Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen folgende Mitteilung machen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Eidesleistung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ergänzt werden. Dieser Punkt der Tagesordnung soll jetzt unmittelbar aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Eidesleistung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 28. Januar 1981 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herrn Dr. Jürgen Schmude, zum Bundesminister der Justiz und Herrn Björn Engholm zum Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ernannt hat.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Übernahme ihres Amtes den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid. Ich bitte nun den neuernannten Herrn Bundesminister Engholm zur Eidesleistung.
({0})
Herr Bundesminister sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Ich schwöre es.
Ich stelle fest, daß Sie den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet haben. Herzlichen Glückwunsch im Namen des ganzen Hauses für Ihre Arbeit.
({0})
Wir fahren mit der verbundenen Aussprache über die Tagesordnungspunkte 1 bis 3 fort:
1. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 ({1})
- Drucksache 9/50 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984
- Drucksache 9/51 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 - MinöBranntwStÄndG 1981 - Drucksache 9/91 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Lamdwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen ({3})
- Drucksache 9/92 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Präsident Stücklen
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die heutige Sitzung gegen 20 Uhr zu beenden sei. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Wer hat sich zum Wort gemeldet?
({5})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({6}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers enthält eine Reihe von bemerkenswerten, wenn auch natürlicherweise unvollständigen Wahrheiten und Einsichten,
({7})
nicht zuletzt den schmerzlichen Abschied von der Vollbeschäftigungsgarantie Willy Brandts und Helmut Schmidts. Vollbeschäftigung ist eine gute Sache. Aber zur falschen Zeit wird mit solchen Garantien viel Unfug angerichtet.
Aber diese Rede enthält die Einsichten,
daß Konjunkturprogramme, die doch nur Strohfeuer entfachen, kostspielig und wirkungslos sind,
daß privaten Investitionen Vorrang vor vermehrten Staatsausgaben gebührt,
daß für private Investitionen eine bessere Ertragslage der Unternehmer notwendig ist,
daß der Wohnungsbau auch durch das von dieser Koalition und ihren Regierungen zu verantwortende Mietrecht behindert wird.
Ich freue mich, daß der Herr Bundesfinanzminister meine Reden der letzten zehn Jahre offensichtlich nicht nur gelesen, sondern sich jetzt teilweise, wenn auch in Raten, zu eigen gemacht zu haben scheint.
({8})
Seine Rede ist aber offensichtlich in erster Linie denen gewidmet, die bis jetzt immer noch das Gegenteil dieser Erleuchtung vertreten und sich dabei bisher auch auf den Bundesminister der Finanzen glaubten verlassen zu können.
„Spät kommt ihr, doch ihr kommt", möchte ich sagen. Aber was nützen Erkenntnisse. Sie müssen - jetzt in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Doch damit würde ich schon beinahe in die innerparteilichen Auseinandersetzungen der SPD eingreifen.
({9})
Trotzdem ist das noch immer nicht die volle Wahrheit. Was nutzt es, wenn Sie immer wieder beruhigend feststellen, daß es uns noch besser als den meisten anderen Industriestaaten oder gar den Entwicklungsländern geht? Auch das ist nur zum Teil richtig; es ist eine Momentaufnahme; denn wir sind am Anfang des Abstieges. Solche Parolen mögen sich zur Wählertäuschung im Wahlkampf eignen, aber sie sind gefährlich, weil sie einen trügerischen
Gesundheitszustand vortäuschen, die Entstehung des so bitter notwendigen Problembewußtseins verhindern - denn keine dieser Fragen läßt sich ohne das Problembewußtsein der breiten Öffentlichkeit anpacken - und damit jede Heilung im Ansatz zu ersticken drohen.
Uns geht es noch irgendwie zum Teil besser - das ist richtig - als den meisten anderen Industrie- und selbstverständlich Entwicklungsländern. Dafür ist aber auch die Talfahrt rasanter. Einer der bedeutendsten Wirtschaftsjournalisten des letzten und dieses Jahrzehnts, Walter Slotosch, der in dieser Eigenschaft bei den Anhängern aller noch unter dem Begriff „Vernunft" zu subsumierenden politischen Auffassungen sicherlich einen großen Namen hat, hat vor nicht allzu langer Zeit über den gegenwärtigen Zustand die Überschrift geschrieben: Es geht rapide abwärts. - Darum nützen uns Momentaufnahmen, daß es uns noch besser gehe als den meisten Industrie- und selbstverständlich Entwicklungsländern, relativ wenig.
Dazu kommt eine weitere Erkenntnis, nämlich daß im Energiebereich, auf dem Feld neuer Technologien, wozu doch auch die Nachrichtentechnologie gehört, die bisher am Einspruch gegen den Abbau des Monopols der öffentlich-rechtlichen Anstalten gescheitert ist, sowie im Wohnungsbau den unternehmerischen Investitionen und dem Wettbewerb der Vorrang einzuräumen ist. Das ist ohne jeden Zweifel eine richtige Aussage, die ich nicht deshalb verneine, weil ich etwa zu allem nein sagen würde, was die Regierung sagt. Ich sage selbstverständlich j a, wenn sie etwas Vernünftiges sagt, und das liegt hier offensichtlich vor.
Aber ich darf die bescheidene Frage damit verbinden: Warum hat uns die SPD, als wir diese Ansichten von Anfang an, d. h. rechtzeitig äußerten, in heftigster Weise angegriffen, als unsozial, als Interessenvertreter der Unternehmer gegen die anderen Klassen regelrecht diffamiert? Hätten Sie damals nachgedacht und sich rechtzeitig zu den gleichen Ansichten durchgerungen, statt von der Substanz zu leben und fröhlich darauf loszuwirtschaften, wäre die Zeche nicht so groß, die heute von allen bezahlt werden muß.
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Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich zu Beginn der 80er Jahre in einer einmaligen Lage, leider aber im ungünstigen Sinne des Wortes. Im letzten Jahr - im Jahre 1980 - wurden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gleichzeitig alle Ziele des volkswirtschaftlichen Vierecks, nämlich Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wachstum, verfehlt. Für das Jahr 1981 steht uns eine weitere Verschlechterung ins Haus. Mit einer Teuerungsrate von fast 6 % im Januar sind wir von Preisstabilität weit entfernt. Hohe und steigende Arbeitslosenzahlen bei gleichzeitiger Nachfrage nach Arbeitskräften sind alles andere als ein hoher Beschäftigungsstand. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum war im gesamten Jahr 1980 mit 1,8% weder angemessen noch stetig, schon deshalb nicht, weil das Wachstum im ersten Halbjahr 1980 eingeMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({11})
treten ist und sich im zweiten Halbjahr praktisch auf Null reduziert hatte, d. h. es gab im zweiten Halbjahr praktisch kein Wachstum mehr.
Der neue Jahreswirtschaftsbericht, gestern vom Wirtschaftskabinett verabschiedet, ist der erste Jahreswirtschaftsbericht mit einem sogenannten - ein schreckliches Wort - Minuswachstum, d. h. einem vorhergesagten Abschwung. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß sich das jetzt projizierte Minus von 0,5 % bis 1 % - wie sich die Prozentzahlen seit dem 5. Oktober doch laufend verändert haben! ({12})
als viel zu optimistisch herausstellt. Im Rezessionsjahr 1975, als wir einen Abschwung von minus 1,8% erlebten, sagte der Jahreswirtschaftsbericht noch ein Wachstum von plus 2 % voraus. Der Verschätzungsspielraum enthält erfahrungsgemäß immer eine Irrtumsquote von 4 %. Das zeigt, wie tief ein solcher Abschwung trotz aller Prognosen reichen kann. Es scheint, daß Wissenschaftler und Politiker einen fatalen Hang haben, sich nicht nur optimistisch zu verschätzen - so nach dem Motto: So schlimm ist es ja gar nicht -, sondern auch schlechte Prognosen beinahe wie unter einem Komplex mit dem Zusatz zu verbinden, daß es doch im zweiten oder dritten Quartal des jeweils nächsten Jahres wieder aufwärts gehen werde. Ich warne vor diesem Aberglauben, auch wenn er - um der scheinbaren Präzision willen - noch mit einer Stelle oder auch mit zwei Stellen hinter dem Komma ausgedrückt wird, so nach dem Motto: Lieber exakt falsch als weniger exakt, aber ungenau richtig.
Das Rechengebäude dieses Berichtes geht von reichlich optimistischen und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einhaltbaren Voraussetzungen aus, nämlich davon, daß die Ölpreise relativ stabil bleiben, also nicht stärker als die Industriepreise in der westlichen Welt steigen. Wer das Interview des Generalsekretärs der OPEC-Länder in der letzten Sonntagspresse gelesen hat - das ist ein ernstzunehmender Mann, kein Ölscheich -, wird sicherlich mit mir der Meinung sein, daß die Annahme relativ stabiler Ölpreise eher in ein Märchenbuch als in einen Jahreswirtschaftsbericht gehört.
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- Jedenfalls, Herr Kollege Westphal: Angesichts der bisherigen Entwicklung sind alle Prognosen, daß die Ölpreise nunmehr relativ stabil blieben - das haben wir ja schon fünfmal gehört -, falsch gewesen.
({14})
Es gibt nur einen einzigen Weg, diese unheilvolle Entwicklung zu unterbinden: durch ein zügiges, energisch vorangetriebenes Bauprogramm für Ersatzenergien, vornehmlich Kernkraft, unsere Abhängigkeit von den ölerzeugenden Ländern so zu mindern, daß sie uns die Preise und die Menge nicht
mehr diktieren, sondern wegen gegenseitiger Abhängigkeit mit uns als Partner verkehren müssen.
({15})
Ferner: Der Umstand, daß die Tariflohnerhöhungen brutto die aus heutiger Sicht erwarteten Preissteigerungen eher unter- als überschreiten, was angesichts der. Steuerprogression, die Mehrbelastungen durch höhere Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge weitgehend eine reale Einkommensminderung bedeutet, ist ein schmerzliches Problem für die Tarifpartner und besonders schmerzlich für die Verhandlungspartner auf der Gewerkschaftsseite, die natürlich alle Steuererhöhungen, die auch ein Teil Preiserhöhung sind, in ihre Forderungen einbeziehen werden. Das dürfte auch der Grund sein, warum wir eine Erhöhung der Mineralölsteuer ablehnen.
Eine andere unsichere Prognose ist, daß es früh im zweiten Halbjahr zu einem Wiederaufschwung kommt. Was spricht denn eigentlich dafür? Im Vergleich zur Vergangenheit ist die gegenwärtige Wirtschaftslage durch zwei bedrohliche Tatsachen besonders gekennzeichnet.
Erstens ist der Staat als Folge der in guten Zeiten aufgebauten Schuldenlast finanziell praktisch nahezu handlungsunfähig geworden.
Als Folge des zu geringen Mutes zu rechtzeitigen Einsparungen oder - besser gesagt - zur rechtzeitigen Vermeidung höherer Ausgaben bei den konsumtiven Ausgaben des Staates müssen jetzt vor allem - leider - arbeitsplatzschaffende und arbeitsplatzerhaltende Investitionen gekürzt werden. Jetzt rächt sich die Tatsache, daß die Regierungen der 70er Jahre wie verschwenderische Monarchen gehaust, d. h. keine Reserven für schlechtere Zeiten angelegt haben.
({16})
Zweitens trifft die gegenwärtige Rezession mit einem chronisch gewordenen Defizit in der Leistungsbilanz zusammen. Die hieraus drohenden Gefahren sind vielen Mitbürgern überhaupt noch nicht bewußt geworden. Wir haben es wohl alle erlebt, daß bei Darstellung der Verschuldung und bei Darstellung der Folgen einer negativen Leistungsbilanz der Bürger, da er sie unmittelbar noch nicht spürt, noch nicht das hohe Maß an Sensibilität hat wie gegenüber unmittelbar spürbaren Einkommenskürzungen. Aber das heißt nicht, daß uns deshalb die Folgen erspart bleiben.
Die Hinweise von Regierungsmitgliedern auf die Möglichkeit einer Einschränkung des freien Reiseverkehrs und auf andere Zwangsmaßnahmen deuten diese Gefahren nur an, auch wenn der Finanzminister diese Ankündigungen genauso wie der Wirtschaftsminister dementiert.
Defizite in der Leistungsbilanz hatten wir nach der Gründung der Bundesrepublik vor 1979 nur in drei Jahren, wie ich festgestellt habe: 1950, 1962 und 1965. Aber in diesen drei Jahren hatten wir stets ein hohes Wachstum, während wir jetzt gleichzeitig eine negative Leistungsbilanz und dazu einen wirtschaftlichen Abschwung sogar mit der hohen Wahrschein610
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({17})
lichkeit eines Rückgangs des realen Bruttosozialprodukts haben. Diese Rezession beruht nicht auf einer zu geringen Nachfrage, sondern wir leben, wie das Defizit der Leistungsbilanz zeigt, seit geraumer Zeit über unsere Verhältnisse.
Das Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes kann aus diesem Grunde auch nicht greifen; es ist für andere Voraussetzungen gedacht. Die Väter dieses Gesetzes hatten nie geglaubt, daß einmal Voraussetzungen eintreten würden, unter denen man dieses Gesetz nicht mehr anwenden kann.
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Jetzt muß auch der Finanzminister einsehen, daß Konjunkturprogramme alten Stils nicht mehr dazu beitragen können, die Wirtschaft aus der Talfahrt herauszuführen. Nur braucht uns der Herr Bundesfinanzminister darüber nicht zu belehren. Das Verhältnis ist umgekehrt. Hier muß er sich mit einem großen Teil seiner eigenen Partei, mit einem großen Teil des Deutschen Gewerkschaftsbundes und mit den berühmten „Linksprofessoren" auseinandersetzen, die glauben, daß das Heil der Vollbeschäftigung, des hohen Beschäftigungsstandes in Lohnerhöhungen und in massiven staatlichen Ausgabeprogrammen zu erreichen sei. Aber Aberglaube ist ja bekanntlich auch eine Realität und nicht nur eine Fiktion.
Diese Konjunkturprogramme wären reine Konsumspritzen, aber keine Initialzünder für mehr Investitionen. Ich möchte hier dem Herrn Bundesbankpräsidenten ausdrücklich für die Rede, die er zu Beginn des neuen Jahres gehalten hat, unsere Zustimmung und unsere Anerkennung aussprechen, denn er hat den Finger auf die Wunde gelegt.
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Außerdem könnten zusätzliche Konjunkturprogramme - wenn mich jemand fragte, warum reden Sie denn darüber, wo doch der Finanzminister sich schon sehr eindeutig dagegen festgelegt hat, würde ich antworten: da haben wir schon mancherlei an Saulus-Paulus und Paulus-Saulus der DamaskusStunden in den letzten zehn Jahren erlebt - des Bundes oder auch der Länder nur noch durch höhere Verschuldung finanziert werden. Das heißt, wir müßten den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Der Ölpreis ist sicherlich eine Ursache, es ist aber ein Zeichen von Blindheit oder Verblendung, alles auf diesen einen Umstand monokausal abwälzen zu wollen und so zu tun, als ob das höhere Gewalt sei, gegen die man eben nichts machen könne; denn hinzu kommen starke Defizite durch den Reiseverkehr, hohe Devisenabflüsse durch Gastarbeiter, durch Beiträge zu internationalen Organisationen wie der EG und der UNO. Aber all dies wäre noch - wenn auch schwer - zu verkraften. Aber die Bundesrepublik Deutschland hat seit Mitte der 70er Jahre - das ist ein zusätzlicher und der gravierendste Punkt - ihren internationalen Stand immer mehr verschlechert. Steigende Qualität und wesentlich niedrigere Preise ausländischer Konkurrenzgüter, nicht nur aus Ostasien, aber vornehmlich aus Ostasien, haben zu einer drastischen, ja lebensgefährlichen Tendenz der Verminderung des Ausfuhrüberschusses geführt.
Andererseits hat die Bundesbank auch jeden Spielraum für Zinssenkungen durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre verloren. So willkommen sie konjunkturpolitisch wären, so hätten sie doch große Gefahren, und zwar zum einen für die Zahlungsbilanz - Abwanderung aus der D-Mark in andere Währungen mit hohem Zinsniveau und jetzt doch relativ hoher Stabilität; siehe Pfund, siehe Dollar -, zum anderen hätten sie Gefahren für den Wechselkurs der D-Mark und Gefahren für die innere Stabilität des Geldwertes.
Die verantwortlichen Amtsträger und parlamentarischen Mandatsträger müssen ihr Augenmerk darauf konzentrieren, mit welchen Maßnahmen die Investitionen bei uns wieder vermehrt werden können und der Export wieder gesteigert werden kann.
({20})
Was heißt das? Ich sage etwas, was leicht wieder Gegenstand törichter und böswilliger Invektiven sein kann: Das heißt, daß der Staat, Verbraucher, Gewerkschaften, wir alle begreifen müssen, daß Konsumverzicht und geringere Einkommenszuwächse - wenn überhaupt - unvermeidlich sind, daß aber Einkommenszuwächse bei den Unternehmen wieder zwingendes Gebot sind, wenn das Ziel erreicht werden soll.
({21})
Die Tarifpartner entscheiden weitgehend, ob die Bundesrepublik die wirtschaftliche Herausforderung bestehen und den strukturellen Anpassungsprozeß ohne bleibenden Schaden durchmachen kann.
Es gibt nur eine Methode, internationales Vertrauen in die D-Mark zurückzugewinnen, nämlich Zeichen zu setzen und Fakten zu schaffen, die die Welt davon überzeugen, daß die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Krisenbewältigungsfähigkeit eine größere Kapazität als andere vergleichbare Industriestaaten hat. Nur so ist das internationale Vertrauen zu unserer Währung mit ihrer auch politischgeographisch gefährdeten Randlage, die ja auch manchen Kapitaltransfer nach dem Westen - und nicht in geringem Umfang - herbeigeführt hat, wiederherzustellen.
Das bedeutet - ich gebrauche jetzt ein Lieblingswort des Regierungschefs - Crisis Management. Dieser Begriff wird mit einer beinahe rhetorischen Wollust ausgesprochen: Crisis Management.
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- Der Begriff „Crisis Management" stammt genau-sowenig von Ihnen wie von mir, Herr Wehner, wenn auch die Gründe dafür zwischen uns verschieden sind.
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Aber Sie haben sicherlich schon - ich hoffe: bewundernd - Ihren Regierungschef angehört, wenn er
mit einem kleinen und etwas verächtlichen SeitenMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({24})
blick auf die Amerikaner, Schulter an Schulter mit seinem französischen Freund, dem Staatspräsidenten, das Jahrhundert in die Schranken fordert und eben davon spricht, daß man „Crisis Management an den Tag legen" müsse.
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Jetzt ist Ihre Stunde als Zaubermeister des Crisis Management gekommen, Herr Bundeskanzler!
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Der Zustand der Regierungsparteien, vor allem der SPD, und die Problematik der Koalition bieten dazu die denkbar günstigsten Voraussetzungen.
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In der Energiepolitik hat die Bundesregierung zwar Programme fortgeschrieben, Sparappelle verkündet, ein Sparprogramm verabschiedet, das aber in beträchtlichem Umfang nur sogenannte Mitnahmeeffekte hatte; aber den entscheidenden Durchbruch zu einer Politik „Weg vom 01", der angesichts der gegebenen technischen Umstände, die für uns leider zwingend sind, nur in einem angemessenen Ausbau der Kernernergie liegen kann, hat die Bundesregierung in den letzten vier Jahren verschlafen bzw. sie hat sich versteckt. Seit fast vier Jahren ist in der Bundesrepublik kein neues Kernkraftwerk genehmigt worden.
Dagegen haben die Franzosen beispielsweise den Ausbau der Kernenergie inzwischen mit aller Kraft vorangetrieben. Sie wollen auf dem Gebiet der Energieversorgung bis 1990 ihre Ölabhängigkeit auf den geringen Satz von 28 % drücken. Eine große Zahl von Kernkraftwerken ist in zügiger Planung und im raschen Aufbau.
Der Bundeskanzler ist immer schnell bereit, die Leistungen anderer zu kritisieren oder, wenn es ins Konzept paßt, zu loben. Dazu hat er im französichen Fernsehen erklärt: „Ich finde, das ist eine große Leistung. Und wenn wir davon ein Stück in unserem Land hätten, dann wäre mir in bezug auf unsere zukünftige Elektrizitätsversorgung etwas sicherer zumute."
({28})
Ich sage Ihnen, ich würde Ihnen das gleiche im deutschen Fernsehen sagen, wenn ich das über Sie sagen könnte.
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Das klingt freilich, als wäre er ein hilfloser Oppositionspolitiker, ein harmloser Zeitgenosse oder, wie man in einer Münchner Abendzeitung lesen kann, „Blasius, der Spaziergänger",
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der zeitkritische Bemerkungen macht. Aber Sie sind doch der Bundeskanzler, der die Richtlinienkompetenz hat.
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- In der Verfassung steht es genauso drin. Das Problem ist nur, ob und in welchem Umfang der Verfassungstext mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist aber die Sorge des Herrn Bundeskanzlers und seiner Regierung.
Hier zu Hause sitzt er gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister resignierend im Schmollwinkel und sieht dem energiepolitischen Stillstand stillschweigend zu. Auf dem FDP-Sonderparteitag in Holm bei Kiel über das umstrittene Kernkraftwerk Brokdorf konnte man den Herrn Bundeswirtschaftsminister, der mit seinen wortgewaltigen, die Zeitgeschichte bewegenden Ausdrücken doch sonst so schnell bei der Hand ist, nicht sehen. Entweder war er nicht da, oder er hat sich versteckt.
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Zunächst hat sich dieser Parteitag der FDP mit 100 : 99 Stimmen für den Weiterbau von Brokdorf ausgesprochen. Später ergab sich unter der Bedingung, daß dies erst geschehen könne, wenn die Frage der Entsorgung endgültig gesichert sei, ein Stimmenverhältnis von 97 : 95. Das heißt doch praktisch: In der ersten Abstimmung eine Stimme Mehrheit für ein Ja bei 199 Stimmen und hernach bei 193 abgegebenen Stimmen eine Mehrheit von zwei Stimmen für ein Nein. Das soll die politische Willensgrundlage von Regierungsentscheidungen sein.
Bei der SPD haben wir erlebt, wie ihre Parolen waren: 1973 - Optimaler Ausbau der Kernenergie; 1974 - Maßvoller, aber verstetigter Ausbau der Kernenergie; 1977 - Begrenzter Ausbau der Kernenergie; 1979 - Die Option für oder gegen die Kernenergie muß für eine gewisse Zeit offen bleiben; 1980 - Option, in die Kernenergie einzusteigen, oder Option, aus der Kernenergie auszusteigen.
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Wir haben, Herr Bundeskanzler, in den letzten Tagen etwas ganz Neues gehört, daß nämlich der Bau von Kernkraftwerken eine rein regionale Angelegenheit sei und auf regionaler Basis geregelt werden solle. Was heißt jetzt regional?
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Soweit es Hamburg betrifft - das ist j a auch mit Brokdorf verbunden -, ist der Bürgermeister dagegen, die Partei mit knappster Mehrheit dafür. In Schleswig-Holstein ist die ganze SPD dagegen.
Bei dem berühmten Geheimtreffen, das vor einigen Tagen stattgefunden hat, hat es sich gezeigt, daß der Bundeskanzler aus seiner Verantwortung völlig ausgestiegen ist.
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Es gab und gibt doch noch ein gemeinsames Energieprogramm des Bundes und der Länder. Wir nehmen dieses Programm in den Ländern, ganz gleich ob der Regierungschef von der SPD oder der Union gestellt wird, sehr ernst; siehe zum Beispiel auch Hessen. Wir haben in Bayern gegen mannigfache Widerstände unser ganzes Energieprogramm und den Kernenergieanteil daran mit großer Pünktlichkeit fertiggestellt und bemühen uns, auch das in Zu612
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({36})
kunft zu machen. Wir müssen hier noch einige Kernkraftprojekte in diesem Jahrzehnt in Angriff nehmen und abschließen; das wird geschehen. Das ist unsere Sache.
Wofür ich aber kein Verständnis habe, ist, daß bei jedem Standort, den jeweils eine Landes- oder Staatsregierung heraussucht, SPD und zum Teil auch FDP - die FDP wesentlich weniger, vor allen Dingen die SPD - alles tun, um die örtliche Bevölkerung gegen die Durchführung dieser gemeinsamen Planungen des Bundes und der Länder zu mobilisieren oder - man kann ruhig sagen - aufzuhetzen.
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Hier wäre Crisis Management erforderlich. Denken Sie an die energiepolitischen Versäumnisse in den letzten sieben Jahren, die fast identisch sind mit dem Beginn Ihrer Kanzlerschaft.
Brokdorf sei eine Sache der regional zuständigen Instanzen. Das heißt, so schreibt „Die Welt": Stoltenberg braucht auf den überregional zuständigen Bundeskanzler gar nicht mehr zu warten, mit ihm nicht mehr zu rechnen und auf ihn nicht mehr zu hoffen. Ja, ist denn das noch Regierungsveranwortung? Das ist doch eher mit einem Mainzer Karnevalszug zu vergleichen, als mit Regierungsverantwortung. Hier muß man sich eben ohne Rücksicht auf innerparteiliche Probleme, die es gibt - auch bei uns -, nach den staatlichen Notwendigkeiten, die für die Lebenssicherung unseres Volkes und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, den Wohlstand des einzelnen wie für die soziale Sicherheit aller erforderlich sind, orientieren, und nicht nach innerparteilichen Problemen.
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Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" ist angesichts ihrer Eigentumsverhältnisse nicht gerade für Regierungsfeindlichkeit bekannt. Aber sie schreibt in den letzten Tagen: „Schmidt hat sich samt seiner Regierung aus der Energiepolitik der Bundesrepublik verabschiedet. Nichts anderes bedeutet die vom Kanzler mitgetragene Erklärung der SPD, die Entscheidungen über Kohle- oder Kernkraftwerke müßten in den jeweiligen Regionen gefaßt werden. Im Klartext heißt das: Macht euren Mist alleine."
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- Die Zeitung schreibt das. - Damit zeigt sich tiefe Resignation des Kanzlers.
Im „Kölner Stadt-Anzeiger", einem Blatt, das man wohl der linksliberalen Grundhaltung zuzurechnen hat, heißt es: „Die Brokdorf-Erklärung der SPD provoziert mindestens zwei Fragen: Kann Bundeskanzler Schmidt Verantwortung für ein zentrales Energieprogramm tragen, sich in dieser Eigenschaft in einem Brief für den Bau des umstrittenen Kraftwerkes einsetzen und zugleich als stellvertretender SPD-Vorsitzender die Behauptung mittragen, die Entscheidung sei ausschließlich eine regionale?"
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Der Konflikt über die Kernenergie ist auf dem Berliner Parteitag im Dezember 1979 nur notdürftig gekittet worden, und er droht jetzt über Brokdorf und weiteren Projekten erneut auszubrechen. Wie recht hatten wir doch damals - ich rede nicht gern davon, recht zu haben, das hängt mir allmählich schon zum Halse raus -, als wir nach dem Berliner Parteitag der SPD - ich hier von dieser Stelle - gesagt haben: Die Formulierung taugt nichts. Das ist ein fauler Kompromiß. Der trägt nicht. Und siehe da: Er hat auch nicht getragen.
Wenn es dann noch heißt, man solle eine Einigung auf möglichst breiter Basis herbeiführen, dann weiß ich nicht, ist das eine Beschwörungsformel der Verzweiflung oder ist das ein Appell der Ironie oder ist das nackter Hohn, auf möglichst breiter Basis eine Einigung darüber, aber selbstverständlich nur regional herbeizuführen!
Sie sind Bundeskanzler, Herr Schmidt, und damit für die ganze Bundesrepublik zuständig. Sie haben Ihren Amtseid geschworen, und nach diesem Amtseid sind Sie verpflichtet, für ganz Deutschland in seinem freien Teil Sorge und Verantwortung zu tragen.
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Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Bei Herrn Kollegen Wehner ist es mir immer ein großes Vergnügen.
Herr Ministerpräsident, darf ich diese Ihre letzte kraftvolle Bemerkung und Beschwörung an das, was der Bundeskanzler zu tun hat, als das verstehen, was nun kommen wird, daß Sie nämlich sagen werden: „Der bayerische Ministerpräsident wird dafür sorgen, daß im Freistaat Bayern eine Entsorgungsstelle zustande kommt"?
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Auch Ihre großen Beschwörungskünste, Herr Kollege Wehner, können Leichen nicht immer wieder zum Leben erwecken. Wir haben in Bayern dafür gesorgt, daß für die bei uns im Betrieb befindlichen und für die bei uns noch in Betrieb gehenden Kernkraftwerke die Entsorgung in Form von kernkraftnahen Lagern - seien es Kompaktlagerstätten, seien es Naßlagerstätten - bis zum Jahre 1990 geregelt ist. Machen Sie sich bitte keine Sorgen über das, was wir in Bayern zu tun oder nicht zu tun haben! Machen Sie sich vielmehr Sorgen über das, was in Ihrer Fraktion vor sich geht, was in der Regierung vor sich geht oder nicht vor sich geht! Wir werden mit unseren Problemen fertig. Darauf können Sie sich verlassen!
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({3})
Aber Sie haben natürlich ein Prä, Herr Wehner. Denn an dem einstündigen Gespräch mit dem Bundeskanzler haben Sie nicht teilgenommen. Aber der SPD-Chef Willy Brandt, sein Stellvertreter HansJürgen Wischnewski, Geschäftsführer Egon Bahr, mehrere Bundesminister und andere regionale Würdenträger haben daran teilgenommen. Herausgekommen ist der Appell, eine Lösung auf breiter Basis regional zu suchen. Welche Voraussetzungen vorlagen, habe ich an Hand der Haltungen, Stellungnahmen und Beschlüsse einzelner Personen oder gewisser Gremien eben dargelegt.
Es handelt sich dabei nicht einmal um einen Sonderfall. Es ist vielleicht der Aufmerksamkeit der meisten Kollegen in diesem Hause entgangen, daß die Sozialisten in Straßburg ein besonders peinliches Beispiel ihrer Zerstrittenheit und Unfähigkeit geboten haben. Es heißt hier:
Zur gleichen Zeit, als der Sozialist Jenkins als Präsident der Kommission auf die verhängnisvollen Folgen jeder weiteren Verzögerung im Ausbau der Kernenergie hinwies, der zuständige Energiekommissar Brunner
- der Berliner Nothelfer ein düsteres Bild der Zukunft ausmalte, beschränkte sich die sozialistische Fraktion darauf, ein Moratorium für Kernkraft zu fordern. Dabei taten sich die deutschen SPD-Vertreter in der aggressivsten Art und Weise besonders hervor. Jedes Wort ihrer Sprecher - Wieczorek-Zeul, Schmid, von der Vring - kam einer schallenden Ohrfeige für Bundeskanzler Schmidt gleich. Rudi Arndt, als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, oder die frühere Ministerin im Kanzleramt, Katharina Focke, tragen diese Liste der naiven, in Wolkenkuckucksheim lebenden Juso-Gruppe vollauf mit.
Das schrieb seinerzeit Ernst Müller-Hermann als Satire über die Vorgänge in Straßburg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu ein Zweites. Auch nach 1973 waren die Finanz- und die Wirtschaftspolitik vor allem auf Nachfragestützung oder, wie Sie es nennen, auf Verteilungsgerechtigkeit gerichtet. Jetzt müssen Sie zugeben, daß die Vorstellung einer staatlichen Machbarkeit von Konjunktur und Vollbeschäftigung je nach Gestaltung der Haushalte und Konjunkturprogramme eine Illusion ist. Deshalb sagt der Bundesfinanzminister mit Recht: Es kann keine selbstverständliche Vollbeschäftigungsgarantie mehr geben. Bis zu dieser Erkenntnis bedurfte es eines langen, für Wirtschaft, Bürger und Steuerzahler sehr teuren Lernprozesses. So teure Lehrlinge hat es noch nie in der Weltgeschichte gegeben wie diejenigen, die für diesen Prozeß verantwortlich sind.
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Denn die lange Dauer hat die notwendige Anpassung an die durch die Ölpreisentwicklung geänderten Verhältnisse gefährlich verzögert.
Durch die fortwirkenden Fehler und Versäumnisse der Finanz-, Wirtschafts- und Energiepolitik in den 70er Jahren hat die Bundesregierung die 80er
Jahre zu einem Jahrzehnt voller Gefahren, Risiken und Unsicherheiten gemacht. Und wenn nicht bald der grundlegende Kurswechsel in der Energiepolitik in Richtung auf einen beschleunigten Ausbau der Kernkraftkapazitäten und in der Finanz- und Wirtschaftspolitik in Richtung auf weniger Staat und Abbau der Verschuldung erfolgt - denn überall, wo der Staat vordringt, erlahmen gleichzeitig die privaten Energien, wenn es um die Lösung von Problemen geht -, dann werden jetzt schon die Weichen für die 80er Jahre falsch gestellt.
Was wir jetzt in der Finanz- und Wirtschaftspolitik brauchen, ist - darin stimme ich dem Finanzminister zu - keineswegs ein neues Konjunkturprogramm alten Stils. Wir brauchen nicht noch mehr Konsumnachfrage unter den gegebenen Umständen. Wir brauchen den Abbau der Bremsklötze, festgezurrt durch die politische Unentschlossenheit der Bundesregierung und die von ihr verursachte Gesetzgebung, wonach gegenwärtig ein Investitionsvolumen von weit über 100 Milliarden DM im Kraftwerkbau, im Mietwohnungsbau und in der Nachrichtentechnik brachliegt. Wir brauchen eine grundlegende Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für unsere Industrie.
Im Bundeskanzleramt gibt es sicher Persönlichkeiten, die denken nach dem Motto - zwei Knödel, zwei glatt, zwei fallen lassen, heißt es beim Stricken -: einer links, einer rechts.
Ich habe mit großer Aufmerksamkeit den Aufsatz der stellvertretenden Leiterin der Planungsabteilung des Bundeskanzleramts, der Frau Ministerialdirigent Dr. Ursula Krips, früher Kollegin in diesem Hause, im Heft 2 der „Versicherungswirtschaft" 1981 gelesen. Dort heißt es:
Die Leistungsbilanzsituation ist nicht nur Folge der atemberaubenden Steigerung der Energiepreise. Sie ist ein Zeichen dafür, daß deutsche Waren auf dem Weltmarkt und zum Teil auch auf dem Binnenmarkt zu teuer geworden sind oder nicht mehr dem technischen Stand der Konkurrenz entsprechen.
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Ich schließe mich dieser Auffassung - ich sage: leider - in vollem Umfang an.
Es heißt dort weiter:
Es gibt nur ein Erfolgsrezept. Es besteht in erhöhten Investitionsanstrengungen, neuen Technologien und Innovationen. Nur breit angelegte Perspektiven können eine Zukunft des verwalteten Mangels verhindern.
- Darauf scheinen sich manche Bezugsscheinwütigen wieder einzurichten. Viele Politiker haben nicht gewarnt ...
Was hat der damalige Bundesfinanzminister - der heutige glücklose Verteidigungsminister - von dieser Stelle aus seinerzeit über uns und über mich gesagt, als ich in zwei Reden sagte: Der Sozial- und Bildungsstaat hat seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten! Eine Lawine von Hetzreden, verbunden mit dem Vorwurf, wir wollten alle sozialen
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({6})
Leistungen abschaffen, wir wollten soziale Demontage betreiben, ein düsteres Gemälde, unter einer CDU/CSU-Regierung gäbe es keine Sozialpolitik mehr, waren die Reaktion.
Jetzt hören wir landauf, landab: Den Gürtel enger schnallen! Das bedeutet, daß der Gürtel zu weit geschnallt worden ist und jetzt enger geschnallt werden muß. Natürlich haben der Sozial- und Bildungsstaat mit den Möglichkeiten seiner mißbräuchlichen Ausnutzung seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten.
({7})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ist Ihnen noch etwas eingefallen, Herr Kollege Wehner?
Entschuldigen Sie bitte oder haben Sie wenigstens Verständnis, daß ich sie in diesem Zusammenhang noch einmal stören muß. Sie kennen j a genau eine andere Art, die bisher ein einziges Mal in unserer Bundesrepublik Deutschland gemacht worden ist, nämlich ein „Haushaltssicherungsgesetz",
({0})
durch das eine Reihe von Gesetzen - Sie selbst waren damals nicht in der Regierung gewesen; Sie waren aber in der darauf folgenden Regierung Finanzminister; auch ich war dann in dieser Regierung, die dann folgte - sozusagen storniert wurden, die 1965 im Wahljahr anziehend gewesen waren und 1966 durch ein Haushaltsgesetz „erloschen wurden", wenn man das so sagen darf. Damals zerbrach eine Regierung daran. Das wissen Sie noch.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Ich kenne die Entwicklung der 60er Jahre und der 70er Jahre genauso wie Sie, Herr Kollege Wehner. Als in den 60er Jahren gewisse Übertreibungen erkannt wurden, sind diese Übertreibungen damals durch dieses Haushaltssicherungsgesetz, wie es, glaube ich, hieß, unter Kontrolle gebracht worden.
({2})
- Rechtzeitig!
Nur, die Probleme von damals hatten die Größe einer Mickymaus, und die Probleme von heute haben die Größe eines Elefanten. Das ist der Unterschied.
({3})
Ich bin Ihnen - und zwar nicht ironisch gemeint
- sehr dankbar dafür, daß Sie auch das Haushaltsstrukturgesetz des Jahres 1975 erwähnen. Die Tatsache, daß ein solches Haushaltsstrukturgesetz mit der Zurücknahme gewisser auch sozialer Leistungen auf breiter Ebene notwendig war, beweist doch, daß das Wort, der Sozial- und Bildungsstaat habe seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten, Lob verdient hätte und nicht Anlaß demagogischer,
jakobinischer, polemischer Pöbeleien hätte werden dürfen. Das meine ich.
({4}) Frau Krips schreibt:
Viele Politiker haben nicht gewarnt, als Anspruchsdenken Staat und Gesellschaft zu überfordern begannen. Immer noch begegnet man beim Bürger weitgehender Unkenntnis über wirtschaftliche und finanzielle Gegebenheiten im Zeichen der Ölpreisexplosion.
Warum denn die Unkenntnis? Weil man jeweils mit Schielen auf den nächsten Wahltermin die Bundesrepublik, ihre wirtschaftliche, finanzielle und soziale Situation wahrheitswidrig als mondbeglänzte Zauberwiese mit allen möglichen geheimen Erfolgsrezepten hingestellt, vom „Modell Deutschland" gesprochen hat, statt sich darum zu kümmern, daß unser Land in Ordnung bleibt.
({5})
Zum Schluß schreibt sie:
Sorgen bereiten daher weniger die Wirtschafts-und Finanzfragen, die man gemeinsam meistern könnte, als die Sorglosigkeit, mit der manche Mitbürger sich den Problemen ihres Landes stellen.
Das Wort „Mitbürger" ist anscheinend Synonym für ihren Amtschef oder für den Bundeskanzler, der ja ihr Vorgesetzter im Bundeskanzleramt ist: „Die Sorglosigkeit, mit der manche Mitbürger sich den Problemen ihres Landes stellen."
Weil ich schon bei Ihrer Planungsabteilung bin, Herr Bundeskanzler, komme ich jetzt auf den Leiter der Planungsabteilung ganz kurz zu sprechen. Was ich hier zu sagen habe, ist in meinen Augen empörend, und nicht nur in meinen Augen. Ich habe vor mir die Ausschrift eines Vortrages, den Ihr Ministerialdirektor Albrecht Müller am 25. November 1980 in Luxemburg über das Thema „Welche Probleme bringt das Satellitenfernsehen für unser Land?" gehalten hat. Da kann man dieser oder jener Meinung sein; das ist heute hier nicht zu erörtern. Es heißt dort aber wörtlich:
Vorkämpfer für Kabel- und Satellitenfernsehen sind in der Bundesrepublik die nachrichtentechnische Industrie, die eng mit der Rüstungsindustrie verflochten ist,
- das ist der Schöfberger-Effekt ({6}), die Endgerätehersteller, d. h. die elektronische Industrie, die Fernmeldeindustrie, die monopolisierten Medienkonzerne,
- wohlgemerkt, nicht die kleinen Verleger die technisch-industrielle Elite, die sogenannte Technostruktur nach Galbraith, die konservativen Parteien in der Bundesrepublik.
Das sind die Vorkämpfer des Kabel- und Satellitenfernsehens.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({7})
Dies alles sind Gruppen mit einem traditionell eher autoritären, elitären und von Sachzwängen beherrschten Staats- und Gesellschaftsverständnis.
({8})
Es sind im großen und ganzen jene Gruppen, von denen der in Luxemburg wohlbekannte frühere Bundesminister und Sozialdemokrat Alex Möller einmal im Bundestag gesagt hat, sie stünden den Nazis jedenfalls näher als die andere Seite des Hauses.
({9})
Hier sollten Sie wenigstens Ihr Haus in Ordnung halten.
({10})
Sie sollten dafür sorgen, daß nicht von einem hohen Beamten Ihres Hauses
({11})
die deutsche Zukunftsindustrie - und das ist nun einmal die elektronische und die elektrotechnische Industrie - und die „konservativen Parteien" - vielleicht ist da die FDP schon in den gemeinsamen Segen einbezogen - im Ausland mit braunem Dreck beworfen werden. Das ist schlechterdings unmöglich.
({12})
Daß ich hier nicht von einem A-priori-Nein-Standpunkt ausgehe, mögen Sie aus der Verwendung zweier Schriftstücke sehen, bei der ich unsere volle Übereinstimmung mit den schriftlich in der Öffentlichkeit geäußerten Ansichten der Ministerialdirigentin Krips zur Wirtschaftslage und zu den Problemen, die damit verbunden sind, zum Ausdruck bringe und meine Empörung über die unglaublichen Exzesse des Leiters Ihrer Planungsabteilung.
({13})
Wenn jemand mit einem solchen Weltbild, wie es hier zutage tritt, bei Ihnen die Planung macht, muß man schon sagen: „Wie der Herr, so das Gscherr, und wie das Gscherr, so der Herr!"
({14})
Wir brauchen eine grundlegende Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für unsere Industrie, die allein marktwirtschaftsgerecht das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wiederherstellen und einen für die deutsche Wirtschaft verderblichen Protektionismus mit Devisenbeschränkungen usw. vermeiden kann. Es geht dabei nicht nur um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportgüter auf den Auslandsmärkten, es geht in weiten Bereichen auch um die Wettbewerbsfähigkeit von Inlandsprodukten gegenüber Importwaren.
Ich brauche hier keine großen Listen aufzuzählen, aber ich sage als Stichworte: Optik, Fotoindustrie, Unterhaltungs- und Nachrichtenelektronik, neuerdings auch Automobile, Kugellager. sogar Spielsachen. Auch hier sind in weiten Bereichen unsere Güter auf dem Inlandsmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist nicht ein Konjunktureinbruch, der in gewissem Umfange nie zu vermeiden ist und der auch immer wieder abgefangen werden kann, der sicherlich auch nicht lange oder jedenfalls nicht ewig dauert. Man wird niemals eine stetige Konjunkturentwicklung durch staatliche Eingriffe erzielen können, bei der es eine gerade Mittellinie ohne Ausschläge gibt; es wird darin immer Amplituden und Longituden geben. Nur sollen sie möglichst gering gehalten werden. Das waren doch die Erkenntnisse, die wir uns in den sechziger Jahren an den Schuhsohlen abgelaufen haben. Hier handelt es sich aber nicht mehr um konjunkturelle Probleme, hier handelt es sich um strukturelle Probleme, und zwar nicht nur in Rand- und Grenzgebieten der Bundesrepublik Deutschland; es handelt sich um strukturelle Probleme unserer gesamten Wirtschaft.
Ihre Lösung erfordert - ich sage das weder höhnisch noch ironisch - einen Pakt der Vernunft zwischen den Politikern, den Unternehmern und ihren Organisationen sowie den Arbeitnehmern und ihren Organisationen. Es ist nicht unsere Aufgabe, für Vollbeschäftigung in Ostasien zu sorgen, so sehr wir sie ihnen wünschen. Unsere Aufgabe ist es, für einen hohen Beschäftigungsstand in der Bundesrepublik zu sorgen.
({15})
All das heißt, die Kostenbelastungen und den Anstieg der Kostenbelastungen verringern. Die Höhe der Arbeits- und Arbeitsnebenkosten hat erheblich zu dieser Lage beigetragen. Ich bitte, auch endlich einmal davon freizuwerden, daß man jemanden, der solche Überlegungen äußert, gleich in die Ecke „Arbeiterfeind" stellt. Der größte Feind der deutschen Arbeiterschaft ist der, der ihr die Arbeitsplätze stiehlt.
({16})
Den Anstieg der Kostenbelastung verringern und die Investitionsbedingungen verbessern: Ich weiß, daß angesichts des riesigen Schuldenberges Steuererleichterungen dafür, auch für Investitionen, leider kein aktuelles Thema sein können. Aber es geht hierbei jetzt nicht nur um materielle, sondern auch um psychologische Probleme.
Das grundsätzliche Ziel einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen, auch in der Steuerpolitik, einer weiteren Senkung der ertragsunabhängigen Steuern, der Sicherung und Wiederherstellung eines Gleichgewichts zwischen direkten und indirekten Steuern und der Verbesserung der Eigenkapitalausstattung vor allem auch unserer mittleren Wirtschaft - das sind Ziele, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen, auch wenn wir sie jetzt infolge des Verlustes aller Spielräume leider nicht mit der Priorität behandeln können, wie wir es gewollt und auch geschafft hätten, wenn man sich von Anfang an so verhalten hätte, wie wir das in den siebziger Jahren vorgeschla616
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({17})
gen haben. Dafür ist aber auch die Wiedergewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates durch Abbau der Neuverschuldung eine unabdingbare Voraussetzung.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, in einem großen Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger" am 7. August letzten Jahres eine Reihe von höchst interessanten Äußerungen getan bzw. Behauptungen aufgestellt, die vielleicht wegen der deutschen Feriengewohnheiten in Vergessenheit geraten sind. Ich möchte jetzt nicht davon reden, daß Sie gesagt haben, Sie und Ihr Freund Giscard hätten es vermocht, die Großmächte wieder zum Reden miteinander zu bringen. Ich weiß nicht, ob Ihnen Präsident Reagan dafür einen Dankesbrief schreiben wird, daß Sie ihm die Möglichkeit gegeben haben, wieder mit der anderen Großmacht zu reden. Es wäre aber besser, Sie würden Ihre Aufmerksamkeit darauf verwenden, Ihre Parteifreunde zum Schweigen zu bringen als die Großmächte zum Reden.
({18})
Sie sind nicht als besonderer Freund der Marktwirtschaft bekannt, obwohl Sie als ideologiefreier Pragmatiker auch zu marktwirtschaftlichen Ansichten befähigt sind.
({19}) Sie sagten:
Sie
- gemeint ist die Marktwirtschaft -funktioniert deswegen, weil die deutschen Gewerkschaften durch ihre einerseits maßvolle, andererseits aber eben in ihrem Augenmaß besonders erfolgreiche Lohnpolitik und Arbeitszeitpolitik die deutschen Unternehmen jedes Jahr wieder neu unter Druck gesetzt haben. Sie haben sie jedes Jahr unter Lohnkostendruck gesetzt. Und wir haben als sozialpolitische Gesetzgeber ihnen den Lohnnebenkostendruck nicht ersparen können.
Ich bin der allerletzte, der den Gewerkschaften, vor allen Dingen in der heutigen Situation, das Recht abspricht, Einkommensminderungen für die von ihnen betreuten Bevölkerungsschichten zu verhindern oder jedenfalls auf ein Minimum zu ermäßigen. Da haben sie unsere volle Zustimmung. Aber wenn man den Sinn der Marktwirtschaft darin sieht, immer die Grenze der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft zu erproben, und triumphierend verkündet: Und wir haben ihnen als Gesetzgeber noch tüchtig Lohnnebenkosten draufgepackt, ist auch das ein Beitrag dazu gewesen, daß wir heute da stehen, wo wir stehen, und daß die Aussichten so sind, wie ich sie, ohne Kassandra zu sein, mit vielen anderen, die der gleichen Meinung sind, geschildert habe.
(
Zitieren Sie doch mal vollständig! Sie haben doch gefälscht eben! - Zuruf von der CDU/CSU: Wie bitte? - Dr. Marx [CDU/CSU]: Und das von der Regierungsbank!)
- Es ist ein merkwürdiger Vorgang, ein Zeichen dafür, daß Sie sich nicht mehr unter Kontrolle haben,
({0})
wenn Sie hier einen Zwischenruf an den Redner richten. Wenn das die neuen Gewohnheiten sind, dann muß sich der Ältestenrat damit befassen, daß die Geschäftsordnung entsprechend geändert wird.
({1})
Aber ich muß mich mit allem Nachdruck gegen das Wort „Fälschung" verwahren - mit allem Nachdruck.
({2})
Dies ist die sattsam bekannte Methode, einem dann, wenn man nicht das ganze Interview verliest, sondern einen Abschnitt daraus in Frage und Antwort wahrheitsgemäß vorträgt, Fälschung vorzuwerfen. Ich könnte selbstverständlich dieses Interview verlesen. Das würde etwa 40 bis 50 Minuten dauern. Der Satz, den ich mir herausgeschrieben habe, heißt:
Sie
- gemeint ist auf Grund des vorhergehenden Textes die Marktwirtschaft funktioniert deswegen, weil die deutschen Gewerkschaften durch ihre einerseits maßvolle, andererseits aber in ihrem Augenmaß besonders erfolgreiche Lohnpolitik und Arbeitszeitpolitik die deutschen Unternehmen jedes Jahr wieder neu unter Druck gesetzt haben.
- Das ist das gute Recht der Gewerkschaften, das zu tun. Dann sagen Sie:
Sie haben sie jedes Jahr unter Lohndruck gesetzt. Und wir haben als sozialpolitische Gesetzgeber ihnen den Lohnnebenkostendruck nicht ersparen können.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Herr Abgeordneter, bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, würden Sie so liebenswürdig sein, entweder das Zitat fortzusetzen - da steht ja noch mehr - oder aber, falls Sie es nicht vollständig vor sich liegen haben sollten, aus dem Gedächtnis zu bestätigen, daß das Zitat folgendermaßen fortfährt: Und die deutschen Unternehmungen haben es fertiggebracht, unter diesem Lohnkostendruck jeweils zu rationalisieren, zu modernisieren, neue Produkte auf den Markt zu bringen, und die Gewerkschaften haSchmidt ({0})
ben das Verdienst, bei diesen Rationalisierungen ihnen nicht in den Arm gefallen zu sein?
({1})
Einen Augenblick, Herr Ministerpräsident.
Einmal: Es besteht nicht die Absicht, die Geschäftsordnung dahin gehend zu ändern, daß von der Regierungsbank aus in die Debatte ohne Wortmeldung eingegriffen werden kann.
Zweitens. Herr Bundeskanzler, Sie haben als Abgeordneter eine Frage an den Herrn Ministerpräsidenten gestellt. Ich würde bitten, daß Sie die Antwort noch als Abgeordneter entgegennehmen würden.
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Nach Ihren Maßstäben, Herr Abgeordneter Schmidt,
({2})
muß ich jetzt Ihnen wieder Fälschung vorwerfen. Denn Sie haben wieder einen Satz nicht erwähnt, der in diesem Interview, das ich in der Zwischenzeit im Originaltext bekommen habe, auch steht. Darum muß ich beide Absätze verlesen, um die es geht, und bitte um Nachsicht dafür:
Sie
- gemeint ist die Marktwirtschaft funktioniert deswegen, weil die deutschen Gewerkschaften durch ihre einerseits maßvolle, andererseits aber eben in ihrem Augenmaß besonders erfolgreiche Lohnpolitik und Arbeitszeitpolitik die deutschen Unternehmen jedes Jahr wieder neu unter Druck gesetzt haben. Sie haben sie jedoch jedes Jahr unter Lohnkostendruck gesetzt, und wir haben als sozialpolitische Gesetzgeber ihnen den Lohnnebenkostendruck nicht ersparen können.
Dazu habe ich meine Bemerkung gemacht, daß es das gute Recht der Gewerkschaften ist, die Unternehmen unter Lohnkostendruck zu setzen. Es gibt ja zwei Tarifpartner.
({3})
- Langsam, langsam, nur keine Aufregung. Ich bin sehr präzise und genau. - Ich habe aber gesagt, daß das die Mentalität ist: immer wieder die Grenzen der Belastungsfähigkeit zu erproben, womit ich vor allen Dingen den Lohnnebenkostendruck meinte, der sehr vermeidbar hochgejagt worden ist.
({4})
- Ja, weiter:
Und sie funktioniert zweitens, weil die Gewerkschaften selbstverständlich anerkannt haben, daß die Unternehmen mittels Rationalisierung und Modernisierung schlechthin diesem alljährlich verstärkten Kostendruck durch höhere Unternehmensleistung sich insgesamt wieder mit Erfolg entzogen haben. Das heißt, sie haben ihre Wettbewerbsposition von Jahr zu Jahr
nicht nur auf dem eigenen Markt, sondern in der ganzen Welt gestärkt.
({5})
Das ist das volle Zitat. Und das stimmt nicht mehr, das ist doch eine glatte volkswirtschaftliche Unwahrheit.
({6})
Warum eine glatte volkswirtschaftliche Unwahrheit? Ich sage ja nicht, daß Sie diese Unwahrheit bewußt gesagt haben. Aber das ist eines Ihrer so häufigen flapsigen, oberflächlichen, generalisierenden Urteile, die Sie aussprechen.
({7})
Woher kommt denn der starke Zuwachs der japanischen Automobilindustrie auf dem deutschen Automobilmarkt, das Eindringen auf Gebieten, die beinahe bisher ein deutsches Monopol waren, wie Spielwaren z. B.? Wo stehen denn die 5 000 Schweinfurter Arbeitsplätze, die in der Kugellagerindustrie verlorengegangen sind? Warum haben die Japaner 90% des Motorradmarktes, einen hohen Prozentsatz des optischen Marktes, des Photomarktes, des Elektronikmarktes?
({8})
Fragen Sie doch einmal, Herr Abgeordneter Schmidt! Die Wahrheit ist schwer zu hören. Es ist leicht, Luftschlösser zu errichten. Es ist teuer, sie wieder einreißen zu müssen.
({9}) Fragen Sie -
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Zuvor noch einen letzten Satz! - Fragen Sie doch, Herr Abgeordneter, deutsche Unternehmer, und zwar nicht etwa leichtsinnige, schlampige, untüchtige, jene kleine Minderheit, die es in jedem Berufsstand gibt. Fragen Sie doch einmal bei Grundig nach, fragen Sie bei BMW nach, fragen Sie auch bei kleineren Industrien nach!
({1})
Warum wird, um nur ein Beispiel zu nennen, der größte Teil der Kappen an den Stoßstangen der Produkte des Volkswagenwerkes von einer deutschen Firma, die aber aus Kostengründen gezwungen war, diese Produktion zum größten Teil, ich glaube, nach Hongkong oder Singapur zu verlegen, im Ausland hergestellt? Warum verlegt man denn Produktionen und zerstört Arbeitsplätze? Weil die geringe Kapitalausstattung, der hohe Kostendruck und die allgemein schlechte Wettbewerbslage in Verbindung mit der Ölpreiserhöhung die Unternehmer zu dieser
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2}) Verhaltensweise zwingen, was ich aufs tiefste bedaure.
({3})
Die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt.
Herr Ministerpräsident, würden Sie einräumen, daß die nunmehr vollständige Verlesung des Zitats dem Ganzen einen völlig anderen Sinn gibt, so daß die ursprüngliche Polemik nicht aufrechterhalten werden konnte, vielmehr jetzt ersetzt werden mußte durch die Behauptung, das sei alles Unsinn, was der Zitierte von sich gegeben habe?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Nein, das sage ich nicht. Aber ich behaupte, daß der letzte Satz im zweiten Absatz schlechterdings falsch ist.
({1})
Herr Ministerpräsident, ich bin schon immer der Meinung, daß dies wirklich ein echter Bestandteil einer lebhaften Debatte des Parlaments sein muß, daß nicht allein die sture Nur-Fragestellung zugelassen werden kann; denn dies dient der Auseinandersetzung. Deshalb möchte ich - außerhalb der Geschäftsordnung - ein bißchen die Zügel freilassen. - Also, Herr Ministerpräsident, und dann noch mal der Abgeordnete Schmidt!
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Wir beide erinnern uns doch noch, Herr Bundestagspräsident, wie belebt die Debatten in der 1. Legislaturperiode waren. Ich möchte aus verständlichen Gründen im Augenblick keine Namen damit verbinden.
Wenn Sie behaupten, Herr Abgeordneter Schmidt, daß die deutschen Unternehmen ihre Wettbewerbsposition von Jahr zu Jahr auf dem eigenen Markt und in der ganzen Welt gestärkt hätten, dann ist das zumindest für den Zeitraum der zweiten Hälfte der 70er Jahre und für heute schlechterdings falsch.
({2})
Und nun der zweite Teil der Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Ministerpräsident, in dem Bewußtsein, daß Zwischenfragen wie auch Zwischenrufe natürlich nicht Debatten ersetzen können - ich werde morgen oder übermorgen von meiner Seite aus in der Debatte gerne auf das zurückkommen, was Sie eben ausgeführt haben -, und in dem Bewußtsein, daß sich eine Zwischenfrage natürlich nur auf einen Punkt konzentrieren kann: Würden Sie einräumen, daß das Wiedergeben von um die Hälfte verkürzten Zitaten im Volksmund gelegentlich auch als Verfälschung von Zitaten bezeichnet wird, wobei ich einräumen würde, daß der geographische Ort, von dem aus ich diesen Zwischenruf gemacht habe, hier natürlich sehr viel besser gewesen wäre als dort?
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Auch ein bescheidenes Stück Selbstbekenntnis ist ein Fortschritt, Herr Abgeordneter.
({2})
Ich muß Ihnen trotzdem, obwohl ich nicht gern den Oberlehrer spiele,
({3})
entgegenhalten, daß ich den in Betracht kommenden Absatz vollständig zitiert habe, vollständig! Eine Fälschung wäre es, wenn man in einem Absatz Weglassungen vornähme, die den Sinn des Gesagten oder dessen, was gesagt sein sollte, ins Gegenteil verkehren.
({4})
Daß die Unternehmer dann gezwungen waren zu rationalisieren, ist eine bekannte Tatsache. Das war der einzig mögliche Ausweg; aber auch das ist wieder eine halbe Wahrheit.
({5})
- Jetzt hat er die Hälfte hinter sich, also: Herr Bundeskanzler!
({6})
Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Unternehmer waren nicht nur gezwungen zu rationalisieren
({7})
- ich beantworte jetzt keine Frage mehr -, sondern waren leider auch gezwungen, Produktion in kostengünstigere ausländische Produktionsmöglichkeiten zu verlagern, und das hat Zehntausende, Hunderttausende von Arbeitsplätzen gekostet. Man kann doch nicht bestreiten, daß der Kostendruck bei schlechter Kapitalausstattung und dem hohen Finanzerfordernis für Rationalisierung, dem hohen Kapitalbedarf, zu der Nebenwirkung der Verlagerung von Produktion und zu der noch gefährlicheren Nebenwirkung einer Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsposition geführt hat. Woraus ist denn der Verfall der deutschen Zahlungsbilanz, der Leistungsbilanz und der drastische Rückgang unseres Außenhandelsüberschusses zu erklären? Woher kommt denn der hohe Marktanteil, den auf klassischen Gebieten deutscher Technik nunmehr andere, technisch gut und billiger Produzierende nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland erworben haben? Hier hat es doch keinen Sinn zu polemisieren, hier müssen wir den Ausweg gemeinsam finden, und dieser Ausweg ist schmerzlich genug.
({8})
Denn dieser Ausweg erfordert ohne jeden Zweifel unpopuläre Maßnahmen, er erfordert Verzichte. Sie werden bei uns nie festgestellt haben, daß wir, wenn die Regierung bei vernünftigen und erfolgsichernden Maßnahmen vorangeht, Ihnen aus parteipolitisch-taktischen Überlegungen Prügel zwischen die Füße werfen. Das Gegenteil ist von uns noch immer bewiesen und auch praktiziert worden.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({9})
Lassen sie mich zum Haushalt ein Letztes sagen.
({10})
- Ja, zum Haushalt! Der Herr Bundeskanzler hat am 19. Dezember eine Rede vor dem Bundesrat gehalten. Dort ist eine Antwort aus bekannten Gründen nicht möglich. Ich kann sie auch hier aus Zeitgründen jetzt nicht mehr geben, möchte allerdings einen Punkt herausgreifen: Der Bundesrat, d. h. die Mehrheit des Bundesrates, hat - bei etwa 550 Gesetzen, die der Bundestag in der letzten Legislaturperiode verabschiedet hat - bei 15 Gesetzen durch Verweigerung der Zustimmung oder Einlegung des Einspruchs das Inkrafttreten verhindert. Trotzdem kam wieder die übliche Diffamierungskampagne, der Bundesrat sei eine Obstruktionsmaschine, eine Sackgasse.
({11})
- Der Kollege Wehner sagt „Sackbahnhof". Nun, ob „Bahnhof" oder „Gasse", das hängt vom Straßenzustand ab. Das sind also die üblichen Vorwürfe, die man dann gegen dieses Verfassungsorgan richtet, vor dem der Bundeskanzler ohnehin keinen großen Respekt hat, wie er oft genug bekundet hat. - Von diesen 15 Gesetzen war mehr als die Hälfte kostenträchtig. Wären diese Gesetze in Kraft gesetzt worden, wie der Beschluß des Bundestages und der Wunsch der Bundesregierung es bedeutet hätten, dann wären die jährlichen Mehrausgaben des Bundes und der Länder vom Jahre 1981 an - mit steigender Tendenz von Jahr zu Jahr - etwa 3,2 Milliarden DM höher. Ich rede jetzt gar nicht über die Berechtigung dieser Gesetze - sei es das Strafvollzugsreformgesetz oder das Jugendhilfegesetz, sei es das Verkehrslärmschutzgesetz; allerdings, beim Jugendhilfegesetz geht es nicht nur um materielle Probleme, sondern auch um viel Ideologie -, sondern sage nur: Wir hätten auf Grund der durch diese Gesetze verursachten Ausgaben in Höhe von 3,2 Milliarden DM - man kann nicht sicher sagen, ob es 3,2 oder 2,8 Milliarden DM sind, weil das ja alles Schätzungen sind; sagen wir: rund 3 Milliarden DM - im Bund und in den Ländern eine noch größere Haushaltslücke zu füllen, als das jetzt schon der Fall ist. Von diesen 3,2 Milliarden DM hätte der Bund etwa 1 Milliarde bis 1,2 Milliarden DM zu tragen, die Länder hätten rund 2 Milliarden DM zu tragen. Die Mehrausgaben, die durch die Beschlüsse der Mehrheit des Bundestages und die Vorlagen der Bundesregierung verursacht worden wären, wären höher als alle auf Grund des sogenannten Subventionsabbaugesetzes erzielten Einsparungen bzw. Mehreinnahmen. Hier sollte man doch einmal den Mut, den Anstand haben, dem Bundesrat Verantwortungsbewußtsein, Augenmaß und Maßstabsgerechtigkeit zuzuerkennen.
({12})
Ich rede hier, meine Damen und Herren, im übrigen noch nicht einmal über die Etatrisiken im Zusammenhang mit der Bundesanstalt für Arbeit, im Zusammenhang mit der Bundesbahn. Ich rede hier, wenn ich so sagen darf, nicht über die mehr an ein
Märchenbuch als an sorgfältige Kalkulation erinnernde Zahlensystematik der Finanzplanung für die Jahre 1982, 1983, 1984.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Ausführungen noch einige Worte zu der Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und vor allem für die Bundesrepublik Deutschland sagen. Mit dem Amtsantritt des neuen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan hat ohne Zweifel ein neuer Abschnitt in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik, Europa und den USA begonnen. Wir sind überzeugt, daß bei Reagans Politik, soweit das überhaupt möglich ist, Gedanke, Wort und Tat wenigstens in einem erkennbaren Zusammenhang stehen und, wenn möglich, eine Einheit bilden. Der überwältigende Erfolg des neuen amerikanischen Präsidenten und der Republikaner läßt keinen Zweifel, daß sich das Bewußtsein der Amerikaner hinsichtlich ihrer Aufgaben bis zum Ende des Jahrhunderts entscheidend geändert hat. Wer die Rede Reagans gestern beim Empfang der Geiseln am Fernsehen mitbekommen hat, wird diese Analyse, die ich schon vorher zu Papier gebracht habe, ohne jeden Zweifel bestätigen.
Gestützt auf diesen Vertrauensbeweis ist der amerikanische Präsident offensichtlich entschlossen, dem Abgleiten der amerikanischen Weltmachtposition ein Ende zu machen und die im Westen viel zu lange betriebene illusionäre Entspannungspolitik durch eine realistische Entspannungspolitik zu ersetzen. Es liegt im ureigensten Interesse Europas und der Bundesrepublik Deutschland, dabei entschlossen und unzweideutig an der Seite Amerikas zu stehen.
({13})
Wir sollten es aus freier Überzeugung und aus freien Stücken tun, weil wir um die Unauflöslichkeit dieser Schicksalsgemeinschaft wissen sollten. Man kann und sollte nicht versuchen, sich aus ihr, aus der Gemeinsamkeit, den politischen Überzeugungen und Wertvorstellungen, denen wir uns verpflichtet fühlen, durch pseudoneutralisierende oder auf lange Sicht neutralisierende Geheimpläne hinauszustehlen. Diese Überzeugungen und Wertvorstellungen können wir in der Welt nicht ohne die Unterstützung und Führung der Amerikaner mit Nachdruck vertreten, auch aus unserer Verantwortung für den Frieden in der Welt und die Bewahrung der Freiheit, die ohne das Bündnis mit Amerika in Europa und anderswo nicht denkbar wären.
Deshalb fordern wir Sie auf, die Schicksalsverbundenheit Deutschlands und Europas mit den USA nicht nur mit Worten zu beteuern, sondern durch Taten zu beweisen, statt aus Rücksicht auf die Linken in Ihrer Partei die unterschiedliche Interessenlage bewußt und unbewußt immer mehr in den Vordergrund zu rücken. Es mag Differenzierung der Interessen geben - das ist natürlich und selbstverständlich -, aber im großen und ganzen sind die Schicksalsinteressen der atlantischen Welt gemeinsam, weil sie eine Wertgemeinschaft und nicht etwa eine Militärgemeinschaft darstellt.
({14})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({15})
Ich betone das aber nicht nur aus idealistischen Gründen; denn wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß die von der Sowjetunion bedrohten Energie- und Rohstoffquellen für Amerika zwar wichtig, großenteils aber ersetzbar, für Europa lebensentscheidend, weil unersetzlich sind.
({16})
Einen Nomadenstamm kann man nicht destabilisieren, aber eine hochindustrialisierte Massengesellschaft unserer modernen Demokratien kann man allein durch Krisen auf dem Gebiete der Energie-und Rohstoffversorgung so destabilisieren, daß unberechenbare politische Entwicklungen und Risiken auftreten können.
({17})
Darum ist es aber unverantwortlich und für die wirkliche Haltung großer Teile der SPD entlarvend, wenn der neue „Vorwärts" vom 15. Januar 1981, wenige Tage vor der Amtsübernahme, schreibt, daß die tiefgreifenden Meinungsunterschiede innerhalb der westlichen Allianz nach Afghanistan die Folge objektiver Interessengegensätze waren, die in Zukunft eher noch zunehmen dürften.
({18})
Das ist doch schon die Ankündigung des Absetzmanövers. - Ebenso unverantwortlich ist es, wenn dort weiter zu lesen ist, Außenminister Haig habe vor dem Senatsausschuß deutlich gemacht, daß die Bemühungen um Entspannung und Rüstungsbegrenzung nicht mehr im Mittelpunkt der amerikanischen Außenpolitik stehen werden, sondern daß an ihrer Stelle die globale Konfrontation mit der Sowjetunion trete. - Das hätte ich lieber in der „Prawda" gelesen als in einem Organ einer deutschen demokratischen Partei.
({19})
Weiter heißt es dort in verfälschender Verkürzung, Haig habe gesagt, es gebe eben „Wichtigeres, als in Frieden zu leben". Auch wenn Haig die europäischen Entspannungspolitiker aus ihren Träumen wachgerüttelt hat, wäre es die Pflicht des Bundeskanzlers, der sich ja in den letzten Tagen immer wieder auf seine Freundschaft und seine Wertschätzung gegenüber Haig berufen hat, richtigzustellen, daß Haig sich nicht gegen den Frieden, sondern gegen den Mißbrauch des Friedens durch eine pazifistische Ideologie in Westeuropa gewandt hat, die den Zusammenhang von Gleichgewicht und Friedenssicherung nicht erkennen will und die in ihrer Auswirkung der Machtpolitik der Sowjetunion in die Hand arbeitet.
({20})
Es heißt dort weiter über Haigs Ausführungen, wenn man die Wahrung des Friedens zur alleinigen raison d'être der Politik mache, würde das Ziel zunichte, welches man sich gesetzt habe, nämlich der Frieden.
Darüber schrieb die „Süddeutsche Zeitung", die eher ein Bewunderer der sozialliberalen Koalition und ihrer Regierung ist - ich zitiere einen Satz wörtlich -:
Haigs Sentenz erregte Aufsehen. Manche erschraken. Sie sehen nicht, daß der kalkulierbare Friede um jeden Preis zur Versuchung für potentielle Aggressoren werden könnte, militärische Gewalt unter minimalem Risiko einzusetzen.
({21})
Schon die Drohung könnte unter Umständen genügen, ein Kriegsziel zu erreichen.
So die „Süddeutsche Zeitung".
Der Bundeskanzler ist aber auch in diesem Zusammenhang auf Tauchstation gegangen, um dem Widerstand jener Kräfte in der SPD auszuweichen, die in Amerika und jetzt auch in Frankreich zu Sorgen über einen deutschen pazifistischen Neutralismus geführt haben. Regierungssprecher Becker, der schon am Anfang seiner Laufbahn das Schicksal der Regierungssprecher zu teilen scheint, hat j a darüber berichtet, daß sich Verteidigungsminister Apel in der Kabinettssitzung über eine zunehmende pazifistische Strömung in der Bundesrepublik - sprich wohl: in der SPD - beklagt habe. Apels Ärger darüber, daß der Regierungssprecher es gesagt hatte - geheim ist anscheinend, was der SPD schadet oder unbequem ist -, konnten die deutschen Fernsehzuschauer selbst miterleben. Während der Verteidigungsminister mit Recht von der Notwendigkeit spricht, daß solchen pazifistischen Strömungen begegnet werden müsse, weil sie einen Mißbrauch des Friedensgedankens darstellen, während er mit Recht davon spricht, daß das Bild der Bundeswehr und damit auch der Notwendigkeit der militärischen Verteidigung besonders bei der Jugend verstärkt werden müsse, erleben wir, wie bei der letzten Debatte über Liberalität in Bayern, daß die SPD uns Vorwürfe macht, weil wir Wehrdienstverweigerer nicht als Erzieher in öffentlichen Jugendheimen und Jugendhilfeheimen zulassen wollen.
({22})
Nichts gegen die ehrenwerten Motive dieser conscientious objectors, aber der Einfluß, der naturgemäß von ihnen auf Zehn-, Zwölf- oder Vierzehnjährige ausgeht, würde genau zum Gegenteil dessen führen, was der SPD-Verteidigungsminister Apel von der deutschen Öffentlichkeit verlangt.
({23})
Ich halte es auch für unerfreulich - das darf ich dem Herrn Bundesverteidigungsminister sagen -, daß er jetzt angeordnet hat, keine öffentlichen Gelöbnisse mehr zu veranstalten.
({24})
Das ist wieder ein Zurückweichen zum einen vor der Auseinandersetzung innerhalb der eigenen Reihen, zum anderen vor der Aktionsgemeinschaft, an der nicht nur demokratische Sorgenträger, sondern höchst undemokratische Hintergrundwühler beteiligt sind.
({25})
So kann es auch nicht überraschen, daß die Diskussion über den NATO-Doppelbeschluß dank Ihrer laschen Haltung, Herr Bundeskanzler, in der
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({26})
SPD wieder voll aufgebrochen ist. Herr Kollege Voigt, Vorsitzender des außenpolitischen Arbeitskreises der SPD, erklärte, die Nichtratifizierung von SALT II schaffe hinsichtlich des SPD-Parteitagsbeschlusses zur NATO-Nachrüstung eine neue Lage, d. h., die SPD werde dann ihren Beschluß überprüfen. Ob die Amerikaner SALT II ratifizieren oder nicht, ist ihre alleinige Angelegenheit und liegt allein in ihrer Entscheidungssphäre. Wir sollten uns hier nicht einmischen.
Voigt hat weiter erklärt, daß die Diskussion über die Nachrüstung von der ganzen Linken auch außerhalb des Parlaments geführt werden müsse. Darüber hat Voigt auch mit dem „Sozialistischen Büro" in Offenbach, einer linkssozialistischen Sammlung, gesprochen. So die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 19. Januar.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Frau Schlei hat die Auffassung vertreten, Voigts Erklärung zu SALT II und dem Doppelbeschluß der NATO sei keine Einzelmeinung bei den Sozialdemokraten.
({27})
- Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 5./6. Januar 1981.
Die innere Zerrissenheit in der SPD und der Zwiespalt in der Koalition in der Sicherheitspolitik lassen sich an den Erklärungen von Außenminister Genscher ablesen, der ja seine Warnungen und Appelle nicht an die Adresse der Opposition, sondern an die Adresse der Regierungsparteien richtet, im Zweifelsfall an die Adresse der SPD.
({28})
Er warnt immer davor, das Bündnis mit Amerika preiszugeben oder zu gefährden und nicht zum Nachrüstungsbeschluß zu stehen, und setzt sich dafür ein, den Verteidigungshaushalt um 3 % real zu erhöhen und damit die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Das sind doch Schlangenbeschwörungen für die Schlangen im eigenen Lager und nicht Appelle an die Öffentlichkeit oder an die Adresse der Opposition.
({29})
Nichts wäre gefährlicher, sagte Herr Genscher, als wenn die Sowjetunion in dieser Phase zu Fehleinschätzungen über die Festigkeit des westlichen Bündnisses gelangte.
Erst am Tage der Amtsübernahme Reagans hat sich der Bundeskanzler angesichts der Diskussion in der SPD aufgerafft, vor einem Infragestellen des NATO-Doppelbeschlusses zu warnen. Er hat damit die innere Zerrissenheit seiner Partei eingestanden. Seine Aufgabe ist es aber, nach seiner Einsicht zu handeln und die ständigen Versuche aus den Reihen der SPD, den NATO-Nachrüstungsbeschluß zu zerreden und aus den Angeln zu heben, endlich zu stoppen.
Gegenüber der Wiener „Arbeiter-Zeitung" sagte der SPD-Abgeordnete Wolfgang Roth, auch kein unbedeutender Zeitgenosse, die neue USA-Regierung unter Ronald Reagan handele nach dem Motto „Kanonen statt Butter". Das sind für mich schreckliche Perspektiven. Ist denn das nicht eine unterträgliche atmosphärische Belastung für die Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Regierung,
({30})
Ronald Reagan oder Herrn Haig mit Hermann Göring - „Kanonen statt Butter" - zu vergleichen?
({31})
Der SPD-offiziöse „Parlamentarisch-Politische Pressedienst" bietet ein neues Beispiel. In der Ausgabe vom 14. Januar heißt es:
Es hilft kein Darum-herum-Reden und auch kein Ausweichen auf die Hoffnung, daß Amerika unter Reagan berechenbarer wird. Die amerikanische Führung droht, sich von der moralisch integeren, jedoch labilen und glücklosen Regierung Carter zu einer eindeutig neokonservativen Richtung zu wandeln, in der im Inneren das Recht des Stärkeren und nach außen Glanz und Stärke der amerikanischen Nation zur Richtschnur werden. Europa steht vor der Entscheidung: entweder in die neuen, nationalistischen und säbelrasselnden Töne von der anderen Seite des Atlantiks einzustimmen ({32})
- so heißt es oder: mit europäischem Selbstbewußtsein die Politik der Entspannung und des weltweiten Dialogs fortzusetzen und dabei sowohl den Dissens mit Washington als auch den Krach im Bündnis zu riskieren.
Dieser Einleitung schließt sich eine heftige Kritik am neuen US-Außenminister an.
Ist das Pflege der Bündnismentalität? Ist das Pflege der Bündnispsychologie? Ist das das wirkliche Verhältnis der SPD oder großer Teile der Basis ihrer Amts- und Mandatsträger zur neuen amerikanischen Regierung? Man muß das leider befürchten.
({33})
Hier, Herr Bundeskanzler, sollte sich Ihr crisis-management bewähren. Hier sollten Sie in Ihrer Partei dafür sorgen, daß die Grundlagen unseres Bündnisses und die Folgerungen aus diesem Bündnis in Ihrer Partei nicht täglich von neuem in Frage, nicht nur zur Diskussion gestellt werden.
({34})
Es ist eine merkwürdige Kombination, wenn z. B. der Bundeswirtschaftsminister sagt: Bei einer Mehrheit der SPD würde das Wort „Soziale Marktwirtschaft" bald eine leere Worthülse werden.
({35})
So wurde damals im Oktober geschrieben. Das ist eine merkwürdige Kennzeichnung des Koalitionspartners. Wenn Herr Lambsdorff sagt: die SPD will die Mitbestimmung auch im Mittelstand, wenn er
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({36})
sagt: die FDP muß auch Schmidt bremsen, und wenn er wörtlich zur „Rheinischen Post" sagt: die Floskel, Schmidt müsse vor den Linken seiner Partei geschützt werden, verdeckt die Probleme; richtig ist: mit der Zustimmung von Helmut Schmidt würden die paritätische Mitbestimmung, die Einheitsversicherung und die Mindestrente eingeführt, die Betriebsrenten zugunsten der Einheitsversicherung kassiert, die Vielfalt der Krankenversicherungen würde verschwinden, die Arbeitszeitordnung würde nach den Vorstellungen der Gewerkschaften geregelt; dies und vieles andere will Schmidt selbst ebenso wie die Linken in der SPD; aber dies alles geht nicht mit uns, - ({37})
So der Bundeswirtschaftsminister über die eigentliche Einstellung seines Bundeskanzlers.
Vor wenigen Tagen konnte man - das sollte sich Herr Matthöfer einmal zu Herzen nehmen - in dem Magazin, in dem auch er gelegentlich zu Worte kommt, im „Manager-Magazin", unter der Überschrift in der letzten Nummer: „Pleite mit linken Utopien", lesen:
Der parteihörige Bremer SPD-Senat schockt die hanseatischen Firmen mit sozialistischen Programmen für Investitionslenkung und Ausbau staatlicher Wirtschaftsaktivitäten. Selbst mittelständische Betriebe sollen künftig nicht vor direkten Regierungseingriffen in die Geschäftspolitik sicher sein. Der unternehmerfeindlichen Parteibasis erscheint schon das Bereithalten bebaubarer Gewerbeflächen als unerträgliche Begünstigung der Privatwirtschaft. Viele Geschäftsinhaber siedeln deshalb in das benachbarte Niedersachsen um.
Herzlichen Glückwunsch an den Kollegen Albrecht; wir profitieren dann gerne davon, wenn uns auch die Gründe dafür nicht wünschenswert erscheinen.
In dem, was ich in meinen leider etwas lang gewordenen Ausführungen zu einzelnen Ursachen, Zuständen und Durchblicken gesagt habe, liegen die Wurzeln des Übels. Hier muß angesetzt werden. Das Wichtigste, Herr Bundeskanzler und Herr Finanzminister, ist, daß die Erkenntnisse, die jetzt zum erstenmal in Ihrer Etatrede durchscheinen, nicht nur bedeuten, verbalen Ballast abzuwerfen, rhetorische Beschwörungsübungen zu veranstalten, sondern diesen Gedankengängen in der Praxis Ihrer Partei Durchbruch zu verschaffen,
({38})
dort dafür zu sorgen, daß diese Erkenntnisse auch in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Es ist keine Falschdarstellung, j a nicht einmal eine Übertreibung, wenn ich sage: ohne die konstruktive, verantwortungsbewußte, ihre Situation und Möglichkeiten nicht ausnutzende Opposition wäre Helmut Schmidt schon binnen kurzer Zeit nicht mehr regierungsfähig, genausowenig wie es Herr Stobbe in Berlin gewesen ist.
Ich möchte auf der Verbindungslinie München-Berlin Ihnen, Herr von Weizsäcker, für die Aufgabe, die Sie sich gestellt haben, danken, für die Aufgabe, diese Verbindung von Filz und Fäulnis zu beenden. Ich danke Ihnen, daß Sie sich zur Verfügung gestellt und mit einer klaren und klar durchschaubaren, einwandfreien und noblen Haltung in Berlin den Anfang dafür gemacht haben, daß wir wieder mit Stolz und nicht mit Betrübnis auf diese Stadt blicken können.
({39})
Das Wort hat der Herr Finanzminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen.
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung des Bundeshaushalts 1981 ist eine gute Gelegenheit zu prüfen, ob die Bundesregierung sich bei der Vorlage des Haushaltes, das heißt, bei ihren in Zahlen ausgedrückten politischen Entscheidungen, an die Maßstäbe gehalten hat, die zwischen Bund und Ländern abgesprochen worden sind. Diese Absprache erfolgt j a im Finanzplanungsrat, der nicht ein von der Bundesregierung beherrschtes Gremium ist, sondern der, berufen für Empfehlungen an Bund, Länder und Gemeinden, auch entsprechend zusammengesetzt ist. Der Bundesminister der Finanzen, der Bundesminister für Wirtschaft, alle Finanzminister der Bundesländer, die kommunalen Spitzenverbände, die Deutsche Bundesbank treten dort zusammen unter Verwertung der Empfehlungen, die voraufgehend der Konjunkturrat der öffentlichen Hände gegeben hat.
Dieser Finanzplanungsrat hat im vergangenen Jahr dreimal getagt: am 21. März, am 4. Juni und am 12. Dezember, und er hat inhaltlich weitgehend übereinstimmende Empfehlungen gegeben, die auch sofort veröffentlicht worden sind. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß das, was zwischen dem Bund und allen Bundesländern - übrigens einvernehmlich - empfohlen worden ist, nicht den Wählern vor den Wahlen bekanntgewesen wäre. Das Bild, das der Finanzplanungsrat über die Entwicklung der Konjunktur, über die Entwicklung der öffentlichen Finanzen schon im Frühjahr 1980 gezeichnet hat und das sofort veröffentlicht worden ist, macht deutlich, daß der Bundesrepublik Deutschland in der Tat schwierige Zeiten bevorstehen, die wir zu meistern haben und die wir auch meistern können.
({1})
Wenn davon die Rede ist, es habe nur unvollständige Wahrheiten durch den Bundesfinanzminister gegeben, so ist diese Feststellung selbst unvollständig; denn alles, was zur Beurteilung notwendig war, ist nicht nur öffentlich mitgeteilt, sondern auch breit unter den verschiedensten Gesichtspunkten diskutiert worden.
Richtig ist, daß eine neue Erschwerung durch die erneute Steuerschätzung hinzugekommen ist, die Anfang Dezember vergangenen Jahres sehr gründlich die bis dahin geltenden Steuerschätzungen vom Mai 1980 nach unten revidiert hat. Auch darin liegt
Minister Dr. Posser ({2})
keinerlei Manipulation; denn zuständig dafür ist ein Arbeitskreis Steuerschätzung, dem Vertreter der verschiedensten Körperschaften angehören; der Bundesfinanzminister, der Bundeswirtschaftsminister sind vertreten, wiederum alle Bundesländer, dann die Vertreter der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände, Vertreter des Statistischen Bundesamtes, Vertreter der Deutschen Bundesbank, Vertreter des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie auch Vertreter der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute - ein Arbeitskreis von rund 30 Teilnehmern. Den kann man gar nicht manipulieren, und den kann schon gar nicht - wie hier und dort vermutet wird - der Bund manipulieren, weder dem Inhalt, noch der Zeit nach, in der die Empfehlungen gegeben und die Prognosen veröffentlicht werden.
In der Tat gibt es hier einen dem Volumen nach ganz erheblichen Rückgang der Steuereinnahmen nicht nur beim Bund, sondern sehr stark auch bei allen Ländern, und zwar - das hat Herr Ministerpräsident Strauß unerwähnt gelassen - im Land Bayern genauso wie in Nordrhein-Westfalen, wie in jedem anderen Bundesland, wie in jeder Gemeinde.
({3})
- Ich habe gesagt: Land Bayern. Obwohl Sie „Freistaat" sagen, ist Bayern ein Land. Ich habe nicht „Bundesland" gesagt. Sie legen j a Wert darauf, daß aus den Protokollen wenigstens der Ausschüsse des Bundesrats das Wort „Bundesland" gestrichen wird; Sie wollen nur „Land" haben.
Aber davon abgesehen, läßt, glaube ich, schon ein erster Überblick über den Haushaltsentwurf 1981, der Ihnen zur Beratung vorliegt und dem Bundesrat vorgelegt werden wird, erkennen, daß sich die Bundesregierung an diese Empfehlungen des Finanzplanungsrats, die monatelang öffentlich diskutiert worden sind, gehalten hat.
Wir haben eine Steigerungsrate von 4,3 %. Der Finanzplanungsrat hatte gesagt, man sollte den Ausgabenzuwachs der öffentlichen Haushalte möglichst nicht über 4 % steigen lassen. 4,3 % sind zwar ein leichtes Überschreiten dieser Empfehlung; nur kann man, Herr Ministerpräsident Strauß, dem Bund doch keine Vorwürfe machen, wenn der Freistaat Bayern seinen Haushalt mit einer Ausgabensteigerung von 4,9 % vorlegt. Derjenige, der sich von der empfohlenen Begrenzung weiter entfernt hat, kann doch nicht demjenigen Vorwürfe machen, der sich näher an die Begrenzung gehalten hat.
({4})
Im übrigen schlägt auch der Vorwurf, daß sich der Bund in den letzten Jahren prozyklisch verhalten habe, gegen die zurück, die dies am meisten behaupten. Während sich nämlich in den Jahren 1977 bis 1980 der Bund jahresdurchschnittlich Mehrausgaben von 7,7 % zubilligte, war die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate des bayrischen Staatshaushalts 10,3 %, also sehr viel höher als die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate des Bundeshaushalts.
All das, was der Finanzplanungsrat in drei Sitzungen einvernehmlich mit allen Bundesländern empfohlen hat, hat der Bund einzuhalten sich bemüht, auch in der Frage der Nettoneuverschuldung. Die Nettokreditaufnahme des Jahres 1981 hält sich im Gleichschritt mit derjenigen des Jahres 1980. Dazu kann man dem Bundesfinanzminister eigentlich nur gratulieren.
({5})
Überhaupt weist der Bundeshaushalt ja die Besonderheit aus, daß der Bund, nachdem zur Überwindung der Rezession 1974/75 ein hoher Anstieg der staatlichen Leistungen auch zugunsten der Wirtschaft erforderlich war, in all den folgenden Jahren, 1976 bis einschließlich 1980, nie mehr die Nettokreditaufnahme erreicht hat, die im Jahre 1975 mit 29,9 Milliarden DM angesetzt war. Das ist eine ganz beachtliche Leistung; denn das Volumen des Bundeshaushalts des Jahres 1975 war ja sehr viel, nämlich um 60 Milliarden DM, geringer als das Volumen des Bundeshaushalts von 1980. Der Bund hat sich in den abgelaufenen Jahren also auch insoweit an die Empfehlung des Finanzplanungsrats gehalten, allmählich seine Nettoneuverschuldung abzubauen. Nach 1975 ist sie nicht gesteigert, sondern gesenkt worden. Damit war die Kreditfinanzierungsquote des Bundeshaushalts auch im Jahr 1980, für das jetzt die Ist-Zahlen vorliegen, deutlich geringer als 1975.
Nun ist sehr bemerkenswert, daß sich auch der Bundesrat jeweils mit dem Bundeshaushalt eingehend beschäftigt. Zwar ist der Bundeshaushalt ein Einspruchsgesetz und kein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Aber der Bundesrat nimmt seine Aufgabe auch bei Einspruchsgesetzen sehr ernst. Da fällt nun folgendes auf. Seit Bildung der sozialliberalen Bundesregierung 1969, als zum ersten Mal die Mehrheit im Deutschen Bundestag und die Mehrheit im Bundesrat nicht mehr zusammenfielen, hat der Bundesrat mit seiner Mehrheit von CDU/CSU-regierten Bundesländern gegen einen vorgelegten Bundeshaushalt nicht in einem einzigen Fall auch nur den Vermittlungsausschuß angerufen, geschweige denn Einspruch eingelegt.
({6})
Seit 1970 ist in jedem Jahr der Bundeshaushalt weder mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses noch mit einem Einspruch bedacht worden, obwohl die Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht gerade zu den Ausnahmefällen im Bundesrat in den vorigen drei Wahlperioden des Bundestages gehört hat.
({7})
Das hat selbstverständlich seinen Grund. Es läßt sich nämlich sehr leicht nachweisen, in welch ungewöhnlich entgegenkommender Weise der Bund seine Bundestreue gerade gegenüber jenen Ländern wahrnimmt, die im Grundgesetz als leistungsschwach bezeichnet werden. Heute nennt man die Bundesländer nicht mehr finanzstark oder finanzschwach, sondern kulanterweise ausgleichsverpflichtet oder ausgleichsberechtigt.
Minister Dr. Posser ({8})
Ich bin damit bei dem wichtigen Stichwort „Ergänzungszuweisungen" des Bundes. Diese Möglichkeit ist 1955 in das Grundgesetz eingefügt worden als eine Ergänzung von Bundesleistungen an, wie es dort heißt, „leistungsschwache Länder" neben dem horizontalen Finanzausgleich zwischen den leistungsstarken und den leistungsschwachen Bundesländern. 12 Jahre lang wurde von dieser Verfassungsmöglichkeit nicht Gebrauch gemacht. Ab 1967 sind solche Bundesergänzungszuweisungen aus dem jeweiligen Bundeshaushalt gezahlt worden.
Ich will nicht alle Jahre erwähnen, sondern eine summarische Übersicht geben, die in erstaunlichem Maße deutlich macht, wie der Bund an die leistungsschwachen Bundesländer gedacht hat. 1971 umfaßten die Bundesergänzungszuweisungen insgesamt 100 Millionen DM; 1980 umfaßten sie mehr als 1 Milliarde 400 Millionen DM. Das heißt, innerhalb von zehn Jahren sind die Bundesergänzungszuweisungen - und zwar, mit Ausnahme von Baden-Württemberg, ausschließlich an alle CDU/CSU-regierten Bundesländer - mehr als vervierzehnfacht worden.
({9})
Innerhalb von zehn Jahren von 100 Millionen auf 1 Milliarde 400 Millionen!
Nehmen wir z. B. den Freistaat Bayern, dessen Ministerpräsident soeben gesprochen und dabei Vorwürfe gegen den Bundeshaushalt erhoben hat. Bayern erhielt als Bundesergänzungszuweisungen 1971 18 Millionen DM, 1980 etwas über 305 Millionen DM, also gegenüber 1971 das Siebzehnfache.
({10})
Außer Öl kenne ich überhaupt keine Position, die sich in zehn Jahren so entwickelt hat. Versiebzehnfacht!
({11})
Rheinland-Pfalz erhielt 1971 22 Millionen DM, 1980 288 Millionen DM; das ist das Dreizehnfache in zehn Jahren. Schleswig-Holstein erhielt 16 Millionen im Jahre 1971 und kommt jetzt auf über 208 Millionen DM; das ist ebenfalls das Dreizehnfache in zehn Jahren. Es sind fünf Länder, die diese Bundesergänzungszuweisungen erhalten - Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein -, kein sozialdemokratisch oder sozialliberal regiertes Bundesland.
({12})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?
Minister Dr. Posser ({0}): Bitte sehr.
Herr Minister, würden Sie dem Hohen Hause auch noch mitteilen, wieviel Milliarden jährlich an Bundesmitteln für die
Kohle- und Stahlindustrie des Landes NordrheinWestfalen zur Verfügung gestellt werden?
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Aber selbstverständlich werde ich dazu Stellung nehmen, Herr Abgeordneter. Ich will nur diesen Gedankengang zu Ende führen.
Bundesergänzungszuweisungen werden nur an Länder gezahlt, die außerdem Länderfinanzausgleich erhalten, mit Ausnahme von Bremen, das seit 1970 Länderfinanzausgleich bekommt und trotzdem keine Bundesergänzungszuweisungen, weil das anders geregelt ist. Der Bund zahlt - ich will den Gedankengang abschließen - 1,5% des gesamten Umsatzsteueraufkommens jährlich an diese fünf Länder aus seinem Bundesanteil.
({2})
- Nein, ich will nur deutlich machen, worauf es wohl zurückzuführen ist,
({3})
daß die Mehrheit des Bundesrates beim Bundeshaushalt nie mit einem Einspruch bzw. einer Anrufung des Vermittlungsausschusses dient. Ich bin ja erst am Anfang, Herr Abgeordneter.
({4})
- Das glaube ich, daß Sie mit meinem Namen gerne Wortspiele treiben.
Jetzt komme ich zu der Beantwortung der Frage. Der Bund zahlt an die Kohle, die in Nordrhein-Westfalen und im Saarland gefördert wird; das ist richtig. Ein Drittel der Kosten für die Kohle trägt das Land Nordrhein-Westfalen; das Saarland trägt auch ein Drittel, das der Bund aber kulanterweise übernimmt. Aber wir zahlen für die nationale Energieversorgung mit dem einzigen heimischen Energieträger
({5})
1,5 Milliarden DM aus dem Landeshaushalt 1980. Derselbe Betrag steht im Haushalt 1981. Wir meinen, das ist eine Belastung, die das Land auf die Dauer nicht allein tragen kann. Die anderen Bundesländer sollten sich daran beteiligen,
({6})
und zwar aus einer ganz einfachen Überlegung, Herr Abgeordneter.
({7})
- Ich komme auf Ihren Zwischenruf „Kohlepfennig" sofort zurück, Herr Abgeordneter. - Die anderen Bundesländer partizipieren nämlich vom Festhalten an der heimischen Steinkohle und vom Vorhandensein der Braunkohle in edelster Form, sie beziehen nämlich den Strom, der daraus gewonnen wird.
({8})
Minister Dr. Posser ({9})
Wer den Nutzen daraus hat, sollte sich auch angemessen an den Lasten beteiligen. Deswegen werden wir intensiv darüber zu reden haben.
Nun hat hier ein Herr Abgeordneter den Zwischenruf gemacht: „Kohlepfennig!" Ich benutze gern die Gelegenheit, vor dem Hohen Haus einmal klarzustellen, was das eigentlich ist. Der Kohlepfennig ist eine Zusatzabgabe auf die Beträge der Stromrechnung, die nicht in die Kassen des Landes Nordrhein-Westfalen fließt, wie einige anzunehmen scheinen, die auch nicht etwa an die Kohleunternehmen geht, sondern dieser sogenannte Kohlepfennig geht ausschließlich an die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, nur an die,
({10})
und zwar dafür, weil durch Bundesgesetz richtigerweise die Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtet worden sind, jede zweite Kilowattstunde elektrische Energie, die in der Bundesrepublik Deutschland gewonnen wird, aus deutscher Steinkohle zu gewinnen.
({11})
Dieser Tatsache verdanken wir es, meine Damen und Herren, daß der Anteil des Öls an der Elektrizitätsgewinnung außerordentlich niedrig ist.
Ich habe mit Interesse gehört, was der Herr bayerische Ministerpräsident über das Thema „Weg vom Öl" gesagt hat. Das ist völlig richtig. Das haben wir bereits gemacht, indem wir durch die Verstromungsgesetze die Kohle gestützt haben.
({12})
Dadurch nämlich, Herr Kollege von Weizsäcker, ist es zu erklären, daß der Anteil des Öls an der Elektrizitätsgewinnung in den letzten Jahren bis auf etwa 5 % abgesunken ist. Also dieses ständig an die Wand gemalte Schreckensbild, bei uns gingen die Lichter aus, ist völlig falsch.
({13})
Es stimmt gar nicht. Eben wegen der Vorsorge, die getroffen worden ist, besteht da überhaupt keine Sorge.
Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Minister Dr. Posser ({0}): Bitte, gern.
Herr Minister Posser, nachdem Sie vorhin und heute schon mehrfach in Form eines Vorhalts dem Bundesrat vorgehalten haben, daß er den Vermittlungsausschuß in den vergangenen Jahren zum Bundesetat nicht angerufen habe: Können Sie mir sagen, ob es irgendeinen Fall in der Geschichte der Bundesrepublik gibt, wo der Bundesrat zum Bundeshaushalt den Vermittlungsausschuß angerufen hat? Wenn das nicht der Fall ist, können Sie sich vorstellen, daß das etwas mit der Achtung des Bundesrates vor der Etathoheit des Bundestages und des Bundes zu tun hat und daß Sie deshalb in dieses Verhalten nicht das hineinlegen können, was Sie hier mehrfach hineinzulegen versucht haben?
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Herr Kollege Vogel, ich habe dem Bundesrat keinen Vorwurf gemacht, sondern ich habe eine Feststellung getroffen; das ist zweierlei. Ich habe die Feststellung getroffen, daß trotz inzwischen unterschiedlicher Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat noch nie der Vermittlungsausschuß eingeschaltet wurde. Das ist für mich ein Indiz dafür, daß es jedenfalls keine so schwerwiegenden Einwendungen gegen den jeweiligen Bundeshaushalt gegeben hat, daß - was ja sonst nicht gerade selten ist - der Vermittlungsausschuß angerufen worden wäre,
({2})
weil nämlich der Bundeshaushalt - das sagte ich ja eingangs -, die in Zahlen ausgedrückte Summe von politischen Entscheidungen der Bundesregierung und der Mehrheit des Deutschen Bundestages, eben nicht angreifbar ist, zumindest nicht in dem Verhältnis Bund-Länder, in dem Verhältnis der Hilfen, die der Bund den Ländern gibt, die es nötig haben.
({3})
Noch eine Zusatzfrage. Minister Dr. Posser ({0}): Bitte.
Herr Minister Posser, würden Sie vielleicht dennoch die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, wann in der Geschichte der Bundesrepublik der Bundesrat zum Bundesetat den Vermittlungsausschuß angerufen hat?
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Kollege Vogel, ich weiß das nicht. Aber selbst wenn das noch nie vorgekommen ist, stelle ich demgegenüber fest, daß auch in früheren Zeiten nicht solche Angriffe aus dem Bundesrat gegen den Bundeshaushalt im Deutschen Bundestag vorgebracht worden sind, wie das in den letzten Jahren eingerissen ist.
({1})
Gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Minister Dr. Posser ({0}): Ja bitte.
Herr Minister Posser, würden Sie vielleicht nach diesem Zwischenfragen-Hin-undHer auch bestätigen können, daß der Inhalt der Entschließung, die die Mehrheit des Bundesrates bei den Haushaltsberatungen dann jeweils durchgesetzt und beschlossen hat, eine klare und glatte Übersetzung von CDU/CSU-Finanzpolitik gewesen ist?
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Ich kann, Herr Abgeordneter Westphal, einige Beispiele
Minister Dr. Posser ({2})
nennen, daß der Bundesrat mit seiner Mehrheit Anrufungsbegehren formuliert hat, die wortgleich waren mit Anträgen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das kann ich in Einzelfällen belegen. Ich kann es aber nicht bestätigen als einen durchgehenden Vorgang. Beispiele kann ich jedoch bestätigen.
({3})
Ein bißchen muß ich mich an die Geschäftsordnung halten. Da heißt es, daß eine Zwischenfrage erlaubt ist.
({0})
- So steht es in der Geschäftsordnung. Wenn man aber davon ausgeht - ({1})
- Das ist eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Rawe. Wenn aber der Herr Staatsminister der Meinung ist, daß es der Aussprache dienlich ist, und seine Bereitschaft erklärt, dann unterstelle ich, daß das Plenum keine Einwendungen erhebt. - Bitte, Herr Abgeordneter Vogel.
Herr Minister Posser, darf ich im Anschluß an die Frage des Kollegen Westphal an Sie die Frage richten, ob es solche Entschließungen des Bundesrates zum Etat gegeben hat, denen das sozialdemokratisch regierte Land Nordrhein-Westfalen zugestimmt hat?
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Abgeordneter Vogel, es wird sicher auch Entschließungen geben, bei denen das Land Nordrhein-Westfalen mit der Mehrheit des Bundesrates gestimmt hat. Ganz ohne jeden Zweifel gibt es solche; das ist das natürliche Spannungsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern. Hier wird ja um Finanzportionen und ihre Aufteilung geredet und diskutiert. Aber in der zentralen Frage, um die es hier geht, nämlich beim Bundeshaushalt, werden Sie das Land Nordrhein-Westfalen nicht unter denen finden, die den Bundeshaushalt attackiert haben.
({1})
Der Bund leistet aber, meine Damen und Herren, nicht nur einen wichtigen Beitrag über die Bundesergänzungszuweisungen, an die CDU/CSU-regierten Bundesländer - außer Baden-Württemberg -, sondern er unterstützt sie auch außergewöhnlich bei den Gemeinschaftsaufgaben. Ich spreche dieses Thema an, weil es natürlich unser Land NordrheinWestfalen wie andere Bundesländer trifft, daß hier eine 20 %ige Kürzung für unerläßlich angesehen wird. Wir werden damit fertig werden müssen. Es wäre natürlich nicht richtig, wenn ich sagte: Wir begrüßen das. Wir haben aber auch im eigenen Lande Haushaltszwänge, denen wir uns beugen müssen. Ich wollte einmal daran erinnern, daß inzwischen bei diesem seit 1970 funktionierenden Instrument der Gemeinschaftsaufgaben auf den drei Gebieten, die Sie kennen, immerhin weit über 27 Milliarden DM Bundesmittel an die Bundesländer gegangen sind und - ohne daß ich mich jetzt in Einzelheiten verlieren will - jedenfalls einige Bundesländer weit überproportional zu ihrer Bevölkerungszahl bedient worden sind und andere weit unterdurchschnittlich. Unter den weit überdurchschnittlich bedienten sind die Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland. Unter den auch nicht annähernd entsprechend der Bevölkerungszahl bedachten sind Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Auch da wird deutlich, daß nach Kriterien gehandelt worden ist, die jeden Verdacht ausräumen müssen, hier würde eine Machtstellung mißbraucht, um den Ländern Schaden zuzufügen oder um den Gesamtstaat in Schwierigkeiten zu bringen.
({2})
Ich will nur ein einziges Beispiel bringen, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" im abgelaufenen Jahr 1980. Anteil Nordrhein-Westfalens: 7,48 % des Gesamtvolumens, Anteil von Rheinland-Pfalz: 7,82 %, Anteil von Bayern: 22,79 %. Das liegt zum Teil daran - das ist nicht die Schuld des Bundes; da muß ich mal an die Solidarität der anderen Länder mit NordrheinWestfalen erinnern -, daß die Mittel nach Kriterien zugewiesen werden, die längst überholt sind. Zum Beispiel stellt - ich sage das im Anschluß an das, was der Herr bayerische Ministerpräsident hier ausgeführt hat ({3})
die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit bis heute überhaupt kein Kriterium bei der Zuweisung der Mittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur dar. 1981 soll aber hier eine Änderung vorgenommen werden. Ich bin überzeugt, daß der Bund mit seinen elf Stimmen diese Änderung im Interesse zeitnäherer Sachabgrenzungskriterien unterstützen wird. Ich hoffe, daß auch eine deutliche Mehrheit der anderen Länder Nordrhein-Westfalen dabei unterstützt; denn es ist eine Dreiviertelmehrheit erforderlich.
Herr Landesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Minister Dr. Posser ({0}): Bitte sehr.
Herr Minister, daß Sie von da vorne reden müssen und deswegen die Bundesratsbank nicht voll im Auge haben können, darf ich Sie fragen, ob Sie bemerkt haben, daß Ihr Vorredner, nachdem er seine ausführliche Erklärung hier abgegeben hat, den Saal verlassen hat und gar keine Möglichkeit mehr gibt, diese Debatte mit ihm wirklich zu führen.
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Herr Abgeordneter Jahn, ich hoffe, daß ich das, was ich hier sage, auch meinem Bundesratskollegen Strauß bei anderer Gelegenheit sagen kann. Ich möchte ihn nicht rügen, weil ich nicht weiß, welches der Grund dafür ist, daß er den Saal verlassen hat. Ich weiß es nicht.
({2})
- Aber ich bitte Sie, Herr Abgeordneter Rawe, es gibt Gründe, den Saal zu verlassen. Ich weiß nicht, was das Motiv für meinen Herrn Vorredner ist oder für andere, die sonst hier sind, daß sie jetzt nicht anwesend sind.
({3})
Aber es gibt auch da eine alte Lebenserfahrung: In kritischen Situationen ist körperliche Abwesenheit besser als Geistesgegenwart.
({4})
Ich komme jetzt zu der Behauptung, daß die Energieversorgung furchtbar mangelhaft sei und daß hier eines der größten Versäumnisse der Bundesregierung vorliege. Das kann ich nicht bestätigen.
({5})
- Nein, das kann ich nicht bestätigen. Die Standorte für Kraftwerke - und ich bitte darauf zu achten, daß wir „Kraftwerke" sagen und nicht nur „Kernkraftwerke" - werden durch die Landesregierung festgelegt, mindestens unter starker Einschaltung von Landesregierung und Landesparlament, in sogenannten Entwicklungsplänen. Ich kann Ihnen nur sagen: es gibt kein Bundesland, das für die Energieversorgung des Gesamtstaates mehr getan hat als Nordrhein-Westfalen.
({6})
Wir haben seit der Zeit, als wir die politische Verantwortung übernommen haben, 28 Kraftwerke gebaut, seit Ende 1966.
({7})
- Nur langsam! Erst mal rede ich von NordrheinWestfalen, und dann rede ich von Bayern.
({8})
Also: wir haben 28 Kraftwerke gebaut, auf Braunkohle- und Steinkohlebasis. Wir haben übrigens auch ein Kernkraftwerk gebaut, in Würgassen. Wir brauchen den Strom, der da erzeugt wird, nicht; der geht nach Niedersachsen und nach Hessen. Aber ich möchte mal die Legende beenden, es gebe einen riesigen Stau von Anträgen auf Bau von Kernkraftwerken. Im Land Nordrhein-Westfalen gab es vor vielen Jahren einen Antrag des RWE, in Warnum ein Kernkraftwerk zu errichten. Der ist später nicht weiter verfolgt worden - nicht weil wir ihn nicht genehmigt hätten, sondern weil man einen anderen Standort vorgezogen hat. Seit 1975 liegt ein einziger Antrag in Nordrhein-Westfalen - es ist nicht gerade das kleinste Land - auf Errichtung eines Kernkraftwerkes vor. Dieser wird zügig bearbeitet, und zwar deshalb, weil inzwischen eine neue Baulinie auch bei Leichtwasserreaktoren entwickelt worden ist von der Kraftwerksunion in Mülheim/Ruhr, die sogenannte Baulinie 1980, die den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik beinhaltet. Die machen wir zur Grundlage unseres Prüfungsverfahrens, an dem zügig gearbeitet wird.
Nun gebe ich der Fairneß halber die Ergänzung; nach dieser Baulinie 80 der KWU wird zur Zeit auch in Niedersachsen der Antrag auf Bau eines Leichtwasserreaktors in Lingen geprüft. Da sind wir also völlig auf einer Linie. Sie waren früher in Niedersachsen, Herr Abgeordneter Kiep. Sie haben in Niedersachsen mit Recht die gleiche Linie. Das ist doch gar kein Vorwurf. Sie tun das, was wir in NordrheinWestfalen tun. Wir entscheiden und prüfen nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik, und zwar nach den Kriterien, die das führende Bauunternehmen KWU entwickelt hat.
({9})
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Herr Minister Posser, sollte es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß die Planung und das Genehmigungsverfahren für das Kernkraftwerk Lingen deshalb in Gang gekommen ist, weil die nordrhein-westfälische Landesregierung sich außerstande gesehen hat, das bereits abgeschlossene Prüfungsverfahren für einen Kraftwerk-bau in Hamm in die Tat umzusetzen? Sollte es Ihnen weiter entgangen sein, daß deshalb das im Prüfungsverfahren befindliche Kernkraftwerk Lingen inzwischen den besonderen Titel „Exilkraftwerk für Nordrhein-Westfalen" in Niedersachsen bekommen hat?
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Herr Abgeordneter Kiep, das ist zwar eine hübsche Formulierung, aber sie ist falsch.
({2})
({3})
Denn es geht bei dem einzigen Antrag, der jetzt in Nordrhein-Westfalen geprüft wird, um just den Leichtwasserreaktor, den die VEW in Hamm errichten will. Und da wir Ihnen schon aus Würgassen Strom geliefert haben - von einem Kernkraftwerk, das wir gar nicht brauchen für unsere Elektrizitätsversorgung -, sind wir auch gern bereit, Ihnen weiter Strom zu liefern, wenn es nötig sein sollte. Aber wenn Sie auch einen errichten, begrüßen wir das. Das ist doch Ihre Entscheidung. Wir hoffen nur, daß Sie genau wie wir - ich entnehme einer Äußerung von Herrn Schnipkoweit, daß das in Niedersachsen der Fall ist; deshalb habe ich das rühmend hervorgehoben - die Baulinie 80 der KWU als das Neueste, was die Technik unter Sicherheitsvorschriften anzubieten hat, Ihrem Prüfungsverfahren zugrunde le628
Minister Dr. Posser ({4})
gen. Sie machen genau das, was wir tun. Wir prüfen nicht mehr nach Sicherheitsvorschriften von 1975 oder von 1972, sondern von 1980; die sind nämlich auf dem Markt.
({5})
Herr Minister, erlauben Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Indem ich meiner besonderen Freude über den Elan Ihrer Antwort Ausdruck gebe, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß zwischen dieser Entscheidung, auf die Sie jetzt Bezug nehmen, und der Stillegung der Durchführung des Projekts von Hamm - nach meiner Erinnerung - etwa acht oder neun Jahre vergangen sind?
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Abgeordneter Kiep, es gibt ein besonderes Problem, was den Raum Hamm angeht, und zwar aus folgendem Grunde, und das sage ich jetzt mit großer Freude. Nordrhein-Westfalen ist nämlich das einzige Bundesland - wenn Sie so wollen, das einzige Land auf der ganzen Welt -, in dem zwei neue Reaktorlinien in Prototypen ausprobiert werden, nämlich der Schnelle Brüter in Kalkar und der Hochtemperaturreaktor in Hamm.
({1})
- Nein, die sind nicht verzögert. Da erteilt die Landesregierung laufend die notwendigen Teilerrichtungsgenehmigungen.
({2})
Der Deutsche Bundestag hat eine Enquete-Kommission eingesetzt, deren Ergebnis wir abgewartet haben. Wenn ich nicht ganz falsch unterrichtet bin, waren alle Sachverständigen sowie die SPD- und die FDP-Vertreter einer Meinung; aber die CDU-Vertreter glaubten sich der Meinung der Sachverständigen nicht anschließen zu können.
({3})
Nordrhein-Westfalen ist also das einzige Bundesland, in dem zwei neue Reaktorlinien als Prototypen entwickelt .worden sind, außer dem Würgassen-Projekt, außer dem Jülicher Forschungsprojekt. Und nun kommt das Entscheidende. Nennen Sie mir mal ein Bundesland, wo ein Prototyp für einen Schnellen Brüter gebaut wird. Nennen Sie mir ein Bundesland, wo ein Prototyp für einen Hochtemperaturreaktor gebaut wird, der j a gerade die technische Neuheit darstellt, nämlich die Kopplung von Kernenergie und Kohle: Prozeßwärme, ein technisch ganz interessantes Gebiet. Wir geben die Möglichkeit dazu. Wir sind das Bundesland gewesen, das als erstes ein Zwischenlager in Ahaus angeboten hat. Der Herr bayerische Ministerpräsident hat gesagt, er mache das mit Kompaktlager und Naßlager. Ich will das nicht angreifen. Wir haben aber das gemacht, was die Wissenschaft empfohlen hat, nämlich Zwischenlager;
({4})
das hat Niedersachsen nachher auch gemacht. Wir haben eine Urananreicherungsanlage in Gronau. Also, wenn hier Vorwürfe erhoben werden, dann kann ich doch nur fragen, verehrter Herr Ministerpräsident: Wer hindert denn Bayern daran, Kernkraftwerke einzurichten?
Herr Landesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen - damit das Märchen von Lingen nicht stehenbleibt -, daß Unionspolitiker im Lingener Raum dieses forciert damit begründen: damit wir nicht die Abhängigkeit vom Land Nordrhein-Westfalen behalten.
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Ich weiß nicht, was CDU-Politiker in Lingen sagen. So weit geht mein Beobachtungshorizont leider nicht. Ich nehme das aus Ihrer Frage entgegen. Ich würde nur nicht von Abhängigkeiten sprechen. Was wir geben, geben wir gern,
({2})
auch an Energie. Es wird nicht nur in der Bibel gesagt, sondern ist auch eine Lebenserfahrung: Geben ist seliger als nehmen.
({3})
Ich möchte Ihnen auch sagen, wodurch die ganze technische Abwicklung des Genehmigungsverfahrens ins Stocken gekommen ist. Die Bundesregierung hatte zwar ein integriertes Wiederaufbereitungs- und Entsorgungsverfahren vorgeschlagen; aber dann hat sich die niedersächsische Landesregierung - das ist kein Vorwurf, ich stelle nur Tatsachen fest, ich greife hier gar keinen an, aber das Vertrautwerden mit Tatsachen ist manchmal hilfreich, die Wahrheit zu erkennen - aus Gründen, die ich gar nicht bewerte, nicht in der Lage gesehen, dieses integrierte Wiederaufbereitungs- und Entsorgungskonzept zu akzeptieren. Das ist doch der Ablauf gewesen.
Herr Landesminister, der Herr Abgeordnete Kiep wünscht noch eine Frage zu stellen.
Minister Dr. Posser ({0}): Ich freue mich über die Fülle der Fragen.
({1})
Nachdem Sie, Herr Minister, diese Frage herausgefordert haben, möchte ich Sie stellen. Ist Ihnen bekannt, daß in der Diskussion um die Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben mit einer Kapazität von 1 400 t das Hearing und die Ermittlungen der Landesregierung von Niedersachsen zu dem Ergebnis geführt haben, daß eine solche Anlage technisch machbar und sicherheitsmäßig verantwortbar ist, daß sie aber angeKiep
sichts des entschlossenen Widerstandes der Sozialdemokratischen Partei in Niedersachsen politisch nicht durchsetzbar ist?
({0})
Minister Dr. Posser ({1}): Herr Abgeordneter Kiep, zunächst danke ich Ihnen dafür, daß Sie das, was ich festgestellt habe, bestätigen: daß nämlich dieses integrierte Konzept von der Landesregierung in Niedersachsen - was ich nicht abschätzig bewertet habe - jedenfalls nicht für durchführbar gehalten worden ist. Sie sagen, es sei wegen des Widerstands der Sozialdemokraten in Niedersachsen politisch nicht durchsetzbar gewesen: Selbstverständlich gibt es auch in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands große unterschiedliche Auffassungen zur Kernenergie; das wird auch gar nicht geleugnet. Es wäre j a auch grotesk, wenn z. B. die Frage, was mit dem Plutonium, das eine Halbwertszeit von 20 000 Jahren hat, geschieht, die Menschen nicht beunruhigen, aufwühlen würde.
({2})
Ich habe mich immer gefragt: Wie kann es nur möglich sein, daß alle in der CDU/CSU nach außen hin offenbar überhaupt keine Zweifel haben? Das habe ich mich wirklich gefragt.
({3})
Das treibt die Menschen um, und zwar nicht nur die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten, sondern auch - man konnte es am Fernsehen j a verfolgen - die Bauern in der unmittelbaren Nachbarschaft, die wahrscheinlich nicht zur Wählerklientel der Sozialdemokraten in Niedersachsen gehören. Das ist also für viele Menschen ein Problem. Vor einer solchen Entscheidung hat die Menschheit noch nicht gestanden. Wir weichen ihr nicht aus - ich habe gerade Beispiele genannt -, aber man muß doch Verständnis dafür haben, daß das aufs sorgfältigste geprüft wird, damit die Frage der Betriebssicherheit und der Entsorgung nach menschlichem Wissen und Gewissen wirklich mit Ja beantwortet werden kann. Darum allein geht es doch!
({4})
Ich wiederhole: Wir haben uns diese Prüfungen nicht leicht gemacht. Wir haben Leichtwasserreaktoren - der „riesige Stau" besteht bei uns darin, daß wir die neuen Baulinien ernsthaft prüfen -, wir haben Zwischenlager, wir haben eine Urananreicherungsanlage, wir haben die beiden Prototypen. Ob der Schnelle Brüter gebaut wird, wird j a der Bundestag entscheiden. Da halten wir uns selbstverständlich an die abgesprochenen Regeln.
Nun hat der Herr bayrische Ministerpräsident noch gesagt, daß Frankreich da ein großes Vorbild sei.
({5})
- Es hat der Herr Bundeskanzler in einem anderen,
der Herr bayrische Ministerpräsident in diesem Zusammenhang gesagt, Frankreich sei ein großes Vorbild bei der Politik: Weg vom Öl! Ja, das ist auch sehr verständlich, und zwar deshalb, weil der Anteil des Öls in den Kraftwerken Frankreichs unvergleichlich höher ist als in der Bundesrepublik Deutschland - dank unserer Verstromungsgesetze; das ist der Grund.
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Nach der Planung der französischen Regierung wird der Anteil an schwerem Heizöl in den Kraftwerken in Frankreich 1985 - das ist eine Zielprojektion -6 % erreichen. Das ist ein Wert, den wir bereits unterschritten haben.
({7})
Bei einem Vergleich der Bundesländer untereinander ergibt sich: Der Anteil von schwerem Heizöl ist - mit weitem Abstand - am höchsten in Bayern.
({8})
Noch einmal: In den in Bayern gelegenen Kraftwerken ist der Anteil von schwerem Heizöl mit weitem Abstand am größten.
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- Ja, ich sage j a gar nichts dagegen. - Deshalb habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn die bayrische Staatsregierung prüft, ob sie nach diesen neuen Reaktorlinien, Baulinien ein Kernkraftwerk, zwei, drei oder vier Kernkraftwerke bauen soll. Wer hindert sie denn daran? Hat die Bundesregierung ein Veto eingelegt? Das ist mir nicht bekannt. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat auch kein Veto eingelegt.
({10})
Selbst wenn sie es könnte, täte sie es nicht - aus Klugheit.
({11})
Nun hat der Herr bayrische Ministerpräsident auch noch ein paar andere Fragen angesprochen. Insbesondere hat er erklärt, daß die Wirtschaft nicht recht in Schuß sei, daß der Staat zu wenig getan habe und daß man sich - scheinbar oder anscheinend - mehr um die Vollbeschäftigung in Ostasien als bei uns kümmere. Er hat die Foto-, die Unterhaltungs- und die Spielwarenindustrie erwähnt. Er hat von den japanischen Importen geredet. Das soll alles die Schuld dieser Bundesregierung sein. Ich weiß gar nicht, weshalb sich die EG so intensiv mit der Frage der japanischen Exporte und - von uns aus gesehen - Importe in Länder der Europäischen Gemeinschaft beschäftigt. Die Europäische Gemeinschaft tut das deshalb, weil sie festgestellt hat, daß die japanische Exportoffensive alle europäischen Länder - selbstverständlich auch die Bundesrepublik Deutschland - trifft. Man kann doch nicht so tun, als wäre das ein Problem, das diese Bundesregierung allein oder vornehmlich lösen könnte.
({12})
Minister Dr. Posser ({13})
Nicht einmal die EG kann es. Sie verhandelt mit einer EG-Delegation mit den Japanern darüber. Das ist doch ein Problem, unter dem alle europäischen Industriestaaten leiden. Sogar die USA leiden darunter. Nun füge ich in Klammern hinzu: Sie müßten einmal nachlesen, was vor einigen Jahren im amerikanischen Kongreß über die Offensive der deutschen Automobilindustrie in den USA gesagt worden ist.
({14})
Da waren dieselben Töne wie hier zu hören, nämlich daß Arbeitsplätze verlorengehen und daß gefälligst nicht die deutschen Automobilwerke, sondern die Hersteller amerikanischer Autos erhalten bleiben sollen.
Nun fällt mir nur eines auf. Wenn hier die Foto-und die Spielwarenindustrie und viele andere wichtige Industriezweige genannt werden, wird gefragt: Was tut der Staat? Ich weiß gar nicht, was denn der Staat eigentlich in einer marktwirtschaftlichen Ordnung über das hinaus tun kann, was wir getan haben. Das möchte ich einmal wissen.
({15})
Denn entgegen einer weitverbreiteten Meinung haben wir eine Fülle z. B. zur steuerlichen Entlastung der Wirtschaft getan. Das wird weitgehend vergessen. Herr Ministerpräsident Strauß, wir haben auch im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern etwas getan; eine dieser Steuern ist sogar ganz abgeschafft worden, zu unserem Leidwesen, wie ich zugebe. Aber auch das ist vergessen worden.
Man muß sich doch daran erinnern, was alles allein zwischen 1975 und dem 1. Januar dieses Jahres geschehen ist. Gerade die gewerbliche Wirtschaft ist um 40 Milliarden DM entlastet worden. Ich nenne aus Zeitgründen nur die Stichworte: Abschreibungserleichterungen, Verlustrücktrag, das sogenannte Carry back, wiederholte Gewerbesteuerentlastung, Vermögensteuersenkung, Investitionszulage, Abschaffung der Lohnsummensteuer, gewaltige Anhebung der Freibeträge. Man muß sich doch einmal vor Augen führen, was gerade für die gewerbliche Wirtschaft und gerade, worauf es Ihnen richtigerweise ja auch ankommt, für die mittelständischen und kleinen gewerbetreibenden Betriebe geschehen ist. Beispielsweise ist der Freibetrag für die Gewerbeertragsteuer seit 1974 viermal erhöht worden, nämlich von 7 200 DM auf 36 000 DM. Das ist keine Freigrenze, sondern ein Freibetrag. Zur Entlastung war die Gewerbekapitalsteuer - noch eine ertragsunabhängige Steuer - bis Dezember 1977 mit einer Freigrenze in Höhe von 6 000 DM ausgestattet. Ab 1. Januar dieses Jahres ist sie um das zwanzigfache auf 120 000 DM erhöht worden. Die Freigrenze ist in einen Freibetrag umgewandelt worden. Außerdem sind die sogenannten Fremdschulden in Höhe von 50 000 DM aus der Anrechnung des Kapitals herausgenommen worden. Man kann also sagen: Es ist kaum ein Zweig der Wirtschaft oder der Steuerzahler so kulant vom Gesamtstaat bedient worden wie gerade dieser Teil der Wirtschaft, obwohl das manche nicht gern hören. ({16})
Herr Landesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Minister Dr. Posser ({0}): Ich weiß gar nicht, wem ich mich zuerst zuwenden soll.
Gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ({0})?
Minister Dr. Posser ({1}): Bitte.
Herr Landesminister, nachdem Sie bei einer so entscheidenden Frage wie der Energie die Verantwortlichkeit der Bundesländer herausgestellt haben und jetzt zur Frage des Außenhandeldefizits, etwa beim Negativsaldo bei den Verbrauchsgütern, die Verantwortlichkeit der EG herausstellen: können Sie mir sagen, warum dann eigentlich noch im Grundgesetz steht, daß das Recht der Wirtschaft eine Kompetenzfrage des Bundes ist?
Minister Dr. Posser ({0}): Das kann ich Ihnen ganz einfach sagen: Das ist die Zuständigkeit für Gesetze, die in erster Linie für die Wirtschaft gelten. Das sind die sogenannten Rahmenbedingungen. Diese können nur bundeseinheitlich geregelt werden. Es wäre j a noch schöner, wenn in dem von mir so geliebten Bayern und in Nordrhein-Westfalen diesbezüglich andere Regeln gelten würden.
({1})
Das kann nur bundeseinheitlich sein. Aber Sie können doch die Politiker oder gar die Beamten nicht an die Stelle der Unternehmer setzen! Wo kämen wir denn da hin?
({2})
Wenn Sie so beklagen, daß Arbeitsplätze in Ostasien gefördert worden sind: Die Bundesregierung hat sie doch nicht geschaffen, sondern das haben die Unternehmer aus eigener Entscheidung getan. Ich rüge das gar nicht, ich stelle das nur fest. Es ist nicht von der Bundesregierung initiiert worden, daß einige zehntausend Arbeitsplätze in Hongkong oder sonstwo in der Welt geschaffen wurden.
({3})
Das sind unternehmerische Entscheidungen, die die Unternehmer auch zu vertreten haben. Wohin kämen wir auch sonst in der marktwirtschaftlichen Ordnung? Da gibt es nun einmal Erfolg und Mißerfolg. Wir helfen ja, wo immer es geht, die Marktbedingungen zu erleichtern, und zwar in jeder Hinsicht, sowohl auf der Einnahmenseite der Betriebe und ihrer Inhaber, nämlich durch Einkommensteuersenkungen gewaltigen Umfangs, als auch auf der Ausgabenseite, indem wir Investitionszulagen und dergleichen gewähren.
Ich will an dieser Stelle daran erinnern, daß die Bundesrepublik Deutschland die niedrigsten
Minister Dr. Posser ({4})
Höchstsätze bei der Lohn- und Einkommensteuer hat, die es innerhalb der EWG gibt. Es ist groß gefeiert worden, als die britische Premierministerin Thatcher vor zwei Jahren einen gewaltigen Sprung veranlaßte und, wie ich finde, in dem Punkt richtig handelte, indem sie den Einkommensteuerhöchstsatz von 83 % auf 60 % senkte. Das hat hier viel Beifall in politisch verbundenen Kreisen gefunden. Nur: Wir brauchen das gar nicht. Wir waren j a schon niedriger, als die Briten heute mit ihrem Höchstsatz sind.
Herr Landesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Minister Dr. Posser ({0}): Bitte sehr.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß die Steuern nur ein Teil der Nebenkosten sind und der Ministerpräsident von Bayern von der Summe aller Nebenkosten gesprochen hat? Im Vergleich aller Nebenkosten haben wir eine einsame Spitzenstellung.
Minister Dr. Posser ({0}): Ich gebe Ihnen zu, daß man die gesamten Kosten nehmen muß - Lohn, Lohnnebenkosten, Steuern usw. -; das ist richtig. Nur hat es deshalb ein verzerrtes Bild gegeben und waren wir deshalb so relativ hoch in der Statistik, weil wir natürlich unter diesen Gesichtspunkten eine besonders ungünstige Relation mit den Währungen hatten. Es wurde j a auf der Basis des US-Dollar gerechnet. Da schnitten andere günstiger ab als wir, die wir im Verhältnis zum Dollar lange Zeit besonders günstig dastanden.
Aber es gibt Untersuchungen darüber, daß gerade in den letzten Jahren der Anstieg der Lohn- und Lohnnebenkosten in der Bundesrepublik Deutschland geringer war als im Durchschnitt der europäischen Industriestaaten.
({1})
- Die gibt es.
Ich möchte daran erinnern, daß unser Steuerhöchstsatz von 56 % nicht geändert werden soll. Im Augenblick ist davon überhaupt keine Rede. Ich will nur daran erinnern, daß er nicht immer so niedrig war. In der Zeit, auf die Sie sich so gern berufen, als alle zugepackt haben, betrug er 95%, und bis 1954 betrug er immerhin noch 80 %. Bis 1957 waren es 64,35 %. Wir haben also, wie mir der Vergleich mit anderen Industriestaaten zu zeigen scheint, inzwischen einen sehr vernünftigen Steuertarif entwikkelt.
Herr Landesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stockleben?
Minister Dr. Posser ({0}): Bitte sehr.
Herr Minister, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß hier in der Debatte zwar von Löhnen, Lohnnebenkosten und Steuern gesprochen wird, daß aber verschwiegen wird, daß die Produktivität in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1972 gegenüber vergleichbaren Industrienationen wesentlich stärker gestiegen ist? Das wird hier in der Debatte nicht erwähnt. Die Produktivität spielt mindestens dieselbe, wenn nicht eine viel stärkere Rolle als die Lohn- und die Lohnnebenkosten.
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Auffassung, daß man natürlich auch die Produktivitätsentwicklung, die bei uns in den 70er Jahren besonders stark gewesen ist, berücksichtigen muß, um ein zutreffendes Gesamtbild der Entwicklung zu gewinnen.
Abschließend möchte ich mich einem Gedanken zuwenden, der in dem Diskussionsbeitrag meines verehrten Bundesratskollegen eine große Rolle gespielt hat. Er hat gesagt: Wir - er meinte j a nicht nur die Bayerische Staatsregierung, sondern, wie ich annehme, die CDU/CSU insgesamt - haben rechtzeitig gewarnt, aber Sie - das war offenbar auf die Mehrheit hier im Hause gerichtet - haben „fröhlich drauflosgewirtschaftet". Der Abgeordnete Roth hat in diesem Hause in der Sitzung am 17. April 1980 schon einmal unwidersprochen erklärt - ich habe das ganze Protokoll daraufhin überprüft -, daß allein in den letzten zweieinhalb Jahren Anträge von der CDU/CSU-Fraktion gestellt worden seien, die 90 Milliarden DM zusätzliche Steuersenkungen und 35 Milliarden DM zusätzliche Ausgaben erfordert hätten. Dies hätte das Defizit des Gesamtstaates noch erheblich erhöht.
({1})
Der Herr bayerische Ministerpräsident hat gesagt, der Bundesrat habe bei ausgabewirksamen Gesetzen eine wohlüberlegte Stellung eingenommen. Das ist richtig; da ist die Zustimmung verweigert worden, Herr Kollege Strauß. Nur, dies eignet sich eigentlich nicht für einen Angriff gegen die Mehrheit dieses Hauses, denn die meisten ausgabewirksamen Gesetze sind hier einstimmig verabschiedet worden.
({2})
Ihre Rüge, daß da nicht genügend Maß gehalten worden sei, müßte also alle treffen. Ich spreche diese Rüge allerdings nicht aus.
({3})
Zum Beispiel hat die CDU/CSU beim Verkehrslärmschutzgesetz und anderen ausgabenwirksamen Gesetzen dafür gestimmt.
Man kann es sich nicht so einfach machen und sagen: wir waren die Schlauen; wir haben uns nie geirrt. Sie sagen immer: Ich habe das damals schon gesagt. Es wäre reizvoll, einmal nachzuspüren, wie oft
Minister Dr. Posser ({4})
auch Sie sich, Herr Ministerpräsident, geirrt haben. Irren ist menschlich. Ich irre mich genauso.
({5})
Ich möchte hier alle einschließen.
Sie haben recht, die Wirtschaftsforschungsinstitute und andere irren sich wie wir. Steuerschätzungen vom Mai sind etwas völlig anderes als Steuerschätzungen vom Dezember desselben Jahres. Das haben wir alles erlebt. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Nur dürfen Sie in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken: Wir haben alles richtig kommen sehen; wir waren maßvoll mit den Ansprüchen; wir waren zurückhaltend mit unseren Versprechungen. Gerade dies waren Sie nicht.
({6})
Folgendes Papier habe ich vor der Bundestagswahl in meinem privaten Briefkasten gefunden. Es ist noch gar nicht so lange her.
({7}) - Ich nehme ernst, was Sie ankündigen.
({8})
Darin haben Sie dreierlei angekündigt. Zum ersten eine kleine Vorbemerkung: Nach mehr als 30 Jahren Bestehens der Bundesrepublik Deutschland glaubte die Bundesregierung mit dem Bundestag, man könne für berufstätige Frauen, die Mütter werden, eine Möglichkeit eröffnen, wesentlich länger als bis dahin möglich - sechs Wochen -, nämlich nunmehr insgesamt ein halbes Jahr, bei ihrem neugeborenen Kind zu bleiben. Dies konnten sie nicht, weil sie darauf angewiesen waren, durch ihre Arbeit das Geld zu beschaffen, das sie für den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind benötigen.
({9})
Dies war ein großer sozialpolitischer Fortschritt.
Kaum war das geschehen, haben Sie gerufen, das sei
eine Diskriminierung der nicht berufstätigen Frau.
({10})
Sie haben ein Mutterschaftsgeld versprochen. Dies geschah nicht nur von einem einzelnen Abgeordneten, sondern es stand auch in Programmen. Die habe ich nicht alle mitgebracht. Wenn ich alle Programme mitgebracht hätte, in denen Sie etwas versprochen haben, müßte ich mit mehreren Koffern anreisen.
({11})
Da steht unter der Überschrift „Mutterschaftsgeld": Alle Frauen erhalten bei der Geburt eines Kindes für die Dauer von sechs Monaten ein Mutterschaftsgeld in Höhe von 500 DM monatlich. Ich will nicht mißverstanden werden. Wenn wir das finanziell verkraften könnten, wäre ich dafür und würde es begrüßen. Es geht aber nicht. Das sage ich als Finanzminister. Da werden wir einer Meinung sein. Nur, es ist gesagt worden.
Dann heißt es weiter: Anschließend an die monatlichen 500 DM für alle Mütter, ob berufstätig oder nicht - bei der berufstätigen Mutter hat dieses Geld nur Lohnersatzfunktion -, gibt es ein Erziehungsgeld von monatlich 400 DM für alle Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr.
Wenn dies alles finanziell verkraftbar wäre, könnte man das ernsthaft diskutieren. Es wäre sicherlich gut, wenn die Kinder nach ihrer Geburt über einen längeren Zeitraum mit ihrer Mutter oder auch ihrem Vater - es gibt inzwischen unterschiedliche Rollen in den Familien - zusammen sein könnten. Das wäre sehr schön. Aber das würde Milliarden kosten, die wir uns nicht leisten können. Deshalb haben wir sie auch nicht versprochen - zum Unterschied von Ihnen!
({12})
Es geht noch weiter; nach Mutterschaftsgeld, Erziehungsgeld, kommt mehr Rente. Da heißt es: „Die Altersversorgung der Mütter wird dadurch verbessert, daß je Kind fünf Jahre bei der Berechnung der Rente so gewertet werden, als seien sie Arbeitsjahre gewesen." Als 1972 hier der Versuch gemacht wurde, ein sogenanntes Babyjahr durchzusetzen, ein Jahr Anrechnung bei der Rente für jedes geborene Kind, da scheiterte das. Nun sollen so ganz nebenbei für jedes Kind fünf Jahre angerechnet werden. Meine Frau und ich haben vier Kinder. Meine Frau würde 20 Rentenjahre haben. Ich wäre doch nicht dagegen, wenn das ginge.
({13})
Meine Frau war ja berufstätig.
({14})
- Das steht ja hier!
({15})
- Da steht es wohl!
({16})
- Sicher, für die Zukunft.
({17})
Das haben Sie aber vor der Wahl für die Zukunft versprochen, Herr Abgeordneter Windelen. Wir haben gerade in dem Beitrag meines verehrten Vorredners gehört, wir - ich fühle mich da mit eingeschlossen; das bekenne ich gern - hätten „drauflosgewirtschaftet", wir hätten alles versprochen. Sie hätten rechtzeitig gewarnt. Nun beweise ich Ihnen mit Hilfe Ihrer eigenen Flugblätter das Gegenteil und sage: So kann es doch nicht sein! Wenn wir nun sagen, wir müssen einiges tun für die Staatsfinanzen, wenn der Finanzplanungsrat mit den Stimmen aller Länder, wenn der Bund, die kommunalen Spitzenverbände und die Bundesbank gesagt haben, daß die Ausgaben gedrosselt werden müssen, daß die staatliche Haushaltskonsolidierung einen besonderen Stellenwert erhalten hat, dann können wir doch
Minister Dr. Posser ({18})
nicht so tun, als blieben wir in den Gräben und sagen: Die haben alles gewußt und richtig gemacht, und die anderen haben alles falsch gemacht, wenn man dokumentarisch beweisen kann, daß es doch nicht so ist, wie hier behauptet wird.
Damit will ich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, es ist unbestreitbar, daß es schwierig ist, die Haushalte im Bund, in allen Ländern, in den Gemeinden auszugleichen. Das bestreiten wir nicht, das ist seit März 1980, seit der ersten Sitzung des Finanzplanungsrates in der öffentlichen Diskussion. Wir kennen diese Schwierigkeiten. Wir wissen, daß wir stärker als früher - vielleicht sagen wir sogar: anders als früher - das Notwendige von dem Wichtigen, auch dem sehr Wichtigen und dem Wünschenswerten trennen müssen. Manches wird nicht möglich sein, was zu tun durchaus vernünftig wäre. Aber es wird vorübergehend nicht möglich sein.
Nur hilft da Polemik gar nichts.
({19})
In dem Wort Polemik steckt das Wort polemos, Krieg. Das hilft uns gar nichts, sondern ein Überdenken der Positionen und eine gemeinsame Anstrengung. Ich meine, man sollte dabei sorgfältig unterscheiden zwischen Angst und Sorge. Ich gehöre jedenfalls zu den - vielleicht von einigen als altmodisch empfundenen - Menschen, die zwischen Angst und Sorge unterscheiden. Es wäre fatal, wenn wir die Bevölkerung in Angst versetzten. Angst ist irrational und vernunftgemäßen Überlegungen überhaupt nicht mehr zugänglich; sie kann durch keine noch so vernünftigen Argumente überwunden werden. Angst lähmt und vergällt die Lebensfreude. Sorge ist etwas anderes. Sorge ist rational vermittelbar, und wir haben erhebliche Sorgen; das wird niemand bestreiten. Aber der Unterschied zur Angst besteht darin, daß wir den Bürgerinnen und Bürgern die Ursachen und Zusammenhänge erklären, daß wir Verständnis wecken für notwendige Entscheidungen, mit anderen Worten, daß wir in schwierigen Zeiten den Bürgern Zuversicht geben.
({20})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bayerische Ministerpräsident wollte sich, wie er gesagt hat, hier nur mit jenen Problemen beschäftigen, von denen er meinte, sie hätten Elefantengröße. Zunächst schien es auch so, als wolle er diese Rolle nicht als bayerischer Kriegselefant spielen, sondern gezügelt, nicht zündelnd.
Bei der Behandlung eines Interviews des Bundeskanzlers wurde Herr Strauß dann wieder rückfällig. Meine Damen und Herren, es ist deutlich geworden, daß der Bundeskanzler und Bundesregierung nach dieser wirtschaftspolitischen Aussage die Unternehmen nur mit solchen Nebenkosten belasten wollten, die eben unvermeidbar waren. Der Wirtschaft sollte aber keine Last mutwillig auferlegt werden.
({0})
Soweit damit der Bundesregierung und der Koalition das Etikett der die freie Wirtschaft jagenden Sozialisten angeheftet werden sollte, ist es hier hörbar abgefallen. So ging dann ja wohl auch das nachgelieferte Duell „Kanzler - Kandidat" mit einem klaren Punktsieg des Kanzlers zu Ende. Im übrigen ist die öffentliche Bewertung der Stärkeverhältnisse hier nur noch einmal eindrucksvoll bestätigt worden.
Der Vorwurf des Kollegen Strauß - hier wollte er an einer im Augenblick ganz brisanten und wichtigen Frage, die die Öffentlichkeit bewegt, Punkte sammeln -, der Bundeskanzler und die Bundesregierung hätten das Thema Kernenergie als regionales Problem von sich weggeschoben, wurde in einer seltsamen Weise bewältigt und zu Ende geführt. Auf die Zwischenfrage des Kollegen Wehner nach der bayerischen Hilfe und dem bayerischen Entsorgungsangebot hat nämlich der bayerische Ministerpräsident hier einen Slalom hingewedelt, der sich im blau-weißen Ländle verlief.
({1})
So gab es eine groteske Bestätigung eines Regionalprinzips, das von Herrn Strauß zunächst so vollmundig attackiert wurde. Man sieht, wie schwer es ist, aus seiner eigenen Umgebung herauszukommen und das zu fordern, was hier nötig ist, nämlich eine Politik, die wir gemeinsam tragen und zu verantworten haben.
({2})
Der Beschluß des Landesverbands SchleswigHolstein meiner Partei, den der bayerische Ministerpräsident hier angeführt hat, ist eine Entscheidung für den maßvollen Ausbau der Kernenergie, ist ein Ja zu Brokdorf. Die Ergänzung dieses Beschlusses hebt das Votum keineswegs auf, sondern bindet es ausdrücklich an die Entsorgungsgrundsätze, die die Bundesregierung und die Bundesländer dazu miteinander vereinbart haben. Die Debatte im FDP-Landesverband Schleswig-Holstein wurde offen, hart, aber fair geführt. Der Kollege Ronneburger als Landesvorsitzender hat mit großem persönlichem Einsatz den Landesverband zu dieser positiven Entscheidung geführt. Ihm gebührt dafür unser Dank.
({3})
Die Durchführung dieses Beschlusses, auch wenn er hart und umstritten mit unterschiedlichen Auffassungen so zustande kam, wird - dessen können Sie gewiß sein - geschlossen erfolgen. Wir lassen uns dabei weder von Freund noch von Feind in unsere eigenen Angelegenheiten hineinreden.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Ein gewisses Handlungsmodell gibt es bei den Freien Demokraten ganz gewiß nicht, nämlich die langjährige Qual
von CDU und CSU. Aus dem zweiten Glied wird bei uns nicht auf den Dirigenten geschossen.
({4})
Der Bundesfinanzminister hat das Zahlenwerk des Haushalts 1981 ganz nüchtern kommentiert. Der enger gewordene Handlungsspielraum mag die Hinwendung zu einer realitätsbezogenen Fiskalpolitik erzwungen haben; es war dennoch beeindruckend, mit welcher Rigorosität Minister Matthöfer dem Verlangen nach neuen Konjunkturprogrammen eine Absage erteilt hat. Auch mit einer so klaren Zielansprache hat es der Finanzminister der Opposition wieder nicht recht gemacht. Sie weicht j eden-falls der Diskussion über das Heute und Morgen aus und verharrt in der Rolle des Anklägers.
Dabei wissen wir alle ganz genau, daß die Staatsschuldenlast nicht aus Jux und Tollerei angehäuft wurde. Die aus weltpolitischen Krisensituationen entstandenen konjunkturellen Einbrüche haben viele Gründe für die expansive Haushaltspolitik geliefert. Wir alle - besonders die Opposition - weisen immer wieder darauf hin, wie sehr wir in unsere international übergreifenden Bündnisse und wie sehr wir gerade als Exportnation in den internationalen Wirtschaftsablauf eingebunden sind. Wir alle sollten doch jetzt das nicht leugnen und aus unserem Gedächtnis verdrängen wollen, was wir aus internationaler Solidarität hier übernommen haben, was wir bis heute schwer zu tragen hatten und woraus ein Teil unserer Probleme resultiert. Ich sage noch einmal: Weltwirtschaftsgipfel und erinnere an das, was wir gerade gegenüber den Vereinigten Staaten, aber auch bis hin zu Japan, an internationalen Leistungen zu Lasten unseres Haushalts und unserer inländischen Finanzpolitik auf uns haben laden müssen.
Bundesbank und Sachverständige haben stets ihren wohlfeilen Rat für eine solche defizitäre Haushaltspolitik dazugegeben. Der Haushalt wurde im Glauben an die segensreichen Wirkungen staatlicher Finanzierungsdefizite immer wieder zur Gegensteuerung eingesetzt und expansiv gefahren. Die Ergebnisse waren j a auch nicht schlecht. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß wir im internationalen Vergleich relativ gut dastehen.
Aber wir haben dafür - wer wollte es leugnen - einen hohen Preis gezahlt, einen Preis, der sich wegen des steigenden Zins- und Tilgungsdrucks nicht beliebig steigern läßt. Von den Vorstellungen der Väter des Stabilitätsgesetzes in bezug auf die angestrebten Ziele sind wir in der Tat ein gutes Stück entfernt.
Das gilt im übrigen auch fürs Ausland. Dazu hat der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, der jetzige Präsident der Hamburger Landeszentralbank, Hans Hermsdorf, wie ich meine, zutreffend festgestellt, daß es somit wenig Sinn hat, dauernd Vergleiche mit den Partnerländern anzustellen. „Wir laufen sonst Gefahr, daß es uns relativ immer besser, aber tatsächlich immer schlechter geht."
({5})
Meine Damen und Herren, im übrigen befinden wir uns, wie der Bundesbankpräsident deutlich gemacht hat, nicht in einer Lage, die mit den klassischen Instrumenten der Globalsteuerung gemeistert werden kann. Vielmehr verlangt der notwendige Umstrukturierungs- und Anpassungsprozeß andere Rezepte. Besonders der Umstand, daß sich die außenwirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland grundlegend geändert hat, zwingt uns, bei der Wirtschafts-, Finanz- und Lohnpolitik andersgeartete Konsequenzen zu ziehen, als wir in der Vergangenheit glaubten ziehen zu müssen.
Aber auch ohne den Weg in die Zukunft mit neuen Investitionsprogrammen zu pflastern, gibt der Bundeshaushalt - wie die öffentlichen Haushalte überhaupt - im Jahre 1981 noch einiges zur konjunkturellen Belebung her. Insgesamt steckt in ihnen ein expansiver Impuls von rund 40 Milliarden DM. Der Sachverständigenrat glaubt allerdings, daß hiervon mögliche belebende Wirkungen deshalb nicht ausgehen werden, weil der Staat den privaten Investoren nicht die Gewißheit zu verschaffen vermag, daß das Staatsdefizit mittelfristig auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt wird.
({6})
Es hat aber in dieser Situation wenig Sinn, sich krampfhaft mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Das wollen wir denn auch der Opposition überlassen. Meine Damen und Herren, natürlich kann man darüber streiten, ob wir in der Vergangenheit nicht zuviel des Guten getan haben. Häufig sind wir ja nicht nur in die konjunkturelle Bresche gesprungen, sondern haben gleichzeitig wachsende Ansprüche auf Staatsleistungen genährt und sie gern bedient. Der Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers zählt zweifellos zu den herausragenden, aber zugleich zu den verlockendsten Aufgaben des Staates. Die Lust an der Bewilligung neuer Ausgaben ist so ausgeprägt, daß es bislang schier unmöglich schien, davon abzukommen, besonders weil immer neue Bedürfnisse beim Bürger geweckt wurden, um sie dann freudig und lustvoll auch zu erfüllen.
Der Bundesfinanzminister hat jetzt Abkehr von dieser Praxis verkündet. Wir müssen auch konsequent bei dieser Absicht bleiben, auch um den Preis der Unpopularität und des Aufschreis der Interessenverbände und der Interessenten.
Eine große wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe liegt jetzt darin, zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht zurückzukehren. Ohne einen ausreichend hohen Außenhandelsüberschuß werden wir auf Dauer kaum in der Lage sein, unseren eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Meine Damen und Herren, schließlich können wir keine Entwicklungshilfe aus Mitteln leisten, die wir uns selbst woanders pumpen.
({7})
Uns allen bleibt nur die Möglichkeit, von der Rolle des Wohltäters in die des -Zuchtmeisters umzusteigen. In den öffentlichen Haushalten müssen andere Prioritäten gesetzt werden. Im Endeffekt bedeutet dies eine Abkehr von liebgewordenen, aber riskanten Gewohnheiten. Soziale Gerechtigkeit läßt sich auf Dauer nur mit einer an Stabilität orientierten Politik von Staat und Bundesbank sichern.
({8})
Hier ziehen Gott sei Dank Bundesbank und Bundesregierung entgegen einer in der FAZ noch am 22. Januar geäußerten Sorge an einem Strang.
Bundesregierung und Bundesbank verfolgen die gleiche Linie. Beide leisten zwar ihren Beitrag zur Geld- und Finanzpolitik in eigener Verantwortung, gehen aber von den gleichen wirtschafts- und finanzpolitischen Analysen aus und benutzen ein abgestimmtes therapeutisches Instrumentarium.
Es ist auch leichtfertig, dem Bundesfinanzminister vorzuwerfen, er habe den Zwang zur Sparsamkeit auf der Ausgabenseite des Haushalts 1981 noch nicht energisch genug wirksam werden lassen. Der mit dem Haushalt 1981 auf den Weg gebrachte Beginn der Umkehr und das angekündigte Konzept für eine allmähliche Gesundung der Staatsfinanzen fällt zugegebenermaßen in eine konjunkturell ungünstige Zeit. Dennoch wurde Kurs gehalten, mit Vernunft und Augenmaß, und dies muß auch in Zukunft Bestand haben.
Nicht von ungefähr hat der frühere niedersächsische Finanzminister, unser Kollege Walther Leisler Kiep, am 29. Oktober 1980 anläßlich eines Abschiedsgesprächs mit Journalisten in Hannover genau auf die kritische Lage hingewiesen, die sich aus dem Zwang zum Sparen bei den veränderten wirtschaftspolitischen Daten ergibt. Denn - wie könnte es anders sein - Kollege Leisler Kiep hält zwar die Tendenz zur Umkehr und zur Sparsamkeit für richtig, er hat jedoch auch darauf hingewiesen, daß das Programm jetzt genau zu einer Zeit komme, wo die Sparpolitik beginne, antizyklisch zu werden.
Damit wird für uns alle doch erkennbar - hier gibt es j a wohl auch keine Meinungsverschiedenheiten -, daß nicht viel Handlungsspielraum für finanzpolitische Operationen für uns vorhanden ist.
({9})
Wir sollten uns deshalb eigentlich über die vor uns liegenden Aufgaben bei der kürzer gewordenen finanziellen Decke schnell einig werden können. Die bestehende Wohlstandsausstattung kann nämlich nicht gesteigert, vielleicht nicht einmal ungeschmälert fortgeschrieben werden. So etwa hat es Herr Kollege Leisler Kiep jedenfalls formuliert, als er seine letzte Haushaltsrede vor dem Niedersächsischen Landtag am 8. Oktober 1980 gehalten hat.
Zuzustimmen ist ihm auch, wenn er die Zukunftschancen so sieht: Die Umstellung unserer gesamten Energieversorgung muß beschleunigt werden.
({10})
Die dritte industrielle Revolution muß sowohl in der Wirtschaft als auch auf dem Arbeitsmarkt bewältigt werden. Strukturveränderungen in einigen Schlüsselindustrien unserer Wirtschaft sind unabweisbar. Ich möchte Herrn Kollegen Leisler Kiep jedoch auch ausdrücklich zustimmen, wenn er feststellt: Auch bei dem angespannten Zustand der öffentlichen Finanzen besteht für Panik und Hysterie kein Anlaß, wenn wir den Mut zum Handeln haben.
({11})
Mit dem vorgelegten Haushaltsplan und den begleitenden Beschlüssen ist gehandelt worden. Der Sachverständigenrat hat dies ausdrücklich anerkannt. Mit dem Haushalt 1981 und den Sparbeschlüssen sei der erste Schritt getan, dies um so mehr, als das strukturelle Defizit um etliche Milliarden DM abgebaut werden konnte. Die Konsolidierung müsse aber in den nächsten Jahren ein Stück vorangebracht werden, und zwar im wesentlichen durch eine Reduzierung der Staatsausgaben.
Ich hoffe sehr, daß wir in der zweiten und dritten Lesung, nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß, nachweisen können, daß wir willens sind, ein den ganzen Zeitraum der Legislaturperiode umfassendes Konsolidierungsprogramm hinzuzufügen.
({12})
Meine Damen und Herren, die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen, unter denen das zu geschehen hat, werden sich, wie seit der Beratung des Wirtschaftskabinetts erwiesen, nicht verbessern. Wenn aus der konjunkturellen Delle eine Beule wird, muß einerseits mit Steuermindereinnahmen gerechnet werden, und andererseits werden wir höhere Ausgaben - unvermeidlich - bei der Bundesanstalt für Arbeit haben. Dies könnte zu einem noch höheren Defizit führen.
Aber wir dürfen die Flinte nicht ins Korn werfen. Die Bundesregierung hat die Vorgaben des Finanzplanungsrates eingehalten. Das Parlament wird diese Zielvorgabe ebenfalls nicht aus den Augen verlieren.
({13})
Die vorgesehene Neuverschuldung von 27,4 Milliarden DM ist zwar hoch, aber allein auf das Jahr 1981 projiziert wäre sie durchaus vertretbar, insbesondere dann, wenn man die konjunkturelle Situation und vor allem das von allen Parteien gewollte und beschlossene Steuerentlastungsgesetz, das jetzt wirksam wird, mit in Rechung stellt.
Da es aber keine isolierte Betrachtung eines Jahres-Ausschnittes der Haushaltspolitik geben kann, müssen wir verhindern, daß der Haushalt aus den Fugen gerät, damit davon keine negativen Wirkungen auf die Geldwertstabilität und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ausgehen. Hier liegt
der Schlüssel zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits.
Ich möchte ein Zitat aus der mahnenden Rede des Bundesbankpräsidenten anläßlich des Neujahrsempfangs der Stadt Frankfurt einfügen:
({14}) Die Inkaufnahme
- so sagt Herr Pöhl noch größerer Defizite könnte durchaus zur Folge haben, daß die Zinsen nicht, wie wir alle hoffen, sinken, sondern steigen und daß per Saldo Wachstum und Beschäftigung nicht gefördert, sondern eher gebremst werden. Darüber hinaus bewirkt jede Erhöhung der öffentlichen Ausgaben tendenziell eine Vergrößerung des Leistungsbilanzdefizits.
({15}) Er fährt dann fort:
Besser als eine noch expansivere Finanzpolitik - die jetzige ist ja keineswegs restriktiv - wäre die Beseitigung der Hemmnisse, durch die viele Milliarden fertig geplanter Investitionen blockiert werden.
({16})
Ich
- so sagt Pöhl empfinde es als besonders peinlich, daß häufig die gleichen Leute, die höhere Staatsausgaben fordern, gleichzeitig dringend erforderliche Investitionen verhindern. Brokdorf ist ein Stichwort.
({17})
Es ist erfreulich zu sehen, wie schnell die Bundesregierung versucht, dieser Probleme Herr zu werden. Der Jahreswirtschaftsbericht wird das deutlich machen. Die Bundesregierung will gemeinsam mit den Ländern angesichts der vielfältigen internationalen Herausforderungen alles daransetzen, daß bestehende Hemmnisse für Innovationen und Investitiunen so weit wie möglich abgebaut werden.
({18})
Es gilt dabei doch wohl zunächst einmal auf jenen Bedarf zu schauen, der uns täglich in der Bundesrepublik - und in Berlin übrigens auch - so viel Kummer macht, nämlich den, der aus den nicht gebauten Wohnungen herrührt. Es gilt diesen Wohnungsbedarf zu decken. Damit können bessere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft geschaffen werden. Dazu muß die Investitionsbereitschaft privater Anleger im frei finanzierten Wohnungsbau gestärkt werden.
({19})
Deshalb müssen mehr marktwirtschaftliche Elemente in den sozialen Wohnungsbau eingeführt werden.
({20})
Notwendig ist auch der begrenzte Ausbau der Kernenergie. Wir sichern damit langfristig die Energieversorgung, vermindern zugleich das Leistungsbilanzdefizit und erhalten Arbeitsplätze.
({21})
Der hier notwendige und mögliche Investitionsschub gilt übrigens für den Kraftwerkbau ganz allgemein. Außerdem ist darüber zu entscheiden, in welcher Form das Ende 1982 auslaufende Energiesparprogramm mit stärkerer Konzentration auf die Anwendung neuer Technologien fortgesetzt werden kann.
({22})
Was die Kernenergie angeht, so ist es an der Zeit, endlich weniger ideologieverklemmt darüber zu diskutieren. Die bedingungslosen Wachstums- und Atomkraftbefürworter mußten ebenso wie die Prediger einer industriefernen Kultur einsehen, daß ihre Positionen nicht realistisch, nicht durchsetzbar sind. Keine Partei wäre gut beraten, wenn sie in einer so wichtigen Frage auf die Bedenken der unmittelbar oder mittelbar betroffenen Bürger nicht mit aller Sorgfalt einginge. Nicht Überrumpelung, sondern eine nachvollziehbare Güterabwägung muß jeweils den Ausschlag beim Bau der Kernkraftwerke geben. Bürgerfreiheit, Bürgermitverantwortung und Bürgermitbeteiligung stehen in einem uriauflösbaren Zusammenhang. Wer das eine wegnimmt, gefährdet das andere. Nicht über die Köpfe der Bürger hinweg, sondern nur mit ihnen gemeinsam läßt sich dieser Weg gehen. Wer sich dagegen wendet, verspielt seine Glaubwürdigkeit in der Politik, speziell in der Umweltpolitik.
Mit Tricks lassen sich keine Zukunftsaufgaben lösen,
({23})
übrigens auch nicht mit staatlicher Bevormundung und Repression. Derartige Anregungen waren aber, wenn auch vereinzelt und nur leise zu hören, als in den letzten Wochen in einigen Städten - Göttingen, Freiburg, Berlin - gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen und Polizisten stattfanden. An diesen Ereignissen läßt sich gewiß nichts beschönigen, und zwar nach keiner Richtung hin. Wir würden uns aber etwas in die Taschen lügen, wenn wir uns auf das einließen, was uns eben aus Kreisen der Opposition wieder einmal angedient wurde, nämlich einfach das Demonstrationsrecht zu verschärfen. Damit würde kein Problem gelöst, nicht einmal an der Oberfläche kuriert. Wir müssen schon tiefer bohren und uns eingehender mit den Fragen, den Ängsten und den Wünschen der Menschen und besonders der Jugendlichen auseinandersetzen, um ein Ausbreiten dieser Unruhen zu verhindern. Nicht Disziplinierung darf unsere Antwort sein, sondern ehrliche, offene und nachdenkliche AuseinandersetHoppe
zung mit den Positionen und Perspektiven der jungen Menschen.
Dr. Hans-Jochen Vogel hat erst vor wenigen Tagen, und zwar noch hier als unser Kollege und Bundesjustizminister - er hat es aber als Regierender Bürgermeister von Berlin wiederholt -, darauf hingewiesen, daß gerade in der Schweiz weitgehend jene Strafrechtsnormen gelten, nach denen die Opposition so verlangt. Und doch ist gerade die größte Stadt der Schweiz seit Monaten ein Austragungsort heftiger Konfrontationen zwischen Jugendlichen und Polizeibeamten.
Es lohnt sich also, jene Thesen zu studieren, die von der eidgenössischen Kommission für Jugendfragen formuliert wurden. Danach ist Gewalttätigkeit und Radikalität auch eine Folge der Isolation, unter der viele Menschen und gerade die Jugendlichen leiden. Selbst wenn sich die Mehrheit der Jugend ruhig verhalte, dürfe dies nicht zu dem Schluß verleiten, sie sei innerlich ruhig und zufrieden. Die Angriffe der jungen Leute - so heißt es da - richten sich im Grunde nicht primär gegen Verfassung und Gesetz, sondern gegen konkrete Lebensumstände, weil das vitale Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit und Kreativität einerseits und nach Geborgenheit andererseits viel zu kurz komme. Nicht andere Gesetze seien das Ziel ihrer Forderung, sondern eine andere Atmosphäre.
In der Auseinandersetzung mit den Rebellierenden hilft uns weder Selbstbezichtigung noch ein Jetzt-erst-recht-Standpunkt. Damit werden wir nicht sehr weit kommen. Was not tut, ist der Dialog. Ein mühsames Unterfangen, wenn die Fronten erst einmal so verhärtet sind! Das hat übrigens vor kurzem der Bundesinnenminister erfahren müssen, als er sich an der Bochumer Universität dem Gespräch stellte, es aber nicht zu Ende führen konnte.
Doch im Dialog mit Jugendlichen, die anders denken und vielleicht auch nur laut sagen, was der eine und andere von uns nur leise zu denken wagt, können wir möglicherweise an einer besseren Zukunft arbeiten, so heißt es in dem Schweizer Thesenpapier.
Meine Damen und Herren, das geht aber nicht ohne eine entschieden liberale Einstellung. Für uns Freie Demokraten bleibt es deshalb die dominierende Aufgabe, die Freiheit des Bürgers zu gewährleisten; die Freiheit, nach seinen eigenen Maßstäben zu einem sinnerfüllten Leben zu gelangen. Hier steht ein elementarer Bestandteil unseres demokratischen Systems zu Disposition. Unsere demokratisch verfaßte, pluralistische Gesellschaft hat j a gerade jenen Zustand überwunden, der den Obrigkeitsstaat oder auch - in Fortführung dieses Gedankens - den totalitären Staat kennzeichnet. Nur im unfreien System wird von oben verordnet, wird Weltanschauung zum wesentlichen Element staatlicher Politik gemacht.
Für uns Freie Demokraten kann es nur einen sinnhaften Mittelpunkt der Staatstätigkeit geben, und das ist der Grundwert der Freiheit. Dieses Prinzip geht vom Vertrauen des Staates und seiner Organe in die Bürger aus. An diesem Prinzip wollen und werden die Liberalen nicht rütteln lassen. Gerade an diesem Punkt ist die Glaubwürdigkeit entscheidend. Nur so werden wir verhindern, daß sich die Jugend aus unserem demokratischen Staat abmeldet.
({24})
Meine Damen und Herren, so wie wir Freien Demokraten für den inneren Frieden streiten wollen, so werden wir uns in der Außenpolitik weiterhin um die Sicherung des äußeren Friedens bemühen. Wir wissen um unsere Verpflichtungen im Bündnis gegenüber unseren Partnern und wir werden sie erfüllen. Wir werden an den für unsere Verteidigung übernommenen Verpflichtungen und den daraus resultierenden Lasten sowie an dem NATO-Doppelbeschluß mit seiner Verpflichtung zur Nachrüstung nicht rütteln lassen.
({25})
Nur Konsequenz führt hier zur Friedenserhaltung, und nur auf diesem Wege werden wir das erreichen, was unserer Zielvorstellung entspricht und was wir auch wegen unserer finanziellen Anspannung brauchen, nämlich Abrüstung.
({26})
Nur mit Geradlinigkeit werden wir dieses Ziel, das für die Menschen in unserem Lande wichtig ist, erreichen können.
({27})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Weizsäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser allgemeinen Aussprache werden noch Themen vertieft werden, über die der Herr Kollege Hoppe hier ganz am Schluß gesprochen hat. Ich nehme an, daß sich auch der Herr Bundesaußenminister ebenso wie der Herr Bundeskanzler noch zur Außenpolitik äußern wird. Ich möchte, ehe ich auf das mir am meisten am Herzen liegende Thema zu sprechen komme, ein paar Bemerkungen zur jüngsten außenpolitischen Entwicklung voranstellen.
Ich knüpfe an eine Äußerung an, die aus der Sowjetunion zu deutschen Vorgängen gemacht worden ist. Es gab da eine Erklärung der sowjetischen Botschaft aus Ost-Berlin an die Berliner Schutzmächte und eine entsprechende Erläuterung in einer sowjetischen Zeitung. In beiden wurden die Wahl des Regierenden Bürgermeisters in Berlin, der Import von Bundespolitikern nach Berlin und auch die möglichen Aussichten bei einer Neuwahl in Berlin kritisch kommentiert und Verstöße gegen das Viermächteabkommen reklamiert. Ich möchte dazu von mir aus nur feststellen: Gewählt wird in Berlin im Abgeordnetenhaus; gewählt wird der Senat nicht im Bonner Baracken-Tempel der SPD oder im Adenau638
erhaus. Dort, im Berliner Abgeordnetenhaus, hat jeder Deutsche die Möglichkeit, gewählt zu werden.
({0})
Wir werden uns als Berliner Union zwar die Freiheit nehmen, die Weisheit der Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters im Berliner Abgeordnetenhaus durch das Volk testen zu lassen; aber bis dahin werden wir die politische und rechtliche Gültigkeit der Wahl des Regierenden Bürgermeisters gegen unaufgeklärte Angriffe gemeinsam zu schützen wissen.
({1})
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine politische Bemerkung hinzufügen. Ich glaube, die Sowjetunion weiß zweierlei ganz genau.
Erstens. Berlin ist der Platz, wo die Vereinigten Staaten nicht nur bei Freunden, als Bündnispartner anwesend und hilfreich, sondern unmittelbar und in eigener Souveränität engagiert sind. In Berlin ist Amerika selbst und direkt europäische Macht.
Zweitens. Das Ziel der Sowjetunion ist es ja nach wie vor - ich habe das nicht zu kritisieren, aber wir haben von uns aus die richtige Analyse vorzunehmen und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen -, das Verhältnis zwischen den Amerikanern und ihren europäischen Allianzpartnern innerhalb des Bündnisses aufzuweichen, Ansätze auszunutzen, wie sie sich der Sowjetunion da und dort anbieten. Da gibt es alle möglichen sozialdemokratischen Parteien in Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien
({2})
- ja, einen Moment -, da gibt es eine immer organisiertere, Herr Corterier, und schärfere Form von Aufweichungstendenzen in Ihrer Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Selbstverständlich sage ich nicht, daß dies in irgendeiner Form von Einvernehmen geschieht. Was ich aber sage, ist, daß die Sowjetunion diese Neutralisierungstendenzen beobachtet und auszunützen gedenkt.
Meine Damen und Herren, diesem Ziel - das möchte ich bei meiner zweiten Bemerkung anfügen - würde ja die Sowjetunion durch jede von ihr zu verantwortende Berlin-Krise von außen, nur zuwiderhandeln. Sie weiß ganz genau, daß sie damit schleunigst nur wieder eine Einigung herbeiführen würde, auf deren Aufweichung sie gerade setzt. Das, was die Sowjetunion in bezug auf Berlin als Ziel verfolgt, ist nicht die Erzeugung und Ausnutzung von Krisen von außen, sondern sie setzt auf eine innere Auszehrung, auf eine innere Krise, auf innere Schwächen im freien Berlin. Was auch immer Wahlen in Berlin bringen mögen, unsere gemeinsame Aufgabe ist es, zu zeigen: An der Kraft der Berliner zur Selbsthilfe und an der Zusammengehörigkeit und Solidarität aller Deutschen mit ihren Berlinern mögen sich alle in der Welt ihre Zähne ausbeißen.
({3})
Wenn es den Berlinern wirklich einmal schlechtgeht, dann werden sie stark. Im Inneren stark zu
sein, das ist zugleich auch der wichtigste Beitrag zu einer Sicherung der Lage nach außen.
Ich möchte eine weitere Bemerkung zu den innerdeutschen Beziehungen machen. Nicht freiwillig, nicht den eigenen wirtschaftlichen Interessen folgend, sondern durch eine andere, eine absolut vorrangige Sorge sah sich die SED genötigt, gegen Geist und Buchstaben gegebener Zusagen zu verstoßen und auf diesem Wege insbesondere Kontakte der Menschen - überdies auch in dringenden Familienangelegenheiten - auf ebenso inhumane wie unsoziale Weise nachhaltig zu behindern.
Der Vorrang, dem sich die SED zu verschreiben genötigt sieht, ist die Stabilisierung ihres Parteiherrschaftssystems, sich zu schützen gegen einen Bazillus der Freiheit, wie er in und um die DDR spürbar wird; der polnische Sommer ist nicht das einzige, aber das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang. Nur um quasi einen Vorhang davorzuziehen, hören wir in den letzten Wochen und Monaten neue Vorwürfe und auch neue Vorschläge aus Ost-Berlin, in diesem Zusammenhang auch die Anmerkungen aus Ost-Berlin zum Stichwort der Staatsangehörigkeit.
Meine Damen und Herren, es wird sich doch im Ernst in diesem Hause und bei denen, die ernsthaft den Beratungen dieses Hauses folgen, niemand darüber täuschen: Selbstverständlich erkennen wir die Reisedokumente an, mit denen unsere Landsleute ausgestattet sind. Aber niemand wird uns je dazu zwingen, unsere deutschen Landsleute aus der DDR als Ausländer zu behandeln.
({4})
Wir bleiben bei unserer Verfassung und ihrem Auftrag, bei der Rechtsprechung unseres Verfassungsgerichts. Dies entspricht unserer eigenen tiefen inneren politischen Überzeugung.
Wir werden auf ein so nicht ausgesprochenes, aber gemeintes Drängen auf einen Verzicht unserer Staatsangehörigkeitsregelung und auf eine Einführung einer Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht eingehen, schon deshalb nicht, weil wir die Berliner nicht in der Luft hängen lassen werden.
({5})
Die Berliner sind und bleiben selbstverständlich Deutsche.
({6})
Das alles ist, wie gesagt, nicht neu und nicht überraschend. Ich füge es nur deshalb hinzu, weil sich mancher hier bei uns offenbar dem Irrtum hingibt, als wären die Äußerungen über die Staatsangehörigkeit, die wir aus Ost-Berlin gehört haben, irgend so etwas wie ein ernst gemeinter politischer Vorschlag. Sie sind Tarnung für das, was die DDR, was die SED zur Zeit nicht tun kann, nämlich in den innerdeutschen Beziehungen - wie es ihren wirtschaftlichen Interessen entspräche - durchaus fortzufahren.
Freilich gibt es dabei, wenn die SED eine solche Tarnungsparole ausgibt, natürlich auch noch eine
kleine Nebenabsicht. Es könnte ja sein, daß bei uns jemand diesen gar nicht ernst gemeinten Ball aufgreift und anfängt, damit ernsthafte Ballspiele zu machen.
({7})
Auf diesen Leim sollte niemand gehen, meine Damen und Herren.
({8})
Aber das, worum es mir in dieser Debatte vor allem geht, bezieht sich auf die Frage, wie es um die innere Kraft unseres ganzen Gemeinwesens steht, und darum, welches Konzept denn der Bundeskanzler, seine Partei, darüber hinaus aber wir alle als politische Parteien haben, um uns der Aufgabe zu stellen, die innere Kraft des ganzen Gemeinwesens zu erhalten und dort, wo sie verloren zu gehen droht, wiederherzustellen.
Zur Analyse der Lage ist nicht mehr viel zu sagen. Wir haben im Grunde bei aller unterschiedlichen Darstellung der verschiedenen Parteipositionen über den Haushalt und über das, was dahinter steht, gestern und auch heute vormittag wahrhaft genug offene Worte gehört. Es ist ein Haushalt, angespannt wie nie. Statt des angekündigten Abbaus wird es -auf welchem Wege und mit welchen Mitteln auch immer - ein weiteres Anwachsen von Schulden geben. Die Äußerungen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sind heute durchweg von der Sorge gekennzeichnet, daß eine für den Sommer erwartete Belebung der Konjunktur wahrscheinlich nicht kommen wird. Die Zahl der Arbeitslosen geht einem neuen Höchststand entgegen. Die Leistungsbilanz, sicheres Zeichen dessen, daß über die Verhältnisse gelebt wird, ist ohne nachhaltige strukturelle Besserung.
Hinter allen diesen feststellbaren Daten steht meiner Meinung nach eine viel ernster zu nehmende, eine viel bedrohlichere Entwicklung. Hans Heigert hat vor wenigen Tagen darüber in der .,Süddeutschen Zeitung" einen Leitartikel geschrieben, in dem er das, was ich meine, so ausgedrückt hat:
Überall werden Menschen daran gewöhnt, über ihre Verhältnisse zu leben und ihr Risiko anderen aufzubürden. Wenn irgend etwas schiefgeht, wird irgendwer schon dafür bezahlen. Das ist der gemeinsame Nenner einer ganz großen Bürgerkoalition.
Dazu kommt das, was er die „vernetzte Gesellschaft" nennt: Aus einer Notlage, einer wirklich bestehenden, werden zunächst berechtigte Ansprüche abgeleitet. Daraus entstehen Besitzstände. Diese werden rechtlich abgesichert; dann sind sie unveränderlich, ohne Rücksicht darauf, ob die Notlage fortdauert oder nicht.
Eine vielfältige Verflechtung von Ämtern liegt vor, so daß zuweilen dieselben Leute auf beiden Seiten eines Verhandlungstisches sitzen. Kontrolleure und Kontrollierte sind nicht selten dieselben. Man denke nur an jenen Bürgschaftsausschuß, der den Antrag einer Bank auf Gewährung einer Landesbürgschaft prüfen soll, einer Bank aber, in deren Aufsichtsrat die Mitglieder dieses Bürgschaftsausschusses selber sitzen.
({9})
Meine Damen und Herren, Hans Heigert hat seinen Artikel mit den Worten überschrieben: „Filz der Republik". Ich glaube, damit geht er zu weit; denn das klingt j a so, als ob überhaupt alle Bürger von diesem herrlichen System profitierten. Dabei gibt es, wie wir alle wissen, eine wachsende Zahl von Mitbürgern, die nicht lautstark vertreten sind, die nicht in machtvollen Organisationen zusammengefaßt sind, die nicht nur nicht auf beiden Stühlen, sondern auf gar keinem Stuhl sitzen können.
({10})
Das ist, wie Norbert Blüm das mit Recht nennt, die Auseinandersetzung der Arbeitslosen gegen die Arbeitsbesitzer. Das ist die Situation vieler älterer Arbeitnehmer, vieler Rentner, vieler Ausländer, aber auch vieler junger Menschen die durch eine Gefährdung, durch eine mangelnde Förderung in der eigenen persönlichen, häuslichen Atmosphäre in wachsender Zahl seelisch krank geworden sind, verhaltensgestört geworden sind oder gar von der größten Jugendgeißel unserer Zeit gepackt sind, von den Suchtkrankheiten.
Ich will das nur andeuten, um dem Eindruck entgegenzuwirken, als ob hier alle miteinander erfolgreich in der Gegenwart auf Kosten der Zukunft über ihre Verhältnisse lebten.
Aber richtig an dem Stichwort von Heigert ist doch meiner Meinung nach eines, nämlich die notwendige Erkenntnis, daß sich ein allgemeines Bewußtsein gebildet hat, daß eine Gewöhnung von allzuvielen Menschen an einen Zustand eingetreten ist, der so nicht weiterbestehen kann.
({11})
Die Hauptverantwortung dafür tragen zunächst wir alle miteinander, die politischen Parteien als diejenigen Kräfte in unserem Staat, die weitgehend die Macht im Staat ausüben. Unsere Demokratie ist eine Parteiendemokratie weit über das Maß hinaus geworden, das die Verfassung uns den Parteien, dafür zugesprochen hat. Ich will das nicht im einzelnen begründen. Das hieße ja in bezug auf unseren Erkenntnisstand in diesem Haus wahrlich Eulen nach Athen tragen.
Aber zwischen der Macht, die die Parteien in diesem Staat tatsächlich haben, und der Kraft zur Lösung der Probleme ist halt eine immer größere Kluft entstanden.
({12})
Die Problemlösungen erfordern sehr oft ganz andere Fristen, als wir mit unseren Legislaturperioden vorgesehen haben. Aber wie steht es mit unserem Zutrauen - ich spreche von uns allen, mich selber selbstverständlich eingeschlossen -, das von uns als notwendig Erkannte auch innerhalb einer Legislaturperiode für mehrheitsfähig zu halten und dem640
gemäß auch mit der nötigen Härte uns selbst gegenüber zu vertreten?
Meine Damen und Herren, das Mißverhältnis von Gegenwart und Zukunft hat damit Eingang gefunden in das, was allzu oft von Parteien ausgeht: Zusagen werden gemacht, rechtlich verbindlich werden sie gemacht, aber wer die Kosten dafür später erwirtschaften soll, bleibt einer Zukunft jenseits der Legislaturperiode überlassen. Steigende Flut der Gegenwartswünsche durch Wechsel auf die Zukunft. Ludwig Raiser hat das einmal so gekennzeichnet: Mit gleichsam halbgeschlossenen Augen verkürzen Parteien die Perspektive, um wenigstens kurzfristig Erfolge aufweisen zu können.
Ich spreche hier gewiß nicht als einer, der der Meinung wäre, die Parteien könnten oder sollten durch irgend etwas anderes ersetzt werden. Ganz im Gegenteil. Unsere Demokratie ist unentbehrlicherweise auf das führende Instrument „politische Partei" angewiesen; es geht gar nicht anders. Sie sind nun einmal die Hauptrollenträger in der Vermittlung zwischen dem Bürgerwillen und der Staatsführung. Aber eben deshalb gilt es, rechtzeitig auf die Mängel in einem solchen System hinzuweisen,
({13})
damit die Parteien auch in der Lage bleiben - oder wieder in die Lage kommen -, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Wir haben eine doppelte Aufgabe in dieser Vermittlung, nämlich erstens auf das Denken und Handeln der Bevölkerung gemäß der Einsichten, die wir als politisch Verantwortliche haben, einzuwirken, und zweitens nicht zuzulassen, daß eine Rückbindung an die Wähler überhaupt verlorengeht und auf diese Weise bei den Wählern der Eindruck entsteht, der Staat sei nun endgültig in das Eigentum der Parteien übergegangen. Wie sollen denn die Wähler, wenn das so weitergeht, den Eindruck bei sich bekämpfen können, als würden die Parteien den Wähler als einen im Artikel 20 des Bonner Grundgesetzes begrabenen Souverän erachten, der nur alle vier Jahre einmal herauswinken darf?
Meine Damen und Herren, ich beurteile die spontane, elementare Kraft, die sich bei jenem Volksbegehren in Berlin gezeigt hat, ganz gewiß nüchtern. Da zeigt sich doch nicht einfach die Erwartung auf eine himmlische CDU nach einer höllischen SPD,
({14})
aber das Gefühl der Unerträglichkeit für den Wähler, was die Parteien aus ihrem Auftrag machen, wenn sie einmal an der Regierung sind, und vor allem, wenn sie allzu lange an dieser Regierung sind.
({15})
Herr Kollege Brandt, ich höre, daß Sie noch das Wort nehmen werden, und dann werden Sie gewiß auch Gelegenheit nehmen, das Wort, was ich jetzt zitiere, richtigzustellen. Wie soll man junge Menschen für einen Wahlgang gewinnen, wenn man erklärt: Der Wahltag werde ein innenpolitisches Schlachtfest. Konfrontation bis zum äußersten mit dem Ziel, im Kampf um die Macht am Wahltag den anderen zu schlachten, um nicht selbst geschlachtet zu werden?
Herr Abgeordneter von Weizsäcker, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt?
Selbstverständlich.
Lieber Herr von Weizsäcker, sind Sie geneigt, zur Kenntnis zu nehmen, daß mein Satz lautete, es dürfe nicht zum innenpolitischen Schlachtfest werden? Das ist etwas anderes, als was Sie eben gesagt haben.
Ich danke Ihnen für diese Klarstellung, Herr Brandt. Ich habe auf diese Klarstellung bis zum jetzigen Moment gewartet.
({0})
Über diese Sache wird bis zum heutigen Tage nicht nur in Berlin öffentlich in einem Sinn gesprochen, dem gegenüber das, verehrter Herr Wehner, was ich hier sage, noch ziemlich milde ist.
({1})
Denn unsere Aufgabe, Herr Wehner, ist, die Auseinandersetzung hier im Bundestag und die Auseinandersetzung in Wahlkämpfen so zu führen, daß ein Wahltag wieder zu dem werden kann, als was er gedacht ist, nämlich als eine Krönung der demokratischen Entwicklung, nicht aber als ein Tag, bei dem vor solchen Gefahren gewarnt werden muß, wie Herr Brandt dies eben gesagt hat.
({2})
Herr Kollege von Weizsäcker, erlauben Sie eine 'Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte sehr.
Herr Kollege von Weizsäcker, Sie haben sehr richtig gesagt, daß die Parlamentarier darauf zu achten haben, daß sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren. Sind Sie nicht mit mir einer Auffassung, daß Parlamentarier insbesondere dann, wenn sie andere angreifen, sich ihrer Verantwortung bewußt sein müssen, wenn sie nicht richtige Zitate vortragen oder vielleicht bewußt nicht richtig übernehmen?
({0})
Verehrter Herr Kollege, Sie wissen so gut wie ich, daß wir als Politiker alle die Verantwortung dafür tragen, wie wir in der Öffentlichkeit verstanden werden. Und wenn wir in der Öffentlichkeit falsch oder nicht in dem Sinne zitiert werden, wie wir es wirklich gemeint haben, dann müssen wir das selber richtigstellen. Solange das öffentlich nicht geschehen ist, sind wir alle miteinander dazu aufgerufen, auf diese Klärung zu
dringen. Präzise das habe ich dem Kollegen Brandt gegenüber zu Beginn dessen gesagt, was ich zu seiner inhaltlichen Aussage anzumerken hatte.
({0})
Im übrigen möchte ich noch eine andere Anmerkung machen. Wie soll es eigentlich ein Wähler verstehen - ich denke da wiederum in erster Linie an die jungen Wähler, aber nicht nur an sie -, daß es einer Partei um ihn, um den Wähler, um sein Gemeinwesen, um den ganzen Staat, um sein Land geht, wenn in einer bundesweiten Fernsehsendung des ZDF der designierte Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, ganz offen erklärt - ich selber habe danebengesessen, als er es erklärte -, die SPD müsse sich anstrengen, denn - jetzt kommt sein wörtliches Zitat -,wenn Berlin fällt", dann werde es ernst. Hier spricht ein Parteipolitiker in einer pluralen Demokratie, als wäre er der Verteidiger seines Vaterlandes gegen den Einfall einer feindlichen Armee.
({1}) Was droht hier eigentlich zu fallen? Berlin?
({2})
Oder droht eine Partei in bezug auf ihren Anteil an der Regierung abgelöst zu werden, weil sie allzulange in diesem Staat gewirkt und sich dabei allzusehr in den Augen der Wähler diesen Staat zur Beute gemacht hat?
({3})
Was muß eigentlich der Wähler alles noch hinnehmen? Muß er sich wirklich gefallen lassen, mit den Schwächen von machtgewohnten Parteiprofis gleichgesetzt zu werden?
Herr Kollege von Weizsäcker, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Gern. Aber es muß die letzte Frage sein; denn dann möchte ich wirklich im Zusammenhang reden.
Herr Kollege von Weizsäcker, da Sie gerade von Berlin und den Parteien sprechen, frage ich Sie, ob Sie nicht einen guten Beitrag zur Bereinigung der Berliner Situation leisten würden, wenn, nachdem Herr Vogel wegen seines Wechsels nach Berlin sofort sein Ministeramt zur Verfügung gestellt hat und zusammen mit den Kollegen Porzner und Ueberhorst heute auch sein Bundestagsmandat niederlegen wird, nun endlich auch Sie Ihre Bonner Ämter zur Verfügung stellten und nach Berlin gingen.
({0})
Lieber Herr Ehmke - von mir aus dürfen Sie auch sitzen bleiben -, an sich ist es nicht meine Art, meine Planungen und deren Bekanntgabe danach zu richten, wann ein Kollege einer anderen Partei aus liebenswürdiger oder weniger liebenswürdiger Absicht meint einen Druck ausüben zu sollen, um hinterher objektiv fälschlicherweise behaupten zu können, man habe nur auf ihn reagiert. Aber ich möchte Ihnen gern folgendes sagen:
Erstens. Mit Ihrer Mitwirkung bin ich in das Präsidium des Bundestages gewählt worden. Ich hoffe, daß der Vorteil, den es für Berlin dadurch gibt, durch ein Mitglied im Bundestagspräsidium vertreten zu sein, auch in Zukunft bewahrt bleibt.
({0})
Zweitens. Ich habe seit langem vor, dann, wenn ich zum Landesvorsitzenden meiner Partei in Berlin gewählt werde, mein Amt im Präsidium des Deutschen Bundestages zurückzugeben. Ich wollte das in den nächsten Tagen bekanntgeben. Aber Ihre Zwischenfrage gibt mir die willkommene Gelegenheit, dies schon jetzt zu tun. Ich hätte freilich ganz gern erst mit meinen Kollegen im Präsidium darüber gesprochen.
Ich will Ihnen nur sagen: Die Konzentration auf die Arbeit in Berlin ist meine politische Lebensaufgabe - egal, wie Wahlen ausgehen, egal, ob Wahlen kommen.
({1})
Wir werden das, was wir zur Kräftigung Berlins tun können, unternehmen, indem wir uns für Berlin engagieren, freilich nicht durch eine Entmündigung einer im Lauf der Geschichte immerhin auch verdienten Berliner Partei, wie es in Ihrem Fall geschehen ist,
({2})
sondern durch eine Mischung von bekannten und bisher nicht bekannten Berliner Kräften und von bekannten und bisher nicht bekannten Kräften aus Westdeutschland und durch eine Mischung von solchen, die in einer Partei ihre Erfahrungen gesammelt haben, und anderen, die ihre Erfahrungen außerhalb einer Partei gesammelt haben. Dadurch werden wir dann, wenn es soweit ist, unseren Beitrag für eine Wahlmöglichkeit in Berlin liefern. Ich werde mich nicht durch Drängen von Ihnen in meinem Zeitplan durcheinanderbringen lassen und nicht bereit sein, dadurch in der Qualität Abstriche zu machen, sondern ich werde nach meinem Zeitplan vorgehen.
({3})
- Weitere Fragen, Herr Präsident, möchte ich nicht beantworten. Denn ich hatte nicht die Absicht, über den Berliner Wahlkampf zu sprechen. Aber Sie, lieber Herr Ehmke, - ({4})
- Lieber Herr Liedtke, da der Herr Ehmke mich in dieser Weise auf Berlin ansprach, war ich gern bereit, Auskünfte zu geben, die die Öffentlichkeit sonst in der Tat etwas später bekommen hätte.
({5})
Ich glaube - damit möchte ich zu meinem Gedankengang zurückkehren -, daß der Wettbewerb unter uns innerhalb und außerhalb von Wahlkämpfen
dem doppelten Ziel dient, einerseits die Ansätze der Programme und der Lösungsvorschläge deutlicher erkennbar zu machen und andererseits - wer wollte das leugnen - auch im Wege der entsprechenden Selbstprüfung darauf zu achten, ob man denn auch selber das verwirklicht, was man ankündigt.
Hierzu ist meine Überzeugung, daß zwar natürlich wir in allen Parteien Menschen und folglich denselben Versuchungen als Menschen ausgesetzt sind, daß aber die politischen Programme unterschiedliche Anreize dafür bieten, solche Versuchungen wirksam werden zu lassen.
Vor ein paar Monaten hat in der „Zeit" Christian Graf von Krockow den Unterschied zwischen SPD und CDU wie folgt geschildert:
Die SPD ist die klassische Partei der Staatsintervention. Jedes neu aufkommende Problem wird fast reflexartig mit mehr Staat und mehr Verwaltung angegangen. Sie ist die Partei - so Krockow - einer wohltätig und gleichförmig verwalteten Staatsgesellschaft. Die Union dagegen kann nach Krockows Meinung die Partei der Bürgerfreiheit sein. Ihr klassisches Prinzip ist die Subsidiarität. - Herr Wehner, Sie freuen sich so darüber.
({6})
- Wissen Sie auch, von wem?
({7})
Ich will Ihnen weiter etwas sagen, Herr Wehner,
({8})
aber diesmal mit meinen Worten und nicht mit denen Krockows. Dabei habe ich nicht die Absicht, mich zu loben.
Auf der einen Seite steht die SPD. Mit guten Absichten will sie das Glück der Menschheit bewirken. Das Glück ist nicht zuletzt die Folge der richtigen Gesellschaft und ihrer Strukturen. Um es herzustellen, müssen Strukturen verändert, Leistungen angeboten und gleichmäßig verteilt werden, und zwar durch die große Dienstleistungsmaschinerie, durch den Staat.
({9})
Die Folge ist immer mehr Bürokratie, die Folge ist immer mehr öffentlicher Dienst. Jeder besetzt die Stellen seines Verantwortungsbereiches naturgemäß mit den Menschen aus seinem Horizont, man kann auch sagen: mit seinen Freunden. Die Folge ist, ob gewollt oder nicht, die Ämterpatronage, und die Folge der Ämterpatronage ist - das steht an ihrem Ende -, nicht programmatisch beabsichtigt, aber tatsächlich herbeigeführt, daß der Staat zur Beute einer zu lange herrschenden Partei wird.
({10})
Meine Damen und Herren, die Union ist gegen die Versuchung der Ämterpatronage nicht gefeit,
({11})
Aber sie ist durch einen programmatischen Ansatz besser dagegen geschützt. Sie muß freilich mit ihrem Programm an Ort und Stelle immer wieder Ernst machen, und es ist Ihr allerbestes Recht, wenn Sie uns darauf ansprechen. Unser Ziel ist es, nicht alles auf den Staat zu setzen, sondern auf die Selbsthilfe, auf die eigenen Gruppen, auf die Familie, auf die menschlich überschaubare Einheit, auf die freien Träger, mit einem Wort: auf das Prinzip der Subsidiarität.
({12})
Wir stellen nicht dem Staat das Individuum isoliert gegenüber, sondern die lebensfähige, die als menschlich empfundene zur Bindung geeignete Gruppe, in erster Linie die Familie, darüber hinaus alle anderen menschlich überschaubaren und zur Bindung geeigneten Gruppierungen.
({13})
- Ich will zu Ihrem Schutz Ihren Zwischenruf nicht wiederholen, damit außerhalb des Saales nicht gehört wird, was für einen Blödsinn Sie da geredet haben.
({14})
Es geht gerade auch für junge Menschen um die überschaubare Lebenseinheit, denn dort ist unter Umständen ein lebendigerer Begriff davon erhalten, daß die Freiheit in der Solidarität dort zur Mitverantwortung wird, wo solche überschaubaren Lebensbereiche existieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte in dem Zusammenhang gerne noch etwas erwähnen, was wahrscheinlich viele von Ihnen verwundern wird. Wir erinnern uns vermutlich alle daran, daß im Dezember 1979 auf einem Bundesparteitag der SPD Walter Jens eine Rede gehalten hat
({15})
- einen Augenblick, bitte, Herr Kollege -, über die es, wie ich meine, wegen ihrer polemischen Formulierungen Mißverständnisse vieler Art gegeben hat, die in der Tat der Redner selbst zu verantworten hat. Aber bei dieser Rede ist im Kern eine Aussage gemacht worden, für die der Redner zu Unrecht von der SPD so viel Beifall bekommen hat und auch ein bißchen zu Unrecht von manchen - einschließlich mir selbst - getadelt worden ist. Er hat, wie gesagt, in der ihm eigenen radikaldemokratischen Form und provozierenden Art Dinge gesagt, die ich in bezug auf ihre konkreten Schlußfolgerungen nicht übernehmen kann, aber gesprochen hat er von etwas, was auch nach meiner Überzeugung wirkliche Kernaussage in bezug auf unsere Gegenwart und die Zukunft sein sollte, nämlich unsere Verfassung
als das offene Grundgesetz zu begreifen, das der freien Mitarbeit von Bürgern bedarf. Er hat unter Zitierung anderer vom eigenverantwortlichen Selbertun der Bürger gesprochen. Das ist in der Tat die Aufgabe, die wir immer wieder versäumen; aber es ist die Aufgabe, die sich uns stellt. Ich bin der Überzeugung, daß das Modell, nach dem Staat zu rufen und dieses Ziel durch die Dienstleistungsmaschinerie „Staat" zu verfolgen, nicht zum Erfolg führt, daß dagegen das Ziel, auf Selbsthilfe und Selbstverantwortung, auf die eigene solidarische Verantwortung zu setzen, auf diesen Weg führt.
Es gibt - vorhin hat der Kollege Hoppe ganz mit Recht davon gesprochen - gerade in Berlin vielleicht stärker als anderswo die Suche nach einer alternativen Lebensform. Da gibt es die Gewerbeetage in Kreuzberg, in der Nähe der Mauer, ohne Anforderungen von außen, mit einem interessanten Umland an Jugendkultur und auch an Ausländern: das ist ein Zeichen dieser Art. Aber die Alternativen und die vielen Bürgerinitiativen sind doch nicht etwa ein Kennzeichen eines Staates, der eigenverantwortliches Selbertun der Bürger hervorbringt, die dafür diesen Staat als den ihren empfinden könnten. Im Gegenteil, das sind Kennzeichen dafür, daß die Menschen nach wie vor über eigene Kräfte verfügen, und seien es auch Protestkräfte, obwohl der Staat ihnen Schritt für Schritt die eigene Verantwortung abgewöhnt, ihnen gar keine eigene Aufgabe mehr zumutet und dafür auch gar nicht mehr eine eigene geistige Anstrengung macht oder dazu aufruft.
Meine Damen und Herren, hier liegen nach meiner Überzeugung die Wurzeln der Entwicklungen, auf die es einzuwirken gilt dann, wenn man mit Hilfe eines allmählichen Erfolges in dieser Entwicklung konkrete Entscheidungen besser durchsetzen können soll wie die, die zu einem gesunden Haushalt führen sollen.
Deswegen ist für mich - das ist mein dritter und letzter Gedankengang - die entscheidende Frage heute in dieser Debatte: Wie versteht der Herr Bundeskanzler in dieser Lage seine eigene Aufgabe? Es zweifelt doch niemand daran, daß er ein mörderisches Geschäft auf den Schultern hat, daß er Tag und Nacht arbeitet. Er selber spricht davon, daß er sich einem preußischen Pflichtbegriff verbunden fühlt, und ich glaube ihm, daß er das auch so empfindet. Aber das beantwortet nicht die Frage, ob der Bundeskanzler das Entscheidende, das, was heute vom Regierungschef auszugehen hat, wirklich tut, ob die Richtlinien, die nach der Verfassung als seine ureigenste Aufgabe in seiner Hand liegen, wirklich die sind, auf die es heute entscheidend ankommt.
Der Bundeskanzler befaßt sich in besonderem Maße mit dem Kontakt zur Außenwelt, mit westlichen und östlichen Nachbarn, mit Fragen der Sicherheit und Abrüstung, mit Fragen der Weltwirtschaft, mit dem Nahen Osten, mit der Dritten Welt.
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- Ich komme darauf, Frau Kollegin. - Die Bundesrepublik Deutschland spielt eine aktive, eine hörbare Rolle. Manchmal gab es früher die Erwartung
an die Adresse der Bundesrepublik Deutschland, doch aktiver, sichtbarer, hörbarer hervorzutreten im Chor der verschiedenen außenpolitischen Fragen und Mächte. Manchmal tut der Bundeskanzler dies ein bißchen laut. Die „Neue Zürcher Zeitung" sprach vor wenigen Tagen davon, er sei halt wieder als Praeceptor mundi aufgetreten. Aber das ist jetzt nicht mein Thema, sondern mein Thema ist, daß er nach meiner Überzeugung die eigentliche Aufgabe, die ihm die heutige Zeit stellt, liegenläßt, nämlich die Einwirkung, die verändernde Einwirkung auf das Bewußtsein und die Erwartungen der Menschen
({17})
und damit die eigentliche Einwirkung auf die Kraft, die Wiederherstellung und Stärkung der Kraft in der eigenen Bevölkerung.
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Als dem Herrn Bundeskanzler nach Abgabe seiner Regierungserklärung - wenn auch in anderer Form - eine ähnliche Kritik entgegentönte, keineswegs nur aus diesem Hause, sondern praktisch aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, da begegnete der Bundeskanzler in seinem Debattenbeitrag diesen Vorwürfen mit dem Bemerken, die geistige Führung sei nicht die Aufgabe des Regierungschefs in einer pluralen Gesellschaft, die ihrerseits - diese Gesellschaft - auf Vielfalt und Toleranz aufbaue. Er sagte:
... wer . .. von der Regierung geistige Führerschaft verlangt, der mißversteht ... die politische Kultur einer demokratischen Gesellschaft.
... geistige Führung
- so sagte der Bundeskanzler muß ... von den Philosophen, von den Autoren, aus der Kunst, aus der Universität, aus den Kirchen ... kommen, nicht von der Regierung.
Meine Damen und Herren, ich will hier nicht die Debatte wieder aufnehmen, die nach den Beiträgen des Bundeskanzlers etwa in der Katholischen Akademie in Hamburg geführt worden ist, wo er u. a. gesagt hat, daß der Staat des Grundgesetzes als Staat nicht Träger eines eigenen Ethos sein könne. Ich will hier auch nicht die vielbeachtete Dokumentation des Gesprächs vertiefen, das der Bundeskanzler mit den Herren Grass, Lenz und Raddatz geführt hat - und das in der „Zeit" abgedruckt worden ist -, wo er u. a. gesagt hat, der Regierungschef habe nicht die Funktion des Vorphilosophierens und nicht die Aufgabe des Volkserziehers. Dazu ist schon viel Kritisches gesagt worden, nicht zuletzt, wie Sie natürlich wissen, aus den Reihen der SPD selbst, nicht etwa nur von Erhard Eppler, den der Herr Bundeskanzler in der Debatte zitiert hat, sondern z. B. auch von Ihrem neuen Bundesgeschäftsführer Glotz.
Da hieß es dann, die Wähler würden es mit Recht sehr übelnehmen, wenn es zu einer Arbeitsteilung zwischen einem Management beim Bundeskanzler und einer geistigen Führung bei der Partei und ihrem Vorsitzenden käme. Das wäre eine tödliche Arbeitsteilung für die Partei.
Meine Damen und Herren, die Zurückhaltung der Politiker und natürlich auch des Regierungschefs vor einem persönlichen Vorphilosophieren, vor dem Versuch eines Eingreifens in die persönlichen Grundwerteentscheidungen der Bürger ist nicht nur nobel, sie ist notwendig. Aber das Entscheidende ist mit dieser Aussage über die geistige Führung nicht gemacht.
Indem der Bundeskanzler dem Vorwurf, daß er nicht einwirke, mit dem Hinweis darauf begegnet, die geistige Führung sei nicht seine Sache, überhöht er das Problem und weicht damit vor der eigentlichen Aufgabe nur aus.
Herr Präsident, darf ich noch etwa vier Minuten sprechen und dann zu Ende kommen? Gewiß, den Sinn zu stiften für das Leben der Bürger, ist nicht Sache des Bundeskanzlers, ist nicht Sache von irgendeinem von uns. Aber mit unserer Einsicht in das, was uns politisch möglich und was uns politisch nötig erscheint, verändernd auf das Bewußtsein, auf die Erwartungen, auf die Ansprüche der Bürger einzuwirken, das allerdings ist heute das Gebot der Stunde.
({19})
Ich bin gerne bereit, zu sagen: nicht die geistige Führung, aber die politische Führung. Die politische Führung allerdings läßt eine eindeutige Trennung von Politik und Geist nicht zu.
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Und wer diese Trennung vornehmen wollte, der würde nur an ganz unselige Traditionen der deutschen politischen und geistigen Geschichte anknüpfen.
({21})
Das ist entscheidend auch für die politische Führung in den ganz konkreten Fragen, die vor Ihnen liegen: wo gespart werden kann, wie man sich zu Kernenergieprojekten stellen kann, mit welchen Mitteln der Arbeitslosigkeit zu Leibe gerückt werden soll. Das alles wird immer unlösbarer. Die ganze Gesellschaft wird immer unbeweglicher, sie wird immer gelähmter, wenn dieser heute zentrale Kern der politischen Führung verweigert wird.
Was nützt es denn, wenn man in einer Zeitung lesen kann, wir sollten uns doch nicht - so stand es da zu lesen - von einigen unvernünftigen Gewerkschaftsführern auf einen sozialpolitisch und wirtschaftlich falschen Weg führen lassen, wenn wir alle miteinander wissen, daß diese Gewerkschaftsführer natürlich unter dem Druck der Erwartung ihrer Mitglieder stehen, daß es aber Aufgabe der politischen Führung ist, in bezug auf das Bewußtsein der Bevölkerung im Ganzen diejenigen Daten zu setzen und diejenigen Einwirkungen zu suchen, die dann auch den verantwortlichen Gewerkschaftsführern ihre Aufgabe erleichtern und nicht erschweren.
({22})
Was nützt es denn, wenn der Bundeskanzler in seinem Debattenbeitrag hier Ende November 1980 in der Regierungserklärung zur Bildungspolitik - ich meine, mit Recht - gesagt hat, es sollte in den
Schulfragen weniger um Organisation und Finanzierung gestritten werden als über die Inhalte. Die Lehrer sollten den Erziehungsauftrag inhaltlich konsequent akzeptieren und erfüllen, damit den jungen Menschen Orientierungshilfen gegeben werden. Aber es geht nicht an - auch wenn er nicht Lehrer, sondern Bundeskanzler ist -, daß die Orientierungshilfen, die Erziehungsinhalte von ihm selbst unter dem überhöhten Stichwort, geistige Führung sei nicht seine Sache, verweigert werden.
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Ich bin nicht Zeitgeschichtler, sondern Politiker. Es ist nicht meine Aufgabe, anzufangen, das Bild derjenigen Phase der Zeitgeschichte zu schreiben, die von der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt geprägt war.
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Aber wenn sie kommt, Herr Kollege, dann werden Sie sehen, daß es da heißen wird: Ja, mit Sachkenntnis und Hingabe hat er sich um außenpolitische Fragen gekümmert - und das ist in einem Land mit so vielen Nachbarn und mit so viel Abhängigkeit von weltpolitischen Einflüssen auch notwendig -, aber in der entscheidenden Frage, dem eigenen Volk gegenüber eine nicht autoritäre, nicht lehrerhafte, aber im besten Sinne Erziehungsaufgabe zu übernehmen - eine Erziehungsaufgabe, bei der wirklich eigene Information in Bewußtsein der vielen Menschen umgesetzt wird, die nicht dieselben Informationsgaben haben -, in dieser Frage hat er in entscheidender Stunde das, was die Notwendigkeit der Zeit erforderte, nicht erfüllt.
({25})
Hier geht es nicht um Glaubensfragen, nicht einmal um Grundwertefragen. Aber wir müssen alle miteinander bescheidener werden. Wir dürfen nicht alles vom Staat erwarten. Wir müssen auf die Selbsthilfe, auf die persönliche Mitverantwortung setzen - als die Quelle der Solidarität und als die wichtigste Bestandsgarantie der Freiheit. Ich denke, wir sind uns in bezug auf Ziele dieser Art einig. Aber wir sind von unserem programmatischen Ansatz, wie sie zu erreichen sei, verschiedener Meinung. Über diese Meinungsverschiedenheiten vor der deutschen Bevölkerung zu ringen, das ist unsere Aufgabe.
In diesem Sinne vertreten wir unsere Einstellung zu dem uns vorgelegten Haushalt, der nach unserer Überzeugung Ausdruck einer staatlichen Politik ist, die uns aus den Problemen nicht herausführt, sondern nur tiefer hinein. Der stellen wir unsere Alternative des selbsttuenden Bürgers gegenüber, dem der Staat jede nur mögliche Hilfe zu gewähren hat.
({26})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist vorgesehen, daß eine Mittagspause eintreten wird.
Vizepräsident Leber
Wir unterbrechen nun die Sitzung. Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig und wichtig und deshalb gut, daß hier heute auch über Berlin gesprochen wird. Ich denke nicht daran, zu bestreiten oder zu bemänteln, daß wir große Sorgen wegen der Schwierigkeiten hatten und haben, die sich in und für Berlin ergeben haben. Aber auf der anderen Seite kann hier niemand bestreiten: Wir haben uns mit unseren Berliner Freunden zu einem ernsten Neubeginn entschlossen. Wir sind dem bisherigen Bundesjustizminister Jochen Vogel und denen, die sich mit ihm für den neuen Senat zur Verfügung gestellt haben, dankbar dafür, daß sie ohne Wenn und Aber in die Bresche gesprungen sind.
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Sie, die das getan haben und tun, können unserer Solidarität und unserer Verbundenheit sicher sein. Es ist ja auch, Herr Kollege von Weizsäcker, nicht einfach ein Import; es ist ein Transfer. Es sollte mehr als bisher ein Hin und Her geben
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von politisch Tätigen in dem größeren und dem kleineren Teil des Rechtssystems, in dem wir leben.
Berlin zeigt übrigens aus meiner Sicht auch: Wo es innenpolitische Schwierigkeiten gibt, da haben Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Kraft zu gemeinsamem Handeln.
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Ich rate im übrigen sehr dazu - ich sage das auf Grund mancher Äußerungen in der Öffentlichkeit -, sich mit den Berliner Problemen nicht pharisäerhaft auseinanderzusetzen. Wir haben es - neben anderem - ohne jeden Zweifel auch mit großstädtischen Problemen zu tun, die dort eine gewisse Zuspitzung erfahren haben: die neue Wohnungsnot, Ausländerprobleme, auch Herausforderungen durch schon wieder eine neue junge Generation.
Ich war Herrn Kollegen Hoppe dankbar dafür, daß er heute vormittag die aufregenden, zunächst schwer erklärlichen Vorgänge in einer Stadt wie Zürich mit in diese Debatte eingeführt hat. Wer ein Gespür für neue Entwicklungen hat, der weiß, daß mancherorts in Europa - keineswegs nur in deutschen Städten - etwas im Gange ist, was uns zum aufmerksamen Hinhören veranlassen sollte. Da ist übrigens weniger politische Opposition als pure Angst und tiefgreifende Unsicherheit - und die läßt sich ja wohl in gewisser Hinsicht erklären.
Meine Damen und Herren, es gibt viel Unsicherheit in unserem Land, nicht nur in Berlin. Wir, meine politischen Freunde und ich, fühlen die Pflicht,
Orientierung und Halt zu geben, so gut wir es können; dazu will ich sprechen.
Wir sollten pharisäerhaft auch dort nicht sein, wo es um die spezifisch Berliner Fragestellungen geht. Denn die ergeben sich ja zum Teil daraus, daß man fragt: Welches sind die Perspektiven der Stadt in einer veränderten europäischen Landschaft nach einer Zeit, in der besonders böse Auswüchse des Kalten Krieges und der Spaltung überwunden oder abgemildert, durch eine gewisse Normalität abgelöst wurden? Das war j a alles nicht leicht. Das hat j a zu Auseinandersetzungen mit viel Widerstand geführt, nicht nur mit anderen, auch im eigenen Land, auch in diesem Haus. Aber dort stellt sich natürlich noch stärker als anderswo die Frage: Was wird aus den Teilen Deutschlands? Was ergibt sich für die Deutschen in beiden deutschen Staaten und in Berlin, falls sich die Verhältnisse zwischen Ost und West weiter zum Schlechteren entwickeln?
Mit diesen Fragen - da sind wir vermutlich einer Meinung - dürfen wir die Berliner nicht allein lassen;
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es sind unsere Fragen. Es ist unsere Sorge, es ist unsere Aufgabe, alles Menschenmögliche zu tun, um dafür zu sorgen, daß die Menschen in den Teilen Deutschlands nicht wieder weiter auseinandergleiten, daß sie einander sehen, einander besuchen können, daß die Zusammenarbeit auf deutschem Boden nicht vor die Hunde geht, sondern weiterentwickelt werden kann, und - natürlich, Herr von Weizsäcker - das Land Berlin auf dem Boden der Vier-MächteVereinbarungen voll, fest und indiskutabel in das wirtschaftliche Gefüge, die politische Ordnung und das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland einbezogen bleibt.
({4})
Ich habe auch für ganz töricht gehalten, was es an sowjetischen Kommentaren gegeben hat. Ich hatte eigentlich gehofft, daß uns solche Einlassungen erspart bleiben würden. Es gibt einen interessanten Vermerk, Herr von Weizsäcker - ich hatte keine Möglichkeit mehr, Ihnen den in der Mittagspause zu geben -, der dieses Problem, das Sie angesprochen haben, noch etwas besser beleuchtet, als wir es den Zeitungen bisher haben entnehmen können.
Nun hat Herr -von Weizsäcker zur Prozedur gesagt: Der Volksentscheid läuft an. - Das ist ein legitimes Mittel, aber noch keine Politik.
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Eine politisch anspruchsvolle erste Figur auf der Seite der Union bildet auch noch keine überzeugende alternative Führung für die Stadt.
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Der vom Kollegen Strauß zitierte Filz ist nicht allein in einer Partei angesiedelt.
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Ich weiß, wovon ich spreche.
Obgleich ich eine Menge anderer Punkte für diese Debatte hatte und hätte, will ich doch, weil es schlecht wäre, nicht zu replizieren, lieber auf einiges von dem eingehen, was Herr von Weizsäcker zu grundlegenden Orientierungen gesagt hat. Mit mir braucht man nicht zu streiten, Herr von Weizsäcker, wenn es darum geht, in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft, so wie sie geworden ist und sich weiterentwickelt, Eigenverantwortung größer zu schreiben und das Wort von Walter Jens, das Sie zitiert haben, so zu verstehen, wie Sie es verstanden haben, oder nachdrücklicher zu fragen: Wie kann dem Wuchern der Bürokratien, den Auswüchsen des Zentralismus, den zum Teil unerträglichen Machtzusammenballungen entgegengetreten werden? Es gehört zum - das sage ich jetzt bewußt - liberalen Erbe der deutschen Arbeiterbewegung, sich solchen Fragen nicht zu entziehen. Allerdings gehört es zu diesem Erbe auch weiterhin, zu erkennen, daß der schwache Staat für die Schwachen meist nicht reicht, sondern daß der Staat dann doch stark genug sein muß, um für die schwachen und schwächeren und schwächsten Glieder der Gesellschaft dazu-sein.
({8})
Herr von Weizsäcker, ich komme auf die Dezentralisierung zurück; Sie kennen dieses Problem ja zum Teil schon. Es gibt fast keine Großstadt, die so dezentralisiert ist wie Berlin nach dem Gesetz von 1920. Ob das voll geglückt ist, darf man auch bezweifeln. Aber das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, daß zwischen mir und Herrn von Weizsäcker kein Streit besteht, wenn er die Befürchtung äußert, daß die Verantwortung des einzelnen in den großen Bürokratien zu kurz kommt.
Sehen Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der CSU, gerade deshalb ist z. B. die Mitverantwortung und Mitwirkung und Mitbestimmung aus unserer Sicht ein so zentrales Thema für die vor uns liegende Zeit.
({9})
Deshalb bleiben wir dabei, überall dort, wo dies sinngemäß richtig angewendet werden kann, für mehr Demokratie zu streiten.
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Nur indem wir in den gesellschaftlichen Großorganisationen Räume des Miktwirkens schaffen, können wir sie bändigen und auf ein erträgliches und - wo es geht - menschliches Maß zurückführen.
Herr von Weizsäcker, eine Ihrer Hauptthesen, die SPD, die Sozialdemokraten reagierten auf jede neue Herausforderung reflexhaft mit neuen Anforderungen an den Staat, wird nicht durch die tatsächliche Haltung der deutschen Sozialdemokraten gedeckt.
Wenn Sie bitte noch einmal - Sie haben es j a getan, als Sie an Ihrem eigenen Grundsatzprogramm arbeiteten - in unser Godesberger Programm hineinschauten, fänden Sie den Abschnitt, in dem wir sagen:
Freiheit und Gerechtigkeit lassen sich durch Institutionen allein nicht sichern.
Sie fänden auf der nächsten Seite den Passus, der mit den Worten „Der Staat soll Vorbedingungen ... schaffen ..." eingeleitet wird. Dann wird in diesem Passus beschrieben, wofür er sie schaffen soll. Auf derselben Seite fänden Sie weiter den Satz:
... soll der Staat zum Kulturstaat werden, der seine Inhalte von den gesellschaftlichen Kräften empfängt und dem schöpferischen Geist der Menschen dient.
Wenn Sie die Schrift unser Grundwerte-Kommission über „Grundwerte in einer gefährdeten Welt" anschauen, finden Sie dort - das ist der springende Punkt - die Formulierung:
Mehr Chancen für Freiheit durch Dezentralisierung und Demokratisierung.
Lassen Sie uns also die Auseinandersetzung zu diesen vital wichtigen Fragen gestützt darauf führen, wo die großen Parteien in dieser Frage wirklich stehen!
Was den Bundeskanzler angeht, so denke ich, sollte man, da Sie die Hamburger Rede erneut in die Debatte eingeführt haben, nicht übersehen, was man in der Schrift, die Sie auch kennen, auf Seite 237 aus seiner Feder findet:
Jene ethisch-sittlichen Grundüberzeugungen und Werthaltungen
- die ich als Grundwerte bezeichnet habe können dem Staat in der Tat nicht gleichgültig sein. Ich habe bereits in Hamburg gesagt und wiederhole es nochmals:
- so der Bundeskanzler Helmut Schmidt Dieser Staat weiß sich bei Strafe der eigenen Preisgabe verpflichtet, den vorhandenen Bestand an ethischen Grundüberzeugungen und Werthaltungen zu schützen. Seine Organe
- das war jetzt nicht in der Hamburger Rede, sondern das ist hinzugefügt haben bei der Gestaltung der Rechtsordnung dafür zu sorgen, daß die notwendigen Grundwerte nicht abgebaut, nicht zerstört, sondern durch die Rechtsordnung gestützt werden.
Dann weiter:
Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist in einem demokratisch verfaßten Staat gebunden an den Prozeß der demokratischen Willensbildung.
Wenn wir hier eine Auseinandersetzung führen, dann ziehe ich es vor, sie nicht als eine Auseinandersetzung mit einem zurechtgemachten Gegenüber zu führen, sondern mit dem, was der gegenüber oder die gegenüber zu diesen Dingen heute wirklich meinen.
Ich will zu Berlin - da ichgesagt habe: bitte nicht pharisäerhaft, wir alle miteinander - noch hinzufügen: Ich bin auch dagegen, den Berliner Kollegen, aus welcher Partei auch immer, die die Aufgabe nicht geschafft haben, mehr anzulasten, als sie zu tragen haben. Ich bin z. B. sehr dagegen, aus einer Sumpfblüte des arabischen Geschäfts einen Fall sozialliberaler Korruption zu konstruieren. Das ist nicht in Ordnung.
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Wo politische Verantwortung zu tragen ist, muß sie getragen werden.
({12})
Deshalb hätte auch viel dafür gesprochen, das nun einmal durch einen Untersuchungsausschuß auf den Tisch zu bekommen.
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Ich sage noch: Berlin bleibt für die vor uns liegende überschaubare Zukunft der Platz, an dem man genauer und empfindlicher als an irgendeinem anderen Platz Europas die Temperatur des OstWest-Klimas ablesen kann. Deshalb bleibt diese unsere Stadt, Herr von Weizsäcker, ein Ort, an dem wir uns bewähren müssen, an dem sich aber auch die Politik der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in ihrem Auf und Ab zeigt und, wie ich meine, vorrangig bewähren muß. Die Sozialdemokraten werden eine neue große Anstrengung unternehmen, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, und wir werden ihnen dabei helfen.
({14})
Meine Damen und Herren, im übrigen: Warum sollten wir darüber streiten, daß dieses Jahr 1981 schwierig begonnen hat und verspricht, noch schwieriger zu werden? Die Welt um uns herum ist in einem rasanten Wandel. Was hat sich nicht alles schon wieder verändert in den zwei Monaten, seit wir hier über die Regierungserklärung diskutiert haben!
({15})
Es wäre phantastisch, wenn man dies zusammenfügte.
Dies wird in der Tat ein schwieriges Jahr, weltpolitisch und weltökonomisch. Ich habe nicht gehört, daß dem, was der Bundesfinanzminister im Kern gesagt hat, in dieser Debatte bisher widersprochen wurde. Was immer wir sonst unterschiedlich sehen mögen: Die verschlechterten Daten geben uns allen Anlaß zu ernster Sorge: Arbeitsmarkt, Inflation, erneuter Ölpreisschub nach oben in den letzten zwei Monaten.
Über Wachstum wurde schon gesprochen. Wer sich umsieht, muß feststellen: Es gibt nirgendwo Patentrezepte. Es gibt sie nicht in den USA - ich sehe sie jedenfalls bisher nicht -, es gibt sie nicht in Großbritannien, es gibt sie auch nicht in Frankreich. Was wir von Japan lernen könnten - ich hätte es gerne dem Herrn Bundeswirtschaftsminister direkt gesagt; ich hoffe, es wird ihm gesagt -, ist wohl noch nicht hinreichend ausgelotet worden.
Ich glaube, daß dem Bundeswirtschaftsminister Unrecht geschehen ist, als er wohl an die Adresse schöpferischer Unternehmung noch mehr als an die Adresse anderer gerichtet, die Frage aufgeworfen hat: Wie kann die Innovationskraft bei uns gestärkt werden? Da kann es ganz gewiß - ich denke, ich bin da mit Graf Lambsdorff einer Meinung - nicht ein Nachmachen geben, wohl aber die Notwendigkeit eines rascheren Nachdenkens darüber, was bei uns geboten, notwendig und möglich ist.
In Wirklichkeit stehen wir - geben wir es zu - weiterhin vergleichsweise nicht schlecht da. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Vermutung spricht aber dafür, daß wir uns auch 1981 recht gut behaupten werden. Deshalb sollten wir uns vor Schwarzmalerei hüten.
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Dieses Land - das sage ich unseren Mitbürgern, nicht nur dem Hohen Hause - wird nicht im Elend versinken. Es gibt auch 1981 ganz gewiß Schlimmeres auf dieser Welt, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu sein.
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Ich glaube, daß sich die Aufgaben der 80er Jahre bei weitem nicht allein mit den Rezepten der unmittelbaren Nachkriegszeit lösen lassen. Qualitativ neue Probleme verlangen auch nach neuen inhaltlichen Antworten. Ich will mich dazu auf drei Bernerkungen beschränken.
Erstens. Wenn es heute gewichtige Argumente gegen Konjunkturprogramme gibt, dürfen wir uns doch nicht dem Wunderglauben hingeben, alles würde wieder von allein ins Lot kommen. Deshalb teilen wir die Auffassung von Finanzminister Matthöfer, daß uns die Sorge um die Arbeitsplätze nicht loslassen darf. Ich will übrigens einmal sagen: Die SPD ist nicht nur die Partei der Arbeitnehmer, also derer, die Arbeitsplätze haben, wir sind auch die Partei für die Arbeitslosen, also für die, die keine Arbeit mehr haben, in Zukunft aber neue Arbeit haben wollen.
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Ich füge hinzu, auch wenn die in früherer Zeit bewährten Instrumente jetzt nicht zur Verfügung stehen, kann es doch keinen Zweifel daran geben, daß hier ein Kernstück öffentlicher Verantwortung liegt, abgesehen von dem, was die Wirtschaft machen muß. Da sind Bund, Länder und Gemeinden angesprochen.
Ich tadele ungern und denke gerade, wo es um Herrn Rommel geht, nicht an Tadel. Ich sage einem meiner möglichen Nachfolger im Amt des Präsidenten des Deutschen Städtetages: Ich weiß, wie schwierig es für viele Städte ist. Wenn man aber weiß, daß die Städte in der Gesamtheit ihrer heutigen Finanzverfassung im Schnitt besser dastehen als Bund und Länder, dann muß geprüft werden, ob es unausweichlich ist, daß die Gemeinden mit zusammengenommen 15 Milliarden DM weniger Investitionen
ein negatives Konjunkturprogramm produzieren. Das ist aber nur ein Teil des Problems.
Zweitens. Wir befürworten nach vorn weisende Lösungen, reformerische Bemühungen im Sinne des Grundgesetzes und den Ausbau der Bundesrepublik zu einem demokratischen und sozialen Bundesstaat. Wir sagen dies nicht zum erstenmal. Solche reformerischen Bemühungen sind nicht ausschließlich an Wachstumsraten gebunden. Da es insgesamt nicht mehr zu verteilen gibt, bedeutet dies in mehr als einem Fall, daß wir uns um so mehr - so gut wir es können - um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit zu bemühen haben.
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Eine dritte Orientierung. Wenn es wirtschaftlich schwieriger wird, dann sollte alles, was mit den Problemen Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitverantwortung im wirtschaftlichen Leben zusammenhängt, nicht auf die leichte Schulter, sondern wichtiger und ernster als bisher genommen werden. Wir müßten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir hier das Rad zurückdrehen wollten.
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Ich denke dabei nicht allein an die Mitbestimmung in der Montanindustrie, obwohl wir das sehr ernst nehmen und überzeugt sind, daß sich bewährt hat, was Konrad Adenauer und Hans Böckler vor nunmehr fast auf den Tag 30 Jahren miteinander vereinbart haben. Mir liegt daran, in aller Loyalität deutlich zu machen: Wir haben bei den Koalitionsvereinbarungen skizziert, was jetzt für die Gesetzgebung ansteht. Wir haben nicht voll deckungsgleiche Auffassungen - wir hatten sie auch damals nicht, als wir der Regierung im Jahre 1951 zugestimmt haben - darüber, was weiter wird. Aber die Sozialdemokraten haben ihren freidemokratischen Partnern in aller Offenheit gesagt, was ich hier noch einmal sage: Das Gesetz, das wir von der Bundesregierung erwarten, betrachten wir nicht als ein einfaches Auslaufgesetz, sondern als ein Sicherungsgesetz.
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Wir wollen uns, weil j a bis 1987 Zeit ist, darum kümmern, welche Möglichkeiten, welche Notwendigkeiten einer Anschlußgesetzgebung es dann geben wird.
Aber viel wichtiger als dies ist für mich - da gibt es keine Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition und, ich glaube, auch nicht mit großen Teilen in der CDU - folgendes: Es ist von ganz großer Bedeutung, daß die Thematik, bei der ich jetzt bin, nicht unnötig eingeengt wird. Wir Sozialdemokraten wünschen zwei Dinge auseinanderzuhalten: Wir sind, wie jedermann auf Grund unseres Prinzipienprogramms weiß, im großen und ganzen - ein bißchen mehr so, ein bißchen mehr so - für ein paritätisches Modell in der Großwirtschaft. Aber wir Sozialdemokraten - dafür zeugt unser ganzer politischer Weg - sind zugleich für alle mehrheitsfähigen Schritte, die mehr Mitwirkung, mehr Mitverantwortung zu Wege bringen, und dieses nicht auf ein einziges Modell bezogen, sondern auf das, was praktikabel ist und was insgesamt in so schwierigen Zeiten dazu beitragen kann, daß es nicht mehr Streit, sondern, wo es geht, mehr Zusammenarbeit gibt zwischen denen, die gemeinsam die Wirtschaft ausmachen.
({22})
Ich habe gesagt, auch wenn es eine Binsenwahrheit ist, die Welt sei in einem rasanten Wandel. Ich füge hinzu: Vieles, was um uns herum geschieht, scheint ohne Orientierung zu sein, und hieraus ergeben sich zu einem guten Teil die Ratlosigkeit, die Ohnmachtsgefühle, die Neigung zum Pessimismus, die uns vielerorts begegnen.
Was hat sich seit dem November schon wieder alles verändert!
({23})
- Nicht die Kritik von Herrn Strauß. Die ist über die Jahre hinweg etwa gleich geblieben. Aber in der Welt: neuer Präsident in den USA, neue Entwicklungen im Nahen Osten;
({24})
Krise in Polen dauert an!
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Meine Damen und Herren, dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten gelten unsere guten Wünsche, ohne daß wir sagen könnten, daß seine Antworten auch einfach unsere Antworten sein können. Ein Bündnis ist dazu da, daß man gemeinsame Antworten findet.
Wir freuen uns von Herzen mit dem amerikanischen Volk darüber, daß die Geiseln wieder zu Hause sind.
({26})
Aber der Krieg zwischen Iran und Irak dauert an, und ob es wirklich sonst neue friedensregelnde Chancen im Mittleren und Nahen Osten gibt, bleibt offen.
Was die Krise in Polen angeht, so ist im Laufe der Monate, die hinter uns liegen, immer deutlicher geworden, daß man auf einer falschen gedanklichen Schiene war, wenn man dies zu einem Unterkapitel des Ost-West-Konflikts machen wollte. Wir können, verehrte Kollegen, nur dringend hoffen, daß das polnische Volk selbst mit seinen schweren Problemen fertig wird und sein neues inneres Gleichgewicht findet, Polens und Europas wegen.
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Ich könnte eine Vielzahl von Faktoren nennen und müßte auch ergänzen, was sich für uns damit an neuen offenen Fragen verbindet. Ich will mich statt dessen auf drei Fragen beschränken:
Erstens. Was wird aus den Beziehungen zwischen den Weltmächten? Was wird aus Ost und West? Was wird aus dem bisherigen ergebnislosen Bemühen um eine Begrenzung der Rüstungen?
Zweitens. Was wird aus Europa?
Drittens. Was wird aus Nord und Süd, aus Welthunger und der objektiven Notwendigkeit, die Beziehungen zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern auch in unserem eigenen Interesse neu zu regeln, was mehr bedeutet als Entwicklungshilfe?
Zur ersten Frage. Wir haben uns zu Ost-West in der Debatte über die Regierungserklärung geäußert. Wir sehen keine Notwendigkeit, unseren Standpunkt zu modifizieren. Wir wissen um die entscheidende Bedeutung der amerikanischen Politik für Europa, für die Bundesrepublik. Wir tun gut daran, uns sorgfältig zu orientieren und uns auf das einzustellen, was sich als amerikanische Politik herausbildet. Ich will auch nicht alte antiamerikanische Zitate von Herrn Strauß herausgreifen, die es ja gibt; das wollen wir alles beiseite lassen. Dabei - zusätzlich zu dem, was ich eben gesagt habe - bleibt dann auch unser überragendes Interesse an Verhandlungen und Vereinbarungen von zentraler Bedeutung. Hier hat heute morgen der bayerische Ministerpräsident meinem Kollegen und Freund Karsten Voigt Unrecht getan. Was hat denn Voigt an Fragen aufgeworfen? Voigt hat gesagt, oder er hätte sagen können,
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wenn er noch eingehender argumentiert hätte: Wer sich mit dem SALT-Abkommen vertraut gemacht hat, weiß, daß eines seiner Protokolle Ende des Jahres 1981 ausläuft und sich daraus inhaltlich etwas ganz Wichtiges für das ergibt, was mit den Waffen in Europa zusammenhängt. Er hat zweitens gesagt: Was ergeben sich, wenn das globale Gleichgewicht, von dem man hoffte, es würde durch SALT II festgeschrieben, dort nicht festgeschrieben wird - bisher wird es j a quasi durch adäquates Verhalten festgeschrieben -,
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dann für Konsequenzen in bezug auf das regionale Gleichgewicht?
Ich hoffe - jenseits aller Polemik -, daß es für beide Weltmächte nach einer nicht zu langen Übergangszeit Möglichkeiten geben wird, an das anzuknüpfen, worüber im Oktober und November vergangenen Jahres in Genf ohne Beteiligung der Öffentlichkeit vorberaten worden ist. Ich hoffe übrigens auch nicht, daß das verkümmert, worüber jahrelang in Wien beraten worden ist und zur Zeit in Madrid weiter gesprochen wird.
Nur muß eines klar bleiben: Einen kurzen Weg auf diesem unendlich schwierigen, zugleich lebenswichtigen Gebiet der Rüstungsbegrenzung gibt es nicht. Ein einseitiges Vorgehen, j a einen einseitigen Ausstieg gibt es für uns als Bundesrepublik Deutschland schon gar nicht, sondern es gibt - ob es uns Spaß macht oder nicht - nur solche Wege, die wir mit unseren Bündnispartnern, vor allem mit unseren europäischen Partnern, gemeinsam gehen können.
Es gibt in unserem Volk und bei einem Teil der jungen Generation verständliche Sorgen. Es wäre doch ein Wunder, wenn sich das nicht auch bei den
Beratungen von Kollegen dieses Hauses widerspiegelte: Es geht nicht, solche Sorgen, wie ich sie in einer großen Frankfurter Zeitung gelesen habe, als Abrüstungspazifismus fast lächerlich zu machen oder, wie es Herr Strauß heute früh mit seiner Rede über pazifistische Ideologie und pazifistischen Neutralismus getan hat, über die tiefernste, todernste Problematik hinwegzugehen.
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Wir sind in diesem Deutschen Bundestag hoffentlich alle miteinander keine Militaristen. Wir wären hoffentlich alle miteinander von Herzen glücklich, wenn wir in der praktischen Politik und nicht nur in der Gesinnung Pazifisten sein könnten.
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Übrigens, Herr von Weizsäcker: Auf einem Gebiet ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen. Sie haben unter dem Rubrum „Aufweichungserscheinungen" Sozialdemokraten in einigen kleineren NATO-Ländern genannt, an erster Stelle die in Norwegen. Lieber Herr von Weizsäcker, wissen Sie, bei wieviel innenpolitischer Diskussion die norwegische Regierung ein Abkommen über die amerikanischen Depots vor 14 Tagen durchgesetzt hat? Das geht über das hinaus, wozu sie verpflichtet war. Sie hat doch eine große Anstrengung gemacht. Wenn der sozialdemokratische norwegische Ministerpräsident zu der vom finnischen Präsidenten vorgeschlagenen atomwaffenfreien Zone für die nordischen Länder nicht sagt: „Nein, das geht nicht", sondern sagt: „Wenn die Kola-Halbinsel und die Ostsee einbezogen werden könnten, dann könnte man über die Sache weiterdiskutieren", dann darf man das, bitte schön, nicht unter die Rubrik „Aufweichungstendenzen" bringen.
({32})
Wir deutschen Sozialdemokraten stehen, wie die Welt aussieht, zu den Verpflichtungen unseres Staates im Bündnis. Wir stehen zu der Rolle, die die Bundeswehr für die Politik der Friedenssicherung zu spielen hat.
Ich füge hinzu: Auch der Verteidigungshaushalt ist nicht sakrosankt. Er steht nicht außerhalb dessen, was durch ein Parlament kritisch zu begleiten ist. Aber eine Bundessparkasse ist er nicht. So sieht die Welt nicht aus.
({33})
Ich bekunde für meine Fraktion gerade heute und in dieser Situation unsere Verbundenheit mit dem Bundesverteidigungsminister Hans Apel.
({34})
Wir werden ihn nicht alleinlassen, auch dann nicht, wenn es einmal schwierig ist. Wir wissen: Er ist Manns genug, für schwierige Dinge die politische Verantwortung zu übernehmen und das in Ordnung zu bringen, was in Ordnung gebracht werden muß. Wir wünschen ihm jeden möglichen Erfolg dabei.
({35})
Was Europa angeht: Was der Bundesfinanzminister über die Agrarprobleme gesagt hat, war aus meiner Sicht gut. Er hat am vorigen Freitag zu Recht auf die Notwendigkeit einer nach innen und außen handlungsfähigen Europäischen Gemeinschaft hingewiesen und den engen Zusammenhang deutlich gemacht, der zwischen den knapper gewordenen Gemeinschaftsmitteln und den lawinenartig ansteigenden Kosten für die gemeinsame Agrarpolitik besteht. Soll die Gemeinschaft nicht an ihren Butterbergen und Zuckerhalden ersticken, so muß die Reform des Agrarmarkts noch in diesem Jahr auf den richtigen Weg gebracht werden. Jedenfalls müssen die ersten Schritte dazu getan werden.
({36})
Die neue EG-Kommission unter Vorsitz von Herrn Thorn steht in der Pflicht, bis Mitte 1981 entsprechende Vorschläge zu machen. Danach wird es in starkem Maß gerade auch von der Bundesregierung abhängen, ob im Ministerrat ein angemessener Ausgleich der unterschiedlichen nationalen Interessen gefunden werden kann. Erst wenn die Möglichkeit einer wirksamen Umstrukturierung des EG-Haushalts besteht, ergibt sich aus meiner Sicht ein Sinn, über eine künftig durchaus einmal notwendig werdende Ausweitung des bestehenden Finanzrahmens der Gemeinschaft zu sprechen, eher nicht.
Meine Damen und Herren, sodann auch anknüpfend an das, was der Bundesfinanzminister am Freitag gesagt hat: Festigung und weiterer Ausbau der Europäischen Gemeinschaft. Das wirft die Frage nach den Institutionen auf. Es wirft auch die Frage nach der Rolle des Europäischen Parlaments auf. Man kann nicht - nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich es ein bißchen spitz formuliere - ein Europäisches Parlament direkt wählen lassen
({37})
und dann meinen, man könne es mit den dekorativen Befugnissen eines Obersten Sowjets abspeisen.
({38})
Was es aus Anlaß der Haushaltsbeschlüsse im Dezember in einigen Ländern, nicht in der Bundesrepublik Deutschland, an Formulierungen gab, mag zur Not aus den Bedürfnissen des französischen Wahlkampfes erklärt werden können. Es ändert aus meiner Sicht nichts an der Rechtmäßigkeit des von Frau Simone Veil ausgefertigten Haushalts der Gemeinschaft. Im übrigen täten alle Regierungen gut daran, die letzte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs anzuschauen, der sich über das künftige Verhältnis zwischen Rat und Europäischem Parlament deutlich äußert. Wenn man keinen Streit will, dann sollte das Konzertierungsverfahren zwischen Parlament und Rat verbessert werden, denn nur wenn dieses Konzertierungsverfahren verbessert wird, werden der Gemeinschaft unnötige Belastungen erspart.
Ich höre weiter, was der Bundesaußenminister und Vizekanzler zum Thema der politischen Union aktualisiert. Ich denke, ich bin mit ihm einer Meinung: Das kann nicht eine Union der Bürokratien sein. Das muß alle Institutionen der Gemeinschaft umfassen und für die etwas bedeuten, die Europa tragen sollen, die Menschen in unseren Ländern. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Konturen dessen, was die Regierung hier im Köcher hat, klarer würden. Dabei würde ich es aus mehrfachen Gründen für im höchsten Maße erwünscht halten, wenn die gesamteuropäischen Probleme, aber auch die der Nord-Süd-Politik weit mehr als bisher zum Gegenstand gemeinsamer Beratungen und Entscheidungen würden. Ich wünsche der Regierung gerade auf diesem Gebiet viel Mut und Beharrlichkeit und sage zu, daß wir bemüht sein werden, sie durch konstruktive Beiträge zu unterstützen.
({39})
Drittens: Nord-Süd. In der Rede von Herrn Matthöfer war der zunächst überraschende Satz: Trotz allem, was wir da kennen, müssen wir die Entwicklungsländer ermutigen, zu investieren, gerade wo es um Energie geht. Ich sage jetzt einmal: Zu dem wenigen Erfreulichen, was im letzten Jahr passiert ist, gehört, daß es vielleicht doch möglich sein wird, als Teil der Weltbankgruppe ein Finanzierungsinstitut für die Erschließung und Entwicklung bisher ungenutzter Energien in den Entwicklungsländern zu schaffen. Bis vor wenigen Jahren hat es mächtige Kräfte gegeben, die interveniert haben, wenn so etwas von der Weltbank gemacht werden sollte. In manchen Ländern steht viel Energie zur Verfügung, in manchen afrikanischen Ländern mehr, als sie selbst brauchen, um vom Öl unabhängig zu werden.
Ich habe mir auch genau gemerkt, was gegen Schluß der Rede des Bundesfinanzministers - und über die sprechen wir in einer solchen Debatte ja in erster Linie -- in einem Passus steht: Wir sollen, wollen, müssen helfen, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit der Völker der Dritten Welt langfristig zu sichern, müssen die demokratischen Reformkräfte stärken und jedes Vormachtstreben ablehnen. Das ist eine gute Orientierung, so schwierig das ist. Das gilt dann auch für Zentral- und für Südamerika. Ich komme in diese Sitzung von einem Gespräch -mit einer Gruppe aus Brasilien, die ihrer Herkunft nach eher bei den Christlich-Sozialen als bei den Sozialdemokraten anzusiedeln . ist und die mir noch einmal klargemacht hat, wie sehr diesen Ländern daran liegt, ihren eigenen Weg zu finden - nicht unseren Weg einfach zu übernehmen; wir wollen j a auch unseren eigenen Weg gehen. Hier bleibt für uns eine riesige Aufgabe.
Ich habe dieser Tage einen interessanten Bericht gelesen, der mich nachdenklich gestimmt hat. Das ist ein Bericht von dem, was der Außenminister Muskie - den manche von uns schon ganz gut kannten, als er noch Senator war - wenige Tage vor seinem Rücktritt gesagt hat, gewissermaßen seine Bilanz. Dort heißt es:
Muskie hatte zur Überraschung seiner großen Zuhörerschaft in Washington ein in den USA eher unpopuläres Thema gewählt, nämlich die Beziehungen zur Dritten Welt und die Bedeutung des Auswärtigen Dienstes.
Das zweite lasse ich jetzt einmal weg. Ich bestreite nicht die Bedeutung des Auswärtigen Dienstes, aber ich nehme einmal das erste, und da zitiere ich diesen verdienten, erfahrenen, langjährigen Senator, der dann kürzere Zeit Außenminister war, weil er seinen Präsidenten nicht allein lassen wollte:
Durch die Unabhängigkeit zahlreicher Entwicklungsländer habe sich die Machtverteilung in der Welt nicht zugunsten der Supermächte, sondern zugunsten der Dritten Welt verschoben. Die amerikanische Außenpolitik müsse endlich beginnen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen.
Er führt das dann im einzelnen aus, und dann kommt die folgende Passage:
Als Konsequenz dieser Entwicklung stellte Muskie fest, daß Waffen und eine ausreichende Verteidigung allein keine Antwort seien. Erforderlich sei vielmehr, daß die Industrieländer mehr Verständnis für die Aspirationen der Länder der Dritten Welt und umgekehrt die Dritte Welt mehr Verständnis für die Industrienationen aufbrächten.
Als ich dies und das, was sonst noch drin stand, las, habe ich mich gefragt - auch selbstkritisch -: Warum müssen Regierungschefs und Außenminister erst aus dem Amt ausscheiden, bevor sie die volle Bedeutung der Nord-Süd-Probleme erkennen? Ich sage dies nicht nur an die Adresse anderer,
({40})
aber ich nehme dies einmal als aktuellen Aufhänger. - Ich finde nicht, daß das etwas zum Lachen ist.
In Wirklichkeit ist es doch so: Jeder der Beteiligten hat so schrecklich viel zu tun, daß diese neue Dimension der Weltpolitik noch nicht voll zum Tragen kommt, was j a schon in der Terminologie zum Ausdruck kommt. Wir sprechen immer noch von „Entwicklungshilfe", wo es längst um Entwicklungspolitik geht; Hilfe spielt dabei mit eine Rolle.
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- Das scheint einer lustig zu finden. Das ist dem Inhalt nach etwas völlig anderes. Wenn Sie das nicht begreifen, dann tut mir das herzlich leid.
Es gilt nämlich, herauszufinden, was uns zu beschäftigen hat, nicht nur aus mitmenschlichem Interesse, sondern auch auf Grund eines gesunden Eigeninteresses, auf Grund eines Versuches, die beiderseitigen Interessen herauszuarbeiten, und auf Grund des - hoffentlich überragenden - beiderseitigen Interesses am Überleben.
Meine Damen und Herren, da hat es jetzt manches gegeben über Diskussionen in der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion,
({42})
über die Frage: Läßt sich - und wenn j a, auf welche
Weise - die Thematik der Rüstung mit der der Entwicklung koppeln? Wir haben in dieser Debatte unsere Kollegen, die diese Frage aufgeworfen haben, weitgehend davon überzeugt, daß dies isoliert eben nicht geht, sondern daß die deutsche Politik ansetzen muß, um weltpolitisch die Voraussetzungen dafür schaffen zu helfen, daß, wenn es irgend geht, noch in den 80er Jahren, sonst in den 90er Jahren, die Möglichkeit da ist zu sagen: Weil Rüstungen begrenzt werden, kann ein Teil dessen, was sonst zusätzlich für Rüstungen aufgewendet würde, für Zwecke der Entwicklung eingesetzt werden. Das ist die Linie unserer Diskussion. Die Zielrichtung dessen, was eine Reihe von Kollegen bei uns auf geworfen haben, ist doch nicht falsch. Sie ist doch richtig.
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Ich lasse meine Kollegen, die auf diesem Gebiet ungeduldiger sind als andere, nicht verdächtigen, was ihre Motive angeht.
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Ich gebe sie keiner bösartigen Kritik preis; denn das haben sie nicht verdient.
Im übrigen begrüße ich, daß die Bundesregierung so deutlich gemacht hat, wie sie es getan hat, daß sie keine überstürzten Entscheidungen zur Frage der Waffenexporte fällen werde. Ich mache mir das nicht leicht. Ich sage nur schon jetzt: Zu meinen, man habe das Problem beantwortet, wenn man sage, man müsse andere Kriterien durch die Definition des jeweiligen nationalen Interesses ersetzen, könnte dem Einwand einiger begegnen, die sagen, bis zum Beweis des Gegenteils liege es im nationalen deutschen Interesse, so wenig wie möglich in das internationale Waffengeschäft verstrickt zu werden.
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Meine Damen und Herren, ich glaube, unsere Auseinandersetzungen gewännen an Tiefe und an Ernst, wenn wir uns einmal vorstellten, was in zehn Jahren diejenigen sagen werden, die heute acht Jahre alt sind und dann im Wahlalter stehen. Sie werden sich fragen: Haben die sich damals im Jahre 1981 die richtigen Alternativen gestellt? Wer von denen hat - so mögen manche von ihnen dann fragen - noch am ehesten erkannt, was dann in den kommenden Jahren wirklich wichtig geworden ist? Wer von den damaligen politischen Kräften - also den heutigen - hat sich der Themen angenommen, die heute für uns wichtig sind? Welche der politischen Kräfte in unserem Land hat es sich eigentlich mit sich selbst und damit mit den Problemen, die uns im Jahre 1981 betreffen, schwerer gemacht als andere?
Ich weiß die Antwort auch nicht. Ich bin kein Hellseher. Aber ich bin aus meiner Lebenserfahrung heraus zuversichtlich, das diejenigen, die es sich heute schwer machen, vielleicht zu denen gehören, die für die Bürger des Jahres 1991 auch was erreichen.
Nicht zuletzt aus diesem Mut zur politischen Unbequemlichkeit hat übrigens die Koalition zwischen den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten ursprünglich Kraft gewonnen und kann sie diese
Kraft hoffentlich noch eine ganze Weile immer wieder neu gewinnen.
Meine Damen und Herren, wir tun unserem Volk keinen guten Dienst, wenn wir den Eindruck erwekken, es gäbe einfache Antworten. Aber die Menschen sollen wissen: Diese unsere Regierung Helmut Schmidt mit dem Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher
({46})
wird sich darum bemühen, ihre stetige und berechenbare und zukunftsorientierte Politik fortzusetzen.
({47})
Und sie wird dabei, auch wenn es noch so schwer ist und wird, unsere volle Unterstützung haben.
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Und dann auch noch dies, meine Damen und Herren:
({49})
Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der wirklich stabilen Elemente der Weltpolitik.
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Es ist gut, wenn es in schwieriger Zeit hier im Haus und anderswo mehr Bereitschaft gibt, aufeinander zu hören.
Es bleibt meiner Überzeugung nach dabei, daß die sozialliberale Koalition geeignet ist, für die Stabilität im Innern und für die Sicherheit nach außen zu sorgen. Das wollen wir dann auch tun. - Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Ich denke, daß es der Bedeutung Berlins gerecht wird, daß die Redner, die eben und vor der Mittagspause das Wort ergriffen haben, ausgehend von Berlin und ausgehend von den Problemen der Deutschen auch die Fragen der Außenpolitik untersucht haben.
Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß Berlin - wir haben das alle in den letzten Monaten mit großer Sorge beobachtet - sich in einer schweren Krise befindet. Das muß uns besonders anrühren. Zu Recht hat der Regierende Bürgermeister, Jochen Vogel, heute mittag vor dem Bundeskabinett gesagt: Berlin, das ist wirklich keine Stadt wie jede andere.
({0})
Wenn Sie zustimmen, können Sie j a klatschen, Herr Haase; da brauchen Sie nicht verzagt zu sein, wenn Ihnen niemand folgt, wenn Sie das tun.
({1})
Ich glaube, daß in dieser schwierigen Lage die Entschlossenheit der Parteien des Abgeordnetenhauses von Berlin, Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus so schnell wie möglich gemeinsam herbeizuführen, die einzig denkbare demokratische Antwort ist.
({2})
Der Senat von Berlin hat gestern den Herrn Präsidenten des Abgeordnetenhauses darum gebeten, mit den Parteien des Abgeordnetenhauses über diesen Termin mit dem Ziel zu sprechen, die Wahlen weit früher abzuhalten, als sie bei Durchführung des sehr komplizierten Verfahrens, das durch das Volksbegehren eingeleitet worden ist, abgehalten werden könnten.
Es ist verdienstvoll, daß Politiker aus dem Bund und aus den Bundesländern sich für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, für das Amt des Bürgermeisters, für die Ämter der Senatoren zur Verfügung gestellt haben, um dieser Stadt bis zum Tag der Neuwahlen einen handlungsfähigen Senat in schwieriger Lage zu geben.
({3})
Dieser Senat verdient die Unterstützung des ganzen Deutschen Bundestages. Dann wird der Wähler in Berlin zu entscheiden haben, wer für die Zukunft die Verantwortung zu tragen hat.
Ich finde, es ist nicht angemessen, im Zusammenhang mit der Bereitschaft von Politikern von hohem Ansehen - das gilt für den Regierenden Bürgermeister Vogel genauso wie für den Bürgermeister Dr. Brunner und die anderen Mitglieder des Senats - von „Importen" und „Exporten" zu sprechen.
({4})
Ich finde, ein Engagement für Berlin ist eine Sache, die Unterstützung von jedem verdient, ganz gleich in welchem politischen Lager er steht. Deshalb habe ich auch immer, Herr Kollege von Weizsäcker, es zu schätzen gewußt, daß auch Sie sich für Ihre Partei in Berlin zur Verfügung gestellt haben.
({5})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, sehr gern, natürlich.
Zuerst Graf Stauffenberg und dann Herr von Weizsäcker.
Herr Bundesminister, nachdem es im Zusammenhang mit den bevorstehenden Berliner Wahlen heute morgen schon einen Dialog über den Begriff „Schlachtfest" gegeben hat, darf ich Sie fragen, ob Sie zu dieser Terminfrage
inzwischen auch schon ein klärendes Gespräch mit Ihrem Koalitionspartner in Berlin geführt haben, ob das Zitat vom Sonntagabend in den ZDF-Nachrichten von Herrn Willy Brandt zutrifft oder nicht zutrifft, das wiedergegeben worden ist - ich zitiere -:
Also, ich selbst halte j a das mit dem 17. Juni für leicht geschmacklos.
Und dann weiter:
Ich sage das als einer, der den 17. Juni 1953 noch in ganz frischer Erinnerung hat und sich eigentlich schwer vorstellen kann, wie man am sogenannten Tag der deutschen Einheit ein innerpolitisches Schlachtfest in West-Berlin aufführt.
({0})
Herr Kollege Graf Stauffenberg, ich denke, wenn Sie die Debatte heute über den ganzen Tag schon verfolgt haben und hier anwesend gewesen sind, werden Sie sich erinnern, daß der Herr Kollege Brandt - in Form einer Zwischenfrage, glaube ich, war es - klargestellt hat, wie sein Verständnis dieser Bemerkung ist, die er da im Zweiten Deutschen Fernsehen gemacht hat.
({0})
- Ich würde ganz gern Herrn Kollegen Graf Stauffenberg umfassend antworten dürfen.
Sehen Sie, Graf Stauffenberg, Berlin stellt j a mehr als nur kommunalpolitische Aufgaben. Ich denke schon, daß, wenn der Wahltag in den Monat Juni hineinfallen würde, es dann angemessen wäre, einen Tag zu nehmen, der Symbol der Freiheit in Deutschland und in Europa ist. Ich denke, daß demokratische Wahlen ein solcher Ausdruck von Freiheit sind. Aber wenn es eine Verständigung unter den Parteien geben sollte, den Wahltag mit Abstand früher festzulegen, dann werden wir die letzten sein, die sich den Vorwurf zuziehen, wir wollten mit dem Hinweis auf den 17. Juni den Wahltag über Gebühr verzögern.
({1})
Da werden Sie uns immer auf der richtigen Seite finden. Deshalb hat der Senat von Berlin - der Senat Vogel - Brunner - ja in seiner Eigenschaft - ({2})
- Also, Herr Kollege, da unterscheiden wir uns eben voneinander. Ob es ein Übergangssenat ist oder nicht, wie Sie wünschen und hoffen, das entscheiden nicht Sie, das entscheide nicht ich, das entscheiden allein die Berliner an dem noch festzulegenden Tage.
({3})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Graf Stauffenberg?
Ich würde ganz gern, nachdem eine Frage von der CSU gestellt worden ist, nun auch mal einem Vertreter der CDU Gelegenheit geben, mir eine Frage vorzulegen.
Zu einer Zwischenfrage Herr von Weizsäcker.
Herr Bundesaußenminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich, als ich vor der Mittagspause in meinem Beitrag von „Importen" gesprochen habe, nicht meine eigene Meinung über Importe menschlicher oder sächlicher Art zum Ausdruck gebracht, sondern die „Prawda" zitiert und mich dabei zugleich von der „Prawda" distanziert habe?
Ich habe ja gar nicht gesagt, verehrter Herr Kollege, daß Sie sich das zu eigen gemacht haben; aber es wird ja wohl noch erlaubt sein, sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen, der - mit und ohne „Prawda" - im Augenblick durch die öffentliche Landschaft schwirrt und wo ich gern eine Klarstellung bringen möchte.
({0})
Wenn wir in dieser Frage übereinstimmen, ist das ein Gewinn dieser Debatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, daß es verdienstvoll war, daß Herr Kollege Brandt im Zusammenhang mit den sicherheitspolitischen Problemen, mit den Fragen der Rüstungskontrollpolitik und anderen jene nachdenkliche Frage aufgeworfen hat, die ohne Zweifel auch Gegenstand der Diskussionen in unserem Lande ist. Der Deutsche Bundestag würde ganz sicher seine Aufgabe versäumen, wenn er nicht die Voraussetzungen und die Notwendigkeiten unserer Sicherheit offen, sich mit anderen Argumenten auseinandersetzend, diskutieren würde.
Herr Kollege von Weizsäcker hat heute vormittag kritisiert, der Bundeskanzler verweigere sozusagen geistige Führung. Ich habe bei all diesen Diskussionen manchmal das Gefühl gehabt, daß hier eher ein Begriffs- als ein Inhaltsstreit vorhanden ist. Wenn Sie der Auffassung sind, daß es zur geistigen Führung gehört, in unserem Volk und in der Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit dessen hinzuweisen, was wir brauchen, um unsere Sicherheit zu garantieren, stimme ich Ihnen zu; aber da können Sie dem Bundeskanzler nun wirklich nicht vorwerfen, daß er sich in dieser Frage nicht zu Wort melde. Die Frage: Nachrüstungsbeschluß - ja oder nein, eine Frage, die im Augenblick wieder in der Diskussion ist, ist doch nicht etwas, was andere dem Bundeskanzler aufgedrängt haben, sondern das ist ein Problem, auf das er zuerst hingewiesen und die deutsche Öffentlichkeit vorbereitet hat. Schließlich hat er erreicht, daß wir uns in einem großen Konsens - politisch hier in diesem Hause, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit - für das entscheiden konnten, was notwendig ist, damit wir die eigene und gemeinsame Sicherheit des Bündnisses garantieren können. Das
ist geistige Führung ohne autoritäre Inanspruchnahme von Titeln und Positionen.
({1})
Ich stimme ganz dem zu, was der Herr Kollege von Weizsäcker heute über den Willen und die Bereitschaft zu mehr Mitgestaltung und Mitverantwortung gesagt hat. Dieser Wille wird in unserer Gesellschaft sichtbar und erkennbar. Er äußert sich auf vielfältige Art und Weise, die ich positiv empfinde. Er äußert sich an manchen Stellen in einer Weise, wo die Berechtigung nicht zu bestreiten ist, die Zielrichtung aber absolut im Gegensatz zu dem steht, was wir als Auffassung vertreten; denken Sie etwa an Hausbesetzungen und ähnliches. Wir haben, so meine ich, eine Entwicklung in unserem Lande, die dahin geht, daß viele unserer Bürger - ich bin sehr froh darüber, sagen zu können: viele junge Menschen - mehr Freiheit, mehr Verantwortung und mehr Menschlichkeit wollen. Hierhin gehört übrigens auch der Wille, über gesündere Lebensbedingungen mitzuentscheiden. Wir können dabei helfen, indem wir zum Abbau von Staatstätigkeit beitragen, indem wir Dezentralisierung begünstigen, um Initiative und Wandel zu ermöglichen. Denn es gibt überhaupt keinen Zweifel: Dieser große befreiende Impuls, der sichtbar wird und der sich in richtigen und auch in von uns für falsch gehaltenen Mitteln und Zielen äußert, ist notwendig, um mehr Verantwortung und Freiheit in dieser Gesellschaft erreichen zu können.
Nun, meine Damen und Herren, wenn so etwas dann sichtbar wird, dann muß man auch Probleme, die sich daraus ergeben können, offen, auch wenn sie unbequem sind, akzeptieren und sich ihnen stellen. Wir haben in der Koalition, in der Bundesregierung eine Diskussion - wir werden sie auch im Deutschen Bundestag haben - über die, wie ich zugebe, sehr schwierige Frage der Verbandsklage gehabt, die manches Problem im Einzelfall schaffen mag und die mancher bürokratischen Entscheidung zunehmende und zusätzliche Überzeugungskraft abverlangen wird. Aber der mitdenkende, der mithandelnde, der mitentscheidende Bürger ist nun einmal unbequem aus sich heraus. Meine Damen und Herren, da sind wir doch sicher einer Meinung: Machtausübung in Staat und Gesellschaft darf für die, die sie ausüben, niemals bequem sein. Denn Bequemlichkeit ist in Wahrheit die Schlaftablette für die Demokratie - hier und anderswo auch.
({2})
Ich meine, daß wir in einer Zeit, in der mit Recht darauf hingewiesen wird, daß wir an die Grenzen des Möglichen gestoßen sind, stärker das Verständnis dafür wecken müssen, daß Reform nicht eine Frage voller Kassen ist. Es gibt j a Leute, für die heißt Reform mehr Geld für immer mehr Leute ausgeben. Sie vergessen dabei, daß als Folge davon immer mehr Leute immer weniger von ihrem Arbeitseinkommen behalten würden.
({3})
Niemand in diesem Lande will das in Frage stellen,
was für unseren sozialen Rechtsstaat erreicht worden ist, wobei wir alle wissen, daß es nicht eine vollkommene sozialstaatliche Ordnung ist. Da gibt es manches auszufüllen, da gibt es vieles fortzuentwikkeln. Trotzdem müssen wir erkennen, daß die Frage, ob die Grenzen sichtbar werden oder nicht, nicht nur eine materielle ist, sondern daß es auch darum geht, Raum für Selbsthilfe, Raum für Initiativen der Hilfe zu lassen, die von Freiwilligkeit getragen und auch von Individualität geprägt sind. Wenn man das ersticken würde, würde man ein Stück Freiheit erstikken. Deshalb wollen wir dazu beitragen, daß leere Kassen nicht als ein Argument gegen Reformen benutzt, sondern als ein Impuls zu freiheitlicher Reform empfunden werden. Zu dieser freiheitlichen Reform gehört, daß wir immer wieder überzeugungskräftig unseren Staat und unsere Gesellschaft erhalten. Herr Kollege Brandt hat das in bezug auf Staaten der Dritten Welt gesagt; ich denke, es gilt für die Industriestaaten genauso. Die Frage der Sicherheit nach innen und außen ist nicht allein eine Frage der militärischen Stärke, es ist auch eine Frage der inneren Stabilität, der Freiheitlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit.
({4})
Nur wo das vorhanden ist, wird die Gesellschaft als verteidigungswürdig empfunden. Das ist einer der Gründe, warum wir in dieser Bundesrepublik Deutschland immer ausgehend von der Forderung des Grundgesetzes nach einem freiheitlichen Rechts- und Sozialstaat gehandelt haben.
Hierher gehört auch das von Herrn Kollegen Brandt noch einmal erwähnte Thema der Mitbestimmung. Ich habe anläßlich der Debatte über die Regierungserklärung gesagt: Wenn es darum geht, Rechte des einzelnen in seinem Arbeitsbereich zu stärken, kann man mit uns einen langen Weg gehen. Da ist noch vieles zu schaffen. - Das Thema, das wir im Augenblick in der Koalition diskutieren, wird sich auch an der Frage entscheiden müssen, wieweit die beiden Seiten der Regierungskoalition bereit sind, im Wahlverfahren der Fähigkeit des Arbeitnehmers zur Selbstbestimmung im Unternehmen Rechnung zu tragen. Da ist Selbstbestimmung die höchste Form der Mitbestimmung. Das ist der Grund, warum sich manche dabei vielleicht manchmal ein bißchen schwertun.
({5})
Aber in der Zielsetzung, hier soziale Demokratie zu praktizieren und zu verwirklichen und zu verbessern, sind wir ganz einig, und das brauchen wir auch, wenn wir die sehr schwierigen Fragen der Anpassung unserer Volkswirtschaft an die internationale Entwicklung beantworten und die damit zusammenhängenden Probleme bewältigen wollen.
Herr Kollege Brandt hat den Bundeswirtschaftsminister dankenswerterweise vor sehr unberechtigten und ungerechtfertigten Angriffen in Schutz genommen, die er ertragen mußte. In Wahrheit hat er ja nur darauf hingewiesen, daß wir uns als ein Land der Marktwirtschaft, als ein Land der offenen Weltwirtschaft nach innen und außen dem internationalen Konkurrenzdruck stellen müssen und daß es darum geht, unsere Marktposition auf fremden Märkten, aber auch gegenüber der fremden KonkurBundesminister Genscher
renz auf dem eigenen Markt zu behaupten. Das bedeutet Innovationsfähigkeit, das bedeutet Befreiung der Wirtschaft von Hemmnissen
({6})
dort, wo sie heute bürokratisch vorhanden sind, und das bedeutet Leistung und Leistungswille des einzelnen.
({7})
Meine Damen und Herren, der sogenannte JapanSchock darf eben nicht zur wirtschaftlichen Lähmung oder gar zum Protektionismus führen; er muß für eine Neubesinnung genutzt werden, die uns wettbewerbsfähig macht und die Wettbewerbsfähigkeit dort, wo sie verlorengeht oder verlorengegangen ist, wiederherstellt. Ich meine das jetzt nicht nur so, wie es vordergründig im Augenblick in bezug auf die j a-panische Konkurrenz diskutiert wird. Es gibt j a immer neue Problemstellungen, die alle anderen Probleme, die es in der Welt gibt, verdrängen. Wer nur über Japan redet und glaubt, alle Probleme seien schon erledigt, wenn man mit Japan seinen Ausgleich fände, der wird schlimme Dinge erleben.
Wir alle bekennen uns zur Hilfe für die Dritte Welt. Es gehört zu den großen Vorzügen der Aussprachen, die wir hier im Deutschen Bundestag gehabt haben, daß wir Hilfe für die Dritte Welt niemals nur als öffentliche Entwicklungshilfe verstanden haben, sondern daß wir Hilfe für die Dritte Welt auch als Öffnung der Märkte der Industrieländer für Halbfertigwaren und Fertigwaren aus Staaten der Dritten Welt verstehen, und daß wir eben Schluß machen mit der Vorstellung, die Staaten der Dritten Welt hätten ihre Funktion in der Weltwirtschaft darin zu sehen, daß sie Rohstoff- und Energielieferanten sind. Nein, wenn sie gleichberechtigt in unser freies Weltwirtschaftssystem eingeordnet werden sollen, dann müssen sie auch die gleichen Marktchancen bekommen, auch wenn das schwierige strukturelle Anpassungsprozesse in den Industriestaaten nach sich ziehen wird.
({8})
Da muß ich sagen, daß nicht nur auf dem Feld der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen, sondern auch bei der Marktöffnung die sozialistischen Staaten schnellstens einen erheblichen Nachholbedarf erfüllen müssen. Man muß bedenken, daß weniger als 5 % der Exporte der Staaten der Dritten Welt in die sozialistischen Staaten gehen, aber über 70 % in die marktwirtschaftlichen Staaten; der Rest ist Austausch der Entwicklungsländer untereinander.
Herr Kollege Brandt hat darauf hingewiesen, welche große Aufgabe im Nord-Süd-Dialog liegt. Wir sind im Moment dabei, die globalen Verhandlungen - wie wir hoffen - konstruktiv zu gestalten. Meine besondere Hoffnung ist, daß der für Mexiko im Sommer vorgesehene Nord-Süd-Gipfel diesen globalen Verhandlungen Impulse geben kann. Wenn ich wieder nach Wien zur zweiten Außenminister-Vorbereitungskonferenz gehen werde, werde ich genauso wie beim erstenmal sehr darauf drängen, daß in den
Kreis der Einzuladenden auch Staaten wie die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten und auch die Volksrepublik China einbezogen werden, schon um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, daß hier eine gemeinsame Verantwortung der nördlichen Staaten, der Industriestaaten, gegenüber dem Süden besteht.
Es geht also darum, daß wir uns hier in der Bundesrepublik Deutschland bewußt sind, daß wir durch eine Sicherung und Garantie unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit - nichts anderes hat der Kollege Graf Lambsdorff immer wieder sagen wollen - dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit dieses Landes so zu stärken, daß es seinen Aufgaben gerecht werden kann. Das alles brauchen wir ganz besonders deshalb, weil wir zusammen mit den anderen westlichen Staaten einer großen Herausforderung gegenüberstehen.
Meine Damen und Herren, wir stehen in einer Phase, in der sich neuerlich zu entscheiden hat, ob es zu einer neuen Konfrontation zwischen West und Ost, zwischen Nord und Süd oder ob es zur Kooperation kommen wird. Wir können nicht übersehen, daß die Sowjetunion inzwischen zu einer globalen Militärmacht geworden ist, mit globalen Machtansprüchen, denen wir uns weltweit gegenübersehen.
Das alles ereignet sich in einer Zeit, in der die Staaten der Dritten Welt zu Recht eine gleichberechtigte Teilnahme an der Weltpolitik und der Weltwirtschaft fordern; es ereignet sich in einer Zeit, in der in vielen Regionen der Dritten Welt die Konflikte um die innere Stabilität zunehmen, in einer Zeit, in der die Unsicherheit der Energieversorgung durch Konflikte in solchen Gebieten, in denen Energiequellen für uns vorhanden sind, erhöht wird, in einer Zeit, in der Energiekrise, Zahlungsbilanzungleichgewichte, Inflation und Wachstumsschwäche in den Industrieländern nachhaltig schlechte Wirkungen auch auf die Staaten der Dritten Welt haben.
Angesichts einer solchen Weltlage kommt der Sicherung der außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Bedingungen für Frieden und Freiheit die oberste Priorität zu. „Frieden und Freiheit", man könnte auch sagen „Frieden in Freiheit", das war es, was der amerikanische Außenminister Haig ausdrücken wollte, als er formulierte „Es gibt noch mehr als Frieden". Das sollte nicht heißen, daß es Wichtigeres gibt; aber daß Frieden in Freiheit wichtig ist, ist ganz unbestritten.
({9})
Es ist wichtig, daß wir bei der ständig notwendigen Prüfung unserer außenpolitischen Positionen feststellen: Das Fundament für eine Außen- und Sicherheitspolitik, die unserem Land ein solches Leben in Frieden und Freiheit gewährleisten soll, ist unsere Einbettung in die Europäische Gemeinschaft und das Nordatlantische Bündnis. Wir müssen das Unsere dazu beitragen, daß diese beiden Gemeinschaften einig, stark und handlungsfähig bleiben. Das ist grundlegende und erste Aufgabe der deutschen Außenpolitik. Eine solidarische und koordi656
nierte Politik der westlichen Demokratien ist da das Gebot der Stunde.
({10})
Hier muß man sich bewußt sein, daß im Zentrum der gemeinsamen Politik die Übereinstimmung zwischen Nordamerika und Westeuropa stehen muß. Das ist dann auch ein Faktor der Stabilität für die ganze Welt.
Nur eines muß den Europäern klar sein. Es ist richtig, daß Europa gleichberechtigt im Bündnis mit den Vereinigten Staaten über die gemeinsamen Ziele sprechen will. Gleichberechtigung im Bündnis setzt aber den Willen zur gleichgewichtigen Leistung für die gemeinsame Sicherheit voraus. Das ist eine Aufgabe Europas.
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Die jetzigen Wochen sind auch deshalb so entscheidend, weil die sowjetische Führung auf ihrem Parteitag im Februar dieses Jahres die Grundorientierung der sowjetischen Außenpolitik für die kommenden Jahre festlegen wird. Es wäre für die zukünftige Entwicklung und für den Frieden nichts gefährlicher, als wenn Europäer und Amerikaner falsche Signale der Uneinigkeit geben und wenn im Osten falsche Hoffnungen über ein Auseinanderdriften von Europäern und Amerikanern entstehen würden. Es ist nicht nur für uns selbst und für die Staaten der Dritten Welt wichtig, sondern vor allem auch für die Sowjetunion, daß in ihrem Bewußtsein das westliche Bündnis in seiner Geschlossenheit eine feste berechenbare Größe der internationalen Politik bleibt.
Der amerikanische Präsident und sein Außenminister haben deutlich gemacht, daß sie durch die Sicherung des Gleichgewichts Frieden und Freiheit gewährleisten wollen. Dazu werden wir unseren Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, bei mancher Stimme, die ich in Europa höre, werde ich den Verdacht nicht los, daß man die Sicherheitsgarantien der Amerikaner gern in Anspruch nimmt, mit dem eigenen Beitrag aber eher zögern möchte.
({12})
Wir können und dürfen aber keine sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer der Vereinigten Staaten werden. Die Sicherheit ist eine gemeinsame Sache.
({13})
Wir müssen bei einer solchen Frage prüfen - der Kollege Brandt hat diese Frage anfangs aufgeworfen und sie so wie die Regierung beantwortet -, wie die deutschen Interessen, die Interessen eines geteilten Landes in die gemeinsame westliche Politik eingebracht werden können. Für das Bewußtsein in unserem Lande ist die Erkenntnis wichtig, daß wir alle Fortschritte, im Verhältnis zu den osteuropäischen Ländern, vor allen Dingen aber auch im deutsch-deutschen Verhältnis, nicht trotz unserer Zugehörigkeit zu den westlichen Gemeinschaften, sondern allein wegen und im Rahmen dieser Zugehörigkeit erreicht haben. Deutsche Deutschlandpolitik im Alleingang würde schnell in der Sackgasse der Abhängigkeit enden.
Unser Gewicht gegenüber dem Osten und die Frage, wie hoch das, was diese Bundesrepublik Deutschland will und sagt, notiert wird, ist auch ganz entscheidend von dem Gewicht dieser westlichen Gemeinschaften, denen wir angehören, und unserer Position in diesen Gemeinschaften abhängig.
Es ist heute schon mit Recht gesagt worden, daß das Bündnis für alle seine Partner eben nicht eine traditionelle Militärallianz ist, sondern eine umfassende Wert- und Schicksalsgemeinschaft der Freiheit.
({14})
Hier ist die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volk ein ganz wichtiger Faktor.
({15})
Herr Kollege Brandt hat sich zu dem Verhältnis der europäischen Institutionen zueinander geäußert. Ich finde schon, daß sein Hinweis auf die Bedeutung des frei gewählten Europäischen Parlaments wichtig und richtig war; denn nichts wäre schlimmer, als wenn alle die europäischen Wahlbürger, die ihre Abgeordneten in das Europäische Parlament entsandt haben, den Eindruck bekämen, hier sei eigentlich nur sozusagen etwas Formaldemokratisches vor sich gegangen, aber man wolle dieses Maß an Meinungsbildung dort nicht ernst nehmen.
Auf der anderen Seite stelle ich fest, daß in den Parteiengruppierungen des Europäischen Parlaments - in denen Liberale aus den verschiedenen europäischen Staaten zusammengeschlossen sind, Sozialdemokraten aus den verschiedenen europäischen Staaten, Konservative, Christdemokraten - ein hohes Maß an übernationaler Koordinierung geleistet wird. Das kann sich zunehmend zu einem Faktor der Entscheidungserleichterung im Ministerrat auswirken, wo sich Regierungen gegenübersitzen - oder auch zusammensitzen, wie Sie wollen -, die, in nationalen Wahlen gewählt, immer wieder unter dem Druck nationaler Interessen stehen. Mein Kollege Josef Ertl hat bei seinem - wie ich feststellen möchte - beharrlichen und erfolgreichen Ringen für die Rechte der deutschen Fischerei erleben müssen, wie lange es dauert, bis man hier europäischen Geist auch in europäische Wirklichkeit übersetzen kann.
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Ich denke, an der deutschen Küste wird man begrüßen, was er in der letzten Nacht erreicht hat.
Was wir brauchen, ist in der Tat ein einiges handlungsfähiges Europa, das seinen Teil der Verantwortung als Teil der westlichen Welt übernehmen kann und das in dem Bewußtsein handelt, daß Gleichberechtigung auch Gleichgewichtigkeit und den Willen dazu voraussetzt. Hier müssen wir darüber nachdenken, Herr Kollege Brandt, wie wir alle die Institutionen, die wir haben, alles das, was an gemeinsamer Politik erreicht worden ist, an koordinierter
Außenpolitik, an Wirtschaftspolitik, an Sozialpolitik zusammenfassen können, um dem Grundgedanken der Europäischen Union folgend Fortschritte zu machen.
Ich bin sehr froh darüber, daß der französische Präsident in seiner gestrigen Fernsehsendung diese Notwendigkeit der Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit dieses Europa der Demokratien so nachdrücklich unterstützt hat, in dem vollen Bewußtsein, welche Rolle wir zu erfüllen haben, und zwar nicht nur für uns, sondern im Bewußtsein der Staaten in der Welt, vor allen Dingen in der Dritten Welt. Ich habe bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt: Dieses Europa hat mit einem zunächst geradezu grotesk wirkenden Widerspruch zu ringen, nämlich daß es von außen viel handlungsfähiger, gewichtiger, bedeutsamer eingeschätzt wird, als das im Inneren gesehen wird. Zwischen Überschätzung von außen und Unterschätzung von innen einen gesunden, aber nicht statischen, sondern nach vorn weisenden Mittelweg zu finden, ist die große Aufgabe derjenigen, die sich als europäische Realisten und nicht als europäische Skeptiker oder als europäische Phantasten verstehen.
Die Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft wollten die politische Vereinigung Europas. Sie hofften, dieses Ziel am leichtesten erreichen zu können, wenn sie zunächst einmal die Wirtschaftsgemeinschaft aufbauten. Vielleicht hat man damals wirklich, Herr Kollege Brandt, zu sehr auf die Integrationsfähigkeit europäischer Bürokratien gerechnet. Ich will gar nichts gegen die Kommission sagen und was sich dort gebildet hat. Aber die Bürokratie in Brüssel wird es ganz sicher nicht schaffen, wenn nicht die Impulse von den demokratischen Kräften in Europa ausgehen, wie sie sich einerseits in dem neuen Europäischen Parlament formieren und wie sie sich andererseits in den Parlamenten der Mitgliedstaaten formiert haben. Das ist ja der große Gewinn, daß diese Mitgliedstaaten zunehmen und daß es jeweils Länder sind, die jetzt voraussehbar Mitglieder werden, die zur Demokratie zurückgekehrt sind. Das ist eine große Stärkung der Demokratie in Europa.
Deshalb, meine Damen und Herren, wird es notwendig sein, daß wir diese Bedeutung Europas als Partner der Vereinigten Staaten - nicht gegen die Vereinigten Staaten - für die Lösung der großen weltpolitischen Probleme sehen. Die erste zentrale Aufgabe, die sich einer koordinierten, solidarischen Politik der freiheitlichen Demokratien Europas, Nordamerikas, der Welt insgesamt stellt, ist die Erhaltung des Friedens zwischen Ost und West. Diese Friedenspolitik ist j a ein moralischer Anspruch und nicht eine technokratische Veranstaltung, wie man manchmal meint verstehen zu müssen, wenn sich die Kritiker unserer gemeinsamen westlichen Politik zu Wort melden. Diese Friedenspolitik fordert die unbedingte Entschlossenheit des Westens, das Gleichgewicht zu wahren und wenn nötig wieder herzustellen. In dieser Erkenntnis müssen wir unseren Beitrag zu diesem Gleichgewicht erbringen. Wir befinden uns bei der Verfolgung des Ziels der Herstellung des Gleichgewichts in Übereinstimmung mit der neuen amerikanischen Administration.
Der feste Wille des Bündnisses, Gleichgewicht auf jeden Fall zu garantieren, aber - wenn es nach uns, dem Westen, ginge - auf einem möglichst niedrichen Niveau der Rüstungen, zeigt, daß das, was wir wollen, das Gegenteil von dem Eintreten in einen neuen Rüstungswettlauf ist. Deshalb haben Rüstungskontrollverhandlungen eine so hohe Priorität. Ich bin sehr dankbar dafür, daß Außenminister Haig eben diese Priorität der Rüstungskontrollverhandlungen auch für seine Regierung unterstrichen hat.
Meine Damen und Herren, Rüstungskontrollverhandlungen sind in den 80er Jahren notwendiger denn je und das eben nicht nur im Verhältnis zwischen West und Ost. Rüstungskontrolle und Abrüstung und - um eine Thema, das Herr Kollege Brandt hier aufgeworfen hat, aufzunehmen - auch die Frage der Rüstungsexporte und internationaler Vereinbarungen in dieser Frage sind ein Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens, damit wir nicht zu Stellvertreteraufrüstungen in der Dritten Welt kommen. Das setzt auch Zweiseitigkeit im Willen, etwas Derartiges zu verhindern, voraus.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Worte zu dem sagen, was hier bemerkt worden ist und was ja auch zu den aktuellen Diskussionen der deutschen Politik über Fragen der Rüstungsexporte gehört. Ich denke, daß unser Land gut gefahren ist, indem es eine restriktive, eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik betrieben hat, und zwar ganz unabhängig davon, welche Parteien jeweils die Regierung gestellt haben. Wenn ich sage, daß unser Land gut gefahren ist, dann ist das eine Abwägung der heutigen Interessen, aber ich denke, es kommt auch ein moralischer Grund dazu. Es steht unserem Land auch gut an, daß wir zu den zurückhaltenden Staaten bei dem Rüstungsexport gehören.
({17})
Ich glaube, es wird wichtig sein, daß wir die in der letzten Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeleitete Initiative zur Offenlegung der Rüstungsexporte in der Welt mit dem Ziel zu einer Begrenzung der internationalen Rüstungsexporte zu kommen, nachdrücklich weiter verfolgen; denn wir können j a nicht sagen: „Das Problem ist dadurch gelöst, daß wir zurückhaltend sind", wenn von anderer Seite durch intensive gezielte Rüstungsexporte neue Instabilitäten in die Dritte Welt hineingetragen werden. Das eine gehört zum anderen.
({18})
Wir müssen sehr aufpassen, daß bei der Diskussion unserer Rüstungsexportpolitik, die wir in ihrer zurückhaltenden Form aufrechterhalten sollten, nicht beschäftigungspolitische Argumente eine ausschlaggebende Rolle gewinnen. Nichts wäre gefährlicher, als für Rüstungsexporte Industrien und Kapazitäten aufzubauen, die nachher die Regierung zwingen, Märkte zu suchen, wo sie sie findet.
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Dann würden wir die Außenpolitik zum Büttel einer solchen Politik machen.
Ich denke, daß es vielmehr darum geht, die Kriterien, nach denen wir uns bisher für unsere zurückhaltende Rüstungsexportpolitik entschieden haben, auf ihre heutige Tauglichkeit zu untersuchen. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der Begriff des Spannungsgebiets etwas ist, das wir daraufhin untersuchen müssen, ob es noch tauglich ist, ober ob wir nicht vielmehr in einer Zeit weltweiter Spannung leben, wo das Kriterium allenfalls höhere oder niedrigere Spannung sein könnte.
Ich glaube, daß die Regierung durch den Bundeskanzler aus guten Gründen in einem Brief an die Vorsitzenden der Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei und der Freien Demokratischen Partei ihre Bereitschaft geäußert hat, den Wunsch nach Information des Parlaments, nach parlamentarischer Unterrichtung, zu erfüllen. Das muß geschehen. Das kann der Regierung nicht ihre Verantwortung für die Entscheidungen abnehmen. Aber Information ist ganz sicher wichtig.
({20})
Wenn wir über Rüstungsexporte sprechen und wenn wir versuchen werden, uns über Grundsätze zu verständigen - da wird der Bundessicherheitsrat noch gründlich zu beraten haben -, werden wir immer auch in Betracht ziehen müssen, daß bei Rüstungsexporten in den Nahen Osten die Sicherheitsinteressen Israels und die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk ihre gebührende Beachtung zu finden haben.
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Auch das ist etwas, was wir sagen werden. Das wird man in allen internationalen Lagern verstehen.
In Europa geht es bei der Rüstungskontrolle darum, daß wir unseren Beitrag dazu leisten, daß die MBFR-Verhandlungen in Wien zu konkreten Ergebnissen führen. Da steht unverändert der westliche Vorschlag für ein Zwischenabkommen im Mittelpunkt. Wir hoffen, daß es gelingen möge, die Datenfrage, die ja von entscheidender Bedeutung ist, zu lösen.
In diesen Tagen wird, wie ich hoffe, die Aufmerksamkeit der Welt wieder stärker auf die zweite Phase des KSZE-Folgetreffens in Madrid gelenkt werden. Hier halte ich es für besonders wichtig, daß wir zusammen mit unseren westlichen Partnern, mit den Vereinigten Staaten, mit Kanada, mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und mit unseren Verbündeten in der Nato, aber auch anderen Ländern den französischen Vorschlag eines konkreten Mandats für eine europäische Abrüstungskonferenz unterstützen. Das ist eine dringend notwendige Aufgabe.
Da muß man der Klarheit halber wissen, daß der dem Namen nach gleichlautende Vorschlag der Warschauer-Pakt-Staaten für eine europäische Abrüstungskonferenz in einem fundamentalen Punkt einen unterschiedlichen Inhalt hat. Wir wünschen, daß der Konferenzauftrag konkret Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen in ganz Europa vorsieht; das bedeutet: einschließlich des europäischen Teils der Sowjetunion bis zum Ural. Denn Vertrauen ist unteilbar, auch geographisch unteilbar.
Es geht hier nicht um eine taktische Frage; es geht nicht um eine taktische Verhandlungsposition des Westens. Sondern es geht hier um eine ganz prinzipielle Frage der Vertrauensbildung in Europa. Deshalb ist der Geltungsbereich nach dem französischen Vorschlag im Verständnis des Westens eine unverzichtbare Voraussetzung für das Zustandekommen dieser Konferenz.
Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die neue amerikanische Administration den SALT-Prozeß fortsetzen will. Unmittelbare Bedeutung für Europa haben hier die im vorigen Jahr bereits begonnenen Gespräche über nukleare Mittelstreckenraketen. Wir hoffen, daß diese Gespräche die erhofften Fortschritte machen.
Bemühungen um Rüstungskontrolle sind Teil der Sicherheitspolitik, aber - auch das ist für die öffentliche Diskussion wichtig - Bemühungen um Rüstungskontrolle können immer nur Teil der Sicherheitspolitik sein; sie können nicht Ersatz für eigene und notwendige Verteidigungsanstrengungen sein.
({22})
Diese Verteidigungsanstrengungen umfassen auch den Dienst in der Bundeswehr, die Ausrüstung der Bundeswehr, ihre Bewaffnung, ihre Ausbildung. Sie umfassen die Haltung der Bürger in unserem Land zur eigenen Sicherheit und zur eigenen Verteidigung. Ich frage mich, ob nicht die Ereignisse der letzten Monate, die wir j a alle mit großer Sorge bei den öffentlichen Gelöbnissen erlebt haben, für uns alle Anlaß sein sollten, noch viel deutlicher und klarer und nicht entschuldigend und verteidigend, sondern offen fordernd die Notwendigkeiten deutscher, europäischer und westlicher Sicherheitspolitik darzulegen.
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Ich denke und habe das bei vielen Gesprächen erlebt, daß junge Menschen verstehen, daß die sowjetische Vorrüstung Nachrüstung erfordert, und daß sie erkennen, daß unser Angebot zusammen mit der Entscheidung über Nachrüstung bei bestimmten Waffensystemen, über Rüstungsbegrenzung zu verhandeln, eben zeigt, daß wir nicht, wie es uns von manchen nachgesagt wird, eine neue Stufe des Wettrüstens einleiten wollen, sondern daß wir es ernst meinen mit dem Ziel Gleichgewicht, aber Gleichgewicht, wenn es nach uns geht, auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen. Das muß die zentrale deutsche sicherheitspolitische Position bleiben.
({24})
Meine Damen und Herren, wer die Entwicklung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland beobachtet, kann feststelBundesminister Genscher
len, daß gerade in den 70er Jahren eine große Stetigkeit in der Zunahme unserer Bemühungen um Stärkung und Festigung unserer Verteidigungsfähigkeiten die deutsche Sicherheitspolitik auszeichnete, und zwar deshalb, weil wir Entspannungspolitik immer als eine realistische Entspannungspolitik verstanden haben, als eine Politik, die nur dann Erfolg haben wird, wenn die eigene Sicherheit garantiert ist. Nicht in allen westlichen Staaten war das so.
Die Sowjetunion hat mit erheblichem Aufwand weitergerüstet, wahrscheinlich bis zur Grenze ihrer industriellen Kapazität in einer Zeit, in der in den Vereinigten Staaten über lange Zeit die Verteidigungsaufwendungen eher stagnierten. Die Sowjetunion hat das nicht nur im Bereich der interkontinentalen Nuklearwaffen getan, wo es ihr um ein Gleichziehen ging, sie hat in allen Bereichen weitergerüstet, auch im konventionellen Bereich, wo in Europa ohnehin schon Überlegenheit vorhanden war. Sie hat ein erhebliches Modernisierungsprogramm für ihre Marine durchgeführt, auch ein erhebliches Neubauprogramm in einem breiten Spektrum als Ausdruck ihres Weltmachtanspruches. Ende der 70er Jahre hat sie dann das begonnen, was der Bundeskanzler der internationalen Öffentlichkeit als erster deutlich gemacht hat, nämlich die Dislozierung in rascher Folge von neuartigen, mobilen und höchst treffsicheren SS-20-Mittelstreckenraketen.
Hier ist ein ganz gefährliches Ungleichgewicht entstanden, das vor dem Hintergrund der amerikanisch-sowjetischen Parität bei den interkontinentalen Waffensystemen und vor dem Hintergrund des konventionellen Kräfteverhältnisses sowie der geographischen Lage der Sowjetunion zu Westeuropa gesehen werden muß. Deshalb ist es so wichtig, meine Damen und Herren, daß wir die getroffene Entscheidung in allen ihren Elementen verwirklichen.
Die Vereinigten Staaten hatten bekanntlich 1972 in dem amerikanisch-sowjetischen Abkommen der Sowjetunion sozusagen nukleare Parität und Gleichberechtigung als Weltmacht konzediert. Sie hatten damit die Erwartung verknüpft, daß sich die Sowjetunion selbst beschränken möge, daß sie darauf verzichtet, durch Überrüstung und Expansion in der Dritten Welt einseitig Vorteile zu erstreben. Diese Erwartung der Vereinigten Staaten hat sich nicht erfüllt, obwohl die Vereinigten Staaten immerhin Maßnahmen ergriffen haben, die hätten zeigen müssen, daß sie nichts weniger als einen Rüstungswettlauf wollen. Ich erinnere daran, daß die Vereinigten Staaten zu dieser Zeit die Wehrpflicht abgeschafft haben, auf den B-1-Bomber verzichtet haben, die Entscheidung über die Neutronenwaffe ausgesetzt haben. Das ist auf der anderen Seite nicht honoriert worden, und in der Dritten Welt hat die Sowjetunion eine Politik der Einflußzonen und Machtausübung aufgenommen, die in der Invasion Afghanistans kulminierte.
Hier liegen in Wahrheit die Gefahren für Zusammenarbeit und Entspannung. Die Verträge, die wir, die Bundesrepublik Deutschland, in den 70er Jahren geschlossen haben, die Schlußakte von Helsinki, der wir beigetreten sind, sie alle haben durch diese Entwicklung von ihrer Bedeutung und ihrer Richtigkeit nichts verloren. Ich glaube, deshalb ist es durchaus konsequent, daß sich die Opposition, die in der Vergangenheit diese Verträge nach Art und Inhalt und aus anderen Gesichtspunkten kritisierte, heute auf die Grundlage dieser Verträge stellt. Wir sind uns aber bewußt, daß die Möglichkeiten für Zusammenarbeit, die sich aus diesen Verträgen und Verpflichtungen ergeben, in Gefahr sind, wenn der Grundsatz der Unteilbarkeit der Entspannung verletzt und wenn eine Verschiebung des weltweiten Kräfteverhältnisses betrieben wird.
Dabei, meine Damen und Herren, ist ganz offenkundig, daß es für West und Ost viele Möglichkeiten, ja, Notwendigkeiten zu gegenseitiger vorteilhafter Zusammenarbeit gibt. Der Westen und der Osten stehen doch vor großen wirtschaftlichen Problemen, Problemen der Energieversorgung, des Wirtschaftswachstums, des Strukturwandels, vor Umweltproblemen, sie stehen vor dem großen Problem, wie der Nord-Süd-Konflikt überwunden werden kann.
Durch Zusammenarbeit könnten Westen und Osten die Lösung dieser Aufgaben wesentlich leichter machen. So geht es darum, daß wir in unserer Öffentlichkeit das Verständnis dafür wecken müssen, daß wir j a diese Zusammenarbeit wollen, wir, der Westen. Auch die sowjetische Führung sollte zu der Überzeugung gelangen, daß eine solche Zusammenarbeit, wie sie der Westen anbietet, wozu der Westen bereit ist, daß also eine solche Zusammenarbeit, daß eine Politik der weltweiten Partnerschaft auch für die Sowjetunion vorteilhafter ist als eine Politik der Vorherrschaft, des Machtstrebens, die die Ost-WestZusammenarbeit beeinträchtigt, die wirtschaftliche Entwicklung der kommunistischen Länder erheblich belastet und die die Sowjetunion in zunehmendem Gegensatz zu den Staaten der Dritten Welt bringt.
Ich denke, daß wir durch unsere Entschlossenheit in unserer Haltung und durch die Einheit im westlichen Lager dazu beitragen können, daß die Sowjetunion leichter zu dieser Erkenntnis kommen kann.
({25})
- Bitte, Herr Kollege.
Herr Mertes, bitte.
Herr Bundesminister, wie erklären Sie eigentlich den Rückgang des Bedrohungsbewußtseins in unserem Lande in den letzten zehn Jahren in bezug auf die Natur und die Intensität der sowjetischen Politik? Teilen Sie meine Auffassung, daß der Rückgang des Verteidigungswillens und des Bedrohungsbewußtseins auch mit illusionären Entspannungsvorstellungen im Verhältnis zur Sowjetunion ursächlich zusammenhängt?
Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß illusionäre Vorstellungen von verantwortlichen Kräften dazu beigetragen haben. Aber es ist ganz offenkundig, daß ein Abbau von Konfrontation in Europa notwen660
digerweise in den verschiedenen europäischen Staaten dazu führt, daß für die Menschen nicht so unmittelbar sichtbare Probleme wie diese Bedrohung, von der ich eben sprach, in den Hintergrund treten. Aber ich denke, es ist ganz offenkundig, daß in unserem Lande das Bewußtsein für die Verteidigungsnotwendigkeiten mit Abstand stärker vorhanden ist als in manchem anderen Staat auch des westlichen Bündnisses. Wenn ich zusammengenommen einmal sehe, wieviel Stimmen bei der letzten Bundestagswahl für die hier im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien abgegeben worden sind, die sich ja zu diesen Verteidigungsnotwendigkeiten bekennen, und wieviel Stimmen für andere, die das nicht tun, dann stelle ich fest, daß das eigentlich gar kein schlechter Ausweis für das Problembewußtsein ist, das wir in diesem Lande auch in dem letzten Jahrzehnt aus Gründen der Sicherheit unseres Landes haben aufrechterhalten können.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es zu einer verantwortlichen Außen- und Sicherheitspolitik in den kommenden Jahren auch gehören wird, die junge Generation auf die Natur und die Intensität der sowjetischen Bedrohung hinzuweisen, die primär eine militärische Bedrohung mit politischen Expansionszielen ist?
Herr Kollege, das, was Sie mit Ihrer Frage zum Ausdruck bringen wollen, ist ja gerade Gegenstand des Vortrages, den ich eben hier halte.
Meine Damen und Herren, es ist deutlich: Nicht nur das Schicksal der Entspannung, sondern das Schicksal der Menschheit wird in den achtziger Jahren entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, weltweit von Konfrontation zu Kooperation und Interessenausgleich zu kommen. Dazu gehört, daß alle Industriestaaten die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt respektieren. Deshalb müssen wir auch alle einer Übertragung des Ost-West-Gegensatzes auf die Dritte Welt widerstehen. Aber dieser für uns ëntscheidende Grundsatz darf nicht dazu führen, daß der Westen nun in seiner Gesamtheit zusieht, wenn Staaten der Dritten Welt in ihrer Unabhängigkeit durch raumfremde Kräfte bedroht sind.
Wir müssen erkennen - und da komme ich auf _ das zurück, was Kollege Brandt gesagt hat -, daß die innere Stärkung, daß wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit von zentraler Bedeutung für die innere und äußere Sicherheit auch dieser Länder sind. Hier muß der Schwerpunkt unserer Bemühungen liegen. Unsere in der ersten Afghanistan-Debatte des Deutschen Bundestages geforderte und in ihren Grundzügen damals dargelegte Gesamtkonzeption des Westens hat im Laufe des Jahres 1980 an Gestalt gewonnen. Diese arbeitsteilige Konzeption hat zu zunehmender Vertrauensbildung gerade bei den Staaten der Dritten Welt geführt, die sich durch raumfremdes Machtstreben bedroht fühlen. An dieser Konzeption muß weitergearbeitet werden.
Meine Damen und Herren, es darf nicht dazu kommen, daß der Wille zu Unabhängigkeit und Selbständigkeit und die Bereitschaft zur Partnerschaft von Staaten der Dritten Welt mit dem Westen als ein Risiko erscheinen, das man nur durch Anlehnung an den Osten abwenden kann.
Hier wird auch die Bewegung der Blockfreien eine zunehmende Bedeutung gewinnen. Die Fähigkeit und der Wille, aus der Position der Blockfreiheit heraus zur Lösung von Konflikten beizutragen, wird immer stärker.
Ich erwähne hier nur die Mitwirkungen der Frontstaaten in Afrika bei der Lösung des Problems von Simbabwe. Ich erwähne die Bemühungen dieser Staaten béi der Lösung der Namibia-Frage. Ich denke, daß diejenigen, die an der Begegnung mit den Vertretern der Interessengemeinschaft der Deutschen in Namibia teilgenommen haben, von dem beeindruckt waren, was uns diese Deutschen aus Namibia über ihre Zusammenkunft mit der SWAPO-Führung in Genf erzählt haben, eine Zusammenkunft, die wir als Bundesregierung ermöglicht und begünstigt haben. Hier ist ein Beitrag für eine Vertrauensbildung geleistet worden, ohne die es eine Lösung der Namibia-Frage nicht geben wird. Ich hoffe, daß aus dem Vokabular des Deutschen Bundestages jene Begriffe über Befreiungsbewegungen verschwinden, die eine rationale Debatte der Entwicklung in Afrika über viele Jahre in diesem Hause verhindert haben.
({0})
Ich möchte, wenn ich die Rolle der Blockfreienbewegung unter Staaten in der Blockfreienbewegung auch bei der Überwindung internationaler Konflikte erwähne, hier besonders feststellen, daß ich beeindruckt und von Dankbarkeit erfüllt bin über die erfolgreiche Vermittlung Algeriens zwischen den USA und dem Iran, die letztlich dann zur Freilassung der amerikanischen Geiseln geführt hat.
({1})
Hier hat ein wichtiges blockfreies Land gezeigt, wie es seine Verantwortung für den Weltfrieden sieht.
Meine Damen und Herren, so zeigt sich, daß sich die deutsche Außenpolitik an der Schwelle dieses Jahres unverändert der Notwendigkeit gegenübersieht, das für die eigene Sicherheit Erforderliche zu tun, die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung beharrlich fortzusetzen, immer wieder die Bereitschaft zum Ausgleich und zur Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas zu unterstreichen und unsere große Aufgabe im Hinblick auf Frieden und Stabilität in der Dritten Welt zu sehen.
Wenn ich von der Bereitschaft zum Ausgleich und zur Zusammenarbeit mit den Staaten des Warschauer Pakts spreche, so meine ich auch Zusammenarbeit mit der DDR. Ich habe am Anfang gesagt, daß wir uns bewußt sind, daß das deutsch-deutsche Verhältnis von uns nur dann erfolgreich gestaltet
werden kann, wenn wir es in Zusammenarbeit und im Rahmen des westlichen Bündnisses gestalten. Da wissen wir: Das kann man nicht isoliert losgelöst sehen und tun.
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Ich denke, daß die Führung der DDR ernsthaft überdenken sollte, ob nicht auch für sie in dieser Zusammenarbeit die größeren Vorteile liegen. Reisebeschränkungen durch Zwangsumtauscherhöhung verstoßen gegen den Geist des Grundlagenvertrages. Daß gerade diejenigen darunter leiden, deren Einkommen nicht zu den höchsten bei uns gehören, ist eigentlich nur ein Zeichen für die Verkennung der wirklichen Probleme, die die Menschen in Deutschland bedrängen. Die Menschen möchten nämlich unabhängig von ihrem Einkommen, wenn schon die Reise von Ost nach West nicht möglich ist, wenigstens von West nach Ost zu ihren Angehörigen reisen.
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Die DDR möge erwägen, ob sie das Verhältnis weiter belasten will oder ob sie nicht einen Beitrag zur Entlastung des deutsch-deutschen Verhältnisses leisten sollte, was auch einen positiven Impuls für die Entwicklung in Europa haben kann und vielleicht auch in den Rahmen der Konferenz passen würde, die jetzt in Madrid stattfindet.
Da muß man sich auch bewußt sein, daß es nicht zum Wohle der Menschen im geteilten Land weiterführen kann, wenn Forderungen neu aufgestellt werden, deren Nichtdurchführbarkeit sich beim Abschluß des Grundlagenvertrages gezeigt hat. Die Nichtregelung bestimmter Positionen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist ja gerade ein Teil des Modus vivendi, den man gefunden hat und auf dem der Grundlagenvertrag überhaupt erst möglich wurde. Daran soll man jetzt nicht rütteln. Das soll man nicht in Frage stellen.
Da wird mit Recht darauf hingewiesen, daß die Staatsbürgerschaftsforderungen, die vom Osten erhoben werden, gegen das Grundgesetz und gegen das Urteil des Verfassungsgerichts verstoßen. Das ist richtig. Doch ich würde unsere Politik als national nicht verantwortlich empfinden, wenn wir uns in dieser Frage nur auf das Grundgesetz beriefen. Ich denke, daß wir uns im Deutschen Bundestag darüber einig sein sollten, daß man unabhängig davon, ob das Grundgesetz es verbietet oder es durch Nichterwähnung zulassen würde, auf gar keinen Fall bereit sein werden, durch Gesetz der Bundesrepublik Deutschland unsere deutschen Mitbürger in der DDR zu Ausländern zu machen.
({4})
Das würde hier wie dort und nirgends in der Welt verstanden werden.
Die geschichtliche Entwicklung geht auf Selbstbestimmung der Völker, geht nicht auf Trennung. Die geschichtliche Entwicklung geht auf Überwindung des Trennenden. Deshalb ist unsere Politik des Willens zur Zusammenarbeit und des Interessenausgleichs wahrlich nicht eine Politik des Alles oder Nichts. Deshalb ist unsere Politik des Willens zur Zusammenarbeit und des Interessenausgleichs eine Politik, die diesem geschichtlichen Grundtrend entspricht, den wir durch diese Politik mitbestimmen, sie ist ein Ausdruck dieses geschichtlichen Grundtrends. Wir handeln bei dieser Politik nicht nur in der Verantwortung vor unserem Volke, sondern auch in der Verantwortung vor den Völkern Europas und dem Frieden Europas.
Denn das ist wohl richtig, was der Bundeskanzler gesagt hat, hier in Übereinstimmung mit dem, was der Staatsratsvorsitzende Honecker sagte: daß es eine geschichtliche Verantwortung der Deutschen gibt, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht. Nur, denke ich, muß diese geschichtliche Verantwortung noch mehr bedeuten: daß von deutschem Boden auch nicht zusätzliche Spannungen für die Welt ausgehen sollten.
In diesem Willen zum Frieden, in diesem Willen zum Interessenausgleich, in diesem Willen zur Zusammenarbeit wollen wir hier in der Bundesrepublik Deutschland fortfahren. Er ist breit getragen in unserem Lande. Ich hoffe, daß wir in diesem Willen auch in konkreten Fragen immer mehr Übereinstimmung finden können. Herr Kollege Kohl hat das bei der Debatte über die Regierungserklärung angeboten. In diesem Willen zum Interessenausgleich, zur Friedenssicherung, zur Rüstungskontrolle und Abrüstung, aber auch in dem Willen, den Frieden in Freiheit zu bewahren, in diesem Willen ist unsere Außenpolitik berechenbar. In diesem Willen muß sie berechenbar sein. Das ist der beste Beitrag, den wir zum Frieden in der Welt leisten können. - Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Turbulenzen bei dem Flugzeug Tornado beziehen sich nicht nur auf dieses Flugzeug, sondern sie kennzeichnen und bestimmen im Augenblick auch den gesamten Bereich des Bundesministers der Verteidigung und seines Haushaltes, über den wir heute hier reden. Sie dehnen sich zunehmend auch auf bestimmte Sektoren der Bündnispolitik aus. Für uns ist wichtig, sehr wichtig - und hier knüpfe ich an mehrfache Äußerungen des Bundesministers des Auswärtigen an -, daß wir von diesen Turbulenzen wieder wegkommen hin zu einer stabilen Grundlage. Diese stabile Grundlage stellt sich für uns unausweichlich in folgenden Punkten dar. Dazu gehört nicht nur die NATO, sondern eine intakte NATO. Dazu gehört eine Bundeswehr, die dem ihr gegebenen Auftrag gerecht werden kann. Dazu gehört die Präsenz der Amerikaner in Deutschland, in Europa. Dazu gehört auch die Bereitschaft der Bevölkerung, dieses Anliegen zu verstehen, zu unterstützen, mitzutragen. Dies setzt un662
ser gemeinsames Wirken in dieser Richtung voraus.
({0})
Wir sehen in diesen skizzierten Voraussetzungen die Grundlage für den Frieden bei uns im Lande in Freiheit. Wir alle wollen diesen Frieden in Freiheit. Daß es seit dem Zweiten Weltkrieg in der Welt 128 kriegerische Auseinandersetzungen gegeben hat und wir hier davon frei sein konnten, hängt damit zusammen, daß wir im Westen rechtzeitig die NATO gegründet haben und wir Mitglied in diesem Bündnis geworden sind und daß wir unseren wohl teuren - das kann niemand wegdiskutieren -, aber auf Grund der Situation nötigen Beitrag für dieses Bündnis in Form unserer Bundeswehr leisten.
({1})
Ich will gerne und nicht nur an die Adresse der 24 oder 37, sondern weit darüber hinaus, für uns alle sagen: Keiner - ich bin sicher, dies gilt nicht nur in der Union, sondern sollte für das ganze Haus gelten, und ich bin sicher, daß dies so ist - gibt gern diese vielen Milliarden für die Verteidigung aus. Nur, Frieden in Freiheit ist ein so teures Gut für uns, daß wir, gemessen an der Bedrohung, die bei uns hier ist - und hier wurden Beispiele gegeben -, dies leider tun müssen.
({2})
Die Geschichte gerade der eben erwähnten Kriege, auch der jüngeren der 128, lehrt, daß der Frieden nur dann und nur dort erhalten werden kann,
({3})
wo Gleichgewicht besteht, wo Stabilität vorhanden ist, und dies nur dort, wo man Übergriffe dadurch abwehren kann, daß man das Risiko nicht nur hoch hält, sondern - egal, auf welcher Stufe - unkalkulierbar für einen möglichen Angreifer gestaltet. Derjenige, der an diesen Voraussetzungen rüttelt, sie in Frage stellt, der erleichtert es der anderen Seite, Spannungen zu schaffen,
({4})
den Frieden in Frage zu stellen und Unfrieden zu stiften.
({5})
Ich werde während meiner Ausführungen hier nicht so sehr häufig Gelegenheit haben, den Bundesminister der Verteidigung als Zeugen an meine Seite zu rufen. In diesem Zusammenhang darf ich das um so freudiger tun, Herr Minister. Letzten Sonntag haben Sie an der Grenze zwischen Ihrem und meinem Wahlkreis vor dem Hintergrund dessen, was ich eben ausführte, folgendes gesagt - eine Sache, die ich voll für uns unterstreiche -: Wer Frieden ohne Waffen erreichen wolle, sollte sich folgerichtig ausdrücklich auch dazu bereit finden, notfalls in einem System à la DDR leben zu können.
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- Und dann gibt es nicht nur Waffen, sondern dann
ist das weg, was wir übereinstimmend als Frieden in
Freiheit bezeichnen. Der Bundesaußenminister
sagte soeben mit anderer Formulierung dasselbe, nämlich daß das in die Sackgasse der Abhängigkeit - so war seine Formulierung - führe. Ich bin sicher, daß Sie diese Ihre Äußerung vor dem Hintergrund der Bedrohung, wie sie wirklich ist, getan haben.
Ich darf dem vielen, was hier soeben gesagt worden ist, einige wenige Punkte hinzufügen, und zwar zunächst im Bereich der konventionellen Waffen. Ich tue dies, weil es notwendig ist, besonders bei der Jugend - aber nicht nur dort - Verständnis für die notwendigen politischen Maßnahmen des Westens zu wecken. Zunächst also einige Schlagworte im Hinblick auf die konventionelle Bedrohung, wie sie uns gegenübersteht: Wir haben etwa 10 000 Panzer, auf der anderen Seite sind es 40 000; wir haben 6 000 Artilleriegeschütze - konventioneller Bereich -, auf der anderen Seite sind es 20 000; wir haben 2 000 Schützenpanzer, 12 000 sind es auf der anderen Seite. Zur Erinnerung: Es gibt Leute, die gesagt haben, das diene alles nur zur eigenen Verteidigung und geschehe aus defensiven Überlegungen. Ich gehe hier aus ganz bestimmten Erwägungen nicht auf die Munitionslage ein; aus gemeinsamem Interesse tue ich dies nicht.
({7})
- Ich gehe nicht auf Einzelheiten ein, und gerade Sie sollten dies verstehen.
Ich erwähne den enormen militärischen Fortschritt der Sowjetunion bei der Entwicklung von militärisch nutzbaren Satelliten im Weltraum sowie die weltweit operierende Marine. Hier ist soeben vor mir aus berufenem Munde die Formulierung „globale Weltmacht" gebraucht worden. Denen, die immer noch sagen, die hätten zwar mehr, aber wir hätten Besseres, sei gesagt, daß auf der Hardthöhe gesagt, geschrieben und berichtet wird, daß der Osten den Westen inzwischen auch hinsichtlich der Qualität eingeholt hat. Daß dies alles offensiven Charakters ist, ist inzwischen ja auch nicht mehr bestritten. Hinzuzufügen ist der Hinweis auf die gewaltige Dynamik, mit der die Aufrüstung durch die Sowjetunion ständig fortgesetzt wurde. Diese Dynamik hat auch dann keinen Knick bekommen, als die Politik der Entspannung formuliert wurde.
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Hier ist überhaupt kein Knick zu beobachten.
Ich darf den Beispielen aus dem Bereich der konventionellen Waffen einige aus dem atomaren Bereich hinzufügen. Hier hat die Sowjetunion nicht geredet, so wie wir über konventionelle Modernisierung geredet haben und noch reden, sondern sie hat gehandelt. Sie hat allein in den letzten fünf, sechs Jahren über fünf neue atomare Systeme eingeführt. Ich will hier einmal nur über die landgestützten Mittelstreckenwaffen in Europa reden. Die NATO hat in diesem Bereich keine, 0, Frankreich hat 18, die Sowjetunion dagegen - ich runde einmal ab - 1 360 solcher Mittelstreckenwaffen.
Von den fünf Systemen der letzten Jahre ist uns allen die SS 20 geläufig - sie ist oft in der Diskussion -, der Backfire-Bomber. Drei weitere Systeme, die in der Diskussion oft untergehen, die SS 21, die SS 22 und die SS 23, sind in der letzten Zeit ebenfalls etabliert worden.
({9})
Hier nun will ich in Richtung der Fraktion der SPD fragen: Wo bleiben denn in bezug auf diese Waffen Ihre beschwörenden Appelle, wie sie - quer durch die Bundesrepublik und mit viel Resonanz - in Formulierungen wie „Perversion des menschlichen Denkens und Handelns" ihren Niederschlag gefunden haben? Wo bleiben diese Ihre Appelle im Hinblick auf diese sowjetischen, uns bedrohenden Systeme?
({10})
Warum wird denn hier nicht zu Bürgerinitiativen gegen diese Waffen bzw. zu Bürgerinitiativen für die Information über diese Waffen aufgerufen? Dies müssen Sie sich fragen lassen. Ich hoffe, daß Sie sich das auch selber fragen.
({11})
Weil ich glaube, daß dies erfolgen sollte, möchte ich einmal eine dieser Waffen - man kann nehmen, welche man mag - nicht nur mit dem Namen nennen, sondern einmal ihre Wirkungsweise schildern; ich nehme hier die SS 20. Übrigens: Jede Woche wird eine neue gebaut, nicht am Reißbrett entworfen, sondern installiert. Folgende Fakten kennzeichnen dieses System: Diese Waffe ist mobil. Sie bewegt sich hin und her und ist schwer aufzuklären. Sie hat eine Reichweite von 4 500 km. Sie zerlegt sich während des Fluges in drei unabhängig voneinander weiterfliegende Gefechtsköpfe. Jeder dieser Gefechtsköpfe hat eine solche Zielgenauigkeit, daß Sie noch sagen können - wenn Sie das auf ein Fußballfeld übertragen -, ob der Zielmittelpunkt diese Eckfahne oder diagonal gegenüber die andere Eckfahne sein soll. Jeder dieser Gefechtsköpfe hat die Zerstörungskraft der Bombe von Hiroschima fünfzehnmal und mehr übersteigend.
Mit diesem Beispiel rufe ich Sie und uns alle auf, nicht nur niedlich über die genaue Bezeichnung des Namens und die Wirkung zu informieren, sondern Verständnis für das zu erwecken, was nötig ist. Ich sage dies auch deshalb, weil es augenscheinlich in Ihrer Bundestagsfraktion Kollegen gibt, die diese Zusammenhänge und die sich daraus ergebenden politischen Folgerungen, über die wir ja in der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen haben, nicht kennen. Es ist das zu unterstützen, was der Bundeskanzler im Februar 1979 vor Ihrer Fraktion gesagt hat, indem er darauf hinwies, daß, wenn dies auf der östlichen Seite so weitergeht, die sowjetischen Führer das politische Mittel in der Hand hätten, ohne militärische Mittel einsetzen zu müssen, politisch zu bestimmen, was hier geschehen soll. Dies heißt im Klartext, daß sie den Westen erpressen könnten. Vor diesem Hintergrund muß - das sollten wir nicht nur akademisch tun, sondern wir sollten auch wirklich werbend dafür eintreten - der Beschluß der Außen- und Verteidigungsminister vom 12. Dezember letzten Jahres in Brüssel über Modernisierung und Rüstungskontrollangebot unterstützt werden. Herr Minister Dr. Apel, ich darf Sie ein zweites Mal hier an meine Seite holen. Am 8. Dezember 1980 - das ist gar nicht lange her - bekräftigten alle elf Verteidigungsminister der Eurogroup unter Ihrem Vorsitz noch einmal, daß dieser Doppelbeschluß zur Modernisierung und Abrüstung nicht nur die Grundlage für unsere Abschreckung nach der Strategie der NATO ist, sondern - dies darf ich zitieren - „die Grundlage für die Verfolgung ernsthafter Rüstungskontrollverhandlungen". Hier ersuchen wir Sie und alle Ihre Kollegen aus der Fraktion und alle Regierungsmitglieder, dies, wo immer es möglich ist, und noch darüber hinaus zu betonen, zu vertreten und die Zusammenhänge deutlich zu machen.
Ich will hier noch einmal diejenigen in der Fraktion der SPD, die von Ihnen augenscheinlich doch nicht mehr überzeugt werden können - man geht inzwischen zu manch anderer Verhaltensweise über -, nur bitten und im gemeinsamen Interesse dann allerdings auch auffordern, sich mit den Zielen der Strategie der Sowjetunion auseinanderzusetzen, um die Brücke zu wirklich ernstgemeinten Abrüstungsverhandlungen zu verstehen, damit wir wieder zu einer gemeinsamen Grundlage zurückkehren können. Ich bitte diese Kollegen, sich auch einmal die Berichte vorzunehmen, die der aus Wien zu uns gekommene sowjetische Dolmetscher uns zur Kenntnis gegeben hat. Dort ist die Rede von der enorm gestiegenen Bereitschaft der Sowjetunion, Risiken auf sich zu nehmen, anders als in den zurückliegenden Jahren. Hier müssen wir feststellen, daß es bisher in der Frage der Modernisierung und der zu schaffenden Grundlage für wirkliche Abrüstungsvereinbarungen quer durch alle Fraktionen in diesem Parlament und in der NATO Übereinstimmung bestanden hat. Nun allerdings müssen wir nicht nur durch Einzelsignale, sondern durch die Bildung kleiner, aber größer werdender Gruppierungen feststellen, daß hinter diese Übereinstimmung leider nicht nur ein kleines Fragezeichen, sondern ein erheblich größer werdendes Fragezeichen zu setzen ist. Auch hier sind Vokabeln wie „unberechenbar", „unsicher", aber auch „verunsichernd" zu benutzen. Ich kann hier nur die Ausführungen unseres Kollegen Richard von Weizsäcker unterstreichen, der darauf hingewiesen hat, daß der Bundeskanzler gerade in diesem wichtigen, bedeutenden Punkt seine geistige und politische Führung wahrnehmen und sich nicht verstecken sollte, um diesem im Augenblick unpopulären Thema aus dem Wege zu gehen.
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Vor diesem Hintergrund, auf dieser Grundlage darf ich nun zu unserem Beitrag zur Bundeswehr kommen und mich zunächst Ihnen, Herr Minister, zuwenden. Die Vorgänge um das Flugzeug „Tornado" zeigen - andere wichtige Themen sind übrigens leider durch die Beschäftigung damit verdrängt wor664
den -, daß Sie das Verteidigungsministerium nicht mehr führen, daß Sie es nicht einmal mehr verwalten, daß Sie es überhaupt nicht - ich benutze Ihre Vokabel - im Griff haben.
({13})
Wie könnte Ihnen sonst das größte Rüstungsvorhaben der Geschichte der Bundeswehr - der Bundeskanzler hat formuliert: das größte Rüstungsvorhaben seit Christi Geburt - in einer solchen Form aus den Händen geglitten sein, wie dies geschehen ist?
({14})
Für diejenigen, die sich unter diesem Flugzeug und der damit verbundenen finanziellen Dimension nicht so ganz viel vorstellen können, darf ich das in ein anderes Bild übertragen: Diese Flugzeugbeschaffung ist 50 % teurer als alle heute in der Bundeswehr vorhandenen und zulaufenden Panzer und Schützenpanzer. Und dies geht in der Entwicklung an den Minister in der Form, wie es erlebt wurde, vorbei.
({15})
Wichtige Dinge, Herr Minister, sind hintangestellt worden.
Ihre Aussagen, Ihre Einlassungen, Ihre Reaktionen in den letzten Wochen und Tagen vermitteln immer mehr den Eindruck von - ich benutze vornehme Beschreibungen - Unsicherheit und Unglaubwürdigkeit. Aus beidem ergibt sich für einen Mann mit einem solchen Amt auch eine Unberechenbarkeit.
Ich muß Beispiele anführen, um diese Aussagen zu belegen, und ich tue dies. Ich komme zunächst zu Ihrer Behauptung, im Jahre 1980 bis in den November hinein von dieser gewaltigen Finanzlücke nichts gewußt zu haben, und dies, obwohl im Februar von Ihrem Staatssekretär Dr. Schnell - das ist ja nicht irgendeiner - eine Akte auf den Tisch gelegt wurde, aus der das Fehl von 650 Millionen DM - 650 Millionen DM! - für die Jahre 1980 und 1981 deutlich hervorging.
({16})
Ich muß zugeben, daß dies eine schriftliche Vorlage war, und ich muß zugeben, daß die Seitenzahl dieses Vorgangs 48 beträgt. Zugegeben: ein langer Vorgang, bei dem etwa 18 Seiten - vielleicht nur 17 Seiten - geschriebener Text waren. Der Rest war eine den Text untermauernde Anlage mit Tabellen und Aufstellungen, in die sich ein gründlicher Leser, wenn er Dinge hätte überprüfen wollen, hätte vertiefen können.
({17})
- Es wäre schon gut gewesen, hätte er die Textseiten gelesen.
Nun gibt es zu diesem Vorgang zwei Versionen, Herr Minister. Die eine Version lautet: Diese 48 Seiten sind zuviel, und es ist für mich als Minister unzumutbar, sie zu studieren. Das haben Sie theatralisch schön gemacht, indem Sie uns im Ausschuß dieses
Ding gezeigt haben. Sie haben es aber abgezeichnet, und Sie haben die Begründung nachgeschoben, schließlich sei der Staatssekretär, der Ihnen dies vorlegte, „ein netter Mensch". Ich setze in Klammern hinzu: Hätten Sie es vielleicht nicht abgezeichnet, wenn er nicht „ein netter Mensch" wäre? Aber das ist von mir wirklich in Klammern gesagt. Aber Sie sagen, Sie hätten dies wegen des Umfangs des Vorgangs nicht gelesen.
Die ander Version, die eine Stunde später von Ihnen kam, lautete: Sie haben es doch gelesen, aber obwohl Sie es gelesen haben, haben Sie es nicht geglaubt,
({18})
weil Dinge im Konjunktiv formuliert waren, und warum sollen dann beim Minister bei einem solchen Objekt die Alarmglocken schrillen, damit er nachfaßt?
Hier muß sich jeder seinen eigenen Eindruck verschaffen; ich brauche dies gar nicht zu werten.
Es ist ja nicht nur dieser Vorgang seitens des Staatssekretärs gewesen, sondern im Mai legte Ihnen Ihr oberster Soldat, der Generalinspekteur, einen Vorgang auf den Tisch - hier muß ich sagen: es war ein kurzer Vorgang, nur fünf Seiten -, bei dem bereits auf der ersten Seite ein deutlich formulierter Hinweis steht, daß Sie schon verschiedentlich - so die Formulierung - auf diese Finanzprobleme hingewiesen worden sein sollen. Auf Seite 2, ziemlich weit vorn, steht wörtlich, daß „eine sinnvolle Planung innerhalb des Finanzrahmens nicht mehr möglich ist".
Nicht nur die Zeit verbietet mir, hier noch weiter in Einzelheiten zu gehen. Es gibt eine lange Liste, um das, was ich eingangs beschrieb, und ihr Bild, wie es sich nicht nur für uns darstellt, noch deutlicher machen zu können. Dies werden wir im Ausschuß weiter behandeln, und auch dabei werden wir auch weitere Einzelheiten hervorbringen.
Ich will nur soviel sagen: Unabhängig von weiteren Untersuchungen und klareren Antworten Ihrerseits steht für uns heute fest, daß eine solche Art und Weise, Ihr Amt zu führen, als leichtfertig - und ich muß mich fragen, ob nicht schon als liederlich - zu bezeichnen ist.
({19})
Das Ganze, Herr Minister, wird j a nun noch dadurch erheblich verschlimmert, daß Sie uns nur scheibchenweise und nach Vorhaltung von bestimmten Dingen die volle Wahrheit eingeräumt haben. Verschlimmert wird dies vor allem dadurch: Wegen der Finanznot, in die Sie auf Grund dieser Amtsführung gekommen sind, ist es nicht mehr ausgeschlossen, daß Sie einen Eingriff in wichtige Systeme dieses Flugzeuges vornehmen müssen, und zwar in solche Systeme, die Vorbedingung dafür waren, ein solch teures Flugzeug für fast 70 Millionen DM für die Bundeswehr und für die NATO überhaupt anzuschaffen.
Herr Minister, haben Sie sich eigentlich einmal überlegt und sich selbst gefragt, welchen Eindruck
der Bürger draußen, der dies alles bezahlen muß, von einem solchen Umgang mit seinem Steuergroschen haben muß? Was wäre denn wohl, wenn der Vorsitzende eines Sportvereins, irgendein Kassierer oder einer Ihrer Untergebenen in einer auch nur annähernd gleichen Art und Weise so leichtfertig, so unordentlich mit ihm anvertrauten öffentlichen Mitteln umgegangen wäre?
Ich muß Ihnen sagen, daß sich diese Art der Amtsführung nicht nur auf dieses Flugzeug beschränkt. Ich will ein paar andere Beispiele hinzufügen, die deutlich machen, daß das auch in anderen Bereichen fast genauso ist. Ich nehme Beispiele aus dem Haushalt, weil er zur Debatte steht.
Nach unserer Erkenntnis müssen Rechnungen aus dem Haushaltsjahr 1980 unter der Überschrift „Reparatur, Ersatzteile", im Fachjargon „Erhaltung" - allein bei den Schiffen mit 160 Millionen DM, bei den Fahrzeugen mit 200 Millionen DM, bei den Flugzeugen mit 110 Millionen DM -, aus dem Jahre 1980 ins Jahr 1981 hinübergenommen werden. Wer addiert hat, ist schon bei wenigen Millionen unter einer halben Milliarde DM angekommen.
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Mit den gesetzlich sicherlich zulässigen, aber bei der öffentlichen Hand bisher unüblichen Versuchen, Rechnungen hinauszuzögern in das nächste Jahr, schiebt man, ebenso wie durch Inkaufnahme von Mahnungen oder durch Stundung von Mehrwertsteuerbeträgen, immer mehr vor sich her, und das trifft Sie dann in solcher Härte, daß Sie nicht mehr planen können. Wir können zusammenfassend übersetzen: Leben nicht mehr nur von der Substanz - das ging einige Jahre -, sondern leben auf Kosten der Zukunft!
({21})
Diese Liste ist noch viel länger; ich will aber jetzt keine weiteren Einzelheiten aufführen.
Neben diesen Einzelbeispielen, Herr Minister, ist im Überbau für Ihre Amtsführung kennzeichnend, daß heute, da der Haushalt eingebracht wird, den zuständigen Fachausschüssen - in diesem Bereich also unserem - die Erläuterungen zum Haushalt, aus denen Einzelheiten zu ersehen sind, überhaupt nicht vorliegen, obwohl - ich bin sicher, daß das auch in diesem Jahre so sein wird - diese Erläuterungen in Ihrem Haus existieren, und, so soll dies ja auch sein - es wird bei Ihnen auch so sein -, Grundlage für die inzwischen schon gewonnenen Haushaltsberatungen für 1982 sind. Ich betrachte dies - bezogen auf diesen Bereich - zumindest als eine Mißachtung und stelle das in die Wertung, die ich vorher durchführte.
Der zweite Punkt. Anfang März, Herr Minister, führen Sie eine Klausurtagung wegen der Rüstung durch, und Sie sagen: Da müssen wir mal sehen, was noch geht. Eigenartig übrigens, daß Sie so rangehen und sagen: Wir wollen mal sehen, was wir noch bezahlen können, was wir für die Bundeswehr brauchen. Umgekehrt sollte der vernünftige Einstieg sein. Aber warum ist diese Klausur im März und nicht jetzt? Warum haben Sie das nicht vorher gemacht, um uns sagen zu können, was geht, und was nicht geht? Hier spielen Sie auf Zeitgewinn. Für uns zeichnet sich allein auf Grund der Dinge, die da sind, deutlich sichtbar ab: Sie werden mit Ihrem Verwalten dieses Ministeriums im März feststellen, daß Sie finanziell bankrott sind.
Ich will Ihnen hierfür nur einen Kronzeugen - auch hier gäbe es mehr - nennen. Der stellvertretende Generalinspekteur schreibt dem Minister Anfang Januar dieses Jahres, daß bei dieser Finanzerwartung „eine sinnvolle Planung nicht mehr möglich ist". Hier wäre es übrigens interessant, von unserem Bundeskanzler, der in diesem Ministerium auch einmal Verantwortung getragen hat, zu hören, wie er diese Entwicklung und die sich daraus ergebenden Gefährdungen einschätzt.
Zu einem anderen Gebiet! Der Verteidigungsminister trat seinen Dienst auf der Hardthöhe mit der Devise an: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Auch hier, Herr Minister, klaffen heute Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Sie haben ein gefährliches Fehl von Ausbildern zu beklagen; die sind überlastet. Die Folge ist, daß die Wehrpflichtigen, die sie ausbilden sollen, sich nicht mehr gefordert fühlen. Es gehen mehr Wehrpflichtige unzufrieden und mit weniger Verständnis für diesen Dienst aus der Bundeswehr, als sie beim Eintritt in die Bundeswehr hatten. Das ist ein schlimmer Zustand.
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Es gibt viele Faktoren mehr, die dringend repariert werden müssen, damit Sie verwirklichen können, daß der Mensch mehr beachtet wird. Wir müssen glauben, daß die Bundeswehr inzwischen, von Ihnen geprägt, zwei Gesichter bekommen hat: Das eine im Weißbuch beschrieben und zum Vorzeigen, das andere, wie es wirklich ist, und zwar auf Kosten und zu Lasten besonders der Menschen.
Ein kurzes Wort zu dem, was wir mit den öffentlichen Gelöbnissen - Stichworte: Bremen und Bonn - verbinden, Herr Minister. Hier muß ich - nicht nur Sie - fragen: Was meinen Sie, wie verheerend die Wirkung auf die Soldaten, auf die Jugendlichen, die Soldaten waren oder die es demnächst sein werden, aber auch auf die gesamte Öffentlichkeit ist, nachdem miterlebt wurde, daß in Bonn auf dem Marktplatz der Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister bei den Soldaten stehen, geschützt von Tausenden von Polizisten, und am gleichen Ort ein nicht unwichtiger Mann aus der Fraktion eine Gegenveranstaltung - gegen wen? - gegen die Veranstaltung mit Bundeskanzler und Verteidigungsminister macht? Eine verheerende Wirkung nicht nur auf uns in Deutschland, sondern auch auf die Ausländer, und zwar nicht nur auf die Freunde, sondern auch auf die Gegner.
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Herr Minister, die Soldaten haben einen Anspruch, nicht versteckt, nicht ins Ghetto abgedrängt zu werden. Die Soldaten dienen nicht der Bundeswehr, sondern das sind junge Männer, die ihre Pflicht, teilweise knurrend, aber mit Einsicht erfül666
len, die der gesamten deutschen Bevölkerung dienen.
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Daß Sie nun, Herr Minister - unter welchem Eindruck eigentlich, unter dem der Randalierer, der Intoleranten? - verbieten, öffentliche Gelöbnisse durchzuführen, ist eine Ungeheuerlichkeit, wo Sie auf den erbitterten Widerstand nicht nur unserer Fraktion, sondern auch bei solchen Bevölkerungsteilen stoßen, die der Bundeswehr, der Streitkraft und der NATO etwas distanziert gegenüberstehen. Wir fordern Sie. auf: Machen Sie dieses Verbot so schnell wie möglich rückgängig!
({25})
Sie haben die von Ihnen gewollte und immer wieder verschobene und verdrängte Diskussion über die Frage der Tradition durch dieses Verbot darüber hinaus in einer unzulässigen Weise präjudiziert. Gehen Sie mal - oder lassen Sie es sich melden - in Städte, in denen seit zwei Jahrzehnten und mehr unsere Soldaten stationiert sind, gehen Sie in solche Städte, in denen - ich sage dies einmal - die Welt gesund ist, in der es ein vernünftiges Miteinander gibt, in Städte in der Nähe von Germersheim oder nach Trappenkamp in Schleswig-Holstein, in die Städte, in denen für den nächsten oder den übernächsten Monat eine öffentliche Gelöbnisfeier angesetzt war.
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In diesen Städten, die Vorbereitungen beschlossen hatten, kamen jetzt Briefe an oder es wurde mündlich gemeldet oder mußte gemeldet werden: Wir machen das nicht, das wird in die Kaserne verschoben. Überlegen Sie sich die Wirkung!
Ich möchte - und zwar bewußt an dieser Stelle - für die CDU und die CSU allen wehrpflichtigen Soldaten, allen Mannschaften, allen Unteroffizieren, allen Offizieren, allen Beamten und zivilen Arbeitnehmern der Bundeswehr, die trotz all der schwieriger gewordenen Dinge im Äußeren und im Inneren ihres Dienstes ihre Pflicht mit Engagement und Leistungswillen geleistet haben, unseren herzlichen Dank aussprechen.
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Ich darf an dieser Stelle ein besonderes Wort des Dankes an die Soldaten hinzufügen, die über Weihnachten, die über Silvester nicht bei ihren Familien haben sein können, sondern die in dem Erdbebengebiet in Italien Einsatz geleistet haben.
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Ich möchte - dies schließt an die Eingangsbemerkungen an - ebenfalls einen Dank an die Soldaten unserer Verbündeten richten, die hier in Europa und in Deutschland Dienst tun und mit ein Garant für die Freiheit in unserer NATO sind. Das gilt besonders für die Amerikaner.
({29})
Bezüglich der Amerikaner bitten wir Sie, das, was Ihnen durch verschiedene Ressorts der Bundesregierung seit längerem und immer nachdrücklicher vorgetragen wird - das letzte ist der Stoessel-Besuch mit seinem Papier -, ernster zu nehmen. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen: Wenn die Amerikaner uns anbieten, in Garnisonen näher der Grenze verlegt zu werden, sollten wir dies, so meine ich, dankbarst unterstützen.
Bei der Wertung der von mir geschilderten Vorgänge - ich entnehme der Reaktion der SPD-Fraktion, daß auch sie mir zustimmt -, die ausnahmslos durch Fakten belegt sind, und bei einer Würdigung der Haushaltssituation fordern wir die Bundesregierung dringend auf, unsere Verteidigung als Voraussetzung für das, wo Einigkeit bestand - Frieden in Freiheit -, wieder auf eine stabile, auf eine glaubwürdige Grundlage zu stellen. Heute mehr als zur Gründungszeit der NATO gilt: Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Hierfür haben wir ebenfalls unseren entscheidenden Anteil zu leisten.
({30})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Der Herr Abgeordnete Würzbach hat in dem ersten Teil seiner Ausführungen eine Reihe von Bemerkungen gemacht, die sicherlich keines Kommentares bedürfen. Es ist sicherlich auch Ihnen, Herr Kollege Würzbach, bekannt, daß alle politischen Kräfte in diesem Hause auf der Basis des militärischen Gleichgewichtes Entspannungspolitik betreiben wollen. Damit es auch für eine breitere Öffentlichkeit bekannt wird, ist es vielleicht vernünftig, hier das zu zitieren, was die Sozialdemokraten im Wahlprogramm 1980 dazu gesagt haben. Ich zitiere:
Unser Beitrag zur glaubwürdigen Fähigkeit der NATO, abzuschrecken, und, wenn nötig zu verteidigen, muß auch künftig so bemessen sein, daß er das militärische Kräfteverhältnis und die politische Gewichtung im Bündnis nicht verändert.
Wir haben auch in unserem letzten sicherheitspolitischen Beschluß in Berlin eindeutig die Notwendigkeit des militärischen Gleichgewichts unterstrichen.
Also, Herr Kollege Würzbach, es hat keinen Zweck, hier Fronten aufzubauen, die nicht da sind. Die Beschlußlage in meiner eigenen Partei ist völlig eindeutig, völlig eindeutig!
({0})
- Augenblick, bitte nicht so voreilig! Ich bin dafür, daß wir die Debatte in aller Ruhe führen, wie j a auch Sie soeben in aller Ruhe argumentiert haben.
Nun muß ich mal fragen, ob wir als Politiker, auch ich als Bundesminister der Verteidigung, mit dieser bloßen Feststellung auskommen. Es gibt doch in unserer Jugend und in beiden Kirchen - Sie haben soeben von einer katholischen Kirchengemeinde gesprochen, die an der Grenze unserer beiden Wahlkreise liegt - und in vielen gesellschaftlichen Gruppen eine sehr, sehr große Unruhe darüber, ob das,
was wir einheitlich militärisches Gleichgewicht nennen, als Voraussetzung für Frieden und Entspannung heute noch die richtige Antwort ist. Da gibt es in meiner Kirche die Bewegung „Ohne Waffen leben"; da gibt es in der katholischen Kirche eine Aktion in der gleichen Richtung, die bei Pax Christi läuft. Da hinterfragen - so muß ich das wohl nennen - junge Leute kritisch die Richtigkeit unserer Sicherheitspolitik.
Und nun muß ich wirklich sagen: Wenn das eine große und breite Debatte ist - und ich spüre sie täglich; ich stelle mich stets dieser Auseinandersetzung und versuche, die jungen Menschen zu verstehen, sie aber auch von den Notwendigkeiten unserer Friedenspolitik zu überzeugen -, dann können wir doch nicht das Hineinschwappen dieser Debatte auch in das Parlament oder in seine politischen Gruppierungen a priori als verderblich bezeichnen.
({1})
Das kann doch so nicht sein.
Sie glauben j a wohl nicht, daß ich über den Antrag, bei uns eine Milliarde zu streichen, glücklich war. Ich war es sicher nicht. Aber daß es endlich auch im Parlament eine Debatte über diese zentralen Fragen gibt, halte ich für unvermeidlich.
Junge Menschen sagen uns doch: Da gebt ihr 40 Milliarden DM für die Verteidigung aus, und der Hunger in der Welt grassiert. Wir sagen - und das sagen wir doch sicher alle -: Deutsche Truppen an den Persischen Golf - nein! Deutsche Truppen außerhalb des NATO-Territoriums - nein! Deutscher Beitrag zur weltweiten Sicherheitspolitik, Diplomatie und Entwicklungshilfe - ja! Wenn wir das sagen, haben wir doch zu erklären, wie das zueinander paßt. Dann kann doch eine Debatte in einer schwierigen Partei, die die SPD zweifelsohne ist, nicht etwas sein, was unsere Zukunft gefährdet, sondern dann ist diese Debatte etwas, was im Endeffekt eine Chance gibt. Ich wünschte mir, daß auch Sie diese Debatte mit den kirchlichen Kreisen, die Ihnen nahestehen, führen. Wir können hier nicht letzte Weisheiten verkünden und meinen, damit Probleme unter den Tisch kehren zu können. Wir treiben die jungen Leute von den etablierten politischen Parteien weg, wenn wir ihre Fragestellungen nicht aufnehmen.
({2})
Ich mache eine zweite Bemerkung. Sie haben es, denke ich, ja nicht so gemeint, Herr Würzbach. Aber wir dürfen natürlich nicht den Eindruck erwecken, als sei bei unserer Bundeswehr alles in Unordnung und als leiste sie als Teil der NATO nicht mehr den ihr gemäßen Beitrag zur Abschreckung und zur westlichen Verteidigung. Hier ist der amerikanische Außenminister Al Haig sehr häufig zitiert worden. Lassen Sie auch mich ihn einmal zitieren. Auf die Frage, was er von den Europäern alles verlangen wolle,
({3})
hat er im amerikanischen Senat gesagt:
Sie wissen, meine Herren Senatoren, daß, wenn Helmut Schmidt heute hier säße und Sie fragten ihn: „Warum tun Sie nicht mehr, Herr Bundeskanzler?", er antworten würde: „Senator, wir halten heute etwa 500 000 Mann unter Waffen. Das entspricht einer Streitmacht von 12 Divisionen, die voll einsatzbereit in ihren Verteidigungsräumen stehen."
Ich wiederhole Al Haig: „die voll einsatzbereit in ihren Verteidigungsräumen stehen".
({4})
Weiter sagte er:
Wenn Ihr Amerikaner eine etwa gleichgroße Last tragen wolltet, müßtet ihr 42 Divisionen statt der derzeit 6 plus in Europa unterhalten.
Ich will dieses gar nicht kritisch untersuchen. Wenn Sie, Herr Dr. Wörner, sagen, Al Haig habe hier etwas Unrichtiges gesagt, dann habe ich das nicht zu kommentieren. Ich bitte aber sehr, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Bild, das hier von einem sekundären, eigentlich immer weniger beachtenswerten Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Landesverteidigung gemalt wird, nicht stimmt, sondern daß hier ein hohes Lob ausgesprochen wird, und das nicht zum erstenmal. Dieser Mann, den wir alle gut kennen, hat früher stets, insbesondere als wir die 4. Heeresstruktur beschlossen haben, gesagt, wie unverzichtbar, wie wertvoll, wie wichtig unser Beitrag zum westlichen Bündnis ist.
Das zeigt sich auch - ich komme selbstverständlich noch auf das Problem Tornado zu sprechen - im Bundeshaushalt 1981. Ich habe gestern von den Rednern der Opposition bewegte Klage über die hohe Nettokreditaufnahme, über die Probleme des Bundeshaushaltes gehört. Herr Kollege Haase, Sie haben dabei, wie ich fand - ich habe es nur am Radio gehört -, kabarettistische Einlagen geboten. Sie haben das sehr spaßig gemacht, aber Sie waren todernst in Ihrer Behauptung, so könne es nicht weitergehen.
({5})
- Gut, „sehr richtig", das wollte ich eigentlich nur hören.
Schauen Sie sich diesen Haushalt an! Er steigt um 4,3 %, die Verteidigungsausgaben steigen um 6,2 %, d. h. um 50 % mehr als die Ausgaben für den Gesamtetat. Nun meine ich, dies muß man erst einmal würdigen. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ich kenne eine ganze Reihe von westeuropäischen Ländern, Mitglieder der NATO mit christdemokratischer Regierungsbeteiligung, bei denen in der Tat der Verteidigungsetat die Sparkasse ist. Dort wird gekürzt, und zwar rigoros. Auch die konservative Regierung in England hat deutlich gemacht, daß sie ihre ehrgeizigen Ziele reduzieren muß. Nun werden Sie sagen: Na, schön, das liegt auch an MRCA Tornado. Sicherlich, aber ich bin dafür, daß wir uns dann wiederum die Zahlen anschauen, den Haushalt nüchtern betrachten, sehen, Herr Würzbach, ob Ihr Urteil stimmt. Ich komme zu dem Ergebnis: Es stimmt nicht.
Schauen wir uns das an. Die Ausgaben für Beschaffungen - das ist Gerät, das sind Waffen - steigen um 17 %. Sicherlich, dabei ist ein Viertel der Ausgaben durch MRCA Tornado verursacht, aber wir geben 1981 17 % mehr für Waffen aus. Ich sage Ihnen, wir können 1981 alle Vorhaben der neuen Waffengeneration finanzieren. Wir werden bei der Rüstungsklausur nicht abbestellen, kürzen, reduzieren müssen. Das Problem ist ein anderes. Das Problem ist, daß wir uns darauf einstellen müssen, daß das mit den dauernden Zuwachsraten in den Etats so nicht weitergehen wird. Damit bin ich wieder bei Ihrer bewegten Klage über Probleme der Bundesfinanzen. Sie glauben j a wohl nicht - ich auch nicht, das kann ich auch nicht erwarten -, daß der Verteidigungsetat auf Dauer von den Problemen der Haushaltskonsolidierung ausgeschlossen bleibt.
({6})
Wir müssen in der Tat - und nicht, um Zeit zu gewinnen, sondern um alles gründlich vorzubereiten
- mit Finanzerwartungen arbeiten. Wir haben die Jährlichkeit des Haushalts, wir können also nur Annahmen setzen, verschiedene Alternativen bilden und sagen: Im Rahmen dieser Alternative ist jenes möglich, im Rahmen einer anderen etwas anderes. Das werden wir gründlich vorbereiten. Die Vorbereitungen laufen. Selbstverständlich werden Sie, Herr Würzbach, unterrichtet werden, genauso wie das Bundeskabinett. Jeder wird hier in seine Verantwortung gestellt, zuerst der Minister selbst, dann die Exekutive, dann die Legislative. Wir werden Sie auch um Rat fragen. Nur, so dramatisch wird es nicht werden. Es wird, wenn Sie so wollen, eher ein Aneinanderreihen von Beschaffungen geben, die eigentlich gleichzeitig laufen sollten, als eine dramatische Umkehr.
({7})
- Herr Dr. Marx, lassen Sie uns das im März diskutieren; ich möchte nicht so gern vorher eine Debatte darüber führen.
Und nun lassen Sie uns die anderen Etatposten anschauen, damit wir auch auf die Probleme kommen! Wir erhöhen den Wehrsold zur Mitte des Jahres um 13 %. Unsere Soldaten werden teilhaben an der allgemeinen Besoldungssteigerung. Obwohl es beim Personal eigentlich einen Überrollungshaushalt gibt - das heißt: keine einzige Stellenhebung mehr -, werden wir etwa 500 Stellenhebungen zur Verwirklichung des Heeresmodells 4 bekommen. Herr Kollege Haase, herzliche Bitte an Sie, daß Sie uns dann nicht, wie im Jahre 1980, wieder mit der interfraktionellen Arbeitsgruppe mit diesem schrecklichen Namen, den ich hier nicht wiederholen will, die Hälfte dieser Stellen wieder wegnehmen.
({8})
- Nun gut, die Mehrheit hatten wir Gott sei Dank; deshalb konnte ich auch das, was Herr Haase wollte
- die Kommission hieß „Kopfschlächterkommission" -, mit Hilfe der Mehrheit der Koalition verhindern. Aber hier bitte keine doppelte Moral, auf
den öffentlichen Dienst schimpfen und sagen: „keine Stellenhebungen", und wenn es um die 500 Stellen für die Heeresstruktur 4 geht, dann plötzlich im Verteidigungsausschuß sagen, das sei zuwenig, und sie im Haushaltsausschuß mit der CDU/CSU wegstreichen wollen! Das geht nicht; doppelte Moral wird spätestens im Plenum des Deutschen Bundestages aufgedeckt.
({9})
Ich will nicht alle Etatposten durchgehen, Herr Würzbach, aber ich will Ihnen ein Problem nennen. Da wir ja für MRCA Tornado auch in andere Etattitel hineinschneiden mußten, haben wir ein Problem. Sie haben es nicht angesprochen, ich will es ansprechen, damit wir hier alles auf den Tisch legen. Das ist der Titel Betriebsstoffe. Der wird knapp. Aber hier stehen wir alle vor einem wirklich generellen Problem. Wenn nun, wie es ja tatsächlich ist, Dieselöl und Flugtreibstoffe immer teurer werden - wir alle spüren das j a am eigenen Portemonnaie -, kann man dann beliebig die Bundeswehr nachbedienen oder muß nicht auch bei ihr gespart werden, und wo sind die Grenzen? Diese Debatte möchte ich gerne mit Ihnen führen.
({10})
Lassen Sie mich einen letzten Satz zu Ihren Betrachtungen zum Haushalt sagen. Ich glaube nicht, daß Sie sagen können, der Mensch stünde nicht mehr im Mittelpunkt. Im letzten Jahr haben wir eine ganze Reihe von Beschlüssen über Zulagen, Dienstzeitausgleich und anderes, gefaßt, insgesamt fast 300 Millionen DM. Das haben wir, wenn Sie so wollen, aus dem Etat herausgenommen und in die Abteilung Soziales gesteckt; da ist es gut angelegt. Es hat doch keinen Zweck, so zutun, als seien unsere Soldaten unterbezahlt und unterprivilegiert.
Wir haben zwei Probleme, ich weiß es doch. Das eine ist die Dienstzeitbelastung; sie ist sehr unterschiedlich, aber sie ist in der Tat ein Thema; deswegen erfolgt auch ein finanzieller Dienstzeitausgleich. Das zweite Thema ist in der Tat der Verwendungsstau. Wir haben in der Regierungserklärung eine Absichtserklärung, daß wir dies als dringliches Problem ansehen. Aber auch hier, bitte schön, keine doppelte Moral auf seiten der Opposition oder wo auch immer! Wer sagt, der öffentliche Dienst dürfe nicht mehr in Beförderungen schwelgen, wer sogar wie Herr von Weizsäcker heute morgen sehr kritische Bemerkungen über den Rückzug des öffentlichen Dienstes macht, der muß sich dann auch darauf verstehen, den Soldaten seine Wahrheit zu sagen. Denn natürlich gilt das dann auch für Soldaten. Wir wollen das anders. Ich bitte sehr darum, daß auch Sie das anders wollen, weil der Verwendungsstau wirklich ein schlimmes Problem ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Bitte.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr
Haase ({0})
von Weizsäcker heute früh das Eindringen des öffentlichen Dienstes oder der öffentlichen Hände in immer mehr Lebensbereiche der Bürger beklagte? Das hat doch nichts damit zu tun, daß die Bundeswehr ihren Platz behalten muß. Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Aufgaben der Landesverteidigung nicht mehr im Rahmen des öffentlichen Dienstes betrieben werden sollen?
Nein, das ist nicht das Problem, Herr Haase. Das Problem ist - das müssen wir sehen -: Öffentlicher Dienst und Bundeswehr sind zumindest über die Besoldung so aneinandergekettet - das können wir auch nicht auflösen -, daß jeder Versuch, beim öffentlichen Dienst etwas zu tun oder nicht zu tun, zum Beispiel in der Besoldung, in die Bundeswehr hineinwirkt.
({0})
- Okay! Sie können auch nicht bestreiten, daß z. B. das Problem des Verwendungsstaus ebenso ein Problem der Verwaltung generell ist und daß wir dieses Problem deswegen auf die Spezifika der Bundeswehr zurückführen müssen. Ein Hauptmann kann nicht über ein gewisses Alter hinaus Hauptmann sein. So geht das für alle Einheitsführer. Ich bitte nur darum, daß wir die Probleme auseinanderhalten. Aber ich glaube, wir beide sind uns in dieser Frage einig.
Lassen Sie mich zu MRCA Tornado Bemerkungen machen. Herr Würzbach, Sie haben mich mit Adjektiven versehen. Das ist Ihr gutes Recht.
({1})
- Ob zurückhaltend oder nicht, das ist sein gutes Recht, das ist Ihr gutes Recht, meine Damen, meine Herren. Erwarten Sie bitte dazu keinen Kommentar. In jedem Falle ist es einer parlamentarischen Debatte nicht angemessen, Adjektive oder - wie man das auch immer nennen will - Verbalbeleidigungen auszutauschen.
({2})
- Sie waren zurückhaltend, richtig. Lassen Sie mich kühl und gelassen erstens den Hergang aus meiner Sicht, aus der, wie ich meine, richtigen Sicht, darstellen, und dann lassen Sie mich einige generelle Probleme behandeln.
Sie haben darauf abgehoben, daß im Frühjahr 1980, genauer gesagt, im Februar 1980
({3})
- 29. Februar 1980 -, für den Minister klar sein mußte, daß MRCA Tornado 1980 ein Finanzproblem werden würde.
({4})
Nun muß ich Sie fragen, wie Sie sich eigentlich erklären, daß niemand, weder einer der Abteilungsleiter des Verteidigungsministeriums noch der beamtete Staatssekretär, für den wenige Tage später zu behandelnden Nachtragshaushalt 1980, bei dem wir Geld für Munition und für Treibstoff bekommen haben, für MRCA Tornado auch nur eine Mark einwerben wollte. Wenn es so wäre, daß das selbst für den Minister hätte einsichtig sein müssen, dann muß man sich doch wirklich die Frage stellen: Haben die anderen das nicht gesehen? Sind sie nicht angetreten und haben gesagt: Herr Minister, wir brauchen Geld?
({5})
- Meine Damen und Herren, das hat mit Wahlen überhaupt nichts zu tun. Es hat damit zu tun, daß wir einen Nachtragshaushalt hatten und daß wir die Freiheit hatten, zu sagen, was wir da hineinpacken wollten.
({6})
- Meine Damen und Herren, es war für niemanden erkennbar.
({7}) Und das liegt doch auch auf der Hand.
Damit bin ich bei dem generellen Problem. 1978 waren bei der Entwicklung dieses Flugzeugs 350 Millionen DM übriggeblieben. Sie konnten nicht ausgegeben werden, weil der Produktionsfortschritt bei den drei Industrien von Italien, England und der Bundesrepublik nicht so war wie erwartet. 1979 kam man mit dem Geld grosso modo aus. 1980 fehlten am Ende des Jahres 500 Millionen DM. Da gibt es um den 29. Februar Andeutungen, es könnte oder würde vielleicht Geld fehlen. Aber es gibt nicht die geringste Vorstellung darüber, in welchen Größenordnungen, wann, mit welcher Qualität.
Ich verstehe j a, daß Sie das an mir dingfest machen wollen. Das würde ich, wenn ich auf den Oppositionsbänken säße, auch tun. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß das der Zeithorizont war: 1978 waren 350 Millionen DM übrig, 1979 war man gerade hingekommen, Anfang 1980 gab es eine Debatte.
Damit sind wir bei ein paar grundsätzlichen Problemen. Sie haben gesagt, jedes Unternehmen, das so fahren würde, würde in Schwierigkeiten kommen. Nein, jedes Unternehmen, das ein so kompliziertes Waffensystem bauen müßte - und dann noch mit anderen Ländern zusammen, mit Italien, mit England -, mit hochkomplizierten Regelungen, mit mehreren hundert Zulieferanten, mit einer NATO-Agentur, die das Ganze steuert, würde Rücklagen bilden. Es hätte die 350 Millionen DM aus 1978 in die Rücklagen eingestellt. Wir sind in der schrecklichen Situation, daß die Haushaltsansätze der Jährlichkeit unterliegen.
({8})
- Aber ich bitte Sie, dies macht doch in der Tat die Planung eines solchen Projektes sehr schwierig.
({9})
- Augenblick, auch ein Finanzminister kann nicht über das Haushaltsrecht hinweggehen.
Ich will ein zweites Problem nennen - ich habe darüber auch im Ausschuß gesprochen. Wir machen jetzt die Rüstungsklausur. Was sollen wir eigentlich für 1982 als Annahme der Haushaltssteigerung einsetzen? In der mittelfristigen Finanzplanung, die Ihnen heute zusammen mit dem Haushaltsplan vorgelegt wird, zeigt sich ein nominelles Absinken der Verteidigungsausgaben, zahlenmäßig minus 0,2. Der Finanzminister hört aufmerksam zu, und deswegen werde ich jetzt auch keine Kommentare daran anschließen.
({10})
- Ich habe überhaupt keine Angst vor ihm. Er ist ja ein netter, braungebrannter Mann. Aber er selbst - ({11})
- Lassen Sie uns doch zum Problem zurückkehren.
({12})
Wir bestellen bei diesem Waffensystem Teile, die den Bundeshaushalt in vier Jahren belasten werden, die sogenannten Langläufer. Wir gehen von Finanzerwartungen aus, die durch nichts, auch nicht durch die mittelfristige Finanzplanung, abgedeckt sind. Was muß man jetzt tun? Herr Würzbach, Sie werden sagen: Das reicht mir nicht; die Analyse mag j a stimmen - was tun wir denn nun?
Erstens ist unbestritten, daß auf der Hardthöhe Fehler gemacht worden sind. Ich habe darauf hingewiesen, was an Planungsfehlern gemacht worden ist, und habe darauf hingewiesen, was wir hier geändert haben. Ich unterstreiche auch hier, daß ich natürlich die ministerielle Verantwortung trage. Wer denn sonst? Wir haben in neun Maßnahmen organisatorisch etwas verändert, damit wir schneller Durchblick haben, damit wir früher gewarnt sind. Aber das Problem der Jährlichkeit von Haushaltsrechnungen, der Unmöglichkeit, Rückstellungen zu haben und der Tatsache - das muß ich hinzufügen -, daß die Decke eng geworden ist, sehr eng geworden ist, um die Beschaffungsvorhaben alle gleichmäßig mit dem, was noch dazu gehört, zu finanzieren, dieses Problem ist unübersehbar.
({13})
- Ach, wissen Sie, zu Herrn Wust sage ich lieber nichts. Ich finde es peinlich, wenn jemand, der pensioniert ist, anfängt, aus der Pension heraus Interviews zu geben.
({14})
Das überlassen wir dann mal lieber Herrn Wust selber.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir müssen allerdings bei der Rüstungsklausur von Finanzerwartungen ausgehen, die einigermaßen realistisch sind. Wir müssen Ihnen Alternativen vorlegen, auch dem Bundeskabinett, müssen unter Optimierung der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes Alternativen aufzeigen, die dann auch bei Ihnen zur Entscheidung stehen.
Sie haben dann gesagt: Ja, da fehlt noch mehr Geld, da liegen Rechnungen, die noch nicht bezahlt sind. In einem Fall haben wir einen solchen Vorwurf gehört und sind ihm nachgegangen; er stimmte nicht.
Im übrigen, Herr Würzbach, als Haushälter - - Nein, Sie sind j a kein Haushälter. Aber ich weiß als Haushälter, daß mit Jahreswendeklauseln gearbeitet werden muß. Das ist doch kein Beweis dafür, daß wir in Schwierigkeiten kommen.
Nur eines möchte ich noch zu bedenken geben, wenn wir schon über Geld reden: Herr Würzbach, sind Sie wirklich der Meinung - ich muß das jetzt mal fragen -, wir sollten alle acht amerikanischen Forderungen erfüllen?
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- Sie haben gesagt, der Master Restationing Plan, die Nachvorneverlegung von Brigaden, wie das auf deutsch heißt, das sei ganz wichtig und müßte gemacht werden. Das haben Sie doch gesagt.
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- Augenblick! Ich habe hier nicht zu urteilen, das wird im Bundeskabinett zu entscheiden sein. Aber für eine Maßnahme, für die vorherige Deponierung amerikanischen Kriegsmaterials auf deutschem Boden, damit nur die Verbände zugeflogen werden müssen - Host nations support -, da habe ich die Verantwortung. Für andere Bereiche nicht.
Nur eines möchte ich an die Adresse der Opposition warnend sagen. Bei aller Bereitschaft, alles sehr ernst zu prüfen und auch sehr ernst zu nehmen: hüten wir uns davor, in die Zeiten des Offset zurückzukehren, d. h. der Bezahlung unserer Alliierten dafür, daß sie auf deutschem Boden stehen! Und hüten wir uns davor, daß wir bei einem Alliierten etwas anfangen, und sei es auch nur die Kasernenrenovierung, was sich dann wie ein bunter Faden bei allen Alliierten durchzieht! Ich möchte Sie warnen im Interesse des deutschen Steuerzahlers, hier zu leichtfertig etwas zu sagen, was am Ende doch vom Finanzminister, da das nach NATO-Kriterien ja auch Verteidigungsausgaben sind, dem Verteidigungsminister aufs Butterbrot geschmiert wird. Ich bitte Sie also hier um etwas mehr Vorsicht.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dallmayer?
Herr Minister, ich merke, daß Sie schon etwas vom Tornado weggegangen sind. Gestatten Sie mir noch eine Frage, die für dieses Hohe Haus von außerordentlich großer Wichtigkeit ist! Der Abgeordnete Würzbach hat gesagt, daß am System Tornado Einsparungen in Punkten vorgenommen werden, die eigentlich Voraussetzung für
diese ungeheuer teure Beschaffung sind. Können Sie dem Hohen Hause bitte mitteilen, ob diese Aussage von Herrn Würzbach richtig ist und welche Einschränkungen möglicherweise vorgesehen sind? Denn für den weiteren Entscheidungsgang ist es ja wichtig, ob damit nicht im Grundsatz eine Entscheidung gegen dieses System getroffen wird.
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Ich bin dafür, daß wir diese Frage ganz nüchtern beantworten. Herr Dallmeyer, ich finde es nicht ganz fair, daß Sie hier so tun, als hätten wir darüber nicht in der letzten Sitzung des Verteidungsausschusses ausführlich geredet. Da hat Ihnen der Systembeauftragte dargestellt - ich werde dies in der Öffentlichkeit nicht tun können -, welche Waffen zweifelsfrei zulaufen und bei welcher Waffe wir noch Probleme haben.
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- Einen Augenblick. In einem ganz speziellen Punkte, in der Allwetterstart- und -landefähigkeit, gibt es ein Problem. Nur, ich bitte Sie, wollen Sie hier Ausschußberatungen nachvollziehen? Oder sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dies in den Verteidigungsausschuß hineingehört und insbesondere nach der Rüstungsklausur zu behandeln sein wird? - Aber, bitte!
Herr Minister, Sie sind vollkommen frei in Ihrer Antwort. - Sie wollen das noch fortsetzen?
Ich beantworte grundsätzlich jede Zwischenfrage.
Gibt es weitere Zwischenfragen? - Keine. Danke schön.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu zwei letzten Problemen kommen.
Herr Würzbach, volle Unterstützung für den Dank, den Sie, den wir alle unseren Soldaten, die in Italien geholfen haben, aussprechen. Sie kommen jetzt zurück. Es waren zwei Bataillone unten im Einsatz. Es zeigt sich bei dieser Gelegenheit, daß junge Leute dann, wenn sie eingesetzt werden, auch voll motiviert sind. Ich habe im übrigen vor, all denen, die an dieser Aktion teilgenommen haben, unabhängig vom Dienstrang die gleiche Auszeichnung zu geben, nämlich das Ehrenzeichen der Bundeswehr, und eine Ausnahme nur dort zuzulassen, wo besondere Leistungen erbracht worden sind. Das ist nichts Besonderes, aber es ist sicherlich wichtig festzustellen, daß bei diesem Ehrenzeichen alle ohne Rücksicht auf den Dienstrang die gleiche Auszeichnung bekommen, wenn sie die gleiche Leistung erbracht haben.
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Nun eine weitere Bemerkung. Ich finde Ihre Bemerkungen zum Verbot von öffentlichen Gelöbnissen unfair. Es ist unfair, so zu argumentieren, weil es nicht stimmt. Was ist die Situation? Wir können nicht gegen den Willen - einer bedeutenden Minderheit; ich lasse die Reisechaoten grundsätzlich draußen vor -, gegen den erklärten Willen einer wichtigen Minderheit, auch wenn es kritische Jugendliche sind,
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die Tradition der Bundeswehr so führen, daß wir von vielen tausend Polizisten bewacht werden müssen. Dies geht nicht. Dies geht auch nicht im Interesse der Bundeswehr selbst.
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- Nun hören Sie doch mal bis zum Ende zu; dann können Sie j a, Herr Kollege Wörner, vielleicht durch eine Zwischenfrage mich herausfordern. - Ich sagte, dieses geht nicht. Andererseits kommt überhaupt nicht in Frage - das habe ich hier im Bundestag wiederholt erklärt -, daß wir uns dem Druck der Straße beugen.
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- Das tue ich eben nicht. Das einzige, was ich wirklich tue, ist, daß in diesen Tagen - auch an Sie, Herr Wörner - eine Einladung für den 22. und 23. April hinausgeht, auf der Hardthöhe zum Thema Bundeswehr und Gesellschaft und Tradition in der Bundeswehr zu diskutieren. Dort werden die Jungsozialisten und die Jungdemokraten und die Junge Union und die drei im Bundestag vertretenen Parteien jeweils durch einen Vertreter, die Gewerkschaftsjugend, der Gewerkschaftsbund,
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der Arbeitgeberverband, die Kirchen und viele andere zu uns kommen und mit uns debattieren. Anschließend werden wir auf Grund dieser Debatte Schlußfolgerungen ziehen. Ich denke nicht daran, dann den Rückzug aus der Fläche zu beginnen.
Was ich möchte, ist dreierlei: Erstens möchte ich die Debatte nicht unter dem Druck der Straße führen. Deswegen möchte ich zwischen den Ereignissen auf dem Bonner Münsterplatz und dem Moment der Debatte eine bestimmte Zeit zur Abkühlung verstreichen lassen. Zweitens möchte ich Gesprächsbereitschaft zeigen. Öffentliche Gelöbnisse finden auch in dieser Zeit statt; sie sind nicht verboten. Drittens: Ich führe diese Debatte mit der Konsequenz, die dann allerdings - hoffentlich - von allen in diesem Hause so mitgetragen werden müßte, daß die Bundeswehr öffentlich sichtbar bleibt.
Aber eins, Herr Dr. Wörner, werden Sie auch akzeptieren: Tradition muß einen Sinn haben. Sie muß jungen Menschen, die zur Bundeswehr gehen, den Sinn ihres Auftrags vermitteln.
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Sie muß älteren Menschen die Möglichkeit geben, sich mit diesen jungen Soldaten zu identifizieren. Sie muß im Endeffekt Hilfe zum Leben sein; sonst hat Tradition keinen Wert. Deswegen brauchen wir diese Debatte auch gerade deswegen, um den jungen Soldaten zu helfen. Jemand, der - wie ich - von Bremen bis zum Münsterplatz hingestanden hat, weicht nicht zurück. Er versucht aber, politisch klug zu sein, um die Tradition der Bundeswehr so mit Leben zu erfüllen, daß sie tragfähig wird und ein Bindeglied zwischen Bevölkerung und Bundeswehr darstellt
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und nicht zu so etwas wie einem Schlagstock wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner? - Bitte, Herr Abgeordneter Wörner.
Nach vielen Selbstverständlichkeiten und einer Debatte über Tradition, die wir sicher noch an anderer Stelle führen werden, frage ich: Habe ich richtig gehört, daß es Ihre Weisung nicht gibt, öffentliche Gelöbnisse bis zum Abschluß dieser Diskussion nicht mehr abzuhalten? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Ja, es gibt kein Verbot, aber es gibt in der Tat die Bitte, - -({0})
- Augenblick!
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- Es gibt nicht zwei Versionen. Es gibt die Bitte, die wir den Kommandeuren übermittelt haben, die nächsten Monate für die Debatte zu nutzen und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
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Wenn die Möglichkeit der Zwischenfrage noch einmal gegeben sein soll, müßten Sie etwas ruhiger sein. - Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte, Herr Dr. Wörner, Sie haben noch eine Zwischenfrage.
Auch auf die Gefahr hin, Sie in neue Peinlichkeiten zu stürzen:
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Ist Ihnen bekannt, daß Ihre Bitte, die Sie offensichtlich im Kreis der Kommandeure ausgesprochen haben, von den Inspekteuren von mindestens zwei Teilstreitkräften in einen Befehl umgesetzt wurde?
Herr Bundesminister, gestatten Sie gleich noch eine weitere Zwischenfrage? - Bitte, Herr Würtz, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Bundesminister, ich darf, ähnlich wie Herr Kollege Wörner, hier fragen: Ist es nicht sinnvoll, Bitten, die der Minister äußert, auch als Bitten weiterzugeben?
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Also, lassen Sie mich jetzt erst einmal antworten!
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- Na gut, bitte.
Herr Haase, bitte.
Herr Minister, darf ich fragen: Ist in unseren Streitkräften jetzt das Prinzip „Befehl und Gehorsam" durch das Prinzip „Bitte und Geneigtheit" abgelöst worden?
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Um es noch einmal völlig klarzustellen - ich bitte dann doch sehr darum, daß diese Debatte beendet wird, weil ich zum Schluß kommen möchte -: Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, daß die Ereignisse in München, in Stuttgart
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- Herr Haase, vielleicht hören Sie zu - und auf dem Bonner Münsterplatz zu einer Situation geführt haben, die es völlig unmöglich machte, diesen Weg weiterzugehen.
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- Nein, es gibt viele - auch Anhänger der CDU/ CSU -, die mir geschrieben haben: Wenn es so weit kommt, daß uns viele tausend Polizisten abschirmen müssen,
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dann müssen auch Sie sich fragen, Herr Minister, was Sie daran ändern können.
Wir sind nicht gewichen, wir haben diese Veranstaltungen durchgeführt. Wir waren uns aber vorher darüber einig, daß wir anschließend eine große Debatte brauchen würden
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- ich komme darauf -, um die vielen Mißverständnisse, die vielen Verdächtigungen, die vielen bösen Vorwürfe wechselseitiger Art auszuräumen. Diese Debatte läuft, meine Damen und Herren.
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- Diese Debatte läuft in der Bundeswehr. Es gibt eine ganze Reihe von Seminaren, die die Bundeswehr veranstaltet; es gibt eine ganze Reihe von Diskussionen; es gibt eine ganze Reihe von guten BeiBundesminister Dr. Apel
trägen aus der Truppe. Es ist vernünftig, diese Debatte bis April laufen zu lassen. Wenn Sie sagen, ich hätte darum gebeten, öffentliche Gelöbnisse bis zum April einzustellen, dann stimmt das.
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- Ja natürlich, aber das heißt doch nicht, daß öffentliche Gelöbnisse nicht mehr stattfänden; Kaserne ist öffentlich.
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- Aber ich bitte Sie, natürlich werden in der Kaserne öffentliche Gelöbnisse durchgeführt, und es wird auch öffentlich vereidigt. - Herr Wörner, Sie werden erleben, daß wir sehr bald nach Abschluß der Debatte zu Ergebnissen kommen und daß wir uns dann außerhalb der Kasernen der Bundeswehr sehr wohl wieder präsentieren, daß die Bundeswehr nicht zu verstecken ist, da sie Teil unserer Gesellschaft ist.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Haushaltsprobleme bei der Bundeswehr im Bereich der Sicherheitspolitik werden uns vor größte Schwierigkeiten stellen. Wer will das eigentlich bezweifeln? Hier machen wir überhaupt keine Ausnahme anderen westlichen Industrienationen gegenüber. Dennoch kann festgestellt werden, daß - durch das Urteil unserer westlichen Alliierten bestätigt und auch durch die kräftige Steigerung des Verteidigungsetats 1981 um 6 % und mehr - hier ein Schwerpunkt sozialdemokratischer, sozialliberaler Politik liegt.
Dies wird uns befähigen, 1981 unsere Aufgaben zu erfüllen. Wir werden in der mittelfristigen Finanzplanung vor Probleme gestellt werden. Wir werden sie erörtern und in aller Offenheit darlegen.
Das nächste Problem wird sein, die Gesellschaft zu veranlassen, mit uns in eine Debatte über den Stellenwert der Bundeswehr und der Landesverteidigung einzutreten. Dabei können wir - weder links noch rechts, noch bei der Bundeswehr noch bei der Gesellschaft - Verhärtungen gebrauchen. Wir brauchen das offene Ohr füreinander und das offene Gespräch miteinander. Mir ist das kritische Gespräch mit der Bundeswehr lieber, als wenn beide Seiten schwiegen. Es ist gut, wenn in den nächsten Monaten, im Februar und im März, mit der Bundeswehr und in der Bundeswehr die Debatte über die Tradition geführt wird. Wir sind dann alle eingeladen, dazu unsere Meinung zu sagen. Daraus werden Konsequenzen gezogen. Ich denke nicht daran, die Bundeswehr aus der Öffentlichkeit herauszuziehen oder sie zu verstecken.
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Die Landesverteidigung und die Bundeswehr sind integraler Teil unserer Gesellschaft. Das ist die übereinstimmende Meinung der demokratischen Kräfte in unserem Lande. Wir sollten daran auch nicht rütteln lassen. - Schönen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Bundesminister Apel eine Reihe von Bemerkungen zum Haushalt, insbesondere auch zu den Problemen im Personalbereich, gemacht hat und Bundesaußenminister Genscher die Schwerpunkte liberaler Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik hier schon dargelegt hat, möchte ich mich auf einen Schwerpunkt - auch wegen einer selbst vorgegebenen Redezeitbeschränkung - beschränken. Ich möchte zum Thema Rüstungspolitik sprechen, das heute auch eine große Rolle spielte.
Dennoch möchte ich vorweg sagen, daß wir, die Freien Demokraten, nach der Darstellung des außen- und sicherheitspolitischen Szenarios durch Bundesaußenminister Genscher jetzt erst recht davon überzeugt sind, daß - trotz der Bedrohungen und trotz der Entwicklung, die wir z. B. bei der KSZE nicht für erfreulich halten - im Hinblick auf die Tatsache, daß j a die Bundesrepublik an der Nahtstelle zwischen Ost und West liegt, alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen sind, damit der Dialog zwischen Ost und West intensiviert werden kann; denn im Gegensatz zu dem, was Herr Würzbach hier mehr herausstellte, nämlich die Verteidigungsseite, möchte ich hier noch einmal betonen, daß für uns die Sicherheitspolitik auf zwei Säulen ruht: auf der einen Seite auf den Verteidigungsanstrengungen, auf der anderen Seite auf der Entspannungspolitik.
Dabei ist die Verteidigungfähigkeit Voraussetzung für die Entspannungspolitik. Ich möchte das deshalb betonen, weil in letzter Zeit die Diskussion um den Nachrüstungsbeschluß auch aus Kreisen der Koalition öffentlich geführt wurde.
Wir Liberalen - ich unterstreiche das noch einmal - sind uns im klaren, daß öffentliches Herummäkeln am Doppelbeschluß der Position des Westens schadet. Nur eine mit Festigkeit betriebene Politik des langen Atems und Verhandelns kann Erfolge haben. Gerade vor dem Hintergrund schwieriger werdender Haushaltslagen müssen wir einerseits Prioritäten im verteidigungspolitischen Bereich setzen, andererseits aber auch Fortschritte in der Rüstungskontrolle und in der Vertrauensbildung erreichen.
Meine Damen und Herren, in der Frage der Rüstungspolitik möchte ich Ihnen einige Auffassungen darlegen, nachdem Herr Minister Apel heute darauf hingewiesen hat, daß wir das Thema in der Klausur im März und im Rahmen der bevorstehenden Etatberatungen im Ausschuß noch vertieft behandeln. Gerade deswegen sind unsere Aufforderungen wichtig, denn weder die Polemik, die hier durch die Darstellungen von Herrn Würzbach und durch einige Fragen aus den Reihen der Opposition sichtbar wurde, noch die Schauanträge, die hier in letzter Zeit gestellt wurden, bringen uns in dieser Frage weiter.
Die Rüstungspolitik hat es verdient, seriöser behandelt zu werden. Die Rüstungsinvestitionen im Verteidigungsetat betragen neben Personalausgaben in Höhe von nahezu 18 Milliarden DM - das sind 44 % - als nächstgrößerer Ausgabenblock fast 14 Milliarden DM; das sind fast 33 %. Die diesjährige Steigerung in diesem Bereich ist ja gerade wegen
Jung ({0})
der Probleme mit dem Tornado besonders groß. Der Rüstungssektor ist immer wieder der öffentlichen Kritik besonders ausgesetzt, weil zuwenig Informationen vorhanden sind. Wir, die Freien Demokraten, haben uns schon in der Vergangenheit immer dafür eingesetzt, daß die Ausrüstung der Bundeswehr der Bedrohung angepaßt werden muß. Wir haben die Ausrüstung stets mitgetragen und unterstützt, weil wir der Überzeugung sind, daß eine qualitativ und quantitativ angemessene Ausrüstung der Bundeswehr Voraussetzung für den Schutz und die Erhaltung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.
Aber - das muß ich hier betonen - Rüstungsausgaben müssen unter folgenden drei Schwerpunkten betrachtet werden: 1. die politisch-parlamentarische Kontrolle der Rüstungspolitik einschließlich der Rüstungsexportpolitik; 2. die Standardisierung und Rationalisierung im Bündnis, wobei Effizienz, Kosten usw. eine große Rolle spielen; 3. die Wirtschaftlichkeit der Vergabepolitik.
Zum ersten. Als Abgeordnete - das geht quer durch die Fraktionen - haben wir oft genug die Übermacht der Bürokratie erlebt, oft genug sogar die Mißachtung des Parlaments oder der Parlamentarier gespürt. Natürlich ist das Feld der Rüstung mit ihren komplizierten, hochtechnisierten Großsystemen ein Paradebeispiel für die Überlegenheit des sogenannten Sachverstands gegenüber den Laien, als die wir Parlamentarier uns doch mehr oder weniger bezeichnen müssen. Wie oft wurden wir - auch die Opposition - vom Sachzwang überzeugt, so daß die Suche nach möglichen Alternativen schon bald verflacht ist!
Selbst die Opposition hat übrigens allen Planungen auch nach 1969 zugestimmt.
Wir Liberalen haben uns daher stets dafür eingesetzt, daß die parlamentarische Kontrolle über Rüstungsvorhaben durch eine umfassende Unterrichtung über militärische, technische und wirtschaftliche Zusammenhänge und Auswirkungen von bedeutenden Rüstungsvorhaben vor Eintritt in entscheidende Phasen sichergestellt ist und uns alternative Lösungen an Hand objektiver Kriterien in bezug auf militärische Forderungen, Leistungsfähigkeit und Kosten unterbreitet werden. Leider geschieht das nicht immer. Da muß ich mich an Herrn Minister Apel wenden. Der Unmut der Parlamentarier, auch der innerhalb der Koalition, ist deshalb so groß, weil hier eben eine gewisse Mißachtung des Parlaments festzustellen ist. Wir haben dies beim Kampfpanzer 2 der 90er Jahre oder beim Leopard 3 erlebt. Deswegen sind bei Ihnen, Herr Apel, einige Schwierigkeiten festzustellen.
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Hier wurde einfach auf Ministerebene eine Vereinbarung unterzeichnet, ohne den Verteidigungsausschuß und damit das Parlament und ohne auch nur die Mitglieder der Koalition vorab zu informieren.
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Das Konzept für das deutsch-französische Neuprojekt der 90er Jahre oder einer Fortentwicklung des Leopard 2 ist auch unter Experten bekanntlich stark umstritten.
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Man sollte auch nicht nachträglich mit politischen Gründen argumentieren.
Wohin das führt - lassen Sie mich die ganze Sache ein wenig lockerer machen -, haben wir beim Tornado-Projekt, das vorhin schon eine Rolle gespielt hat, gesehen. Damals - es ist nahezu zwölf Jahre her -, als der Abgeordnete Schmidt das Amt des Verteidigungsministers übernahm, habe ich dieses Projekt von dieser Stelle aus gerügt. Ich tat dies in Abwandlung der Buchstaben MRCA, als die politischen Dimensionen in die Diskussion eingeführt wurden. Da sagte ich, die militärischen Erfordernisse kommen später, also: „military requirements come afterwards".
Herr Minister Apel, ich will nicht hoffen, daß es zu einem crash kommt. Ich möchte Ihnen in nochmaliger Abwandlung dieser Buchstaben aber sagen, daß es vielleicht auch einmal „monetary requests charge Apel" heißen könnte. Das sollte man sich gerade für die bevorstehende Rüstungsklausur einmal zu Herzen nehmen.
Ich will das nicht vertiefen, weil ich noch einmal auf das Problem Tornado zurückkommen will. Ich will hieraus nur unsere Schlußfolgerungen ableiten. Wir kommen bei der Beurteilung komplizierter Sachzusammenhänge einfach nicht umhin, auch unabhängige Sachverständige zur Begutachtung heranzuziehen. Deshalb hatten wir ein Konzept über geeignete Formen der Institutionalisierung einer Kommission angeregt, um das Parlament in die Lage zu versetzen, Großvorhaben, zukünftige Strukturen der Bundeswehr usw. sachgerecht zu beurteilen. Die Verantwortung der Regierung für weit in die Zukunft reichende kostenträchtige und sicherheitspolitische bedeutsame Entscheidungen wird dadurch überhaupt nicht beeinträchtigt, wie Herr Minister Apel befürchtete.
Noch einmal zur Begründung unserer Überlegungen. Es wurde hier vorhin auch vom Herrn Minister darauf verwiesen, daß z. B. eine optimale Wehrstruktur eine dauernde Aufgabe ist, obwohl die Heeresstruktur 4 gerade erst abgeschlossen worden ist.
Das läßt sich nicht einfach ein für allemal festschreiben, sondern erfordert laufende Überprüfungen, Modifikationen und Verbesserungen. Angesichts der Personal-, Finanz- und Strukturprobleme, die auf die Bundeswehr zukommen, setzen wir uns nach wie vor dafür ein, hier eine Lösung zu finden. Eine unabhängige Kommission bietet dafür nach unserer Auffassung die Gewähr für gute Lösungen.
Jung ({4})
Zum Ausbau der Gesamtverteidigung - das müssen wir doch auch sehen - sind Aufgaben zusammenzufassen, die heutzutage getrennt und damit zu kostenintensiv wahrgenommen werden. Da ist zum Beispiel zu prüfen, ob der stationäre Teil des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, der mit der zivilen Gesundheitsfürsorge bereits eng zusammenarbeitet, völlig dem zivilen Bereich zuzuordnen wäre. Das könnte den Verteidigungshaushalt entlasten, das Personalproblem entschärfen und darüber hinaus eine Verwendung von Zivildienstleistenden erleichtern.
Aber auch die Personalfrage generell wird sich zum schwierigsten Problem der 80er Jahre in der Bundeswehr entwickeln. Die nachlassenden Jahrgangsstärken haben Auswirkung auf die quantitative wie auf die qualitative Bedarfsdeckung. Deshalb müssen bereits heute Schritte eingeleitet werden, um beispielsweise länger dienende Soldaten zu gewinnen. Dazu ist ein solch unabhängiges Gremium bestens geeignet.
Aber zurück zu den Problemen, und hier zum zweiten Themenkreis, den ich angesprochen habe, nämlich zur Standardisierung und Rationalisierung unserer Rüstung im Bündnis. Als Mitglieder des Verteidigungsausschusses haben wir in den vergangenen Jahren eine Vielzahl größerer internationaler Rüstungsprogramme zur Kenntnis erhalten. Tornado ist j a nur das größte. Es gibt darüber hinaus andere: AWACS, Alpha Jet usw. Es ist nicht zu verkennen, daß hier insbesondere von deutscher Seite - und das ist erfreulich - erhebliche Anstrengungen unternommen wurden und werden, um zu einer Standardisierung mit unseren NATO-Partnern zu kommen. Das darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß man auf der Seite des Warschauer Paktes in dieser Frage sehr viel weitergekommen ist und bei uns bei solchen Projekten leider immer wieder nationale Egoismen eine große Rolle spielen. Das ließe sich beim Tornado hinreichend belegen.
Mit Sorge beobachten wir, daß gerade diese internationalen Großprogramme wie der Tornado zu einem explosionsartigen unaufhaltsamen Kostenanstieg geführt haben. Wie inzwischen allen bekannt ist - das wurde hier j a zumindest angedeutet -, hat Tornado in den letzten vier Jahren eine Steigerung von nahezu 43 °A°, nämlich um 6,6 Milliarden DM, seit Beginn 1976 erfahren. Da muß sich das Bundesverteidigungsministerium fragen lassen, ob nicht bei einer derartig erschreckenden Entwicklung ein rechtzeitiger Verzicht auf Gigantomanie bei der Waffentechnik und die Hinwendung zu einfacheren Systemen notwendig gewesen wären, ob nicht ein besseres Management der Behörden dieser Entwicklung hätte entgegenwirken können.
Ich habe vor einigen Tagen im Zusammenhang mit dieser Diskussion bereits darauf verwiesen, daß ein einfacher Ringtausch, ein Bäumchen-wechseldich-Spiel, nach unserer Meinung nicht ausreichend ist. Da muß an dem Wasserkopf schon eine größere Operation vorgenommen werden. Es ist bezeichnend, daß meines Wissens bis heute über eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Thesen zum Management des MRCA-Programms von Herrn Dr.
Köppel seitens des Verteidigungsministeriums noch keine Stellungnahme vorliegt.
Trotzdem ist der Weg internationaler Rüstungszusammenarbeit richtig und sollte konsequent und verstärkt fortgesetzt werden, und zwar nicht nur in Richtung auf eine Standardisierung. Allerdings erfordert dies aus unserer Sicht gemeinsame militärische Konzepte im Bündnis und in der EG, eine gemeinsame langfristige Ausrüstungsplanung, gemeinsame Projekte in Forschung, Entwicklung, Produktion und Nutzung und hier - ich denke an den Hinweis des Ministers auf die Haushaltsprobleme und das Haushaltsrecht - gemeinsame haushaltsrechtliche Überlegungen.
Die Partner dürfen diese Zusammenarbeit nicht zur Durchsetzung eigener protektionistischer industrieller Ziele mißbrauchen. Deswegen meinen wir, daß eine Zusammenfassung beispielsweise in einem Rüstungsamt im NATO-Bündnis und innerhalb der EG die richtigen Weichen stellen würde für die Koordination internationaler Rüstungspläne, für die Erarbeitung gemeinsamer Vergabesysteme und für die Grundsätze einer gemeinsamen restriktiven Rüstungskontroll- und Exportpolitik; denn es geht nicht an, daß man mit doppelter Moral arbeitet, nämlich auf der einen Seite sich der Kooperation in bestimmten Programmen enthält und dann einer der Kooperationspartner mit den deutschen Waffen überall auf der Welt auftritt.
Meine Damen und Herren, ich wollte noch einige Worte zur Rüstungswirtschaft und zur nach unserer Meinung besseren, und zwar kostensparenderen Vergabetechnik sagen. Nach unserer Meinung sind bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen auch mittlere und kleinere Unternehmen verstärkt mit zu berücksichtigen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich darf Sie bitten, auch wirklich zum Ende zu kommen.
Frau Präsident, ich habe mich bewußt auf diese 15 Minuten konzentriert und werde sofort zum Ende kommen.
Der letzte Satz!
Ich möchte Ihnen sagen, daß diese Probleme nach unserer Überzeugung trotz der Haushaltsprobleme - der Minister hat das eben auch gesagt -, die vor uns liegen, bei Beachtung der Grundsätze, die wir in der Rüstungsklausurtagung in den nächsten Wochen noch einmal vertieft vortragen werden, langfristig lösbar sind. Dabei hoffen wir auf die Unterstützung aller Kollegen. Wir, die Freien Demokraten, werden dazu konstruktiv beitragen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Biehle.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Während der Bundesverteidigungsminister sein Verwirrspiel um die Gelöbnisse abspulte, fiel
mir eine Episode aus der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses ein. Als der Minister damals bei der Antwort auf die Tornado-Frage in Verlegenheit kam, delegierte er die Antworten auf Mitarbeiter und meinte, der hinter ihm sitzende Haushaltsdirektor sollte die Antwort geben. Zu dieser Zeit hatte der Haushaltsdirektor aber bereits neben ihm gesessen, und als sich der Haushaltsdirektor spontan meldete, meinte ein Mitarbeiter, der Minister habe die Orientierung verloren. In der Tat, es ist so. Dieser Minister hat jegliche Orientierung verloren, und auch mit den Begriffen hapert es bei ihm.
({0})
Herr Minister Dr. Apel, ich glaube, daß Sie heute selber bei der Frage des Gelöbnisses dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit das beste Beispiel für die Fragwürdigkeit Ihrer Glaubwürdigkeit gegeben haben.
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Sie haben in dieser Diskussion in Ihrer Rede ausgeführt, daß es keinen Erlaß gebe, sondern nur eine Bitte, wobei Sie genauso gut wie wir alle hier wissen, daß es keinen Kommandeur in der Bundeswehr gibt, der diese Bitte so betrachtet, wie Sie das hier dargelegt haben, sondern daß keine öffentlichen Gelöbnisse mehr stattfinden. Wenn Sie dann noch sagen, daß die Kasernen sowieso öffentlich sind, dann darf ich Sie daran erinnern, daß in der Vergangenheit selbst für Abgeordnete der Zugang zu Garnisonen schwierig zu erlangen war, geschweige denn für die Öffentlichkeit draußen, für die Allgemeinheit.
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Ich kann nur fragen: Was ist das denn für ein Führungsstil, den Sie hier vorlegen, mit Bitten und Anhören statt Befehl und Gehorsam in dieser Bundeswehr? Was haben denn die Soldaten, die heute hier saßen, für einen Eindruck von ihrem Minister, von seinem Führungsstil, von seiner Art?
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Dies ist doch ein jämmerliches Bild. Vielleicht sind die Soldaten, die als Zuhörer hier waren, auch deswegen schon weggegangen, weil sie nicht mehr verkraften konnten, was sich hier abgespielt hat.
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Ich kann Ihnen nur sagen: Was die Frage des Gelöbnisses betrifft, sind wir zur Diskussion bereit, nur nicht unter dem Druck der Straße. Sie haben Ihren Erlaß unter dem Druck der Straße und der Öffentlichkeit herausgegeben, haben die Bundeswehr in das Getto hineinsteckt, wie auch der Kollege Würzbach schon gesagt hat. Wir glauben, daß diese Diskussion geführt werden muß, aber nicht unter Tatsachen, wie Sie sie hier durch Verbot geschaffen haben.
Sie meinten eben zu dem Kollegen Würzbach, es habe keinen Zweck, Fronten aufzubauen, Ihre Partei sei eindeutig. Herr Minister, da kann ich nur fragen: Wo leben Sie eigentlich? Auf einem anderen Planeten? Es ist doch kein Wunder, wenn die TornadoDiskussion an Ihnen vorbeigeht und vor allem in der Vergangenheit vorbeigegangen ist, wenn Sie nicht einmal die Lage in Ihrer eigenen Partei richtig kennen.
Wir sind sicherlich auch bereit - und meine Fraktion hat das wiederholt zum Ausdruck gebracht -, auch in der Entwicklungshilfe mitzuhelfen, das, was die Regierung schon lange versprochen hat, in ,die Tat umzusetzen, nur nicht unter dem Zeichen des Rotstifts am Verteidigungshaushalt. Wir sind nicht bereit, den Eckpfeiler der Sicherheit und der Freiheit dieses Landes untergraben zu lassen.
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Da kann ich nur sagen: Nehmen Sie doch - das ist gestern schon angeklungen - die Millionenbeträge von der Informationspolitik der Regierung oder die Millionen der künstlerischen Ergüsse im Bundeskanzleramt.
Wenn man Sie bei den Erläuterungen über die sogenannte Tornado-Affäre hört, kommen einem fast die Tränen. Ich möchte Ihnen aber, statt Tränen zu vergießen, folgende Sätze ins Stammbuch schreiben:
Hier kommt es darauf an, daß man, wenn man ein solches Flugzeug in so großer Zahl kauft, auch die übrigen Vorkehrungen trifft. Sie müssen nämlich die unzureichende Organisation und Führung an der Spitze Ihres Hauses verantworten. Es gibt nur zwei Personen in Ihrem Hause, in deren Kopf und auf deren Schreibtisch das alles zusammenfließen kann. Das sind Sie, und das ist Ihr interner Stellvertreter.
Dies war nicht meine Rede, sondern, Herr Minister, ein Zitat, nämlich ein Zitat des Hamburger Abgeordneten Schmidt, alias Verteidigungsminister, zum damaligen Verteidigungsminister von Hassel bei der Starfighter-Debatte.
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Herr Kollge, ich muß an Sie eine Frage richten. Wie haben Sie das eben mit dem „alias" gemeint?
Als ehemaliger Verteidigungsminister.
Ich meine, das Wort „alias" ist hier ja wohl nicht im Sprachgebrauch möglich. Ich bitte, solche Vergleiche nicht zu ziehen.
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Ich meinte dies in bezug auf Pressemeldungen über SPD-Kollegen von heute, denen ich mich angepaßt habe. Ich meinte den vormaligen Verteidigungsminister Schmidt.
Dieses Zitat Schmidts hat sicher auch heute volle Gültigkeit.
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Der langjährige Generalinspekteur Wust, der jetzt im Ruhestand ist, sagte dazu in diesen Tagen:
Es mußte zu diesem Desaster kommen. Jede Privatfirma wäre bei einem solchen Management schon längst pleite gegangen.
Dies ist, meine ich, mehr als ein Tiefschlag. Dies ist eine totale Disqualifikation und, wenn Sie so wollen, vielleicht auch eine „rote Karte" der Soldaten.
Alle Welt hat gewußt, was um den Tornado vor sich geht. Alle Zeitungen in der Bundesrepublik haben im ganzen Jahr 1980 über diese Finanzmängel und über das Nichtvorhandensein der Finanzmittel geschrieben.
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Nur der Bundesminister der Verteidigung auf der Hardthöhe hat davon nichts gelesen und nichts gehört.
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Da kann ich nur fragen: Herr Minister, haben Sie denn Ihre Aufgaben wirklich ernst genommen, oder glauben Sie, dies ist ein Stundenjob, den Sie auf der Hardthöhe haben?
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Es wäre ratsam, wenn Sie möglichst rasch zur vollen Klärung die fehlenden Unterlagen, die uns versprochen waren, aber nicht vorgelegt worden sind - einiges ist von dem Kollegen Würzbach schon angeführt worden -, vorlegen würden. Ich denke an den Tornado-Jahresbericht 1979 - nicht 1980, sondern 1979. Es fehlt auch noch die Fortschreibung des Rüstungsbeschaffungsberichts von 1979. Diese Vorlagen sind notwendig, damit wir die vollen Auswirkungen der Streichungen und Kürzungen ermessen können - neben den Unterlagen, die zum Haushalt im Rahmen der geheimen Erläuterungsblätter noch fehlen.
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Sie berufen sich auf die Klausurtagung, die stattfindet - wobei ich hoffe, daß Sie das politisch überleben -, und sagen, daß es bei dieser Klausur weder Abstriche noch Kürzungen gebe. Herr Bundesminister, die Wirklichkeit ist doch ganz anders. Zum einen haben wir in den vergangenen Jahren laufend Kürzungen hinnehmen müssen. Zum anderen müssen wir auch in diesem Haushalt feststellen, daß eine Reihe von Projekten in Frage gestellt, gekürzt oder gestrichen sind. Ich denke dabei - um nur ein paar Punkte aufzuführen - an das Roland-System, die Nachfolge für Nike;
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TFK ganz außer Reichweite; das Panzernachtkampffähigkeitssystem, Infrastrukturmaßnahmen sind erheblich gekürzt worden; der Betriebsstoff ist gekürzt worden. Ich frage nach Ihrer Glaubwürdigkeit. Im letzten Nachtragshaushalt haben wir die Mittel für Betriebsstoff wesentlich aufgestockt, weil sie nicht gereicht haben. Jetzt wird mehr gekappt,
als wir aufgestockt haben. Dies macht Ihre Glaubwürdigkeit doch nicht größer.
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Der größte Schock lag für uns in der Tatsache, daß im Verteidigungsausschuß die Frage nach Kürzungen, Einschränkungen im Tornado-Programm durch Ihren Haushaltsdirektor dahin gehend beantwortet wurde, daß auch die Allwetterlandefähigkeit für dieses Flugzeug durch Einstellung der Entwicklung in Frage stehe und geprüft werden solle, ob es überhaupt eingebaut wird.
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Da kann ich nur sagen: Dies war doch eigentlich eine der wesentlichen Grundlagen, warum dieses Flugzeug überhaupt angeschafft werden sollte, damit es nämlich ein Allwetterkampfflugzeug wird und nicht irgendeines, das nur bei Sonnenschein durch die Gegend fliegt.
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Noch ein Beispiel zur Streckung. Sie haben als Bundesminister der Verteidigung am 18. Dezember 1980 laut Wortprotokoll zur Streckung des TornadoProgramms folgendes gesagt:
Ein Strecken von MRCA Tornado oder gar ein Streichen kommt für uns nicht in Frage, und zwar nicht nur wegen der verteidigungspolitischen Konsequenzen, sondern auch wegen der nicht erträglichen Kosten. Ein Strecken des Programms kann bis zu 800 Millionen DM kosten.
Genau 28 Tage später haben Sie in einem Schreiben an den Verteidigungsausschuß folgendes festgestellt:
Ein vordringliches Ziel im Tornado-Programm muß es sein, mit den Partnerländern eine Strekkung des künftigen Produktionsverlaufs herbeizuführen.
Ich glaube, dazu bedarf es keines Kommentars, dies spricht Bände.
Ich habe eigentlich ein Wort zur Wehrgerechtigkeit vermißt, Herr Bundesminister. Dies beschäftigt Tag für Tag die junge Generation und auch deren Eltern. Tausende, Zehntausende von jungen Menschen fragen, wann eigentlich diese Bundesregierung bereit ist, die Wehrgerechtigkeit wiederherzustellen. Es kursiert das Schlagwort: Die einen dienen, die anderen verdienen. Wer wie Teile Ihrer SPD-Fraktion die Bundeswehr, das Bündnis, ja, selbst die Verteidigungspolitik der eigenen Bundesregierung in Frage stellt, sogar Bundeswehr und NATO ganz auflösen will, der kann keine jungen Menschen für die Sicherheitspolitik und für den Grundwehrdienst in der Bundeswehr motivieren. Wann wollen Sie die Drückeberger der Nation endlich für einen Dienst in der Gemeinschaft gewinnen, indem Sie z. B. denen, die dienen, einen steuerlichen
Vorteil einräumen, und den anderen sagen, daß sie eben mehr Steuern zahlen müssen?
({9})
Diejenigen, die den Dienst leisten, sollen wissen, warum sie das tun, und nicht gegenüber den anderen benachteiligt werden.
Erschreckt es Sie eigentlich nicht, Herr Bundesminister, daß wir feststellen müssen, daß z. B., weil die Probleme der Kriegsdienstverweigerung von dieser Bundesregierung rechtlich nicht gelöst wurden, die Zahl der Kriegsdienstverweigerer unter den gedienten Soldaten allein im Jahre 1980 um 93 % angestiegen ist? Dies ist doch wohl eine der alarmierendsten Meldungen, daß sich zunehmend gediente Soldaten nach ihrem Dienst als Kriegsdienstverweigerer melden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer?
Bitte sehr.
Herr Kollege, könnten Sie präzisieren, wen Sie als „Drückeberger der Nation" bezeichnen bzw. wen Sie damit meinen?
Dies kann ich Ihnen ganz deutlich sagen. Mit „Drückeberger" meine ich diejenigen vom Staat geförderten pflichtigen und tauglichen jungen Menschen, die weder Dienst in der Bundeswehr noch einen Ersatzdienst für diese Gemeinschaft, für den Frieden und für die Freiheit in diesem Lande leisten.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es genügt dabei nicht, daß sich diese Bundesregierung einfach auf die Regierungserklärung vom 24. November 1980 beruft, wie das vor kurzem in Beantwortung einer Anfrage des Kollegen Weiskirch geschehen ist, und sagt, daß man das Problem der Neuregelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung weiterverfolgen werde.
({1})
Herr Kollege, ich muß Sie leider noch einmal unterbrechen. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, es geht auf das Ende meiner Redezeit zu. Ich bitte um Verständnis.
Gut, keine Zwischenfragen mehr.
({0})
Sie haben ja die Gelegenheit, das noch durch Ihren Sprecher vortragen zu lassen, was Ihnen auf der Seele brennt.
Ich hoffe, Sie geben eine befriedigende Antwort, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Punkte, die heute angesprochen worden sind, damit das Fundament unserer Sicherheit und Freiheit auch in Zukunft gewährleistet bleibt.
Eines kann ich Ihnen sagen, Herr Bundesminister Apel: Die Geschichte hat mit Sicherheit heute schon ein erstes Urteil über Sie gesprochen, nämlich in der Form, daß Sie der erste Verteidigungsminister in diesem Lande sind, unter dessen Amtsführung der Bund zur Tilgung von Schulden mehr Geld ausgibt als für die Verteidigung und damit für die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes. Mit Ihrem Kürzungs-, Streckungs- und Unterlassungsprogramm demoralisieren Sie die Soldaten der Bundeswehr, Sie reduzieren die Kampfkraft, fördern das Gammeln und verhindern schließlich auch jegliche Motivierung unserer Soldaten, ja, wenn Sie so wollen, unserer gesamten Gesellschaft.
Wir halten es für notwendig, daß die Bundeswehr wieder ihren Stellenwert erhält, den sie als unser Friedenssicherer Nummer 1 verdient. Sie haben die Gelegenheit, Ihren Worten Taten folgen zu lassen, zum Beispiel in bezug auf die zugesicherte Zahlungsverpflichtung im Verteidigungsbereich und auf den Nachrüstungsbeschluß der NATO. Beginnen Sie, Herr Minister Apel, die realistische sicherheitspolitische Lage mit Frieden und Freiheit statt des Rotstiftes wieder zur Maxime Ihres politischen Handelns zu machen! Auch wenn Ihnen die linke Riege der SPD-Fraktion ihre Hilfe versagt, die Union steht Ihnen dabei im Interesse unseres Landes, und des freien Westens, zur Seite. Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würtz.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Biehle, das war nach den doch leidlich sachlichen Darstellungen des Kollegen Würzbach ein richtiger Rundumschlag. Mir ist dabei ein Lied eingefallen: „Im Leben, im Leben geht mancher Schuß daneben".
({0})
Lassen Sie mich einmal die Frage der Orientierung - ({1})
- Darauf kommen wir noch, warten Sie nur ab. - Ich wollte zunächst einmal mit der „Orientierungslosigkeit" des Ministers beginnen. Da haben Sie gesagt, auch die Soldaten dort oben seien verschwunden. Ich glaube eher, die sind verschwunden, weil Sie hier so richtig losgelegt haben; sie konnten das gar nicht mehr ertragen.
Ich sage Ihnen deutlich: Das Wehklagen, das Sie vorgeführt haben, das Wehklagen, daß es bei der Bundeswehr an allen Ecken und Enden nicht ausreiche, ist eben so stark übertrieben, daß man Ihnen
das nicht abnimmt. Ich will Ihnen einen weiteren Punkt vorhalten - ({2})
- Gnädige Frau, ich habe Herrn Dr. Wörner schon gesehen. - Am Sonntag haben Sie in einer sehr bekannten Zeitung darauf aufmerksam gemacht, was so alles gestrichen werde: TKF 90 - damit haben wir im vorigen Jahr angefangen -, Roland, Feldhaubitze, Patriot. Wenn das so ist, Herr Wörner, wenn Sie schon wissen, was der Minister noch nicht weiß - er geht j a in die Rüstungsklausur -, dann möchte ich von Ihnen gerne wissen - Sie wollen mich jetzt etwas fragen; ich bin gern bereit, dann auch darauf zu antworten -, wie sich das verträgt mit der Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden, die er bei Ihnen in Kassel gemacht hat, Herr Kollege Haase, daß bei diesen Haushaltsberatungen auch der Verteidigungshaushalt nicht etwa ungeschoren davonkommt.
({3})
- Einer Erhöhung? Das finde ich aber sehr nett. - Herr Dr. Wörner?
Ich habe nicht bemerkt, daß Sie sich gemeldet haben; das Signal leuchtet nicht auf. Bitte.
Herr Kollege Würtz, könnten meine Kenntnisse in Ihren Augen nicht etwas mehr Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn Sie sich einmal vor Augen führen, daß der Herr Minister angeblich über die Finanzschwierigkeiten des Tornado überhaupt noch nichts wußte, als ich bereits, durch Nachrichten aus seinem Hause alarmiert, ihm darüber Briefe schrieb?
Herr Dr. Wörner, ich habe vorhin bei dem Beitrag von Herrn Kollegen Würzbach sehr genau zugehört. Er hat von 650 Millionen DM gesprochen. Da hat er schon einen Trick angewendet. Er hat nämlich zu dem Zeitpunkt, als das Dokument von Herrn Staatssekretär Dr. Schnell vorgelegt wurde, als der Haushalt 1981 noch im Entstehen war, das, was für 1981 vorgesehen war, schon auf das Jahr 1980 umgerechnet. Wenn ich den Minister in den zwei Sitzungen des Haushalts- und des Verteidigungsausschusses, die wir mit ihm hatten, richtig verstanden habe, hat er immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß er natürlich diese Schwierigkeit im Jahre 1980 gesehen habe, ihm das gesamte Ausmaß der Finanzsituation beim Tornado - das finden Sie mehrmals im Protokoll - aber erst im November klargeworden sei. Und ich nehme dem Verteidigungsminister dies ab.
({0})
Der Verteidigungsminister hat auch zugegeben, daß
ihm in dieser Form, wie das dort geschehen ist, vorgetragen wurde. Aber - ein ganz wesentlicher
Punkt - das gesamte Ausmaß ist ihm nicht bekannt gewesen.
({1})
Lassen Sie mich zu dem Tornado hinzufügen - weil ich auch zu den Kritikern gehört habe, als ich das riesige Loch gesehen habe -: Ich finde es großartig, daß der Verteidigungsminister aus dieser schwierigen Situation doch eine ganze Reihe von Folgerungen gezogen hat. Ich nehme das einmal so, wie er es uns vorgetragen hat: Neuordnung der Aufgabenverteilung im Bereich der Leitung, Straffung der Leitungsstruktur der Rüstungsabteilung, Unterstützung der Leitung des Verteidigungsministeriums durch industriellen Sachverstand, Wiedereinrichtung einer Revision im Ministerium, Prüfung der Organisation der Rüstungsabteilung und noch einige Maßnahmen mehr. Ich bin froh darüber, daß der Minister die Anregungen, die aus dem Parlament gekommen sind, aufgegriffen hat, und zwar mit dem Argument: Bei einem so komplizierten Waffensystem, das in internationaler Zusammenarbeit entwickelt wird, muß alles darangesetzt werden, damit wir nicht erneut in schwierige Situationen kommen.
Ich freue mich über die klare Zuordnung, die der Minister in der Rüstungsabteilung vorgenommen hat.
Ich habe zudem einen Wunsch vorzutragen, Herr Minister. Mich würde es freuen, wenn der Sie mit dem industriellen Sachverstand unterstützende Manager der Industrie unabhängig wäre. Einer Ihrer Vorgänger im Amt, Herr Bundeskanzler Schmidt, hatte damals dafür einen Mann gefunden, der absolut integer und in der Lage war, die Aufgaben auch so wahrzunehmen, daß man sagen konnte: Dies ist wirklich ein Mann, der bereit ist, nicht etwa irgendwelchen Interessen, sondern der Bundesrepublik Deutschland zu dienen.
({2})
- Ich gehe davon aus - Herr Kollege Würzbach, da brauchen Sie keine Sorgen zu haben -, daß der Herr Minister, nachdem dies passiert ist, nicht nur hellhörig geworden ist - das war er schon immer -, sondern daß er aus dem, was ihm dort eingebrockt worden ist, auch ernsthafte Konsequenzen ziehen wird.
({3})
Wenn man es als Haushälter betrachtet, so muß man feststellen, daß für den Minister eine positive Entwicklung eingetreten ist. Er hat durch das Kabinett 700 Millionen DM mehr für den Verteidigungshaushalt bekommen.
({4})
- Herr Kollege Windelen, das Kabinett hat das beschlossen. Wir müssen darüber hier noch einmal be680
schließen. Das Kabinett hat im Dezember diese 700 Millionen DM vorgezogen.
({5})
Das hat - wenn ich das einmal so offen sagen darf - den positiven Effekt, daß das Tornado-Programm keine Streckung erfährt, damit also in der Zukunft nicht noch teurer wird. So werden wir letztlich bei der Endabrechnung in der Situation sein, sagen zu können: Es war jedenfalls nicht so teuer, wie erst angenommen.
Ich habe einen Wunsch vorzutragen - gerade auch an den Herrn Minister. Ich würde mich freuen, wenn es gelingen könnte, dafür zu sorgen, daß der angekündigte MRCA-Bericht dem Parlament sehr schnell vorgelegt wird; denn wir brauchen die Zahlen, um letztlich ganz genau nachschauen zu können, ob die Sache in Ordnung ist.
({6})
Ich bin der Auffassung, daß dieser Verteidigungshaushalt, so wie er uns vorgelegt worden ist und wie er in die Beratung eingeht, eine gute Ausgangsposition für den Bereich der Verteidigung darstellt und daß das Ausgabevolumen im Verteidigungsbereich angemessen ist. Wir werden in der Lage sein, die wesentlichen Aufgaben im Verteidigungsbereich zu erfüllen. Daß auf diesem hohen Niveau, welches der Verteidigungshaushalt erreicht hat, noch eine Steigerung von 2,4 Milliarden DM möglich war, erscheint mir jedenfalls als ein ausgesprochen angemessener Beitrag.
Angesichts dieser eindeutigen Zahlen vermag ich für 1981 weder die in der Öffentlichkeit beschworene Finanzmisere der Verteidigung noch ein Nachlassen unseres Beitrages im Bündnis zu erkennen. Für mich ist der Verteidigungshaushalt, der vorgelegt wird, außerordentlich eng, und wir werden sehr schwierige Beratungen haben, um - ich nenne das Beispiel Treibstoff - große Schwierigkeiten zu verhindern.
Ich komme zum Schluß. Ungezügelter und unkontrollierter Ausgabenpolitik werden wir wie in der Vergangenheit unsere Zustimmung verweigern, Sie sicher auch, wir alle gemeinsam. Wo Sie, Herr Bundesminister, sparsam und effektiv die knapper werdenden Mittel einsetzen, da finden Sie unsere konstruktive Unterstützung und unsere Mitarbeit. Ich darf nur hoffen, daß wir bei diesen Haushaltsberatungen kritisch, aber doch wirkungsvoll zusammenarbeiten werden.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Debatte „Tradition" nur eines nachtragen, weil ich mich rückversichern wollte, ob das auch geht. Das, was hier debattiert wurde, ob Verbot oder wie auch immer, hat einvernehmlich im Militärischen Führungsrat zur Debatte gestanden und dort einvernehmlich zu dem Ergebnis geführt: Jawohl, wir halten das für geboten.
Ich habe den Herrn Generalinspekteur gefragt, ob ich ihn hier in Anspruch nehmen dürfte. Es hat einen der Inspekteure gegeben, der in der Abteilungsleiterkonferenz gesagt hat: Wir müssen jetzt debattieren. Wir können dies unseren jungen Soldaten nicht mehr zumuten. - Deswegen hat der Militärische Führungsrat einvernehmlich mit mir gesagt: Wir machen jetzt eine Pause; wir wollen die Debatte; wir wollen dies vorbereiten. Ich will dies in aller Klarheit sagen.
Ich wollte es erst nicht sagen, weil ich wissen wollte, ob ich den Herrn Generalinspekteur in Anspruch nehmen darf.
({0})
Er hat gesagt: Dies ist in Ordnung. Das heißt: alle, die militärisch Verantwortung tragen auf der Hardthöhe, zusammen mit den politisch Verantwortlichen, sind im Interesse der Truppe für Debatte, für ein Ergebnis und dann für Fortsetzung des öffentlichen Auftretens der Bundeswehr. Schönen Dank.
({1})
Nein, der Herr Minister hat das Podium verlassen. Damit ist dieser Teil zu Ende. Es sei, es meldet sich jemand von Ihnen zu Wort. - Bitte schön, Herr Dr. Wörner hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt manche Momente, die mich in der jetzigen Debatte und dem Auftreten des Ministers heute irritiert haben. Aber das hat es in diesem Haus noch nie gegeben, daß ein Minister zur Begründung seiner Entscheidung, die bis jetzt noch nicht klar ist, versucht, nun auf seine Generäle auszuweichen und sie hier öffentlich in Pflicht zu nehmen.
({0})
Ich kann nur sagen, das ist ein Führungsverhalten, das, wenn es beispielhaft wird, die Verantwortungsmöglichkeiten jedes Ministers in der Zukunft einschränken muß. Das darf nicht Schule machen - um es klar und deutlich zu sagen.
({1})
Dann stelle ich an Sie mehrere konkrete Fragen, Herr Minister.
({2})
Erstens. Was haben Sie nun als verantwortlicher Minister dieser Bundeswehr gewollt und in Ihrem Hause durchzusetzen versucht?
({3})
- Herr Ehmke, warum regen Sie sich so auf? Ich wende mich doch nicht an Sie, sondern an den Minister.
({4})
Zweitens. Was ist nun in der Armee befohlen worden? Drittens. Was haben Sie jetzt vor bis zur Debatte, die Sie führen wollen, in dieser Armee weiterhin zu tun?
({5})
Jetzt eine Feststellung namens der CDU/CSU-Fraktion. Wir weichen der Debatte nicht nur nicht aus, sondern wir wollen diese Debatte. Im übrigen führen wir die Debatte über die Tradition der Bundeswehr nicht erst seit den Bremer Krawallen, sondern schon lange vorher. Das ist nicht die Frage. Die Frage ist auch nicht, ob wir der jungen Generation eine Antwort schuldig sind auf die Frage: Warum Bundeswehr, warum Tradition, wie Bundeswehr, wie Tradition? Das können Sie nicht auf eine Momentaufnahme beschränken.
({6})
Diese Debatte wird auch noch in zwei und drei und vier und fünf Jahren geführt werden müssen. Diese Debatte wird mit vollem Einverständnis der CDU/ CSU geführt.
({7})
Nur eines darf nicht geschehen - und das ist eben das, was wir beanstanden -: daß man diese Debatte und ihren Ausgang dadurch präjudiziert, daß man - und das ist eben der Punkt - jetzt unter dem Druck der Straße zurückweicht und öffentliche Gelöbnisse aussetzt.
({8})
Es gibt Gemeinden - Würzbach hat von diesen Fällen gesprochen -, Gott sei Dank auch noch Gemeinden unter sozialdemokratischer Führung, wo das ganz selbstverständlich praktiziert wurde,
({9})
wo die Leute jetzt fragen: Warum dürfen wir das in diesem Moment nicht mehr? Nun schulden Sie ihnen die Antwort darauf, Herr Apel, bis heute noch. Ich kann nur sagen, unsere Billigung findet diese Aussetzung nicht, weil sie in der Öffentlichkeit mit Recht so interpretiert wird, daß Sie unter dem Druck der krawallmachenden Minderheiten zurückweichen. Damit führen Sie die Debatte nicht, sondern Sie erschweren sie nur.
({10})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Kollege Dr. Wörner, das kann ich nun überhaupt nicht begreifen, daß Sie mir den Vorwurf machen wollen - ich muß ihn entschieden zurückweisen -, ich wollte mich hinter meinen Generalen verstekken. Ganz im Gegenteil. Der Generalinspekteur der Bundeswehr ist in allen militärischen Fragen der Berater der Bundesregierung und als höchster Soldat natürlich insbesondere der Berater seines Ministers. Wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr mir nach Rückfrage sagt: Herr Minister, Sie können durchaus feststellen, daß wir in dieser Frage einvernehmlich hinter Ihnen stehen, weil wir in der Tat der Meinung sind, daß wir eine vernünftige, ruhige und gelassene Debatte brauchen, dann zeigt das nur, daß mein politischer Führungswille in Übereinstimmung mit dem ist, was die obersten Militärs auf der Hardthöhe auf Grund der Krawalle in Bremen, in Bonn und anderswo genauso empfinden.
({0})
Da kann ich überhaupt nicht verstehen, wieso ich dann hinter meine Generale zurückweiche, sondern ich habe diese Frage offen und ehrlich mit ihnen debattiert. Wir haben dies alles gemeinsam erlebt und durchlitten, ob es in Bremen war, ob es in Bonn und anderswo war. Wir sind einvernehmlich zu dem Ergebnis gekommen, es kann so nicht weitergehen, nicht zuletzt im Interesse der Wehrpflichtigen selbst.
({1})
Wenn dies so ist, dann versteckt sich hier niemand hinter niemandem, sondern ich stehe zu meiner Verantwortung. Aber deutlich muß werden, daß ich auch künftig bei solchen Fragen auf den Rat derer höre, die meine Berater zu sein haben. Die haben mir diesen Rat gegeben.
({2})
Herr Kollege Dr. Wörner, wir haben im Deutschen Bundestag mindestens zweimal über das Thema öffentliche Gelöbnisse debattiert, einmal, wenn ich mich recht erinnere, nach den Ereignissen in Bremen; das zweite Mal muß es anläßlich der Regierungserklärung gewesen sein. Da können Sie nun wirklich nicht sagen, daß ich in diesem Falle Feigheit zeige, mich dem Druck der Straße beuge. Überhaupt nicht! Aber wir hatten schon damals einen sehr grundsätzlichen Meinungsunterschied zwischen Ihnen und uns festgestellt. Wenn ich „uns" sage, dann deshalb, weil ich die Liberalen sicherlich einbeziehen kann. Sie meinen, mit Konfrontation, mit sturem Festhalten an dem, was man sich einmal vorgenommen hat, Probleme lösen zu können, während ich meine, daß wir die Pflicht haben, wie ich es einmal gesagt habe, die Spreu vom Weizen zu trennen, das heißt mit den jungen Leuten, die es gut mit diesem Staat und gut mit der Bundeswehr meinen, aber vieles nicht begreifen, was wir Älteren sagen, auch nicht, was in der Bundeswehr gesagt wird, in den Dialog zu kommen.
({3})
Allerdings kann es - da stütze ich mich wieder auf den Rat meiner Militärs und auch auf viele Gespräche mit den Jugendoffizieren ab - eine sachliche Debatte nicht geben, wenn eine gegenseitige Konfrontation bestehen bleibt.
Nun könnte man sagen: Ihr müßt die Debatte früher führen; ihr dürft nicht vom November bis zum April warten, sondern ihr müßt sie früher durchführen. Hier habe ich mich politisch dafür entschieden, sie nicht so früh durchzuführen. Ich will das begründen: Eine solche Debatte bedarf einer intellektuellen Vorbereitung und Klärung. Es darf keine Debatte sein, die der Bundeswehr übergestülpt wird. Es muß vielmehr eine Debatte sein, die in den Standorten der Bundeswehr selbst läuft.
({4})
Es muß eine Debatte bei den Wehrpflichtigen sein, eine Debatte, die auch ihnen die Möglichkeit gibt, sich zu artikulieren. Es muß eine Debatte sein, auf die sich auch die Jugendverbände vorbereiten können. Deswegen haben wir dieses Datum gewählt.
Wenn Sie nun sagen, ich solle Farbe bekennen, so sage ich Ihnen: Sie bekommen in diesen Tagen die Einladung. Der Ablauf der Tagung ist in etwa strukturiert. Wir werden einen offenen Meinungsaustausch führen; wir werden die Presse dabei haben. Eins werden wir nicht tun: diese Tagung zu einem Entscheidungsgremium machen. Diese Tagung wird der Beginn einer kontinuierlichen Debatte sein, und zwar nicht nur zum Thema Bundeswehr und Tradition, sondern auch zum Thema Bundeswehr und Gesellschaft. Es gilt Antworten auf die Fragen zu suchen: Was fordert die Bundeswehr von der Gesellschaft? Was kann die Gesellschaft von der Bundeswehr fordern?
Hinsichtlich der Tradition werden wir dann Entscheidungen fällen, die allerdings nur Teil der Problematik sind. Ich weise aber den Vorwurf zurück, daß bei dem einvernehmlichen Bitten oder dem Befehl, in den nächsten zwei, drei Monaten außerhalb der Kasernen keine öffentlichen Gelöbnisse durchzuführen, der Druck der Straße eine Rolle gespielt habe. Ich weise den Vorwurf zurück, daß auf diese Art und Weise das Ergebnis dieser Diskussion präjudiziert worden sei. Bei uns war es politische Vernunft und Fürsorge gegenüber den Soldaten, Herr Abgeordneter Dr. Wörner.
({5})
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Erklärung für das Bild der Schwäche und der Führungslosigkeit, das der Bundesminister der Verteidigung heute hier geboten hat.
({0})
Die Aktionen starker SPD-Gruppen gegen die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung nehmen an Zahl und Intensität zu. Es zeigt sich, daß sich der Bundeskanzler und der Außenminister in
grundlegenden Fragen nicht mehr auf die SPD/ FDP-Mehrheit im Bundestag verlassen können,
({1})
sondern sich auf die CDU/CSU-Fraktion stützen, die sie gleichzeitig in der Rolle des innenpolitischen Gegners sehen.
Hinter den lauten Vorturnern dieser Gruppe steht ein erheblicher Teil der SPD-Fraktion - die subjektiven Motive dieser Kollegen stelle ich hier überhaupt nicht in Frage -,
({2})
der sich aus Parteidisziplin, nicht aber aus Überzeugung noch zurückhält. Ich kann Ihnen allen nur raten: Lesen Sie nach, was der junge Kollege Scheer von der SPD-Fraktion im ppp-Pressedienst oder im „Vorwärts" schreibt. Es ist eine Perversion des Koalitionsgedankens, wenn eine wachsende Gruppe der Regierungspartei SPD die Rolle der Opposition gegen die Regierung übernimmt, während die parlamentarische Opposition der CDU/CSU zum Mehrheitsbeschaffer denaturiert wird.
({3})
- Hören Sie gut zu, Herr Kollege Immer, SPD und FDP bilden im Bundestag eine Postenmehrheit zur Sicherung der Ministerpfründe, der Medienvorteile und anderer Annehmlichkeiten, haben aber in grundlegenden Fragen der deutschen Politik keine Sachmehrheit mehr.
({4})
Der Koalitionsgedanke ist aber demokratisch nur dann zu rechtfertigen, wenn eine Koalitionsmehrheit in den entscheidenden Fragen der Nation auch eine Sachmehrheit verkörpert.
Heute ist die Politik der Bundesrepublik Deutschland in wesentlichen Fragen der Bündnispolitik, der Abrüstung, der Verteidigung, des Rüstungsexports, der Türkei-Hilfe, der Energiesicherung, der Auslegung und Nutzung der Ostverträge, der Beziehungen zu Washington, des deutsch-sowjetischen Verhältnisses für Freund und Gegner nur deshalb noch berechenbar, weil sich Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher auf die staatspolitische Verantwortung der CDU/CSU verlassen. Dieser Zustand aber, meine Kollegen, ist eine Täuschung des Wählers und eine Verfälschung der parlamentarischen Demokratie. Denn der Wähler erwartet, daß die von ihm gewählte Regierungsmehrheit in den entscheidenden Fragen unseres Volkes auch eine Sachmehrheit darstellt. Die jetzige Diskrepanz zwischen Postenmehrheit und Sachmehrheit ist im Wachsen begriffen und wird in zunehmendem Maße unerträglich. Außenpolitische Gemeinsamkeit heißt nicht, daß die SPD-Linke den Herren Schmidt und Genscher und ihren politischen Freunden die Machterhaltung garantiert und sich gleichzeitig als außen- und sicherheitspolitische Opposition gegen beide profiliert, um im Einverständnis mit Willy
Dr. Mertes ({5})
Brandt die wachsende pazifistische Grundströmung im Lande auf die Mühlen der SPD zu lenken.
({6}) Nach dem Prinzip:
mit Schmidt und Bahr für und gegen die Neutronenwaffe,
mit Schmidt und Voigt für und gegen die Nachrüstung,
mit Schmidt und Coppik für und gegen das Fernbleiben von der Olympiade,
mit Genscher und Wehner für und gegen die westliche Verhandlungsführung bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen,
({7})
mit Schmidt und Thüsing für und gegen die Türkei-Hilfe,
({8})
mit Genscher und Brandt für und gegen eine sicherheitspolitisch vertretbare Rüstungsbegrenzung,
({9})
mit Schmidt und Gansel für und gegen den Rüstungsexport,
mit Schmidt und Eppler für und gegen die Kernenergie,
({10})
mit Schmidt und Hansen für und gegen Reagan,
mit Schmidt und Schöfberger für und gegen verläßliche Bündnispolitik.
({11})
Meine verehrten Kollegen, das ist eine unaufrichtige Doppelstrategie, und jetzt wird es ernst.
({12})
Die SPD-Linke wirft Schmidt mangelnde Friedensfähigkeit vor, um kurzsichtige Neutralisten und Pazifisten für die SPD zu gewinnen. Schmidt gibt den Vorwurf mangelnder Friedensfähigkeit an die Union weiter, um dann mit den Unionsparteien die außen- und sicherheitspolitisch notwendige Mehrheit zu bekommen, die er für eine verantwortliche Sicherheits- und Friedenspolitik braucht. Meine Damen und Herren, das ist eine profunde Unaufrichtigkeit in unserer Demokratie.
({13})
Franz Josef Strauß hat heute morgen den Wechsel in der politischen Führung der USA, d. h. die außen-und sicherheitspolitischen Wirkungen der Präsidentschaft Ronald Reagans angesprochen. Ich möchte daran anknüpfen: Folgende selbstkritische Aussage des neuen amerikanischen Außenministers Haig werte ich als einen Schlüsseltext für die Beantwortung der Frage nach Kontinuität und Kurskorrektur in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Haig sagt:
Wir befinden uns heute in einer Lage, in der wir
- er meint zunächst die Amerikaner zu Opfern unserer eigenen Einstellung zur Rüstungsbegrenzung geworden sind. Unsere Hoffnung war es, die Sowjetunion würde eine Zurückhaltung bei der Entwicklung des Potentials der USA durch eine entsprechende Zurückhaltung honorieren. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem ganz klar ist, daß diese Voraussetzung falsch war. In Wahrheit befinden wir uns auf einem unsicheren Weg mit täglich wachsenden Risiken. Wir müssen uns mit den Folgen einiger grundlegender Fehlschätzungen auf unserer Seite auseinandersetzen, die nach der Kuba-Raketen-Krise Anfang der 60er Jahre einsetzten.
Die amerikanische Wende, meine verehrten Kollegen, muß die europäischen Verbündeten aus ureigenem Interesse, nicht aus Hörigkeit, zu einer gemeinsamen Neuorientierung der Friedens- und Sicherheitspolitik des gesamten Westens veranlassen. Die nach Kuba 1963 einsetzenden Erwartungen der amerikanischen und dann ab 1968/69 der europäischen Entspannungspolitik beruhten in der Tat auf einer Fehleinschätzung der Sowjetunion, die in den 70er Jahren insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Rückgang des Bedrohungsbewußtseins und damit der Einsicht in die Notwendigkeit der Verteidigung führte.
Die wachsende pazifistische Grundströmung, vor der heute sogar SPD-Kollegen wie Horst Ehmke und der Verteidigungsminister Apel warnen, ist ohne die gemeinsamen Entspannungsirrtümer des gesamten Westens nicht zu erklären. Sicherheitspolitik ist aber ohne waches Gefahrenbewußtsein nicht möglich.
Washington zieht aus den amerikanischen Illusionen im Umgang mit Moskau nicht die Konsequenz interner Rechthaberei, da starke Kräfte beider amerikanischer Parteien und alle Administrationen von Kennedy über Nixon bis Carter an diesen Fehlkalkulationen beteiligt waren; Haig sagt das ganz offen. Vielmehr raffen sich die USA in innerer Kraft zu einer gemeinsamen Gewissensforschung und Wende auf, die ebenfalls der amerikanischen Rüstungskontrollpolitik gelten wird.
Auch bei uns, meine verehrten Kollegen, ist jetzt die Stunde für einen solchen Neubeginn gekommen, ohne gegenseitige Rechthaberei, wenn nicht eine gefährliche europäisch-amerikanische Entfremdung eintreten soll, auf die Moskau und Ost-Berlin mit Zucker und Peitsche bereits jetzt hinwirken.
Eines möchte ich klarmachen: Die CDU/CSU hält angesichts von Hunger und Not in der Dritten Welt und wegen der wachsenden Vernichtungsfähigkeit der modernen Massenvernichtungswaffen OstWest-Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung weiterhin für eine gebieterische Notwendigkeit - ich betone: für eine gebieterische Notwendigkeit. Das ist etwas, was wir nicht mit halbem Herzen machen.
({14})
Dr. Mertes ({15})
Wenn aber solche Verhandlungen Frieden und Sicherheit festigen sollen, müssen ihre Ergebnisse ausgewogen, eindeutig und überprüfbar sein, müssen sie Teil einer globalen Friedens- und Sicherheitspolitik sein.
Weder Militärmacht, noch Abrüstung sind Selbstzwecke, sondern beide unterliegen dem Primat der politischen Strategie der Staaten und Bündnisse. Das Ausmaß von militärischer Macht und von Abrüstung wird bestimmt durch die Erfordernisse der politischen und militärischen Sicherheit.
Während der Westen seit 18 Jahren Rüstungsbegrenzung und Abrüstung allzu oft als Selbstzweck behandelte, hat die Sowjetunion die Abrüstungsverhandlungen in den Dienst ihrer militärischen Machtentfaltung und politischen Expansion gestellt. Im kleinen Kreise gibt das auch Bundeskanzler Schmidt gern zu. Sie mißbrauchte die Sehnsucht der Völker nach Abrüstung und den Verhandlungswillen des Westens, um konventionell, atomar und chemisch massiv aufzurüsten. Gleichzeitig versuchte sie, die Dritte Welt durch Rüstungsexporte und Stellvertreterarmeen unter ihre direkte oder indirekte Kontrolle zu bringen. Afghanistan wurde zum Höhepunkt dieser Expansion, aber auch zur Wende für Amerika. Heute ist praktisch die ganze Welt, insbesondere Asien, Afrika und Europa, ein zusammenhängendes Spannungsgebiet.
Die Bundesregierung muß den falschen Vorstellungen von Abrüstung und Friedenssicherung durch eine erheblich stärkere Aufklärung über die wahren Ursachen des sogenannten Rüstungswettlaufs, nämlich die expansiven politischen Ziele der Sowjetunion, entgegenwirken. Auch Sicherheitspolitik bedarf geistiger Führung, nicht nur militärischer Gleichgewichtsappelle.
({16})
Die Bundesregierung muß ihre Hinweise auf die Notwendigkeit der Verteidigung durch Hinweise auf die politische Natur der sowjetischen Bedrohung ergänzen, die in Europa zwar nicht auf einen selbstmörderischen Ost-West-Krieg, wohl aber auf eine Eskalationsfähigkeit zu Einschüchterung, Druck, Drohung und Erpressung abzielt. Sie will auf diese Weise ihre politischen Ziele in Europa, insbesondere in der Deutschland- und Berlin-Frage, durchsetzen.
Die CDU/CSU ist für Abrüstung mit Sicherheit, aber gegen eine Abrüstung ohne Sicherheit, weil sie den Frieden nach aller Erfahrung der Geschichte gefährdet. Meine verehrten jungen Kollegen der SPD, hören Sie bitte zu: Die einseitige Abrüstungspolitik der französischen Linksregierungen in den 30er Jahren, die einseitige Abrüstungspolitik der englischen Labour Party bis 1939, die großen Kriegsdienstverweigerungsbewegungen der britischen Jugend in Oxford, Cambridge und London haben Hitlers Gewaltpolitik ermutigt und damit ungewollt zum Zweiten Weltkrieg beigetragen.
({17})
Ich gebe dem Kollegen Brandt ohne weiteres recht, wenn er sagt: Wir müssen die Motive dieser jungen Menschen in den politischen Parteien, in den Kirchen ernst nehmen. Aber in der Politik und in der Geschichte zählen nicht die subjektiv redlichen Motive, sondern es zählen die objektiven Resultate. Ich habe eben ein Beispiel dafür gegeben, wie Wehrdienstverweigerung und Abrüstungspolitik eine Diktatur zur Expansion ermutigten, nämlich die Adolf Hitlers.
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Corterier?
Bitte schön.
Herr Kollege Mertes, ich wollte nur fragen, sind Sie bereit, in diesen Appell, den Sie soeben an die jungen Kollegen in meiner Fraktion gerichtet haben, auch den Bischof von Rottenburg einzubeziehen?
Da ich den Bischof Moser von Rottenburg persönlich gut kenne, habe ich nicht die geringsten Zweifel - ich habe mit ihm über diese Dinge gesprochen -, daß er jedes Wort, das ich hier gesagt habe, voll unterstreichen würde.
({0})
Nur eine klarsichtige und feste Haltung in Fragen der Sicherheit wird uns in die Lage versetzen, die lebenswichtige Verbindung zwischen Europa und Amerika zu vertiefen, statt sie zu entzweien.
Meine Damen und Herren, ich kann in diesem kurzen Beitrag nur auf einige Grundgedanken eingehen. Der wichtigste ist mir der folgende. Das Atlantische Bündnis bedarf dringend einer gründlichen Besinnung auf die politischen Grundlagen seines Auftrags. Illusionäre Entspannungskonzepte verschiedener Machart herrschten in den siebziger Jahren nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern im gesamten Westen vor. Diese Illusionen - so redlich sie gemeint waren - minderten das subjektive Bewußtsein von der objektiven sowjetischen Bedrohung. Sie wirkten wie eine Droge, die den Verteidigungswillen eingeschläfert hat. Sie bewirkten gefährliche Risse im westlichen Bündnis und führten zum Verlust vieler Gemeinsamkeiten, die sich in den sechziger Jahren auch in diesem Hause herausgebildet hatten.
Moskau profitierte von dieser politischen Selbstschwächung des Westens in Afrika, Asien, Europa und auf den Weltmeeren. Die Wiederherstellung eines breiteren Konsenses in Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist ein Erfordernis des westlichen Bündnisses, das den Vorrang vor innenpolitischem Kalkül hat. Es verlangt nicht nur von der Opposition, es verlangt auch von der Bundesregierung, aufeinander - also auf uns - zuzugehen und aufeinander - also auf uns - zu hören. Stoff zur Auseinandersetzung wird dennoch genug bleiben.
Dr. Mertes ({1})
Das Atlantische Bündnis, meine verehrten Kollegen, ist nicht in erster Linie eine militärische Organisation, sondern eine politische Gemeinschaft von Staaten, die wieder zu einer gemeinsamen Einschätzung der politischen Ziele des sowjetischen Bündnisgegners und zu einer gemeinsamen politischen Strategie aktiver Friedenssicherung zurückkehren muß. Notwendige Verteidigungsanstrengungen, weltweite Arbeitsteilung, Abrüstungsverhandlungen mit dem Osten und die Wahrung nationaler Wirtschaftsinteressen müssen dem Primat der Politik unterliegen, ohne den das Bündnis auf die Dauer zerfällt.
Daraus ergibt sich:
Erstens. Gemeinsame Wertvorstellungen, freiwillige Partnerschaft und vertrauenvoller Dialog müssen die politischen Fundamente des Bündnisses bleiben, in dem sich jeder auf den anderen verlassen können muß.
Zweitens. Amerikaner und Europäer müssen die konfrontativen, aber auch die kooperativen Elemente ihres Verhältnisses zur Sowjetunion - kooperative Elemente muß es auch in Zukunft geben - künftig stärker koordinieren und synchronisieren. Es ist für das Bündnis nicht gut, wenn Amerika auf einen problematischen Entspannungskurs geht und wir Europäer ihm nur schwer folgen können oder umgekehrt. Wir - das Bündnis zwischen Europa und Amerika - brauchen eine Koordination und eine Synchronisierung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion.
({2})
- Ich bewundere den Substanzreichtum Ihrer Zwischenrufe, Herr Kollege Immer, und beglückwünsche Sie zu Ihrem letzten Zwischenruf.
Drittens. Die Unterschiede der geographischen Lage und der militärischen Macht im Bündnis dürfen nicht zu seiner sicherheitspolitischen Aufspaltung und zu wachsenden Einwirkungschancen der Sowjetunion führen. Es gibt kein besonderes deutsches und europäisches Interesse, das letztlich nicht auch amerikanisches Interesse ist, ob in Berlin, in der Deutschlandfrage oder am Persischen Golf. Auch das Umgekehrte gilt, ob in Afghanistan oder in Nahost.
Viertens. Der SALT-Verhandlungsprozeß und die übrigen Bemühungen um ausgewogene und kontrollierte Rüstungsbegrenzung bei unverminderter Sicherheit für alle Beteiligten müssen weitergehen. Sie bedürfen aber im Westen endlich wieder einer Einbettung in die politische Gesamtstrategie des Bündnisses, da der sowjetischen Aufrüstung politische Ursachen zugrunde liegen. Das Wort vom Rüstungswettlauf ist eigentlich irreführend. Es gibt ein politisches Einflußringen, zu dem sich die Sowjetunion bekennt, das sie mit einem politischen Sieg beenden will. Ihre Rüstung ist ein Symptom, ein Instrument ihrer Politik.
Fünftens. Der Wille zur friedlichen Stabilisierung zwischen West und Ost darf nicht eine Verewigung der sowjetischen Herrschaftssysteme in der DDR und in Osteuropa bedeuten. Die Bürger dieser
Länder gehören infolge gemeinsamer Geistesgeschichte und gemeinsamer Wertvorstellungen geistig zu uns, zum Westen.
Realistische Entspannungspolitik muß heißen: schrittweise und unumkehrbare Verwirklichung der Menschenrechte und der nationalen Selbstbestimmung nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in Europa. Herr Bundesminister Genscher, hier würde ich mir wünschen, daß im Sinne Ihrer grundsätzlichen Erklärungen und Ihrer UNO-Reden in der praktischen Arbeit der UNO gerade diesem nationalen und menschenrechtlichen Gesichtspunkt stärker Rechnung getragen werden könnte. Realistische Entspannungspolitik muß zweitens heißen: Herstellung eines militärischen Gleichgewichts auf niedrigerem militärischem Niveau bei unverminderter Sicherheit.
Die weltweiten Ziele der Sowjetunion, die auf einem unersättlichen Sicherheitsbegriff und einem revolutionären Führungsanspruch beruhen, bedrohen den Westen in seiner Gesamtheit. Die westliche Sicherheit ist unteilbar. Europäischer Neutralismus und amerikanischer Isolationismus wären gleichermaßen kurzsichtig. Die westliche Freiheit überlebt gemeinsam, oder sie geht in Etappen zugrunde.
In diesem Hause rechnen wir mit künftigen Sachauseinandersetzungen über das Verhältnis von Abrüstungsbemühungen und Sicherheitsnotwendigkeiten. Das wird ein zentrales Thema dieses Hauses werden. Die CDU/CSU - das sagte ich schon - hält weltweite und ost-westliche Verhandlungen über die Begrenzung der Waffen in einer Zeit der Massenvernichtungstechnik und zunehmender Not für eine Notwendigkeit.
Aber vergessen wir nicht - diesen Gedanken möchte ich zum Schluß noch herausstellen - und sagen wir den jungen Menschen immer wieder: Unfrieden und Spannung in der Welt gibt es nicht, weil es Soldaten und Waffen gibt. Unfrieden und Spannungen gibt es, weil ungelöste politische Probleme schwelen, weil politisches Mißtrauen nicht ausgeräumt ist. Nicht der einzelne russische Soldat, nicht der einzelne, der Verantwortung nicht fähige russische Panzer bedroht uns, sondern der dahinterstehende politische Wille, der sich das militärische Instrument der Einschüchterung und Bedrohung gegeben hat.
Seit Afghanistan, seit den entspannungsfeindlichen Maßnahmen der DDR, seit der systematischen Mißachtung der Schlußakte von Helsinki ist dieses Mißtrauen wieder gewachsen. Wer Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, will, der muß den politischen Rüstungsursachen auf den Grund gehen und sie beim Namen nennen; insbesondere die Tatsache, daß die Sowjetunion militärische Macht und Übermacht nicht nur für den Fall einer Aggression von außen aufbaut, sondern auch um Menschenrechte und Selbstbestimmung in ihrem Machtbereich zu unterdrücken und um ein Arsenal politischer Einschüchterung und Drohung aufzubauen, das Westeuropa politisch langsam aber sicher in die Knie zwingen soll. Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, den Begriff des Gleichgewichtes ernsthaft auch militärisch zu sehen, aber nicht nur militärisch.
Dr. Mertes ({3})
Das westliche Bündnis bedarf künftig wieder einer geschlossenen Einschätzung der sowjetischen Zielvorstellungen, und es muß auf dieser Grundlage eine gemeinsame politische Strategie entwickeln.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Wir brauchen ein Gleichgewicht an geschichtlichem Weitblick und politischer Entschlossenheit, wenn wir die 80er Jahre in Frieden und Freiheit überstehen wollen.
Daß auch in diesen Jahren mit Ost-Berlin, mit Moskau und mit anderen Staaten des Warschauer Paktes verhandelt werden muß, ist klar. Aber diese Verhandlungen dürfen nicht das fernsehwirksame Geschäft von Gipfelkonferenzen à la Schmidt - Honecker oder Schmidt - Gierek sein.
({0})
Dialog mit dem Osten muß heißen: Ernste Diplomatie nach dem Grundsatz „Mehr sein als scheinen". Das war für uns, als wir mit großen Erfolgen an der Regierung waren, eine Selbstverständlichkeit.
Die Kunst des Verhandelns mit den Sowjets und den SED-Führern setzt aber eines voraus: Wir müssen sie wieder ernster nehmen als in den letzten Jahren. Uns unterscheidet von vielen in der SPD nicht ein höheres Ausmaß an Feindseligkeit oder Haß gegen die Sowjetführer; das sind Begriffe, die uns fremd sind. Aber wir erwarten von Ihnen, daß Sie die Führer der Sowjetunion und der DDR in dem, was sie in aller Offenheit sagen, in Zukunft ernster nehmen und sich nicht die Augen und die Ohren zuhalten vor dem, was diese Männer in aller Klarheit als ihr geschichtliches Programm hinstellen und in der Tagespolitik durchzusetzen versuchen - Schritt für Schritt. Honecker hat noch vor kurzem darauf hingewiesen, warum es selbstverständlich ist, daß Haß die Triebfeder der Nationalen Volksarmee sein muß.
Es wird nach diesen grundsätzlichen Erwägungen sicher im Laufe der kommenden Zeit über einige konkrete Verhandlungsbereiche gesprochen werden müssen. Mir lag es daran, heute in einem Kurzbeitrag einmal einige Rahmenbedingungen für unsere künftigen Diskussionen, für das Ausmaß an Gemeinsamkeit und für das Ausmaß an Gegensatz hier vorzutragen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier keinen abstrakten Vortrag halten, sondern auf einige der Fragen eingehen, die heute in der Debatte aufgeworfen wurden, in einer Debatte, die sich j a von früheren Debatten wohltuend durch zwei Dinge unterschieden hat: Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Lage, der Einschätzung der Beurteilung der Lage bestand Gemeinsamkeit. Soweit ich es verfolgt habe, ist einschließlich des Herrn Kollegen Strauß kein Redner der Opposition deswegen in Versuchung gekommen, darüber Schadenfreude zu äußern. Ich bin der Meinung, daß es eine gute Basis ist, sich zu überlegen, was man gemeinsam machen kann.
Ich möchte, bevor ich auf das außenpolitische Gebiet komme, zwei Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege von Weizsäcker - nicht als Vizepräsident, Herr Vizepräsident, sondern als Redner seiner Fraktion - und auch der Kollege Strauß hier gesagt haben.
Das erste betrifft Berlin. Ich mache kein Hehl daraus, daß zum Teil von Parteifreunden von mir - nicht von allen, aber von einzelnen - Dinge getan worden oder Verhaltensweisen gezeigt worden sind, für die ich mich als Sozialdemokrat schäme. Herr Kollege von Weizsäcker, es wäre aber falsch, dieses Problem zu einem SPD-Problem zu machen. Die FDP-Leute und die CDU-Leute sollen mit ihren Leuten fertig werden. Ich bin der Meinung, daß in Berlin das Zusammenwirken aller nötig sein wird - wie immer das in den Wahlen ausgeht -, um die Krankheit der Subventionitis zu bekämpfen. Sie sollten das daher nicht so einseitig als ein Problem nur einer Partei darstellen. Ich sage übrigens auch den Berliner Bürgern, sie sollen nicht so tun, als wäre das nur ein Problem der Parteien. Das sind ihre Parteien, und das spiegelt etwas von dem Gesamtzustand der Stadt wider.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, selbstverständlich in Ihren Gedanken fortzufahren, wie Sie es wünschen, aber nicht auf den amtierenden Präsidenten persönlich Bezug zu nehmen.
Ich hatte auch nur auf ihn als Redner seiner Fraktion Bezug genommen. Da er hier in der Debatte geredet hat, muß das zulässig sein.
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Ich hatte die Unterscheidung deutlich gemacht; sonst müßte sich der Vizepräsident dafür entscheiden, nicht mehr im Plenum zu reden.
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Ich darf aber dazu noch eines sagen. Neben dieser Frage wirft Berlin Fragen auf, die alle Großstädte haben. Es ist z. B. interessant, daß nicht nur wir uns erneut mit dem Wohnungsbau beschäftigen; ich habe mit großer Freude gesehen, daß der Kollege Geißler das Thema auch für den nächsten CDU-Parteitag angekündigt hat.
Hier möchte ich nun auch etwas zu Ihnen, Herr Hoppe, sagen: Es ist nur die Hälfte der Wahrheit, wenn wir heute sagen - was begrenzt richtig ist -: Ihr müßt im Wohnungsmarkt Marktkräften wieder mehr Chancen geben. Es gibt Gebiete, bei denen ich mit mir darüber reden lasse. Aber eines halte ich für noch wichtiger: Wir wären, Herr Hoppe, in den Großstädten überhaupt nicht in diese Situation gekommen, wenn es uns damals im ersten Anlauf der sozialliberalen Koalition gelungen wäre, das Bodenrecht so zu reformieren, daß im Wohnungsbau und der Grundstückspolitik die Kommunen heute nicht mit
dem Rücken an der Wand stünden. Das sagt Ihnen Herr Rommel und jeder CDU-Oberbürgermeister genauso, wie ich es Ihnen sage, oder doch ähnlich. Das Wohnungsbau- und das Bodenrecht, auf das wir ja zurückkommen werden, sind Beispiele dafür, daß die konservative Leier - es wäre zuviel an Änderungen gemacht worden - gar nicht stimmt. Es gibt Bereiche, in denen wir im Gegenteil leider mit dem, was wir gemacht haben, an der Oberfläche geblieben sind.
Ich gebe Ihnen ein zweites Beispiel. Kollege Strauß hat die Frage der Nachrichtentechnologien angesprochen. Nun darf man aber das nicht tun und dann gleichzeitig gegen staatliche Strukturpolitik sein und sich lauthals dafür einsetzen, daß das Forschungsministerium, das in diesem Bereich sehr viel getan hat, keine Mittel mehr für solche Vorhaben bekommen soll. Hier muß man nun einmal logisch sein: Entweder, oder.
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Außerdem darf man dann auch nicht die Frage der Medien - sie ist nur ein Teil der modernen Technologien; ein Teil der neuen Technologien setzt sich über den Markt durch, dies ist bereits im Gange -so behandeln, als sei es eine Frage wertfreien Wirtschaftswachstums.
Ich habe einmal das Postministerium übernommen, nur um die KTK zu machen, und habe auch die CDU-Länder damals für diese Kommission gewonnen, um einmal Grund in die Sache zu bringen. Meine Bitte an die Kollegen der Parteien, die ein C in ihrem Namen haben, ist, nicht so zu tun, als müsse man in diesen Medienfragen nicht auch die Sorgen der Kirchen, die Sorge berücksichtigen: Was passierte mit den Familien, wenn wir ein Überangebot an Fernsehunterhaltung hätten? Das als bloße Frage des wirtschaftlichen Wachstums zu behandeln, wäre sicher nicht politische Führung oder geistige Führung in einer der wesentlichen Fragen für die Zukunft unserer Gesellschaft.
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Ich komme zur Außenpolitik. Zunächst muß ich sagen: Herr Kollege Mertes, Ihre Rede in Berlin neulich hat mir eigentlich viel besser als Ihre Rede heute hier gefallen, weil sie in einer Haltung vorgetragen wurde, die, wie ich glaube, wichtig ist, damit wir zu mehr Gemeinsamkeit kommen, ohne daß man seine eigenen Standpunkte aufgibt. Dafür mein Kompliment.
Es wäre ja auch komisch, wenn wir - die eine oder die andere Seite - hier mit Schadenfreude arbeiten würden. Wenn .es mit der Entspannung immer schwieriger wird - und das wird es ja wirklich -, werden die Lasten nicht leichter und werden die Gefahren größer. Also kann keiner darüber froh sein. Man muß dann erörtern, worum es geht und was in der Zukunft der Weg sein soll.
Nur habe ich eines nicht verstanden, Herr Kollege Mertes, nämlich das, was Sie soeben über die Diskussion in der SPD und in der SPD-Fraktion gesagt haben. Von mir aus kann noch sehr viel mehr diskutiert werden.
({4})
- Na, ich will Ihnen gleich sagen: Das hat mit gar nicht gefallen. Was soll denn das für eine Vorstellung sein? Der Kollege Posser hat es Ihnen beim Thema Kernenergie schon gesagt. Das ist eine Frage, die viele Menschen - zu Recht oder zu Unrecht - tief im Herzen beunruhigt. Herr Kiep hat das in Gorleben erlebt. Bei Ihnen in den Unionsparteien aber gab es gar keine Diskussion. Herr Gruhl wird ausgeschlossen; er vertritt dann die Grünen. Ende der Durchsage.
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- Oder er ist rausgegangen. Gut. Ich korrigiere mich. Er hat es nicht mehr ausgehalten, weil das Thema bei Ihnen nicht behandelt wurde, und ist rausgegangen. Schönen Dank für den Hinweis.
Ich sage Ihnen: Ob das die Frage Rüstungsetat und Entwicklungshilfe ist, ob das die Frage des Waffenexports oder die Frage der Nachrüstung - einschließlich der Gegenposition der einseitigen Abrüstung - ist: das muß diskutiert werden. Wenn wir das mit den jungen Leuten draußen diskutieren wollen - wir werden das noch hundertfach und tausendfach diskutieren müssen -, müssen wir es doch zuerst in der eigenen Partei diskutieren. Ich bin daher für noch mehr Diskussion in meiner Partei und werde keiner Diskussion ausweichen. Bei mir ist es allerdings auch so: Nachdem diskutiert worden ist, wird das, was beschlossen wird, dann gemeinsam getragen. Bei mir fängt die Grenze da an, wo die Handlungsfähigkeit von Fraktion und Partei in Frage gestellt wird.
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- Eine Sekunde noch, Herr Kollege Mertes!
Als Beleg dafür, daß diese Meinung nicht nur meine Meinung ist, will ich Ihnen mal etwas von Ihrem Kollegen Vogt zitieren. Es steht in der „Sozialen Ordnung" vom 1. Januar. Da gibt der Kollege Vogt der CDU einen Rat. Ich mache mir ihn nicht zu eigen
- das würden Sie als Einmischung in Ihre Angelegenheiten ansehen -, aber ich bitte Sie, den Kollegen Vogt ernst zu nehmen, der da sagt:
Die CDU muß Abstand nehmen von einem Ideal der Geschlossenheit, das falsch ist, nämlich dem Ideal der nahtlosen Übereinstimmung von Anfang an ... Eine Partei, die nicht diskutiert, erscheint dem Bürger starr, autoritär - nicht weltoffen. Deshalb schadet einer Partei nicht Offenheit, vielmehr Geschlossenheit. Erst wenn der Bürger den Eindruck gewinnt, daß der streitige Dialog nicht der Sache dient, vielmehr auf Personen zielt, fühlt er sich abgestoßen.
Ich stimme dem Kollegen Vogt zu.
({7})
Lassen Sie das Ideal der Geschlossenheit! Legen Sie
es jedenfalls nicht an uns an. Wir wollen eine diskussionsoffene Partei bleiben. Wir sind der Meinung,
daß wir die großen Schwierigkeiten der Zukunft nur dann meistern werden, wenn wir in der Partei und von der Partei nach außen besonders zu der kritischen jungen Generation hin diskussionsoffen bleiben.
({8})
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, wollen Sie - erstens - zunächst zur Kenntnis nehmen, daß der Gedanke des Kollegen Vogt in ähnlicher Form kürzlich auch vom Generalsekretär der CSU in einem Antrag geäußert wurde, d. h., daß Kollege Vogt die Auffassung von CDU und CSU dargelegt hat? Und wollen Sie - zweitens - auch das folgende bitte zur Kenntnis nehmen: Wir sind für offene Diskussion. Aber, Herr Kollege Ehmke, sehen Sie denn nicht, daß in der Endphase einer politischen Entscheidung die Diskussion einer klaren Entscheidung Platz machen muß? Es gibt kein politisches Problem, bei dem es nicht ein Für und ein Wider gibt. Sind Sie meiner Meinung, daß es zweierlei ist, sachlich und lebendig zu diskutieren und hier durch Aktionen eine Verfälschung der Regierungspolitik zu betreiben, die dann nur durch unser Verantwortungsbewußtsein gerettet werden kann?
Ich freue mich über Ihr Wohlwollen für die Erhaltung der sozialliberalen Mehrheit. Sie nehmen sicher an wie ich, daß das Land sie weiter nötig hat.
Ich bin aber wirklich anderer Meinung, Herr Kollege Mertes. Es kann den Versuch geben, gewissermaßen auszuscheren und eine ganz andere Politik zu wollen. Dazu ist meine Meinung auch bekannt. Aber die Diskussion - einschließlich der über den Nachrüstungsbeschluß - muß möglich sein.
Herr Kollege Wörner, ich darf noch etwas zur Diskussion über das Gelöbnis anfügen. Herr Apel hat das für meine Begriffe hervorragend gesagt. Ich habe es ähnlich in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt. Sie kennen die Diskussion, die wir vor uns haben, genauso wie ich. Sie ist in der katholischen Kirche heute fast so stark wie in der evangelischen Kirche. Es ist ein ganz breites Spektrum, in dem die Frage der einseitigen Abrüstung diskutiert wird. Ich teile diese Meinung nicht, aber ich nehme sie ernst. Wie wollen wir diese Diskussion durchstehen, wenn wir beim Gelöbnis den Zauber weitermachen, von dem offenbar einige von Ihnen meinen, wir müßten ihn weitermachen? Das muß doch diskutiert werden. Da hat der Kollege Apel völlig recht.
({0})
Meine herzliche Bitte auch an Sie, denn die Zeiten
werden schwer genug werden, der Widerstand dagegen wird groß werden, und den darf man auch nicht moralisch disqualifizieren;
({1})
ich nehme ihn ernst. Dann ist es wichtig, daß wir diskussionsfähig bleiben. Herr Hoppe hat mit Recht gesagt, wir haben in Zürich, in einem Land, das weniger Probleme hat als wir, erlebt, was es heißt, wenn Sprachlosigkeit einkehrt. Die Analyse des eidgenössischen Departments für Jugend ist wirklich interessant. Sorgen wir bitte in allen Parteien dafür, daß auch in Fragen der Verteidigungspolitik, der Bundeswehr, des Gelöbnisses von Soldaten, der Kernenergie keine Sprachlosigkeit einkehrt, denn sonst sind die Probleme überhaupt nicht mehr zu lösen.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, nur damit wir Sie sprachlich richtig verstehen: Können Sie dem Hohen Hause mitteilen, ob Sie in diesem Sinne die jüngsten Ausführungen des Kollegen Hansen innerparteilich als Diskussionsbeitrag verstehen und bezeichnen würden?
Sie können es nachlesen. Soweit sich Herr Hansen dafür einsetzt, daß man vom Militärhaushalt etwas zur Entwicklungshilfe hinüberbringt, halte ich das für eine Frage, die diskutiert und dann in der Sache entschieden werden muß. Wir haben sie entschieden. In der Form, in der er das gestern mit uns gemacht hat, kann er das mit uns nicht machen. Ich bin nicht bereit, mich beleidigen zu lassen, schon gar nicht aus meiner eigenen Partei.
Sie haben von der „Droge Entspannung" gesprochen. Ich komme damit auf die Außenpolitik zurück. Ich verstehe das nicht ganz. Wir haben mit dem Harmel-Bericht zusammen mit den Verbündeten angefangen, Entspannungspolitik auf der Basis des Gleichgewichts zu machen.
({0})
- Auf der Basis des Gleichgewichts eine Zusammenarbeit für Entspannung, die das zweite Bein ist neben der Verteidigung.
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- Gleichgewicht gehört zur Abschreckung. Das ist kein Streit zwischen Mertes und mir.
Nun bitte ich Sie, lesen Sie doch einmal den Beschluß des NATO-Ministerrats vom letzten Dezember. Es ist doch nicht so, daß wir inzwischen anderer Meinung sind. Natürlich spiegelt dieser Beschluß wider, was passiert ist: starke sowjetische Rüstung, Afghanistan.
Was wir übrigens in dieser Debatte noch nicht gesagt haben, was ich aber sagen möchte: Ich halte das Verhalten der Sowjetunion in der Frage der amerikanischen Geiseln in Teheran nicht für etwas, was dem Entspannungsklima förderlich war. Hier lag eine schwere Verletzung des Völkerrechts vor, die, wenn sie hingenommen würde, den zivilisierten Verkehr unter Nationen zum Erliegen bringen würde. Die Sowjetunion hat am Anfang die Geiselnahme mit Mühe ein bißchen kritisiert und am Ende versucht, die Abmachung über die Geiselbefreiung zu Fall zu bringen. Dazu müssen wir von diesem Platz aus sagen, das ist nicht das, was wir uns unter Entspannungspolitik vorstellen.
({2})
- Es hat doch keinen Zweck, daß wir hier Wortdefinitionen machen. Wir müssen in die konkreten Probleme hineingehen.
Ich komme auf ein anderes Problem. Sie haben hier über die neue amerikanische Regierung gesprochen. Ich warne davor, das zu machen, was Kollege Strauß heute gemacht hat, nämlich zu sagen, wie dicht die CDU/CSU doch an den Amerikanern sei und was wir alles kritisch zu den Amerikanern sagen. Dies ist lächerlich. Wir haben oft Streit gehabt im Bündnis. Zu Adenauers Zeit hatten wir Streit um den Radford-Plan. Dann hatten wir eine heroische Auseinandersetzung um die MLF, wo wir als letzte die Fahne hochhielten und mit ihr untergingen, Herr Wörner, wir alle, noch zusammen mit dem Kollegen Erler. Dann hatte Herr Erhard seinen Streit um Offset. So etwas gehört zu einem freien Bündnis.
Und Herr Strauß - mein Gott, soll ich alles zitieren, was der über die Amerikaner gesagt hat? Er hat nur noch einen feinen Unterschied gemacht, weil er die Europäer „Pygmäen" genannt hat; die sind offenbar noch schlechter als die Amerikaner.
Ich sage Ihnen: Ein deutscher Patriot, in welcher Partei er auch immer ist, wird doch nicht den gewachsenen Handlungsspielraum der Bundesrepublik in Frage stellen wollen. Weder Sie noch wir werden zwei Dinge in Frage stellen wollen: Wir sind loyale Bündnispartner: dieses Land hat keine Sicherheit ohne das Bündnis mit den Amerikanern. Das ist Nummer 1. Nummer 2: Wir sind keine Satelliten; wenn man uns zu etwas haben will, dann muß man darum unsere Interessen mit berücksichtigen, mit uns sprechen und sich einigen.
({3})
Daher muß - ich sage das nach allen Seiten - damit aufgehört werden, daß man immer die amerikanische Regierung, die gerade dran ist, für sich allein in Anspruch nimmt. Sie müssen auch nicht meinen, daß das drüben großen Eindruck macht; das sind Profis, die wissen, woran sie sind.
Nun will ich zu der amerikanischen Politik noch zwei Dinge sagen. Ich warne meine Kollegen, die zum Nachrüstungsbeschluß reden, davor, irgend etwas in Amerika zu antizipieren, was gar nicht passiert ist. Wer an den Verhandlungen festhalten will, die Teil des Nachrüstungsbeschlusses sind, der muß auch am ersten Teil festhalten. Sonst geht es umgekehrt so, daß andere nur am ersten und nicht auch am zweiten Teil festhalten. Da darf man nicht nervös sein und darf nicht unterstellen, was man noch gar nicht weiß. Die Amerikaner haben schon erklärt - Außenminister Haig in seiner Anhörung vor dem Senat - daß SALT weitergeführt werden soll, daß sie aber meinen, das müsse anders gehen als bisher. Das wird man sehen. Ich halte es übrigens nicht für ausgeschlossen, daß nach einer gewissen Vorbereitungszeit die Gespräche schneller wieder in Gang kommen, als heute mancher meint.
Man muß auch sehen, daß die Amerikaner doch die gleichen Schwierigkeiten haben wie wir. Bei dem Tornado ist die CDU/CSU nicht sehr konsequent, Herr Wörner. Da fehlt offensichtlich Geld; auf der anderen Seite wollen Sie noch TKF machen, dann fehlt noch mehr Geld.
({4})
Dann habe ich von Ihrem Parteivorsitzenden sogar noch eine Äußerung aus dem September, auch der Verteidigungsetat sei nicht tabu.
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- Herr Wörner, Sie haben Ihr Soll an Zwischenfragen heute erfüllt. Ich bin gebeten worden, meine Zeit einzuhalten. Sie können sich j a wieder melden.
({6})
Also ich sage: Diese Problematik, die wir beim Verteidigungshaushalt haben, haben die Amerikaner doch auch. Die Amerikaner werden nicht in der Lage sein, etwa 6 % des Bruttosozialprodukts für Verteidigungskosten aufzubringen - diese Zahl ist einmal genannt worden -, dazu drei Jahre hintereinander 10 % Steuersenkung across the board, wie gesagt worden ist und dann das Budget auszugleichen. Da kann man alles streichen, was von der Auslandshilfe noch übriggeblieben ist, und es stimmt dann immer noch nicht. Das heißt, auch die Amerikaner müssen das als gesamt-ökonomisch-militärisch-politisches Problem behandeln. Ich bin der Meinung, wir müssen uns ohne Vorurteile zusammensetzen und das machen, was wir seit Afghanistan gefordert haben, nämlich eine gemeinsame Strategie und eine Arbeitsteilung. Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Mertes, da werden sich dann auch die Europäer nicht vor der Frage der Lasten in der Arbeitsteilung drücken können.
Ich habe zu der Frage, was wir vernünftigerweise zusätzlich machen können, neulich in der Presse Stellung genommen und will das hier nicht wiederholen. Aber meine herzliche Bitte an alle Beteiligten geht dahin, das in Ruhe mit der neuen Administration zu besprechen mit dem Wunsch, zu mehr Gemeinsamkeit und zu mehr Handlungsfähigkeit zu kommen, anstatt alle möglichen Gespenster zu se690
hen und darauf zu schießen, bevor noch überhaupt klar ist, was die eigentlichen Probleme zwischen uns sein werden.
Ich darf jetzt einen kritischen Punkt nennen und damit schon zur Frage der Entwicklungshilfe und der Dritten Welt überleiten. Es könnte nämlich sein, daß die Fragen der Dritten Welt kontroverser sein werden zwischen uns und den Amerikanern als die Ost-West-Fragen. Herr Haig hat in gewisser Weise recht, wenn er sagt, „Dritte Welt" sei kein guter Begriff, wir verdeckten unter diesem Sammelnamen sehr unterschiedliche Probleme. Darüber muß man nachdenken.
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Afghanistan zum Beispiel: Ich habe nie verstanden, warum der Westen eigentlich nie - ich habe, wie Sie wissen, auch unsere amerikanischen Freunde oft danach gefragt - eine politische Stellungnahme zu denen abgegeben hat, die in Afghanistan gegen die militärische Besetzung kämpfen. Ich halte das für einen Fehler. Dazu muß man sich politisch äußern, auch um der Glaubwürdigkeit in der Dritten Welt wegen. Das ist ein Akt des Kolonialismus, und der muß so behandelt werden, wie andere Akte des Kolonialismus auch. Das hat der Westen bisher nicht deutlich genug getan. Das ist eines der Dinge, die wir machen müssen, aber das ist nur ein Problem.
Es ist ja auch nicht so, Herr Kollege Mertes, daß etwa nur der Westen Niederlagen in der Dritten Welt hinnehmen müßte. Ägypten war z. B. eine große Niederlage der Sowjets; es gibt noch andere. Mozambique z. B. sieht für sie auch nicht so schön aus. Es gibt dann eine ganze Reihe von Fällen, wo wir Niederlagen erlitten haben, wo wir aber überlegen müssen, inwieweit wir selbst daran schuld waren. Weder in Vietnam noch in Kambodscha, weder in Angola noch im Iran und auch nicht in der Türkei sähe es so aus, wie es heute aussieht, hätte es nicht schwere Fehler der westlichen Politik gegeben. Auch das muß offen diskutiert werden, weil man sonst nicht zu einer Analyse kommen kann, wie man es gemeinsam besser machen könnte.
Da wir von Angola sprechen: Ich bin dem Außenminister immer dankbar gewesen, wie er sich in der Namibia-Frage eingesetzt hat. Ich halte die Lösung der Namibia-Frage so, wie es die Fünf vorgeschlagen haben, für eine zentrale Voraussetzung dafür, daß wir auch in der Frage Südafrika weiterkommen. Ich habe mit Interesse beobachtet, welche innenpolitische Machtposition sich in den letzten Monaten der Ministerpräsident von Südafrika geschaffen hat, um freiere Hand auch für einen Wandel zu haben. Ich bin gespannt, was er, nachdem er sich diese Voraussetzungen in Partei und Regierung geschaffen hat, nun wirklich wird tun können. Aber wir sollten in der Namibia-Frage nicht zurückstecken; denn das ist eine zentrale Frage der Glaubwürdigkeit des Westens in Afrika.
({8})
Ich will dann auf etwas eingehen, was schon zu Kontroversen mit der Carter-Regierung geführt hatte, auf die Fragen El Salvador und Nicaragua. Keiner von uns kann ohne Sorge sein über das, was dort vorgeht. Und das wird noch weitergehen. Ich möchte deshalb heute wiederholen, was Kollege Genscher kürzlich in einem sehr bemerkenswerten Vortrag zum 25jährigen Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik gesagt hat:
Der Westen würde schließlich die Grundsätze einer fairen Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt auch da verletzen, wo er sich als Protektor überholter Strukturen mißbrauchen ließe.
Und er fügte ein prophetisches Wort hinzu:
Die Entwicklung in Mittelamerika wird ein Testfall sein, ob der Westen diese Einsicht zu beherzigen weiß.
Ich brauche über die Strukturen dieser Länder, über die Entwicklung, die dort vorgeht, nicht zu sprechen. Dort steht nicht das zur Debatte, was man in der amerikanischen öffentlichen Meinung gelegentlich den „amerikanischen Hinterhof" nennt - da bin ich sehr kritisch, denn das habe ich in Afghanistan von der anderen Großmacht auch gehört. Es geht vielmehr um die Glaubwürdigkeit westlicher Politik, in erster Linie der der Amerikaner als unserer Führungsmacht in Lateinamerika. Auch darüber muß in Ruhe gesprochen werden. Auch da mag übrigens eine Politik der Arbeitsteilung zwischen Europäern, sogar verschiedenen Europäern, und Amerika dem Westen insgesamt mehr dienen - ich sehe es im Nahen Osten ähnlich - als ein Versuch einer Gleichschaltung auf die amerikanische Linie. Auch das muß mit erörtert werden.
Zum Schluß ein Wort über die Gefahren, in denen wir, wie ich glaube, alle stehen. Sehen Sie sich einmal die Entwicklungshilfe in Zahlen an! Ich bin zwar nicht der Meinung, daß die offizielle Entwicklungshilfe, der Transfer, die zentrale Frage unseres Verhältnisses zur Dritten Welt ist. Da gibt es ganz andere Fragen, Fragen der Weltwirtschaftsordnung. Im Zusammenhang mit dem Lomé-Abkommen z. B. haben wir einige dieser Fragen erörtert. Aber wir haben nun einmal 0,7 % des Bruttosozialprodukts versprochen. Die Bundesrepublik hatte 1965 0,4 % erreicht. Wir geben jetzt 0,43 % unseres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe. Der Umfang der Entwicklungshilfe der Amerikaner ist in diesem Zeitraum von 0,5 % des Bruttosozialprodukts auf 0,2 % zurückgegangen. Die der westlichen Industriestaaten insgesamt beträgt 0,35 %. Da nützt das, was die Regierungschefs in Venedig gesagt haben, daß nämlich die Ölstaaten mehr geben müßten, auch nur begrenzt. Die Ölstaaten sind zwar finanziell flüssig, aber sie sind nicht reich im Sinn entwickelter Länder. Sie müssen bei der Währungssituation sogar noch um die Sicherheit ihres Geldüberhangs fürchten. Außenminister Haig hat neulich einiges dazu gesagt, wie Amerika mit seinem Dollar umgeht. Auch ein so reiches Land wie Amerika kann auf die Dauer nicht auf Kreditkarte leben. Außerdem leisten die Ölländer ihrerseits bereits eine Entwicklungshilfe in Höhe von 4 % ihres BruttosozialproDr. Ehmke
dukts. Das ist das Zwölffache von dem, was die westlichen Industriestaaten leisten.
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- Die Rechnung ist nicht fragwürdig. Richtig ist aber das, was Kollege Marx sagt: Sie geben viel Hilfe, aber die hohen Ölpreise bringen die Entwicklungsländer trotzdem in eine Situation, in der sie mehr für das 01 aufzubringen haben, als die Hilfe ausmacht. Da müßte man jetzt über die Gründe für die Ölpreise reden. Ich sage nur: Es ist nicht so, daß die wenig leisten. Aber wir laufen aus Gründen, die jeder kennt, in die Gefahr westlichen Versagens. Wir sehen es j a im eigenen Lande, bei der eigenen Regierung: Herausforderung durch die Rüstung der Sowjets; innenpolitische Notwendigkeit von Steuersenkungen, die wir vorgenommen haben und der amerikanische Präsident angekündigt hat, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, der Inflation nicht noch weiter Vorschub zu leisten, das Budget also eng zu halten, was Gegenstand unserer heutigen Debatte ist. Wir laufen in eine Gefahr, in die wir uns nicht begeben sollten: daß die Amerikaner, aber auch wir anderen insgesamt auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe in immer niedrigere Zahlen kommen, bis fast nichts mehr da ist. Das dürfen wir nicht zulassen. Und da liegt natürlich eine Spannung mit dem Rüstungshaushalt.
Im Kampf um die Dritte Welt sind auch militärische Probleme zu lösen. Die Amerikaner sind z. B. dabei - in stiller Zusammenarbeit mit den Franzosen und den Engländern -, die Lage im Indischen Ozean einigermaßen zu stabilisieren. Von dieser Anstrengung her kommt auf die Europäer die Frage der Arbeitsteilung im Bündnis zu. Aber wir sind uns doch einig: die Dritte Welt ist im Zentralen ein Problem der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung. Amerika, Westeuropa und Japan zusammen haben eine wirtschaftliche Kapazität von 5 : 1 oder 5 : 1,5 gegenüber der Sowjetunion. Diese Kapazität muß gegenüber der Dritten Welt zum Tragen gebracht werden. Das ist mindestens so wichtig wie die militärischen Maßnahmen, trotz aller wirtschaftlichen und sonstigen Schwierigkeiten, über die ich gesprochen habe.
Ich glaube, es wäre des Schweißes der Edlen wert, auch bei dieser Haushaltslage einen gemeinsamen Versuch zu machen, jedenfalls unseren Teil beizutragen, daß der Westen nicht aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen er selbst ist, dieses grundlegende Ziel, das Willy Brandt mit seiner Nord-Süd-Kommission so klar analysiert hat, aus den Augen verliert. Auf die Dauer wird das, was im Nord-Süd-Verhältnis passiert, mindestens ebenso wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger sein für die Sicherheit unseres Volkes und der künfigen Generationen, als aufzupassen, daß im Ost-West-Verhältnis das Gleichgewicht erhalten bleibt. Keiner hat eine Patentantwort. Mein Eindruck war, daß die heutige Diskussion mit dazu beigetragen hat, vielleicht doch aus der sterilen Auseinandersetzung herauszukommen und uns wieder in etwas größerer, vielleicht nicht Gemeinsamkeit, aber Zuhörbereitschaft den Problemen zu widmen, vor denen wir gemeinsam stehen. - Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst Herrn Kollegen Mertes für die hervorragende Beherrschung der, ich möchte sagen: materialistischen Dialektik, aber zumindest der Dialektik hier ein Kompliment machen. Denn die Art und Weise, wie Sie verschiedene Namen immer mit Für und Wider nannten, hat uns alle hier erfreut. Nur, Herr Kollege Mertes, zu diesem System These/Antithese gehört ja auch die Synthese. Da würde ich nicht sagen, es sei pervers, wenn die Opposition unserer Außen- und Sicherheitspolitik näherkommt, sondern ich würde sagen: Es ist ein Akt der gebotenen Vernunft. Vielen Dank für diese hervorragende Art und Weise zu argumentieren.
({0})
Ich habe auch bei Herrn Kollegen Ehmke festgestellt, daß im Gegensatz zu früheren Debatten eigentlich so ein bißchen der Dampf heraus ist, daß es immer „des Schweißes der Edlen wert" sei, gemeinsame Bemühungen zu machen. Ich finde das sehr gut. Denn ich glaube, das Thema ist zu ernst, als daß man sich in Debatten verlieren dürfte, wie sie leider in den vergangenen Tagen da und dort zu hören waren.
Herr Kollege Mertes, wenn Sie von einem Neubeginn sprechen, bin ich allerdings etwas verwirrt. Denn ich habe mir ein bißchen notiert, was der Bundesaußenminister als die Grundzüge dieser Politik dargelegt hat. Ich brauche das nicht mehr allzu sehr auszubreiten, aber vielleicht doch noch einmal vier mir wichtige Kernpunkte herausstellen.
Erstens: die Einbettung unserer Außen- und Sicherheitspolitik in die Europäische Gemeinschaft und das Nordatlantische Bündnis; da sind wir, glaube ich, einverstanden. Einigkeit, Geschlossenheit und damit Stärke und Handlungsfähigkeit dieses Bündnisses; das werden Sie unterschreiben. Koordinierte und solidarische Politik der Partner; das hat der Herr Ehmke angesprochen, wobei wir Europa als gleichgewichtig ansehen. Ich finde, das wäre natürlich auch ganz wohltuent in der Europäischen Gemeinschaft, wenn man angesichts der zu lösenden großen Probleme gelegentlich bei kleineren Problemen etwas kulanter verführe. Ich denke an die Fischereirechte, die zu solchen Auseinandersetzungen Anlaß gegeben haben. Hier könnten unsere Freunde vielleicht auch mal die Großzügigkeit beweisen, die wir gelegentlich in der Vergangenheit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bewiesen haben.
Herr Genscher hat zweitens gesagt: Wahrung des militärischen Gleichgewichts auf möglichst niedrigem Niveau. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir hier
Schäfer ({1})
übereinstimmen, ob Sie das möglichst niedrige Niveau unterstützen würden,
({2})
oder angesichts Ihres weltgeschichtlichen Weitblikkes hier größere Sorgen hätten. - Gut, auch hier stelle ich Einigkeit fest.
({3})
Ich gehe davon aus, daß Sie mit uns auch darin übereinstimmen, daß wir jede nur erdenkliche Möglichkeit nutzen wollen, sei es bei der Fortsetzung der Madrider KSZE-Folgekonferenz, bei der MBFR in Wien oder vielleicht auch bei der möglichen kommenden europäischen Abrüstungskonferenz,
({4})
dazu beizutragen, Herr Kollege Mertes, daß es uns gelingt, die astronomischen Steigerungen unserer Rüstungshaushalte abzusenken, das heißt, auch daß wir auf politische Krisensituationen nicht ständig allein militärische Antworten zu geben versuchen;
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ich glaube, das ist sehr wesentlich. Wir sollten auch wissen, daß im Osten die gleiche Problematik auftritt, daß nämlich auch diese Volkswirtschaft bald nicht mehr in der Lage sein wird, die unglaublichen Kosten moderner Waffensysteme auf Dauer ohne schwere Einbußen hinzunehmen. Ich glaube, das ist unser aller Sorge. Ich bin zufrieden, daß auch Sie das gesagt haben.
Es ist dann die Dritte-Welt-Politik angesprochen worden. Hier sehe ich keinen Neubeginn, sondern die Fortsetzung einer sehr erfolgreichen Politik dieser Regierung, nämlich Nord-Süd-Gefälle abbauen durch eine verstärkte Entwicklungspolitik - Kollegin Schuchardt wird dazu noch Stellung nehmen -, Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt achten und die Bewegung der Blockfreien in ihrer Bemühung um einen Ausgleich der Spannungen unterstützen. Auch das, würde ich meinen, sollte nicht durch einen Neubeginn geändert werden.
Die Bereitschaft der Europäischen Gemeinschaft, bei der Lösung friedensbedrohender Konflikte in der Welt mitzuhelfen, sollte hier, meine ich, vielleicht doch noch einmal einen Augenblick etwas kritischer beleuchtet werden, weil ich mich daran erinnere, daß querbeet durch alle Fraktionen gelegentlich die Meinung besteht, wir sollten uns bei schwierigen Krisen in der Welt zurückhalten und sollten das lieber anderen überlassen, wobei man bei Gelegenheit als Begründung auch hört: auf Grund unserer historischen Verantwortung. Hier, meine ich, sollten wir vorsichtig sein. Denn kein Land der Dritten Welt nimmt uns heute noch ab, daß wir zwar der mächtigste Handelspartner sind, uns aber bei der Bewältigung von Krisen vornehm zurückhalten oder uns aus der Verantwortung stehlen können. Ich glaube nicht, daß wir das durchhalten, sondern meine, daß wir in Asien und in Afrika und auch in Lateinamerika als Europäer und auch als Deutsche gefordert sind, zu solchen Lösungen beizutragen. Hier zieht es eben, meine ich, nicht mehr, sich sozusagen mit der Vergangenheit exkulpieren zu wollen, sondern hier wird Zukunftsbewältigung verlangt.
Meine Damen und Herren, das gilt auch für den Nahen Osten. Ich möchte hier nicht in eine NahostDebatte eintreten; aber man sollte bei dieser Frage ein bißchen redlicher verfahren. Wir sollten nicht immer so tun, als sei nur eine Seite die bedrohte und die andere diejenige, die bedroht, sondern wir sollten bitte auch einmal sehr deutlich werden und unseren Freunden - ich sage das hier ganz offen - in Israel klarmachen, daß man die Friedensbemühungen von Camp David nicht zu einem erfolgreichen Abschluß bringen kann, wenn eine Regierung, die weiß, daß sie nur noch einen gewissen Zeitraum regieren wird, noch in dieser Woche ihre Siedlungspolitik fortsetzt und gleichzeitig - ich muß sagen, ein bißchen scheinheilig - sagt, der König von Jordanien solle sich bitte beeilen, diesem Abkommen beizutreten. Das kann man nicht. Man kann nicht Jordanien in diese Friedensbemühungen einbeziehen, wenn man gleichzeitig eine Siedlungspolitik betreibt, die natürlich auch elementar gegen die Auffassung von Jordanien geht. Ich meine, das dürfte man ja wohl trotz unserer Vergangenheit gelegentlich noch mal unseren Freunden in Israel sagen; denn die isolieren sich, glaube ich, mit einer solchen Politik selbst, und dieser Isolation gilt doch unsere Sorge. Wir machen hier doch nicht eine antiisraelische Politik oder lassen uns, wie das so heißt, durch das Öl erpressen. Wir sollten uns aber - ich sage das in aller Deutlichkeit - auch nicht durch unsere Vergangenheit erpressen lassen.
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- Ich mache mir das nicht leicht. Ich glaube, hier werden manchmal Fakten übersehen, Herr Mertes. Ich meine, man sollte auch immer Vergleiche ziehen hinsichtlich dessen, was schon an Rüstungspotential in den Ländern des Nahen Ostens wirklich vorhanden ist, bevor man zu voreiligen Fehlschlüssen kommt. Das kann ich demnächst sicher noch in einem Aufsatz etwas genauer erläutern.
Auch die Rolle der Sowjetunion in der Dritten Welt und die immer wieder herausgestellte globale Strategie der Sowjetunion sollten wir natürlich ein bißchen genauer abklopfen. Hier genügt mir nicht die Aufzählung bestimmter Fälle von Angola bis zum Horn von Afrika, sondern wir müssen uns in der politischen Analyse auch einmal die Frage stellen, welche möglichen Fehler des Westens zu dem Erfolg sowjetischer Bemühungen beigetragen haben,
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in ein Vakuum vorzustoßen. Hier kann man doch nicht einfach nach theologischem Grundmuster schwarz - weiß, gut - böse sagen, daß das Böse immer nur von der anderen Seite kommt. Vielmehr müssen wir uns fragen: Haben wir z. B. Befreiungsbewegungen rechtzeitig richtig analysiert? Sind wir
Schäfer ({8})
in Mittelamerika jetzt möglicherweise nicht wieder auf dem Wege, zu sagen: Weil in einem Land bestimmte Sympathien für Kuba vorhanden sind oder sich sozialistische Tendenzen bei bestimmten Mitgliedern einer Junta abzeichnen, dürfen wir das nicht mehr unterstützen? Begehen wir da nicht die alten Fehler, ein solches Land in das gegnerische oder, wenn Sie so wollen, in das östliche Lager zu treiben? Ich meine, hier muß Weltpolitik doch auch ansetzen. Hier müssen wir uns doch einmal die Frage stellen: Wie können wir verhindern, daß der Sowjetunion Chancen geboten werden?
Hier meine ich manchmal, daß es ein bißchen an der Analyse fehlt, auch bei Ihnen, daß Sie manchmal zu voreilig immer nur die Schuld bei den anderen suchen, statt zu fragen: Wo hätte man aus den eigenen Fehlern der Vergangenheit lernen müssen? Zu dem geschichtlichen Weitblick, den Sie fordern, gehörte es wohl auch, einen geschichtlichen Rückblick vorzunehmen und aus den Fehlern der 50er Jahre zu lernen.
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Dazu gehört natürlich auch die Einschätzung der Palästinenser-Frage. Es gibt wohl kaum einen Staatsmann im Mittleren Osten, im Nahen Osten oder auch in Ostasien, der Ihnen nicht sagen wird - Herr Mertes, das wissen Sie genauso gut wie ich -, daß das der Schlüssel für die Lösung einer Fülle von Problemen ist und daß der Sowjetunion, solange diese Frage nicht gelöst werden kann, Chancen geboten werden, sich in einer Weise zu betätigen, die uns nicht lieb sein kann. Ich glaube, das müssen wir ganz einfach sehen. Ich sage damit kein Wort zu einem Palästinenser-Staat oder der Beteiligung der PLO, sondern ich sage dazu nur: Wir können dieses Problem nicht von uns wegschieben
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und sagen, wir dürften uns mit diesem Problem eigentlich gar nicht befassen.
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Ich halte das für unredlich und politisch auch für falsch. - Ich habe in diesem Augenblick nicht an Sie gedacht, Herr Mertes. Sie dürfen sich nicht dauernd betroffen fühlen. Es gibt natürlich in allen Fraktionen Leute, die das sagen: bei Ihnen, bei uns und auch bei der SPD, um das sehr deutlich zu sagen.
Ich darf zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, es ist manchmal vielleicht etwas leicht, aus dem Blickpunkt eines Unterbezirksparteitages weltpolitische Entwicklungen zu beurteilen, dabei möglicherweise auf das Schema schwarz und weiß zurückzugreifen und dann eine in komplizierten Situationen handelnde Bundesregierung unflätig anzugreifen. Ich meine, wir sollten doch ein bißchen mehr Vertrauen in die Leistungen dieser Regierung haben, und zwar insbesondere als Regierungsfraktionen. Das gilt zwar für meine Partei nicht, aber ich muß Ihnen offen sagen: Dinge, die jetzt gelegentlich zu hören waren, erscheinen mir sehr unangebracht. Mir haben gerade vor einer Woche in China deutsche Lehrer gesagt: Lieber Herr Schäfer, wenn Sie etwas Sinnvolles tun wollen, dann fragen Sie doch einmal im Deutschen Bundestag: Warum macht ihr einen solchen Pessimismus? Warum bewertet ihr eure Leistungen derart verheerend? Was ist in euch gefahren? Wieso muß das so laufen? Ich meine, das müssen wir natürlich auch an die Adresse von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen sagen.
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In einer diffizilen Situation z. B. sollte man dieser Regierung nicht sofort unterstellen, sie sei leichtfertig bereit, in den Rüstungsexport hineinzuschlittern oder was weiß ich zu tun. Man sollte die Regierung höchstens fragen: Warum werden die Fraktionen vor schwierigen Problemen nicht manchmal rechtzeitiger problembewußt gemacht? Warum können wir uns in den Fraktionen mit diesen Problemen nicht manchmal rechtzeitiger auseinandersetzen, statt das verspätet zu erfahren
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und hinterher Irritationen zu erleben, die man hätte vermeiden können? Das auch an die Adresse der Regierung; ich erlaube mir, das kritisch anzumerken. Da ließe sich vielleicht manches manchmal geschickter machen, statt hinterher die großen Auseinandersetzungen auszutragen.
Meine Damen und Herren, ich habe nur einige zusätzliche Bemerkungen machen wollen. Ich glaube, die Zeit gebietet es, daß ich hier abbreche und die Geduld der letzten, die hier in diesem Saale weilen, nicht über Gebühr beanspruche. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Aus der großen weiten Welt möchte ich gern wieder in unser eigenes, in unser deutsches Haus zurückkehren und gleich zu Beginn meines kurzen Beitrages die These aufstellen, die ich nachher begründen werde: Es steht schlecht um Deutschland. Dies hat seine Ursache nicht nur in der gewaltsam aufrechterhaltenen Teilung unseres Vaterlandes, sondern in zunehmendem Maße im Verschulden der Bundesregierung.
Begriffe und Inhalt wie Selbstbestimmung und Wiedervereinigung sind nahezu außer Kurs gesetzt. Vom Bundeskanzler wissen wir, daß er das Wort Wiedervereinigung nicht gern gebraucht und darum überhaupt nicht mehr gebraucht. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Wehner zieht sich auf die philologische Erkenntnis zurück, daß das Wort Wiedervereinigung doch gar nicht im Grundgesetz zu finden sei. In den 60er Jahren, als er die SPD regierungsfähig machen wollte, hat er wiederholt und zu Recht gerade an das Wiedervereinigungsgebot erinnert. Das ist inzwischen alles längst verdrängte Vergangenheit. Man muß darum neugierig darauf sein, was in abermals zehn Jahren von all dem, was heute sei694
tens der SPD und seitens ihrer Vormänner feierlich erklärt wird, noch Gültigkeit haben wird.
Nicht besser als der Wiedervereinigung ergeht es der Einheit Deutschlands in Freiheit. Der Tag der deutschen Einheit, unser einziger nationaler Gedenktag, wäre nach den Intentionen der größten der beiden Regierungsparteien bereits abgeschafft, gehörte er nicht zum sozialen Besitzstand. Vom Bundesminister des Auswärtigen ist dieser Tag bis heute erst gar nicht bei den Vereinten Nationen angemeldet worden,
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weil es sich, worauf man sich mit einer törichten Ausrede hinausgemogelt, doch gar nicht um einen Nationalfeiertag handele. Wir sind wohl das einzige Land in der Welt, das bei den Vereinten Nationen keinen derartigen Tag in Anspruch nimmt. Unsere auswärtigen Missionen sind gehalten, den 23. Mai, den Tag des Inkrafttretens unseres Grundgesetzes, als Ersatz-Tag zu begehen. Auf diese Weise möchte man jeder Peinlichkeit des Ausbleibens kommunistischer Botschafter und Gesandter bei Einladungen unserer Missionschefs ausweichen. Als ein Bekenntnis zur Einheit des Vaterlandes in Freiheit kann man ein derartiges Verhalten wohl kaum einstufen.
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Genauso schlecht wie der Forderung nach Wiedervereinigung und dem Anspruch auf die Einheit Deutschlands in Freiheit ergeht es dem Selbstbestimmungsrecht. Alle Jahre einmal - und das ist alles, was vor den Vereinten Nationen geschieht - paraphrasiert der Bundesaußenminister vor den Vereinten Nationen den „Brief zur deutschen Einheit", der bekanntlich Bestandteil des Moskauer und des innerdeutschen Grundvertrages ist. Dieser innere Bezug des „Briefes zur Deutschen Einheit" wird ohnehin regelmäßig verschwiegen. Auch der Bundeskanzler tat ein Gleiches in seiner Regierungserklärung. Mehr als eine pflichtgemäße Fingerübung ist aus der Forderung nach Selbstbestimmung leider Gottes nicht übriggeblieben.
Man braucht sich darum nicht zu wundern, daß die ganze Welt zwar vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser spricht, mit keinem Wort aber das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes erwähnt. Auch in den zahlreichen Kommuniqués nach den vielen Reisen des Bundesaußenministers findet sich in regelmäßiger Folge das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser erwähnt, während das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen totgeschwiegen wird. Warum eigentlich?, so muß gefragt werden.
Wäre es nicht übrigens auch erwähnenswert, daß wir Deutsche das Selbstbestimmungsrecht gewaltlos erringen wollen, ganz im Gegensatz zu den Palästinensern, die auf Gewalt und - wenn es sein muß - sogar auf Terror gesetzt haben?
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Angesichts des beharrlichen Schweigens der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsrecht sind wir Papst Johannes Paul II. um so dankbarer, daß er beim Verlassen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Flughafen München-Riem am 19. November 1980 erklärt hat:
Wie in jeder menschlichen Familie jeder ihr angehörende Mensch alle Achtung findet, so müssen in der Völkerfamilie alle Nationen - große, mittlere und kleine - geachtet werden. Diese Nationen haben schon ihre lange Geschichte, ihre volle Identität und ihre eigene Kultur. Dieser eigenen geschichtlichen Reife entspricht das Recht auf Selbstbestimmung, wobei natürlich auch die entsprechenden Rechte anderer Nationen gebührend berücksichtigt werden müssen.
Diesem Wort kann man nur uneingeschränkt zustimmen.
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Wie sollen nun die nächste und die übernächste Generation entsprechend unserem Verfassungstext aus innerer Überzeugung für die Vollendung der Einheit Deutschlands in Freiheit eintreten und auch Politik treiben, wenn der Verfassungstext kaum noch mit der Verfassungswirklichkeit übereinstimmt?
Zur geistigen Führung - über die heute vormittag schon viel gesagt worden ist -, die der Bundesregierung und vor allem dem Bundeskanzler aufgetragen ist, gehört das Bekenntnis zu den Werten unseres Volkes wie eines jeden Volkes, gehört das Vorleben dieser Werte. Wir sprechen von der Liebe zur Heimat und von der Treue zum Vaterland. In seinen 30 Thesen hat der Berliner Landesschulrat Herbert Bath, übrigens Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, bei Erwähnung der Bindungen, zu denen erzogen werden sollte, neben den religiösen Bindungen ausdrücklich die Bindungen genannt, „die aus der Geschichte der Heimat und dem Vaterland erwachsen sind". Er hat dann ausgeführt:
Die Kenntnisse, die man über sein eigenes Volk und Land besitzt, sind nicht irgendwelche Kenntnisse, und die Liebe zur Heimat und zum Vaterland ist ein wichtiger Integrationsfaktor. Übersieht man das, sind Bindungslosigkeit, vage Fernstenliebe, vagabundierende Gesinnungshaftigkeit und Manipulierbarkeit die Folge, aber auch Verdrossenheit, Resignation und Verzweiflung sowie die Blüte eines zweifelhaften politischen und religiösen Sektierertums.
Ich meine, daß uns der Pädagoge Bath hier sehr wichtige Erkenntnisse auch für den Alltag in der Politik und auch für die Führung eines Volkes übermittelt hat.
Diejenigen in unserem Volk, die an den Folgen des 2. Weltkriegs am schwersten zu leiden haben, weil ihnen die Heimat geraubt worden ist, weil sie vertrieben worden sind oder fliehen mußten oder sich aus der Heimat haben aussiedeln lassen, damit sie endlich wieder als Deutsche unter Deutschen frei leben können, werden auf der einen Seite von Repräsentanten der Jugendorganisation der SPD als „reDr. Hupka
vanchistische Minenhunde" beschimpft und andererseits von den Kommunisten - gerade in diesen Tagen in besonderem Maße und in heftiger Weise - auf das gemeinste verdächtigt und des Revanchismus angeklagt.
Die Bundesregierung schweigt zu all dem,
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obwohl es sich bei den Vertriebenen und Flüchtlingen um mehr als 15 Millionen Mitbürger handelt. SPD und FDP lassen sogar zu, daß bei Begegnungen mit Vertretern der kommunistischen Staatspartei der Volksrepublik Polen nach „tragbaren" und „untragbaren" Mitgliedern des Deutschen Bundestags sortiert wird.
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- Kommunisten regieren nach wie vor in Polen; ich kann deswegen nicht schweigen.
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Auch das geschieht in der Bundesrepublik Deutschland: Der polnische Botschafter darf unwidersprochen sein Gastrecht mißbrauchen und die Änderung unseres Grundgesetzes fordern, darf unangefochten von der Aufrechterhaltung der „juristischen Fiktion", von der „angeblichen Existenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 in der Bundesrepublik Deutschland" sprechen. Man kenne, so lautete die Antwort im Bundestag, den kommunistischen Standpunkt, und das genüge.
Warum wurde und wird nicht richtiggestellt und entschieden zurückgewiesen, was absichtlich falsch und verzerrt seitens des Repräsentanten der Volksrepublik Polen dargestellt wird? Es darf doch nicht an dem sein, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Offenhalten der deutschen Frage diese Bundesregierung nicht mehr binden sollen. Im Gegenteil: Vom höchsten Verfassungsgericht ist der Bundesregierung wie allen Verfassungsorganen aufgetragen, „den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten".
Dem Herrn Bundespräsidenten soll auch von dieser Stelle aus dafür gedankt werden, in welch klarer und überzeugender Weise er zum 30. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen das Wirken und die Leistung der Vertriebenen gewürdigt hat.
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Er sagte:
In der Erinnerung des Leidens, in materieller und menschlicher Not und in der Ungewißheit der Zukunft haben die Vertriebenen zu Vergeltung und Gewalt „nein", zu Versöhnung und Zusammenarbeit „j a" gesagt. Das ist die große moralische Leistung der Vertriebenen.
Soweit der Bundespräsident.
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Die Pflege und Weitergabe des kulturellen Erbes, aber auch die tatkräftige Unterstützung der schöpferischen Kräfte der Vertriebenen sind der Bundesregierung aufgetragen. Es sei nicht verschwiegen, daß hier manches in lobenswerter Weise geschieht. Doch sollte man sich vor jedem Zentralismus hüten und das Gewachsene nicht in künstliche Einheitlichkeit umprägen wollen. Es wäre klug, nicht von Staats wegen bevormundenden Einfluß nehmen zu wollen.
Bekannt ist, daß Aktivitäten der Verbände und einzelner, unternommen in staatspolitischer Verantwortung für ganz Deutschland und das deutsche Volk, nicht nur von den Kommunisten, sondern auch von manchem Mitläufer hierzulande diffamiert werden, schon deswegen, weil diese auch mit bescheidenen finanziellen Mitteln begleitet werden. Die Forderung nach mehr Regierungsfrömmigkeit, nur weil Steuergelder in geringer Höhe zugewiesen werden, muß entschieden zurückgewiesen werden. In einem freien Staat gilt das freie Wort, und jede Gängelung oder gar Vorzensur hat zu unterbleiben.
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Die Bundesregierung muß erneut gefragt werden, warum sie sich immer noch weigert, die Dokumentation über die Verbrechen während der Vertreibung - ein schmaler Band mit der Bilanzierung aus 40 000 Seelenlisten - zur Veröffentlichung freizugeben. Die ganze Wahrheit muß auf den Tisch: die Wahrheit der Verbrechen unter Hitler, deren Opfer unsere Nachbarvölker und die Juden geworden sind, und die Wahrheit der Verbrechen unter Stalin und seiner Nachfolger, deren Opfer jetzt die Deutschen geworden sind. Es ist schlimm, daß man sich die inzwischen als Raubdruck hergestellte Dokumentation in einem freien Land gleichsam unter dem Ladentisch besorgen muß.
Warum wird - auch diese Frage ist zu stellen - nicht regelmäßig darüber berichtet, wie viele Deutsche aus allzu durchsichtigen, angeblich politischen Gründen verhaftet und verurteilt werden? Daß das „Neue Deutschland" in bald jeder Nummer Meldungen über Verhaftungen und Verurteilungen veröffentlicht, läßt unser Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen kalt. Man erhält jedenfalls nur auf ausdrückliche Befragung in den Fragestunden des Deutschen Bundestages eine Antwort. Ständige Aufklärung über das unseren Landsleuten widerfahrene Unrecht tut not.
Zu diesem Unrecht gehört auch die Verweigerung des Minderheiten- und Volksgruppenrechts für die Deutschen in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße. Die Bundesregierung ist im Wort, denn sie sicherte bei den Beratungen der deutsch-polnischen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 ausdrücklich zu, daß sie für das Volksgruppenrecht eintreten werde. Gewährte man den Deutschen das Volksgruppenrecht, würden viele den Entschluß fassen, lieber daheim zu bleiben, als sich aussiedeln zu lassen und eine unsichere Zukunft zu beginnen.
Für die Deutschen, die ausreisen wollen, haben wir als deren Anwalt zu wirken. Auch hier wird die Methode des Schweigens oder der ungenauen Berichterstattung gepflegt.
Die Bundesregierung hat dem Deutschen Roten Kreuz untersagt - entweder verbal oder vielleicht auch nur moralisch -, die Deutsche Öffentlichkeit über die Zahl der ausreisewilligen Deutschen zu unterrichten, obwohl das Deutsche Rote Kreuz die Zahlen ständig aktualisiert. Schätzungen kommen zu dem Ergebnis, daß ungefähr 150 000 Deutsche aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße ausreisen wollen, aus der Sowjetunion wohl mehr als 100 000, aus Rumänien etwa 200 000 und aus der Tschechoslowakei zwischen 5 000 und 10 000.
Die Zahl der Ausreisenden aus Rumänien - das sei hier gerne angemerkt - ist im letzten Jahr erfreulich gestiegen.
In Oberschlesien und Ostpreußen, wo die meisten Deutschen jenseits von Oder und Neiße leben, herrscht indes eine große Beunruhigung, ob die sogenannte Offenhalteklausel des deutsch-polnischen Ausreiseprotokolls auch greifen wird.
Bedrückend ist, daß seit Juni 1980 die Zahl der in Friedland registrierten Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße um ein Drittel zurückgegangen ist und nahezu die Hälfte der dort eintreffenden Deutschen Besucher sind, die aus Verzweiflung darüber, daß sie bislang keine Erlaubnis zur Ausreise erhalten konnten, hier bleiben. Interventionsnotizen unserer Botschaft in Warschau für die als Faustpfand gewaltsam zurückgehaltenen engsten Familienangehörigen werden von der polnischen Regierung gar nicht entgegengenommen.
All das wird indes von der Bundesregierung als „nicht so gravierend" bezeichnet; „zu einer Dramatisierung" bestehe, wie gesagt worden ist, „kein Anlaß". Hinter jeder Zahl aber verbirgt sich das Schicksal eines Deutschen. Wir sollten deswegen die Zahlen sehr ernst nehmen.
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Wir sind noch sehr weit von der Gemeinsamkeit in Fragen unseres Vaterlandes und seiner Zukunft in Freiheit entfernt, obwohl diese Gemeinsamkeit, die 1969 aufgekündigt worden ist, dringend notwendig ist. Aber es wäre schon ein Schritt nach vorn, wenn endlich das Schweigen über die Not unseres geteilten Volkes und über den Willen, sich mit der Teilung nicht abzufinden, gebrochen würde.
Wir werden nicht aufhören, die Bundesregierung immer wieder daran zu messen und zu beurteilen, was sie für Deutschland tut oder unterläßt, ob sie entsprechend dem Wiedervereinigungsgebot aus dem Grundgesetz für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes überall, immer wieder und gegenüber jedermann eintritt oder ob sie ins Schweigen ausweicht. Die gegenwärtige Ferne von Deutschland ist Schuld dieser Bundesregierung.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Pieroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um diese Tageszeit komme ich gleich zum Kern. Es geht vor allem um die Glaubwürdigkeit der Entwicklungspolitik.
Nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung wird der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt bis 1984 gerade 0,44 % erreichen; das ist der Stand von 1979. Seitdem stagnieren auch die Verpflichtungsermächtigungen. Wie paßt das zusammen mit Ihren ständigen Versprechungen im In- und Ausland, im Hinblick auf das 0,7-%-Ziel, unseren Beitrag zur Entwicklungshilfe real steigern zu wollen?
Unseriös wird es, wenn Kanzler und Entwicklungsminister sich auch noch feiern lassen für eine nominale Haushaltssteigerung. Meine Damen und Herren, wenn Sie nominale Haushaltssteigerungen hochreden, steigern Sie real doch nur die Enttäuschungen hier und in den betroffenen Ländern. Bei der Gruppe der 77. Und Sie provozieren hier offensichtlich die Kollegen der Gruppe 37, was Kollegin Schuchardt zu Recht als billige Show hingestellt hat.
Keine reale Steigerung - keine reale Verbesserung. In der Aussprache zur Regierungserklärung habe ich Sie bereits im November zu einer kritischen Bestandsaufnahme aufgefordert; ich wiederhole das. Jeder politisch Interessierte in unserem Land weiß heute, daß sich in zwei Dekaden Entwicklungspolitik die Probleme verschärft haben. Er fragt zu Recht, was wir geleistet haben und was wir künftig leisten werden. Ich erwarte von einer Regierung konstruktive Nachdenklichkeit, die Fähigkeit die eigene Leistung kritisch zu beurteilen, um daraus zu lernen.
Herr Minister, legen Sie Ihre Finger doch auch mal auf die wirklich wunden Punkte, und weichen Sie nicht aus, wie es verschiedentlich passiert ist. Ich frage Sie deshalb ganz präzis:
1. Warum sind Ihre Zusagen für finanzielle und technische Zusammenarbeit im Sektor Land- und Forstwirtschaft und Fischerei - das heißt praktisch für die Nahrungsmittelproduktion - seit 1977 von 18 % auf 9,7 % zurückgegangen?
2. Warum betrugen im Bereich der Hilfe für die ärmsten Länder, die Sie doch erhöhen wollen, Ihre Zusagen - wieder für finanzielle und technische Zusammenarbeit - im Jahre 1976 27,9 % und heute nur 22 %?
3. Wieviel kleinbäuerliche, handwerkliche und mittelständische Existenzen sind in den letzten zehn Jahren mit deutscher Hilfe geschaffen worden, über die Regionalbanken oder über die DEG? Welchen Anteil macht das am Gesamtgeschäft der DEG aus?
4. Warum stagnieren die Verpflichtungsermächtigungen bei der Aus- und Fortbildung?
Kurzum: Wo haben Sie, Herr Minister, in Ihrem Haushalt deutliche Schwerpunkte gesetzt, und wo haben Sie deutlich gekürzt?
Nur mit einer glaubwürdigen Politik wird es Ihnen gelingen, den Gedanken der Entwicklungshilfe breit in unserer Bevölkerung zu verankern. Diese Bevölkerung ist doch großartig, wenn sie weiß, daß ihre Hilfe bei Katastrophen auch Erfolg hat. Genauso müssen Sie konkrete Erfolge vorweisen, daPieroth
mit klar wird, daß Sie fast sechs Milliarden Steuergelder sinnvoll ausgeben.
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Überlegen Sie auch, wie Sie durch breite Einbindung von privatem Engagement die Wirksamkeit der öffentlichen Entwicklungshilfe steigern können! Walter Scheel hat da völlig recht. Sprechen Sie mit der Wirtschaft! Gehen Sie auf die Jugend, die Kirchen und die freien gesellschaftlichen Gruppen zu! Gewinnen Sie diese Kräfte, indem Sie nicht nur gemeinsame Ziele, sondern auch gemeinsam zu gehende Wege aufzeigen!
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Dazu müssen Sie ähnliche Schritte unternehmen wie die Kirchen mit ihrem Dialogprogramm, wofür wir den Kirchen ausdrücklich danken wollen.
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Sie müssen den Schatten verlassen, in den der Kanzler die Entwicklungspolitik gestellt hat. Der Entwicklungsminister darf doch nicht länger der Schattenminister in diesem Kabinett bleiben müssen.
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Meine Damen und Herren, wir stellen drei Hauptforderungen:
Erstens. Entwicklungspolitik muß die richtigen Schwerpunkte setzen. Der Kampf gegen die Massenarmut muß ins Zentrum. Unsere Hilfe muß bei den armen Massen ankommen. Die Entwicklungsländer müssen zu kaufkräftigen Wirtschaftspartnern werden, untereinander und mit uns.
Zweitens. Der wirtschaftliche Sachverstand muß stärker zum Einsatz kommen: bei uns, in den internationalen Beziehungen und in der Dritten Welt.
Drittens. Unsere entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitischen Interessen müssen zu ihrem wechselseitigen Nutzen besser abgestimmt werden. Sie müssen fest in einem westlichen Gesamtkonzept verankert werden.
Kampf gegen die Massenarmut: Helmut Kohl sprach zuletzt von der Hilfe für den „hungernden Nächsten in der Welt". Das sagt die CDU seit 1975, so ist die zentrale Forderung der Weltbank.
Aber: ist das Massenphänomen der Armut richtig bekannt? 800 Millionen Menschen, mehr als Europa und Nordamerika Einwohner haben, sind davon betroffen.
Ist man in der Praxis genügend an die Ursachen von Hunger, Krankheit, Unterbeschäftigung und Bevölkerungsexplosion herangekommen? Hat man in der Praxis die Bedeutung der kulturellen Eigenständigkeit gebührend berücksichtigt? Und wurde die eminent politische Dimension der Armut erkannt, Armut als persönlich erlebte soziale Ungerechtigkeit, Armut als Objekt der politischen Verführung?
Massenarmut und Hunger sind ein Nährboden für politische Gewalt. Hier säen und ernten Revolutionäre und ihre Hintermänner. Massenarmut und falsche Entwicklung werden auch angesichts des ungeschmälerten sowjetischen Expansionsdrangs zu den größten politischen Risikofaktoren. Ich nenne hier Äthiopien, Iran, Zentralamerika. Diese Konflikte treffen uns zunehmend empfindlich strategisch, weltpolitisch, bei der Sicherung unserer 01- und Rohstoffversorgung und bei der Bewältigung der wachsenden Flüchtlingsströme.
Meine Damen und Herren, es ist daher auch unser Interesse, daß aus Massenarmut Produktivkraft wird. Nur so sichern wir auf Dauer wirtschaftliches Wachstum, Stabilität und Frieden in der Welt. Diese Aufgabe, Kollege Ehmke, gilt auch jetzt, wo wir keine Wachstumsraten haben. Der Kollege Ehmke sollte seinen Einfluß geltend machen, daß dieses böse Spiel in der SPD, mit Entwicklungshilfe die Öffentlichkeit für die internen Probleme der SPD interessieren zu wollen, unterbleibt.
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Das heißt für die Praxis: Punktuelle Projekte helfen bei Massenarmut nicht. Wir müssen mit unseren begrenzten Mitteln breit an die Initiativen und Interessen dieser 800 Millionen Menschen anknüpfen. Ihre Wirtschaftskraft, das brachliegende Potential an kleinen Mittelständlern, Handwerkern und Bauern muß sich entfalten. Es ist keine passive Masse. Diese Menschen ziehen doch in die Slums der Großstädte, weil sie sich dort Arbeit erhoffen. Produktivkraft liegt immer noch brach in den riesigen Landstrichen, die zwar fruchtbar sind, aber zu wenig genutzt werden, weil die Agrarpreise nicht stimmen, weil das Eigentum nicht breit genug gestreut ist und die Absatzwege vernachlässigt wurden.
Was muß geschehen? In den armen Regionen kommt es nicht auf Millionenprojekte an, sondern auf Millionen von Projekten für die Armen selber.
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Dann entstehen kleine Wirtschaftskreisläufe, viele Arbeitsplätze - dort, wo die Menschen wohnen - und die passende Technik. Das heißt für die Umsetzung: Ländliche und gewerbliche Entwicklung, Ausbildung von Handwerkern und Führungskräften, kleine lokale Kreditsparkassen, Einkaufsgenossenschaften, örtliche und regionale Vertriebsorganisationen. Dafür ist zwar auch viel Geld, aber in kleinerer Stückelung erforderlich: Kleinkredite, Zuschüsse, Bürgschaften, Material, personelle Hilfen.
Das hat auch politische Voraussetzungen: Freiräume im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Sinn. Herr Minister, ich lehne Ihre kürzlich geäußerte Tendenz ab, den bürgerlichen Freiheitsrechten in der Dritten Welt eine geringere Bedeutung als Wohnung und Kleidung beizumessen.
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- Ohne bürgerliche Rechte, mit Vorenthaltung von Menschenrechten, können wir Menschen in der Dritten Welt nie zu Freiheit in Wohlstand führen.
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Mehr als bisher muß der ökonomische Sachverstand genutzt werden - bei uns und in der Dritten Welt.
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- Machen Sie doch jetzt nicht Werbung für eine Entwicklungsdiktatur, die Sie sonst anderen vorwerfen, Herr Holtz!
Es reicht nicht, wenn Sie wahrscheinlich auch heute wieder, Herr Minister, den Ölpreisanstieg mit Blick auf die wachsende Verschuldung und die drängenden Zahlungsbilanzprobleme der meisten Entwicklungsländer beklagen werden. Der Ölpreisanstieg ist doch nichts Neues. Seit sieben Jahren wissen wir das. Deshalb wollen wir von Ihnen endlich Vorschläge hören und Taten sehen: in Ihrem eigenen Etat, in der Realität der Projekte, gegenüber der OPEC, bei der Mobilisierung unserer mittelständischen Wirtschaft für regenerative Energieprojekte in der Dritten Welt und hier im Kabinett und in den Koalitionsparteien, wenn es auch im Interesse der Dritten Welt hier bei uns um bessere Energienutzung, um Importkohle und um den Ausbau der Kernenergienutzung geht.
Wir erwarten Vorschläge von Ihnen auch zu makroökonomischen Problemen - Vorschläge, nicht nur deren Beschreibung, z. B. wie eine Regelung der Kapitalströme im Trialog mit der OPEC aussehen könnte. Wir erwarten das von Ihnen, Herr Minister. Konrad Adenauer hat ja nicht ohne Grund Ihr Ressort „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit" genannt. Wir werden nicht zulassen, daß Sie das Enrgieproblem als Alibi für wirtschaftspolitische Einfallslosigkeit verwenden.
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Die Exporte der Entwicklungsländer in die Bundesrepublik Deutschland sind achtmal so hoch und die finanzielle Leistung der deutschen Wirtschaft für die Entwicklungsländer ist doppelt so hoch wie der gesamte Entwicklungsetat. Daraus muß man doch noch mehr machen können.
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Ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit müßte doch aufhorchen, wenn die DEG, wie es am vorigen Freitag geschehen ist, ein Nachlassen der Investitionen unserer mittelständischen Wirtschaft in der Dritten Welt feststellt und gleichzeitig der DIHT mehr politischen Flankenschutz draußen fordert. Das sind berechtigte Forderungen an eine Regierung: die Abdeckung politischer Risiken, mehr Rechtssicherheit für Investitionen, Kapitaltransfer und Handelsverkehr.
Und was haben Sie, Herr Minister, im EG-Ministerrat zum Abbau des Protektionismus erreicht?
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Warum haben wir noch keinen allgemeinen, zeitlich verbindlichen Liberalisierungsfahrplan für den Handel mit den Entwicklungsländern?
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Vor allem müssen Sie bei den Globalverhandlungen endlich aus der Defensive kommen. Wir brauchen eine eigene vorwärts gerichtete Verhandlungsposition mit Elementen, die die Grundlage für den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft waren: eine Position gegen Dirigismus und Weltbürokratie, für eine offene liberale Weltwirtschaft; eine Position, die sich auch um eine faire Chance für jedes Land am Weltmarkt und um einen sozialen Interessenausgleich bemüht.
Herr Minister, für eine solche Verhandlungsstrategie sollten Sie auch den Bundeswirtschaftsminister interessieren. Vielleicht wird er dann wirklich einmal der kleine Erhard der 80er Jahre.
Es muß auch viel in den Entwicklungsländern geschehen. Auch die Entwicklungsländer müssen mehr auf Märkte und weniger auf Bürokratie setzen.
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Denn viele dieser Probleme sind in einer falschen Wirtschaftspolitik begründet:
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das Abschnüren privater Initiative, Verfälschung von Marktsignalen, übertriebene Importsubstitutionen, zu viele Staatsbetriebe, hohe Staatsdefizite, aufgeblähte Bürokratie. Viele Länder unterschätzen immer noch die Signalwirkung reeller Preise. Viele Länder können viel mehr für die Voraussetzungen von Wirtschaftswachstum und Produktivität tun. Darüber mehr in einer späteren Debatte.
Heute nur noch das, Herr Minister: Sie haben sich in Neu-Delhi einmal dagegen gewehrt, ein Kreuzritter der Marktwirtschaft zu sein. Darum geht es doch gar nicht. Die Menschen in der Dritten Welt wollen die Erfolge unserer Marktwirtschaft, dann müssen sie auch den Grund für unsere Erfolge erfahren. Ein Aufklärer für Soziale Marktwirtschaft, das sollten Sie sein, Herr Minister.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schluckebier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pieroth, soweit Sie den Minister angesprochen haben, wird er darauf antworten. Das will ich gar nicht tun. Soweit Sie zum x-ten Male die kritische Bestandsaufnahme angesprochen haben, können wir uns im Fachausschuß darüber unterhalten und all Ihre Vorschläge, die Sie hier vorgetragen haben, sachlich und ruhig auf ihre Machbarkeit überprüfen. Das haben wir in der Vergangenheit auch getan, und das sollten wir auch in der Zukunft tun. Wir von seiten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben diesbezüglich keinerlei Ängste.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will mich zunächst zum Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit äußern.
Im Gegensatz zu Ihrer Feststellung sind alle jene, die sich seit einigen Jahren mit dem Haushalt des Einzelplans 23 beschäftigen, jedenfalls in den letzten fünf Jahren nicht unzufrieden; denn wenn wir diesen Haushalt 1981 verabschiedet haben, hat sich der Haushalt bei Einzelplan 23 in fünf Jahren verdoppelt. Ich glaube, das entspricht dann auch den politischen Möglichkeiten, die der Bundesregierung und diesem Hause zur Verfügung standen, nicht mehr.
Ich will am heutigen Abend vor dem Hintergrund unserer eigenen wirtschaftlichen Situation und der gesamten Weltwirtschaft etwas zu unserer Entwicklungspolitik insgesamt sagen, vor allem die letzten zehn Jahre würdigen. 1981 beginnen wir die dritte Dekade der Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen. Ich darf daran erinnern, daß wir 1970 2,18 Milliarden DM im Haushalt veranschlagt hatten. Nach den Beratungen wird dieser Haushalt Mitte dieses Jahres 5,7 Milliarden DM betragen. Dies sind allerdings nur 0,43 % des Bruttosozialprodukts. Das ist aber immerhin eine Steigerung von 10,4 %.
Allerdings sind diese 5,7 Milliarden DM im Einzelplan 23 nicht die gesamte deutsche Leistung. Wir vergessen bei unserer Diskussion über das 0,7- %- Ziel immer ein bißchen, daß nach den internationalen Kriterien für die Entwicklungspolitik noch über 1 Milliarde DM aus anderen Ressorts anzurechnen ist. Damit beträgt dieser Haushalt ehrlicherweise nicht 5,7, sondern rund 6,7 Milliarden DM. Alle, die sich mit dieser Frage näher beschäftigt haben, wissen das auch.
Da der Gesamthaushalt nur um 4 % steigt, stellen wir fest, daß die Bundesregierung mit diesem Entwurf klargemacht hat, daß sie der öffentlichen Entwicklungshilfe eine hohe Priorität beimißt. Der Zielvorstellung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die Dritte Welt bereitzustellen, sind wir somit ein Stückchen näher, für uns Entwicklungspolitiker allerdings noch nicht nahe genug gekommen. Unser Wunsch, dieses Ziel bereits Mitte der 80er Jahre zu erreichen, wird weitgehend von der Entwicklung der eigenen Wirtschaft und davon abhängen, ob wir in diesem Hause in der Lage sind, der Nord-Süd-Politik eine noch größere Priorität zu geben.
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- Finanzplanungen, Herr Kollege Dr. Köhler, haben sich des öfteren geändert, warum nicht auch einmal im Einzelplan 23?
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- Kein Streitgespräch; wir können das j a im Ausschuß noch vertiefen.
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- Ich weiß, ich habe Ihre Darstellung und Ihre Zahlen nicht bezweifelt, Herr Kollege Pieroth. Ich habe
nur gesagt: Wenn wir das wollen, können wir das politisch höchstwahrscheinlich auch ändern.
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- Nun ja, aber ich denke, daß Haushaltsfragen nicht nur Fragen der Regierung, sondern auch der Opposition sind, wenn wir ein gemeinsames Parlament darstellen. Wenn dies nicht so ist, können wir uns die Hälfte oder knapp die Hälfte des Parlaments vielleicht sparen.
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Aber nun will ich doch noch auf eines hinweisen. Sie haben es angedeutet, Herr Pieroth, und ich will es als sozialdemokratischer Politiker unterstreichen: Wir sind im Parlament nur zuständig für die öffentliche Entwicklungshilfe und -politik. Wir wissen sehr wohl, daß die privaten, wenn auch unter anderen Konditionen gegebenen - nicht immer Entwicklungspolitik - Kapitalinvestitionen in die Dritte Welt natürlich zweimal so hoch sind wie die der öffentlichen Entwicklungshilfe. Dieses stellen wir ohne Zweifel fest, aber immer mit der Betonung, daß sich die privaten Kapitalinteressen auch entsprechend verzinsen, was bei der öffentlichen Entwicklungshilfe nicht der Fall sein kann und auch in Zukunft nicht der Fall sein sollte. Wir wollen allerdings auch feststellen, daß der größte Teil der nicht gebundenen Entwicklungshilfe unserer Wirtschaft wieder zugute kommt, in Form von Aufträgen zurückfließt, und daß damit ohne Zweifel auch Beschäftigungseffekte erzielt werden.
Nun ist die Qualität unserer wirtschaftlichen Hilfe eine Seite unserer Anstrengungen. Die Qualität unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist jedoch, so meine ich, entscheidend. Hier müssen wir auch weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, um die Effizienz dieser Zusammenarbeit zu verbessern. Wir begrüßen daher die entwicklungspolitischen Schwerpunkte der Bundesregierung, und wir freuen uns, daß in diesem Katalog eine Vielzahl von Punkten aufgeführt ist, die wir in der Vergangenheit im Fachausschuß diskutiert haben.
Ich möchte einige Schwerpunkte betonen: die Förderung der Landwirtschaft und des Fischereiwesens, die Förderung der industriellen Entwicklung und des Handwerks, die Förderung von Energie und Umwelt, die Verstärkung der Hilfe im Bildungs- und Ausbildungsbereich sowie in der kulturellen Zusammenarbeit. Sehen Sie, Herr Pieroth, wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt.
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Was Sie hier gerade vorgeschlagen haben, hat die Bundesregierung in ihren Richtlinien bereits dargestellt. Die Frage ist allerdings, was man davon in die Praxis umsetzen kann.
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Ich will auch noch einmal darauf hinweisen - es war im Laufe des Tages heute schon des öfteren davon zu hören -, daß die Nord-Süd-Kommission unter Leitung von Willy Brandt insbesondere auf den Hunger in dieser Welt hingewiesen hat, auf die katastrophalen Folgen der Erdölverteuerung für die Entwicklungsländer, zwei Probleme, die in Zukunft höchste Priorität in der Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd haben müßten. Wir glauben nach wie vor, daß eine gesunde Landwirtschaft und ländliche Infrastruktur erst die solide Grundlage für die Entwicklung der Volkswirtschaften herstellen zugunsten der breiten Masse der Bevölkerung.
Solange die Versorgung der Bevölkerung in der Dritten Welt durch importierte Nahrungsmittelhilfe sichergestellt werden muß, solange der Bauer aus der Armut auf dem Lande in die Armut der Stadt flüchten muß, ist eine durchgreifende Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht zu erwarten. Wir messen daher der Beteiligung der Bauern an der Entwicklung durch die Betonung des Genossenschaftswesens im Landwirtschaftsbereich besondere Bedeutung bei.
Die Entwicklungsländer ohne eigenes Öl sind im Grunde die einzige Staatengruppe, die die explodierenden Ölpreise ungedämmt und ohne Ausgleich bezahlen müssen. Die Industriestaaten konnten und können auch in Zukunft einen Großteil dieser Preissteigerungen durch Angleichung ihrer Industriegüterpreise abfedern. Wenn wir es nicht gemeinsam schaffen, die absolute Erdölabhängigkeit dieser Entwicklungsländer zu verringern durch Förderung anderer Enregiequellen wie Wasserkraft, Kohle, Sonne und Wind, gibt es nach meiner Kenntnis keinerlei Möglichkeiten, ihre Landwirtschaft zu entwickeln, und damit auch keine Möglichkeit, ihre Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen,
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d. h., der jetzt bestehende Teufelskreis wird größer, das Elend wird immer mehr Menschen erfassen, Hunger, Krankheit und früher Tod werden auch in Zukunft das Schicksal vieler Menschen in der Dritten Welt prägen.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung daneben auch die Zusammenarbeit im Bildungsbereich stärker in den Vordergrund rücken will. Der Ausbau der Erziehungs- und Bildungswesen gehört zu den Voraussetzungen für die Verbesserung der Entwicklungschancen.
Ein weiterer Aspekt ist nach unserer Meinung die Förderung der industriellen Entwicklung und des Handwerks. Nur auf diese Weise können die Entwicklungsmöglichkeiten verbessert und auch eine gewisse Konkurrenzfähigkeit der Entwicklungsländer erzeugt werden.
Ich will zu Beginn der neuen Legislaturperiode feststellen, daß es in der letzten Legislaturperiode eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Koalitionsfraktionen in vielen grundsätzlichen Bereichen gegeben hat. Dabei ist über folgendes Übereinstimmung erzielt worden: Wir halten die aktive und konstruktive Mitarbeit der Bundesregierung bei dem von der Nord-Süd-Kommission vorgeschlagenen Nord-Süd-Gipfel für notwendig. Wir fordern den Aufbau einer leistungsfähigen, gerechten und solidarischen Weltwirtschaft. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Beitritt der Bundesregierung zum Gemeinsamen Fonds.
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Wir meinen, daß endlich die Kreditvergabepolitik des Internationalen Währungsfonds an entwicklungspolitische Bedingungen geknüpft werden muß. Wie sind weiterhin für den Abbau von Handelsschranken. Wir wollen die Durchsetzung angemessener, fairer Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt durch Sozialklauseln in internationalen Abkommen erleichtern.
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Wir halten eine verstärkte Kontrolle der multinationalen Unternehmen durch eine Ausweitung des OECD-Verhaltenskodexes und durch Regelungen im Rahmen der Vereinten Nationen für erforderlich. Wir sind der Meinung, daß das Förderungsinstrumentarium für Direktinvestitionen in der Dritten Welt künftig entwicklungspolitisch stärker konditioniert werden muß. Ferner sind wir der Überzeugung, daß die öffentliche Entwicklungshilfe nicht nur sektoral auf ländliche Entwicklung, Energiefragen und Schutz der natürlichen Ressourcen konzentriert werden muß, sondern auch regional auf die ärmsten Entwicklungsländer und Regionen sowie die ärmsten Bevölkerungsschichten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang wieder einmal darauf hinweisen, meine Damen und Herren - weil alle Erfahrungen der letzten 20 Jahre uns das bestätigen -, daß letztlich die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer das Tempo ihrer Entwicklung bestimmen. Überall dort, wo Entwicklungsländer im Zusammenhang mit unserer Hilfe verstärkte eigene Leistungen erbracht haben, sehen wir beachtliche Fortschritte. In anderen Ländern dagegen, wo die eigenen Anstrengungen noch schwach sind oder ihr Erfolg durch politische Ereignisse immer wieder verhindert wird, ist die Effizienz unserer Hilfe sehr gering.
Mit großer Besorgnis stellen wir weiterhin fest, daß viele Länder der Dritten Welt die wenigen Devisen, die ihnen auf Grund der Erdölverteuerung verbleiben, nicht für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ausgeben, sondern um Waffenimporte zu finanzieren.
Uns allen, meine Damen und Herren, insbesondere breiten Schichten der Bevölkerung in den Entwicklungsländern, wäre, so meine ich, schon sehr damit gedient, wenn sich alle Industrieländer, in Ost und West, größter Zurückhaltung bei Rüstungsexporten in die Dritte Welt befleißigten.
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Geschieht dies nicht, wird unsere Hilfe nie den Erfolg haben, den wir letztlich erwarten müssen. Es ist
darum eine Überlegung wert, dort von uns aus mehr
zu tun, wo die Bereitschaft festzustellen ist, die eigenen Anstrengungen zu erhöhen.
Die Entwicklungspolitik, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Dritten Welt, wird uns auch in der 9. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages begleiten, wie ich glaube, sogar noch stärker als in der Vergangenheit.
Unser Wunsch an die Bundesregierung ist es, mehr als bisher dafür zu sorgen, daß die deutsche Öffentlichkeit auf die Situation und die Probleme, die im Nord-Süd-Dialog zu bewältigen sind, aufmerksam gemacht wird. Presse, Rundfunk und Fernsehen bitten wir um größere Unterstützung für die deutsche Entwicklungspolitik im eigenen Lande, weil die Aufgaben, die vor uns liegen, leichter zu meistern sind, wenn große Teile unserer Bevölkerung die Notwendigkeit dieser internationalen Zusammenarbeit einsehen.
Lassen Sie mich zum Abschluß meiner Ausführungen ein Wort an die Opposition in diesem Hause richten. In den letzten Jahren hat es viele Auseinandersetzungen über den Weg und den Inhalt deutscher Entwicklungspolitik gegeben. Im Ausschuß selbst gab es den gemeinsamen Versuch, im permanenten Gespräch mit der Bundesregierung alle Erkenntnisse in die praktische Arbeit einfließen zu lassen. In der Öffentlichkeit allerdings entstand der Eindruck, daß es zwischen den Koalitionsfraktionen auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite grundlegende Unterschiede in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt gebe. Wir wissen alle, daß dieses nicht der Fall war.
Es gab auch in der Vergangenheit Initiativen der Opposition, die von uns mitgetragen wurden. Es mußte aber zwangsläufig der Eindruck entstehen, daß die Opposition auch die Entwicklungspolitik zum Anlaß nahm, Innenpolitik zu betreiben. Dieses, so meine ich, hat unserer gemeinsamen Arbeit geschadet.
Die Haltung der Opposition im 9. Deutschen Bundestag in der Debatte zur Regierungserklärung im allgemeinen und die Rede des neuen entwicklungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion im besonderen lassen die Hoffnung auf eine bessere und konstruktivere Zukunft als bisher zu. Wir wünschen uns von der Opposition eine gute, im wirklichen Sinne politische Zusammenarbeit. Die Beratung des Haushalts für 1981 wird die erste große Gelegenheit sein, gute Vorsätze in die Tat umzusetzen. Schönen Dank.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mir zu Anfang noch kurz Gelegenheit, auf das. einzugehen, was Herr Hupka gesagt hat. Ich glaube, zwei Passagen dürfen hier nicht ganz unwidersprochen bleiben.
Zunächst einmal möchte ich mich sehr dem Zwischenruf von Herrn Corterier anschließen, der gesagt hat, es gebe eine bemerkenswerte fehlende
Sensibilität für die Situation der Polen zu dieser Zeit. Zweitens finde ich es nicht gut, wenn man als Deutscher geschichtslos Politik betreibt und sein ganzes Weltbild erst nach 1945 beginnen läßt. Wir dürfen, glaube ich, nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Krieg von deutschem Boden ausgegangen ist
({0})
und daß es uns gelungen ist, viele, viele der Probleme mit den Polen aufzuarbeiten. Ich hoffe, daß uns das weiter gelingt.
Ich möchte an dieser Stelle alle noch einmal ganz intensiv bitten, gerade die Politiker in den Ländern, die gemeinsamen Schulbuchempfehlungen in den Schulen endlich auch in die Tat umzusetzen. Denn ich glaube, nichts ist wichtiger als die geschichtliche Aufbereitung des deutsch-polnischen Verhältnisses und die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
Aber sicher.
Frau Kollegin Schuchardt, da Herr Hupka sich hier nicht verteidigen kann, frage ich Sie: Würden Sie mir bitte bestätigen, daß Kollege Hupka in seiner Rede in aller Klarheit die Publikation der unter Naziherrschaft geschehenen Verbrechen und der Untaten, die anderen Völkern angetan worden sind, gefordert hat, genau wie allerdings auch umgekehrt, daß er diesen Punkt also keineswegs vernachlässigt hat?
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Dem habe ich auch nicht widersprochen. Das habe ich ihm nicht in Abrede gestellt,
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sondern ich habe die allgemeine Anknüpfung erst an 1945 und an das, was danach geschehen ist, angesprochen.
Zum zweiten Punkt! Herr Kollege Hupka hat gesagt, Herr Genscher fordere das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, ohne darauf hinzuweisen, daß ein Teil des deutschen Volkes selber noch für Selbstbestimmung kämpft. Ich möchte hier ganz eindeutig sagen, daß Genscher meinte, ein Volk, das selber um Selbstbestimmung kämpft, dürfe anderen die Unterstützung beim Kampf um die Selbstbestimmung nicht versagen. Genau das steht hinter dieser Aufforderung. Ich bedaure sehr, daß Herr Hupka so frühzeitig gegangen ist.
Ich möchte nun zu den entwicklungspolitischen Bereichen kommen. Ich finde, Herr Pieroth, es geht in der Tat sehr viel um Glaubwürdigkeit in der Ent702
wicklungspolitik. Aber es geht auch um die Glaubwürdigkeit, mit der die Entwicklungspolitik in andere Politikbereiche eingebettet ist. Allein die Tatsache-, daß man immer erst dann an diesen Politikbereich geht, wenn sich zu später Stunde nicht mehr der große Rahmen bietet, zeigt bereits, daß es uns doch nicht ganz gelungen ist - möglicherweise in allen Fraktionen -, diese Glaubwürdigkeit auch in den anderen Politikbereichen einkehren zu lassen.
({1})
Die Politik ist wohl zu keiner Zeit von den sogenannten Sachzwängen so stark bestimmt gewesen wie heute. Nun gibt es ja Sachzwänge unterschiedlicher Natur, einmal objektiv vorgegebene und einmal Sachzwänge, die nur durch schwer zu überwindende Machtstrukturen geschaffen werden. Das Problem bei der Bewältigung der Zukunft liegt meiner Meinung nach genau darin, daß die strukturellen Sachzwänge verhindern, die Politik auf objektive Sachzwänge abzustimmen.
Herr Minister Matthöfer hat zu Beginn seiner Rede deutlich gemacht, welche Auswirkungen die internationale Wirtschafts- und Finanzsituation besonders auf die Entwicklungsländer hat. Ich glaube, daß es notwendig ist, in diesem Rahmen noch einmal Tatbestände hinzuzufügen, die die Entwicklungstrends bestimmen werden.
Der letzte Präsident der Vereinigten Staaten hatte zu Anfang seiner Amtszeit seine Administration beauftragt, die voraussichtlichen Veränderungen der Bevölkerung, der natürlichen Ressourcen und der Umwelt bis zum Ende dieses Jahrhunderts aufzuzeigen. Ende 1980 wurde nun der Bericht „Global 2000" vorgelegt. Er ist in höchstem Maße alarmierend. Die Schlußfolgerungen, so sagt das Begleitschreiben an den Präsidenten, sind beunruhigend und deuten für die Zeit bis zum Jahre 2000 auf ein Potential globaler Probleme von alarmierendem Ausmaß hin.
Eine weltweite Veränderung der Politik, so meinte die US-Administration, sei erforderlich, bevor sich die Probleme weiter verschlimmern und die Möglichkeiten für wirkungsvolles Handeln immer stärker eingeschränkt werden. Es müsse eine neue Ara der globalen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verpflichtung beginnen, wie sie in der Geschichte ohne Beispiel sei. Notwendige Veränderungen übersteigen die Möglichkeiten jeder einzelnen Nation. Aber man meinte, dem Präsidenten empfehlen zu sollen, die USA könnten wichtige und exemplarische Schritte tun.
Es ist wohl zu befürchten, daß die neue Administration gerade hier nicht anknüpft. Aber ich finde, wir sollten die Anregung aufnehmen, daß jede Nation exemplarische Schritte tun kann, also auch wir.
Für mich ist es einigermaßen erschreckend, daß dieser Bericht zwar Interesse findet und in Buchhandlungen reißenden Absatz findet und schon vergriffen ist, daß man aber ansonsten schweigend über ihn hinweggeht. Ich glaube, daß die Herausforderung allzu groß erscheint, um sie annehmen zu wollen. Deswegen möchte ich einige Punkte dem hinzufügen, was hier bereits von Herrn Pieroth und Herrn
Schluckebier zu den allgemeinen Problemen gesagt worden ist, vor denen Entwicklungsländer und natürlich auch wir stehen.
Die Weltbevölkerung - wir wissen das alle - wird enorm zunehmen, nämlich um 50 % bis zum Jahre 2000. Dies wird vorwiegend in den ärmsten Ländern der Fall sein. Das Wirtschaftswachstum wird nicht ausreichen, um das Pro-Kopf-Einkommen gerade der ärmsten Entwicklungsländer zu erhöhen. Die tiefe Kluft zwischen arm und reich wird sich vergrößern. Die Nahrungsmittelproduktion wird in den letzten 30 Jahren dieses Jahrhunderts um 90 % gestiegen sein. Allerdings muß man wissen, daß die bestellbare Fläche nur um 4 % zunimmt und alles andere durch zusätzliche Produktivität erzeugt werden muß. Das heißt: verstärkter Einsatz von Düngemitteln, mehr Verbrauch an Energie und damit an Öl. Wegen des Ölpreisanstiegs werden die Entwicklungsländer diesen Bedarf nicht decken können.
Ein Viertel der Menschheit ist primär vom Holz als Brennstoff abhängig. Noch vor der Jahrhundertwende wird der Bedarf an Brennholz die Vorräte um 25 % übersteigen. Im Jahre 2000 werden wir also nur noch etwa 60 % der heute vorhandenen Walddecke haben. In den Entwicklungsländern wird demzufolge die Wasserversorgung unberechenbar. Regionale Wasserknappheit wird ein immer ernsteres Problem werden. Allein das Bevölkerungswachstum wird eine Verdoppelung des Wasserbedarfs mit sich bringen. Um den Lebensstandard zu verbessern, wäre eine weitere Steigerung erforderlich.
Schließlich wird in diesem Bericht „Global 2000" festgestellt, man müsse vermuten, daß all dies eher eine Untertreibung sei. Kurzum: Man kann sich hier wohl nur dem Votum anschließen, daß die Probleme, die Belastbarkeit der Erde und annehmbare Lebenssmöglichkeiten für die Menschen zu erhalten, riesig sind und sich immer drängender stellen.
Die Opposition hat angekündigt, sie wolle eine schonungslose Analyse vornehmen und die Aufdekkung von Mängeln und Problemen nutzen. Die von mir aufgezeigten objektiven Sachzwänge trübten aber zu keiner Zeit das Bild, das von den Rednern der Union aufgezeigt wurde. Ganz im Gegenteil!
Herr Strauß hat heute morgen einen fatalen Satz gesagt, der etwa sinngemäß hieß: Unsere Aufgabe ist es nicht, für die Arbeitsplätze in Ostasien zu sorgen, sondern wir haben uns um die Arbeitsplätze hier zu sorgen.
({2})
Besser kann man die These nicht bestätigen, daß nicht die objektiven Sachzwänge - wie eigentlich nötig -, sondern die strukturellen Sachzwänge die Politik beherrschen. Ich bitte die Entwicklungspolitiker der Union, ihre Führung wirklich darüber aufzuklären, daß Entwicklungspolitik auch die Aufgabe
hat, Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern zu schaffen.
({3})
- Das ist eins. Wo wollen Sie trennen?
Wie soll ich nun diese unglaubliche Aussage verstehen?
({4})
- Ich habe vorhin von der Glaubwürdigkeit geredet, davon, daß in jedem einzelnen Politikbereich Glaubwürdigkeit herrschen müsse. Ich darf nicht, wenn ich über Arbeitsmarktprobleme rede, sagen: Unser Arbeitsmarkt geht uns mehr an als der andere. Da muß ich doch einmal fragen, wie ich das verstehen soll: ob ich protektionistische Methoden anwenden, die wirtschaftliche Zusammenarbeit reduzieren oder die Abkehr von der Hilfe zur Selbsthilfe will. Denn wenn Entwicklungspolitik auch Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet, dann muß ich mit Konkurrenten am Weltmarkt rechnen - mit allen negativen Auswirkungen auf unsere Wirtschaft.
Verzeihen Sie, Frau Kollegin. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?
Frau Kollegin, können wir uns nicht darauf verständigen, daß Franz Josef Strauß den Satz so verstanden hat, daß es in erster Linie Aufgabe der deutschen Politik ist, für eine florierende Wirtschaft mit Vollbeschäftigung hier zu sorgen, und daß das die Voraussetzung dafür ist, daß wir auch dafür sorgen können, daß die Wirtschaft draußen in der Welt floriert? Denn eine gute Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik.
({0})
Herr Pieroth, in dieser Argumentation liegt ja eben das Problem. Wenn wir uns über Arbeitsmarktprobleme unterhalten, sagen wir: wir müssen uns erst einmal mit dem Arbeitsmarkt im eigenen Lande beschäftigen, ehe wir an andere Probleme denken. Ich glaube, die objektiven Sachzwänge, die ich zu Anfang beschrieben habe, haben deutlich gemacht, daß wir dies parallel laufen lassen müssen. Wir dürfen unter keinen Umständen im eigenen Land die Illusion erwecken, als ob es Mittel gäbe, die Arbeitslosigkeit ohne empfindliche Strukturveränderungen in der Wirtschaft zu beherrschen. Das tue ich, aber wenn ich immer von Arbeitsplätzen spreche und die Illusion erwecke, als gäbe es heute sofort wirksame Methoden, die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren. Ich meine, man muß auch so ehrlich sein, zu sagen: Die Entwicklung der Dritten Welt bringt auch Probleme mit sich, sie hat Rückwirkungen auf die eigene Wirtschaft. Das muß man deutlich aussprechen.
Meine Damen und Herren, ein zweiter Punkt, der mir noch wichtig erscheint: Wir beobachten zur Zeit ganze Völkerwanderungen auf Grund wirtschaftlicher Not. Es ist doch auch eine Frage, die in unserem eigenen Interesse liegt, ob wir diese Völkerwanderung - es wandert doch keiner freiwillig aus - dadurch begrenzen, daß wir über Asylrecht, Ausweisungen und Abschiebungen diskutieren. Wir sollten vielmehr intensive Anstrengungen unternehmen, um diese Völkerwanderung aus wirtschaftlichen Gründen überflüssig zu machen.
({0})
- Herr Köhler, sicherlich kann man sich mit großen Teilen Ihrer Partei sehr leicht darüber verständigen. Wir müssen nur darauf achten - jeder in seinem Wirkungskreis -, daß das möglichst auch allgemeine Meinung wird.
({1})
- Nein, richtig, homogen sind wir auch nicht. Es ist übrigens auch nicht unser Ziel, homogen zu sein. Sie werden verstehen, daß Homogenität für Liberale ein komischer Begriff ist.
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Meine Damen und Herren, die binnenwirtschaftliche Situation in der wir uns zur Zeit befinden - Arbeitsmarkt, Leistungsbilanz, Ölpreise, mit den Auswirkungen auf die Bundesrepublik -, darf uns doch nicht darüber hinwegtäuschen - Matthöfer hat es zu Anfang gesagt -: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist 57mal so hoch wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen eines Drittels der Weltbevölkerung. Ich glaube, daß man uns alle unter diesen Umständen wohl immer wieder darauf hinweisen kann, daß es - auch in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation - in diesem Bereich möglich sein muß, größere Anstrengungen zu unternehmen.
Als die Bundesregierung 1970 vor der UNO das Versprechen abgab, irgendwann - das war zeitlich nicht fixiert - 0,7 % unseres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe auszugeben, war der Problemdruck noch nicht so groß wie heute. Ich stimme Ihnen dahin gehend zu, Herr Pieroth. Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß das Auseinanderklaffen der Schere zwischen privaten und öffentlichen Investitionen zu einer unerträglichen Situation geführt hat. Private Investitionen gehen zwangsläufig natürlich in Regionen, wo bereits Infrastrukturen vorhanden sind, an die man anknüpfen kann. In den ländlichen Bereichen ist, wie Sie ja soeben beklagt haben, noch keine Infrastruktur vorhanden, weil ein Mißverhältnis zwischen öffentlicher und privater Entwicklungshilfe besteht. Dies führt zu fatalen Konzentrationen in Zentren und Problemen in der Dritten Welt. Wir kennen ja alle hinlänglich die Jahresringe der Slums.
Wir müssen einfach sehen, daß das im Jahre 1970 abgegebene Versprechen, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe auszugeben und insgesamt, wenn möglich, mehr als 1 % zu errei704
chen, was die letzte Summe betrifft, längst erfüllt ist. Nur die Tatsache, daß mehr Mittel für private Entwicklungshilfe als für öffentliche Entwicklungshilfe ausgegeben werden, ist zu beklagen. Wir müssen auch aus diesem Grunde ganz erhebliche Anstrengungen unternehmen.
Herr Minister, ich muß nun auf einen Haushaltstrick hinweisen, der mir nicht behagt. Sie berücksichtigen einfach nicht die Türkei-Hilfe in 1980 und sagen: wir haben eine 10,4 %ige Steigerung gegenüber dem letzten Haushalt zu verzeichnen. Das ist nicht gut,
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denn die Türkei-Hilfe steht im Entwicklungshaushalt und nicht im Verteidigungshaushalt. Wenn sie im Verteidigungshaushalt stünde, bräuchten wir sie in der Tat nicht hinzurechnen. Wir haben, wenn wir ehrlich sind, tatsächlich nur eine Steigerung um 5,6 %. Wir sollten uns selbst und auch den Haushaltsausschuß, von dem wir j a sagen können, daß er die Entwicklungspolitiker in den letzten drei Jahren eigentlich nicht im Stich gelassen hat, auffordern, den Versuch zu unternehmen, alles zu tun, um Ihnen, Herr Minister, vielleicht ein bißchen mehr finanzielle Manövrierfähigkeit zu verschaffen, als Sie sie in diesem Haushalt haben.
Ich möchte, auch wenn ich damit rechnen muß, meine Rede abbrechen zu müssen, einiges zur Türkei sagen. Meine Damen und Herren, die TürkeiHilfe ist im letzten Jahr ganz ohne Frage auf Kosten von Entwicklungsprojekten in anderen Ländern gegangen. Dies ist beunruhigend, wenn man bedenkt, aus welchen Gründen wir es getan haben. Ich glaube, daß wir uns im Ausschuß genau darüber unterrichten sollten, welche Höhe und welchen Inhalt diese Hilfen hatten und welche Maßnahmen in welchen Ländern zurückgestellt werden mußten, um dies zu leisten.
Die Türkei-Hilfe ist durch die Menschenrechtsdiskussion wieder ins Gespräch gekommen. Ich meine, es ist auch angemessen, daß wir uns damit, was die Türkei und die Menschenrechte betrifft, ein bißchen intensiver befassen. Immerhin ist es ein Land, das mit uns im Bündnis ist, und dieses Bündnis soll die freie Welt verteidigen. Ich glaube, es ist deshalb angemessen, daß die Bundesrepublik auf die Einhaltung der Menschenrechte in diesem Land dringt. Ich hoffe, daß die Initiative, die deshalb von meiner Fraktion ausgegangen ist, nämlich möglicherweise eine Delegation des Bundestages dort hinzuschikken, um genau diese Fragen zu stellen, allseitige Zustimmung findet. Ich glaube, es ist unumstritten, aber es wäre sehr schön, wenn wir das auch gemeinsam vorbereiteten.
Ich meine, daß man die Forderung nach Einstellung der Türkei-Hilfe ehrlich nur widerlegen kann, wenn man deutlich macht, daß die Zusammenarbeit mit der Türkei auch der Einhaltung von Menschenrechten dient. Ein ganz großer Teil der Entwicklungshilfe ist ja dazu da, erst einmal die Situation für die Verwirklichung der Menschenrechte zu schaffen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz etwas zu dem Antrag bezüglich der Verschiebung von 1 Milliarde DM sagen.
Frau Abgeordnete, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Wir sind schon sehr großzügig mit der Zeit gewesen.
({0})
Ich möchte doch noch auf folgendes hinweisen. Ich glaube, daß die Intention, die dahintersteht, gut ist, indem man sagt: Wir wollen weltweit ein Beispiel dafür geben, wie versucht werden muß, das Mißverhältnis zwischen Rüstung und Entwicklung auszugleichen. Ich finde, wir sollten aber darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik erheblich höhere Anstrengungen im Entwicklungsbereich unternimmt als andere Länder und im Rüstungshandel restriktiver ist.
Aber man kann ein solches Vorhaben, nämlich eine solche Summe von der Verteidigungsseite auf die Entwicklungshilfeseite umzuschichten, auch dadurch ad absurdum führen, daß man ganz eindeutig den Eindruck erweckt, daß man keinen Wert auf die Realisierung legt.
({0})
Ich möchte von seiten der Entwicklungspolitik sagen - bezüglich der Verteidigungspolitik ist es schon getan worden -: Wenn Herr Offergeld plötzlich einen Geldregen bekommt, wird er natürlich fragen: „Was mache ich damit? Eigentlich muß man Entwicklungsprojekte ja unheimlich gründlich vorbereiten!" Das wird er gar nicht mehr so schnell schaffen. Wir werden zwar darauf achten müssen, daß die Entwicklungsprojekte, die ohne Frage schon in der Schublade liegen und begonnen werden könnten, auch in Angriff genommen werden. Es hilft diesem Minister aber überhaupt nichts, wenn er einen Geldregen bekommt, mit dem er nichts anfangen kann.
({1}) - Nichts Solides anfangen kann, richtig!
Dann sollten wir uns vielmehr gemeinsam Gedanken darüber machen - das hat mein Kollege Klaus Gärtner in den Haushaltsberatungen schon gesagt -, wie wir die Verpflichtungsermächtigungen in den nächsten Jahren ein bißchen anheben, um Ihnen, Herr Offergeld, damit ein wenig Rückenwind für die nächsten Haushalte zu geben.
Ich muß an dieser Stelle leider schließen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich die Zeit überzogen habe.
({2})
Das Wort hat Herr Bundesminister Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pieroth, wir sind uns völlig einig darüber, daß im Mittelpunkt der Entwicklungspolitik die Bekämpfung der Massenarmut stehen muß.
Wenn Sie, Herr Pieroth, hiermit sektoralen Präferenzen und mit sektoralen Schwerpunkten argumentieren, dann bitte mit richtigen Zahlen. Wir haben uns schon des öfteren im Ausschuß darüber unterhalten, daß es bei den sektoralen Schwerpunkten Wellenbewegungen gibt. Sie können nicht die Zahlen eines oder zweier Jahre herauspicken, um damit einen Trend zu beweisen.
Wenn wir bei dem von Ihnen angesprochenen Sektor, Land- und Forstwirtschaft, bleiben, lauten die Zahlen bei der finanziellen Zusammenarbeit der letzten drei Jahre 6,4 %, 19,8 % und 19,6 %. Ähnlich gezinkt waren Ihre Zahlen, Herr Pieroth, die Sie zum Thema Bildung, Ausbildung und Wissenschaftsförderung vorgeführt haben.
Wir sind uns einig, daß Bekämpfung der Massenarmut im Mittelpunkt unserer Entwicklungspolitik stehen muß. Wenn wir uns auch darüber einig wären, daß es darum geht, in manchen Staaten die Besitzstrukturen, die großen Unterschiede im Einkommen und Besitz zu überwinden, dann wären wir schon einen ganzen Schritt weiter.
Sie haben im Zusammenhang mit unseren finanziellen Leistungen von der Glaubwürdigkeit der Entwicklungspolitik gesprochen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Herr Minister, waren das wirklich schon die präzisen Antworten auf meine präzisen Fragen?
({0})
Das waren die Antworten auf Ihre Zahlen. Sie haben, was die ländliche Entwicklung anbetrifft, zwei Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen. Sie haben auch andere Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen, aber ich glaube nicht, daß es im Interesse des Plenums liegt, lange Zahlenreihen gegenüberzustellen.
({0})
- Herr Pieroth, ich stelle nur fest, Ihre Behauptung, die Leistungen für die ländliche Entwicklung seien zurückgegangen, ist falsch. Sie können das beim sorgfältigen Studium der Statistiken auch feststellen.
({1})
Ebenso ist Ihre Behauptung falsch, daß unsere Leistungen für Ausbildung und Fortbildung zurückgegangen seien. Auch dies können Sie bei einem einigermaßen sorgfältigen Studium der Zahlen, die Ihnen zur Verfügung stehen, feststellen. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, lange Zahlenreihen vorzuführen. Wir können uns im Ausschuß intensiver darüber unterhalten.
Sie haben über die Glaubwürdigkeit der Regierungspolitik gesprochen, was die finanziellen Leistungen anbetrifft. In der Tat haben wir das 0,7-Prozent-Ziel noch nicht erreicht.
Aber Herr Pieroth, wäre es nicht ein Wort der Anerkennung wert, daß bei einer schwierigen haushalts- und finanzwirtschaftlichen Situation die Bundesregierung in den vergangenen Jahren ihre Leistungen ganz beträchtlich aufgestockt hat und daß es keinen anderen Einzelhaushalt des Bundeshaushaltes gibt, in dem die Steigerungsrate in den vergangenen Jahren ebenso groß war?
({2})
Wäre dies nicht zumindest ein Wort der Anerkennung wert?
Bei den Leistungen für die Entwicklungspolitik sprachen Sie von Glaubwürdigkeit. Sie verhielten sich so, wie das die Opposition immer macht: einmal über die hohen Steuerbelastungen zu klagen, zum anderen auf den verschiedensten Gebieten - siehe hier die Entwicklungspolitik - zusätzliche Leistungen zu fordern und zum dritten die hohe Kreditaufnahme zu beklagen. Ob dies Glaubwürdigkeit bedeuten kann, mögen Sie selbst beantworten.
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Wir sind uns auch völlig darüber einig, Herr Pieroth, daß eine liberale Handelspolitik gegenüber den Entwicklungsländern eine ganz entscheidende flankierende Maßnahme der Entwicklungspolitik ist. Alles, was die Entwicklungsländer auf Grund ihrer eigenen Wirtschaftskraft durch Exporterlöse in ihr Land bekommen, ersetzt Entwicklungshilfe und führt dazu, daß sich diese Länder aus eigener Kraft helfen können.
Sie wissen aber genauso gut wie wir alle, daß wir im Bereich der Handelspolitik nur noch ganz beschränkt autonom sind. Sie wissen genauso gut wie alle andern hier im Plenum, daß die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft immer eine der Regierungen war, die sich ganz nachdrücklich für eine möglichst freie Handelspolitik eingesetzt hat. Darüber bin ich mir mit dem Bundeswirtschaftsminister völlig einig.
({4})
Wenn Sie sich auch da in Ruhe die Zahlen ansehen, werden Sie feststellen, daß die Bundesrepublik in den vergangenen drei Jahren mit den Ländern der Dritten Welt - ich spreche nicht von den OPEC-Staaten, sondern von den nichtölproduzierenden Entwicklungsländern - eine negative Handelsbilanz gehabt hat. In den ersten drei Quartalen des letzten Jahres betrug der Importüberschuß aus den nichtölexportierenden Entwicklungsländern rund 3,7 Milliarden DM. Auch da zeigt sich, daß die Bundesregierung eine ganze Menge für die Dritte Welt leistet, nicht nur durch die öffentliche Entwicklungshilfe.
Eine letzte Bemerkung zu Ihrer Rede, Herr Pieroth. Sie haben es für angemessen gehalten, mir Vorwürfe zu machen, ich hätte nicht das richtige Verhältnis zu den bürgerlichen Freiheitsrechten. Ich glaube nicht, daß Sie einem Sozialdemokraten
etwas über die bürgerlichen Freiheitsrechte erzählen müssen.
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Diese haben in unserer Geschichte immer eine entscheidende Rolle gespielt. Aber vielleicht könnten Sie von den Sozialdemokraten lernen, daß die bürgerlichen Freiheitsrechte ohne die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte kaum etwas wert sind.
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Wer hungert, wer nicht lesen und schreiben kann, wer kein Dach über dem Kopf hat, Herr Pieroth, der hat kaum etwas von der Pressefreiheit. Deshalb geht es in der Entwicklungspolitik darum, die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu verwirklichen, die Voraussetzung und Basis für die Inanspruchnahme der bürgerlichen Freiheitsrechte sind.
In den vergangenen Wochen wurde viel über eine Bestandsaufnahme der Entwicklungspolitik gesprochen. Die Vereinten Nationen haben die neue Entwicklungsstrategie vor kurzem verabscheidet. Ich glaube, es ist durchaus angemessen, sich zu Beginn der 80er Jahre vor Augen zu führen, was in den letzten Jahrzehnten erreicht worden ist.
Zunächst muß man feststellen: Die Bevölkerungszahl ist in den letzten 30 Jahren in den Entwicklungsländern auf das Doppelte gestiegen. 1950 waren es 1,6 Milliarden Menschen, im vergangenen Jahr etwa 3,2 Milliarden: ein ungeheurer Bevölkerungsdruck. Trotz dem ist es möglich gewesen, in den Entwicklungsländern - nehmen wir alles in allem - das Pro-Kopf-Einkommen zu verdoppeln. Trotzdem ist es möglich gewesen zu erreichen, die Lebenserwartung bei den ärmeren Entwicklungsländern im Durchschnitt um bis zu 15 Jahren zu steigern. Trotzdem ist es bei dieser Verdoppelung der Bevölkerungszahl möglich gewesen, daß heute nicht 30 %, sondern über 50 % der Erwachsenen lesen und schreiben können. Das sind beträchtliche Erfolge, die in dieser Geschwindigkeit in keiner anderen Phase der Menschheitsgeschichte irgendwo erreicht worden sind.
Ich stimme dem zu, was hier von meinen Vorrednern gesagt wurde. Wir stehen heute vor großen Problemen in der Entwicklungspolitik. Viele sind hier schon angesprochen worden. - Wir haben über 800 Millionen Menschen in absoluter Armut, und alle Prognosen gehen davon aus, daß diese Zahl steigen wird. - Die Zahl der Menschen in den Enwicklungsländern nimmt jährlich um etwa 65 Millionen Menschen zu.
Für die kommenden Jahre rechnet man mit 25 Millionen Menschen jedes Jahr mehr, die einen Arbeitsplatz suchen.
Die landwirtschaftliche Produktion nimmt nicht zu, in vielen Ländern nimmt sie ab.
Der Bevölkerungsdruck führt zu ökologischem Raubbau, zu einer Übernutzung der Ressourcen. Jährlich wird eine Fläche fast von der Größe der Bundesrepublik abgeholzt.
In vielen Entwicklungsländern gibt es Verstädterungsprobleme, Arbeitslosigkeit, Slums, Kriminalität. In 20 Jahren - der Brandt-Bericht weist darauf hin - wird es in der Dritten Welt voraussichtlich mindestens 40 Städte mit über fünf Millionen Einwohnern geben. Heute schon weiß kaum jemand mehr, wie die Probleme dieser riesigen Ballungsgebiete in der Dritten Welt zu lösen sind.
Das Millionenheer von Flüchtlingen und Vertriebenen in den Entwicklungsländern ist in den letzten Jahren ständig gewachsen; dafür gibt es sowohl wirtschaftliche wie auch viele politische Gründe.
Herr Pieroth, Sie sagten, es wäre nichts Neues, natürlich ist es etwas Neues. Nun kommen zu all den Problemen, die ich angedeutet habe, die Probleme der Ölpreisexplosion hinzu. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Ölrechnung der Entwicklungsländer mehr als verdoppelt, nämlich um 113 %. Das bringt die Entwicklungsländer in eine ungeheuer schwierige Situation. Allein die Steigerungsrate der Ölrechnung war 1979 höher als die gesamte Entwicklungshilfe. Die Verschuldung hat sich im Zuge dieser Entwicklung auf fast 360 Milliarden Dollar erhöht. Der Schuldendienst frißt einen immer größeren Teil der Exporteinnahmen der Entwicklungsländer auf, die sie angesichts der Konjunkturschwäche in den Industriestaaten kaum steigern können.
Das bedeutet gegenwärtig ganz konkret eine Gefährdung vieler Entwicklungserfolge. Das bedeutet einen deutlichen Rückgang des Volkseinkommens in vielen Entwicklungsländern, einen noch deutlicheren Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens angesichts der wachsenden Bevölkerung, ein Mehr an Hunger, Armut und menschlichem Leid, aber auch an sozialen Spannungen und voraussichtlich ein Weniger an politischer Stabilität in vielen Entwicklungsländern.
Dies macht deutlich: Die Aufgaben, vor denen wir in den 80er Jahren stehen, sind keinesfalls leichter geworden. Wichtige Wegweiser für unsere Bemühungen in den kommenden Jahren werden der Brandt-Bericht und die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete internationale Entwicklungsstrategie sein.
Die Situation in den Entwicklungsländern kann in einer überschaubaren Zeit nur dann spürbar verbessert werden, wenn es gelingt, fünf Problemkreise erfolgreich - und zwar in internationaler Zusammenarbeit - anzugehen.
Erstens: Es geht um eine Wiederbelebung der Konjunktur in den Industrieländern. Das ist ganz entscheidend, auch für die Entwicklungsländer. Angesichts der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Nord und Süd wird eine Wiederbelebung der Konjunktur auch positive Rückwirkungen auf die Entwicklungsländer haben.
Zweitens: Das Recycling der Ölgelder ist für die ölimportierenden Entwicklungsländer eine Überlebensfrage. Die OPEC-Staaten tragen dabei eine entscheidende Verantwortung.
Drittens - ich habe dies vorher schon angeschnitten -: Wir müssen allen protektionistischen BestreBundesminister Offergeld
bungen, die sich überall regen, ein klares Nein entgegensetzen. Durch Einschränkungen des Welthandels werden die Strukturprobleme, vor denen wir und vor denen die Entwicklungsländer stehen, nicht gelöst, im Gegenteil, sie werden verschärft.
Viertens: Die vielen ungenutzten Energiequellen der Entwicklungsländer müssen erschlossen, ihre Ölabhängigkeit muß verringert werden.
Fünftens: Es muß alles getan werden, um ein Absinken der weltweiten Entwicklungshilfe zu verhindern. Auf die Verantwortung, auch der östlichen Industrieländer, ist immer wieder hinzuweisen.
Die im vergangenen Juli vom Kabinett verabschiedeten entwicklungspolitischen Grundlinien bilden die Säulen der deutschen Entwicklungspolitik. Wir wollen mit unserer Entwicklungspolitik Eigenständigkeit und die politische Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt fördern. Die Entwicklungsländer müssen aber auch ihre eigenen Anstrengungen, jedenfalls in vielen Fällen, verstärken, entwicklungshemmende Strukturen müssen abgebaut werden.
Wir werden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, die durch den Haushalt vorgegeben sind, unsere Leistungen für die ärmsten Länder weiter steigern. Wir werden besonderes Gewicht auf die Förderung der ländlichen Entwicklung legen. Das werden Sie der Statistik in einigen Jahren entnehmen können, wenn die Projekte zur Ausführung gelangen, die den Hunger bekämpfen. Wir werden die konventionellen und nicht-erschöpflichen Energiequellen besonders fördern, um die Ölabhängigkeit der Entwicklungsländer zu verringern. Wir werden im Rahmen der meisten Projekte darauf zu achten haben, daß das ökologische Gleichgewicht in der Dritten Welt erhalten oder wiederhergestellt wird.
Man kann über die Zahlen, über die Steigerungsraten des Entwicklungsetats 1981 im Vergleich zu 1980 durchaus streiten, Frau Schuchardt, das ist durchaus legitim, man kann auch andere Steigerungsraten als die 10,4 % diskutieren. Jedenfalls ist klar, daß der Etat im laufenden Jahr überproportional steigen wird. Jedenfalls ist klar, daß dies für den ganzen Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung
- noch deutlicher als im jetzt vorgelegten Haushalt
- so sein wird.
Der Anteil der Technischen Zusammenarbeit wird in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale Technische Zusammenarbeit werden im laufenden Jahr um fast 16 % erhöht. Das wird sich bei den Barabflüssen der kommenden Jahre zeigen.
Dies alles macht deutlich: Trotz der schwierigen Probleme, vor denen wir in der Entwicklungspolitik stehen, ist der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit kein Haushalt der Resignation.
Eine Krise, wie sie in vielen Ländern der Dritten Welt heute herrscht, hat zwei Aspekte: Zum einen den Aspekt der Gefahr, zum anderen aber auch den Aspekt der Chance. Noch besteht, meine ich, eine Chance, eine große Chance, die massiven Gefahren für den Entwicklungsprozeß in der Dritten Welt und damit für den Weltfrieden abzuwenden.
Die Weichen der deutschen Entwicklungspolitik sind jedenfalls richtig gestellt. Was wir nun benötigen, auch finanzpolitisch, ist ein langer Atem.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hätten uns vielleicht - so habe ich eben gedacht, Herr Minister - die eine oder andere streitige Unterhaltung über die Frage von Menschenrechten und auch eine manchmal etwas hohl klingende Türkei-Diskussion sparen können, wenn man 1975 im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Antrag meiner Fraktion, einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in der Dritten Welt vorzulegen, nicht so behandelt hätte, daß Herr Bundesminister Bahr, damals zuständig, sich strikt weigerte, sich mit so etwas überhaupt zu befassen, und wenn die Koalition nicht den Antrag dann niedergestimmt hätte. Es wäre ein Ansatz gewesen, über dieses Thema zu sachlicher Diskussion zu kommen. Soviel zu dem Streit, der hier zeitweise aufflammte.
Als Klaus Natorp im November schrieb: „Entwicklungspolitik im Gegenwind", scheint er nicht geahnt zu haben, daß sich heute den ganzen Tag die Entwicklungspolitik durch die Debatten dieses Hohen Hauses ziehen werde. Das ist ja dankenswerterweise durch einige Bemerkungen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers ausgelöst worden. Ich nehme das als ein positives Zeichen auf.
Es wäre schön gewesen, wenn diejenigen, die uns Entwicklungspolitikern heute im Laufe des Tages gesagt haben, wie wichtig Entwicklungspolitik ist, jetzt noch hier wären, um das mit uns ein bißchen zu vertiefen.
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Wir wissen schon seit längerem, daß das Wort „Entwicklungshilfe" zu schmal ist und daß „Entwicklungspolitik" gesagt werden muß. Wir wissen schon seit längerem, daß uns die politische Enthaltsamkeit - eine Frage, mit der sich Kollege Schäfer beschäftigt hat - in der Dritten Welt kaum noch einer abnimmt. Und jedenfalls wir von der CDU/CSU brauchten nicht den heutigen Tag, um auf die Idee zu kommen, daß eine Abgleichung unserer entwicklungspolitischen Gedanken mit der amerikanischen Regierung von höchster Wichtigkeit ist. Solche permanenten Konsultationen gibt es für meine Fraktion seit mehreren Jahren. Genauso lange haben Kollege Hüsch und ich den Herrn Minister ermahnt, ähnliches zu tun. Jetzt, wo Reagan Präsident ist, scheint das Allgemeingut zu werden - spät; ich hoffe, nicht zu spät.
Ich nehme das, was Kollege Schluckebier über die Art der entwicklungspolitischen Diskussion der letzten Jahre gesagt hat, durchaus ernst. Aber wenn das so ist, wenn die Fragen des nationalen Interesses, wenn die Fragen unserer Rohstoffsicherung, wenn
Dr. Köhler ({1})
die Fragen der Sicherung unserer politischen Interessen von uns immer wieder eingebracht worden sind, wollen Sie bitte für die zukünftige Zusammenarbeit auch Ihrerseits eine Leistung erbringen und nicht nach draußen in allgemeinen Erklärungen einen Verbalismus erhalten, der noch die Epplerschen Spuren perpetuiert, während Sie in Wahrheit eine ganz andere Entwicklungspolitik machen.
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- Aber, lieber Kollege, das Wort „perpetuiert" ist doch für einen mindestens zeitweise an einem Senatsamt interessierten Kollegen verständlich.
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Herr Minister, Sie haben gesagt, wir hätten Sie für die Steigerung des Haushalts loben sollen. In der Vergangenheit war es so, daß dieses Haus dazu etliches beigetragen hat. Da haben wir uns gegenseitig gelobt. Wir wissen das sehr wohl zu schätzen.
Aber wir müssen uns fragen: Wie steht es um die reale Leistungskraft dieses Haushalts? Denn auch ich neige eher der Betrachtung der Kollegin Schuchardt, zu, daß die Steigerungsrate mit 5,6 % anzusetzen ist. Da müssen wir uns angesichts der Teuerung fragen: Was bedeutet das an realer Mehrleistung? Angesichts der Tatsache, daß die Relation DM : Dollar mindestens im multilateralen Bereich eine große Rolle spielt und uns die DM-Schwäche nicht mehr wie in vergangenen Jahren sogar - Sie erinnern sich - Gewinne ermöglicht, müssen wir auch fragen: Wie ist die reale Leistung?
Ich darf es an einem Beispiel exemplifizieren. Sie haben von den Verpflichtungsermächtigungen für die technische Zusammenarbeit gesprochen. Lassen Sie mich einmal den Baransatz ansprechen, denn der zeigt, was im nächsten Jahr konkret passiert, was sich unmittelbar in Taten umsetzt. Da haben Sie eine Steigerung. von 1,278 Milliarden auf 1,394 Milliarden DM, also um 115 Millionen DM. Nach Auskunft Ihres Hauses ist im Jahre 1980 die Wirkung der Umsatzsteuer für Beratungsleistungen im Ausland bei der technischen Zusammenarbeit 24 Millionen DM. Sie wird 1981 nicht viel geringer sein. Ihr Haus hat gesagt, entsprechend müsse der Haushalt erhöht werden. Ich erlaube mir, von den 115 Millionen DM die 24 Millionen DM abzuziehen. Es bleiben 91,8 Millionen DM Steigerung. Wenn ich jetzt eine Teuerungsrate einrechne, Herr Minister, bleiben Ihnen bei günstigster Betrachtung beim Baransatz für die technische Zusammenarbeit etwa 20 Millionen DM, um zum großen entwicklungspolitischen Schlag auszuholen. Danach müssen wir fragen und das untersuchen dürfen. Es sind 20 Millionen mehr als vorher - damit wir uns genau verstehen.
Es gibt weitere Probleme, über die wir sprechen müssen, so das große Problem des Abflusses aus der Pipeline. Unsere Unterlagen beziehen sich nicht auf den gleichen Stichtag. Vor einem Jahr waren bei der multilateralen Zusammenarbeit 7 Milliarden DM in der Pipeline, bei der technischen Zusammenarbeit 3 Milliarden DM und in der Mitte des letzten Jahres bei der finanziellen Zusammenarbeit 12,7 Milliarden DM zu finden. Dies ist ein Problem, zu dem inzwischen wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen.
Wir erwarten von Ihrem Hause in den Beratungen klare Auskunft, was geschehen soll, um diesen Abfluß zu beschleunigen und einmal bewilligte Mittel in schnelle entwicklungspolitische Aktionen umzusetzen.
Wir werden uns auch damit zu beschäftigen haben, daß Ihr Haushalt nach unserer Auffassung zuwenig Reaktionsfähigkeit gegenüber plötzlich eintretenden Lagen und Problemen enthält, und das ist ja wohl in der Dritten Welt an der Tagesordnung, daß so etwas geschieht. Nach Abzug von 330 Millionen DM für die Türkei stehen 1981 für die Soforthilfe noch 435 Millionen DM zur Verfügung. Das ist es. Der sogenannte Globaltitel für nicht konkretisierte Maßnahmen wird 1982 in der Größenordnung von 140 Millionen DM liegen. Damit aber, Herr Minister, soll bei katastrophalen Entwicklungen das Loch zwischen humanitärer Hilfe und langfristiger Entwicklungshilfe gefüllt werden. Uns scheint, daß der Haushalt hier nicht die nötige Handlungsfreiheit läßt.
Wenn ich versuche - damit komme ich wirklich zum Schluß, Herr Präsident -, das, was in diesen Tagen in diesem Hause über Entwicklungspolitik gesprochen wurde, zusammenzufassen, dann müssen wir zu diesem Buch des Einzelplans 23, das wir Parlamentarier für ein politisches Buch halten, nicht nur die säuberliche Durchführung und säuberliche Verwaltung fordern, sondern müssen uns noch viel mehr darüber unterhalten, welches der politische Wille ist, der dahintersteht. Hierzu erscheinen uns drei Punkte als entscheidend, Herr Minister:
Unsere Entwicklungspolitik muß Dritte-Welt-Politik sein. Ich stimme da mit dem Kollegen Willy Brandt vollkommen überein. Das heißt, sie muß in die Gesamtpolitik dieses Staates in höchstem Maße integriert sein, sie muß mit der Wirtschaftspolitik, mit der - verzeihen Sie, nun kommt es doch - Forschungspolitik, sie muß mit der auswärtigen Politik eine Einheit bilden. Wir hören hier von Herrn Genscher etwas dazu, wir wissen von Kooperationsabkommen, die Graf Lambsdorff abschließt, und wir wissen von anderen Maßnahmen. Die Gesamtpolitik gegenüber der Dritten Welt haben wir nicht vor Augen, und sie wird hier als Gesamtpolitik leider auch nicht diskutiert.
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Da müssen Sie, Herr Minister, in die Bresche springen, denn Sie sind der Minister für dieses Ressort. Sie müssen dazu sprechen.
Ich glaube, daß wir das Wort „Wir sind Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, und da geht vieles nicht" einfach nicht akzeptieren dürfen. Wenn sich, wie es vom Kollegen Schäfer von der FDP gesagt wurde, wirtschaftliche Kraft in politische Wirkung umsetzen soll, muß es zu einer neuen, tieferen Koordination einmal der bilateralen Entwicklungspolitiken der europäischen Staaten und der USA wie des Bündnisses überhaupt kommen. Es muß aber auch in verstärktem Maße zu einer Abstimmung zwischen den bilateralen Politiken und der EG-Entwicklungspolitik kommen. Hier ist ein ganz neuer Ansatz zur Optimierung der gemeinsamen Tätigkeit
Dr. Köhler ({5})
erforderlich. Ich weiß, welche ungeheure Forderung ich hier aufstelle, aber irgendeine Antwort auf das große Wort - das Giscard d'Estaing ausgesprochen hat -, daß einmal die politische Stimme Europas gehört werden solle, müssen wir doch zu erarbeiten versuchen.
Wenn ich sage „wirtschaftliche Kraft in politische Wirkung umsetzen", dann wollen wir uns hier nicht mißverstehen. Ich weiß schon, was, wenn wir diesen Saal wieder verlassen haben, gerne gesagt wird, aber ich möchte keine Verdächtigung aussprechen, sondern möchte nur sagen -
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen; Ihre Zeit ist weit überschritten.
Ich bin im vorletzten Satz. Ich meine, der Dritten Welt zu Selbstbestimmung zu helfen, zu echter Blockfreiheit, zu mehr Pluralismus, zu sozialer Gerechtigkeit und zu Frieden, das ist die politische Wirkung, die wir wollen. Dazu müssen anders als bisher alle Kräfte dieses Landes, nicht nur der entwicklungspolitischen Spezialorganisationen, aufgerufen werden. Auch hier ist eine andere Qualität geistiger Führerschaft vonnöten.
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Das Wort zur Abgabe einer Erklärung gemäß § 32 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Nach § 32 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich eine persönliche Erklärung nach der Einlassung von Frau Kollegin Schuchardt ab.
Erstens. Ich muß die Behauptung, mein Geschichtsbild beginne erst 1945, zurückweisen, weil dies nicht dem Text meines Beitrages entspricht.
Zweitens. Ich benötige schon deswegen keine Belehrung über die Diktatur Hitlers, weil meine Mutter eineinhalb Jahre im Konzentrationslager unter Hitler inhaftiert war. Ich müßte es als eine Beleidigung meiner Mutter ansehen, wenn man mir nachsagen könnte, ich wüßte nicht, was vor 1945 an Verbrechen geschehen ist.
Drittens. Ich habe in meinem Beitrag in gleicher Weise die Verbrechen unter Hitler und unter Stalin und seinen Nachfolgern verurteilt.
Viertens. Der Tenor meiner Einlassung war: Ein ermordeter Jude war ein ermordeter Jude zuviel, aber auch ein ermordeter Deutscher war ein ermordeter Deutscher zuviel.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. Januar 1981, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.