrten Kollegen, mit Hohn schrieb Lenin - ich zitiere -:
Die sozialen Pfaffen und die Opportunisten sind gerne bereit, von dem zukünftigen friedlichen Sozialismus zu träumen.
Lenin schwebte ein anderer Sozialismus vor: eine militärische Koalition kriegsführungsfähiger sozialistischer Nationen. Er prophezeite:
Aus der heutigen Arbeiterbewegung wird ganz sicher, früher oder später, aber ganz sicher ein internationaler Bund schreckenerregender Nationen des revolutionären Proletariats entstehen.
({15}) Und weiter:
Wenn der Krieg bei reaktionären Sozialpfaffen,
- damit meinte er die Sozialdemokraten 1810
Dr. Mertes ({16})
bei weinerlichen Kleinbürgern nur Schrecken, nur Erschrockenheit, nur Abscheu vor Waffengebrauch, Tod, Blut usw. erzeugt, so sagen wir dagegen: Die kapitalistische Gesellschaft war und ist immer ein Schrecken ohne Ende ...
Wenn ihr
ein Ende mit Schrecken bereitet wird, so haben wir keinen Grund zu verzweifeln.
Die eiserne Konsequenz Leninscher Ideen und Handlungen ist sprichwörtlich. Bildet die Abrüstung vielleicht eine Ausnahme?
Zur Zeit Lenins fand auf Initiative der Sowjetregierung die erste regionale Abrüstungskonferenz gerade in Moskau statt. Die sowjetische Seite schlug damals eine drastische - 75 %ige - Reduzierung der Streitkräfte sämtlicher Konferenzstaaten vor. Den Hintergrund dieser Initiative, der dann bis heute viele Initiativen ähnlicher Art folgten, bildete die wirtschaftliche Notwendigkeit des Sowjetstaates, seine Armee nach dem Bürgerkrieg zu demobilisieren. Die Abrüstungsparole sollte heißen, auch die Nachbarstaaten Sowjetrußlands zu einer Reduzierung ihrer Streitkräfte zu bringen. Diese benachbarten Teilnehmerstaaten der Moskauer Abrüstungskonferenz von 1922 waren Litauen, Lettland, Estland, Polen und Finnland. Ihr weiteres Schicksal ist nicht gerade ermutigend für Verhandlungspartner der Sowjetunion in der Abrüstungsfrage.
({17})
Es gibt keinen Grund für den Westen, an der Treue der heutigen Sowjetführung am Vermächtnis Lenins zu zweifeln. Unter dem Eindruck des Risikos der Selbstvernichtungswirkung der Kernwaffen ist zwar die Leninsche These von der Unvermeidbarkeit des Krieges mit dem Westen vor 20 Jahren aufgegeben worden - ich halte diese wichtige ideologische Änderung für glaubwürdig -, aber Wachsamkeit bleibt dennoch geboten. Militärische Übermacht gegenüber dem Westen - das zeigt gerade auch die C-Waffen-Aufrüstung - dient jetzt der Clausewitzschen Erkenntnis: „Der Eroberer kommt am liebsten friedlich in unser Land", d. h. ohne Krieg. Aber zu dieser pervertierten Friedensstrategie gehört auch der Aufbau - ich sagte es schon - eines Potentials zwecks politischer Einschüchterung, indirekten und direkten Druckes, offener Drohung und, wenn nötig, massiver Erpressung.
Die Ideen Lenins sind und bleiben ein Schlüssel zum Verständnis der sowjetischen Außen- und Abrüstungspolitik, deren Formel heute lautet: Nichtaufrüstung Chinas, Abrüstung des Westens, Aufrüstung der Sowjetunion. Dies aber ist nicht die Formel unserer westlichen Abrüstungspolitik. Vielmehr lautet sie: kontrollierte Abrüstung aller bei unverminderter Sicherheit aller - Schritt für Schritt, eindeutig und überprüfbar.
Auch die Bäume der Aufrüstung der Sowjetunion wachsen nicht in den Himmel. Das zeigt die ständig wachsende Belastung der sowjetischen Wirtschaft durch die sowjetische Hochrüstung, gegen die Rumänien sogar schon aufbegehrt. Gerade die wirtschaftlichen Sachzwänge in der Sowjetunion rechtfertigen es, daß wir ohne Illusionen - ich wiederhole: ohne Illusionen - auf Dauer mit größeren Chancen für progressive Rüstungsminderung rechnen können, als das derzeit der Fall zu sein scheint. Wir müssen zäh und geduldig und mit der notwendigen Stärke weiterverhandeln.
Jedenfalls sollten gerade wir Deutschen das Bestreben nicht aufgeben, daß sich im Laufe der Zeit auch die Sowjetführung unter dem zunehmenden Druck wirtschaftlicher und politischer Notwendigkeiten konstruktiver und vor allen Dingen redlicher, transparenter und offener als bisher zu einer Politik der Rüstungsminderung und Abrüstung entschließt, die für alle beteiligten Staaten und Völker sicherheitspolitisch vertretbar ist und ein wahrer Segen für die kommenden Generationen aller Völker wäre. Gerade an unsere Kinder und Enkel müssen wir denken, wenn wir von Abrüstung mit Sicherheit sprechen. - Ich danke Ihnen.
({18})
Ich darf davon ausgehen, daß Ihr Beitrag Begründung und Aussprache war. - Damit ist die Aussprache bereits eröffnet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit dieses Mißverständnis nicht häufiger vorkommt, möchte ich richtigstellen: Mein Name ist nicht Roth, ich heiße Wieczorek.
({0})
Nachdem Herr Dr. Mertes darauf hingewiesen hat
- zu Recht übrigens -, daß man Abrüstung nur wollen kann, wenn sie mit Sicherheit bzw. mit einem Mehr an Sicherheit verbunden ist, möchte ich einen Satz hinzufügen, den Sie wahrscheinlich auch unterschreiben würden, aber nie mit erwähnen: Auch Rüstung ist nur dann richtig, wenn sie mit mehr Sicherheit verbunden ist;
({1})
denn es ist eine Illusion, daß mit jedem Mehr an Rüstung automatisch ein Mehr an Sicherheit verbunden ist.
({2})
- Genau. Ich habe ja auch gesagt, daß Sie dem zustimmen werden.
Das Problem besteht doch darin, daß Großmächte
- dazu gehörten wir auf Grund unserer Geschichte früher einmal auch - nach wie vor die Illusion haben, mit jedem Mehr an Rüstung sei automatisch ein Mehr an Sicherheit verbunden.
({3})
- Ich sage in diesem Fall bewußt „Großmächte", weil der gegenwärtigen amerikanischen AdminiVoigt ({4})
stration ja auch nicht gerade ein Streben nach einseitiger Abrüstung vorgeworfen werden kann. ({5})
Das Streben nach einseitigen Rüstungsmaßnahmen und der Entwicklung neuer Waffentechnologien mit dem Ziel, ein Mehr an Sicherheit zu schaffen, kann uns auf Dauer gesehen jedoch neue Kriegsrisiken bringen. Die heutige Debatte ist j a ein Anlaß, das zu erörtern, denn die Debatte über die chemischen Waffen ist ein Beispiel dafür, wie mit neuen Waffentechnologien bzw. der Entwicklung neuer Waffentechnologien neue Kriegsszenarien, neue Bedrohungen geschaffen werden und damit natürlich auch die Beherrschbarkeit von Krisen problematischer wird, weil sie komplizierter wird.
Ich meine, wir tun gut daran - nicht um die Debatte über die Mittelstreckenproblematik zu relativieren, sondern um deutlich zu machen, daß wir nichts verschweigen wollen, was an Problemen auf uns zukommt -, zusätzlich zu der Debatte über die Mittelstreckenwaffen, die nötig ist, eine weitere Debatte über die Probleme zu führen, die im Zusammenhang mit den neuen Waffentechnologien auf uns zukommen werden. Dafür sind die chemischen Waffen ein Beispiel. Ich meine, daß das Thema Strahlenwaffen ein weiteres Beispiel sein wird, ebenso wie die Satellitenwaffen, Stichwort: Militarisierung des Weltraums. Man muß sogar fürchten, daß die Waffen, welche die Psyche beeinflussen, auch ein Problem werden.
({6})
Ich meine, je offener wir über diese neuen Waffensysteme, die sich zum Teil bereits sogar in der Erprobung befinden, diskutieren, je frühzeitiger wir mit der Prüfung der Frage beginnen, ob es dafür rüstungskontrollpolitische Lösungen gibt, desto mehr können wir innerhalb unserer Abrüstungspolitik an Glaubwürdigkeit gewinnen.
({7})
- Über Waffen und Strategie; das finde ich übrigens richtig.
Ich meine, daß hierbei für uns eine Grundposition unverzichtbar ist: Wir sollten versuchen, die neuen Waffen so früh wie möglich in Verhandlungen einzubeziehen, und wir sollten so früh wie möglich versuchen, Verhandlungskonzeptionen zu entwickeln. Dies ist eigentlich auch eine Forderung, die ich an das Bündnis habe, daß wir uns trotz der Schwierigkeiten bei der Rüstungskontrollpolitik, die wir gegenwärtig haben, nicht entmutigen lassen, sondern daß wir versuchen, so früh wie möglich Verhandlungskonzeptionen im Bereich der chemischen Waffen, der Strahlenwaffen, der Weltraumwaffen und der anderen Waffensysteme zu entwickeln. Wir sollten versuchen, sie auch in den Ost-West-Dialog einzubringen.
Wenn man aber so früh wie möglich Waffensysteme in Verhandlungskonzeptionen einführt, bedeutet das, daß man auf die Frage zurückgreifen muß, ob man nicht bereits über diese neuen Waffen verhandeln muß, wenn sie noch in den Labors erprobt oder erforscht werden. Damit stellt sich tatsächlich die Frage nach der Verifikation. Deshalb ist die Aussage, die Generalsekretär Breschnew gemacht hat, indem er vor den technologischen Komponenten im Rüstungswettlauf warnte, für mich ein Anlaß zu sagen: Wer das ernst meint, muß seine bisherige Haltung in der Verifikationsfrage ändern.
({8})
Deshalb muß meiner Meinung nach die aus der Tradition der Sowjetunion verständliche, aber von mir für nicht mehr akzeptabel gehaltene Geheimhaltungsneigung sich ändern, wenn man aussichtsreich verhandeln will, auf jeden Fall, bevor man derartige Verhandlungen abschließen kann.
({9})
Dies ist eine Forderung, die ich in bezug auf chemische Waffen mit unterstütze. Es ist gar keine Frage, daß bei den chemischen Waffen eine On-site-Inspektion, d. h. eine Inspektion vor Ort, erforderlich ist, damit auf Dauer gesehen Vertrauen gewährleistet werden kann. Deshalb meine ich, daß wir aus unserer Sicht darauf drängen müssen, daß ein Vertragsabschluß, den wir j a bald erwünschen - es gibt gewisse Chancen, es gibt in der Frage der Verifikation gewisse, wenn auch nicht ausreichende Fortschritte -, mit einer ausreichenden Verifikationsmöglichkeit erfolgt.
Bei den neuen Waffen stellen sich für uns übrigens auch neue rüstungskontrollpolitische Aufgaben im eigenen Hause. Wir sollten meiner Meinung nach überlegen, ob wir im Auswärtigen Ausschuß, im Verteidigungsausschuß oder im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle das Thema der neuen Waffen nicht nur mehr diskutieren, sondern eine bestimmte neue Verfahrensweise vereinbaren sollten, nämlich vor der Einführung neuer Waffen darüber zu diskutieren und sie daran zu messen, ob dadurch erstens neue zusätzliche sicherheitspolitische Optionen eröffnet werden; zweitens welche Auswirkungen die Einführung solcher Waffensysteme auf die Bedrohungswahrnehmung des potentiellen Gegners haben könnten; drittens welche Rüstungsentscheidungen beim potentiellen Gegner die Folge der Einführung solcher Waffen sein könnten - das ist die Frage des Rüstungswettlaufs -; viertens ob die an die Einführung der neuen Waffensysteme geknüpfte sicherheitspolitische Zielsetzung auch mit politischen Mitteln, d. h. auf dem Wege rüstungskontrollpolitischer Verhandlungen, erreicht werden kann. Wir sollten sehen, ob wir dieses nicht verfahrenstechnisch in Zukunft im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle so behandeln.
Mir macht bei Ihrer Argumentation folgendes Sorgen. Sie überprüfen die Abrüstungsschritte immer mit sehr großer Sorgfalt auf ihre möglichen sicherheitsrelevanten Komponenten hin. Ich habe aber bisher bei der CDU/CSU nicht den Eindruck - das meine ich nicht polemisch -, daß sie in gleicher Weise aufrüstungspolitische Entscheidungen dar1812
Voigt ({10})
aufhin prüft, ob dadurch eine destabilisierende Wirkung eintritt und ob damit tatsächlich ein Mehr an Sicherheit gewährleistet ist.
({11})
- Ich irre nicht. Denn die Debatte, die Sie bisher über TNF geführt haben, war eine Debatte, in der diese Fragen weitgehend ausgeklammert waren.
({12})
Es war eine eindeutige Bejahung einer Entscheidung, die selber auch sehr viele sicherheitspolitische Probleme aufwirft und zu hinterfragen notwendig macht. Sie selber machen das im Unterausschuß j a auch.
Ich finde: Wenn man nicht offen sagt, daß eine solche TNF-Entscheidung unabhängig von der Überlegenheit der Sowjetunion, die ich in diesem Fall nicht nur nicht bestreite, sondern sogar deutlich sehe, für unsere Seite auch sicherheitspolitische Probleme und strategische Fragen aufwirft, wie soll man dann glaubwürdig sein in Gesprächen, wo jüngere und nicht nur jüngere Leute diese Fragen stellen?
({13})
- Sie irren sich, Herr Würzbach. Ich möchte Sie korrigieren. Das ist nicht allein das Problem. Das Problem ist z. B. auch, ob die Zahl der Waffen, die qualitativen Eigenschaften der Waffen und die Art ihrer Stationierung unseren Sicherheitsinteressen am meisten entsprechen. Da gibt es viele offene Fragen.
Ich komme trotz all der dazu bestehenden Fragen und trotz der Bedenken, die ich zum Teil habe, dazu, der Regierung zu empfehlen, den Doppelbeschluß nicht aufzukündigen, sondern weiter an ihm festzuhalten. Aber ich tue nicht so, als ob es diese Fragen und Bedenken nicht geben könnte. Ich tue draußen nicht so, als wäre alles eindeutig und als gäbe es nicht Fragen und Probleme in Bereichen, wo man Fragen und Probleme auch offen eingestehen muß.
Zuletzt zu Ihrer Kritik an der Theorie vom gerechten und vom ungerechten Krieg im Marxismus-Leninismus. Im Ansatz sehe ich Ihre Kritik ähnlich. Diese Theorie besteht. Die Sowjetunion hält an ihr fest; das ist gar keine Frage, diese Theorie taucht auch immer wieder in ihren Lexika auf.
Die Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen im Marxismus- Leninismus muß von uns zurückgewiesen werden. Die Kritik der Sowjetunion an der grundsätzlichen Bejahung des Friedens und auch an der Ablehnung von gerechten Kriegen durch die sozialdemokratische Bewegung weise ich zurück. Man kann es auch begründen, warum die Sowjetunion in dieser Frage nach meiner Meinung unrecht hat. Man sollte sich mit dieser Konzeption auch auseinandersetzen. Aber es ist nicht so, daß dort nur die Sowjetunion eine Tradition zu überwinden hat.
Wenn Sie schon aus den marxistisch-leninistischen Glaubensbekenntnissen der Werke Lenins zitieren, dann darf ich aus Jesaja 2, Vers 4, zitieren. Da heißt es:
Und er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.
Das heißt doch nichts anderes, als daß auch im Alten Testament die Vorstellung besteht, daß, wenn die gerechte Sache siegt, das endgültige Friedensreich anbricht.
In gewisser Weise ist diese marxistisch-leninistische Theorie schon im Alten Testament angelegt. Deshalb sage ich einmal: Der Marxismus-Leninismus ist in gewisser Weise auch eine säkularisierte Religionsauffassung. Wenn wir sogar den Christen zutrauen, daß sie diese alttestamentarische Auffassung überwinden - wie wir zur Zeit in der Kirche sehen, ist es ja nicht das Hauptproblem, daß dort am meisten an der alttestamentarischen Theorie festgehalten wird; auf dem Kirchentag werden wir das sehen; es war das Problem füherer Christen, daß sie so leichtfertig waren, Waffen zu segnen -, daß sie ihre meiner Meinung nach bedenkliche Konzeption vom gerechten Krieg fallenlassen, warum sollten wir dann nicht auch Marxisten-Leninisten so etwas zutrauen?
({14})
Die Theorie von der friedlichen Koexistenz ist ein erster Ansatz; er ist noch nicht genug. Auch die Theorie von der Vermeidbarkeit des Atomkriegs ist ein erster Ansatz; er ist noch nicht genug. Vor allen Dingen ist es wichtig, daß wir nicht noch 2 000 Jahre warten dürfen; denn dann ist die Welt, glaube ich, nicht mehr zu retten. Aber wir sollten nicht davon ausgehen, daß das, nur weil es Lenin so gesagt hat, eine Aussage für die praktische Politik der Sowjetunion auf alle Ewigkeit ist.
({15})
Deshalb müssen wir bei aller Kritik an diesem Grundsatz versuchen, gleichzeitig denjenigen, den wir noch als potentiellen Gegner empfinden
({16})
und der sich auch selber so definiert, in seinem praktischen Verhalten allmählich zu einem Partner in der Sicherheit zu machen und, wenn es, auf Dauer gesehen, möglich ist, auch seine grundsätzliche theoretische Konzeption so zu beeinflussen, daß er seine meiner Meinung nach verkehrte Konzeption in Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik, soweit sie dort beschrieben worden ist, auch konzeptionell überwindet. Das ist eine langfristige Konzeption, das ist eine notwendige Konzeption; denn wenn man nur auf dem Bestehenden verharrt, wird man die Welt nicht verändern können. Wir müssen diese langfristige Idee vertreten, weil diese langfristige
Voigt ({17})
Hoffnung eigentlich auch ein genuin christliches Prinzip ist, weil es ein Moment von Hoffnung ist, das wir auch Jüngeren vermitteln können, und weil wir auch wahrscheinlich nur mit diesem Moment an Hoffnung überleben können und Politik gestalten können.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nur wenige Minuten angemeldet. Denn bei der Behandlung dieses Antrags der CDU/CSU handelt es sich ja mehr um einen formalen Akt. Wir haben bereits am 18. Juni 1980 in diesem Hause den gleichen Antrag eingehend diskutiert. Die Fraktionen haben dazu Stellung genommen.
({0})
- Ja, Stellung genommen, angenommen, überwiesen, Herr Kollege Mertes, an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß, Unterausschuß Abrüstung. - Ich meine also, daß der formale Akt deswegen notwendig ist, weil der Antrag wegen des Ablaufs der Legislaturperiode erneut eingebracht werden muß, damit die Behandlung - und zwar die intensive Beratung; denn dessen bedarf der Antrag - im Auswärtigen Ausschuß vorgenommen werden kann.
Zum Inhalt ist, wie gesagt, am 18. Juni 1980 und auch heute schon das Wesentliche gesagt worden. Deswegen möchte ich mich kurzfassen. Ich habe damals hier auch - wie Sie heute noch einmal wiederholt haben, Herr Kollege Mertes - die historische Entwicklung gewürdigt. Ich möchte es mir aus Zeitgründen ersparen, dies zu wiederholen.
Grundsätzlich muß ich sagen, daß wir in dem Antrag die Unterstützung unserer Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sehen. Ich darf dabei besonders auf die gestrigen Regierungserklärungen - und hier auf die Stellungnahme des Bundesaußenministers, unseres Parteivorsitzenden, Hans-Dietrich Genscher - verweisen. Das „Signal von Rom" - so wird es ja nun allgemein bezeichnet -, ist, wie der Bundeskanzler und auch die gestrigen Redner aller Fraktionen hier festgestellt haben, vor allem ein Erfolg der steten Bemühungen des Bundesaußenministers gewesen. Nun kommt es auch darauf an, die Diskussion in dem Bereich fortzuführen, der in Ihrem Antrag besonders angesprochen worden ist und der die Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer, d. h. biologischer, Waffen und Toxiwaffen betrifft.
Herr Voigt hat darauf verwiesen, daß man bei der Behandlung in den Ausschüssen den Antrag auf andere Waffen ausweiten sollte oder könnte. Ich halte das für sehr richtig.
({1})
Denn gerade angesichts der uns bekannten Anstrengungen der Sowjetunion im Bereich der Laser-Entwicklung erscheint es mir notwendig, daß man hier eine entsprechende Ausweitung vornimmt. Ich möchte das unterstützen. Denn - das ist auch gestern deutlich geworden - unsere Zielvorstellung über Sicherheits- und Abrüstungspolitik ist die, daß es notwendig ist, ein Gleichgewicht auf allen Gebieten der Rüstung, und zwar ein Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau - um bei der heutigen Materie zu bleiben: möglichst ein Gleichgewicht bei Null - zu erreichen.
Ich bin sicher, daß das Zustimmungsgesetz rasch vorgelegt wird und daß die von Ihnen geforderte befriedigende Regelung der Erstreckung des Vertrags auf Berlin da auch enthalten ist. Berlin wird in jedem Fall - das ist heute bereits erkennbar, auch nach den Konsultationen mit den Drei Mächten - uneingeschränkt am friedlichen Austausch teilhaben. Deshalb meine ich, daß auch hierzu eine völlige Übereinstimmung der drei Fraktionen in diesem Hause vorhanden sein wird.
Unabhängig vom Ratifizierungsverfahren, wie Sie es in Ihren Punkten 2 und 4 fordern, sollte eine wirksame internationale Kontrolle gewährleistet sein. Ich bin hierzu auch der Meinung von Herrn Voigt, daß es zwar schon einige Fortschritte gegeben hat, aber nachdem die Glaubwürdigkeit der Abrüstungspolitik mit der effektiven Überprüfbarkeit der von den Staaten eingegangenen Verpflichtungen steht und fällt, muß ich pessimistischerweise hinzufügen, daß es bisher keine allseits befriedigende Lösung im Hinblick auf die Verifikation gegeben hat.
({2})
- Wie immer, Herr Kollege Mertes.
({3})
Konsultationen und Beschwerden beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nur mit Vorlage überprüfbarer Beweise reichen nicht aus. Außerdem muß man sich an dieser Stelle auch einmal fragen, wie überprüfbare Beweise ohne eindeutige Regelung der Verifikation überhaupt vorgelegt werden sollen. Wir sind uns der Gefahr bewußt, die unsere Sicherheit durch ein unkontrolliertes Überwuchern der Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen des ABC-Bereichs droht. Es gilt daher, gemeinsam mit unseren Verbündeten alles zu tun, um die Abrüstungsdiskussion aus dem unverbindlichen Bereich des theoretisch Wünschbaren in die Realität der politischen Praxis umzusetzen.
Deshalb unterstützen wir den Antrag und wünschen eine möglichst rasche und intensive Beratung in den dafür vorgesehenen Ausschüssen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich der Befriedigung Ausdruck geben, daß wir hier offenbar in allen Fraktionen bei der Unterstützung dieses Antrags Gemeinsamkeit erzielen. Ich möchte dem Kollegen Jung hierfür besonders danken. Auch wenn es Kollege Voigt nicht ausdrücklich gesagt hat, so habe ich seinen Worten entnommen, daß er die Grundsätze dieser Fragen unterstützt.
({0})
- Mit Zusätzen und Änderungen. Herr Kollege Voigt, ich bin auch durchaus damit einverstanden, daß wir in den zuständigen Ausschüssen, so wie Sie das gesagt haben, über Verfahrensfragen sprechen, damit Einvernehmen entsteht.
Sie haben einige Punkte angesprochen, auf die ich eingehen möchte. Sie haben gesagt, Sie vermißten, daß wir uns mit möglicher Destabilisierung auch bei den Fragen der Aufrüstung auseinandersetzten. Wir tun das sehr wohl. Nur haben wir, Herr Kollege Voigt, im Moment alle Veranlassung, uns im Rahmen der sowjetischen Aufrüstungsbemühungen um diese Destabilisierung Sorgen zu machen.
({1})
Wir haben uns gerade vor wenigen Tagen sehr eingehend über die Fragen der Rüstung gerade im nuklearen Bereich informieren lassen, und dabei hatten wir alle Gelegenheit, uns hierüber Sorgen zu machen.
Eine Zwischenfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Voigt.
Ich möchte wirklich wissen, ob Sie in der Lage sind, die möglichen destabilisierenden Wirkungen der sich jetzt abzeichnenden amerikanischen und sowjetischen Weltraumrüstung zu überblicken, und ob Sie wirklich ausschließen können, daß aus beiden - ich betone: aus beiden - Rüstungsentwicklungen beider Großmächte insbesondere für uns bedrohliche destabilisierende Wirkungen hervorgehen könnten.
Herr Kollege Voigt, ich habe mich bereits vor 15 Jahren bemüht, mich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und bereits damals darauf hingewiesen, daß solche destabilisierenden Wirkungen gerade auch durch die Weltraumrüstung auftreten. Ich bin, wahrscheinlich wie Sie, der Meinung, daß es auch auf diesem Gebiet sehr gut wäre, wenn man zu einer verifizierbaren Abrüstung kommen könnte. Nur muß dies eben auf beiden Seiten geschehen, und die zentrale Frage, auf die ich hier auch im Rahmen unseres Vorschlages noch kommen werde, ist eben die Verifizierbarkeit.
Nun möchte ich auch noch auf den Versuch von Ihnen eingehen, den gerechten Krieg etwa auf Jesaja zurückzuführen.
({0})
Der Unterschied ist doch wohl, daß man in der Atlantischen Allianz, etwa jetzt im Schlußkommuniqué von Rom, nicht auf Jesaja Bezug nimmt, daß die Sowjetunion aber sehr wohl aktuellen Bezug auf Lenin nimmt. Wenn Sie nun Jesaja gewissermaßen als Vorgänger von Lenins „Theorie des gerechten Krieges" bezeichnen, so, lieber Herr Voigt, bleibt Ihnen das überlassen. Aber ich möchte doch gerne wissen, was etwa Herr Breschnew sagen würde, wenn Sie versuchten, ihm darzulegen, daß die Bibel gewissermaßen die Grundlage für Lenins Theorien sei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine aber, das Grundprinzip in all diesen Fragen muß sein, daß Frieden nur durch Gleichgewicht gesichert werden kann, und zwar durch verifizierbares Gleichgewicht. Gerade in der Diskussion, die wir in diesen Tagen, Wochen und Monaten über die Frage der Nachrüstung, über die nuklearen Waffen haben, wird allzu leicht vergessen, daß es eben Kampfstoffe gibt, die in ihrer Wirkung auf die Menschen vielleicht noch verheerender und noch furchtbarer sind - wenn dies überhaupt möglich ist - als nukleare Waffen, nämlich die chemischen und die bakteriologischen Waffen.
Ich möchte hier ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß es die CDU/CSU ist, die seit jeher für eine realistische Politik der Abrüstung unter Wahrung unserer Sicherheit - und das ist das Entscheidende - eingetreten ist. Es war eben Konrad Adenauer, der sich bereits am 23. Oktober 1954 für Deutschland verpflichtet hat, auf die Herstellung von atomaren, chemischen und biologischen Waffen zu verzichten.
({1})
Wir haben uns freiwillig einer internationalen Kontrolle unterworfen in Deutschland, die seit über 25 Jahren ausgeübt wird. Gerade Deutschland als getrenntes Land in der Mitte Europas hat selbstverständlich ein ganz besonderes Interesse an einer wirksamen Abrüstung, an einem weltweiten kontrollierten Herstellungsverzicht eben auch für chemische und bakteriologische Waffen.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn es hier zu einem Gleichgewicht zwischen Ost und West kommen soll, dann muß dieses Gleichgewicht, so meine ich, Null zu Null heißen. Das muß das Ziel sein.
({3})
Im Genfer Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen wird seit Jahren über das vollständige und kontrollierte Verbot chemischer Waffen verhandelt. Ein Abkommen ist allerdings deswegen nicht in Sicht, weil sich die Sowjetunion gegen die Offenlegung ihrer eigenen chemischen Waffensysteme sträubt. Ebenso wie Nuklearwaffen bezieht Moskau chemische und bakteriologische Waffen in das strategische Kalkül ein. Meine Damen und Herren, es ist das grundlegende Werk über sowjetische MilitärGraf Huyn
strategie von Marschall Sokolowski, in dem dieser schreibt - ich zitiere wörtlich -:
Um den Feind völlig zu besiegen, muß man seine Widerstandskraft brechen, seine gesamten Mittel für einen Kernwaffenangriff vernichten und seiner Kriegsmarine die Stützpunkte nehmen.
({4})
Diese Ziele können nur durch die völlige Zerschlagung der Streitkräfte des Feindes und die Inbesitznahme seines Staatsgebietes erreicht werden. Alle diese Aufgaben
- so fährt Sokolowski fort lassen sich unmöglich nur mit Kernwaffen allein lösen. Außer ihnen sind auch andere Waffenarten sowie die verschiedenartigsten technischen Kampfmittel erforderlich; insbesondere kann man in einem künftigen Kriege mit der Anwendung chemischer und bakteriologischer Waffen rechnen.
So weit Sokolowski.
({5})
- Jawohl, Herr Dr. Marx, das ist der entscheidende strategische Denker der Sowjetunion.
Meine Damen und Herren, nach Feststellung von Experten ist die Sowjetunion den Vereinigten Staaten im Bereich chemischer Kriegsführung gegenwärtig um das Acht- bis Sechzehnfache überlegen. Moskau verfügt über ein gewaltiges Potential an verwendungsfähiger Munition, etwa 7 000 Tonnen, über eine chemische Industrie, die in der Lage ist, jährlich etwa 30 000 Tonnen chemische Munition herzustellen, und darüber hinaus über Großverbände unter vollem ABC-Schutz, die zu raumgreifenden Operationen in der Lage sind, sowie über 70 000 bis 100 000 Mann ausgebildeter Spezialisten für chemische Kriegsführung. Nach britischen Angaben machen allein die Lagerbestände an chemischen Waffen etwa 15 % des gesamten Kriegsmaterials der Sowjetunion aus.
Im vergangenen Jahr sind - der Herr Kollege Mertes hat dies bereits erwähnt- in der Weltpresse wiederholt Meldungen über den Einsatz chemischer Waffen in Afghanistan, Laos und Kambodscha erschienen. Die Vereinigten Staaten haben hierüber eine 131 Seiten umfassende Studie mit über 100 verschiedenen Berichten vorgelegt. Allein in Laos sollen 700 bis 1 000 Menschen getötet worden sein.
Aus Afghanistan berichtet der Vorsitzende der Islamischen Partei Hekmatyar wörtlich: Die Russen schicken „mehr und mehr Terrortrupps in einzelne entlegene Dörfer, die die Brunnen vergiften und chemische Kampfmittel einsetzen, so daß bei den Bewohnern Erstickungserscheinungen und Hautausschläge am ganzen Körper auftauchen. Nach kurzer Zeit sind sie tot."
Vor einigen Jahren hat der Wissenschaftler Dr. Adolf-Henning Frucht die freie Welt darüber informiert, daß vom Ost-Berliner Regime chemische Kampfstoffe von extrem hoher Giftigkeit entwickelt worden sind, die in ihrer verheerenden Wirkung die Nervengase aus dem Zweiten Weltkrieg bei weitem übertreffen und zum Arsenal der Armeen des Warschauer Paktes gehören. Dr. Frucht beschreibt die Wirkung auf die Opfer folgendermaßen:
Innerhalb von 30 Minuten bis zu 2 Stunden werden sie krank. Es entwickelt sich ein vieldeutiges und wenig charakteristisches Vergiftungsbild. Sie leiden schrecklich - Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, Hör- und Sehstörungen, Nervenschwäche, Kreislaufkollaps und dergleichen, tagelang. Und wer durchkommt, ist nicht etwa kuriert, sondern lebt in einem langen Siechtum dem Tod zu.
Der Arzt Dr. Frucht zitiert auch Äußerungen des Generals der sogenannten Nationalen Volksarmee Ost-Berlins Hans Rudolf Gestewitz, des obersten Ost-Berliner Sanitätsoffiziers und Mitglieds des DDR-Verteidigungsrates, über Pläne des Warschauer Paktes, mit chemischen Kampfstoffen die Flug- und Raketen-Radarwarnanlagen der westlichen Allianz mit dem Einsatz chemischer Kampfstoffe gezielt lahmzulegen.
Meine Damen und Herren, wegen der Offenbarung dieser furchtbaren Dinge - und für einen Wissenschaftler ist die Veröffentlichung der einzige Schutz vor der Anwendung solcher Dinge, den es gibt - ist Dr. Frucht in Einzelhaft unter erschwerten Bedingungen im Zuchthaus von Bautzen eingekerkert worden.
({6})
Angeklagt wurde er wegen „Gefährdung der Grundlagen der DDR".
({7}) Schöne Grundlagen, kann man hier nur sagen!
({8})
Mit ebenso großer Sorge wie die chemische Aufrüstung Moskaus erfüllt uns die Entwicklung bakteriologischer Waffen durch die Sowjetunion. So hat sich nach westlichen Erkenntnissen am Nachmittag des 3. April 1979 eine Explosion in der militärischen Anlage Nr. 19 in dem Dorf Kaschino, 30 Kilometer von Swerdlowsk entfernt, ereignet, bei der wenigstens 40 Menschen ihr Leben verloren haben. Es handelte sich offenbar um ein Unglück mit bakteriologischen Kampfstoffen.
Da es sich hierbei um eine Verletzung der Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen Waffen handelte, hat Washington die sowjetische Regierung am 17. März 1980 offiziell um Aufklärung ersucht.
Nun geschah folgendes. Am Tage darauf wies das sowjetische Außenministerium dies zunächst einmal als Verdächtigung und „unverschämte Verleumdung" zurück;
({9})
aber nur einen Tag später hat dasselbe sowjetische Außenministerium erklärt, es handele sich hierbei um das Auftreten einer Milzbrandepidemie, die auf natürliche Weise entstanden sei. Meine Damen und Herren, dies ist um so merkwürdiger, als die sowjetische Führung bisher immer erklärt hatte, der Milzbrand sei in der Sowjetunion so gut wie besiegt. Im übrigen tritt Lungenmilzbrand normalerweise nicht epidemieartig auf.
Noch eigentümlicher und merkwürdiger wird die Angelegenheit, wenn man sieht, daß sechs Tage später die „Literaturnaja Gaseta" auf den Vorfall hin behauptete, es habe sich um das Auftreten von Maul-und Klauenseuche gehandelt.
({10})
- So ist es.
Aber es gibt eben nicht nur in Swerdlowsk, sondern auch in Kirov in einem abgeschlossenen, von regulären und KGB-Truppen bewachten Komplex, in dem mehr als 150 Wissenschaftler arbeiten, ein geheimes Institut, das mit der Entwicklung bakeriologischer Kampfstoffe beauftragt ist. Dort sind sowjetische Produktionsstätten für hochvirulente ver-sprühbare Tetanus-, Bruzellose-, Gelbfieber-, Pest-und Tularämie-Kulturen. Ein ähnliches Institut ist in Kalinin. Chef der für die bakteriologische Kriegsführung zuständigen Siebenten Abteilung des sowjetischen Generalstabs ist Professor Smirnov, der im Februar 1978 mit dem Ehrentitel „Held der sozialistischen Arbeit" ausgezeichnet worden ist.
({11})
Angesichts der vorliegenden Berichte über den Einsatz chemischer Waffen, insbesondere in Afghanistan, Laos und Kambodscha, ist es zu begrüßen, daß die 35. Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland am 12. Dezember 1980 trotz des entschiedenen Widerstandes des Sowjetblocks die Resolution 35/144 C angenommen hat, um eine unparteiische Untersuchung über den Einsatz chemischer Waffen durchzuführen. Hier muß die Frage gestellt werden: Wenn die Sowjetunion nichts zu verbergen hat, warum wendet sie sich dann so nachdrücklich gegen eine internationale Untersuchung?
({12})
Wir wollen ein vollständiges und lückenloses Verbot der Herstellung, Lagerung und Verwendung chemischer und bakteriologischer Waffen. Um dies sicherzustellen, bedarf es einer zuverlässigen Verifikation, d. h. regelmäßiger und obligatorischer Ortsinspektionen.
({13})
Auch dem kann und muß die Sowjetunion zustimmen, wenn sie nichts zu verbergen hat. Natürlich muß auch die Vernichtung etwaiger Bestände international gesichert sein.
Dank der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Nichtherstellung atomarer, chemischer und bakteriologischer Waffen durch Konrad Adenauer haben wir in Deutschland bereits über 25 Jahre Erfahrung, daß und in welcher Form eine solche internationale Kontrolle funktionieren kann. Das im März 1979 in Bonn durchgeführte Seminar über die Verifizierung der Nichtherstellung chemischer Waffen hat den Nachweis erbracht, daß eine angemessene Kontrolle in Betrieben möglich ist, ohne daß hierbei die Interessen von Industrie und Forschung Schaden leiden.
({14})
Wir können nur wünschen, daß dieses Vorbild, das hier durch die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesregierung vorgeführt worden ist, international ein Beispiel für eine internationale Verifizierung wird.
Es ist ja das Eigentümliche, daß von sowjetischer Seite dann immer gern propagandistische Worte gebraucht werden. So war es auch beim Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in Moskau im Juli 1980. Da hat Breschnew selber gegenüber dem Bundeskanzler u. a. zum Verzicht auf die Schaffung chemischer Waffen aufgerufen. Ich kann die Bundesregierung nur auffordern: Nehmen Sie Breschnew beim Wort und erinnern Sie ihn hieran und erinnern Sie ihn vielleicht auch an einen Ausspruch von Lenin, Herr Kollege Voigt, der hier wirklich zutrifft, nämlich: Vertrauen ist gut; Kontrolle ist besser.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Männing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch als letzter Fraktions-Redner in dieser Ausspracherunde zum Antrag der CDU/CSU möchte ich meinen Beitrag zur allgemeinen Harmonie leisten, die in diesem Haus offensichtlich herrscht. Ich hoffe, daß sie sich auch bei den späteren Ausschußberatungen durchhalten läßt.
Ich möchte, Herr Dr. Mertes, als Berliner Abgeordneter eine weitere Vorbemerkung machen, indem ich einen Dank ganz persönlich an Sie richte wegen der Einigung über die Berlin-Problematik mindestens für den heutigen Tag und die heutige Debatte. In der Tat ist es richtig, und es war ja auch bisher kein Geheimnis, daß die Vorlage eines Ratifizierungsgesetzes durch die Bundesregierung dadurch verzögert wurde, daß eine Übereinkunft zwischen der Bundesregierung und den West-Alliierten bisher nicht gefunden werden konnte. Unsere Erkenntnisse gehen ja auch heute noch dahin, daß die Haltung der Westalliierten bisher unverändert geblieben ist. Es bedarf von daher des solidarischen und ganz beharrlichen Dialogs mit den Alliierten, um zu der auch von der Bundesregierung angekündigten und gewünschten Übereinkunft zu kommen. Wir sind sicherlich einig in der Feststellung, daß sich eine „Mit-dem-Kopf-durch-die Wand-Politik" gerade bei diesem Thema wenig eignet und Schaden anrichten würde. Außerdem wären wir in den Verdacht gekommen - gerade an dem heutigen Freitag, an dem der Wahlkampf in Berlin zu Ende geht -, den BerliMänning
ner Wahlkampf möglicherweise in den Plenarsaal des Bundestages zu verlegen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier nicht über Lenin, sondern zur Sache sprechen.
({1})
Mein Kollege Karsten Voigt hat für die Fraktion der Sozialdemokraten ausgeführt, daß wir den sachlichen Gehalt der Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion begrüßen. Allerdings erweckt dieser Antrag in seiner Diktion - das ist auch in den Beiträgen der Vorredner der Unionsfraktion deutlich geworden - den Eindruck,
({2})
als ob die Bundesregierung auf dem Feld der Abrüstung bisher noch nicht genug getan habe und es immer wieder des Tretens und des Anregens der Oppositionsfraktion bedürfe, um hier die richtige Politik zu verfolgen.
Ich darf deswegen - sicherlich auch mit Zustimmung der Frau Staatsminister - noch einmal auf die Leistungen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang hinweisen und daran erinnern, daß es die Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition waren, die dem Haus in den letzten zwölf Jahren eine Reihe von Verträgen zugeleitet haben: den Meeresbodenvertrag, den Weltraumvertrag, den Vertrag über das Verbot der Umweltkriegsführung, den Antarktis-Vertrag, den Teststopp-Vertrag und nicht zuletzt den Nichtverbreitungsvertrag.
Schließlich möchte ich daran erinnern, daß die bilaterale Vertragspolitik der Bundesregierung mit den Staaten des Warschauer Vertrages wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit zustande kommen konnte, die ihrerseits wiederum Voraussetzung dafür war und ist, daß auf der Folgekonferenz der KSZE in Madrid in diesen Wochen
({3})
über eine Konferenz für Abrüstung in Europa verhandelt werden kann.
Meine Fraktion begrüßt es - ich wiederhole es -, daß die Opposition mit diesem Antrag zum zweiten Mal die Aufmerksamkeit auf die Frage der biologischen, chemischen und sonstigen Massenvernichtungswaffen richtet, die in der öffentlichen Diskussion über Abrüstung und Rüstungskontrolle bisher ohne Zweifel weitgehend im Schatten der atomaren und konventionellen Waffen gestanden haben.
({4})
Die Bundesrepublik Deutschland hat j a - wir haben in diesem Fall auch als Mitglieder dieses Hauses sicherlich viel zu tun, um die Öffentlichkeit auf die Bedeutung dieses Problems hinzuweisen - über die Bindung an das Genfer Protokoll von 1925 - das die Anwendung von B- und C-Waffen im Krieg verbietet -, bei ihrem Eintritt in das westliche Verteidigungsbündnis - das ist mehrfach erwähnt worden - auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen völkerrechtlich wirksam verzichtet und sich bereit erklärt, diese Verpflichtung von den Partnerstaaten überwachen zu lassen.
Am 10. April 1972 hat die Bundesrepublik die BWaffen-Konvention, wie bekannt, unterzeichnet, die die Vertragsstaaten verpflichtet,
. .. niemals und unter keinen Umständen mikrobiologische und andere biologische Agenzien und Toxine herzustellen und zu lagern, soweit dies nicht für friedliche Zwecke geschieht, und bereits existierende Waffen dieser Art zu vernichten oder friedlichen Zwecken zuzuführen.
Auf der Überprüfungskonferenz zu dieser B-Waffen-Konvention im März vergangenen Jahres wurde in einer einmütig angenommenen Schlußerklärung festgestellt, daß sich das Verbot der in der Konvention definierten B-Waffen als ausreichend erwiesen habe und auch künftige technologische Entwicklungen abdecke. Außerdem wurde betont, daß kein Vertragsstaat es bislang für erforderlich gehalten habe, von der in Art. 6 für den Verdacht der Vertragsverletzung vorgesehenen Möglichkeit der Anrufung des Sicherheitsrates Gebrauch zu machen. Demnach muß nach dem vorliegenden Erkenntnisstand davon ausgegangen werden, daß auch die Sowjetunion die Bestimmungen der B-Waffen-Konvention bis zum heutigen Tage eingehalten hat. Das heißt, daß es offensichtlich kein, wie es in Ihrem Antrag heißt, „erhebliches Übergewicht der UdSSR im Bereich der B-Waffen, das ständig zunehme", gibt und daß das schwerwiegende Unglück, das auch Kollege Graf Huyn soeben erwähnt hat, bei der Herstellung bakteriologischer Waffen in der sowjetischen Stadt Swerdlowsk im Frühjahr 1979 zumindest bisher nicht als ein Verstoß gegen die B-Waffen-Konvention zu bewerten ist.
({5})
- So ist es. Genau das ist das Problem, an dem wir hier gemeinsam arbeiten. Sie haben völlig recht.
Andererseits hat jene Überprüfungskonferenz auch deutlich gemacht, daß die Verifikationsfrage, das Zentralproblem, das in allen Beiträgen heute erwähnt worden ist, in dem einzigen Abkommen, das wirklich - Herr Dr. Mertes, Sie haben es genannt - den Begriff der Abrüstung bis heute verdient - das ist traurig genug -, eigentlich nicht befriedigend gelöst werden konnte. Art. 5 berechtigt bei Verdacht der Vertragsverletzung lediglich zu Konsultationen, und Art. 6 sieht bei Vorlage überprüfbarer Beweise für Vertragsverletzungen die Beschwerde beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Vorausgesetzt, überprüfbare Beweise ließen sich überhaupt erbringen, erscheint die Praktikabilität dieser Bestimmungen zweifelhaft.
({6})
Ein betroffenes ständiges Mitglied des Sicherheitsrates kann sich einer Kontrolle entziehen, indem es von seinem Veto-Recht Gebrauch macht.
Auf jener Überprüfungskonferenz wurde deswegen vergeblich versucht, die Verifikationsregelung nachträglich zu verbessern. Ob dies angesichts der sicherheitspolitisch eigentlich geringen Bedeutung von B-Waffen erforderlich war, ist auch zweifelhaft. Bei künftigen Abkommen dieser Art ist es dennoch notwendig - so die Auffassung meiner Fraktion -, von vornherein ausreichende Verifizierungsregelungen einzubauen, die dem sicherheitspolitischen Stellenwert der verhandelten Waffen gerecht werden.
Ungeachtet dieser problematischen und vielleicht unbefriedigenden Verifikationsregelung ist es trotzdem für uns wünschenswert, daß die Bundesrepublik Deutschland Mitgliedsstaat der B-Waffen-Verbotskonvention wird, um ihre Interessen bei künftigen Entwicklungen auf diesem Gebiet mit größerem Gewicht vertreten zu können.
Was nun den Bereich der C-Waffen anbetrifft, so muß es in der Tat erschrecken - darauf ist zuvor schon hingewiesen worden -, daß nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums die Sowjetunion über 350 000 t chemischer Kampfstoffe gelagert hat.
({7})
- Aber, Herr Dr. Mertes, es muß gleichermaßen alarmierend sein, daß der amerikanische Senat nach einem elfjährigen, im Jahre 1969 von Präsident Nixon verfügten Produktionsstopp für chemische Waffen, im September vergangenen Jahres 3,15 Millionen Dollar für den Bau einer Fabrik zur Herstellung chemischer Waffen binärer Art bewilligt hat. Hinweise auf die mögliche Haltung der neuen Reagan-Administration zu dieser problematischen Entscheidung liegen uns bisher noch nicht vor.
({8})
- So ist es. Darauf komme ich jetzt zu sprechen, indem ich sage: Abrüstungsbemühungen, besonders im Bereich der sogenannten binären Waffen, stünden dann eben vor kaum lösbaren Problemen, weil nämlich jenes Binärgas aus zwei unterschiedlichen Substanzen besteht, von denen jede an sich harmlos ist und getrennt gelagert werden kann und deswegen im Falle der Nachprüfung kaum angreifbar ist. Erst wenn sich beide Stoffe vermengen, entsteht dadurch das tödliche Nervengas.
Bekanntlich steht das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung chemischer Waffen sowie die Vernichtung der vorhandenen Bestände seit 1972 auf der Tagesordnung der Genfer Abrüstungskonferenz. Die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen brachten bislang eine weitgehende Einigung über den Verbotsumfang, aber die Definition sowie eine Einigung über die Verifikationsregelung stehen nach wie vor aus. Es heißt im Fortschrittsbericht 1980 trotzdem: „Beide Seiten halten es für nötig, Prozeduren für Ortsinspektionen zu entwickeln." Die
Sowjetunion - dies ist hier ausgeführt worden - lehnt Ortsinspektionen im C-Waffenbereich bisher weithin ab, und es wird unsere Aufgabe sein, die Sowjetunion in diesem Punkte flexibler zu machen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr.
Herr Kollege Männing, um fair zu sein gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, möchte ich Sie fragen: Können Sie mir bestätigen, daß das Problem der Abschreckungsstrategie der Vereinigten Staaten im Bereich der C-Waffen dadurch provoziert wurde, daß die Sowjetunion in der langen Zeit, in der die Vereinigten Staaten bewußt auf die Produktion von C-Waffen verzichteten, ihrerseits massiv weiter auf gerüstet hat; weiterhin dadurch, daß die gleiche Sowjetunion bei den Abrüstungsverhandlungen in Genf gegenüber der größeren amerikanischen Bereitschaft in der Kontrollfrage jahrelang nicht genügend entgegenkam.
Herr Kollege Mertes, ich kann und will Ihnen heute, um vielleicht polemische Verzerrungen und Überzeichnungen zu vermeiden, in dem Punkte zustimmen. Aber im Ausschuß müssen wir Gelegenheit nehmen, durch Rückblick in die Geschichte der Verhandlungen auch noch einmal die andere Seite deutlich zu betrachten.
Ich möchte zum Schluß kommen, indem ich noch einen weiteren Punkt erwähne, nämlich, daß im Anschluß an die vom deutschen Bundeskanzler auf der ersten Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen für Abrüstung ausgesprochene Einladung vom 12. bis 14. März 1979 ein Seminar von 50 Experten aus 25 Nationen stattfand, bei dem sich die Teilnehmer davon überzeugen konnten, daß eine Kontrolle der Nichtherstellung von C-Waffenkomponenten im zivilen Bereich praktisch möglich ist, ohne Betriebsgeheimnisse - und dies ist ja wohl ein entscheidender Punkt - zu verletzen.
Wir teilen also den Wunsch Ihrer Fraktion, Herr Dr. Mertes, nach einem unverzüglichen Abschluß eines C-Waffen-Verbotsvertrages, sehen allerdings heute keinen unmittelbaren Grund, die Bundesregierung aufzufordern, sich stärker als bisher diesem von uns gemeinsam gewünschten Ziel anzunehmen.
({0})
- Dies begrüße ich ausdrücklich. Ein neuer Beweis für unsere heutige Einigkeit in diesen Fragen.
Wir teilen folglich auch Ihre Forderung, daß das Abrüstungsziel für C-Waffen die Nullparität sein muß, müssen uns allerdings fragen, warum die Nullparität nur für B- und C-Waffen gelten soll.
({1})
Sollte aus der Begründung Ihres Antrags, Graf
Huyn, zu entnehmen sein, daß die bereits vorhandeMänning
nen Atomwaffen keine so entsetzliche Geißel für die Menschheit sind?
({2})
Für uns Sozialdemokraten ist weder Abrüstung noch Rüstungskontrolle Selbstzweck. Sie haben Mittel zu sein, dazu beizutragen, den Frieden sicherer zu machen.
({3})
Unkontrollierte Abrüstung schafft Verunsicherung und Mißtrauen, verkehrt den Sinn friedenssichernder Politik, indem sie Spannung erzeugt, statt Entspannung herzustellen. In diesem Sinne ist die kontrollierte Abrüstung für uns Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit; wir werden diese Überzeugung bei den bevorstehenden Ausschußberatungen mit Nachdruck zu verdeutlichen wissen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf am Schluß dieser Debatte für die Bundesregierung einen Satz des Dankes und einen Satz zur Sache sprechen.
Einen Satz des Dankes: Wir freuen uns über diese sachliche und faire Debatte und die große Übereinstimmung dieses Hauses. Wir danken Ihnen auch für die anerkennenden Worte für die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung über all die Jahre. Das freut uns auch.
({0})
- Aller Bundesregierungen, Herr Kollege Mertes.
Ich glaube, wir werden genau in diesem Sinne und in diesem Geiste an den gleichen Zielsetzungen weiterarbeiten.
Ich darf zur Sache noch kurz wiederholen, daß die Bundesregierung den vorliegenden Antrag begrüßt; denn wir sehen darin eine Unterstützung unserer langjährigen Bemühungen in internationalen Gremien für Rüstungskontrolle und Abrüstung im Bereich der A-, B- und C-Waffen. Es kommt jetzt für uns und, wie ich glaube, für die Welt darauf an, die Diskussion über diese Thematik wieder in Gang zu bringen, die leider durch die Ereignisse um Afghanistan unterbrochen und wohl auch belastet worden ist. Dies gilt für alle Bereiche unserer Rüstungskontroll- und unserer Abrüstungspolitik, die wir auch hier immer wieder debattiert haben, besonders aber für den heute diskutierten Bereich der A-, B- und C-Waffen.
Unsere exponierte geographische Lage verpflichtet uns und unser vertraglicher Verzicht auf Herstellung solcher Waffen berechtigt uns, immer wieder, in den zuständigen Gremien, in New York und in Genf und in den bilateralen Kontakten, an Abrüstungsversicherungen und -versprechungen der Mächte zu erinnern, die eben solche Waffen besitzen.
({1})
Im Hinblick auf dieses Ziel wird der vorliegende Antrag hilfreich sein, die Bemühungen der Bundesregierung zu unterstützen. - Vielen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/200 zu überweisen an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Köhler ({0}), Pieroth, Dr. Pinger, Frau Fischer, Herkenrath, Höffkes, Dr. Hornhues, Dr. Hüsch, Dr. Kunz ({1}), Lamers, Dr. Möller, Dr. Müller, Dr. Pohlmeier, Repnik, Schmöle, Schröder ({2}), Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU
Hilfsmaßnahmen für die am wenigsten entwickelten Länder ({3})
- Drucksache 9/284 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Waren unsere Bemühungen in den vergangenen 20 Jahren, in denen die Bundesrepublik Deutschland an öffentlichen und privaten Mitteln insgesamt fast 140 Milliarden DM für die Entwicklung der Länder aufgewendet hat, angesichts der Tatsache, daß die Zahl der absolut Armen heute 800 Millionen beträgt und damit zu- und nicht abgenommen hat, nicht vielleicht vergebens? In der Tat muß man den Eindruck gewinnen, daß die gemeinsamen Anstrengungen der Entwicklungsländer und der entwickelten Länder in den vergangenen 20 Jahren erfolglos geblieben sind. Die Entwicklung der ärmsten Länder der Welt, der sogenannten LLDCs, ist noch immer mehr als unbefriedigend.
({0})
Der relative Abstand insbesondere zu den teilindustrialisierten Schwellenländern wird größer statt kleiner.
Bei der Anhörung am 6. Mai 1981 im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit kamen einige Punkte zutage, die unseren Anträgen Aktualität ver1820
leihen. Trotz offensichtlicher Zurückhaltung bei den befragten Organisationen zeigte sich schon in den schriftlichen Stellungnahmen Kritik an der bisherigen Entwicklungspolitik. Mehrere Organisationen arbeiteten heraus, daß die Bundesregierung zuwenig Anstrengungen im Kampf gegen die Massenarmut in der Dritten Welt unternommen hat. Die Bundesregierung sollte auch mehr Eigenanstrengungen der Regierungen der Entwicklungsländer für diesen Bereich fordern.
Hat demnach der Nobelpreisträger Gunnar Myrdal etwa recht, wenn er sagt - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Die Vereinten Nationen und die Brandt-Kommission, die Weltbank und zahllose Nord-SüdKonferenzen, sie alle sind hoffnungslos naiv und in ihrem Idealismus völlig wirklichkeitsfremd. Das Geld, das wir heute für Entwicklungshilfe zahlen, dient nur zur Erhaltung korrupter Regime und schafft einer von vornherein privilegierten Elite bessere Lebensbedingungen.
Gunnar Myrdal sagt nicht, man solle die Zahlungen für die Dritte Welt kürzen oder gar streichen. Aber er meint, man solle sie nicht mehr für die Prestigeprojekte verwenden, wie sie in den letzten Jahren aufgebaut wurden, sondern statt dessen ausschließlich zur Linderung der ärgsten Not. Er bleibt die Antwort schuldig, wie diese reine Nothilfe in den armen Ländern je zu Fortschritt und Entwicklung führen soll.
Wir sind der Meinung, daß die zur Verfügung stehenden Gelder vorrangig für Hilfsmaßnahmen für die am wenigsten entwickelten Länder verwandt werden sollen. Daraus resultiert auch unser Antrag.
({1})
In den vergangenen Jahren haben wir die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, ihre Entwicklungshilfe verstärkt in den ärmsten Entwicklungsländern zu leisten. Die Bundesregierung hat die Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verbal übernommen und ist in dieser Frage mit immer wieder neuen und wegen der fehlenden Vergleichsbasis zum Teil unzutreffenden Erfolgszahlen an die Öffentlichkeit getreten.
Der prozentuale Anteil der Förderung der am wenigsten entwickelten Länder an der gesamten bilateralen Hilfe ging in den Jahren von 1976 bis 1979 bei den Auszahlungen nicht über 22 % hinaus.
({2})
Somit steht fest, daß von einer gezielten und kontinuierlichen Steigerung der Hilfe für die ärmsten Entwicklungsländer nicht die Rede sein kann. Wir wiederholen deshalb unsere Aufforderung an die Bundesregierung, den prozentualen Anteil der Entwicklungshilfe für die ärmsten Entwicklungsländer wirksam und fühlbar zu steigern.
({3})
Das ist besonders wichtig, weil mit einer Zunahme
der privaten Investitionen in den ärmsten Entwicklungsländern wegen der damit verbundenen Risiken wohl nicht gerechnet werden kann.
({4})
Ich meine, die Qualität unserer Entwicklungshilfe für die LLDC-Länder muß verbessert werden. Es geht doch nicht darum herauszufinden, was zu tun wäre. Es geht doch darum, das zu tun, was längst als nötig und richtig erkannt worden ist.
({5})
In der Theorie wird kaum mehr bestritten, daß wir uns an den Grundbedürfnissen der armen, meist ländlichen Massen orientieren müssen. Sie brauchen ausreichende Behausung und Kleidung, Arbeit, elementare Bildung, einfachen Gesundheitsdienst, trinkbares Wasser und ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit. Um es kurz zu sagen: Es fehlt doch in der Entwicklungspolitik längst nicht mehr an theoretischen Einsichten. Ich meine, es fehlt an der Kraft, sie durchzusetzen. Diese Kraft fehlt, weil die Interessen bei uns und in den meisten Entwicklungsländern anders gelagert sind.
Ich stimme dem Ausschußvorsitzenden zu, wenn er - wie im „Handelsblatt" vom 5. Mai 1981 zitiert - meint, daß vielfach die Ziele falsch gesetzt, die Mittel nicht optimal verwandt und die richtigen Zielgruppen verfehlt worden seien. Fest steht vielmehr, daß eine verstärkte Entwicklungshilfe u. a. das Ziel haben muß, eine effektive Krisenhilfe leisten zu können und eine gezielte Verbesserung des Pro-KopfVersorgungsniveaus zu erreichen. Vielleicht könnte man den Versuch machen, sich auf eine Untergruppe der LLDCs mit niedrigem Einkommen und niedriger Bevölkerungszahl zu konzentrieren, wo ein größeres Volumen deutscher Entwicklungshilfeleistungen pro Kopf der Bevölkerung spürbare Wirkung erwarten läßt. Vielleicht könnte man das Ganze auch mit Partnerschaften zwischen unseren Bundesländern und einzelnen Städten verbinden, vielleicht auch innerhalb der europäischen Zusammenarbeit.
({6})
Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß es eine Reihe von Ländern gibt, die auf Grund ihrer geographischen Lage, ihres Klimas, ihrer fehlenden Energie- und Rohstoffressourcen wahrscheinlich über Jahrzehnte, wenn nicht gar über Jahrhunderte die Wohlfahrtsempfänger der Weltgesellschaft sein werden. Das Existenzminimum dieser Menschen zu sichern, wird eine der Hauptaufgaben der künftigen entwicklungspolitischen Anstrengungen der industrialisierten Länder sein. Myrdal ist beizupflichten, daß es sinnvoller sei, die Ärmsten der Armen zu retten, anstatt eine Beistandspolitik fortzusetzen, die das Los der wirklich Bedürftigen kaum oder nicht erleichtern könne. Ich zitiere:
Katastrophenhilfe, eine internationale Feuerwehr gegen Armut und Not ist heute die einzige sinnvolle Art der Entwicklungshilfe.
Diese Auffassung läßt eine Antwort darauf offen, wie die Länder je Fortschritt oder Entwicklung finFrau Fischer
den sollen. Aber sie trägt einer humanitär motivierten Entwicklungshilfe voll Rechnung.
Wir hören und sehen so viel von der Jugend mit der „irren Wut im Bauch", von Demonstranten, von Steinewerfern, von Protestierern, die kein Verhältnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat haben. Wir hören und sehen aber zu wenig von den Jugendlichen, die sich gewaltlos engagieren im Dienst am Nächsten, für unser Gemeinwohl und für die Länder der Dritten Welt.
({7})
- Ich habe gesagt: gewaltfrei.
({8})
- Nein, das würde ich so nicht sehen, Herr Voigt; das wissen Sie genau.
({9})
- Ich habe „nicht immer" gesagt.
Eine Gruppe Schüler aus meinem Wahlkreis Stadt Gladbeck haben in einer Schuldiskussion nach Möglichkeiten für eine sinnvolle und effektive Katastrophenhilfe gesucht. Sie hatten gerade eine Sammelaktion für Erdbebenopfer hinter sich gebracht. Ihnen ist der Gedanke gekommen, daß es vielleicht am sinnvollsten sei, so etwas über die Vereinten Nationen zu versuchen.
Sie haben auch gesagt, wie sie sich das vorstellen: Die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen stellen eine Art Hilfstruppe zusammen, die für Erdbebenkatastrophen, Überschwemmungen und Katastrophen anderer Art ausgerüstet und ausgebildet ist. Die Mitgliedsländer der UNO könnten sich turnusmäßig bei der Gestellung der Hilfskräfte ablösen. So wären ständig spezialisierte Helfer abrufbereit, um in aller Welt effektive und schnelle Hilfe zu leisten.
Der Gedanke, multilaterale Organisationen, insbesondere des Systems der Vereinten Nationen, für humanitäre Hilfsaktionen bei Katastrophenfällen einzusetzen, ist eine naheliegende und schon häufiger diskutierte Überlegung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Vorschläge unseres Kollegen Czaja. Das Internationale Rote Kreuz und die nationalen Organisationen des Roten Kreuzes arbeiten eng miteinander zusammen und ermöglichen eine Hilfeleistung durch spezialisierte Helfer. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht die Leistungen des Technischen Hilfswerks. Dasselbe gilt für die Arbeit des Hohen Flüchtlingskommissars, der seinen operativen Schwerpunkt im Bereich der Flüchtlingsprobleme hat. Seine Aktivitäten umfassen auch Katastrophenfälle.
Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet mit diesen Organisationen eng zusammen und leistet für ihre Hilfsmaßnahmen sicherlich nicht unerhebliche Beiträge. Aber ich meine, es fehlt an kurzfristig einsetzbarer Soforthilfe und Katastrophenkapazität. Wir sind der Meinung, das deutsche Instrumentarium für eine rasche, sichtbare und kurzfristig wirksame Hilfeleistung sollte zwischen dem Bund, den Ländern und den nichtstaatlichen Trägerorganisationen geschaffen werden. Bei der Verwirklichung dieser Zielsetzung sollten der Unterausschuß für humanitäre Hilfe und der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe gemeinsame Überlegungen anstellen.
Zu Ziffer 2 unseres Antrags ist zu sagen, daß sich an eine geleistete Soforthilfe Maßnahmen zur Einleitung oder Anleitung zur Selbsthilfe anschließen müssen, z. B. Obdachlosenhilfe mit Anleitung zu einfachen Siedlungsmaßnahmen. Das Ganze muß dann eingebettet sein in integrierte Programme, d. h. in Programme, die Basisgesundheitsdienste, Alphabetisierungsprogramme mit einschließen.
Wir sollten gemeinsam die Bundesregierung auffordern, eine Art Aktionsprogramm zu entwerfen, das Sofortmaßnahmen und langfristige Maßnahmen, d. h. Maßnahmen für einen Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren, empfiehlt und sie so zusammenfaßt. Das ist auch die Empfehlung der NordSüd-Kommission in Kapitel 4 ihres Berichtes. Diesem Kapitel 4 hat ja in der Debatte des Deutschen Bundestages in der ´8. Legislaturperiode die CDU/ CSU vollinhaltlich zugestimmt. Auch hier muß das Leistungsvermögen nichtstaatlicher Trägerorganisationen, z. B. der Kirchen, eingeschaltet, gebührend berücksichtigt und genutzt werden.
Zu den Ziffern 3 bis 5 unseres Antrags wird Herr Kollege Professor Pinger Stellung nehmen.
Ich möchte zum Abschluß folgendes sagen. Die Entwicklungshilfepolitik der letzten 20 Jahre hat die Menschen in den Ländern der Dritten und der Vierten Welt kaum erreicht. Sie hat mit Sicherheit nur wenige Frauen, Mütter und Kinder erreicht.
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Die Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, leisten nahezu zwei Drittel aller Arbeitsstunden auf dieser Welt und beziehen dennoch lediglich ein Zehntel des Welteinkommens. Millionen Kinder sterben jährlich infolge der Unterentwicklung. Man schätzt, daß im letzten Jahr etwa 14 bis 15 Millionen Säuglinge und Kinder dieser Welt an Unterernährung starben oder einfach verhungerten. Auch hier gilt es unsere Hilfe anzusetzen. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts ist so gut, als daß es nicht noch verbessert werden könnte. Das letzte Entwicklungsjahrzehnt hat in der Tat nicht all die Erfolge gebracht, die man sich erhofft hatte. Aber die Bundesregierung hat dementsprechend für sich doch auch Konsequenzen gezogen. Die Bundesregierung allein kann die Welt allerdings nicht verbessern. Dazu gehören andere Staaten. Dazu gehören die Länder der Dritten Welt selbst, die stärker als bisher die Armel aufkrempeln müssen.
Die Anhörung vorgestern hat doch erbracht, daß die Ziele, die in der neuen Konzeption der Bundesregierung festgelegt sind, auf allgemeine Zustimmung gestoßen sind. Die Bundesregierung ist also weiterhin auf dem richtigen Weg. Das wollen wir hier einmal festhalten.
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Entwicklungspolitik, liebe Kollegen von der Opposition, ist kein geeignetes Mittel zur Erreichung innenpolitischer Ziele. Das haben die Kirchenvertreter am Mittwoch auch Ihnen gesagt. Der Antrag der CDU/CSU ist erstmalig im Sommer 1980 im Bundestag eingebracht worden. Das Ende der Legislaturperiode hat seine abschließende Behandlung damals verhindert.
Inzwischen ist viel passiert. Der jetzt vorliegende Antrag entspricht, wie ich meine, heute dem Zustand unserer Entwicklungspolitik noch weniger als zum Zeitpunkt seiner Einbringung, weil eben in den letzten Jahren neue Akzente gesetzt worden sind.
Wie sehen die Zahlen denn aus? Mindestens ein Viertel unserer öffentlichen Entwicklungshilfe geht in diese 30 am wenigsten entwickelten Länder. Wenn man sich die Konzentration vom Pro-Kopf-Einkommen her gesehen anschaut, dann wird man feststellen, daß sich die Zusagen für 1981 bei allen Entwicklungsländern pro Kopf der dortigen Bevölkerung auf 2,28 DM belaufen, während der Betrag bei den am wenigsten entwickelten Ländern fast dreimal so hoch ist, nämlich 6,24 DM. Das ist schon einiges. Für 1981 belaufen sich die Zusagen der bilateralen Zusammenarbeit auf über 30 %, nämlich auf 32,5 %.
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Mit diesen Mitteln, so meine ich, wird in den Entwicklungsländern, in den Armutsgürteln, auch ganz konkret geholfen. Die Bundesregierung tut mehr, als Sie uns glauben machen wollen.
Gerade das Problem der ärmsten Länder zeigt, daß die beiden letzten Entwicklungsdekaden der Vereinten Nationen nicht alle Hoffnungen erfüllt haben. Den letzten haben die Hunde gebissen. Dies trifft in besonders schlimmem Maße für die 30 ärmsten Entwicklungsländer zu. Die meisten von ihnen liegen in den Armutsgürteln in Mittelafrika und Südasien. Für diese Hungergürtel fordert auch der Brandt-Bericht besondere Hilfsmaßnahmen.
Schlimm sieht es dort aus. Ich folge hier der eindringlichen Schilderung des Brandt-Berichts:
Einige Länder der Armutsgürtel, etwa Bangladesch, haben große Bevölkerungen; andere, zum Beispiel Gambia, sind klein in Ausdehnung und Einwohnerzahl. Jedes dieser Länder verfolgt eine eigene Entwicklungspolitik ... Aber sie alle bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen kümmerlichem Dasein und Untergang; und sie alle sind eingeengt in ihrer natürlichen
Umwelt und in ihrer Abhängigkeit von internationalen Marktkräften, auf die sie keinen Einfluß haben. Sie leben in einer empfindlichen tropischen Umwelt, die infolge der zunehmenden Belastung durch den Menschen durcheinander-geraten ist. Ohne Bewässerung und Trinkwasserversorgung machen ihnen Trockenheit, Überflutung, Bodenerosion und vordringende Wüsten zu schaffen, und fruchtbaren Boden gibt es mit der Zeit immer weniger. Katastrophen wie etwa anhaltende Dürre tragen weiter zu Unterernährung und schlechtem Gesundheitszustand der Menschen bei, und alle diese Länder werden von Epidemien heimgesucht, die an ihrer Lebenskraft zehren. Ihre Armut, ihr extremes Klima, ihre Isolierung, das alles macht es ihnen schwer, ihre Ressourcen zu erschließen, vor allem die Bodenschätze. Die Sonne, die eine wertvolle Quelle billiger Energie sein könnte, ist derzeit ein Fluch und nimmt ihnen die Tatkraft ... Sie müssen ihre Wälder abholzen - das heißt, sie müssen ihre Umwelt zerstören, um zu überleben.
... es muß unverzüglich etwas getan werden, - so der Brandt-Bericht um die Armut bei der Wurzel zu packen, denn die Belastung des Ökosystems, die aus der Not der Menschen entsteht, macht es dem Boden und der Vegetation ihrerseits schwerer, den extremen klimatischen Bedingungen standzuhalten . .. Es ist eine ungeheure Aufgabe. Soll diese
Umkehr gelingen, sind neue Prioritäten nötig und ein fester Zeitplan.
Ihr Antrag dazu bietet Gelegenheit, dieses mit einzubeziehen. Ich meine aber, daß er in der vorliegenden Form nicht sehr hilfreich ist. Ich erkenne den Wert des Antrages - ich sage es noch einmal - durchaus als Möglichkeit an, das Problem der ärmsten Entwicklungsländer einmal mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Aber inhaltlich ist doch einiges an ihm auszusetzen.
Vor allem gibt es in dem Antrag eine ganze Reihe von Widersprüchen, von denen ich nur einige herausstreichen kann. Einer ist durch das Schlagwort „Konzentration durch breite Streuung" zu kennzeichnen. Sie fordern ja einerseits nicht nur die Konzentration unserer Hilfe auf diese ärmsten Entwicklungsländer, sondern auch auf nicht näher charakterisierte bestimmte Länder in dieser Gruppe. Sie fordern gleichzeitig, daß eine - wörtlich - „regional breitgestreute Präsenz beibehalten" werden soll. Was soll denn das? Wie sollen wir überall und gleichzeitig nur in einigen Ländern der LLDC-Gruppe präsent sein? Was ist mit wichtigen Empfängerländern wie Indien, Ägypten und Kenia, die alle keine Länder dieser Gruppe sind?
Der zweite Widerspruch kann als die Forderung nach „Entwicklungspolitik ohne Schrecksekunde" charakterisiert werden. Sie fordern eine möglichst kurze Reaktionszeit der Entwicklungspolitik bei der Reaktion auf veränderte außenpolitische Konstellationen. Warum tun Sie das? Sie wissen doch sehr genau, daß dann keine entwicklungsgerechte ZusamDr. Holtz
menarbeit mit der Dritten Welt mehr möglich ist. Ihnen ist doch bekannt, daß Laufzeiten von fünf bis zehn Jahren für entwicklungspolitische Projekte das Normale sind. Sie haben doch vorgestern im Hearing erfahren, daß selbst Flüchtlingshilfe, selbst Katastrophenhilfe den Keim entwicklungsgerechter Unterstützung in sich bergen müssen, wenn sie auf lange Sicht sinnvoll sein sollen. Daß Sie das alles wissen, zeigt doch die Tatsache, daß Sie an anderer Stelle Ihres Antrags die Gewährleistung eines längerfristigen deutschen Engagements in den errichteten Projekten fordern. Ich wäre auch neugierig, zu erfahren, auf welche außenpolitischen Konstellationsveränderungen wie reagiert werden soll.
In diesem Zusammenhang teile ich auch die auf dem Hearing vorgetragene Sorge, daß die Entwicklungspolitik wieder stärker in den Sog des Ost-West-Konflikts geraten könnte. Ich würde dies für schädlich halten.
Der dritte Widerspruch ist Ihre Forderung nach Konzentration auf sogenannte Engpaßprobleme. Integrierte, also mehrere Bereiche umfassende Projekte durch Konzentration auf das Wesentliche, wäre da bei Ihnen das Motto. Ich muß mich wirklich fragen, welche speziellen Engpässe Sie damit meinen.
Wir sind uns doch schon lange einig, daß der Ansatz einer breit verstandenen Entwicklungspolitik in der Form integrierter Projekte den größten Erfolg verspricht. Es ist doch bekannt, daß ein Bewässerungssystem allein die Bevölkerung nicht aus ihrer wirtschaftlichen und sozialen Not befreit, sondern daß ein ländliches Kreditwesen ebenso dazu gehört wie mittelständische Betriebe zur Versorgung der Bevölkerung, eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten wie der Gesundheitsvorsorge, ein Wegenetz und Vermarktungsmöglichkeiten. Der Engpaß mag beim Wasser liegen; seine Beseitigung allein reicht nicht aus, wenn die damit zusammenhängenden Probleme wirklich gelöst werden sollen.
Herr Abgeordneter Holtz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
Bitte schön.
Herr Kollege Holtz, sollte es Ihrer Aufmerksamkeit wirklich entgangen sein, daß die Details, die Sie hier im Moment kritisieren, samt und sonders auf Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats des MBZ beruhen, dem man wohl Erfahrung und Sachverstand nicht absprechen kann?
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Wissenschaft bedeutet nicht immer, daß es die richtige Politik ist, die uns von dort empfohlen wird.
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Wissenschaftler können Sie überall zitieren, zu jedem Problem werden Sie auch Legitimationswissenschaft finden. Es geht darum, daß ich nicht einen
Punkt herauspicken und sagen kann: Das ist das Problem. Vielmehr muß ich einen umfassenden Ansatz haben. Ich meine, daß das richtig ist, was der Bundesminister Offergeld auf der letzten Pressekonferenz gesagt hat, daß wir diesen integrierten Ansatz verstärken müssen.
Anderen Punkten, die in dem Antrag stehen, können wir zustimmen. Sie fordern zu Recht den Ausbau der Kapazitäten nicht staatlicher Träger der Entwicklungspolitik. Sie rennen bei uns offene Türen ein, wenn Sie die Verstärkung der Teilnahme einheimischer Fachkräfte und Partnerorganisationen an Planung und Durchführung von Projekten fordern. Wir gehen sogar darüber hinaus und sagen: Die betroffene Bevölkerung muß das Recht und die Möglichkeit haben, an den notwendigen Entscheidungen mitzuwirken. Es stimmt mit den Grundsätzen sozialdemokratischer Entwicklungspolitik überein, wenn Sie Wert auf die Hilfe zur Selbsthilfe gelegt sehen wollen.
Vieles klingt in Ihrem Antrag gut, aber vieles wird gleich wieder zurückgenommen. Mir scheint, die CDU/CSU sucht nach neuen Akzenten für ihre Entwicklungspolitik, will aber die alten nicht ganz fallenlassen. Wir werden den Antrag in sorgfältiger Zusammenarbeit mit Ihnen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit prüfen. Ich hoffe, daß wir zu einem Ergebnis kommen, das alle mittragen können und das uns auf dem schwierigen Weg, den wir in der Nord-Süd-Politik noch zurückzulegen haben, weiterbringt.
Bei der sorgfältigen Erörterung der Frage, wie die Massenarmut in der Dritten Welt noch erfolgversprechender als bisher bekämpft werden kann, werden wir die Anregungen des Hearings miteinbeziehen.
Nach einer ersten Rückschau halte ich folgende Vorschläge in bezug auf den vorliegenden Antrag für wichtig.
Zielgruppen sollten nicht so sehr bestimmte Ländergruppen, sondern die ärmsten Bevölkerungsschichten sein, und die gibt es auch woanders.
Mehr Entwicklungshilfe ist von der Bereitschaft der Entwicklungsländer zur Verstärkung der Eigenanstrengungen, von der Bereitschaft zu inneren Reformen und dem Willen zur ernsthaften Lösung fundamentaler entwicklungspolitischer Fragen und Fragen im Energie- und Bevölkerungsbereich abhängig zu machen.
Die Eigeninitiative, die Mitbestimmung und der soziokulturelle Kontext der Bevölkerung in der Dritten Welt sind stärker als bisher zu mobilisieren und ebenso wie etwa die Menschenrechtssituation zu beachten.
Einer selbstbestimmten Binnenmarktentwicklung für agrarische und handwerkliche Erzeugnisse kommt größere Bedeutung als bisher zu. Die ausländische Investitionspolitik ist so zu gestalten, daß sie auch den Interessen der Entwicklungsländer gerecht wird, daß den Arbeitnehmern nicht soziale Mindestnormen, wie anständiger Lohn, vorenthal1824
ten und daß möglichst mit einer arbeitsintensiven Technologie Arbeitsplätze geschaffen werden.
Der Kampf gegen die Massenarmut muß von vielen Seiten her ansetzen. Mit Teillösungen wird man der Armutsfalle nicht entkommen können. Dazu zählen etwa ländliche Entwicklung, Umweltschutz, aber auch die Schaffung von angemessenem Wohnraum. Das Wort „Behausung", Frau Kollegin, war wohl ein Fehlgriff.
In der Projektpolitik gilt es, Praxisnähe zu beweisen, lokales Know-how miteinzubeziehen, besonders im Grundbedürfnisbereich die nichtstaatlichen Organisationen bzw. Selbsthilfestrukturen viel stärker als heute einzuschalten und auch Kleinstprojekte zu fördern.
Last not least, die finanziellen Leistungen der Bundesrepublik müssen auch zukünftig weiter erhöht werden. Ich bin stolz darauf, daß die Bundesrepublik Deutschland gerade bei schwieriger finanzpolitischer Situation ihre Entwicklungshilfe nicht kürzt, wie das in Großbritannien und in den USA der Fall ist, sondern daß wir in diesem Haushalt eine weitere große Steigerungsrate haben. Das ist eine moralische Verpflichtung, das ist aber friedenspolitisch und auch arbeitsmarktpolitisch geboten. Ich meine, daß dieser Weg fortgesetzt werden sollte.
In einigen Ländern der Armutsgürtel sind Katastrophen zum Dauerzustand geworden. Deshalb gilt es zu überlegen, zweckgebundene Budgethilfen zu erwägen, um z. B. das bestehende Gesundheitswesen im betreffenden Land nicht Bankrottgehen zu lassen.
Es mangelt also nicht an Einsichten, auch nicht an Mitteln, auch nicht an Vorschlägen. Bringen wir die Kraft auf, mindestens einen Teil von ihnen durchzusetzen! - Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Minütlich werden auf dieser Welt 40 ha Wald abgeholzt. Das sind über zwei Millionen Hektar pro Jahr, etwa ein Drittel der Waldfläche von Deutschland. Diese Flächen werden entweder gerodet, abgebrannt oder sich selbst überlassen und überweidet, jedenfalls nicht wieder aufgeforstet. Diese zwei Millionen Hektar fehlen jährlich auf der Welt in der Energiebilanz. Der Wald fehlt auch als Verbraucher von Kohlendioxyd und als Spender von Sauerstoff. Aber das ist ein weitergehender Aspekt.
Der naheliegende Aspekt ist ein anderer. Warum stelle ich die Entwaldung an den Beginn meines Beitrags zum Antrag der CDU/CSU? Weil ich der Meinung bin, daß der Zusammenhang zwischen der Verschlimmerung der Situation der am wenigsten entwickelten Länder und der Zerstörung der ökologischen Grundlagen in diesen Ländern noch immer nicht genügend erkannt ist. Mein Vorredner Dr. Holtz ist kurz darauf eingegangen.
Die Menschen, die in diesen Ländern wohnen und eine stark wachsende Bevölkerungszahl aufweisen, suchen nach neuen Nahrungsquellen. Sie brauchen Acker- und Weideland. Um Ackerland zu gewinnen, roden sie den Wald oder holzen ab, was von einem einstmals tropischen Urwald übriggeblieben ist. Dieser ehemalige tropische Wald wurde ausgebeutet, indem das Holz, wenn es sich zu industriellen Zwekken eignete, genutzt wurde.
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Um die Regeneration dieser Bäume kümmerte sich niemand. Die restlichen Hölzer wurden nach und nach für Brennzwecke verbraucht. Trotzdem hätte sich der Wald regeneriert, wäre nicht jahraus, jahrein das Vieh darin genährt worden - Kühe, Schafe, Ziegen - die Nahrungsgrundlage der seßhaften Bevölkerung und der Nomaden.
Dies allein könnte man als unabdingbar notwendig, als zur Lebenserhaltung Erhaltung der Menschen unumgänglich noch hinnehmen, wenn das Vieh nach Anzahl und Zucht so bemessen wäre, daß es später die über das Futter aufgenommene Energie an die hungernden Menschen abgibt. Der Wald hätte somit Menschenleben erhalten. Leider ist dies aber nur zu einem ganz geringen Prozentsatz geschehen, nämlich nur in dem Umfang, in dem die Menschen das Vieh verwertet haben. Der Rest des Viehs magerte in der nächsten Trocken- oder Dürreperiode wieder ab oder ging sogar durch Hungertod verloren, ohne seinerseits einen Beitrag zur Rettung von Menschenleben geleistet zu haben.
Jetzt dehnt sich der Teufelskreis weiter aus. Zur Erlangung neuer Weidegründe werden ferner abgelegene Wälder aufgesucht. Nach totaler Überweidung werden sie abgebrannt, und auf der Erde wird Ackerbau betrieben. Wegen der kargen geologischen Voraussetzungen und der geringen Niederschläge kann auf diesen Böden nur eine, höchstens zwei Ernten eingebracht werden. Danach müssen weitere Flächen niedergebrannt und unter den Pflug genommen werden. Die einmal, höchstens zweimal bewirtschafteten Äcker veröden, verkarsten und erodieren. Hat der Wald früher das Wasser der Regenzeit wie ein Schwamm in sich aufgenommen und über die Wurzeln der Bäume ins Grundwasser abgeleitet, hat das Kronendach früher die Verdunstung verhindert, so wird die Ackerkrume heute von den heftigen Regenfällen abgeschwemmt, und das Wasser fließt oberflächlich ab oder verdunstet - ungenutzt. Die Wüste schreitet fort, die Desertifikation dehnt sich aus.
Dieser Teufelskreis muß durchbrochen werden. Es ist die einzige Chance, die natürlichen Lebensgrundlagen der am wenigsten entwickelten Länder zu erhalten oder wiederzugewinnen. Es ist die einzige Möglichkeit, den Menschen in ihrem eigenen Ökosystem ihre Ernährungsgrundlage zu schaffen oder zu erhalten.
Der Brandt-Bericht stellt bereits fest, daß das möglich ist, wenn unverzüglich etwas getan wird. Es ist eine ungeheure Aufgabe, aber sie läßt sich lösen,
wenn die Völkergemeinschaft zusammensteht und gemeinsam etwas schafft.
Der Kampf gegen den Hunger und die Armut in diesen Ländern muß, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, von verschiedenen Seiten ansetzen, etwa bei der Verbesserung der Ertragsfähigkeit der Böden, die landwirtschaftlich genutzt werden, durch Düngung. Fehlt das Holz zur Verbrennung, auf das neun Zehntel der Menschen im Armutsgürtel angewiesen sind, weil es ihre einzige Energiequelle ist, wird getrockneter Dung verwendet, und dieser fehlt dann auf den Äckern, die folglich noch weniger Ertrag liefern.
Der Teufelskreis muß also dort unterbrochen werden, wo das am einfachsten zu bewerkstelligen ist: beim Schutz des Waldes vor Abholzung, Niederbrennen und Überweidung und beim Beginn einer einfachen Landbewirtschaftung mit künstlichen Düngern.
Auf einer Fahrt in die Sahel-Zone haben wir kürzlich in Mali einen erfolgversprechenden Anfang gesehen. Eine Phosphatmühle im Osten des Landes wird in wenigen Jahren bis zu 200 000 t Phosphat liefern, der dem dortigen Boden derzeit als Nährstoff fehlt. Die Regierung hat ein totales Rodungsverbot erlassen. Der Ansatz ist also richtig. Nun liegt es an uns, an den Industrieländern, an der Europäischen Gemeinschaft, an den reicheren Staaten, auch und insbesondere an uns, der Bundesrepublik, den zweiten Schritt zu vollziehen, nämlich die Infrastruktur dieser Länder zu verbessern. Es muß - um einmal bei diesem Beispiel zu bleiben - eine Hauptverkehrsader, ob Straße oder Wasserweg, geben, auf der der Phosphatdünger in die verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete transportiert werden kann. Das Phosphat wird die Ertragsfähigkeit der Felder um ein Drittel steigern. Die gesteigerten Erträge müssen dann in die Haushalte kommen.
An dieser Stelle ist im Sinne des Antragstellers, der CDU/CSU, zu bemerken, daß wirksame Hilfe nicht nur von staatlichen Trägerorganisationen ausgehen kann. Der größere Erfolg ist meistens von nichtstaatlichen oder gemischten Organisationen - Kooperationen, eigenverantwortlichen genossenschaftlichen Vereinigungen - zu erwarten.
Der Aufbau der kurzfristigen Katastrophenhilfe mag sich noch auf staatliche Hilfe stützen müssen; Wasser und Ackerland besser zu nutzen, die Gesundheit zu verbessern, wieder aufzuforsten, neue Energiequellen zu entwickeln und zu nutzen, das Verkehrs- und Kommunikationswesen auszubauen, all das heißt Maßnahmen sehr langfristiger Natur ins Auge fassen. Es bedarf langfristiger Finanzierungsgarantien, bevor diese Maßnahmen in die Wege geleitet werden können.
Die Bundesregierung war durchaus auf dem richtigen Wege, als sie Termine für die Finanzierungsgarantien möglichst weit streckte oder stillschweigend erweiterte. Maßnahmen der genannten Natur brauchen einen Zeitraum von mindestens 15 bis 20 Jahren, Wiederbewaldungsprojekte benötigen sogar mindestens 30 Jahre.
Ich darf noch einmal klarstellen: Wiederbewaldung muß nicht „überall neu aufforsten" heißen. Wiederbewaldung heißt in den genannten Ländern in den meisten Fällen: Einstellen der Brandrodung und der Überweidung. Hinter einem Zaun würde sich der Wald binnen kurzer Zeit regenerieren und könnte als Rohstofflieferant, nämlich als Brennholzlieferant, sehr bald wieder genutzt werden - allerdings in geordneter Wirtschaft. Selbst in den Trokkengebieten der Sahel-Zone verträgt der Wald, sofern die Wurzeln der Bäume unbeschädigt sind, allerhand. Nur kann man mit ihm nicht das machen, was man auch in der Viehwirtschaft nicht tun kann: die Kuh melken, dann schlachten und anschließend von ihr ein Kalb erwarten.
Es geht jetzt darum, in diesen Ländern darauf hinzuwirken, daß das Ökosystem wiederhergestellt oder einfach das, was da ist, erhalten wird. Dabei können unsere Fachkräfte wertvolle Hilfe leisten, und unsere Gelder sind gut angelegt. Es gibt gute Beispiele. Nur muß man wissen, daß oft nicht der Staat als Eigentümer von Grund und Boden darüber entscheidet, wie das Land genutzt wird, wo aufgeforstet oder geschont und wo überweidet oder abgebrannt wird; es sind häufig die Dorfältesten, die darüber entscheiden.
Sonderformen der Mehrfachnutzung der Böden durch Anbau von Obstbäumen oder Plantagen - z. B. wie in Senegal, aus Cashewnüssen - sind zur kurzfristigen Verbesserung der Ökologie kleinerer Landstücke - und das heißt in Afrika: mehrere 1000 ha - geeignet. Bei solchen oder ähnlichen Objekten wünschen wir von der FDP uns ein verstärktes Engagement der Bundesregierung und der Entwicklungsträger bei einer Konzentration der Hilfsmaßnahmen auf eine Untergruppe der am wenigsten entwickelten Länder mit geringer Bevölkerungszahl. Hier ist - gemäß Ziffer 3 des Antrages der CDU - eine spürbare Wirkung auf das Entwicklungsniveau zu erwarten.
Die entwicklungspolitischen Grundlinien müssen eine andere Prioritätenfolge erhalten. An erster Stelle muß die Erhaltung oder Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts stehen, weil sich, wie ich darzustellen versucht habe, erst daraus die Entwicklungsfähigkeit, d. h. eine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, ergeben kann. Aus diesem Grund müssen bei allen Maßnahmen, Staudammprojekten, Bewässerungen, Brunnenbohrungen, Erweiterung landwirtschaftlicher Nutzflächen, Umstellung der Anbaumethoden usw. die biologischen Folgewirkungen berücksichtigt werden.
Jedem von Ihnen ist inzwischen das grandiose Fehlprojekt des Jahrhunderts, der Assuan-Staudamm, mit seinen negativen Folgewirkungen bekannt. Auch Ägypten gehört zu den in Frage stehenden am wenigsten entwickelten Ländern. Ein ehrgeiziges Projekt sollte das Land ins 21. Jahrhundert katapultieren. Abgesehen davon, daß der Strom in dem Umfang, in dem er erzeugt wird, gar nicht gebraucht wird und mangels Infrastruktur gar nicht verteilt werden kann, ist das gesamte Niltal auf 2000 km vom alten Nil abgeschnitten, der das Land jährlich einmal überschwemmte und düngte. Das
Ökosystem Nil ist zusammengebrochen. Es fehlt an Plankton als Grundlage für die Fische. Es fehlen die Fische als Nahrungsgrundlage für die Menschen. Ägypten kauft heute für teure Devisen Kunstdünger. Der vom Nil mitgebrachte wertvolle Schlamm setzt sich vor dem Damm im Staubecken ab. Ähnliche Projekte sollen mit deutscher Hilfe nicht mehr gebaut werden.
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Aber auch kleinere Projekte können ungeahnte, unvorhergesehene und unvorhersehbare Wirkungen haben. Ich nenne Beispiele. Die durch Aufstauen von Gewässern sich bildenden stehenden Gewässer können wieder Krankheiten wie die Bilharziose bringen. Brunnenbohrungen können Grundwasserabsenkungen zur Folge haben. Und so weiter.
Ein letzter Aspekt an die Adresse derer, die alternative Lebensformen bevorzugen und die landwirtschaftliche Produktionssteigerung in der Bundesrepublik und Europa mißbilligen, weil sie auf der Grundlage von Düngemitteln beruht. Wenn eine Milliarde Menschen, davon die Hälfte Kinder, so wenig zu essen haben, wenn ein Drittel - Frau Fischer hat die Zahlen genannt - der in den Entwicklungsländern geborenen Kinder vor dem fünften Lebensjahr an Unterernährung sterben, wenn die Zahlen angesichts abnehmender Bewirtschaftungsflächen im Steigen sind, wie soll dieses unerträgliche Problem anders gelöst werden als durch die Intensivierung des Landbaus, durch Dünger und Nutzung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse?
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Es sollte angesichts dieser Not auf der Welt so mancher bei sich im stillen Kämmerlein mal überlegen, welch ein Segen es ist, ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt zu sein:
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auf Grund einer hochentwickelten und hochintensiven Landwirtschaft in Mitteleuropa.
Ich wollte keinen einseitigen Beitrag zu dem Antrag der CDU/CSU leisten. Auf die Einzelheiten des Antrags wird mein Kollege Dr. Vohrer eingehen. Mir kam es darauf an, für die Freien Demokraten einmal den ökologischen Aspekt ganz in den Vordergrund zu stellen. Hinter Spiegelstrichen wird immer gesagt: Das und das und das muß gemacht werden. Und ganz am Schluß steht dann: Dabei müssen die ökologischen Grundlagen berücksichtigt werden. Ich meine, es muß eine Umkehr der Prioritäten erfolgen.
Das ganze Instrumentarium der Überlegungen, die bei den Vereinten Nationen, bei den europäischen Gremien und bei den Parteien dieses Hauses weithin unumstritten sind, findet die Zustimmung auch der FDP. Auch bei der Anhörung der Organisationen vorgestern habe ich - ich muß es zugeben - eigentlich keine befriedigende Antwort auf meine
Frage erhalten, wer eigentlich auf die ökologischen und biologischen Gesamtwirkungen achtet.
Hier ist ein neuer Schwerpunkt zu setzen. Nur auf diese Art und Weise kann langfristig den unterentwickelten Ländern geholfen werden.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige kurze Bemerkungen. Ich begrüße es, daß dieser Antrag uns Gelegenheit gibt, über die Politik gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern zu diskutieren. Ich hätte mir allerdings gewünscht, meine Herren von der Opposition, daß man nicht einen Antrag aus der Mottenkiste geholt hätte.
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Er stammt j a aus der vorigen Wahlperiode, mit einigen kosmetischen Änderungen. Dieser Antrag enthält Forderungen, die wir zum Teil schon erfüllt haben. Ich darf hier z. B. auf Ihre Forderung hinweisen, die Beratungshilfe, die Planungshilfe für die ärmsten Länder der Welt zu verstärken. Diese Forderung haben wir erfüllt. Das wissen Sie auch ganz genau, jedenfalls diejenigen, die im Fachausschuß sitzen. Es gibt aber in diesem Antrag auch eine ganze Anzahl von Punkten, von Anregungen, über die die Zeit vielleicht schon hinweggegangen ist, auch bei der Opposition. Auch gibt es in diesem Antrag widersprüchliche Forderungen: Zum einen heißt es, wir sollten eine regional breitgestreute Präsenz der deutschen Entwicklungshilfe sicherstellen, zum anderen wird verlangt, daß wir uns auf Länder mit niedriger Bevölkerungszahl unter den ärmsten Entwicklungsländern konzentrieren. Da ist natürlich ein eklatanter Widerspruch festzustellen. Entweder wollen wir eine breitgestreute Präsenz, so wie wir es heute haben, oder wir konzentrieren uns auf Länder mit niedriger Bevölkerungszahl.
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Nehmen Sie von den ärmsten Entwicklungsländern einmal diejenigen, die eine niedrige Bevölkerungszahl haben, oder nehmen Sie umgekehrt diejenigen mit einer hohen Bevölkerungszahl. Die Länder mit der größten Bevölkerungszahl sind Bangladesch, Äthiopien, Nepal, Tansania, Afghanistan, Uganda und der Sudan. Demzufolge haben sie auch das größte Hilfsbedürfnis. Diese Länder wollen Sie vernachlässigen, wenn Sie die Konzentration auf Länder mit niedriger Bevölkerungszahl fordern. Wäre es denn wohl sinnvoll gewesen, dem Präsidenten von Bangladesch jetzt zu sagen, sein Land sei künftig kein Schwerpunktland mehr, weil es eine so hohe Bevölkerungszahl habe? Das wäre weder entwicklungspolitisch noch außenpolitisch sinnvoll gewesen.
Meine Damen und Herren, ich halte von Ihrer Forderung nach Konzentration auf die Länder mit niedBundesminister Offergeld
riger Bevölkerungszahl überhaupt nichts. Vielmehr müssen wir den ärmsten, den am wenigsten entwikkelten Ländern generell helfen, und zwar unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl. Im Gegenteil: Denjenigen mit hohen Bevölkerungszahlen müssen wir besonders intensiv helfen, weil sie vor besonders großen Problemen stehen. Das ist nur einer der vielen Widersprüche, eine der vielen Forderungen aus Ihrem Antrag, die wir nicht erfüllen können.
Aber nochmals: Ich begrüße, daß wir Gelegenheit haben, über unsere Politik gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern insgesamt zu diskutieren. Sie steht im Gesamtzusammenhang mit unserer Entwicklungspolitik, d. h., wir wollen damit - ich unterstreiche das ganz bewußt auch in dieser Debatte - die Unabhängigkeit der Entwicklungsländer fördern und stärken, wir wollen eine partnerschaftliche, gleichberechtigte Zusammenarbeit, wir wollen ihre kulturelle Eigenständigkeit fördern. Ziel unserer Entwicklungspolitik ist der soziale und wirtschaftliche Fortschritt in den Entwicklungsländern.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Fischer?
Bitte schön.
Herr Minister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß ich in meiner Rede soeben gefordert habe, sich auf eine Untergruppe von LLDCs mit niedrigem Einkommen und niedriger Bevölkerungszahl zu konzentrieren und das Ganze mit Städtepartnerschaften, mit Bundesländer-Partnerschaften und Maßnahmen innerhalb der europäischen Zusammenarbeit zu verbinden? Das, was Sie gebracht haben, ist dann, würde ich sagen, eine Verdrehung.
Frau Fischer, ich werde niemals bestreiten, daß Sie hier etwas gesagt haben, wenn es so im Bundestagsprotokoll steht. Ich habe mich hier allerdings auf Ihren Antrag bezogen, in dem
. .. eine Konzentration der Hilfsmaßnahmen auf eine Untergruppe von den am wenigsten entwickelten Ländern . .. mit niedrigem Einkommen und zugleich mit niedriger Bevölkerungszahl .. .
gefordert wird. Das ist der Punkt, dem ich widersprechen muß. Wir können uns nicht auf Länder mit niedriger Bevölkerungszahl konzentrieren. Ein Land wie Bangladesch, das ärmste Land, das zu dieser Gruppe gehört, mit der höchsten Bevölkerungszahl, kann doch aus unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit nicht einfach ausgeblendet werden.
({0})
Darauf, das hier deutlich zu machen, kommt es mir an.
Herr Minister, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu? - Bitte schön.
Sind Sie bereit, zuzugeben, Herr Minister, daß ein Redner - ob der Opposition oder den Regierungsparteien angehörend - in einer Debatte des Bundestages durchaus erwarten kann, daß der Minister in seiner Rede auch auf Vorschläge in Reden eingeht, die vor ihm gehalten worden sind, und sich nicht nur auf den Wortlaut eines kurzgefaßten Antrags bezieht?
Nochmals, Frau Fischer: Ich orientiere mich am Wortlaut des Antrags, der von vielen in Ihrer Fraktion unterschrieben worden ist. Wenn Sie davon abrücken wollen, um so besser. Ich j eden-falls habe hier meine Position zu dem Antrag - das ist doch wohl auch notwendig - deutlich gemacht.
Wir wollen, meine Damen und Herren, mit unserer Entwicklungspolitik insbesondere die Massenarmut bekämpfen. Deswegen ist eine Konzentration auf die am wenigsten entwickelten Länder wichtig. Nur, wir sollten uns auch in dieser Debatte wirklich vor Illusionen hüten, Frau Fischer. Denn diese am wenigsten entwickelten Länder haben ganz besondere Probleme. Sie haben sehr oft ein ganz geringes Entwicklungspotential. Sie sind klimatisch, geografisch oft besonders benachteiligt. Viele haben keinen Zugang zum Meer. Sie haben oft traditionelle soziale Strukturen, die einen raschen Fortschritt unwahrscheinlich machen. Das heißt, es ist nicht mit raschen und durchschlagenden Erfolgen in der Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern zu rechnen. Wir brauchen da eine langfristige, stetige Zusammenarbeit. Die Bundesrepublik muß langfristig ein verläßlicher Partner sein. Deswegen ist es auch nicht möglich, daß wir Projekte im Rahmen unserer Zusammenarbeit durchführen, die - Frau Fischer, ich zitiere wiederum aus Ihrem Antrag - „eine möglichst kurze Reaktionszeit auf veränderte außenpolitische Konstellationen" zulassen. Ich unterstreiche das, was hier schon Herr Dr. Holtz gesagt hat: Die Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern ist in jedem praktischen Projekt auf fünf, zehn, fünfzehn Jahre angelegt. Das kann kein Wechselbad sein. Das ermöglicht keine kurze Reaktionszeit auf veränderte außenpolitische Konstellationen. Ich glaube, hinter dieser Forderung steckt auch noch ein bißchen das Freund-Feind-Bild, die Übertragung des Ost-West-Konflikts auf die Entwicklungsländer. Das wollen wir auch in Zukunft nicht. Die Politik gerade gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern erfordert einen langen Atem.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhler?
Bitte schön.
Herr Minister, als die Experten der Sowjetunion 1977 unter Mitnahme der Motoren der somalischen Fischereiflotte das Land verließen und Sie im Rahmen der Warenhilfe dann schnell Ersatzmotoren geliefert haben, war das, so frage ich Sie, eine Reaktion auf eine wechselnde außenpolitische Konstellation in einem entwicklungspolitisch sinnvollen Zusammenhang?
Das war es ganz gewiß, Herr Dr. Köhler.
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- Gut, wenn Sie das so meinen, wenn Sie das so interpretieren, dann sind wir gar nicht weit voneinander entfernt.
({1})
- Dann haben wir einen Fortschritt gemacht. Ich begrüße das j a, Herr Dr. Köhler. Ich weiß nur - Sie wissen es genauso -, daß es andere Mitglieder Ihrer Fraktion gibt, die das anders interpretieren. Aber wenn das Ihre Interpretation ist, kann ich mich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
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Wenn wir über eine Konzentration unserer Hilfe auf die am wenigsten entwickelten Länder sprechen, dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren - das ist, glaube ich, auch ganz wichtig -, daß es nicht nur in diesen Ländern Massenarmut gibt. Wenn Sie die Kategorien der Weltbank nehmen, stellen Sie fest, daß etwa 80 % derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze, wie die Weltbank das nennt, leben, die praktisch langsam verhungern, außerhalb der am wenigsten entwickelten Länder leben. Allein in Indien gibt es mehr Massenarmut als in allen LLDCs zusammengenommen. Das heißt: Die Konzentration auf die am wenigsten entwickelten Länder darf uns nicht dazu führen, daß wir die Tatsache aus den Augen verlieren, daß es auch in anderen Ländern Massenarmut gibt, und darf uns nicht davon ablenken, daß in den am wenigsten entwickelten Ländern nur etwas über 10 % der Menschen der Entwicklungsländer leben. Das heißt mit anderen Worten: Die Konzentration auf die am wenigsten entwickelten Länder muß auch eine Grenze haben.
Wenn ich die für dieses Jahr vorgesehenen Zusagen an die LLDCs - sie machen insgesamt 32,5 % aus; das ist fast ein Drittel - betrachte und dabei berücksichtige, daß nur gut 10 % der Menschen der Entwicklungsländer - ohne China - in den am wenigsten entwickelten Ländern leben, dann, glaube ich, sollte man über diesen Rahmen von knapp einem Drittel in der Zukunft nicht mehr wesentlich hinausgehen. Wir sollten den Anteil, den wir in diesem Jahr erreicht haben - er wird im nächsten Jahr aus besonderen Gründen vielleicht wieder etwas zurückgehen - nicht mehr beträchtlich steigern. Ich glaube, daß wir, was den Anteil der LLDCs an unserer Entwicklungshilfe anbetrifft, insgesamt schon sehr weit sind. Das übertrifft bei weitem den Anteil vieler anderer Geber in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
Eine letzte abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren, bevor wir diesen Antrag dann im Ausschuß intensiver diskutieren. Es ist zur Zeit Mode, einen Entwicklungspessimismus zu verkünden, der in vielen Fällen bis zur Resignation geht. Die Gefahr der Resignation besteht bei denjenigen, die mit überspannten Erwartungen an die Entwicklungspolitik herangegangen sind, die nicht berücksichtigen, daß der Entwicklungsprozeß in Europa Jahrhunderte gedauert hat. Ich sage Ihnen: Wir haben, wenn wir die vergangenen 20 Jahre betrachten, erhebliche Fortschritte erreicht. Wir müssen berücksichtigen, wie stark die Bevölkerung in den Entwicklungsländern gewachsen ist. In 30 Jahren hat sie sich verdoppelt, und sie wird sich in den kommenden 30 Jahren wiederum nahezu verdoppeln. Angesichts dieser Steigerung der Bevölkerungszahl kann man sagen: Wir haben deutliche Fortschritte erzielt, die überhaupt nicht denkbar wären ohne die entwicklungspolitische Zusammenarbeit.
Wenn das durchschnittliche Bevölkerungswachstum auch in den ärmsten Entwicklungsländern deutlich zurückgegangen ist, so ist das mit ein Erfolg - direkt und indirekt - vor allem der Entwicklungspolitik. Wenn wir die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt zwischen 1960 und 1978 auch in den ärmsten Entwicklungsländern wesentlich steigern konnten, nämlich von 42 auf 50 Jahre, so ist auch das ein Erfolg der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und der Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer. Wenn es uns gelungen ist, die Kindersterblichkeit innerhalb dieser 18 Jahre, von 1960 bis 1978, deutlich zu reduzieren, nämlich von 30 unter 1 000 Kindern, die in den ersten vier Lebensjahren starben, auf 20 unter 1 000, dann ist das ein Erfolg. Natürlich ist diese Zahl noch viel zu hoch, aber es ist ein Fortschritt, ein Erfolg. Und wenn es uns gelungen ist - und das ist eine ganz wesentliche Zahl, eine Basis für jeden weiteren Fortschritt -, den Anteil der Menschen mit Lese- und Schreibkenntnissen in der Dritten Welt, auch in den ärmsten Entwicklungsländern, deutlich zu steigern - in den ärmsten Ländern von 29 auf 38 % bei einer wesentlichen Steigerung der absoluten Zahl der Menschen -, dann halte ich das für einen wesentlichen Erfolg.
Es gibt also keinen Anlaß zur Resignation. Es gibt allerdings auch keinen Anlaß zu einer Schilderung in den rosigsten Farben. Die Ölkrise hat zusätzliche Probleme geschaffen. Ich sage ganz offen, daß die Ölkrise die Gefahr mit sich bringt, daß wir uns in der Zukunft oft auf den Erhalt des gegenwärtigen Zustandes konzentrieren müssen und daß nur langsamere Fortschritte möglich sein werden, es sei denn, die OPEC-Staaten kommen zu einem noch stärkeren Engagement in der Entwicklungspolitik. Ich glaube, es gibt zu einem Entwicklungspessimismus keinen Anlaß. Allerdings müssen wir angesichts der Ölkrise eine verschärfte und schwierigere Situation vor allem der Entwicklungsländer konstatieren. Dies sollte uns aber nicht zur Resignation führen, sondern zu verstärkten Anstrengungen. - Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Holtz hat hier behauptet, die Bundesregierung habe bereits Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, daß der Unterschied im Entwicklungsstand zwischen den ärmsten Ländern und den anderen Ländern immer größer werde, die Ziele der Bundesregierung seien auf allgemeine Zustimmung gestoßen und man wünsche, daß die Bundesregierung weiter auf ihrem richtigen Weg bleibe. Nun, wenn man die Ziele der Bundesregierung an den Tatsachen mißt, sieht das Bild ganz anders aus.
Ich stelle fest, daß die Bundesregierung auf eine Anfrage eines Kollegen unserer Fraktion am 23. März dieses Jahres mitgeteilt hat, daß die Auszahlungen der Bundesregierung an die ärmsten Länder, die LLDC-Länder, im Jahre 1976 22 %, 1977 wieder 22 %, 1978 21,7 % und 1979 22,7 % ausgemacht haben. Da können wir eine Schwerpunktsetzung, da können wir eine Steigerung überhaupt nicht erkennen.
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Nun mögen Sie sagen: Ja, aber die Bundesregierung ist zumindest jetzt auf dem richtigen Weg. Dazu sage ich: Die Bundesregierung hat nicht nur in ihren Grundlinien vom Juli 1980 proklamiert, daß sie bei der Unterstützung der ärmsten Länder einen Schwerpunkt setzen wolle, sondern sie hat bereits in ihren Thesen zur Entwicklungspolitik im Juni 1975 erklärt, sie wolle die Leistungen an die ärmsten Länder verstärken. Sie hat ausdrücklich erklärt - so wörtlich -:
Der Anteil der ärmsten Länder soll weiter erhöht werden.
Wir können nicht feststellen, daß hier eine Verstärkung der Anstrengungen und der Leistungen erfolgt ist. Wir müssen leider feststellen: Anspruch und Wirklichkeit, Absicht und Handeln, Erklärungen und Tatsachen, Proklamationen und Maßnahmen klaffen meilenweit auseinander.
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Angesichts solcher bedrückenden Feststellungen haben wir erwartet, daß die Bundesregierung und auch die Vertreter der Koalitionsfraktionen etwas kritischer und selbstkritischer reagiert hätten. Gerade von dem Minister Offergeld haben wir erwartet, daß er nicht Kritik an seinen Kritikern geübt hätte, wie er es getan hat, indem er versuchte, Haare in der Suppe zu finden, indem er an einzelnen Formulierungen unseres Antrags Anstoß nahm,
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sondern daß er im Detail vorgetragen hätte, wie er nun wirklich die Anstrengungen verstärken will
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und, vor allem, wie er konkret dazu beitragen will, daß den ärmsten Ländern nun besser geholfen wird als in der Vergangenheit.
Er hat gesagt, unser Antrag sei ein Antrag aus der Mottenkiste und manche Forderungen seien schon erfüllt. Ich kann nur sagen: Leider ist der Antrag hochaktuell.
Wenn gesagt wird - dieses Beispiel hat er genannt -, in der Planungshilfe seien die Anstrengungen verstärkt worden, ist das durchaus zutreffend. Wenn ich mir aber auf dem Hintergrund unserer aktuellen Erfahrungen - es ist eben auf unsere Reise in die Sahel-Zone, nach Mali, Senegal, Gambia und Kap Verde, von der wir am Sonntag zurückgekommen sind, Bezug genommen worden - die Praxis vorstelle, jetzt allerdings auf ein Projekt bezogen, dann ist festzustellen, daß man, wenn da, wo ein Projekt mit zwei hervorragenden Experten sehr gut läuft, plötzlich - und zwar zum großen Erstaunen dieser Experten - gleichzeitig zehn Kurzzeitexperten, im Rudel sozusagen, auftauchen, die dort Studien anstellen, die Welt nicht mehr versteht. Anstatt dieses hervorragende Projekt nun in anderen Gegenden anzusetzen, wo man eine Vervielfältigung vornehmen kann, ist jetzt zu befürchten, daß dieses Projekt eines nichtstaatlichen Trägers nun in die allgemeine Großbürokratie eingebaut wird und daß die volle Flexibilität unternehmerischer Leistung eines nichtstaatlichen, eines privatwirtschaftlichen Trägers eher abgewürgt wird, als daß man mit Planungshilfe eine Verstärkung herbeiführte. Bei der breit gestreuten Hilfe im Hinblick auf die ärmsten Länder ist ein scheinbarer Widerspruch zu der Schwerpunktsetzung zu entdecken.
Eine gewisse Schwerpunktsetzung heißt doch nicht, daß man die anderen vernachlässigt. Wenn Sie sagen, Sie wollten eine Schwerpunktsetzung zugunsten der LLDC-Länder, dann wollen Sie die anderen doch auch nicht vernachlässigen. Was wir meinen, ist - und damit befinden wir uns, wie schon gesagt worden ist, in Übereinstimmung mit dem Wissenschaftlichen Beirat -, daß es nun allerdings insgesamt darum geht, aus hervorragenden punktuellen Ansätzen, Projekten, die sich bewährt haben, in diesen Ländern zu breitflächigeren, systematischeren Maßnahmen zu kommen. Aber auch dabei ist natürlich die Gefahr von Fehlentwicklungen nie ganz auszuschließen.
Wenn wir deshalb - und das war der Sinn - besonders stark in überschaubaren Bereichen ansetzen, leider - wenn man so will - in Ländern mit niedriger Bevölkerungsdichte, dann können wir sehr viel schneller und besser übersehen, wie sich solche breiter angesetzten Maßnahmen auswirken. Das ist der Sinn dieser Passage. Wir meinen, daß dies durchaus vernünftig ist. Ich betone noch einmal - das ist in der Fragestellung deutlich geworden -, daß wir damit keineswegs eine Vernachlässigung der anderen Bereiche wollen. Wir wollen vielmehr, daß die Hilfe wirklich effektiv ansetzt und es nicht nur, wie gesagt, bei Erklärungen und Proklamationen bleibt.
Vor allen Dingen hätten wir doch gerne etwas dazu gehört, welche Konsequenzen man im einzelnen ziehen will. Wir müssen halt feststellen, daß die finanzielle Zusammenarbeit jedenfalls im Rahmen von größeren oder sogar Großprojekten nicht den Erfolg bringen kann.
Ich stelle fest, daß die Höhe der nicht abgeflossenen Mittel im Verhältnis zu den zugesagten Mitteln sehr groß ist. So betrug z. B. der Abfluß der Mittel nach Botsuana 1979 - das sind die letzten Zahlen 1830
23 %, nach Obervolta 35 %. Ich könnte aber auch andere Länder nennen: Der Abfluß nach Kap Verde betrug 0,9 %, nach Lesotho 0,6 %. Das bedeutet doch, daß man mit neuen Pipelines, mit neuen Zusagen in der bisherigen Form nicht weiterkommt. Wir hätten uns gewünscht, daß der Minister deutlich gemacht hätte, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, wie denn die Hilfe in Zukunft angesetzt werden soll. In dieser Hinsicht sind wir der Auffassung: nicht mit neuen Zusagen, sondern mit einem neuen Einsatz des Instrumentariums.
Wir haben früher mehrfach deutlich gemacht - ich will das jetzt noch einmal betonen -, daß es weniger darauf ankommt, die Millionenprojekte, sondern mehr darauf, die Millionen von Projekten im Auge zu haben. Wir wissen, daß es schwer ist, da anzusetzen. Wir müssen insoweit örtliche Selbsthilfeorganisationen heranziehen. Aber auch in diesem Bereich gibt es hervorragende laufende Projekte, bei denen Dörfer zu Kooperationen zusammengefaßt worden sind, die ausgezeichnet arbeiten. Im Rahmen der Euro-Action in Mali haben z. B. zwei europäische Experten inzwischen 36 solcher Organisationen mit Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften, mit Kreditgewährung an die kleinbäuerlichen Organisationen aufgebaut.
Das sind hervorragende Projekte, die man auch in anderen Teilen, ich will nicht sagen: flächendeckend, aber doch großzügiger ansetzen könnte. Damit würde man die Produktivkraft der Massen steigern. Auf diese Weise könnten wir hoffen, Erfolg zu haben.
Ich will ein anderes Gebiet nennen. Überall auf der Welt ist Entwicklung daran gebunden, daß Fachkräfte in hinreichender Zahl zur Verfügung stehen. Das erfordert nicht zuletzt handwerkliche Ausbildung. Aber wenn wir auf die Förderung handwerklicher Ausbildung abstellen - ich nehme wieder auf die Länder Bezug, die wir besucht haben -, so muß ich sagen, daß davon überhaupt nichts festzustellen ist. Von der Hilfe und von der Zielsetzung her kann ich diese Förderung nur als katastrophal bezeichnen. Wo sind die handwerklichen Fachschulen? Wo ist das, was man dann vielleicht im dualen System aufbauen könnte? Wo ist die Kreditgewährung an Kleinbetriebe, die natürlich nicht von uns aus, vom BMZ aus erfolgen sollte - natürlich nicht! -, aber über Entwicklungsbanken, die bereit wären - das haben wir j a festgestellt -, deutsche, europäische Berater hinzuzuziehen? Dabei hätte man dann auch selbst Einfluß darauf, wo die Kredite eingesetzt werden. Die Mittel in solche Basisprojekte fließen zu lassen wäre sinnvoller, als die Pipeline weiterhin vollzustopfen.
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Ich möchte noch ganz kurz auf den Beitrag des Kollegen Rumpf eingehen. Er hat die Feststellung getroffen, wir müßten den ökologischen Problemen sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen. Das ist bekannt, aber gleichwohl will ich das auch noch einmal betonen. Herr Kollege Rumpf hat das sehr deutlich gemacht. Nur, ich würde Ihrer Formulierung nicht zustimmen. Wenn gesagt würde, die Ökologie solle umgekehrt quasi ganz in den Vordergrund gestellt werden, so würde ich - zugespitzt - entgegnen: Die jetzt hungern oder verhungern, haben nichts davon, wenn dort in 30 Jahren Bäume stehen. Wir müssen uns also davor hüten, nun ins andere Extrem zu fallen.
Wenn wir allerdings von Ökologie und Aufforstung sprechen, sollten wir nicht die staatlichen Großprojekte im Auge haben, wo wieder Millionen an den Staat gehen, vieles versickert und unten dann nur einiges ankommt. Vielmehr sollte wiederum versucht werden, die Basisorganisationen, die Dörfer, vielleicht auch die einzelnen kleinbäuerlichen Betriebe dazu zu bewegen, in ihrem Bereich solche Aufforstungen vorzunehmen, vielleicht auch Bäume anzupflanzen, die Früchte bringen. Aber das wäre im einzelnen zu diskutieren.
Mir geht es um das Prinzip. Es muß an der Basis angesetzt werden, das Eigeninteresse muß gefördert werden. Alles, was von oben kommt, wirkt ganz sicher nicht. Alles muß an die jeweiligen Möglichkeiten angepaßt sein. Es muß z. B. eine angepaßte Technologie angestrebt werden. Alles muß - leider - sehr einfach und außerordentlich arbeitsintensiv sein. Dabei müßten Arbeitstechniken angewandt werden, die aus unserer Sicht fast als unmenschlich zu bezeichnen wären: etwa Basaltblöcke mit der Hand zerkleinern, was wir gesehen haben. Aber die Alternative sind Arbeitslosigkeit und Hunger. Diese Leute, die wir vor Ort haben arbeiten sehen, greifen dankbar die Möglichkeit auf, im Akkord vier Kubikmeter Basaltblöcke pro Tag nach dem Prinzip „food for work", also gegen Nahrungsmittel zu zerkleinern. In dieser Beziehung muß man sich von mancher Vorstellung lösen, die wir hier haben. Das muß sich ganz langsam entwickeln. Es wäre jedenfalls falsch, den Leuten die Technologie von oben unter Vernachlässigung der soziokulturellen Gegebenheiten aufzupfropfen und ihnen vorzumachen, sie könnten mit einem einzigen Sprung zu einem neuen Entwicklungsstand kommen; dabei würden sie in ihrer persönlichen menschlichen Existenz vor die Hunde gehen.
Zu diesen Fragen hätten wir gern etwas mehr gehört. Wir hoffen, daß es auf Grund unseres Antrags möglich ist, wenigstens im Ausschuß detailliert über solche Probleme zu sprechen.
Herr Kollege Holtz, Sie haben das Anliegen als solches, das in unserem Antrag formuliert ist, für richtig gehalten. Auch Sie haben den einen oder anderen Widerspruch gefunden. Im Zusammenhang mit dem angeblichen Widerspruch bezüglich der außenpolitischen Berücksichtigung will ich noch einmal auf das Beispiel Mali zurückkommen. Dort gab es bis vor kurzem eine sehr einseitige Orientierung zum Osten hin. Nun aber will man sehr viel selbständiger sein. Man hat festgestellt, daß es mit staatlichen Organisationen allein überhaupt nicht mehr geht, daß man festgefahren ist, daß man das Privatwirtschaftliche, die Eigeninitiative fördern muß. So verzahnen sich Wirtschaftspolitik und Außenpolitik.
Das sind Entwicklungen, auf die man schneller reagieren müßte. Wir haben in unserem Antrag FleDr. Pinger
xibilität gefordert. Ich habe, speziell auf dieses Beispiel bezogen, den Eindruck, daß der Informationsfluß zum BMZ und zu den Organisationen noch nicht hinreichend vorhanden ist. Aber vielleicht ist das ein Irrtum.
Soviel zur Begründung unseres Antrags. Was wir erwarten, sind erhöhte Anstrengungen, aber nicht in Worten, in Proklamationen, sondern im Wege einer harten und schwierigen, manchmal auch mit Fehlern und Irrtümern behafteten Arbeit. Dabei sind die sehr unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Man muß auch das heranziehen, was zum Teil wirklich hervorragend von unseren Leuten vor Ort geleistet wird. Es wäre kein Grund zur Resignation gegeben, Herr Minister, wenn man das Gefühl haben könnte, daß unsere Regierung die Herausforderung auf diesem Gebiet wirklich erkennt. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, wenn Sie einige Zahlen nennen, um hier über das Problem der Konzentration der Mittel für die LLDCs zu berichten, dann sollten Sie, so meine ich, die Reihe auch ganz nennen und sollten hier eine der interessantesten Zahlen mit zur Kenntnis bringen, nämlich die, daß die Zusagen 1981 in der bilateralen Hilfe für die am wenigsten entwikkelten Länder 32,5 % ausmachen. Dieses ist eine deutliche Steigerung und zeigt den eingeleiteten Konzentrationsprozeß.
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Ihre Ausführungen zum dualen System scheinen mir ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie Sie Ihre innenpolitischen Vorstellungen auf die Situation in den Ländern der Dritten Welt projizieren. Die Vorteile des dualen Systems bei uns lassen sich nicht einfach auf die LLDCs übertragen. Dort ist die Situation gänzlich anders, weil es dort überhaupt erst einmal darum geht, einen bestimmten Grundstock an Fachleuten zu schaffen.
Schließlich haben Sie gesagt, Ihr Antrag sei heute hochaktuell. Ich bin auch dieser Auffassung: Dieser Antrag ist hochaktuell, aber qualitativ unzureichend.
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Bei einer ersten Betrachtung war ich auch geneigt, Ihren Antrag bezüglich der Hilfsmaßnahmen für die am wenigsten entwickelten Länder positiv aufzunehmen, ist doch die Bekämpfung der absoluten Armut die vorrangige Aufgabe der Entwicklungspolitik.
Bei näherer Betrachtung sind mir allerdings erhebliche Zweifel gekommen, ob das Ziel, die Bekämpfung der absoluten Armut, mit Ihren Vorschlägen erreicht werden kann. Sie folgern aus der richtigen Feststellung, daß die Hilfsmaßnahmen der vergangenen Jahre die Lage der am wenigsten entwikkelten Länder nicht entscheidend verbessern konnten, daß eine Konzentration der deutschen Entwicklungshilfe auf diese Ländergruppe und auf bestimmte Länder innerhalb dieser Gruppe angebracht sei.
Abgesehen davon, daß das Vorhandensein von Massenarmut nicht notwendigerweise mit den „least developed countries" identisch ist, ist es mehr als fraglich, ob der Maßstab für die Konzentration, den Sie setzen, die Entwicklungspolitik wirksam vertreten kann. Sie wollen die Hilfsmaßnahmen auf eine Untergruppe der am wenigsten entwickelten Länder konzentrieren, auf Länder mit niedrigem Einkommen und zugleich niedriger Bevölkerungszahl, da bei diesen Ländern eine deutlich spürbare Wirkung auf das Entwicklungsniveau pro Kopf zu erwarten ist.
Könnte ich dem Gesichtspunkt der Konzentration nach niedrigem Einkommen noch folgen, so ist der Vorschlag, auch nach dem Maßstab der niedrigen Bevölkerungszahl vorzugehen, nicht problemgerecht. Der Bundesminister hat das bereits erwähnt.
Nimmt man den Maßstab der niedrigen Einkommen, so müßten wir unsere Hilfsmaßnahmen der Rangfolge nach - z. B. bei den zehn ärmsten Ländern - konzentrieren auf: Bhutan, Laos, Bangladesch, Somalia, Äthiopien, Nepal, Mali, Afghanistan, Burundi, Obervolta. Geht man aber von der niedrigen Bevölkerungszahl aus, so wären dies: die Malediven, West-Samoa, Kap Verde, Komoren, Gambia, Botsuana, Bhutan, Lesotho, Jemen, Zentralafrikanisches Kaiserreich. Bangladesch, Äthiopien, Sudan, die drei bevölkerungsreichsten Länder, würden dabei herausfallen.
Versucht man, Rangpositionen unter Anwendung beider Kriterien - Einkommenssituation und Bevölkerungszahl - zu ermitteln, dann kommt man zu folgender Liste: Bhutan, Laos, Malediven, Somalia, Komoren, Gambia, Kap Verde, Burundi, Tschad und Benin. Auch hier fallen dann Staaten aus dem Hungergürtel Afrikas, in der Sahelzone, die im Mittelfeld liegen und unsere wichtigsten Partnerländer sind, heraus, z. B. der Sudan.
Ich habe versucht, Ihre Vorschläge einmal wirklich ernst zu nehmen. Das wollen Sie doch wohl, daß man Ihre Vorschläge ernst nimmt. Das führt dann aber zu solchen unbefriedigenden Ergebnissen.
Sucht man neben dem Maßstab des niedrigen Einkommens, also der verbreiteten Armut, nach einem weiteren Maßstab, so erweist sich die niedrige Bevölkerungszahl als ein nicht hinreichender entwicklungspolitischer Maßstab; er wäre geradezu apolitisch.
Ein weiterer Maßstab für eine Konzentration der Hilfe - das gilt nicht nur für die LLDCs - könnte wohl eher bei der politisch wichtigen Frage liegen, ob die Machthaber in dem Entwicklungsland den wirklichen Willen haben, der breiten Masse ihres Volkes durch innere Reformen zu helfen. Eine solche Bereitschaft wäre einer der erfolgversprechendsten Faktoren auch für die äußere Hilfe.
Im Gegensatz zu den Ausführungen in Ihrem Antrag hat die Bundesregierung dies erkannt und deshalb die Bereitschaft erklärt, jenen Ländern, die ihre eigenen Anstrengungen besonders auf die Bekämpfung der absoluten Armut richten, verstärkt Mittel zur Verfügung zu stellen.
Der CDU/CSU-Antrag setzt ferner sehr auf die gezielte und umfangreiche Hilfe von außen. Er beschäftigt sich nicht mit der schwierigen Frage, wie in der Praxis die Machteliten der meisten Entwicklungsländer über bloße Lippenbekenntnisse hinaus zur Verwirklichung neuer alternativer Entwicklungskonzeptionen und Reformen veranlaßt werden können.
Herr Abgeordneter Bindig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Köhler ({0})? - Bitte schön.
Herr Kollege Bindig, damit wir uns in dieser Debatte nicht zu sehr im Kreise drehen, erlaube ich mir die Frage, ob eigentlich auf der gesamten Seite der Koalition einschließlich des BMZ nicht bemerkt worden ist, daß es bei diesen Passagen des Antrags - Konzentration - um die Zusammenführung von Katastrophenhilfe und anschließender technischer Hilfe geht und um nichts anderes.
Dies ist nur ein Punkt in Ihrem Antrag. Mir ist ansonsten in der Tat aufgefallen, daß in diesem Antrag eine Vielzahl von Widersprüchlichkeiten und Oberflächlichkeiten enthalten ist, so daß ich sagen muß: Die Überschrift ist an dem Antrag fast noch das Beste für die praktische Arbeit. Es fällt auf, daß der Antrag die Binnensituation der Entwicklungsländer weitgehend ausklammert. Wenn man Vorschläge zur Bekämpfung der absoluten Armut machen will, und zwar konkrete Vorschläge, und sie in Anträgen hier im Bundestag einbringen will, dann kann man dieses doch nicht übergehen.
Es wird von „Ländern" geredet und nicht zwischen Regierungen und Völkern, insbesondere nicht zwischen der armen Bevölkerung in den ländlichen und den urbanen Bereichen unterschieden. Die ungleiche Einkommensverteilung in den Entwicklungsländern und vor allem die Erkenntnisse über die Einkommensentwicklung bei der ärmsten Bevölkerung bei wachsender Wirtschaft werden in Ihrem Antrag nicht angesprochen. Ich weiß, daß Sie sie grundsätzlich auch sehen und untereinander diskutieren.
Das Gefälle zwischen den höheren und den Durchschnittseinkommen auf der einen und den Einkommen der ärmeren Schichten auf der anderen Seite wird durch ein einfaches Wirtschaftswachstum tendenziell noch verstärkt. Sie sagen, daß eine spürbare Verbesserung des Pro-Kopf-Versorgungsniveaus für die unterstützten Länder erreicht werden soll. Ich dachte, daß es inzwischen gesicherte Einsicht aller Entwicklungspolitiker ist, daß das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes kaum ein geeigneter Indikator für die Situation der breiten Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern darstellt. Die
Erhöhung des Bruttosozialprodukts ist im wesentlichen ein Maßstab für den Wohlstand dieser oberen Einkommensschichten. Sie operieren in Ihrem Antrag dennoch zweimal mit diesem Begriff „Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens", und zwar einmal, indem Sie von der Verbesserung des Pro-Kopf-Versorgungsniveaus sprechen, und dann, indem Sie von einer Wirkung auf das Entwicklungsniveau pro Kopf sprechen. Ich habe so ein bißchen das Gefühl, daß Sie zwar die Problematik kennen, aber trotzdem diese nicht voll aufnehmen, weil Sie auf die innenpolitische Situation in den Ländern der Dritten Welt nicht hinreichend eingehen.
Wo und in welchen Bereichen soll in den LLDCs die von Ihnen geforderte Mittelkonzentration ansetzen? Hier empfehlen Sie, daß die Hilfe bei der Lösung von Engpaßproblemen ansetzen soll. Vermutlich verwenden Sie den Begriff „Engpaß", weil schon im Wort angelegt ist, daß ein Engpaß beseitigt werden muß oder kann. Hat uns aber nicht die entwicklungspolitische Diskussion in den letzten zwei Entwicklungsdekaden gelehrt, daß Unterentwicklung eben gerade kein Engpaßproblem ist, welches einfach beseitigt werden kann? Unterentwicklung ist nicht nur eine Folge von Kapitalmangel oder fehlendem Know-how oder mangelhalfter Infrastruktur. Unterentwicklung ist durch vielfältige soziale, historische, ökonomische, politische Faktoren bedingt. Deshalb läuft der Trend eher von Engpaßüberlegungen hin zu Programmüberlegungen für integrierte ländliche Programme, Grundbedarfsprogramme. Die herkömmliche Entwicklungstheorie hat geglaubt, daß Unterentwicklung ein Ausdruck von Kapitalmangel sei. Heute wissen wir, daß es vor allem auf die Mobilisierung der Selbsthilfefähigkeit der armen Bevölkerung in breit angelegten Ansätzen ankommt. Sie haben das in Ihrer Begründung auch nachgeschoben.
Herr Abgeordneter Bindig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pinger?
Ich habe eine Frage, die das Engpaßproblem noch verdeutlichen würde. Würden Sie mir zustimmen, daß es eine ganze Reihe von Projekten gibt, bei denen vorübergehende Engpässe auftreten, die das ganze Projekt in Frage stellen? Als Beispiel erwähne ich die Phosphatmühle, die wir besichtigt haben, bei der die Vermarktung noch nicht möglich ist, weil der Fluß noch kein Wasser führt und Lastwagen nicht zur Verfügung stehen. Solche Engpässe könnten natürlich sehr schnell beseitigt werden, wenn die Flexibilität vorhanden wäre. Dabei gestehe ich zu, daß andere Probleme sich nur längerfristig lösen lassen, auch Engpaßprobleme.
Sie haben in Ihrem Antrag in der Tat nicht unterschieden zwischen Engpaßproblemen bei Kleinprojekten und Engpaßproblemen als Grundlage entwicklungsstrategischer und entwicklungskonzeptioneller Überlegungen.
Eine Überlegung, die jetzt im Zusammenhang mit den LLDCs immer wieder auftaucht - die Frage, wie es gelingen kann, durch Zusammenarbeit zwiBindig
schen den Geberorganisationen bei uns und einer Vielzahl von kleinen Trägern wirklich praktische Arbeit zu leisten -, wird demnächst auch auf der LLDCs-Konferenz in Paris noch näher zu behandeln sein. Ich finde es besonders interessant, daß der Versuch unternommen wird, auf dieser Konferenz auch die kleinen Träger, die privaten Träger, sowohl von uns als auch aus den Ländern der Dritten Welt mit zu dieser Konferenz zu bringen, damit sie die Gelegenheit haben, dort ihre Bedürfnisse einmal vorzutragen, und damit es dort nicht so ist, daß, wie es bei internationalen Konferenzen oft der Fall ist, die Experten aus den Industrieländern mit den Experten und Regierungsvertretern aus den Entwicklungsländern zusammen beraten. Wir wissen j a, daß die Führungseliten in den Entwicklungsländern oft auch die Brückenköpfe unseres Denkens und unserer Vorstellungen sind. Ich möchte deshalb den Vorschlag oder die Anregung geben, daß wir uns zur Vorbereitung dieser Konferenz im Ausschuß sehr intensiv darüber unterhalten, welche Impulse nach dort gegeben werden können, damit auch wirklich ein qualitativer Beitrag für das zu erarbeitende Aktionsprogramm für die am wenigsten entwickelten Länder zustande kommen kann.
Wir werden uns mit Ihrem Antrag im Ausschuß noch weiter beschäftigen müssen. Ich befürchte nur, daß wir den Antrag auch im Ausschuß noch weiter zerpflücken müssen, weil ich wenig wirklich neue Ideen oder Ansätze gefunden habe, die einen Beitrag dazu erbringen könnten, den schwierigen Weg fortzusetzen, etwas für die ärmsten Länder und die am stärksten und von größter Armut betroffene Bevölkerung zu tun.
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Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Debatte zeigt - hierin sind sich alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses einig -, daß die Bilanz der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der ärmsten Länder dieser Welt alles andere als positiv ist. Bei der Analyse dieses Ergebnisses halte ich vier Punkte für hervorhebenswert.
Erstens. Die Güteraustauschrelation - oder die Terms of trade - zwischen den Industrieländern, die Industriegüter liefern, und den Enwicklungsländern, vorwiegend als Rohstofflieferanten, hat sich zu Lasten der Entwicklungsländer verschlechtert.
Zweitens. Die dramatischen Ölpreissteigerungen in den vergangenen Jahren haben das Entwicklungshilfevolumen der Industrieländer zwischenzeitlich überstiegen. Es ist an der Zeit, hier Vorschläge zu machen, wie diese beiden für die Entwicklungsländer unerwünschten Phänomene so gut wie möglich beseitigt werden können.
Drittens. Die Vorschläge zur neuen Weltwirtschaftsordnung und hier insbesondere das integrierte Rohstoffprogramm mit dem gemeinsamen Fonds bringen nicht den ausreichenden Beitrag, um den ärmsten Ländern in der Weise zu helfen, wie sie es benötigen.
Viertens. Private Investitionen, die vorwiegend in Schwellenländer gehen und die vorwiegend im industriellen und städtischen Bereich ihren Niederschlag finden, sind für die ärmsten Länder kein wichtiger Entwicklungsbeitrag. Deshalb wird die öffentliche Entwicklungshilfe auch in der Zukunft einen entscheidenden Beitrag leisten müssen. Hier wurden gerade in den letzten Jahren einige wichtige Fortschritte gemacht. Ich erinnere an den Schuldenerlaß, der die Zahlungsbilanzsituation einiger Länder verbessern konnte. Ich erinnere aber auch an den Beitrag des Lomé-Abkommens, der immerhin 21 der 30 ärmsten Länder zugute kommt.
Die entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung, die im vergangenen Jahr verabschiedet wurden, tragen dieser unerfreulichen Entwicklung Rechnung und setzen deshalb auch einen Schwerpunkt im Bereich der ärmsten Länder. Das Hearing hat diese Konzeption übrigens weitgehend bestätigt, und insofern finde ich, daß die von Ihnen geforderte Konzentration der Mittel für diese Länder schon zu einem guten Teil erfüllt ist.
Frau Fischer, Sie haben hier Zahlen über die Abflüsse genannt. Herr Köhler, Sie sagten, daß die Leute von den Zusagen nicht leben könnten; aber die Zusagen sind Ausdruck des politischen Willens, und die Zusagen müssen deshalb, wenn Sie hier unsere Absichten diskutieren wollen, auch ganz vorrangig in der Diskussion behandelt werden.
({0})
Beim Blick in die Rahmenplanung 1981 läßt sich feststellen, daß 1978 21 % der Mittel der finanziellen Zusammenarbeit und 31 % der Mittel der technischen Zusammenarbeit in die ärmsten Länder flossen, und dieser Prozentsatz ist für 1981 auf 31 % bei der finanziellen Zusammenarbeit und auf 40 % bei der technischen Zusammenarbeit angehoben worden.
Frau Fischer, wenn Sie die Zahl der Abflüsse hier zitieren, dann wäre es natürlich sehr freundlich, selbst wenn es nicht in Ihre Argumentationskette paßt, wenn Sie Ihre Zahlen nicht im Jahre 1979 beenden würden, wo Sie nämlich nur auf 22,7 % kommen, sondern auch die aktuelle und vorhandene Zahl von 1980 mit in die Debatte einführen würden, wo wir nämlich 26,2 % der Mittel erreichen, und dies für einen Anteil von 12 % der Bevölkerung in der Dritten Welt. Ich glaube, das sind immerhin gewisse Indikatoren für eine Konzentration.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Fischer?
Bitte schön.
Herr Kollege Vohrer, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die Zahl der Abflüsse genannt worden ist, um zu dokumentieren, daß es in den Jahren von 1976 bis 1979 eben nicht eine konti1834
nuierliche Steigerung gegeben hat, wie behauptet wurde?
Frau Fischer, ich möchte hier doch mal sagen, daß Sie genauso gut wie alle Kollegen von uns wissen, daß zwischen den Zusagen in den Abflüssen eine zeitliche Differenz liegt. Wenn wir über Abflüsse in 1979/80 diskutieren, dann sind es die Entscheidungen von 1974/75. Damit will ich deutlich machen, daß wir zwischenzeitlich unsere Politik ganz eindeutig in die Richtung orientieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhler ({0})?
Ich komme dadurch zwar zeitlich in Bedrängnis, aber bitte schön, Herr Köhler.
Danke schön, Herr Vohrer. Würden Sie mir einräumen, daß unser Antrag einen Versuch bedeutet, auf Mittel zu drängen, um diesen sehr langen Verlauf zwischen Zusage und wirklichem Abfluß zu verkürzen und damit die Sache zu effektuieren?
So interpretiert habe ich viel Verständnis für Ihren Antrag.
Ich möchte hier aber auch darauf hinweisen, daß neben den Schwerpunkten ärmste Entwicklungsländer, ländlicher Raum, Nahrungsmittelproduktion, regenerierbare Energieträger, Ökologie auch neue Kriterien und Erfahrungen in der Politik der Bundesregierung verwirklicht werden sollen, nämlich: weg von den Projekten, hin zu umfassenderen Programmen, was ja auch das Ergebnis der Diskussion der Vorbereitungskonferenz für die ärmsten Länder im Rahmen der UNCTAD war, wo Gamani Corea seine Vorstellungen erläuterte: stärkere Einschaltung einheimischer Partnerorganisationen, kleinere Projekte, verbunden mit den kleineren Projekten aber auch schwierigere Abwicklungen. Ich glaube, das sollte dazu führen, daß wir hier alle an einem Strang ziehen, um diese auf uns zukommenden Komplikationen so gut wie möglich zu bewältigen.
Aber lassen Sie mich auch konkret auf Ihren Antrag eingehen. Sie machen gleich zu Anfang deutlich, daß Sie diese Diskussion im Rahmen der verfügbaren Mittel führen wollen. Ich finde es sehr wichtig, daß hier zwischen Koalition und Opposition Konsens herrscht, daß wir den Haushaltsnotwendigkeiten Rechnung tragen wollen.
Über die Konzentration auf die Untergruppe wurde hier schon sehr viel diskutiert. Es gab Zahlenbeispiele, Länderbeispiele. Ich finde solche Überlegungen ganz interessant, wenn man bedenkt, wie in der UNO am einfachsten Mehrheiten erreichbar sind. Aber ich finde eine solche Überlegung nicht sehr hilfreich, wenn wir eine optimale und effiziente Entwicklungspolitik diskutieren wollen. Die mathematische Logik Ihres Vorschlages ist völlig unbestritten. Wenn Sie den gleichen Betrag auf weniger Köpfe verteilen, dann ist die Wirkung pro Kopf ohne Zweifel größer, und die Zahl der Entwicklungsländer, die Sie hier über die Schwelle heben wollen, ist am leichtesten zu reduzieren, wenn Sie sich die kleinsten Länder gezielt herausnehmen. Aber das kann nicht Ansatz einer seriösen Entwicklungspolitik sein.
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Die Katastrophenhilfe, die in der Regel Soforthilfe ist, wollen Sie mit technischer Hilfe verbinden. Ich meine, wo immer dies möglich ist, sollte es getan werden. Daß das aber nicht so einfach ist, hat ja das von meinem Kollegen Rumpf angeführte Beispiel gezeigt. Wie wollen Sie denn die Nahrungsmittelsoforthilfe in der Sahel-Zone reibungslos mit einem Aufforstungsprogramm verbinden? Das sind sehr langfristige Entscheidungen auf der einen und sehr spontane Entscheidungen auf der anderen Seite. Wenn beides in die gleiche Richtung geht, sind wir uns in der Sache sicherlich einig.
Bei den ausreichend großen Expertenteams handelt es sich, so denke ich, um einen wichtigen Punkt, der angesprochen werden muß. Wir stellen immer wieder fest, daß die Planungskapazität und die Verwaltungskapazität und damit auch die Mittelabsorptionsfähigkeit dieser Länder nicht ausreichen und daß wir da einen Beitrag leisten sollten. Hier liegt aber keine Differenz gegenüber unserer Politik vor, sondern eine Unterstreichung der Notwendigkeit, in diesem Bereich mehr zu tun.
Viel interessanter wird es natürlich bei der von Ihnen geforderten kurzen Zeit der Reaktion auf außenpolitische Konstellationen. Wenn dies so neutral im Raum steht, könnte man fast sagen, daß das sehr vernünftig ist. Die Wirklichkeit jedoch sieht anders aus. Wenn Sie kurze Reaktionszeiten verwirklichen wollen, können Sie das in der Regel - das hat Ihr Beispiel Somalia gezeigt, Herr Köhler - nur über Soforthilfe machen.
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- Warenhilfe, Soforthilfe. Aber wir wollen ja den Anteil der Warenhilfe und der Soforthilfe zugunsten des Anteils der Projekt- und Programmhilfe verringern. Wenn wir das wollen, müssen wir auch zugeben, daß damit die Reaktionsfähigkeit verringert wird.
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Gerade wenn wir von Programmen reden - und das ist j a immer wieder das Anliegen von Frau Staatsminister Hamm-Brücher -, die in stärkerem Maße soziokulturelle mit wirtschaftlichen Beziehungen verknüpfen, wird die Reaktionszeit eben nicht geringer; es wird dann notwendig, in längeren Zeiträumen zu denken.
({3})
Sie alle kennen mein langjähriges Anliegen im Bereich der Ökologie, zu dem hier von Herrn Rumpf in aller Deutlichkeit und sehr plastisch ausgeführt wurde, daß wir Reaktionszeiten von bis zu 20 oder 30 Jahren in Kauf nehmen müssen. Das heißt, wir können praktisch auf außenpolitische Konstellationen nicht mehr reagieren.
Sie haben in dem Antrag auch nichts über die Gründe, die für eine kurze Reaktionszeit sprechen,
ausgeführt. Es ist notwendig, dazu die Ausführungen Ihres Parteivorsitzenden zu studieren, die dieser in Ihrem Fraktionspressedienst am 7. April 1981 gemacht hat. Er schreibt dort, daß es ein Faß ohne Boden wäre, wenn sozialistische Mißwirtschaft finanziert würde.
({4})
Das Ganze läuft darauf hinaus, daß wir schneller reagieren sollen, wenn sich in Entwicklungsländern sozialistische Entwicklungen abzeichnen, daß wir schneller reagieren sollen, wenn - auch das wird dort ganz ausführlich dargelegt - unsere Sicherheitsinteressen von den Entwicklungsländern nicht ausreichend beachtet werden.
Es war keine Polemik, wenn hier von meinen Kollegen immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß damit einmal mehr Überlegungen, wie die NordSüd-Frage mit Ost-West-Problemen überlagert wird, angestellt werden. Da unterscheiden wir uns deutlich voneinander, und da werden wir auch in allen weiteren Diskussionen immer klar herausarbeiten, daß wir die Entwicklungsländer in ihrer Blockfreiheit unterstützen wollen und daß wir genau diese Zielrichtung - nämlich kurze Reaktionszeit, um Entwicklungshilfe als ordnungspolitisches, d.h. marktwirtschaftliches, oder sicherheitspolitisches Instrument zu benutzen - keineswegs mit Ihnen gemeinsam tragen werden.
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- Herr Köhler, ich bin gern bereit, Ihren Antrag auf der Basis der Ausführungen Ihres Parteivorsitzenden im Ausschuß noch einmal ausführlich zu diskutieren. Ich wäre sehr froh, wenn Sie deutlich machen könnten, daß - entsprechend Ihrer Bemerkung, mit der Sie dies als Mißverständnis darstellen - zwischen den Vorstellungen, die von Herrn Kohl in dem erwähnten Pressedienst geäußert wurden, und Ihrem Antrag kein Zusammenhang besteht.
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Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir sollten alles tun, um auf der Basis der verschiedenen Vorschläge - Brandt-Bericht, Programmkonzeption, Grundlinien der Bundesregierung und auch Ihre Anregungen - unser Instrumentarium zu verbessern, damit wir den ärmsten Ländern dieser Welt gezielter helfen. Es wird Aufgabe der öffentlichen Entwicklungshilfe sein, hier die entscheidenden Anstöße zu geben. Ich begrüße Ihren Antrag als Anregung zur Debatte eines Themas, das wert ist, intensiv behandelt zu werden. Ich kann Ihnen versichern, daß meine Fraktion hierzu mit originellen Ideen einen Beitrag leisten wird.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Dr. Köhler ({0}), Pieroth, Dr. Pinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/284 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Mai 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.