Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Wir fahren in der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 3 fort:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1980/81 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 9/17 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Haushaltsausschuß
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1981 der Bundesregierung
- Drucksache 9/125 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiep.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die dritte große mehrtägige Debatte in der neuen Legislaturperiode. Ich möchte mir zu Beginn dieser Debatte erlauben, einige kurze Bemerkungen zu Stil und Ablauf dieser Debatte zu machen.
Wie wir alle wissen und als Politiker mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, werden unsere Auseinandersetzungen von vielen Bürgern am Fernsehen verfolgt. Angesichts der Öffentlichkeit unserer Debatten und des Einflusses, den unser Verhalten in Debatten auch auf die Glaubwürdigkeit unserer Aussagen hat, sollten wir vielleicht doch auf ein gewisses Ritual verzichten, das uns bei solchen Debatten gelegentlich wie eine Zwangsvorstellung zu begleiten scheint. Ich meine z. B., daß es sicherlich nicht sehr weit führt, wenn der Opposition von den Vertretern der Regierungsparteien bei kritischen Anmerkungen zu ihrer Politik in diesen Debatten mit schöner Regelmäßigkeit die Frage nach der Alternative gestellt wird, so als ob es für eine Opposition, die eine Regierung elf Jahre lang kritisch begleitet hat, möglich wäre, sozusagen rückwirkend
Alternativen aufzuzeigen, um heute auftretende Schwächen dieser Politik deutlich zu machen.
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Gestern hat ein Kollege in der Debatte, wenn ich das so ausdrücken darf, dankenswerterweise die Katze aus dem Sack gelassen, als er, der Opposition zugewandt, die Alternative der Opposition forderte und, als wir relativ still blieben, dann hinzufügte: Nun sagen Sie doch, wo Sie das soziale Netz zerreißen wollen.
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Diese enthüllende Bemerkung, meine Damen und Herren, macht, glaube ich, den Unsinn dieser Routinefrage nach der Alternative deutlich.
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Ich habe den Eindruck, daß die Zuschauer unserer Parlamentsdebatten - übrigens ebenso wie die Zuschauer unserer Wahlkämpfe - inzwischen keinen Zweifel mehr an der Fähigkeit der Demokraten in Deutschland zur Führung hervorragender Wahlkämpfe und zum Veranstalten großer Redeschlachten im Parlament haben. Aber ich könnte mir vorstellen, daß immer öfter die Frage gestellt wird: Wie sieht es eigentlich mit der Lösungskompetenz aus? Wo ist die Fähigkeit geblieben, daß Demokraten in der Debatte, in der kontroversen Diskussion auch Kompromisse finden, die zur Lösung der Probleme führen, die die Bürger wirklich bedrücken? Ich meine, daß Debatten in diesem Sinne in einer Weise geführt werden sollten, die Gegensätze herausstellt, aber Gemeinsamkeiten, die vorhanden sind, nicht verschleiert und verhüllt.
Ein Letztes dazu, meine Damen und Herren: Ich fand es nicht so sehr gut, daß gestern von seiten der Regierungspartei SPD durch einen oder mehrere Sprecher sozusagen für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein Alleinvertretungsanspruch auf Nachdenklichkeit in der Politik erhoben wurde.
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Denn der Umstand, meine sehr verehrten Damen
und Herren, daß wir uns nach langen Diskussionen
und keineswegs mit Leichtigkeit oder gar Leichtfer1068
tigkeit zu bestimmten Prioritäten in der Politik entschlossen haben und die auch vertreten, bedeutet doch beileibe nicht, daß bei uns etwa nicht nachgedacht würde. Glauben Sie, daß es Gerhard Stoltenberg und den schleswig-holsteinischen Kabinettskollegen leicht gefallen ist, die Entscheidung zum Weiterbau von Brokdorf angesichts des 28. Februar zu treffen?
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Wir sollten uns hier nicht gegenseitig die Fähigkeit und die Verpflichtung zum Nachdenken absprechen lassen.
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Der Jahreswirtschaftbericht, den der Bundeswirtschaftsminister vorgelegt und gestern mit einer langen Rede eingebracht hat, enthält eine Fülle von Ansätzen für die richtige und notwendige Wirtschaftspolitik für die vor uns liegende Zeit. Er geht von einigen Voraussetzungen aus, die er als selbstverständlich unterstellt, von denen ich aber befürchte. daß sie nicht so selbstverständlich sind, wie es der Bericht glauben machen will.
Vor allen Dingen fehlt mir ein wenig Selbstkritik in diesem Bericht. Es fehlt mir ein wenig die Anmerkung, daß eine Reihe der beklagten Umstände, deren Abstellung der Bundeswirtschaftsminister zu Recht fordert, daß Ergebnis der Politik sind, an der er selber und seine Partei mitgewirkt haben.
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Ein wenig habe ich den Eindruck, Graf Lambsdorff, als ob Sie kurz nach dem 5. Oktober, von einer langen Fahrt durchs Weltall zurückkehrend, in der Nähe von Bonn niedergekommen sind, in die Bundesregierung eingetreten sind und nun mit Erstaunen und Sorge lauter Mißstände feststellen, die Sie hier vorfinden.
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Sie sagen: Halten wir uns nicht zu lang mit der Vergangenheit auf!
({8})
Auch ich bin ein entschiedener Gegner des Schlagens von Schlachten der Vergangenheit. Aber Sie müssen der Opposition schon die Möglichkeit, das Recht, ja sogar die Pflicht einräumen, bei einer analytischen Betrachtung der Wirtschaftslage unseres Landes auch auf die Vergangenheit einzugehen. Sie sind elf Jahre an dieser Koalition beteiligt, und Sie sind - um in der Terminologie des Handels und der Geschäfte zu sprechen - nicht etwa ein stiller Partner, sondern Sie sind in diesen elf Jahren zum Komplementär, zum voll haftenden Gesellschafter geworden.
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Graf Lambsdorff, eine Therapie ohne Diagnose ist, wie Sie mir zugeben werden, Stückwerk, ist unvollkommen und führt nicht zu den Lösungen, die wir brauchen. Deshalb gehört zur Therapie notwendig die Diagnose.
Das Konzept, das Sie im Jahreswirtschaftsbericht - in vielen Punkten von unserer vollen Zustimmung begleitet - vorgetragen haben, hat nach unserer Meinung auch eine Reihe von Schwächen. Die größte Schwäche scheint mir zu sein, daß dieses Konzept sicher von Ihnen getragen wird, aber nicht von Ihrem Partner in dieser Koalition, nicht von der Sozialdemokratischen Partei. Deshalb müssen wir schon über das diskutieren, was an Grundlagen in diesem Jahreswirtschaftsbericht brüchig und zweifelhaft ist.
Die Frage ist doch zu stellen: Ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands auf der Grundlage Ihres Konzepts handlungsfähig und handlungsbereit? Es kann doch nicht so sein, daß wir hier eine Diskussion führen, in der das unterdrückt wird, was weite Teile der SPD zu der von Ihnen vorgeschlagenen Wirtschaftspolitik ständig lauthals erklären. Ich erinnere Sie daran, daß gerade gestern abend der Hamburger Regierungschef Klose zu der Frage Brokdorf eine Stellungnahme abgegeben hat, die mit der Energiepolitik dieser Bundesregierung wirklich nichts mehr zu tun hat. Dies alles kann doch nicht geleugnet werden.
Für uns ist Ihr Wirtschaftskonzept wichtig, gut und beherzigenswert; aber es kommt darauf an, daß Ihr Partner, die Sozialdemokratische Partei, sich zu einer Wirtschafspolititk bekennt, die dieses Konzept mitträgt. Und da müssen wir sagen, daß die Sozialdemokratische Partei in weiten Feldern der deutschen Politik der 80er Jahre bedauerlicherweise nicht mit einer einheitlichen Meinung zu diesem Konzept steht. Brandt, Wehner und Schmidt haben hierzu eine Fünf-Punkte-Erklärung veröffentlicht, die gestern Gegenstand einer Fraktionssitzung war. Aber ich habe Zweifel, ob dieses Fünf-Punkte-Konzept, dieser Versuch, mit einem entschiedenen SowohlAls-auch die Frage der deutschen Politik der 80er Jahre zu lösen, eine ausreichende Handlungsgrundlage für die deutsche Politik der 80er Jahre ist. Sie, Graf Lambsdorff, müssen diese Frage mit der gleichen Deutlichkeit stellen, wie ich sie hier aufwerfe.
({10})
Die Freien Demokraten verfügen - auch das ist bei Ihren Aussagen nicht so recht zum Ausdruck gekommen - ebenso wie die SPD inzwischen auch über eine erhebliche Bandbreite. Es ist nicht so, daß alles das, was Sie hier vortragen, etwa in der FDP als Partei - und ich spreche von der Partei, nicht von der Fraktion - einheitliche Meinung und Ausdruck einer geschlossenen Willensbildung wäre.
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Die Bandbreite aus der Zeit von Dehler/Heuss hat sich zu einer Bandbreite Lambsdorff/Baum entwikkelt, und ich möchte sagen, die Größe dieser Bandbreite steht in umgekehrtem Verhältnis zu dem ProKiep
zentsatz an Wählerstimmen, die Sie am 5. Oktober erhalten haben.
Aber das Entscheidende ist doch die Frage: Was verbindet diese beiden politischen Parteien in dieser Koalition? Was verbindet SPD und FDP miteinander? Was ist die Grundlage für vier Jahre Regierung, zu der sie berufen sind? Da, meine ich, drängt sich uns immer stärker der Eindruck auf, als ob das einzige Band, das Sie wirklich noch zusammenhält, der Wunsch ist, die Macht zu erhalten und gemeinsam auszuüben.
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Die Sozialdemokraten müssen zur Kenntnis nehmen, daß man dieses Land auf Dauer nicht regieren kann, wenn man wie Schmidt redet und wie Eppler denkt,
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und die Freien Demokraten müssen - wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf - sehr stark an die Inhalte der Politik denken und nicht mit der Angstlichkeit, die wir gelegentlich beobachten, sozusagen ständig auf der Suche nach einem wasserdichten Alibi sein, daß sie auf jeden Fall niemals an einem Scheitern dieser Koalition schuld sein dürfen.
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- Verehrter Herr Kollege Mischnick, Sie schütteln den Kopf: Draußen im Lande herrscht schon der Eindruck, daß die Freien Demokraten sich in der schwierigen Situation dieser Regierung angesichts der zugegebenermaßen gewaltigen objektiven Schwierigkeiten ein wenig in Zeitlupe bewegen aus Sorge, durch zu schnelle Bewegungen den Kahn so ins Schaukeln zu bringen, daß am Ende auch die FDP Mitschuld am Kentern trägt. Diese Mitschuld am Kentern dieses Kahnes wollen Sie im Interesse eines möglichen neuen und unbelasteten Anfangs übermorgen oder am Tag danach vermeiden. Dies ist keine angemessene Verhaltensweise, wenn es um entscheidende Weichenstellungen der deutschen Politik für die 80er Jahre geht.
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Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, schleppen seit Ihrer Regierungsübernahme nach Ihrem Wahlsieg eine Reihe von Lebenslügen mit sich herum. Die eine habe ich schon erwähnt. Das ist die berühmte Lebenslüge, die Sie sich inzwischen wirklich ganz massiv eingeredet haben, die Opposition sei ohne Alternative. Die zweite Lebenslüge ist schon gefährlicher. Das ist die Lebenslüge, die Sie sich selber gemacht haben und der deutschen Öffentlichkeit angeboten haben mit der Vorlage des Haushalts 1981, mit der Vorlage eines Haushalts mit einem Defizit, von dem Sie wissen, daß es bereits heute um mehrere Milliarden überstiegen wird.
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Das dritte Problem, das Sie mit sich herumschleppen, die dritte Lebenslüge ist die Energiepolitik unter Beteiligung der Kernenergie. Die vierte schließlich ist die Aussage, das Ausland sei eigentlich an allem schuld. Meine Damen und Herren, wir sind es
nun schon seit elf Jahren gewohnt, immer, wenn es schwierig wird, auf das Ausland verwiesen zu werden. Ich meine, daß diese Aussage und daß diese Entschuldigung nicht mehr angemessen sind.
Wir stehen in der Politik vor schwierigen Herausforderungen. Der Jahreswirtschaftsbericht hat dies deutlich gemacht. Ich wiederhole noch einmal: Keiner von uns will leugnen, daß diese Regierung vor objektiven Schwierigkeiten steht, die, nur zu einem Teil hausgemacht, zu einem großen Teil auch von außen auf uns eindringen. Niemand will dies leugnen. Wir müssen aber, wenn wir den Jahreswirtschaftsbericht zur Kenntnis nehmen. ganz einfach einige der Rahmenbedingungen zur Debatte stellen, auf die sich diese Regierung bei der Vorlage dieses Berichts sozusagen wie selbstverständlich stützt.
Mir erscheint es wichtig, daß vor allen Dingen in den kommenden 80er Jahren zur Bewältigung unserer Probleme eine Rahmenbedingung unbedingte Priorität hat und erhalten wird. Das ist die Rahmenbedingung des sozialen Friedens. Das ist die Voraussetzung einer Gesprächsbereitschaft. Das ist die Konsensfähigkeit in den wesentlichen Fragen zwischen den verschiedenen Partnern und Teilnehmern am Wirtschaftsprozeß in unserem Lande.
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Wenn es bei allen Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die wir, wie ich finde, zu Recht haben, noch einen Wettbewerbsvorteil gibt, den wir gegenüber vergleichbaren Industrienationen im Westen haben, dann ist das die Tatsache, daß wir in dieser Bundesrepublik Deutschland immer noch einen hohen Grad von Konsensfähigkeit im sozialen Bereich haben. Den gilt es unter allen Umständen als Voraussetzung für die Lösung der vor uns liegenden Probleme zu erhalten.
Ich meine weiter, daß im Rahmen dieser Bedingungen, die notwendig sind, die Konsolidierung der Staatsfinanzen einen hohen Vorrang hat. Wir sprechen über diese Konsolidierung schon so lange, daß es einem manchmal leid wird, dieses Thema immer wieder erneut anzuschneiden. Wir sprachen davon in den Jahren 1978, 1979 und 1980, in Zeiten realen wirtschaftlichen Wachstums, wo im Grunde genommen der Zeitpunkt gekommen war, wo man hätte umsteuern müssen, und wir sprechen heute davon, in einer Lage, in der wir feststellen müssen, daß sich unsere Befürchtung von der drohenden Handlungsunfähigkeit des Staates in schwierigen Zeiten unseres Landes bewahrheitet. Dennoch behält diese Konsolidierung der Finanzen höchste Priorität, Vorrang vor allem anderen.
Wir müssen in diesem Zusammenhang noch einmal in allem Ernst, Herr Bundeswirtschaftsminister, an die Risiken erinnern, die in dieser Finanzpolitik des Jahres 1981 stecken. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welcher Zusammenhang besteht zwischen den Risiken des Haushalts, einer sich erhöhenden Neuverschuldung, die droht, und unserer Fähigkeit, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen. Die Bundesbank und ihr Präsident Karl Otto Pöhl haben zu Recht auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Wir sollten ihn auch hier in diese Debatte als
wichtige Voraussetzung der erfolgreichen Bekämpfung des Leistungsbilanzdefizits und der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Staates einführen.
Sie, Graf Lambsdorff, haben in diesem Zusammenhang Sätze gesagt wie „... leistet der Staat dadurch, daß er seine Finanzen mittelfristig auf eine solide Basis stellt" und „Es gilt, ... das Vertrauen in die Solidität der öffentlichen Finanzen zu erhalten". Sie haben mit diesen beiden Sätzen Richtiges ausgesprochen. Aber ich weiß nicht, ob es darum geht, die Solidität der öffentlichen Finanzen zu erhalten oder sie wiederherzustellen.
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Ich bin auch der Meinung, daß die Finanzen noch nicht auf eine solide Basis gestellt sind, sondern daß dies eine Anforderung von Ihnen an die Politik der Bundesregierung sein muß. Unsere Fähigkeit, dieses Problem zu bewältigen, ist auch ein Stück Wiederherstellung verlorengegangenen Vertrauens in die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland.
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Die dritte Rahmenbedingung, die ich nennen möchte, ist die Wettbewerbsfähigkeit - auch darüber ist gestern gesprochen worden -, die Verantwortung für die Weiterentwicklung der Kosten, die besondere Verantwortung, die die Tarifpartner in diesen Wochen auf sich nehmen, wenn sie am Tisch sitzen und in Autonomie und Unabhängigkeit ihre Gespräche und Verhandlungen führen. Ich meine, daß es vielleicht erlaubt sein darf, von dieser Stelle aus an die besondere Verantwortung zu erinnern, die beide Partner hier für die Zukunft unserer Arbeitsplätze, für die Sicherung der vorhandenen und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, tragen, gewissermaßen daran zu erinnern, daß die Sprecher dieser Gruppen eine Handlung vornehmen, der man eine hohes Maß von Sozialpflichtigkeit zusprechen muß. Mit ihnen sitzen alle diejenigen am Tisch, die zur Zeit in Sorge um Arbeitsplätze oder sogar ohne Arbeitsplätze, in Arbeitslosigkeit, sind.
Sicherlich, meine Damen und Herren, muß auch die Steuerpolitik erwähnt werden, obwohl ich betonen möchte, daß auf Grund der Politik der Verschuldung der letzten Jahre Handlungsspielraum in diesem entscheidenden Bereich nicht vorhanden ist. Dennoch muß daran erinnert werden, daß es nach wie vor ein klassisches Instrument der Wirtschafts-
und Finanzpolitik eines Landes in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, in einer solchen Lage durch Korrektur der Steuern nach unten einen Anreiz zu zusätzlicher Leistung zu geben. Ich erinnere daran, daß wir gemeinsam mit den Sozialdemokraten in den 60er Jahren ein Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum geschaffen haben, in dem ein Instrumentarium enthalten ist, das genau in dieser Richtung - je nach Konjunkturverlauf nach oben oder nach unten - entsprechende Maßnahmen sozusagen auf dem Verwaltungswege möglich macht.
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Daß dieser Spielraum heute nicht gegeben ist, ist, so meine ich, deshalb bedauerlich, weil dies die Entscheidungsfreiheit der Regierung angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten einschränkt.
Wir haben im Rahmen der Diskussion über die Bedingungen, die notwendig sind, dann davon gesprochen, daß es unbedingt erforderlich ist, den Investitionsstau abzubauen, Investitionen zu erleichtern bzw. überhaupt zu ermöglichen. Ich frage Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wie verträgt sich die Einführung der Verbandsklage mit der Notwendigkeit, in dieser Zeit den Investitionsstau abzubauen?
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Ich glaube, wir müssen auch, wie Sie vorgeschlagen haben, in aller Ernsthaftigkeit an das Problem herangehen, wie wir den Mißbrauch unseres sozialen Sicherungssystems auf Grund gemeinsamer Überlegungen abbauen können. Denn es ist unerträglich, daß in einer Zeit, in der die Finanzierung unseres sozialen Sicherungssystems von allen so hohe Opfer verlangt, einige wenige dieses Systems zu ihrem persönlichen Vorteil mißbrauchen.
Zu den Rahmenbedingungen gehört schließlich aber auch die Bildungspolitik. Ich darf daran erinnern, daß viele Probleme der Jugendarbeitslosigkeit, die wir heute zu Recht beklagen und als unerträglich empfinden, auf die Bildungspolitik zurückzuführen sind.
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Neben der besonderen Unterstreichung der Notwendigkeit der beruflichen Bildung und der Bedeutung der praktischen Ausbildung auch an der Hauptschule sollten wir auch an die zur Zeit in der Diskussion und in der Durchführung befindliche Oberstufenreform warnend erinnern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Ja, bitte schön.
Herr Abgeordneter Leisler Kiep, sicher sind wir uns völlig über die dramatische Lage einig,
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die entsteht, wenn junge Leute keine Arbeits- oder Ausbildungsplätze finden. Aber ist Ihnen erstens die Studie der OECD zur Ausbildungssituation in Europa und zur Arbeitslosigkeit junger Menschen in Europa bekannt, die deutlich macht, daß unsere Jugendarbeitslosigkeit um die Hälfte niedriger als die in allen vergleichbaren Ländern ist,
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und ist Ihnen zweitens die Tatsache bekannt, daß die OECD festgestellt hat: Diese in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern außerordentlich niedrige Jugendarbeitslosigkeit ist auf das gute AusbildungsRoth-
und Bildungssystem in Deutschland zurückzuführen?
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Herr Kollege Roth, ich darf Ihnen zunächst einmal zugestehen, daß ich mich über jede solche Statistik, die uns bestätigt, daß wir in einem Bereich Spitze sind, genauso wie Sie freue. Wir alle miteinander freuen uns darüber.
({0})
Allerdings muß ich auf Ihre Intervention auch mit der Feststellung antworten, daß ja wir es waren, die sich mit Entschiedenheit dagegen gewehrt haben, daß Sie in unsere erfolgreiche berufliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland durch Auflagen staatlichen Zwang einführen wollten.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte schön.
Herr Kollege Kiep, können Sie dem Kollegen Roth sagen, warum die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin doppelt so hoch wie im Bundesgebiet ist?
Herr Kollege Pieroth, ich möchte in Beantwortung Ihrer Frage der Hoffnung Ausdruck geben, daß Ihnen bald Gelegenheit gegeben sein wird, diese Statistik erheblich zu verbessern.
({0})
Die letzte sachliche Rahmenbedingung, die ich erwähnen möchte und von der ich glaube, daß die Erreichung der Ziele des Jahreswirtschaftsberichts des Bundeswirtschaftsministers von ihr entscheidend abhängt, betrifft die Frage unserer Notenbankpolitik. Ich möchte hier sagen, daß wir bei aller Erkenntnis der kritischen Auswirkungen der Hochzinspolitik der Bundesbank auf unsere Wirtschaft, gerade auf unsere mittelständische Wirtschaft, voll und ganz hinter dieser Politik stehen, weil wir sehen, daß es zu ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedauerlicherweise keine Alternative gibt. Die Bundesbank bekämpft sozusagen allein an der Front vier Brände gleichzeitig. Alle vier Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sind nicht erfüllt, und die Bundesbank kämpft gewissermaßen gegen diese vier Brandherde. Sie hat gestern, wie Sie alle wissen, Maßnahmen ergriffen, die zu einer Verknappung der Geldmenge führen. Ich fürchte, daß diese Politik zumindest noch so lange notwendig sein wird, bis an der Zinsfront aus den Vereinigten Staaten von Amerika ein Entwarnungssignal kommt. Insoweit können wir alle nur hoffen, daß die Wirtschaftspolitik, die die neue amerikanische Regierung eingeleitet hat, von Erfolg begleitet ist; denn nur aus dieser Richtung kann ein Entlastungszeichen gesandt werden.
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Erlauben Sie mir noch, in aller Kürze einige politische Rahmenbedingungen zu erwähnen, die nach meiner Meinung unbedingt in den Kontext dieses Jahreswirtschaftsberichts gehören, wenn er die in ihm formulierten Ziele erreichen will. Da ist zunächst einmal die wichtigste Voraussetzung für jedes Wirtschaften, für jeden Handel, für jedes Land, besonders aber für die Bundesrepublik Deutschland, und das ist die Stärkung und die Verbesserung der Infrastruktur des Friedens in der Welt. Ohne friedliche Bedingungen in der Welt werden wir keine Chance haben, unsere wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, Wohlstand zu erhalten, zu sichern und auszubauen. Wir als zum Export verurteiltes Land sind wie kein anderes Land auf Frieden in allen Regionen angewiesen.
Bei diesem engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Frieden in der Welt ist die Frage zu stellen, ob wir angesichts der Gesamtlage unseres Staats auch imstande sind, in diesen vor uns liegenden Jahren bei zusätzlichen Gefahren und Bedrohungen auch den Beitrag zur Stärkung dieser Infrastruktur des Friedens tatsächlich zu leisten, in der Beziehung zwischen Ost und West, indem wir einen Beitrag zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der Kräfte leisten, im Nord-Süd-Dialog durch die Fähigkeit, Spannungen auch in diesem wichtigen Bereich durch Leistungen der Bundesrepublik Deutschland abzubauen. Wenn wir den finanziellen Spielraum oder, besser gesagt, den nicht vorhandenen finanziellen Spielraum zu Beginn des Jahres 1981 betrachten, dann kann man die Sorge haben, daß wir ebensowenig, wie wir binnenwirtschaftlich handeln können, auch in der Frage der Sicherung des Friedens in der Welt unseren Beitrag nicht leisten können, wenn wir nicht in einem entschiedenen Schritt dafür sorgen, daß die Staatsfinanzen in den kommenden Monaten und Jahren konsolidiert werden.
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Wir stehen in der Verteidigungspolitik angesichts der jüngsten Ereignisse um das Waffensystem Tornado vor der Erkenntnis, daß dieses Projekt und seine finanziellen Folgen, daß das Management des Tornadoprojekts und die Fehler, die dabei gemacht worden sind, heute bereits eine Dimension angenommen haben, die unsere Handlungsfähigkeit als Partner im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis in Frage stellt.
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Wenn ich die nicht vorhandenen Reserven in unserem Haushalt und die Risiken des Haushalts sehe, dann frage ich mich, wie wir im Nord-Süd-Dialog und in der Frage der Wiederherstellung des Gleichgewichts tatsächlich das leisten wollen, was von unseren Partnern und auch von der Bevölkerung unseres eigenen Landes erwartet wird.
Es gehört dazu auch, daß unsere Politik berechenbar bleibt. Was wir in diesen letzten Wochen zu dem berühmten Thema Waffenexport erlebt haben, ist eigentlich das Gegenteil einer Politik, die den Anspruch auf Berechenbarkeit erheben kann.
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Ich will hier nicht auf die Einzelheiten der Probleme eingehen, die sicherlich im Zusammenhang mit einer Änderung unserer Waffenexportpolitik zu sehen sind. Helmut Kohl hat hier unsere eher nachdenklichen Thesen für eine Neuüberlegung zum Waffenexport vorgetragen.
Ich will nur sagen, daß hier in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung, vom Kanzler und vom Außenminister. eine Diskussion in Gang gesetzt worden ist, die einen der wichtigsten Partner der Bundesrepublik Deutschland betrifft, unseren größten Öllieferanten und unseren größten Gläubiger. Wir haben bei Saudi-Arabien durch diese Diskussion, die von der Regierung und nicht von der Opposition in Gang gesetzt worden ist, Erwartungen erweekt, die, wenn wir dem Bundeskanzler glauben dürfen, nunmehr durch eine mehrheitliche Meinung innerhalb der SPD sozusagen wieder aus dem Verkehr gezogen werden.
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Kann man so mit wichtigen Partnern umgehen'? Sieht so der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung von Zonen der Welt aus, auf deren Stabilität wir angewiesen sind'?
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Ich will auf das Thema „U-Boote für Chile" gar nicht eingehen, denn das ist ein völlig anderes Kapitel. Hier haben Sie unter Vorsitz des Bundeskanzlers Beschlüsse gefaßt. Hier hat das zuständige Gremium der Bundesregierung unter Mitwirkung der zuständigen Minister beschlossen. Jetzt wollen Sie dieses Geschäft rückgängig machen. Sie müssen sehen, wie Sie selber damit fertig werden.
Meine Damen und Herren, dies alles aber, meine ich, macht doch deutlich, daß es um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit dieser Bundesregierung als entscheidende Voraussetzung der Erreichung Ihrer wirtschaftlichen Ziele, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht so bestellt ist, wie dies sein müßte. Vertrauen ist ein entscheidender Teil jeder Politik, auch der Wirtschaftspolitik. Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin möchte ich den Herrn Bundeskanzler zitieren, der dazu auf der Konferenz der sozialistischen Parteien und Gewerkschaften am 1. April 1977, wie ich finde, zutreffende Ausführungen gemacht hat. Er sagte:
Ich bin der Ansicht, daß die derzeitige Rezession zu weniger als 49 % wirtschaftliche, quantitative Gründe und zu mehr als 51 % psychologische und politische Gründe hat. Industrie und Unternehmer haben nicht genügend Vertrauen, um zu investieren oder ihre Kapazitäten zu erneuern, zu vergrößern und zu modernisieren.
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Wir müssen daher vor allen Dingen Vertrauen schaffen. Dieser Mangel an Vertrauen mag etwas damit zu tun haben, daß wir den Leuten nur sehr vorsichtig die Wahrheit sagen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage
an die Bundesregierung, an den Herrn Bundeswirtschaftsminister: Wann werden Sie die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis aus dem Jahre 1977 nun wirklich ziehen? Wann werden Sie die Wahrheit sagen'? Wann werden Sie handeln? Sie sind am 5. Oktober durch eine Mehrheit der Bevölkerung als Regierung gewählt und bestätigt worden. Sie sind zum Handeln aufgefordert. Wenn es eine Krise in diesem Lande gibt, dann nicht eine Krise unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, dann nicht eine Krise unserer Menschen oder unserer materiellen Ressourcen, sondern höchstens eine Krise bei der Regierung, die unfähig zu sein scheint, ihren Willen zu artikulieren und in Politik umzusetzen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kiep hat eben die Hoffnung ausgedrückt, daß die amerikanische Regierung eine Politik betreiben möge, die es uns ermöglicht, im Gefolge einer weniger rigiden Inflationspolitik eine andere Geldpolitik als bisher zu betreiben. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß das mit Spannung erwartete Wirtschaftsprogramm des amerikanischen Präsidenten, das nunmehr vorliegt, den Schluß zuläßt, daß die Vereinigten Staaten zunächst an ihrer Hochzinspolitik festhalten dürften. Gerade zu dieser Geldpolitik hat in den letzten Tagen - das werden Sie ja auch gelesen haben; es stand gestern im „Handelsblatt" - Henry Reuss, der Vorsitzende des gemeinsamen Wirtschaftsausschusses des amerikanischen Senats und des Repräsentantenhauses erklärt, daß diese Geldpolitik katastrophale Folgen für die Währungen der anderen Länder habe und sie zu unschuldigen Opfern einer verfehlten Politik der Vereinigten Staaten mache. Diese Skepsis, die Herr Reuss über die möglichen Wirkungen des Wirtschaftsprogramms des Präsidenten äußert, wird auch von anderen Beobachtern geteilt. Wir sehen, daß die vorübergehende Reagan-Hausse inzwischen einer Beruhigung Platz gemacht hat. Für uns bedeutet das - deshalb erwähne ich es -, daß der Handlungsspielraum für unsere Geldpolitik im Grunde nicht wesentlich größer geworden ist. Als Instrument einer Wirtschaftbelebung fällt sie wohl zunächst aus.
Ich möchte auf die Ursachen, Herr Abgeordneter Pieroth, die j a gestern ausgiebig erörtert worden sind und die mein Vorredner eben auch erwähnt hat, im einzelnen nicht noch einmal eingehen. Sie sind bekannt. Stichworte: Leistungsbilanzdefizit, strukturelle Verwerfungen, japanische Herausforderung.
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- Unser Leistungsbilanzdefizit; keiner will das leugnen. Dieses Defizit ist vorhanden. Aber es gibt auch diese Herausforderung, der wir uns selbstverständlich zu stellen haben.
({1})
- Es ist unser Leistungsbilanzdefizit, und wir müssen unsere Politik für die Zukunft darauf einstellen.
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Wir können doch nicht leugnen, daß wir von einer Vielzahl von Importgütern abhängig sind. Wir sind abhängig vom Öl, und diese Abhängigkeit markiert letztlich sehr deutlich, daß wir uns heute tatsächlich in einer wirtschaftlich sehr, sehr schwierigen Situation befinden. Das liegt nicht daran, daß es hinsichtlich der Bewältigung dieser Probleme etwa Differenzen zwischen den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten gibt, ob wir auf diese Herausforderungen nämlich mit einer marktwirtschaftlich verfaßten Politik reagieren wollen. Diese Frage stellt sich nicht. Sozialdemokraten haben sich deutlich dazu bekannt, daß sie diese Wirtschaftspolitik unterstützen.
({3})
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, die Preisstabilität, ein befriedigendes Wachstum und schließlich der Abbau der Arbeitslosigkeit sind die Ziele, die zur Zeit verfehlt sind und die wir mit unserer Politik wieder erreichen müssen. Aber lassen Sie mich bitte deutlich sagen - ich möchte an das anknüpfen, was Herr Leisler Kiep gesagt hat -: Für uns - ich glaube, das gilt für alle Fraktionen in diesem Hause - ist Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck. Wir streben Wirtschaftswachstum auch als Voraussetzung für soziale Sicherheit an.
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Aber soziale Sicherheit ist in diesem Lande ohne Vollbeschäftigung nicht möglich.
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Deshalb steht selbstverständlich im Vordergrund unserer Überlegungen eine Politik, die auf einen hohen Beschäftigungsstand gerichtet ist.
({6})
Gerade deshalb sind wir in Sorge; denn wir fürchten, daß die gegenwärtig sehr hohe Arbeitslosigkeit - insofern besteht in der Bewertung selbstverständlich Übereinstimmung - in eine Beschäftigungskrise münden könnte, von der vor allem jene zitierten vielen Jugendlichen betroffen sein könnten, die als Angehörige geburtenstarker Jahrgänge in den nächsten Jahren in reicher Zahl auf die Arbeitsmärkte drängen. Eines muß in jedem Fall verhindert werden: daß sich unter diesen Jugendlichen negative Zukunftserwartungen verfestigen und daß sich in unserem Lande soziale Konflikte verschärfen. Auch insofern ist für die Lösung unserer Probleme der soziale Consensus selbstverständlich eine entscheidende Voraussetzung.
Herr Abgeordneter Pieroth, lassen Sie mich auf eine Ihrer Zwischenfragen eine kurze Bemerkung machen. Sie haben die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin beklagt - ich verstehe j a, daß Sie als ein Mann, der beabsichtigt, in Berlin Senator zu werden, den Versuch machen, Berlin unmittelbar von diesem Podium aus anzusprechen -, obwohl es in Berlin in vier Jahren gelungen ist, und zwar in Zusammenarbeit der Berliner Wirtschaft, der Kammern, des Senats und der Gewerkschaften, die Zahl der Ausbildungsplätze von 17 000 auf 35 000 zu erhöhen. Das ist kein Anlaß zum Angriff. Ich darf an Ihre gestrige Bemerkung anknüpfen, als Sie sich darüber beklagten, daß bei einer Schrumpfung der Zahl der industriellen Arbeitsplätze in Berlin um 80 000 der öffentliche Dienst um 40 000 Beschäftigte zugenommen hat. Wozu hätte der Abbau der Zahl der Arbeitsplätze geführt, wenn nicht andererseits auch eine Aufnahmebereitschaft bestanden hätte? Der Berliner Senat - diese Information am Schluß - bildet in eigenen außerbetrieblichen Einrichtungen gegenwärtig 1 000 junge Menschen in mehr als 20 Ausbildungsberufen für die Berliner Wirtschaft auf seine Kosten aus. Das ist sein Beitrag zur Behebung der Schwierigkeiten in der Ausbildung in der Zeit, in der die geburtenstarken Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen.
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Dies nur am Rande.
Meine Damen und Herren, in dieser schwierigen Situation stellt sich für uns selbstverständlich die Frage nach den Strategien der Wirtschaftspolitik. Herr Abgeordneter Kiep hat beklagt, daß die Regierung von der Opposition verlange, daß sie Alternativen aufzeige; das aber könne nicht Aufgabe der Opposition sein. Sicherlich wird man die Opposition aber fragen dürfen, welche Prioritäten sie setzt und wo sie ihre Punkte ansetzt. Wir als Regierungsfraktion sind selbstverständlich in stärkerem Maße gefordert, als wir das von der Opposition erwarten können.
Das Warten darauf, daß eine durch die Abwertung der D-Mark gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit die Exportfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhöhen könnte, wäre ein Weg. Aber ich meine, daß dieser Weg lang ist, daß seine Aussichten ungewiß sind und daß wir ihn schwer beeinflussen können. Er ginge auch von der Erwartung aus, daß sich die in der relativen Stabilität unserer Währung zeigende gesunde Verfassung der D-Mark gegenüber den anderen Währungen letztlich durchsetzt. Ich weiß nicht, ob wir von unseren Partnerländern in der näheren Zukunft eine Abkehr von ihrer rigiden Antiinflationspolitik zu erwarten haben. Vieles spricht dafür, daß in den nächsten Jahren eher eine wirtschaftliche Stagnation und geringere Wachstumsraten unser wirtschaftliches Umfeld bestimmen werden, was sich selbstverständlich negativ auf unsere wirtschaftliche Situation auswirkt.
Überdies macht sich, so beklagenswert das ist, allerorten Protektionismus breit. Das bedauern wir; denn wir - ich glaube, darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit - sind gegen eine öffentliche Exportförderung, wir sind gegen Importrestriktionen, wir sind gegen Kapitalverkehrskontrollen und auch gegen eine Einschränkung des Reiseverkehrs. Sie sind untaugliche Mittel zum Ausgleich der Leistungsbilanz.
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Was bleibt uns als Ansatzpunkt für ein künftiges Wachstum? Es bleibt die strukturelle Anpassung unserer Wirtschaft unter veränderten Bedingungen. Ich glaube, auch hier sieht man Übereinstimmung. Das bedeutet - in Schlagworten ausgedrückt -, daß wir unsere Ölabhängigkeit verringern müssen und daß wir die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch strukturelle Änderung zugunsten neuer Produkte und neuer Produktionsverfahren erhöhen müssen.
Für die künftige Wirtschaftspolitik ergeben sich damit folgende Schwerpunkte.
Erstens. Die Innovations- und Investitionsneigung und -fähigkeit müssen gestärkt und gefördert werden. Dies gilt auch für den Wohnungsbau.
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Zweitens. Forschung und Entwicklung als Grundlage zukunftsträchtiger Produktionen sind zu fördern, hier vor allem energiesparende und Energie substituierende Verfahren.
Drittens. Wir müssen unser Bemühen um Senkung des Energieverbrauchs und Substitution des Mineralöls durch andere Energieträger verstärken; Stichworte sind genannt worden: Wärmedämmung, Kraft-Wärme-Kopplung, Fernwärme und anderes mehr.
Schließlich und nicht zuletzt sind arbeitsmarkt-
und berufsbildungspolitsche Maßnahmen gefragt, die der Qualifizierung und der Steigerung der Mobilität dienen.
Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß gerade dieser Bereich nicht nur deshalb wichtig ist, weil er geeignet ist, die künftigen Arbeitskräfte für ein in Zukunft erforderliches Wachstum bereitzustellen, sondern weil auch jeder Jugendliche wissen muß - und ein Recht darauf hat, es zu wissen -, daß er künftig einen Arbeitsplatz erhält und daß dieser Arbeitsplatz sicher ist. Deshalb sind wir auch dafür, daß beispielsweise die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung weiter intensiviert und ausgebaut wird.
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Soweit bürokratische Hemmnisse, Investitionshemmnisse der Verwirklichung dieser Ziele entgegenstehen, müssen sie beseitigt werden. Hierzu stehen wir. Aber eines muß sicher sein: Sozialdemokraten werden es nicht hinnehmen, wenn humane, soziale und demokratische Verpflichtungen der Unternehmen als Investitionshemmnisse bezeichnet werden.
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Ich denke dabei an viele Diskussionen über das Jugendarbeitsschutzgesetz und anderes mehr.
Es ist bei uns unstrittig und wir bekennen uns dazu, daß es Aufgabe der Wirtschaft ist, diesen Strukturwandel zu bewältigen. In einer Phase konjunktureller Schwäche, in der bei sinkender Kapazitätsauslastung und abnehmender Produktivität der Kostendruck steigt, ist die Höhe des Zinssatzes als Kostenfaktor für die Innovations- und Investitionspolitik selbstverständlich von entscheidender Bedeutung.
Aus binnenwirtschaftlichen Gründen wären wir selbstverständlich an einem niedrigeren Zinssatz interessiert. Die Bundesbank jedoch vertritt die Auffassung - das ist bereits erwähnt worden -, daß sie angesichts des hohen Leistungsbilanzdefizits und des international weit höheren Zinsniveaus eine Zinssenkung nicht verantworten könne, weil es hierdurch zu einem wachsenden Kapitalexport mit allen negativen währungspolitischen Konsequenzen kommen würde, den sie ebenso befürchtet wie den in einer Abwertungsphase durch Importe induzierten inflationären Trend. Die gestrigen Beschlüsse der Bundesbank weisen deutlich darauf hin, daß sie an dieser Einschätzung festhält.
In diesem Dilemma zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Ansprüchen an unsere Kredit- und Währungspolitik könnte selbstverständlich eine internationale Zinssenkungsrunde hilfreich sein. Ob sie von Erfolg begleitet wird, und ob dahin gehende Bemühungen auch tatsächlich dazu führen, muß abgewartet werden. Bleibt die deutsche Geldpolitik aber weiterhin in den internationalen Zins- und Wirtschaftszusammenhang eingebettet, so schwindet der Spielraum für eine nationale monetäre Maßnahme gegen konjunkturelle Abschwächung nahezu völlig. Dann ist der Staat in seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gefordert.
({12})
Er wird durch gezielte Hilfen dazu beitragen müssen, daß das Risiko für Innovationen und für Investitionen gemindert wird. Er hat dabei das Ertragskalkül der Unternehmen einzubeziehen.
Mit anderen Worten: Fällt die Geldpolitik wie bisher weitgehend aus, wird die Finanzpolitik gefordert sein. Wir Sozialdemokraten meinen, daß wir diesen Weg gehen müssen. Eine Politik à la Thatcher wird es mit unserer Unterstützung nie geben. Die verheerenden Wirkungen dieser Politik, Herr Kiep, zeigen sich ja nicht nur in einer steigenden Arbeitslosigkeit, sie zeigen sich darüber hinaus darin, daß diese Arbeitslosigkeit von einer Vergiftung des sozialen Klimas begleitet ist.
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Aber die Erhaltung dieses Klimas - eine fruchtbare Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Arbeitgebern, von Parteien und Staat - ist für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unverzichtbar. Wie aber sollte einen Strategie defensiver Anpassung, wie soll die Annahme steigender Arbeitslosigkeit zur Erhaltung dieses Klimas beitragen?
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Wie sollen denn die Gewerkschaften in einer solchen Situation reagieren, konfrontiert mit Appellen an ihre gesamtwirtschaftliche Einsicht, an ihre lohnpolitische Verantwortung? Hier ist der Staat, hier ist nicht nur der Bund, hier sind die Länder, hier sind die Gemeinden in ihrer Verantwortung auch für die wirtschaftliche Entwicklung gefordert.
Die Fraktion der SPD hat deshalb eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die angesichts des wachsenden
Handlungsbedarfs versuchen wird, Vorschläge für eine Beschäftigungspolitik zu erarbeiten, die diesen genannten Zielen verpflichtet und die auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sowie auf Energieeinsparung und Ölsubstitution gerichtet ist.
Wir sind uns einig, daß rein nachfrageorientierte kurzfristige Konjunkturprogramme im konsumtiven Bereich kaum zusätzliche Dauerarbeitsplätze werden schaffen können und auch den Anstieg der Arbeitslosigkeit im Frühjahr nicht werden verhindern können.
({15})
Hier müssen wir - und darüber wird sicherlich noch zu sprechen sein - das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes einsetzen. Hier wird zu prüfen sein, inwieweit die Bundesanstalt für Arbeit Möglichkeiten sieht, den akuten Zustand hoher Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ihm durch eine Fülle verschiedener Maßnahmen entgegenzuwirken, die die 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz mit sich gebracht hat.
Für die Finanzpolitik stellen sich andere Aufgaben - nicht nur eine mittelfristige Rückführung des Staatsdefizits, sondern gleichzeitig der Einsatz fiskalpolitischer Mittel, wobei man darauf bedacht sein muß, die Wachstumsbedingungen in ausgewählten Schwerpunktbereichen zu verbessern. Dies sollte nicht nur bedeuten, daß gezielte Leistungsanreize für private Investitionen denkbar sind, sondern auch, daß öffentliche Investitionen zielgerecht erweitert werden können.
Die Finanzpolitik steht mithin vor der äußerst schwierigen Aufgabe nicht nur den Haushalt zu konsolidieren, seine Struktur zugunsten der investiven Ausgaben zu korrigieren und alle nicht mehr wachstums- und beschäftigungsfördernden Subventionen abzubauen, sondern sie ist ebenso gehalten, fiskalpolitische Instrumente zu entwickeln, die geeignet sind, eine verstärkte Innovations- und Investitionsneigung, zumindest Impulse dieser Art, auch im Bereich kleiner und mittlerer Betriebe auszulösen, ohne daß hierdurch das Haushaltsdefizit in starkem Maße erhöht werden darf.
Dabei kann durchaus - gleichsam flankierend - über ein Bündel mittelfristig wirksam werdender Maßnahmen nachgedacht werden. Denn ein solches Nachdenken, eine derartige Perspektive mittelfristig wirksamer Maßnahmen könnte die allgemeine Zuversicht stärken und zum Ausdruck bringen, daß wir die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der Zukunft im Auge behalten, auch gegenüber der japanischen Herausforderung, und daß wir für diese Zukunft eine Perspektive sehen. Ich glaube, daß eine derartige Perspektive nicht nur für Investoren, für potentielle Investoren wichtig ist. Sie ist vor allem für unsere Jugend wichtig, die diese Perspektive sehen muß.
Wir Sozialdemokraten sehen für diesen beschriebenen Weg keine Alternative, die es uns gestatten würde, den sozialen Konsens in dieser Gesellschaft zu erhalten. Erhalt dieses Konsenses, meine Damen und Herren, bedeutet auch, daß bei aller notwendigen Restriktion von den Bürgern unseres Landes er
wartet wird und erwarten werden kann, daß wir gegebenenfalls Belastungen gerechter verteilen, daß wir soziale Gerechtigkeit walten lassen. Wir werden dies auch bei der anstehenden Reform unseres Systems sozialer Sicherheit zu beachten haben.
Wegen der starken außenwirtschaftlichen Verflechtung ist die Stabilität unserer Wirtschaft nur durch Wandel zu erreichen. Eine aktive Politik der Anpassung unserer Wirtschaftsstruktur an die außenwirtschaftlichen Veränderungen, eine Stärkung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die Modernisierung unseres Produktionspotentials muß die sozialen und menschlichen Konsequenzen mit einbeziehen.
({16})
Insofern ist Wirtschaftspolitik gleichzeitig Sozialpolitik. Sie muß den externen Anforderungen, aber auch den internen Bedürfnissen gerecht werden. Wir müssen - darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe der Arbeitsgruppe „Beschäftigungspolitik" - Steuerungsmethoden entwickeln, die nicht einzelnen Interessengruppen, sondern der ganzen Gesellschaft nützen.
Wer den sozialen Konsens in Frage stellt, der behindert die wirtschaftliche Entwicklung, der behindert den wirtschaftlichen Wandel. Deshalb ist die Mitbestimmung so wichtig, deshalb ist eine hohe Arbeitslosigkeit so gefährlich, und deshalb sind Gleichheit und Solidarität für Sozialdemokraten keine leeren Worte.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht 1981 zeigt, daß die Bundesregierung ein innen- und außenwirtschaftlich schwieriges Jahr zu meistern hat, sozusagen eine Fahrt zwischen Scylla und Charybdis. In diesem Zusammenhang kommt der Außenwirtschaft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Denn in keinem Jahr seit Kriegsende ist die binnenwirtschaftliche Lage so abhängig von der außenwirtschaftlichen Situation wie im Jahre 1981. Das Leistungsbilanzdefizit im Jahr 1980 von 28 Milliarden - für 1981 ist eines von etwas über 20 Milliarden prognostiziert - macht deutlich, daß wir seit zwei Jahren über unsere Verhältnisse leben. Sicherlich wird man auch noch für einige Zeit mit diesem Leistungsbilanzdefizit existieren können und müssen. Aber langfristig, vielleich auch schon mittelfristig, muß dieses Leistungsbilanzdefizit verschwinden.
({0})
Das gegenwärtige Leistungsbilanzdefizit ist kein konjunkturelles, sondern - das muß man klar sagen - ein strukturelles Problem. Deshalb kann man auch nicht davon ausgehen, daß es zu einer Selbstkorrektur kommt, wie dies noch Anfang 1980 eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern und auch Politikern angenommen haben.
Da für die Zukunft mit einem weiteren Ansteigen der Ölpreise zu rechnen ist, ist eine Belastung der terms of trade vorgezeichnet. Hinzu kommt, daß sich dadurch unsere internationale Wettbewerbssituation verschlechtert und auch auf einigen Teilmärkten bereits verschlechtert hat. Hieraus kann nur gefolgert werden, daß das Leistungsbilanzdefizit langfristig geschlossen werden kann, wenn die verfügbaren Produktionsfaktoren in stärkerem Maße für Investitionen und für Innovationen genutzt werden.
Dies darf jedoch nicht zu einer staatlich forcierten Exportförderung führen, weil wir sofort mit Abwehrmaßnahmen der Partnerländer zu rechnen hätten, nämlich mit Bestrebungen, die dem liberalen Welthandel, mit dem wir im Prinzip glücklich sind und den wir ausbauen wollen, entgegenlaufen würden.
Erst recht ist ein Aufbau von protektionistischen Schutzzöllen und Schutzmauern für die heimische Industrie abzulehnen, zumal dadurch der notwendige wirtschaftliche Anpassungszwang unterbliebe und die Kosten des Protektionismus nur auf die gesunden Teile der Wirtschaft überwälzt würden und schließlich die Verbraucher und die Steuerzahler die Kosten hierfür zu tragen hätten.
({1})
Eine gewisse Entlastung auf der Importseite ist ohnehin schon festzustellen, da sich der Yen-Kurs gegenüber der D-Mark binnen eines Jahres um rund 25 % nach oben entwickelt hat.
Diese an und für sich seit längerem fällige Kurskorrektur darf jedoch die deutsche Wirtschaft nicht davon abhalten, alle Anstrengungen zu unternehmen, um mit der japanischen und auch der ostasiatischen Konkurrenz allgemein wettbewerbsfähig zu werden und zu bleiben, auch - das sage ich mit Betonung - vor Ort, d. h. auf den asiatischen und japanischen Märkten selber.
({2})
Auch für die Europäische Kommission in Brüssel sollte gelten, daß kein Anlaß besteht, protektionistische Maßnahmen gegen die japanische Konkurrenz zu ergreifen. Das gerade beschlossene Einfuhrüberwachungsverfahren muß ausschließlich statistischen Charakter haben und darf nicht als Vorhut protektionistischer Maßnahmen dienen.
({3})
Wir Deutschen, wir Europäer dürfen in der Welt nicht als handelspolitische Feiglinge gelten. Wir sind Manns genug, uns der Konkurrenz aus eigener Kraft zu erwehren.
({4})
Der Dollar-Kurs, der hier in der Debatte ja bereits mehrfach angesprochen worden ist, hat sich in den letzten Wochen und Monaten kräftig nach oben bewegt, auch wenn wir in den letzten Tagen eine rückläufige Entwicklung feststellen konnten. Er ist, nachdem er in den letzten Jahren stetig gefallen war, in den letzten Wochen und Monaten, wie gesagt, gestiegen. Ursache für das neue Steigen ist sicherlich auch die große Zinsdifferenz zwischen den USA-
und der Bundesrepublik Deutschland von etwa zehn Prozentpunkten. Aber auch das Leistungsbilanzdefizit in der Bundesrepublik spielt eine entscheidende Rolle. In dem steigenden Dollar-Kurs kommt aber auch zum Tragen, daß die am Devisenhandel Beteiligten der amerikanischen Regierung wieder größeres Vertrauen entgegenbringen, weil sie von der Regierung Reagan - im Gegensatz zur Regierung Carter - eine straffere politische Führung und eine solidere Geld- und Finanzpolitik erwarten. Darüber hinaus deuten die wirtschaftlichen Indikatoren darauf hin, daß die amerikanische Wirtschaft nunmehr wieder Tritt faßt. Die Zahlen des vierten Quartals 1980 und die ersten verfügbaren Zahlen des Jahres 1981 lassen einen positiven Trend erkennen.
Meine Damen und Herren, das Vertrauen in die DMark wird sich wieder festigen, wenn das Ausland erkennt, daß die Bundesrepublik eine straffe Finanz- und Geldpolitik betreibt und die deutsche Wirtschaft mit Investitionen und Innovationen gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert.
({5})
Aus binnenwirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus ist häufig gefordert worden, das Zinsniveau in der Bundesrepublik Deutschland zu senken. Oft sind auch der Deutschen Bundesbank Vorwürfe gemacht worden, daß sie eine restriktive Zinspolitik betreibe und die Zinsen dadurch stiegen. Wir Freien Demokraten unterstützen die Politik der Deutschen Bundesbank eindeutig, weil sie der Geldwertstabilität den Vorrang einräumt, auch wenn dies dem einen oder anderen einmal weh tut. Alle Erfahrungen im Ausland zeigen, daß mehr Inflation auch mehr Arbeitslosigkeit und sinkende Wirtschaftskraft mit sich bringt.
Die gelegentlichen Forderungen nach einer internationalen Zinssenkungsrunde sind zwar theoretisch richtig, scheitern jedoch an den binnenwirtschaftlichen Erfordernissen in den USA und in unseren sonstigen wichtigsten Handelspartnerländern. Die internationalen Geldmärkte sind heute so stark miteinander verwoben, daß eine isolierte Zinssenkung nicht möglich ist. Als Marktwirtschaftler sollten wir wissen, daß Handeln gegen die Marktkräfte nicht zum gewünschten Erfolg führt. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Im siebenten Jahr über eine Million Arbeitslose, und kein Land in Sicht: Das ist das Ergebnis einer Politik, die sich selber sozial-liberal nannte.
({0})
Ich frage Sie: Was ist daran sozial, und was ist daran liberal?
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Liberal kann es doch nicht sein, daß immer mehr Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt durch Unterstützung finanzieren und immer weniger Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen.
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Und sozial kann es auch nicht sein, wenn die Gesellschaft in Arbeitsbesitzer und Arbeitslose auseinanderfällt. Neue Privilegien teilen die Gesellschaft. Die Jungen, Gesunden, Tüchtigen, die ins Leistungskorsett dieser Gesellschaft passen, erhalten Arbeit, und die Schwächeren werden ausgeschwitzt, notfalls mit gut dotierten Sozialplänen ins Freie befördert.
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Sozial- und Freidemokraten wollten die Arbeit humanisieren. Sie haben den Arbeitsmarkt brutalisiert. Das ist das Ergebnis.
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72 % der Arbeitslosen sind durch „Problemmerkmale" gekennzeichnet. „Problemmerkmale" ist auch so ein Soziologenwort, das die Härte eines sozialen Schicksals in das Bonbonpapier des Soziologendeutsch verpackt.
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Der Anteil der Kranken und Schwachen unter den Arbeitslosen nimmt zu. 1975 betrug er 20%; heute beträgt er 32 %. Der Anteil der Arbeitslosen über 55 Jahre steigt. 1975 betrug er 10,2 %, heute beträgt er 15,5 %.
Der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit steigt. 1975 betrug er 45 %, heute beträgt er 55 %. Die Frauen stehen wieder einmal auf dem Verschiebebahnhof der Konjunktur. Sie sind zur konjunkturpolitischen Einsatzreserve degradiert. Ein Drittel der Beschäftigten sind Frauen. Aber über die Hälfte der Arbeitslosen sind Frauen.
Alte, Kranke und Frauen sind die Vorzugskandidaten der Arbeitslosigkeit. Mit anderen Worten könnte man sagen: Eine ungelernte Frau über 55 mit gesundheitlichen Einschränkungen kann alle Hoffnung fahren lassen. Sie ist der Prototyp der Benachteiligung.
Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, um so mehr funktioniert sie im Sinn eines Ausleseprozesses. Der harte Kern der Arbeitslosigkeit ist härter und, wie die neuesten Strukturdaten zeigen, größer geworden.
SPD und FDP loben sich - das haben sie auch gestern getan -, das soziale Netz ausgebaut zu haben. Sie lassen das Sieb schneller rattern, durch das die Schwachen aussortiert werden. Das ist das Ergebnis von sieben Jahren Arbeitslosigkeit.
({6})
Sie verkünden den Aufschwung und verwalten die Arbeitslosen. Verkündung des Aufschwungs ist noch nicht Verwirklichung, und Verwaltung der Arbeitslosigkeit ist noch nicht Verhinderung der Arbeitslosigkeit. Wir wollen nicht Verwaltung der Arbeitslosen; wir wollen Verhinderung der Arbeitslosigkeit.
({7})
Sie haben den Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik aufgelöst. Der Mangel an Koordination schleicht sich j a bis in die Darstellung der Regierungspolitik ein. Der Wirtschaftsminister erweckt den Eindruck, er sei für die Unternehmer zuständig, und der Arbeitsminister erweckt den Eindruck, er sei für die Arbeitnehmer zuständig. Aber eine Politik nach dem Motto „Für jeden etwas" bringt für alle nichts, wie die Erfahrung beweist.
Allein die vereinten Kräfte von Unternehmern und Arbeitnehmern und eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik bringen uns weiter. Denn so viele helfende Hände kann eine gute Sozialpolitik gar nicht haben, wie eine schlechte Wirtschaftspolitik Wunden schlägt. Eine gute Wirtschaftspolitik, die Arbeitslosigkeit vermeidet, ist sozialer als eine Sozialpolitik, die lediglich die Folgen der Arbeitslosigkeit lindert.
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Das wußten unsere Großväter in anderen Sätzen auszudrücken: Gut ist es, ein Kind aus dem Brunnen herauszuholen, noch besser ist es, den Brunnen abzudecken. Den Sinn dieser Empfehlung haben Sie nicht erkannt.
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Es ist im übrigen auch billiger, Arbeitslosigkeit zu verhindern. Eine Million Arbeitslose kosten 20 Milliarden D-Mark. Was könnte man mit 20 Milliarden Mark alles anfangen? Dabei geht es ja nicht nur um Geld. Es geht auch um Zufriedenheit. Arbeitnehmer, die Arbeit haben, sind zufriedener als Arbeitslose.
Ich meine, daß es angesichts der Aufgaben, die in unserem Lande bestehen, eigentlich nicht einzusehen ist, daß es Arbeitslose gibt. Die Regierung muß ihre Beschäftigungsblockade auflösen. Die Energiepolitik der Bundesregierung ist ein Arbeitsverhinderungsprogramm. In der Kernenergie zelebriert diese Regierung seit Jahren das entschlossene Unentschieden. Das ist weniger als nichts. Ein Nein zur Kernenergie wäre zwar falsch, aber jedermann wüßte wenigstens, woran er wäre, und man könnte sich darauf einrichten. Das Unentschieden ist die Proklamation der Handlungslosigkeit.
({10})
Hamburger Parteitage können vielleicht in zehn Jahren bei Kerzenschein und mit Bettflaschen
({11})
durchgeführt werden, eine Industriegesellschaft kann sich den Rückzug in die Idylle nicht leisten.
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Ich finde es eigentlich auch schade, daß eine handfeste sozialdemokratische Arbeiterbewegung in die Idylle versinkt. Das ist eine spätbürgerliche Degenerationserscheinung, um es in der Sprache der Jungsozialisten zu sagen.
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Es wird nach einem neuen Konjunkturprogramm gerufen. Woher soll der Staat das Geld nehmen? Im Kernenergiebereich dagegen liegen Investitionsvorhaben von 40 Milliarden DM brach. So viel kann die tüchtigste Regierung nicht aufbringen, wie SPD und FDP im privaten Bereich Investitionen verhindern.
({14})
Meine Damen und Herren, es geht in diesem politischen Augenblick auch nicht um eine akademische oder abstrakte Alternative: Kernenergie j a oder nein. Das konkrete Stichwort heißt Brokdorf. Brokdorf ist zum Symbol geworden, und zwar nicht nur für Kernkraft, Brokdorf ist auch der Testfall des Rechtsstaats.
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Offenbar rüsten sich Gruppen mit geradezu militärischem Durchsetzungswillen gegen Brokdorf. Wenn der Bundeskanzler angesichts dieser Situation auf der Zuschauertribüne verbleibt, dann ist das nicht nur persönliche Feigheit, dann ist das auch die Abdankung des Rechtsstaats.
({16})
Deshalb: Wir fordern den Bundeskanzler auf, sich vor den Brokdorfer Demonstrationen an die Seite von Gerhard Stoltenberg zu stellen. Das ist nicht die Sache einer Partei.
({17})
Eine Million Wohnungen fehlen. Das hat Albert Vietor, ein Genosse, festgestellt. Es gibt 117 000 arbeitslose Bauarbeiter. Arbeitslose Bauarbeiter und Wohnungsmangel, das paßt doch nicht zusammen! Die Wohnungsuchenden wollen Wohnungen, die Bauarbeiter wollen Arbeit, die Bauunternehmer wollen nicht bankrott machen, also kann die Misere weder an den Wohnungsuchenden liegen noch an den Arbeitnehmern liegen, noch an den Unternehmern liegen. Sie liegt an der miserablen Regierung; das bleibt als einziges übrig.
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Der freifinanzierte Wohnungsbau ist so gut wie zusammengebrochen. Er liegt bestenfalls noch bei 30 000 Wohnungen. 1973 waren es 250 000 Wohnungen. In den 20 Jahren CDU-Regierung haben wir im Durchschnitt Jahr für Jahr 200 000 Sozialwohnungen gebaut. Jetzt sind es weniger als die Hälfte. Das sind Fakten, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Aber gern!
Herr Kollege Dr. Blüm, darf ich Ihren Hinweis auf die Schuld der Bundesregierung so verstehen, daß Sie im Hinblick auf den Abbau der Investitionshemmnisse im Wohnungsbau, was Sie für nötig erachten, zu der Meinung gelangt sind, daß die Mietpreisbindung in Berlin nicht bis 1990 fortgesetzt werden sollte?
Sie wissen, daß es sich in Berlin um eine Sondersituation handelt.
({0})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie lachen, sollten Sie dieses Lachen der Berliner Bevölkerung weitergeben. Die wird sich dann darüber wundern.
({1})
Berlin existiert in einer Inselsituation, die wir und Sie nicht zu verantworten haben. Deshalb kann Berlin nicht mit den Maßstäben des bundesrepublikanischen Wohnungsbaus gemessen werden. - Ich gehe gern noch weiter auf Berlin ein, wenn Ihnen daran etwas liegen sollte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ja, bitte.
In dem Bemühen, das noch etwas zu konkretisieren, darf ich Sie noch einmal fragen: Sind Sie der Meinung, daß die Mietpreisbindung in Berlin ein Investitionshemmnis ist, und akzeptieren Sie, daß sie fortgesetzt wird?
Ich glaube, daß Berlin unter den Bedingungen, unter denen es jetzt leben muß, diese Mietpreisbindung vorerst braucht. Wenn wir allerdings mehr Wohnungen, eine andere Regierung in Berlin haben, werden wir auch keine Mietpreisbindung mehr brauchen.
({0})
Ich komme gern auf Berlin zurück, wenn Sie mich schon reizen. Sie haben in Berlin eine Sanierungspolitik betrieben mit der Phantasie eines Bulldozers, mit der Sensibilität eines Preßlufthammers.
({1})
Sie haben das Weddinger Sanierungsgebiet mit der Ramme saniert. 15 % der Alteinwohner lebten nach der Sanierung noch in ihren alten Wohnverhältnissen. Das ist nicht Sanierung, das ist Evakuierung, was Sie betreiben.
({2})
Die alte Wohnstube war sicherlich kein Großraum, aber manch modernes Appartement erinnert mehr an ein Schließfach. Kinder lassen sich nicht einschließen; auch das unterscheidet sie von Haustieren. Wir fordern deshalb kinderfreundlichen Wohnungsbau. Das ist gut für Familien und für Bauarbeiter.
({3})
Planwirtschaftliche Reglementierung und bürokratischer Papierkrieg sind die Bremsklötze im Wohnungsbau. Bevor nur ein Stein vermauert wird, so hat die IG Bau, Steine, Erden errechnet, müssen 200 Gesetze beachtet und die entsprechenden Anträge studiert werden. Da muß einer erst mehrere Jahre Subventionologie studiert haben, bevor er überhaupt anfangen kann, zu bauen. Dieser PapierDr. Blüm
krieg muß weg, damit wieder gebaut werden kann. Der Papierkrieg, die Gesetzes- und Anordnungsflut, im Baubereich hat sich seit 1966 versechsfacht.
Jeder politische Bereich hat sein Scherflein zu arbeitsmarktpolitischen Misere beigetragen, auch die Verkehrspolitik. Man schaue sich die Verkehrspolitik einmal an: Sie erweckt den Eindruck einer Stafette der Borniertheiten. Erst wurden die Klein- und Mittelbetriebe auf dem flachen Land dezimiert, dann begann der Sog in die Ballungsgebiete. Als sich die Arbeiter auf den Weg gemacht hatten, wurden die Strecken stillgelegt. Als sie daraufhin auf Pkw umstiegen, wurden die Benzinpreise mit Hilfe der Mineralölsteuer so erhöht, daß Benzin fast rezeptpflichtig geworden ist.
({4})
Für manche Arbeiter, die eine lange Wegstrecke zur Arbeit haben, ist es fast billiger, zu Hause zu bleiben und sich Arbeitslosengeld zu holen, als weite Wege zum Arbeitsplatz zurückzulegen.
({5})
Wenn man diesen Zickzackkurs in der Verkehrspolitik: auf die Schiene, auf die Straße, ansieht - ({6})
- Ja, meine Damen und Herren, Zickzack, das ist vielleicht das einzig Zackige an der Verkehrspolitik gewesen.
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Energiepolitik, Wohnungsbaupolitik, Verkehrspolitik, hier liegen lohnende Aufgaben für Arbeit. Dabei sind fehlende Arbeitsplätze nur die eine Seite der Arbeitslosigkeit; fehlende Ausbildung ist die andere. Arbeitsplätze und Ausbildung müssen zusammenpassen. 62 % der Arbeitslosen sind ungelernt. Das ist das Warnsignal für Eltern und Jugendliche. Ohne berufliche Qualifikation sinken die Chancen, Arbeit zu finden. Das gilt nicht nur für den einzelnen, das gilt auch volkswirtschaftlich.
Unsere weltwirtschaftliche Marktlücke liegt bei den intelligenten Produkten. Die Großserie, die Massenware, die auf relativ niedriger Arbeitnehmerqualifikation basiert, kann in der Dritten Welt billiger hergestellt werden. Es ist auch die einzige Chance für die im Elend Lebenden, daß sie sich durch Arbeit aus dem Elend selber herausarbeiten. Unsere Chance liegt bei den qualifizierten Produkten. Für qualifizierte Produkte braucht man qualifizierte Arbeitnehmer.
Deshalb ist die Intensivierung der beruflichen Bildung eine beschäftigungs- und entwicklungspolitische Aufgabe. Berufliche Bildung wird sich weniger als zu Großvaters Zeiten nur mit der Erstausstattung begnügen dürfen. Berufliche Erwachsenenbildung wird ein normaler Weg der Arbeitnehmer.
Statt die berufliche Weiterbildung jedoch auszubauen, haben Sie sie amputiert, wie der Haushalt der Bundesanstalt ausweist. Das ist eine Entwicklung in die falsche Richtung. Auch hier gilt: Arbeitslosigkeit verhindern ist besser als Arbeitslosigkeit verwalten. Wenn immer mehr Jugendliche den Hauptschulabschluß nicht schaffen, aber dieselben
Jugendlichen anschließend in Sonderkursen der Bundesanstalt die berufliche Reife erlangen, dann ist das doch ein Armutszeugnis für den normalen Schulweg. Deshalb beginnt die Reform der beruflichen Bildung in der Grund- und Hauptschule. Solange die Hauptschule nur Restschule ist und solange derjenige, der mit der Hand denken lernt, wie ein Dummkopf behandelt wird, wird es in der beruflichen Bildung nicht weitergehen.
({8})
Ich will auch etwas zum Bereich des öffentlichen Dienstes sagen, der ja zum Sündenbock des Arbeitsmarkts gemacht wurde. Das Ablenkungsmanöver funktioniert nach dem Vorbild des orientalischen Märchens, in dem der fliehende Dieb seine Verfolger mit dem Ruf „Haltet den Dieb!" ablenkte. Seine Rettung bestand darin, daß er sich einfach den Anschein des Retters gab. So ähnlich handelt die Regierung. Die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes können doch nichts dafür, daß der öffentliche Dienst immer mehr von unseren Steuern auffrißt. Schuld sind die, welche für jedes Problem, für jede Aufgabe eine neue Behörde, eine neue Planstelle, mindestens aber eine neue Meldestelle eingerichtet haben. Die, die dies verursacht haben, sind daran schuld, daß der öffentliche Dienst wächst und mehr Geld, als wir haben, auffrißt.
({9})
Kluge Leute haben ausgerechnet, daß, wenn es so weitergeht, wie die Regierung es in den letzten Jahren begonnen hat, im Jahr 2030 alle Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt sein werden. Dann gibt es aber niemanden mehr, der uns die Brötchen bäckt.
Für alle, auch für den öffentlichen Dienst, gilt es freilich, von der Erwartung Abschied zu nehmen, es ginge immer unendlich höher, es ginge immer unendlich weiter. Bei unseren Sparappellen wollen wir jedoch nicht vergessen, daß im öffentlichen Dienst nicht nur Ministerialräte und Ministerialdirektoren beschäftigt sind, sondern auch Briefträger, Schrankenwärter und Kanalarbeiter.
({10})
Die Kollegen des öffentlichen Dienstes, die hier bei uns im Plenum beschäftigt sind, die Kollegen, die uns hier helfen, haben im Durchschnitt 1 700 DM netto. Ich fürchte, manche schließen von den Gehältern der Ministerialräte auf die Gehälter im öffentlichen Dienst. Das ist eine perspektivische Verzerrung.
({11})
In die Opfer- und Spardiskussion hat sich die Mode eingeschlichen, daß jeder vornehmlich beim Nachbarn sparen möchte: Heiliger Florian, schütz' unser Haus, steck' das des Nachbarn an. Die Arbeitgeber sparen bei den Arbeitnehmern, die Arbeitnehmer bei den Landwirten, die Landwirte bei dem Handel, der Handel bei den Produzenten, der Bund beim Land, das Land bei der Gemeinde, der Hochbau beim Tiefbau, der Tiefbau beim Hochbau und die Arbeiter bei den Beamten. So geht das Karussell weiter. Um im Bilde von Graf Lambsdorff zu
bleiben, der das allgemeine Engerschnallen des Gürtels empfahl: Jeder hantiert am Gürtel des Nachbarn herum.
({12})
Ganz neu wäre es, wenn wir die Spardebatte einmal nach dem Motto organisierten: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür!
Im sozialliberalen Ablenkungsmanöver gerät auch die Bundesanstalt für Arbeit zunehmend ins Kreuzfeuer. Sicher ist auch die Bundesanstalt für Arbeit verbesserungsbedürftig. Aber ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem Präsidenten Josef Stingl und seinen Mitarbeitern danken. Sie haben die Arbeitsämter vom Geruch der Diskriminierung befreit und sie zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb gemacht.
({13})
Josef Stingl kann nichts dafür, daß in der Arbeitslosenstatistik so schlechte Nachrichten enthalten sind. Der Überbringer schlechter Nachrichten ist nicht für die Ursachen der Folgen verantwortlich, die er mitteilt. Daß das Geld in der Bundesanstalt für Arbeit nicht langt, liegt nicht an Stingl, sondern an der Arbeitslosigkeit. Dabei ist der Haushalt der Bundesanstalt noch schöngefärbt; die Berechnungsgrundlagen wurden kurzerhand geändert.
Der Haushalt der Bundesanstalt unterstellt für das Jahr 1981 lediglich eine Arbeitslosenzahl von 1,085 Millionen im Jahresdurchschnitt, obwohl schon die jüngsten Voraussagen mindestens von 1,2 Millionen ausgehen. Die Quote der Leistungsempfänger wurde einfach geringer veranschlagt: Statt der bisherigen 55,3% wird jetzt einfach mit 50,5% gerechnet. Die Zahl der Kurzarbeiter wurde kurzerhand auf 300 000 festgesetzt, obwohl im Dezember 1980, also noch vor dem Anstieg, schon 357 000 und im Januar 400 000 Kurzarbeiter gemeldet wurden.
Warum werden diese ganzen Rechentricks angewandt? Das ist ganz einfach: Das geschieht, damit die Rechnung stimmt. Die Bundesregierung verfährt nach dem Schema: Die Wirklichkeit muß sich nach unseren Prognosen richten. Das nenne ich eine Vergewaltigung der Praxis durch Prognosen. Wenn der Schuh zu klein ist, werden die Fußzehen abgeschnitten, damit der Schuh paßt; so ähnlich wird die Rechnung der Bundesanstalt zustande gebracht.
({14})
Der Haushalt der Bundesanstalt rechnet für dieses Jahr mit 200 000 weniger Ausfalltagen wegen Schlechtwetter. Hat die Bundesregierung ein Abkommen mit dem lieben Gott, daß das Wetter dieses Jahr besser wird? Wieso kommen Sie dazu, die Schlechtwettertage einfach um 200 000 niedriger anzusetzen? Richtet sich jetzt auch noch das Wetter nach den Prognosen der Bundesregierung? Wenn die Kasse am Ende nicht stimmt, wird der Wettergott auf die Anklagebank kommen. Immer sind es die anderen, entweder das Ausland, die Unternehmer, die Drückeberger, und jetzt kommt noch der liebe Gott auf die Anklagebank, weil er das Wetter so schlecht macht.
({15})
Warum, so frage ich die Bundesregierung, wurde der Haushalt der Bundesanstalt nicht, wie es Rechtens wäre, am 1. September, sondern erst im Dezember vorgelegt? Das geschah, weil am 5. Oktober 1980 die Wahl war und weil dieses spätere Vorlegen Ihnen die Peinlichkeit ersparen sollte, der Bevölkerung die Wahrheit auf dem Arbeitsmarkt vor der Wahl zu sagen. Das ist der einzige Grund.
({16})
Sie haben einen Wahlkampf nach der Devise geführt: nach dem 5. Oktober die Sintflut! Jetzt gilt das Motto: Rette sich, wer kann!
Die wieder in die Diskussion gebrachte Arbeitsmarktabgabe ist nur ein anderer Name für die Geldgier der Bundesregierung. In der Verschlüsselung des Desasters ist die Bundesregierung unüberbietbar. Steuererhöhungen nennen Sie jetzt Arbeitsmarktabgabe, Schrumpfung des Sozialprodukts nennen Sie Minuswachstum. Ich warte darauf, daß Sie die Krankheit Minusgesundheit nennen. Sie haben für die Härte des Problems immer ein Wort zur Verfügung, das dem Bürger den Zugang zur Problemlage versperrt.
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Ich möchte an dieser Stelle auch einen Appell an die Selbstverwaltung vor Ort richten. Wenn das Geld knapp ist - es ist knapp -, brauchen wir mehr Einfälle. Die Aufgaben der Selbstverwaltung sind noch nicht erfüllt, wenn die Posten verteilt sind, und der Entscheidungsbedarf ist noch nicht erschöpft, wenn über die Farbe des Verputzes entschieden ist. Die Selbstverwaltung muß stärker als bisher der Pfadfinder neuer Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort werden. Ich glaube, nicht am fernen Schreibtisch in den Zentralen, sondern vor Ort muß ausgekundschaftet werden, wo es neue Möglichkeiten der Beschäftigung und der Weiterbildung gibt.
Es gibt ja auch zu denken, daß die Treffsicherheit von Vermittlung offenbar größer ist, je kleiner das Arbeitsamt ist. Der Glaube, der Computer könne den Menschen ersetzen, hat sich auch in der Arbeitsvermittlung als falsch erwiesen. Der Computer kann und muß den Vermittler unterstützen. Ersetzen kann er ihn nicht.
Meine Damen und Herren, Phantasie wird auch die starren Arbeitszeitregelungen auflösen müssen. Es muß nicht alles so bleiben, wie es ist. „Sachzwang" ist manchmal nur die Ausrede für Bequemlichkeit. Warum soll jemand acht Stunden am Tage arbeiten müssen, wenn er mit vier Stunden zufrieden ist? Warum soll jemand fünf Tage in der Woche arbeiten müssen, wenn er mit zwei Tagen zufrieden ist? Teilzeitarbeit könnte mehr Freiheit, mehr Wahlmöglichkeiten, mehr Individualität in die Arbeitszeit bringen. Rund 20 Bundesgesetze enthalten Sondervorschriften für Teilzeitarbeit. Teilzeitarbeit wird immer noch als Sonder- und Außenseiterarbeit angesehen. Das wollen wir ändern. Daraufhin werden wir auch das Sozialrecht überprüfen.
Souveränität in der Bestimmung der Arbeitszeit ist ein Stück Selbständigkeit, und dieses Stück Selbständigkeit muß keineswegs nur für die Freiberufler
reserviert bleiben. Wir brauchen mehr individuelle Spielräume auch in der industriellen Arbeitswelt. Es muß nicht alles so stur bleiben, daß sich morgens sozusagen auf Kommando eine Menschenlawine zur gleichen Zeit in die Stadt wälzt und abends wieder herauswälzt. Es muß nicht so sein, daß die Schwimmbäder samstags überfüllt sind und montags leerstehen. Eine neue, flexible Zeitordnung könnte auch die Raumordnung entlasten.
Kurzarbeit ist auch eine Teilzeitarbeit, allerdings eine kollektiv befohlene. Je weniger Spielräume die Gesellschaft für individuelle Wünsche einräumt, um so mehr wird sie die Krise mit Befehlen ertragen müssen. Kollektivismus ist autoritär. Individuelle Wahlmöglichkeiten setzen auf das Verlangen nach Selbständigkeit und Freiheit. Kollektivisten denken in Kolonnen, Sozialisten in Massen. Wir brauchen Individualität, Freiheit und Selbständigkeit in der Arbeitswelt.
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Das ist auch eine Chance, den individuellen Lebensrhythmus mit dem industriellen Arbeitsrhythmus besser abzustimmen, als dies in 200 Jahren Industrialisierung geschehen ist.
Neue Wege müssen auch in der Tarifpolitik gesucht und gefunden werden. Das alte Ritual - ich fürchte, es spricht sich bald herum - fördert Langeweile zutage. Real bewegt es zuwenig.
Deshalb wiederholen wir den Appell an die Tarifpartner, die wirtschaftliche Notwendigkeit der Investitionserhöhung mit der sozialen Notwendigkeit der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu verbinden. Eigentum in Arbeitnehmerhand ist eine Chance für eine moderne Einkommenspolitik. Leute aus dem 19. Jahrhundert werden das nie kapieren. Sie tanzen ihre kapitalistisch-sozialistischen Tänze und merken gar nicht, daß gar keine Musik mehr dazu gespielt wird.
({19})
Wer Eigentum in Arbeitnehmerhand ablehnt, ist altmodisch. Wer es bejaht, ist modern.
({20})
Partnerschaft und Solidarität sind die Fundamente einer befriedeten Zukunft. Solidarität wird zur Belastungsprobe auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft. Privilegien können sich auch in die Arbeitnehmerschaft einschleichen und gegen andere Arbeitnehmergruppen richten. Solange die Arbeitnehmerschaft noch eine kleine Gruppe war, tauchte das Problem der Diskrepanzen innerhalb der Arbeitnehmerschaft nicht auf. Heute, da die Arbeitnehmerschaft 80 % der Gesellschaft ausmacht, müssen auch die Arbeitnehmer gegenüber Egoismus in den eigenen Reihen selbstkritisch bleiben. Es könnte sein, daß sich die Arbeitsbesitzer auf Kosten der Arbeitslosen Vorteile verschaffen, die Männer auf Kosten der Frauen, der öffentliche Dienst auf Kosten der privaten Wirtschaft. Solidarität wird zu einem Belastungs- und zu einem Funktionstest auch innerhalb der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften werden nicht nur wie bisher die Aufgabe erfüllen müssen, Arbeitnehmerinteressen gegenüber den Arbeitgebern zu vertreten, sondern sie müssen verstärkt auch die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Arbeitnehmerschaft ausgleichen. Diese Solidarität verlangt eine neue Anstrengung in wechselseitiger Rücksichtnahme.
Streit muß es in der freien Gesellschaft geben. Auch der Konflikt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ist ein unverzichtbarer Bestandteil des freien Systems. Die Harmonie der Planwirtschaft beruht doch in Wirklichkeit auf Befehlen.
({21})
Nur in der Marktwirtschaft treffen die Forderungen und Interessen unvermittelt von der „Obrigkeit" aufeinander. Insofern ist in der Sozialen Marktwirtschaft mehr Gleichheit enthalten als in allen Fünfjahres- und sonstigen Plänen je enthalten sein können.
({22})
Doch der notwendige, unverzichtbare Streit endet im vernichtenden Klassenkampf, wenn die Kompromißfähigkeit verlorengeht.
Keiner der beiden Sozialpartner hat es in dieser Zeit leicht,
({23})
auch die Gewerkschaften nicht. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es ihnen auch nicht leichtgemacht, und Ihre Zwischenrufe machen es auch nicht besser, Herr Roth.
({24})
Kritik ist nicht schädlich. Auch die Gewerkschaften stehen nicht unter Denkmalschutz. Aber der beste Ort des kritischen Gedankenaustauschs ist der runde Tisch der Konzertierten Aktion. Daß die Regierung dieses Gespräch nicht zustande bringt, ist ein soziales Armutszeugnis und trifft den Zustand einer Gesellschaft, die in Gefahr ist, sich in die alten Gräben einzugraben in der trügerischen Hoffnung, so die Krise zu überleben. Eingraben und Überwintern jedoch sind Defensive und Angst. Was wir brauchen, ist eine Politik mit Initiative und Zuversicht.
({25})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Ehrenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem selbst der verehrte Kollege Kiep eingangs seiner Rede bedauerlicherweise feststellen mußte, daß man von der Opposition keine Alternativen erwarten dürfe, wäre es natürlich höchst vermessen gewesen, das von Herrn Blüm zu erwarten. Ich habe das nicht getan; Herr Blüm, Sie haben meine Erwartungen voll erfüllt.
({0})
- Ja, das bin ich auch. Ich habe von Ihnen j a nichts erwartet. Wenn die Vorurteile, die man hat, bestätigt werden, freut man sich natürlich.
({1})
Herr Kollege Blüm, vielleicht wäre es aber doch möglich gewesen, bei aller berechtigten Kritik an den Zuständen ein wenig genauer zu differenzieren und die Fakten, wenn schon nicht darzustellen, so wenigstens zu berücksichtigen.
Wenn Sie einfach behaupten, in den letzten sieben Jahren seien zunehmend mehr Leute weniger beschäftigt und immer mehr arbeitslos gewesen, dann sollten auch Sie wissen, Herr Kollege Blüm, daß es unsere gut aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik war, die dazu geführt hat, daß von 1977 bis 1980 900 000 Arbeitsplätze mehr besetzt werden konnten.
({2})
Das kann man j a wohl nicht unter den Teppich kehren.
({3})
- Ja, Sie können das. Sie können viel. Nur, diese 900 000, die einen in den letzten drei Jahren neu geschaffenen Arbeitsplatz haben, lassen sich nicht unter den Teppich kehren, auch nicht durch Zurufe von der CSU.
Bevor man zweifelhafte Verbindungslinien zieht und behauptet, die gegenwärtige schwierige Situation sei das Ergebnis sozialliberaler Politik, würde es sich vielleicht lohnen - das gilt auch für Herrn Blüm, der demnächst in Berlin antreten will und dann eventuell einen etwas weiteren Blick bekommen wird -, einmal über die Grenzen der Bundesrepublik hinauszuschauen.
({4})
Es dürfte Ihnen bekannt sein, Herr Blüm, daß die Bundesrepublik trotz der verschlechterten Situation am Arbeitsmarkt und trotz der Anspannungen bei den Preisen sich in der internationalen Vergleichsstatistik bezüglich der Arbeitslosigkeit in der Gruppe der letzten fünf Länder befindet und bezüglich der Preissteigerungsrate unter 20 vergleichbaren Industrienationen den zweitbesten Platz hinter der Schweiz einnimmt.
({5})
Herr Blüm, Sie haben eine Verbindung zwischen der Politik und ihren Ergebnissen hergestellt. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, in die Statistiken zu schauen. Zu derselben Zeit, als wir uns mit einer unerfreulich hohen Arbeitslosenquote und einer Preissteigerungsrate von um die 5 % herumschlagen müssen, gibt es in Frankreich 13,3 % Preissteigerung und 8,3 % Arbeitslosigkeit; in Großbritannien 18 %
Preissteigerung und 7,4 % Arbeitslosigkeit; in Italien 21,2 % Preissteigerung und 7,9 % Arbeitslosigkeit; in den Vereinigten Staaten 13,5 % Preissteigerung und 7,1 % Arbeitslosigkeit.
({6})
Herr Kollege Blüm, Sie wissen genausogut wie ich, daß in keiner dieser Nationen eine sozialliberale Regierung herrscht. Dann können Sie ehrlichen Gewissens auch nicht diesen Zusammenhang herstellen, wie Sie es getan haben.
Im Gegenteil: Wir können für unsere Politik in Anspruch nehmen, daß wir bei diesen tiefgreifenden Verwerfungen der Weltmärkte zwar nicht ungeschoren davongekommen sind, daß wir aber mit ihnen doch sehr viel besser und mit sehr viel günstigeren Ergebnissen fertig geworden sind als die Volkswirtschaften rund um uns herum.
({7})
Da können Sie in der Tat einen Vergleich zu unserer Politik ziehen; denn sie hat dafür gesorgt, daß es so ist.
({8})
Herr Blüm, Sie haben hier so schön kabarettistisch, wie Sie das ja gut können,
({9})
Formulierungen von sich gegeben wie die, daß das Benzin schon so teuer geworden sei, daß es fast rezeptpflichtig sei. Aber auch Sie sollten wissen, daß die Bundesrepublik außer Luxemburg immer noch den niedrigsten Benzinpreis in Europa hat.
({10})
- Das ist ja wohl ein Ergebnis der Politik. Wenn Herr Blüm uns schon alle Ergebnisse zurechnen will, dann wird er uns wohl auch dieses zurechnen müssen.
({11})
Herr Blüm, wenn Sie gestern zugehört hätten, als der Bundeswirtschaftsminister hier sprach, hätten Sie eigentlich nicht mehr damit kommen können, jene merkwürdige Art von Arbeitsteilung zwischen dem Kollegen Lambsdorff und mir hier darzustellen. Damit Sie das wenigstens in Zukunft wissen, möchte ich Ihnen gern einige Sätze aus der Rede des Kollegen Lambsdorff von gestern in Erinnerung rufen. Der Kollege Lambsdorff hat gesagt:
Wir können es uns auch nicht leisten, den Arbeitswillen so vieler Menschen zu ignorieren. Wir müssen also danach trachten, diese Menschen so bald wie möglich wieder an unserer Arbeit mitwirken zu lassen, zu ihrem und unser aller Wohl. Das ist die erste Priorität in Sachen Lebensqualität.
Er hat weiterhin gesagt:
Das soziale Netz steht nicht zur Disposition. Niemand beabsichtigt, daran zu rühren.
Da gibt es keine Arbeitsteilung zwischen Wirtschaft und Arbeit. Meine Damen und Herren, das, was hier gesagt wurde, ist der gemeinsame Wille der Bundesregierung, und so werden wir es auch weiterhin fortsetzen.
({12})
Mit ein bißchen Redlichkeit, Herr Blüm, hätten Sie nach den gestrigen Ausführungen hier auch nicht mehr das wiederholen können, was Sie zur Energiepolitik der Bundesregierung und auf den Bundeskanzler bezogen gesagt haben. Das ist gestern so eindeutig klargestellt worden, daß Sie gut daran täten, diesen lächerlichen Vorwurf der persönlichen Feigheit gegenüber dem Bundeskanzler auf der Stelle zurückzunehmen.
({13})
Verzeihen Sie, Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Bitte.
Herr Minister, können Sie uns dann sagen, warum der Herr Bundeskanzler nicht zum Parteitag der SPD nach Hamburg gegangen ist, um seine Thesen zu vertreten?
({0})
Es kann ja wohl nicht die Aufgabe des Bundeskanzlers sein, regionale Parteitage zu bestreiten.
({0})
Aber im übrigen gibt es keinen Zweifel an der Energiepolitik der Bundesregierung, einer Politik, die nicht der Wirtschaftsminister, sondern die gesamte Bundesregierung vertritt. Das ist gestern eindeutig klargestellt worden.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?
Aber doch nicht zweimal hintereinander!
Herr Minister, können Sie mir mitteilen, wo der Herr Bundeskanzler - außer in Bonn - wohnt?
({0})
Sie erwarten doch nicht im Ernst eine Antwort auf diese Frage! Ich könnte Ihnen allerdings auch sagen: Aus Gründen der Sicherheit lehne ich es ab, Ihnen die Hausnummer der Wohnung des Bundeskanzlers zu nennen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, hier ist außerdem eine Klarstellung dessen notwendig, was Herr Blüm über den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit gesagt hat - mit so merkwürdigen Verdächtigungen, wir hätten den Haushalt so spät aufgestellt, weil die Bundestagswahl bevorgestanden habe. Es ist j a wohl guter alter parlamentarischer Brauch, daß der Bundeshaushalt in Zeiten, in die eine Bundestagswahl fällt, erst nach der Wahl und nicht vor der Wahl aufgestellt wird. Ich hätte Ihr Geschrei hören wollen, wenn wir den Bundeshaushalt im Sommer 1980 aufgestellt hätten! Wegen der unbedingt notwendigen Verbindung durch den Liquiditätszuschuß in der Größenordnung von 3,6 Milliarden DM - das wird nicht reichen - war es genauso unverzichtbar,
({0})
den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit parallel zum Bundeshaushalt aufzustellen, ihn nicht vorwegzunehmen, weil diese beiden Haushalte aus sachlichen Gründen untrennbar miteinander verbunden sind.
({1})
- Wir haben die Pflicht, den Bundeshaushalt und den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit bis zum 1. September vorzulegen. Wenn wir - versehen mit Ihrer parlamentarischen Respektierung, wie ich hoffe - den Bundeshaushalt aus vernünftigen parlamentarischen Gründen nicht vor einer Bundestagswahl aufstellen, dann muß dasselbe auch für den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit gelten.
({2})
Anders geht es doch gar nicht, Herr Blüm; das wissen Sie doch ganz genau. Bauen Sie hier doch nicht so einen Popanz auf!
({3})
Die Daten, die dem Bundeshaushalt Ende November zugrunde gelegt worden sind, gehen zurück auf die Annahme des Arbeitskreises Steuerschätzung. In dem Arbeitskreis Steuerschätzung ist - außer der Bundesregierung - der geballte Sachverstand der Bundesländer und der Bundesbank versammelt. Das ist keine isolierte Veranstaltung der Bundesregierung. Die Annahmen, von denen man dort im November ausging, haben sich als zu optimistisch her1084
ausgestellt. Wir haben sie im Jahreswirtschaftsbericht korrigiert. Entsprechend den neuen Daten des Jahreswirtschaftsberichts wird jetzt in der Selbstverwaltung der Bundesanstalt ein Nachtragshaushalt für die Bundesanstalt für Arbeit vorbereitet. Er wird - unter Berücksichtigung der neuen Daten - so rechtzeitig abgeschlossen werden,
({4})
daß er noch in die laufende Beratung des Bundeshaushalts einfließen wird. - In welcher Höhe, verehrter Zurufer, werden Sie erfahren, wenn die Beratungen der Selbstverwaltungsorgane der Bunde san-stalt für Arbeit abgeschlossen sind, und nicht früher.
Die Bundesanstalt hat trotz der Knappheit der Haushaltsmittel sicherstellen können, daß die Qualifizierungsmaßnahmen, die Eingliederungshilfen und die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unvermindert fortgesetzt werden können. Der Finanzminister hat rechtzeitig genug reagiert; er hat durch die Bereitstellung überplanmäßiger Mittel dazu beigetragen, daß die Finanzierung dieser Maßnahmen gesichert ist. Herr Blüm, alles, was Sie zur Notwendigkeit weiterer Qualifizierung und Ausbildung gesagt haben, ist richtig.
({5})
- Manchmal, aber natürlich! Nur, es wäre noch besser gewesen, wenn Sie sich im gleichen Atemzug auch dazu hätten durchringen können anzuerkennen, was dort geleistet worden ist, und gleichzeitig den Respekt vor der großen Anstrengung der öffentlichen und privaten Arbeitgeber bei der Ausbildung hier ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen.
({6})
- Gut, wenn Sie es auch nachträglich tun; ich bin sehr einverstanden.
Wir werden, meine Damen und Herren, die schwierige Situation auf Grund der Veränderung der Weltmarktverhältnisse und des großen Leistungsbilanzdefizits nur durch gewaltige Anstrengungen bei energiesparenden Maßnahmen meistern können, die die einzige Möglichkeit sind, dieses Leistungsbilanzdefizit zu verringern, das ja nicht ein Ausdruck geschwundener Exportkraft und damit geschwundener Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist, sondern ein Ausdruck der ins Vielfache verteuerten Importrechnungen. Von der Seite ist das Leistungsbilanzdefizit ja entstanden. Es ist also nicht ein Ausdruck zu geringer Exporte.
Es lohnt sich vielleicht, in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, daß die so oft beklagten Wettbewerbsnachteile gegenüber Japan durch denselben Vorgang, der unser Leistungsbilanzdefizit ungünstig beeinflußt hat, auf der Exportseite positiv korrigiert worden sind. Innerhalb der letzten 12 Monate hat der Yen eine Aufwertung um rund 30 % erfahren, und das hat die Wettbewerbsfähigkeit und
die Exportmöglichkeiten der europäischen Wirtschaft wesentlich verbessert. Das sind die beiden Seiten der Vorgänge an den Währungsmärkten. Wir dürfen nicht nur die negativen Seiten herausstreichen, sondern müssen die positiven genauso sehen.
Die deutschen Arbeitnehmer können davon ausgehen - jeder Blick über die Grenzen lehrt sie täglich, daß sie das können -, daß ihre Interessen bei dieser Bundesregierung gut aufgehoben sind und im Rahmen der Möglichkeiten weiterhin durchgesetzt werden.
({7})
Um abschließend nochmals auf Herrn Kiep zurückzukommen: Man kann unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was eine Opposition leisten sollte. Ich halte es für legitim, von einer so großen oppositionellen Fraktion Alternativen zur Regierungspolitik zu erwarten. Daß das geht, hat in langen Oppositionsjahren beispielsweise mein alter Freund Alex Möller bewiesen, der aus der Opposition heraus neue finanzpolitische Konzeptionen entwickelt hat. Und noch mehr hat mein Freund und Lehrer Ernst Schellenberg bewiesen, was man an konzeptioneller Arbeit aus der Opposition heraus leisten kann.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Ich wollte zwar aufhören, aber Herrn Kiep gestatte ich sie gern.
Herr Minister, gestatten Sie mir die Frage, ob Sie sich daran erinnern, daß in einer Zeit, als Ihre Partei in der Opposition war und wir in diesem Hause eine vergleichsweise geringe Finanzproblematik zu diskutieren hatten, der damalige Sprecher der SPD hier ausgeführt hat, man denke gar nicht daran, sich mit diesen Sachen zu befassen; man wasche j a schließlich nicht die schmutzige Wäsche anderer Leute.
({0})
Damals ist gesagt worden, man denke nicht daran, der Regierung zu helfen; und dafür habe ich Verständnis. Ich erwarte auch keine Hilfe von Ihnen.
({0})
Aber eigene Gedanken, eigene Konzepte zu entwikkeln, das halte ich in der Tat für die Aufgabe der Opposition. Aber ich bin sicher nicht dazu da, Ihnen
Vorträge darüber zu halten, was die Opposition zu leisten hat.
({1})
Je länger Sie in Ihrem Zustand bleiben, desto besser steht die Bundesregierung mit ihren Konzepten da. - Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Dr. Stoltenberg.
({0})
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der gestrigen Debatte dieses Hohen Hauses hat der Herr Bundesfinanzminister Kritik an der Haltung der schleswig-holsteinischen Landesregierung, an meiner persönlichen Haltung, zu einem wichtigen Punkt der Energieversorgung geäußert, nämlich zum Thema des Ausbaus der Fernwärme und des von der Bundesregierung im vergangenen Jahr vorgeschlagenen Programms für eine weitere Mischfinanzierung. Da diese Kritik im Deutschen Bundestag von Sprechern der SPD immer wiederholt wird, möchte ich die Gelegenheit benutzen, das, was die Vergangenheit betrifft, richtigzustellen, zugleich aber auch - weil wir nicht zuviel Vergangenheitsbewältigung treiben sollten - zu sagen, wie wir auf diesem Gebiet nach meiner Einschätzung vorankommen sollten.
Jeder wird es auch verstehen, wenn ich aus der besonderen Situation im Bundesland Schleswig-Holstein einige kurze Bemerkungen zur allgemeinen Diskussion über Energiepolitik und Kernenergie anschließe und auch kurz auf die finanzpolitischen Fragen im Bund-Länder-Verhältnis eingehe.
Die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Landesregierung, aber auch die Zustimmung der anderen CDU/CSU-regierten Bundesländer vom Mai 1980, keine weiteren finanzwirksamen Gesetze im Bundesrat zu verabschieden und keine neuen Mischfinanzierungen, auch zur Fernwärme, in diesem Zeitpunkt zu beschließen, war eine finanzpolitische Entscheidung. Sie war, rückblickend gesehen, vollkommen richtig.
({2})
Während wir uns vor der Bundestagswahl über das Ausmaß der Finanzprobleme und -schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland und vor allem hier des Bundes noch kontrovers unterhalten haben, zieht sich j a seit dem Oktober und November wie ein roter Faden durch alle Diskussionen dieses Hohen Hauses, durch die Beratungen der Fraktionen der SPD und FDP, durch die Beratungen aller Landtage als eine bittere überparteiliche Erkenntnis hindurch: wir haben in den vergangenen Jahren auch und gerade finanzpolitisch unter der Federführung der Bundesregierung über unsere Verhältnisse gelebt. Eine der großen Belastungen der gegenwärtigen Konjunktur- und Wirtschaftslage, der Arbeitsmarktlage ist es, daß dadurch der Handlungsspielraum für die Steuer- und Finanzpolitik praktisch zunächst zerstört worden ist.
Auf diesem Hintergrund der aktuellen Einsichten, in denen es zwar Akzentunterschiede in der Bewertung gibt, aber nicht mehr den fundamentalen Gegensatz wie in der Diskussion vor dem 5. Oktober, war es eine vorausschauende und verantwortungsbewußte Entscheidung der genannten Bundesländer und insoweit auch der schleswig-holsteinischen Landesregierung, im vergangenen Mai und Juni - vor der Bundestagswahl - zu sagen: wir können bis zu einer Offenlegung der Gesamtsituation der öffentlichen Finanzen, bis zu dem Beginn eines Sanierungskonzepts jedenfalls - nach der Bundestagswahl, wer immer dann regiert - neuen kostspieligen Gesetzen und Programmen nicht mehr zustimmen. Wir brauchten damals ein Moratorium in der Produktion immer neuer Ausgaben ganz dringend, nicht ein Moratorium im Kernenergieausbau, aber in der Finanzpolitik.
({3})
Wir brauchen das in gewisser Weise auch heute.
({4})
- Aber, sehr geehrter Herr Kollege, erstens bezweifle ich, daß das für den Deutschen Bundestag für das vergangene Jahr zutrifft, und zweitens spreche ich hier für den Bundesrat, insoweit auch für die Mehrheit des Bundesrates, und erläutere unsere Entscheidung, der Fülle neuer kostspieliger Gesetze, die Sie hier mit Ihrer Mehrheit verabschiedet haben, und neuen Mischfinanzierungen bis zu einer Bestandsaufnahme, einer Neubestimmung der Prioritäten der Finanzpolitik nicht zuzustimmen.
Es ist im Grunde heute unbestritten, daß unsere damalige Einschätzung richtig war und daß wir eine verantwortungsbewußte finanzpolitische Entscheidung getroffen haben.
Ich will damit auch den Appell an die Mehrheit dieses Hohen Hauses verbinden, nun nicht wieder die im Juni des vergangenen Jahres vom Bundesrat abgelehnten kostspieligen neuen Gesetze einzubringen und mit der Automatik einer Mehrheit zu beschließen. In einem Zeitpunkt, in dem Sie - viele in der SPD und der FDP zähneknirschend, auch mit öffentlicher Kritik aus Ihren Reihen - z. B. die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau kurzfristig radikal kürzen, in dem nicht einmal die eingegangenen Verpflichtungen des Bundes bei laufenden und vereinbarten Hochschulbauvorhaben verwirklicht werden können,
({5})
in dem regionale Wirtschaftsförderung, Agrarstruktur, Küstenschutz und teilweise auch Wohnungsbau, Forschungsförderung nicht in den besprochenen, in Aussicht genommenen Größenordnungen realisiert werden können, in dem der Bund entscheidende Aufgaben für die Zukunftssicherung - Prioritäten auch im Jahreswirtschaftsbericht und in der Debatte hier - nicht angemessen finanziert, ist es
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({6}) nicht vertretbar, die seinerzeit vom Bundesrat abgelehnten Gesetze wie Jugendhilferecht, Verkehrslärmschutzgesetz oder Strafvollzug gedankenlos und unverändert zu beschließen - bei dem einen oder anderen mit der Vermutung, der Bundesrat werde sie ohnehin nicht übernehmen. Wer seine überkommenen Verpflichtungen, vor allem im Bereich der Zukunftssicherung, zur Herstellung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, zur Sicherung der beruflichen Chancen der Jugend, zur Begrenzung des Numerus clausus an unseren Universitäten nicht mehr bezahlen kann, sollte aufhören, weiter Milliarden-Gesetze auf Kosten der Länder, der Gemeinden und des eigenen Bundeshaushalts zu „produzieren".
({7})
Hier, in bezug auf finanzwirksame neue Gesetze auch zu Lasten der Länder und Gemeinden ist das Wort vom Moratorium angebracht. So wird in den Ausführungen der Opposition, aber nach meiner Einschätzung auch in manchen bedenkenswerten Anmerkungen der Bundesregierung und der Sprecher der Koalition ganz klar, daß die jetzt begonnenen Kürzungen in Wahrheit nur ein erster Schritt sind - die Haushaltspolitiker der SPD und der FDP haben das mit wünschenswerter Deutlichkeit gesagt - und daß es für die Mehrheit dieses Hohen Hauses eine harte, bittere, aber auch unabweisbare Aufgabe sein wird, weitere gesetzliche Besitzstände zu überprüfen, weitere Einschränkungen vorzunehmen, insbesondere im konsumtiven Bereich sowie im Bereich bestimmter Subventionen, aber nicht dort, wo es um die Zukunftsinvestitionen für unsere Wettbewerbsfähigkeit, für die Arbeitsplätze, für die Wissenschaft und für die junge Generation geht.
Verzeihen Sie, Herr Ministerpräsident. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jens?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}): Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, würden Sie mir denn zustimmen, daß der Ausbau der Fernwärme von der Sache her eine dringende Aufgabe zur Zukunftssicherung in diesem Lande ist?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}): Ich komme jetzt genau auf diesen Punkt, meine Damen und Herren, nachdem ich zunächst einmal etwas zu den grundlegenden Finanzfragen, den Motiven der damaligen Entscheidung und den heutigen Notwendigkeiten auch im Hinblick auf die Bund-Länder-Beziehungen gesagt habe.
Zur Sache möchte ich folgendes bemerken: Unsere damalige Entscheidung hat für den Bund ausdrücklich die Möglichkeit beinhaltet, seine Mittel für Fernwärmeanlagen, wenn er es will, in vorgesehenem Umfang zur Verfügung zu stellen. Wir haben die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt daran hindern wollen, dies zutun, wenn sie es für vertretbar hält. Wir haben aus prinzipiellen Bedenken und im Hinblick darauf, daß die Länder zu diesem Zeitpunkt keine neuen finanziellen Verpflichtungen eingehen wollten, ausschließlich eine Mischfinanzierung abgelehnt.
Zu der Frage, wie es weitergehen kann, will ich Ihnen gern folgendes sagen: Wir sind in der Tat davon überzeugt, daß ein weiterer und auch zügiger Ausbau der Fernwärmeanlagen für Ballungsgebiete möglich und wichtig ist. Ich sage das übrigens als der Ministerpräsident des Landes, das nach dem heutigen Stand - neben dem Stadtstaat Hamburg - den höchsten Anteil an Fernwärmeversorgung pro Kopf der Einwohner hat, meine Damen und Herren. Wenn es um Leistungen in der Vergangenheit geht, halten wir den Vergleich mit jedem anderen Land aus, auch mit sozialdemokratisch regierten Ländern.
({1})
Im übrigen wollen wir in dieser Frage nicht länger ein Schattenboxen veranstalten. Wir haben ein Konzept diskutiert, von dem ich es für möglich halte, daß es auch von den anderen Bundesländern übernommen wird; das wird demnächst auch Thema der Erörterung der Ministerpräsidenten aller Länder sein. Allerdings müssen wir in die Bilanz der Energiepolitik, vor allem angesichts der finanziellen Enge, natürlich andere Elemente einbeziehen.
Ein Programm, das einmal von der Mehrheit dieses Hohen Hauses beschlossen wurde, dem sich die Länder nur unter Bedenken angeschlossen haben und das jetzt der kritischen Überprüfung bedarf, ist das sogenannte Energiesparprogramm durch Zuschüsse. Wir haben auf Drängen der Bundesregierung, nachdem andere Vorschläge der Länder abgelehnt worden sind, vereinbart, für etwa fünf Jahre einen Betrag von 4,25 Milliarden DM für Zuschüsse zu energiesparenden Investitionen vor allem im privaten Bereich zur Verfügung zu stellen. Die damals befürchteten Schwierigkeiten sind eingetreten: Dieses Programm wird im wesentlichen nicht für neu energiesparende Techniken, sondern für konventionelle Investitionen, also für den Einbau neuer Fenster und Türen, in Anspruch genommen; das wissen auch die Sachverständigen in Ihren Reihen. Aber, was viel schwerwiegender ist, meine Damen und Herren: Hier hat sich der große Nachteil solcher befristeter Zuschußprogramme, auch wenn sie, wie hier, ein Volumen von mehr als 4 Milliarden DM haben, herausgestellt. Nur ein Fünftel bis ein Viertel der Anträge von Bürgern, die diese Mittel in Anspruch nehmen wollen, kann finanziert werden, obwohl diese Anträge im Rahmen der Vorschriften liegen. In Schleswig-Holstein werden mehr als 75% und in Nordrhein-Westfalen, wie ich von den dortigen Landesministern höre, sogar rund 80 % der Anträge von Bürgern abgelehnt, weil die Mittel bereits im Februar und März für das gesamte Jahr vergeben sind.
({2})
Dies ist auch aus rechtsstaatlichen Gründen unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit ein zutiefst unbefriedigender Vorgang.
({3})
Verzeihen Sie, Herr Ministerpräsident; gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}): Ja, gern.
Herr Ministerpräsident, Sie wissen, daß dieses Programm nur je zur Hälfte ein Zuschußprogramm und ein steuerliches Programm ist. Sind Sie, da gerade Sie gefordert hatten, daß es einen steuerlichen Teil dieses Programms geben soll, mit mir der Meinung, daß mehr Menschen als heute den Zuschuß in Anspruch nehmen könnten, nämlich die, die sozial am meisten darauf angewiesen sind, wenn es nicht diese steuerliche Möglichkeit für die gäbe, die nicht darauf angewiesen sind?
({0})
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({1}): Es ist, was die finanzielle Gewichtung betrifft, ganz falsch, zu behaupten, es sei zur Hälfte ein steuerliches Programm. Es gibt ein bescheidenes Element steuerlicher Entlastung, das nach meiner Schätzung - aber ich will die Zahlen gern noch einmal überprüfen - weit weniger als ein Viertel des Finanzvolumens ausmacht. Das bedeutet: Auch wenn wir ein Finanzvolumen von 20 oder 25 % zusätzlich hätten, würde dann die hier beschriebene krasse Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung dadurch nicht behoben. Deswegen ist es eine weit verbreitete Meinung, jedenfalls bei den Bundesländern, die j a manchmal den Vorzug haben, die Wirkungen vor Ort deutlicher zu erkennen als bedeutende und intelligente Beamte in den Bonner Ministerien, daß dieses Programm in dieser Form auslaufen sollte. Nachdem ein Bundesland, nämlich Baden-Württemberg, aus Gründen der Ungleichbehandlung und der unbefriedigenden Erfahrungen die Bundesmittel nicht mehr in Anspruch nimmt und seine Landesmittel anders zur Energieeinsparung einsetzt, sind wir sogar der Meinung, daß wir - die Bundesregierung und die Länder - erörtern sollten, dieses Programm nicht erst Ende 1982, sondern schon Ende 1981 auslaufen zu lassen. Das wird ein Thema der kommenden Monate sein. Das würde uns nämlich einen finanziellen Spielraum eröffnen, in dem wir in einem abgestimmten Verfahren - die Bundesregierung für einen zu definierenden Bereich und die Länder für einen anderen - andere, wirksamere Investitionen für Energieeinsparung fördern könnten. Hierbei können wir dann über ein abgestimmtes Verfahren auch zur verstärkten Förderung der Fernwärme kurzfristig reden - aber nicht in der alten Form der Mischfinanzierung mit diesen ganzen Dotationsauflagen und Nachteilen und der Verwischung der Verantwortlichkeiten, sondern so, daß die Bundesregierung einen bestimmten Bereich in einem Gesamtkonzept übernimmt und die Länder nach Absprache mit ihr einen anderen Bereich übernehmen. Wenn wir auf diesem Weg vorankommen, besteht eine Chance, vielleicht sogar schon bis zur Sommerpause dieses Jahres ein neues Konzept zur Energieeinsparung zwischen Bund und Ländern ohne zusätzliche Mittel, in der
Verwendung der dann auslaufenden Mittel - es handelt sich immerhin um einen Betrag von rund einer Milliarde DM im Jahr - zu nutzen, und zwar unter besonderer Beachtung des Bereichs Fernwärme. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Bundesminister Ehrenberg, damit wird deutlich, daß die Politiker der CDU und CSU in diesem Haus auch konkrete Alternativen und Vorschläge zu wichtigen Fragen vorzutragen vermögen.
({2})
Ich sehe hier wie in anderen Fragen der Energiepolitik aus der Sicht eines von der Christlich Demokratischen Union regierten Bundeslandes sehr viele Berührungspunkte und sehr viele Möglichkeiten der Übereinstimmung mit der Bundesregierung. Das ist es ja, was manche so irritiert: daß ungeachtet aller Gegensätze, die wir haben, in zentralen Fragen der Energiepolitik Deutschlands die CDU/CSU-geführten Bundesländer, insbesondere das Land Schleswig-Holstein, in der Tat mehr Einvernehmen mit der Bundesregierung haben als die Herren Klose, Matthiesen, Jansen, Eppler - und wie sie alle heißen.
({3})
Ich halte das im Gegensatz zu vielen heftigen Kritikern des Bundeskanzlers und des Bundeswirtschaftsministers aus deren eigenen Parteien nicht für einen widernatürlichen Vorgang, sondern für die Anerkennung der Tatsache, daß zentrale Lebensfragen unseres Volkes wie die Energieversorgung zu noch tragbaren Preisen nicht in der bloßen Konfrontation gemeistert werden können, sondern daß vor allem im Bundesstaat, wo Bund und Länder eine jeweils abgestufte Verantwortung tragen, diese Gemeinsamkeit und diese Zusammenarbeit notwendig sind.
Wer nun meint, das alles, was jetzt so diskutiert wird, Kernenergie und Brokdorf und wie das heißt, immer nur entsprechend der Frage behandeln zu müssen: „Wie treten wir dem anderen vors Schienbein? Wie legen wir ihn rein? Wie können wir die letzte Landtagswahl noch korrigieren oder die nächste Landtagswahl gewinnen?" - ich höre das ja auch in Norddeutschland von sozialdemokratischen Politikern in Regierungsämtern -, dem kann ich nur sagen, er versündigt sich an den Lebensinteressen unseres Volkes und dem, was die Menschen von uns erwarten.
({4})
Meine Damen und Herren, ich bin in diesen Auseinandersetzungen in vielen Jahren erfahren geworden und nachdenklich, aber ich bin unverändert bereit, das zu sagen und das zu tun, was aus der Verantwortung für die Bürger unseres Landes und für unseren Beitrag in der Politik der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist. Denn eins ist ja doch wie ein roter Faden durch diese Debatte hindurchgegangen, gar nicht in einem fundamentalen Gegensatz zwischen den politischen Lagern hier, gestern unterstrichen durch die dramatische Entscheidung der Notenbank und die sehr ernste, nachdenkliche Begründung, die Herr Pöhl in den Medien, im deutschen Fernsehen gegeben hat: die Sorge über die Zu1088
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({5})
kunft unserer Wirtschaft, der Arbeitsplätze wächst. Ich sage das ohne jeden Ton von Panikmache. Wir müssen auf diese Sorge und Unruhe eine Antwort geben, aber nicht in der Art mancher Schönrednereien und strammer Sprüche aus der Zeit vor dem 5. Oktober, sondern eine Antwort aus der Sache, indem wir die Ursachen für schwere Fehlentwicklungen wirklich von Grund auf korrigieren. In der Entwicklung der Leistungsbilanz ist ja - auch der Bundeswirtschaftsminister hat es klargemacht - der ständigen Anstieg der Energiepreise - vor allem des Öls, aber nicht nur des Öls - zu jener schweren Hypothek geworden.
Was bedeutet das eigentlich, meine Damen und Herren, wenn sich seit 1978, in wenig mehr als zwei Jahren, eine positive Leistungsbilanz durch eine Veränderung um 48 Milliarden DM auf ein Minus von 30 Milliarden DM verringert hat? Natürlich spielt hier das Mißlingen der 1973 formulierten Ziele der Bundesregierung in der Energiepolitik eine entscheidende Rolle - Mißlingen nicht in jedem Einzelelement, aber in den damals insgesamt gesetzten Zielen und in den zeitlichen Vorstellungen. Es ist schon ein bedrückender Sachverhalt, daß die Bundesbank durch die dramatische Verschlechterung der Leistungsbilanz in eine so bedrängte Lage gekommen ist, daß sie den Spielraum der Geld- und Kreditpolitik für Wirtschaftsbelebung, für Arbeitsmarktpolitik nicht einsetzen kann. Aber, meine Damen und Herren von der SPD - ich sage das denjenigen, die mit bestimmten anderen jetzt eine sehr deutliche, zum Teil auch massive Kritik an der Notenbank üben - : Sie müssen sich fragen, ob Sie nicht durch Fehler und Versäumnisse auch in der Energiepolitik und in anderen Bereichen die Bundesbank in diese Lage hineingezwungen haben, in der sie jetzt das Unvermeidliche tut. Ich halte das bei aller Sorge für richtig, was sie gestern entschieden hat. Sie müssen die Ursachen für diesen Spannungszustand beseitigen. Sie müssen der Notenbank durch verantwortliche Politik den Spielraum wiedergeben und sie nicht zum Prügelknaben für eigene Versäumnisse machen. Das ist es, glaube ich, was man Ihnen zu raten hat.
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Deshalb ist es eine so zentrale Frage, ob endlich das Energieprogramm der Bundesregierung in allen wesentlichen Elementen, auch im Bereich der Kernenergie, nicht nur hier im Bundestag erläutert und beschlossen wird, sondern auch in den Konflikten vor Ort von den Abgeordneten und den Mitgliedern der Regierungsparteien mit uns glaubwürdig vertreten wird.
In dem Zusammenhang muß ich natürlich noch ein paar Sätze zu dem Stichwort Brokdorf sagen. Gestern ist von einem der Sprecher der SPD ein bißchen Kritik an uns geübt worden. Das kann ja sein, nur muß die Kritik stimmen, sie muß auf Fakten beruhen und nicht auf Unterstellungen. Es gibt zur Vorgeschichte auch in dieser Woche wieder den Versuch einer Legendenbildung. Wenn eine große Hamburger Wochenzeitung, „Die Zeit", behauptet, wir hätten damals die Gemeinde gezwungen, diesen Standort zu benennen, dann ist das eine jener Ungereimtheiten, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Der Standort Brokdorf ist Ende 1973 - ich habe mir die Protokolle der Kabinettsberatungen noch einmal angesehen - vom Landeskabinett festgelegt worden, natürlich nach Gesprächen mit Gemeinde und Kreis. Der Ausgangspunkt für diese Kabinettsentscheidung der schleswig-holsteinischen Landesregierung war der damalige dringende Appell des Bundeskanzlers Willy Brandt nach dem ersten Ölschock an die Regierungschefs der Länder, schnell weitere Standorte für Kernkraftwerke zu bestimmen, meine Damen und Herren.
({7})
Aus dieser Kontinuität kommen auch Sie als Sozialdemokraten nicht heraus. Es hat mich schon 1976 bestürzt, mit welcher Hemmungslosigkeit man uns kurz nach jenen dramatischen Vorgängen 1973 attackiert hat, obwohl man uns wenige Jahre vorher gebeten hatte, weitere Standorte für Kernkraftwerke zu benennen. Das waren zum Teil dieselben Leute, meine Damen und Herren.
({8})
Ich habe das in sehr unangenehmer Weise vor meiner letzten Landtagswahl erlebt, als die Sozialdemokraten Schleswig-Holsteins auf die merkwürdige Idee kamen, eine Landtagswahl zu einer Volksabstimmung gegen ein Kernkraftwerk machen zu wollen, das in dieser Form einmal benannt war - in den ersten Jahren ausdrücklich begrüßt und unterstützt auch von der SPD des Landes. Es ist einer der entscheidenden Fehler des Bundeskanzlers Schmidt gewesen, daß er unter diesem Motto „Volksabstimmung gegen Brokdorf", d. h. gegen seine und Brandts Politik, den Genossen im Lande Wahlhilfe geleistet hat. Das darf ein Bundeskanzler nicht, meine Damen und Herren.
({9})
Die Folgen dieser Fehler - es wurden Parteiraison, Parteitaktik über das Staatsinteresse gestellt - muß er heute tragen, wenn ihn seine Genossen in Schleswig-Holstein und anderswo in einer geradezu unwürdigen Weise beschimpfen und attackieren, indem sie ihm sagen: Das hast du 1979 erklärt oder nicht gesagt, und jetzt redest du anders.
In der Sache hat es in der Einschätzung der Notwendigkeit zwischen dem Bundeskanzler Schmidt, der Bundesregierung und uns niemals eine Differenz gegeben. Was wir jetzt im „Kölner Stadt-Anzeiger" lesen können über die Bewertung des letzten Parteitagsbeschlusses der SPD durch Herrn Schmidt, sind keine vollkommen neuen Erkenntnisse, meine Damen und Herren.
({10})
Es ist eine andere Einschätzung der politischen Lage, auch in der eigenen Partei, weil eben jetzt zu der Konfrontation in der Kernenergie auch die in der Sicherheitspolitik hinzukommt und der Bundeskanzler wohl eingesehen hat, daß er diese Auseinandersetzung aufnehmen muß. Er muß sie aufnehmen. Es wäre besser gewesen, er hätte es 1979 auf ParteiMinisterpräsident Dr. Stoltenberg ({11}) tagen und auch vor Ort in derselben Deutlichkeit getan.
({12})
Insofern wissen wir uns in der Sache mit der Bundesregierung einig. Die Dringlichkeit ist wesentlich größer geworden.
Ich will zur Vorgeschichte hier noch sagen: Wir haben damals die Zustimmung der Gemeindevertretung gewonnen und die Zustimmung des Kreistages. Die Befürworter des Kernkraftwerks Brokdorf in der Gemeinde und in der Wilster Marsch im Kreis Steinburg sind seitdem in demokratischen Wahlen bestätigt worden, zum Teil mit deutlichen Mehrheiten, zum Teil mit knappen Mehrheiten. Für mich muß in der Einschätzung der Haltung der Bevölkerung - das ist mein demokratisches Verständnis - auch vor Ort, letzten Endes maßgebend sein, wie eine geheime und demokratische Wahl ausgeht, wenn eine solche große Kontroverse eine Landschaft bestimmt. Ich kann in der Bewertung der Haltung der Bevölkerung nicht danach gehen, wer nun am lautesten und erregtesten Schlagzeilen produziert oder wer von zum Teil sehr einseitigen Redakteuren des „Norddeutschen Rundfunks", des Fernsehens und von anderen Leuten am längsten vor die Kameras gestellt wird, wer unterstützt wird und wer diffamiert wird. Das ist nicht der Maßstab für die demokratische Beurteilung der Haltung der Bürger dort.
({13})
Die Haltung der Bürger in demokratischen Wahlen und natürlich die Mehrheitsentscheidungen von Parlamenten und Regierungen und die Urteile der Gerichte sind für uns Maßstab. Die Gerichte haben ein mehrjähriges Moratorium bewirkt. Wir haben durch eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts in Schleswig fast drei Jahre warten müssen - mit einiger Bitterkeit, auch über die rechtliche Qualität. In dem Hauptverfahren und in den Folgeverfahren haben dasselbe Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht, wie Sie wissen, mittlerweile die erste Teilerrichtungsgenehmigung für Rechtens erkannt. Ich will zum Thema „Sicherheit" aussprechen, was viele Menschen nach wie vor beunruhigt. Die Reaktorsicherheitskommission und der Bundesinnenminister haben im letzten Jahr mit äußerster Gewissenhaftigkeit in einem langen Verfahren das Sicherheitskonzept noch einmal auch im Lichte der neuen Entwicklungen - etwa der Risikostudie, die Sie in diesem Hohen Hause kennen - oder auch der Diskussion nach Harrisburg geprüft und begutachtet. Die Reaktorsicherheitskommission und der Bundesinnenminister haben uns für das weitere Verfahren bestätigt, daß die zweite Teilerrichtungsgenehmigung möglich und vertretbar ist.
Wir müssen die Sicherheitsdiskussion mit den demokratischen Gegnern der Kernenergie weiter offen führen. Wir müssen uns alle miteinander den Befürchtungen und Angsten in dieser Debatte stellen. Letzten Endes aber hat das rechtsstaatliche Verfahren - von diesem Hohen Hause einmal einstimmig beschlossen - mit seinem Zusammenwirken der
hervorragendsten Fachwissenschaftler, des Bundes und der Behörden des Landes zu diesem Ergebnis geführt.
Ich will neben der rechtlichen Begründung auch noch eine energiewirtschaftliche geben. Nehmen wir die letzten sorgfältigen Studien, nicht nur die des Energieversorgungsunternehmens Nordwestdeutsche Kraftwerke, zu dem wir Vertrauen haben. Es gehört auch zu einem schäbigen Sprachgebrauch, in diesen Monaten in bestimmten Publikationen und in bestimmten Sendungen von Fernsehen und Rundfunk die Energieversorgungsunternehmen - die sich überwiegend noch im Staatsbesitz, weitgehend im Besitz des Bundes oder, in Hamburg, des Hamburger Senats, befinden -, die ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen, als „Atomlobby" oder „Vertreter von Kapitalinteressen" abzuqualifizieren.
({14})
Auch das halte ich in dieser Diskussion für einen ganz miserablen Stil. Ich bin nicht ihr Anwalt, aber ich nehme ihren gesetzlichen Auftrag ernst.
({15})
- Bitte? - Ich spiele doch nicht mit Ihnen herum. Ich rede hier zur Sache. Ich weiß, sehr geehrter Herr Kollege, wie die Hamburger Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der HEW über diese Dinge denken.
({16})
Wir müssen nach diesen Untersuchungen davon ausgehen, daß in Norddeutschland ein Kernkraftwerk Brokdorf trotz der eingetretenen Preissteigerungen - ({17})
- Verehrter Herr Kollege, ich könnte eine ganz andere Rede halten. Das kann ich Ihnen sagen! Wenn ich zum Thema „innere Sicherheit, Terror und Gewalt" käme, könnte ich noch eine ganz andere Rede halten. Ich muß mich etwas zurückhalten, um das nicht zu tun.
({18})
Nur wären Sie dann nicht gemeint. Fühlen Sie sich nur nicht angesprochen, wenn Sie nicht gemeint sind.
Dies ist ein öffentliches Thema. Es muß doch möglich sein, im deutschen Parlament - auch mit einem Stück Entschiedenheit - das anzusprechen, was die Menschen angeht und in ganz unglaublicher Weise bewegt und beunruhigt.
({19})
- Ja, gut, wenn Sie das stört, meine Damen und Herren, dann können Sie das ja Herrn Wehner beim nächsten Mal in Ihrer Fraktionssitzung sagen. Ich glaube, daß ich mich gegenüber anderen in diesem Hohen Hause doch durchaus so ausdrücke, wie es
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({20}) den parlamentarischen Formen des Deutschen Bundestages angemessen ist.
({21})
Das müssen Sie mir schon gestatten, meine Damen und Herren.
Ich habe den gestrigen Tag im Kreis Steinburg verbracht und mit Bürgermeistern, mit Bürgern und mit Polizeibeamten geredet, und ich muß mich sehr zusammennehmen, um hier nicht in einer ganz anderen Weise zu reden - das will ich Ihnen einmal sagen, verehrter Herr Kollege -, auch was bestimmte Texte Ihrer politischen Freunde betrifft.
({22})
In Norddeutschland müssen wir nach den letzten Untersuchungen davon ausgehen, daß trotz der eingetretenen Preissteigerungen ein Kernkraftwerk wie Brokdorf den Strom jährlich um 300 bis 400 Millionen DM günstiger als ein Kohlekraftwerk anbieten kann. Das gilt für unsere Region.
Auch muß man in dieser energiepolitischen Diskussion einfach zur Kenntnis nehmen, daß auf dem Gebiet der Importkohle, der wir ja für unsere Region eine größere Chance eröffnen möchten - wir führen immer noch eine Diskussion mit der Bundesregierung über die Bedingungen für die Importkohle -, in den letzten vier Monaten ein Preisanstieg von 50% erfolgt ist.
({23})
Ich habe dieser Zahl zunächst nicht getraut und durch meine Mitarbeiter bei den Hamburger Importeuren einmal nachfragen lassen. Sie haben mir folgendes gesagt: Der Importkohlepreis für Hamburg und entsprechend für Kiel und Flensburg betrug im Oktober 1980 104 DM pro Tonne und im Februar 1981 151 bis 172 DM pro Tonne. Sicher spielen die besonderen Entwicklungen in Polen eine wesentliche Rolle. Es gibt aber unter den Sachverständigen Zweifel daran, daß dies in wenigen Monaten korrigiert werden kann. Ein solch dramatischer Auftrieb der Preise bei einem anderen bedeutenden Element der Energieimporte zeigt mir - auch dies bewegt mich; da bitte ich sehr um Entschuldigung, meine Damen und Herren -, daß wir diese steigenden Energiekosten - wenn ich die Existenznot unserer Bauern und Fischer und der mittelständischen Betriebe und die steigende Arbeitslosigkeit in einem Grenzland wie Schleswig-Holstein bedenke - ohne schwerste wirtschaftliche und soziale Nachteile nicht mehr lange ertragen können.
({24})
Es ist auch eine verbreitete Legendenbildung - gestatten Sie mir diese kurze parteipolitische Bemerkung -, daß die norddeutsche SPD geschlossen den Ausbau der Kernenergie in Verbindung mit dem sogenannten Symbol Brokdorf ablehne.
({25})
- Das ist eine Legendenbildung, wie ich gerade sagte. Nein, das stimmt nicht. Wenn ich sage, daß das
eine Legendenbildung ist, so sage ich damit in verständlichem Deutsch, daß es nicht stimmt.
Ich sage das nur zu den ständig in den Medien wiedergegebenen Argumenten der Herren Klose, Jansen, Matthiesen und anderen. Ich habe mit Interesse gelesen, daß die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Niedersächsischen Landtag vor wenigen Tagen ausdrücklich dem Konzept eines Genehmigungsverfahrens für ein neues Kraftwerk in Lingen zugestimmt hat. Lingen gehört im allgemeinen Verständnis auch zu Norddeutschland. Das ist also ein falsches Argument. Aber wenn das so ist - das muß ich hier einmal sagen; wer immer sich davon angesprochen fühlt, lasse ich in diesem Hause offen -, dann ist es ein zutiefst irrationaler Vorgang zu sagen: über Brokdorf muß der Ausstieg aus der Kernenergie eröffnet werden. Es darf zwar in Krümmel gebaut werden, wo es, nebenbei bemerkt, nicht einmal einen Bauzaun gibt, weil die Bürger und auch alle Parteien dort auf der Grundlage des „alten" Forschungszentrums, das etwa seit 20 Jahren besteht, dies einmütig bejahen. Krümmel liegt im Kreisherzogtum Lauenburg. Aber es darf nicht mehr in Brokdorf gebaut werden, weil die „Option" in der Sprache des früheren Abgeordneten und jetzigen Senators Ueberhorst und anderer verlorengeht. Wenn man dies sagt und zugleich im Nachbarland die Sozialdemokraten ein neues Genehmigungsverfahren für Lingen in Niedersachsen bejahen, so ist das ein Bruch in der Argumentation auch der norddeutschen SPD, der hier in diesem Hohen Hause einmal offen und ohne Polemik angesprochen werden muß. Das ist ein zutiefst irrationaler Vorgang.
Streit um Kernenergie ist legitim. Opposition und friedliche Demonstration, das Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten gegen Kernenergie gehören zu dem Spielraum, den unsere Verfassung eröffnet. Ich kann den Herrn Jansen und Herrn Matthiesen auch nicht daran hindern, jetzt zu sagen: Wir wollen die nächste Kommunalwahl dort in einem Jahr und die nächste Landtagswahl in zwei Jahren nochmals zur Volksabstimmung gegen Brokdorf machen. Dabei werden sie sagen müssen: Dann werden wir den Wahlkampf gegen Stoltenberg und Schmidt führen. Das wird dann ganz interessant; vielleicht verbinden sich damit gewisse Vorstellungen über die Entwicklung der politischen Situation des Herrn Schmidt in den nächsten zweieinhalb Jahren, die ich hier nicht näher erörtern will.
Aber - das sage ich hier deutlich - in diesen Tagen überschattet die Sorge um den inneren Frieden und die innere Sicherheit in Schleswig-Holstein und speziell in der Wilster Marsch und in benachbarten Städten alles. Wir haben die bundesweiten Aufrufe für Großdemonstrationen, in vielen Texten kaum noch verhohlen oder ganz offen für organisierte massive Gewaltanwendung. Steine, Brandsätze, Schlaginstrumente, Stahlkugeln mit Katapulten werden bestimmten Gruppen radikalisierter und fanatisierter Gegner der Kernenergie offenbar zur Ultima ratio im Ringen um die Energiepolitik unseres Landes, nachdem sie die Wahlen verloren haben, nachdem sie überhaupt keine Chance bei demokraMinisterpräsident Dr. Stoltenberg ({26}) tischen Wahlen hatten, soweit sie mit Splittergruppen angetreten sind, nachdem die Gerichte und Parlamente entschieden haben.
Auch dies gehört ein bißchen, in gewisser Weise sogar zentral, zu den hier viel zitierten Rahmenbedingungen für energiewirtschaftliches und politisches Handeln. Es berührt die Frage des Rechts und der inneren Sicherheit. Ich kann viele Texte in diesen Tagen, die praktisch unkommentiert durch die Medien laufen, nur mit Abscheu zur Kenntnis nehmen. Da gibt es diesen famosen Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz mit der Zentrale in Karlsruhe, eine Organisation, die vor einiger Zeit verständlicher Weise auch Bundesministern und Landesministern, zeitweise auch uns als ein ernsthafter Gesprächspartner erschien. Die Texte, die diese Karlsruher Zentrale des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz veröffentlicht, können nur zu tiefster Bestürzung Anlaß bieten. Kampagnen gegen die Gerichte, Polemik gegen die Rechtsordnung, der Staat und die Energieversorgungsunternehmen als „Gewaltapparat", die Polizeibeamten, die dort ihre Pflicht tun müssen, als Unterdrückungsinstrument, „Widerstand" als Reizwort für die kaum noch unterdrückte oder verschleierte Befürwortung von Gewalt - so weit sind diese Leute heruntergekommen. Diese radikalen Umweltschützer werden jetzt die radikalsten politischen Umweltverschmutzer, die wir in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben.
({27})
Ich kann hier bei aller Härte der Kontroverse Einvernehmen auch mit dem Hamburger Bürgermeister Klose, mit dem Landesvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Herrn Jansen, mit dem Landesvorsitzenden der Freien Demokratischen Partei, Herrn Ronneburger, mit dem die Kontroversen in der Energiepolitik auch nicht mehr so stark sind wie mit den Sozialdemokraten, darüber feststellen, daß wir allen friedlichen Gegnern der Kernenergie nur dringend abraten können, am kommenden Sonnabend mit den organisierten Gewalttätern, mit kriminellen Elementen und anderen in die friedliche Wilster Marsch einzumarschieren und dort Schrekken und Gewalt für die Menschen und für die Polizeibeamten zu verbreiten.
({28})
Es war für mich gestern ganz eindrucksvoll, daß die 15 Bürgermeister aus der Region bzw. den Städten der Wilster Marsch, bei denen ich gestern war - sie sind nicht alle meine politischen Freunde; zumindest einer von ihnen hat sich in den vergangenen Jahren sehr aktiv an friedlichen Demonstrationen und Kundgebungen gegen das Kernkraftwerk Brokdorf beteiligt -, mich alle ermächtigt haben - einige haben mich gebeten, es heute auch hier im Deutschen Bundestag zu sagen, weil solche Aufrufe ja im Rundfunk und Fernsehen nicht erscheinen; demgegenüber erscheint jede Bekundung eines Landesverbandes der Jungsozialisten für eine Teilnahme bei Demonstrationen gegen Brokdorf sofort abends im Fernsehen -,
({29})
daß diese gewählten Kommunalpolitiker, unabhängig von ihrer parteipolitischen Orientierung, unabhängig von ihrer Einschätzung des Kernkraftwerkprojektes Brokdorf, mich gebeten haben, gestern vor der Presse und ebenfalls heute hier im Bundestag die dringende Erwartung der Bürger dieser Region zu bekunden, daß die friedlichen Gegner der Kernenergie nicht wieder, wie zuletzt in Hamburg bei den Demonstrationen in Verbindung mit dem SPD-Parteitag, die Kulisse und damit ungewollt die Hilfsorgane für die Kriminellen und die Gewalttäter darstellen. Ich will dies hier sagen.
Die Saat dieser üblen Parolen und Texte geht auf. Die Bürgermeister haben mir gestern gesagt, daß eine Reihe von Bürgern und Bauern in diesen Tagen mit anonymen Anrufen bedroht werden, man werde am kommenden Sonnabend ihre Häuser abbrennen. Ich habe es vor einer Woche erlebt, daß die Frau des Mitarbeiters einer Landesbehörde, der an der Lösung eines Spezialproblems des Genehmigungsverfahrens mitarbeitet und sich nicht in leitender Stellung befindet, mittags um 12 Uhr zu Hause einen Telefonanruf mit der Mitteilung bekam, ihr Sohn sei vor einer Stunde tödlich verunglückt. Dies wurde unter Nennung des Namens und der persönlichen Lebensumstände des Sohnes mitgeteilt. Der Junge kam eine Stunde später nach Hause.
Hier entwickelt sich ein Sadismus, hier entwickelt sich eine verbrecherische Gesinnung, für die auch diejenigen Mitverantwortung tragen müssen, die die Parolen der Gewalt und des Hasses in offenen Aufrufen verbreiten.
({30})
Ich kündige hier, wenn schon von Widerstand die Rede ist, den entschiedenen Protest und den Widerstand der schleswig-holsteinischen Landesregierung, aber auch vieler anderer, für die ich spreche, gegen diese Methoden an, mit Gewalt, Hetze und Fanatismus die existentiellen Lebensprobleme unseres Volkes lösen oder beeinflussen zu wollen. Wer bei Wahlen nicht gewinnt, wer bei Gerichten unterliegt, wer demokratische Mehrheitsentscheidungen, Entscheidungen der Bundesregierung und der Länder zur Kenntnis nimmt, muß letzten Endes auch als Minderheit diese Entscheidungen akzeptieren.
Hier geht es um ein Kernstück unserer Energiepolitik und Energieversorgung. Hier geht es aber auch um die Zukunft der Rechtsstaatlichkeit, der Humanität und der Toleranz in unserem Lande. Ich habe in jenem Papier des Karlsruher Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz auch gelesen, jetzt gehe es um Brokdorf. Morgen gehe es um die NATO-Stützpunkte, auf denen die Amerikaner, wie man annimmt und unterstellt, ihre nuklearen Sprengsätze lagern. Es ist ja kein Zufall, daß eine einschlägig bekannte Illustrierte in diesen Tagen die sensationell aufgemachten Artikel veröffentlicht hat, die gestern hier in der Fragestunde des Bundestages eine Rolle gespielt haben. In den letzten Tagen haben die Kreisverbände der Deutschen Kommunistischen Partei begonnen, Landräten und Oberbürgermeistern offene Briefe zu schreiben, in denen sie sie um Auskunft ersuchen - in diesen Tagen! -, ob denn in ihrem Kreis oder in ihrer Stadt auch ent1092
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({31}) sprechende Vorkehrungen des westlichen Bündnisses und der Amerikaner getroffen worden seien.
Das Bild rundet sich ab. Diese Auseinandersetzung hat längst die Frage des Für und Wider der friedlichen Nutzung der Kernenergie im allgemeinen oder an bestimmten Orten überschritten. Die Sorge, die demokratische Opposition mancher Bürger, die wir zu respektieren haben, wird von bestimmten Drahtziehern in der Publizistik und in der öffentlichen Diskussion zu einem Generalangriff gegen die Grundlagen der äußeren Sicherheit und der wirtschaftlichen Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, zu einem zentralen Angriff gegen Gewaltlosigkeit, Toleranz und den Rechtsstaat mißbraucht. Wir alle sind gefordert, auch die öffentlich-rechtlichen Medien, auch die Träger der öffentlichen Meinung, aus Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und Volkes Widerstand zu leisten. - Ich danke Ihnen.
({32})
Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedaure es ein wenig, daß es die Terminplanung so mit sich gebracht hat, daß wir heute die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht zu Ende führen, während gleichzeitig der Bundesrat tagt und dort über Fragen diskutiert und entscheidet, die sich mit den Themen, die hier eine Rolle spielen, überschneiden. Sie haben es vorgezogen, Herr Ministerpräsident - ich verstehe das insbesondere nach dem letzten Teil Ihrer Ausführungen -, heute an unserer Diskussion teilzunehmen.
Ich verstehe es deswegen, weil ich Ihre Schlußbemerkungen teile, daß es bei der Diskussion um die Ereignisse des kommenden Samstags in Ihrem Bundesland nicht - jedenfalls nicht ausschließlich und wahrscheinlich auch kaum überwiegend - um das Thema der Energieversorgung, um die Besorgnisse und Ängste ernst zu nehmender Teile unserer Bürger wegen der friedlichen Nutzung der Kernenergie geht,
({0})
sondern weil es nach allem, was man aus den Quellen, die Sie zitiert haben, und anderen hört, ganz offensichtlich um mehr geht: um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen unserer staatlichen Ordnung, mit Folgen für die demokratische Willens- und Entscheidungsbildung in unserer Ordnung.
({1})
Das wird an einem Beispiel besonders deutlich sichtbar. Wenn sich die Deutsche Kommunistische Partei in die Reihen derjenigen stellt, die zu Demonstrationen gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie in unserem Lande aufruft, während gleichzeitig wenige Kilometer Luftlinie von Brokdorf
Kernenergie genutzt wird unter Sicherheitsvorschriften, die wir für unzulänglich halten und die weit hinter den unseren zurückbleiben, dann ist offengelegt, um was es hier in Wirklichkeit geht.
({2})
Sie haben, Herr Ministerpräsident, die Bereitschaft der demokratischen Parteien in Ihrem Bundesland und vor allem auch die Bereitschaft derjenigen erwähnt - nämlich der sozialdemokratischen Parteiführer in Schleswig-Holstein -, die entschieden gegen den Ausbau von Brokdorf sind, sich gegen die Gewalttätigkeit, gegen den Einsatz ungesetzlicher Mittel bei dem Ausdruck des Protestes und der Demonstration auf Ihre Seite zu stellen. Ich halte das für ein wesentliches und gutes Zeichen in dem Sinne, daß demokratische Sitten und daß - hier nehme ich einmal selber das Wort in den Mund, das mir sonst reichlich abgenutzt erscheint - die Solidarität der Demokraten in unserem Lande bezüglich der Grundlagen dessen, was wir für notwendig halten, stimmen.
({3})
Ich versichere Sie, Herr Ministerpräsident: Wenn es um die Abwehr von Gewalt geht, wenn es um die Abwehr von Terrorismus geht, dann haben Sie selbstverständlich im Bundesland Schleswig-Holstein und in dieser Auseinandersetzung am nächsten Wochenende die Bundesregierung voll auf Ihrer Seite.
({4})
Ich wünschte mir, daß es Ihnen und den Sicherheitskräften in Schleswig-Holstein gelingt - niemand von uns beneidet die Polizisten, die dort eingesetzt werden müssen, und niemand von uns, meine Damen und Herren, möchte deren Rolle übernehmen; sie sind in einer schwierigen Lage und bedürfen unserer Unterstützung -,
({5})
so zu verfahren und so erfolgreich zu operieren, wie das damals bei den Demonstrationen in Kalkar der Fall gewesen ist.
Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Die Polizeieinsätze in Kalkar wurden damals von einem Innenminister geleitet, der entschieden gegen den Ausbau von Kalkar ist. Dies ist die notwendige demokratische Grundhaltung in unserem Lande, die damals durch unseren jetzigen Kollegen Hirsch zum Ausdruck gebracht worden ist.
({6})
Herr Ministerpräsident, was Brokdorf und die energiepolitischen Notwendigkeiten anlangt, habe ich mich gestern nach dem Beitrag Ihres niedersächsischen Kollegen für die Bundesregierung geäußert. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Ich habe dies in den vergangenen Diskussionen, insbesondere in der Haushaltsdebatte, getan. Herr Ministerpräsident Stoltenberg, Sie wissen - auch und besonders aus den jüngsten öffentlichen Erklärungen des Bundeskanzlers -, daß wir die von Ihnen getroffenen Entscheidungen für richtig und notwendig halten.
Ich bleibe dabei, daß ich Ihre Entscheidung, was das Fernwärmeprogramm anlangt, für falsch halte.
({7})
Wir haben darüber immer Meinungsverschiedenheiten gehabt. Ich bleibe auch deswegen dabei, Herr Ministerpräsident, weil gerade hinsichtlich der Notwendigkeit und der Entscheidungen für den Ausbau von Brokdorf die positive Entscheidung für die Fernwärmeversorgung in Schleswig-Holstein vielleicht etwas von der Emotionalität, die Sie beklagen, aus der Diskussion hätte herausnehmen können.
({8})
Ich nehme hier für die Bundesregierung zur Kenntnis, daß Sie der Meinung sind, daß wir schon Ende dieses Jahres mit den Ländern über eine Fortsetzung des Energiesparprogramms verhandeln sollten. Wir sind dazu bereit. Das liegt im Rahmen dessen, was der Kollege Mitzscherling heute als eine vernünftige Aktivität der Bundesregierung im Hinblick auf die Beeinflussung auch der wirtschaftlichen Entwicklung bezeichnet hat. Wir werden diese Gespräche offen und, wie ich hoffe, vertrauensvoll und mit guten Ergebnissen miteinander führen können.
Ich darf eine persönliche Bemerkung hinzufügen, weil mich ein bißchen die Reaktion gewundert hat, als der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein sich für diejenigen einsetzte, die in der Öffentlichkeit als die „Atomlobby" diskriminiert und bezeichnet werden. Wenn jemand im Hause der Auffassung sein sollte, es sei hier nicht der Platz, die Vorstände der Energieversorgungsunternehmen zu verteidigen, dann bin ich gern in der Lage, ihm, wenn er meint, das mit Kompetenzdenken begründen zu sollen, darzutun, daß auch der Bundeswirtschaftsminister als „Atomlobby" bezeichnet wird. Vielleicht darf er sich in diesem Hause gegen solche Vorwürfe verteidigen.
({9})
Meine Damen und Herren, ich bin in der Lage, Ihnen zahlreiche Dokumente vorzulegen, in denen diese Bezeichnung, gerichtet an meine Adresse, vorkommt. Ich habe mich bisher darüber nicht aufgeregt; aber ich will es hier einmal erwähnen.
Im übrigen, Herr Ministerpräsident Stoltenberg: Es ist für uns nichts Neues, wenngleich die von Ihnen skizzierte Entwicklung hinsichtlich der Importkohlepreise, die jetzt eintritt, schon recht dramatisch ist, daß hier ein Preisanstieg zu verzeichnen ist. Wir haben nämlich immer gesagt, daß es einen generellen Wärmepreis geben wird und muß und daß nicht eine Primärenergieart bei der Preisentwicklung auf den Ölmärkten auf Dauer hinterherhinken wird. Das wird es nicht geben. Es wird Preisunterschiede geben; sie sind auch in der Handhabbarkeit und Bequemlichkeit begründet. Aber im übrigen, meine Damen und Herren, haben wir uns darauf einzurichten, daß das Energiepreisniveau aller Primärenergieträger weiter ansteigen wird. Von dieser Grundlage und von dieser Position aus müssen wir unsere Energiepolitik sehen, konzipieren und betreiben.
Meine Damen und Herren, im Verlaufe dieser Debatte haben mehrere Kollegen - Herr Mitzscherling, Herr Blüm, Herr Kiep; ich könnte andere aufzählen - von der Notwendigkeit des sozialen Konsenses in unserem Lande gesprochen. Das deckt sich völlig mit der Auffassung der Bundesregierung und mit dem, was ich gestern - der Kollege Ehrenberg hat es noch einmal zitiert - gesagt habe. Wenn die Konzertierte Aktion gewissermaßen als Symbol für diesen sozialen Konsens gesehen wird - sie ist glücklicherweise nur ein Zeichen dafür, hoffentlich, da bin ich sicher, nicht das entscheidende; der soziale Konsens besteht auch, wenn die organisierte Konzertierte Aktion durch einzelne Gespräche und zahlreiche Gesprächskontakte ersetzt wird -, so sage ich noch einmal für die Bundesregierung: Wir hätten eine Neuauflage der Konzertierten Aktion - allerdings in veränderter Form - gerne. Ich glaube, es hat nicht in erster Linie an der Bundesregierung gelegen, daß dieser Gesprächskreis bisher nicht wieder zustande gekommen ist.
Aber ich habe sehr wohl verstanden, Herr Blüm, daß Sie gemeint haben, zu gewissen Spannungen im Verhältnis zwischen Bundesregierung und DGB habe der Bundeswirtschaftsminister das Seine beigetragen. Ich will das gar nicht bestreiten. Das ist ein schwieriges Kapitel; es ist vor allen Dingen dann schwierig, Herr Blüm, wenn man der Auffassung ist, daß jedwede Diskussion in unserem Lande offen und ehrlich und gemäß der eigenen Überzeugung geführt werden muß.
({10})
Dazu sage ich Ihnen: Ich halte mich fern von verletzender Kritik an irgend jemandem - ich schlage schon manchmal zu, aber ich nehme auch etwas hin -,
({11})
aber, meine Damen und Herren, das, was ich für richtig erkenne und für notwendig halte und was ich als meine subjektive Wahrheit ansehe - ich habe hier im Hause schon einmal gesagt: das muß ja nicht richtig sein, aber es ist meine Überzeugung -, werde ich zur wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussion, soweit sie zu meiner Verantwortung gehört, auch zukünftig einbringen und mich von niemandem davon abbringen lassen. Denn, Herr Kiep, dies ist ja wohl die Grundlage für das von Ihnen zu Recht geforderte Vertrauen der Öffentlichkeit - nicht nur der Wirtschaft, sondern der Öffentlichkeit insgesamt - in politische Haltung, nicht nur in die Haltung der Regierung.
Im übrigen: Ich sehe sehr wohl, daß für die Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten eine entscheidende, eine tragende Rolle bei der Entwicklung dieses sozialen Konsenses und beim Wiederaufbau der Bundesrepublik gespielt haben, schwierige Zeiten heranbrechen. Für eine große und einflußreiche Organisation, die Aufträge und Wünsche ihrer Mitglieder zu erfüllen und zu berücksichtigen hat und die über einen immer mehr eingeengten Spielraum verfügt, in dem sie sich bewegen
kann, weil die Verteilungsspielräume ebensowenig vorhanden sind wie die Möglichkeiten positiver Einflußnahme auf Sozialgesetze, auf Verteilungsmöglichkeiten des Staates, wird es außergewöhnlich eng. Ich glaube, dafür muß man Verständnis haben, und daraus erklärt sich sicherlich auch manche Gereiztheit, manche Empfindlichkeit und manche überempfindliche Reaktion. Vermutlich kann das nicht anders sein.
Ich sprach vorhin davon, meine Damen und Herren, daß ich verletzende Kritik zu vermeiden versuche. Ich habe mich ja gestern dazu geäußert, daß ich immer wieder den Vorwurf höre, ich hätte z. B. die deutschen Arbeiter der „Faulheit" geziehen. Ich erwähne das nur deswegen noch einmal, weil ich fand, daß der Kollege Pieroth dieses Thema mit subtiler Bosheit gestern noch einmal aufgegriffen hat.
({12})
- Meine Damen und Herren, man kann natürlich so argumentieren, daß man sagt: Sie dementieren j a unentwegt, daß Sie diese Äußerung getan haben. Das ist ungefähr so, als wenn ich einem Banker sage: Es ist mir selbstverständlich klar, daß Sie nicht mit der Kasse durchgegangen sind, oder einem Weinhändler sage: Es ist mir selbstverständlich klar, daß die von Ihnen gelieferten Weine nicht chemikalisch versetzt sind.
({13})
So, meine Damen und Herren, kann man die Diskussion auch führen, aber auf solch feine und subtile Art, Herr Pieroth, werde ich versuchen, in ähnlicher Art zu antworten.
({14})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Kiep hat heute morgen die Bandbreite der politischen Parteien angesprochen. Nun, Herr Kiep, das ist sicherlich kein Merkzeichen von Sozialdemokraten und Freien Demokraten allein. Ich habe mir auch zu diesem Thema meine teilweise sehr belustigenden, teilweise ernsthaften Gedanken gemacht, als ich im Wahlkampf in Niedersachsen die schönen Plakate von Ihnen immer neben denen von Herrn Strauß hängen sah. Da habe ich mir Vorstellungen über die Bandbreite der Union gemacht. Nun höre und erlebe ich heute, wie die CDU/CSU-Fraktion auch an den Stellen geschlossen hinter den Ausführungen des Kollegen Blüm steht, wo, Herr Blüm, Ihre Logik wirklich dem Satz entspricht: Donnerstag ist es kälter als draußen.
({15})
Auch dies wurde mit dem schönsten Beifall zugedeckt. So verdeckt man mit parlamentarischem Beifall Bandbreiten, auch bei Ihnen selbstverständlich, Herr Kiep.
({16})
Erlauben Sie mir bitte, daß ich ein etwas heikles Thema anspreche - heikel übrigens sowohl beim Koalitionspartner wie bei meinen eigenen Parteifreunden, jedenfalls den Berliner Parteifreunden. Ich persönlich bin der Auffassung - die Regierung hat sich darüber noch keine Meinung gebildet; wir sind noch lange nicht soweit -, daß die Verlängerung des Mietstopps in Berlin grundfalsch ist und daß die damalige Entscheidung uns mit dahin gebracht hat, wo wir heute gelandet sind.
({17})
Aber als Herr Blüm das sagte, hat die ganze CDU Beifall geklatscht. Und ich habe mich immer gefragt: Was hat der Herr Biedenkopf eigentlich vor zwei Jahren geschrieben? Was haben Sie damals alle für so richtig gehalten? Alles weg, wenn es im Ernstfall darauf ankommt!
({18})
- Bisher gibt es keinen Gesetzgebungsantrag, und ich kann darüber nicht entscheiden. Ich habe auch gar nicht die Absicht, darüber zu entscheiden.
({19})
- Nun, ich werde gelegentlich mal nach Berlin gehen und das dort sagen - als meine persönliche Meinung.
({20})
Im übrigen würde ich die wohnungspolitische Diskussion, über die wir j a schon in den vergangenen Tagen gesprochen haben, gern mit einer Bemerkung anreichern, die ich doch für ganz wesentlich halte: Die Bundesregierung ist der Auffassung - und das haben wir in der Haushaltsdebatte vertreten -, daß die Wohnung nicht wie ein x-beliebiges Gut behandelt werden kann, daß sie einen besonderen Rechtsschutz genießen muß. Das bleibt so. Die Frage ist aber: Wie sehen die Miethöhen in Zukunft bei uns aus? Und da stelle ich fest, daß nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes der Vierpersonenhaushalt mit mittlerem Einkommen im Jahre 1979 für Wohnungsmiete 15,5 % ausgegeben hat und für eigene Kraftfahrzeuge 13%. Wir müssen einfach einmal überlegen, ob diese Relationen so stimmen.
Nun ist seit gestern - das ist auch von Herrn Stoltenberg erwähnt worden - das Wirtschaftsprogramm des amerikanischen Präsidenten in der Welt. Es entspricht dem, was man vermuten konnte, wenn man die amerikanische wirtschaftspolitische Diskussion der letzten Wochen verfolgt hat. Ich glaube, ich habe sie auch in den vergangenen Jahren einigermaßen intensiv verfolgt. Aber mit solcher Häufigkeit und Intensität habe ich das Wort „supply policy", Angebotspolitik, noch nie gesehen - bis in amerikanische Tageszeitungen, „News Week", „Time" und was es alles gibt. Es wird also dort in der Tat nun eine angebotsorientierte Politik formuliert, entgegen der nachfragebetonten Politik, die sich wohl noch die vorige Regierung auf ihre Fahnen geschrieben hatte.
Es ist nicht unsere Sache, dies positiv oder negativ zu bewerten im Sinne von Kritik an Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten. Es ist aber wohl unsere Sache, zu überlegen: Wie können die Rückwirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland aussehen? Was haben wir davon zu erwarten? Und hier stimme ich dem zu, was heute morgen von Herrn Mitzscherling und anderen gesagt worden ist: Das wird nicht in Bälde zu Erleichterungen an der Zinsfront in der Bundesrepublik Deutschland führen. Sie haben Henry Reuss mit seiner Kritik erwähnt. Der hat schon immer an hohen Zinsen Kritik geübt, früher an der Bundesbank. Wir können nur jetzt schlecht hinüberfahren und ihn dafür kritisieren, daß die USA jetzt dieselbe Politik machen, weil wir unsere damals verteidigt haben, eben auch aus Gründen der Inflationsbekämpfung.
Mir scheint auch, daß die Maßnahmen der Deutschen Bundesbank, die gestern beschlossen worden sind - die ja im übrigen nicht einmalig sind; es hat früher schon einmal einen Sonderlombard gegeben, ein hartes und scharfes Werkzeug, je nachdem wie es gehandhabt werden kann -, logisch in die Konstellation hineinpassen. Sie werden am Geldmarkt eventuell zu höheren Zinsen führen. Aber es konnte ja wohl nicht richtig sein und auf Dauer von der Bundesbank nicht tatenlos hingenommen werden, daß man sich, und zwar die Kreditinstitute, den Lombardkredit zu 9 % bei der Bundesbank holte und das Geld zu 10 % in Luxemburg auslieh. Das ist bei ein paar Milliarden auch in wenigen Tagen mit 1 % Spanne schon ein ganz hübsches Geschäft. Ich habe nichts gegen die Ertragslage der Banken, aber möglichst nicht mit Hilfe der Deutschen Bundesbank. Das kann nicht das Ziel sein.
({21})
Deswegen und aus anderen Gründen war diese Entscheidung, glaube ich, richtig.
Wie das Programm des amerikanischen Präsidenten bewertet werden wird, zeigt sich natürlich immer etwas an den Devisenmärkten. Heute hat der Dollar mit 2,11 DM eröffnet, nachdem er gestern mit 2,16 DM geschlossen hatte. Wir werden also abzuwarten haben.
Wir können aus der Sicht der Bundesregierung nur eines sagen: Wir haben ein vitales Interesse daran - ich möchte das noch einmal betonen, nachdem der Ministerpräsident Albrecht gestern meinte, unsere Interessenlage sei anders -, daß die Stabilitätspolitik der Vereinigten Staaten erfolgreich ist und daß die wirtschaftliche Entwicklung in den Vereinigten Staaten in Gang kommt. Ich weiß, daß für uns die Wettbewerbsbedingungen schwieriger werden, wenn die Stabilitätspolitik in allen Ländern erfolgreich ist und unser relativer Stabilitätsvorsprung, von dem wir in der Vergangenheit ganz gut gelebt haben - immer und immer wieder marschierten die anderen schneller mit ihren Kosten - und Preissteigerungen nach oben -, geringer wird. Ich weiß, daß die Welt für uns dadurch nicht einfacher wird. Aber wir wissen auch - und dabei bleibt es -, daß auf die Dauer Inflation und Preissteigerungen das Wachstum und die Stabilität und vor allem die Arbeitsplätze ruinieren. Mit ruinierten Arbeitsplätzen, mit dem weiteren Verlust von Arbeitsplätzen ist ja nicht nur ein wirtschaftliches Problem angesprochen, ist ja nicht - ich sage das „nur" jetzt in Anführungszeichen - ein soziales Problem angesprochen, sondern auf Dauer die politische Stabilität unserer Gesellschaftssysteme angesprochen. Darum geht es bei der Frage und bei dem Ziel, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen oder einzuschränken.
({22})
Dabei allerdings, Herr Blüm, muß man, wie ich finde, gerecht bleiben. Wir alle sind uns darüber im klaren, daß die gegenwärtigen Zahlen in hohem Maße unbefriedigend sind. Aber das ändert nichts daran, daß in fast allen Ländern der westlichen Welt und auch in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze bemerkenswert ist. Es hat in der Bundesrepublik Deutschland trotz der gegenwärtig hohen Frauenarbeitslosigkeit noch niemals so viel Frauenarbeitsplätze wie im heutigen Zeitpunkt gegeben.
({23})
Ich sage noch einmal: das Gesamtergebnis befriedigt dennoch nicht. Aber man sollte differenziert urteilen und es dann auch differenziert vortragen.
Es ist ja auch nicht so, Herr Waigel, wie Sie es gestern dargestellt haben, als Sie die ganze Regierungsbank abgingen und sagten, da sitze das ganze personifizierte Investitionshemmnis.
({24})
- Das muß ich Ihnen sagen, und das muß ich auch Herrn Blüm sagen. Ich habe ja an ein bißchen polemischen und demagogischen Reden meinen Spaß. Zu meinem Vergnügen haben Sie jedenfalls in dieser Hinsicht beigetragen. Da kann man den Inhalt dann auch leichter vergessen.
({25})
- Ich bin nicht ganz sicher.- Aber ich auch, Herr Blüm. Wir könnten es mal versuchen.
({26})
- Ich kann das immer noch, Herr Waigel.
Was die Investitionsentwicklung anlangt, so sind in den letzten Jahren, solange ich Minister bin - ich rechne mir das nicht selber zu, denn investieren tut nicht die Regierung, sondern tun die Unternehmen -,
({27})
die Investitionsraten bei den Unternehmen real bei uns jedes Jahr um durchschnittlich 7 % gestiegen. Das läßt sich durchaus und immer noch sehen. Vor allem, meine Damen und Herren, liegt hier das entscheidende Argument dafür, daß wir von einer Besserung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik ausgehen. Nageln Sie uns nicht darauf fest - ich habe das nicht gesagt, und es steht auch nicht im Jahreswirtschaftsbericht -, daß das in der
zweiten Jahreshälfte sein muß! Wir hoffen es, wir erwarten es, wir arbeiten darauf hin, aber diese Besserung der wirtschaftlichen Entwicklung kann auch erst am 10. Januar 1982 anfangen. Nicht daß hinterher ein Buchhalter kommt und sagt: Jetzt ist der 31. Dezember gewesen, und es ist noch immer nicht richtig gekommen, zehn Tage zu spät; schon wieder habt ihr Prognosekunststücke vollbracht, wie Herr Blüm das nennt.
Nein, die entscheidende Grundlage für diese Erwartung liegt darin, daß die Investitionsneigung in der Bundesrepublik angesichts des Klimas und der Probleme, die wir haben, ungewöhnlich robust ist. Wir haben in den schwierigen Zeiten 1974/1975 einen realen Rückgang der Investitionen um 11 % gehabt. Der Investitionsrückgang überzeichnet die Wachstumsverluste, so wie auch die Investitionszunahme, wenn es nach oben geht und sich die Stimmung bessert, ebenfalls über die Wachstumsrate hinausgeht. Also: 1974 minus 11 %, 1967 minus 10 %. Die Prognosen aller Forschungsinstitute sagen uns, daß im Jahre 1981 das Investitionsniveau der Vorjahre gehalten werden wird, daß es keinen realen Rückgang geben wird. Dies ist in der Tat die, wie ich finde, entscheidende Grundlage, auf der wir die Erwartung aufbauen dürfen und können - wenn das nicht wäre, könnte man sie nicht äußern -, daß Licht am Ende des Tunnels gesehen werden kann.
Nun gibt es für diese Investitionsbereitschaft ja durchaus auch eine Reihe sichtbarer und realer Gründe. Wir haben es nicht - wie 1974 - mit im Boom aufgebauten Überkapazitäten zu tun. Wir haben keine Betonburgen als Bauruinen. Damals hatten wir mit den Folgen der Spekulation ins Betongold zu tun. Wir haben keine überzogenen Lagerpositionen. Wir haben keine gravierenden Ertragseinbrüche. Wir haben den Zwang zur Anpassung an die neue Energiesituation, die j a zu Investitionen zwingt, und den Zwang zur Anpassung an den verschärften internationalen Wettbewerb.
Dies alles, meine Damen und Herren, berechtigt uns, wie ich glaube, zu der Annahme, daß wir in absehbarer Zeit aus der jetzigen Talfahrt und aus den jetzigen Problemen herauskommen können. Aber es darf nicht bedeuten, daß wir uns in der Hoffnung wiegen, das seien nur Probleme von ein paar Monaten oder von einem Jahr, die jetzt vor uns lägen. Es bleibt dabei: Es geht nicht um einen konjunkturellen, vorübergehenden Einbruch, sondern um die Notwendigkeit der strukturellen Anpassung. Ich will es etwas übertrieben formulieren: Die 30 %ige Aufwertung des Yen von 1979 bis heute führt - werfen Sie einen Blick in die „Bild-Zeitung" von heute; ich halte sie zwar nicht für unbedingt zuverlässiges statistisches Material, aber immerhin - zu massiven Preiserhöhungen für japanische Produkte. Wiege sich niemand in der Annahme, damit sei das Problem schon gelöst! Fangen wir bloß nicht an, uns hinzusetzen, uns zurückzulehnen und zu sagen, es renke sich schon alles wieder von selber ein!
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Das ist nicht der Fall, und das wird nicht der Fall
sein. Wenn wir das tun, erleben wir eine Enttäuschung und werden tiefer in den Schlamassel und
die Schwierigkeiten geraten, als es jetzt der Fall ist und als es notwendig ist.
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Wenn wir uns darauf einstellen, meine Damen und Herren, daß das eine Aufgabe von mehreren Jahren ist, die aber in der Zusammenarbeit aller gelöst werden kann - im übrigen: wenn wir uns in der Welt, in anderen Ländern umsehen, Herr Blüm und Herr Kiep, dann tun wir dies j a nicht nur zum Zwecke der Entschuldigung, sondern auch zum Zwecke der Ermutigung, um zu sehen, was wir hier schaffen können -, warum sollen wir das nicht schaffen? Wir werden es schaffen, wenn wir alle miteinander anpacken. Dafür bittet die Bundesregierung auch um die Unterstützung dieses Hauses. - Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, das Jahresgutachten 1980/81 des Sachverständigenrats und den Jahreswirtschaftsbericht 1981 auf den Drucksachen 9/17 und 9/125 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 4 bis 7 der Tagesordnung auf:
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. Juni 1974 zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus
- Drucksache 9/131 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches
- Drucksache 9/132 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({0}) Finanzausschuß
6. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Haftpflichtgesetzes
- Drucksache 9/138 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschul ({1}) Ausschuß für Wirtschaft
Sportausschuß
Vizepräsident Wurbs
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. September 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 9/133 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/131, 9/132, 9/ 138 und 9/133 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten
- Drucksache 9/72 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({3}) Innenausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Auch das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 9/72 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 5 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/123 - Das Wort wird offensichtlich nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf der Drucksache 9/123, die in der Sammelübersicht 5 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Anpassung des Systems der Gemeinschaftsanleihen zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/37 Nr. 152, 9/151 Berichterstatter:
Abgeordneter Rapp ({6})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 9/151 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die harmonisierte Anwendung des Internationalen Übereinkommens über sichere Container ({8}) in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
- Drucksachen 9/84, 9/153 Berichterstatter: Abgeordneter Hoffie
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 9/153, den EG-Richtlinienvorschlag zur Kenntnis zu nehmen und die Bundesregierung zu ersuchen, die Vorlage abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({10}) Nr. 3164/76 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
- Drucksachen 9/85, 9/154 Berichterstatter: Abgeordneter Sick
Vizepräsident Wurbs
Wird das Wort vom Berichterstatter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 9/154, von der Vorlage der Drucksache 9/85 Kenntnis zu nehmen und eine Entschließung anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.