Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betr. Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" - Drucksache 9/126 -. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir treten in die Tagesordnung ein und fahren in der verbundenen Aussprache über die Tagesordnungspunkte 1 bis 3 fort:
1. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981
({0})
- Drucksache 9/50 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984
- Drucksache 9/51 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 - MinöBranntwSt-ÄndG 1981 -- Drucksache 9/91 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen
und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen ({2})
- Drucksache 9/92 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({3})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung. Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort in der allgemeinen Aussprache hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe, wie meist bei derartigen Sammeldebatten, wo hundert Themen angeschnitten werden, nicht die Absicht, eine umfassende Rede zu halten, wohl aber möchte ich gegen Ende der Debatte einige Ergänzungen zu den Erwiderungen anbringen, welche die Redner von der freien demokratischen Fraktion, von der sozialdemokratischen Fraktion, die Minister der Bundesregierung auf die Fragen, Anzapfungen und Kritiken der Opposition gegeben haben.
Zunächst einige außenpolitische Bemerkungen. Der Bundestag hat schon seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, daß das Geisel-Problem in Teheran gelöst ist. Für uns alle bedeutet es auch, daß wir eine der außenpolitischen Sorgen, die uns im Laufe der letzten 15 Monate bedrückt haben, losgeworden sind.
Man darf aber den Blick nicht davon abwenden, daß viele gefährliche andere Konflikte andauern, die den Frieden der Welt bedrohen. Das gilt für den andauernden Krieg am Persischen Golf oder, wie man auch sagt, am Arabischen Golf zwischen Iran und Irak; das gilt für Afghanistan, wo die sowjetische militärische Intervention und wo die Kämpfe andauern; das gilt erneut, diesmal an einem anderen Punkte, für Afrika mit der militärischen Besetzung des Tschad, von welcher sich viele andere Staaten in Afrika ernsthaft bedroht fühlen; das gilt für die Tatsache, daß der Nahostkonflikt immer noch andauert; und es gilt insbesondere in unserer Nachbarschaft
auch insoweit, als das polnische Experiment nach wie vor mit sehr hohen Risiken behaftet ist. Das Gelingen des polnischen Experimentes liegt zweifellos im Interesse der Polen, insbesondere der Arbeitnehmer in Polen, das Gelingen des polnischen Experiments liegt, wie ich denke, im Interesse aller Menschen in dem dort so genannten sozialistischen Lager der kommunistischen Staaten Osteuropas. Ich füge aber hinzu: Das friedliche Gelingen des polnischen Experiments liegt im Interesse des Friedens aller in Europa.
({0})
Ohne diesen Überblick allzusehr ausdehnen zu wollen, darf ich sagen, muß ich sagen, daß wir es 1981 keineswegs mit einer beruhigten Weltlage zu tun haben, ganz im Gegenteil.
Nun sind hier in der Debatte einige Länder besonders angeleuchtet worden, darunter Saudi-Arabien. Ich möchte zu diesem mit uns befreundeten Staat ein Wort sagen, vorweg aber betonen: Wir haben und wir brauchen auch in Zukunft gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu wichtigen anderen Staaten jener Weltregion. Ich nenne Israel, ich nenne Ägypten, ich nenne Jordanien; ich könnte auch andere nennen. Wir sind an der Nahost-Initiative der Europäischen Gemeinschaft und an den Sondierungen bei, den vorgenannten Staaten und weiteren Staaten der Region beteiligt, wir sind an dem europäisch-arabischen Dialog initiativ beteiligt, weil wir ein hohes Interesse an einem gerechten und dauerhaften Frieden in jener Region haben - auch, und ich sage das ganz deutlich -, ein sehr eigenes, auf unsere eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen bezogenes Interesse.
Aber nun ein Wort zu Saudi-Arabien, und zwar deshalb, weil ich dazu beitragen möchte, zu verhindern, daß dieses Land völlig unverschuldet in einen publizistischen und innenpolitischen Streit hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland hineingezogen wird.
({1})
- Ich möchte im Augenblick nicht polemisieren, will Sie aber darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Kohl, daß z. B. auch Bischöfe beider Kirchen sich öffentlich in einer Weise äußern, die es mir wünschenswert erscheinen läßt, hier für die Regierung sprechend; für jedermann klarzustellen, daß sich im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte mit Saudi-Arabien eine für uns ganz wichtige politische und wirtschaftliche Partnerschaft entwickelt hat.
({2})
Saudi-Arabien ist ein Stabilitätsfaktor erster Ordnung auf der arabischen Halbinsel und in der Region und auch im Gesamtzusammenhang des Nahost-Konflikts. Man kann sehr wohl erkennen, daß diese Stabilität auch Gefährdungen ausgesetzt ist.
Man muß wissen, daß Saudi-Arabien der wichtigste Öllieferant der ganzen Welt ist und daß es 1980 allein ein Viertel unseres Rohöls geliefert hat. Man sollte wissen, daß davon demnächst 40 % auf Grund von Direktverträgen an die Bundesrepublik Deutschland geliefert werden. Man weiß, daß die gemäßigte und die mäßigende Preispolitik Saudi-Arabiens wegen des hohen Lieferanteils an unsere Ölversorgung für uns besonders zu Buch schlägt. Man muß wissen, daß durch die Anlage der Überschüsse, die dort erzielt werden, der sogenannten Petrodollars, Saudi-Arabien einen großen Beitrag zur Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der ganzen Welt leistet, auch des unsrigen. Um es anders auszudrükken: Dieses Land mit relativ wenigen Menschen wird zum größten Gläubiger Europas und der Entwicklungswelt.
Es fügt sich positiv, daß dort ein großes Interesse an umfassender wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit mit uns Europäern, insbesondere auch mit uns Deutschen besteht. Diese Zusammenarbeit soll in den Augen der Saudis nicht nur eine kommerzielle Basis haben, sondern sie denken durchaus auch in politischen Kategorien, auch in sicherheitspolitischen Kategorien. Großbritannien und Frankreich haben traditionelle Beziehungen zu diesem Lande, sie haben auf bestimmte sicherheitspolitische Erwartungen von dort positiv reagiert. Jetzt richtet sich der Blick auch auf uns.
Aber ebenso sind wir j a im Rahmen von Überlegungen innerhalb der westlichen Bündnispartner zur Stabilisierung der Region des Persischen Golfs nach dem Einmarsch in Afghanistan längst auf den Punkt gestoßen oder gestoßen worden, an dem wir uns überlegen müssen oder mußten - wir haben die Sache entschieden -, ob etwa wir Soldaten und Kriegsschiffe in den Persischen Golf entsenden wollten. Wir haben die Sache entschieden und haben dazu nein gesagt; das können wir nicht.
Ergibt sich daraus die weitergehende Antwort, daß wir überhaupt nichts tun können? Ergibt sich nicht jedenfalls die Frage, ob wir auf andere Weise zur Stabilität jener Region beitragen können und sollten? Natürlich kann ein etwaiger Beitrag zur Stabilität, den wir in der Region des Arabischen oder Persischen Golfes leisten, nur im Rahmen eines gemeinsamen westlichen Konzepts geleistet werden.
Aber wenn wir mit unseren westlichen Alliierten, wenn wir mit unseren nahöstlichen Freunden darüber sprechen, so werden jene dann auch das Element der Lieferungen von militärischen Gütern in die Gesprächsthemata einbeziehen. Dabei ist ganz klar, daß dann ein hervorstechendes Problem die Interessen Israels sein werden. Ich verstehe sehr gut, daß einige in Israel schon wegen der ersten Erwähnungen in einigen Zeitungen der Welt - es fing nicht hier in Bonn und nicht in der Bundesrepublik an - über die Möglichkeit solcher zukünftiger Entwicklungen beunruhigt sind und einige sogar Sturm laufen. Dabei mischen sich vielfältige Erinnerungen und Motive miteinander. Die müssen wir hier nicht weit ausbreiten; jeder von uns hat das im Gefühl, um nicht zu sagen: im Herzen.
Was notwendig werden kann, ist ein vertiefendes, vertrauensvolles, diplomatisches Gespräch mit unseren Freunden, mit unseren Partnern in jenem Teil der Welt, einschließlich Israel, einschließlich Ägypten. Das wird wohl nötig sein. Wir müssen uns dabei nicht und wollen uns dabei nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Es liegt auch bisher keinerlei Druck in solcher Richtung vor; auch kein Antrag liegt vor, wie Sie wissen.
Dies führt jeden von uns auf die Frage nach den rund ein Jahrzehnt geltenden Grundsätzen für den Export von Rüstungsgütern. Ich bin einer von denjenigen gewesen, die im Laufe der späten 60er Jahre und zu Beginn der 70er Jahre sehr gedrungen haben - und wie man weiß: mit Erfolg - auf eine sehr restriktive Formulierung der sogenannten Grundsätze. Die Restriktion, die Zurückhaltung, die Dämpfung aller möglichen Aktivitäten im Export, die durch diese Grundsätze herbeigeführt worden sind, gehen ja über den Text der Gesetze, die schon seit längerem gelten, noch weit hinaus. Der Restriktionsgrad ist sehr viel größer, und das muß auch in Zukunft so sein.
Gleichwohl scheint mir, daß es nötig ist - ich gebe noch Beispiele -, die Erfahrungen zu prüfen, die man nun im Laufe der letzten 20 Jahre auf diesem Feld gemacht hat, etwa seit Beginn der 60er Jahre. Vorher kamen solche Exporte für uns nicht in Betracht, weil wir nichts zu exportieren hatten. Möglicherweise müssen die Grundsätze ergänzt und verbessert oder neu definiert werden. Die Bundesregierung hat die Absicht, dabei mit dem Bundestag oder seinen Organen eng zusammenzuarbeiten. Das kann auch ruhig Zeit brauchen.
Ich möchte aber heute schon jedermann bitten, die öffentliche Debatte über alle damit verbundenen Themen in einer Weise zu führen, daß in unserem Verhältnis zu anderen Staaten kein Schaden eintritt.
({3})
Ich meine im Augenblick ganz besonders: Bitte kein Schaden im Verhältnis zu Israel! Bitte kein Schaden im Verhältnis zu Saudi-Arabien oder zu irgendeinem anderen Staat!
Nun 'einige Hinweise in bezug auf Erfahrungen, die in der Zwischenzeit gemacht wurden und die man prüfen muß. Ich mache das unsystematisch und habe auch gegenwärtig noch keinen Überblick, weil die Bundesregierung selbst auch erst anfängt, diese Bestandsaufnahme, diese Inventur einzuleiten.
Einer der Punkte z. B., der im Licht der Erfahrungen möglicherweise neu bearbeitet werden muß, ist: Es kann keinen für alle Zeiten feststehenden Spannungsbegriff geben - den Begriff schon, aber den Inhalt nicht. Die Welt wandelt sich sehr schnell. Offensichtlich empfinden viele sehr stark, daß z. B. Chile in anderer Weise Spannungen ausdrückt, Spannungen enthält oder in anderer Weise Spannungen verursacht, als sie mit dem Spannungsbegriff gemeint sind, wie er in den Grundsätzen definiert ist. Das heißt: Jener Spannungsbegriff paßt
nicht auf diesen Fall. Das ist eine der Erfahrungen, auf die man stößt.
Oder zweitens. Im Laufe des letzten Jahrzehnts, der 70er Jahre, hat sich in großem Maßstab mit Frankreich, aber in größerem Maße auch mit Italien und mit England - vielleicht und hoffentlich demnächst auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika - internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung, später auch bei der Produktion und Beschaffung von Flugzeugen oder gepanzerten Fahrzeugen oder Schiffen, Ausrüstungsgegenständen, Waffen, Fahrzeugen für unsere Streitkräfte entwikkelt. Aus vielfältigen Gründen beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an solcher Zusammenarbeit im Rahmen der NATO.
Dann wird es anschließend aber schwierig - ich denke an ein Flugzeug wie Alpha Jet, um ein Beispiel zu geben, oder wie früher Starfighter 104-G -, etwa den anderen Partnern, die mit uns an einer gemeinsamen Produktion beteiligt sind, unsere Exportgrundsätze vorschreiben zu wollen. Das wäre sehr schwierig! Wir haben mit solchen Schwierigkeiten in der Zwischenzeit eine ganze Menge Erfahrung gesammelt. Die müssen nun auch einmal systematisch angesehen werden. Diese Art von Erfahrungen muß berücksichtigt werden, wenn man neue Kriterien formuliert. Wir verfügen in solchen Fällen nicht allein - in zunehmendem Maße verfügen wir nicht allein - über Güter, die wir auf diesem Felde produzieren.
Ein dritter Punkt, der allerdings ganz sicher so bleibt, wie er immer war und wie er mich persönlich motiviert hat, als ich mich Ende der 60er Jahre und später als Verteidigungsminister für diese restriktiven Grundsätze einsetzte: Wir wollen grundsätzlich keine Rüstungsexportpolitik aus Beschäftigungsgründen.
({4})
Waffenproduktion soll nicht zu einem Instrument unserer Konjunkturpolitik werden. Wir wollen nicht - wir wollten das damals nicht. Und wir dürfen auch in Zukunft nicht wollen -, daß bei uns Kapazitäten entstehen, die später - ({5})
Wir sehen das in einigen Nachbarstaaten, wo es große Kapazitäten gibt, etwa in der Luftfahrtindustrie oder in der Industrie der Herstellung von Kriegsschiffen. Wir möchten nicht in eine Situation geraten, wo dem Parlament oder der Regierung oder dem Haushaltsgesetzgeber der Druck der Unterbeschäftigung oder Nichtbeschäftigung solcher Kapazitäten wie ein Alpdruck im Nacken sitzt.
({6})
Dieser Grundsatz muß also bleiben!
Trotzdem muß man sehen, daß damit die Wahrheit noch nicht ganz ausgesprochen ist.
({7})
Die Sache ist heute sehr viel komplizierter als früher. Wenn man z. B. die deutschen Schiffswerften fragt, auf welche Weise sie in der Zeit der internationalen Schiffbauflaute Großaufträge auf Tanker und auf Containerschiffe und dergleichen hereingeholt haben, dann wird man auf etwas stoßen, was auch in anderen Branchen der exportierenden Industrie leider Gottes gilt. Man wird darauf stoßen, daß bei dem internationalen Wettbewerb um das Hereinbekommen von Aufträgen aus dem Ausland häufig verschiedene Geschäfte miteinander gekoppelt werden: Wir sind bereit, dir den und den großen Auftrag zu geben, vorausgesetzt, du verschaffst uns die und die Lieferung auch noch; und wenn du uns die und die Lieferung nicht verschaffst, dann geben wir dir auch nicht den großen Auftrag. Der Bundestag wird dazu noch Erörterungen anstellen müssen, vielleicht sogar Hearings abhalten müssen, um zu erkennen, welche Bedeutung das inzwischen bekommen hat. Ich nenne in diesem Zusammenhang vorsichtshalber keine Ländernamen.
Man muß wohl auch darauf schauen, daß wir mit manchen Staaten, die von uns auf diesem Felde etwas haben wollen, nicht nur auf enge wirtschaftliche Zusammenarbeit angewiesen sind und ein großes Interesse daran haben, sondern auch bei denen auf großes Interesse stoßen.
Man darf bei alledem nicht übersehen: Einerseits ist unser Verteidigungssystem geographisch definiert, abschließend definiert. General Haig hat das in den Hearings, ehe er zum Außenminister ernannt wurde, vor dem amerikanischen Senat vor 14 Tagen gerade noch einmal wieder bestätigt. Unser Verteidigungssystem ist geographisch abschließend durch den Nordatlantik-Vertrag definiert. Aber eines ist doch klargeworden: daß, wenn wir wissen, daß unser Öl aus dem Persischen Golf kommt - weit jenseits des NATO-Gebiets - damit unsere Sicherheitsinteressen insgesamt nicht abschließend geographisch definiert sind.
({8})
Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis. Ich würde nie dafür eintreten wollen, das geographische Gebiet des Nordatlantik-Vertrages zu erweitern, noch weniger, als die Amerikaner das tun wollen. Aber daraus ergeben sich Spannungsverhältnisse, die man bei diesem Thema untersuchen muß und die man nicht mit Überschriften beantwortet.
Zu unserer Sicherheit gehört eben auch die sichere Versorgung mit Energie oder mit anderen Rohstoffen.
({9})
Wenn ich es anders ausdrücken darf: Wir wären leichtfertig, wenn wir etwa grundsätzlich, prinzipiell, nicht dazu beitragen wollten, Gleichgewicht zu fördern und damit Grundlagen dafür zu schaffen,
({10})
daß in so sensiblen Gebieten, wie wir eben eines genannt haben, dem Persischen Golf, Spannungen abgebaut werden, Gebieten, auf die wir z. B. wegen unserer Öl- oder Rohstoffversorgung angewiesen sind.
Alles dies muß in Sorgfalt geprüft werden. Es enthält eine große Zahl von Abwägungen der Interessen anderer, von Abwägungen widerstrebender Interessen des eigenen Staates, der eigenen Beschäftigung, der eigenen Wirtschaft. Es enthält immer auch gleich ein ganzes Bündel moralischer Abwägungsnotwendigkeiten - ich sage: Abwägungsnotwendigkeiten -, weil verschiedene moralische Gesichtspunkte keineswegs auf den ersten Blick miteinander vereint werden können. Die Sache ist in jedem Fall sehr viel komplizierter, als es sich mancher z. B. ein bewunderungswürdig klarer Bischof, der sich dazu heute äußert, im Augenblick vorstellt.
({11})
Bei alledem, meine Damen und Herren - ({12})
- Das war zwischen den Zeilen angeboten; schönen
Dank, wenn es auch einen Augenblick gedauert hat.
({13})
Meine Damen und Herren, wir haben überhaupt keinen Anlaß, diese Erörterung, die wir miteinander nötig haben, mit irgendeinem schlechten Gewissen zu führen. Denn wenn irgendwo auf der Welt ein Staat seine Sicherheit auf kollektive Verteidigung gestellt hat, wenn irgendwo ein Staat auf der Welt seine Sicherheit auf Bündnis, auf Rüstungsbegrenzung, auf Entspannung gestellt hat, dann war und ist und bleibt das die Bundesrepublik Deutschland.
({14})
Wenn irgendwo ein Mitglied unseres Bündnisses, der westlichen Allianz, in den letzten Jahren konkrete Anstöße zur aktiven Friedenspolitik geleistet hat, dann gehörten wir dazu, und wir werden zukünftig dazugehören. Und wenn irgendwo einer der größeren Industriestaaten der Welt seine eigene industrielle Entwicklung eben bewußt nicht zum Teil auf Rüstungsindustrie aufgebaut hat, dann ist das die Bundesrepublik Deutschland.
({15}) Und das wird auch so bleiben müssen.
Es ist deshalb eine Unverfrorenheit, unserem Staat oder dieser Regierung
({16})
Abhängigkeit von sogenannten Rüstungskonzernen zu unterstellen, von „Waffenschmiede" zu reden und all dergleichen Unsinn.
({17})
In diesem Land sind weniger als 1 % aller Erwerbstätigen in irgendwelchen Zusammenhängen mit dem tätig, was man in der Welt Rüstungswirtschaft nennt. Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den Rüstungsexporten in der ganzen Welt ist minimal. Auf die USA und die Sowjetunion entfallen je ein Drittel des Weltexports an Waffen, zusammen über 66 %, fast 70%. Dann kommen andere, und erst dann kommen wir mit 3 oder 4% - Größenordnungen, die jeder nachlesen kann.
Wir haben überhaupt keinen Grund, diese Debatte mit einem schlechten Gewissen zu führen. Im Gegenteil, wir haben allen Grund, diese Debatte mit Stolz auf unsere wohltuende, der Welt dienende Zurückhaltung zu führen.
({18})
Ich sehe also dem entgegen, daß darüber im Laufe der nächsten Monate vielfältig überlegt werden muß; ich nehme an, daß sich insbesondere auch der Auswärtige Ausschuß mit diesen Fragen beschäftigen wird. Ich will heute kein Für und Wider zu neuen Gedanken im Vorwege einführen.
({19})
Ich will aber festhalten: die Bundesregierung ist in diesen Fragen materiell nicht präjudiziert.
({20})
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, in allernächster Zeit eine materielle Entscheidung zu treffen.
({21})
- Diese Genehmigung war in Übereinstimmung mit den bisher geltenden „Grundsätzen", Herr Kohl.
Wohl aber hat die Bundesregierung die Absicht, gemeinsam mit dem Bundestag und den Organen ein Verfahren zur Erörterung, zur Durchforstung, zur Erforschung der Erfahrungen mit den bisher geltenden „Grundsätzen" in Gang zu bringen.
Sodann zu einem anderen außenpolitischen Komplex: Ich erwähnte schon im Vorübergehen die Äußerungen des neuen amerikanischen Außenministers, der für manche von uns ein guter alter Bekannter ist.
({22})
Mir liegt daran, einige Bemerkungen, die Alexander Haig gemacht hat, die in der europäischen Presse nicht immer ganz deutlich wiedergegeben worden sind, ans Licht zu ziehen. Eine habe ich schon genannt: Er hat sich ausdrücklich gegen eine geographische Ausweitung des Vertragsgebiets der NATO, des Nordatlantikpakts, ausgesprochen. Mir liegt auch daran, daß er großen Wert darauf legte, nicht den Eindruck einer fix und fertig formulierten Außenpolitik zu erwecken. Er hat zahlreiche Fragen offengelassen und immer wieder darauf hingewiesen, daß der neue Präsident seine Bündnispartner konsultieren will, wie dieser es vor einem Vierteljahr schon Herrn Genscher und mir persönlich gesagt hatte. Das ist sehr wichtig. Das heißt, die Regierung in Washington öffnet sich der Beeinflussung durch ihre europäischen Bündnispartner, auch der Beeinflussung durch uns.
Haig hat gleichzeitig auch von einer Phase imperialer Außenpolitik der Sowjetunion gesprochen, wobei es eine zentrale Aufgabe der Vereinigten Staaten sei, sowjetische Aktionen in der Dritten Welt einzudämmen. Zugleich spricht er sich mehrfach für Rüstungsbegrenzung aus. „Ich glaube", sagt er, „daß gleiche und kontrollierbare Rüstungsbegrenzungen zur Sicherheit beitragen." Er fügt den Gedanken hinzu, daß er Fortschritte nur dann für möglich hält, wenn die Sowjetführung sieht, daß die USA beim Scheitern vertraglicher Begrenzungen entschlossen ist, ihrerseits zu rüsten.
Es gab übrigens in der kritischen Frage nach dem Maßstab für amerikanische Rüstung, etwa im Sinne von „Überlegenheit", keine Festlegung durch den Minister. Ich komme auf dieses Thema nachher noch einmal zurück. Er sagt zum SALT-Prozeß - wie auch schon Präsident Reagan im Gespräch vor einem Vierteljahr -, daß die Regierung an diesem Prozeß festhalten wird, daß sie das Bemühen fortsetzen wird, durch Verhandlungen das Risiko des nuklearen Krieges zu mindern, daß sie diesen Verhandlungen hohe Priorität gibt. Auf Insistieren eines Senators, des uns gut bekannten Charles Percy, versichert er, es sei seine Absicht, diese Aufgabe in den ersten Tagen der neuen Administration zu behandeln; Gespräche könnten bald beginnen.
Er hält deutlich fest an dem uns Europäer besonders betreffenden Doppelbeschluß vom Ende des Jahres 1979. Dem neuen Außenminister ist ganz deutlich die Bedeutung auch des rüstungskontrollpolitischen Teiles, dieser andern Hälfte des Doppelbeschlusses, klar, ebenso wie den Senatoren, mit denen er darüber debattiert. Er bemerkt dazu, daß ja die Gespräche über Begrenzung der Mittelstreckenwaffen in Europa mit den Russen im Oktober 1980 angefangen hätten; es sei aber innerhalb des Bündnisses nicht sorgfältig genug konsultiert worden. Ich will mir diese Kritik nicht zu eigen machen, will aber begrüßen, daß auch hier wieder der Wille zur Konsultation mit den europäischen Verbündeten ausdrücklich hervortritt. Herr Haig sagt dann ganz ausdrücklich, daß die Europäer von der Reagan-Administration eine Absichtserklärung erwarten, die Rüstungskontrolle in Europa fortzusetzen, und daß dies ein wichtiges Element in der Durchführung der Beschlüsse der Allianz sei.
({23})
Ich will auch ins Bewußtsein heben, daß Haig gegen den Trend, den es dort im Senat gab, ein sehr mutiges Plädoyer gehalten hat für die militärischen Leistungen der europäischen Verbündeten unter sehr ausdrücklicher Nennung der Bundesrepublik Deutschland und unserer Bundeswehr, unter positiver Hervorhebung der Leistungen, die bei uns erbracht werden. Ich möchte mich hier dafür bedan824
ken; nicht immer haben wir in jener Hauptstadt so über uns und unsere militärischen Anstrengungen reden gehört.
({24})
Die berühmte Drei-Prozent-Argumentation wurde beiseite geschoben, wie schon von seinem Kollegen Weinberger.
Zugleich wurde die Notwendigkeit eines Gesamtkonzepts des Westens betont. Dies ist nun allerdings eine Sache, auf die wir seit Jahren gedrängt haben, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Invasion in Afghanistan gedrängt haben.
Wir haben allen Grund, diese am Beginn der neuen amerikanischen Regierung gegebene Serie von Erläuterungen zu begrüßen, auch allen Grund, die Unterstreichung von Konsultationen, die Berücksichtigung von Erfahrungen und Interessen der Bündnispartner, zu begrüßen. Es gibt überhaupt keinen Grund, der neuen amerikanischen Regierung mit gewissen Unfreundlichkeiten zu begegnen, wie ich sie zum Teil in der europäischen Presse lese.
({25})
Wir unsererseits werden diese Konsultationen auf allen Ebenen unverzüglich einleiten, so der Bundesverteidigungsminister, Kollege Apel, auf seiner Ebene, so Bundesminister Genscher, der Anfang März nach Washington reisen wird, auf seiner Ebene. Es ist deutlich, daß die Vorstellungen Haigs nicht von vornherein mit den bisherigen Vorstellungen der Vereinigten Staaten von Amerika deckungsgleich sind. Das konnte angesichts der Aufbruchsstimmung drüben auch niemand erwarten. So gibt es also sicherlich einiges zu reden. Wir werden dabei den Aspekt der Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas gewißlich betonen, einschließlich der Zusammenarbeit auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung. Wir werden auf dem Maßstab des Gleichgewichts bestehen. Wir werden uns nicht an der Fixierung anderer Philosophien beteiligen.
({26})
Das Gleichgewicht in amerikanischer Ausdrucksweise „second to none" zu nennen, hätte ich keine Bedenken.
({27})
Aber „überlegen gegenüber jedem anderen" - dagegen hätte ich erhebliche Bedenken.
({28})
Ich glaube, daß die Aussichten für ein arbeitsteiliges Gesamtkonzept der westlichen Politik, mit dem wir die Herausforderungen der 80er Jahre bestehen können, gut sind, vielleicht gegenwärtig so gut wie seit längerer Zeit nicht gewesen.
Ich will auch von mir aus zu dem Doppelbeschluß etwas hinzufügen. Dieser Doppelbeschluß des Bündnisses ist militärisch unverzichtbarer Bestandteil westlicher Strategie und ist politisch ein Test auf die Solidarität des Bündnisses. Wer diesen Doppelbeschluß oder eine seiner beiden Hälften in der gegenwärtigen Weltlage in Frage stellt, stellt das Bündnis in Frage.
({29})
Es bleibt der Sachverhalt auch über das ganze Jahr 1980 und bis zum gegenwärtigen Tage, daß auf sowjetischer Seite pro Jahr rund 50 Mittelstreckenraketen hergestellt werden. Sie sind nicht auf die USA gerichtet, weil die Reichweiten dafür gar nicht ausreichen, sondern auf Europa und auf das Mittelmeer, den Mittleren Osten, Südostasien, was immer Sie wollen, vornehmlich auf Europa. Zusätzlich 50 im Jahr, jede mit drei Sprengköpfen; das macht 150 Sprengköpfe, jeder einzeln richtbar, möglicherweise drei- oder viermal nachladbar; das wissen wir noch nicht so genau; solche Nachladungen können aber hergestellt werden.
Das sind Veränderungen nicht nur im militärischen sondern auch im politischen Kräfteverhältnis, auf die der Westen reagieren muß.
({30})
Es sind potentielle Elemente politischer Pression, auf die der Westen reagieren muß.
({31})
Es gab in diesem Zusammenhang vorgestern - oder es war Dienstag - eine Äußerung von Herrn Ministerpräsidenten Strauß, die ich in dem Zusammenhang kritisieren muß. Herr Strauß hat gesagt, strategische Abrüstung und Verhandlungen darüber seien allein amerikanische Zuständigkeit, und wir Deutschen sollten uns nicht einmischen. Ich kann dem um Gottes willen nicht zustimmen. Auch unsere Haut steht hier zu Markte.
({32})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Eine Sekunde! Lassen Sie mich noch wenige Sätze hinzufügen, Herr Zimmermann.
Ich muß darauf aufmerksam machen, daß der Doppelbeschluß von Ende 1979 bisher die erste und bisher die einzige amerikanische Verpflichtung zu Rüstungsbegrenzungsverhandlungen im Bündnis ist, die - erstens - europäische Sicherheitsinteressen ausdrücklich ins Auge faßt und die - zweitens - Rüstungskontrolle über Waffen in einem für Europa und übrigens für die Bundesrepublik Deutschland direkt relevanten geographischen Bereich umfaßt. Dieses Obligo, diese Verpflichtung der Vereinigten Staaten von Amerika muß erhalten bleiben! Deutscher Einfluß auf dieses Feld, europäischer Einfluß auf dieses Feld muß erhalten bleiben! Darf nicht durch Erklärungen aus der Hand gegeben werden, das sei alles allein amerikanische Zuständigkeit,
und wir Europäer oder wir Deutschen - so hat Herr Strauß gesagt - sollen uns da nicht einmischen.
({0})
- Bitte sehr, Herr Zimmermann.
Bitte schön.
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie darauf hinweisen, daß Ministerpräsident Strauß erkennbar für jeden diese Bemerkung nur in Richtung auf SALT gemacht hat, also in Richtung auf Abkommen, die allein zwischen den Sowjets und den Amerikanern verhandelt werden?
({0})
Mir liegt daran, daß wir an dieser Stelle nicht in ein polemisches Gespräch geraten. Sie haben auch nicht polemisiert, Herr Zimmermann. Natürlich sind sogenannte Mittelstrekkenwaffen strategische Waffen; ich nenne sie normalerweise eurostrategische Waffen. Sie haben für uns eine ungeheure strategische Bedeutung, sie können uns nämlich strategisch auslöschen. Das sind natürlich strategische Waffen. Das Gespräch darüber ist ein Teil des SALT-Gesprächs, des Gesprächs zwischen Ost und West über strategische Waffen. Nicht nur von der Definition her, sondern auch vom Sachzusammenhang her kann sich ergeben, daß, wenn das große SALT-Gespräch über die Interkontinentalraketen nun zunächst ein halbes Jahr oder länger auf sich warten lassen muß, es ein Segen für die Welt ist, wenn das Genfer Gespräch über die eurostrategischen Waffen fortgesetzt und von da her das gesamte SALT-Gespräch belebt werden wird. Der Zusammenhang ist unauflöslich.
({0})
Im übrigen möchte ich es auf diesem Felde mit dem Bundesminister Genscher und mit dem Bundesminister Apel halten. Ich glaube, es war Herr Genscher, der vorgestern darauf hingewiesen hat, daß gleichgewichtige Leistung der Europäer die Voraussetzung dafür ist, daß wir unsere Interessen innerhalb des Bündnisses gleichgewichtig und gleichberechtigt zu Buche schlagen lassen, daß unsere Interessen gleichgewichtig und gleichberechtigt eingebracht werden. Ich halte das für einen unverzichtbar notwendigen, richtigen, im deutschen Interesse, im europäischen Interesse liegenden Grundgedanken.
Unser gegenwärtig wichtiges Ziel ist baldige Fortsetzung jener Gespräche in Genf über eurostrategische Waffen, und zwar mit dem ernsthaften Bemühen, konkrete Ergebnisse zu erzielen. Wenn andererseits die Sowjetunion spüren sollte, daß etwa jener Doppelbeschluß in einigen Staaten Europas gefährdet wäre, so kann für sie der Anreiz für ernsthafte Verhandlungen zur beiderseitigen Begrenzung in Genf fortfallen. Sie hat in der ersten Verhandlungsrunde, wie das weiter kein Wunder ist, eine Maximalposition aufgebaut. Das gehört zum Geschäft. Wir werden die Konsultationen darüber
mit der neuen amerikanischen Regierung unmittelbar aufnehmen.
Im übrigen streben wir, wenn vom Gleichgewicht schon die Rede war, natürlich nach einem ausgehandelten Gleichgewicht, meine Damen und Herren. Ein Gleichgewicht, das sich ausschließlich auf tatsächliches Verhalten der Weltmächte stützen müßte, wäre in einer prekären Situation, weil es möglicherweise nur durch ständige weitere zusätzliche Rüstung aufrechterhalten werden kann.
Ich betone das ausgehandelte Gleichgewicht, weil ich auch ein Wort sagen möchte über den Gedanken der unilateralen, der einseitigen Abrüstung - der gegenwärtig in vielen Teilen Europas, auch in unserem Lande wieder und erneut eine Rolle spielt - oder einseitiger Kürzungen in Verteidigungshaushalten, was auch nur eine Vorform ist für einseitige Abrüstung.
({1})
- Zunächst will ich - auf Ihren Zwischenruf hin, Herr Kollege - dazu sagen, daß das theoretische Konzept unilateraler Rüstungsbegrenzung oder sogar unilateraler Abrüstung von allen ernstzunehmenden Leuten auf der Welt als theoretisches Konzept ernstgenommen wird und ernsthafter Analyse bedarf; es kann nicht einfach vom Tisch gewischt werden.
({2})
Ich habe mich mit diesem Konzept im Laufe von 20 Jahren mehrere Male beschäftigt. Ich kann mir auch Lagen von Staaten in bestimmter geostrategischer Situation vorstellen, in denen dieses Konzept durchaus Sinn macht. Was unsere Lage, was uns nach dem Einmarsch in Ungarn 1956 - in unserer unmittelbaren Nachbarschaft -, dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 - in unmittelbarer Nachbarschaft - oder dem Einmarsch in Afghanistan im vorigen Jahr angeht, bin ich immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß jedenfalls für uns hier in Mitteleuropa einseitige Abrüstung weder theoretisch noch praktisch in Betracht kommen kann, weil es uns in große, zusätzliche Gefährdung führen würde.
({3})
Ich sehe mich bei neuem Nachdenken immer wieder auf das Prinzip des Gleichgewichts zurückgeworfen, des Gleichgewichts der europäischen militärischen Kräfte und derjenigen, die von außen auf Europa einwirken. Das ist zwar allein noch keine hinreichende Bedingung für die Stabilisierung des Friedens, wohl aber eine Bedingung, ohne die der Frieden nicht stabilisiert werden kann: Gleichgewicht, annäherndes Gleichgewicht. Denn ein Gleichgewicht dynamischer Art, das sich in immer größere schwindelnde Höhen erhöbe, wäre offensichtlich lebensgefährlich, weil es auf die Dauer nicht zu halten wäre. Daher ist ein Gleichgewicht, so wie Herr Genscher es vorgestern gesagt hat, auf niedrigerem, auf verabredet niedrigerem Niveau das, was wir anstreben müssen.
B26
Zum Gleichgewicht hinzukommen müssen die Friedensgesinnung, der Wille, aufeinander zuzugehen, der Wille, miteinander zu reden und auch auf den anderen zu hören. Hinzukommen muß der Wille, die Interessenlage des jeweils anderen zu verstehen und darüber hinaus die Interessenlage des anderen zu respektieren, d. h. der Wille zum Kompromiß.
Ich habe mit großem Interesse gelesen, wie sich vor wenigen Tagen unser früherer Kollege, Herr Professor Biedenkopf zu Themen der Außenpolitik ausführlich geäußert hat. Er hat gesagt, von einem „Ende der Entspannungspolitik" könne „keine Rede sein". Mich hat das sehr interessiert. Ich will zwar weder widersprechen noch etwa emphatisch zustimmen, aber ich will diesen Satz, den Herr Biedenkopf hier ausspricht - das ist nicht nur dieser eine Satz, sondern das ist ein langer Artikel in der „Westfälischen Rundschau" vom 21. Januar 1981 -, der dort nicht etwa exzentrisch und etwa im Widerspruch zu dem Rest seiner Ausführungen steht - das ist für ihn schon ein wichtiger Satz! -, ins Bewußtsein nicht nur seiner Kollegen in der Oppositionsfraktion hier im Bundestag, sondern auch der Kollegen in meiner Fraktion und in anderen Fraktionen heben. So sehr ich einiggehe mit dem Gedanken, den Herr Biedenkopf hier ausspricht, so sehr weiß ich auch, daß Voraussetzung für jede konstruktive Politik gegenüber der Sowjetunion die Erhaltung unserer eigenen, von der Sowjetunion unabhängigen Handlungsfähigkeit ist.
({4})
Die Sowjetführung hat offenbar das Ziel - ich möchte nicht sagen: das natürliche Ziel -, um sich herum und in anderen Teilen der Welt Abhängigkeiten entstehen zu lassen, Abhängigkeiten gegenüber der sowjetischen Führung, Abhängigkeiten auf politischem, militärischem und ideologischem Gebiet. Für uns, die Bundesrepublik Deutschland, in der unmittelbaren Nähe dieser Weltmacht gelegen, sind innenpolitische und wirtschaftliche Stabilität, soziale Stabilität, Bündnisfähigkeit und Bündnismitgliedschaft die wichtigsten Elemente der Voraussetzung der von der Sowjetmacht unabhängigen eigenen Handlungsfähigkeit.
Ich sage das eigentlich mehr für viele Menschen, die an den Fernsehgeräten zuhören, weil die Diskussion, die in beiden Kirchen und zum Teil anderswo, in den Zeitungen, in Gang kommt, es mir wünschenswert erscheinen läßt, daß solche fundamentalen Einsichten auch aus dem Munde der Regierung ausdrücklich vorgetragen werden, wenngleich sie für viele von uns seit langer Zeit selbstverständlich sind und deswegen nicht bei jeder Gelegenheit vorgetragen werden.
Herr Kollege Genscher und andere haben - damit komme ich zu einem dritten Gebiet - auch zum Thema DDR gesprochen. Ich will das heute nur mit einem Absatz behandeln, weil es ja bald eine Debatte zur Lage der Nation geben wird, bei welcher Gelegenheit die Bundesregierung dann übrigens nicht verschweigen wird, daß sie und warum sie am Begriff der einen deutschen Nation festhalten wird.
({5})
Nach unserem Urteil hat die in den letzten Wochen öffentlich geführte Diskussion über Probleme der Staatsangehörigkeit keine neuen Aspekte aufgezeigt, die eine Überprüfung unserer Position nahelegen könnten. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die Bundesregierung an der deutschen Staatsangehörigkeit festhält, wie sie im Grundgesetz verankert ist,
({6})
und daß sie dies nicht nur aus verfassungsrechtlicher Verantwortung tut, sondern auch aus politischer und moralischer Verantwortung.
({7})
Im übrigen kommen wir darauf sicher zurück, wenn hier über die Lage der Nation debattiert werden wird.
Mehrere Redner haben dann den Blick mit Recht auf Berlin gerichtet. Ich teile Willy Brandts Befriedigung darüber, daß sich in den letzten Tagen in Berlin Sozialdemokraten und Freie Demokraten voll handlungsfähig gezeigt haben
({8})
- jedenfalls handlungsfähiger als manche andere, die noch lange Pläne schmieden und die im Augenblick ihre Mandate hier erst noch niederlegen wollen, aber noch nicht niedergelegt haben.
({9})
Aber ich begrüße ausdrücklich auch die Absichtserklärung und schließe sie ein, die unser Kollege von Weizsäcker dem Hause hier vor zwei Tagen gegeben hat. Ich begrüße das alles deswegen, weil es der Bedeutung entspricht, die Berlin für unsere Republik, die Berlin für den Frieden in Europa hat, und weil die Wohlfahrt der Menschen in der Stadt Berlin ein solches Engagement notwendig macht.
({10})
Ich denke, das Haus wird erwarten, jedenfalls akzeptieren, daß ich an dieser Stelle dem bisherigen Kollegen Herrn Dr. Vogel, über acht Jahre lang Bundesminister, über sechs Jahre lang Bundesminister der Justiz, den Dank der Bundesregierung sage für seine hervorragende Arbeit und für seine Kollegialität.
({11})
Ebenso wird das ganze Haus mit mir einig sein, wenn ich unseren Dank auch allen bisherigen Kollegen in diesem Hause sage, die ihr Mandat hier aufgeben, um in Berlin zu arbeiten.
({12})
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Es ist gestern und auch in der Finanzdebatte viel über finanzwirtschaftliche, über volkswirtschaftliche Themata gesprochen worden. Mir liegt daran, daß bei dem Hickhack ein paar einfache Grundtatbestände nicht aus dem Blick verlorengehen, z. B. der
einfache Grundtatbestand, daß die OPEC im Jahre 1980 mit dem Rest der Welt einen Überschuß von mehr als 100 Milliarden Dollar erzielt hat, das heißt, daß 120 Staaten der Welt ein Zahlungsbilanzdefizit in dieser Größenordnung mit der OPEC erzielt haben. Das ist eine Fundamentaltatsache dieses Beginns der 80er Jahre, die man nicht aus dem Auge verlieren darf, weil sie sich auch 1981 nicht wesentlich ändern wird! 100 Milliarden Dollar Überschuß bei den OPEC-Ländern - unvorstellbare Größenordnungen!
Die Folgen dieser Zahlungsbilanzdefizite sind bei den Entwicklungsländern Desaster und bei den Industrieländern Handels-, Absatz- und Zahlungsbilanzschwierigkeiten, die wir alle zu spüren bekommen. Wir alle, Entwicklungsstaaten wie Industriestaaten, haben es nötig, vom Öl möglichst wegzukommen. Je nach Lage haben wir es nötig, andere Energien - und das sind nun einmal im wesentlichen Erdgas, Kohle und Kernkraft - an seine Stelle zu setzen. Wir haben es alle nötig, weniger Energie pro Produktionseinheit oder pro Sozialprodukteinheit zu verbrauchen. Das gibt große Umstellungsnotwendigkeiten, das gibt große Investitionsnotwendigkeiten. Innovation in der Industrie ist notwendig. Sie kann sich nur auswirken, wenn sie zur Investition führt. Falsch ist jedweder krampfhafter Schutz alter Produktionen. Lebensgefährlich falsch wäre es, wenn sich in dieser Lage die Staaten gegeneinander abschlössen, um nach Möglichkeit noch zwei Jahre länger irgendwelche veralteten Produktionen durch irgendwelche Schutzmauern am Leben zu erhalten.
Daß sich dies alles auf die Preise in der ganzen Welt auswirkt, ist klar. Ich habe hier die Zeitungsnachrichten über die jüngsten Preisentwicklungen: Bei uns sind allein von Januar 1980 bis Januar 1981 die Kraftstoffe um 17 % teurer geworden, die Kohle um 15 % und das Gas um 35 %. Sie wissen, daß sich die Einstandspreise für Erdöl etwa verdoppelt haben. Das alles kann nicht ohne Auswirkungen bleiben. Dies sind Bestandteile des Volkseinkommens, die nach draußen weggehen, die hier zur Verteilung nicht mehr zur Verfügung stehen.
({13})
- Auf den Zwischenruf „Steuern" antworte ich: Ich bin in der Tat der Meinung, daß zusätzlich zu den phantastischen Öleinsparungsergebnissen, die wir schon bisher erzielt haben, Druck gemacht werden muß, damit noch weniger Heizöl und Benzin verbraucht werden. Das ist unausweichlich notwendig.
({14})
Da wir ja Marktwirtschaftler sind, sollten Sie das marktwirtschaftliche Instrument der Steuern gegenüber der Zuteilung von Benzin und Dieselöl vorziehen, meine Damen und Herren!
({15})
Auch die Bundesrepublik Deutschland - das muß man als Fundamentaltatbestand dieser 80er Jahre vor Augen haben - ist von den großen Überschüssen der Ölländer und umgekehrt von den großen
Zahlungsbilanzdefiziten der Öl-Einfuhr-Länder betroffen.
Natürlich können wir unser Leistungsbilanzdefizit für viele Jahre finanzieren. Viele Staaten der Welt, die sehr viel schwächer sind als wir, alle Staaten der Welt finanzieren ihre Leistungsbilanzdefizite.
({16})
Anders als die meisten können wir sie - wenn wir es wollten, für viele Jahre - sogar durch Währungsreserven finanzieren.
({17})
- Für sehr viel länger als alle anderen Staaten der Welt, verehrter Freund, mit Ausnahme der Ölstaaten. Die Währungsreserven dieses Landes sind so groß, wie sie sonst nirgends in der Welt wieder vorkommen.
({18})
Der entscheidende Punkt, auf den ich zu sprechen kommen will, ist dieser: Sosehr es im Augenblick vernünftig ist, daß auch bei uns Industrieländern Defizite entstehen und nicht nur bei den ärmsten Entwicklungsländern, die dann ein noch viel schlimmeres Schicksal tragen müßten
({19})
- natürlich auch bei Japan -, so wenig kann es auf die längere Dauer vernünftig sein, bei diesem Zustand zu verharren. Anders ausgedrückt: sosehr wir für eine Reihe von Jahren Möglichkeiten haben, solche Defizite zu finanzieren, sosehr müssen wir wissen, daß es nur zwei Methoden gibt, diese Defizite zu schließen, sie zu beenden, nämlich: erstens weniger Öl importieren, zweitens die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen industriellen Exporte stärken.
({20})
Diese beiden Grunderkenntnisse für das, was uns in den nächsten Jahren not tut, hervorzuheben, liegt mir am Herzen. Das müssen die Unternehmen, das müssen die Gewerkschafter, die Arbeitnehmer erkennen. Und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind nicht angenehm.
Nun hat Herr Strauß anderen die Schuld an der Härte des Wettbewerbs geben wollen. Er hat sich über japanischen Wettbewerb beklagt. Wir haben uns nicht zu beklagen. Die Japaner sind in derselben Lage wie wir. Sie versuchen mit ihren Anstrengungen, ihre eigenen Produkte wettbewerbsfähig zu machen. Das ist ihr Recht, und wir wären sehr töricht, wenn wir uns gegen japanische Importe abschließen wollten. Dann werden sich nämlich andere gegen unsere Exporte abschließen.
({21})
Ich kann aber in dem Zusammenhang keinerlei Schwarzmalerei akzeptieren. Es wäre gut, wenn der Ministerpräsident auch gesagt hätte, daß Japan 10 % seines Bruttosozialprodukts exportiert, wir dagegen
23 % unseres Bruttosozialprodukts mit Erfolg exportieren. Es wäre gut, wenn er gesagt hätte, daß die Japaner in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres für 80 Milliarden Dollar exportiert haben und wir für 128 Milliarden, daß die Japaner im vorigen Jahr einen Einfuhrüberschuß und wir einen Ausfuhrüberschuß hatten. Ich sage das nur, damit hier nicht die Vorstellung aufkommt, die Bäume der Japaner wüchsen in den Himmel. Das alles kostet sie große Anstrengungen. Aber wir haben auch große Anstrengungen notwendig, auch wenn schon bisher unser Anteil am Weltmarkt sehr viel größer ist als der des zahlreicheren japanischen Volkes.
Ich muß aber dann doch - und das soll nicht polemisch klingen - die Frage an die Opposition richten, was die CDU/CSU eigentlich mit ihrem Beifall zu der Bemerkung hat ausdrücken wollen, es sei nicht unsere Aufgabe, für Vollbeschäftigung in Ostasien zu sorgen. Mir ist nicht klargeworden, was die Bemerkung und was der Beifall sollten. Es ist klar, daß in jenen Ländern Löhne gezahlt werden, die nur ein Bruchteil dessen sind, was ein deutscher Arbeitnehmer verdient - sehr viel weniger. Deshalb wandert seit Jahren und Jahrzehnten lohnintensive Massenarbeit, Massenproduktion aus allen Industriestaaten in jene Schwellenländer oder in Entwicklungsländer. Das muß doch auch so sein, wenn die sich entfalten sollen. Wie sollte denn dort das Elend je überwunden werden? Um es in der Terminologie der Rede vom Dienstag auszudrücken: Dieselben Leute, die deutschen Arbeitnehmern „die Arbeitsplätze stehlen" - so hat der Redner ja gesagt -, die stehlen auch Arbeitsplätze den Arbeitnehmern in Amerika, in Großbritannien, in Frankreich, in Italien, sogar in Japan, inzwischen sogar in Singapur. Aber mit Ihrem Beifall meinten Sie doch gewiß nicht, daß die Löhne in der Bundesrepublik auch so niedrig sein müßten wie dort. Das kann doch nicht Ihre Meinung sein. Sie wollen doch offenbar auch keinen Protektionismus gegenüber Waren aus Taiwan, Korea, Brasilien und wie sie alle heißen. Eigentlich müßten Sie mir doch zustimmen, wenn ich sage - und das sagte doch auch Graf Lambsdorff, und das sagen wir alle, und im Grund ist es auch Ihre Meinung; dann müssen Sie es auch sagen! Es gibt nur einen Weg. Wenn die deutschen Arbeitnehmer ihr im internationalen Vergleich sehr hohes Reallohniveau, ihr sehr hohes Niveau an realen Sozialleistungen einigermaßen halten wollen - und wir wollen alle, daß uns das gelingt -, dann muß die deutsche Wirtschaft, müssen die deutschen Unternehmungen ihre Stellung auf den Weltmärkten durch neue Qualität und durch neue technologische Hochwertigkeit ihrer Produkte ausbauen.
({22})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Einen Augenblick! - Das heißt, daß dies zuallererst eine Aufgabe für die Unternehmensleitungen, nicht nur für die Kaufleute dort, sondern insbesondere für die Ingenieure, die Chemiker, die Physiker, und in erster Linie eine Aufgabe für die Arbeitnehmer des Unternehmens und ihre Betriebsräte ist. Bürokraten können dazu wenig beitragen, auch nicht die des Staates. Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Was nötig ist, sind Erfindungen und Innovationen und auf der Seite der Arbeitnehmer der Umstellungswille gegenüber anderen Produktionsgängen, anderen Produktionen, anderen Arbeitsplätzen sowie die Umstellungsfähigkeit, die zum Umstellungswillen gehört und dazukommen muß. Je besser jemand ausgebildet ist, um so besser kann er, um so besser kann sie sich umstellen.
({0})
- Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, sind Sie, nachdem über die japanische Konkurrenzfähigkeit gesprochen worden ist, auch bereit, dem Haus zur Kenntnis zu geben, daß bei VW in Deutschland pro Arbeitnehmer 10,5 Autos jährlich produziert werden und z. B. bei Nissan in Japan 29, und sind Sie immer noch der Meinung, daß dies alles nur mit den Lohnkosten zu tun habe?
({0})
Ich kann die Zahlen nicht prüfen. Aber ich nehme an, daß sie tendenziell richtig sind. Wenn Sie noch die amerikanische Automobilindustrie hinzunehmen, werden Sie feststellen, daß in Wolfsburg pro Arbeitnehmer mehr Autos als in Detroit gefertigt werden.
({0})
Sie kommen infolgedessen zu einem sehr differenzierten Bild der Automobilindustrie in der ganzen Welt.
({1})
Sie können Frankreich, England, Italien einbeziehen. Das sind ja alles automobilproduzierende Staaten.
({2})
- Nee, im Gegensatz zu Ihrer Meinung gibt es in Grönland keine Autoproduktion, sondern
({3})
dort gibt's Walrösser, Herr Kollege.
({4})
Es ist also ein sehr differenziertes Bild. Mit Sicherheit, Herr Kollege, sind die Produktionskosten für ein und dasselbe Auto - wenn es dasselbe wäre
- in Japan geringer als bei uns. Ganz sicher!
({5})
- Darunter die Lohnkosten! Natürlich! Wir sind doch stolz darauf, daß unsere Arbeiter mehr als andere verdienen, mein Gott noch mal!
({6})
Natürlich sind unsere Löhne höher und infolgedessen auch unsere Lohnkosten. Natürlich sind unsere Sozialleistungen höher und infolgedessen auch unsere Sozialkosten oder, wie man sagt, Lohnnebenkosten. Notwendig ist, das miteinander in Einklang zu halten.
Ich erinnere an das Zitat, das Herr Strauß in seiner zweiten Hälfte dann auch noch vorgelesen hat. Wenn man die höheren deutschen Lohn- und Lohnnebenkosten verdauen und trotzdem auf dem Weltmarkt verkaufen will, dann muß man sie immer wieder dadurch auffangen, daß die eigene Produktion auf andere Weise rationeller oder in der Qualität besser
({7})
oder im Design besser gemacht wird. Beim Auto kommt es ja sehr auf das Äußere an.
({8}) - Ja, wie auf dem Jungernstieg!
({9})
Die große Leistung - das bitte ich den Zwischenrufer mit anzuhören -, die in unserem Land vollbracht worden ist, liegt darin, daß die Belegschaften, die Betriebsräte, die Gewerkschaften, wohl wissend, daß jede Umstellung, jede Rationalisierung sehr unbequem ist und auch Arbeitsplätze kostet, das immer mitgemacht haben, übrigens j a auch bereit sind, bei Mannesmann die Umstellung der Produktion mitzumachen und durchzutragen. Dies zeichnet deutsche Gewerkschaften vor vielen anderen Gewerkschaften in der Welt aus,
({10})
weswegen es klug ist, sie dafür nicht zu strafen, indem man einen Herr-im-Hause-Standpunkt aus dem 19. Jahrhundert wieder ausgräbt, wie in jener Firma jüngst geschehen.
({11})
- Entschuldigen Sie, ich bin immer noch bei der Antwort auf die vorige Frage.
Im übrigen entstehen natürlich zum Teil sehr bedrängende Probleme bei der Rationalisierung und Modernisierung. Zum Beispiel schafft die Mikroelektronik, die dafür notwendig wird, enorme Probleme für die Arbeitsplätze im Unternehmen und im ganzen Arbeitsmarkt. Ich will nicht dramatisieren, aber man darf solche Probleme, wie sie z. B. von der Mikroelektronik auf die Arbeitsplätze ausgehen, auch nicht vernachlässigen. Das sind ganz dicke Probleme mit großen sozialen Konsequenzen. Da reicht es nicht, hier markige Reden zu halten, die Deutschen sollten gefälligst die Lohnkosten drükken. Das ist keine Antwort auf unser Problem!
({12})
Derselbe Redner hat dann zur Haushaltswirtschaft gesprochen. Er ist von Herrn Posser in hervorragender Weise bedient worden.
({13})
Ja, wenn die Herren Minister aus den Ländern in ihrem feierlichen Bundesrat doch einmal so reden würden, wie sie hier bei uns reden!
({14}) Das gilt für beide.
({15})
Es hat Bemerkungen zur Energiepolitik gegeben. Ich sagte schon, daß wir bisher einen großen Erfolg bei der Zurückdrängung des Ölanteils und des Ölimports hatten.
({16})
- Allerdings: dank unserer Politik.
Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, was Herr Posser und Graf Lambsdorff dazu ausgeführt haben. Ich möchte unterstreichen, was andere Freunde von mir, z. B. der Recklinghausener Oberbürgermeister Wolfram hier über die tatsächliche Verwirklichung des Vorrangs der Kohle ausgeführt haben.
Ich möchte allerdings auch keinen Zweifel daran lassen, daß es der unveränderte Standpunkt der Bundesregierung ist, daß wir einen Teil unserer zukünftigen Energie aus Kernkraftwerken beziehen müssen.
({17})
- Was heißt „endlich"? Ich sage das zum zwölften Mal.
Ich lese auch gern den Brief zur Gänze vor, den Graf Lambsdorff gestern zitiert hat. Es ist ein Brief vom März des vorigen Jahres an Herrn Stoltenberg auf eine Anfrage von Herrn Stoltenberg. Da heißt es - ich bitte um Genehmigung, Herr Präsident; es ist ein bißchen länglich -:
Die Bundesregierung hat ihre energiepolitischen Orientierungsdaten in der Fortschreibung des Energieprogramms vom 14. Dezember 1977 sowie in Erklärungen vom 4. Juli 1979 und vom 17. Januar 1980 festgelegt. Sie hält am Vorrang der Nutzung der heimischen Kohle für die Energieversorgung - in diesem Zusammenhang fördert sie die Bestrebungen, den Einsatz der Kohle für die Verstromung von 33 auf 45 Millionen t zu erhöhen - sowie am Vorrang der rationellen Verwendung und der Einsparung von Energie fest. Zur Sicherung der Energieversorgung hält die Bundesregierung jedoch den Einsatz weiterer Energiequellen für unerläßlich. Dazu gehört auch der begrenzte Ausbau der Kernenergie.
({18})
Daher kann kein Zweifel bestehen, daß auch
der Bau des Kernkraftwerks Brokdorf mit der
energiepolitischen Zielsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung in Einklang steht.
Weiter heißt es in demselben Brief:
Bei der Errichtung eines bestimmten Kernkraftwerks, die jeweils durch das regionale Interesse bestimmt wird, beschränkt sich der Bundesminister des Innern auf die Prüfung, ob das Vorhaben in sicherheitstechnischer Hinsicht den Anforderungen des Atomgesetzes genügt.
Wieder später heißt es:
Diese Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern kann nicht dadurch verändert werden, daß der Bund - als Fiskus - beim Betreiber des Projektes indirekt beteiligt ist. Es entspricht zudem der Praxis des Bundes, nicht über gesellschaftsrechtliche Beteiligungen auf die Verantwortlichkeiten der Länder in Raumordnungs- und Genehmigungsverfahren einzuwirken. Die Trennung der Verantwortungsbereiche hat unvermeidlich zur Folge, daß die notwendigen konkreten Verfahrensentscheidungen in dem jeweiligen Verantwortungsbereich getroffen und politisch verantwortet werden müssen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die zuständigen Stellen in Bund und Ländern ihrer Aufgabenverantwortung auch unter schwierigen Bedingungen gerecht werden.
Sie werden unschwer erkennen, meine Damen und Herren, daß dieser Brief in Übereinstimmung mit den grundlegenden Erklärungen der Bundesregierung, des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten, der Enquete-Kommission, übrigens auch sozialdemokratischer Parteitage steht.
({19})
- Ich kämpfe hier dafür. Dies ist mein Ort, Herr Kollege.
({20})
- Dies ist mein Ort. In meinem Wahlkreis hat man sich auch dafür entschlossen. Dort ist es anders als im Wahlkreis des neben Ihnen sitzenden Herrn Zimmermann. Der will kein zusätzliches Kernkraftwerk.
({21})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Roitzsch?
Ja, bitte.
Herr Bundeskanzler, können wir davon ausgehen, daß Sie sich nach diesen Ausführungen auch bei Ihren Genossen in Schleswig-Holstein und auf dem Hamburger Sonderparteitag Energie am Montag in Hamburg für
den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf einsetzen werden?
({0})
Frau Kollegin, das habe ich schon getan. Im übrigen kennen die Hamburger diesen Brief. Damit niemand ihn übersehen kann, habe ich ihn eben noch einmal vorgelesen, damit er auch nicht in Hamburg übersehen wird. Ich will auf eines hinweisen.
({0})
- Warum ist denn eigentlich Herr Kohl nicht in Hamburg?
({1})
Jeder muß seine Pflicht an dem Ort tun, wo er zuständig ist.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Herr Präsident, bitte sehr. Aber die Zeit geht sehr damit hin.
Herr Bundeskanzler, Sie sagten, daß dieser Brief vom März vergangenen Jahres sei. Ich habe Sie gefragt, ob Sie bereit sind, diesen Standpunkt auch heute noch zu vertreten, und ob Sie zu diesem Sonderparteitag gehen wollen.
({0})
Frau Kollegin, ich hatte Ihre Frage verstanden. Ich habe sie beantwortet. Sie haben sie wiederholt. Ich wiederhole meine Antwort. Ich habe meine Stellung ganz klargemacht, u. a. auch durch Verlesung dieses Briefes hier in dem Auditorium, dem ich Verantwortung schulde.
({0})
Ich möchte darauf hinweisen! Nicht nur wird von Jahr zu Jahr auf der Welt weniger 61 produziert, sondern das Öl wird auch immer teurer. Ich las gestern in der Zeitung, daß sich die Deutsche Demokratische Republik nicht mehr in der Lage sieht, in Zukunft die bisherigen Ölimporte zu bezahlen, und daß die DDR deswegen Kernkraftwerke bauen wird. Im Laufe der nächsten zehn Jahre will sie ein Fünftel bis ein Viertel Ihrer Energie aus Kernkraftwerken erzeugen.
Sie alle wissen, daß gegenwärtig die Polen nicht in der Lage sind, ihre Kohlelieferverpflichtungen zu erfüllen. Sie wissen, daß die Sowjetunion nicht in der Lage ist, ihre Erdgaslieferverpflichtungen zu erfüllen. Es ist Knappheit an Energie auf der Welt.
Alles das muß man mitbedenken. Es spielt heute eine sehr viel größere Rolle als zu Beginn der Energiedebatte. Aber eines spielte für mich immer eine ganz große Rolle in der Energiedebatte; ich meine nach wie vor, daß man sich darüber nicht einfach hinwegsetzen darf. Es ist die Tatsache, daß die Kernkraftwerke, auch die Entsorgung, den ganz wichtigen demokratischen Aspekt haben, daß sich
bei Bewältigung der öffentlichen Auseinandersetzung um die Kernkraftwerke die Befähigung einer demokratischen Gesellschaft zu bewähren hat, ihre Konflikte friedlich, mit den Mitteln des Grundgesetzes zu lösen und nicht mit Gewalt.
({1})
Diesem demokratischen, man kann auch sagen, staatsphilosophischen Aspekt der Frage gebe ich überragende Bedeutung. Er macht notwendig, daß man immer wieder redet und zuhört. Man kann nämlich auf die Dauer eine friedliche Nutzung der Kernenergie, auch wenn sie begrenzt bleibt, wie es die Regierung vertritt, nicht ohne Zustimmung einer breiten öffentlichen Meinung erzwingen wollen.
Die Geschwindigkeit des Ausbaus der Kernenergie kann sich keineswegs allein an den technischen Möglichkeiten orientieren, sondern sie muß zum Maßstab haben die demokratischen Entscheidungsprozesse, übrigens auch die gerichtlichen Entscheidungsprozesse, obwohl sie manchmal reichlich lange dauern. Schließlich kann niemand den Politikern Entscheidungen und Verantwortungen abnehmen; aber Ingenieure und Wissenschaftler und Unternehmen sind in die moralische Verantwortung dafür eingebunden, daß die Entscheidungsgrundlagen durchsichtig gemacht werden.
In diesem Zusammenhang möchte die Bundesregierung ihren Dank für die bisherige Arbeit der Enquete-Kommission des Bundestages aussprechen.
({2})
Nur wer Sorgen und Ängste ernst nimmt, kann Vertrauen gewinnen. Ohne Vertrauen geht es hier nicht.
({3})
Daß es hier Ängste gibt, weiß jeder von uns, nicht nur künstlich geschürte Ängste - die gibt es, weiß Gott, auch -, und daß sich manches Menschen Lebensangst auf das Kernkraftwerk projiziert, sehen wir auch. Aber das sind alles reale Ängste.
Ich kann das j a auch daran erkennen, daß in Sachen Entsorgung, bei allen sehr markigen Reden, die wir hier schon gehört haben, der bayerische Ministerpräsident jedenfalls die Entsorgung lieber in Hessen und Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stattfinden sehen möchte und nicht im Freistaat Bayern. Er weiß auch, daß das Schwierigkeiten mit sich bringt. Er handelt gerne nach dem Motto, daß man allen anderen den Pelz waschen, aber ihn dabei möglichst trocken lassen soll.
Das ist wie mit der Ausländerbeschäftigung. Ich habe hier einen Brief des bayerischen Ministerpräsidenten. Da steht auf der ersten Seite - 14 Tage alt Die Zahl der Arbeitslosen ist ebenso das bittere Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung in den 70er Jahren wie der weltwirtschaftlichen Entwicklung, vor der ich immer gewarnt habe.
({4})
- Daß Sie immer auf so was reinfallen; ich lese ja die zweite Hälfte des Briefes auch noch vor.
({5})
Dann kommt auf den nächsten drei Seiten eine bittere Klage, ein bitterer Appell an die Bundesregierung, sie solle endlich mehr fremde Arbeitskräfte in die Bundesrepublik Deutschland hereinlassen.
({6})
Sehen Sie - ({7})
- Ich verstehe Sie nicht.
({8})
Einen Augenblick, Herr Bundeskanzler.
Wir haben die Möglichkeit zu Zwischenfragen. Auch Zwischenrufe gehören mit zur parlamentarischen Auseinandersetzung, nur nicht in dieser Häufigkeit wie eben.
({0})
Ich werde den Brief als Material dem Protokoll des Bundestages gern beifügen, sehr gern.
.({0})
- Nein. Diesen Brief kann ich öffentlich behandeln. Er wurde nämlich durch dpa bekanntgegeben, ehe er abgeschickt war.
({1})
Deswegen kriegt er auch keine Antwort von mir.
Aber das muß ich sagen: es ist eben wirklich nicht in Ordnung, markig zu verlangen, das und das und das muß geschehen, aber bitte nicht bei mir in Bayern, nicht bei mir in Berchtesgaden. Das ist keine Art, Politik zu verantworten.
({2})
Wir sind uns, denke ich, mit den Spitzenorganisationen nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Gewerkschaften und eigentlich mit allen klar Denkenden in Deutschland einig, daß es zu Anfang der 70er Jahre, zu Ende der 60er Jahre bei lang aufgeschobener Aufwertung der Mark - damals mußte man noch 4 Mark für einen Dollar bezahlen - ein Fehler war, so viele ausländische Arbeitnehmer ins Land zu holen. Wir sind uns, denke ich, einig, daß wir das nicht fortsetzen dürfen, sondern uns alle große Mühe geben müssen, diejenigen, die bei uns sind, insbesondere ihre Kinder, zu integrieren in unsere
Schulen, in unsere Gesellschaft, aber das Problem nicht noch wieder größer zu machen!
({3})
Das darf man dann auch nicht für das Gaststättengewerbe in Berchtesgaden größer machen. Soll das Gaststättengewerbe Arbeitsbedingungen anbieten, zu denen arbeitslose Deutsche bereit sind zu arbeiten.
({4})
Zu einem anderen Thema! Ich möchte gern die Aufmerksamkeit des Hauses auf eine Untersuchung lenken, die in der Schweiz stattgefunden hat angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Unruhen oder Krawalle - wie Sie es immer nennen wollen -, Gewalttätigkeiten auf der Bahnhofstraße zu Zürich. Die schweizerische Gesellschaft ist nun eine ganz andere Gesellschaft als die unsrige. Trotzdem gibt es dort Erscheinungen, wo wir unschwer Parallelitäten zu etwas erkennen können, was bei uns in Bremen oder in Hannover oder in Berlin, in anderen Städten der Welt auch, stattgefunden hat. Die Eidgenossen haben etwas gemacht, was bei uns bisher - zu meiner Kenntnis jedenfalls - noch nicht geschehen ist. Sie haben eine Eidgenössische Kommission für Jugendfragen gebeten, die inneren Ursachen dieser Krawalle in der Schweizer Wohlstandsgesellschaft zu erforschen.
Es ist ein etwas längerer Bericht, den ich hier nicht in Gänze zur Kenntnis bringen kann; aber zwei, drei Punkte möchte ich gerne sagen dürfen, weil sie mir sehr eingeleuchtet haben und weil ich denke, daß wir es nötig haben, unsererseits darüber nachzudenken, ob das nicht vielleicht auch für uns zutrifft, was hier in der Schweiz, in Zürich, festgestellt worden ist.
Da steht zum einen: Die Jugendunruhen in Zürich werden ausgelöst von einer Minderheit, aber die dahinterstehenden Probleme seien die Probleme einer Mehrheit von Jugendlichen. Zwar lehne diese Mehrheit gewalttätige Aktivitäten ab, aber sie teile die Bewertung der Probleme, die dahinterstehen. Natürlich gäbe es dort - sagt die Kommission - auch radikale Trittbrettfahrer, aber viele Forderungen seien eigentlich verständlich und vielleicht sogar gerechtfertigt.
Die Kommission führt weiter aus, daß für viele der heute 20jährigen - von Schweizer 20jährigen ist die Rede - ein Bruch in ihrer Lebenserfahrung vorliege. Sie seien als Kinder in einer Zeit wirtschaftlicher Blüte und materieller Sorglosigkeit aufgewachsen, und jetzt plötzlich erscheine ihnen ihre persönliche Zukunft besonders düster - von Schweizer Jugendlichen ist die Rede. Viele fänden nicht den Job, den sie sich wünschten, viele fänden keine Wohnung, die sie bezahlen könnten. Einerseits erscheine ihnen ihr materieller Wohlstand ungesichert, andererseits stellten sie diesen materiellen Wohlstand grundsätzlich in Frage, und ihre Kritik an rein materialistischen Wertvorstellungen nehme zu.
Der Bericht bestätigt übrigens auch, was wir hier schon gesagt haben - ich in meiner Neujahrsansprache z. B. -, daß viele Jugendliche tatsächlich neue Formen von Solidarität verwirklichen, von Zusammenarbeit, von Zusammenleben, von Mitmenschlichkeit, und daß diese Formen zum Teil in unserer. am Materiellen orientierten Gesellschaft verlorenzugehen scheinen.
Ich habe das hier vorgetragen, weil ich - meinerseits aufmerksam gemacht durch einen Kollegen im Parlament - diesen Bericht allen zur Aufmerksamkeit empfehle.
Ich bin nicht sicher, ob die Schlußfolgerungen, die dieser Bericht aus Zürich zieht, genauso eindrucksvoll sind wie die Analyse. Für mich ergibt sich jedenfalls daraus, daß sich die junge und die ältere Generation nicht gegenseitig in Ruhe lassen dürfen, nicht in der Schweiz und schon gar nicht hier bei uns, daß man sich nicht einfach gegenseitig gewähren lassen sollte, weil das bequemer ist, sondern daß man das Gespräch miteinander suchen muß; manchmal sehr unbequem anzuknüpfen - das gilt insbesondere auch für uns, die Politiker -, insbesondere schwierig angesichts manchmal provozierender und häufig auch nicht leicht zu verstehender Äußerungen und Handlungen. Die gegenseitige Sprachlosigkeit ist eine gefährliche Sache, die nicht nur an den jungen Generationen liegt; sie liegt auch an den Älteren, auch an uns. Natürlich ist man im Gespräch nur dann glaubwürdig, wenn die jungen Leute sehen, daß man auch zum politischen Handeln bereit ist, auch zur Veränderung . dessen, woran sie Anstoß nehmen.
Es soll mich hier niemand mißverstehen und es wird auch wohl niemand mißverstehen: Nirgendwo kann ich mich dazu bereitfinden, Gewalt oder Vorformen der Gewaltanwendung zu billigen; nur macht es mich sehr nachdenklich, wenn ich lese, auf welche Weise dort Gewalt zustande kommt in der Schweiz, und daß es dieselben jungen Menschen sind, die an einem Tag Pflastersteine schmeißen und am nächsten Tag besetzte Häuser instand setzen und etwas Positives - von ihren Maßstäben aus gesehen, sicherlich Positives - tun.
({5})
- Berlin ist ein ähnliches, nicht unbedingt gleiches, aber ähnliches Bündel von Symptomen. Mir scheint, wir müssen in diesen Dingen von jeder Schwarzweiß-Diskussion wegkommen.
Ich las neulich einen Aufsatz unseres Freundes Peter Glotz, bis vor kurzem Senator eben in Berlin, der sich mit solchen Fragen beschäftigt. Er sagt, der moderne Industrialismus gibt in all seinen Freiheiten in der demokratischen Gesellschaft dem Menschen zwar die Chance, die eigene Identität zu suchen - aber das ist zugleich auch eine Last, die die moderne Welt dem einzelnen Menschen aufbürdet. Wenn nicht genügend Identitätsangebote da sind, wird er mit der Last nicht fertig, finde ter seine Identität nicht.
Peter Glotz sagt, wo viele Lebenswege offen sind - oder scheinbar offen sind, füge ich hinzu -, wo man sich selbst einen suchen muß, da kostet das Anstrengung. Man muß natürlich in unserer Art von Gesellschaft viel mehr suchen nach der eigenen
Identität, nach dem eigenen Lebensweg, als in einer kommunistisch geregelten Gesellschaft, wo alles Zwang und Schiene und Lenkung ist.
Daraus, daß es eine Anstrengung ist, die eigene Identität zu suchen, erwächst Protest, daß einem diese Anstrengung zugemutet wird. Hinzu kommt dann noch eine etwas diffuse Angst vor eigener Überflüssigkeit. Aber in Wirklichkeit ist dieses Identitätsproblem, so meine ich, nicht nur eines von jungen Leuten, auch nicht nur von jungen Linken, sondern auch eines von jungen Rechten, und auch eines von Älteren.
Peter Glotz spricht davon, daß wir unsere kollektive Identität eingebüßt hätten; die könne auch nicht durch eine Wiederherstellung des Religionssystems als Basis für gemeinsame Identität gefunden werden. Ich fürchte, daß er recht hat. Das kann auch nicht Aufgabe der Politiker sein. Aber die Politiker müssen erkennen, daß diese Identitätssuche eines der wesentlichen Probleme ist, die hinter den Unruhen in der jüngeren Generation stecken, ob in der Schweiz, ob in Berlin oder sonstwo.
Für jemanden, der meint, man könne auf Nation verzichten, füge ich an dieser Stelle nochmals hinzu: Man muß aufpassen, wenn man nicht sorgfältig und vernünftig und rational verfährt, daß nicht eines Tages, dann möglicherweise die Identitätssuche sich im Nationalismus erfüllt.
({6})
Ich denke, wir müssen versuchen, wichtige gemeinsame Identitäten bewußt zu machen, indem wir die Werte bewußt machen, die hinter den Grundrechten des Grundgesetzes stehen. Das ist nicht einfach, zumal j a der Grundrechtskatalog keine vollständige Aufzählung aller Grundwerte ist, die wir gemeinsam bejahen, sondern nur Ausdruck der auf die Freiheit der Personen gerichteten Grundwerte. Der Solidaritätsgrundwert beispielsweise wird da nicht ausdrücklich vorgeführt, andere auch nicht.
Sicherlich haben die jungen Menschen vielerlei Zuwendung nötig. Herr von Weizsäcker hat in dem Zusammenhang von „geistiger Führung" gesprochen. Er hat übrigens das Wort sehr modifiziert - gegenüber einer mehr aus dem Stegreif geführten Debatte zwischen Ihnen, Herrn Kohl, und mir. Herr von Weizsäcker hat gesagt, es sei nicht Aufgabe des Bundeskanzlers, für das Leben der Bürger den Sinn zu stiften. Ich stimme zu. Aber mit unserer Einsicht in das, was uns politisch möglich und was uns politisch nötig erscheint, verändernd auf das Bewußtsein einzuwirken, das allerdings sei das Gebot der Stunde. Ich stimme zu.
({7})
- Lieber Herr Barzel, auf das Camus-Zitat gehe ich gern zurück. Da liegt eine gewisse Zitatfälschung bei Herrn Kohl vor. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewußt ist. Den Zwischenruf will ich gerne aufnehmen. Herr Kohl hat in einem Interview gesagt:
In seiner Silvester-Ansprache hat der Bundeskanzler unmißverständlich gesagt, was seiner Regierung beim Staat als Aufgabe geblieben ist: den Zerfall zu verhindern.
Das vollständige Zitat, Herr Kohl, das wissen Sie ja wohl, lautete anders. Das redete von der Dritten Welt, und es lautete so - als ich Camus zitiert habe mit dem Wort -:
Jede Generation sieht ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiß, daß sie die Welt nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu. Die besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.
Soweit Camus. Ich fuhr damals fort:
Wenn wir nicht wollen, daß Not und Verzweiflung zu Krisen und Chaos führen, die auch wir zu spüren bekommen würden, dann müssen wir, denen es viel besser geht, unsere Hilfe dorthin geben, wo ganze Völker aus eigener Kraft keinen Ausweg finden.
({8})
Dies, Herr Kohl, war ein Appell um das Verständnis dafür, daß wir solidarisch zu handeln haben mit anderen Völkern in der Welt. Und Sie verfälschen es in ein angebliches Eingeständnis des Zerfalls des eigenen Staates.
({9})
Ich kann angesichts dieser dauernden Verkürzung von Zitaten den Ausdruck „geistige Führung" nicht akzeptieren, das muß ich wirklich sagen.
({10})
Herr von Weizsäcker hat dann gesagt, er sei gern bereit, nicht von „geistiger Führung", aber von „politischer Führung" zu reden. Unter Zustimmung von Herrn Kohl sagte er im nächsten Satz: „Die politische Führung allerdings läßt eine eindeutige Trennung von Politik und Geist nicht zu." Ich stimme dem auch zu. Darüber müssen wir nicht streiten. Wir brauchen auch nicht darüber zu streiten, Herr Kohl, daß die junge Generation, wie das die jüngsten Wahlergebnisse gezeigt haben, so sehr viel politische oder geistige Führung von der CDU/CSU nicht empfangen zu haben scheint. Darüber brauchen wir auch nicht zu streiten.
({11})
Das kann sich ja ändern, das kann ja besser werden.
Aber eines möchte ich schon sagen. Die Bundesregierung bemüht sich, an politischer Orientierung das zu geben, was sie geben kann. Zu sagen, was notwendig ist; zu sagen, was nötig ist und was möglich ist.
({12})
- Wenn Sie sagen, das war wenig: Wann hat einer
Ihrer Redner im Laufe der letzten vier Tage konkret
irgendwo eine eigene Politik der Union vorgetragen, auf welchem Gebiete?
({13})
Ich möchte aber aus der Erfahrung meiner Generation, der Kriegsgeneration des Zweiten Weltkrieges, noch etwas zu dem Wort von der geistigen oder politischen oder politisch-geistigen Führung hinzufügen. Ich gehöre zu der Generation, die schreckliche Erfahrungen mit geistiger Verführung gemacht hat, die aus dieser leidvollen Erfahrung großen Worten mit einem tiefsitzenden Mißtrauen begegnet. Es ist eine Generation, in der viele für sich die Konsequenz gezogen haben, der Utopie zu entsagen zugunsten dessen, was heute und morgen tatsächlich geregelt werden kann. Das bekenne ich gern. Das ist vielleicht in den Augen mancher Jüngeren heute ein Manko. Aber dies ist mehr als eine Eigenart oder als eine Attitüde oder eine Maske oder eine Mache.
Der entsetzliche Holocaust, der im Namen des deutschen Volkes durch Hitler über uns und die Nachbarvölker gebracht worden ist, hat ja auch etwas mit der übertriebenen Erwartung zu tun, die viele Deutsche in der Nachfolge Hegels von links oder von rechts an den Staat gerichtet haben. Ich bin ein Gegner der Staatsvergottung. Ich bin innerlich ganz unruhig, wenn ich sehe, wie es Menschen gibt, die von dem Staat das geistige Heil erwarten.
({14})
Man darf den Staat und man darf auch die Organe des Staates - die Bundesregierung oder den Bundeskanzler - nicht in eine Rolle hineindrängen, in dem sie Lebensinhalte, geistige Inhalte für das Leben einzelner Personen geben sollen. Vom Vordenker zum Vorschreiber ist in vielen Staaten der Welt ein kurzer Weg, hat jüngst jemand geschrieben.
({15})
Herr Kohl und Herr Barzel, hier besteht möglicherweise ein echter staatsphilosophischer Gegensatz zwischen einem mehr konservativen Staatsverständnis und einem mehr liberalen Staatsverständnis, dessen ich mich mit dem, was ich hier vortrage, befleißige.
({16})
Ich habe gelesen, was ein jüngerer Journalist - in der „Stuttgarter Zeitung" war es wohl - zu jener Kontroverse vor ein paar Wochen geschrieben hat:
Rückkehr in die Geborgenheit vermeintlich gesicherter Offenbarung, auch wenn sie statt von Gott von der Bundesregierung käme, wäre gefährlich.
Ich füge hinzu: von jedweder Bundesregierung, von jedwedem Bundeskanzler.
({17})
Manche in meiner eigenen Partei werden gerade in diesen letzten Tagen für die letzten Sätze besonders empfänglich sein, scheint mir.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sehr viele neue Kolleginnen und Kollegen; es sind sehr viele neue Gesichter dabei. Viele sind dabei, ihren Platz, ihre Arbeit im Bundestag zu finden. Aber an der politischen Kontinuität, an der ethischen, an der psychologischen, an der seelischen Kontinuität der Sozialdemokratie ist nicht zu zweifeln. Machen Sie sich keine Hoffnungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU!
({18})
Das ist in fast 120 Jahren nie einfach eine Ja-SagerPartei und nie einfach eine Nein-Sager-Partei gewesen; es war immer eine abwägende, diskutierende, engagiert debattierende Partei.
({19})
Im Gegensatz zur CSU hat es bei uns in 117 Jahren noch niemals einen Parteitag ohne Diskussionsredner gegeben, niemals!
({20})
So ist das heute auch; so wird es auch bleiben. Natürlich gehen dabei auch die Wogen hoch. Natürlich gibt es da auch immer einmal scharfe Worte, es gibt auch Entgleisungen. Aber am Ende und im Letzten können sich Sozialdemokraten aufeinander verlassen.
({21})
Gerade darin hat sich die Presse häufig getäuscht. Ich denke an all die Vorschauen auf all die sozialdemokratischen Bundesparteitage. Ich verlasse mich heute und morgen auf meine Partei, der ich 35 Jahre lang diene, so wie ich weiß, daß sich viele auf mich verlassen.
({22})
Natürlich bedeutet das Jahr 1981 nirgendwo in der Welt, daß man nur angenehme Entscheidungen fällen, nur angenehme Gesetze beschließen könnte. Im Gegenteil, gerade wenn es unangenehm wird, muß man sich aufeinander verlassen können.
({23})
Für mich sind die Begriffe „rechts" oder „links" nie ein Bewertungsmaßstab gewesen; für mich ist immer nur ein Maßstab gewesen, ob sie oder er ein zuverlässiger Mensch ist. Das andere ist von zweitrangiger Bedeutung.
({24})
Es ist nicht ein Jahr, in dem man so verfahren kann, Herr Dr. Kohl, wie in Ihrer Klausur in Boppard gesagt worden ist; dicke Überschrift in der „Welt": „CDU: Regierung muß unpopuläre Gesetze selbst
verantworten". Deswegen haben wir in dieser Woche von Ihnen j a auch keine Alternativen gehört. Aber eine Partei, die nur Populäres vortragen will, taugt nicht zum Regieren, Herr Kohl.
({25})
Einer Ihrer politischen Mentoren, Herr Kohl, Herr Reißmüller, hat Ihnen dieser Tage in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen langen Aufsatz gewidmet. Er hat Ihnen bescheinigt, daß Sie nach der Wahl „behutsam", „geschmeidig" auftreten. Er hat geschrieben, daß die Opposition „von verhaltener Kritik an der Regierung zu Anerbieten wechselt, die Regierung zu unterstützen, ...". Wörtlich heißt es weiter:
Mit einer solchen Politik macht Kohl es der Koalition schwer, von Regierungsunfähigkeit der Union zu sprechen ... Doch Weiteres ergibt sich daraus nicht.
Im nächsten Absatz heißt es dann:
So hat sich denn das Erscheinungsbild der Union etwas verändert, nicht aber die Substanz ihrer Politik. Wer den großen programmatischen Wechsel erwartete, war im Irrtum ... Die Bonner Opposition sieht sich die meiste Zeit darauf verwiesen, der Koalition Zerrissenheit vorzuhalten, ... Aber so war es im Grunde schon im letzten Sommer.
({26})
- Ich les' doch nur Herrn Reißmüller vor!
Auch in der Innenpolitik bleibt nach der verlorenen Wahl die Union, was sie vorher war.
Ich füge noch hinzu: Herr Strauß bleibt der Hauptredner. Das war vorher auch so, und das ist jetzt offenbar auch noch so. ({27})
Am Schluß, im vorletzten Absatz schreibt jener Kommentator dann - das geht an die Adresse der sozialliberalen Koalition -:
Die von der Union geführte Regierung Erhard ist vor anderthalb Jahrzehnten nach einer gewonnenen Wahl an Kräfteverfall
- gemeint ist hier: an innerem Kräfteverfall zugrunde gegangen. So mag es auch der Regierung Schmidt ergehen.
({28})
- Sie fallen immer wieder darauf rein. Denn der allerletzte Absatz lautet folgendermaßen:
({29})
Doch der Blick zurück zeigt, daß es auch anders kommen kann. Wie oft schon schien seit 1969 die SPD/FDP-Koalition am Ende, und immer wieder erholte sie sich.
({30})
- Herr Kohl, hören Sie bitte zu.
Zuschauen und Abwarten, das kann für eine Opposition - ({31}) - Hören Sie sich doch das an, Herr Haase!
({32})
- Dann sagen Sie es mal weiter! - Herr Reißmüller schreibt also:
Zuschauen und Abwarten, das kann für eine Opposition ratsam sein - aber nur für eine Weile. Sonst vergißt das Volk, daß es die Opposition gibt.
({33})
In der Tat, Herr Kohl!
Wenn man hört, wie Sie in diesen vier Tagen Debatte unser Land malen, - ({34})
- Oh, ich habe vieles gehört, die wichtigsten Redner habe ich gehört. Ich höre mir auch Herrn Kohl an. Eigentlich wollte ja Herr Barzel heute morgen reden. Ich höre mir das alles an. Ich habe mir auch Herrn Strauß angehört, und ich habe mir auch den ersten Redner Ihrer Fraktion angehört. Ich habe also das Wesentliche wirklich mitgekriegt.
({35})
- Nein, ich bin ja ein Hanseat. Im Gegensatz zu Ihnen nehme ich j a keine Orden an.
({36})
- Ich glaube nicht, Herr Hupka, daß Sie alle vier Tage hier von A bis Z gesessen haben; das ist auch nicht notwendig. Es gibt auch noch andere Dinge, die man tun muß.
Eins, glaube ich, soll man nicht tun: Man soll dieses Land nicht schwärzer malen, als die Welt insgesamt ist. Man stelle sich bitte einen Augenblick vor, wie die Bundesrepublik Deutschland mit den Augen derjenigen aussieht, die in Warschau Schwierigkeiten haben,
({37})
wie die Bundesrepublik mit den Augen derjenigen aussieht, die in Moskau leben,
({38})
wie die Bundesrepublik mit den Augen derjenigen aussieht, die in Ankara, Rom, Neapel, Paris, London oder Manchester leben,
({39})
Bundeskanzler Schmidt - Afghanistan sowieso.
({40})
Wenn Sie die Reden, die Sie über unser Vaterland halten, draußen im Ausland halten würden, würden die Leute über Sie lachen.
({41})
Die Menschen draußen, die Völker sowohl als auch ihre Parlamente und Regierungen, trauen uns Deutschen nämlich sehr viel mehr zu, als es die Opposition tut. Die haben auch recht darin, sie haben j a gesehen, was die Leistung dieses Landes im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte war. Sie haben das Selbstbewußtsein gesehen, das wir entwickelt haben, gegründet auf tatsächlicher Leistung, nicht auf Ansprüchen an andere. Sie trauen uns das zu, was auch ich uns zutrauen möchte, gestützt auf die Erfahrung, auf Grund der bisherigen Leistung fertig geworden zu sein mit großen Schwierigkeiten weltwirtschaftlicher, auch weltpolitischer Art - nicht mit allen ganz fertig, weiß Gott nicht; dieses Jahr wird schwieriger als das vorherige -, sie trauen uns zu, daß wir so, wie wir bisher mit allen Schwierigkeiten fertig geworden sind, auch in Zukunft mit ihnen fertig werden. Ich traue uns das auch zu. Ich halte es nicht für richtig, eine Rede nach dem Motto „Blut, Schweiß und Tränen" zu halten. So ist die Lage nicht. Wohl aber gibt es ernste Besorgnisse. Es wird ein schwieriges Jahr. Aber wir werden damit fertig, weil wir den Mut haben, die Schwierigkeiten anzupacken, und nicht nur schwarzmalerisch daherreden. - Herzlichen Dank!
({42})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag debattiert nun seit Dienstag früh am vierten Tag das Haushaltsbuch der Nation. Und jetzt, kurz vor Ende der Debatte, hat der Herr Bundeskanzler das Wort genommen und in einer Rede von knapp zwei Stunden - es ist die längste Rede, die in diesen vier Tagen gehalten wurde - fast nichts zu den wesentlichen Problemen unserer Nation gesagt.
({0})
Herr Bundeskanzler, Sie haben am Schluß Ihrer Ausführungen den Beschauer von draußen zitiert. Wer in irgendeinem Land der Welt oder auch, außerhalb dieses Bundestages, draußen in unserem Lande die politische Szenerie in Bonn in den letzten Wochen und Tagen beobachtet hat - ({1})
- Herr Kollege Wehner, ich kenne Ihre alte Taktik: Wenn es für Sie problematisch wird, lärmen Sie, um abzulenken. Das ist eine alte Erfahrung.
({2})
Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auf Sie noch in anderem Zusammenhang zurück.
({3})
Herr Bundeskanzler, jeder hatte doch mit einer gewissen Spannung erwartet: Wie würden Sie, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, 117 Tage nach der Bundestagswahl, bei der ersten Gelegenheit zu aktuellsten Problemen unseres Staates und auch Ihrer Partei Stellung beziehen? Herr Bundeskanzler, es war nicht einmal, wie das sonst bei Ihnen üblich ist, eine markige Rede. Ihre Rede war beiläufig, unverbindlich. Sie haben möglichst alle Antworten auf die wirklichen Probleme, auf die drängenden Fragen vermieden. Es war eine Mischung zwischen Selbstmitleid und Resignation. Und das ist j a auch das Bild, das Sie gegenwärtig bieten.
({4})
Und wenn Sie sich Sorgen über die Union machen - was ich übrigens sehr gut finde, sofern Sie dies aus Ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung tun -, kann ich Ihnen nur raten: Suchen Sie nur den Trost bei uns! Sie werden ihn finden, Herr Bundeskanzler.
({5})
Es war - wie üblich, wenn Sie nicht den Mut aufbringen, das zu sagen, was zu sagen ist - ein weiter Ausflug. Es war wirklich eine Tour d'horizon. Zu dem aber, was hier ansteht, haben Sie fast nichts gesagt.
Herr Bundeskanzler, Sie sind gemeinsam mit dem Kollegen Genscher einmal zu einem „historischen" Bündnis der SPD mit der FDP ausgezogen. Das haben Sie dann noch mit dem Namen „die sozialliberale Koalition" getauft. Wer in diesen Tagen in diesem Hause aus- und eingeht, der kann feststellen: Es ist nichts übriggeblieben von diesem historischen Anspruch. Was sich hier abspielt und darstellt, ist ein ganz einfaches Kartell der Macht: Sie tun alles, um an der Macht zu bleiben.
({6})
So treibt das Regierungsschiff der Bundesrepublik Deutschland mehr oder minder führungslos auf den Gewässern dahin. Die beiden Copiloten haben sich aneinandergebunden, und jeder wartet darauf, wann der andere das Tau kappt. Das ist die wahre innere Lage!
({7})
Und so hat in diesen Tagen Hans Dietrich Genscher, der ein gewichtiger Anwalt und Notar von Beruf ist und etwas vom Festschreiben versteht, dem deutschen Publikum schon mitgeteilt: Diese Koalition wird nicht an der FDP scheitern.
({8})
Verehrter Herr Kollege Genscher, was heißt das eigentlich? Soll das heißen, daß Sie jetzt schon die Geschichtsschreibung präparieren?
({9})
Ist das eine Äußerung zur Disziplinierung der sozialdemokratischen Fraktion, sozusagen als Hilfsaggregat für Herbert Wehner? Vieles geht einem in diesem Zusammenhang durch den Kopf, und es ist ja naheliegend, daß die Freien Demokraten, wenn es jetzt zum Ende geht, nach dem Motto reagieren: Rette sich, wer kann!
Meine Damen und Herren! Die vier Tage haben deutlich gemacht - und eigentlich, Herr Bundeskanzler, hätte ich erwartet, daß Sie dazu auch etwas sagen -, daß nicht nur nicht regiert, sondern sogar miserabel verwaltet wird.
({10})
Wer die Debatte mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister und die Vorgänge um den „Tornado" erlebt hat, der muß einfach sagen: Herr Bundeskanzler, was soll eigentlich draußen im Lande von den Repräsentanten unseres Staates, was soll in der Bundeswehr von einem Kommandeur eines Regiments, eines Bataillons, einer Kompanie erwartet werden, wenn er am Beispiel seines Dienstherrn, am Beispiel des Bundesverteidigungsministers, erlebt, wie der mit den öffentlichen Dingen, mit dem Geld des Steuerzahlers, mit den einfachsten Verwaltungsvorgängen umgeht?
({11})
Es ist deutlich: Vierzehn Wochen nach der Bundestagswahl ist die Krise dieser Regierung unübersehbar. Die Krise dieser Regierung ist zunächst und vor allem auch eine Krise des Regierungschefs, ist der Verfall der Autorität des Bundeskanzlers, ist die ganze Unlust am Geschäft des Regierens, die aus ihm spricht. Bevor Sie, Herr Bundeskanzler, Leitartikel über den Zustand der Union vorlesen, lesen Sie doch wenigstens einmal die Artikel bei sich zu Hause über Ihre eigene Nachfolge, die gegenwärtig diskutiert wird!
({12})
Herr Bundeskanzler, Sie sind in der Zwischenzeit - und hier im Saal kann man es mit Händen greifen, wenn Sie die wirklichen nationalen Probleme ansprechen - ein Kanzler ohne Gefolgschaft in der eigenen Partei geworden.
({13})
Das heißt nicht, daß die Partei nicht immer wieder lautstark bekennen wird, daß sie zu Ihnen steht. Das wird gleich anschließend wieder geschehen.
({14})
Aber es sind so viele - und es werden täglich mehr -, die Sie nur noch zähneknirschend an der Spitze der Regierung ertragen!
({15})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat ja Herr Coppik, eines der Häupter der parlamentarischen Linken in der SPD, genau das formuliert, was so viele bei Ihnen denken, was sie hier im Saal unterdrücken oder dadurch demonstrieren, daß sie bei der Rede ihres eigenen Regierungschefs schon gar nicht mehr den Saal betreten.
({16}) Coppik sagte in dieser Woche:
Ich glaube, wenn diese Politik
- gemeint war die Schmidtsche Politik so fortgesetzt wird, daß sich die Partei überhaupt nicht mehr wiedererkennt in der Politik, die hier gemacht wird. Das führt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust, der außerordentlich schwer wieder wettgemacht werden kann. Deswegen sage ich hier ganz deutlich und ganz hart: Wenn die antisozialdemokratischen Elemente in den Inhalten der Schmidtschen Regierungspolitik nicht abgebaut werden, dann wird unsere Partei so unglaubwürdig, daß sie nicht nur die Regierungsfähigkeit verliert, sondern sogar oppositionsunfähig wird, weil sie als Opposition nicht einmal mehr glaubwürdig die Inhalte vertreten könnte, die sie vorher einmal in ihren Beschlüssen wiedergegeben hat.
Das ist Ihr wahres Problem, Herr Bundeskanzler. Sie vertreten eine Politik, die in Ihrer eigenen Partei keine Gefolgschaft mehr hat.
({17})
Ich komme in einem anderen Zusammenhang noch einmal auf das Thema Kernenergie zurück. Aber weil wir bei dem Thema Gefolgschaft sind: Herr Bundeskanzler, Sie haben hier in einer Weise über das Thema Notwendigkeit von Kernkraft gesprochen, die Ihre ganze Mutlosigkeit und Resignation deutlich macht. Was können Sie denn eigentlich von unseren Mitbürgern erwarten, die zum Teil in schwierigen Diskussionen mit Gegnern jeglicher Art der Kernkraft stehen, wenn Sie auf die Frage der Kollegin aus Schleswig-Holstein erklären, Ihr Ort der Diskussion für dieses Thema sei dieser Raum. Das ist wahr für den deutschen Bundeskanzler, aber Sie sind doch nur deutscher Bundeskanzler geworden, weil Sie auch einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sind.
({18})
Ich kann nur sagen, für mich ist das ein Beispiel für Ihren Mangel an Mut und für Ihren Mangel an Autorität, daß Sie nicht auf Ihrem eigenen Parteitag hinstehen.
({19})
Wie wollen Sie denn in Ihrer Partei Autorität besitzen, wenn Sie hier in einer beinahe akademischen Art über die Probleme reden - natürlich müssen Sie auch hier darüber reden -, aber wenn Sie in jener Landespartei, die Sie geprägt hat, aus der Sie in 30 Jahren hervorgegangen sind, auch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, im Hamburger Landesverband, kneifen, wenn es darum geht, Position zu beziehen?
({20})
Herr Bundeskanzler, überlegen Sie doch einmal, wie dies beispielsweise auf die Polizeibeamten in Niedersachsen, in Hamburg und in Schleswig-Holstein wirken muß, die so wie Sie und ich in diesen Tagen in den Zeitungen gelesen haben, daß der große Schlag gegen Kernkraftwerke jetzt bei der Riesendemonstration mit den geplanten über 100 000 Demonstranten in Brokdorf geführt werden soll. Auf dem Hamburger Landesparteitag geht es um Brokdorf. Wenn Sie selbst dort nicht Farbe bekennen, wenn Sie nicht bereit sind, sich kämpferisch für Ihre Sache einzusetzen; wie können Sie mit diesem Beispiel erwarten, wenn es in Brokdorf darum geht, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, daß die Polizeibeamten das tun, was ganz selbstverständlich von ihnen erwartet wird?
({21})
Aber Sie können es nicht tun, weil Sie keine Gefolgschaft mehr haben. Wie sagte auch in dieser Woche - und darauf möchten wir eine Antwort von Ihnen - Herr Matthiesen, der Vorsitzende der SPD, der Oppositionsführer in Schleswig-Holstein:
Es ist für mich ein unerträglicher Zustand, wenn wir in Bonn
- gemeint ist die SPD gemeinsam erklären, Brokdorf müsse regional entschieden werden, und gleichzeitig vom Regierungssprecher nachgeschoben wird, die Bundesregierung beabsichtige, über ein bundeseigenes Unternehmen eine regionale Nein-Entscheidung durch ein überregionales Ja zu unterlaufen.
Jetzt kommt der Satz:
Bonn
- gemeint sind Sie, Herr Bundeskanzler muß wissen, daß man mit mir nicht so umgehen kann wie mit Erhard Eppler.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat von Herrn Matthiesen.
Wie hieß es auf dem Plakat, das im April 1979 in Schleswig-Holstein bei der Landtagswahl zu sehen war? „Wählt Matthiesen, damit es Schmidt leichter hat!"
({22})
Es ist die Krise des Kanzlers, die aus der Krise der SPD resultiert und zu einer Krise der Koalition geworden ist. Das kann uns nicht einerlei sein, gleich wo wir politisch stehen, weil dies eine Krise der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und insofern auch, als Bürger dieses Landes, unserer Regierung ist. In allen wirklichen Lebensfragen des Volkes sind Sie heillos zerstritten. Sie können das nicht dadurch reparieren, daß Sie hier Bekenntnisse abgeben, die von der Opposition mit Beifall bedacht werden,
({23})
und von Restbeständen der Sozialdemokraten akklamiert werden, von denen der größere Teil gar nicht klatscht oder nicht im Saal ist.
({24})
Ich will ein Beispiel sagen. Was Sie hier zum Bereich der innerdeutschen Beziehungen und der Staatsbürgerschaft gesagt haben, findet unsere volle Zustimmung. Bloß, Herr Bundeskanzler: Warum sagen Sie das hier? Das ist doch nicht eine Sache, die Sie uns zu sagen brauchen. Bis vor wenigen Tagen war Herr Günter Gaus Staatssekretär in den Diensten der von Ihnen geführten Regierung. Was dieser Mann denkt - das ist nicht neu; das wußten Sie wie ich seit langem -, hat er jetzt, kaum war er aus diesem Amt heraus, gesagt, als er öffentlich erklärte, die Deutschen müßten auf den Begriff der einen deutschen Nation verzichten.
({25})
- Herr Hoppe, weil Sie jetzt so freundlich nicken, will ich Sie ansprechen. Unser verehrter, geschätzter Kollege Hoppe hat darauf ja eine markige Erklärung abgegeben und das zurückgewiesen. Aber, Herr Hoppe, wie können Sie denn hier über Herrn Gaus so eine Erklärung abgeben und in der gleichen Woche denselben Mann mit Ihren Stimmen, den Stimmen der FDP, zum Wissenschaftssenator von Berlin wählen!
({26})
Verehrter Herr Hoppe, wissen Sie: Wenn Sie ihn zum Bausenator gewählt hätten - die Qualifikation dafür ist bei ihm die gleiche - dann würde ich sagen: Na gut. Aber Wissenschaftssenator, Herr Hoppe, heißt doch, wenn ich mich nicht täusche: die Berliner Universitäten, die Hohen Schulen der Stadt; das hat etwas mit den Studenten zu tun,
({27})
- auch mit der Nationalstiftung, Herr Kollege Barzel - das ist ganz richtig; dieser Einwand ist noch sehr viel prägnanter. Herr Kollege Hoppe, wie soll denn ein Mann als Wissenschaftssenator
({28})
im Umgang mit den Studenten eigentlich eine Politik vertreten, die Sie, der Kollege Genscher und heute wieder der Bundeskanzler hier so leidenschaftlich mit uns gemeinsam vertreten, wenn er in dieser Frage, die keine Randfrage, keine marginale Frage, sondern eine zentrale Frage der deutschen Politik ist, völlig anders denkt? Herr Gaus ist jenseits aller politisch-historischer Vorstellungen, die für uns erträglich sind. Man kann über vieles im Detail reden. Aber daß wir die Einheit der deutschen Nation nicht aufgeben, sondern durch die Geschichte tragen, ist Voraussetzung für die Zukunft unseres Volkes.
({29})
Herr Bundeskanzler, warum sagen Sie denn nicht einfach - Sie brauchen j a nicht die rüden Umgangsformen und Formulierungen Ihrer Fraktionskollegen zu wählen -:
({30})
Ich bin nicht der Meinung des Herrn Gaus; ich halte das für ganz und gar falsch; ich würde sehr begrüßen, wenn - -({31})
- Nein; er hat es nicht gesagt, Herr Kollege Genscher. Er hat ganz allgemein von „jenen" geredet.
Wir wollen, daß wieder Roß und Reiter genannt werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn hier ein kompetenter Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, etwa der Kollege Brandt oder der Kollege Wehner, sagte: Das ist eine reine Privatmeinung von Herrn Gaus. Es ist auch überfällig, daß sich zu diesem Punkt sehr rasch der neue Regierende Bürgermeister von Berlin zu Wort meldet.
({32})
Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte.
Herr Dr. Kohl, würden Sie einmal bemüht sein, jemand damit zu beauftragen, Ihnen das zugänglich zu machen, was der von Ihnen hier Angesprochene und Sie jetzt Fragende zu solchen Sachen gesagt hat, z. B. im Jahr 1977 in einer Pressekonferenz in Berlin ({0}) im Rathaus, wo er das nämlich zurückgewiesen hat?
({1})
- Da haben Sie Ihre Gefolgschaft, die schreien in einer Sache, in der ich Sie bitte, feststellen zu lassen, daß 1977 Herrn Gaus in dieser Auffassung mit großer Eindeutigkeit von mir als Vorsitzendem der Bundestagsfraktion der SPD im Berliner Rathaus widersprochen worden ist.
Herr Kollege Wehner, ich nehme das sehr dankbar zur Kenntnis. Aber ich sprach ja den konkreten Vorgang von dieser Woche an, nicht aus dem Jahre 1977.
({0})
- Einen Augenblick. Herr Kollege Wehner, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie - übrigens auch andere aus Ihrer Fraktion - bereits zu einem früheren Zeitpunkt dieser Meinung, die Gaus jetzt wieder geäußert hat, widersprochen haben. Nur ist Herr
Gaus in der Zwischenzeit Wissenschaftssenator von Berlin geworden.
({1})
Er ist in Berlin in einer Position sehr eigener Art; ich habe gerade versucht, sie zu beschreiben. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es einfach überfällig ist, daß entweder der Regierende Bürgermeister von Berlin oder der Parteivorsitzende Willy Brandt, der in dieser Sache auch kompetent wäre, noch einmal klipp und klar sagen: „Das, was Gaus hier vertritt, ist nicht unsere Meinung"?
({2})
Jetzt muß ich Sie bei aller Freiheit des Denkens und der Liberalität des Handelns fragen: Glauben Sie wirklich, Herr Kollege Wehner, daß ein Mann im Blick auf die Studenten als Wissenschaftssenator geeignet ist, der in dieser elementaren Frage so völlig anderer Meinung ist?
({3})
Meine Damen und Herren, ich darf dann zu einem anderen wichtigen Bereich übergehen.
({4})
- Ich möchte jetzt in meiner Rede fortfahren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sehr vieles Gutes über die deutsch-amerikanischen Beziehungen gesagt. Das allermeiste davon könnte jeder von uns in der CDU/CSU-Fraktion und in der Union genauso gesagt haben. Sie haben die Hoffnung auf eine stetige Politik ausgedrückt; das haben wir immer gesagt. Wir haben der Administration Reagan mit großen Erwartungen entgegengesehen, und wir sind dankbar dafür, daß die Personalentscheidungen im Bereich der auswärtigen Politik dort so getroffen wurden, daß der Außenminister, sein Stellvertreter, der Sicherheitsbeauftragte im White House Leute sind, die die europäischen und deutschen Verhältnisse gut kennen und von denen man mit Fug und Recht, ohne ihnen zu nahe zu treten, sagen kann: Das sind gute Freunde der Deutschen. Dafür sind wir dankbar. Wir sehen der Arbeit dieser Administration voller Erwartungen entgegen.
({5})
Ich sage hier, weil dies die erste Gelegenheit dazu ist: Wir haben auch allen Grund - bei allem, was uns in den letzten vier Jahren kritisch belastet hat
- der ausscheidende Administration ein Wort des Dankes zu sagen, auch Präsident Carter. Wir waren nicht in allen Punkten mit seiner Politik in Übereinstimmung, aber er war ein Mann, der versucht hat,
in seinem Amt das Beste zu geben, und der nicht zuletzt im Bereich der Verteidigungspolitik für die Zukunft Europas Gutes geleistet hat. Auch das sollte man bei dieser Gelegenheit sagen.
({6})
Herr Bundeskanzler, was mich verwundert, ist auch hier wieder ihr Ausschweifen in ferne Dimensionen. Sie haben im Blick auf die neue Administration wörtlich gesagt - ich habe es mir aufgeschrieben -:
Es gibt keinen Grund, der neuen amerikanischen Administration in der europäischen Öffentlichkeit mißtrauisch zu begegnen.
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Wer ist eigentlich die „europäische Öffentlichkeit"? Ist das beispielsweise Ihre eigene Parteizeitung, der „Vorwärts"? Dort wird in der Ausgabe vom 15. Januar - es ist also nur ein paar Tage her - in einem Leitartikel unter der Überschrift „Beginn der Reagan-Ära - Zu stark für den Frieden" der amerikanischen Administration von vornherein unterstellt:
An ihre Stelle soll die globale Konfrontation mit der Sowjetunion treten.
Ja, meine Damen und Herren, das können Sie gegenwärtig ja nicht einmal in sowjetischen Propagandablättern lesen,
({7})
daß sie die Reagan-Administration verdächtigen, sie wolle die Konfrontation.
({8})
Jetzt frage ich Sie wirklich: Warum stellen Sie sich hier hin und sagen „europäische Öffentlichkeit"? Das ist SPD-interne Parteiöffentlichkeit, die hier gemeint und angesprochen ist.
({9})
Statt daß Sie hier Briefe verlesen, die Sie mit dem bayerischen Ministerpräsidenten wechseln, hätten Sie einmal die Fragen beantworten sollen, die er gestellt hat.
({10})
Er hat Sie beispielsweise danach gefragt, was Sie davon halten, daß Ihr Fraktionskollege Wolfgang Roth, mit dessen Stimme Sie j a auch Kanzler geworden sind, im Blick auf die neue US-Regierung unter Ronald Reagan gesagt hat:
Die handeln nach dem Motto „Kanonen statt Butter". Das sind für mich schreckliche Perspektiven. Jeder, der die deutsche Geschichte kennt, weiß, daß dieser entsetzliche Vergleich auf Hermann Göring zurückgeht.
Herr Bundeskanzler, das ist nicht die europäische Öffentlichkeit, das ist ein Fraktionskollege aus Ihrer eigenen Partei. Das ist einer, bei dem Sie offensichtlich nicht den Mut haben, öffentlich zu erklären, das sei ein unerhörter Vorgang.
({11})
Es ist eine Beleidigung der neuen amerikanischen Administration, in dieser dümmlichen Weise einen Vergleich zu Nazi-Parolen herzustellen. Aber, Herr Bundeskanzler - das ist wiederum die andere Seite der Medaille -, das ist ein Stück der antiamerikanischen Kampagne, die von bestimmten Teilen der SPD seit vielen Jahren geführt wird.
({12})
Ich sage nicht, daß Sie sich daran beteiligen. Ich sage nur, daß Sie zu schwach sind, diesen Leuten in der eigenen Partei zu widerstehen.
({13})
Dann, Herr Bundeskanzler, haben wir heute ein Paradestück Ihres zusammengebrochenen Crisis Managements gehört, als Sie über die Notwendigkeiten des Rüstungsexports, der Begrenzungen gesprochen haben. Um es gleich vorweg zu sagen: Sie haben immer in diese Richtung geschaut, als hätten die Kollegen bei der FDP den besonderen Zuspruch nötig. Aber gemeint haben Sie natürlich diese Seite des Saales.
({14})
Sie haben da eine Rede gehalten, die sicher ganz weitgehend richtig war. Das allermeiste kann von uns so unterstrichen werden.
({15})
Was Sie etwa zur Freundschaft zu arabischen Ländern, insbesondere zu Saudi-Arabien sagten: voll einverstanden. Was Sie über die internationale Verantwortung auch der Bundesrepublik in dieser Region der Welt gesagt haben: voll einverstanden. Nur, Herr Bundeskanzler, wenn ich mich richtig erinnere, haben Kollegen aus der Union vor der Bundestagswahl nach Afghanistan ähnliches gesagt. Damals ist doch bei der Wahl von Ihren Leuten in Nordrhein-Westfalen dann dieses Spektakulum gemacht worden, wir wollten deutsche Soldaten an den Persischen Golf schicken.
({16})
Das, was damals richtig war, ist natürlich heute auch richtig. Nur, vor der Wahl hatten Sie nicht den Mut, offen unseren Bürgern zu sagen, worum es geht.
({17})
Was mich an der Sache wirklich verblüfft, ist, wie Sie jetzt mit einer Gelassenheit davon sprechen, wieviel Zeit wir noch hätten, in diesen Fragen einzelnes zu entscheiden. Wir haben aus dem Mund des Kollegen Wehner mit großem Interesse gehört - so sagte er in der Fraktion -, daß er gemeinsam mit dem Kollegen Mischnick schon am 8. Juli 1980 - vor einem halben Jahr - in gleichlautenden Briefen vom Bundeskanzler Klarheit in Fragen des Rüstungsexports gefordert habe. Wehner erklärte dann laut Pressemeldungen weiter vor seiner Fraktion, eine Antwort sei erst am 9. Januar 1981, d. h. acht Wochen nach der Bundestagswahl, gekommen.
Nun, Herr Bundeskanzler, es war sehr eigenartig, was Sie hier alles an Mahnungen gerichtet haben. Sie haben in der immer bei Ihnen eigentümlichen
Weise irgend jemanden angesprochen. Erst auf die drängenden Zwischenrufe unserer Kollegen haben Sie dann ein neues Opfer gefunden. Es sind jetzt die deutschen Bischöfe und Kirchenpräsidenten. Sie haben also die Bischöfe und die Kirchenpräsidenten angesprochen. Hier gibt es auch besorgte Stimmen, die man ernst nehmen muß. Aber Sie haben doch nun wirklich nicht an die Bischöfe gedacht, als Sie über diese Frage redeten. Sie haben doch an die Sozialdemokratische Partei und Fraktion gedacht. So viel Ähnlichkeit hat der Kollege Wehner mit einem deutschen Bischof doch wieder nicht, daß es passieren kann, daß er verwechselt wird.
({18})
Herr Bundeskanzler, Sie haben auch das Stichwort Chile gegeben. Ich bin eigentlich erstaunt über das, was Sie da gesagt haben. Wenn uns nicht alle Informationen täuschen, hat der Bundesverteidigungsrat unter Ihrem Vorsitz, unter dem Vorsitz des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, diesem Geschäft der Lieferung von U-Booten an Chile zugestimmt. Wenn meine Informationen nicht falsch sind, sind diese Boote bereits im Bau. Es sind also zwei Probleme. Es ist das eine Problem: Liefert man an Chile oder nicht? Und es ist das zweite Problem - und das kann dem Kanzler doch nicht ganz einerlei sein-: Gilt eigentlich das gegebene Wort einer Regierung gegenüber jedermann in diesem Lande?
({19})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie jetzt das Wort zurücknehmen, müssen Sie es begründen; aber sicher ist doch, daß Sie dann regreßpflichtig sind.
({20})
Das ist kein Thema, wo Sie sagen könnten, das müssen wir irgendwann mal in bedächtiger Rede und Gegenrede im Auswärtigen Ausschuß erörtern. Sie haben uns vorher auch nicht gefragt, Sie haben es doch genehmigt. Wenn jetzt Wehner und andere erklären - ich könnte die ganzen Zitate hier bringen -, dieses Geschäft habe keine Mehrheit in der SPD, dann frage ich Sie vor aller Öffentlichkeit: Wie soll es denn weitergehen in dieser Sache? Wir werden doch danach gefragt.
({21})
Ich will hier sehr präzise unsere Position festlegen:
1. Wir halten eine weltweite Beschränkung des Rüstungsexports unter Einschluß der Sowjetunion und ihrer Verbündeten für notwendig. Wir fordern die Bundesregierung auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine international kontrollierte Vereinbarung dieser Art zu erreichen.
2. Die CDU/CSU sieht die vordringliche Aufgabe der deutschen Rüstungsindustrie in der Erhaltung der eigenen Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der Arbeitsteilung der NATO. Die deutsche Rüstungsindustrie in ihrem gegenwärtigen Umfang ist im übrigen auch von technologischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Bedeutung.
3. Die CDU/CSU tritt auch in Zukunft für eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik ein.
4. Solange politische Konfliktregelungen und vertragliche internationale Rüstungsbeschränkungen nicht erreicht sind, muß sich unser Rüstungsexport nach den vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland an einer weltweiten Sicherung des Friedens und der Freiheit, unserer Verteidigungsfähigkeit und unseres wirtschaftlichen Lebensgrundlagen richten.
5. Die Bundesregierung muß durch eine Entscheidung im Einzelfall die politische Kontrolle über den deutschen Rüstungsexport behalten.
Herr Bundeskanzler, Sie haben mich gefragt: Wo ist Ihre konkrete Aussage zur Politik? Ich habe Ihnen soeben in fünf klaren Punkten konkret ein Angebot einer konkreten Politik in einer sehr schwierigen Frage gemacht. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie Entsprechendes vorlegen könnten.
({22})
Sie haben hier - ich komme noch darauf zurück - vor allem auch wieder das Thema geistige Führung angesprochen. Herr Bundeskanzler, geistige Führung bedingt moralische Kraft, bedingt, ganz klar und deutlich unseren Mitbürgern zu sagen, wie die wirkliche Lage unseres Landes ist, nicht unnötig dramatisiert, aber genausowenig geschönt. Es ist offenkundig, elf Jahre nach der Begründung der Koalition zwischen SPD und FDP sind Sie am Ende mit dem, was konstruktiv Ihr Beitrag sein könnte.
Sie sind einmal ausgezogen, mehr Demokratie zu wagen. Das war das Wort Willy Brandts. Ihr jetziger Bundesgeschäftsführer - Richard Weizsäcker hat es angesprochen, ich nehme es noch einmal auf - kann im Blick auf die fälligen Entscheidungen in Berlin sich nur noch mit einem militanten Vokabular über die Runden reden, indem er sagt: Wenn Berlin fällt, fällt auch Bonn.
Meine Damen und Herren, was ist das für ein Republik-, was ist das für ein Demokratieverständnis, wenn das wichtigste Stück, der wichtigste Ertrag politischer Kultur, daß Machtwechsel in der Demokratie in den kultiviertesten Formen eines Entscheids des obersten Souveräns, des Wählers, vonstatten gehen, mit einem so militanten Ausdruck wie „der Fall von Berlin" beschrieben wird?
({23})
So ist das. So sind Sie in Ihrem Demokratieverständnis in elf Jahren an der Macht heruntergekommen - man muß es so ausdrücken, weil es kein anderes Wort dafür gibt.
({24})
Sie haben sich, gerade Sie, Herr Bundeskanzler, bei den Wahlen in 1976 und bei den Wahlen in 1980 eben nur dadurch an der Macht gehalten, daß Sie immer mehr allen alles versprochen haben. Das ist keine Politik, die eine Perspektive und Zukunft beinhaltet, das ist eine Politik, die sich im wesentlichen darauf beschränkt, über die Demoskopie die Wünsche einzusammeln, sie mehr oder minder schlecht zu verwalten und gegenüber möglichst wählerstarken Gruppen zu erfüllen. Es ist nichts mehr in Ihrer
Politik vom Anspruch sozialer Gerechtigkeit, die einmal Grundprinzip sozialdemokratischer Politik in Deutschland war.
({25})
Wer von Demokratie redet und wer als Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, Herr Bundeskanzler, der muß gerade in diesen Zeiten, in die wir jetzt eingetreten sind, auch den Mut haben, unseren Bürgern nicht nur von den Rechten, sondern auch von den Pflichten zu reden. Er muß davon reden - und das hat überhaupt nichts mit einer Sprache der Vergangenheit zu tun -, daß unser Gemeinwesen, unser Staat, diese Bundesrepublik Deutschland, nur geraten kann, wenn wir als Bürger bereit sind, unseren Beitrag auch in einem persönlichen Opfer für diesen Staat zu bringen.
({26})
Herr Bundeskanzler, genau das war in jener Debatte gemeint, als wir über geistige Führung sprachen. Bitte, unterlassen Sie es, hier eine Interpretation vorzunehmen, die schlimme Kapitel der deutschen Geschichte heraufbeschwört. Die Christlich Demokratische und die Christlich-Soziale Union sind, von der Stunde ihrer Gründung an, ganz und gar unfähig, blanke Hegelianer zu werden. Wenn Sie die Ideengeschichte des 19. und des 20. Jahrhunderts betrachten, werden Sie andere in diesem Hause finden, die da sehr viel empfindlicher getroffen werden könnten.
({27})
Herr Bundeskanzler, wir alle haben die Lektion der Geschichte gelernt. Und bei all dem, was uns im politischen Alltag trennen mag, plädiere ich gerade auch zu Beginn dieses so schwierigen Jahrzehnts der 80er Jahre dafür, daß wir jene große Grundstimmung, jene große moralische Grundströmung des Wiederbeginns eines freiheitlichen Deutschlands nach 1945 zwischen allen demokratischen Parteien nicht verwischen, daß man sich gegenseitig vor allem einmal bestätigt, Herr Bundeskanzler, daß man aus der Geschichte gelernt hat. Zum Lernen aus der Geschichte gehört für mich auch, für alle Gruppen unseres Landes, daß der Staat nicht das letzte aller Dinge ist, nicht sein kann. Als Christen versuchen wir doch, das, was Diesseitiges und Auftrag für unser Leben ist, auch in der Perspektive unseres transzendenten Auftrags zu sehen. Herr Bundeskanzler, wer so denkt - und ich unterstelle, Sie denken in diesem Falle genauso wie ich -, der ist doch dagegen gefeit, geistige Führung im Staat in einer Perspektive zu betrachten, als wollten wir von Staats wegen - wie heißt Ihre- Formulierung? - Vordenker und Vorschreiber sein. Überhaupt nicht!
Aber geistige Führung in einem Lande geht eben aus den Schichten hervor, die dieses Land bewegen. Sie haben in der Debatte im November genannt: die Kirchen - ganz richtig -, die geistige, die intellektuelle Welt - das ist ganz richtig. Sie haben nicht ohne Grund das Wort vermieden, was eigentlich an diesèr Stelle zu kommen hatte, was ich gerne anspreche: jene Leistungseliten, die Träger unseres Landes sind. Keiner von uns will den egalitären Grundzug unserer Gesellschaft wieder zurückführen. Daß Gleichheit und Solidarität wichtige, tragende Prinzipien unserer Gesellschaft sind, steht außer Frage. Aber wir werden diese Prinzipien nicht halten können, wenn es nicht in allen Gruppen unserer Bevölkerung - das ist nicht eine Frage des Zertifikats einer Universität - Menschen, Männer und Frauen gibt, die eben aus ihrer Verantwortung heraus etwas für dieses Gemeinwesen tun, im besten Sinne des Wortes Eliten sind. Das hat etwas mit geistiger und hat etwas mit moralischer Führung in unserem Lande zu tun.
({28})
Schon der Verfassungstext widerlegt Sie ja. Wenn es heißt, daß Sie als Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmen, dann ist doch da mit hineingegossen, daß Politik hinüberführt zur Staatskunst, wenn es wirkliche Politik ist. Hinüberführen zur Staatskunst beinhaltet, daß Politik, wie wir sie als freiheitliche Politik verstehen, auf ethischen Normen ruht und daß diese ethischen Normen im Alltag der Politik anzuwenden und zu praktizieren versucht wird. Das ist ein zutiefst geistig bewegender Auftrag. Da brauchen wir in der politischen Verantwortung - ganz gleich, ob Regierung oder Opposition, jeder Kollege hier im Hause - möglichst viele Anregungen, da brauchen wir Offenheit, Dialogfähigkeit und Sensibilität, da brauchen wir die Demut vor der Aufgabe der Geschichte. Das alles gehört dazu.
Aber geistig-moralische Führung der Politik ist kein totaler Anspruch, es ist ein Auftrag. Wenn Sie als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt sind, stehen Sie in der Reihe der Kanzler unseres Volkes. Und wenn Sie diese Reihe entlangsehen, hat jeder aus dieser Reihe, von einem vielleicht abgesehen, gesagt: Ich habe meinen Auftrag so verstanden, daß eben politische Führung auch ein Stück geistig-moralisch prägende Kraft beinhalten muß. Darauf habe ich Sie angesprochen, und darauf müssen Sie unserem Volke eine Antwort geben!
({29})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie hier über die junge Generation gesprochen haben, dann frage ich mich, warum Sie da in die Schweiz gehen müssen. Natürlich ist das wahr, was Sie aus Zürich erwähnt haben. Aber Sie brauchen doch nur ins eigene Land zu gehen. Wir haben doch in den letzten Jahren dutzendemal darüber gesprochen. Der Rückzug bestimmter Teile der jungen Generation in die Welt des Privaten, die Zunahme der Suchtkrankheiten, die Resignation, das, was doch jetzt so schlimm ist, ist ja nicht Protest wie in den sechziger Jahren - denn Protest beinhaltet noch ein Identifizeren, wenn auch in Gegnerschaft, mit dem Ganzen -, sondern es ist die Abwendung.
In diesen Tagen kommen wieder die Wahlergebnisse von deutschen Universitäten. Wenn Sie sich einmal vorstellen, Herr Bundeskanzler - das muß uns doch nachdenklich machen -, daß an vielen deutschen Universitäten - das sind doch jene Stätten, an denen die mittlere und die obere Führungscrew der Zukunft unseres Landes für die nächsten Jahrzehnte ausgebildet wird -, die Wahlbeteiligung zu den Studentenparlamenten nunmehr zwischen
20 und 30 % liegt, dann weist das doch auf eine Abkehr hin aus vielen Gründen. Ich will das nicht verurteilen, sondern es hier nur einmal als Feststellung bringen. Alles das, was heute in der jungen Generation zu beobachten ist, diese Zunahme an Resignation, hat doch viele Gründe, unter anderem auch den Grund, daß die in den elf Jahren von Ihnen getragenen Regierungen, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, Erwartungen geweckt haben, aber eine bittere Enttäuschung am Wegesrand übriggeblieben ist.
({30})
Was jetzt fehlt, Herr Bundeskanzler, ist nicht das Wort des Präzeptors Germaniae Helmut Schmidt, der ex cathedra den Deutschen sagt, was sie zu denken haben, überhaupt nicht. Was fehlt, sind das Wort und das Beispiel des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der auch jungen Leuten sagt - ganz konkret, etwa in der Diskussion um Brokdorf -: Was ihr da macht, führt in euer eigenes Elend. Da genügt es doch nicht, einen Brief an Herrn Stoltenberg zu schreiben.
({31})
Ich will in der Kürze der Zeit nur ganz wenige Beispiele ansprechen. Sie haben heute kein Wort darüber gesagt, daß wir jetzt 5% Arbeitslosigkeit und 6 % Inflation haben. Meine Damen und Herren, Sie reden davon, wir müßten wieder konkurrenzfähig werden. Völlig einverstanden, Herr Bundeskanzler!
({32})
Sie sagten: Das ist eine Sache der denkenden Kräfte in den Unternehmen, der Unternehmer. Ich höre das gerne, daß die Unternehmer jetzt sozusagen von Ihnen wieder promoviert werden. - Aber ich muß das wieder zurücknehmen: Sie haben sie immer promoviert, ihre politischen Freunde jedoch sehr viel weniger. Sie haben kein Wort vom Ausbleiben des Wachstums gesagt. Sie haben kein Wort vom Verfall der Leistungsbilanz gesagt, von jener düsteren Bilanz, die Sie doch dieser Tage im Wirtschaftskabinett besprochen haben. Sie haben kein Wort gesagt, Herr Bundeskanzler - der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der Sozialdemokrat Helmut Schmidt -, von der steigenden Arbeitslosigkeit. Wir haben hier das erstaunliche Zitat des Kollegen Brandt dieser Tage gehört, der gesagt hat: Die Sozialdemokraten sind die Partei der Arbeitnehmer und auch der Arbeitslosen. In der Tat, das sind Sie geworden, meine Damen und Herren.
({33})
Herr Bundeskanzler, warum ziehen Sie nicht mit uns durchs Land und werben beispielsweise in schwierigen Diskussionen - dies weiß ich - bei der jungen Generation auch um der Zukunft der Jungen willen um mehr Verständnis für die Notwendigkeit von Kernkraft? Das ist doch keine Sache, von der man sagen kann: Das wird jetzt regional erledigt. Weil nun zufällig der Ort Brokdorf in Schleswig-Holstein liegt, muß Gerhard Stoltenberg dafür den Kopf
hinhalten. Oder weil zufällig Gorleben in Niedersachsen liegt, muß Ernst Albrecht den Kopf hinhalten. Das ist doch unsere Sache. Das ist doch gar nicht wahr: Es gibt doch keine SPD- und keine CDU/CSU- und keine FDP-Kernkraftpolitik. Es gibt doch nur eine Kernkraftpolitik der Vernunft, Herr Kollege Ehmke, nur eine Kernkraftpolitik der Vernunft. Keiner von uns ist doch kernkraftsüchtig. Was da alles für ein Quatsch in Ihren Reihen erzählt wird!
({34})
Ein jeder von uns war doch immer bereit, aus ureigenstem Interesse und Antrieb den Satz auszusprechen, daß die Sicherheit des Bürgers den absoluten Vorrang vor allen wirtschaftlichen Überlegungen hat.
Herr Kollege Ehmke, ich hatte als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz die Frage zu prüfen, ob mitten in meiner Heimatstadt in einem Großbetrieb ein solcher Reaktor gebaut wird. Ich habe das nach sorgfältiger Prüfung damals bejaht. Ich habe auch an mich gedacht. Ich wohne dort mit meiner Familie in Luftlinie 1,5 km von dem denkbaren Standort entfernt. Hören wir doch auf, uns mit solchen Behauptungen gegenseitig zuzudecken! Jeder, der denkt - und der Kanzler hat doch recht, wenn auch er das sagt -, weiß, daß wir in den 90er Jahren den Anschluß an die Weltmärkte und die Konkurrenzfähigkeit verlieren werden, wenn wir nicht hinreichend und einigermaßen preisgünstig Energie haben. Wenn Sie wissen, wie lange - und Sie wollen das jetzt mit der Verbandsklage noch weiter verlängern - in unserem Rechtsstaat Genehmigungsverfahren für Kohle- oder Kernkraftwerke dauern, 12, 14, 15 Jahre, dann wissen Sie: Was jetzt nicht geschieht, Herr Ehmke, in diesen vier Jahren, steht im Jahr 2000 nicht.
Herr Bundeskanzler, Sie nehmen doch gerne Bezug auf Ihre enge Freundschaft mit Giscard d'Estaing. Warum haben Sie hier nicht einmal vorgegelesen, was Ihr Freund Giscard d'Estaing in seiner Neujahrsansprache im Blick auf die industrielle Zurüstung Frankreichs gesagt hat, wo er voller Stolz darauf hinweist, daß die Franzosen so viele Anlagen in Planung und im Bau haben, daß sie im Jahre 1985 50 % und im Jahr 1990 90 % aus Kernkraftwerken versorgen können? Ich erlebe es in meiner engeren Heimat an der französischen Grenze, in der Pfalz - ähnliches ist in Baden zu beobachten -, wie jetzt dort Werbung betrieben wird bei den Betrieben, um sozusagen den Anschluß an die sichere Steckdose in Lothringen und im Elsaß zu finden.
Herr Bundeskanzler, das sind doch die Probleme, die die Menschen berühren. Sie können nicht glauben, daß unsere Wirtschaft wieder einigermaßen flott wird, wenn es nicht in der Zukunftserwartung, sei es in der Ausstattung mit Energie, sei es in der Forschungsförderung - mit all den sozialistischen Implikationen, die Ihre Freunde hineingebracht haben - wieder eine Politik der Vernunft gibt. Das ist doch die Voraussetzung.
({35})
Da ist noch ein Punkt. Sie haben hier zu Recht den großen Beitrag der deutschen Gewerkschaften zum
Wiederaufbau gerühmt. Nur: Die Rechnung stimmt so nicht ganz, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, die wirtschaftliche Entwicklung, die Konkurrenzfähigkeit hingen vor allem von den Unternehmern und den kreativen Kräften in den Unternehmen ab. Bis dahin stimmt es, aber wenn Sie den Satz beenden, dann stimmt es nicht, weil der zweite Teil auch dazugehört.
Daß die Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, ist nicht nur legitim, es ist eine Notwendigkeit freiheitlicher Demokratie. Aber es gilt auch für diesen Bereich der Satz, daß die Vertretung eigener Interessen dann ihre Grenze haben muß, wenn das Gesamtinteresse damit entscheidend benachteiligt wird. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, zur geistigen Führung gehört intellektuelle Glaubwürdigkeit, und zu intellektueller Glaubwürdigkeit gehört dann, daß man nicht - wie Sie das im Oktober 1980 getan haben - in sein Wahlprogramm hineinschreibt:
Wir werden gemeinsam mit den Gewerkschaften in den nächsten Jahren die Wochenarbeitszeit verkürzen, die Lebensarbeitszeit verkürzen und den Urlaub verlängern.
Meine Damen und Herren, diese Rechnung stimmt nicht. Es ist in Wahrheit ein Betrug am deutschen Arbeitnehmer, wenn man das in dieser gesamtwirtschaftlichen Lage als ein Rezept deutscher Politik ausweist.
({36})
Meine Damen und Herren, ich will noch ein Wort zu einem Kapitel sagen, das in Ihren Ausführungen überhaupt nicht vorkam, obwohl es sehr viel mit geistiger und moralischer Führerschaft zu tun hat. Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Verteidigungshaushalt und im Zusammenhang mit der Diskussion um das, was Herr Apel getan oder nicht getan hat, ist hier zwangsläufig wieder das Verhältnis zwischen SPD und Bundeswehr aufgebrochen.
Meine Damen und Herren, für die Zukunft der deutschen Demokratie wie für die 30 Jahre seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war und ist es auch in Zukunft lebensentscheidend, daß das Verhältnis einer so großen traditionsreichen Partei wie der Sozialdemokratischen Partei mit einer bestimmten Anhängerschaft, vor allem in den Gewerkschaften und bei der Arbeitnehmerschaft, zur demokratischen bewaffneten Macht unseres Staates intakt ist. Es kann gar keine Rede davon sein, daß irgendeiner von uns ein Interesse daran hätte, dieses Verhältnis zu stören,
({37})
weil es lebenswichtig ist, daß diese Bundeswehr nicht die Bundeswehr irgendeiner Partei, sondern die Bundeswehr des deutschen Volkes ist. Aber sehen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn das so ist, dann können Sie doch nicht einfach darüber hinweggehen und verschweigen, daß jetzt in einem Teil Ihrer Partei die alten Komplexe in einer zutiefst schädlichen Weise wieder so hervorbrechen. Wenn in dieser Lage - Sie haben sie viel besser beschrieben, als ich es
jetzt in der Kürze der Zeit tun kann -, in der wir uns in Gesprächen mit unseren amerikanischen Freunden über Fragen der Abrüstung und über all das, was wichtig und notwendig ist, befinden, jetzt eine große Gruppe aus Ihrer eigenen Partei auftritt und sagt: „wir kürzen den Verteidigungshaushalt um eine Milliarde DM" - wobei Sie ja genau wissen, daß das gar nicht zu machen ist -, dann ist das doch nicht bloß Propaganda - es stehen j a im Augenblick gar keine Wahlen vor der Tür -, sondern das ist eine Signalsetzung dafür, daß dieser wesentliche Teil Ihrer eigenen Partei eben überhaupt nicht mehr bereit ist, die bisherige Linie zu vertreten.
({38})
Herr Bundeskanzler, glauben Sie denn, es sei ein Ausdruck von Führungsstärke, wenn einer jener Kollegen aus der SPD, der gerade in diesen Tagen jenen doch ganz unsinnigen Aufruf unterschrieben hat, sofort befördert wird und dafür jetzt auf der Regierungsbank sitzt?
({39})
Meine Damen und Herren, Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nie in einer völlig vergleichbaren Weise. Aber im Blick auf die Diskussion um den Nachrüstungsbeschluß geht mir das sehr durch den Kopf, was kluge Sozialdemokraten nach dem Ende der Weimarer Republik in ihren Memoiren und in ihren Darstellungen der Politik über die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, den Reichskanzler Hermann Müller und die Debatte um den sogenannten Panzerkreuzer A im Jahre 1928 erlebt und geschrieben haben.
({40})
Wir haben - und zwar aus Gründen der Staatspolitik unseres Landes - kein Interesse daran, sosehr wir daran interessiert sind, daß Ihre Regierungszeit schnellstmöglich beendet wird,
({41})
daß angesichts einer solchen Frage das Ende Ihrer Ära das Ende von Hermann Müller sein wird.
({42})
Wie sich die SPD vor mehr als 60 Jahren zum Bau des Panzerkreuzers A stellte, ist heute - auch heute - ein Lehrstück mangelnder politischer Führung, der Wirksamkeit kommunistischer Demagogie und des Machtverfalls von Demokratie. Es tat sich damals in der letzten Weimarer Regierung, die noch über eine wirkliche Parlamentsmehrheit verfügte, jener Riß auf, der dann unter der Last der Wirtschaftskrise größer und schließlich unüberbrückbar wurde. Es siegten damals jene, die sich die Parteilinken nannten, die, wie sie sagten, die Fahne der Humanität aufzogen und die den Slogan verbreiteten: Wir wollen Kinderspeisung statt des Kreuzerbaus. Es siegte auch die Fraktion - ich hoffe, ich helfe Ihnen mit diesem Zitat -, die ihre Minister demütigte und dazu zwang, als Abgeordnete am 16. November 1928 dieselbe Vorlage abzulehnen, die sie zuvor am 10. August 1928 im Kabinett angenommen hatten.
Eine kluge Frau, die in jenen Tagen als Akteurin mit dabei war, die preußische Landtagsabgeordnete Toni Jensen, schrieb damals:
Erschütternd in dieser Reichstagsfraktion ist der Mangel an Solidarität, dieses Mißtrauen gegen die Leute, zu denen man doch das Vertrauen hatte, sie in die Regierung zu schicken.
Ich hoffe, dieses Zitat ist für Sie hilfreich, Herr Bundeskanzler. Denn es kann unser Interesse nicht sein, daß die Sicherheitspolitik weiter so dahintreibt.
Frage: Bestehen zwischen 1928 und 1981 Parallelen? Vordergründig ganz gewiß nicht, aber es gibt sie in den strukturellen Bedingungen, in den Bedingungen jener Sicherheitspolitik einer Partei, in der es viel zu viele gibt, Herr Kollege Wehner, die keine Außenpolitik immer noch für die beste Außenpolitik halten, in einer Parteilinken, die sich von kommunistischen Abrüstungskampagnen einfangen läßt. Gegen dieses Ausfransen am linken Flügel der Partei, einer Parteilinken, die für diese Parolen eben anfällig ist, einer Koalition, die von Konflikten und all dem durchzogen ist, was wir jetzt beobachten, höre ich von Herbert Wehner, von Helmut Schmidt, von Willy Brandt nichts.
Heute tritt zu diesen Erscheinungen eine außen-
und innenpolitische Doppelwirkung: Nach Westen wird durch diese Vorgänge signalisiert, daß der Bundeskanzler und der Außenminister in Lebensfragen ihrer Mehrheit nicht mehr sicher sind.
({43})
Die Bundesrepublik wird im Bild der Weltöffentlichkeit, auch im Bündnis immer unzuverlässiger. Das aber heißt, meine Damen und Herren, die Sicherheit der Bundesrepublik aufs Spiel setzen und den Schutz - auch wenn Sie es nicht gerne hören - der Pax Americana in Frage stellen - wahrhaft ein unsinniger Beitrag zur Inauguration der Administration Reagan in diesen Tagen.
({44})
Meine Damen und Herren, nach Osten hin wird signalisiert, daß sich agitatorische Arbeit, Desinformation in der Bundesrepublik lohnen und daß effektive Abrüstung durch häufigen Gebrauch von Phrasen ersetzt werden kann. Und - das ist genauso wichtig -: Hier im Innern wird bestätigt, daß es sich nicht mehr lohnt, die Vernunft zu verteidigen, gegen Extremisten aufzutreten. Die Ränder zwischen Regierungsmehrheit und Verfassungsfeinden verfließen in gemeinsamen Aktionen. Meine Damen und Herren, wir wollen nicht, daß die Zukunft unseres Landes - auch wenn es in diesem Fall die Zukunft Ihrer Regierung ist - von der Profilsucht Ihrer linken Abgeordneten abhängig wird.
Herr Bundeskanzler, da gibt es noch eine Frage, die hier gestellt worden ist und die auch Sie nicht beantwortet haben. Herr Bundeskanzler, Sie waren - und das ist nicht die Privatsache von Herrn Apel - beim feierlichen Gelöbnis in Bonn, bei der Beinahe-Straßenschlacht, dabei. Ich kann mir bei Ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht vorstellen, daß Sie innerlich damit einverstanden sein können, daß Herr
Apel nach den Vorkommnissen in Bremen und in Bonn, nach dieser ungeheuren Herausforderung der staatlichen Autorität des demokratischen Staates, vor einer wirklich verschwindend geringen Minderheit nun zurückzuckt.
({45})
Herr Bundeskanzler, wir sagen doch jungen Leuten in jeder Diskussion: Tut euren Dienst, wenn ihr es mit eurem Gewissen vereinbaren könnt, in der Bundeswehr! Was sollen wir den jungen Leuten sagen, wenn die uns antworten: „Ja, aber wir können uns doch beim Gelöbnis nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit zeigen; das wird jetzt im Getto der Kasernen gemacht"?
({46})
Meine Damen und Herren, es ist eine böse Saat, die da gesät wurde und jetzt langsam aufgeht, jener gigantische semantische Betrug, der allein schon darin besteht, daß der Dienst in der Bundeswehr als „Kriegsdienst" qualifiziert wird und der Ersatzdienst als „Friedensdienst". Es gab noch nie in der Geschichte der Deutschen eine Armee, die so ausschließlich Verteidigungs- und damit Friedensarmee war, wie es die deutsche Bundeswehr ist.
({47})
Sie weichen zurück - und das verstehe ich auch nicht -, weil da gesagt wird, diese Tradition entspreche nicht mehr unserem Denken. Woher wissen Sie das denn eigentlich? Von den Gesprächen mit den Jusos? Sind die denn typisch für die junge Generation in Deutschland?
({48})
Die Jusos - damit ich nicht mißverstanden werde
- sind ein Teil, ein durchaus bemerkenswerter Teil der jungen Generation. Sie sind aber doch nicht „die junge Generation".
Sie weichen doch in Wahrheit zurück vor dem Zeitgeist
({49})
- vor dem vermuteten Zeitgeist; Herr Kollege Barzel, das ist wahr. Herr Bundeskanzler, der Zeitgeist ist ein launischer Geselle; der weht heute so und morgen so. Und politische Führung, die dementsprechend auch geistig-moralische Führung ist, prägt auch den Zeitgeist. Wenn sich der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und wenn sich die demokratischen Parteien dieses Hauses draußen hinstellen - das ist doch keine Frage von Regierung oder Opposition - und sagen: Frieden und Freiheit brauchen das Opfer auch der jungen Generation zur Verteidigung unseres Staates und unserer Verbündeten in der Welt, dann wird das, wenn wir es kämpferisch tun, wenn wir es beispielhaft vorleben, wenn unser Denken und unser Handeln wieder zusammenkommen, seinen Eindruck nicht verfehlen.
({50})
Dazu brauche ich keine Studie, Herr Bundeskanzler. Dazu brauche ich nur mit offenen Augen und
Sinnen durchs Land zu gehen. Die heutigen Schüler sind eine Generation, die wieder, wie es Max Weber eimal für die Langemarck-Generation des 1. Weltkrieges beschrieben hat, eine tiefsitzende Sehnsucht nach Religiosität hat. Religiosität war da nicht gleich Kirchlichkeit. Gemeint waren Ideen. Man hat damals „Ideale" gesagt. Dieses Wort ist leider in den letzten Jahren jener semantischen Umfunktioniererei zerstört worden.
Die Jungen reden nicht von Idealen, sie reden von „Engagement". Aber das ist doch im Ziel das gleiche. Engagement aber werden sie nur für eine Sache haben, von der sie überzeugt sind. Überzeugt können sie nur sein, wenn sie das Beispiel vor sich sehen. Herr Bundeskanzler, geben Sie mit Ihrer Politik endlich ein Beispiel für Glaubwürdigkeit, für Mut, für Klugheit und für Stehvermögen! Das ist nicht nur Ihre Frage, die Frage des Abgeordneten Helmut Schmidt, es ist die Frage, die die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland bedeutet.
({51})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen geglaubt, feststellen zu sollen: Der Kanzler hat fast nichts zu den wesentlichen Problemen gesagt. Nun, Herr Kollege Kohl, ich bin sicher, wenn er nicht außenpolitische und sicherheitspolitische Punkte so stark in den Vordergrund gestellt hätte, sondern stärker innenpolitische Fragen gebracht hätte, hätten Sie hier festgestellt, es sei befremdend, daß der Bundeskanzler diese wichtigen, schicksalhaften Fragen nicht in den Mittelpunkt gestellt habe. Diese Art Kritik, Herr Kollege Kohl, bringt doch nichts!
Wenn Sie dann noch sagen, eine Mischung aus Selbstmitleid und Resignation
({0})
sei der Inhalt dessen gewesen, was der Kanzler gesagt hat, dann kann ich nur feststellen: Das hätten Sie gern gehabt; aber was der Kanzler heute hier getan hat, war das Gegenteil davon!
({1})
Wir stellen mit Befriedigung fest, daß der Bundeskanzler hier mit seinen Bemerkungen insbesondere zu den Fragen der Außen-, Sicherheits- und Bündnispolitik Probleme angesprochen und dazu in einer Weise Stellung genommen hat, die wieder einmal bestätigt, weshalb und auf welcher Grundlage wir, Sozialdemokraten und Freie Demokraten, zu Recht diese Koalition abgeschlossen haben und auch nach meiner Überzeugung erfolgreich durchführen werden.
({2})
Sie, Herr Kollege Kohl, sprachen davon, daß diese sozialliberale Koalition eigentlich nur ein Kartell zur Erhaltung der Macht sei. Lieber Herr Kollege Kohl, ist Ihnen dabei bewußt, daß Sie hier, wenn
auch verdeckt, eine Art Wählerbeschimpfung vornehmen? Es ist ja nur wenige Wochen her, daß der Wähler entschieden hat, daß diese Koalition mit einer größeren Mehrheit als bisher weiterregieren soll, und zwar nicht um ein Machtkartell zu bilden, sondern um Politik zu treiben!
({3})
Wenn Sie meinen, das täte dem Wähler schon schwer leid, dann darf ich Sie an folgendes erinnern: Auch nach der letzten Bundestagswahl haben wir manche ähnliche Äußerungen gehört. Nun gut, ich verschweige nicht: Wenn Sie die Zeit vor vier Jahren und heute vergleichen, dann läßt sich feststellen, daß die Koalition ihre Krise zu Beginn der Legislaturperiode genommen hat; die Opposition nimmt sie am Ende, und der Wähler entscheidet dann zugunsten der Koalition. Wenn das so bleibt, habe ich gar keine Bedenken, daß das wieder vier Jahre lang gut laufen wird.
Herr Kollege Kohl, Sie sprachen davon, daß es elf Jahre dieser Zusammenarbeit nicht mehr möglich gemacht hätten, mehr Demokratie zu wagen. Es verwundert mich etwas, daß ausgerechnet von Ihnen dieser Vorwurf kommt, wo doch alles, was beispielsweise die Freien Demokraten in die Regierungserklärung eingebracht haben, um mehr Demokratie zu erreichen - wenn ich zum Beispiel an die Verbandsklage denke -, von Ihnen auf das heftigste bekämpft wird.
({4})
Das sind doch Krokodilstränen, die Sie hier darüber
vergießen!
Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir, daß die Probleme, die vor uns liegen, nicht leichter geworden sind und daß nach einer elfjährigen Zusammenarbeit manche Dinge, die am Anfang mit einem gewissen Schwung gelöst werden konnten, dann oft mehr Schwierigkeiten bereiten, sie einer Lösung zuzuführen. Aber ich bin sicher: Mancher in Ihren Reihen wäre froh, wenn es bei den früheren Koalitionen, die wir mit Ihnen hatten, tatsächlich einmal zu einer Zusammenarbeit von elf Jahren und länger gekommen wäre. Das war leider - aber aus Gründen, die bei Ihren damaligen Freunden lagen - nicht machbar.
Ich will hier nicht länger auf das eingehen, was Sie dazu gesagt haben, daß Sie vom Bundeskanzler, von der Bundesregierung die geistige Führung vermißten. Herr Kollege Kohl! Natürlich muß auch von einer Regierung durch ihr Handeln ein bestimmter Teil geistiger Führung ausgehen. Wir werden aber nie auf die Idee kommen, daß dies ausschließlich von einer Regierung ausgeht, sondern daß dies immer nur ein Teil der gesamten geistigen Kräfte eines Volkes sein kann und daß sie dafür sorgen muß, daß die geistigen Kräfte in einem Volk mobil werden, mobil sein können, daß sie gestalten können und daraus auch Entscheidungen für die praktische Politik gezogen werden.
({5})
Das ist unser Verständnis zu diesem Teil, den Sie hier ansprachen.
Herr Kollege Kohl, Sie haben eine kurze Berner-kung gemacht und dabei weitgehend, wie Sie sagten, Übereinstimmung in den Fragen festgestellt, die mit dem Rüstungsexport zusammenhängen. Ich möchte hier ein paar Sätze mehr darauf verwenden.
Sie wiesen freundlicherweise darauf hin, daß die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, Herbert Wehner und ich, Anfang Juli 1980 in einem Brief an den Bundeskanzler ihre grundsätzlichen Meinungen zu den Fragen der Rüstungsexportpolitik dargelegt haben. Ich will hinzufügen, daß war das Ergebnis einer Arbeitsgruppe beider Koalitionsfraktionen, die sich schon wochenlang vorher um Lösungen dieser schwierigen Frage bemüht haben. Wir haben erstens die Zusicherung erhalten, daß der Punkt, in dem es um das Außenhandelsgesetz geht, in das Gesetz eingebaut werden soll, und zweitens, daß wir über die Frage, inwieweit hier eine parlamentarische Unterrichtung erfolgen kann und erfolgen muß, miteinander weiter im Gespräch bleiben.
({6})
- „Unterrichtung" habe ich ausdrücklich gesagt. Wenn es Ihnen wichtig ist, Herr Kollege Barzel, bin ich gern bereit, damit kein Irrtum entsteht, hier deutlich zu machen, daß der Wortlaut dieses Punktes in diesem Brief folgendermaßen war:
Die Bundesregierung sollte den Deutschen Bundestag eingehender als bisher über die von ihr getroffenen Rüstungsexportentscheidungen informieren. Als zu unterrichtendes Gremium kommt der Auswärtige Ausschuß, eventuell der Unterausschuß für Rüstungskontrolle in Betracht.
Es ist ganz klar, daß es hier um die Unterrichtung geht, daß es nicht um Verlagerungen von Verantwortung geht, daß wir aber auch der Meinung sind, daß es auch für eine Regierung gut ist, das, was sie für notwendig hielt, dem Parlament darzustellen und eine Unterrichtung, in welcher Form auch immer, vorzunehmen. Ob das der gesamte Ausschuß, ob das der Unterausschuß oder ob das die Obleute sind, das sind Fragen, über die wir uns unterhalten können. Wir wollen eine Lösung finden, die der Sache gerecht wird, die die Handlungsfähigkeit der Regierung nicht einschränkt, die es aber auch den Parlamentariern, wenn sie zu solchen Dingen gefragt ' werden, möglich macht, sie sachgerecht darzustellen. Das ist das Ziel, nicht mehr und nicht weniger.
Ich möchte allerdings zusätzlich in der Sache selbst noch ein paar Bemerkungen machen. Die Fraktion der Freien Demokraten hat dieses ganze Problem am vergangenen Montag sehr ausführlich, gründlich und umfassend behandelt. Am Schluß dieser Diskussion hat der Bundesaußenminister und Parteivorsitzende Hans-Dietrich Genscher in sechs Punkten, die jedermann zugänglich sind, unsere gemeinsame Meinung festgestellt. Ich möchte sie hier
ausdrücklich wiederholen, damit er gar keinen Irrtum über diese gemeinsame Meinung gibt.
Erstens: Die Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung weiter beibehalten wird. Wir sind froh darüber, daß sie restriktiv ist, sie soll es auch bleiben.
({7})
Der nächste Punkt scheint mir sehr wesentlich zu sein, kam aber hier nicht so deutlich zum Ausdruck. Es wurde in dem, was der Bundeskanzler sagte, sichtbar. Das, was der Herr Kollege Kohl sagte, schloß es zwar nicht aus, unterstrich es aber auch nicht so:
Zweitens: Die Initiative der Bundesregierung zur Begrenzung des internationalen Rüstungsexports, wie sie vor der UNO bereits ergriffen worden ist, ist nachdrücklich fortzusetzen. Wir wollen, daß Rüstungsexporte ähnlich wie Entwicklungshilfe offen für jedermann sichtbar dargelegt werden, damit man sich bei den Vereinten Nationen einmal über das auseinandersetzen kann, was Entwicklungshilfe ist, und das, was mit Rüstungsexport geschieht. Das muß für alle gelten.
({8})
Wir haben ausdrücklich festgestellt: Beschäftigungspolitische Argumente dürfen für die Rüstungsexportpolitik keine ausschlaggebende Rolle spielen. Ich weiß, daß manche versuchen, das Wort „ausschlaggebend" mißzudeuten. Wir sehen ganz klar, daß innerhalb der NATO Rüstungsexporte notwendig sind. Kein Mensch bestreitet das. Diese Rüstungsexporte müssen hergestellt werden. Sie sind natürlich auch in der Beschäftigungsbilanz sichtbar. Was wir nicht wollen, ist, etwa der Idee zu folgen: Je mehr von uns Waffen wollen, um so größer sind die Chancen, hier Arbeitsmarktprobleme zu lösen, neue Exportkapazitäten aufzubauen, und am Ende das Gegenteil von dem zu machen, was wir wollen, nämlich einschränken. Das ist der Punkt, der damit angesprochen wird.
({9})
Wir haben dann festgestellt, daß die Kriterien für die Rüstungsexporte zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu definieren und zu präzisieren sind. Aber dabei soll an dem restriktiven Charakter keine Änderung vorgenommen werden. Das heißt, da, wo sich die Begriffe bewährt haben, wollen wir sie nicht ändern; da, wo sie sich nicht bewährt haben, sollen sie geändert werden, aber nicht mit dem Ziel der Ausweitung, sondern mit der Absicht, den Grundsatz, den wir bisher hatten, beizubehalten.
Über die Unterrichtung habe ich schon gesprochen. Natürlich können - so ist der Punkt 6 zu verstehen - spezielle Fälle auftreten. Wenn etwa Wünsche aus Saudi-Arabien kommen, dann sind sie als spezieller Fall unter diesen Gesamtkriterien zu prüfen. Gerade bei Saudi-Arabien - das ist der letzte Punkt, den wir festgestellt haben - ist natürlich die geschichtliche Verantwortung, die wir Deutsche ge848
genüber dem jüdischen Volk haben, in erster Linie zu sehen.
({10})
Damit wird deutlich, daß wir sämtliche Gesichtspunkte in eine Bewertung eingebracht wissen wollen, wenn eine solche Entscheidung auf uns zukommen sollte. Die Bewertung ist nicht eine Frage, die wir im Gegensatz zu sonst an uns ziehen wollen. Hier werden wir die Meinungen zum Ausdruck bringen und austauschen. Ich bin sicher, daß dies in der gleichen Kooperation wie bei allem anderen geschieht.
Ich habe dies etwas ausführlicher dargestellt, um den falschen Eindruck zu vermeiden, in der Koalition gebe es Leute, die wild auf Expansion der Rüstungsexportpolitik aus sind, und andere, die eine größere Friedenssehnsucht in sich spüren und deshalb gegen jeden Rüstungsexport sind. Das Ganze ist nur mit nüchterner Logik zu behandeln.
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Es kann hier nicht mit Pathos behandelt werden. Das bringt gar nichts.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreifen, den Herr Kollege Kohl angesprochen hat. Er hat allerdings zur Lösung nicht mehr sehr viel gesagt. Das verstehe ich. Denn wir haben in den vier Tagen dieser Debatte schon eine ganze Menge Probleme behandelt. Nur würde ich umgekehrt dem Kanzler nicht vorwerfen, daß er nicht ins Detail geht, wenn auch Herr Kohl es nicht tut.
Ich meine das Problem der Arbeitslosigkeit. Natürlich wissen wir, wie schwierig es ist, in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die wir heute haben, Forderungen der eigenen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik mit Fragen der Entwicklungspolitik - ich denke an die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer, die j a in den letzten Tagen schon eine Rolle gespielt hat, auf der einen Seite, und an die Bedürfnisse unserer Wirtschaft auf der anderen Seite - unter einen Hut zu bringen.
Ich wäre - das sage ich hier ganz persönlich - sehr froh, wenn etwas mehr Gehirnschmalz darauf verwendet würde, ob wir es nicht schaffen, daß von den 250 000 freien Arbeitsplätzen wenigstens 100 000 - ich will gar nicht sagen: alle - von denen besetzt werden, die heute arbeitslos sind.
({12})
Hier gilt es, zu überlegen, wo wir hier ansetzen können und was wir mehr tun können, um Angebot und Nachfrage auch da besser in Einklang zu bringen. Ich glaube, es war nicht nur ein Hinweis, um Widersprüchlichkeit deutlich zu machen, als der Bundeskanzler auf die merkwürdige Unterschiedlichkeit der Argumentation auch der Opposition aufmerksam machte, indem er an den Brief des bayerischen Ministerpräsidenten wegen der Möglichkeiten erin. nerte, Gastarbeiter für bestimmte Bereiche, nämlich Gaststätten und Hotels, zusätzlich hereinzunehmen. Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir, daß in diesem Bereich eine Mangellage vorhanden ist, und natürlich ist es notwendig, hier Änderungen, Verbesserungen zu erreichen, damit die angebotenen Arbeitsplätze auch für deutsche Arbeitskräfte attraktiver werden.
({13})
Nur: Wer hier vordergründig sagt „Das Problem ist gelöst, wenn wir mehr ausländische Arbeitskräfte hereinlassen", verkennt doch völlig, daß gerade ausländische Arbeitskräfte in diesem Bereich teilweise sehr schnell - oft nach wenigen Wochen, spätestens nach Monaten - diese Beschäftigung aufgeben und versuchen, in andere Bereiche hineinzukommen und damit die Problematik im Hotel- und Gaststättenbereich die gleiche bleibt, aber eine zusätzliche Belastung des Arbeitsmarkts in anderen Bereichen eintritt.
({14})
Deshalb sollte man es nicht so billig machen, wie das hier durch diesen Brief zum Ausdruck kam.
({15})
Wir teilen die Meinung - ich bin überzeugt, daß es dazu eine breite Überzeugung quer durch die Fraktionen gibt -, daß wir alles tun müssen, um den Investitionsstau abzubauen, den wir aus der Nichtabwicklung des Kraftwerksbaus haben - es sind ja nicht nur Kernkraftwerke, sondern auch Kohlekraftwerke -, aus der Nichtfortsetzung des Strekkenneubaus der Bundesbahn usw. Aber ich wäre dankbar, wenn die Kollegen der Opposition nicht nur immer den oder die Splitter in den Augen der Koalition sähen, sondern dasselbe auch im eigenen Bereich.
({16})
Ich denke an die Reaktionen aus der CDU im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens, ich denke an die Auseinandersetzungen um die Frage, wohin man in Hessen ein neues Gefängnis setzen soll. 36 Gemeinden wurden angesprochen, 35 haben nein gesagt; es waren nicht nur SPD-regierte Gemeinden, sondern auch CDU-regierte Gemeinden. Das zeigt doch, daß wir alle gemeinsam dafür sorgen müssen, in den eigenen Reihen, in den Ländern, regional und örtlich, daß wir das, was wir als richtig erkannt haben, auch bei den eigenen Leuten vor Ort umsetzen, daß wir nicht immer nur den anderen beschuldigen dürfen, er tue das nicht.
({17})
Hier ist wieder einmal Brokdorf ansgesprochen worden. Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar dafür, daß er mit seiner Rede heute deutlich gemacht hat, daß in der Regierung zwischen Bundeskanzler und Wirtschaftsminister über die Notwendigkeit, zu einer Entscheidung zu kommen, keine Meinungsverschiedenheit besteht. Wir stehen zu dieser Entscheidung. Wir haben es uns aber nie so leicht gemacht und werden es uns nie so leicht machen, Bedenken, Ängste und Sorgen einfach wegzuwischen. Wir sind vielmehr der Meinung: Ich kann nur dann zu einer tragbaren, zu einer durchsetzbaren Entscheidung kommen, wenn ich vorher diese
Ängste geprüft und mich mit ihnen auseinandergesetzt habe. Das heißt nicht, die Entscheidung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auszusetzen, zu verschieben, sondern es bedeutet nur, die Durchsetzbarkeit der Entscheidung leichter zu machen, besser zu machen. Darum ringen wir und um nichts anderes.
({18})
Hier ist gesagt worden, man lasse Herrn Stoltenberg und Herrn Albrecht allein. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppostition, es ist doch unbestritten für jeden, der die Monate des letzten Jahres aufmerksam verfolgt hat, daß es die hessische Landesregierung war, daß es der Ministerpräsident Börner und der Wirtschaftsminister Karry waren, die als erste ganz klare Entscheidungen im Bereich der Kernenergie - zum einen für die Wiederaufbereitung, zum anderen für die Lagerung - getroffen haben. Erst dann entstand in anderen Ländern - auch in CDU-regierten Ländern - so langsam das Gefühl: Wenn die vorangehen, müßten wir eigentlich mitziehen, nachdem wir es j a immer waren, die verlangt haben, daß solche Entscheidungen getroffen werden. Ich wäre sehr froh, wenn die Entscheidungsbereitschaft in diesen Ländern, die hier genannt worden sind, genauso vorangetrieben würde, wie das in Hessen geschieht.
Meine Damen und Herren, hier ist von Herrn Kohl eine kurze Zwischenbemerkung gemacht worden, in der er darauf verwies, daß in einer Veröffentlichung der SPD vor der Wahl der Hinweis auf die 35-Stunden-Woche, mehr Urlaub usw. enthalten gewesen sei, dies aber unter den heutigen Umständen nicht voll umsetzbar sei. Deshalb sei es nicht gut, so etwas vor einer Wahl zu verkünden. Wir haben so etwas nicht verlangt. Im Gegenteil, wir haben uns dagegen gewandt. Nur, etwas merkwürdig hat mich berührt, als der Kollege Graf Lambsdorff als Wirtschaftsminister davon sprach, daß wir in diesem Bereich nicht dies und jenes tun könnten, waren es die Kollegen Geißler und Blüm, die ihm vorwarfen, daß er praktisch ein unsozialer Mensch geworden sei.
({19})
- Aber das stimmt haargenau! Sie haben dem Kollegen Lambsdorff vorgeworfen, daß er genau in diesem Punkt gesagt habe, daß man hier nicht weiterkommen könne.
({20})
Wir sind immer bereit, über Probleme nachzudenken, die mit einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit zusammenhängen. Wir sind allerdings auch der Meinung, sie müssen in die jeweilige gesamtwirtschaftspolitische Landschaft eingepaßt werden. Darüber muß zum rechten Zeitpunkt entschieden werden. Im Augenblick sehen wir keine Entscheidungsmöglichkeit.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm?
Bitte sehr.
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen bekannt, daß in Japan, dem Land, das von Herrn Graf Lambsdorff als Vorbild vorgeführt wurde, die Lebensarbeitszeit wesentlich kürzer ist als in der Bundesrepublik?
Herr Kollege Blüm, das ist genau wieder der Versuch, jetzt einen Punkt herauszugreifen, dabei die Frage der Wochenarbeitszeit, die Frage der Entlohnung und alles andere wegzulassen. Auf eine so ausschnittartige Diskussion werde ich mich nie einlassen.
({0})
Richtig ist, daß ich alle Gesichtspunkte berücksichtigen muß. Graf Lambsdorff hat nicht gesagt, der deutsche Arbeiter arbeite nicht genug. Er hat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt: Wenn dort die und die Leistungen erbracht werden, liegt das mit daran, daß insgesamt die Arbeitszeit länger ist, und wir müssen uns überlegen, wenn wir eine kürzere Arbeitszeit aus sozialpolitischen, aus gesundheitspolitischen Gründen für notwendig halten, daß wir dann das, was an Leistung dabei herauskommen muß, um wettbewerbsfähig zu sein, durch technische Innovation ersetzen und ergänzen müssen. Das haben wir uns vorgenommen. In dieser Richtung operieren wir.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Kohl hat hier kritisiert, daß es um den Wehretat Auseinandersetzungen in der SPD gegeben hat. Ich verhehle nicht, daß wir dies natürlich sehr aufmerksam verfolgt haben. Nur, wenn ich das richtig verstanden habe - Sie haben ja das Beispiel aus den 30er Jahren, Panzerkreuzer A usw., angeführt -, ist es ja so gewesen, daß die SPD-Fraktion mit klarer Mehrheit eine Entscheidung getroffen hat, die auf der Linie des Bundeshaushaltes, dessen, was die Regierung vorgeschlagen hat, liegt und nicht etwa qua Fraktion etwas anderes gesagt hat als die Regierung. Deshalb scheint mir Ihr Vergleich, den Sie möglicherweise schon vor einigen Tagen herausgeholt hatten, heute, nachdem die Entscheidung der SPD-Fraktion gefallen ist, nicht mehr ganz angebracht zu sein. Das war Nachkarten und Nicht-mehr-auf-der-Höhe-der-ZeitSein. Die SPD wird selber zu diesen Dingen Stellung nehmen. Ich halte es nur nicht für gut, wenn man hier einfach übergeht, was wirklich an Entscheidungen gefallen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gibt es eine ganze Menge Punkte aus der Debatte dieser vier Tage, die man noch weiter vertiefen könnte, zu denen man Erläuterungen, Ergänzungen geben könnte. Meine Kollegen haben in diesen vier Tagen in aller Deutlichkeit den Standpunkt der Liberalen sichtbar gemacht, ob das in den Fragen der Außenpolitik durch den Bundesaußenminister war, ob es zu Fragen der Wehrpolitik, der Sozialpolitik war, ob das die Auseinandersetzung über Probleme
war, die unsere junge Generation beherrschen. Kollege Hölscher und Kollege Hoppe haben das, was auch der Bundeskanzler heute aufgegriffen und aufgenommen hat, sehr ausführlich dargelegt. Ich will dies alles nicht wiederholen.
Lassen Sie mich zum Schluß dieser Debatte aber noch ein paar andere Bemerkungen machen. Nach meiner Überzeugung sind der soziale Friede, die gesellschaftliche Stabilität, die Freiheit des einzelnen doch die Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Dasein und die Entwicklung schöpferischer Kräfte. Ich halte es für notwendig, daß wir am Ende dieser Debatte darauf hinweisen, daß dies alles doch bei uns gegeben ist und nicht in Frage gestellt ist. Weil es gegeben ist, sind wir in der Lage, auch kritische Situationen, wie sie zur Zeit sind, zu überwinden. Man sollte doch nicht so tun, als wäre das nicht vorhanden. Ich halte die schlichte, vielleicht selbstverständliche Tatsache doch für erwähnenswert, daß wir seit über 35 Jahren in Frieden leben. Eine so lange Periode ohne kriegerische Auseinandersetzungen hat es für uns weder in diesem noch im vergangenen Jahrhundert gegeben. Dies sollten wir auch als Erfolg werten, nämlich den Frieden zu erhalten; als Erfolg der gemeinsamen Bemühungen, wie ich hinzufügen möchte, damit das nicht mißverstanden wird, als seien hier unterschiedliche Auffassungen vorhanden. Mir scheint es aber notwendig zu sein, gerade in dieser Zeit zu mahnen, daß dies auch in Zukunft der entscheidende Auftrag für uns sein wird, diesen Frieden weiterhin zu sichern und zu erhalten.
Ich hoffe, ich renne hier offene Türen ein, wenn ich feststelle, daß man Sicherheit und Frieden eben nicht nur auf militärische Stärke gründen kann. Das Gleichgewicht der militärischen Kräfte ist gewiß eine Voraussetzung der Friedenssicherung. Nicht weniger wichtig ist aber nach meiner Überzeugung die Fähigkeit zu einer Politik der Verständigung und des Interessenausgleichs. Beides muß miteinander verkoppelt werden; es darf nicht nur das eine gesehen werden.
({2})
Wir werden uns in diesem Prinzip, in unserem Engagement dafür nicht übertreffen lassen, genausowenig in unserer Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten, unserem Engagement in der Europäischen Gemeinschaft und dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Ich kann nur unterstreichen, was Kollege Ehmke am Mittwochabend für die Sozialdemokraten erklärt hat, nämlich erstens: Dieses Land hat keine Sicherheit ohne das Bündnis mit den Amerikanern, und zweitens: Es ist nur zu unserem eigenen Nutzen, wenn wir über die Arbeitsteilung im Bündnis und über die gemeinsame Strategie, die nur eine Friedensstrategie sein kann, mit der neuen Administration in Washington in Ruhe und ohne jegliche Vorurteile sprechen. Wohlgemerkt, es geht dabei um eine gute und faire Zusammenarbeit.
Ich höre manchmal in Äußerungen so eine sehnsüchtige Rückerinnerung an die sogenannte Politik der Stärke, die doch ganz und gar nicht verhindern konnte, daß gerade mitten in Deutschland der Riß zum Graben und dann zur Mauer wurde. Das scheint
mir nicht die erfolgversprechendste Politik zu sein.
({3})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch immer wieder erinnern an die Zeit der rapiden Auseinanderentwicklung, der permanenten Krisen, der Drohungen, der Ultimaten, um die derzeitigen Schwierigkeiten richtig einzuschätzen. Was wir zur Zeit an Verständigungsproblemen und krisenhaften Erscheinungen zwischen West und Ost erleben, ist für jedermann erkennbar aus dem Osten gekommen. Das bestreitet und bezweifelt niemand. Aber ich würde es für falsch halten, daß die daraus resultierende und sichtbar gewordene Unsicherheit im Warschauer Pakt nun etwa auf uns übertragen wird. Ich teile die Meinung des Herrn Bundeskanzlers, daß wir nur hoffen können, daß die Bemühungen der Polen um ihre eigene Entwicklung erfolgreich sind.
Unsere Bereitschaft und unsere Fähigkeit zum Dialog muß trotz all dieser schwierigen Phasen ungeschmälert bleiben. Das gilt natürlich auch für die konzertierte Mitwirkung im Rahmen der KSZE oder für unsere konstruktive Begleitung von Gesprächen zwischen den beiden Supermächten. Gerade in diesem Stadium halte ich es für ganz wichtig, daß Europa versucht, sich zu einer spürbaren Kraft mit politischen Impulsen zu entwickeln. Das geht nur auf der Basis einer gemeinsam entwickelten Außenpolitik, durch mehr Abstimmung in der Sicherheitspolitik, durch eine engere Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik. Alle Länder der Europäischen Gemeinschaft müssen da zu einer gemeinsamen Form und zu einer gemeinsamen Initiative finden. Ob man dann das Ganze als Europäische Union bezeichnet oder nicht, ist nicht das Entscheidende. Es kommt darauf an, daß sich die Staaten der EG auch in der Außenpolitik bemühen, mit einer Zunge zu sprechen, um damit ihr Gesamtgewicht politisch einzubringen.
({4})
Der umfassende atlantische Dialog zwischen der neuen amerikanischen Regierung und den europäischen Partnern, der jetzt bevorsteht, wird nach meiner Überzeugung um so erfolgreicher verlaufen, je mehr die Europäer in der Lage sind, ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Dabei bin ich völlig illusionslos darüber, wie schwierig das ist. Aber es angehen, es versuchen, sich darum bemühen, das sollte unsere Aufgabe sein. Ich kann nur hoffen, daß diese Bemühungen des Bundesaußenministers erfolgreich sind.
Aber wir Deutschen müssen uns auch immer an die Binsenweisheit erinnern, daß sich das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander nur in dem Maße wieder bessern kann, wie das der Stand der Ost-West-Beziehungen zuläßt. Diese Abhängigkeit wird sich bei realistischer Einschätzung - und wir sind immer für eine realistische Einschätzung gewesen - nicht aufheben lassen. Niemand in Europa hat unter Spannungen zwischen den europäischen Staaten unterschiedlicher GesellschaftsordMischnick
nung mehr zu leiden als wir Deutschen. Deshalb ist auch sonst keine Nation zur Wahrung ihrer Einheit auf so strikt vernunftsorientiertes Handeln angewiesen wie wir. Ich glaube, ich brauche der Auseinandersetzung über den Begriff Nation nur eines hinzuzufügen: Für uns gibt es keine Diskussion darüber, weil es selbstverständlich ist, daß wir eine Nation sind.
({5})
Deshalb ist eine Diskussion darüber gar nicht notwendig.
Ich möchte allerdings gerade bei der Auseinandersetzung zu diesen Fragen auch hinzufügen: Pathos ersetzt keine Politik. Wohl aber kann Pathos auf Politik abfärben und rationale Elemente gegen emotionale austauschen.
({6})
Seien wir sehr auf der Hut, daß wir dieser Versuchung nicht erliegen. Das wäre zu niemandes Nutzen.
({7})
Ich hoffe, daß der Wille, zu verantwortbaren Lösungen zu kommen, nicht unter der Härte eigener Formulierungen leidet.
({8})
Auch dies muß man ganz klar sehen, wenn man politisch weiterkommen will.
Was wir nach all den Jahren der vielen kleinen Schritte nach vorn und auch der Rückschläge, die wir nicht verschweigen, benötigen, ist unsere unveränderte Entschlossenheit, zäh, geduldig und vernünftig jede Chance wahrzunehmen, die der Verständigung dient und Konflikte vermeiden hilft. Wir Freien Demokraten sehen hierin nach wie vor eine herausragende Aufgabe unserer Zusammenarbeit in der Koalition. Wir sind uns einig in der Zielrichtung, einig in der Verpflichtung, für die Menschen in Deutschland, für den Zusammenhalt der Nation und für die Aufrechterhaltung des Friedens den gemeinsam eingeschlagenen Kurs einer realistischen - und etwas anderes wollten wir nie - Entspannungspolitik nicht aufzugeben.
Wir sind das unseren Bürgern hier in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch unseren Mitbürgern in der DDR schuldig. Wir sind es ganz speziell den Berlinern schuldig, diese Politik zu treiben.
({9})
Meine Damen und Herren, diese Stadt hat doch wie keine sonst in Deutschland Nutzen aus der OstWest/West-Ost-Verständigung gezogen. Ihre vertraglich abgesicherte Position hat sie doch erlöst aus der Rolle des ständigen internationalen Konfliktherdes. Und wir wollen, daß das so bleibt.
Die neue Senatsmannschaft unter dem Regierenden Bürgermeister Dr. Vogel - und ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, weil keine Debatte über den Justizetat stattgefunden hat, dem Bundesjustizminister Dr. Vogel hier herzlich für seine jahrelange hervorragende Arbeit zu danken ({10})
und Dr. Brunner bringt alle politischen und fachlichen Voraussetzungen mit, um die beträchtlichen Schwierigkeiten zu meistern, die zweifellos auch - ich sage: „auch" -, aber nicht nur Ausdruck der Insellage dieser Stadt sind.
({11})
Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß sich hochqualifizierte Spitzenpolitiker zur Verfügung gestellt haben, um auch in der Berliner Innenpolitik die bestmöglichen Bedingungen für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben zu schaffen. Wir wünschen ihnen dabei einen vollen Erfolg; wir wünschen ihnen einen vollen Erfolg um der Stadt Berlin willen, um unseres Gesamtauftrages willen. Wir haben nie gesagt, mit Berlin falle dieses oder jenes. Wir sind überzeugt: gute Arbeit wird auch in Berlin dazu beitragen, daß das, was sozialliberale Politik für diese Stadt an Festigkeit erreicht hat, beim nächsten Wahltag nicht vergessen wird. In diesem Bemühen unterstützen wir die Bundesregierung voll und ganz.
({12})
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ganz unvermeidlich, daß in einer Etatdebatte auch immer die Gesamtpolitik der Bundesregierung zur Debatte steht, und der Bundeshaushalt im Laufe der Debatte etwas in den Hintergrund rückt. Ich kann mich auch heute leider nicht mit den vielen Irrtümern und Widersprüchen der Opposition so auseinandersetzen, daß Ihnen das verständlich würde; das würde sehr viel mehr Zeit beanspruchen. In meiner Einbringungsrede habe ich mir allerdings Mühe gegeben, Zusammenhänge zwischen den weltwirtschaftlichen Entwicklungen und den sich daraus für uns ergebenden Anpassungszwängen in der Bundesrepublik Deutschland sowie dem, was an Politik notwendig ist, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, herzustellen.
Ich hätte von Ihnen gern erfahren, wie Sie uns dabei durch Kritik und Unterstützung helfen wollen, mit den Problemen der Zukunft fertig zu werden. Ich habe wenig davon gehört, wie Sie dazu beitragen oder helfen wollen, die doch erforderlichen Anpassungen an die veränderte Lage gemeinsam mit uns für unser Volk zustande zu bringen. Ich habe auch wenig darüber gehört, wie man mit dem wachsenden Leistungsbilanzdefizit fertig werden kann. Patentrezepte gibt es in dieser Lage sicherlich nicht.
Es hilft auch nicht Ihr stereotypes Verhalten: Immer, wenn Energieprobleme zur Debatte stehen, sagen Sie Kernenergie. Sicher, Kernenergie ist wich- tig, aber sie ist doch kein Passepartout, kein Schlüssel für alle Lösungen unserer energiepolitischen Probleme. Sie sagen ständig Kernenergie; das erinnert mich an den Unteroffizier der kaiserlichen Armee, der immer auf den Karabiner 98 kam ohne Rücksicht darauf, was das Thema der Instruktionsstunde war. Thema „Was ist Treue": Treue ist kein
leerer Wahn. Was ist Wahn? - Wahn ist ein Schießplatz bei Köln. Womit schießt die kaiserliche Armee?
- Karabiner 98. Sie hätten natürlich Kernenergie gesagt.
({0})
- Kernenergie, Kernenergie! - Ich sage Ihnen, so wichtig die Kernenergie ist und so wichtig der Streit um Brokdorf ist - ich will das gar nicht geringschätzen -: Das Hauptpotential zur Lösung unserer Schwierigkeiten liegt im Einsparen von Energie
({1})
und insbesondere im Einsparen von Öl. Da habe ich gar nichts gehört, da war nur Widerstand gegen die Mineralölsteuererhöhung. Es wird nichts nützen. Sie sagen: Wie wollen Sie mit den Beschäftigungsproblemen fertig werden? - Können Sie denn die Berechtigung der Kausalkette abstreiten, die ich Ihnen schon einmal dargestellt habe? Sehr hoher Öl-verbrauch führt zu einem Leistungsbilanzdefizit. Dies führt zur Notwendigkeit von Kapitaleinfuhren, um das Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Dies führt zur Notwendigkeit hoher Zinsen. Hohe Zinsen dämpfen die Investitionslust. Gedämpfte Investitionslust bringt weniger Arbeitsplätze,
({2})
und wenn Sie Beschäftigungspolitik machen wollen, müssen Sie
({3})
diese Kausalkette zurückgehen. Wer mehr Arbeitsplätze will, muß vor allen Dingen mehr private Investitionen wollen, muß die Zinsen senken.
({4})
- Es nützt j a nichts, daß Sie an irgendeinem Zwischenglied der Kette Beifall klatschen, wenn die Logik bei Ihnen nicht ausreicht, eine Kausalkette über fünf oder sieben Glieder zu verfolgen.
({5})
Wenn Sie private Investitionen wollen, müssen Sie die Zinsen senken. Wenn Sie die Zinsen senken wollen, müssen Sie das Leistungsbilanzdefizit vermindern. Sie müssen es auf eine Art und Weise vermindern gegenüber den Ölländern, damit Sie nicht noch für die anderen Welthandelspartner zusätzliche Schwierigkeiten schaffen, etwa durch eine aggressive Exportpolitik.
Sie müssen den Ölverbrauch vermindern. Wie wollen Sie denn das anders tun als über den Preis? Das müssen Sie mir doch mal erklären. Da gab es die geradezu naiv-abenteuerliche Vorstellung, die Bundesregierung würde mit ihrem Vorschlag, die Mineralölsteuer zu erhöhen, nur die OPEC anreizen, die Preise zu erhöhen. Glauben Sie denn wirklich, daß die Herren, die dort zusammensitzen, sich bei ihren Entscheidungen über die Ölpreiserhöhungen mit der innerdeutschen Steuerpolitik beschäftigen? Welche Probleme haben sie denn? Sie müssen jetzt
schon, damit die westliche Wirtschaft nicht aus Mangel an diesem strategischen Energierohstoff zusammenbricht, weit über ihren Bedarf hinaus liefern. Das ist doch die Ursache der Überschüsse. Es ist doch kein böser Wille, daß die sich da ansammeln. Der Grund ist doch die mangelnde Absorptionsfähigkeit, die mangelnde Fähigkeit, das vernünftig anzulegen. Daher kommen doch die hohen Überschüsse. Ist das denn sinnvoll für diese Leute angesichts der Tatsache, daß der Preis und der Wert des Öls viel, viel stärker wachsen als etwa die Zinsen, die sie - nach Abzug der Inflationsraten - dafür kriegen? Dies ist eine Leistung, insbesondere Saudi-Arabiens, die man anerkennen muß.
Ich halte wenig davon, wenn der Kollege Haase hier sagt: „Dann muß er sich im Orient das Geld pumpen." Wir würden mit diesem Leihen bei den Saudis ihnen die Möglichkeit schaffen, nicht nur unsere Leistungsbilanz ziemlich schmerzlos und nach den Wünschen der Bundesbank zu finanzieren, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben, ihre Überschüsse risikogestreut einigermaßen wertgesichert und mit einer gewissen Rendite anzulegen.
Also lassen Sie sich das alles noch einmal durch den Kopf gehen. Überlegen Sie, ob Sie nicht doch mithelfen wollen, den Ölverbrauch in der Bundesrepublik marktgerecht und so, daß die Ressourcen für Investitionszwecke im Lande bleiben und nicht nach draußen gehen, zu sichern. Die ölexportierenden Staaten werden ihren Ölpreis steigern müssen nach der Logik ihres eigenen Interesses, bis der Ölverbrauch drastisch zurückgeht. Was auf dem Wege dorthin passiert und wie dies geschieht - da haben sie überhaupt keine Beschwerden gegen uns vorzubringen, sondern sie fordern uns geradezu auf.
({6})
Wir haben große Fortschritte beim Öleinsparen erzielt. Daran ist gar kein Zweifel. Wir haben auch große Fortschritte bei unseren Exportbemühungen erzielt. Der Anteil unseres Exports ist in den letzten zehn Jahren drastisch gestiegen. Das kann doch wohl nicht an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft liegen. Die ist international wettbewerbsfähig. Wir werden allerdings hier auch weiter helfen. Wir müssen das. Das bedeutet nicht, daß wir nicht Subventionen streichen, auch investitionslenkende Subventionen streichen müssen, wenn sie ihren Sinn verloren haben.
Ein Beispiel für eine der Maßnahmen: der Wegfall der Mineralölsteuerbefreiung im öffentlichen Personennahverkehr. Das bringt mir eine Menge Arger ein und fast kein Geld für den Bundeshaushalt. Denn durch die Art und Weise, wie das bei uns organisiert ist, erhöhen sich, wenn die Mineralölsteuerbefreiung wegfällt, automatisch durch den Mechanismus der Verteilung die Investitionsmittel der Gemeinden für Verkehrsinvestitionen. 90 % des gesamten zusätzlichen Aufkommens gehen wieder an die Gemeinden zurück. Da ist doch die Frage: warum mache ich denn das, wenn so wenig für den Bundeshaushalt herauskommt - bei so viel Arger, der ja zweifellos kommen wird? Ich will Ihnen sagen, warum: um das Investitionskalkül der Verkehrsträger im ÖPNV - im öffentlichen Personennahverkehr Bundesminister Matthöfer
zu ändern, damit das Öl für sie teurer wird, damit sich energieölsparende Investitionen lohnen und ihnen im gleichen Schritt auch die Mittel für diese Investitionen zur Verfügung gestellt werden. Wenn Sie sich ansehen, wie wir versuchen, das volkswirtschaftliche Interesse bei jeder Einzelmaßnahme im Auge zu haben, können Sie vielleicht doch anders urteilen. Natürlich lenken wir hier auch Investitionen. Mir wurde ja im Laufe der Debatte vorgehalten, ich würde Investitionen lenken. Natürlich tue ich das. Ihre Geisteshaltung jagt Ihnen eine panische Berührungsangst vor einigen magischen Worten ein. Investitionslenkung ist eines davon. Ja, was machen wir denn den ganzen Tag?
({7})
Berlinförderung! Da gibt es jetzt sehr interessante Vorschläge, die bei gleichem Aufwand die effektivere Lenkung von Investitionen nach Berlin zum Ziel haben. Das wird in den nächsten Jahren sicher ein ergiebiges Diskussionsthema sein. Ich nenne weitere Beispiele für Investitionslenkung: Zonenrandförderung, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Was haben wir denn in all den Jahren mit § 7 b gemacht? Wir haben doch Investitionen in den Wohnungsbau gelenkt, oder sehe ich das falsch? Sicherung der deutschen Steinkohle, Bundesbahn, das Zukunftsinvestitionsprogramm, das Programm zur Förderung heizernergiesparender Investitionen, die Rolle der Bundesunternehmen in strukturschwachen Gebieten! Ja, was ist denn das anderes als Investitionslenkung? Gehen Sie doch weg von diesen ideologischen Tabus! Kommen Sie doch zur Sache! Lassen Sie uns doch darüber reden, ob das, was wir da machen, richtig und ordentlich ist! Da stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich bin ja für eine Verbesserung dieser Dinge.
({8})
Ich behaupte gar nicht, daß alles, was wir machen, ordentlich ist. Wir haben j a eine Menge von Ihnen übernommen. Einiges ist verbesserungsbedürftig, kann aber
({9})
wegen des Widerstandes der Länder und wegen der bedauerlichen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht gemacht werden. Wenn die Mehrheitsverhältnisse anders wären, könnten wir es vielleicht auch nicht machen, aber die Chance wäre größer. Wir sollten einmal miteinander darüber reden. Aber gehen Sie mir doch weg mit Ihrer Ideologie.
Genau dasselbe gilt für die automatische Vollbeschäftigungsgarantie. Dies bedeutet doch nicht, wie mehrere Redner hier gesagt haben, wir hätten das Bestreben aufgegeben, Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik wiederherzustellen und zu sichern.
({10})
Wie könnten wir denn, wo doch die Arbeitskraft unserer Menschen unsere große Produktivkraft ist! Es
bedeutet nicht Abkehr vom Ziel der Vollbeschäftigung,
({11})
wenn man sagt: Es wird in den 80er Jahren wesentlich schwieriger, und wir werden uns Mühe geben, so wie wir es in den letzten Jahren getan haben. Wir haben doch - Wirtschaftsforschungsinstitute haben das berechnet - mit unserer Kreditaufnahmepolitik wahrscheinlich 900 000 Arbeitsplätze gesichert. Das ist doch keine Selbstverständlichkeit. Da kann man doch die tatsächlichen Ursachen nicht einfach wegreden wollen.
({12})
- Lieber Herr Blüm, lassen wir Japan einmal außen vor; dazu komme ich gleich noch. Wenn Sie einen Vergleich ziehen zu den Preissteigerungen und der Arbeitslosigkeit in den leistungskräftigen Industrieländern der OECD, die so demokratisch organisiert sind wie wir, werden Sie sehen, daß es in allen anderen Ländern - Österreich wird hier nicht mitgerechnet -,
({13})
im Schnitt und umgerechnet auf die Größenordnung der Bundesrepublik zwischen 700 000 und 1 Million mehr Arbeitslose gibt. - Zu Großbritannien sage ich dann gleich auch noch ein Wort. - Wir hatten eine Preissteigerung in Höhe von 5 %; bei den anderen Ländern waren es im Schnitt 13 %. Das ist doch ein Wort, wenn ich sage, daß wir eine Million Arbeitslose weniger und etwas mehr als ein Drittel der dortigen Preissteigerung haben. Das ist doch eine vernünftige Politik in einem Land, das so in die internationale Arbeitsteilung verflochten ist, wie wir es sind. Wir müssen 97 % des Öls, das wir verbrauchen und 90% der Rohstoffe, die wir verbrauchen, einführen. Der Anteil der Ausfuhr am Bruttosozialprodukt beträgt 28 %. Diese Rate ist in den letzten zehn Jahren von 22,5 % auf über 28 % gestiegen. Das ist doch eine Leistung. Warum muß denn das, was wir gemeinsam, alle Deutschen, fertiggebracht haben, nun in Zweifel gezogen werden? Warum muß denn nun Unsicherheit in bezug auf die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft geschaffen werden? Das hilft doch keinem. Wir werden diese vernünftige Finanzpolitik auch weiterhin betreiben, weil wir eine große Lehre aus den 30er Jahren gezogen haben.
Redner Ihrer Fraktion und Bundesratsvertreter haben hier mehrfach gesagt: Aber Ihr habt ja in den Jahren der Hochkonjunktur das Pulver verschossen - das war die Terminologie -, das man jetzt eigentlich brauchte. Darin steckt natürlich ein Widerspruch, auf den man einmal eingehen müßte. Einmal sagen Sie, die ganzen Defizite hätten überhaupt keine Beschäftigung geschaffen, das sei alles überflüssig gewesen, und zum anderen sagen Sie: Aber Sie haben doch vorher schon alles ausgegeben, was
Sie jetzt eigentlich zur Sicherung der Beschäftigung einsetzen könnten.
({14})
- Ja, ja. - Was haben wir denn aus der großen Krise gelernt? Wir haben einmal gelernt, daß auf jeden Fall verhindert werden muß, daß es zu einer prozyklischen Haushaltspolitik kommt. Wir dürfen keine Politik à la Brüning betreiben, sondern sollten lieber Defizite in Kauf nehmen. Zum zweiten muß auf jeden Fall die internationale Zusammenarbeit gesichert werden. Es muß verhindert werden, daß es hier zu protektionistischen Maßnahmen, zu einem Zerfall des Weltmarktes kommt, weil gerade wir Deutschen darunter leiden würden. Enorm viel Arbeit muß da hineingesteckt werden: vom Bundeskanzler, vom Bundeswirtschaftsminister oder auch vom Bundesfinanzminister. Gut 35 % meiner Arbeitszeit gehen in diese internationalen Bemühungen, das funktionsfähig zu halten. Wir haben es - trotz der großen Schwierigkeiten - funktionsfähig gehalten. Deshalb ist es so wichtig, daß wir das auch in Zukunft vorantreiben.
Nun habe ich gesagt, daß sich der strukturelle Anpassungsbedarf, vor dem wir stehen, nicht mit allgemeinen Ausgabenprogrammen befriedigen läßt und daß ich deshalb dagegen bin. Ich sehe im Moment überhaupt keinen Anlaß, zur Lösung der Probleme, mit denen wir es zu tun haben, allgemeine Ausgabenprogramme aufzulegen. Aber das bedeutet doch noch nicht, daß man nun etwas kritisiert, was man selbst gemacht hat. Wir haben Ausgabenprogramme ja nie global zur Finanzierung nur von Nachfrage eingesetzt, es sei denn in Form von Steuersenkungen; das ist doch unbestritten. Wir haben vielmehr gezielte Programme zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft, zur Energieeinsparung, für mittlere und kleinere Unternehmen usw. durchgeführt. Auch haben wir eine entsprechende Politik für Problemgruppen des Arbeitsmarktes gemacht. Ich darf hier nur einige Beispiele nennen: Herabsetzung der Altersgrenze bei den Schwerbehinderten, Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs für erwerbstätige Frauen, Einführung von BAföG für Jugendliche im Berufsgrundbildungsjahr im 10. Schuljahr. Das sind doch - bei aller Problematik auch dieser Maßnahmen - alles Versuche gewesen, den Gruppen zu helfen, die besondere Probleme am Arbeitsmarkt haben, und das ist mit großem Erfolg geschehen. Während die Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien in dieser Zeit mehr als 10 % beträgt, ist sie bei uns wesentlich niedriger und liegt sie weit unter dem Durchschnitt der allgemeinen Arbeitslosigkeit. Ist das denn keine Leistung, über die einmal zu sprechen sich lohnt? Lohnt es sich nicht, darüber zu sprechen, wie man das gemacht hat und wie man da weiter vorankommt?
({15})
Erlauben Sie mir noch - zusätzlich zum Bundeskanzler - ein Wort zu Japan, das hier in der Debatte eine große Rolle gespielt hat. Da gibt es natürlich Übereinstimmungen: Japan ist, wie wir, ein rohstoffarmes Land, dicht besiedelt, hochindustrialisiert; aber da hört's dann auch schon auf. Im übrigen kann
man aber aus dem japanischen Leistungssyndrom nicht einfach den eine oder anderen Aspekt her- ausnehmen und beispielsweise sagen: Die Wochenarbeitszeit ist bei denen länger. Dann kommt Herr Blüm und sagt: Die hören mit 55 Jahren aber auch schon auf.
({16})
Man muß hier vielmehr doch auch einmal sehen, welche Funktion die Sprache, die Tradition, das Arbeitsethos hat, daß hier noch ein Nachholbedarf bei den Löhnen, in der Sozialpolitik, der sozialen Sicherung besteht. Das gehört doch alles in diesen Zusammenhang hinein.
Ich will aus dem japanischen Leistungssyndrom einmal zwei Aspekte in die Debatte einführen, die ganz sicher auch dazugehören: die Zusammenarbeit zwischen Staat und Industrie bei der direkten Forschungsförderung und die japanischen Haushaltsdefizite. Darüber auch und gerade in einer Haushaltsdebatte zu sprechen, ist angebracht, wenn Japan immer so als Beispiel hingestellt wird. Das Ifo-Institut hat im Dezember eine hochinteressante Untersuchung vorgelegt, in der es wie folgt heißt:
Alle gesamtwirtschaftlichen Projektionen gehen aus von einer grundlegenden Umstrukturierung der japanischen Wirtschaft in den 80er Jahren.
Ich darf hinzufügen: sich gründend auch auf eine enorme Anstrengung im japanischen Bildungswesen, die arbeits- und industriebezogen organisiert ist; davon kann man sicher etwas lernen.
Innerhalb dieser Struktur soll der Maschinenbau mit dem Schwergewicht Präzisionsmaschinen und Elektrotechnik stark wachsen. Die technologischen Fortschritte auf dem Gebiet der elektronischen Bausteine - das erwarten die Japaner - werden den Maschinenbau stark befruchten. Andere Industrien, die sie mit Macht fördern, sind Nachrichtentechnik, Computerindustrie, elektromedizinische Geräte und Werkzeugmaschinen.
In Japan ist es nun so, daß die Industrie diesen Umstrukturierungsprozeß gemeinsam mit dem Staat angeht. Dabei wird sie mit vielfältigen Hilfen und Subventionen - Entwicklungskredite, Steuervergünstigungen und was weiß ich - unterstützt. Als Beispiel darf ich hier einmal die Herstellung elektronischer Bauelemente anführen. Da haben sich 1976 das Ministerium für internationalen Handel und Industrie, das berühmte Miti, und die größten nationalen Hersteller elektronischer Bauelemente zusammengesetzt und ein Vier-Jahres-Programm für Größtintegration vereinbart, das mit 650 Millionen DM gefördert worden ist. In diesen vier Jahren sind die dann zu mikroelektronischen Bauelementen gekommen - auf englisch: very large scale integration -, die beispielhaft und den amerikanischen weit überlegen sind. Aber das ist das Ergebnis der Zusammenarbeit großer Konzerne mit enormem finanziellem Einsatz des Staates. Wenn wir in den nächsten Jahren Schwierigkeiten mit dem Import japanischer Elektronik haben, dann nicht, weil die Japaner billiger sind oder mehr arbeiBundesminister Matthöfer
ten, sondern weil hier ein jahrelanger Vorlauf in der Förderung bestimmter industrieller Techniken durch den Staat bei der Industrie besteht.
({17})
- Sie glauben j a wohl nicht, man könnte mikroelektronische Bauelemente, die man für die numerische Steuerung von Werkzeugmaschinen benötigt, mit Hilfe indirekter Forschungsförderung bekommen. Das ist doch wohl das, was Sie uns im Wahlkampf immer um die Ohren geschlagen haben.
({18})
- Ich will ja gar nichts von Japan übertragen. Ich sage nur: Wenn man über Japan spricht, muß man auch das sehen.
Dann muß man natürlich auch die Kreditfinanzierung sehen. Von 1975 bis 1979 stieg die japanische Staatsschuldenlast um 325 %; bei uns stieg sie um 117 %. In diesem Jahr wird der japanische Staatshaushalt wie auch in den vergangenen Jahren - ich habe das erst gar nicht glauben können - zu 30 bis 35 % durch Kredit finanziert: bei uns sind es 12 %. In Japan ist die Kreditfinanzierungsquote des Haushalts dreimal so hoch wie bei uns. Das können Sie doch wohl nicht vergessen, wenn Sie uns anklagen, wir hätten den Staat verschuldet und dadurch, Herr Sprung, das Leistungsbilanzdefizit. Ich würde mich j a gern mit Ihnen auseinandersetzen, wenn ich die Zeit dazu hätte.
({19})
Vielleicht ergibt sich das noch einmal. Sie werfen uns also vor, wir hätten durch die Staatsverschuldung die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft vermindert und sollten uns doch bitte die große japanische Leistungsfähigkeit als Beispiel ansehen. Gehen Sie doch einmal nach Japan und untersuchen Sie einmal genau, worauf dies zurückzuführen ist: auf kreditfinanzierte zukunftbezogene Strukturpolitik. Davon brauchen wir mehr und nicht weniger auch in der Bundesrepublik.
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Ein breites Spektrum von Maßnahmen ist nötig, um die unternehmerischen Initiativen zu stärken, vor allem Forschung, Technologie und Innovationen zu fördern und den Regionen und Wirtschaftszweigen, die in besonderem Maße von Strukturwandel betroffen sind, zu helfen, kleinen und mittleren Unternehmen, von denen wir möglichst viele und möglichst leistungsfähige brauchen, denen wegen ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eine große Bedeutung zukommt. Damit haben wir ja nicht erst gestern begonnen, sondern wir machen das ja schon seit einem Jahrzehnt.
Das strategische Hauptziel der Bemühungen in den nächsten Jahren aber muß sein, als Voraussetzung einer vernünftigen Beschäftigungspolitik Öl einzusparen. Bis dies in ausreichendem Maße gelingt, müssen wir als großer Industriestaat unserer Verantwortung gerecht werden und dafür Sorge tragen, daß die Leistungsbilanzdefizite überall in der Welt finanzierbar bleiben und daß das Gleichgewicht auf den internationalen Kapitalmärkten diese funktionsfähig erhält. Angesichts eines OPEC¡Jberschusses von zwischen 80 und 100 Milliarden Dollar im Jahre 1981 wird das gar nicht leicht sein; das ist eine sehr schwierige Aufgabe.
Vor diesem Hintergrund muß man den Haushalt betrachten. Ich wäre Ihnen dankbar - ich wiederhole das, weil es so wichtig ist -, wenn Sie mir darin zustimmten, daß die Erhöhung der Benzinsteuer unverzichtbar ist. Jede Ausgleichsmaßnahme, die die verbrauchshemmende Wirkung der Steuererhöhung neutralisiert, wäre bedenklich.
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Wir kommen an der fundamentalen Wahrheit nicht vorbei, daß man nicht weniger Öl verbrauchen kann, ohne weniger Öl zu verbrauchen. Das geht doch nicht anders.
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Es haben sich nun mal auf der Grundlage falscher Marktsignale durch die niedrigen Ölpreise bei uns Siedlungsstrukturen, Produktionsstrukturen, Verbrauchsgewohnheiten und Erwartungshaltungen gebildet, die geändert werden müssen. Das wird schmerzhaft sein. Ich appelliere an Sie, uns bei dieser gesamtstaatlichen Aufgabe hier nicht in den Rücken zu fallen und sich aus kleinlichen Überlegungen heraus gegen die Erhöhung der Mineralölsteuer zu wenden, weil Sie sich diesen oder jenen Vorteil davon versprechen.
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Wir müssen die Fehlentwicklungen aus der Periode des scheinbar billigen Öls korrigieren und dürfen nichts tun, was diese Fehlentwicklungen noch weiter in die Zukunft hinein verlängert. Dazu habe ich in dieser Debatte eigentlich ganz wenig gefunden. Herr Häfele legt dar: Die CDU/CSU sagt zu der Anhebung der Mineralölsteuer und der Branntweinsteuer - erstaunlicherweise - nein. Zum Subventionsabbaugesetz sagt man: im Prinzip richtig. Aber jede einzelne Einsparungsmaßnahme ist hier von Ihren Rednern kritisiert worden; nicht eine einzige unserer Einsparungsmaßnahmen ist diesem Schicksal entgangen. Jeder hatte hier seine Klientel: Herr Kiechle zur Landwirtschaft, Herr Pieroth zur Entwicklungspolitik, die Verteidigungspolitiker, die Sozialpolitiker. Jeder sagt: Wir beklagen eure Ausgabenwirtschaft, ihr müßt sparen; aber in dem Bereich hier müßt ihr drei Prozent real bringen, hier müßt ihr 0,7 % des Bruttosozialprodukts aufwenden; dort
tut ihr zu wenig für die Bauern, und für die Bildung tut ihr auch zu wenig!
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Diese Opposition ist in einem Zustand, bei dem jeder Interessenvertreter seine Wünsche vortragen kann. Herr Kiep, ich denke, Sie sind der große Koordinator! Sie haben noch eine Menge Arbeit vor sich,
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um eine kohärente, in sich geschlossene Alternative der Opposition vorzuweisen. Das geht doch alles nicht zusammen!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Ja gern, von Herrn Kiep immer.
Ist Ihnen bei Ihrer gelegentlichen oder sogar häufigen Anwesenheit während dieser Debatte aufgefallen, daß die Opposition in dieser schwierigen Gesamtlage keinerlei ausgabenwirksame Anträge gestellt hat?
({0})
Herr Kiep, was Sie mir jetzt sagen, ist: Wir fordern zwar allgemein eine Steigerung von Ausgaben, damit die Leute im Lande meinen, wir seien dafür; aber wir lassen uns das Hintertürchen offen zu sagen: Anträge haben wir überhaupt nicht gestellt. - So geht es doch wohl nicht!
({0})
Sie haben überhaupt keine Alternative. Ich warne vor diesen mechanischen internationalen Analogien, daß Sie uns Japan oder Großbritannien als Beispiel geben. Herr Kollege Carstens ({1}) hat hier gesagt, wir könnten in unserem eigenen Interesse nur wünschen, daß es Großbritannien durch eine große Kraftanstrengung schafft, mit seinen Problemen fertig zu werden. Einverstanden! Wir brauchen selbstverständlich ein kräftiges Großbritannien. Gerade wir Sozialdemokraten sind j a immer - fast zu stark - anglophil gewesen und sind das auch noch. Wir arbeiten mit der Regierung gut zusammen und werden das auch in Zukunft tun. Was ich sage, ist nicht als Kritik oder auch nur als Wertung der britischen Politik zu verstehen. Das ist deren Angelegenheit. Aber hier fährt Herr Carstens in seinen Ausführungen fort: Dort fängt man mit der Arbeit jedenfalls an, und wir machen noch immer mit unseren Fehlern weiter! - Ja, was heißt denn das schon wieder? Sollen wir dann die „Fehler" nicht mehr machen, die wir jetzt angeblich machen, und das tun, was in Großbritannien getan wird? Wie gesagt: Ich kritisiere überhaupt nicht; ich stelle nur fest, daß es dort 2,4 Millionen Arbeitslose gibt.
({2})
- Ich will hier nicht zur Innenpolitik Stellung nehmen. Ob mancher, wenn er heute noch einmal eine Wahlentscheidung träfe, die 1,2 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen - ({3})
- Bitte, ich will mich auch nicht durch Zwischenrufe verleiten lassen - selbst von Ihnen nicht, Herr Kollege Barzel -, irgend etwas zu sagen, was meine freundschaftlichen Verhältnisse stören könnte. Ich warne nur davor, solche Analogien zu übertragen. Umgerechnet auf unsere Größenordnung - wir haben ja ein paar Einwohner mehr als die Briten -, wären wir bei etwa 3 Millionen Arbeitslosen mit steigender Tendenz! Und das empfehlen Sie uns als „mit der Arbeit anfangen"!
({4})
- Natürlich! Wo sind denn irgendwo in der Welt Ihre Rezepte anders ausgegangen als in Massenarbeitslosigkeit? Wo denn?
({5})
Das ist doch das Problem, daß Sie hier die konservative Seite der deutschen Politik repräsentieren und daß die Konservativen überall in der Welt nicht in der Lage sind, wie Liberale und Sozialdemokraten mit dieser Kombination von moderner Industriegesellschaft und Sozialstaat fertig zu werden.
({6})
- Vergleichen Sie die Situation der Bundesrepublik Deutschland mit dem Rest der Welt. Sie mögen ja immer wieder sagen: Was gehen uns die internationalen Vergleiche an?
Wir werden unsere im internationalen Maßstab erfolgreiche Politik weiter fortführen. Wir werden trotz Tageserscheinungen und trotz Einzelfiguren und trotz Arger und Schwierigkeiten ruhig und unverdrossen diese Art von Politik, auch wenn sie unpopuläre Maßnahmen erfordert, fortsetzen.
Dieser Bundeshaushalt wird dazu beitragen, daß wir der Lösung unserer Probleme näherkommen. Er wird dazu beitragen, den Strukturwandel der Wirtschaft zu fördern, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken; und dazu gehört Mitbestimmung, dazu geBundesminister Matthöfer
hört Humanisierung der Arbeit, dazu gehört soziale Sicherheit.
Auf der Grundlage dieser leistungs- und wettbewerbsfähigen Wirtschaft, vernünftiger Größenstrukturen, vieler kleiner und mittlerer leistungsfähiger Betriebe, einer modernen Technologie, einer vernünftigen Strukturpolitik werden wir die uns entsprechende angemessene Rolle spielen bei der Stärkung Europas, im westlichen Verteidigungsbündnis, bei der Stärkung der Freundschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volk. Wir werden unseren Beitrag zur Stärkung der demokratischen Reformkräfte in den Entwicklungsländern leisten. Wir werden unseren Beitrag zu einer Friedenspolitik leisten, die sicherstellt, daß auch in den nächsten 35 Jahren unser Volk in Frieden leben und arbeiten kann.
({7})
Alle Tageserscheinungen werden längst vergessen sein, wenn wir diese vernünftige Politik weiter fortführen.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt zu Tagesordnungspunkt 1 vor, die Vorlagen auf Drucksache 9/50 - Haushaltsgesetz 1981 - und Drucksache 9/51 - Finanzplan des Bundes 1980 bis 1984 - an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt zu Tagesordnungspunkt 2 vor, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Mineralöl- und BranntweinsteuerÄnderungsgesetzes 1981 auf Drucksache 9/91 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Ausschuß für Verkehr sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt zu Punkt 3 der Tagesordnung vor, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Subventionsabbaugesetzes zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß zu
überweisen, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe noch den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik"
- Drucksache 9/126 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 9/126 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht auf Drucksache 8/4341 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Februar 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.