Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Für die ausgeschiedene Abgeordnete Frau Matthäus-Maier hat mit Wirkung vom 9. Dezember 1982 der Abgeordnete Ginsberg die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten von Schoeler hat mit Wirkung vom 13. Dezember 1982 der Abgeordnete Riebensahm die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die beiden neuen Abgeordneten und wünsche ihnen und uns eine gute Zusammenarbeit.
({0})
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I a auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 ({1})
- Drucksachen 9/1920, 9/2050, 9/2139 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 9/2141, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Zander
Frau Berger ({3})
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 9/2142, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({4}) Zander
Gärtner
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Eine Enthaltung. Der Einzelplan 02 ist damit bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 9/2143, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Zander
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan 03 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
- Drucksachen 9/2144, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({5})
Präsident Stücklen
Metz
Dr. Riedl ({6}) Walther
und
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksachen 9/2145, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Picard Würtz
Gärtner
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Einzelpläne 04 und 05 eine verbundene Debatte vereinbart worden. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. Oktober wurde Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. In den zehn Wochen danach wurde folgendes bewirkt:
Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hat wieder eine voll handlungsfähige Regierung, die sich auf eine Mehrheit stützen kann, die zur Zusammenarbeit, d. h. auch zum Kompromiß bereit und fähig ist.
({0})
Die Zeit der Lähmung und der Zerstrittenheit, die die letzten Jahre der Regierung Schmidt gekennzeichnet hatten, ist beendet. In Bonn wird wieder regiert und zielstrebig gearbeitet.
({1})
Innenpolitisch galt es zunächst, die Fahrt in den finanziellen Abgrund abzubremsen - nicht zu stoppen; das ist in acht Wochen nicht zu machen - und erste wirksame Anstöße für die Wirtschaftsbelebung und damit für die Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit zu geben. Das geschieht zum Teil durch Maßnahmen der Ressorts, die den Haushalt nicht berühren, z. B. im Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie oder des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, im übrigen durch den Nachtragshaushalt 1982 und den Ergänzungshaushalt 1983, die wir mit den Begleitgesetzen am Donnerstag dieser Woche verabschieden werden.
Ich möchte diese Haushaltsgesetze politisch bewerten als das erste Gesetz und das zweite Gesetz zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
In dieser Bezeichnung kommt unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, gleichsam im Taktverfahren
unser Land Schritt für Schritt aus der Krise herauszuführen.
Meine Damen und Herren, mit diesen Gesetzen, die unter dem Druck einer sich verschärfenden Wirtschafts- und Finanzkrise in kurzer Zeit entworfen, beraten und beschlossen werden mußten, haben beide, die neue Regierung und die neue Koalition, ihre erste große Bewährungsprobe bestanden - mit Bravour bestanden, möchte ich sagen.
({3})
Außenpolitisch kam es für die neue Regierung darauf an, Irritationen im westlichen Bündnis auszuräumen, die nicht nur durch die sogenannte Friedensbewegung, sondern auch durch widersprüchliche Positionen innerhalb der Regierungspartei SPD entstanden waren.
({4})
Auch diese außenpolitische Aufgabe wurde in einem Ausmaß und in einer Schnelligkeit erfüllt, wie es nur wenige erwartet hatten. Zu diesem ohne Zweifel weitgehend persönlichen Erfolg des Bundeskanzlers möchte ich ihm unseren Glückwunsch aussprechen.
({5})
Diese in nur zehn Wochen erreichten Erfolge der Regierung Kohl/Genscher erlauben es, ohne Schaden für unser Land den Weg zu Neuwahlen zu öffnen. Diese Neuwahlen werden von allen demokratischen Parteien und, wie die demoskopischen Umfragen bestätigen, auch von der großen Mehrheit der Wähler gewollt. Der Bundeskanzler hat sich entschlossen, zu diesem Zweck den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes zu stellen. Die Abstimmung über diesen Antrag wird am Ende dieser Woche stattfinden. Da aber beides, die Verwirklichung unseres Gesetzgebungsprogramms und die Abstimmung über diesen Antrag, unmittelbar aufeinander folgen und beides auch in einem inneren Zusammenhang steht, möchte ich gleich zu Beginn der Debatte dazu einige Bemerkungen machen.
Die neue Regierung hat von der neuen Koalition einen inhaltlich und zeitlich begrenzten Auftrag erhalten. In der Bundestagsdebatte am 13. Oktober habe ich das Regierungsprogramm als ein Programm der Konzentration auf das jetzt Wichtigste und Dringlichste bezeichnet. Andere bedeutsame, aber weniger dringliche Aufgaben z. B. in der Innen- und Rechtspolitik blieben in den Koalitionsvereinbarungen und im Regierungsprogramm ausgespart.
Der inhaltlichen Begrenzung entspricht die zeitliche Begrenzung des Regierungsauftrags. Es war von Anbeginn Geschäftsgrundlage der neuen Koalition, daß sie sich am 6. März 1983 den Wählern stellt.
({6})
Auf der Grundlage dieses inhaltlich und zeitlich begrenzten Auftrages wurde Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt.
Diesen politischen möchte ich einige wenige verfassungsrechtliche Bemerkungen hinzufügen.
({7})
Der Bundeskanzler ist jederzeit berechtigt, den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes zu stellen. Dieser Antrag richtet sich an uns, den Deutschen Bundestag.
Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich: Um die Wirtschafts- und Finanzkrise meistern und die schwerwiegenden außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir stehen, treffen zu können, braucht die Regierung eine volle Legislaturperiode. Deshalb wollen wir Neuwahlen.
({8})
Um für den Herrn Bundespräsidenten eine klare Entscheidungsgrundlage zu schaffen, füge ich hinzu: Ohne Neuwahlen sind wir nicht bereit, diese oder eine andere Regierung parlamentarisch zu unterstützen. Wir haben diesen Entschluß nicht aus Willkür, sondern aus wohlerwogenen Gründen gefaßt. Deshalb ist er unumstößlich.
({9})
Auch bei kritischer Prüfung wird man sagen müssen: Mit diesem Entschluß bleiben wir Abgeordneten im Rahmen der Rechte, die die Verfassung uns zuweist. Die politischen Erwägungen, die unserem Beschluß zugrunde liegen, sind unsere Sache. Daß wir, die freigewählten Abgeordneten des deutschen Volkes, unsere Entscheidungen allein nach unserem Gewissen zu treffen haben,
({10})
entspricht dem Wortlaut und dem Geist unserer Verfassung, dem Geist der repräsentativen Demokratie. Deshalb sind wir überzeugt: Unsere Entscheidung ist verfassungsgemäß.
({11})
Unsere Haltung in der Neuwahlfrage ist eindeutig, wahrhaftig und für jedermann verständlich. Sie ist auch mutig.
({12})
Wir treten nicht mit haltlosen Versprechungen und Geschenken vor die Wähler - und, meine Damen und Herren, nicht mit Unwahrheiten, wie andere Regierungen es zuvor getan haben.
({13})
Bei uns wird es weder einen Renten- noch einen Finanzbetrug geben. Auf unser Wort kann sich jeder verlassen.
({14})
Angesichts der schwierigen Wirtschafts- und Finanzlage setzen wir bei dieser Wahl unser ganzes Vertrauen in unser Volk.
({15})
Wir trauen ihm die Bereitschaft zu, mit uns gemeinsam auf dem von uns aufgezeigten Weg die Krise in Freiheit zu meistern.
({16})
Einige Beispiele mögen unsere Haltung erläutern. Erstens. Um die Renten zu sichern, hat die Regierung eine Rentenerhöhungspause für ein halbes Jahr anordnen müssen.
({17})
Der Bundesminister für Arbeit, unser Freund und Kollege Dr. Norbert Blüm,
({18}) hat das zum Anlaß genommen,
({19})
die Tarifpartner zu bitten, diesem Beispiel zu folgen.
Anders als z. B. die sozialistische Regierung in Frankreich, die einen gesetzlichen Lohn- und Preisstopp eingeführt hatte, lehnen wir jeden Dirigismus ab.
({20})
Unsere Gewerkschaften und Unternehmer sind und bleiben in ihren Entscheidungen frei. Aber sie müssen die Verantwortung tragen, die aus ihrer Freiheit erwächst. Auf diese ihre Verantwortung weisen wir sie mit Nachdruck hin.
({21})
Wir vertrauen darauf, daß sie dieser ihrer Verantwortung gerecht werden auf diesem oder einem anderen Weg.
({22})
Zweitens. In den Bereichen, in denen Regierung und Parlament selbst die Verantwortung tragen, nehmen wir sie wahr. Die Regierung hat nicht die Tarifverhandlungen für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes abgewartet, um, wie bisher üblich, auf ihrer Grundlage die Entscheidung über die Beamtenbesoldung zu treffen. Die Regierung hat die Erhöhung der Beamtenbesoldung vorweg auf 2 % begrenzt.
({23})
Das bringt gewiß Probleme mit sich, auch für die Gewerkschaften. Aber in einer Lage wie der jetzigen muß die Regierung in ihrem eigenen Verantwortungsbereich Signale setzen.
({24})
Drittens. Die Haushaltspläne 1982 und 1983 sehen trotz unserer außerordentlichen Sparanstrengun8580
gen immer noch eine Nettoneuverschuldung vor, deren Höhe wir beklagen, im Gegensatz zur SPD-Fraktion, die ja voll damit einverstanden ist.
({25})
- Das haben Sie in der letzten Debatte erklärt. Vielleicht haben Sie Ihren Kollegen nicht zugehört.
Die theoretisch denkbaren Alternativen haben wir sorgfältig geprüft und verworfen. Eine weitere Kürzung von Leistungen wäre jetzt ebenso falsch wie noch stärkere Steuer- und Abgabenerhöhungen oder der Verzicht auf vorgesehene Investitionsanreize für die Bauwirtschaft. In den Zwängen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir nicht gemacht, sondern vorgefunden haben, haben wir weder resigniert noch falsche Zahlen vorgelegt. Wir haben uns für den möglichen Weg entschieden, der solide und wahrhaftig ist. Dieser Weg wird verkörpert durch den Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg.
({26})
Das Vertrauen in seine Finanzpolitik hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesbank in der Lage sah, in relativ kurzem Abstand zweimal die Zinsen zu senken.
({27})
Diese Zinssenkung verbessert die Investitionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und, wie ich hoffe, auch ihre Investitionsbereitschaft.
({28})
Viertes Beispiel: BAföG. Als es zunächst für Studenten und dann für Schüler eingeführt wurde, hatten wir nicht nur finanzielle Handlungsspielräume, die inzwischen verlorengegangen sind, viele Politiker waren damals auch von der falschen These des Professor Picht beeindruckt, der für die Bundesrepublik Deutschland einen Bildungsnotstand wegen zu geringer Abiturienten- und Akademikerzahlen voraussagte. Jetzt ist der Bildungsnotstand da, aber aus anderen Gründen. Nach vorliegenden Schätzungen werden z. B. in den kommenden Jahren ca. 150 000 zu Lehrern ausgebildete junge Menschen keinen Arbeitsplatz in ihrem erlernten Beruf finden - eine tragische Tatsache für die Betroffenen, auch für uns, wie ich finde.
Notwendig ist hier zweierlei. Die einseitige Bevorzugung des Abiturs und des akademischen Studiums in der Bildungsförderung muß beendet werden.
({29})
Die praktischen Bildungsgänge müssen demgegenüber in den Vordergrund treten.
({30})
Ein tüchtiger Facharbeiter oder Handwerksmeister
wird bei der gegenwärtigen Akademikerinflation
bessere Zukunftschancen haben als ein Akademiker,
({31})
der sich auf einen überfüllten Beruf vorbereitet und dort nur Durchschnittliches leistet.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, darf der berufliche Aufstieg nicht an den Einkommensverhältnissen scheitern. Das ist nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Die Förderung von Begabten ist auch notwendig, um unseren Rang als Wissenschaftsnation und damit als Industrienation zu behaupten.
({32})
Das aus finanziellen Gründen eingeschränkte BAföG muß daher durch eine gezielte Begabtenförderung ergänzt werden. Eine Kommission des Präsidiums meiner Partei arbeitet zur Zeit an entsprechenden Vorschlägen. Meines Erachtens ist das ein Feld, dem die Länder als Träger der Kulturhoheit ihre besondere Aufmerksamkeit widmen sollten. Ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen weist ebenfalls in diese Richtung.
Meine Damen und Herren, diese vier Beispiele sollen deutlich machen, daß wir auf nahezu allen Feldern der Politik umdenken müssen, daß wir besonnen, selbstkritisch und entschlossen handeln müssen, wenn wir die Krise in Freiheit meistern wollen.
In den 70er Jahren hat die Politik die Menschen zu Ansprüchen ermuntert, die von vornherein über unsere Möglichkeiten hinausgingen.
({33})
Diese Ansprüche wurden zum Teil auf Pump befriedigt, d. h. auf Kosten der Zukunft. Viele Bürger haben gespürt, daß das nicht so weitergehen würde. Jetzt sind wir - wie voraussehbar - an unsere Grenzen gestoßen. Rückblickend wird man sagen müssen, daß es eine Kultur der Unbescheidenheit war,
({34})
die in den 70er Jahren propagiert wurde. Die Regierungen Brandt und Schmidt haben das zunächst gefördert, nachher hingenommen. Die Kraft, das Steuer herumzuwerfen, hat ihnen gefehlt. Die Balance von Anspruch und Pflicht ging dabei verloren. Das hat die Menschen nicht zufriedener gemacht, im Gegenteil.
({35})
Zum Fordern erzogen lernten viele junge Menschen das Glück der Leistung nicht kennen.
({36})
Was man der eigenen Leistung verdankt, das genießt man mit Stolz.
({37})
Was man zum Geschenk erhält, ohne es vorher oder
nachträglich verdienen zu müssen, das wird man
verachten, übrigens mitsamt dem Schenker, sei es der Staat oder der eigene Vater.
({38})
Solange wir über unsere Ansprüche besser Bescheid wissen als über unsere Pflichten, sind wir zur Unzufriedenheit verurteilt.
({39})
Noch eines: Junge Menschen haben ein Recht auf Vorbilder. Vorbilder sind wir Älteren nur dann, wenn wir klare Positionen beziehen und dabei auch die Gegnerschaft junger Menschen aushalten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß junge Menschen mögliche Vorbilder prüfen, indem sie sie bekämpfen. Sie prüfen auch, ob unser Reden mit unserem Handeln übereinstimmt. Sie beachten, was uns wichtiger ist: die Menschen selbst oder irgendwelche Sachwerte. Zeiten der Einschränkung sind auch Zeiten der Besinnung.
({40})
In dieser Besinnung steckt die große Chance, näher zusammenzurücken, meine Damen und Herren von der SPD, und das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden.
Sparsamer zu leben bedeutet zugleich, mehr Verständnis zu entwickeln
({41})
für das, was wir wirklich brauchen. Aber es geht für einen Politiker gewiß nicht darum, das einfache Leben zu predigen. Die Politik muß auch neue Wege aufzeigen.
Ein Beispiel. Wenn die Arbeitnehmer durch Lohnzurückhaltung Investitionen ermöglichen, um dadurch ihre Arbeitsplätze zu sichern, und wenn durch diese Lohnzurückhaltung das Produktivvermögen wächst,
({42})
dann ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, die Arbeitnehmer an diesem auch durch ihre Lohnzurückhaltung wachsenden Produktivvermögen zu beteiligen.
({43})
Das soll nicht zwangsweise durch Gesetz angeordnet werden. Die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers und des Unternehmens
({44})
sollen gewahrt bleiben. Das Gesetz soll lediglich die Rahmenbedingungen schaffen; aushandeln müssen es die Gewerkschaften und die Arbeitgeber.
Ich habe darüber in den letzten Wochen mit allen Beteiligten gesprochen. Das positivste und konstruktivste Echo auf der Gewerkschaftsseite habe ich bei der DAG und dem CGB gefunden.
({45})
Auch bei Einzelgewerkschaften des DGB gibt es positive Ansätze. Ich bin überzeugt, daß der DGB in einigen Jahren allgemein dieser Entwicklung folgen wird, wenn wir Ihr nur Bahn brechen.
Eine Kommission des Präsidiums meiner Partei arbeitet an der Verbesserung und Vervollständigung eines Gesetzentwurfes, den das Land Niedersachsen im Bundesrat eingebracht hat. Nach dem 6. März werden wir ein solches Gesetz verabschieden.
({46})
Was wir jetzt brauchen, sind Partnerschaft und Solidarität. Solidarität, zu der sich Sozialdemokraten und Freie Demokraten ebenso bekennen wie wir, heißt, die Freiheitsspielräume nicht nur zu nutzen, sondern ihnen auch einen auf das Ganze bezogenen Sinn zu geben.
({47})
Nur wer die Grenzen der Freiheit achtet, wird die Freiheit behalten. Nur wer den Rechtsstaat als ein hohes Gut hütet, wird vor dem Unrechtsstaat bewahrt bleiben.
({48})
Ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang. In Zeiten der Krise müssen wir Gegensätze, die uns trennen, zurückstellen. Solidarität heißt hier auch, füreinander einzutreten statt gegeneinander anzutreten.
({49})
Was alle Demokraten verbindet, auch Sie und uns, meine Damen und Herren von der SPD, zählt in Zeiten der Krise doppelt. Das sollten wir nicht vergessen, auch nicht in dem Wahlkampf, der uns bevorsteht.
({50})
- Wenn Sie sich meinem Stil anpassen, dann haben wir einen guten parlamentarischen Stil.
({51})
Was für die Innenpolitik gilt, gilt auch für die Außenpolitik. Der Regierungswechsel ist nicht die Stunde Null. Die neue Regierung hat das Erbe so anzunehmen, wie es ist,
({52}) um es dann weiterzuentwickeln.
({53})
Die neue Bundesregierung steht in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierungen, allerdings nicht nur in der Kontinuität der unmittelbar vorausgegangenen Regierungen Brandt und Schmidt, sondern auch in der Kontinuität der Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger.
({54})
Diese unionsgeführten Regierungen haben die Grundlagen geschaffen, auf denen Existenz und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland beruhen. An diesen Grundlagen zu rütteln, wie es manche in den letzten Jahren versucht haben,
heißt, an den Grundlagen unserer freien Existenz zu rütteln.
({55})
Zu erinnern ist an folgende drei große Vertragswerke.
Erstens an den Deutschlandvertrag des Jahres 1952. Er verpflichtete die drei Westmächte auf ein nationales und demokratisches Ziel der Deutschen: auf ein wiedervereinigtes Deutschland mit einer demokratischen Verfassung.
Zweitens nenne ich den Beitritt zur NATO im Jahre 1955. Er war Ausfluß der Erkenntnis, daß wir als Mittelmacht an der Grenze zwischen Ost und West nicht allein bestehen, daß wir Frieden und Freiheit nur im Bündnis mit denen bewahren können, die unsere Wert- und Verfassungsordnung teilen.
Drittens. Die dritte Grundlage unserer freiheitlichen Existenz ist die schrittweise Einigung der freien Völker Europas. Europarat, WEU, Montanunion, Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Gemeinschaft sind die Stationen, die zurückgelegt wurden. Auch dieses Werk ist unvollendet. Wir beglückwünschen den Außenminister und FDP-Vorsitzenden Genscher zu der Initiative, die er zusammen mit dem Außenminister Italiens zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft ergriffen hat.
({56})
Unsere Politik gegenüber der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern muß vor allem der Sicherung des Friedens dienen. Für uns Deutsche gibt es zum Frieden wirklich keine Alternative. Unser Land würde bei Ausbruch eines europäischen Krieges - ob atomar oder konventionell - Hauptkriegsschauplatz sein und damit nahezu vollständig zerstört werden. Frieden entsteht nicht aus Unterwerfung oder Unterwerfungsbereitschaft. Er ist das Ergebnis von Abwehrfähigkeit, verbunden mit der Bereitschaft, mit dem möglichen Gegner zusammenzuarbeiten. Daß Abwehrfähigkeit eine unentbehrliche Komponente der Friedenssicherung ist, war in den 60er Jahren noch nahezu unbestritten.
In den 70er Jahren folgte dann der Hochkunjunktur in der Wirtschaft die Hochkonjunktur in den guten Absichten, sehr unüberlegten guten Absichten allerdings, die die Natur des Menschen ebenso verkennen wie die geschichtlichen Erfahrungen und die politischen Kraftfelder, die von außen auf uns einwirken. Es ist ein geistig-moralischer Hochmut, der dem materiellen Hochmut gefolgt ist. Gepflegt wird er vor allem in Alternativkulturen, in der Propaganda der Angst und der sogenannten Friedensbewegung. Was wir erleben, ist eine Krise, die unser Menschenbild betrifft. Um ihr zu begegnen, muß gesagt werden, daß radikaler Idealismus die Gewalt fördert. Der Mensch ist nicht durchweg gut. Er bleibt der Unsicherheitsfaktor Nummer 1. Das ist keine Frage des politischen oder gesellschaftlichen Systems, sondern ein Wesenszug der gefallenen, wie wir Christen sagen, der sündhaften
Natur des Menschen. Der Mensch will und bewirkt nicht nur das Gute; er will und tut auch das Böse. Deshalb bedarf er wie der Staat, der ihm Schutz gewährt, der Sicherung nach innen und außen. Wer es mit guten Absichten rechtfertigt, auf uns gerichtete offensive Systeme zu verkennen, der wird über kurz oder lang dem Machtwillen dieser Systeme erliegen.
({57})
Wer aus Friedenswillen auf die Sicherung des Friedens durch Abwehrfähigkeit verzichtet, der verspielt den Frieden und dazu die Freiheit, ohne die es einen menschenwürdigen Frieden nicht geben kann.
({58})
Aus dieser Einschätzung der Natur des Menschen, aus der geschichtlichen Erfahrung und einer realistischen Beurteilung der Weltlage heraus stehen wir Christlichen Demokraten voll hinter der Nordatlantischen Allianz. Wir bekennen uns zu ihrer Wertordnung und zu ihrem rein defensiven Sicherheitskonzept.
({59})
Der NATO-Doppelbeschluß, der Helmut-SchmidtDoppelbeschluß, wie er auf Grund der besonderen Verdienste des früheren Kanzlers um diesen Beschluß mit Recht genannt wird, ist verbindlich. Die SPD sollte nicht den Eindruck entstehen lassen, sie würde derartige Beschlüsse als leere Hülsen betrachten, die man einfach wegwerfen könne, nur um innerparteilichen Schwierigkeiten zu entgehen.
({60})
Meine Damen und Herren, die sowjetischen Mittelstreckenraketen bedrohen nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, die sie gar nicht erreichen können; sie bedrohen uns. Es waren die Europäer, die die USA gedrängt haben, dieser Bedrohung ein Gegengewicht in Europa entgegenzustellen. Helmut Schmidt vor allem war es, der das als erster gefordert hat. Die Amerikaner jetzt dafür zu beschimpfen, daß sie dieser Forderung nachgekommen sind, und ihnen unsinnige Atomkriegspläne zu unterstellen, ist nicht nur ein Erfolg der sowjetischen Desinformationskampagne, sondern auch ein Zeichen für das kurze Gedächtnis und das mangelnde politische Urteilsvermögen mancher Publizisten und Politiker in Europa.
({61})
Wir wünschen dem Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses in Genf Erfolg, damit die Nachrüstung vermieden werden kann. Wir fordern alle Beteiligten, auch und insbesondere die Sowjetunion, auf, außer dem eigenen Sicherheitsbedürfnis auch das Sicherheitsbedürfnis der anderen zu würdigen. Nur eine gegenseitige Rücksichtnahme kann dem Rüstungswahnsinn, der sich in einer Überrüstung äußert, ein Ende setzen.
({62})
Im Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn geht es aber nicht nur um Sicherheit und Handelsaustausch; es geht auch um die WiederherstelDr. Dregger
lung eines alten Vertrauensverhältnisses, das durch die Erschütterungen der letzten Jahrzehnte, durch Krieg, Mord und Vertreibung unterbrochen worden ist. Ich habe kürzlich einen hochrangigen sowjetischen Gesprächspartner nicht nur als Vertreter der UdSSR, sondern auch als einen Vertreter des russischen Volkes begrüßt, denn hinter den Systemen, die ja nicht ewig sind, stehen die Menschen und in ihrer historischen Kontinuität die Völker. Ich habe diesen Vertreter der Sowjetunion und des russischen Volkes gebeten, in mir nicht nur den Inhaber eines bestimmten Amtes in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen, sondern ebenfalls einen Vertreter des deutschen Volkes, und zwar des ganzen deutschen Volkes. Ich habe ihn an die langen und glücklichen Perioden der deutsch-russischen Geschichte erinnert, in denen unsere Länder auf der Basis der Gleichheit Partner waren. Ich habe gemeint, das sollte die Perspektive für unsere künftigen Beziehungen sein, die die Wiederherstellung der Rechte des deutschen Volkes einschließen müßte.
Das, was ich jetzt sage, richtet sich an die Adresse aller, nicht nur der Sowjetunion: Jeder im Westen und im Osten sollte davon ausgehen, daß die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung - so formuliert es das Grundgesetz, und der Herr Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung unterstrichen - immer das Ziel deutscher Politik bleiben wird.
({63})
Ich weiß, daß die Sowjetunion das nicht gern hört, der eine oder andere westliche Politiker oder Publizist ebenfalls nicht. Aber was andere gern hören, kann ja nicht der einzige Maßstab unserer politischen Ziele und unseres politischen Handelns sein.
({64})
Die Teilung unseres Landes und die Teilung seiner Hauptstadt, Teilungen, die nur durch Mauer, Stacheldraht, Minen und Schießbefehl aufrechterhalten werden können, verstoßen gegen die rechtlichen und sittlichen Normen der Völkergemeinschaft.
({65})
Das sollte niemand verdrängen, weder die Sowjetunion noch unsere Verbündeten, noch wir selbst, meine Damen und Herren.
Der Grundvertrag und die Ostverträge sind bindendes Recht. Sie haben aber an der Gültigkeit des Deutschlandvertrags nichts geändert, wie es durch den Brief zur deutschen Einheit, die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestags vom 7. Mai 1972, die salvatorischen Klauseln in den Verträgen selbst und durch die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eindeutig klargestellt worden ist.
Die Sieger des Zweiten Weltkrieges stehen heute in verschiedenen Lagern, aber die Verantwortung für Deutschland als Ganzes tragen sie gemeinsam. Die Besiegten sind für den Krieg verantwortlich, die Sieger für den Frieden. Zu dieser gemeinsamen
Verantwortung der Sieger gehört auch die Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und die Menschenrechte in ganz Deutschland zu verwirklichen. Nur diese gemeinsame Pflicht kann heute, über 35 Jahre nach dem Ende des Krieges, die Mitwirkungsrechte der Siegermächte in Deutschland rechtfertigen.
Machtausübung zu anderen Zwecken, etwa zur dauernden Rechtsverweigerung den Deutschen gegenüber, wäre ebenso illegitim, wie jede Machtausübung illegitim ist, die nicht den rechtlichen und sittlichen Normen der Völkergemeinschaft entspricht.
({66})
Wir alle wissen, daß die Wiederherstellung der Rechte unseres Volkes nur im Einvernehmen mit allen Nachbarn verwirklicht werden kann. Auch deshalb wollen wir die Ostverträge mit Leben erfüllen. Das steht mit unserem Oppositionsverhalten bei der Erarbeitung und der Verhandlung dieser Verträge nicht im Widerspruch. Wir wollten vor allem bessere Verträge, wir wollten zur Wahrung der nationalen Interessen des deutschen Volkes für diese Verträge eine Interpretation durchsetzen, die wir dann in gemeinsamen Entschließungen und einschlägigen Verfassungsgerichtsentscheidungen auch erreicht haben.
Nachdem die Verträge gültig sind, sind sie zu Instrumenten der deutschen Außenpolitik geworden. Nur auf ihrer Grundlage können wir Politik machen, die Vertrauen erweckt. Nur so können wir im Interesse unseres Volkes die Möglichkeiten nutzen, die auch diese Verträge uns bieten. Dazu sind wir entschlossen, wie schon die ersten Wochen der Arbeit der neuen Regierung eindrucksvoll gezeigt haben.
Meine Damen und Herren, insbesondere der SPD, vielleicht ist das eine außenpolitische Perspektive, auf die sich die große Mehrheit des Hauses einigen kann. Ich sage das, weil wir Christlichen Demokraten gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik den Konsens mit allen demokratischen Kräften, insbesondere selbstverständlich auch mit der großen Sozialdemokratischen Partei, wünschen. Wir jedenfalls stehen in der Kontinuität der Friedens- und Sicherheitspolitik aller Regierungen der Bundesrepublik Deutschland. Wir würden es begrüßen, wenn das auch von den Sozialdemokraten ausnahmslos gesagt werden könnte. Es wäre tragisch für Sie und es läge nicht in unserem nationalen Interesse,
({67})
wenn Sie gerade die Kontinuität mit den Teilen unserer Außen- und Sicherheitspolitik aufkündigen würden, die den besonderen Stempel des letzten Bundeskanzlers tragen, den Sie gestellt haben.
({68})
Zum Schluß dieser außenpolitischen Bemerkungen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler danken für die kluge, jede Schroffheit nach außen vermei8584
dende und zugleich souveräne Art, in der er die deutschen Interessen wahrnimmt.
({69})
Unser Dank gilt auch dem Herrn Bundespräsidenten, der es in hervorragender Weise versteht, unser Land auch nach außen mit Würde und Klugheit zu vertreten.
({70})
Es war das Ergebnis besonderer Umstände, daß vor wenigen Wochen zwei wichtige Begegnungen gleichzeitig stattfanden. Der Herr Bundespräsident traf als erstes westliches Staatsoberhaupt mit dem neuen sowjetischen Generalsekretär in Moskau zusammen; gleichzeitig verhandelte der Herr Bundeskanzler mit dem amerikanischen Präsidenten in Washington.
({71})
Beide Gespräche, in Moskau wie in Washington, verliefen in guter, von gegenseitigem Respekt getragener Atmosphäre, in Washington auf Grund der engen Bündnisbeziehungen natürlich in besonderer Herzlichkeit.
Was im zeitlichen Zusammentreffen ein Zufall war, hat doch symbolische Bedeutung. Die Bundesrepublik Deutschland ist heute wegen ihrer Stärke und wegen ihrer Besonnenheit ein geachteter Friedensfaktor der internationalen Politik. Daß die neue Regierung besonders geeignet ist, der sich daraus ergebenden Verantwortung gerecht zu werden, hat damit zu tun, daß sie sich auf Parteien stützen kann, an deren geschlossener Bündnistreue ebensowenig gezweifelt werden kann wie an ihrer Bereitschaft, den Frieden zu wahren und zu diesem Zweck auch eng mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern zusammenzuarbeiten.
({72})
Es ist die innere Übereinstimmung zwischen Regierung und Koalition, die unserem Eintreten für den Frieden besonderes Gewicht verleiht. So soll es bleiben im Interesse des Friedens und im Interesse des deutschen Volkes.
({73})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Monaten hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung für die Rechtskoalition von CDU/CSU und FDP
({0})
einen politischen Neuanfang, eine wirtschaftliche Wende und eine geistig-politische Erneuerung versprochen. Wir Sozialdemokraten haben bereits damals darauf hingewiesen, daß das Zustandekommen dieser Regierung, ihre personelle Zusammensetzung und ihr Koalitionsprogramm nicht zu einem Gewinn, sondern zu einem Verlust an Stabilität und politischer Glaubwürdigkeit führen werden.
({1})
Die vergangenen Wochen haben uns in unseren Sorgen und Befürchtungen bestätigt.
({2})
Der Bundeskanzler hat zwar ein beachtliches Programm an Reisen, Lächeln und Händeschütteln absolviert. Auch die übrigen Regierungsmitglieder sind fleißig in die Medien gegangen, und der Propagandaapparat der CDU läuft auf Hochtouren. Die tatsächlichen Probleme unseres Landes aber, verehrte Kollegen, haben sich verschärft.
({3})
Daher ist es zu begrüßen, daß diese Übergangsregierung abtritt.
({4})
Die Art, in der Sie, Herr Bundeskanzler, die Frage der Neuwahlen in Unklarheit wochenlang vor sich hergeschoben haben, war allerdings eine zusätzliche Zumutung für den Bürger, vom Herrn Bundespräsidenten gar nicht zu sprechen.
({5})
Wir Sozialdemokraten wollen seit Wochen Neuwahlen.
({6})
Wir werden Ihre Vertrauensfrage aus politischer Überzeugung mit einem klaren Nein beantworten.
({7})
Die verfassungsrechtliche Verantwortung, Herr Bundeskanzler, für den Weg zu Neuwahlen, den Sie gewählt haben, liegt allerdings allein bei Ihnen.
({8})
Bei uns gibt es unter diesem Aspekt gegen den von Ihnen gewählten Weg Bedenken. Wir hätten einen Rücktritt für die saubere Lösung gehalten.
({9})
Daß die Kollegen von der FDP Neuwahlen mit gemischten Gefühlen entgegensehen, kann man verstehen. Die FDP befindet sich nach Ihrem Wortbruch in einem desolaten Zustand; das Hamburger Wahlergebnis wird das erneut bestätigen. Viele Mitglieder haben die Partei verlassen. Die Restpartei hat uns in den vergangenen Wochen ein jammervolles Schauspiel geboten.
({10})
Scheinkämpfe etwa um den BAföG-Abbau oder um den Rhein-Main-Donau-Kanal standen Seite an Seite mit einem kläglichen Umfallen selbst in so wichtigen politisch-moralischen Fragen wie denen
der Kriegsdienstverweigerung oder der Menschenrechte in der Türkei.
({11})
Die Kritiker, glaube ich, haben recht: Eine zu einem Mitläufer der Unionsparteien werdende FDP hat keine politische Funktion mehr, sie ist überflüssig.
({12})
Die FDP befürchtet daher zu Recht, daß ihr die Wähler am Wahltag diese Tatsache bestätigen werden.
Die Unionsparteien dagegen hoffen, nach Neuwahlen ohne die FDP regieren zu können. Das voreilige Gerangel um Ministerposten ist dabei ein erneuter Ausdruck ihres schon beim Sturz von Bundeskanzler Schmidt deutlich gewordenen Mangels an Respekt vor dem Wähler. Jetzt muß aber erst einmal der Wähler das Wort haben, damit sich die neue Regierung - anders als die Übergangsregierung - in einer schwierigen Zeit für ihre Politik auf ein Vertrauensvotum des Wählers stützen kann.
({13})
Diese Übergangszeit hat auch durchaus ihr Gutes gehabt, vor allem in Sachen politischer Klarheit. Selbst die Unionsparteien beteuern nun eifrig, daß unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten Folgen einer Weltwirtschaftskrise sind.
({14})
Die Unwahrheit Ihrer Oppositionsaussage, an allem seien nur die Sozial-Liberalen schuld,
({15})
schleppen Sie zwar in Ihrer „Erblast"-Kampagne noch weiter mit sich herum. Angesichts der Entwicklung der Weltwirtschaftskrise schlägt diese Kampagne aber mehr und mehr gegen Sie selbst zurück.
({16})
Diejenigen Bürger, vor allem junge Bürger, unseres Landes, die dem Eindruck erlegen waren, es gebe zwischen den Unionsparteien und der SPD gar keine Unterschiede mehr, sind von Ihnen in einem Schnellkurs eines Besseren belehrt worden.
({17})
Selbst großen Teilen Ihrer eigenen Anhängerschaft haben Sie geradezu brutal klargemacht, daß Ihr verbales Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit in Ihrer politischen Praxis nicht viel mehr Bedeutung hat als Ihre erhabenen Allgemeinheiten über die geistig-moralische Krise.
({18})
Ihre personalpolitische Glaubwürdigkeit ist sicher nicht dadurch größer geworden, daß Sie dem
Fall Zimmermann noch die Fälle Schwarz-Schilling und Geißler hinzugefügt haben.
({19})
Ihre Glaubwürdigkeit ist auch nicht dadurch gewachsen, daß Sie verfassungsrechtliche Bedenken etwa in den Fragen der Zwangsanleihe oder in den Fragen des Finanzausgleichs geflissentlich beiseite geschoben haben.
({20})
Schließlich sind Sie nicht dadurch glaubwürdiger geworden, daß Sie an Ihren verhängnisvollen Plänen zum Abbau des sozialen Mietrechts und der Ausbildungsförderung sowie zur weiteren Verschlechterung des Kriegsdienstverweigerungsverfahrens festgehalten haben, obwohl doch selbst viele Ihnen nahestehende Organisationen und Personen gegen Ihre Vorhaben massive Bedenken erhoben haben. Die Art, wie Sie diese Gesetze durch den Bundestag gepeitscht und die Anhörungen zur Farce gemacht haben, hat darüber hinaus der Glaubwürdigkeit unseres parlamentarischen Verfahrens geschadet.
({21})
Und all das, verehrte Damen und Herren von den Unionsparteien, für eine tief fragwürdige Politik.
Über diese Politik sagen die zwei Monate Ihrer Übergangsregierung mehr aus, als alle Wahlreden und Wahlversprechen noch aussagen werden. An Ihren Taten kann man Sie in der Tat erkennen.
({22})
Sie haben sich zwar angesichts der Neuwahlen noch zurückgehalten, aber das, was Sie getan haben, reicht durchaus aus, dem Bürger deutlich zu machen, wie Ihre Politik aussehen würde, wenn Sie nach Neuwahlen etwa keine Rücksicht mehr zu nehmen hätten.
({23})
Sie haben vor wenigen Wochen großsprecherich verkündet, das wirksamste Konjunkturprogramm sei ein Regierungswechsel.
({24})
Dieses politische Eigenlob ist schneller geplatzt als eine Seifenblase.
({25})
Die Wirtschaftskrise, verehrte Kollegen, hat sich in den letzten zwei Monaten erheblich verschärft. Die wirtschaftlichen Trendzahlen, nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sind fast alle negativ.
({26})
Es gibt einzelne positive Einsprengsel, auch sie übrigens Erbe der sozialliberalen Koalition, etwa die
Nichterhöhung oder gar Senkung von Krankenkas8586
senbeiträgen oder die Fortsetzung der Zinssenkungspolitik der Bundesbank. Aber wir sind der Meinung: Man darf diese Zeichen nicht überschätzen.
Die sozialliberale Regierung hat sich, leider, von Graf Lambsdorff und anderem sogenanntem wirtschaftlichem Sachverstand 1980 einreden lassen,
({27})
wir hätten es nur mit einer „Flaute" zu tun, die wir im ersten Halbjahr 1981 „durchsegeln" würden, um dann wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erleben. Jetzt, verehrte Kollegen, sind wir am Jahresende 1982 und die sogenannte Flaute sieht eher wie ein Sturmtief aus.
Angeblich aus Gründen der Wirtschaftspsychologie abgegebene zu optimistische Lagebeurteilungen waren und bleiben fatal. Das gleiche gilt für zu optimistische Prognosen. 3 % Wachstum für 1983 hat Herr Lambsdorff noch vor wenigen Monaten geweissagt. Verehrte Kollegen von den Unionsparteien, wir haben bitteres Lehrgeld für diese Fehler im Jahre 1980 gezahlt. Machen Sie doch nicht noch einmal den gleichen Fehler.
({28})
Wir müssen uns der Tatsache der Weltwirtschaftskrise stellen. Der Kanzlerkandidat der SPD, unser Freund Jochen Vogel, hat in Übereinstimmung mit Helmut Schmidt zu Recht auf die Notwendigkeit gemeinsamer internationaler Anstrengungen hingewiesen. Und da sieht es nicht gut aus. In den GATT- wie in den EG-Verhandlungen ist es diesmal nicht gelungen, die Versuchungen des Protektionismus zurückzuweisen. Dieser Fehlschlag, Herr Kollege Dregger, wird auch nicht dadurch wettgemacht, daß Sie uns wiederholt versichern, das Konferenzklima sei besonders gut gewesen.
Der amerikanisch-europäische Streit um den freien Welthandel auch mit dem Osten ist nicht beigelegt. Der Herr Bundeskanzler hat zwar nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten von einer „substantiellen Einigung" gesprochen, in Wirklichkeit hat man sich aber lediglich auf die Einsetzung einiger Kommissionen einigen können.
In der Politik gegenüber der Dritten Welt schließlich hat der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit deutlich werden lassen, daß sich die Vorstellungen der Unionsparteien mühelos mit den ideologischen Vorstellungen der amerikanischen Rechten in Übereinstimmung bringen lassen. Zwar ist Herrn Warnke inzwischen offenbar bis zur Neuwahl Zurückhaltung anempfohlen worden, aber das Zögern der Bundesregierung hinsichtlich der Zustimmung zur Seerechtskonvention spricht in bezug auf ihre Anpassung an amerikanische Positionen eine ebenso beredte wie alarmierende Sprache. Denn gerade die amerikanische Politik hat - und nicht nur in bezug auf die Dritte Welt - in den vergangenen Jahren wesentlich zu den Turbulenzen der Weltwirtschaft beigetragen.
({29})
Sie hat das übrigens aus dem gleichen neokonservativen Geist heraus getan, der auch diese Rechtskoalition beseelt.
Die Warnungen und Empfehlungen der BrandtKommission
({30})
hinsichtlich der Entwicklung des Nord-Süd-Verhältnisses werden in den Wind geschlagen, obwohl unsere eigene wirtschaftliche Zukunft und die Zukunft unserer Kinder von der Lösung dieser Fragen abhängt.
({31})
Die nationalen wirtschaftlichen Faktoren und Indikatoren haben sich ebenfalls verschlechtert, teils auf Grund der weltwirtschaftlichen Entwicklung, teils auf Grund der von der Übergangsregierung eingeschlagenen Politik. Ich verstehe zwar, meine Damen und Herren von der Rechtskoalition, daß Sie sich dagegen zu wehren suchen,
({32})
daß diese Verschlechterung Ihnen angekreidet wird. Aber Sie sind insoweit doch nur die Opfer Ihrer eigenen Propaganda aus der Oppositionszeit.
({33})
Wer so oft und so laut verkündet hat, an allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien nur die Sozialdemokraten schuld, der darf sich nicht wundern, wenn die Bürger jetzt von ihm die schnelle Einlösung seiner leichtsinnigen Versprechen fordern.
({34})
Im übrigen haben wir schon in der Debatte über die Regierungserklärung und in der ersten Lesung des Haushalts 1983 dargelegt, warum die von Ihnen eingeschlagene Politik die Krise noch verschärft, Sie also für die negative Entwicklung mitverantwortlich sind.
Sie geben Steuergelder an Leute zurück, die diese Gelder nicht investieren, sondern weit eher wieder in hochverzinslichen Papieren anlegen werden. Auf der anderen Seite schränken Sie durch Ihre massiven Einschnitte in die Sozialleistungen und durch die Mehrwertsteuererhöhung die Nachfrage und damit den Binnenmarkt zusätzlich ein mit der Gefahr, daß sich daraus ein selbstnährender Schrumpfungsprozeß entwickelt. Unser Beschäftigungsprogramm lehnen Sie ab. Die ohnehin schon eng begrenzten Möglichkeiten der Gemeinden zu öffentlichen Investitionen schränken Sie weiter ein, und dies trotz des Protestes von Kommunalpolitikern aus Ihren eigenen Reihen.
({35})
Industriepolitisch wird bei Ihnen, und zwar keineswegs nur im Bereich von Kohle und Stahl, die verhängnisvolle Tendenz deutlich, die Dinge treiben zu lassen.
({36})
Wir Sozialdemokraten wissen, daß auch wir mit unseren Vorschlägen die Arbeitslosigkeit nur dämpfen, nicht aber schnell beseitigen könnten. Aber wir haben die Bundesrepublik mit unserer Politik besser über die Krise gebracht als jedes andere vergleichbare Land,
({37})
und an diesem Maßstab werden Sie sich messen lassen müssen.
({38})
Sie versagen sich aber nicht nur einer aktiven Beschäftigungspolitik. In enger Bindung an den Arbeitgeberverband tabuisieren Sie auch das Thema der Arbeitszeitverkürzung. Einige Kollegen von Ihnen machen da zwar inzwischen im Gegensatz zum Bundeskanzler Lockerungsübungen. Aber Sie haben unser Arbeitszeitgesetz ebenso abgelehnt wie unseren im Beschäftigungsprogramm enthaltenen Vorschlag einer Vor-Ruhestands-Regelung, die auf Anregungen des Kollegen Döding zurückgeht. Dabei ist es in der ernsthaften Diskussion ganz unbestritten, daß die Arbeitszeitverkürzung in einer „Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht", um Hannah Arendt zu zitieren, genauso wichtig ist wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch private und öffentliche Investitionen.
Gerade an diesem Thema wird auch deutlich, daß die heutige Krise der Weltwirtschaft - Herr Bürgermeister von Dohnanyi hat es hier neulich skizziert ({39})
andere Ursachen hat und daher andere Fragen aufwirft als die Weltwirtschaftskrise der 20er und der 30er Jahre. Von der Aufbauphase nach dem Krieg ist die heutige Situation so grundverschieden, daß Ihre Hoffnung, die Probleme der 80er Jahre mit einer Rückkehr zur Politik der 50er Jahre lösen zu können, nur als eitel bezeichnet werden kann.
({40})
In der Literatur - ich habe mich leider nicht mehr rechtzeitig erinnert, bei welchem Autor - gibt es die Geschichte von einer stillgelegten Fabrik, an deren Tor zu lesen stand: „Wegen Reichtums geschlossen." Angesichts des in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsenen Reichtums in der westlichen Welt könnten wir heute an die Fabriktore vieler stillgelegter Betriebe schreiben: „Wegen ungerecht verteilten Reichtums geschlossen."
({41})
Das gilt international wie national, und es gilt auch für die Verteilung der Arbeit.
({42})
- Meine Damen und Herren der Rechtskoalition, die Sie sich bei der Erörterung der die Menschen unseres Landes bedrückenden Probleme so amüsieren,
({43})
ich will Ihnen etwas sagen: Ich verstehe Ihr hämisches Zwischenrufen; denn in Denkanstößen der Alternativen findet sich mehr Nachdenkliches über diesen Umbruch unserer Arbeitsgesellschaft als in Ihrem ganzen ideologischen Neokonservatismus.
({44})
Herr Abgeordneter Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Mit Vergnügen.
Herr Kollege Ehmke, mit Rücksicht auf das Schild vor Ihrer geschlossenen Fabrik erlaube ich mir die Frage: Können Sie dem Hohen Hause die Unternehmen nennen, die wegen zuviel Eigenkapital und zuviel Geld pleite gemacht haben?
({0})
Herr Kollege Cronenberg, für einen so intelligenten Wirtschaftspolitiker wie Sie
({0})
sollte es deutlich sein, daß eines der Probleme in der Weltwirtschaft das Problem ist, daß die einen nicht mehr kaufen können, was die anderen exportieren möchten, um ihren Lebensstandard zu halten. Wenn Sie sich nicht freimachen von dem Denken, daß wir das unter uns regeln könnten, wenn wir nicht einsehen, daß nicht mangelnder Reichtum, sondern falsch verteilter Reichtum einer der Gründe dieser Weltwirtschaftskrise ist, werden wir aus dieser Krise keinen Ausweg finden.
({1})
Wir fürchten aber nicht nur, daß Ihre Politik die Wirtschaftskrise verschärfen wird.
({2})
Wir fürchten auch, daß sie den sozialen Konsens gefährden wird und damit eine der Voraussetzungen, mit der Krise sozial und politisch fertig zu werden.
Wir Sozialdemokraten haben schon angesichts Ihrer Koalitionsvereinbarungen von einer Umverteilung von unten nach oben gesprochen. Wir können von diesem Vorwurf nichts zurücknehmen. Im Gegenteil!
({3})
Die Einzeldurchrechnung Ihrer Gesetzesvorhaben zeigt, in welch rücksichtsloser, ja schamloser Weise
({4})
Sie die Kosten dieser Krise auf dem Rücken der einkommensschwachen Schichten abladen wollen.
({5})
Ich finde es sehr beachtenswert, verehrte Frau Kollegin Geiger, daß auch die zahlreichen Warnungen und Proteste aus Ihren eigenen Reihen, von Ihren Leuten im Städtetag, von Ihren Leuten im VdK, im Caritas-Verband und Familienbund, an Ihnen vorbeigegangen sind wie ein Regen, der an einer Ölhaut abläuft.
({6})
Ich wiederhole, was ich hier schon in der Debatte um die Regierungserklärung gesagt habe: Es ist unbestritten, daß es angesichts der Krise nicht so weitergeht wie bisher. Es ist unbestritten, Kollege Dregger, daß wir alle uns einschränken müssen. Aber was Sie offenbar nicht akzeptieren wollen, ist das, was wir sagen: daß allen voran die sich einschränken müssen, die den meisten Bauchspeck haben.
({7})
Sie aber nehmen gerade diese Gruppen von der Belastung aus.
Ich kann mir vorstellen, daß Sie sich so sehr als Vertreter derer, die da haben, fühlen, daß dieser Vergleich Sie nicht berührt. Aber vielleicht hören Sie ihn doch einmal mit größerem Ernst an, denn die Menschen draußen empfinden das als ein Problem.
({8})
Sie ersparen den Einkommensstarken unter dem Tarnmantel einer rückzahlbaren Zwangsanleihe
({9})
eine steuerliche Ergänzungsabgabe. Gleichzeitig machen Sie die von der sozialliberalen Koalition bereits vereinbarte Kürzung der Vorteile aus dem Ehegatten-Splitting rückgängig. Sie beschenken die Einkommensstarken mit einer Reihe neuer Steuervergünstigungen, und die von Ihnen so gefeierte Begrenzung des Kindergeldes gleichen Sie durch die Wiedereinführung steuerlicher Kinderfreibeträge wieder aus.
({10})
Zeigen Sie mir einen mit hohem Einkommen, der nach Ihrer Politik irgendeinen Beitrag zur Überwindung der Krise leistet! Das findet nicht statt.
({11})
Die einkommensschwachen Gruppen unserer Gesellschaft aber belasten Sie mit erhöhter Mehrwertsteuer, die nicht zurückgezahlt wird. Dabei sinken die Reallöhne, und die Anpassung der Renten wird von Ihnen weiter zurückgeschnitten. Sie ermöglichen massive Mieterhöhungen und kürzen das Wohngeld. Außerdem kürzen Sie das Kindergeld und heben die Bildungs- und Ausbildungsförderung für die Kinder einkommensschwacher Familien praktisch auf. Bei Familien, bei denen sich diese Ihre Kürzungen kumulieren, führt Ihre Politik zu einer sozialen Katastrophe.
({12})
Ebenso gehen Sie mit den sozial Schwächsten um. Sie schränken das Arbeitslosengeld ein, und für die Sozialhilfeempfänger drücken Sie die Leistungsanpassung für das Gesamtjahr 1983 auf 1 %. Bei einer Preissteigerungsrate von 4,5 % - ich wähle die untere Grenze, die genannt worden ist - bedeutet das eine Kürzung der Einkommen der sozial Schwächsten um real 3,5 %. Und obendrein wollen Sie noch die Berechnungsgrundlage, den Warenkorb, zum Nachteil der Sozialhilfeempfänger ändern.
Verehrte Kollegen, wem in diesem Lande wollen Sie eigentlich erklären, daß diese Politik, die Großen zu schonen und die Kleinen zu belasten, etwas mit den Worten „sozial" oder „christlich" zu tun hat?
({13})
Welch drastischer Umverteilungsprozeß von Ihnen eingeleitet wird, zeigt sich u. a. im Bereich des Wohnens. Während Sie das Haus- und Wohnungseigentum - allerdings auf eine in sich ungerechte Weise - verstärkt fördern, demontieren Sie gleichzeitig das im Grundgesetz verankerte, von der sozialliberalen Koalition, j a, auch von Ihnen - denn Sie haben ja 1974 unserem Mietrecht zugestimmt -, das also von uns allen ausgebaute soziale Mietrecht.
Sie eröffnen mit dieser Politik neben der Grundstücks-Spekulation auch der UmwandlungsSpekulation Tür und Tor. Es droht eine Verdrängung sozial schwacher Mieter, die man eines Tages vielleicht in Erinnerung an das Bauernlegen des Mittelalters als „Mieterlegen" bezeichnen wird.
({14})
Diesen Prozeß fördern Sie noch durch eine Kürzung des Wohngeldes, von der etwa die Hälfte der wohngeldberechtigten Familien betroffen wird.
({15})
Wie mein Fraktionskollege Ernst Waltemathe hier erst am vergangenen Freitag noch einmal dargelegt hat, nehmen Sie Kürzungen des Wohngeldes bis zu 50% vor, wodurch die soziale Lage insbesondere von Schwerbeschädigten und von Kinderreichen drastisch verschlechtert wird.
({16})
Oberbürgermeister aus Ihren eigenen Reihen wie auch der Deutsche Städtetag haben Sie darauf hingewiesen, daß diese Wohn- und Mietenpolitik nicht nur zu einer weiteren massiven Belastung der Gemeinden im Bereich der Sozialhilfe führen muß, sondern die Gemeinden auch vor das Problem der Unterbringung einer wachsenden Zahl von Obdachlosen stellen wird. Aber auch diese Mahnungen aus Ihren eigenen Reihen scheinen Sie von Ihrer neokonservativen Gesellschaftspolitik nicht abbringen zu können.
Genauso schlimmm sind die Kürzungen der Bildungs- und Ausbildungsförderung, insbesondere des Schüler-BAföG. Lassen Sie mich dazu einmal drei konkrete Beispiele anführen.
Erstes Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern, 14 und 17 Jahre alt; die 17jährige Tochter besucht die 11. Klasse eines Gymnasiums; der Vater ist Facharbeiter, Alleinverdiener, Nettoeinkommen 1 750 DM. Die Familie erhält für die 17jährige Tochter heute 275 DM Schüler-BAföG. Ab Herbst 1983 - natürlich erst nach dem Wahltag; erst soll gewählt werden, dann soll rasiert werden ({17})
entfällt die Förderung.
({18})
- Herr Kollege Schwarz, denken Sie, bevor Sie hier viel zwischenrufen, einmal über die Zahlen nach: Damit entfallen 13,5 % der der Familie zur Verfügung stehenden Mittel.
Zweites Beispiel: Eine alleinerziehende Verkäuferin mit zwei Kindern und einem Nettoeinkommen von 1 400 DM hat bisher 550 DM für ihre Kinder in Klasse 12 eines Gymnasiums und Klasse 11 einer Fachoberschule erhalten.
({19})
Ab Herbst 1983 entfällt der Gesamtbetrag und damit mehr als ein Viertel des bisherigen Familieneinkommens.
({20})
- Ich wundere mich, daß Sie da noch Zwischenrufe machen. Sie sollten einmal darüber nachdenken, verehrte Kollegen, was Sie in diesem Lande eigentlich anrichten!
({21})
Ein drittes Beispiel. Eine Witwe mit einer Rente von 900 DM erhielt bisher 490 DM BAföG für einen Sohn in einer Berufsaufbauschule. Ab Herbst 1983 fällt diese Ausbildungshilfe fort, was eine Kürzung des Familieneinkommens um 35 % bedeutet.
Meine Damen und Herren, dieser Kahlschlag wird dazu führen, daß Kinder aus einkommensschwachen Familien überhaupt nicht mehr auf weiterführende Schulen und Berufsschulen gehen können.
({22})
Wenn die FDP das wirklich ernst genommen hätte, Kollege Hoppe, dann hätte sie dagegen gestimmt.
({23})
Daß diese Kinder nicht mehr auf weiterführende Schulen gehen können, wird dazu führen, daß sich die Klassen dieser Schulen leeren werden und daß Sie eine dramatische Verschärfung auf dem Ausbildungsmarkt kriegen, weil schon jetzt nicht genügend Plätze da sind. Sie wissen das alles und machen diese Politik doch.
({24})
Ich wende mich noch einmal an die Kollegin Geiger, die so besonders empört reagiert.
({25})
Frau Kollegin Geiger, bei der öffentlichen Anhörung haben alle angehörten Verbände Ihr skrupelloses Vorgehen abgelehnt, vom Bundeselternbeirat bis zum Beamtenbund, von den Jusos bis zur Schülerunion, von den Gewerkschaften bis zu den Jungdemokraten, vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung bis zur Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen. Alle haben Sie vor diesem Weg gewarnt. Aber Sie sind fest entschlossen, Ihren Weg in den Sozialdarwinismus weiterzugehen.
Gerade Ihre Rückkehr zum Dreiklassenschulrecht zeigt, daß Ihre Gesellschaftspolitik reaktionär ist.
({26})
Sie läuft - ich wiederhole es - auf eine Entsolidarisierung unserer Gesellschaft hinaus. Dieser gesellschaftspolitischen „Rolle rückwärts" hat der Kanzlerkandidat der SPD, Hans-Jochen Vogel, den Vorschlag eines Solidarpakts entgegengestellt, durch den sich alle Gruppen unseres Volkes verpflichten sollen, je nach ihrer Finanzkraft zur Überwindung der Krise beizutragen.
({27})
Denn, meine Herren, wir brauchen in der Tat eine große gemeinsame Anstrengung.
({28})
Aber wir brauchen eben nicht eine Anstrengung der einen auf Kosten der anderen, wie Sie das praktizieren.
({29})
Der Wähler muß nun entscheiden, welchen Weg unser Volk gehen soll.
({30})
Angesichts des Anschauungsunterrichts, den uns
die Übergangsregierung der Rechtskoalition gebo8590
ten hat, soll sich keiner im nachhinein darüber beschweren, er habe nicht gewußt, was die Unionsparteien mit uns vorhaben.
({31})
Lassen Sie mich zum Schluß auf die Frage kommen, warum Sie gegen allen Sachverstand und gegen den Rat so vieler Leute aus Ihren eigenen Reihen diese Politik eigentlich machen. Manchem von Ihnen wird dann vielleicht auch erklärt, warum er hier so heftig zwischenruft. Meiner Meinung nach erklärt sich Ihre Politik daraus, daß Sie die Wirklichkeit durch die Brille eines neokonservativen Gesellschaftsmodells sehen.
({32})
- Ich werde das jetzt vortragen. Sie werden gleich zustimmen, Herr Kollege.
Nach diesem Modell stecken wir angeblich dank der Machenschaften dunkler Mächte - der Linken, der Intellektuellen, wer auch immer - in einer geistig-moralischen Krise. Sie sei, so sagen die Neokonservativen und die deutschen Christdemokraten, gekennzeichnet durch mangelnden Leistungswillen, Anspruchsdenken und fehlenden Mut zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Das führe zu einer Überlastung des Systems der sozialen Sicherung; diese führe zu einer Finanz- und diese wiederum zu einer Wirtschaftskrise. Wolle man die Krise bekämpfen, müsse man also massive Einschnitte in die Sozialleistungen vornehmen. Das so eingesparte Geld aber müsse man den wirtschaftlich Starken geben, damit sie die Wirtschaft wieder ankurbeln können. - Ich wundere mich, Herr Kollege Schwarz, daß Sie nicht klatschen. Das ist doch die Philosophie, die Sie hier dauernd verkaufen. Im übrigen muß man das Ganze dann natürlich mit geistig-moralischen Erweckungspredigten über Leistungs-, Dienst- und Opferbereitschaft begleiten, damit die Einkommensschwachen bei dieser Operation auch stillhalten.
Herr Kollege Dregger, ich muß Ihnen ein Kompliment machen: Sie haben heute morgen die vollständigste Sammlung der einschlägigen Phrasen geboten, die ich bisher in diesem Hause gehört habe.
({33})
In Wirklichkeit verläuft der Ursachenzusammenhang aber doch gerade umgekehrt.
({34})
Wir befinden uns - aus Gründen, die hier schon oft analysiert worden sind - in einer erneuten Krise der Weltwirtschaft
({35})
mit Auswirkungen auf alle Länder in der Welt. Diese Wirtschaftskrise führt zu einer ebenfalls weltweiten Finanzkrise, und diese Finanzkrise führt zu einer Infragestellung unseres bisherigen Systems sozialer Sicherung und seiner Finanzierung. Damit wir uns da nicht auseinanderreden: Die
Notwendigkeit des Umbaus des Systems der sozialen Sicherung ist unbestritten.
({36})
Ich glaube, daß Bruno Kreisky einen guten Satz gesagt hat, als er die Richtung dieses Umbaus mit den Worten umschrieb: „Vom Wohlfahrtsstaat zur sozialen Demokratie".
({37})
Sehen Sie, unbestritten ist auch, da der Mensch nun einmal sündhaft ist - nach meinem christlichen Verständnis kann uns allerdings nur die Gnade darüber hinwegtrösten; wenn ich heute morgen recht gehört habe, Herr Kollege Dregger, tritt bei Ihnen der Schutz des Staates an die Stelle der Gnade -,
({38})
daß der Wohlfahrtsstaat nicht nur seine Schwächen und Fehler, sondern auch seine moralischen Versuchungen hat. Auch das ist unbestritten zwischen uns. Aber, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, der Wohlfahrtsstaat ist nun sicher nicht die Ursache dessen, was Sie als geistig-moralische Krise bezeichnen.
Lassen Sie mich dazu zunächst zitieren, was Jochen Vogel zu diesem Thema in seiner Rede in Kiel gesagt hat:
({39}) Maßhalten
- so sagte Jochen Vogel ({40})
beginnt nicht bei der Sozialhilfe, sondern bei den Vergütungen von Aufsichtsräten, die verschlafen, daß ihre Unternehmen aus dem Markt fallen.
({41})
- Meine Damen und Herren, ich verstehe, daß Sie das noch einmal von mir hören wollen. Ich sage es Ihnen noch einmal. Gerade als Mitglied einer DGB-Gewerkschaft bin ich über das, was bei der Neuen Heimat passiert ist, noch sehr viel empörter als Sie.
({42})
Auch dort wurden ja nicht die Aufsichtsratsvergütungen beschnitten.
({43})
- Ja, ich mache Ihnen gegenüber kein Hehl daraus. Ich finde, es ist traurig, wenn sich ein gewerkschaftliches Unternehmen so benimmt wie andere kapitalistische Unternehmen.
({44})
- Aber Sie wollen ja sicher noch Jochen Vogel weiter hören.
({45})
- Sie sind intolerant; Sie werden sich ja noch an ihn gewöhnen müssen.
({46}) Jochen Vogel sagte weiter:
Und die Bekämpfung von Mißbrauch beginnt nicht beim Arbeitslosengeld, sondern bei der Steuerhinterziehung und beim Subventionsschwindel.
({47})
Daß der sozial Schwächere von vornherein eher zum Mißbrauch neige als der Stärkere, ist eine durch nichts bewiesene Behauptung.
({48})
Mehr noch: Sie ist eine Beleidigung, hinter der kühl kalkuliertes Interesse steckt.
({49})
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das gilt a nicht nur für die Frage des Mißbrauchs: Die moralischen und kulturellen Unsicherheiten unserer Gesellschaft, die Sie als Verfallserscheinungen beklagen, wurzeln insgesamt viel tiefer. Sie entspringen der Zerstörung traditioneller Strukturen des Familien- und Arbeitslebens durch die arbeitsteilige Industriegesellschaft. Gerade unsere Art des Wirtschaftens ist eine Ursache für die Erscheinungen, die Sie in Form von Negativbildern aus dem Lesebuch der heilen Welt als moralische Krise beklagen.
Sie sind da wie alle Neokonservativen sehr inkonsequent. Sie wollen die materiellen Ergebnisse der arbeitsteiligen Konkurrenzgesellschaft, ja Sie bewundern sie geradezu. Ihre negativen kulturellen Folgen aber wollen Sie nicht dieser Konkurrenzgesellschaft selbst, sondern einem angeblichen Angriff auf sie zuschreiben. In Wirklichkeit war es doch gerade der Gewinnmechanismus der Konkurrenzgesellschaft, der den Egoismus, den Besitztrieb, die Hab- und Prunksucht, vor allem aber die Rücksichtslosigkeit gefördert hat, die den Gemeinsinn und die Solidarität der Menschen in der Industriegesellschaft zu untergraben drohen.
({50})
Jochen Vogel hat in diesem Zusammenhang sehr zu Recht Papst Johannes Paul II. zitiert.
({51})
- Es ehrt mich, daß Sie beim Papst offenbar die gleiche Begeisterung zu Zwischenrufen entwickeln wie bei mir. Ich darf ihn trotzdem zitieren.
({52})
Papst Johannes Paul II. hat gesagt:
Das notwendige wirtschaftliche Wachstum mit seinen ihm eigenen Gesetzmäßigkeiten muß in die Perspektive einer ganzheitlichen und solidarischen Entwicklung der einzelnen Menschen und Völker einbezogen werden.
({53})
Sonst wird der Teilbereich wirtschaftlichen Wachstums so übermächtig, daß er den gesamten Bereich des menschlichen Lebens seinen partiellen Erfordernissen unterordnet, dabei die Menschen erstickt, die Gesellschaft zersetzt und schließlich in den eigenen Spannungen und Exzessen steckenbleibt.
So weit Papst Johannes Paul II.
({54})
Sie aber, meine Damen und Herren von der Rechtskoalition,
({55})
drehen das Rad doch gerade zurück. Sie machen doch eine Politik gegen mehr soziale und wirtschaftliche Mitbestimmung. Sie machen doch eine Politik gegen mehr Solidarität in dieser Industriegesellschaft.
({56})
Vielleicht bringe ich Sie doch noch zu einem Hauch von Nachdenklichkeit, wenn ich Ihnen vorführe, wie Ihr schiefes Verhältnis zur Wirklichkeit sich in Widersprüchen zwischen dem niederschlägt, was Sie einerseits sagen, und dem, was Sie andererseits tun.
({57})
Sie sagen einerseits - und daran ist manches -, wir hätten zuviel Staat. Aber diese verbale Liberalität bezieht sich nur auf den wirtschaftlichen Bereich. Im Bereich etwa der Meinungs- und Versammlungsfreiheit treten Sie andererseits jeweils für mehr staatliche Regulierung ein.
({58})
Sie sagen einerseits, wir hätten zuviel Bürokratie. Andererseits haben Sie in den zwei Monaten Ihrer
Übergangsregierung einen traurigen Rekord an unsinniger Bürokratisierung aufgestellt,
({59})
in der Änderung des Verfahrens für Kriegsdienstverweigerer ebenso wie in der Ausgestaltung der sogenannten Zwangsanleihe, in der Neuregelung des Kindergelds ebenso wie in der Selbstbeteiligung an den Krankenhauskosten.
({60})
Sie sagen einerseits: Wir brauchen mehr Leistung. Aber Sie fördern andererseits die leistungslosen Einkommen aus Grundstücks- und UmwandlungsSpekulation.
({61})
Fängt man an, das Leistungsthema genauer zu diskutieren, so zeigt sich bald: Ihre Leistungsideologie ist nicht viel mehr als ein Instrument im Kampf gegen demokratische Gleichheit.
({62})
Was mich in der Sozialpolitik erstaunt, ist folgende Schizophrenie: Sie sprechen einerseits vom Anspruch der Familie aus Art. 6 Grundgesetz auf den Schutz des Staates. Andererseits kritisieren Sie das Anspruchsdenken - und bauen dementsprechend den Schutz der Familie ab: im Mietrecht, in der Bildungs- und Ausbildungsförderung, im Kindergeld wie im Wohngeld -, was Sie wiederum nicht daran hindert, den Frauen weiterhin ein Erziehungsgeld zu versprechen, obwohl Sie wissen, daß das Milliarden kosten würde und daß diese Milliarden nicht da sind.
Und, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, was sollen eigentlich die unserer Hilfe bedürftigen Kinder und Alten mit Ihrer Aufforderung zu mehr Leistung, mehr Selbständigkeit und mehr Eigenverantwortung anfangen?
({63})
Ist es denn nicht gerade auch nach dem Grundgesetz die Aufgabe der Gesellschaft, ihnen die Voraussetzungen für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit bzw. für soziale Sicherheit im Alter zu schaffen? Sind wir uns darüber etwa nicht mehr einig?
In Wahrheit ist es doch so - die Kollegen Dohnanyi und Mikat waren sich hier neulich darüber einig -: Die arbeitsteilige Konkurrenzgesellschaft mit ihrer Mobilität und Spezialisierung hat die Großfamilie unwiderruflich zerrissen. Mit ihrer Mobilität, mit ihrer Akkord- und Schichtarbeit, auch mit der Arbeit beider Elternteile gefährdet sie heute selbst die ,,Rest"-Familie. Und Sie fördern in Ihrem wirtschaftlich-politischen Handeln diesen Prozeß, um ihn dann in Ihren familienpolitischen Sonntagsreden lauthals zu beklagen.
({64})
Um nur ein Beispiel zu geben: Herr Bundeskanzler, Sie haben neulich in Ihrer Regierungserklärung von der Familie gesprochen, die wieder unter einem Dach wohnen können solle. Ihre gerade beschlossene Wohnungspolitik wird aber vielen Familien ihre Wohnung und damit ihr Zuhause nehmen.
({65})
Sie beklagen einerseits die Einsamkeit und die Beziehungslosigkeit vieler Menschen in unserer Gesellschaft, und Sie möchten sie andererseits mit Dutzenden von Kabelfernsehprogrammen überschütten. Meine Damen und Herren, praktisch gesehen ist es doch so: Ihnen ist die Aufhebung von sogenannten Investitions-Hemmnissen noch immer wichtiger als die Lebensqualität einzelner Menschen und Familien.
({66})
Ihre Politik steht nicht nur in diesem Punkt im direkten Gegensatz zu den Mahnungen und Anregungen der Kirchen. Ich muß dies leider sagen: Die Berufung auf die kirchliche Soziallehre dient den Unionsparteien heute leider im wesentlichen nur noch zur Bemäntelung einer strikt interessengebundenen Wirtschaftspolitik.
({67})
Wir Sozialdemokraten sind dagegen der Meinung, daß die Fortsetzung einer Wirtschaftspolitik, die die Krise nur verschärft, daß die Fortsetzung einer Sozialpolitik, die die Schutzbedürftigen gerade in der Stunde der Not schutzlos werden läßt, und die Fortsetzung einer Gesellschaftspolitik, die der Entwicklung zu mehr demokratischer Gleichheit den „Herrn-im-Hause"-Standpunkt entgegenstellt, für unser Volk ein politisches Unglück wäre.
({68})
Darum bitten wir die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes,
({69})
dieser Politik durch ihre Stimmabgabe am 6. März ein Ende zu setzen.
({70})
Wir sind der festen Überzeugung, daß es dem inneren Frieden dieses Landes dienen würde,
({71})
wenn diese Übergangsregierung eine bloße Episode bliebe.
({72})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ehmke hat ganz sicher zum
Kapitel 04 03 gesprochen. Ich weiß nicht, ob er weiß, was das ist.
({0})
- Er muß es ja nicht wissen, wahrlich nicht. Das wissen auch viele andere Kollegen nicht. Es ist das Kapitel Bundespresseamt. Die Rede stand ja wohl auch unter dem Motto „Popanz und Propaganda".
({1})
Meine Damen und Herren, wenn der Kollege Ehmke als Rechtsprofessor mit seiner Rede so in die Linkskurve geht, um von der „Rechtskoalition" sprechen zu können, wird er damit auch nicht mehr lange durch den TÜV kommen.
({2})
Es ist das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß der Bundestag vor seiner vorzeitigen Auflösung steht. Daß wir heute erneut über eine Entscheidung im Zusammenhang mit Art. 68 des Grundgesetzes debattieren, hat ebensowenig wie vor zehn Jahren etwas mit einer Bankrotterklärung einer Regierung oder mit Mißtrauen gegenüber dem amtierenden Bundeskanzler zu tun.
({3})
Im Gegenteil: Die Regierung Kohl/Genscher wird nach nur 77tägiger Bewährungsfrist eine außerordentlich erfolgreiche Bilanz vorlegen können.
({4})
Die Parteien, die jetzt in Bonn die Regierung bilden, hatten sich vorgenommen, einen konjunkturgerechten Haushalt und die dazu erforderlichen Begleitgesetze zu verabschieden. Ich nehme an, daß ich mit allseitiger Zustimmung feststellen kann: Die zusätzlichen Einsparungen von 5,6 Milliarden DM im konsumtiven Bereich wären mit der SPD nicht möglich gewesen; denn die Summe dieser Maßnahmen nennt die Opposition ja „Umverteilung von unten nach oben".
({5})
Aber gerade diese gewiß unpopulären Maßnahmen sind notwendige Schritte zur Gesundung der Staatsfinanzen.
({6})
Dabei kommt es nicht einmal so sehr auf die konkrete Zahl bei den Einsparungen oder bei der Nettokreditaufnahme an, sondern, wie Hans Barbier in der „Süddeutschen Zeitung" schon am 21. Mai dieses Jahres feststellte: „Für die Etatplanung '83 wird wirtschaftspolitische Zielsicherheit verlangt."
Diese Zielsicherheit, Konsequenz und Stringenz haben Regierung und Regierungsparteien in den letzten Wochen unter Beweis gestellt. Wir konnten dabei auf einer urliberalen Erkenntnis aufbauen, die jahrtausendelang den Ökonomen als Richtschnur diente. Allerdings dürfte sie schon im Jahre 55 vor Christus alles andere als populär gewesen sein. Damals formulierte Cicero:
Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden.
({7})
Die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen verringert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben ein Mammutprogramm hinter uns gebracht, das oftmals hart an die Belastungsgrenze der Solidität parlamentarischer Beratungsabläufe ging. Nur die äußerst kollegiale Rücksichtnahme in und zwischen den in der parlamentarischen Arbeit tangierten Entscheidungsgremien ermöglichte überhaupt eine fristgerechte Vorlage des Haushalts. Dennoch, die Bilanz kann sich sehen lassen.
Unterstützung kommt ja jetzt auch von außen. Nach den erfreulichen Beschlüssen der Bundesbank sinken jetzt endlich auch bei den Geschäftsbanken die Zinsen, und die Bauwirtschaft, ein besonders sensibler Indikator, verspürt Aufwind. Und doch wird die wirtschaftliche Entwicklung von sich noch weiter verschärfenden Problemen am Arbeitsmarkt geprägt sein; denn von einer raschen Änderung der konjunkturellen Misere kann im Moment wahrlich niemand sprechen. Wir stehen vor einem Problemberg, der uns noch viel Mühe, Schweiß und Entbehrung abnötigt.
Schnelle und vernünftige Beschlüsse der neuen Koalition hat es jedoch auch auf anderen Gebieten als auf dem Gebiet der Haushaltspolitik gegeben. Wir haben mit der Technischen Anleitung Luft niedrigere Grenzwerte für die Luftbelastung eingeführt, wie das von meinen Parteifreunden auf dem Berliner Parteitag gefordert worden ist.
({9})
Ich glaube, hier ist im Umweltschutz in der Tat ein Meilenstein gesetzt worden.
({10})
- Verehrter Herr Kollege Matthöfer, ich leugne ja nicht, daß diese Forderung im alten Kabinett aufgestellt wurde. Wie mühsam war es in der Vergangenheit, vom Aufstellen der Forderung zur Durchsetzung in der Praxis zu kommen.
({11})
Auch die zweite Forderung unseres Berliner Parteitags, neue Regelungen für die Kriegsdienstverweigerung zu verabschieden, wird erfüllt.
({12})
übermorgen werden wir die Gewissensprüfung für Zivildienstaspiranten abschaffen.
({13})
Auch für unsere dritte Forderung, Revidierung des Kontaktsperregesetzes, liegt nun ein gemeinsamer Lösungsvorschlag auf dem Tisch.
({14})
In der Außenpolitik wurden Kontinuität und Stabilität gewahrt. Die Welt, auch die Welt in der Bundesrepublik, die Welt hier und um uns herum, verehrter Herr Kollege Hauff, ist leider gar nicht in Ordnung. Da ist mit großer Anstrengung und viel Mühe noch vieles in Ordnung zu bringen.
({15})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien arbeiten weiter an der Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik. Ich freue mich, daß uns das der SPD-Kanzlerkandidat Jochen Vogel ausdrücklich bestätigt hat. Wir knüpfen in der Tat nahtlos an die erfolgreiche Deutschland-und Außenpolitik der Regierungen Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher an.
({16})
Es gibt keine Kurskorrektur.
In wenigen Tagen übernimmt Außenminister Genscher die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Er wird sie nutzen, um weiter für den politischen Ausbau der Europäischen Gemeinschaft zu kämpfen. Dabei wird auch in Zukunft die enge Zusammenarbeit mit Frankreich auf der Grundlage des deutsch-französischen Vertrages im Vordergrund stehen. Der Besuch des Bundeskanzlers noch am Tag seiner Vereidigung in Paris war hierfür ein sichtbares Symbol.
In der Sicherheits- und Abrüstungspolitik zeigt die Bundesregierung ein wesentlich geschlosseneres Konzept als die jetzige Opposition, die offensichtlich dabei ist, sich mit Lockerungsübungen - hier nehme ich dann ein Stichwort auf, das Horst Ehmke in seiner Rede an anderer Stelle für andere politische Formationen gebraucht hat - langsam von den früheren gemeinsamen Beschlüssen zu entfernen.
({17})
Jedermann weiß: trotz der positiven Zwischenbilanz stehen die Liberalen in einer existentiellen Bewährungsprobe.
({18})
Durch den von ihnen bewirkten Regierungswechsel wiederholt sich das, was wir bereits 1969 leidvoll erfahren mußten: Die geballte Wut des früheren Koalitionspartners und der ihm nahestehenden Medien trifft uns. Darüber hinaus haben 13 Jahre sozialliberaler Koalition in Bonn auch das politische
Bewußtsein und die Sympathien vieler Mitglieder meiner Partei tief geprägt.
({19})
Wenn ich es richtig sehe, haben nicht einmal 10 % der Kollegen während ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag etwas anderers erlebt als die sozialliberale Regierung.
({20})
Wir haben mit den Sozialdemokraten lange Zeit vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet. Es war eine bewegende und bewegte Zeit, eine Zeit der Kreativität, des Aufbruchs, der Neubesinnung und der mitreißenden Reformen.
({21})
Ich erinnere nur an die Entspannungspolitik, an die Verträge mit dem Osten, an Verbesserungen der Betriebsverfassung und der Mitbestimmung, an die Strafrechtsreform, an Wahlalter, Reform des § 218, Ehe- und Familienrecht. Aber, meine Freunde, eine Partei wie die SPD stößt immer schnell an die Grenzen ihres Selbstverständnisses, wenn ihr für diese Politik der Reformen die wirtschaftliche Prosperität fehlt. Wieviel Warnungen wurden von uns ausgesprochen! Sie fielen nicht auf fruchtbaren Boden. Die Epoche des begrenzten Wirtschaftswachstums hatte begonnen. Doch die Forderung nach Konsumverzicht und Dämpfung der Dynamik staatlicher Leistungen paßte nicht zum Charme der sozialdemokratischen Kreativität.
({22})
Historiker werden den Liberalen des Jahres 1982 vielleicht einmal den Vorwurf machen, sich nicht schon eher einen Koalitionspartner für die Politik der wirtschaftlichen Vernunft gesucht zu haben.
({23}) Aber diese Frage kann jetzt unerörtert bleiben.
({24})
Den Zerfall der sozialliberalen Koalition in dem Abschnitt vom 16. September 1981 bis zum 17. September 1982
({25})
habe ich in meiner Haushaltsrede am 11. November hier dokumentiert. Ich nehme darauf Bezug und will das heute nicht wiederholen. Aber dabei wäre auch durchaus ein anderer Zeitabschnitt für die Darstellung des Zerrüttungsprozesses denkbar gewesen. Man muß dazu in die Phase der Koalitionsverhandlungen über das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 1980 zurückkehren. Damals fühlte sich die SPD schlecht vertreten und von den gut vorbereiteten Liberalen übervorteilt. Von diesem Augenblick an nahm in der SPD die Lust an der Zusammenarbeit rapide ab. So kam es denn gar
nicht mehr zu der Nagelprobe für die Koalition beim Haushalt 1983.
({26})
Mit einem brillanten Schachzug entzog sich der Kanzler der Beweisführung und warf uns die Haushaltsbrocken vor die Füße.
({27})
Bei den dann erforderlichen Entscheidungen standen wir Freien Demokraten im Spannungsverhältnis zwischen unserer Verantwortung,
({28})
den Nutzen des Deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden,
({29})
und unserer Verpflichtung gegenüber dem Parteitagsvotum, mit dem wir uns 1980 auf eine Koalition mit der SPD festgelegt hatten.
Wir haben uns angesichts des Zustandes der Staatsfinanzen und der Arbeitslosenzahlen für den Versuch entschieden, mit einem Notprogramm für Haushalt und Beschäftigung einen Dammbruch zu verhindern.
({30})
Die Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme duldete keinen Aufschub. Mehr als 10 Milliarden DM an zusätzlichen Haushaltsdefiziten hätten nicht rechtzeitig abgewendet werden können. Unsere Wirtschaft brauchte neue Zuversicht, Vertrauen und finanzpolitische Sicherheit.
Die Regierung Kohl/Genscher erhielt von uns einen begrenzten Auftrag, den sie in begrenzter Zeit zu erfüllen hatte. Dieser Auftrag ist übermorgen mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes und der Begleitgesetze erfüllt.
({31})
Es ist für viele nicht leicht zu verstehen, warum einer Regierung, die erfolgreich zehn Wochen lang zusammengearbeitet hat, danach nicht mehr das Vertrauen des Hauses ausgesprochen wird. Wenn sich die FDP-Fraktion am Freitag bei der Vertrauensabstimmung der Stimme enthält, spiegelt das aber unsere Vereinbarung zum Regierungswechsel wider. Sie war zeitlich und inhaltlich begrenzt. Der für das verabredete Regierungsprogramm ausgestellte Vertrauensbonus ist aufgebraucht. Es ist also konsequent, jetzt vor den Wähler zu treten.
Dabei wissen wir Freien Demokraten sehr wohl - das sage ich nun auch an die Kollegen der SPD gerichtet; es mag dort Lustgewinn schaffen oder auch Mitleid mobilisieren -: Es geht für die Liberalen um nicht mehr und nicht weniger als ihre parlamentarische Existenz.
({32})
In Anlehnung an Karl-Hermann Flach sage ich: Kein Mensch kann uns den Erfolg garantieren. Doch für eins garantieren wir: Die Historiker werden niemals schreiben können, die Liberalen waren feige, sie haben nicht gekämpft.
({33})
Meine Damen und Herren, unser Ziel steht fest: Sicherung und Ausbau liberaler Positionen auf allen Ebenen. Darüber wird mit der CDU/CSU noch zu ringen sein. Viele Fragen harren noch der Erörterung und der Kompromißfindung. „Die Bereiche der inneren Sicherheit, der Rechtspolitik, der Familienpolitik, der Gesellschaftspolitik und auch der Entspannungspolitik liefern hier wichtige Stichworte." An dieser Stelle habe ich mir nun erlaubt, den „Bayern-Kurier" zu zitieren.
Die FDP wird peinlich darauf achten, daß der liberale Rechtsstaat nicht abgebaut, sondern ausgebaut wird.
({34})
Wir werden keiner Einschränkung der Freiheitsrechte des einzelnen oder politischer Gruppierungen zustimmen. Wir wollen sie erweitern, wo immer das möglich und notwendig ist. Wir wollen die stärkere Betonung der Selbstverantwortung des einzelnen. Wir wollen dem Prinzip der Subsidiarität entsprechend der Hilfe zur Selbsthilfe wieder mehr Geltung verschaffen. Das, so glaube ich, ist in der Zusammenarbeit mit der CDU/CSU ebenso erreichbar wie die Verbesserung wirtschaftlicher Rahmendaten und die weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen.
({35})
Nur wenn es uns gelingt, die Beschäftigungskrise zu überwinden, die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und das soziale System in seiner Substanz zu erhalten, werden wir unsere wirtschaftliche Leistungskraft sichern und fortentwikkeln.
Für Liberale ist die freie und Soziale Marktwirtschaft am besten geeignet, die ökonomischen Bedürfnisse der Gesellschaft auf zugleich freiheitliche und humane Weise zu befriedigen. In ihr kommt der mittelständischen Wirtschaft ein besonders hoher Rang zu.
({36})
Die Soziale Marktwirtschaft steht jetzt in einer Bewährungsprobe. Sie muß ihre Überlegenheit auch beim Kampf um die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung beweisen.
({37})
Der Staat aber muß dazu beitragen, indem er eine verläßliche und stetige Wirtschaftspolitik betreibt, die Rahmenbedingungen für Investitionen verbessert und gerade für mittelständische Unternehmen gezielte Anreize für Investitionen und Innovationen setzt.
Wir Freien Demokraten wollen durch eine nüchterne, praktische und mutige Politik wieder Zukunftsperspektiven deutlich machen. Für uns steht
deshalb auch fest: Wenn es gelingen soll, den Anteil der Investitionen zu Lasten des Konsums zu vergrößern, so bedarf dies, auch und gerade des sozialen Konsenses wegen, der Ergänzung durch eine gezielte Vermögensbildungspolitik.
({38})
Die Arbeitnehmer müssen verstärkt am Produktivvermögen beteiligt werden. Durch Beteiligung einer wachsenden Zahl von Menschen am Zuwachs des Produktivkapitals wird einer Vermögenskonzentration vorgebeugt.
({39})
Wir fordern deshalb eine aktive Vermögenspolitik mit dem Ziel, die Beteiligungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer am Risikokapital ihres Unternehmens zu verbessern.
({40})
Meine Damen und Herren, ich meine, nur durch liberale Perspektiven kann und wird es gelingen, die pessimistischen Zukunftseinschätzungen zu überwinden und die Dynamik einer offenen Gesellschaft freizusetzen, die für die Lösung unserer Zukunftsaufgaben notwendig, ja, unerläßlich, ist.
Die Freien Demokraten bitten am 6. März um das Vertrauen der Wähler.
({41})
Sie werden alle Kraft darauf konzentrieren, ein Votum des Wählers für die Fortsetzung ihrer politischparlamentarischen Arbeit zu erlangen. Und dieses Votum bestimmt dann die Stärke der Fraktion und ihren parlamentarischen Einfluß.
Meine Damen und Herren, die FDP ist entschlossen, auch in Zukunft mit ihrer Politik der liberalen Vernunft gegen die drohende Konfrontation und Erstarrung des politischen Lebens zwischen einem sozialistischen und einem konservativen Machtblock anzukämpfen. Für diese faszinierende, im Augenblick schier unlösbar erscheinende Aufgabe möchte ich meiner Fraktion und meiner Partei ein Wort zur seelischen Aufrüstung mit auf den Weg geben,
({42})
mit dem ein liberaler Weggefährte mir zu meinem Geburtstag Mut gemacht hat:
Herr, laß mich hungern, dann und wann! - Satt sein macht stumpf und träge.
Herr, schick mir Feinde, Mann für Mann! - Kampf hält die Kräfte rege.
({43})
Bevor ich das Wort weitergebe, muß ich folgendes sagen: Ich ersehe aus der vorgelegten Niederschrift des Stenographischen Dienstes, daß der Ausdruck „Dreckschleuder", bezogen auf ein Mitglied des Hauses, gefallen ist. Herr
Abgeordneter Hauser, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war wie viele Mitglieder des Hauses natürlich gespannt, wie der Sprecher der Opposition, Herr Professor Ehmke, nach den Ankündigungen der letzten Wochen hier die politische Position seiner Partei darlegen würde. Herr Professor Ehmke, ich brauche nicht viel zu dem zu sagen, was Sie hier dargelegt haben. Schimpfen und Beleidigen politisch Andersdenkender, das ist keine politische Alternative.
({0})
Wenn Sie einmal mit Ruhe den Text der Rede nachlesen, die Sie heute hier gehalten haben und wenn das auch die große Mehrheit Ihrer eigenen Fraktion tut, habe ich nicht den geringsten Zweifel daran, daß Sie wissen, daß dies nicht der Weg der deutschen Sozialdemokratie in Opposition sein kann.
({1})
- Herr Kollege Ehmke, Herr Professor Ehmke, Ihr Rat, das Problem der Neuwahlen über den Rücktritt des Kanzlers zu lösen, hätte mich erfreut, wenn Sie ihn im September Bundeskanzler Helmut Schmidt gegeben hätten.
({2})
Herr Abgeordneter Ehmke, dieser einzige Hinweis ist eigentlich für Ihre ganzen Ausführungen symptomatisch. Sie versuchen, Ihre eigene Tätigkeit in der Vergangenheit, Ihre Mitverantwortung an dem, was heute Erblast genannt wird, in der Weise zu vertuschen, daß Sie wild um sich schlagen. Ich kann mir nur wünschen, Herr Abgeordneter Ehmke, daß Sie bis zum 6. März noch viele solcher Reden halten werden.
({3})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In meiner Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 habe ich das Programm der von FDP, CSU und CDU getragenen Bundesregierung vorgestellt, und ich habe unsere Absicht bekräftigt, möglichst am 6. März 1983 vor den Wähler zu treten. Es gab in diesen Wochen nie einen Zweifel daran, daß die Koalition von FDP, CSU und CDU diesen Wunsch und dieses Versprechen einhalten wird. Herr Kollege Ehmke, es wäre sehr interessant nachzuforschen, was in Ihren Reihen in diesen Wochen alles diskutiert und erwogen wurde, um um die Neuwahlen herumzukommen.
({4})
Wir haben an dieser Absicht immer festgehalten, weil wir unser dem Wähler gegebenes Wort einhalten.
Deshalb habe ich den Antrag gemäß Art. 68 des Grundgesetzes gestellt. Nach zahlreichen Gesprächen, nach reiflicher Überlegung habe ich die Überzeugung gewonnen, daß dieser Weg der angemessene Weg ist, um unsere Absicht zu verwirklichen.
({5})
Der Deutsche Bundestag will am 17. Dezember 1982, am Freitag dieser Woche, über meinen Antrag abstimmen. Ich will diese Frage deshalb heute nicht näher in die Debatte einführen. Es entspricht der verfassungspolitischen Bedeutung eines Antrags gemäß Art. 68 des Grundgesetzes, daß sich der Deutsche Bundestag damit gesondert befaßt. Meine Haltung zu diesem Antrag werde ich deshalb vor der Abstimmung am kommenden Freitag näher darlegen.
({6})
Meine Damen und Herren, wenden wir uns heute dem Haushalt zu. Wir stehen heute vor Entscheidungen, die für die Zukunft unseres Landes und aller seiner Bürger von außergewöhnlicher Bedeutung sind. Heute geht es - jeder spürt dies - nicht allein um die alljährlich wiederkehrende Beratung und Verabschiedung eines Haushalts. Es geht darum, unser Land aus der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland herauszuführen.
({7})
Zerrüttete Staatsfinanzen, Firmenzusammenbrüche, steigende Massenarbeitslosigkeit und deren harte Folgen für Millionen unserer Mitbürger dürfen und wollen wir nicht hinnehmen. Es muß ein neuer Anfang gemacht werden; wir waren und sind aus unserer Verantwortung zum schnellen Handeln verpflichtet.
Unsere vorrangige Aufgabe ist es, die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Unser Ziel ist es, den Staat wieder zu befähigen, seine Aufgaben zum Nutzen aller Bürger wahrzunehmen, ohne die heranwachsende Generation unserer Kinder mit einem riesigen Schuldenberg vorzubelasten.
Alle öffentlichen Haushalte einschließlich Bahn und Post, meine Damen und Herren, sind gegenwärtig zusammen mit rund 700 Milliarden DM Schulden belastet. Tag für Tag, jeden Tag, muß die öffentliche Hand zusätzlich über 200 Millionen DM Schulden neu aufnehmen. Unerträglich ist das für uns - wie ich hoffe, für uns alle.
({8})
- Nun, Herr Kollege, Sie haben doch entscheidend dazu beigetragen.
({9})
Herr Kollege Matthöfer, daß Sie in dieser Debatte überhaupt das Wort nehmen, ist schon erstaunlich, denn Sie sind doch einer der Hauptverantwortlichen.
({10})
Es ist schon bemerkenswert und gehört zu einer alten sozialistischen Tradition, wie Sie innerhalb eines Vierteljahres versuchen, die Tatsache zu verdrehen. Aber Sie werden keine Chance haben. Die Wähler werden zum 6. März erkennen, wer die Verantwortung für das Desaster trägt.
({11})
Unerträglich ist es, daß es heute über 2 Millionen Menschen gibt, die ohne Arbeit sind. Wir befürchten, daß diese Zahl noch weiter zunimmt. Darunter sind viele junge Leute. Daß viele Menschen ohne Arbeit sind, muß für uns alle das größte und bedrückendste Problem bleiben.
({12})
Meine Damen und Herren, unser Land ist in diese verhängnisvolle Situation gekommen, weil der Staat überfordert und damit seine finanzielle Grundlage erschüttert wurde, weil soziale Gerechtigkeit mit staatlicher Betreuung und Bevormundung verwechselt wurde und weil die Belastbarkeit der Wirtschaft nicht zuletzt von Ihnen, meine Damen und Herren aus der Sozialdemokratie, im Übermaß erprobt wurde.
({13})
Die Eigenkapitalbasis der Betriebe ist ausgehöhlt worden, die Investitionstätigkeit zurückgegangen. Noch nie hat es in der Geschichte unserer Bundesrepublik so viele Firmenzusammenbrüche, vor allem im mittelständischen Bereich, gegeben wie in diesem Jahr. Auch dadurch ging eine große Zahl von Arbeitsplätzen verloren.
Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt und heute die Folgen einer gescheiterten Politik bewältigen, einer Politik, die mit vielen Versprechungen begann und die mit über 2 Millionen Arbeitslosen und drückenden Schulden- und Zinslasten endete. Aus dieser Sackgasse müssen wir wieder heraus. Nur die Umkehr zu wirtschaftlicher Vernunft und Stabilität, zu einem geordneten Haushalt und zu einer Sozialpolitik mit Augenmaß kann bewirken, daß auf die wirtschaftliche Talfahrt kein sozialer Absturz folgt.
Wir wissen, meine Damen und Herren, und wir haben nie etwas anderes gesagt: Keine Politik ist in der Lage, die Folgen der langjährigen Fehlentwicklung kurzfristig zu tilgen. Wir dürfen die Ursachen für unsere Probleme - und das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie, Herr Professor Ehmke, hier wieder behauptet haben - nicht vor allem im Ausland suchen. Wir dürfen nicht darauf warten, daß andere handeln. Dies war im übrigen auch die Auffassung der Regierungs- und Staatschefs auf der Sitzung des Europäischen Rates Anfang Dezember in Kopenhagen. Dort waren sich alle darüber einig, daß man bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, daß man bei der Bekämpfung und schließlich bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit nur dann erfolgreich sein wird, wenn jeder zu Hause anfängt, selbst Hand anlegt und nicht auf andere wartet.
({14})
Das Dringlichkeitsprogramm der Bundesregierung umfaßt nicht nur die den Haushalt 1983 begleitenden Maßnahmen, sondern auch die Stärkung der internationalen Verbindungen der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Probleme so bewältigen, daß uns die Probleme anderer Länder so wenig wie möglich in Mitleidenschaft ziehen. Die Bundesrepublik als eines der führenden Industrieländer der Welt muß bei der Stabilisierung der Weltwirtschaft ihren eigenen Beitrag leisten, und unsere vordringlichste Aufgabe ist es, Arbeit zu schaffen. Deshalb müssen wir die Wirtschaft beleben, deshalb setzen wir auch Wachstum, und deshalb wollen und müssen wir im internationalen Wettbewerb bestehen.
Der Schlüssel zu all dem sind die Investitionen. Die Unternehmer werden aber nur dann wieder investieren, wenn sie Vertrauen in die Zukunft gewinnen, wenn sich Investieren wieder lohnt. Dazu, meine Damen und Herren, ist es notwendig, daß wir die Verschuldung der öffentlichen Hand, die Staatsverschuldung, in den Griff bekommen. In der gegenwärtigen Lage ist es leider unvermeidlich, den konjunkturell bedingten Teil des Haushaltsdefizits durch Kreditaufnahmen auszugleichen; denn die Nachfrage darf sich nicht weiter abschwächen, und weitere Wachstumsverluste dürfen nicht entstehen.
Die Bundesregierung hat - im Gegensatz zur früheren Regierung - den Haushalt auf der Grundlage realistischer gesamtwirtschaftlicher Daten aufgestellt.
({15})
Wir haben den Bürgern endlich gesagt, wie es um die öffentlichen Finanzen steht, und wir haben die Wahrheit vor der Wahl im März gesagt.
({16})
Bei der Übernahme der Regierung haben wir eine Haushaltslücke von rund 50 Milliarden DM für 1983 vorgefunden. Die Bundesregierung hat mit ihren Maßnahmen die Neuverschuldung auf rund 41 Milliarden verringert.
({17})
Bei einer Nettokreditaufnahme in dieser Höhe ist doch, meine Damen und Herren aus der Opposition, der Vorwurf des „Kaputtsparens" einfach lächerlich!
({18})
Den strukturellen Teil des Defizits, also den Teil, der auch bei einem Konjunkturaufschwung nicht abschmelzen würde, haben wir kräftig zurückgeführt und haben damit ein deutliches Signal für die Haushaltskonsolidierung gesetzt.
Meine Damen und Herren, die Zinsentwicklung der letzten Wochen und Tage zeigt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden politischen Parteien mit ihrem Kurs richtig liegen.
({19})
Wir haben damit begonnen, die Rahmenbedingungen für selbstverantwortliches Wirtschaften zu verbessern. Wir haben damit begonnen, die Rahmenbedingungen für den unternehmenden Mitbürger wieder kalkulierbar zu machen.
Das alles geht nicht ohne Anpassung der Staatsausgaben an die verminderte Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft. Dem Staat und uns allen als Bürgern unseres Staates kann es eben nur so gut gehen, wie es unserer Volkswirtschaft geht. Wer diese Kurskorrekturen bekämpft, verlängert die Wirtschaftskrise und verlängert die Phase, in der Arbeitslosigkeit herrscht. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Politik der Vernunft von der großen Mehrheit unserer Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland verstanden und unterstützt wird.
({20})
Ich weiß, daß die Opfer, die wir abverlangen müssen, natürlicherweise Diskussionen und auch Ärger verursachen. Ich weiß, daß die notwendigen Einschränkungen beim BAföG, beim Wohngeld und auch beim Kindergeld für manchen nicht leicht sind, aber wir müssen sie angesichts dieser Lage unseren Bürgern zumuten.
({21})
Ich möchte ein Beispiel hierfür herausgreifen: die Umstellung des Studenten-BAföG auf Darlehen. Das Darlehen ist zinslos. Die Rückzahlungsbedingungen sind sozial ausgestaltet, und sie sind einkommensabhängig. Möglichkeiten zu einer erheblichen Minderung der Darlehensbelastung sind geschaffen. Sie werden vor allem jenen Studenten zugutekommen, die ihr Studium zügig und erfolgreich abschließen. Damit, meine Damen und Herren, ist Vorsorge getroffen, daß kein Jugendlicher aus wirtschaftlichen Erwägungen auf ein Studium verzichten muß. Meine Damen und Herren, ich würde es für sehr nützlich halten, wenn Sie hier in die Gesamtdiskussion um das BAföG einmal Vergleiche mit anderen Ländern in der Welt, auch in Europa - die stellen Sie doch immer gern an -, in die Debatte einbeziehen würden.
({22})
Ich halte es für ein wesentliches Ergebnis, daß wir trotz des großen Finanzdrucks einen Kahlschlag in der Schülerförderung vermeiden konnten.
({23})
Eine Härteregelung stellt sicher, daß alle zur Zeit geförderten Schüler aus Familien mit niedrigem Einkommen bis zu ihrem Schulabschluß weiter gefördert werden können. Die Bundesregierung hat alles getan, um die Belastungen erträglicher zu machen und sie möglichst ausgewogen auf alle Gruppen der Gesellschaft zu verteilen. Dies ist für uns selbstverständlich ein Gebot der Solidarität.
({24})
Deshalb, Herr Kollege Ehmke, wurden im Gegensatz zu Ihren Behauptungen einige Maßnahmen auf die Bezieher höherer Einkommen beschränkt, wie z. B. die Neuregelung des Kindergeldes und die Investitionshilfeabgabe. Dabei soll nicht übersehen werden - Herr Kollege Ehmke, das wissen doch
auch Sie -, daß diese Gruppe ohnedies durch die Progression der Einkommensteuertarife von Jahr zu Jahr stärker in Anspruch genommen wird. Wer hier von Klassenkampf von oben oder gar von Ellenbogengesellschaft spricht, betreibt bewußt Irreführung.
({25})
Meine Damen und Herren, es ist alte sozialistische Politik, mit Neid und Mißgunst Politik betreiben zu wollen.
({26})
Gehen Sie bitte davon aus,
({27})
daß wir in den nächsten Wochen unsere Bürger aufklären werden.
({28})
Wir werden unsere Mitbürger aufklären, wer durch seine Politik gegenüber dem kleinen Mann in der Bundesrepublik Ellenbogengesellschaft erzeugt hat.
({29})
Ein besonders wichtiger Punkt zur Wiederbelebung der Wirtschaft ist die Förderung des Wohnungsbaus. Dies ist ein besonderer Schwerpunkt unseres Dringlichkeitsprogramms. Wir wollen bessere Möglichkeiten zur steuerlichen Absetzung beim Bau von Eigenheimen, ein Sonderprogramm zur Bauspar-Zwischenfinanzierung, ein Sonderprogramm zur Belebung des Sozialen Wohnungsbaus und Änderungen des Mietrechts. Der Wohnungsbau ist ein Schlüssel der Wirtschaft.
({30})
Die Förderung kann hier schnell wirksam werden, kräftige Impulse für die Wirtschaft auslösen und neue Arbeitsplätze schaffen.
({31})
Meine Damen und Herren, die Anzeichen und die Reaktionen auf unser Programm sind ermutigend.
({32})
Meine Damen und Herren, Sie können hier noch so viel lärmen und versuchen zu stören - Sie werden uns nicht daran hindern, unseren Mitbürgern klarzumachen, wohin der richtige Weg deutscher Politik geht.
({33})
Nehmen Sie jetzt zur Kenntnis - das sage ich nun als Vorsitzender der CDU Deutschlands -: Wenn der Wahlkampfstil, den Sie praktizieren, der Stil des Kollegen Ehmke ist, werden Sie erleben, daß Sie von uns in gleicher Weise angegangen werden, wie Sie dies seit Wochen praktizieren.
({34})
Wir suchen diese Form und diesen Stil der Auseinandersetzung nicht, aber wenn Sie ihn erzwingen, dann werden Sie diese Auseinanderstzung bekommen.
({35})
Meine Damen und Herren, um die Investitionen zu stärken und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, brauchen wir eine Steuerpolitik, die Investitionen und Leistung fördert.
({36})
Deshalb entlastet unser Dringlichkeitsprogramm in einem ersten Schritt kleine und mittlere Betriebe steuerlich und bietet weitere Hilfen für den Mittelstand an.
({37})
Wir schaffen einen steuerlichen Anreiz für die Übernahme gefährdeter Unternehmen, um Produktionsstätten und Arbeitsplätze zu erhalten. Wir verbessern die Bedingungen für die Gründung selbständiger Existenzen, stocken die Mittel auf und schaffen damit neue Arbeitsplätze.
Wir richten die Belastung der Wirtschaft mit der Gewerbesteuer künftig stärker als bisher an der Ertragskraft der Betriebe aus. Die Einnahmeausfälle, die dadurch den Gemeinden entstehen, werden wir durch eine Senkung der Gewerbesteuerumlage ausgleichen.
Meine Damen und Herren, wir machen den Weg frei für die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien. Die ersten Schritte sind erfolgt. Durch den Ausbau eines modernen Kommunikationsnetzes werden kräftige Anstöße für Investitionen gegeben. So schaffen wir Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland.
({38})
Die Investitionsausgaben der Bundespost werden im kommenden Jahr insgesamt die Rekordsumme von 14,9 Milliarden DM erreichen. Neue Kommunikationsdienste erhöhen die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
({39})
Dieser Weg dient der Meinungsvielfalt in unserem Land.
({40})
Die Bundesregierung wird die öffentlichen Investitionen verstärken. 1983 werden wir für die Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau, regionale Wirtschaftsförderung, Agrarstruktur, Küstenschutz, Stadterneuerung und Krankenhausbau 500 Millionen DM zusätzlich einsetzen. Ich will in diesem Zusammenhang besonders darauf hinweisen, daß diese Mittel für den Hochschulausbau auch Mög8600
lichkeiten für die Schaffung zusätzlicher Studienplätze eröffnen.
Diese Politik - dessen bin ich sicher - wird mehr Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung bewirken.
({41})
Das wird sich für alle, auch und gerade für die Bezieher von Sozialleistungen auszahlen, denn die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Wachstums- und Investitionsförderung zielt auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation aller Bürger ab. Wer die Wirtschaft bevormundet, handelt unsozial. Wer nicht Vorhandenes verteilen will, wer von Klassenkampf statt von Partnerschaft redet, vernichtet Arbeitsplätze.
({42})
Wir, meine Damen und Herren, die Koalition der Mitte aus CDU/CSU und FDP, setzen auf Gemeinsamkeit und Partnerschaft. Ich bekomme täglich viele Briefe von Mitbürgern, die sich Gedanken machen, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande verbessert werden können. Ich bekomme auch viele Briefe von jungen Mitbürgern, die nicht nur Kritik üben und unsere Staatsordnung verneinen, sondern mitarbeiten wollen. Das ist eine wichtige Ermutigung auf unserem Weg.
({43})
Wir haben in diesen wenigen Wochen in einem sehr wichtigen Bereich versucht, mehr Gerechtigkeit zu verwirklichen.
({44})
Seit sieben Jahren wurde der jungen Männergeneration unseres Landes eine Lösung der dringenden Probleme der Wehrdienstverweigerung versprochen; dieses Versprechen konnte nicht gehalten werden. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat in sieben Wochen einen ausgewogenen und tragfähigen Kompromiß erreicht.
({45})
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie auch dieses Ergebnis draußen anzweifeln.
({46})
Wir sind sicher, daß die große Mehrheit im Lande weiß: Dies ist ein eindrucksvoller Beweis für die Handlungsfähigkeit unserer Regierung.
({47})
Wir wollen eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht verwirklichen,
({48})
die den Staat aus seiner Verantwortung nicht entläßt, aber nicht alles Heil vom Staat erwartet.
Wir wollen, daß jeder frei von wirtschaftlicher Not und frei von Angst leben
({49})
und sich seinen Fähigkeiten gemäß bilden und entwickeln kann.
({50})
Wir wollen nicht, daß Mittel, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen, auf Bürger umverteilt werden, die selbst leistungsfähig sind.
({51})
Wir setzen in der Tat, Herr Kollege Ehmke, auf den Leistungswillen und die Leistungsbereitschaft des einzelnen in unserem Lande.
({52})
Und wir setzen auf die Dynamik der gesellschaftlichen Kräfte,
({53})
damit Wohlstand für alle möglich bleibt und den wirklich Bedürftigen besser geholfen werden kann.
({54})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Wochen hat es eine öffentliche Erörterung der finanziellen Lage der Rentenversicherung gegeben. Ich habe viel Verständnis dafür, daß die Verantwortlichen der Selbstverwaltung Alarm schlagen, wenn in den Kassen der Rentenversicherung Probleme drohen. Aber ich will mit aller Deutlichkeit für die von mir geführte Bundesregierung sagen: Der Rentner kann sich darauf verlassen, daß seine Rente sicher ist und pünktlich ausgezahlt wird.
({55})
Ich habe eigentlich erwartet, daß Sie sich jetzt dazu zu Wort melden, meine Damen und Herren von der SPD. Denn zum Thema „Renten vor Wahlen" sind Sie doch Spezialisten in den letzten Jahren gewesen.
({56})
Deshalb haben wir in unserem Dringlichkeitsprogramm dafür gesorgt, daß es nicht zu Zahlungsschwierigkeiten kommen wird. Ab 1. Juli 1983 erhalten die Rentner ihre Rentenerhöhung.
Aber es liegen in der Rentenversicherung noch eine Menge Probleme vor uns. Ich erinnere an die notwendige Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung. Ich erinnere an die notwendige Anpassung der Rentenversicherung an die demographischen und ökonomischen Bedingungen, die sich seit der Rentenreform von 1957, wie jeder weiß, erheblich verändert haben.
Unser Ziel ist es, für die Rentenversicherung eine tragfähige, sichere und langfristig finanzierbare Grundlage zu schaffen. Ich bin sicher, hier gibt es in Wahrheit keine Differenzen über dieses Ziel zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, zwischen Regierungskoalition und Opposition im Haus. Ich finde, nach der Wahl sollte es möglich
sein, daß zu diesem wichtigen Punkt ein ruhiges, sachbezogenes Gespräch zwischen allen politischen Gruppierungen zustande kommt. Denn hier geht es um die Daseinsfürsorge, hier geht es um den gesicherten Lebensabend der Generation, die nach dem Krieg das Land aufgebaut hat und auf deren Schultern wir stehen, und wir sind gemeinsam verpflichtet, die Sicherheit dieses Lebensabends zu garantieren.
({57})
Wie ich überhaupt bei aller Härte der Auseinandersetzung sagen möchte, meine Damen und Herren von der SPD: Von mir und von meinen Kollegen von der FDP, der CDU und der CSU werden Sie nie das Wort hören: Wir brauchen die Opposition nicht.
({58})
Bei aller Schärfe der politischen Auseinandersetzung ist es im höchsten Maß erwünscht, daß es Felder der deutschen Politik gibt, wo wir die Fähigkeit besitzen, bei allen Kontroversen auch zusammenzuarbeiten.
({59})
Die Bundesregierung hat nur acht Wochen Zeit gehabt, um die dringendsten Probleme in Angriff zu nehmen. Aber wir haben die Weichen richtig gestellt, und wir haben damit gezeigt, in welcher Richtung es weitergehen wird, um dauerhafte Lösungen zu erreichen.
Vorrangig bleibt für mich im Gesamtkontext unserer Probleme der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, vor allem gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Wir müssen dafür sorgen, daß möglichst viele junge Mitbürger möglichst gut und qualifiziert ausgebildet werden und daß damit ihre Chance wächst, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen.
({60})
Ich bin mit allen Verantwortlichen in der Wirtschaft, den Unternehmen wie den Gewerkschaften, darin einig, daß der beruflichen Bildung unserer Jugend größte, allergrößte Bedeutung zukommt.
({61})
Beim Eintritt in das Leben des Erwachsenen darf für junge Menschen nicht die bittere Erfahrung der Arbeitslosigkeit stehen. Wir wollen uns gemeinsam, wie ich hoffe, für weit mehr Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, Berufsausbildungsplätze einsetzen. Ich brauche nicht zu betonen, daß davon die Zukunft unseres ganzen Landes abhängig ist.
({62})
Meine Damen und Herren, unsere Zukunftschancen werden wir aber nur dann nutzen können, wenn wir die Ertragskraft unserer Wirtschaft, unserer Betriebe weiter verbessern und so die Voraussetzungen für zusätzliche Investitionen schaffen. Deshalb bereiten wir weitere Schritte für ein investitions- und leistungsförderndes Steuerrecht vor. Wir haben fest eingeplant, die steuerlichen Entlastungen zur Stärkung der Investitions- und Innovationskraft der Wirtschaft weiter auszubauen sowie die
Rahmenbedingungen für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu verbessern. Dazu brauchen wir 1984 die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung.
Wir wollen möglichst viele Arbeitnehmer an der Vermögensbildung in der Wirtschaft beteiligen. Damit verbessern wir auch die Eigenkapitalbildung in den Betrieben, die jahrelang vernachlässigt worden ist. Wir sind der Auffassung, daß das Spargeld eben nicht ausschließlich auf das Sparbuch, sondern auch, wenn irgend möglich, in das Produktivvermögen gehen sollte. Dies ist eine zwingende wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit. Deshalb sagen wir schon jetzt, daß eine der ersten gesetzgeberischen Maßnahmen eine Initiative zur Vermögensbildung für Arbeitnehmer sein wird.
({63})
Eine weitere wichtige Aufgabe für die Zukunft ist die Reform des Familienlastenausgleichs, der für uns zentrale Bedeutung hat. Es geht auf die Dauer nicht an, daß mit der Zahl der Kinder die wirtschaftliche Leistungskraft einer Familie so abnimmt, daß dies manche Eltern von der Erfüllung ihres Wunsches nach Kindern abhält.
({64})
- Herr Abgeordneter Professor Ehmke, wer hat denn in den letzten zehn Jahren in Deutschland diese kinderfeindliche Gesellschaft im wesentlichen herbeigeführt? Das waren doch Sie mit Ihrer Politik.
({65})
Dabei geht es uns auch um die familienfreundlichere Gestaltung des Steuerrechts. Nach der jetzt vorgesehenen Umwandlung des Kinderbetreuungsbetrages in einen allgemeinen Kinderfreibetrag wollen wir in der nächsten Wahlperiode das Ehegatten-Splitting in ein Familien-Splitting umwandeln.
({66})
Wir werden dabei auch sicherstellen, daß entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Alleinerziehende gerechter als bisher besteuert werden.
Lassen Sie mich ein Wort zum Thema „Ausländerpolitik" sagen. Wir werden die in der Regierungserklärung angekündigte Ausländerpolitik behutsam, aber zielstrebig fortsetzen. Wir wollen die Integration der bei uns lebenden Ausländer. Wir können es jedoch nicht zulassen, daß Ausländer unbegrenzt und unkontrolliert einwandern. Von der Bundesregierung wird derzeitig geprüft, ob und wie Ausländern die Rückkehr in ihre Heimat erleichtert werden kann. Herr Kollege Ehmke, der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat gerade zu diesen Fragen in der Türkei durchaus erfolgreiche Gespräche geführt. Angesichts dessen, was Sie vorhin hier gegenüber den Kollegen von der Freien Demokratischen Partei im Blick auf die Türkei gesagt haben, sollten Sie einmal überlegen,
welche Rückwirkungen Äußerungen, wie Sie sie hier getan haben, für diesen Fragenbereich haben.
({67})
Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, unsere Umwelt zu schützen, um in ihr ohne Gefahren leben zu können. Wir stehen in der Pflicht, unsere natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen zu erhalten. Dies ist auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Umweltschutz schafft auch Wirtschaftswachstum. Wir, die Koalition der Mitte, haben uns auch dieser Aufgabe gestellt.
({68})
- Es wird ja wohl hier noch erlaubt sein, an die Reden vor ein paar Wochen zu erinnern. Nach Abgabe meiner Regierungserklärung Anfang Oktober war hier eine leidenschaftliche Debatte darüber, daß zum Thema Luftreinhaltung in der Regierungserklärung keine Zusage gegeben worden sei. Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur eine Zusage gegeben, wir haben sie auch eingehalten. Die TA Luft ist verabschiedet worden, was Sie in Jahren bei früheren Regierungen nicht zuwege gebracht haben.
({69})
Wir setzen unsere Arbeiten auch im Gewässerschutz und in der Abfallwirtschaft mit Nachdruck fort.
Auf Wachstum kann und darf dabei nicht verzichtet werden. Erst eine dynamische Wirtschaft bietet soziale Sicherheit und möglichst zugleich eine menschenwürdige Umwelt.
Wir können deshalb auf den technischen Fortschritt weder beim Umweltschutz noch bei der Sicherung unserer künftigen Energieversorgung verzichten.
({70})
Lassen Sie mich ein Wort zum Thema der inneren Sicherheit sagen. Dies ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Es ist in den letzten Wochen Gott sei Dank gelungen, gegen den Terrorismus in der Bundesrepublik einen entscheidenden Schlag zu führen.
({71})
Ich beglückwünsche den Bundesinnenminister Fritz Zimmermann,
({72})
das Bundeskriminalamt, den Bundesgrenzschutz, den Generalbundesanwalt sowie die Sicherheitsbehörden der Länder zu diesem Erfolg.
({73})
- Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe gar nicht, warum Sie hier lärmen. Stellen Sie
sich einmal vor, der Bundeskanzler Helmut
Schmidt hätte die Chance gehabt, eine solche Erfolgsmeldung hier bekanntzugeben!
({74})
Stellen Sie sich einmal vor, mit welch einer Emphase er das getan hätte und mit welchem Beifallssturm von Ihrer Seite!
Verzeihen Sie, Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pensky?
Nein.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern in der Lage sind, der Gefährdung der inneren Sicherheit durch terroristische Aktivitäten und gewalttätige Formen bei der Verfolgung politischer Ziele wirksam zu begegnen. Wir werden weiterhin jede Gewaltkriminalität entschieden bekämpfen.
Um alle diese Aufgaben anpacken und die Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben in Freiheit schaffen zu können, brauchen wir eine Neuorientierung der Politik. Wir brauchen Gemeinsinn, und wir brauchen den Willen zur Gemeinsamkeit.
({1})
Als konkretes Beispiel für diese Gemeinsamkeit nenne ich die Vereinbarung über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern.
({2})
In fairen und zügigen Verhandlungen haben sich Bund und Länder um des Allgemeinwohls willen schnell geeinigt. Das Gesamtergebnis verbessert die Finanzsituation in den Ländern erheblich und wird dazu beitragen, regionale Probleme zu entschärfen.
({3})
Wir haben große regionale Probleme. Ich denke an Ostfriesland, wo die Arbeitslosigkeit bis zu 20% beträgt. Ich denke an die Küstenregionen mit den Problemen des Schiffbaus. Ich denke an das Ruhrgebiet und an das Saarland mit den tiefgreifenden Anpassungsproblemen der Montanindustrie. Ich denke an das bayerische Grenzland und das Zonenrandgebiet.
Und ich spreche von der alten Reichshauptstadt Berlin, wo sich die Probleme im Brennpunkt verdichten. Die Berliner Wirtschaftskonferenz am 11. und 12. Dezember hat mich außerordentlich ermutigt, daß die deutschen Unternehmer und die deutschen Gewerkschaften unsere gemeinsamen Anstrengungen unterstützen, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern.
({4})
Die Bundesregierung hat trotz der schwierigen Haushaltslage und der Notwendigkeit von Einsparungen zusätzliche Mittel zur Förderung strukturschwacher Regionen bereitgestellt. Sie ist bereit, die Küstenregionen und den Schiffbau auch weiterBundeskanzler Dr. Kohl
hin zu unterstützen, der Stahlindustrie bei ihrem Anpassungsprozeß zu helfen, das StahlstandorteSonderprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen fortzusetzen, das Zonenrandgebiet angemessen zu fördern, die Frachthilfe für die Grenzregionen fortzuführen und die Berlinhilfe und die Berlinförderung in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Vielfältige Hilfen für die Kohle kommen insbesondere dem Ruhrgebiet und dem Saarland zugute.
({5})
Auch dazu, meine Damen und Herren, eine Bemerkung. Vor acht Wochen, in der Debatte über die Regierungserklärung, haben Sie bestritten, daß wir zu irgendeiner Übereinkunft in diesem Punkt fähig seien. Jetzt stehen wir vor der Tatsache, daß unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers Graf Lambsdorff eine Gemeinschaftsaktion von Bund, Ländern, Unternehmen und Arbeitnehmern herbeigeführt wurde, die es dem Bergbau erlaubt, die vor uns liegenden schweren Jahre zu meistern. Bevor Sie Zwischenrufe machen, sollten Sie sich bei Ihrem eigenen Kollegen, dem Vorsitzenden der IG Bergbau - bei dem ich mich ausdrücklich für seine kooperative Haltung bedanken möchte -, erkundigen, was wirklich an Rhein und Ruhr vonstatten geht.
({6})
Das ist ein weiteres Beispiel, das zeigt, daß Ihre Behauptung, von diesem Pult aus aufgestellt, innerhalb von acht Wochen durch die Tatsachen widerlegt wurde.
Die Bundesregierung hat gerade in der vergangenen Woche ihre Hilfsbereitschaft in einer Ausnahmesituation unter Beweis gestellt. Sie hat der Arbed Saarstahl - ({7})
- Sprechen Sie bitte nicht von den Kumpeln. Die Politik, die Sie machen, führt sicherlich nicht zum Glück der Kumpel, sondern hat zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland geführt.
({8})
Wir haben versucht, mit dieser Arbed-SaarstahlEntscheidung, mit der Bewilligung staatlicher Hilfen zur Fortführung des Unternehmens eine ganze Region vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren. Ich will ausdrücklich anerkennen, daß alle Beteiligten dabei wichtige Beiträge geleistet haben.
Wir brauchen nicht nur den Geist der Gemeinschaft, sondern auch den gemeinsamen Willen zur Lösung unserer schwierigen Aufgaben. Diese Bundesregierung hat in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand - es sind noch nicht einmal achtzig Tage gewesen -, ein umfangreiches Dringlichkeitsprogramm zustande gebracht. Sie konnte das nur - ich will das ausdrücklich hervorheben - mit der Hilfe dieses Hohen Hauses, des Bundestags und des Bundesrats erreichen. Ich bin mir der Zumutung, etwa hinsichtlich des Terminablaufs, gegenüber den Kollegen im Haushaltsausschuß und in einzelnen anderen Ausschüssen des Hohen Hauses durchaus bewußt. Ich darf mich besonders herzlich dafür bedanken, daß es bei aller politischen Auseinandersetzung möglich war, die Gesetzgebung unter diesem ungeheuren Zeitdruck fertigzustellen.
({9})
Für diese Politik sind wir in besonderem Maße auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Ich bin sicher, es wird aufwärtsgehen, wenn alle mitmachen. Wir sind auf einem zwar steinigen, aber - wir spüren das, jedenfalls die große Mehrheit - auf dem richtigen Weg.
Wir werden die Soziale Marktwirtschaft neu beleben und mit dieser wichtigen Grundlage unserer Gesellschaftsordnung auch die Zukunft des Landes sichern. Wir alle brauchen dazu am Ende dieses schweren Jahres auch Zuversicht. Diese Zuversicht kann jeder im Lande aufbringen und verbreiten, der mit uns bereit ist, die bestehenden Probleme mit Tatkraft und mit Bürgersinn anzupacken.
({10})
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich in diesen Wochen schwer getan, sich in die neue Rolle als Opposition einzuüben.
({11})
Wir haben einen vielstimmigen Chor von harter, wilder Polemik - heute gab es dazu wieder ein Beispiel - bis zu überraschender Zustimmung erlebt. Nur, beides betraf häufig ein und dieselbe Entscheidung der Bundesregierung, etwa im Bereich der Außenpolitik, der Deutschland- und Sicherheitspolitik. Was Herr Glotz kritisierte, begrüßte Herr Vogel. War Herr Bahr begrüßte, kritisierte mein Vorgänger. Es waren seltsame Kombinationen, die hier zutage traten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns und den Bürgern im Lande allmählich mitteilen würden, was Sie von der SPD wirklich politisch wollen.
({12})
Es ist die Pflicht der Bundesregierung, die nationalen Interessen unseres Landes mit aller Entschiedenheit zu vertreten.
({13})
Lassen Sie mich das zu Ihnen in der SPD auch sagen: Wir lassen uns dabei von niemandem übertreffen. Das gilt für unsere Gespräche mit den Freunden in Europa und im Bündnis ebenso wie für unsere Gespräche mit den Nachbarn im Osten. Das gilt für die multilateralen Begegnungen und internationalen Konferenzen, in denen die Bundesregierung entscheidend mitwirken kann.
Wir finden es allerdings besser, mit den Freunden zu reden, als über die Freunde zu reden.
({14})
Öffentliche Kritik und Zurechtweisung müssen auch bei Freunden und Verbündeten zu Mißstimmung führen.
Ich habe in der Tat deshalb besonderen Wert darauf gelegt in diesen Wochen, das in der Vergangenheit vielfach gestörte Klima zu verbessern. Damit erleichtern wir uns die Lösung der Probleme. Wir lösen damit nicht die Probleme, aber wir erleichtern uns die Probleme. Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren, warum das eigentlich Ihre Kritik findet. Sie sind auch als Sozialdemokraten dazu selbstverständlich verpflichtet, das nationale wahre Interesse unseres Landes wahrzunehmen. Wenn wir gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten haben, muß das doch Ihre Zustimmung finden. Wenn wir gute Beziehungen zur Französischen Republik haben, muß das doch Ihre Zustimmung finden.
Wenn Sie nun in diesem Zusammenhang meine Tätigkeit auf diesem Gebiet in den letzten Wochen kritisieren, dann kann ich nur sagen: wer hat denn eigentlich die Termine festgelegt, die da abgelaufen sind? Wer hat eigentlich den Europäischen Rat nach Kopenhagen einberufen? Das war doch nicht ich. Mein Vorgänger, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, hat diesem Termin zugestimmt. Was hätten Sie gesagt, wenn ich versucht hätte, diesen Termin nicht wahrzunehmen oder gar zu verschieben? Was hätten Sie gesagt, wenn wir den deutsch-französischen Gipfel und den deutschbritischen Gipfel nicht abgehalten hätten? Was hätten Sie gesagt, wenn der Staatsbesuch in Luxemburg ausgefallen wäre? Mit solchen Methoden, indem Sie dem Bürger weismachen wollen, das seien alles vordergründige Aktivitäten, obwohl das langfristig geplante Termine noch meines Amtsvorgängers waren, werden Sie die Sinne unseres Landes nicht vernebeln können.
({15})
Ich füge noch ein Wort zur Opposition hinzu. Wir weichen keiner politischen Auseinandersetzung mit der Opposition aus, solange es darum geht, den richtigen Weg und die richtige Entscheidung durchzusetzen. Aber bei all dem, was heute auch hier streitig erscheint, einen Fehler der früheren Regierung und des früheren Kanzlers werde ich nicht wiederholen: ich werde Sie nicht auf Jahre hindurch von wichtigen Informationen ausschließen. Sie werden die notwendigen Informationen von dieser Regierung bekommen. Was Sie daraus machen, ist dann Ihre Sache.
({16})
Außenpolitische und außenwirtschaftliche Beziehungen und Bindungen unseres Landes bestimmen fast jeden Bereich unseres Lebens. Wir sind in unserer politischen und in unserer persönlichen Existenz verbunden mit dem, was bei unseren Nachbarn und in oft sehr fernen Regionen der Welt vor sich geht. Es geht dabei um nationale Interessen, um eine Politik, die von der Mehrheit unseres Volkes und seiner Repräsentanten getragen werden muß. Deswegen sage ich auch vor Wahlen: es ist notwendig, in diesen Grundfragen zu Gemeinsamkeit fähig zu sein. Mir geht es darum, in diesem Bereich unserer auswärtigen und sicherheitspolitischen, europapolitischen und entwicklungspolitischen Interessen nicht Gräben neu aufzureißen, sondern, wo nötig, Brücken zu bauen. Dafür zu wirken und zusammen mit allen, die guten Willens sind, zu arbeiten, ist unsere Pflicht. Ich bin zutiefst von dem Satz überzeugt, daß der äußere Friede nur dann gesichert werden kann, wenn man einen Beitrag zum inneren Frieden zu leisten bereit ist.
({17})
Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, betrachten wir mit Sorge, wie rasch und in welchem Maße sich Ihre Partei von den Grundsatzpositionen meines Amtsvorgängers Helmut Schmidt fortbewegt. Der Beschluß des SPD-Vorstandes am 6. Dezember, also vor ein paar Tagen, zum Doppelbeschluß der NATO, muß sich doch in der gegenwärtigen Verhandlungsphase in Genf verheerend auswirken. Er untergräbt den Verhandlungsansatz des Bündnisses für eine beiderseitige Null-Lösung. Der Vorschlag des SPD-Parteivorstands läuft doch in Wahrheit auf eine einseitige Null-Lösung zu Lasten des Atlantischen Bündnisses hinaus. Die Bundesregierung steht in dieser Frage des Doppelbeschlusses in der Tat in der Kontinuität zu ihrer Amtsvorgängerin. Wenn je der Begriff der Kontinuität einen Sinn gibt, dann genau in diesem Sachverhalt. Der Doppelbeschluß in beiden Teilen bleibt für uns ein Instrument, um wirksame und gleichgewichtige Abrüstung zu erreichen. Die Bundesregierung setzt sich mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln für ein zeitgerechtes konkretes Ergebnis bei den Verhandlungen in Genf ein.
Ich habe dies in meinen Gesprächen mit den USA getan, über die ich hier bereits berichtet habe. Mein Kollege Genscher und ich haben kürzlich auch darüber sehr klar mit Außenminister Shultz bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Diese Gespräche haben einmal mehr bestätigt, daß es den USA wie uns in Genf um konkrete vereinbarte Ergebnisse geht. Wir haben keinen Zweifel, daß sich dies alles auf einem guten Weg befindet.
Noch nie waren die Konsultationen im Bündnis so eng, so intensiv; noch nie waren unsere Einwirkungsmöglichkeiten so groß. Hören wir also damit auf - vor allem die Stimmen der deutschen Sozialdemokraten - öffentlich den Verhandlungswillen der USA in Zweifel zu ziehen.
Wenn wir Zweifel am Erfolg in Genf haben müssen, dann vor allem wegen der bisherigen Weigerung der Sowjetunion, zu Verhandlungsfortschritten zu kommen. Diese mangelnde Verhandlungsbereitschaft der sowjetischen Führung könnte sich noch mehr verfestigen, wenn sie den Eindruck gewinnen sollte, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aus der bisherigen gemeinsamen Politik der Bundesrepublik Deutschland und des Westens aussteigen wollen. Dann könnte die Versuchung für die Sowjetunion zu groß sein, auf Zeit zu
spielen, um ihre Überlegenheit im Bereich der Mittelstreckenwaffen zu erhalten und den Westen zu einer einseitigen Null-Lösung zu zwingen.
Wir werden auch weiterhin alles tun, damit die Verhandlungen in Genf zum Erfolg führen. Erfolgreiche Verhandlungen in Genf liegen im existentiellen Interesse aller, aber sie liegen vor allem im existentiellen Interesse des deutschen Volkes diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs.
({18})
Die Sowjetunion muß den Anspruch der europäischen NATO-Staaten auf gleichberechtigte Sicherheit akzeptieren. Ich bin davon überzeugt, daß die Verhandlungen Erfolg haben können, wenn wir uns an die klare, im Doppelbeschluß vorgezeichnete Politik halten. Wer glaubt, sich nur einen Teil des Doppelbeschlusses auswählen zu können, nämlich den Verhandlungsteil, gefährdet den Erfolg und die Chance der ganzen Verhandlungen.
({19})
Wer unsere Entschlossenheit, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen die Stationierung durchzuführen, ständig in Frage stellt, untergräbt - das ist doch logisch - die westliche Verhandlungsposition. Er tut alles - ob er es will oder nicht -, um die Sowjets davon abzuhalten, ihrerseits ernsthaft die Möglichkeit der Abrüstung ihrer Systeme in Erwägung zu ziehen.
Wir, die Bundesregierung und die Koalition, wollen die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit mit dem Osten fortführen. Wir wollen konstruktivere Ost-West-Beziehungen erreichen. In Kopenhagen, auf dem Europäischen Rat, haben wir uns zu einer Politik der ausgestreckten Hand bereit erklärt. Wir hoffen, daß alle Teilnehmerstaaten des KSZE-Folgetreffens von Madrid die erforderlichen Beschlüsse fassen, damit das Treffen bald erfolgreich, das heißt mit einem substantiellen und ausgewogenen Schlußdokument und mit einem präzisen Mandat für eine Konferenz über Abrüstung in Europa, abgeschlossen werden kann.
Gemeinsam mit unseren Freunden fordern wir die Sowjetunion auf, ihre Beiträge zur Stärkung des Vertrauens in den internationalen Beziehungen zu leisten. Dies gilt für das Verhalten der sowjetischen Verhandlungsführer in Genf und Madrid; dies gilt auch für ihr Verhalten in Polen und Afghanistan. Meine Damen und Herren, es liegt an der Sowjetunion, diese Belastungen und Vorbehalte auszuräumen und so den Weg zu besseren Verhältnissen zu bahnen.
({20})
Wir hoffen, daß die neue sowjetische Führung erkennt, daß hegemoniale Bestrebungen eine überholte Politik darstellen, daß militärische Gewalt politische Lösungen weder herbeiführen noch auf die Dauer ersetzen kann.
Was wir tun können, werden wir tun, um unserem polnischen Nachbarvolk unsere Verbundenheit gerade in diesen Tagen zu beweisen. Mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im
Bündnis werden wir auf wirkliche Fortschritte bei der Wiederherstellung des nationalen Konsenses in Polen positiv antworten. Ich sage: auf wirkliche Fortschritte. Wir werden uns aber nicht scheuen, deutlich zu sagen, was wir für richtig halten, wenn es um die Rechte und die Freiheiten des polnischen Volkes gemäß der Schlußakte von Helsinki geht.
Die Bundesregierung nimmt aktiv Anteil an der Abstimmung über ein langfristig angelegtes westliches Gesamtkonzept für die Ost-West-Beziehungen. Dies schließt, Herr Professor Ehmke, die Wirtschaftsbeziehungen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten ein. Wir sind uns mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern einig, daß Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils und unter Wahrung unserer Sicherheitsinteressen bei der Stabilisierung des OstWest-Verhältnisses insgesamt auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen.
Die Bundesregierung hat das Gespräch mit dem neuen Generalsekretär der KPdSU, Andropow, unverzüglich aufgenommen. Sie beabsichtigt, dieses Gespräch weiterzuführen. Wir begrüßen deshalb den Besuch von Außenminister Gromyko Mitte Januar bei uns in Bonn.
Ich will diesen Besuch zum Anlaß nehmen, besonders auf den erheblichen Rückgang der Zahlen bei der Familienzusammenführung aus der Sowjetunion hinzuweisen.
({21})
Wir bedauern diese Entwicklung zutiefst, und wir hoffen, daß die sowjetische Führung diese humanitäre Frage - wie sie es mehrfach zugesagt hat - in wohlwollendem Geist lösen wird.
Zu dieser Politik der Zusammenarbeit und des Dialogs gehört auch die Pflege unserer Beziehungen zur DDR. Unsere Deutschlandpolitik verfolgt zwei grundlegende Ziele, die zugleich Aufforderung zum politischen Handeln sind: die deutsche Teilung auf friedlichem Weg durch einen Prozeß der Verständigung und in Freiheit zu überwinden und die Folgen der Teilung für die Menschen in Deutschland erträglicher zu gestalten. Die Regierung der Mitte hat unmißverständlich klargestellt, daß sie beide Zielsetzungen gleichermaßen als verbindlich ansieht.
Meine Damen und Herren, für uns bleibt Deutschlandpolitik über die deutsch-deutschen Beziehungen hinaus immer die Frage nach der Einheit der deutschen Nation. Über diese Frage hat die Geschichte natürlich nicht das letzte Wort gesprochen. Sie ist und bleibt weiterhin offen, bis das deutsche Volk sein Selbstbestimmungsrecht frei ausgeübt hat.
({22})
Wir wissen, daß die Teilung Deutschlands in absehbarer Zeit nicht überwunden werden kann; aber wir weigern uns, diese Teilung als endgültig hinzunehmen. Wer dies tut, wer die gegenwärtige Lage in Deutschland - und damit auch in Europa - sozusagen in die Zukunft hineinverlängert, der beweist nicht nur politischen Kleinmut, sondern auch ge8606
schichtsloses Denken, und er dient nicht dem Frieden.
({23})
Im Vordergrund unserer Bemühungen stehen die Interessen der Menschen im geteilten Deutschland. Wir fühlen uns ihnen gegenüber in besonderer Weise verpflichtet, und wir wissen, was sie von uns erwarten. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Meine Damen und Herren, heute bestehen auf deutschem Boden zwei voneinander unabhängige Staaten. Wir müssen mit dieser Tatsache leben; aber wir halten am geschichtlichen Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes fest. Deshalb muß auch die Regierung der DDR respektieren, daß wir an der Einheit der Nation festhalten. Es führt nicht weiter, die Durchsetzung unvereinbarer Rechtspositionen zum Gegenstand beiderseitiger Verhandlungen machen zu wollen. Die Bundesregierung wird keine ihrer grundlegenden deutschlandpolitischen Rechtspositionen aufgeben.
({24})
Ich wiederhole, was ich in der Regierungserklärung am 13. Oktober gesagt habe: Die DDR kann sich darauf verlassen, daß wir zu allen übernommenen Verpflichtungen stehen. Das gleiche erwarten wir allerdings auch von der Regierung der DDR. - Ich begrüße es, daß auch die DDR-Führung ihr Interesse an gutnachbarschaftlichen Beziehungen bekräftigt hat.
Für die überschaubare Zukunft besteht unsere Aufgabe darin, die Beziehungen so zu gestalten, daß sie den Menschen nutzen und dem Frieden dienen. Es geht um praktische Lösungen, um praktische Ergebnisse. Und wir sind überzeugt, daß die meisten Sachprobleme bei gutem Willen zum gegenseitigen Nutzen gelöst werden können. Aber Rückschritte müssen beseitigt werden, Verträge. müssen ausgefüllt und Absichtserklärungen verwirklicht werden. Was uns betrifft: Wir sind zum Fortschritt im Interesse der Menschen bereit.
Meine Damen und Herren, mit zunehmender Arbeitslosigkeit, zunehmendem Anpassungsdruck auf die Volkswirtschaften wächst die Versuchung, nationale Alleingänge zu unternehmen, nationale Sonderwege in der Haushaltspolitik, in der Wirtschafts-, Währungs- und Handelspolitik einzuschlagen. Es wäre verhängnisvoll für uns alle in Europa, wenn wir diesen Versuchungen nachgeben würden. Ein Bruch der wirtschaftlichen Solidarität durch Handelsprotektionismus würde nicht nur die wirtschaftliche Krise verschärfen, sondern dies hätte auch erhebliche Folgen für die politische Solidarität in der westlichen Welt. Unser aller Bereitschaft, auch Opfer für diese Solidarität zu erbringen, das Risiko mit dem Partner zu teilen und es nicht auf ihn abzuwälzen, wird - dessen bin ich sicher - in den kommenden Monaten und Jahren auf eine harte Probe gestellt. Aber nur in Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis werden wir in der Lage sein, die augenblicklich schwere Wirtschaftskrise durchzustehen und aus ihr herauszufinden, den Frieden zu sichern, den Dialog mit dem Osten zu führen und unseren Beitrag zur westlichen Welt zu leisten.
In diesem Sinne haben wir in Kopenhagen einen fruchtbaren Gedankenaustausch gehabt. In diesem Sinne haben wir auch persönlich miteinander gesprochen. Ich habe in Kopenhagen vorgeschlagen, daß wir die Mittel des Sozialfonds und vielleicht andere Mittel am besten dafür einsetzen, Jugendliche in Ausbildung und Lehre und danach in Arbeit zu bringen. Dies könnte, wie ich finde, ein wichtiger Beitrag dafür sein, junge Bürger in Europa wieder an die europäische Idee heranzubringen.
Meine Damen und Herren, im Januar werden wir die Präsidentschaft in der Gemeinschaft übernehmen. Eine vorrangige Aufgabe unserer Präsidentschaft muß es sein, den freien Binnenmarkt zu erhalten. Wir haben damit viel zu tun. Weil jetzt soviel über Protektionismus gesprochen wird, meine ich, wäre es nützlich, wenn sich alle europäischen Länder, jeder für sich, einmal die eigenen Sündenlisten des Protektionismus vornehmen und dann mit dem Partner und mit dem anderen reden und dann auch gemeinsame Lösungen zu finden bereit sind.
({25})
- Ich hoffe, daß Sie wenigstens dafür eintreten. Das war bisher ein Punkt, wo wir noch einig sind.
({26})
Wir werden uns auch nachdrücklich dafür einsetzen - das wird ein weiterer wichtiger Punkt der Verhandlungen der nächsten Monate sein -, daß der Beitritt Spaniens und Portugals bald ermöglicht wird. Alle demokratischen Kräfte unseres Landes haben im letzten Jahrzehnt die demokratischen Kräfte bei der Wiedergewinnung demokratischer Freiheit in Portugal und in Spanien ermutigt, ihre Existenz mit der Öffnung auf dem Weg nach Europa zu verbinden. Wir sollten alles tun, damit unser Wort ein Wort bleibt, damit unsere Politik glaubwürdig bleibt. Und damit wir aufeinander zugehen. Dies gilt natürlich auch für die Spanier und für die Portugiesen.
({27})
Eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Präsidentschaft wird es sein, die Genscher-Colombo-Initiative, die Europäische Akte, zu verabschieden.
({28})
- Ich weiß nicht, was Sie daran erregt. Sie heißt nun einmal so, meine Damen und Herren. Sie ist zu Ihrer Regierungszeit entstanden, und es spricht für den Bundesaußenminister, daß eine vorzügliche Initiative mit seinem Namen verbunden ist.
Mit der Europäischen Akte wollen wir die bereits bestehenden beiden Pfeiler der europäischen Einigung, die Europäische Gemeinschaft und die Europäische Politische Zusammenarbeit, unter dem gemeinsamen Dach des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs zusammenführen. Wir
wollen versuchen, neue Bereiche der Zusammenarbeit zu eröffnen: in der Kultur, in der Rechts-, in der Innenpolitik, in der Zusammenarbeit mit Blick auf die wirtschaftlichen und politischen Aspekte unserer Sicherheit. Das ist alles sehr wichtig, weil wir hier auf dem Weg zur Europäischen Solidarität vorankommen müssen.
Ein besonders wichtiger Punkt, ein besonders kritischer Punkt, wie man offen zugeben muß, ist die Stärkung des Europäischen Parlaments und die Verbesserung des Entscheidungsverfahrens in der Gemeinschaft. Ich finde, wir sollten hier nicht kleinmütig sein. Auch die 50er Jahre, als die Gemeinschaft entstand, waren keine Schönwetterperiode. Wir haben seither - wenn man ehrlich ist und nicht zuviel erwartet - wichtige Fortschritte im europäischen solidarischen Handeln gemacht. Darauf können wir auch für die Zukunft aufbauen.
In diesem Jahrzehnt - dies ist meine feste Überzeugung - müssen wir den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur politischen Einigung Europas vorankommen. Dies ist die historische Aufgabe unserer Generation.
({29})
Meine Damen und Herren, im Sommer 1984, in knapp eineinhalb Jahren, ist die nächste Wahl zum Europäischen Parlament. Wir alle, ob Freie Demokraten, Christliche Demokraten, Christlich-Soziale oder Sozialdemokraten, werden dann vor die Wähler hintreten. Und wir werden konkret befragt werden, was wir für die politische Einigung und für den Fortschritt in Europa getan haben. Ich finde, das wäre ein solches Feld, in dem es ungeachtet der parteipolitischen Auseinandersetzung möglich sein müßte, gemeinsam aus den demokratischen Gruppen der Bundesrepublik eine neue Initiative, einen neuen Anstoß für Europa zu geben.
Europa wie unser Land steht in einer Bewährungsprobe. Die Koalititon der Mitte aus CDU/CSU und FDP hat sich nicht gescheut, in dieser schwierigen Zeit die politische Verantwortung zu übernehmen. Wir haben in wenigen Wochen wichtige Entscheidungen getroffen. Es sind allererste Schritte, allererste Schritte in die richtige Richtung: um den Haushalt in Ordnung zu bringen und wieder auf ein solides Fundament zu stellen, um Arbeit zu schaffen und einen neuen Wirtschaftsaufschwung einzuleiten, um den Frieden in Freiheit zu sichern, um die politische Voraussetzung für eine menschliche Gesellschaft zu schaffen.
Ich weiß, es ist ein schwieriger Weg, der vor uns liegt. Es gibt keinen einfachen Weg der Versprechungen aus der Krise. Aber ich bin sicher, wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden ihn entschlossen und konsequent zum Wohle unseres Volkes fortsetzen.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Leber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben soeben in Ihrer Rede die Sozialdemokraten - ich bin einer davon - als Sozialisten bezeichnet und ihnen Marxismus und Klassenkampf unterstellt.
({0})
Herr Bundeskanzler, ich habe mich davon überzeugt - ich hatte den Text Ihrer Rede vorliegen -: Dies steht nicht im geschriebenen Text Ihrer Rede, das haben Sie frei hinzugefügt.
({1})
Ich war sehr erstaunt, meine Damen und Herren, daß der Bundeskanzler an dieser Stelle und nicht für seine politischen Aussagen den größten Beifall seiner Fraktion bekommen hat. Das hat mich enttäuscht.
({2})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler müßte eigentlich wissen, daß eine solche Äußerung, die diffamierenden Charakter hat, aus seinem Munde nicht üblich sein sollte. Das kann er irgend jemandem überlassen, aber der Kanzler sollte so etwas nicht sagen.
({3})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, einen Augenblick! - Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen.
({0})
- Das gleiche gilt für die Regierungsbank: ich bitte, Platz zu nehmen.
({1})
Herr Bundeskanzler, Sie haben einmal in einem persönlichen Kreis gesagt - und mir hat das sehr gefallen -, manchmal hätten Sie, wenn Sie vom Rednerpult kämen und sich wieder auf Ihren Platz begäben, das Gefühl, Sie seien sehr hart gewesen und hätten etwas zu bereuen. Herr Bundeskanzler, ich habe das Gefühl, dieses Gefühl sollten Sie auch jetzt haben; Sie sollten das bereuen.
({0})
Ich werde darauf jedenfalls nicht weiter eingehen, denn ich habe es nicht gelernt, den politischen Gegner zu diffamieren; und das gilt auch für harte Debatten.
({1})
Meine Damen und Herren, ich gehöre nun über 25 Jahre dem Deutschen Bundestag an und habe meine Heimat bis heute in den Gewerkschaften, aus denen ich komme. Daher möchte ich heute zu dem Teil der Politik etwas äußern, der das besondere Interesse von jemanden hat, der aus der Arbeiterschaft kommt.
Meine Damen und Herren, wir leben in einer Welt, die von einer schweren Wirtschaftskrise geschüttelt wird. Es gibt kaum ein Land in der Welt, das von der Krise ausgenommen ist. Diese Krise rüttelt in allen Erdteilen, in allen Himmelsrichtungen an den Völkern und hat ihre Wirkungen bis in viele Bereiche des individuellen Lebens der Bürger, der Menschen in der Welt hinein.
Als die CDU noch in der Opposition war, hat sie die Existenz dieser Krise nicht zugegeben - wenn es doch geschah, wurde die Krise verniedlicht -, und es war ihr wichtiger, den Eindruck zu erwekken, die Regierung hier im Lande sei für die Krise verantwortlich.
({2})
Nun ist die Opposition Regierung geworden, und sie verhält sich so, als hätte sie auch jetzt noch immer nicht erkannt, wo ein großer Teil der Ursachen für die heutigen Probleme liegt. Sie lebt von Schuldzuweisungen an ihre Vorgänger; der Herr Bundeskanzler hat das auch heute in dieser Debatte wieder ausgiebig getan.
({3})
Das Wort vom „Saustall" ist schon sehr früh gefallen, und die „schlimme Erblast", die die neue Regierung übernommen habe, wird immer noch hoch in Ehren gehalten und in immer neuen Farben hochstilisiert.
({4})
Eigentlich müßte man annehmen, daß der neue Bundeskanzler nun das klarer sieht, was in der Welt vorgeht, in die er und wir eingebettet sind. Herr Bundeskanzler, wie müßten wir dann wohl all die Länder bezeichnen, in denen Sie seit Ihrer Amtsübernahme als Gast gewesen sind? Welches Charakteristikum müßten wir wohl für diese Länder wählen, wenn das Land, das Sie nun regieren, dessen Bundeskanzler Sie sind, Ihnen als ein Saustall hinterlassen worden wäre?
({5})
Herr Bundeskanzler, wie müßten wir wohl die Schweiz bezeichnen, deren Verschuldung pro Kopf bis zu Ihrem Regierungsantritt höher war als die Verschuldung in der Bundesrepublik pro Kopf? Was, Herr Bundeskanzler, würden Sie wohl als Kennzeichnung vorschlagen, um die finanziellen Probleme, die ökonomischen Sorgen und die Arbeitslosenraten zu charakterisieren, von denen die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien oder Dänemark - das sind die Länder, in denen Sie bis jetzt waren - geplagt werden?
({6})
Wenn unser Land ein halb bankrotter Saustall wäre, wenn es so wäre, daß diese Kennzeichnung schon auf uns zutrifft, würden wir einem Bündnis angehören, das eine Gemeinschaft von übelriechenden Sauställen wäre, eine Gemeinschaft, in der wahrscheinlich nicht ein einziges Land verteidigenswert wäre!
({7})
Herr Bundeskanzler, Sie müßten fast schon in Ihrer Nase spüren, wie schlecht es in diesen Ländern riechen würde, wenn schon die Lage unseres Landes solche Einschätzungen verdienen würde.
({8})
Ich gehe aber davon aus, daß das nicht so ist und daß Sie deshalb auch nichts in Ihrer Nase spüren können, weil Sie in diesen Ländern nicht gefragt werden, warum es bei Ihnen zu Hause so viel schlechter ist als dort, sondern in der Regel gefragt werden, wie Sie es wohl machen, daß es hier in Deutschland besser ist als in all den Ländern, die Sie bis jetzt besucht haben.
({9})
Herr Bundeskanzler, damit frage ich auch, wann Sie und Ihre Regierung aufhören werden, in Wirklichkeit - ohne es expressis verbis zu wollen - den Menschen in der Bundesrepublik Angst zu machen und ihnen Zuversicht und Mut zu nehmen, die man braucht, wenn man wirklich Krisen bewältigen will. Wann endlich werden Sie vor den Deutschen Bundestag treten und im Parlament und in der Öffentlichkeit sagen, daß wir trotz vieler Probleme, die es auch in unserem Lande gibt, und trotz mancher Sorgen, die wir haben, auf unser Land - so wie es ist, mit allen Sorgen und Nöten, die wir haben - stolz sein können?
({10})
Oder, Herr Bundeskanzler, wollen Sie das jetzt vielleicht deshalb noch nicht zugeben, weil Sie erst einmal bis zum 6. März abwarten wollen, um bis dahin von dem zu leben und zu profitieren, was Ihnen vielleicht faktisch bis an den Wahltag helfen könnte?
Wenn Sie vor der deutschen Öffentlichkeit zugeben könnten, wie die Lage unseres Landes im Vergleich zu allen anderen entwickelten Ländern wirklich ist, dann könnten Sie offen und ernsthaft hier und überall über die Sorgen und über die Wunden reden, die es auch bei uns gibt, und auch darüber, daß es Opfer kostet, die Probleme zu lösen, vor denen auch wir stehen. Am Anfang, Herr Bundeskanzler, sollte die Wahrheit stehen und nicht die Taktik.
({11})
Herr Bundeskanzler, Sie haben auch in Ihrer heutigen Rede die Weltwirtschaftskrise als Ursache für unsere Lage nicht ein einziges Mal erwähnt. Sie haben gesagt:
Unser Land ist in diese verhängnisvolle Situation gekommen, weil der Staat überfordert und
dadurch seine finanzielle Grundlage erschüttert wurde, weil soziale Gerechtigkeit mit staatlicher Betreuung verwechselt wurde und weil die Belastbarkeit der Wirtschaft im Übermaß erprobt wurde.
Einen anderen Grund für die Krise haben Sie nicht genannt, Herr Bundeskanzler. Diese Gründe allein sind falsch, wenn Sie auf ihnen allein beharren. Dann täuschen Sie die Menschen in unserem Lande über die wirklichen Ursachen dieser Krise.
({12})
Richtig wäre gewesen, wenn Sie gesagt hätten - in Ihrer Sprache -: Die Wirkungen einer tiefgreifenden Weltwirtschaftskrise haben nun auch dieses unser Land erreicht.
({13})
Die Bekämpfung dieser Krise ist in unserem Lande auch deshalb besonders schwer, weil wir keine Reserven haben und weil wir wenig Spielraum haben, den wir in den Jahren des Wachstums voll ausgeschöpft haben und der uns nun zur Bekämpfung einer Krise nicht mehr zur Verfügung steht.
({14})
- Hören Sie bitte noch zu. Ich sage alles, auch das, was unbequem ist. - Aber dazu sind Sie wohl nicht bereit und vielleicht auch nicht fähig, weil Sie sich von der fortwährenden Schuldzuweisung an die Sozialdemokraten mehr versprechen als von einem Konzept, mit dem Sie den Problemen, die es in unserem Land gibt, wirklich gerecht werden können.
({15})
Übrigens, Herr Bundeskanzler, wenn das vor unserem Volke so zurecht gerückt würde, wäre das für viele in unserem Lande nicht einmal etwas Neues. Denn es gibt viele, die über die Grenzen hinaussehen können, und es gibt viele, die die Welt kennen und die dann, wenn sie außerhalb unserer Grenzen sind, stolz sind auf das Land, aus dem sie kommen und das Sie hier immer so schlecht machen.
({16})
- Denken Sie doch bloß daran, was in der Rede heute morgen gesagt worden ist: die desperate, bankrotte Situation, die es hier gibt.
Wenn Sie es nicht tun, Herr Bundeskanzler, wenn Sie ein wichtiges Faktum ungeklärt bestehenlassen, dann dürfen Sie auch nicht, wie Sie es am Ende Ihrer Rede heute getan haben, an Gemeinsamkeit und Solidarität auch mit den Sozialdemokraten appellieren. Sie haben es in der Hand, ob die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, indem Sie die Diffamierungen aufgeben. Dann erst entsteht eine Lage, in der wir mit Ihnen zusammenarbeiten können.
({17})
Herr Bundeskanzler - ich will j a auch mit Ratschlägen helfen -, wenn Sie das nicht bald tun,
({18})
dann werden Sie sich bald nachhaltig selber das Konto an Schuld aufrechnen lassen müssen, das seit dem 1. Oktober, seit Sie Regierungsverantwortung tragen, entstanden ist und für das Sie verantwortlich sind.
Meine Damen und Herren, noch ein Punkt liegt mir am Herzen. Eine wichtige Ursache kommt von draußen; wir müssen aber auch redlich und offen über das reden, was in unserem Lande geschehen ist und was dazu beigetragen hat, daß bestimmte Probleme entstanden sind. Wir müssen sagen, was wirklich ist, um die Verwirrung, die es bei vielen Bürgern gibt, zu beseitigen.
Ich will ein einfaches Beispiel nennen: Viele Rentner sagen uns - wahrscheinlich uns allen -: Ich habe doch Beiträge gezahlt; deshalb habe ich auch Anspruch auf meine Rente. - Das ist gewiß wahr. Aber daß die Höhe der Rente, die dieser Rentner erhält, sich nicht aus den Beiträgen errechnet, die er vor Jahrzehnten einmal gezahlt hat, als er einen viel niedrigeren Lohn hatte, sondern daß die Rente, die er heute erhält, nach dem höheren Einkommen bemessen wird, das ein anderer, der heute die gleiche Arbeit verrichtet wie er, nach einem Einkommen, das dieser jetzt verdient, das ist vielen Rentnern nicht klar. Vielen Rentnern ist daher auch nicht klar, daß die Renten, die sie jetzt erhalten, aus den Beiträgen finanziert werden, die heute von denen geleistet werden, die noch heute in Arbeit sind.
Weil das für viele nicht klar ist, verstehen viele auch nicht, daß jetzt über die Renten gesprochen wird.
Es wird jetzt über die Renten gesprochen, weil die Löhne von heute nicht mehr steigen, sondern weil im Gegenteil die effektiven Einkommen zurückgehen und weil die Nominallöhne durch den Fortfall von Überstunden, durch die Absenkung von Akkordverdiensten und durch die Streichung von übertariflichen Leistungen sinken. Dies ist vielen nicht geläufig.
Vielen ist auch nicht deutlich genug bewußt, daß wir in der Sozialpolitik längst vom Versicherungsprinzip - bei dem sich der eigene Anspruch nach dem eigenen Beitrag bemißt - abgegangen sind und daß wir längst zum Umlageprinzip übergegangen sind - und das nicht erst seit heute, sondern in der Rentenversicherung spätestens seit der Rentenreform von 1957.
Das Mehr an Rente heute wird aus dem Mehr an Einkommen heute geschöpft. Wenn man das den Rentnern nicht richtig erklärt, sondern es noch vernebelt, wie es geschieht, dann verstehen sie diese Zusammenhänge nicht. Wenn man es ihnen aber richtig erklärt, statt billige Vorwürfe zu machen, frühere Regierungen hätten den Rentnern mehr ge8610 Deutscher Bundestag 9. Wahlperiode Dr. h. c. Leber
geben, als zulässig gewesen sei, dann müssen die Rentner gegenüber allem mißtrauisch werden.
({19})
Wer das nicht klärt, sondern Vorwürfe macht, verwirrt die Rentner. Wir brauchen Klarheit, gerade in dieser Phase.
Das, was ich in bezug auf die Rentner bei dieser Gelegenheit beispielhaft gemeint habe, möchte ich aber noch etwas grundsätzlicher betrachten.
({20})
- Von Ihnen erwarte ich keine konstruktiven Beiträge.
({21})
Im Alten Testament gibt es eine schöne, nicht unwichtige Geschichte von Josef in Ägypten. - Ich komme jetzt auf einen ganz schwierigen Punkt zu sprechen; da sollten Sie alle nachdenken und nicht dumme Zwischenrufe machen. ({22})
Der König hatte einen Traum. Der Josef wurde gerufen, ihn zu deuten. Er hat ihn so gedeutet: Das Land wird sieben fette Jahre haben; den fetten werden sieben magere folgen;
({23})
der König muß in den fetten Jahren Scheunen bauen, um den Überfluß - heute würde man sagen: das Wachstum - darin aufzuspeichern, damit in den mageren Jahren keine Not über das Volk kommt.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht sieben, sondern 27 fette Jahre gehabt. Das Ende war etwa das Jahr 1976.
({24})
- Sie wollen mir helfen; warten Sie ein bißchen ab, sparen Sie sich Kraft und Energie.
({25})
Wir alle zusammen, meine Damen und Herren, haben in diesen 27 fetten Jahren - mit einem zum Teil hohen jährlichen Wachstum - nicht eine einzige Scheune gebaut. Im Gegenteil, wir alle miteinander haben in jedem Jahr jede Mark, die wir dazu-gewonnen haben,
({26})
die uns zugewachsen ist,
({27})
in Leistungen für unser Volk umgesetzt.
Wir alle haben uns in einer Zeit, in der unsere Wirtschaft wuchs, soziale Sicherungen gegeben, die uns in die erste Gruppe der Welt gebracht haben, wenn die Welt danach bemessen würde. Sollen wir traurig sein, meine Damen und Herren, weil wir das, was uns durch unsere Arbeit zugewachsen ist, zu einem guten Teil auch denen gegeben haben, die Hilfe nötig haben? Ich bin deswegen nicht traurig, und ich bedaure überhaupt nicht, daß wir das getan haben.
({28})
Ein anderer Punkt. Wir haben Straßen gebaut - wir alle -, um einem motorisierten Volk die Wege zu geben, die es gewollt hat und die es auch gebraucht hat. Am 1. Dezember 1966 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 3 200 km Autobahn. Am heutigen Tag sind es, wovon ich mich gestern überzeugt habe, 7 952 km. Sollen wir deshalb böse auf uns sein, weil es zwischen dem Ruhrgebiet und der Rhein-Main-Spitze nicht mehr eine Autobahn mit vier Spuren, sondern gegenwärtig 18 Autobahnspuren gibt und weil der Verkehr heute auf unseren Straßen besser als vor 15 Jahren fließt?
({29})
Dürfen wir darüber traurig sein und es beklagen, daß in der Auswirkung dieser und anderer Bemühungen z. B. auch die Zahl der Verkehrstoten, die damals 19 000 im Jahr betrug, trotz wachsender Motorbelastung auf 13 000 Verkehrstote im Jahr gesunken ist? Ich bin darüber nicht traurig, sondern ich bin darüber froh,
({30})
auch wenn ich weiß, daß das ganze Geld gekostet hat.
Wir haben für die Menschen Krankenhäuser gebaut, damit jeder einen Platz bekommen kann, wenn er krank geworden ist. Das war nötig in einem Land, das dem Menschen dort, wo es um sein Leben geht, helfen will. Das war nötig in einem Land, das Klassenschranken überwinden will. Gegen Klassenkampf polemisieren und gegen Klassenkampf reden ist etwas anderes, als die Ursachen für die Klassenunterschiede beseitigen. Das haben wir getan, und dafür haben wir Geld ausgegeben.
({31})
Und wir haben Schulen gebaut und Schulen gegründet, um den jungen Menschen gleiche Chancen für ihr Leben zu geben, unabhängig davon, ob ihre Eltern viel Geld oder wenig Geld haben.
({32})
Ich weiß, es gibt Leute, die das für übertrieben halten. Theodor Heuss hat in einem solchen Zusammenhang einmal gesagt: Die zähle ich dann nicht mit, wenn die dagegen sind. Ich weiß, es gibt viele, die das für übertrieben gehalten haben. Meine Freunde und ich gehören nicht dazu, und wir bereuen nicht, daß wir unserer Jugend auf diese Weise gleiche Startchancen gegeben haben.
({33})
Und wir sollten alle miteinander nicht bereuen und bedauern, weil es nicht eine einzige Partei war, die dafür die Verantwortung trägt, sondern weil wir das alle miteinander getan haben.
Das war auch keine Verschwendung, wie heute vielfach behauptet wird, sondern es ist den MenDr. h. c. Leber
schen zugute gekommen, und sie haben Vertrauen dabei gefaßt, Vertrauen auch zum demokratischen Staat und darauf, daß es in ihm gerecht zugeht; das ist eine Grundlage des Vertrauens für den Bürger im Staat. Wir sollten uns hier deswegen nicht gegenseitig anklagen: Das ist mit diesem Geld gemacht worden.
Das sage ich - jetzt füge ich etwas hinzu, was vielleicht nicht jedem gefällt -, obwohl auch ich weiß, daß es da so manches gibt, was nicht unbedingt lebensnotwendig ist. Vielleicht liegt das daran, daß ich ein bißchen zu konservativ bin.
Ich habe seit langem den Eindruck, daß man die Bundesrepublik von einem Satelliten aus ganz besonders gut vor allem daran erkennen könnte, daß es hier die meisten Sanatorien auf der Welt gibt. Ob so viele Sanatorien und so viele Kurhäuser nötig sind, kann man bezweifeln - ich tue es jedenfalls -,
({34})
besonders wenn man weiß, daß manch einer, der sich eine Kur nimmt, dann, wenn er sie verläßt, dort schon buchen läßt, daß er in zwei Jahren wiederkommt, weil es j a schon geregelt ist, wie man da hineinkommt.
({35})
- Ja, ja, Sie klatschen. Waren Sie dagegen? Das ist alles miteinander hier geschehen. Es soll sich doch keiner freisprechen.
({36})
Ich habe immer auch Zweifel gehabt, ob es denn wirklich notwendig ist, jedem Kind jedes Jahr jedes Schulbuch neu zu geben.
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Mein Vater war Maurer. Ich war der Älteste. Ich habe ein Schulbuch bekommen, und das erste, was geschehen ist, war: Es mußte gut eingepackt werden, weil dahinter noch drei waren, die das auch noch gebrauchen mußten.
({38})
Ich halte es nicht für undenkbar, daß mit diesen Büchern etwas sparsamer umgegangen wird, damit die Kinder auch angehalten werden, sich etwas sparsamer zu verhalten, damit auch die jüngeren Brüder und die jüngeren Schwestern das Buch noch einmal verwenden. Das sind zwei einfache, kleine Beispiele, die weder Winter noch Sommer machen. Aber das verstehe ich unter dem, was an der Peripherie im Wachstum im Überfluß geschehen ist.
({39})
Aber auch wenn wir wissen, was an der Peripherie geschehen ist, darf uns dies nicht, wie es geschieht, verleiten, uns nicht ebenso ernst zu dem zu bekennen, was im Kern für die Menschen geschehen ist, was notwendig war und was auch viel Geld gekostet hat.
({40})
Es war doch so - denken Sie einmal darüber nach; wir sind ja alle schon einmal Regierung und Opposition gewesen -: Wenn die jeweilige Regierung eine Idee hatte, wenn sie etwas vorhatte, hat die jeweilige Opposition nie gebremst. Wie sollte sie denn auch? Die jeweilige Opposition hat immer mehr gefordert und ihre Truppen im Bundesrat nur unter der Bedingung zur Zustimmung ermächtigt, daß noch etwas daraufgesetzt worden ist. So ist es gewesen, als Sie hier in Bonn die Regierung stellten, und so ist es gewesen, als wir in den letzten 13 Jahren die Regierung gestellt haben.
({41})
Wer soll dann dem anderen Schuld vorwerfen? Wenn es hier Schuldige gibt, dann waren wir alle es, niemand anderes.
Ich möchte auf die Geschichte von Joseph im Alten Testament zurückkommen. Es geht um die Scheunen, die damals für die Not gebaut worden sind.
({42})
- Sie scheinen das Neue Testament lieber zu haben. Aber auch das Alte Testament enthält viele Weisheiten. Eine davon will ich ansprechen.
({43})
Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht von Scheunen, sondern ganz konkret von einer Scheune reden.
({44})
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung betrugen 1949 6,5%. 1955 wurden sie auf 3% gekürzt. 1957 wurden sie auf 2% gesetzt. 1961 wurden sie auf null gesetzt. Sie wissen doch, wer damals hier regiert hat.
({45})
Das geschah in den fetten Jahren. Damit wurde eine Scheune, die wir hatten, bis auf das Fundament, bis auf die Grundmauern abgerissen - und das in einer Zeit, in der die CDU mit Konrad Adenauer, der doch gewiß ein bibelfester Mann war, mit absoluter Mehrheit unser Land regiert hat.
({46})
Alle waren zufrieden, die Unternehmer und die Arbeitnehmer, diese vor allem, weil sie weniger Beiträge zahlen mußten. Für die Unternehmer bedeutete dies weniger Kosten und für die Arbeitnehmer mehr Einkommen. Das hielt aber nicht. Die Beiträge wurden später wieder erhöht: 1962 auf 1,4 %, 1964 auf 1,3 %. Mit dem Geld der Arbeitslosenversicherung wurde dann, als die Beiträge auf 1,3 % festgesetzt wurden, kaum Arbeitslosenunterstützung gezahlt, denn Arbeitslose gab es damals nicht. Es wurden Aufgaben wie Umschulung und anderes finanziert. Dafür wurden die Mittel auch völlig ver8612
braucht. Von einer Reserve für Arbeitslosigkeit war in der Scheune also überhaupt keine Spur. Das ist geschehen, als Sie die absolute Mehrheit hatten, nicht gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Die Scheune wurde gemeinsam eingerissen.
Ich frage nur theoretisch: Was wäre wohl geschehen, meine Damen und Herren, wie stünde der Herr Kohl heute da, wenn wir die Bundesanstalt für Arbeit in den fetten Jahren nicht völlig trockengelegt hätten, sondern für magere Zeiten einen Beitrag von 2 % erhoben und ihn durchgehalten hätten? Das hätte theoretisch dazu geführt, daß wir aus diesen Beiträgen in der Scheune gegen Arbeitslosigkeit heute sicher viele, viele Milliarden zur Verfügung hätten, mit denen wir bei gar nicht geringer Arbeitslosigkeit viele Menschen über viele Jahre vor Not hätten bewahren können.
Meine Damen und Herren, ich bin das erste Mal auf diese Frage gestoßen, als wir uns 1967 um die Beseitigung einer Krise bemühen mußten. Die damalige Kiesinger/Brandt-Regierung mußte eine Rezession bekämpfen, die keine Weltkrise als Ursprung hatte, sondern zu Hause entstanden war. Die Regierung war illiquide, wie Sie wissen. Die Zahlungen waren eingestellt. Die Staatskassen konnten die Unternehmer nicht mehr bezahlen. Das ist bis jetzt in der gegenwärtigen Krise noch nicht der Fall gewesen. Die Staatskassen können den Bürgern gegenüber jede Pflicht erfüllen.
({47})
Um damals mit der Rezession fertig zu werden, mußte der Staat sich unverzüglich zusätzliche Mittel beschaffen, Mineralölpfennige und andere. Meine Damen und Herren, soviel Spatenstiche und erste Rammschläge, wie der damalige Verkehrsminister vornehmen mußte, werden einem Minister nie mehr zugemutet werden. Die Krise wurde bewältigt, und die vielen U-Bahnen, die S-Bahnen und die Stadtbahnen, die wir damals auf Grund gelegt haben, leisten heute längst für den Bürger ihren Dienst.
Ich weiß, das läßt sich nicht wiederholen. Ich weiß auch, daß die schöne Geschichte von Joseph im Alten Testament sich in einer modernen Industriegesellschaft überhaupt nicht verwirklichen läßt. Der demokratisch verfaßte Staat schafft es eben nicht, vor den Augen seiner Bürger solche Reserven zu bilden, solche Türme zu bauen und sie über längere Zeit unversehrt zu erhalten. Wirtschaftspolitisch und währungspolitisch wäre es auch nicht richtig, weil Geld, das man über längere Zeit in solchen Türmen hortet, sich anders verhält als Korn oder Weizen, wenn man sie für arme Zeiten in Speicher tut. Geld, das man in Türme legt und über längere Zeit dem Kreislauf entzieht, wirkt dann, wenn es wieder in den Kreislauf hineingepumpt wird, wie Geld, das neugedruckt ist, ohne daß dafür eine Dek-kung vorhanden ist.
Das ist damals, als es einmal einen „Juliusturm" gab, gründlich geklärt worden. Es gibt in der modernen Industriegesellschaft in Wirklichkeit also auch keinen vernünftigeren Weg, als die Deckung für die
Risiken, die es jeweils unter den Bedingungen gibt, unter denen man lebt, im Umlageverfahren zu suchen.
({48})
Wenn dieses Prinzip aber richtig ist, meine Damen und Herren, und wenn es von jeder Regierung, seit die Bundesrepublik besteht, so gehandhabt wurde, darf man prinzipiell auch keiner Regierung einen Vorwurf machen, wenn sie sich darauf beruft, weil sie die Folgen von Einbrüchen in der Beschäftigung abwehren muß. Das hat die Regierung der sozialliberalen Koalition getan, und auch die jetzige Regierung hat keinen anderen Weg. Aus diesem Grund erheben wir einen solchen Vorwurf auch nicht gegenüber der Regierung Kohl/Genscher.
Deshalb geht es in der jetzigen Auseinandersetzung nicht um das Ob, sondern um das Wie, nämlich darum, wie die Regierung einen solchen Weg geht.
({49})
Die vorherige Regierung unter Helmut Schmidt hat versucht, die Belastung, die auch damals notwendig war, gerecht und gleichmäßig über die gesamte Bevölkerung zu verteilen. Sie hat die Mittel, die sie brauchte, durch eine Mixtur von Einnahmen, Belastungen und Ausgabeverminderungen, die so gerecht wie möglich verteilt wurden, und durch Verschuldung - das letztere sind vertagte Einnahmen - sorgsam abgestimmt beschafft, um die Wirkungen der Arbeitslosigkeit für die Menschen zu mildern und gleichzeitig Arbeit zu schaffen, und der Weltwirtschaftskrise entgegenzuwirken versucht.
Was die heutige Opposition der heutigen Regierung zuerst vorwirft, ist die Tatsache, daß diese den eingetretenen Mangel im Umlageverfahren verteilt, daß sie den Bürger, der von seiner Arbeit lebt, und den, der nicht mehr arbeiten kann, ungleich stärker belastet, als sie andererseits den schont, der hohe Einkünfte aus seiner Arbeit oder hohe Einkünfte aus Kapitalbesitz hat. Wir werfen dieser Regierung vor, daß sie an den Wirkungen der Beschäftigungslosigkeit kuriert, statt die Ursachen dieser Beschäftigungslosigkeit anzupacken. Diese sind struktureller Art.
({50})
In Wirklichkeit, Herr Bundeskanzler, belasten Sie das Volk, und Sie decken damit vermutlich in der Tat nur ein Tuch über die Probleme, weil Sie dabei die Ursachen ungelöst lassen.
Der Regierung ist ebenso vorzuhalten: Sie strengt sich nicht genügend an, und sie zeigt nicht, daß sie die Wurzeln der Krise, soweit sie im Ausland liegen, energisch und nachhaltig bekämpft. Ihr Vorgänger, Herr Bundeskanzler, hat das getan. Dadurch wird man in der Welt nicht immer sehr beliebt, aber es ist wichtig für Deutschland, daß man einen solchen Weg geht, auch wenn das unbequem ist und man nicht beliebt wird.
({51})
Ihre Besuche im Ausland, Herr Bundeskanzler, sind für mein Gefühl zu harmonisch verlaufen.
Aber in dem Zustand, in dem Sie sich befinden, brauchen Sie das vielleicht auch nicht zu bedauern, jedenfalls so lange nicht, wie Sie die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen für uns bisher aus parteitaktischen Gründen ausgeklammert haben und leugnen. Deshalb brauchen Sie dort mit den Leuten nicht über die Beseitigung zu reden.
({52})
Dafür, Herr Bundeskanzler, wird von Ihnen eines Tages Rechenschaft verlangt werden. Sie werden sich an den Folgen dessen, war Sie jetzt tun, nicht vorbeimogeln können.
({53})
Was die in Betracht kommenden Belastungen angeht: Wissen Sie eigentlich, meine Damen und Herren in der Bundesregierung, wie sehr das, was Sie den Menschen zumuten, in vielen Fällen wirkt, wenn es im Brennglas gebündelt auf sie zukommt? Haben Sie das einmal überschlagen? Ich glaube nicht. Ich würde sonst viele, die das hören, mit ernsteren Gesichtern sehen, als das jetzt der Fall ist.
({54})
Ich verkehre in vielen Gremien, auch in kirchlichen Bereichen, und ich weiß, daß die Menschen dort sehr ernst sind, wenn sie das Brennglas anlegen.
Wissen Sie eigentlich nicht, daß es ernsthafte Berechnungen gibt, nach denen alles gewissenhaft geprüft worden ist, was Sie diese Woche auf den Tisch legen? Wissen Sie nicht, daß nach diesen Berechnungen, wenn man alles zusammen nimmt - das muß man ja -, was aus den verschiedenen Ressorts der Regierung auf einen Arbeitnehmerhaushalt mit vier Kindern zukommt, eine fast existentielle Belastung dieser Familie entsteht?
({55})
Das, was der Arbeitsminister Blüm macht, kann man allein diskutieren. Das, was der Wohnungsbauminister macht, kann man allein diskutieren. Das, was der Familienminister macht, kann man allein diskutieren.
({56})
Das, was andere machen, kann man allein diskutieren. Aber wenn Sie alles, was wie ein Strom aus allen Ressorts kommt, auf diese Familie mit vier Kindern bündeln, fängt es dort vor Not an zu brennen.
({57})
Ist Ihnen denn völlig unbekannt, Herr Bundeskanzler - Sie tragen zuerst die Verantwortung dafür, und ich wende mich an niemand anders als an Sie -,
({58})
daß eine solche Familie, Eltern mit vier Kindern, nicht wegen dieser oder der anderen Belastungen, über die man alleine, für sich mit sich reden lassen kann - die auch mit sich darüber reden ließe -, sondern bei Addition aller Belastungen, die Sie den
Menschen in dieser Woche servieren, angefangen bei den Preissteigerungen, die es ja wohl gibt - die verordnen Sie nicht, die gibt es; eine Regierung muß doch berücksichtigen, daß es sie gibt, sie kann sie doch nicht ausklammern, insbesondere dann nicht, wenn einer kommt und sagt, Lohnerhöhungen müßten unterbleiben; dann muß man die Preissteigerungen erst recht einkalkulieren -,
({59})
über die Mehrwertsteuer, über die Mieten und über vieles andere bis hin zum BAföG, nach diesen Berechnungen eine Einkommensschmälerung, eine Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Lage bis zu 30 % haben wird?
({60})
- Ich rechne Ihnen das gern vor.
({61})
- Sie kriegen das alles fein säuberlich vorgerechnet, wenn die einzelnen Haushalte beraten werden. Wenn die einzelnen Posten zur Debatte stehen, schreiben Sie sich das bitte, wenn Sie addieren können, untereinander und rechnen aus, was das für eine Familie mit vier Kindern ausmacht! Dann kommen Sie unter dem Strich zu dem Ergebnis, das ich Ihnen soeben gesagt habe.
({62})
Daß Sie im Subtrahieren gut sind - wenn es darum geht, anderen etwas abzuziehen -, haben Sie längst bewiesen. Das Addieren von Belastungen müssen Sie endlich auch einmal lernen.
({63})
- Weil ich nicht möchte, daß Sie auf das Ende meiner Rede länger als bis 13.15 Uhr warten müssen.
Wie wollen Sie das, Herr Bundeskanzler, was in den einzelnen Ressorts Ihrer Regierung zusammengebraut worden ist - ich halte Ihnen gerne zugute: Sie sind viel im Ausland gewesen, Sie hatten viel zu tun, so daß Sie das in der Addition vielleicht selber noch gar nicht übersehen -, vor den Menschen in unserem Lande vertreten?
({64})
- Weil es um die Addition geht, reden wir darüber auch nicht nur im Zusammenhang mit den einzelnen Haushalten der verschiedenen Ressorts, sondern wir reden darüber im Zusammenhang mit dem Kanzlerhaushalt. Das gehört zur politischen Gesamtverantwortung des Bundeskanzlers.
({65})
Wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, das vor allem vor den Kirchen verantworten, die von Ihnen christliche Familienpolitik fordern? Sie müssen doch spüren, wie es in den Kirchen schon kriselt,
seit Sie mit dem Rasenmäher über fast alles herziehen lassen, was dort hochgehalten wird.
({66})
Sie können nur noch sagen, Sie wüßten das nicht genau. Warten Sie, das kommt dick über Sie, viel dicker, als Sie glauben.
({67})
- Ich weiß ja, das ist unbequem. Aber Demokraten erkennt man in der Regel am Zuhören, nicht nur am Reden. Das sollten Sie ein bißchen üben.
({68})
Ein Wort zur Beschäftigungslosigkeit! Sie wollen es ja besser machen als die alte Regierung. Das ist ein gutes Recht einer neuen Regierung, daß sie das behauptet.
({69})
Im Haushalt 1983, den Sie jetzt in dieser Woche hier vorlegen, steht herzlich wenig über die Schaffung neuer Arbeitsplätze, habe ich festgestellt.
({70})
In Ihrer Rede von heute haben Sie außer ein paar theoretischen Floskeln und der Bemerkung, es müßten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, überhaupt kein konkretes Wort zu dem gesagt, was die Menschen draußen im Lande - in der Zwischenzeit zwei Millionen Menschen - am härtesten in ihrer Existenz betrifft - kein Wort.
({71})
Diesen Teil Ihrer Pflicht - ({72})
- Natürlich verstehe ich was davon. Deshalb sage ich das ja gerade: weil er nichts gesagt hat.
({73})
Diesen Teil Ihrer Pflicht, Herr Bundeskanzler,
({74})
Menschen, die ohne Schuld keine Arbeit haben, Eröffnungen zu machen, indem die Regierung sich um Arbeit für sie bemüht und das sichtbar macht, damit sie auch glauben können, daß das ernsthaft geschieht, das hängt auch mit Vertrauen in den demokratischen Staat und seine Führung zusammen, daß der Mensch draußen sieht und erkennt, daß die Regierung sich um seine Sorgen, die er wirklich hat, ernsthaft bemüht.
({75})
Diese Pflicht, Herr Bundeskanzler, und diese Sorgen, die Sie haben, delegieren Sie in schöner Seelenruhe und in feierlichen und weihevollen Reden
auch heute hier wieder an die Marktwirtschaft mit ihren heilenden Kräften. Mir kommt es so vor, Sie empfehlen Kneippkuren da, wo Sie als Chirurg eigentlich das Skalpell ansetzen müssen, um Strukturprobleme zu beseitigen.
({76})
Damit bin ich bei einer heiligen Kuh. Ich will Ihnen offen sagen, wie ich als jemand, der seine Wurzeln in der Arbeiterschaft und in den Gewerkschaften hat, dazu stehe. Das wissen Sie aber auch. Ich habe die Regeln und das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft immer für eine vernünftige und erfolgversprechende Art zu wirtschaften gehalten und habe dafür auch gestritten und habe das auch verteidigt, als das in den Reihen der Gewerkschaften in Anfangsstadien noch nicht so von allen gesehen wurde. Ich weiß auch, daß wir diesem Prinzip zur Wirtschaft vieles von unserem Fortschritt verdanken.
Was schlecht daran ist, das ist die Tatsache, daß sie hochstilisiert worden ist wie eine Religion, und jeder Zweifel daran, ob sie auch fähig ist, alle Probleme zu lösen, schon als eine Sünde wider dieses Dogma angesehen wird.
({77})
Wer die Marktwirtschaft bewahren und wer sie funktionsfähig erhalten will, der erweist ihr dann einen Dienst, wenn er ihr nichts zumutet, was sie nicht zu leisten vermag. In der Lage, in der wir sind, ist es nötiger denn je, gewissenhaft zu prüfen, was sie leisten kann und wozu sie fähig ist, und auch - und das ist noch wichtiger in der Gegenwart -, was sie nicht leisten kann und wozu sie nicht fähig ist. Sie ist jedenfalls kein Mittel, mit dem Regierung und Staat sich ihrer Verantwortung entziehen können.
({78})
Wer das doch tut, der schadet der Marktwirtschaft und ihrem Ruf, weil er eine an sich gute Art zu wirtschaften diskriminiert, weil er ihr etwas zumutet, was sie a priori überhaupt nicht zu leisten vermag. Das tut Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler. Sie diskriminieren die Marktwirtschaft, weil Sie ihr Dinge zumuten, die sie nicht kann.
Das ist, wie Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika über die Arbeit vor noch nicht langer Zeit sagte, der primitive Kapitalismus, der auf dem Rükken der Menschen, die sich nicht wehren können, ausgetragen wird, statt sozialstaatliche Wege zu gehen und durch sie entsprechende Lösungen zu suchen. Ich möchte das voll unterstreichen.
({79})
- Ich kann ja nicht damit rechnen, daß Sie alle päpstlichen Enzykliken kennen. Sie meinen, das sei alles schon gemacht, wenn Sie sonntags mal in die Kirche gehen. Sie müssen auch mal hören, was der Papst sagt, meine Damen und Herren! Das ist manchmal sehr wertvoll.
({80})
Das alles muß man dann auch noch vor Ort betrachten.
({81})
- Ich würde mir erst einmal einen Spiegel kaufen und hineingucken, lieber Freund.
({82})
Ich möchte das gerne noch etwas vor Ort erläutern, was ich meine. Es ist so schwer, Ihnen beizubringen, was man denkt, wenn man einer anderen Partei angehört.
({83})
- Meine Damen und Herren, ich meine das sehr ernst. - Wenn man die Probleme nimmt, die von außen kommen - ich nenne Ihnen jetzt einen Fall -, dann ist es nicht denkbar, daß der Ausfall an Arbeit, der dadurch entsteht, daß Brasilien eine Zementfabrik, die wir herstellen und liefern könnten, bei uns kaufen würde, es aber nicht kann, weil es von einer Wirtschaftskrise erfaßt ist, durch marktwirtschaftliche Regeln und unternehmerische Initiative hier im Lande so ausbalanciert werden könnte, daß diese Maschinenfabrik wieder Arbeit hätte. Das ist doch ein Unding.
({84})
Ein Unternehmer, dem man etwas anderes zumutet als das, was seiner unternehmerischen Interessenlage entspricht, der wird nicht innovieren; wenn der Unternehmer auf das einginge, was ihm zugemutet wird, würde er ruinieren, was er hat. Was tun Sie konkret, Herr Bundeskanzler, um diesem Unternehmer zu helfen, damit er seine Zementfabrik nach Brasilien liefern kann? Das ist eine Frage vor Ort.
Es gibt Länder, die tun etwas. Manches von dem, was in diesen Ländern getan wird, ist nicht nach unserem Gusto, auch nicht nach meinem. Aber diese Regierung tut überhaupt nichts, nicht einmal etwas, was gegen unseren Gusto geht. Sie läßt alles laufen.
({85})
Sie vertrauen dabei allein auf die selbstheilende Wirkung - ich hätte fast gesagt, von Wasser - in diesem Fall der Marktwirtschaft.
Ein zweites Beispiel, Herr Bundeskanzler. Die Mikroelektronik hält bei uns kräftig ihren Einzug. Sie gilt als ein neues Element des technischen Fortschritts, und sie wird hoch gelobt. Ich bin überzeugt, sie ist auch lobenswert. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort diesen Vorgang, der in unserem Lande wahrscheinlich eine industrielle Revolution auslöst, erwähnt. Er steht nicht auf dem Papier, sondern er ist in unserem Lande im Gange. Wenn nichts geschieht, wenn nur Investitionen angereizt werden, dann ist es sehr gut möglich, daß diese neue Technologie in unserer Wirtschaft forciert eingeführt wird. Dann wird in Mikroelektronik investiert, um im Wettbewerb bestehen zu können, und es werden in Wirklichkeit Arbeitsplätze weginvestiert und wegrationalisiert. In Wirklichkeit werden am Ende des Prozesses Arbeitskräfte freigesetzt sein. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen? Sie tun doch nichts?
Der technische Fortschritt produziert gegenwärtig mit staatlichen Anreizen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit die zweite Generation der Krise. Die Arbeitslosen werden dann mit Sicherheit der Allgemeinheit als Abfall vor die Türe gekehrt werden.
({86})
Wer den Schwerpunkt so offensichtlich auf die Beschneidung sozialer Leistungen legt, der löst keine Strukturprobleme, ob sie auf dem Weltmarkt oder im heimischen Markt ihre Ursachen haben. Mit Sicherheit dämpft er aber die Nachfrage der Empfänger von Masseneinkommen und trägt damit zur Verstärkung der Krise bei.
({87})
Als unsere Wirtschaft im Wachstum war, hatten wir die Fragen der gerechten Verteilung des Wachstums zu beantworten. Wenn das Wachstum nachläßt, wenn es sich der Null nähert, wenn die Null gar unterspült wird und wenn das alles in der einen oder anderen Nuance längere Zeit anhält, wenn aus Strukturproblemen vorn Staat keine Schlüsse für Strukturpolitik gezogen werden, dann muß uns eine solche Zeit fast zwangsläufig an das Ende des sozialen Friedens und hinein in soziale Spannungen führen, die ihrerseits alles noch verschlimmern können und es wahrscheinlich auch verschlimmern müssen.
({88})
Ich sage als Gewerkschaftler, dessen öffentliches Wirken sich seinem Ende nähert: Ich habe Sorgen, daß unser Land auf dem Weg, den die Regierung jetzt begonnen hat zu gehen, unaufhaltsam in eine Entwicklung läuft, in deren Verlauf sich die Gewerkschaften dagegen stemmen müssen, daß keine Strukturpolitik gemacht wird und im Umlageverfahren Lasten über die Masse des einfachen Volkes gehäuft werden. Das führt zum offenen und tiefen Widerstand und zu heftigem Konflikt in der Gesellschaft und zu heftigen Auseinandersetzungen auch zwischen Regierung und Gewerkschaften.
({89})
Die Gewerkschaften können und dürfen nicht hinnehmen, daß die Empfänger kleiner Einkommen mit Opfern bedacht werden, die ihre Existenzbedingungen verändern, und ein anderer Teil verschont wird, der sogar verdienen soll, um zu investieren, und schließlich kein Ende der Arbeitslosigkeit, sondern ihre Verstärkung dabei herauskommt.
({90})
Herr Bundeskanzler, Sie dürfen es nicht so weit kommen lassen, daß die Gewerkschaften an die Wand gespielt werden - Sie sind schon dabei ({91})
und daß sie dann zum Prügelknaben der Nation gemacht werden. Das möchten einige.
({92})
- Reden Sie doch nicht so dumm daher, wenn über so etwas gesprochen wird!
({93})
Ohne die Gewerkschaften und ohne ihr Verantwortungsbewußtsein würden Sie wahrscheinlich gar nicht hier im Bundestag in einem Land sitzen, in dem es so gut geht. Sie sollten nicht darüber reden, wenn Sie nicht wissen, über was Sie reden.
({94})
Aber das zeigt ja, wo Sie stehen - Sie sitzen mitten in der CDU -, wenn Sie so über Gewerkschaften und die Sorgen von Arbeitnehmern reden. Das, was Sie hier zeigen, ist etwas anderes als das, was Sie in den nächsten Wochen den Wählern im Lande draußen vorgaukeln werden.
({95})
Ohne die Gewerkschaften und ohne das Verantwortungsbewußtsein, das sie so oft bewiesen haben, läßt sich keine Krise lösen, Herr Bundeskanzler. Das müßten Sie wissen. Sie können es nur mit den Gewerkschaften schaffen, aber nicht gegen sie und nicht ohne sie.
({96})
Und ich sage Ihnen: Sie können es auch nicht mit Männern in Ihrer Fraktion schaffen, die solche Zwischenrufe machen, wie sie eben hier gemacht wurden, aus denen viel Verachtung spricht.
({97})
In dieser Gefahr sind Sie, Herr Bundeskanzler. Ich warne Sie, auf diesem Weg, ohne Korrekturen und ohne Einsichten, weiterzugehen. Am Ende kann dabei in unserer immer noch jungen Demokratie mehr auf dem Spiel stehen - mehr.
Ich will Ihnen da ein Erlebnis erzählen. Ich habe mir 1968 viel Mühe gemacht, den Ursachen der damaligen Unruhen nachzugehen. Ich war zusammen mit Carlo Schmid in Paris. Denken Sie mal darüber nach! Ich habe dort gesehen, wie Hunderttausende von Menschen über die Champs Elysées zogen - de Gaulle war schon nicht mehr in Frankreich; er hatte seinen Freund in Baden aufgesucht; Pompidou hatte die Geschäfte übernommen -, die Menschen schrien: „Nieder mit der Regierung" und hatten die Fahne der Republik, ihre Fahne, die Trikolore in der Hand.
Hier habe ich dann einige Wochen später erlebt, daß nicht geschrien wurde „Nieder mit der Regierung", sondern die Fahne heruntergerissen und daraufgetreten wurde. - Als ich an einem Abend aus dem Verkehrsministerium nach Hause fuhr - es war 1969 - traf ich an einer Ampel, die auf Rot geschaltet war, eine Anzahl junger Leute, die wohl aus einem Seminar kamen. Sie hatten mich erkannt und machten ihre Spötteleien und ihre Witze über mich: „Na, Schorsch, Überstunden gemacht?" oder so etwas. Und dann ging einer vorne hin und spuckte auf den Stander. - Ich rate Ihnen: Denken wir einmal darüber nach! Wenn sie mich angespuckt hätten - na ja; wenn sie sich vor den Stander gestellt, ihre Fahne so wie auch die in Paris gehalten und „Weg mit der Regierung" geschrien hätten, dann wäre es richtig gewesen. Glauben Sie ja nicht, meine Damen und Herren, daß dieser junge demokratische Staat, von dem wir heute so sicher ausgehen, schon so gefestigt ist, daß er, ohne daß wir auch Sorge haben müßten, fähig ist, Probleme und Krisen durchzustehen!
Um so wichtiger ist es, daß gerade auch das Verhältnis zu den Gewerkschaften sauber gehalten wird und daß die nicht in eine falsche Position kommen.
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Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.
Meine Fraktion gibt mir das dazu, Herr Präsident.
Jemand, der wie ich zur Opposition gehört, hat die Pflicht, eine Regierung auf solche Gefahren hinzuweisen.
({0})
Als Sie von der CDU in der Opposition waren, haben Sie es immer abgelehnt, der damaligen Regierung Vorschläge zu machen.
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- Das haben Sie von diesem Pult aus immer erklärt. Viele von meinen Freunden, auch ich, würden uns nicht weigern, wenn Sie unseren Rat haben wollen.
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Zuerst müssen Sie, Herr Bundeskanzler, den Boden dafür bereiten, indem Sie mit Ihren Schuldzuweisungen aufhören. Niemand von uns kann ausschließen, daß eine Zeit kommt, in der wir der gemeinsamen Anstrengung und der Gemeinsamkeit bedürfen, wenn es um unseren Staat gehen sollte.
Wer immer unser Land vor oder nach dem 6. März 1983 regiert, der darf sich keinen denkbaren Weg zur Lösung einer langfristigen Problematik der Beschäftigung verbauen, weil es vielleicht keinen anderen oder keinen besseren als einen problematischen und einen schwierigen Weg gibt. Ich will nicht meine eigene Meinung anfügen, sondern ich möchte Ihnen die Stimme eines Mannes zitieren, der zu den großen Genies unseres Jahrhunderts gehört. Er war kein Fachmann auf dem Gebiet der Ökonomie oder der Gesellschaftspolitik, aber er hat bewiesen, daß er denken kann, und er hat gewiß auch in einer anderen Zeit gedacht als der, in der wir unter anderen Bedingungen leben. Er hat in seiDr. h. c. Leber
ner Zeit mit Verstand mitgedacht. Auch wenn nicht alles zu gelten braucht, so gilt vieles doch. Sein Name war Albert Einstein. Dieser Albert Einstein hat am Beginn der großen Wirtschaftskrise, Anfang der 30er Jahre - wir haben heute ungefähr soviel Arbeitslose, wie das deutsche Reich damals hatte -,
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die dann in viel Schlimmeres mündete, folgendes geschrieben. Ich zitiere jetzt Einstein:
Wenn es etwas gibt, das einem Laien auf dem ökonomischen Gebiet den Mut geben kann zu einer Meinungsäußerung über das Wesen der beängstigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gegenwart, so ist es das hoffnungslose Gewirr der Meinungen der Fachleute. Was ich zu sagen habe, das ist nicht neu, und es will nicht mehr sein als der Ausdruck der Überzeugung eines unabhängigen, eines ehrlichen Menschen, der unbeschwert durch nationale und Klassenvorurteile nichts anderes wünscht als das Wohl der Menschheit und eine möglichst harmonische Gestaltung unseres menschlichen Daseins ...
Nach meiner Überzeugung ist diese Krise insofern nicht vom Charakter der früheren Krisen, als sie auf durch den raschen Fortschritt der Produktionsmethoden bedingten, ganz neuartigen Produktionsverhältnissen beruht.
Das gilt alles bis jetzt. Einstein sagt weiter:
Für mich steht fest: Derselbe technische Fortschritt, der an sich berufen wäre, den Menschen einen großen Teil der zu ihrer Erhaltung nötigen Arbeitslast abzunehmen, ist eine Hauptursache mit des gegenwärtigen Elends ...
An einer anderen Stelle heißt es:
... Es ist durch gesetzliche Verfügungen in den einzelnen Produktionszweigen die wöchentliche Arbeit so zu kürzen, daß dadurch die Arbeitslosigkeit systematisch für alle beseitigt wird ...
So sagte Albert Einstein 1929 in Berlin.
Ich füge hinzu, Herr Bundeskanzler: Wenn es bessere Wege gibt, dann soll man sie gehen. Wenn es viele Wege gibt, wenn man sie alle versucht hat und die Arbeitslosigkeit doch bliebe, ja sogar weiter wachsen sollte - wie z. B. Oswald von Nell-Breuning, der die Zeit bis zum Jahr 2000 nach Gründen hochgerechnet hat, es auch vermutet und fürchtet -, dann bliebe nur die Möglichkeit der Erhaltung der Menschen, die man ohne Arbeit läßt. Diejenigen, die in Arbeit sind, müßten dann für deren Lebensunterhalt aufkommen: Die einen wären arbeitslos und die anderen bezahlten den Lebensunterhalt für die, die keine Arbeit haben, mit. Aber selbst wenn man die Kosten für die Arbeitslosigkeit, die Kosten für den Teil des Volkes, der lange ohne Hoffnung und ohne Arbeit verharren müßte, auf alle, die arbeiten und verdienen, gerecht verteilen würde, bliebe ein schlimmer Makel: Menschen mit dem Anspruch auf Menschenwürde wären auf die Dauer erniedrigt, weil sie Kostgänger anderer wären. Dies muß zu Spannungen und zu wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen. Wäre es nicht vernünftiger, sich einem Weg nicht zu verschließen, der von vielen, die mitdenken, heute schon für so diskussionsunwürdig nicht mehr gehalten wird?
Wenn unsere Politik, die ernste Sache, um die es hier geht, nach der Methode von Buchhaltern begriffen und behandelt wird, dann, fürchte ich, kann am Ende mehr in Frage stehen als die auf Ausgleich bedachte politische Buchhaltung eines Haushaltsjahres. Dann könnte es sein, daß viele, wenn es vielleicht schon zu spät ist, entdecken, daß Geld zwar ein wichtiges Gut ist, daß es unter allen wirklich wertvollen Gütern des menschlichen Lebens aber den weitaus niedrigsten Rang einnimmt. Dies sollten wir auch bedenken.
Einer, der einen Namen trägt, wie ich ihn habe, Julius Leber, hat in der damaligen Zeit einmal geschrieben:
Die Deutschen benehmen sich oft wie Pferde: Sie scheuen immer an der Stelle, an der sie einmal von einer Gefahr überfallen worden sind. Sie denken nicht daran, daß die Gefahr das nächste Mal an einer ganz anderen Stelle lauern kann.
Ich dachte, meine Damen und Herren, es wäre richtig, das einmal zu sagen.
Es geht hier um den Haushalt 1983. Dahinter geht es um Wahlen. Aber in Wirklichkeit geht es - wie selten bei Haushalten und bei Wahlen - dieses Mal dahinter um viel, viel mehr als um Haushaltsausgleich und um Wahlen.
Das, was die soziale und wirtschaftliche Existenz vieler Menschen im Lande betrifft, ist nicht wenig.. Wenn das hinzukommt, was viele, die jung sind, umtreibt in unserem Lande - das sind nicht alles schlechte junge Menschen -, und das, was in der vor uns liegenden Zeit politisch sonst noch ansteht, was entschieden werden muß, was voll ist von Spannungen und Hochspannungen, dann ist das, wenn es addiert wird, viel, so viel, daß hohe Wachsamkeit geboten ist.
Sehr vieles ist in unserer Zeit anders als damals, als der Bürger Einstein seine Gedanken aufschrieb. Vieles ist besser. Vieles ist nicht so gefährlich wie damals. Aber vieles ist deshalb nicht leichter. Und nichts, was die Menschen bewegt, was sie bedrückt, dürfen wir leicht oder leichter nehmen, weil sie sonst Vertrauen in die Führung des demokratischen Staates verlieren, das sie besonders in Krisen haben können müssen. - Ich danke Ihnen sehr.
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Meine Damen und Herren, mir wurde mitgeteilt, daß soeben interfraktionell vereinbart wurde, vor der Mittagspause noch einen
Vizepräsident Wurbs
Redner dranzunehmen und die Mittagspause entsprechend zu verschieben.
Ich erteile das Wort dem Minister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem großen Gewerkschafter Schorsch Leber, dem verdienten Bundesminister und geschätzten Parlamentskollegen hier ausdrücklich meinen Respekt aussprechen, auch am Ende seiner Parlamentslaufbahn, in der er sich große Verdienste erworben hat. Aber, lieber, verehrter Kollege Schorsch Leber, ich habe Sie jetzt eine Stunde die Regierung kritisieren gehört. Sie haben in dieser ganzen Stunde keinen Satz, kein Wort darüber verloren, wie 2 Millionen Arbeitslose wieder in Arbeit kommen, wie 300 Milliarden DM Schulden abgebaut werden können. Kein Satz zu diesen Fragen!
({0})
Mir wie dem Kollegen Leber und jedem von uns fallen die Opfer schwer, die unseren Mitbürgern, der Rentnerin oder der vielköpfigen Familie, zugemutet werden. Aber, meine Damen und Herren, hätten wir nicht 2 Millionen Arbeitslose, für die diese Regierung nun wirklich nichts kann, hätten wir nicht diese 2 Millionen Arbeitslosen, wäre das Sozialprodukt 100 Milliarden höher, der Staat hätte mehr Einnahmen, die Sozialkassen hätten mehr Beiträge, und zwar in Höhe von 60 Milliarden DM.
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Was alles könnten wir mit 100 Milliarden machen! Ich wüßte lohnende Ziele - für die Rentnerin, für die Familie. Gäbe es nicht die Arbeitslosen, die wir nicht zu verantworten haben, die Sie uns hinterlassen haben, könnten wir eine ganz andere Sozialpolitik machen!
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Verzeihen Sie, Herr Bundesminister. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder?
({0})
Nein, meine Damen und Herren, ich antworte jetzt auf Schorsch Leber; bitte, lassen Sie diesen Dialog zu.
Meine Damen und Herren, hätten wir nichts gemacht, hätten wir die Hände in den Schoß gelegt, wäre die Rentenversicherung im August nächsten Jahres illiquid, zahlungsunfähig gewesen. Die Opfer, die wir abverlangen, sichern die Renten!
({0})
Ich berufe mich ausdrücklich auf das, was Schorsch Leber hier eindrucksvoll vorgetragen hat:
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Die Rente wird nicht aus irgendwelchen angesparten Beiträgen finanziert, sondern immer nur aus
dem Geld, das jetzt in die Rentenkassen eingezahlt wird. Also ist Arbeitslosigkeit - ich wiederhole mich: Arbeitslosigkeit, die Sie uns hinterlassen haben - der schwerste Angriff auf die soziale Sicherheit - und damit auf die Rentner.
({2})
Meine Damen und Herren, zu dem, was wir zur Einnahmeverbesserung vorschlagen, haben Sie doch nur eine einzige Alternative. Es ist die Ergänzungsabgabe. Das ist die einzige Alternative, die mir bekannt ist,
({3})
die einzige Alternative für Mehreinnahmen, die wir nicht vorgesehen haben. Diese Ergänzungsabgabe bringt nach Ihren eigenen Berechnungen Einnahmen von 2,5 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das stimmt doch wohl? Die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, verursachen eine Zinslast von 25 Milliarden. Das ist zehnmal soviel, wie die Ergänzungsabgabe einbringen würde. Jetzt frage ich Sie - Sie, Schorsch Leber -: Wer erhält die 25 Milliarden Zinsen, die wir auf Grund Ihrer Hinterlassenschaft zu zahlen haben? Ganz bestimmt nicht die armen Leute!
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Diese 25 Milliarden Zinsen, die der Staat zahlen muß, kommen den Reicheren zugute. Damit haben Sie eine Umverteilung von unten nach oben organisiert, und die hinterlassen Sie uns!
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Schuldenmachen ist - diese Behauptung stelle ich auf, und, Schorsch Leber, wenn das nicht stimmt, bitte ich Sie, an dieses Rednerpult zu gehen - die asozialste Politik, die es gibt, die Politik auf den Knochen der kleinen Leute, und diese Politik haben Sie gemacht!
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Meine Mutter, eine Rentnerin, hat von den Zinsen, die der Staat zahlt, nichts. Sie hat sich keine Bundesschatzbriefe kaufen können. Meine Damen und Herren, Sie haben die Reichen reicher gemacht, und deshalb haben Sie kein Recht, hier jetzt so anzutreten.
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Kommen wir nun zum Kindergeld. Natürlich steht für uns die Familienpolitik im Vordergrund, aber, meine Damen und Herren, wir wollen hier doch die Proportionen richtig stehenlassen.
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Das Kindergeld wird für die Besserverdienenden gekürzt, und bei diesen Besserverdienenden wird kein Durchschnittsarbeitnehmer sein. Ich nenne die Zahlen für jedermann: Das Kindergeld wird gekürzt bei einer Zweikinderfamilie ab einem Bruttoeinkommen von 62 000 DM, bei einer Dreikinderfamilie ab einem Bruttoeinkommen von 74 000 DM und bei einer Vierkinderfamilie ab einem Bruttoeinkommen von 86 000 DM. Jetzt frage ich Sie: WelBundesminister Dr. Blüm
cher deutsche Arbeiter verdient denn im Normalfall so viel, daß er von dieser Kürzung betroffen wird? Wir haben eine soziale Komponente in das Kindergeld eingeführt. Das haben Sie jahrelang nicht zustande gebracht!
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Wir haben die Steuerfreibeträge reduziert, gegen die Sie so polemisieren. Die haben nicht Sie reduziert.
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- Soll ich Ihnen die Zahlen nennen? Wir haben die Steuerabzugsfähigkeit reduziert und damit auch korrigiert, was Sie immer beklagt haben.
Ein Weiteres: Rentenkassen, Kasse der Bundesanstalt für Arbeit. Lassen Sie uns über Zahlen reden. Sie wollten die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung um 1,3 Milliarden DM kürzen. Wir kürzen sie um 900 Millionen DM. Das ist immer noch schmerzlich, es ist aber um 400 Millionen DM weniger, als Sie sie kürzen wollten, obwohl wir von einer höheren Arbeitslosigkeit ausgehen als Sie. Sie wollten der Bundesanstalt für Arbeit 900 Millionen DM Zuschüsse geben. Wir geben der Bundesanstalt für Arbeit 5,4 Milliarden DM - mit anderen Worten: 4,5 Milliarden DM mehr.
Ich fasse zusammen: Wir kürzen die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung weniger als Sie, und wir geben der Sozialversicherung mehr Geld als Sie. Was ist daran unsozial? Wir korrigieren Fehler, die Sie gemacht haben.
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Lieber, verehrter Kollege Schorsch Leber, an einer Stelle war mir die Entrüstung völlig unverständlich. Wieso entrüsten sich Sozialdemokraten über den Begriff „Sozialist"? Ihre Jugendorganisation heißt doch „Jungsozialisten",
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und dadurch werden Sie sich doch nicht diffamiert fühlen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leber?
Herr Bundesminister, wenn ich als „Sozialist" bezeichnet würde, wäre das nichts Negatives. Ich würde dann sagen, ich sei ein freiheitlicher Sozialist. Aber wenn mich als Sozialdemokraten jemand als Sozialist bezeichnet
({0})
und daran anfügt, wir wollten Marxismus und Klassenkampf machen, würden Sie das dann in diesem Zusammenhang nicht auch für eine Diffamierung halten? Ich nehme an, wir wären dann gar nicht weit voneinander entfernt mit unseren Gedankengängen - Sie als christlicher Sozialist und ich als Sozialdemokrat.
Verehrter Herr Kollege Leber, ich würde Sie nie als Marxisten bezeichnen. Aber Marxisten haben Sie doch in Ihrem Wahlkreis abgesetzt, lieber Kollege Leber. Das waren doch Kollegen aus Ihrer Partei.
({0})
In diesem Bekenntnis stimmen wir völlig überein, auch in der Wertschätzung der Verdienste der deutschen Gewerkschaften.
({1})
Ich stimme Ihnen völlig zu: Diese Republik würde anders aussehen ohne die Leistung der Gewerkschaften, auch beim Aufbau der Demokratie. Hier stimmen wir völlig überein. Dieses hohe Gut wollen wir uns auch erhalten.
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Ich füge nur hinzu: Die Gewerkschaften haben den größten Bewegungsspielraum in einer Sozialen Marktwirtschaft. Dort gibt es Tarifautonomie. Sie haben den wenigsten Bewegungsspielraum in einer Planwirtschaft bei einem vollendeten Sozialismus. Deshalb sollten wir die Gewerkschaften vor Marxismus, Sozialismus und Planwirtschaft bewahren.
({3})
Wir werden die Schulden abbauen, und wir werden die Arbeitslosigkeit beseitigen. Das geht alles nicht von heute auf morgen. Wir versprechen keine Wunder. Schulden abbauen und Arbeitslosigkeit beseitigen ist die größte soziale Tat, die von uns verlangt werden kann. Und wir werden uns an die Arbeit machen.
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Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({0})
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Politik, über die hier zu diskutieren ist und über die meine Kollegen Georg Leber und Horst Ehmke ihre Urteile abgegeben haben, ist unter dem Anspruch der geistigmoralischen Erneuerung angetreten. Nun tut j a gewiß geistig-moralische Erneuerung jedermann und jedem Volk jederzeit not. Für Christenmenschen sind Umkehr und Erneuerung Lebensprogramm.
Nur wer sich und sein Denken, Verhalten und Handeln in diesen Auftrag und Prozeß mit einbezieht, kann Umkehr und Erneuerung anderer mit bewirken. So hat sich auch der politische Anspruch geistig-moralischer Erneuerung, den der Herr Bundeskanzler erhebt, durch die Fähigkeit und Bereitschaft zu eigener Umkehr, zu Selbstkritik und Er8620
Rapp ({0})
neuerung zu legitimieren. Der Selbstgerechte manipuliert nur. In doppeltem Sinn manipuliert, wer in der Attitüde dieses Appells nur leere Sprechblasen abläßt, die jeder mit beliebigen Inhalten füllen kann. Viele werden sie mit ihren Vorurteilen und Feindbildern füllen, die sie sich in der Selbstgerechtigkeit eines ansonsten hohlen Wir-Gefühls bestätigen lassen.
Wir mißtrauen den Semantikern aus dem Adenauer-Haus, die dem Herrn Dr. Kohl das mit der moralisch-geistigen Erneuerung eingegeben haben. Vieles dient da nur zur Abstützung von Feindbildern. Manche Elemente der Politik, über die heute früh zu reden war, sind gar nicht geistig, sondern ungeistig, sind gar nicht moralisch, sondern demoralisierend, nicht erneuernd, sondern restaurativ.
Wer wie Sie, Herr Dr. Kohl, „das blanke Ich im Wir aufgehen lassen" will, der muß sich auf die politische Qualität dieses Wir und auf seine Glaubwürdigkeit hin befragen lassen.
Zwei Fragen sind zu beantworten: Legitimiert er sich durch seine Fähigkeit zur Selbstkritik und zur eigenen Erneuerung? Und woraufhin soll denn geistig-moralisch erneuert werden? Ist das wenigstens in Umrissen bestimmbar?
Offenbar soll die Erneuerung - so die Reden des Bundeskanzlers - auf irgendeine Mitte hin geschehen - wieder nur so eine Worthülse zur beliebigen inhaltlichen Füllung. Gemeint ist wohl - ich habe aus Ihren Reden, Herr Dr. Kohl, bisher nichts anderes entnehmen können - jener der politischen Gesäßgeographie zugehörige Begriff von Mitte, die das jeweils dickste Gesäß meint besetzen zu dürfen. Da es nun aber zum Glück, sage ich, rechts von CDU und CSU irgendeine relevante politische Kraft nicht gibt, folgt aus dieser Besetzung des Topos Mitte durch Sie, Herr Dr. Kohl, logisch zwingend, daß neben ihr, der Union, eigentlich niemand mehr Platz hat, es sei denn, er ließe sich von vornherein auf die Position ein, Außenseiter zu sein.
Ausgerechnet der Herr Stoiber scheint bisher als einziger Unionspolitiker dieses logische Dilemma als solches erkannt zu haben, wenn er die Rest-FDP dazu drängt, in unserer Parteienkonfiguration jetzt gefälligst die Position rechtsaußen einzunehmen, was ja der Sache nach so ganz abwegig wohl nicht ist.
({1})
Tatsächlich benehmen sich CDU und CSU ja als Union und nicht so sehr als Partei, als das eigentlich Eine und Ganze. Im Dämmerlicht des kollektiven Bewußtseins und des Milieus der Unionsparteien sieht das so aus: Andersdenkende müßten eigentlich nicht sein. Jedenfalls sind sie Außenseiter und notfalls dazu zu machen.
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Was brauchen die auch die Harmonie, die Union zu stören, die nicht nur Firmabezeichnung, sondern ein geistiger Topos ist. Eine Reflexion der Tatsache, daß in der Demokratie Wettbewerb zwischen mehreren Parteien bestehen muß, hat die Union nie geleistet.
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Verschärft wird das alles noch durch das mit dem hohen C sich fast unvermeidbar einschleichende Denken in den Kategorien von Gut und Böse.
Da nimmt es dann nicht wunder, wenn gerade jene Unionspolitiker, die sich wie die Herren Blüm und Geißler - und wir sind ja heute früh bei Herrn Blüm Zeugen gewesen - besonders gern auf das hohe C berufen, die SPD mit ihrem ganz speziellen Haß überziehen. Ihnen wird ja durch das Leitbild von den Christen in den Parteien die Weltanschauung verunklart. Die psychischen Mechanismen sind bekannt.
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Übrigens, Herr Kohl, damit ich auch das gleich sage: Natürlich werden Sie bis ans Ende Ihres Lebens mit der Legende auftreten, die SPD und - aus diesem Parlament heraus - die damalige Regierungsmehrheit hätten jemals gesagt: Wir brauchen die Opposition nicht. Sie wissen so gut wie ich, daß das auf ein einziges Gesetz bezogen war.
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Wenn irgendwo in der Landschaft unserer politischen Kultur geistig-moralische Erneuerung not tut, dann wohl hier.
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Sie hat in der Union auch unter Führung des derzeitigen Bundeskanzlers nicht stattgefunden. Im Gegenteil, die semantisch immer raffiniertere Ausstattung ihrer Feindbilder und die gepanzerte Selbstgerechtigkeit ihrer Kampagnen zeugen von zunehmender Verhärtung. Einstweilen und bis zum Beweis des Gegenteils wird man auch die Kampagne von der geistig-moralischen Erneuerung so einzuordnen haben.
Nun könnte ja „Mitte" auch jenes Postulat der politischen Kultur meinen, das zum politischen Urteil die Selbstbefreiung von Vorurteilen fordert, so gut das eben geht. Es tut mir leid: In den Verlautbarungen des Bundeskanzlers und seiner Partei zur geistig-moralischen Erneuerung habe ich noch nicht einmal Zwischentöne von Selbstkritik vernehmen können.
Angenommen, Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, meinten die Sache mit der Erblast wirklich ernst und nicht nur als ein derzeit taktisch notwendiges Zubehör Ihres Feindbildes: Hätte dann nicht wenigstens einmal die Selbstkritik aufscheinen müssen, daß Sie ja bei allen ausgabewirksamen Gesetzen mit dabei waren? Tatsächlich haben Sie, meist für Ihre Klientel, immer noch ein bißchen mehr gefordert und zugleich dem Staat die Einnahmen verweigert.
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Rapp ({8})
Hätten wir nicht der damaligen Opposition laufend widerstanden - ich gehöre dem Finanzausschuß zehn Jahre an und weiß, wovon ich rede -, dann wären heute die Schulden wesentlich höher. Vergleichbares ließe sich in fast allen Bereichen der politischen Auseinandersetzung zeigen.
Bei alldem bleibt wahr und richtig: Geistig-moralische Erneuerung tut wie jederzeit so auch heute not: selbstkritisch und auf ein bestimmbares Ziel hin. Auf die Verfassung hin! Worauf hin denn sonst?
Unser Grundgesetz kennt nicht die Funktion des Oberpastors und des Vorphilosophierers der Nation. Sie steht dem Bundeskanzler einer pluralistischen freiheitlichen Republik nicht zu, Herr Dr. Kohl.
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Ihr Vorgänger hat das immer gewußt, und Sie haben ihn immer attackiert, weil er sich entsprechend verhalten hat.
Der Bundeskanzler mag sich darin gefallen, durch harmonisierende Verklärung von Trivial-mythen einen gewissen Bedarf an Wir-Gefühlen zu decken. Wenn er dazu Feindbilder braucht, wenn durch sein „Seid nett zueinander" faktisch immer zu Lasten der Schwächeren Konflikte zugedeckt werden, wird's gefährlich.
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Gefordert ist der Bundeskanzler hingegen zur Pflege und zur Vertiefung von Verfassungspatriotismus, der zusammenhalten könnte gerade jetzt, da sich die bisher vom materiellen Mehr und Mehr und Mehr her bewirkte Pseudoidentifikation mit unserem Staat von selbst erledigt. Herr Bundeskanzler, wenn Sie dazu mit uns und unserem Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel in einen Wettbewerb nicht nur der Worte, sondern auch der politischen Taten treten wollten, könnte daraus schon geistig-moralische Erneuerung werden, wie wir alle sie brauchen.
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Bundeskanzler Helmut Schmidt hat diesen Verfassungspatriotismus durch seine Taten unter Beweis gestellt. Sprechblasen sind ihm nie unterlaufen.
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Die Verfassung unseres Grundgesetzes ist nicht nur eine formale Ordnung; sie ist eine materiale, auf Werte gegründete und auf Wertentfaltung hin angelegte Ordnung. Die Betonung und Sicherung ihres festen Bestandes - Grundrechte, fundamentale Strukturprinzipien des Staates, Staatszielbestimmungen, das Verständnis vom in seiner Würde unantastbaren Menschen, aus dem alles andere folgt -, kurzum, die Pflege des demokratischen Grundkonsenses entscheidet - das steht außer Frage - über die Qualität der politischen Kultur und damit über die Tragfähigkeit unserer Ordnung auch in Zeiten ihrer besonderen Belastung. Dies steht freilich auch in dem Sinn außer Frage, daß ich nicht sehe, von welcher relevanten politischen und gesellschaftlichen Kraft her dieser Konsens ernsthaft in Frage gestellt wäre.
Zur politischen Unkultur im Lande gehört vielmehr, daß dem demokratischen Gegner wider besseres Wissen immer wieder die Aufkündigung dieses Grundkonsenses unterschoben wird. Auch Sie, Herr Bundeskanzler, haben es heute früh wieder getan. Eine gewisse Kampfpresse im Umkreis und Dunstkreis der Unionsparteien lebt geradezu davon, uns dies ohne Unterbrechung in unendlichen Kampagnen zu unterschieben. Gäbe es über Grundwerte keine Übereinstimmung der Parteien, wäre die freiheitliche Ordnung nicht lebensfähig. Gäbe es vollständige Übereinstimmung, könnte sich Demokratie nicht entfalten.
Von der faktischen Lage her scheint mir noch dringlicher als die Sicherung des Grundkonsenses die Betonung der Offenheit der Verfassung für unterschiedliche politische Gestaltungen und für den gesellschaftlichen und politischen Wandel zu sein. Die Offenheit der Konservativen dafür ist immer begrenzt gewesen. Auch derzeit wird über Werte-zerfall gejammert, wo sich tatsächlich Werthaltungen weiterentwickeln. Pluralität ist nicht lediglich als das faktisch Gegebene hinzunehmen und zu kanalisieren. Vielfalt ist die Sinngestalt des guten und richtigen Zusammenlebens, ist Chance auch des produktiven Wettbewerbs um bessere Lösungen. Der Parteienkampf darf nie, so sagt dazu ein Programmdokument der SPD, auf die - und sei es moralische - Vernichtung des Gegners abzielen. Jede Partei muß vielmehr ein Interesse daran haben, daß die konkurrierende Partei intakt bleibt. Dies ist die Grundlage für das legitime Bestreben jeder Partei, besser und stärker zu sein als die andere.
Damit rede ich nicht einem übertriebenen oder gar repressiven Harmoniedenken das Wort, wohl aber - ich wiederhole mich - der Produktivität unseres Parteienwettbewerbs. Jede unserer Parteien bleibt - ich weiß es - hinter diesem Anspruch des Miteinander im Gegeneinander und des Aufeinanderverwiesenseins der Parteien zurück, die CDU/CSU mit ihren ewigen Kampagnen zur moralischen Herabwürdigung des Gegners aber am meisten.
Meine Damen und Herren, natürlich könnten Sie fündig werden, wenn Sie Defizite der politischen Kultur auch bei der SPD aufsuchen würden. Hier steht aber Ihr Anspruch der geistig-moralischen Erneuerung zur Debatte.
({13})
Ich sage Ihnen, Sie werden keinen Sozialdemokraten finden, der fähig wäre, einen Wählerbrief wie den herauszugeben, den jetzt z. B. der Kollege Wörner herausgegeben hat, worin den Menschen gesagt wird: Wenn ihr für die CDU nicht Wahlspenden leistet und den Sieg der SPD nicht verhindert, so wird das verheerende Auswirkungen für euer ganz persönliches Schicksal haben. Können Sie sich vorstellen, daß ein Sozialdemokrat dazu fähig wäre?
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Es ist von dem ganz persönlichen Schicksal jedes einzelnen die Rede.
Rapp ({15})
Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Wollen Sie bei der demokratischen Kultur Ihrer Partei mit der geistig-moralischen Erneuerung beginnen? Dort wäre es am dringendsten nötig. Es wäre an der Zeit. Oder werden Sie z. B. in der Medienpolitik mit dem genauen Gegenteil weitermachen, mit dem von Ihnen mit erschreckender Zielstrebigkeit betriebenen Abbau von Meinungsvielfalt? Gelegentlich sollte man sich - das gilt für uns alle - in die Haut auch des politischen Gegners hineindenken: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu! Täten Sie es, Herr Bundeskanzler, müßten Sie gewahr werden, daß Sie dabei sind, aus unserem freiheitlichen, weil pluralistischen Staat eine andere Republik zu machen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl?
Bitte schön, Herr Bundeskanzler.
Herr Kollege, würden Sie mir bitte einmal mitteilen, wo durch uns, durch mich, durch die Union - Sie haben das eben offengelassen - die Medienvielfalt abgebaut wird?
Ich bin gerade dabei. Durch die nächsten Sätze werden Sie es erfahren. Ich rede nicht bloß über die Druckmedien; die Fusion Springer-Burda kommt ja noch, sie ist nur aufgeschoben. Sie beherrschen die Funkhäuser.
({0})
Herr Kollege, ich glaube, Sie können jetzt weiterreden.
Ich rede hier nicht vom Regierungsbonus; den hat es auch zu unserer Zeit zu unseren Gunsten gegeben. Aber eine Relation von 10 : 1 zugunsten der Regierung hat es zu unseren Zeiten nie gegeben.
({0})
Ich rede davon, daß Sie durch Ihre strategisch angelegte Machtpolitik dabei sind, in unserem Land eine publizistische Überrüstung in Gang zu bringen, durch die die Offenheit unserer Verfassung zur Farce werden könnte.
({1})
Werden Sie, Herr Bundeskanzler, auf diesem Weg umkehren? Werden Sie hier der geistig-moralischen Erneuerung den Weg bahnen, dort, an der sensibelsten Stelle, wo es um Vielfalt geht, um die Möglichkeit, daß auch die Minderheit sich artikulieren kann?
({2})
Die Verfassung, auf deren Verlebendigung hin wir uns geistig und moralisch erneuern sollten, ist die des Sozialstaatsgebots. Wenn jetzt Neokonservative vom Vorrang des Rechtsstaats über den Sozialstaat reden und den Bedingungszusammenhang leugnen, reden die wohl von einem anderen Grundgesetz.
Ich weiß: Arbeitslosigkeit - der Herr Arbeitsminister ist nicht da - ist schreiendes soziales Unrecht, ihre Bekämpfung unsere allerwichtigste Aufgabe. Aber ist sie dies auch für die größte Regierungspartei und Regierungsfraktion, wenn deren stellvertretender Vorsitzender geradezu hysterisch auf den Appell des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten reagiert, einen Solidarpakt zur Überwindung von Arbeitslosigkeit zu stiften? Einen solchen Pakt haben auch die Kirchen gefordert. Liegt es daran, wenn der Appell von Hans-Jochen Vogel den Parteichristen Müller so sehr erregt hat?
Wenn geistig-moralische Erneuerung nur ein taktisches Schellenspiel ist, verkommt halt auch christliche Sozialethik zur Wahlkampfrednerkarte der CDU.
Der Appell zu geistig-moralischer Erneuerung ertönt bei Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, meist im Zusammenhang mit Opfer bringen, Einschränkung von Ansprüchen, die dann immer überzogen sind mit der Rückbesinnung auf die Tugend der Bescheidenheit. An sich ist dagegen nichts zu sagen. Komisch ist nur, meine Damen und Herren, daß Bescheidenheit bei Ihnen immer bei den bescheidenen Einkommen beginnt.
({3})
Fordern die kleinen Leute Teilhabe am allgemeinen Wohlstand, dann ist das „Anspruchsdenken", und das lähmt ihren Leistungswillen.
({4})
Mit dem Leistungswillen der ganz Großen ist es offenbar ganz anders bestellt. Er nimmt, glaubt man konservativen Verlautbarungen, überproportional mit jeder Schmälerung des Einkommens ab.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welch ein Menschenbild hinter Ihrem Leistungsgedanken und hinter Ihrer Leistungsphilosophie steckt? Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wieviel Menschenverachtung darin steckt, anzunehmen, daß überproportional mit jeder Einkommensminderung bei den großen Leuten die Leistungsbereitschaft abnimmt?
Als man den Bankier Pferdmenges fragte, was er wohl täte, wenn er 1 Million Mark im Jahr verdiente, sagte er, dann würde er sich einschränken. Sie scheinen sich zu sagen: Wenn der das kann, warum dann eigentlich nicht auch der kinderreiche Bezieher eines kleinen und mittleren Einkommens?
Rapp ({5})
Übrigens wird die Lebenslage kinderreicher Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch die Kumulation Ihrer Sparmaßnahmen am brutalsten getroffen werden. Georg Leber hat das ausgeführt. Dabei sollte doch Ihre Familienpolitik gewissermaßen Fanal der geistig-moralischen Erneuerung sein. Es ist zu Ihrer früheren Regierungszeit geschehen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß das materielle Mehr und Mehr und Mehr, das „Haste was, dann biste was" zur deutschen Ersatzreligion hat aufsteigen können.
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Wir haben hernach wenigstens versucht, postmateriellen Wertorientierungen ein bißchen zur Geltung zu verhelfen.
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Sollten wir übrigens nicht wirklich gemeinsam über eine Wirtschaftsordnung nachdenken, die auch dann nicht aufhörte zu funktionieren, wenn die Menschen tatsächlich bescheidener würden?
Kürzlich hat einer der Ihren - ohne Widerspruch Ihrerseits - gesagt, Tarifautonomie sei ein vom Staat verliehenes, jederzeit rückholbares Recht.
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Soll das die Kehrseite hinter der Schauseite der geistig-moralischen Erneuerung sein?
Das Staats- und Freiheitsverständnis der Konservativen ist schon immer ein bißchen eigen gewesen. So ganz harmlos ist es auch nicht, wenn unter geistig-moralischer Erneuerung schlicht verstanden wird, wir sollten die Probleme der 80er Jahre einfach so lösen, wie wir die der 50er Jahre gelöst haben. Angesichts der völligen Andersartigkeit der heutigen Herausforderungen könnte der Sprung zurück in die 50er Jahre zum Salto mortale werden.
Lassen Sie mich zum Schluß wiederholen, was bei alledem, bei all meiner Skepsis gegenüber der laufenden Kampagne von geistig-moralischer Erneuerung richtig bleibt. Geistig-moralische Erneuerung tut uns allen not: jedermann, jederzeit, der Gesellschaft im ganzen. Verfassungspatriotismus tut not. Wir bieten Ihnen, Herr Dr. Kohl, dazu den produktiven Wettbewerb an. Taktisch-semantische Manipulationen - mehr haben Sie zu diesem Thema bisher nicht geboten - machen Verfassungspatriotismus zunichte.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
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Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Grundsatzaussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers bietet der Opposition die Gelegenheit, ihr Kritikrecht auszuüben und ihre
Kontrollpflicht zu erfüllen. Sie kann sich darauf beschränken.
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Ich glaube aber, daß auch bei der Polemik, wie wir sie heute gehört haben,
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die Pflicht besteht, zu sagen, wie man es dann selbst besser machen will.
({2})
Zwei Millionen Arbeitslose, eine uns alle doch bedrückende Staatsverschuldung - das sind Themen, auf die die Bürger die Antwort aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und nicht nur der Regierungsparteien verlangen.
({3})
- Wenn Sie mir sagen, Herr Kollege, diese Antworten seien in Ihren Anträgen enthalten, so muß ich erwidern: Eine flüchtige Durchsicht der Anträge führt mich zu der Feststellung, daß es vornehmlich Ausgabenerhöhungsanträge sind.
({4})
Herr Kollege Leber hat heute morgen eine Rede gehalten,
({5})
die ganz gewiß nicht frei von Polemik war. Er wird nicht erwarten, daß ich ihm dort folge, wo er polemisiert hat. Aber man wird seine Besorgnis insoweit teilen müssen, als er aus der Erfahrung eines politischen und gewerkschaftlichen Lebens über die Probleme unserer demokratischen und die Stabilität unserer gesellschaftlichen Ordnung gesprochen hat. Bei aller Polemik in Ihrer heutigen Rede, Herr Kollege Leber - das war der alte kämpferische Georg Leber, wie wir ihn aus früherer Oppositionszeit kennen -, möchte ich sagen: Nicht nur Ihre eigenen politischen Freunde, wir alle werden Sie ganz gewiß vermissen, wenn Sie dem Deutschen Bundestag nicht mehr angehören.
({6})
Die Bundesrepublik Deutschland stellt sich der Herausforderung einer weltwirtschaftlichen Krise, aber auch den Aufgaben, die im eigenen Lande zu erfüllen sind.
({7})
Herr Kollege Dr. Ehmke, Sie sind heute wieder in den alten Fehler verfallen, die unbestreitbaren Auswirkungen von außen als Entschuldigung für eigene Untätigkeit zu nehmen. Das, was an unseren Problemen hausgemacht ist, muß auch zu Hause
beseitigt werden. Das ist die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben.
({8})
Wenn es richtig ist, Herr Kollege, daß die weltwirtschaftliche Krise auch ein Ergebnis der Fehler aller Staaten, auch eigener Fehler der Bundesrepublik Deutschland ist,
({9})
dann werden wir diese Krise nur überwinden können, wenn wir auch alle darangehen, die Ursachen der Krise zu überwinden und zu beseitigen. Das ist die Überforderung des Sozialprodukts in der eigenen Volkswirtschaft, aber auch der Sozialprodukte der anderen Volkswirtschaften.
({10})
Das Land, das diesen wichtigen, diesen schmerzhaften Prozeß als erstes in Gang setzt, das Land, das als erstes zu Hause Ordnung schafft, wird für sich und seine Bürger eine Zukunft in sozialer Gerechtigkeit sichern.
({11})
Diese Aufgabe werden wir nur erfüllen können, wenn wir hier in der Bundesrepublik Deutschland die Soziale Marktwirtschaft in allen ihren Möglichkeiten wirken lassen. Diese Soziale Marktwirtschaft ist für uns mehr als ein ökonomischer Funktionsmechanismus. Diese Soziale Marktwirtschaft ist ein Bestandteil unserer freiheitlichen Grundordnung, weil nur sie dem Menschen ermöglicht, seine schöpferischen Fähigkeiten auch im wirtschaftlichen Bereich zu entfalten,
({12})
weil nur sie soziale Gerechtigkeit möglich macht, nicht nur wegen ihrer besseren Leistungsfähigkeit, sondern weil nur in einer Sozialen Marktwirtschaft auch die Rechte der Arbeitnehmer wirksam vertreten werden können. Wo weniger Freiheit, da auch weniger Tarifhoheit, da auch weniger Rechtewahrnehmung durch die Gewerkschaften.
({13})
Deshalb bedeutet Einschränkung der Sozialen Marktwirtschaft mehr als nur eine nachteilige Einwirkung auf den Wirtschaftsablauf. Einschränkung der Sozialen Marktwirtschaft ist Einschränkung der Freiheitsrechte jedes einzelnen in der Gesellschaft. Deshalb muß in der Grundfrage, wie wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen können, die Grundsatzauseinandersetzung über diese Soziale Marktwirtschaft neu geführt werden.
Sie haben auf Ihrem Parteitag von Wirtschafts-, Sozial- und Strukturräten gesprochen. Sie wollen Investitionsmeldestellen, Meldestellen für offene Stellen, gezielte Branchenpolitik. Das sind alles Eingriffe in den Wirtschaftsablauf. Bis jetzt müssen wir nur von einer Bewährungsprobe der Marktwirtschaft sprechen. Wenn wir in den wirtschaftlichen Ablauf so eingriffen, dann könnten wir nicht mehr von der Bewährungsprobe, sondern müßten wir von einer Krise unserer Wirtschaftsordnung sprechen, aber beileibe nicht von einer Krise der Marktwirtschaft. Denn dort, wo sie Not leidet, da ist sie eingeschränkt, und wo man sie funktionieren läßt, da kann sie ihre Aufgaben erfüllen.
({14})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte meine Gedanken zu Ende führen, Herr Kollege.
Keine Zwischenfrage.
({0})
Deshalb ist es so wichtig, die grundsätzliche Auseinandersetzung über diese marktwirtschaftliche Ordnung zu führen. Natürlich wissen wir, daß es heute neue und andere Herausforderungen und andere Probleme als in den 40er Jahren gibt. Aber es gibt auch gemeinsame Probleme von damals. Eines bleibt richtig: die Wirtschaftsordnung, die es uns nach dem zweiten Weltkrieg ermöglicht hat, in diesem Lande einen großen Wohlstand aufzubauen, wird es auch sein, die uns als einzige die Chance gibt, auch die jetzige schwierige Lage zu überwinden.
({0})
- Herr Kollege, nicht auf Kosten der Schwächeren. Ich werde dazu sogleich etwas sagen.
({1})
Wenn Sie mit Ihren Forderungen nach Wirtschafts-, Sozial- und Strukturräten, nach Meldestellen verschiedener Art die freiheitliche Wirtschaftsordnung einschränken, dann nehmen Sie mit jedem Stück Verantwortung, das Sie einer neuen Bürokratie oder dem Staat selbst übertragen, auch ein Stück Verantwortung nicht nur - wie Sie in Ihren Versammlungen vielleicht sagen mögen - von den Unternehmern weg, Sie nehmen es weg von den Betriebsräten, die mit über das Unternehmensgeschehen zu entscheiden haben,
({2})
Sie nehmen es weg von den Aufsichtsräten, in denen dank der Mitbestimmung die Vertreter der Arbeitnehmer sitzen, und Sie schränken die Tarifhoheit ein.
({3})
Wenn Sie immer stärker die Politik der einzelnen Unternehmen beschränken, wenn Sie immer stärker auch die freien wirtschaftlichen Abläufe beBundesminister Genscher
schränken, dann machen Sie nicht nur Unternehmer und Arbeitnehmer, Sie machen am Ende auch die Gewerkschaften zu Auftragsempfängern staatlicher Bürokratien; das können Sie nicht wollen.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak? - Bitte, Herr Urbaniak.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die deutsche Stahlindustrie und die Kohleindustrie jede Investition, die sie betreiben, der Europäischen Gemeinschaft zu melden und sie dort zur Genehmigung zu unterbreiten hat, und meinen Sie, daß uns das bisher nicht gut getan hat?
Herr Kollege, es wäre mir lieber, wenn wir in diesem Bereich in ganz Europa die Gesetze der Marktwirtschaft durchsetzen könnten,
({0})
das werden Sie mir doch wohl zugeben. Wir brauchen auch noch Branchen, die so wirksam und so effektiv sind, daß sie die Subventionen für andere bezahlen können, die es durch Einschränkung der marktwirtschaftlichen Gesetze in anderen Teilen leider notwendig machen, daß wir uns diesen Regelungen unterwerfen. Aber wir wollen doch um Himmels Willen diese Wirtschaftszweige und die dort geltenden Regelungen nicht als Vorbild für die Gestaltung der gesamten wirtschaftlichen Ordnung nehmen. Wer soll denn da noch die Erträge erwirtschaften, die wir brauchen, um diese Wirtschaftszweige am Leben zu erhalten, was unbedingt notwendig ist?
({1})
Es geht um die ganz grundsätzliche Frage, wie wir im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Überwindung der staatlichen Verschuldung und auch durch Abbau von Investitionshemmnissen jene wirtschaftliche Entwicklung möglich machen, die uns dann nicht mehr zwingt, für jeden schmerzliche Eingriffe in soziale Leistungen vorzunehmen. Da muß ich sagen, meine Damen und Herren, daß die Frage der Staatsverschuldung doch nicht nur ein haushälterisches Problem ist, das sich irgendein Finanzminister ausdenkt. Das ist auch nicht nur eine Frage der konjunkturellen Auswirkungen für die nächsten sechs oder zwölf Monate.
Hier geht es um ein Generationenproblem. Herr Kollege Leber hat zu Recht davon gesprochen, daß wir das Umlagesystem in der Sozialversicherung haben, daß wir mit dem Rücklagesystem nicht mehr arbeiten können. Aber wir dürfen bei der Finanzierung unseres Lebensstandards von heute auch nicht die Ausflucht nehmen zum Abladesystem, nämlich zum Abladen der Lasten unserer Zeit auf die Schultern unserer Kinder und Enkel. Das wäre nicht zu verantworten.
({2})
Deshalb ist auch hier der Frieden zwischen den Generationen herbeizuführen.
Wie ich überhaupt finde, daß es in dieser schwierigen Lage darauf ankommt, daß wir nicht die einzelnen Gruppen gegeneinander aufbringen, sondern darauf, daß wir sie alle dafür gewinnen, eine gemeinsame Anstrengung zu machen, um die Notlage, in der wir uns befinden, zu überwinden. Und von daher habe ich überhaupt nicht verstehen können, daß auch von Ihrer Seite die Erwägungen, die mein Kabinettskollege Blüm angestellt hat, kritisiert worden sind, als er den Gewerkschaften angeraten hat, auch einmal über eine längere Laufzeit der Tarifverträge nachzudenken. Meine Damen und Herren, wem es wie jedem hier in diesem Raum so schwerfällt, die Anpassung der Renten um ein halbes Jahr zu verschieben, der darf auch an die im aktiven Arbeitsleben Stehenden appellieren, darüber nachzudenken, ob auch ihre Lohnanpassung ein bißchen später stattfinden kann.
({3})
Das ist das Gegenteil von einem Eingriff in die Tarifautonomie. Das ist die Diskussion, der Dialog zwischen den verantwortlichen gesellschaftlichen und staatlichen Kräften. Und diesen Dialog überhaupt möglich zu machen, das ist eine Wirkung unserer Marktwirtschaft.
Ich betone es noch einmal: Wenn Unternehmer und Gewerkschaften in einer gesteuerten, von Meldepflichten erstickten, von Strukturräten bevormundeten Wirtschaft
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am Ende zum Staat kommen müssen, dann stehen die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeitnehmer, die durch sie wahrgenommen werden sollen, nur noch auf dem Papier, aber sie können nicht mehr ausgeübt werden.
({5})
Deshalb ist für uns Marktwirtschaft - ich wiederhole es - nicht nur ein wirtschaftlicher Funktionsmechanismus, sie ist vielmehr ein Teil der freiheitlichen Wertordnung, zu der wir uns bekennen, die wegen ihres Zuwachses an Freiheit für den einzelnen und wegen ihrer Effektivität erhalten werden muß.
({6})
Wir stehen heute vor ganz schweren Herausforderungen. Deshalb brauchen wir als die entscheidende wirtschaftliche und soziale Aufgabe für die 80er Jahre mehr Investitionen, Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen, Investitionen, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten und auch in Zukunft sichern. Meine Damen und Herren, um diese Investitionen geht es, um die privaten und die öffentlichen, für die privaten die Rahmenbedingungen zu schaffen, für die öffentlichen die Mittel freizumachen. Es geht nicht, wie Sie sagen, um eine Umverteilung von unten nach oben.
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Die Umverteilung, um die es heute geht, ist die Umverteilung vom Verbrauch zu Investitionen,
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von Konsum zu Arbeitsplätzen. Das ist die Aufgabe.
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Und wenn wir mit dieser marktwirtschaftlichen Politik, wie schon einmal im Beginn der Bundesrepublik Deutschland, die Arbeitslosigkeit überwinden,
({10})
dann wird das der stärkste Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in unserer Bundesrepublik Deutschland sein.
({11})
Wir brauchen und müssen den Menschen geben: mehr Mut zum Markt, mehr Bereitschaft zur Selbstverantwortung und Leistung, ein positives Verhältnis zum Wachstum und zur Technik, wobei wir erkennen müssen, daß uns Wachstum und technischer Fortschritt erst die Mittel in die Hand geben, um unsere Umwelt zu sichern und zu erhalten.
({12})
Wir brauchen mehr finanzielle Kraft und mehr Mut für die unternehmerischen Investitionen.
({13})
Und vor allen Dingen ist mehr Zuversicht, realistische Zuversicht, erforderlich.
Meine Damen und Herren, Marktwirtschaft wird uns aus Rezession und Massenarbeitslosigkeit herausführen - im Gegensatz zu kurzatmigen Beschäftigungsprogrammen, die mit noch höherer Staatsverschuldung finanziert werden müßten.
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Nur mit der Marktwirtschaft wird es uns gelingen, den Strukturwandel sozial abgefedert so durchzuführen, wie wir ihn im Interesse der Konkurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft brauchen.
Heute fließen über 50% des Volkseinkommens über staatliche Kassen. Mit dieser Überexpansion der Staatsquote ging einher - und da haben wir alle Verantwortung - eine Unzahl von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften. Bürokratische Regelungen überziehen die Wirtschaft und hemmen sie. Das müssen wir abbauen. Wir müssen auch die Steuergesetze vereinfachen,
({15})
um es wieder lohnender zu machen, über Innovation und Investition nachzudenken. Wir müssen auch die Fehlleitung und Verschwendung von Ressourcen beseitigen, die durch Subventionen und andere Regelungen geschaffen werden.
Aber ich sage es noch einmal: Dieser Wandel, so notwendig er ist, muß sozial zügig abgefedert werden.
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„Zügig" heißt, Herr Kollege, daß man den Beginn davon nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt, bis es nicht mehr geht, sondern daß man jetzt, wie wir, anfängt, wo es noch Zeit ist, die Probleme zu packen.
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Die Überwindung der Krise fordert, daß der Staat die Rahmenbedingungen wiederherstellt, unter denen die Marktwirtschaft voll zur Geltung kommen kann. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört nicht zuletzt Stetigkeit und Konstanz der Politik.
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Entscheidungen über die Investitionen hängen von den Erwartungen über die Zukunft ab. Ein Unternehmer, der ständig neue Lasten und einengende Regelungen befürchtet, läßt seine Finger von mancher für notwendig gehaltenen Investition.
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Von diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, war Ihr Münchener Parteitag eine einzige Investitionsabschreckungsveranstaltung.
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Zum Mut zum Markt gehört allerdings auch der Mut zum Offenhalten unserer Märkte. Die Antwort auf die Herausforderung des weltwirtschaftlichen Strukturwandels darf nicht im Protektionismus liegen,
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sondern in entschlossenen Anstrengungen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie sichern und wiederherstellen.
Dazu ist es erforderlich - das haben wir nicht leichten Herzens getan -, das System unserer sozialen Sicherung mit der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft in Übereinstimmung zu bringen. Nur das ist verantwortliches Handeln für die Sicherung unserer Zukunft und die Zukunft unserer Kinder. Ich sage Ihnen: Soziale Demontage betreibt in Wahrheit derjenige, der mit der Überforderung der Wirtschaft weitermachen will, bis es nicht mehr geht, bis der Sozialstaat zusammenbricht, und genau das darf nicht eintreten.
Herr Kollege Dr. Ehmke hat heute morgen - ich glaube, an den Bundeskanzler - die Frage gerichtet, was denn mit seinem Appell zur Leistungsbereitschaft eigentlich die Alten, Schwachen und Kinder anfangen sollen. Ich will Ihnen das sagen. Der Appell zur Leistungsbereitschaft ergeht nicht an die Alten, an die Schwachen und an die Kinder. Er ergeht für
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die Alten, für die Kranken, für die Schwachen und für die Kinder.
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Er ergeht für die Alten, weil sie ihre Lebensleistung mit eigener Leistung erbracht haben und deshalb einen Anspruch darauf haben, daß wir ihnen einen würdigen Lebensabend sichern.
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Dieser Appell ergeht für die Schwachen und Behinderten, weil sie nicht selbst in der Lage sind, ausreichend für sich zu sorgen. Der Appell an die Leistungsbereitschaft ergeht im Interesse der Kinder, um ihnen einen Lebensweg, eine Ausbildung, einen Anfang zu ermöglichen, der sie wiederum in die Lage versetzt, für die dann Älteren und Schwächeren ihre solidarische Leistung erbringen zu können.
Wenn wir von sozialer Gerechtigkeit sprechen, dann müssen wir allerdings auch an diejenigen denken, die die Leistungen erbringen. Es muß sich lohnen, sich anzustrengen und etwas zu leisten. Wer die Steuer- und Abgabenschraube weiter anziehen will, der beseitigt die Arbeitslosigkeit nicht.
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Er schafft allenfalls neue Staatsverdrossenheit, er würgt den Leistungswillen ab, und er fördert die Schattenwirtschaft.
Soziale Gerechtigkeit ebenso wie wirtschaftliche Vernunft fordern von uns eine Politik, die staatliche Transfereinkommen nicht vor die Leistungseinkommen stellt. Deshalb müssen wir auf die Notwendigkeit, die Leistung zu fördern, Selbstverantwortung zu übernehmen, immer wieder hinweisen.
Gerade unsere Jugend will ja nicht mehr Staat, sondern mehr Freiheitsraum für den einzelnen, auch für kleinere Gruppen, weil die jungen Menschen wissen, daß viele Gemeinschaftsaufgaben dort sehr viel besser gelöst werden können als durch Bürokratien, staatliche und auch andere.
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Ich bin auch überzeugt, daß die große Mehrheit in unserem Lande die Politik unterstützen wird, wie wir hier sie vorgesehen haben. Wir haben ja in der Vergangenheit - damals gemeinsam - auch Änderungen in sozialen Gesetzen vorgenommen, wo wir der Meinung waren, Mißbrauchsmöglichkeiten könnten abgeschafft werden. Das liegt auch im Interesse des sozialen Konsenses. Man muß auch erkennen, daß mit der Überforderung - ich muß es wiederholen - am Ende die Grundlagen unseres sozialen Netzes beseitigt werden.
Wir brauchen, um die ökonomischen Probleme zu überwinden, auch ein grundsätzlich positives Verhältnis zum Wachstum und zur Technik. Die Bundesrepublik Deutschland steht wie andere westliche Demokratien an der Schwelle einer neuen technologischen Revolution. Die neuen Informationstechnologien, die durch sie gegebenen neuen Möglichkeiten in der Telekommunikation und in der Automatisierung der Produktionsprozesse, die neuen Energietechnologien, die neuen Technologien für den Umweltschutz, das alles führt in ein neues Zeitalter.
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Die Grundbedingungen für einen großen wirtschaftlichen Aufschwung sind ja vorhanden. Es trifft nicht zu, wie oft behauptet wird, daß die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation allein oder überwiegend durch eine strukturelle Sättigung der Nachfrage verursacht ist. Das trifft übrigens nicht einmal für den traditionellen Bereich der Konsumgüter zu. Es stimmt ganz und gar nicht für den Bereich der neuen Produkte, der großen Investitionen, die notwendig sind, um die Infrastruktur für das Jahr 2000 zu schaffen.
Es ist auch nicht richtig, jedenfalls für die überschaubare Zukunft - und die müssen wir im Auge behalten -, daß die neuen Technologien mehr Arbeitsplätze vernichten, als sie neu erzeugen. Im Gegenteil! Für die Europäische Gemeinschaft errechneten Experten zum Beispiel, daß eine Beherrschung der modernen Kommunikations- und Automationstechnologien in den nächsten acht bis zehn Jahren 4 Millionen bis 5 Millionen Arbeitsplätze schaffen könnte. Und für die Bundesrepublik Deutschland wurde errechnet, daß mit der Verkabelung allein in den nächsten drei Jahren 70 000 bis 80 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Meine Damen und Herren, diese Technologien haben - darüber dürfen wir uns nicht täuschen - bei vielen Menschen Angst und Widerstand hervorgerufen. Statt die Technik rational nutzen zu wollen, lassen sich junge Menschen häufig von Desinteresse an Naturwissenschaft und Technik oder auch von Technikfeindlichkeit leiten.
Ich glaube, es wird eine entscheidende gesellschaftliche Aufgabe sein, diese negative Einstellung zur Technik zu überwinden. Hier ist unsere Bildungspolitik gefordert. Hier ist aber auch eine Aufgabe für geistige und politische Führung für alle, die in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen. Wenn wir unsere Zukunft sichern wollen, ist eine rationale Einstellung zum technischen Fortschritt, ist ein grundsätzliches Ja aller gesellschaftlichen Gruppen zum technischen Fortschritt unabdingbar.
Westeuropa und auch die Bundesrepublik Deutschland sind in der Gefahr, in wichtigen Bereichen der Spitzentechnologie von den Vereinigten Staaten und von Japan abgehängt zu werden. Eine Bilanz der Patente in Tokio und in München zeigt das. Die Europäische Gemeinschaft verbraucht dem Werte nach 23 % der in der Welt erzeugten integrierten Schaltkreise, aber sie produziert nur 5%. Meine Damen und Herren, die Gefahr ist deutlich: Westeuropa droht zu einer Industrieregion zweiten
Ranges abzusinken mit einschneidenden Folgen für Wohlstand und Arbeitsplätze.
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Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, daß sich Erfindungsgeist und unternehmerischer Wagemut entfalten können. Das ist unser Ziel!
Zu diesem Zweck müssen wir auch dafür sorgen, daß neue Investitionen durch eine gesunde Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital möglich werden. Deshalb ist es falsch, wenn man bei der Betrachtung der Unternehmenserträge zu einer Gewinnverteufelung kommt. Dann, wenn es nicht mehr möglich ist, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Gewinne zu machen, gibt es keine neuen Investitionen und keine Arbeitsplätze, und das trifft nicht zuerst den Unternehmer, sondern zuallererst den Schwächsten in der Kette, nämlich den Arbeitnehmer. Zuerst für ihn werden die Investitionen gebraucht!
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Meine Damen und Herren, deshalb ist eine Steuerpolitik erforderlich, die diese Kapitalaustattung der Unternehmen verbessert, die Anreize zu Investitionen gibt, die aber auch und vor allen Dingen die Kapitalkraft der Mittel- und Kleinbetriebe stärkt; denn diese stellen zwei Drittel der Arbeitsplätze in unserer Wirtschaft bereit, sie hauptsächlich erbringen die Leistung, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie - nicht die großen Konzerne - sind die Hauptträger des technologischen Fortschritts. Von den 60 Basiserfindungen dieses Jahrhunderts stammen 48, d. h. 80 %, von kleinen und mittleren Unternehmen. Die kleinen und mittleren Unternehmen in Kalifornien sind die Bannerträger der mikroelektronischen Revolution in den Vereinigten Staaten.
Deshalb ist eine weitschauende Mittelstandspolitik, die günstige Rahmenbedingungen schafft, durch die die Kraft der kleinen und mittleren Unternehmen zu Innovation und Investition gestärkt und die Gründung neuer Unternehmen erleichtert werden, eine Mittelstandspoltik für die Stärkung unserer Volkswirtschaft, für mehr Arbeitsplätze.
({30})
Meine Damen und Herren, deshalb muß auch die Steuerpolitik rational gesehen werden. Sie muß der Leistungsfähigkeit und der Gerechtigkeit entsprechen.
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Deutlich wird das in der Progression, die wir haben. Aber ich warne davor, leichtfertig mit dem Begriff von den Besserverdienenden, an die man herangehen müsse, umzugehen. Wer ist der Besserverdienende? Der Facharbeiter gegenüber dem nicht gelernten, der Meister gegenüber dem Facharbeiter - oder der Handwerksmeister, der nicht 8 Stunden, sondern 14 Stunden am Tag in seinem Betrieb arbeitet, um über die Schwierigkeiten dieser Zeit hinwegzukommen!
({32})
Ihn wollen wir ermutigen, nicht entmutigen; ihn wollen wir nicht mit Arbeitszeitbestimmungen bevormunden, die die Flexibilität seiner Betriebsgestaltung einengen.
Das alles müssen wir sehen, wenn wir uns der Aufgabe stellen wollen, im eigenen Hause die hausgemachten Ursachen der wirtschaftlichen Rezession zu überwinden. Dann bleibt noch genug zu tun, in internationaler Zusammenarbeit mit den anderen, die dazu in der Lage sind, den Weg aus der Krise heraus zu suchen. Wer dabei wartet, bis alle sich dazu entschlossen haben, wird sich selbst den Vorwurf machen müssen, daß er die Chance des Anfangs und der Initialzündung versäumt hat.
Deshalb haben wir uns zu diesen wahrlich nicht leichten, auch im sozialen Bereich schwerwiegenden Entscheidungen durchgerungen. Die ersten Ergebnisse sind ja deutlich.
({33})
- Meine Kollegen, die sinkenden Zinsen sind doch kein Glücksfall!
({34})
Die sinkenden Zinsen sind doch kein Geschenk der Bundesbank an eine ihr genehme Regierung - ich weiß, daß Sie die Unabhängigkeit der Bundesbank immer gestört hat -, die sinkenden Zinsen sind eine Anerkennung für eine solide Haushaltspolitik.
({35})
Je konsequenter wir das fortsetzen, um so wirkungsvoller wird das sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so werden wir konsequent diese Politik fortsetzen,
({36})
eine Politik, die darauf gerichtet ist, den freiheitlichen Gehalt nicht nur unserer staatlichen Ordnung, sondern auch unserer wirtschaftlichen Ordnung zu erhalten und auszubauen, Liberalität in Staat und Gesellschaft zu ermöglichen.
Die Koalitionsparteien - Freie Demokraten, CDU und CSU - haben der Regierung einen sachlich begrenzten Auftrag gegeben. Dieser Auftrag wird nach der Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Haushalt 1983 und zu den Begleitgesetzen erfüllt sein.
({37})
Mit dieser gemeinsamen Leistung wird die Koalition vor die Wähler treten.
Sie kann dabei auch darauf verweisen, daß sie zusätzlich zu dem, was soeben genannt wurde, ihre Einigungs- und Entscheidungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat: Die Verbesserung der Qualität der
Luft durch die TA Luft ist ein entscheidender Beitrag zu einem wirksamen Umweltschutz.
({38})
Die Regelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung hat endlich auch in diesem Bereich Rechtssicherheit geschaffen.
({39})
- Ich weiß, daß Sie das alles nicht gern hören, meine Damen und Herren. Aber Sie müssen es ertragen. Dieses Parlament ist und bleibt Ort der Aussprache und des Dialogs. Wer Liberalität für sich in Anspruch nimmt, der muß als erstes beweisen, daß er auch einer anderen Auffassung, die er nicht teilt, zuhören kann.
({40})
Genauso bedeutsam ist, daß die Bundesregierung mit der Kontinuität der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einen entscheidenden Beitrag zu Stabilität und Vertrauensbildung in Europa geleistet hat.
Mit der Entscheidung über die Vertrauensfrage und dem Vorschlag zur Bundestagsauflösung erfüllt die Koalition der Mitte das bei ihrer Begründung gegebene Versprechen. Sie straft damit all jene Lügen, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Willens geäußert haben. Meine Damen und Herren, wir werden uns nach Erledigung dieser Aufgaben bei den Wählern um ein neues Mandat bemühen - für eine wirksame, marktwirtschaftliche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für die Politik der Sozialen Marktwirtschaft, für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, für den Ausbau unseres freiheitlichen Rechtsstaates und für unsere Politik der aktiven Friedenssicherung.
({41})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).
Herr Bundesaußenminister, Sie haben von Außenpolitik wenig, von Marktwirtschaft viel gesprochen. Ich habe darin das Bemühen erkannt, in einem kleiner werdenden Markt eine Marktlücke zu entdecken. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß es in der Marktwirtschaft so ist, daß normalerweise der Chef einer Firma entlassen wird, wenn die Produkte am Markt nicht mehr absetzbar sind.
({0})
Deshalb wäre es konsequent gewesen, Sie wären zurückgetreten. Ich hätte mir heute eigentlich auch gewünscht, daß Sie bei Ihrer Abschiedsrede aus dem Deutschen Bundestag versöhnlichere Töne angeschlagen hätten.
({1})
Zweieinhalb Monate Regierung Kohl/Zimmermann/Genscher haben viele berechtigte Zweifel an Ihren politischen Absichten und auch an Ihren politischen Fähigkeiten genährt. Aber wirkliche Klarheit haben Sie in den zweieinhalb Monaten nicht geschaffen, ja, Sie wollten sie auch nicht schaffen. Denn die Rechnung soll dem Wähler bewußt erst nach dem 6. März präsentiert werden. Und dann erweist sich - das zeichnet sich heute schon ab - das Gerede von der Kontinuität als Sand, der uns in die Augen gestreut werden soll, um den Mangel an demokratischer Legitimation für den Wechsel zu verdecken.
Unsere Zweifel an dem Willen zur Kontinuität der neuen konservativ-liberalen Regierung auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik haben sich in den wenigen zurückliegenden Wochen leider bestätigt. Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik war die Devise, mit der Bundesaußenminister Genscher seinen Einstand in die neue konservativ-liberale Koalition feierte. Immer deutlicher aber wird, daß sich der Bundesaußenminister inzwischen auch außenpolitisch an die CDU/CSU angepaßt hat. Er gibt damit die letzten Überreste sozialliberaler Kontinuität preis.
({2})
Dieser Außenminister hat dem jetzigen vom Wähler nicht legitimierten Bundeskanzler in den Sattel geholfen. Er hat sich zum Steigbügelhalter machen lassen. Dabei soll es nach dem Willen der Unionsparteien bleiben. Nach dem Vollzug der Wende wird es für die FDP - unabhängig davon, ob sie mehr oder weniger als 5 % bei den nächsten Bundestagswahlen erreicht - keine politisch eigenständige Rolle mehr geben, erst recht nicht mit einem Vorsitzenden Genscher.
({3})
Der innenpolitische Schock, der durch Ihr abruptes Wendemanöver verursacht worden ist, hat die deutsche Außenpolitik in ihrem bisherigen Charakter schon jetzt erheblich verändert. Sie haben ein Wahlversprechen gebrochen, nämlich daß Sie Helmut Schmidt als Bundeskanzler unterstützen.
({4})
Sie werden auch ein zweites Versprechen brechen, nämlich daß Sie eine von Franz Josef Strauß bestimmte Regierung in Bonn verhindern wollen.
Herr Bundesaußenminister Genscher, Sie pflegen für die Notwendigkeit der Vertrauensbildung zwischen den Staaten zu werben. Wir Sozialdemokraten teilen und unterstützen dieses Ziel. Wie aber kann ein Bundesaußenminister glaubwürdig im Ausland für Vertrauensbildung werben, der im Inland zum Symbol des Vertrauensbruchs geworden ist?
({5})
Herr Bundeskanzler Kohl, wir Sozialdemokraten haben kein Vertrauen in Ihre Politik und in Ihr Kabinett. Im Interesse unseres Landes aber warnen wir Sie davor, die Außenpolitik Ihrer Bundesregierung einem Mann anzuvertrauen, der aus taktischen Erwägungen frühere Bündnispartner ge8630
Voigt ({6})
täuscht hat und deshalb auch in Zukunft wohl nicht davor zurückschrecken wird, gegenwärtige und künftige Bündnispartner im In- und Ausland erneut zu täuschen, wenn ihm das als taktisch opportun erscheint.
Ich muß aber heute bereits feststellen, daß in den wenigen Wochen der konservativ-liberalen Regierung der Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik schwerwiegender Schaden zugefügt wurde.
({7})
Ich nenne einige Beispiele.
Erstens die Abkehr von der Türkei-Entschließung des Deutschen Bundestages. Der Deutsche Bundestag hat am 5. Juni 1981 in einer einstimmig gefaßten und von allen drei Fraktionen gemeinsam getragenen Entschließung die Fortsetzung der TürkeiHilfe von der Rückkehr zur Demokratie und von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht. Sie selber, Herr Außenminister, haben einen Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung in der Türkei zugesagt. Diesen Bericht haben Sie jetzt nach langem Zögern endlich vorgelegt. Darin stellen Sie selber fest, daß auf Grund der neuen türkischen Verfassung bisher nicht persönliche Freiheitsrechte, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, arbeitsrechtliche Bestimmungen wie Streikrecht, Bestimmungen über die Freiheit der politischen Betätigung und der politischen Parteien und Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht in Kraft getreten sind.
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Ebenfalls nicht in Kraft getreten sind die Bestimmungen über die Ausübung der gesetzesgebundenen Gewalt. Das alles steht in Ihrem eigenen Bericht. Das Urteil über diese Entwicklung in der Türkei konnte wohl auch gar nicht anders ausfallen. Dennoch haben Sie sich über die verfassungsrechtlichen und politischen Bedenken hinweggesetzt und mit der Mehrheit der Rechtskoalition im Auswärtigen Ausschuß, im Haushaltausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Türkei-Hilfe in vollem Umfang durchgesetzt. Es bleibt das Geheimnis des Parteivorsitzenden der FDP, wie er als Liberaler glaubwürdig bleiben will, wenn er keine praktischen Konsequenzen aus der Verletzung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze in einem Mitgliedsland des Europarates und der NATO zu ziehen bereit ist.
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Wer wie Bundeskanzler Kohl von der NATO als Werte-Gemeinschaft spricht und zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Bewilligung von Mitteln der Soforthilfe und der Verteidigungshilfe für die Türkei verlangt, spricht dem hohen Anspruch der geistig-moralischen Erneuerung hohn.
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Solch politisches Fehlverhalten ist eine der wichtigsten Ursachen dafür, daß vor allem jüngere Menschen den Politikern mißtrauen, wenn sie von Moral reden, weil es im Widerspruch zu ihrer politischen Praxis steht. Solches Verhalten führt aber auch dazu, daß die demokratische Glaubwürdigkeit der NATO in Mißkredit gerät. So darf man sich nicht über Parlamentsbeschlüsse hinwegsetzen.
Deshalb haben wir hier diese Frage noch einmal in einem Entschließungsantrag zur Entscheidung gestellt.
Wie Sie wissen, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft auf Grund der Entwicklung in der Türkei ihre Hilfe bisher blockiert. Daran sehen Sie, daß woanders verfassungsrechtliche und politische Bedenken gegenüber der türkischen Staatsführung sehr viel ernster genommen werden als hier von der neuen Rechtskoalition.
({11})
Zweites Beispiel: die Wende in der Nord-Süd-Politik. In der sozialliberalen Koalition, Herr Außenminister, haben Sie sich damit gebrüstet, Dritte-WeltPolitik im Interesse der deutschen Außenpolitik zu führen und die deutsche Dritte-Welt-Politik an den Grundsätzen der Unabhängigkeit, der Blockfreiheit und der Solidarität mit den Entwicklungsländern zu orientieren. Sie wollten damals die Dritte Welt nicht in den Ost-West-Konflikt hineinziehen. Wir haben Sie in dieser Politik unterstützt, weil Sie damit sozialdemokratisches Gedankengut in die deutsche Außenpolitik aufgenommen haben.
Daß Ihr Kontinuitätsversprechen nichts wert ist und die Öffentlichkeit bis zum 6. März nur hingehalten werden soll, läßt sich z. B. daran ablesen, daß Länder mit linksgerichteten Systemen wie Nicaragua durch die Kürzung der Entwicklungshilfe bestraft werden sollen - Simbabwe gehört übrigens auch dazu, obwohl die Vereinigten Staaten in diesem Fall sogar sehr viel großzügiger sind - und daß Länder mit rechtsgerichteten Systemen wie El Salvador aufgewertet werden sollen, und das, obwohl in den Vereinigten Staaten selber erwogen wird, die Hilfe zu kürzen.
Mit Besorgnis muß uns auch erfüllen, daß Sicherheitsinteressen des Westens, der NATO, in die Dritte-Welt-Politik einfließen sollen und damit der Ost-West-Gegensatz in die Dritte Welt hineingetragen wird.
Das alles kann man nicht mit der Ressortzuständigkeit des CSU-Ministers Warnke auf sich beruhen lassen.
({12})
Denn es ist doch wohl klar, daß in diesen Änderungen der Entwicklungspolitik die außenpolitische Handschrift von Franz Josef Strauß bereits jetzt in der Regierung zu erkennen ist.
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Voigt ({14})
Mir ist von Ihrem Widerstand gegen diese massive Veränderung von Grundsätzen der deutschen Außenpolitik
({15})
nichts bekannt. Vielleicht hören wir dafür von Ihnen später noch einiges, nämlich dann, wenn offenbar und bekannt wird, daß Sie zurückgesteckt haben und daß Sie Ihre eigene Politik und Ihre eigenen Grundsätze, so Sie welche gehabt haben sollten, begraben haben.
Außerordentlich beunruhigend, besonders im Zusammenhang mit den Beziehungen der Bundesrepublik zu den Ländern der Dritten Welt, ist auch die Tatsache, daß die neue Bundesregierung bisher zur Unterzeichnung der Seerechtskonvention nicht bereit ist. Sie reiht sich damit in eine Linie der Konfrontation gegenüber den Entwicklungsländern ein. Auch das wird der deutschen Außenpolitik nicht gut bekommen. Im übrigen gefährdet sie damit auch Arbeitsplätze in Hamburg, nämlich den Seegerichtshof, der Hamburg im Rahmen der Seerechtskonvention zugesagt worden ist.
Das dritte Beispiel: Doppeldeutigkeiten oder, wie Sie das nennen würden, Zwielicht in wichtigen Bündnisfragen. Hans-Jürgen Wischnewski hat in der Debatte vom 25. November eine Reihe von Fragen gestellt, von denen einige immer noch nicht oder nur unzureichend beantwortet worden sind. Nicht beantwortet ist z. B. die Frage, ob und, wenn ja, welche Verpflichtungen die Bundesregierung gegenüber den Vereinigten Staaten eingegangen ist, die zu einer Einschränkung des Osthandels führen könnten.
Am 9. Dezember hat der amerikanische Botschafter in Bonn, Arthur Byrnes, erklärt, daß die NATO-Länder im Zusammenhang mit der Aufhebung der US-Sanktionen übereingekommen sind, keine neuen Verträge für die Lieferung von sowjetischem Erdgas abzuschließen.
Eine solche Vereinbarung, wenn es sie gibt, wäre entweder eine überflüssige oder eine schädliche Einschränkung unserer energiepolitischen Zusammenarbeit mit Osteuropa. Sie wäre ein Bruch mit sozialliberaler Kontinuität, denn Bundeskanzler Helmut Schmidt ist früher öffentlich und intern für eine gesamteuropäische Energiekonferenz eingetreten - und das mit dem Ziel, die energiepolitische Zusammenarbeit mit Osteuropa nicht einzuschränken, sondern zu vertiefen und auszuweiten.
Wir befinden uns übrigens mit unserer Haltung, die mit der Haltung der amerikanischen Regierung nicht identisch ist, in Übereinstimmung mit der französischen Regierung. Trotzdem behauptet Herr Kohl, daß es weder zwischen ihm und der französischen Regierung noch zwischen ihm und der amerikanischen Regierung Meinungsunterschiede gibt. Meiner Meinung ist das eine sehr kühne Behauptung, wenn man sich die realen Probleme zwischen Europa und den Vereinigten Staaten anschaut. Offenbar sind mit dieser Form der Übereinstimmung nur Allgemeinplätze gemeint. Bundeskanzler Kohl gilt ja aber als Spezialist für das Allgemeine und hat das durch seine heutige Rede auch noch einmal unterstrichen.
({16})
Besorgniserregend ist, daß immer offensichtlicher wird, daß Vertreter der konservativ-liberalen Koalition dem Nachrüstungsteil des NATO-Doppelbeschlusses den Vorrang einräumen. Kollege Todenhöfer erklärt, die Sowjetunion werde erst dann Zugeständnisse machen, wenn hier stationiert ist. Diese Äußerung erweckt zwangsläufig den Eindruck, daß die CDU/CSU jetzt zu dem Konzept „Erst rüsten, dann verhandeln" zurückkehrt.
({17})
Das ist es, was uns nach dem 6. März bevorsteht, falls Sie die Mehrheit erhalten, und das werden wir nicht mitmachen.
({18})
Wir Sozialdemokraten lehnen jeden Automatismus der Nachrüstung ab und fordern endlich die Offenlegung der geplanten Stationierungsorte. Wir Sozialdemokraten stehen zu dem, was Sozialdemokraten in der Regierung und auf ihren Bundesparteitagen beschlossen haben. Wir Sozialdemokraten geben aber den Verhandlungen den Vorrang vor der Nachrüstung. Im Unterschied zu Ihnen drängen wir auf Verhandlungskompromisse. Ja, wir bekennen uns offen dazu: Wir Sozialdemokraten sind die Partei der Verhandlungen.
({19})
Die Sowjetunion hat jetzt in Genf einen Vorschlag vorgelegt, der darauf hinausläuft, die Hälfte der sowjetischen landgestützten Systeme abzubauen. Das ist ein Fortschritt. Er geht aber noch nicht so weit, wie wir es für nötig halten. Das Präsidium der SPD hat sich dafür ausgesprochen, die Warnke-Vorschläge eingehend zu prüfen, gegebenenfalls durch eigene Vorstellungen anzureichern und in den zuständigen Gremien der NATO zu erörtern. Die schlichte Ablehnung dieser Vorschläge durch die neue Rechtskoalition halten wir für unangemessen und für unbefriedigend.
({20})
Sie zeugt unserer Meinung nach von mangelnder Verhandlungsbereitschaft. Wir fordern Sie deshalb noch einmal auf: Prüfen Sie Kompromißmöglichkeiten. Drängen Sie auf faire Kompromisse. Unsere Politik muß weiterhin - wie unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt - die Vorhut der Abrüstungsbemühungen bilden.
({21})
Sie darf nicht zur Nachhut werden.
Jetzt möchte ich ergänzend noch folgendes hinzufügen. Wer heute die „International Herald Tribune" gelesen hat, wird darin einen Bericht von John Vinocur, einem der Sozialdemokratie sicher8632
Voigt ({22})
lich nicht wohlgesonnen Reporter finden, wonach auch François Mitterrand sagt, daß man sich in der Position der Verhandlungen bewegen muß und daß er eine Lösung zwischen der Reaganschen NullLösung und dem Vorschlag der Freeze-Bewegung vorschlage. - Ich sehe schon kommen, daß Sie neben Reagan, vielleicht sogar nach Reagan die letzten sein werden, die an der starren Ausgangsposition festhalten und sich gegen Verhandlungskompromisse aussprechen und damit Verhandlungsergebnisse erschweren und verunmöglichen.
({23})
Wenn Sie sich so verhalten, dann ist es nur konsequent, wenn nicht wir, sondern der „Spiegel"
({24})
in seiner Ausgabe vom 13. Dezember in einem Artikel feststellt: „Die Union neigt zur Raketenpartei." Das sind nicht wir, das sind Journalisten, die diese Konsequenz aus Ihrer bisherigen Praxis und Verhaltensweise ziehen.
({25})
Ich möchte eine weitere Äußerung des Bundesministers der Verteidigung, Manfred Wörner, aufgreifen. Er erklärte am 8. Dezember im Zweiten Deutschen Fernsehen:
Ich lehne eine atomwaffenfreie Zone in Europa mit Entschiedenheit ab. Atomwaffenfreie Zonen verhindern nicht den Nuklearkrieg; ich fürchte, sie würden dazu führen, daß er kommen muß.
Dann führte er weiter aus:
Dafür gibt es ein historisches Beispiel: Die Amerikaner haben die Atombombe auf Hiroshima geworfen, weil die Japaner sie nicht hatten.
Mit dieser fahrlässig vereinfachenden Aussage, Herr Verteidigungsminister, werden Sie der Forderung nach der Bildung einer atomwaffenfreien Zone sachlich nicht gerecht.
({26})
Im Umkehrschluß reden Sie mit Ihrer Argumentation indirekt einer schrankenlosen Weiterverbreitung von Atomwaffen das Wort. Wenn Ihr Argument stimmte, wäre der Atomwaffensperrvertrag sinnlos. Dann müßten alle Staaten dieser Erde, um vor Atomangriffen sicher zu sein, die Bombe haben. Das nenne ich verantwortungslos.
({27})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?
Bitte.
Herr Kollege Voigt, habe ich es richtig in Erinnerung, daß Sie mir einmal gesagt haben, daß derjenige, der eine atomwaffenfreie Zone fordere, auch eine panzerfreie Zone fordern müsse?
Diese Meinung habe ich nicht nur damals Ihnen gegenüber geäußert, sondern ich teile sie auch heute noch. Aber dies ist nicht die Aussage von Manfred Wörner. Er lehnt eine atomwaffenfreie Zone insgesamt und generell ab. Das ist pauschal. Die Begründung, die er dafür gibt, ist geradezu verantwortungslos und gefährlich.
({0})
Ich hätte es viel besser und richtiger gefunden, wenn sich Herr Wörner ernsthafter mit dem Vorschlag der Palme-Kommission auseinandergesetzt hätte, der jetzt auch als offizieller Vorschlag der schwedischen Regierung vorliegt. So dürfen solche Vorschläge nicht vom Tisch gewischt werden.
({1})
- Herr Wörner, Sie haben nachher in der Debatte das Wort.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Bitte sehr.
Herr Kollege Voigt, in der Tat werde ich mich nachher mit Ihnen auseinandersetzen. Ich habe nur die eine Frage, nämlich ob Sie nicht endlich aufhören wollen, hier auf Strohmänner einzuprügeln, sondern zur Kenntnis nehmen wollen, daß ich am letzten Freitag in Ihrer Anwesenheit für die Regierung und die Regierungsparteien, und zwar energisch, für eine tief einschneidende Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten, in Ost und West, eingetreten bin.
({0})
Herr Wörner, Sie reden jetzt um den heißen Brei herum. Sie sprechen von tiefen Einschnitten auf beiden Seiten. Dafür bin ich auch. Ich spreche von atomwaffenfreien Zonen auf beiden Seiten. Dies haben Sie pauschal zurückgewiesen. Das halte ich für verantwortungslos. Ihre Frage, die Sie eben gestellt haben, bestätigt eigentlich, daß Sie sich nach wie vor zu dieser Position bekennen.
({0})
Hinzu kommt, daß Sie - dazu können Sie nachher auch Stellung nehmen - zu den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gesagt haben, sie müßten neu überdacht werden. Dann wird beschwichtigend hinzugefügt, daß es bei der restriktiven Praxis bleiben solle. Aber gleichzeitig wird gesagt, die Kapazitäten müßten ausgelastet bleiben. Die Friedensforschung hat herausgefunden - sie wird jetzt von Ihnen von 3,5 Millionen DM auf 2,9 Millionen DM gekürzt -, daß eine solche ständige Auslastung der Kapazitäten, wenn man sie zum Grundsatz erhebt, in der politischen und wirtschaftlichen Praxis zu wachsenden Rüstungsexporten führen würde.
Ich fürchte, so wird es sich auch mit dem Grundsatz verhalten, daß der Verantwortungsbereich der NATO nicht ausgedehnt werden soll. Das KommuVoigt ({1})
nique der NATO-Verteidigungsminister stellt zwar eindeutig fest, daß Aktivitäten außerhalb des Bündnisbereichs in der nationalen Entscheidung liegen. Aber die jetzige Bundesregierung ist im Gegensatz zur Haltung der früheren Bundesregierung offenbar bereit, solche nationalen Aktivitäten außerhalb des Bündnisbereichs in einer Weise zu unterstützen, die faktisch auf eine Bündnisverantwortung hinausläuft. Das wäre eine gefährliche Entwicklung. Wir werden uns jedenfalls dagegen wehren, den Eindruck entstehen zu lassen, daß die NATO ihren Verantwortungsbereich ausdehnt.
Wir wehren uns auch gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit der Wahrheit in bezug auf die Meldungen über die Verlagerung von Teilen des US-Hauptquartiers in Krisen- oder Kriegsfällen von Stuttgart weg umgeht. Erst spricht Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner auf meine Zwischenfrage vom vergangenen Freitag von „Falschmeldung". Dann wird tröpfchenweise die Wahrheit zugestanden, aber gleichzeitig verharmlost. Schließlich eröffnet Regierungssprecher Stolze den staunenden Journalisten, daß der Tatbestand, der wenige Tage vorher noch als „vollständige Falschmeldung" oder - in anderen Reden von Manfred Wörner - sogar als „bewußte Falschmeldung" abqualifiziert wurde, der Bundesregierung schon seit Monaten bekannt sei. Auf diese Weise versucht die Bundesregierung, den Eindruck zu erwecken, als habe Bundeskanzler Schmidt die Verwirklichung entsprechender Planungen der USA gebilligt. Dieser Eindruck, der erweckt werden soll, ist falsch. Die Bundesregierung müßte noch besser als ich wissen, daß Bundeskanzler Schmidt bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt von der Verwirklichung derartiger Planungen der USA abgeraten hat.
Aus diesem Grunde ist es auch unzureichend, wenn der Regierungssprecher die deutsche Öffentlichkeit jetzt mit dem Hinweis vertröstet, daß die Bundesregierung dann ihre Beurteilung dieser Information abgeben werde, wenn die Interessen der Bundesrepublik berührt würden. Diese Interessen sind bereits heute berührt. Deshalb verlange ich heute nach der falschen Aussage über die angebliche Falschmeldung, nach den vertröstenden und verharmlosenden Ausführungen endlich eine umfassende Information und eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung.
Die neue Bundesregierung hat versucht, objektiv bestehende Meinungsunterschiede im Bündnis mit den Vereinigten Staaten der deutschen Sozialdemokratie anzukreiden. Sie hoffen, daß sich das in bare innenpolitische Münze umwandeln läßt. Aber mit innenpolitischer Taktiererei löst man keine Probleme, auch nicht dadurch, Herr Außenminister, daß Sie in Ihrem neuen Wahlprogramm der FDP den Begriff der Entspannungspolitik zu einer historischen Erinnerung verkommen lassen.
Ich sehe als Ergebnis von nur zweieinhalb Monaten Amtszeit der Rechtskoalition die große Gefahr auf uns zukommen, daß die Bundesrepublik in den Ost-West-Beziehungen und im Verhältnis zur Dritten Welt auf die Linie der Konfrontation einschwenkt und sich dadurch letztlich auch im Bündnis in eine Schieflage bei der Wahrnehmung europäischer Interessen bringen läßt. Zu befürchten ist, daß sich die außenpolitische Rolle und das politische Gewicht der Bundesrepublik als Ergebnis der Politik der neuen Regierung erheblich vermindern.
Wir halten demgegenüber an der bewährten Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt fest. Wir Sozialdemokraten wollen nicht weg von der erfolgreichen Konzeption der Entspannungspolitik. Wir Sozialdemokraten wollen im Gegenteil mehr Entspannung und mehr Verträge zwischen Ost und West.
({2})
Wir wollen nicht zurück zu den Konzeptionen und der Praxis des Kalten Krieges der 50er Jahre, sondern wir wollen eine friedenserhaltende und friedensgestaltende Vertragspartnerschaft mit dem Ziel der Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West. Diese Politik ist Ausdruck unserer sozialdemokratischen Kontinuität. Diese sozialdemokratische Kontinuität ist unsere Alternative zur sich abzeichnenden Wende Ihrer Außenpolitik nach rückwärts und nach rechts.
({3})
Ich hoffe, daß diese Wende nach rückwärts und nach rechts für Sie beim Wähler zwar mit einem politischen Salto mortale beginnen, aber mit einem Schiffbruch enden wird. - Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Herr Staatsminister Möllemann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhin hat der Kollege Rapp in einem Beitrag gefordert, man solle in seinen Diskussionsbeiträgen bestimmten Ansprüchen politischer Moral entsprechen und nicht Reden halten, die absichtsvoll nur mit dem Ziel gehalten würden, den politischen Gegner herabzusetzen. Wir haben soeben ein Schulbeispiel dafür gehört, wie Ihnen, Herr Kollege Rapp, der Sie diese Forderung aufgestellt haben, einen Moment später quasi ins Gesicht geschlagen worden ist.
({0})
Ihre auf Diffamierung des politischen Gegners angelegte Hetzrede, Herr Kollege, hat nichts anderes zum Ziel, als Menschen, die Ihre politischen Gegner sind, persönlich und politisch herabzusetzen. Wir weisen das zurück.
({1})
Sie haben das alte Märchen, die alte zusammengebrochene Legende vom Verrat, die Sie dauernd hochpäppeln wollen, hier aufgetischt.
({2})
Sie tun dies, wiewohl derjenige, um den Sie diese Legende ranken, vor Ihrer eigenen Fraktion erklärt hat, daß und warum er für ein politisches Amt nicht mehr zur Verfügung steht.
({3})
- Ja, werden Sie mit den Überläufern ruhig glücklich, Herr Ehmke, werden Sie ruhig glücklich! Damit werden Sie noch einige Freude haben.
({4})
Lesen Sie doch nach, was Helmut Schmidt vor Ihrer eigenen Fraktion erklärt hat. Er hat erklärt, er stehe für das Amt, für die Kandidatur nicht mehr zur Verfügung, weil Ihre Fraktion die zentralen Meinungsverschiedenheiten in allen wesentlichen Bereichen nur zurückgestellt hat, die sie gegen seine Politik bisher betrieben hat. Das ist die Wahrheit, die erwähnt werden muß.
({5})
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Soell?
Aber sicher.
Herr Staatsminister, wenn Sie diese Argumente von Helmut Schmidt für authentisch halten, müssen Sie dann nicht auch sein Argument vom Wortbruch Ihrer Partei und der Führung Ihrer Partei für authentisch halten? Würden Sie mir da zustimmen?
Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, weil ich Widersprüche nicht als vernünftig ansehen kann. Wenn jemand Ihrer Fraktion erklärt, daß er nicht mehr kandidiert, weil Ihre Fraktion seiner Politik nicht mehr folgt, dann ist das doch offenbar die Verantwortungszuweisung an Ihre Fraktion. Dem kann man ja wohl folgen.
({0})
Hier sind drei sachliche Punkte angesprochen worden betreffend die Außenpolitik der Bundesregierung, und hierzu möchte ich kurz Stellung nehmen. Erstens die Frage der Türkeihilfe. Es trifft zu, daß sich die zuständigen Ausschüsse - Auswärtiges, Haushalt und AWZ - für die Freigabe der von Ihnen angesprochenen Mittel ausgesprochen haben, und zwar nach einer sehr eingehenden Debatte über den von der Bundesregierung vorgelegten Bericht. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, daß dieser Bericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat, feststellt, daß die Erwartungen des Parlaments noch nicht, jedenfalls nicht vollständig erfüllt sind. Die Mehrheit in den Ausschüssen teilte die Auffassung der Bundesregierung, und die Bundesregierung insistiert darauf, daß das von uns gewählte Verfahren am ehesten die Möglichkeit bietet, den eingeleiteten Prozeß der Wiedereinführung der Demokratie bei unserem Bündnispartner Türkei zu fördern. Der Bericht drückt die Erwartung aus, daß die geleistete Wirtschaftshilfe, die im übrigen insbesondere Energieprojekten zugute kommt und im wesentlichen in Form von Aufträgen an deutsche Unternehmen zurückfließt, auch dazu beiträgt, beispielsweise den Anreiz für die Rückwanderung türkischer Arbeitnehmer in die Türkei zu verstärken, wenn dort die wirtschaftliche Situation sich bessert.
({1})
- Nein, natürlich nicht. Ich sage es doch schon: wir kämpfen dafür, daß die Menschenrechte dort verbessert werden, und glauben, daß wir auf diese Weise der Einflußnahme auch einen Beitrag dazu leisten können. Aber wir sehen es auch als ein wichtiges Interesse in den bilateralen Beziehungen, daß wir einen Beitrag für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage unseres Partners leisten, der es den hier tätigen Türken lohnend erscheinen läßt, wieder in ihr Land zurückzugehen und dort tätig zu werden. Sie wissen doch, welche Probleme es in diesem Zusammenhang gibt. Sie wissen auch, was im übrigen Zusammenhang mit den Problemen, die nach dem Assoziierungsabkommen auf uns zukommen, vom Außenminister in diesem Fragenkomplex erreicht worden ist.
Im übrigen dürfen Sie ganz sicher sein, daß wir uns in dieser Frage in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern befinden. Herr Kollege Voigt, ich habe den Eindruck nach den Unterredungen mit der französischen Regierung, die ja nach Ihrem schönen Schema wohl nicht als Rechtsregierung zu bezeichnen ist, daß wir dort nicht weit auseinander sind in der Bewertung der Zweckmäßigkeit unseres Vorgehens.
Der zweite Punkt. Es hilft nichts, daß Sie unablässig und wider besseres Wissen - es sei denn, Sie nehmen Argumente absichtsvoll nicht zur Kenntnis - behaupten, die Bundesregierung gehe von zwei tragenden Grundsätzen in der Dritte-Welt-Politik ab. Der erste Grundsatz lautet: wir sehen die Blockfreiheit als ein wichtiges positives Element in der Bewertung der Dritten Welt an. Wir fördern diese Blockfreiheit, aber meinen damit echte Blockfreiheit und nicht vorgebliche. Diese wird - das mögen Sie noch so oft in Zweifel ziehen - von uns unterstützt.
Zweitens sagen wir dazu, daß wir den Ost-WestGegensatz nicht auf die Staaten der Dritten Welt übertragen wollen. Auch daran gibt es nichts zu deuteln. Es hat doch keinen Sinn, daß, wenn dies argumentativ immer wieder ausgeräumt wird, Sie sich dann hierher stellen und das Gegenteil behaupten.
Der nächste Punkt. Sie haben hier, Herr Kollege Voigt - ich möchte wirklich sagen, ausgerechnet Sie -, davon gesprochen, daß die Beziehungen zu unserem atlantischen Bündnispartner aus dem Zwielicht gebracht werden müßten. Wenn überhaupt eine Partei durch ihre Aussagen zu zentralen Fragen der Sicherheitspolitik unsere Beziehungen zu unserem Bündnispartner ins Zwielicht gebracht
hat, dann ist das Ihre Partei mit ihren zum Teil unverantwortlichen Äußerungen der letzten Tage und Wochen.
({2})
Ich möchte einmal sagen, daß es doch bemerkenswert ist, daß der NATO-Doppelbeschluß, dessen Bedeutung für das Bündnis, für unsere Sicherheit Sie sehr genau kennen, mit herbeigeführt worden ist von jenem Helmut Schmidt, der doch erklärt hat, was zu geschehen habe, wenn die Verhandlungen nicht zu Ergebnissen führten, nämlich daß eine angemessene Zahl von Systemen hier aufgestellt werden müsse, und jetzt, daß dieser Beschluß von niemand anderem von Tag zu Tag mehr zerredet wird als von Ihnen.
Es ist sicherlich kein Zufall, daß der frühere Verteidigungsminister Georg Leber zwar zu vielem gesprochen hat, aber mit keinem Wort zur Sicherheitspolitik. Ich weiß doch, daß er wie mancher andere bei Ihnen tief besorgt darüber ist, in welch rasantem Tempo sich die SPD von den Grundlagen der Bündnispolitik entfernt. Sie, Herr Ehmke
({3})
- jetzt hören Sie mir einmal zu; Sie haben heute morgen lange genug geredet! ({4})
haben in Ihrer Partei den außenpolitischen Sprecher Ihrer Fraktion, Peter Männing, in Berlin nicht mehr zum Abgeordneten für dieses Parlament nominiert, allein und ausschließlich deswegen, weil er für beide Teile des NATO-Doppelbeschlusses eintritt.
({5})
Sie haben in Ihrer Partei ein Mitglied der bisherigen Bundesregierung, den Wohnungsbauminister, in seinem Unterbezirk vor die Wand rennen lassen, weil sein Gegenkandidat gegen den Doppelbeschluß war.
({6})
Er war dafür, und davon können Sie nicht ablenken.
({7})
Es ist Ihre Partei, durch die Äußerung des Kollegen Soell von gestern, gewesen, die ein Verfahren vorgeschlagen hat, das eine Abkehr vom NATO-Doppelbeschluß in vollem Umfang beinhaltet.
({8})
- Ach j a, wissen Sie - ({9})
- Herr Professor Ehmke, über den Charakter der Liberalität der SPD hat die überzeugendsten Ausführungen vier Tage vor seinem Wechsel zu Ihnen Günter Verheugen gemacht.
({10})
Ich glaube, dem brauche ich nichts hinzuzufügen. Sie können sich mit Ihrem neuen Genossen einmal darüber unterhalten, wie liberal Sie sind. Aber zur Sache selbst zurück.
Sie, Herr Ehmke, haben als SPD erklärt, es reiche Ihnen aus, wenn die Sowjetunion 150 Nuklearsysteme aus dem Bereich SS-20 zurückziehe. Dann könne der Westen einseitig auf den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses verzichten. Sie verfassen damit einen Vorschlag, der hinter den Kräftestand zum Zeitpunkt des Doppelbeschlusses zurückfällt.
({11})
Was ist seit dem Doppelbeschluß am 13. Dezember 1979 geschehen? Es hat eine beispiellose Propagandakampagne gegen den von Ihnen und uns aus sicherheitspolitischen Erfordernissen herbeigeführten Beschluß stattgefunden. Parallel dazu hat die Sowjetunion Woche für Woche eine weitere Abschußvorrichtung für die SS-20 aufgestellt. Weshalb fangen Sie jetzt an, Forderungen an uns zu richten, daß wir auf die Implementierung des Beschlusses verzichten sollten? Warum zerreden Sie unsere Möglichkeiten? Bleiben Sie doch bei der Linie, die wir gemeinsam definiert haben.
({12})
Ich will Ihnen sagen - ich glaube, das muß man so deutlich sagen -: Die SPD ist dabei, die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen.
({13})
Sie sind dabei, die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen, weil Sie der Sowjetunion signalisieren: Ihr braucht gar nicht auf unseren Vorschlag einzugehen; wir werden davon sowieso abgehen.
({14})
Das, meine Damen und Herren, ist jene Unzuverlässigkeit, jene Zwielichtigkeit, die bei unseren westlichen Bündnispartnern in den letzten Wochen und Monaten der letzten Regierung immer stärker zu Fragen geführt hat.
({15})
Man konnte doch nicht in die Vereinigten Staaten, nach Großbritannien, ja, nach Frankreich fahren, ohne daß man gefragt wurde: Wie lange bleibt diese SPD, diese janusköpfige Veranstaltung, denn bei ihren einmal eingegangenen Verpflichtungen,
({16})
wann geht sie davon ab? - Kaum daß Sie Herrn Schmidt nicht mehr nominiert, Herrn Vogel präsentiert haben und sich dieser mit den Grünen liieren will, nehmen Sie von den Grundlinien der Sicherheitspolitik Abschied. Das müssen Sie sich sagen lassen.
({17})
Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
({0})
Jawohl, Herr Präsident!
Bitte sehr, Herr Voigt.
Herr Staatsminister Möllemann, können Sie mir nach diesem Diskussionsbeitrag vielleicht erläutern, was Sie gegen Franz Josef Strauß haben; denn Sie sind in Tonlage und Inhalt genau identisch?
({0})
Ich bin im Moment, nachdem ich die Frage, die Sie hier ansprechen, sicherlich des öfteren erörtert habe, insbesondere interessiert, darzulegen, was ich in der Außenpolitik gegen unzuverlässige Vertreter habe. Ich habe gerade versucht, darzulegen, daß die SPD in der Außenpolitik unzuverlässig ist, da sie von eingegangenen Verpflichtungen im NATO-Doppelbeschluß abgeht. Ich wollte dies hiermit zurückgewiesen haben.
({0})
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Coppik hat sich zu Wort gemeldet, um einen Antrag zu begründen. Er ist aber nicht im Saal. Ich erteile ihm deshalb auch nicht das Wort.
({0})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Picard das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Staatsminister Möllemann hat im wesentlichen auf das, was Herr Kollege Voigt hier vorgetragen hat, geantwortet. Ich möchte mir aber erlauben, noch ein paar Bemerkungen zu machen.
Herr Kollege Voigt, bei dem Wort „Vertrauensbruch" bin ich leicht zusammengezuckt, weil ich mich an die Große Koalition erinnert habe, an das Verhalten von Teilen unseres damaligen Regierungspartners, der hinter dem Rücken des Bundeskanzlers gewisse Verhandlungen geführt hat, ohne dem Regierungschef ein Wort davon zu sagen. Vertrauensbruch war das in einem hohen Maße,
({0})
während das, was Sie als Vertrauensbruch bezeichnet haben, nichts anderes als die Wahrnehmung verfassungsmäßiger Rechte für jedermann hier in diesem Parlament gewesen ist.
({1})
Sie haben gemeint, Sie müßten die neue Regierung als eine Regierung der Rüstung bezeichnen: „Erst rüsten, dann verhandeln." Wer das behauptet, Herr Kollege Voigt, der hört in diesem Parlament nicht zu, der liest keine Regierungserklärung und liest auch keine Zeitung, sondern er bleibt in seinem vorgefaßten Irrtum, weil er sich in diesem Irrtum wohlfühlt. Bleiben Sie dabei!
({2})
Nur dient das nicht Ihrem Nutzen - das könnte mir egal sein -, es gereicht der deutschen Politik zum Schaden, und das ist mir nicht egal.
({3})
Eine Bemerkung zur Türkei-Hilfe: Wir haben im vergangenen Jahr die Türkei-Hilfe nach einer ausführlichen Debatte im Auswärtigen Ausschuß und hier im Parlament unter Voraussetzungen der innenpolitischen Lage in der Türkei gewährt, die wesentlich schlechter waren als in diesem Jahr. Ich kann also nur feststellen, daß die Resolution des Deutschen Bundestages, auf die der Türkei-Bericht zurückgeht, von Erfolg gewesen ist. Der Unterschied besteht lediglich in der Einschätzung einer pädagogischen Maßnahme - ob man die Maßnahme der Ermutigung ergreift oder die Maßnahme der Bestrafung. Wenn jemand auf dem guten Weg ist, sollte man ihn ermutigen und nicht bestrafen, daß er diesen guten Weg noch nicht bis zum Ende gegangen ist.
({4})
Wir sind deshalb der Meinung, daß die Türkei-Hilfe eine Anerkennung der bisherigen Bemühungen innerhalb der Türkei ist, dem Petitum der Resolution, die wir uns ausdrücklich noch einmal zu eigen machen, gerecht zu werden, wenn auch - und da stimmen wir überein - noch nicht mit dem Ergebnis, das wir im vergangenen Jahr gewünscht haben.
Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Wir haben damals beschlossen:
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung um eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme und um die Sicherung der Verteidigungsfähigkeit der mit der Bundesrepublik Deutschland befreundeten und verbündeten Republik Türkei. Er befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem Beschluß der OECD, langfristig zur Gesundung der türkischen Wirtschaft beizutragen.
Der Deutsche Bundestag erinnert daran, daß die Türkei wie alle Mitglieder des Atlantischen Bündnisses und des Europarates besondere Verpflichtungen zur Wahrung der Grundsätze der Demokratie, der Herrschaft des Rechtes, der Freiheit der Person und der Menschenrechte übernommen hat.
Wir bleiben dabei, und wir hoffen, daß die Entscheidung, die wir im Auswärtigen Ausschuß und im Haushaltsausschuß mit Mehrheit getroffen haben, für die Türkei ein Ansporn ist, den Weg weiterzugehen, auf dem sie sich befindet und volle demokratische Rechte wieder herzustellen.
Ich möchte abschließend nur noch daran erinnern - auch das befindet sich im Bericht der Bundesregierung -, daß vor der Übernahme durch die jetzige Regierung nach dem Bericht unserer Botschaft innerhalb von 22 Monaten 3 710 Todesopfer des Terrorismus zu beklagen waren, daß diese Zahl vom 12. September 1980 an, also für einen länger dauernden Zeitraum, auf 357 gefallen ist. Seit dem 12. September 1981 sind 60 Todesopfer als Folge des Terrorismus zu beklagen; das ist immer noch beklagenswert, aber im Verhältnis zu der erstgenannten Zahl doch erheblich weniger. Das war die Ursache für den Wechsel der demokratischen zu einer undemokratischen Regierung, die aber auf dem Weg ist, demokratische Rechte wiederherzustellen. Wir bleiben dabei, das Instrument der Ermutigung ist ein besseres Instrument als der der Bestrafung für einen noch nicht vollständig zurückgelegten Weg.
Nun einige wenige Bemerkungen zum Einzelplan 05. Ich möchte noch einmal die Erfolgsbilanz der neuen Bundesregierung der Mitte - Kollege Voigt, Sie sollten sich angewöhnen, die Nachfolgeregierung, die die liberalsozialistische Regierung abgelöst hat, als Regierung der Mitte zu bezeichnen -,
({5})
der Regierung Kohl/Genscher, in wenigen Punkten der Außenpolitik deutlich machen. Die neue Bundesregierung hat in wenigen Wochen das ramponierte Ansehen der Bundesrepublik im Ausland wiederhergestellt. Die Bundesrepublik hat im Westen Zuverlässigkeit, Verständnis, Sympathie, also das zurückgewonnen, was wir brauchen, um eine an den Interessen unseres Volkes ausgerichtete Außenpolitik zu treiben. Wir genießen Ansehen und Respekt bei unseren östlichen Nachbarn, einschließlich der Sowjetunion, und zwar in höherem Maße als noch vor wenigen Monaten. Die Behauptung, eine CDU/CSU-geführte Regierung sei eine Gefahr für den Frieden - Sie werden nicht müde, das Tag für Tag zu verkünden -, hat sich als eine leichtfertige, wenn nicht als eine böswillige bloße Behauptung entpuppt.
({6})
Das Gegenteil ist richtig. Unsere konsequente, klare, eindeutige Haltung, die auf gute Nachbarschaft und Interessenausgleich gerichtete Politik hat die Chancen für eine aktive Friedenspolitik und Abrüstung vergrößert. Die deutsche Außenpolitik ist wieder berechenbar geworden.
Die Bundesrepublik hat der europäischen Zusammenarbeit neue Impulse gegeben und damit das Gewicht Europas verstärkt. Nicht zuletzt dies war eine Voraussetzung für die Beilegung der Differenzen der Europäischen Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten in einigen wichtigen Fragen des Verhaltens gegenüber dem Ostblock und den unterschiedlichen Standpunkten bezüglich des Handels mit Stahl und Agrarprodukten. Besonders der Bundeskanzler hat durch sein besonnenes, freundliches, von ungekünstelter Würde und selbstverständlicher Sicherheit
({7})
gekennzeichnetes Auftreten dazu beigetragen, klimatische Turbulenzen zu beruhigen und eine Atmosphäre des Vertrauens wieder herzustellen. Einen erhobenen Zeigefinger hat er dazu nicht gebraucht.
Erlauben Sie mir noch wenige Bemerkungen zum Haushalt. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes war von der alten Regierung aufgestellt worden. Er konnte kaum verändert werden. Wir hätten gern auch im Personalbereich ein paar Akzente anders gesetzt. Das Auswärtige Amt hat heute weniger Mitarbeiter als vor zehn Jahren. Es muß aber eine Fülle von zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen, besonders im internationalen Bereich, einschließlich neuer Vertretungen. Wir bedauern, daß das Amt nicht von Stellenkürzungen ausgenommen werden konnte. Wir erwarten von der Bundesregierung aber im nächsten Haushalt eine Berücksichtigung dieser Situation. Die Empfehlungen der Reformkommission „Auswärtiger Dienst" sollten verwirklicht werden. Sie sind zwar zehn Jahre alt, aber sie sind immer noch richtig. Das betrifft besonders Zahl und Bedeutung des mittleren Dienstes. Wir wünschen, daß auch bei den diesjährigen Stelleneinsparungen der mittlere Dienst ausgenommen wird.
Unsere außenpolitische Arbeitsgruppe hat sich eingehend mit der Personalsituation des Auswärtigen Amtes beschäftigt. Sie hält es nicht mehr länger für vertretbar, das Instrument allgemeiner Stellenkürzungen im Auswärtigen Amt so wie bisher aufrechtzuerhalten.
Auch bei der auswärtigen Kulturpolitik hätten wir gewünscht, daß die Präsenz der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten eine größere Priorität erfahren hätte und dem Antrag meiner Fraktion auf Verdoppelung der Anzahl der Kulturinstitute hätte Rechnung getragen werden können. Immerhin konnten wir aus Anlaß des 300. Jahrestages der ersten Einwanderung Deutscher nach Nordamerika im Jahre 1683 für besondere Vorhaben in den Vereinigten Staaten im nächsten Jahr 2 Millionen DM zusätzlich gewinnen, allerdings durch Kürzung der Verfügungsmittel des Außenministers. Wir erwarten vom Auswärtigen Amt, daß es auf das GoetheInstitut mit Nachdruck einwirkt, trotz der Personalenge eine personelle Verstärkung der Institute in den Vereinigten Staaten vorzunehmen.
Wie im Haushaltsausschuß beschlossen, fordern wir das Auswärtige Amt auf, im Benehmen mit den Ländern dafür zu sorgen, daß die Personalkosten im Bereich der Auslandsschulen nicht ins Uferlose steigen. Wir müssen zwar der wachsenden Zahl von deutschen Kindern im Ausland - eine Folge der wachsenden internationalen Bedeutung der Bundesrepublik und ihrer weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung - Schulen anbieten können, die mindestens der Qualität unserer heimischen entsprechen, es kann aber doch nicht wahr sein, daß Tausende von Lehrern es vorziehen sollten, arbeitslos zu sein, statt an einer Auslandsschule eine Stelle anzunehmen, auch wenn diese nicht alles in allem 120 000 bis 130 000 DM kostet.
({8})
Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik hat an Profil gewonnen. Die Kontinuität, soweit in unserem Interesse, ist begrüßenswert. Die Außenpolitik der neuen Regierung der Mitte ist berechenbar. Sie zeichnet sich aus durch Eindeutigkeit, durch Festigkeit und ist eine Garantie für Sicherheit, Freiheit und Frieden. Meine Fraktion dankt dem Herrn Außenminister und seinen Mitarbeitern.
Wir stimmen dem Etat des Auswärtigen Amtes zu.
({9})
Zur Begründung eines Antrages hat der Abgeordnete Coppik das Wort.
- Herr Abgeordneter, ich nehme an, Sie wissen, daß Sie eine begrenzte Redezeit haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag auf Drucksache 9/2321 beantragen wir
({0})
- der Kollege Hansen und ich -, die Militärhilfe für die Türkei zu streichen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir einen solchen Antrag hier stellen. Alle Jahre wieder unterhalten wir uns hier
({1})
- ich weiß nicht, vielleicht ist die Sache nicht ganz so lustig, meine Damen und Herren;
({2})
ich halte das für ein Problem, das wirklich so schwerwiegend ist, daß es vielleicht nicht mit so ein paar kleinen Scherzchen abgetan werden sollte - über Hunderte von Millionen Mark, die alljährlich an die Militärdiktatur in der Türkei gezahlt werden. Dabei werden immer wieder schöne Worte gefunden, Entschließungen verabschiedet, Erwartungen zum Ausdruck gebracht. Nur, geändert hat sich nichts, jedenfalls kaum zum Guten. Die Bundesrepublik zahlt, und in der Türkei werden politisch Verfolgte weiterhin - in vielen Fällen bis zum Tode - gefoltert. Von rechtsstaatlichen Prinzipien ist nach wie vor keine Rede. Die Repressionen gegen Minderheiten, insbesondere gegen Kurden, wurden verstärkt. Speziell ausgebildete Kommandoeinheiten überfallen und durchkämmen die gesamten Dörfer und Städte Kurdistans.
Die Unterstützungspolitik der Bundesregierung - beider Bundesregierungen; Herr Genscher bürgt da für Kontinuität - hat die türkischen Militärs nicht zu Demokraten gemacht, wohl aber hat diese Unterstützungspolitik psychologische Auswirkungen auf bestimmte Kräfte in der bundesdeutschen Bürokratie und Justiz gehabt. Was da als Folge der Verharmlosung des türkischen Staatsterrors durch das Auswärtige Amt geschieht, etwa in Asylverfahren von politisch verfolgten Kurden, kann nur noch als ein Skandal bezeichnet werden.
({3})
Mit einer unglaublichen Menschenverachtung übernehmen inzwischen deutsche Behörden und einige Gerichte - Institutionen in einer parlamentarischen Demokratie also - inhaltlich Positionen der türkischen Militärdiktaktur. Das geschieht bis hin zum Sprachgebrauch. Bewaffnete Terroreinsätze türkischer Kommandoeinheiten gegen kurdische Dörfer werden vom Bundesamt in Zirndorf als „Befriedigungsaktionen" bezeichnet. Menschen, die sich dagegen wehren, sind „Terroristen". Menschen, die - ohne irgendeine Gewalttätigkeit zu begehen - für kulturelle Autonomie für Kurden, für das Recht auf den Gebrauch der eigenen Muttersprache eintreten, sind nach türkischem „Recht" „Separatisten", deren Strafverfolgung laut Bundesamt Rechtens ist. Originalton Zirndorf:
Es muß deshalb als zulässig angesehen werden, daß der türkische Staat - anders als z. B. die Bundesrepublik Deutschland - separatistische Bestrebungen schon dann mit Strafe bedroht, wenn sie, wie im gegebenen Fall, nicht auf Gewalttätigkeiten hinauslaufen, sondern lediglich in Form einer Meinungsäußerung sich manifestieren.
Daß dabei gefoltert wird, ist zwar nicht schön, aber nun mal in der Türkei üblich und jedenfalls kein Grund, weshalb man den Gefolterten nicht an seine Folterknechte wieder ausliefern sollte. Was schließlich in der befreundeten und von uns finanzierten Türkei Recht ist, kann in der Bundesrepublik kein Unrecht sein.
Mit kaum überbietbarem Zynismus stellt das Bundesamt in dem von mir eben zitierten Fall - es handelt sich da um den bekannten kurdischen Rechtsanwalt Serafetin Kaya - fest, ihm drohe nach seiner Rückkehr die Verhaftung und Strafverfolgung. Der Bescheid liest sich wie eine türkische Anklageschrift: Separatismus, Schädigung des Ansehens der Türkei, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren - aber das alles quasi Rechtens, wobei ständig auf die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes Bezug genommen wird.
Man stelle sich vor, ein Litauer tritt für die Selbständigkeit Litauens ein, wird deshalb in der Sowjetunion verhaftet, flieht und kommt in die Bundesrepublik. Man stelle sich vor, die Bundesrepublik schiebt ihn wieder in die Sowjetunion ab. Unvorstellbar, obwohl den Litauern niemand bei
Strafe den Gebrauch ihrer Muttersprache verbietet.
Im Falle Serafetin Kaya ist es drohende Wirklichkeit, und kein Mensch stellt die Frage, ob Beamte und Richter, die zulassen, daß ein Gefolterter wieder seinem Folterer zugeführt wird, die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung eintreten.
({4})
Möglich wird das alles allerdings nur durch die ständige Verharmlosung und Verniedlichung der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei durch das Auswärtige Amt. 170 000 politische Gefangene, über 100 zu Tode Gefolterte, Tausende zu Krüppeln Gefolterte, Massenprozesse, die jedem rechtsstaatlichen Maßstab hohnsprechen - was spielt das schon für eine Rolle, wenn es darum geht, die Südostflanke der NATO zu stärken!
Einer der Gefolterten ist der frei gewählte Bürgermeister der alten kurdischen Hauptstadt Diyarbakir, Mehdi Zana. Das Verbrechen dieses von der Bevölkerung der Halbmillionenstadt direkt gewählten Menschen: Er bekennt sich zum Kurdentum. Einer der Vorwürfe in der Anklageschrift lautet, daß für die Autobusse, die die Stadt Paris der Stadt Diyarbakir geschenkt hat, bei der Überführung von Paris nach Diyarbakir als Zielland Kurdistan aufgeschrieben war und daß er bei seinen Wahlreden kurdisch als Sprache benutzt hat. Seit seiner Verhaftung kurz nach dem Putsch wird er im Militärgefängnis seiner Heimatstadt nahezu ununterbrochen Folterungen ausgesetzt und wird, wenn überhaupt lebend, dann als Krüppel das Gefängnis verlassen. Man möge die Berichte seiner Schwester lesen, die ihn einige Male besuchen konnte und die in Schweden Zuflucht gefunden hat. Bei uns wäre sie wohl in die Türkei ausgeliefert worden.
Das Auswärtige Amt ist nicht einmal in der Lage, harmlose deutsche Touristen zu schützen, wie etwa Ralph Braun, der seit Monaten im türkischen Gefängnis sitzen muß, weil er in einem Gespräch die unbestreitbare geschichtliche Tatsache erwähnte, daß in der Türkei einmal die armenische Minderheit verfolgt wurde.
Das alles macht deutlich, daß letztlich ohne jegliche Bedingungen gezahlt werden soll. Hunderte von Millionen Mark werden zur Stabilisierung einer Militärdiktatur zur Verfügung gestellt, gleichzeitig sollen durch die Fortsetzung der Militär- und Rüstungshilfe nach eigenen Bekundungen der Bundesregierung andere Stellen, wie etwa die EG-Kommission, dazu ermuntert werden, ebenfalls die Diktatur in der Türkei zu stützen. Mit dieser Politik macht sich die Bundesregierung mitschuldig an der Fortsetzung der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei.
Ich rufe alle auf, denen es wirklich ernsthaft um die Wahrung der Menschenrechte geht, unserem Streichungsantrag zuzustimmen. - Danke schön.
({5})
Herr Abgeordneter Wieczorek hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier vom Abgeordneten Coppik vorgelegte Antrag entspricht inhaltlich und in der Form exakt dem Antrag, den die SPD-Fraktion im Haushaltsausschuß bereits eingebracht hat. Meine Fraktion stimmt diesem Antrag zu, auch wenn der Kollege Coppik ihn eingebracht hat.
({0})
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne 04 und 05. Ich rufe zuerst den Einzelplan 04 auf: Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Wer dem Einzelplan 04 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 04 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 05 auf: Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2321 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Coppik vor, den er soeben hier begründet hat. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
({0})
Wer dem Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Einzelpläne 14, 35, 23 und 27 auf: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 9/2154, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Hauser ({1}) Dr. Stavenhagen
Haase ({2}) Frau Traupe
Würtz
Dr. Riedl ({3}) Walther
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksachen 9/2165, 9/2281 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Glos
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksachen 9/2158, 9/2281, 9/2289 Berichterstatter:
Abgeordnete Schröder ({4}) Gärtner
Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
- Drucksachen 9/2160, 9/2281 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm Frau Berger ({5})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verbundene Debatte für die Einzelpläne 14, 35, 23 und 27 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann eröffne sich die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Stavenhagen das Wort.
Darf ich die Damen und Herren, die sich gern unterhalten möchten, bitten, wenn es geht, den Raum zu verlassen, damit die Debatte in einer guten Atmosphäre verläuft.
Herr Präsident! Mein Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zum Einzelplan 14, dem Haushalt des Bundesministers der Verteidigung.
Der Verteidigungsminister hat ein schwieriges Erbe übernommen. Die Soldaten sind unzufrieden gewesen. In den Beschaffungsvorhaben ist Diskontinuität eingetreten. Es wurde teures Gerät gekauft, ohne das notwendige Peripherie -
Herr Kollege Stavenhagen, entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie unterbreche. - Meine Damen und Herren, ich meine das ernst. Dies macht keinen guten Eindruck. Das halbe Haus ist hier in einer lauten Unterhaltung begriffen. Hier soll jemand eine Rede halten; das ist ja nicht so ganz einfach. Darf ich Sie um etwas Aufmerksamkeit und Ruhe bitten.
({0}) Bitte sehr, Herr Kollege.
Ich wollte auf die Schwierigkeiten hinweisen, die der Bundesverteidigungsminister bei seiner Amtsübernahme angetroffen hat. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Soldaten wenig motiviert waren, daß die Dinge im Beschaffungsbereich auseinandergelaufen sind; teures Gerät wurde beschafft, aber die notwendige Munitionierung, die Anschaffung von Peripheriegerät, Führungssystemen usw. wurde verzögert. All dies hat es außerordentlich schwierig gemacht, den Einzelplan 14 ordnungsgemäß in den Griff zu bekommen und wichtige Schwerpunkte zu setzen.
Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind ebenfalls besonders schlecht. Ich erinnere nur daran: 10 Milliarden DM weniger Steuern, als noch von der alten Bundesregierung geplant war, 8 Milliarden DM mehr an die Bundesanstalt für Arbeit. Dies alles hat es unmöglich gemacht, im Einzelplan 14 auf den Plafond, der von der alten Regierung vorgelegt wurde, noch etwas draufzulegen. Dennoch ist es gelungen, einen ganz wichtigen neuen Schwerpunkt zu setzen, nämlich den Menschen, den Soldaten in den Vordergrund zu stellen. Ich nenne hier nur zwei Beispiele, auf die auch der Kollege Hauser nachher noch eingehen wird: einmal einen ersten Schritt zum Abbau des Verwendungsstaus und zum anderen einen finanziellen Ausgleich für die Spitzendienstzeiten.
Es bleibt noch viel zu tun, auch die Frustration bei dem Soldaten abzubauen, sein soziales Umfeld zu verbessern, ihm das Selbstwertgefühl zu geben, das ihm in unserer Gesellschaft zusteht.
Diese Gewichtsverschiebung mußte zu Lasten der Beschaffung vorgenommen werden. Hier mußte Wichtiges zurücktreten. Wir haben uns aber klar und eindeutig für diese Priorität entschieden. Daß bei der Beschaffung maßvoll etwas weggenommen werden konnte, ist auch von der Opposition nicht bestritten worden, denn die Opposition selbst hat im Bereich der Beschaffungen Kürzungsvorschläge in Höhe einer halben Milliarde DM gemacht. Dies allerdings wäre viel zuviel gewesen. Dies hätte enorme Probleme aufgeworfen und wäre nicht vertretbar gewesen. Die Opposition wollte z. B. bei der Beschaffung rund 443 Millionen DM kürzen. Sie wollte bei der Forschung und Entwicklung 97 Millionen DM kürzen. Das ist ein Bereich, der viele Jahre lang notleidend war, Herr Kollege, und bei dem die alte Bundesregierung jetzt endlich das Notwendige getan hat, hier einen neuen Trend hineinzubringen. Die Mittel für den Bereich Forschung und Entwicklung wurden um 10% gesteigert, um ihn angemessen auszustatten. Dies alles sollte wieder zunichte gemacht werden. Das ist in sich nicht konsistent und auch nicht schlüssig.
Wir konnten dies verhindern. Wir haben mit einer Kürzung insgesamt bei Beschaffung und Materialerhaltung von 80 Millionen DM das finanziell Gebotene und Notwendige getan, aber andererseits auch der Verteidigung das dringend Notwendige an finanzieller Ausstattung gelassen.
({0})
Im Zeitraum von 1979 bis 1981 - und das ist das Thema Erblast - wurden Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden DM gestrichen, u. a. - sehr gravierend - das Waffensystem Roland für Luftwaffe und Marine. Dies macht unsere Fliegerhorste nicht angemessen verteidigungsfähig. Außerdem wurden Vorhaben in die Periode gestreckt, mit der jetzt Manfred Wörner fertigzuwerden hat. Auch dies schafft Probleme zusätzlich zum Generationenwechsel bei den großen Waffensystemen.
Ich will Ihnen hier nur noch einmal die Größenordnungen vortragen. Die gesamte neue Waffengeneration, die von allen Fraktionen des Hauses getragen wurde und, wie ich hoffe, noch wird, kostet rund 70 Milliarden DM. Bis 1982 sind davon rund 35,5 Milliarden DM gezahlt. Es bleiben im Jahr 1983 rund 8 und in den Folgejahren noch rund 26 Milliarden DM zu zahlen. Dies ist ein gewaltiger Brocken, der verkraftet werden muß. Nur: Zu sparen, indem man diese Vorhaben streckt, schafft zwar buchhalterisch Entlastung, macht die Dinge aber nur teurer. Denn die Inflation gerade führt dazu, daß die Dinge wesentlich teurer werden, als wenn man kontinuierlich und so, wie es geplant war, die Dinge durchzieht.
Dieser Schwerpunkt der neuen Generation bei den großen Waffensystemen führt dazu, daß in anderen Bereichen gespart werden mußte und auch in der Vergangenheit gespart wurde. Dies ist nicht ohne Probleme. Ich nenne z. B., daß die Bundeswehr unverhältnismäßig lang überaltetes Fahrzeugmaterial mit überhöhtem Aufwand fahren muß. Die neuen Fahrzeuge kommen langsamer dazu. Neue Waffensysteme können nicht optimal genutzt werden, weil Aufklärung und Fernmeldeverbindungen nicht Schritt halten.
Auch der Bereich der Munition ist ein notleidender Titel, insbesondere was die neuen Waffensysteme angeht. Hier ist das Notwendige ebenfalls nicht getan worden. Es kann selbstverständlich auch im Haushalt 1983 nicht mit einem Schritt getan werden.
Wir haben den Schwerpunkt ausdrücklich auf den Personalbereich gelegt, müssen aber einräumen, daß dadurch wichtige anstehende Vorhaben noch nicht begonnen werden können. Ich nenne nur drei Beispiele: das automatisierte Korpsstammnetz des Heeres, das automatisierte Fernmeldenetz der Luftwaffe und das Aufklärungssystem Drohne.
Erfreulich ist die neue Weichenstellung bei der Forschung und Technologie. Hier geht es darum, moderne technologische Entwicklungen und den technischen Fortschritt zu nutzen, ebenso den Innovationsschub, der uns intelligente Waffen und auch Kostensteigerung bringen soll. Wir müssen auch in der Zukunft Forschung und Entwicklung intensivieren, damit die einzelnen Phasen des Geräteentstehungsgangs zügiger und konzentrierter abgewikkelt werden können, damit wir hier nicht, wie so oft in der Vergangenheit, kostenträchtige Phasenüberlappungen haben.
Die Opposition hat wiederholt erklärt, sie wolle für den Verteidigungshaushalt kein größeres Wachstum als für den Gesamtetat. Erinnern wir uns: Die Bundesausgaben stiegen von 1970 bis 1982 um 180 %, die Verteidigungsausgaben nur um 127 %. Auch das Bruttosozialprodukt stieg schneller als die Verteidigungsausgaben. Wenn man das eine oder das andere Kriterium als Maßstab anlegt, ergibt sich hier ein Nachholbedarf. Unter dem Gesichtspunkt dieses Nachholbedarfs muß man die Zuwachsrate sehen, die sich einschließlich der Personalverstärkungsmittel auf 6,1 % beläuft. Dies bringt einen realen Zuwachs von etwa 1,5 bis 1,7% über der Inflationsrate. Diesen Zuwachs halten wir für das mindeste, was geboten ist, um auch dem Stellenwert der Verteidigung in der gesamten Politik, wie er auch von Bundeskanzler Helmut Kohl und Verteidigungsminister Wörner wiederholt dargestellt wurde, Rechnung zu tragen.
Wir stimmen dem Einzelplan 14 zu und hoffen, daß er eine breite Zustimmung in diesem Hause findet; denn auch die Kollegen von der SPD haben wiederholt gesagt, die Verteidigung solle das Notwendige bekommen. - Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon als Kind habe ich die Lebensmaxime gelernt, daß man sich nicht an schlechten Beispielen orientieren soll. Deshalb habe ich auch nicht vor, meine Damen und Herren von der Opposition, mich an den ehemaligen Oppositionspolitikern Wörner und Würzbach zu orientieren, die in der Zeit sozialdemokratischer Verteidigungsminister nicht müde wurden, gegen unsere Verteidigungspolitik zu polemisieren.
({0})
Ich unterstelle den Kollegen von der CDU/CSU auch nicht, daß sie nicht - wie wir - den Frieden in der Bundesrepublik und in Europa gemeinsam erhalten wollen. Ich stimme Herrn Dregger ausdrücklich zu, der heute morgen sagte: Für uns Deutsche gibt es keine Alternative zum Frieden. - Darin besteht Konsens zwischen uns allen.
Strittig aber bleibt, wie man dieses wichtige Ziel der äußeren Sicherheit am besten erreicht. Kann es wirklich nur dadurch erreicht werden, Herr Kollege Stavenhagen, daß man die Mittel im Verteidigungsbereich in jedem Jahr erhöht? Sind die Forderungen nach einer Steigerungsrate von wenigstens 3 % real auch in der wirtschafts-, sozial- und finanzpolitisch schwierigen Zeit verantwortbar? Womit lassen sich in dieser Zeit Preissteigerungsraten von 10 bis 50 %, ja im Extremfall von 338 % im Rüstungs-, Forschungs- und Entwicklungsbereich rechtfertigen? Berechnen Sie eigentlich nicht den Anteil an guter Sicherheitspolitik durch besonnene Politiker, aktive Soldaten und engagierte zivile Mitarbeiter?
Meine Damen und Herren, auf dem Gebiet der Haushaltspolitik benötigt man ein stabiles Nervenkostüm, weil wir Haushälter uns immer wieder den Zorn der Kollegen aus den Fachausschüssen und der jeweiligen Bundesregierung zuziehen, wenn wir aus guten Gründen nicht allen Forderungen im Ausgabenbereich zustimmen. Allerdings werde ich nie begreifen, Herr Kollege Stavenhagen - eigentlich trifft das für Sie auch nicht zu -, daß manche Kollegen im Verteidigungsbereich eine sparsame Haushaltspolitik nicht akzeptieren.
({1})
Auch hier muß gelten, daß nicht alles realisiert werden kann, was machbar ist. Es muß ebenfalls gelten:
Auf dem Gebiet der Verteidigung bleibt Sparsamkeit eine Tugend.
Als wir am 19. Januar 1982 den Verteidigungsetat 1982 berieten, wurden etliche CDU-Kollegen nicht müde, die von SPD und FDP vorgenommenen Kürzungen in Höhe von 324 Millionen DM zu kritisieren. Der heutige Bundesverteidigungsminister verstieg sich sogar zu der Aussage, daß man nicht davon ausgehen könne, daß die Bundeswehr ihren vollen Auftrag erfüllen kann. Ich war schon damals davon überzeugt, daß wir uns auf die Streitkräfte und die zivilen Dienststellen der Bundeswehr verlassen können;
({2})
ohne eine weitere globale Minderausgabe, mit knapperen, aber festen Haushaltsansätzen würden alle versuchen, 1982 klarzukommen. Im letzten Monat des Jahres können wir nun feststellen: Wir sind 1982 mit den Mitteln klargekommen. In der Verteidigung haben wir uns auf ein vernünftigeres Haushaltsvolumen eingestellt.
({3})
Haben Sie eigentlich, Herr Minister, ein schlechtes Erbe angetreten?
Ich darf alle nur noch einmal daran erinnern, welche Empörung wir hervorgerufen haben, als wir beim Waffensystem Alpha-Jet 20 Millionen DM einsparen wollten. Die „staatstragenden" Kollegen Haase und Stavenhagen meinten zusammen mit der damaligen Bundesregierung, dieses könne man nicht verantworten. Sie werden ähnlich wie ich begeistert gewesen sein, als sie im Sommer erfuhren: In diesem Bereich waren sogar 200 Millionen DM nicht notwendig!
Meine Damen und Herren, keine Ideologie, keine Gegnerschaft zur Bundeswehr, keine Abneigung gegenüber den seriösen Teilen der Rüstungsindustrie, sondern Unvoreingenommenheit haben zu unseren vorliegenden Einsparungsvorschlägen zum Verteidigungsetat 1983 geführt. Das gründliche Studium der geheimen Unterlagen und wachsende Erfahrung über die Realisierung der vor einem Jahr geplanten Ausgaben ließen es für uns angemessen erscheinen, in dieser haushaltspolitisch schwierigen Lage, die Sie so oft beschwören, auch die Ansätze im Verteidigungshaushalt noch einmal zu überprüfen, sind sie doch weitgehend im August 1982 aufgestellt worden, also noch vor dem Bekanntwerden des zusätzlichen Steuerlochs von rund 10 Milliarden DM im Jahre 1982/83.
Wie wollen Sie es eigentlich gegenüber den Bürgern verantworten, in vielen Bereichen den Rotstift anzusetzen, aber den Verteidigungsbereich auszusparen, auch wenn es vernünftige Korrekturen gäbe?
({4}) Das bleibt Ihr Problem.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist allerdings nicht bereit, den Einzelplan 14 als einen Steinbruch anzusehen, aus dem man beliebig Geld herausholen kann, wie dieses einige wenige Kollegen in diesem
Haus zu glauben scheinen. Deshalb ist der Antrag der Kollegen Coppik und Hansen auf Drucksache 9/2327 auch unangemessen, wenn sie darin fordern, die Mittel für international eingegangene Verpflichtungen zur NATO-Infrastruktur einfach zu streichen.
Aber, meine Damen und Herren von der CDU, zu Ihrer miesen Anzeigenkampagne über die angebliche Erblast paßt Ihre Blindheit gegenüber sinnvollen Einsparungsvorschlägen im Einzelplan 14 wie die Faust aufs Auge.
({5})
Der sehr geehrte Kollege Hoppe ist gerade nicht da, aber ich sehe andere damit Befaßte: Er und die anderen FDP-Haushälter sind auch nicht gut beraten, wenn sie diesem komplizierten Einzelplan dafür eine globale Minderausgabe von 150 Millionen DM für 1983 aufdrücken wollen. Es ist und bleibt die ureigene Aufgabe des Parlaments, die einzelnen Ansätze nach eingehender Beratung festzulegen, und wenn sie in Gesetzesform verkündet sind, sollen sie auch von den Ressorts eingehalten und nicht von ihnen selbstherrlich gekürzt werden.
Die globale Minderausgabe träfe im Verteidigungsetat auch die militärische Aus- und Fortbildung, die Mieten der Fernmeldeeinrichtungen der Streitkräfte und vor allem die für den Übungsbetrieb der Bundeswehr benötigten Betriebsstoffe. Wir halten das für unsinnig und sind im Gegenteil bereit, in diesem Bereich mehr Geld zu bewilligen, als die neue Koalition dies tun will.
Auch bei den diesjährigen Haushaltsberatungen hat sich wieder gezeigt, daß trotz der allgemein schlechteren Lage der Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und in allen NATO-Ländern die Kosten für Rüstungsgüter ganz überproportional gestiegen sind. Als mein Fraktionskollege Georg Schlaga 1975 die Aussage wagte, der Tornado werde im Endergebnis pro Flugzeug 100 Millionen DM kosten, wurde er von allen Parteien beschimpft und verurteilt. Doch nachdem im Haushaltsplan 1983 ein deutscher Finanzanteil von 34,4 Milliarden DM für Entwicklung, Beschaffung und entwicklungsbetriebliche Betreuung des MRCA insgesamt angesetzt wurde, entfällt bereits jetzt auf jedes der 322 zu beschaffenden Flugzeuge ein Betrag von 107 Millionen DM. Die Zukunftsvision des Kollegen Schlaga ist damit bereits heute im negativen Sinn übertroffen worden.
Vielleicht berichtet der Kollege Zumpfort noch über seine Erkenntnisse, wie hoch er die Betriebskosten dieses Waffensystems veranschlagt.
Das Kostenbewußtsein vieler Anbieter wird von dem Wissen geprägt, daß es für Rüstungsgüter - jedenfalls in der Bundesrepublik - keinen allgemeinen Markt gibt, der sich durch Angebot und Nachfrage reguliert. Auf der Industrieseite gibt es häufig nur einen Anbieter, der über das technische Spezialwissen und die entsprechenden Produktionskapazitäten verfügt. Andererseits führt das öffentliche Preisrecht über die sogenannten Selbstkostenpreise oft zu überhöhten Preisen.
Das Ministerium und das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz bemühen sich redlich, hier Verbesserungen zu finden. Aber sie scheitern oft an den Interessen der Industrie. Selbstkostenpreise führen nicht zu erhöhter Wirtschaftlichkeit, sondern belohnen den Anbieter, der möglichst viele Kosten nachweist.
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat deshalb 1981 begonnen - Herr Kollege Haase, noch unter Ihrer Leitung -, hier eine stärkere Kontrolle auszuüben, indem wir uns alle neuen Beschaffungsverträge vorlegen lassen, die 50 Millionen DM übersteigen. Es ging uns nicht um die Gängelei des jeweiligen Verteidigungsministers, sondern es ging uns darum, das Kostenbewußtsein bei den Soldaten, den Beamten, in der Industrie und bei der jeweiligen politischen Führung auf der Hardthöhe zu schärfen:
Die letzten 3 % der Leistungsspitze eines Waffensystems kosten nicht 3 %, sondern 20 bis 30 % des gesamten Systems! Wir alle wollen, daß unsere Soldaten moderne Waffensysteme zur Verteidigung in die Hand bekommen. Aber auch im Rüstungsbereich muß der Bundestag im Interesse aller Steuerzahler auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit äußersten Wert legen. Der Bericht der Kommission für Langzeitplanung der Bundeswehr enthält hier wertvolle Hinweise. Nutzen wir die Erkenntnisse gemeinsam!
Folgerichtig müssen wir uns dann mit dem Thema Phasenüberlappung bei der Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern befassen. Schon 1976 hatte der Haushaltsausschuß beschlossen, Phasenüberlappungen nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Tatsächlich ist jedoch bei den laufenden neuen Waffensystemen das Gegenteil der Fall. Es ist ein Unding, daß die gepanzerten Fahrzeuge wie Gepard, Leopard 2 und - ganz besonders schlimm - der Roland produziert werden, obwohl die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Das trifft auch auf den Tornado zu. Deshalb wollen wir die weiteren Entwicklungskosten begrenzen.
({6})
Um es auch allen nicht mit Haushalts- und Verteidigungsfragen vertrauten Zuhörern zu verdeutlichen: Die Beschaffung des Waffensystems beginnt oft mit einem vorläufigen Produktionsstand. Gleichzeitig wird massiv weiterentwickelt. Die zuerst gebauten Waffen werden dann nach zwei oder drei Jahren auf den endgültigen Entwicklungs- und Konstruktionsstand umgestellt. Auch ein Laie begreift, daß das zusätzliches Geld kostet. Im Falle des Rolands schätzt der Bundesrechnungshof die Mehrkosten auf 150 Millionen DM.
Deshalb muß für jeden Verteidigungsminister und jedes Parlament gelten, in Zukunft Phasenüberlappungen zu vermeiden. Wir leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Kostenreduzierung bei den Waffensystemen.
Natürlich gibt es Gegenargumente.
Das der Industrie lautet: Wenn sich die Phasen nicht überlappten, dann könne man die Spezialisten nicht kontinuierlich beschäftigen. Ich frage Sie darauf: Warum können Fachleute nicht auch für zivile Entwicklungen eingesetzt werden?
Das der Verteidigungsfachleute lautet: Ohne Phasenüberlappung könnte der technische Fortschritt nicht schnell genug umgesetzt werden, und die Bundeswehr erhielte neue Waffensysteme zu spät. Wenn das stimmen würde, dürften unerwartete technische Schwierigkeiten und damit verbundene Produktionsunterbrechungen nicht passieren. Genau das aber passiert immer wieder. Der letzte Fall ist die Feldhaubitze 155.
Verzichtet man künftig auf Phasenüberlappungen, kann man sich vorher über die Produktions- und Folgekosten ein realistischeres Bild verschaffen. Es würde mich sehr interessieren, was der Verteidigungsminister Dr. Wörner denn heute zur Verbesserung der Kostentransparenz und Wirtschaftlichkeit zu sagen hat.
({7})
Früher gab es bei dem Oppositionspolitiker Wörner zu diesem Thema immer nur Schweigen. Hans Apel hat das Gutachten zur „Verbesserung von Kostentransparenz und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr durch ein leistungsfähiges Controlling" seinen Nachfolgern als Denkanstoß hinterlassen. Darin steht manches über die Materialwirtschaft der Bundeswehr, was nicht so einfach zu den Akten zu legen ist. Moderne industrielle Erfahrungen könnten darüber hinaus der Großorganisation Bundeswehr nur nützlich sein.
In dem Gutachten wird u. a. festgestellt, daß in der Depotwirtschaft und im Beschaffungsablauf erhebliche Reserven liegen. Vielleicht haben Sie, Herr Bundesminister Wörner, mit Ihren inzwischen auf vier angewachsenen Parlamentarischen und beamteten Staatssekretären sich mittlerweile besser informiert und entdecken selber, welches Einsparungspotential im Bereich der Materialwirtschaft und der Beschaffung noch liegt. Ihr Vorgänger war auf dem besten Weg, alte Zöpfe abzuschneiden. Meine heutige Kenntnis verdanke ich vielen militärischen und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, aber auch der Industrie.
Ich freue mich auch, daß der jetzige Bundesverteidigungsminister nun ein anderes Urteil über die Qualifikation der Mitarbeiter auf der Hardthöhe hat. Das Schlagwort vom „Wasserkopf Bundesministerium der Verteidigung" habe ich nie als gerechtfertigt angesehen. Allerdings hat auch die frühere Koalition Personaleinsparungen in den Jahren 1981 und 1982 vorgenommen. Jetzt aber paßt eine weitere 1 %ige Einsparung, wie sie von der neuen Koalition geplant ist, nicht in die arbeitsmarktpolitische Lage. Sie hätte außerdem den Effekt, daß mittel- und langfristig Stellen für Beamtenanwärter verlorengehen. Schon heute haben die bisherigen Einsparungen zu einer starken Belastung der Mitarbeiter in den nachgeordneten Dienststellen der Bundeswehr geführt. Ich hoffe nicht, daß alle künftigen Personaleinsparungen nur nach unten verschoben werden. Die gute Arbeit in den Dienststellen der
Bundeswehr hat es verdient, einmal herausgehoben zu werden, auch deshalb, weil die Kollegen der FDP immer wieder auf die Idee verfallen, manche dieser Aufgaben wie z. B. die der Marinearsenale zu privatisieren.
Bei den Streitkräften haben wir in den nächsten Jahren durch die sich ändernde Altersstruktur etliches zu tun. Da die Zahl der Wehrpflichtigen sinken wird, müssen wir mehr Zeitsoldaten einstellen. Wir unterstützen deshalb die Aufstockung der SaZ-2Stellen um 3 000 im Jahr 1983, von denen j a bereits Hans Apel 2 000 veranschlagt hatte.
({8})
- Richtig, das war auch falsch, Herr Kollege Würzbach. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Da waren wir nicht gut beraten, als wir das gemacht haben. - Die 350 vorgesehenen Hebungen im Soldatenbereich sind sinnvoll, um den Beförderungsstau abzumildern. Doch bei uns bestehen immer noch Zweifel, wie wir die Beseitigung des Verwendungsstaus erreichen. Das Hauptproblem im Soldatenbereich liegt in der sich ungünstig entwickelnden Altersstruktur. Wir alle müssen in der Zukunft auf ein besseres Zahlenverhältnis zwischen Berufs- und Zeitsoldaten achten. Nicht unerwähnt bleiben sollen und noch zu lösen sind die Probleme, die durch den spezifischen Truppendienst und die Versetzungshäufigkeit von längerdienenden Soldaten entstehen. Die SPD-Fraktion hat der Wiederaufstokkung der Mittel für den Dienstzeitausgleich zugestimmt. Wir halten es für weiterhin notwendig, eine zeitliche Entlastung zu erreichen. Die 64-StundenWoche für Soldaten darf einfach - außerhalb von Manövern - nicht üblich werden, auch keine so lange Abwesenheit von der Familie. Denn die Familien aktiver Soldaten sind durch häufige Versetzungen schon genug belastet. Nicht selten verliert eine Frau ihren Arbeitsplatz, wenn der Mann versetzt wird. Bei der jetzigen Arbeitslosigkeit wird deshalb ein Umzug vermieden und die Trennung der Familie häufig genug in Kauf genommen. Auch das führt zu zusätzlichen Problemen.
Um auf diesem Sektor Verbesserungen vorzunehmen, benötigen wir keine Milliardenbeträge jährlich. Höhere Mittel für den Nachhilfeunterricht, Mehrausgaben beim dienstlich notwendigen Umzug, billigere Wohnungen, verbesserte Chancen zur Bildung von Wohneigentum sollten von uns aufgebracht werden können.
Zum Schluß möchte ich mich an die längerdienenden Soldaten wenden. Auch nach dem Regierungswechsel sollten sie nicht vergessen, was Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung, besonders unter Georg Leber, aber auch Helmut Schmidt und Hans Apel für ihre berufliche Qualifikation als Soldaten und später im zivilen Bereich geleistet haben. Die Unteroffiziere haben die Chance erhalten, allgemeine Schulabschlüsse und etliche fachberufliche Ausbildungen zu absolvieren. Ganz besonders herauszuheben ist jedoch die auf Helmut Schmidt zurückzuführende Einführung des Hochschulstudiums für Längerdienende und Berufsoffiziere. Mehr, als heute viele ältere Offiziere glauben, wird damit für die jungen Offiziere eine vergleichbare gesellschaftliche Position gegenüber den übrigen akademischen Berufen erreicht. Aus diesem Grunde empfehle ich auch den Offizieren, gegenüber ihren Kritikern in der Gesellschaft mehr Gelassenheit zu zeigen und sich nicht etwa wie der stellvertretende Kommandierende General des I. Korps zu einem Zeitungsbeitrag hinreißen zu lassen, der am 5. Dezember in „Bild am Sonntag" unter der Überschrift „Demagogen im Priestergewand" erschien.
({9})
Kein demokratischer Verteidigungspolitiker kann eine verbitterte Geisteshaltung der Offiziere gegenüber anderen Bevölkerungskreisen wollen; sie sollten jedoch mehr Gelassenheit zeigen. Für intolerantes Verhalten einzelner Geistlicher sind die Kirchen selbst verantwortlich.
({10})
Die Kultusminister sollten in den Schulen auf mehr Fairneß gegenüber den Soldaten achten.
({11})
Die SPD-Fraktion wird mit ihrer Ablehnung des Verteidigungsetats 1983 ihre Zustimmung zum Auftrag und zur Leistung der Bundeswehr nicht aufgeben. - Ich bedanke mich.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Berichterstattergesprächen und gerade auch heute wieder fühle ich mich manchmal, wenn die Kollegin Traupe spricht, in eine Klasse versetzt: Frau Lehrerin spricht, und die Klasse muß das so nehmen, wie es Frau Traupe sieht; was sie sagt, ist richtig und nichts anderes.
({0})
Das hat dazu geführt, daß wir in der Vergangenheit, wenn wir die Berichterstattergespräche beendet hatten, hinterher immer noch einen zusätzlichen Vorschlag von Frau Traupe hatten, weil sie den Eindruck hatte, wir waren im demokratischen Verfahren noch nicht weit genug gekommen. Das führt bei den jetzigen Beratungen dazu, daß ihre Kürzungsvorschläge, die wir sowohl bei den Berichterstattergesprächen als auch im Haushaltsausschuß mit demokratischer Mehrheit abgelehnt haben, jetzt wieder hier ins Plenum kommen. Ich frage mich, wenn sie hier abgelehnt werden: was passiert im nächsten Jahr, wo kommen dann die Kürzungsvorschläge noch einmal?
({1})
Das Wesentliche aber an den Kürzungsvorschlägen, die uns hier vorliegen, ist etwas anderes. Es gibt j a insgesamt über zehn Kürzungs- oder ErhöDr. Zumpfort
hungsvorschläge. Hier beunruhigt mich, in welcher kurzen Schamfrist, muß man deutlich sagen, die jetzige Opposition die Methoden der alten Opposition, die sie sich in 13 Jahren erarbeitet hat, annimmt und so unverfroren Anträge stellt nach dem Motto: alles, was wir, die Opposition, machen, ist richtig, und was die Regierung macht, ist falsch. So kann es nicht gehen.
Herr Abgeordneter Zumpfort, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?
Nein, ich habe sehr wenig Zeit, nur sieben Minuten. Erlauben Sie, daß ich meinen Vortrag zu Ende bringe.
({0})
Wir sagen zu diesen Kürzungsanträgen zum Einzelplan 14: Wir wollen sparen, ja, aber wir wollen richtig sparen. Wir wollen keine Schauanträge. Wir wollen vor allen Dingen eines nicht: Wer durch Kürzungsanträge dieser Art den Eindruck zu erwecken sucht, daß wir im bildungs- und sozialpolitischen Teil abrüsten, aber im verteidigungspolitischen Bereich aufrüsten, der erzeugt einen falschen Eindruck,
({1})
der diskreditiert den Gedanken der Haushaltskonsolidierung, er diskreditiert auch die Bundeswehr und vor allen Dingen: er schafft und fördert das Anspruchsdenken, das wir gerade abschaffen müssen, das wir einschränken müssen. Deswegen sind Anträge dieser Art so gefährlich.
({2})
Wir sind als FDP gegen einseitige Rezepte dieser Art, die sagen, Herr Kollege Kühbacher, daß man bei Sozialpolitik das, was man bei Verteidigung eingespart hat, einsetzen muß. Dies ist falsch, das darf nicht so einseitig gehen, das ist im unmittelbaren Sinne unpolitisch. Vielmehr müssen wir von der Frage ausgehen, welche realen Notwendigkeiten bestehen und finanziert werden müssen. Vor diesem Hintergrund muß man sowohl im sozialpolitischen Bereich als auch im Bildungsbereich, aber auch bei der Bundeswehr prüfen, wo gespart werden kann. Nach diesem Motto wollen wir Politik machen und nicht anders.
({3})
Auch wir haben Kürzungen vorgenommen. Sie bedeuten, daß dieser Haushalt des Bundesverteidigungsministers im Jahre 1983 nicht stärker steigt, als es im Regierungsentwurf der alten Koalition vorgesehen war, nämlich mit 4,6 V ohne Personalverstärkungsmittel. Sie bedeuten auch, daß der Verteidigungshaushalt real nicht um 3 % wächst, sondern höchstens - wiederum ohne Personalverstärkungsmittel - um 1,5 %. Das ist die Realität.
Gliedern wir jetzt mal die 4,6 %ige Steigerung in die Bereiche auf, in denen sie stattfindet, und dazu möchte ich ein Wort der Opposition hören:
Erstens, die Steigerung findet fast ausschließlich im Bereich des Personals statt, nämlich dadurch, daß wir u. a. 3 000 Zeitsoldaten mehr finanzieren, daß wir 350 Stellen mehr einsetzen, um dem Verwendungsstau, den Frau Kollegin Traupe gerade hier moniert hat, etwas zu mildern, und daß wir 450 neue Stellen nach dem Heeresmodell finanzieren, die noch von der alten Koalition beschlossen worden waren. Das kann heute nicht in Abrede gestellt werden. Wir haben Frau Kollegin Traupe noch im letzten Jahr gemeinsam gesagt, wenn in Zukunft etwas bei der Bundeswehr getan wird, dann muß es im Personalbereich geschehen. Hier wird es getan; deshalb darf man das nicht in Abrede stellen.
({4})
Zweitens: Einen Zuwachs haben wir auch im Bereich Forschung und Entwicklung. Hier haben wir uns gerade im letzten Jahr sehr differenziert verhalten. Ich kann mich noch der Vorstellungen des Kollegen Würtz erinnern, der gesagt hat: „Da dürfen wir nicht weiter schneiden." Jetzt haben wir nicht geschnitten, wir haben etwas draufgelegt, ausgehend von dem Gedanken, daß nur durch Forschung und Entwicklung Aufwüchse bei Beschaffungsvorhaben gestoppt werden können. Je mehr Geld wir hier hineinstecken, desto weniger Geld verlieren wir hinterher bei kostspieligen Rüstungsaufträgen. Vor diesem Hintergrund ist dieser Aufwuchs gerechtfertigt.
Wenn man also diese Entwicklungen zusammenfassend beurteilt, dann kann man sagen, das sind notwendige Aufwüchse. Sie betreffen nicht den Titel Beschaffung, sie betreffen nicht den Titel Instandsetzung, sondern sie orientieren sich an der Prioritätenskala, die wir alle für richtig halten, nämlich: zuerst muß etwas für das Personal getan werden, dann für die Manöver oder Übungen und den Betrieb der Bundeswehr, erst dann im Bereich Forschung, und wenn dann noch Geld da ist, kann man bei der Instandsetzung und bei der Beschaffung etwas zulegen.
Ich möchte auch auf folgendes hinweisen. Bei allem, womit wir uns heute im Bereich des Einzelplans 14 herumschlagen, mit den kostspieligen, verteidigungsintensiven Aufwendungen im Bereich Beschaffung, handelt es sich um Vorhaben, die fast ausschließlich im Bereich ehemaliger sozialdemokratischer Verteidigungsminister beschafft worden sind. Das heißt, alles, was zum Beispiel Herr Leber bestellt hat, muß jetzt bezahlt werden. Was wir aber jetzt nicht finanzieren, müssen wir später um so teurer bezahlen. Da ist die Frage berechtigt, was es kostet, verehrte Kollegin Traupe, wenn wir entsprechend Ihren Vorschlägen viele dieser Dinge jetzt nicht anschaffen, sondern die Beschaffung strekken: Um wieviel verteuert sich das hinterher im Bereich des Einzelplans 14? Diese zusätzlichen Kosten wollen wir nicht. Wir wollen das jetzt abräumen, damit wir in Zukunft etwas mehr einsparen können.
Vor diesem Hintergrund möchte ich an eine Aufgabe erinnern, die in der Vergangenheit von uns
allen nicht angepackt worden ist. Es ist immer noch ein Bericht des Bundesrechnungshofes aus dem Jahre 1978 an den Haushaltsausschuß über Kostensteigerungen bei Beschaffungsvorlagen bei der Bundeswehr unberaten. Hierauf sollten wir zurückkommen, diesen Bericht sollten wir uns noch einmal angucken, um in Zukunft Kostensteigerungen der Art, wie wir sie jetzt finanzieren müssen, zu vermeiden.
Noch ein anderer Punkt, dem wir ebenfalls nachgehen sollten. Wir haben viele multinationale Beschaffungsvorgänge. Bei solchen Vorgängen ist der Bundesrechnungshof als eine nationale Einrichtung nicht in der Lage, so zu prüfen, wie wir das sonst eigentlich von ihm erwarten können. Vor diesem Hintergrund sollte man überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, den Kontakt zwischen dem Bundesrechnungshof und den internationalen Rechnungshöfen zu verstärken, um im Interesse der Haushaltskontrolle mehr Einblick auch für uns Parlamentarier zu gewinnen.
Ich komme zum Schluß. Wir sagen: Sparen bei der Bundeswehr - ja. Die Bundeswehr ist nicht tabu. Sie ist uns lieb und manchmal auch zu teuer. Aber die Einsatzbereitschaft muß garantiert bleiben, und man muß auf Notwendigkeiten Rücksicht nehmen. Vor diesem Hintergrund tragen wir den Einzelplan 14 mit.
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Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ehe ich mich mit den Fragen, die die Kollegen aufgeworfen haben, beschäftige, möchte ich auf zwei Bemerkungen des Kollegen Voigt eingehen.
Herr Kollege Voigt, Sie haben mir - und ich behaupte: wider besseres Wissen - unterstellt, ich sei für die schrankenlose Ausbreitung der Nuklearwaffen. Ich habe Sie bisher - und das wissen Sie auch - für einen ernsthaften und seriösen Gesprächspartner und Kollegen gehalten. Dies heute war unter Ihrem Niveau. Ich sage Ihnen, was die Politik dieser Bundesregierung ist - Sie werden das zwar nicht zur Kenntnis nehmen, weil Sie es offensichtlich für Wahlkampfzwecke anders haben wollen -: Wir, die CDU/CSU und die FDP, der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben ein festes Ziel, das wir mit Augenmaß, aber auch mit aller Leidenschaft verfolgen. Dieses Ziel heißt gleichgewichtige und kontrollierte Abrüstung in Ost und West.
({0})
Dieses Ziel erstreckt sich auf Nuklearwaffen und auf konventionelle Waffen.
Aus der Tatsache, daß ich atomwaffenfreie Zonen nicht als ein Mittel zur Sicherung des Friedens ansehe, können Sie nicht den Schluß ziehen, ich sei für schrankenlose Ausbreitung der Nuklearwaffen; und zwar allein schon deswegen nicht, Herr Voigt, weil Sie diesen Vorwurf Ihrem früheren Bundeskanzler Schmidt und Ihrer früheren Regierung dann ebenfalls hätten machen müssen, die aus guten und wohlüberlegten Gründen atomwaffenfreie Zonen jedenfalls bis zum Zusammenbruch als Regierung abgelehnt haben.
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Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Bitte schön.
Würden Sie vielleicht bereit sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir die atomwaffenfreien Zonen immer dann für sinnvoll gehalten haben, wenn dadurch das Risiko des Nuklearkrieges und des konventionellen Krieges nicht größer wird, und daß wir dafür bestimmte Kriterien aufgestellt haben, während Sie umgekehrt sagen, daß atomwaffenfreie Zonen in jedem Fall das Risiko des Angriffs durch eine Nuklearmacht erhöhen? Das allerdings läßt im Umkehrschluß die Schlußfolgerung zu, daß Sie dann logischerweise für die Verbreitung von Atomwaffen in bisher nuklearwaffenfreie Länder sein müssen.
Herr Kollege Voigt, die erste Antwort darauf ist meine Frage an Sie: Wer ist „wir"? Ist die SPD neuerdings geschlossen für atomwaffenfreie Zonen, oder ist das die Stimme des Herrn Voigt entgegen der Stimme des früheren Bundeskanzlers?
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Es wird Zeit, daß Sie erst einmal Klarheit über Ihre eigene Position in der SPD schaffen, ehe Sie sie mit Vorwürfen gegenüber uns verbinden.
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Ich sage noch einmal: Wenn Sie als Partei oder wenn Sie als Fraktion dieses Ziel übernehmen und damit in Windeseile von der Sicherheitspolitik ihrer eigenen Bundesregierung Abschied nehmen, dann ist das Ihre Sache. Dabei habe ich nichts mitzureden. Nur gegen eines wehre ich mich mit aller Entschiedenheit: daß Sie diejenigen, die die Politik Ihrer Regierung in diesem Punkt übernommen haben, angreifen und sie verdächtigen, sie seien für schrankenlose Ausbreitung der Nuklearwaffen. Darum geht es doch.
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- Ich sage Ihnen: Sie hatten vorher Ihre Möglichkeit, Ihre Argumente darzulegen. Jetzt müssen Sie sich meine anhören, Herr Voigt.
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Ich sage Ihnen noch einmal: Atomwaffenfreie Zonen schützen nicht vor der Anwendung von Atomwaffen gegen diejenigen, die in solchen atomwaffenfreien Zonen leben, d. h. sie bieten keine zusätzBundesminister Dr. Wörner
liche Sicherheit für die Bürger. Das ist die Erkenntnis, um die es geht. Der Beweis dafür - ich bringe ihn noch einmal, obwohl er Ihnen offensichtlich nicht gefallen hat - ist: Die einzigen Atomwaffen, die je geworfen wurden in der Geschichte der Menschheit, sind auf ein Land geworfen worden, das keine Atomwaffen hatte. Deswegen können Sie den Bürgern nicht den Eindruck vermitteln wollen, als ob atomwaffenfreie Zonen ein Schutz gegen die Anwendung von Atomwaffen seien.
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Der nächste Punkt, auf den ich noch kurz eingehen möchte: Sie haben sich dann mit der Frage beschäftigt, die in den letzten Tagen auch in der deutschen Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde, nämlich mit den Überlegungen zur Verlegung des EUCOM-Hauptquartiers in Stuttgart. Herr Kollege Voigt, zunächst einmal: Die Meldung, mit der ich mich am letzten Freitag beschäftigt habe, liegt mir hier vor, auf Grund Ihrer Zwischenfrage. Es war die Meldung des „Guardian" - in Großbritannien -, in der es hieß, die amerikanische Regierung habe beschlossen, das Hauptquartier ihrer Truppen in Europa von Stuttgart nach Großbritannien zu verlegen. Ich habe daraufhin gesagt, ich halte das für eine Falschmeldung. Ich wiederhole das hier und sage Ihnen: Das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa bleibt in Stuttgart. Das ist klar und eindeutig und ist auch von der amerikanischen Regierung so bekräftigt.
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Das zweite, womit ich mich auf Grund Ihrer Zwischenfrage beschäftigt habe, ist die Behauptung in der Meldung des „Guardian" - „auf Grund dieser Nachricht" heißt es hier -, seien Militär- und Kongreßkreise in Washington überzeugt, daß die NATO-Streitkräfte in einem europäischen Krieg nicht in der Lage wären, Westdeutschland zu halten. Ich habe nicht angestanden, auch diese Schlußfolgerung als das zu bezeichnen, was sie ist: eine eklatante tendenziöse Falschmeldung. Denn alles, was wir beobachten können, deutet darauf hin, daß die Amerikaner versuchen, ihre Truppenverbände nicht nur weiter nach vorne zu bringen, sondern sie in einem Ernstfall zu verstärken. Das heißt, sie wollen Europa nicht preisgeben, sondern sie wollen deutlich machen: sie halten zu Europa, sie schützen dieses Europa, und sie schrecken vor einem Krieg ab. Angesichts dieser Tatsache, das kann ich nur sagen, ist diese tendenziöse Falschmeldung das, als was ich sie gekennzeichnet habe.
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Jetzt komme ich zu der anderen Geschichte, die man als das darstellen muß, was es ist, nämlich als etwas Selbstverständliches: Daß in dem Augenblick, in dem es zu einem Krisenfall käme,
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die eigentlichen Aufgaben der operativen Führung der Streitkräfte auf General Rogers in seinem Hauptquartier in Belgien übergingen, ist klar und eindeutig. Auch hier kann man also nicht davon sprechen, daß die Amerikaner weg- oder zurückverlegen. Was bliebe dann für ein solches Hauptquartier der amerikanischen Truppen? Aufgaben von Nachschub, von Verstärkung und allgemeiner Truppenverwaltung. Ich sage Ihnen: Es ist nicht nur sinnvoll, es ist etwas absolut Normales, daß man sich hier Ausweichüberlegungen macht. Daraus eine so sensationelle Nachricht abzuleiten, bringen eben nur Leute fertig, denen es im Grunde genommen darum geht, Angst und Unsicherheit in Europa zu verbreiten, statt das zu tun, was unsere Aufgabe ist: die Bevölkerung aufzuklären und ihr die Gewißheit zu geben, daß sie geschützt wird und daß wir alles versuchen, den Ausbruch eines Krieges zu verhindern.
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Nun zum Etat! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, eine Erkenntnis ist grundlegend: Ohne die Bundeswehr, ohne die Soldaten der Bundeswehr gäbe es weder Frieden noch Freiheit. Daher wird diese Bundesregierung alles daransetzen - ich hoffe, mit der Unterstützung aller Fraktionen -, den Soldaten der Bundeswehr den Respekt und die Anerkennung zu verschaffen und zu sichern, die sie auf Grund dieser Tatsache verdienen.
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Den Soldaten der Bundeswehr sage ich: Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Ganz im Gegenteil! Sie tun einen Dienst im Interesse aller unserer Bürger, ihrer Sicherheit, ihrer Freiheit und des Friedens. Deswegen hat der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Kohl, und habe auch ich nicht angestanden, diesen Dienst das zu nennen, was er ist: ein Ehrendienst im Interesse unseres Volkes.
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Deswegen werden wir gegen alle jene zu Felde ziehen, die da versuchen, die Bundeswehr zu verunsichern oder sie in Frage zu stellen. Die Soldaten der Bundeswehr brauchen keine Angst zu haben: Wir werden sie nicht allein lassen.
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Die Soldaten der Bundeswehr müssen erkennen können, daß sie von den Politikern, von der politischen Führung, und das heißt auch vom Parlament insgesamt, getragen werden, daß dieses Parlament, daß wir alle zu ihnen stehen. Es sind unsere Soldaten. Deswegen werden wir sie nicht in den Kasernen verstecken. Das ist die feste und erklärte Absicht dieser Bundesregierung. Und deswegen wird es auch in Zukunft da und dort - nicht im Übermaß, aber in einem sinnvollen Ausmaß - öffentliche Gelöbnisse geben, weil wir es für selbstverständlich halten, daß junge Staatsbürger, die aus unserem Volk kommen, die für dieses Volk Dienst tun, dies auch vor diesem unserem Volk öffentlich geloben.
({12})
Deswegen braucht sich auch kein junger Wehrpflichtiger, der die Uniform des Soldaten anzieht, zu genieren oder sich für den Dummen zu halten. Er ist nicht der Dumme; er ist derjenige, der erkannt hat, daß eine Gemeinschaft, daß ein Volk, wenn es leben will, den Dienst derer braucht, die nicht nur nach sich, sondern auch nach anderen fragen.
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Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bin knapp mit der Zeit. - Ich sage Ihnen von der SPD völlig unpolemisch: Daher halte ich den sicherheitspolitischen Grundkonsens zwischen den Parteien und Fraktionen dieses Hauses für so wichtig, und Sie werden an meiner Amtsführung erkennen können - das hoffe ich jedenfalls -, daß ich alles daransetzen werde, diesen Grundkonsens zu erhalten.
Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie mich als Minister kritisieren; das ist Ihr gutes Recht.
({0})
Mit den Argumenten werde ich mich auseinandersetzen, obwohl ich bis jetzt noch keine gehört habe.
({1})
Solange wir darin übereinstimmen, daß die Existenz der Bundeswehr notwendig ist, daß der Dienst des Soldaten notwendig ist, ist, so sage ich Ihnen, die Bundeswehr im Grunde genommen in ihrer Stellung gefestigt.
Daher habe ich den Besuch des Kanzlerkandidaten der Opposition bei der Bundeswehr gestern nicht nur begrüßt, sondern wir haben auch alles dafür getan, diesen Besuch gut und erfolgreich ablaufen zu lassen.
({2})
- Jawohl, Herr Roth, das ist das mindeste!
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Ich muß allerdings sagen,
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es gab schon Zeiten, in denen das ein bißchen anders war. Aber wir karten hier nicht nach.
Ich sage Ihnen allerdings auch: Es ist eine merkwürdige Begleitmusik, wenn zur selben Zeit, zu der der Kanzlerkandidat der SPD die Bedeutung der Bundeswehr und der Verteidigung unterstreicht, die Fraktion der SPD Kürzungsanträge zum Verteidigungsetat in Höhe von 450 Millionen DM einreicht,
({5})
Anträge, deren Annahme die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erheblich beeinträchtigen müßte.
({6})
Das paßt nicht zueinander!
({7})
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Traupe?
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Bundesminister, hätten Sie meiner Rede zugehört, so hätten Sie jetzt beweisen müssen, wo denn die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr durch unsere maßvollen Einsparungen wirklich gefährdet wird,
({0})
und Sie müßten dann zur Kenntnis nehmen,
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daß wir im Gegenteil bei den Betriebsmitteln mehr Geld drauflegen wollten als Ihr Koalitionspartner.
({2})
Frau Kollegin, ich hatte die Absicht, das etwas später im Verlaufe meiner Ausführungen zu tun, aber Ihre Zwischenfrage bewegt mich dazu, Ihnen dazu jetzt folgendes zu sagen.
In den letzten vier Jahren, im Zeitraum von 1978 bis 1981, wurde unter Ihrer Verantwortung, unter der Verantwortung meines Amtsvorgängers, auf geplante und dringend notwendige Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden verzichtet.
({0})
Ich nenne einige Beispiele: Roland für Luftwaffe und Marine,
({1})
wobei der Verzicht zu einer erheblichen Schwäche,
({2})
um nicht zu sagen zu einem fast unverantwortlichen Mangel in der Luftverteidigung der Bundesrepublik Deutschland geführt hat;
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weiter: Umbau S-Boot; weiter: Kleindrohne Anti-Radar, ein sehr wichtiges System; gepanzerte Kraftfahrzeuge. Ferner haben Sie Vorhaben in Höhe von 1,5 Milliarden in den Zeitraum nach 1981 verlagert: Minensuchboot, Patriot, Panzerhaubitze
- alles wesentliche Vorhaben für die Verteidigung. Sie haben bei den Radkraftfahrzeugen und beim Fernmeldematerial gekürzt.
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- Einen Augenblick! Entweder Sie wollen eine sachliche Antwort - dann müssen Sie mir zuhören -, oder Sie wollen sie nicht; dann nützt diese ganze Debatte nichts. Deswegen schlage ich Ihnen
) vor: Sie hören erst einmal dem zu, was ich zu sagen habe.
Für die Truppe bedeutet das: Überalterte Fahrzeuge müssen mit unverhältnismäßig hohem Aufwand in Betrieb gehalten werden, weil die neuen Fahrzeuge langsamer zulaufen.
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Neue Waffensysteme können nicht optimal genutzt werden, weil Aufklärung und Fernmeldeverbindungen nicht Schritt halten.
In diese Situation hinein kommen Sie nun mit Ihren Kürzungsanträgen. Sie sollen gerne eine Widerlegung Punkt für Punkt haben.
Punkt 1. Sie wollen bei Forschung und Entwicklung kürzen. Wir sind die Nation, die mit den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung - 1982 3,7 % - unter allen Industrienationen auf dem letzten Platz gelandet ist. Es gehört zu den größten Errungenschaften dieses Etats für 1983, daß wir endlich wieder Forschung und Entwicklung mit 10% Steigerungsrate veranschlagt haben. Sie machen mit Ihrem Antrag diese Trendwende zunichte. Ich sage Ihnen: Damit schaden Sie u. a. Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland,
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und Sie schaden der Qualität unserer Industrie.
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Nächster Punkt: Sie kürzen beim FernmeldeMaterial - dort, wo wir die größten Lücken haben.
Nächster Punkt. Seit zwei Jahren ist der Ersatzbedarf für Pkw und Omnibusse verschoben worden, wodurch für die Erhaltung des alten Geräts naturgemäß Mehrkosten entstanden sind. Jetzt wollen Sie noch einmal 10 Millionen DM kürzen. Das bedeutet zusätzliche Kosten in der Zukunft; der Kollege Zumpfort hat völlig recht.
Dann wollen Sie 130 Millionen DM bei den Kampffahrzeugen kürzen. Dabei wissen Sie, daß damit die Finanzierung des 4. Loses des Leo II gefährdet ist, daß damit der Bedarf des Roland nicht sichergestellt werden kann.
Dann wollen Sie beim ABC-Schutzmaterial kürzen. Dort besteht seit Jahren eine Ausstattungslükke. Vom Gesamtbedarf von 1,4 Millionen Bekleidungsstücken sind erst rund 400 000 beschafft. Dann reden Sie vom Schutz unserer Soldaten! Wissen Sie, ich als Verteidigungsminister muß schon dafür geradestehen, daß unsere Soldaten einigermaßen ausgerüstet sind für die Aufgabe, die wir ihnen in unser aller Interesse abverlangen.
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Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich komme sonst mit der Zeit nicht zu Rande.
Dann kommen Ihre Kürzungsvorschläge bei den laufenden Vorhaben der Schiffs- und Flugzeugbeschaffung mit zusammen 70 Millionen DM dazu. Mich würde einmal interessieren, wie Sie das beispielsweise der betroffenen deutschen Werftindustrie klarmachen wollen.
({0})
Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn wir Ihren Kürzungsvorschlägen folgten, würde das nicht nur bedeuten, daß die Erfüllung des Auftrags der Streitkräfte in Frage gestellt wäre, es würde auch erhebliche Risiken für weitere Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland nach sich ziehen.
({1})
- Frau Kollegin Traupe, Sie mögen das als unglaublich darstellen. Ich sage Ihnen, Ihre Kürzungsvorschläge erscheinen mir unglaublich. Ich denke etwa an die Tatsache, daß Sie in den Bereichen kürzen, die noch mein Vorgänger mit dieser Summe bedacht hat.
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Nun aber zurück zu dem, wovon ich ausgegangen bin. Ich sprach vom sicherheitspolitischen Grundkonsens. Eine Ausprägung dieses Grundkonsenses heißt: Es darf in der Bundesrepublik Deutschland keine Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und zivilem Ersatzdienst geben. Dieser Bundestag hält an der allgemeinen Wehrpflicht fest. Das heißt: Staatsbürgerliche Grundpflicht jedes jungen Mannes bleibt die Ableistung des Wehrdienstes.
({3})
Daher, meine verehrten Damen und Herren, ist es so unglaublich wichtig, daß wir mehr tun als bisher, um das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Verteidigung und den Willen zur Verteidigung zu wekken und wachzuhalten.
Über alle materiellen Dinge hinaus, über die wir hier diskutieren, über alle finanziellen Sorgen hinaus macht mir zweierlei die größten Sorgen: einmal der Verlust der Einsicht in den Sinn des Wehrdienstes und zum zweiten der weitverbreitete Eindruck derer, die gedient haben, auf Grund ihrer Erfahrung in der Bundeswehr, ihr Dienst in der Bundeswehr habe sich nicht gelohnt; es habe zuviel sinnlosen Leerlauf gegeben; man habe gegammelt. Hier sehe ich die zwei vorrangigen Schwerpunkte meiner Tätigkeit. Die Bundeswehr muß alle Möglichkeiten ausschöpfen, junge Wehrpflichtige vom Sinn des Dienens zu überzeugen, aber nicht nur die Bundeswehr, mehr noch die Schule in der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Deswegen appelliere ich noch einmal leidenschaftlich an die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Verantwortung zu genügen.
Ich möchte dem Kollegen Kultussenator von Hamburg, Herrn Grolle, ausdrücklich widersprechen, der formuliert hat:
Ist nicht Zweifel geboten, ob es wirklich zum pädagogisch begründbaren Erziehungsauftrag der Schule gehört, für Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit zu sorgen?
Ich sage nein, und ich sage dieses Nein in Übereinstimmung mit einem früheren Bundeskanzler namens Willy Brandt und mit meinem Amtsvorgänger Hans Apel, die ebenfalls an die Kultusminister appelliert haben, ihrer Verantwortung zu genügen.
Der Bundestag als der Souverän dieses Volkes hat bis zum heutigen Tage an der allgemeinen Wehrpflicht festgehalten. In unserer Verfassung steht die Verteidigung, auch die Pflicht zur Verteidigung. Solange das so ist, solange können wir von denen, die an unseren Schulen unterrichten, erwarten, daß sie in den Schulen vom Sinn und der Notwendigkeit der Landesverteidigung und davon reden, daß sie eine Grundpflicht junger Staatsbürger ist.
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Ich werde die Kultusminister - egal, welchen Bundeslandes, und gleichgültig, welcher parteipolitischen Zugehörigkeit - nicht aus der Verantwortung entlassen; denn die Bundeswehr ist nicht die Hilfsschule der Nation, sie ist auch nicht für den politischen Nachhilfeunterricht der Nation verantwortlich. Elternhaus und Schule haben hier ihrer Verantwortung zu genügen.
({6})
Herr Kollege Hansen, Sie haben sich zu einer Zwischenfrage gemeldet, aber der Bundesminister hat es schon zweimal abgelehnt, überhaupt Fragen zu beantworten.
Herr Präsident, ich sagte bereits: Ich glaube, ich bin hinreichend dafür bekannt, daß ich mich der Diskussion nicht entziehe.
Das liegt ganz in Ihrer Entscheidung; ich muß Sie nur fragen.
Nur: Ich bin in Zeitdruck; wir wollen die Debatte ja um 20 Uhr abschließen.
Damit hier kein Mißverständnis über das auftaucht, um was es uns eben nicht geht. Es geht uns nicht etwa um die Erziehung zum Haß. Wir wollen keinen Haß, wir brauchen keinen Haß, und wir werden keinen Haß dulden. Wir brauchen kein künstliches Feindbild. Wir werden vor allen Dingen keinen Wehrkundeunterricht à la DDR einrichten. Niemand von uns will das.
({0})
Aber was wir wollen ist eine sachliche und nüchterne Aufklärung über das, was in unserer Verfassung steht und was dieser Bundestag beschlossen hat.
({1})
Jetzt zum zweiten Punkt. Es darf nicht sein, daß junge Wehrpflichtige die Bundeswehr mit dem Eindruck verlassen, sie hätten dort sinnlos Dienst getan. Deswegen müssen wir - das habe ich mir ebenfalls zum Ziel gesetzt - mit aller Energie den Kampf gegen die Gammelei aufnehmen. Wir haben eine sehr instruktive Tagung mit jungen Wehrpflichtigen, mit Unterführern und Führern unserer Armee unter der Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs Würzbach gehabt, die uns gute und zukunftsweisende Erkenntnisse vermittelt hat. Ich sage Ihnen hier: Wir werden Führung, Ausbildung und Erziehung so verbessern, daß der junge Wehrpflichtige im täglichen Dienst den Sinn und die Notwendigkeit seines Wehrdienstes erkennen kann. Der Kampf gegen Gammelei hängt in erster Linie von der Führerdichte im Tagesdienst der Streitkräfte, d. h. ganz entscheidend davon ab, wieviel Unteroffiziere und wieviel Offiziere im Tagesdienst in den Zügen, in den Kompanien und in den Staffeln da sind und sich dem jungen Wehrpflichtigen widmen können.
({2}) Das ist das eine entscheidende Kriterium.
Das zweite sind genügend Betriebs- und Übungsmittel. Dazu kann ich Ihnen sagen: Die Steigerungsrate des Haushalts 1983 für den sonstigen Betrieb beträgt 7,9 %. Das heißt: Wir haben sichergestellt, daß keine Übung, kein Manöver abgesagt, gestrichen oder gestreckt werden muß. Der Vorrang des Soldaten - mit dem Motto bin ich angetreten; mit dem Motto ist diese neue Bundesregierung angetreten. Nach einer Phase, in der - das werfe ich niemandem vor; dem haben wir zugestimmt - die Beschaffung von Großgerät im Vordergrund stand, ist es nun Zeit, daß wir uns mit Vorrang um den Soldaten, seine Qualität, seine Ausbildung bemühen. Darum haben wir klare und eindeutige Schwerpunkte gesetzt, und wir haben sie im Haushalt 1983 verwirklicht. Wir haben nicht nur versprochen, wir haben gehalten.
Längerdiener: Wir haben 3 000 Stellen mehr für Längerdiener. Das heißt, wir sind dabei, den schlimmen Fehler, den die Vorgängerregierung gemacht hat, auszubügeln. Leider Gottes ist es nicht in dem Tempo möglich, in dem ich das gern machen würde.
Nächster Punkt. Wir haben endlich einen ersten Schritt zur Beseitigung des Verwendungsstaus eingeleitet. Der Verwendungsstau und der Beförderungsstau drücken diese Truppe. Wir werden alles daransetzen, - Frau Kollegin Traupe, da sollten wir uns nicht entzweien, da sind wir uns ja einig, und das können wir ja ruhig auch einmal sagen -, die Attraktivität des soldatischen Dienstes zu verbessern. Deswegen begrüße ich es, daß wir auf Grund eines Initiativantrags der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP, dem die SPD dann zugestimmt hat, jetzt einen neuen Spitzendienstgrad der Unteroffiziere eingeführt haben. Das ist ein Schritt auf dem richtigen Weg.
({3})
Wir haben sodann die höhere Dienstzeitbelastung ausgeglichen.
Schließlich werden wir die Ausbildung der Ausbilder verbessern. Größere Praxisnähe und mehr Nachdruck auf dem Gebiet der Menschenführung, das ist unser Ziel.
Und ich sage Ihnen: Wir werden alles daransetzen, die Auftragstaktik wieder in ihr volles Recht einzusetzen, und alles tun, um die Bundeswehr von unnötiger Bürokratie und unnötigem Reglementieren zu befreien. Die Armee droht in einer Fülle von Regelungen überflüssigster Art zu ersticken. Damit muß aufgeräumt werden, und zwar nicht dadurch, daß man neue Kommissionen einsetzt, sondern dadurch, daß man mit dem Ernst macht, was schon an Erkenntnissen vorliegt.
({4})
Ich komme zum Schluß. Der Verteidigungsetat weist eine Steigerung von 6,1 % auf. Das ist ganz sicher nicht übermäßig viel. Der Verteidigungsetat ist auf Rand genäht. Die Kollegen, die im Verteidigungsbereich tätig sind, wissen das.
Ich habe Ihnen vorhin vorgetragen, welch große Lücken wir im einen und anderen Sektor noch haben.
Nun weiß ich selbst - und ich habe das als Verteidigungsminister wieder und wieder in der Öffentlichkeit gesagt -, daß in einer Zeit knappen Geldes, in einer Zeit, in der gespart werden muß, auch die Bundeswehr vom Zwang zur Sparsamkeit nicht ausgenommen werden kann. Frau Kollegin Traupe, Sie können sicher sein, daß ich alle Möglichkeiten nutzen werde, um so sparsam zu wirtschaften, wie es irgend geht. Und für jeden Vorschlag aus dem Parlament bin ich dabei dankbar.
Andererseits muß ich sagen: Die Bundeswehr hat einen bestimmten Auftrag zu erfüllen. Und dieser Auftrag hängt eben nicht davon ab, was wir gern hätten, sondern von der Bedrohung, mit der wir es zu tun haben. Diese Bundeswehr soll ja nicht kämpfen. Sie soll uns vor einem Krieg bewahren. Sie hat diese Aufgabe seither erfüllt. Und wenn wir wollen, daß sie uns auch künftig auf diesem Weg hilft, daß sie unserem Volk auch künftig einen Krieg erspart, dann müssen wir sie so ausstatten, daß sie ihrem Auftrag genügen kann.
Das wird diese Bundesregierung tun. Und wir werden nicht zögern, unserem Volk deutlich zu machen, daß Frieden und Freiheit nicht kostenlos zu haben sind.
({5}) Frieden und Freiheit fordern ihren Preis.
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Mein Dank gilt den Soldaten, aber nicht nur den Soldaten, mein Dank gilt auch den zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, die genauso wie die Soldaten zur Aufgabenerfüllung unserer Streitkräfte beitragen.
Wir haben in kritischen Zeiten einen Etat beschlossen - ich sage noch einmal: auf Rand genäht -, der uns befähigt, den Auftrag der Bundeswehr einigermaßen zu erfüllen. Weitere Kürzungsvorschläge kann ich nicht akzeptieren. Sie würden sich mit der Aufgabenerfüllung der Bundeswehr nicht vertragen. Deswegen bitte ich das Hohe Haus, Kürzungsvorschläge der Opposition nicht anzunehmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst ein paar Anmerkungen zu den letzten Äußerungen des Verteidigungsministers machen.
Herr Dr. Wörner, Sie haben gesagt, nach Ihrer Meinung fehlten bei den Beschaffungen 6,5 Milliarden DM. Wenn das so wäre und wenn diese Beschaffungen so nötig wären, hätten Sie eine andere Umschichtung vornehmen müssen, als Sie es getan haben.
({0})
Über die Längerdienenden und den Verwendungsstau hat Frau Traupe schon etwas gesagt und das, was Sie getan haben, begrüßt. Mein Kollege Kolbow wird noch darauf eingehen. Ein Konzept zur Lösung dieser Probleme haben Sie aber jedenfalls nicht.
Lassen Sie mich nun noch ein paar Worte zu Ihrem Haushalt sagen. Er basiert ja weitgehend auf dem Entwurf Ihres Vorgängers. Sie haben hier nur die Kapitel angesprochen, die von sozialdemokratischer Seite gekürzt werden sollten. Sie haben dabei geflissentlich unterschlagen, daß ja auch Ihre eigenen Haushälter einige Streichungen vorgenommen haben. Ich nenne als Beispiel das MRCA-Programm. Der Ansatz belief sich zunächst auf 3,7 Milliarden DM. Sie boten dann selber eine Kürzung um 100 Millionen DM an. Ihre Haushälter nahmen noch eine weitere Streichung um 50 Millionen DM vor. Wir könnten auch noch einige andere Bereiche heranziehen. Sie haben auch unterschlagen, daß die Sozialdemokraten z. B. eine Aufstockung des Ansatzes für Betriebsstoffe gefordert haben. Das sind alles Dinge, die Sie geflissentlich übersehen; das ist ja so einfach.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben 13 Jahre lang die Verantwortung für die Verteidigung, für die Sicherheit dieses Landes getragen. Wenn die Vertreter der CDU/ CSU als Vertreter der heutigen Regierungsparteien ehrlich sind, müßten sie mit dem Herrn Verteidigungsminister - anders, als es der Herr Kollege Stavenhagen getan hat - zu dem Ergebnis gekommen sein, daß die SPD, wie es Herr Dr. Wörner in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht haben soll, auf dem Sektor der Verteidigungspolitik große Leistungen erbracht hat. Als Vorwurf gegen uns haben Sie dort vorgebracht, daß die Sozialdemokraten ihre großen Leistungen „schlecht verkauft" haben. Geschmackvoller geht es kaum. Das zeigt auch die Glaubwürdigkeit der Person und der Politik des neuen Verteidigungsministers.
Neumann ({1})
Zehn Jahre lang hat der heutige Verteidigungsminister keine Gelegenheit ausgelassen, die bisherige Regierung, vor allem den bisherigen Verteidigungsminister hart anzugreifen - das stand ihm zu -, bis hin zur persönlichen Verunglimpfung, und für höhere Verteidigungsausgaben zusätzlich zu plädieren. Zahllos waren die übertriebenen Forderungen, die Sie aufgestellt haben. Immer wieder haben Sie als Oppositioneller die bedrohungsgerechte Finanzierung der Bundeswehr gefordert und die finanzielle Begrenzung des Einzelplans 14 abgelehnt. Eine laufende 3 %ige reale Erhöhung war Ihre Mindestforderung. Es ist schon erstaunlich, daß das alles heute nicht mehr gilt.
Als der Verteidigungsminister Dr. Wörner Ende November in den Vereinigten Staaten war, spielte er die 3 %ige reale Erhöhung herunter. Die damals gerade aktuelle Forderung des Herrn Rogers kam nach der ZDF-Sendung „heute" vom 31. November 1982, 21 Uhr, für Dr. Wörner „überhaupt nicht in Frage". Wörtlich hieß es damals: „Außerdem hat die Bundesrepublik bisher schon für die Verteidigung so viel wie möglich getan."
Auch für den Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach ist heute die 3 %ige reale Steigerung - so sagte er in der Fragestunde - eine Richtzahl, die „jedoch nur einen von mehreren Faktoren" darstellt, „die bei der Beurteilung der Verteidigungsanstrengungen der NATO-Staaten eine Rolle spielen". In der Vergangenheit hörte sich das bei Ihnen alles anders an.
Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen, daß es außer der Verteidigungspolitik auch noch andere Staatsaufgaben gibt. Das haben Sie inzwischen auch begriffen. Um aber von der westlichen Führungsmacht, von der Bundeswehr und von der deutschen Öffentlichkeit nicht so schnell durchschaut zu werden, haben Sie sich einige Roßtäuschertricks einfallen lassen.
Herr Dr. Wörner, in den USA brüsteten Sie sich damit, 200 Millionen DM mehr als Ihr Vorgänger zur Verfügung zu haben. Sie wissen ganz genau, daß Sie damit die US-Administration getäuscht haben; denn Sie haben 100 Millionen DM weniger, und das wußten Sie schon, als Sie in die Staaten geflogen sind. Der Trick, die 200 Millionen DM aus dem Einzelplan, die auch schon Hans Apel zugesagt bekommen hatte, in den Einzelplan 14 umzubuchen, ist ein ganz übler Taschenspielertrick, für den Sie sich eigentlich hätten zu schade sein müssen. Dafür bekommen Sie unser Vertrauen nicht.
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Daß Sie die Vorschläge zur Verbesserung der Entscheidungs-, Informations- und Kontrollprozesse im BMVg und im nachgeordneten Bereich, die die Firma McKinsey gemacht hatte, vom Tisch gefegt haben, hindert uns ebenfalls daran, zu Ihnen und zu Ihrer Politik Vertrauen zu haben; denn die von McKinsey erkannten Schwachstellen, die Ihr Vorgänger mit dem Controller beseitigen wollte, werden durch die Ersatzlösung, die Sie für die Spitze des BMVg gefunden haben, nicht glaubhaft beseitigt.
Sie übernehmen daher eine große persönliche Verantwortung. Sie werden dem Parlament und der Öffentlichkeit, dem Steuerzahler gegenüber zu erklären haben, wieso Sie auf die von anerkannten Experten aufgezeigten Möglichkeiten der besseren Verwendung knapper Finanzmittel im Interesse der Landesverteidigung verzichten wollen. Ich hoffe, daß der Antrag unserer Haushaltsausschußmitglieder, für Ihren Haushalt Kürzungen zu beantragen, Sie dazu zwingen wird, erneut über den McKinsey-Bericht nachzudenken. Für Ihr bisheriges Verhalten in dieser Frage verdienen Sie unser Vertrauen für Ihren Haushalt und Ihre Politik also nicht.
Es gibt für uns einen weiteren Grund, warum wir Ihnen für Ihren Haushalt und Ihre Politik das Vertrauen verweigern. Für die Stelle des Rüstungsstaatssekretärs haben Sie, wie ich schon am 29. Oktober zum Ausdruck gebracht habe, einen für Militärpolitik und Pressearbeit zuständigen Öffentlichkeitsarbeiter im Rang eines Staatssekretärs bestellt. Als Sie das taten, wollten Sie einen Hauptabteilungsleiter „Rüstung" nach B 10 einsetzen, damit der von mir beschriebene Schritt vertretbar erschiene. Nun haben Sie noch nicht einmal die B-10Stelle angemeldet. Es gibt also keinen Hauptabteilungsleiter „Rüstung", aber es gibt einen Öffentlichkeitsarbeiter im Rang eines Staatssekretärs.
({3})
- Nein, ich lasse keine Fragen zu.
Soll Propaganda an die Stelle von Sachkompetenz treten?
Will man den Äußerungen der politischen Spitze des BMVg glauben, dann ist in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober die Bundeswehr etwas ganz anderes geworden. Wie man am Sonnabend im „Hamburger Abendblatt" und anderswo lesen konnte, wird z. B. in der Bundeswehr auch nicht gegammelt, wie Sie es jahrelang behauptet haben. Und das alles von einem Tag auf den anderen!
Glaubwürdig machen Sie sich mit so raschen Kehrtwendungen nicht. Vertrauen für Ihre Politik und Ihren Haushalt verdienen Sie damit ebenfalls nicht.
Lassen Sie mich ein paar weitere Gründe nennen, die uns daran hindern, Ihnen für Ihre Politik Entgegenkommen zu zeigen.
Die beschworene Kontinuität ist nach unserer Auffassung ein Lippenbekenntnis. Ihre Ankündigung, den Traditionserlaß zu überprüfen und ändern zu wollen, die angekündigten, in den Auswirkungen nicht abschätzbaren Änderungsabsichten im Bereich der Aus- und Weiterbildung bei Offizieren und Unteroffizieren, die Zweifel, die darüber entstanden sind, ob Sie die früher beabsichtigte gesetzliche Änderung des Vertrauensmännergesetzes noch weiter verfolgen wollen, durch die die Mitwirkungsrechte der Soldaten verbessert werden sollten, die mindestens mißverständlichen Absichtserklärungen, zusätzliche 350 Millionen DM für das NATO-Infrastrukturprogramm der nächsten Jahre bereitzustellen, ohne sich vorher im Parlament abNeumann ({4})
zusichern, machen es immer schwieriger, Ihnen zu glauben, daß es Ihre ernste Absicht ist, die Kontinuität in der Sicherheitspolitik zu bewahren.
({5})
Wir haben im Verteidigungsausschuß allen Kapiteln mit Ausnahme von 14 01- Bundesministerium für Verteidigung und 14 22 - NATO-Infrastruktur - zugestimmt und damit für diese Kapitel die Empfehlung mitgetragen, die der Verteidigungsausschuß dem Haushaltsausschuß gegeben hat. Daß dort andere Vorstellungen bestehen, ist nichts Neues. Das geschah und geschieht jedes Jahr.
Wir Sozialdemokraten werden auch künftig uneingeschränkt für die Belange der Soldaten und Zivilisten der Bundeswehr und für einen angemessenen Verteidigungsbeitrag in der NATO eintreten. Daß bei den Haushaltsbeschlüssen auch für den Verteidigungshaushalt die ökonomische Situation in unserer Republik nicht außer acht gelassen werden darf, sollte aber deutlich sein. In einer Zeit, in der Sie tiefe Einschnitte in das soziale Netz vornehmen, kann man nicht den Eindruck erwecken wollen, als ob überall gekürzt werden dürfe, nur nicht im Verteidigungshaushalt.
({6})
Wenn die bisherige Sicherheitspolitik schlecht gewesen wäre - wie Sie das früher behauptet haben -, hätten Sie vielleicht so argumentieren können. Da Sie aber seit dem 1. Oktober 1982 anders reden, wird Ihnen niemand abnehmen, daß wir in schwieriger Zeit nicht auch den Verteidigungshaushalt sorgfältig prüfen müssen.
({7})
Im übrigen enthält der Haushalt eine ganze Reihe von Risiken, die Sie verschwiegen haben, auf die wir Sie bereits in der Verteidigungsausschußsitzung hingewiesen haben. Wir sagen mit aller Deutlichkeit, daß die Manipulationen am Verteidigungshaushalt schon am 1. Januar 1983 beginnen werden; denn nur so können Sie die Haushaltsrisiken in den Griff bekommen. Wenn ich an das Kapitel Umschichtungen, Kürzungen einzelner Titel und daran denke, wie Sie das früher kommentiert haben, dann kommt man an dem Begriff „Doppelzüngigkeit" nicht vorbei.
({8})
Ich habe Ihnen, Herr Verteidigungsminister, schon im Verteidigungsausschuß gesagt, daß Sie nach Ihrem bisherigen eigenen Selbstverständnis angesichts dieses Haushalts eigentlich den Rücktritt ankündigen müßten;
({9})
denn genau das haben Sie von Ihrem Vorgänger immer gefordert. Wie war das denn z. B. am 7. März 1981? Damals sagten Sie:
Wenn die Mittel, die der Herr Apel zur Verfügung hat, nicht ausreichen - und sie reichen nicht aus -, um die Bundeswehr in der Lage zu halten, ihren Auftrag zu erfüllen, dann kann er das nicht dadurch überwinden, daß er in Teilbereichen der Verteidigung streicht, sondern dann muß er die Mittel woanders herholen ... Und ich erwarte eben von einem Verteidigungsminister, daß er dann nicht sagt, gut, dann kürze ich im Bereich der Verteidigung mehr, um die Auftragserfüllung noch mehr zu erschweren oder unmöglich zu machen, sondern dann muß er seinem Auftrag, seiner Verantwortung entsprechend an die Öffentlichkeit gehen und dann sagen: „Ich kann die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mit den verfügbaren Mitteln nicht gewährleisten." Das erwarte ich von einem Verteidigungsminister, der seine Aufgabe ernst nimmt.
Er hat 100 Millionen DM weniger und tut trotzdem nicht, was er von anderen gefordert hat.
({10})
Aber mit dem bisherigen Selbstverständnis, sehr verehrter Herr Dr. Wörner, hat das bei Ihnen seine eigene Bewandtnis. Es hat sich rasch, viel zu rasch gewandelt.
Mit der Vorlage dieses Haushalts - das haben wir Ihnen auch schon im Ausschuß gesagt - bakken Sie viel kleinere Brötchen, als Sie früher in Ihrem Angebot hatten. Das Schlimme dabei ist nur, daß Sie mit Ihren früheren Angeboten bei den Soldaten eine Erwartungshaltung geweckt haben, die weder wir noch Sie befriedigen können. An den Folgen der von Ihnen geweckten Erwartungen werden wir alle zu tragen haben. Wir werden alle zusammen alles tun müssen, damit überall in unserem Lande - nicht nur bei denen, denen Sie heute soziale Einschnitte zumuten - bemerkt wird, daß sich die ökonomische Situation radikal verändert hat.
({11})
Verantwortungsbewußte Kommandeure, deren Einheiten in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit stationiert sind, haben das schon besser erkannt als Sie, Herr Verteidigungsminister. Weil das so ist, verdienen Sie und Ihre Politik daher unser Vertrauen nicht.
Wir lehnen den Einzelplan 14 ab.
({12})
Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition macht dem heutigen Verteidigungsminister den Vorwurf, daß er einerseits zuwenig Geld fordere und andererseits sage, der Verteidigungshaushalt sei eng geschnitten. Dabei besteht doch kein Zweifel daran,
({0})
daß die derzeitige Haushalts- und Wirtschaftssituation von der jetzigen Opposition und nicht von der jetzigen Regierung zu verantworten ist.
Hauser ({1})
Der Verteidigungshaushalt ist eng geschnitten. In wirtschaftlich schweren Zeiten, in einer katastrophalen Lage der Staatsfinanzen, bei einem seit dem Haushaltsentwurf der alten Regierung um Steuermindereinnahmen von 10 Milliarden DM und Mehrausgaben von 8 Milliarden DM insbesondere infolge der hohen Arbeitslosigkeit verschlechterten Haushalt ist es jedoch nicht möglich, den Verteidigungsetat der alten Regierung aufzustocken. Es bleibt nur die Möglichkeit, neue Schwerpunkte zu setzen und die vorhandenen knappen Mittel zweckmäßiger zu gewichten. Das aber ist Herrn Minister Dr. Wörner gelungen.
In der Vergangenheit stand die Beschaffung neuer Waffen und neuen Materials im Vordergrund. Der Generationswechsel bei den großen Waffensystemen war notwendig und wird von uns mitgetragen. Aber das beste Material ist wertlos, wenn es nicht von gut ausgebildeten und gut motivierten Soldaten bedient wird.
Der Soldat, der Mensch muß also in den Mittelpunkt gerückt werden. Seine Einsatzbereitschaft, seine Leistungsfähigkeit, seine Motivation müssen gestärkt werden.
Es ist nicht möglich, alles von der vorherigen Regierung auf diesem Gebiet in der Vergangenheit trotz vollerer Kassen Versäumte in kurzer Zeit nachzuholen. Dazu ist schon eine volle Legislaturperiode erforderlich. Aber Minister Dr. Wörner hat das Mögliche mit ersten Schritten getan.
Seine wichtigste Maßnahme war ein erster Schritt zum Abbau des Verwendungsstaus. Eine unausgewogene Altersstruktur war beim Aufbau der Bundeswehr unvermeidlich. Die Jahrgänge 1925 bis 1935 standen beim Aufbau kaum zur Verfügung, sei es, weil sie sehr hohe Kriegsverluste im zweiten Weltkrieg hatten, sei es, weil sie in der militärfreien Zeit das entsprechende Alter erreichten. Deshalb mußte in verstärktem Maße auf die Jahrgänge 1936 bis 1944 zurückgegriffen werden.
Als heutige Folge dieses unorganischen Altersaufbaus bleibt die Zahl der Zurruhesetzungen in den nächsten Jahren sehr stark hinter dem normalen Umfang zurück. Verwendungswechsel zwischen den Verantwortungsstufen bleiben übermäßig lange aus. Militärische Führer überaltern in Verwendungen, denen sie vom Lebensalter und ihrer körperlichen Belastbarkeit her nicht mehr gewachsen sind. Dies gilt insbesondere für die Positionen des Bataillionskommandeurs, des Kompaniechefs und des Kompaniefeldwebels. Es geht also keineswegs darum, Leute schneller zu befördern, sondern darum, sie in einem gesundheitlich, körperlich und geistig so frischen Zustand in entsprechenden Kommandopositionen zu halten, daß sie diesen voll gewachsen sind.
Nach einer Erhebung der Streitkräfte haben zur Zeit rund 4 000 Offiziere und rund 4 000 Feldwebel das Grenzalter ihrer derzeitigen Tätigkeit überschritten. Die Ablösung der in ihrer Verwendung überalterten militärischen Führer ist zumindest in Schlüsselstellungen unabwendbar. . Das Problem des Verwendungsstaus war auch früheren Regierungen ebenso wie dem Hohen Hause bekannt.
Im Weißbuch 1979 wurden Maßnahmen zum Abbau des Verwendungsstaus angekündigt. Aber bis zum Regierungswechsel kam es nicht zur Vorstellung konkreter Maßnahmen durch die Bundesregierung. Nunmehr werden 350 neue Planstellen als erster Schritt bewilligt. Sie sind für nicht grenzaltersgebundene vorhandene Dienstposten bestimmt, die als Anschlußverwendungen für solche militärischen Führer geeignet sind, die für ihre bisherigen Funktionen zu alt sind. Dies ist keine „Aktion Abendsonne", sondern es handelt sich um den vollwertigen Einsatz in STAN-Dienstposten. Die neuen Planstellen ermöglichen, da es sich um Dienststellen zwischen A 15 und A 8 MA handelt, ein mehrfaches an Verwendungswechsel. In die geräumten Schlüsselstellungen rücken Lebensjüngere und für diese Tätigkeiten voll taugliche Soldaten nach. Dies bringt allerdings keine dauerhafte Lösung des Problems, sondern nur Erleichterungen. Die Regierung muß sich also für die Zukunft noch etwas einfallen lassen.
Eine der Ursachen für unfruchtbare Untätigkeit, für die sogenannte Gammelei bei der Bundeswehr, ist der Fehlbestand an Unterführern, die sich aus längerdienenden Soldaten rekrutieren. Unverständlicherweise wurde im Haushalt 1982 trotz eines Fehls von 20 000 Unterführern der Geldeinsatz für Berufs- und Zeitsoldaten von 259 000 um 8 000 auf 251 000 gekürzt. Die abgelöste Regierung hatte diesen ihren Fehler erkannt und angesichts der großen Zahl der Bewerber die Erhöhung der Zahl der längerdienenden Zeit- und Berufssoldaten von 251 000 auf 253 000 vorgeschlagen.
Das ist jedoch bei weitem nicht genug. Die neue Regierung hat diese Zahl um weitere 1 000 auf 254 000 Längerdiener aufgestockt. Aber in einigen Jahren wird der sogenannte Pillenknick die Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen drastisch senken. Wenn dann noch genügend Soldaten verfügbar sein sollen, wird es um so notwendiger, mehr Längerdienende zu halten. Das derzeit günstige Angebot an Bewerbern muß deshalb stärker genutzt werden, als es auch nach der neuen Stellenzahl möglich ist. Dem ersten Schritt, den wir heute beschließen, müssen weitere folgen.
({2})
Die derzeitige Regelung des finanziellen Ausgleichs für Spitzendienstzeiten ist kompliziert und nicht immer gerecht. Soldaten von Einheiten, die im Jahresschnitt mehr als 56 Stunden wöchentlich Dienst leisten, haben einen gesetzlichen Anspruch auf finanziellen Ausgleich, der bei Berufs- und Zeitsoldaten 90 DM monatlich - steuerpflichtig - und für Wehrpflichtige 54 DM - steuerfrei - beträgt. Für diesen Spitzendienstausgleich standen bisher 150 Millionen DM jährlich zur Verfügung. Diese finanzielle Begrenzung mußte bei der tatsächlich hohen Dienstzeitbelastung zu Unzuträglichkeiten und Ungerechtigkeiten führen. Da viele Einheiten nachweislich nicht in der Lage sind, die Dienstzeitbelastung unter 56 Stunden wöchentlich abzusenken - 56 Stunden wöchentlich -, müssen diese Einheiten wieder in den Katalog der zum Ausgleich von Spitzendienstzeit-Berechtigten aufgenommen
Hauser ({3})
werden. Deshalb muß der zur Verfügung stehende Betrag um 35 Millionen DM auf 185 Millionen DM aufgestockt werden.
In einer Zeit ausgesprochenen Mangels an Ausbildungsplätzen für junge Menschen ist es besonders anerkennenswert, daß bei der Bundeswehr im Haushaltsjahr 1983 800 neue Ausbildungsplätze für Verwaltungsfachangestellte geschaffen werden, womit insgesamt 1200 derartige Ausbildungsplätze vorhanden sind und für die Zukunft jährlich 400 Anstellungen möglich werden. Die Bundeswehr hat damit die Möglichkeiten einer Berufsausbildung, die durch Ausbildungsplätze für gewerbliche Berufe und für sonstige Angestelltenberufe wie Krankenschwester, technischer Zeichner, Kaufleute sowie für Beamtenanwärter des mittleren und gehobenen Dienstes vervollständigt werden, weiter erheblich vermehrt.
Erwähnt sei auch, daß im Fortgang einer Aktion, die von der vorigen Regierung beschlossen wurde, 450 Planstellen für Unteroffiziere in der Heeresstruktur 4 neu geschaffen wurden. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß diese Stellen für die Heeresstruktur 4 - wie auch für die Erleichterung des Verwendungsstaus - wie schon bisher zu Lasten der A-2-, also der Gefreitenstellen, gehen, da die Gesamtzahl der Soldaten nicht über 495 000 hinaus aufgestockt werden soll.
Ich habe bisher nur von Soldaten gesprochen. Es sei aber auch erwähnt, daß ohne die zivilen Kräfte, ohne die Beamten, Angestellten und Arbeiter, die Bundeswehr zu ihrer Leistung nicht fähig wäre.
({4})
Gerade diese zivilen Kräfte sind vielfach in den Einheiten so sehr an die Tätigkeit der militärischen Kräfte angebunden, daß sie in gleicher Weise belastet und überlastet sind.
Allen Angehörigen der Bundeswehr, seien sie Soldaten, Beamte, Angestellte oder Arbeiter, gilt unser Dank für ihre ständige Einsatzbereitschaft und Opferbereitschaft im Dienste der Sicherheit und Freiheit unseres Volkes.
({5})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Popp.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sicherheitspolitik der Koalition aus CDU/CSU und FDP zeigt eine klare Kontinuität. Ob diese Kontinuität auch von der SPD gewahrt wird, wird sich erst zeigen müssen, nachdem diese gemeinsame Politik schon bisher von der SPD-Linken zunehmend in Frage gestellt wurde und sich ihre Absetzbewegungen in bezug auf den NATO-Doppelbeschluß in letzter Zeit verstärken. Für uns Freie Demokraten gilt der NATO-Doppelbeschluß; daran lassen wir keinen Zweifel.
({0})
Der Verteidigungshaushalt wurde von der neuen Regierung nur geringfügig geändert, wenn auch neue Akzente gesetzt wurden. Diese Akzente machen deutlich, daß die Koalition der Mitte Ernst macht mit dem Willen, den Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Wir Freie Demokraten begrüßen das sehr.
3 000 Stellen mehr für längerdienende Soldaten - 1 000 mehr als von der alten Regierung vorgesehen - ermöglichen eine bessere Ausstattung mit Unterführern, mehr Unterführer bringen eine bessere Dienstgestaltung. Damit wird nicht nur die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erhöht, es ist auch eine wesentliche Voraussetzung, um die vielbeklagte Gammelei abzubauen. Wenn auch nicht alles Gammelei ist, was so genannt wird, so wird doch mancher Leerlauf dadurch verursacht, daß die Soldaten nicht immer sinnvoll beschäftigt werden, weil die notwendigen Unterführer fehlen. Weniger Gammelei, sinnvollere Dienstzeitausnutzung bringen mehr Zufriedenheit bei den Soldaten und damit eine positivere Bewertung des Wehrdienstes auch in der Bevölkerung.
Durch die Schaffung von 350 Planstellen und die dadurch bewirkten mehrfachen Verwendungswechsel wird ein Beitrag zum Abbau des Verwendungsstaus vollzogen. Darauf wurde bereits hingewiesen. Auf die Problematik des Verwendungsstaus hat die FDP schon vor Jahren als erste aufmerksam gemacht.
Die Bundeswehr - dies ist eine seit dem Aufbau der Streitkräfte vorprogrammierte Erscheinung - ist eine überalterte Armee. Es wird lange dauern, eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen. Ein Schritt dorthin wird mit diesem Haushalt getan.
Für den Spitzendienstzeitausgleich wurden die Mittel von 150 Millionen DM auf 185 Millionen DM erhöht. Dieser Spitzendienstzeitausgleich ist weder ein Geschenk an die Soldaten noch eine Überstundenvergütung; er ist vielmehr eine Anerkennung für Dienstzeiten, die in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst niemand akzeptieren würde.
({1})
Mittelfristig muß ein noch gerechteres Verfahren gefunden werden, durch das die Soldaten stärker berücksichtigt werden, die hohe Dienstzeiten zu leisten haben. Eine individuelle Lösung sollte angestrebt werden. Langfristig aber muß es zu einem Abbau der hohen Dienststundenzahlen kommen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Verteidigungsfähigkeit erfordert Wehrbereitschaft, und Wehrbereitschaft erfordert Wehrgerechtigkeit.
({3})
Das neue Kriegsdienstverweigerungsrecht wird einen Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit leisten, wenn der Zivildienst im Vergleich zum Grundwehrdienst angemessen ausgestaltet und wenn vor allem durch die Heranziehung aller Kriegsdienstverweigerer zum Ersatzdienst ein Riegel vorgeschoben wird, dem Dienst zu entgehen.
Die wieder in die Diskussion eingeführte Wehrausgleichsabgabe für Nichtdienende halte ich für
eine weitere Möglichkeit, mehr Wehrgerechtigkeit zu erreichen. Dieser Vorschlag wurde übrigens schon in den vergangenen Jahren wiederholt von der FDP gemacht. Dabei bin ich mir der mit einem solchen finanziellen Wehrausgleich verbundenen Probleme durchaus bewußt.
Wir brauchen eine noch stärkere Integration von Bundeswehr und Gesellschaft. Die Wehrpflicht als das legitime Kind der Demokratie braucht noch mehr Anerkennung in der Bevölkerung.
({4})
Wir brauchen zur Stärkung der Motivation der Soldaten, vor allem der Wehrpflichtigen, für ihren Dienst aber auch noch eine Verbesserung der Mitverantwortung und Mitwirkung bei der Dienstgestaltung.
Das Kapitel Forschung und Entwicklung erfährt einen überproportionalen Anstieg von fast 10 %. Dies war bereits von Minister Apel vorgesehen. Dies war angesichts der beachtlichen Kürzungen in den Vorjahren aber auch dringend geboten. Neue Waffensysteme werden in den kommenden Jahren nicht in demselben Maße eingeführt werden können wie in den letzten Jahren. Um so notwendiger wird es sein, das Augenmerk auf die Waffenkomponenten, auf die Peripheriegeräte und auf die Weiterentwicklung von Waffensystemen zu lenken und dabei den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt nutzbar zu machen. Dem wird in Zukunft steigende Bedeutung zukommen.
Lassen Sie mich auch einmal darauf hinweisen, daß auch die Bundeswehr ihren Beitrag zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit leistet, indem sie 2 700 Arbeitsplätze über ihren Eigenbedarf hinaus anbietet. Ich bitte den Verteidigungsminister, hier nach zusätzlichen Möglichkeiten zu suchen.
({5})
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Wiedereingliederung der Zeitsoldaten in den Zivilberuf, was bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage nicht ganz einfach ist. Wir werden aber nur dann ausreichend viele qualifizierte Zeitsoldaten bekommen, wenn der Übergang in den Zivilberuf gesichert ist.
({6})
Der Riesenapparat Bundeswehr im allgemeinen und das Verteidigungsministerium im besonderen, vor allem der Rüstungsbereich, bedürfen einer organisatorischen Durchforstung. Ich hoffe, daß die Erkenntnisse der Emcke-Kommission nutzbar gemacht werden, auch wenn die Institution Controller nicht weiterverfolgt werden soll. Die FDP hält in diesem Zusammenhang eine Stärkung der Stellung des Generalinspekteurs nach wie vor für erforderlich.
({7})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik kommt ihrer Verpflichtung aus dem NATO-Bündnis voll und ganz nach. Die NATO-Mitgliedschaft ist aber auch für unsere Sicherheit unabdingbar. Nur im Rahmen des Bündnisses ist eine glaubwürdige Abschreckung gegeben.
({8})
Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe durchaus Verständnis für politische Symbolik; aber wenn die SPD ausgerechnet das Kapitel „NATO-Beitrag" ablehnt, so entlarvt sie damit ihre Einstellung gegenüber dem Bündnis.
({9})
Dieses Kapitel wurde schließlich unverändert aus dem Haushaltsentwurf von Minister Apel übernommen.
({10})
Die SPD kann die Ablehnung des Verteidigungshaushalts nicht sachlich begründen, da er nur geringfügig gegenüber dem Entwurf der alten Koalition verändert wurde. Was die SPD damit „symbolisch" zum Ausdruck bringen will, ist nichts anderes als ein billiges Anbiedern an die sogenannte Friedensbewegung, die Grünen und Alternativen als ihre Wunschpartner.
({11})
So sind auch die Kürzungsvorschläge zu verstehen.
Meine Damen und Herren, die FDP steht zur Bundeswehr und zum Bündnis. Die Erhaltung des Friedens kann es nicht umsonst geben, die Erhaltung des Friedens muß uns etwas wert sein. Der Dienst in der Bundeswehr ist Friedensdienst, und niemand braucht dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.
({12})
Im Gegenteil, den Angehörigen der Bundeswehr, den Soldaten und den Zivilbediensteten, gebührt unser aller Dank, und in diesen Dank schließe ich auch die Familien ein.
Der Haushalt des Bundesministers der Verteidigung erfüllt nicht alle unsere Wünsche; er muß aber im Zusammenhang mit dem Gesamthaushalt und der Finanzlage gesehen werden. Die FDP-Fraktion stimmt diesem Hauhalt deshalb zu.
({13})
Ich erteile dem Abgeordneten Meinike das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals nach 20 Jahren wird die SPD-Bundestagsfraktion dem Verteidigungshaushalt ihre Zustimmung verweigern, eine unmißverständliche Antwort auf das, was gemeinhin hier in Bonn als die Wende in der Bundesrepublik umschrieben worden ist. In der bisherigen Aussprache wurde die Ablehnung durch meine Fraktion schon eingehend begründet, vor allem was unser Mißtrauen gegen die Bundesregierung betrifft.
Meinike ({0})
Jahrelang haben CDU/CSU alles darangesetzt, die auf dem Konzept der Entspannung beruhende SPD-Sicherheitspolitik zu torpedieren. Wenn meine persönlichen Vorstellungen und die mancher Kollegen aus der Fraktion über den Weg zu Frieden und Abrüstung auch anders als die der meisten meiner Fraktionskollegen sind, so darf und muß an dieser Stelle dennoch gesagt werden: Es gehört zur SPD-Tradition und zum Selbstverständnis, daß sie nie auf seiten derer gestanden hat, die für Kriege verantwortlich waren.
({1})
So bleibt es unser Ziel, Kriege zu verhindern und Bedingungen zu schaffen, die einen dauerhaften Frieden erst ermöglichen.
Das Schicksal der Menschen wird davon abhängen, ob wir die Aufrüstung zu stoppen vermögen und in der Lage sind, wirksame Abrüstung einzuleiten.
({2})
Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmung hat es in der SPD gerade zu diesen Fragen - das ist unbestritten - immer leidenschaftliche Diskussionen und Debatten gegeben. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, daß das nicht gegen, sondern für die SPD spricht;
({3})
denn wer in dieser Frage Uniformität zeigt, der übersieht die Anliegen der Gesamtbevölkerung und kann sie nicht aufnehmen.
({4})
Wir sollen heute wie in all den früheren Jahren darüber befinden, ob wir durch eine weitere Aufstockung des Wehretats die Voraussetzung für Abrüstung und friedliches Nebeneinander der Blöcke schaffen. Ich sage: Der Automatismus dieser unseligen Politik, die den Anspruch auf eine möglichst absolut zuverlässige Verteidigung erhebt und praktisch auf eine Überlegenheit abzielt, hat bisher nur bewirkt, den Frieden in der Welt unsicherer zu machen.
({5})
- Ich bitte zuzuhören. Aus diesem Grunde werden ich und einige Kollegen der SPD-Fraktion, die am 26. Mai 1981 gegen den ,,NATO-Doppelbeschluß-Entschließungsantrag" im Parlament gestimmt haben, den Einzelplan 14 ablehnen, nicht nur wegen der Höhe des Ansatzes, vielmehr weil wir uns generell gegen diese Politik wehren.
({6})
Im Abstimmungsverhalten werden sich Sozialdemokraten hier heute geschlossen zeigen. Was
mich und meine Kollgen unterscheidet, ist die zusätzliche Begründung, die ich Ihnen jetzt vortragen möchte.
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Demonstranten am 10. Oktober 1981 und am 10. Juni 1982 haben uns und auch Sie eindrucksvoll aufgefordert, hier und jetzt abzurüsten und, falls nötig, auch einen ersten Schritt dazu zu tun. Sie von der CDU/CSU hatten in diesem Zusammenhang damals noch in einem Antrag geschrieben, die Demonstrationen richteten sich gegen die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik.
({8})
Das ist auch eine dieser Worthülsen, die so wütend
machen können, als ob sich Demonstranten in aller
Welt etwas anderes wünschten als eben Sicherheit.
({9})
- Wie aber kann man sich sicher fühlen, Herr Kollege Haase, wenn wir unser Land mit schrecklichen Waffen vollstopfen und uns damit erst zur Zielscheibe machen? Wie kann sich der sicher fühlen, der auf dem Pulverfaß sitzt?
({10})
Jede Rakete ist auch ein Magnet in Ost und West. Welche Sicherheit - besser: wessen Sicherheit - ist da eigentlich bedroht?
({11})
Als ob die Rüstung selbst nicht die größte Bedrohung darstellt!
({12})
Gelegentlich habe ich den Eindruck, als fehle in der Tat in diesem Hause vielen die nötige Einsichtsfähigkeit. Wie anders ist zu verstehen, daß demonstrativ vorgetragene Wünsche nach Sicherheit und Frieden bereits sicherheitsgefährdend sein sollen? Wer so spricht, wer so denkt, hat sich bereits unrettbar in die Irrationalität verstrickt. Wen auch immer er dabei zu vertreten glaubt, es ist nicht der Bürger draußen, es ist nicht die Bevölkerung. Und die allerorts beklagte Abkehr der Jugend von der Politik, wie wir sie betreiben, ist das Ergebnis auch unserer Versäumnisse und unseres Fehlverhaltens gerade in diesem Bereiche der Politik.
Wir alle werden akzeptieren müssen, daß sich die Menschen in zunehmendem Maße nicht mehr von uns vertreten lassen wollen. Wir werden lernen müssen, daß die Bürger ihre Interessen wieder selbst in die Hand nehmen, wenn wir dies als deren Sachverwalter nicht mehr können.
({13})
- Ich glaube, Sie haben das damals nicht nur nicht mitgemacht, Sie haben auch nicht mit verfolgt, was am 10. Oktober in Bonn gewesen ist. Wenn etwas gewaltlos und friedlich gewesen ist, in der Sache
Meinike ({14})
friedliebend, dann war es die Demo am 10. Oktober 1981 in Bonn, Herr Kollege.
({15})
Gerade vor dem Hintergrund des Verteidigungshaushaltes gilt auch: unser soziales Netz ist brüchig geworden. Bereinigen wir die Daten, so stehen wir vor über 2,5 Millionen Arbeitslosen. Unsere Arbeiter, so zeigt das jüngste Beispiel von der Saar, müssen ja nun schon dazu beitragen, die eigenen Chefs zu finanzieren, und die Mieter versorgen ihre Vermieter künftig noch besser. Andererseits müssen die Schüler und Studenten ihre Bildungschancen über Darlehen erkaufen. Wir haben vor Jahresfrist das Kindergeld gekürzt. Wir fordern Kranken finanzielle Opfer ab. Wir bitten Bedürftige zur Kasse. Wir rupfen die Leistungsgesetze und sehen tatenlos dem sich verschärfenden Elend der Drittländer zu. Und Herr Wörner ruft dann noch nach mehr Geld
- auf Pump vielleicht - für Kanonen und Panzer.
({16})
Die einzigste Idee für ein Beschäftigungsprogramm, die er heute geäußert hat, war ein Beschäftigungsprogramm für die Rüstungswirtschaft.
({17})
- Entschuldigen Sie, Herr Wörner: selbst das nicht für eine Ergänzungsgabe. Das ist, glaube ich, nicht unsere Antwort, die wir hier zu geben haben. Und da Sie auch keine Zwischenfrage zugelassen haben,
({18})
mache ich das in diesem Falle auch nicht.
({19})
- Nur bei der Kollegin und nicht bei Kollegen. ({20})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat der für Sicherheitsfragen zuständige Erste Hauptausschuß der UNO-Vollversammlung gegen die Stimmen der meisten NATO-Länder und anderer westlicher Staaten einen totalen Rüstungsstopp bei Atomwaffen gefordert. In einer zweiten Resolution rief der Ausschuß die USA und die UdSSR dazu auf, ihre Atomrüstung für fünf Jahre auf dem heutigen Stand einzufrieren. Es ist gespenstisch und grotesk zugleich. Da werden Völker durch immer mehr Rüstung in ihrer Existenz bedroht. Und da pervertieren wir jeden Gedanken an den Frieden mit steigenden Rüstungskosten und öffnen unser Land auch für vernichtende atomare Mittelstreckenwaffen.
Rüstung hat noch nie zum Frieden geführt. Rüstung hat noch immer die logische Folge, Krieg daraus entstehen zu lassen. Friedenswille kann nur ein Anfang sein. Erst seine konkrete Umsetzung kann ihn auch sichern. Das bedeutet Reduzierung der Rüstungsausgaben.
({21})
Wer sich in der Diskussion auf den Rüstungsaspekt beschränkt und Verhandlungsbereitschaft
- wie Franz Josef Strauß es formulierte - „einen Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses" nennt oder wer, wie Herr Kohl, einer Zeitung erklärte, „Verhandlungen seien kein Ersatz für angemessene nukleare Abschreckung", der handelt gegen die Interessen des eigenen Volkes. Der spricht und arbeitet nicht in dessen Namen.
Nun noch ein Wort zum NATO-Doppelbeschluß. Die Entwicklung hat, wie ich und Kollegen der Partei meinen, eindeutig gezeigt, daß es nicht zu den von der SPD gewünschten Verhandlungsergebnissen kommen kann. Wir bestreiten auch den Ernst der amerikanischen Partner, innerhalb der Genfer Abrüstungsverhandlungen
({22})
Kontrollverhandlungen mit dem Ziel führen zu wollen, auf die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in unserem Lande zu verzichten.
({23})
- Ich habe gesagt, Kollegen der SPD, die am 26. Mai 1981 in diesem Hause gegen die Doppelentschließung gestimmt haben. Es ist wohl erlaubt, auch diese Meinung heute in dieser Debatte, die nicht nur über D-Mark zu führen ist, vorzutragen.
Vielleicht wäre es dienlich, Sie zu fragen: Wie bewerten Sie die Reaktion von Herrn Reagan und der USA auf den neuen Warnke-Vorschlag? Ist das nicht im Grunde eine Konzeption, die der Gesamt-SPD entspricht: Reduzierung sowjetischer Waffen und Verzicht auf neue Mittelstreckenraketen. Das war im Grunde auch immer die Position der SPD. Da gab es nicht diese Null-Null-Lösung, die eh irritiert und die, wenn sie beibehalten wird, Genf scheitern lassen muß.
({24})
Nicht in der Notwendigkeit - ich sage das jetzt für mich -, aber in seiner Einschätzung bin ich ausnahmsweise mit Herrn Wörner einig, der - auch Sie, Herr Würzbach; ich habe das nachgelesen
- diesen Doppelbeschluß entsprechend der NATO-Entscheidung vom 19. Dezember 1979 in Brüssel interpretierte: „Die Raketen sollen her, und nebenbei verhandeln wir." Wenn das der Beschluß so sagt und Sie ihn so verfolgen, dann hoffe ich, daß nicht nur ich als Sozialdemokrat, sondern die Sozialdemokraten insgesamt zu diesem Konzept nein sagen, da das nicht die bisherige Regierungspolitik gewesen ist.
({25})
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte zum Schluß kommen!
Ich merke, daß die Redezeit sehr schnell verrinnt. Lassen Sie mich aber bitte ein paar Schlußbemerkungen machen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um zwei Minuten überschritten.
Ich habe gesagt, daß das Nein von mir und meinen Kollegen mehr als nur ein Nein zum Haushalt des Verteidigungsministers darstellt. Was bedeutet schon ein solcher Haushalt, wenn Krieg abwesend, die Kriegsgefahr nicht ausgelöscht ist, wenn die Industrienationen sich finanziell ausbluten und zwei Drittel der Menschheit hungern? Ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, machen wir endlich kehrt. Beenden wir gemeinsam den Rüstungswahnsinn. Diesen Appell möchte ich auch dem neuen Deutschen Bundestag mit auf den Weg geben; denn er wird in der lebenswichtigen Frage zu entscheiden haben, ob die Stationierung der Mittelstreckenraketen verhindert werden soll. Eine parlamentarische Mehrheit gegen die Stationierung kann es ohne die SPD nicht geben. Ich wünsche daher meiner Partei die politische Kraft, hier nein zu sagen.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Niemand verkennt den Ernst der Ausführungen des Kollegen Meinike. Ich will das, was er gesagt hat, nicht in der Ernsthaftigkeit seiner Motive anzweifeln. Aber ich fühle mich doch verpflichtet, drei Dinge hier zu sagen, und zwar nicht nur für die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, sondern hoffentlich auch für den größten Teil der SPD.
Erstens. Herr Kollege Meinike, Sie können eine solche Rede nicht halten, ohne nicht ganz deutlich dazuzusagen, daß die Bundesrepublik Deutschland niemanden bedroht.
({0})
Unsere Waffen muß nur der fürchten, der uns angreift. Wir haben auf die Anwendung von Gewalt verzichtet. Es wäre deswegen redlicher, wenn Sie den Appell an diejenigen richten würden, die bis zum heutigen Tage Gewalt und Krieg als Mittel der Politik akzeptieren. Wir tun das nicht. Das muß klar sein, Herr Kollege Meinike.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?
Nein, er hat auch keine Zwischenfragen zugelassen.
({0})
Das zweite muß genau so dazugesagt werden: Warum, Herr Kollege Meinike, reden Sie von den Raketen des Westens, die es noch nicht gibt, und nicht von denen der Sowjetunion, die bis jetzt auf uns gerichtet sind?
({1})
Ich sage als drittes und letztes hinzu - ich habe das schon einmal deutlich gemacht -: Wir wollen keine neuen Raketen. Wir wollen, daß die Sowjetunion ihre vorgerüsteten Raketen abbaut. Sie täten uns, der Abrüstung und unserem Volk den größten Gefallen, wenn Sie deswegen mit uns für die NullLösung eintreten würden.
({2})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zum Verteidigungsminister Dr. Wörner. Was Sie hier eben geboten haben, war schlicht und einfach semantischer Brei. Wenn Sie den Kollegen Meinike fragen, warum er nicht von den Raketen der Sowjetunion redet, die auf uns gerichtet sind: Wissen Sie nicht, daß seit 20 Jahren Raketen auch fast der gleichen Qualität auf uns gerichtet waren? Nur: Sie nennen das, was hier passiert, Modernisierung, und das, was dort passiert, Vorrüstung. Das nenne ich semantischen Brei und Verschleierung.
Ihnen liegt ein Änderungsantrag vom Kollegen Coppik und mir auf Streichung der im NATO-Infrastrukturprogramm vorgesehenen Mittel vor. Mit diesem Geld sollen die bereits begonnenen Baumaßnahmen für die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in amerikanischer Verfügungsgewait beschleunigt vorangetrieben und die Voraussetzungen geschaffen werden, zusätzliche amerikanische Truppen im Kriegsfall in Europa schneller einsatzbereit zu machen. Über die Erhöhung dieser Mittel hat sich der Verteidigungsminister in Washington j a bereits mit der amerikanischen Regierung abgestimmt.
Zahlreiche Äußerungen aus der Umgebung des amerikanischen Präsidenten und von Vertretern der NATO lassen keinen Zweifel daran, daß die US-Regierung fest entschlossen ist, mindestens die im NATO-Aufrüstungsbeschluß vom 12. Dezember 1979 genannte Zahl neuer Atomraketen in Europa zu stationieren.
Die Verhandlungsbedingungen in Genf waren von Anfang an von der US-Regierung so unangemessen hoch angesetzt, daß eine Störung der Stationierungsentscheidung durch Verhandlungsergebnisse nicht zu befürchten war. Aus amerikanischer Sicht ist das auch konsequent; denn spätestens seit dem Januar 1981, dem Amtsantritt des Präsidenten Reagan, gibt es eine neue amerikanische Nuklearstrategie. Sie will den Atomkrieg nicht
mehr nur verhindern, sondern ihn bis zu sechs Monaten führen und als Sieger beenden.
Der amerikanische Vizepräsident George Bush hat dazu schon 1980 gesagt - ich zitiere -:
({0})
Das ist für den sinnlos, der glaubt, daß es bei einem Atomkrieg keinen Sieger gibt. Meine Meinung ist das nicht. Wenn die militärische Kommandozentrale, ein bestimmtes Industriepotential und die Zivilbevölkerung zu einem gewissen Prozentsatz überlebt und wenn man mehr Schaden anrichten kann bei seinem Gegner als er bei uns, dann gibt es auch einen Sieger.
In dieser Kriegführungsstrategie spielt der begrenzte Atomkrieg eine zentrale Rolle. Der Gegner soll möglichst fern von den USA auf dem potentiellen Schlachtfeld Europa herausgefordert werden. Eines der militärischen Instrumente dazu sind die Pershing II und die Cruise missiles.
Herr Colin S. Gray, heute Berater des Präsidenten Reagan, dazu:
Im Kontext eines Atomkrieges über die Sowjetregierung zu sprechen, heißt, über einen bestimmten Zielkatalog sprechen. Nehmen wir an, es handelt sich um 100 Ziele. Wenn wir alle diese 100 Ziele treffen könnten, würden wir jedes Mitglied des Politbüros erwischen, jedes Mitglied des Zentralkomitees. Wir würden alle entscheidenden Bürokraten töten. Wir würden also dem sowjetischen Huhn den Kopf abschneiden.
Ergänzt wird diese Kriegführungsstrategie heute durch einen immer heißer werdenden Wirtschafts-und Handelskrieg gegen die Sowjetunion, um durch Druck von außen - so wörtlich - „innere Reformen in der Sowjetunion" zu bewirken. Das steht in einem Dokument des Nationalen Sicherheitsrates der USA.
Die Bundesregierung hat sich seit Jahren dieser agressiven Politik der USA ohne Rücksicht auf die Lebensinteressen des eigenen Volkes nicht nur unterworfen, sondern sie bemüht sich ständig, alles, was an offenen und öffentlichen Bekenntnissen aus Washington zu hören und zu lesen ist, herunterzuspielen und immer neue Beschwichtigungsargumente zu erfinden. Der Austausch der Bundesregierung ist in dieser Hinsicht nur eine Verschlechterung des Schlechten, ein Wandel vom vorauseilenden Gehorsam zu liebedienerischer Unterwürfigkeit gegenüber den USA.
Aber was die Herren Gray, Pipes, Weinberger, Bush, Rostow, Nitze - alle der Reagan-Administration zugehörig - unmißverständlich unter dem Motto „Victory is possible" von sich geben, läßt sich nun einmal nicht aus der Welt reden.
Der jüngste Beweis für die Gültigkeit der Kriegführungsdoktrin ist der geplante Rückzug des Führerhauptquartiers der US-Armee über den Ärmelkanal. Wohin soll sich eigentlich das im Stich gelassene Volk, wohin sollen sich eigentlich die potentiellen Schlachtopfer zurückziehen?
({1})
Aber trotz Beschwichtigungs- und Verschleierungspolitik Ihrer Regierung beginnt es immer mehr Menschen in Europa zu dämmern, was ihnen und ihren Kindern jeden Tag blühen kann. Sie wollen nicht länger hilflose Geiseln einer verantwortungslosen Politik sein, so z. B. die 3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, die mit dem Krefelder Appell fordern, „die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen und im Bündnis künftig eine Haltung einzunehmen, die unser Land nicht länger dem Verdacht aussetzt, Wegbereiter eines neuen, vor allem die Europäer gefährdenden nuklearen Wettrüstens sein zu wollen".
Nun hören Sie von der Rechten doch endlich auf, die Friedensbewegung als kommunistisch gesteuert und antiamerikanisch zu diffamieren! Oder seien Sie doch wenigstens konsequent
({2})
und bezichtigen auch die katholischen Bischöfe, Wissenschaftler und Bürger in der amerikanischen Freeze-Bewegung antiamerikanischer Umtriebe. Dann sind Sie bei McCarthy angekommen. Bezeichnen Sie dann doch auch die Mehrheit im Kongreß gegen MX-Raketen konsequenterweise als MoskauFraktion, wie Sie das sonst so gerne tun. Mit dieser Goebbels-Strategie werden Sie die Friedensbewegung jedenfalls nicht stoppen.
({3})
Es ist schon bedrückend zu sehen, wie sich Geschichte manchmal verhängnisvoll wiederholt.
({4}) - Bei mir ist das nur Wasser.
Die neue Rechte, die ohnehin den zwielichtigen Gestalten des „Committee on the Present Danger" im Umfeld von Präsident Reagan traditionell geistig näher steht als irgendeine andere politische Gruppierung, will in den kommenden Wochen einen Raketenwahlkampf führen.
({5})
Das hatten wir schon einmal. Schon im März 1952, als vom Totrüsten der Sowjetunion gesprochen wurde, vertraute Adenauer, auf den Sie sich j a heute so gern berufen, einem Journalisten von United Press an - wörtlich -:
Wer den Frieden will, der muß den Wettlauf mit der sowjetischen Atomrüstung veranstalten.
Und als es um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ging, lautete die Überschrift in der „New York Herold Tribune" vom 2. Mai 1958 - damals hatte Adenauer gerade seine Rede in Wipperfürth gehalten - wörtlich: „Adenauer eröffnet den Kampf für die Atomwaffen."
Damals die Verniedlichung der Atomwaffen als eine Weiterentwicklung der Artillerie; heute die
Verharmlosung neuer amerikanischer Punkt-Feuer-Raketen als Defensivwaffen, die zur Erhaltung von „Frieden und Freiheit" dienen.
Diese Gebetsmühlenformel ist allerdings damals sehr viel offener erläutert worden, nämlich im Bundestag am 25. März 1958 von dem CDU-Abgeordneten Dr. Martin. Er sagte, die eigentliche Gefahr sei nicht die Atombombe, sondern die Existenz eines totalitären Systems.
({6})
Und jetzt kommt es: Die physische Vernichtung - ich weiß nicht, ob Sie dann auch noch nicken - sei leichter zu ertragen als die geistige Auslöschung. - Eine moralisch-theologische Rechtfertigung des gerechten Atomkriegs, was sonst! Die Christdemokraten sind auf dem Weg in die 50er Jahre also schon angekommen.
Das kann man von der SPD allerdings nicht sagen. Obwohl sie der Friedensbewegung - von Teilen, die vorher schon drin waren, einmal abgesehen - mit hängender Zunge hinterherläuft, ist der Wandel durch Annäherung an diese Friedensbewegung noch nicht so weit gediehen, daß damit neue Wählerstimmen zu gewinnen wären.
Damals, als es um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ging, hat die SPD viele von ihr regierte Gemeinden durch Ratsbeschlüsse zu „atomwaffenfreien Zonen" erklären lassen. Am 13. Mai 1958 hat die SPD-geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Landtag ausgeführt:
Eine verantwortungsbewußte Landesregierung muß unter allen Umständen bestrebt sein, jeder zusätzlichen Erhöhung der Gefahren entgegenzuwirken. Eine solche zusätzliche Erhöhung der Gefahren für unser Land würde aber eintreten, wenn in Nordrhein-Westfalen atomare Waffen und Raketen stationiert würden. Dadurch würden strategisch bedeutende Ziele geschaffen, die den Einsatz relativ schwerer Atomwaffen gegen unser Land als sicher erscheinen lassen.
Heute aber verbietet die SPD-Alleinregierung in Nordrhein-Westfalen den Gemeinden, sich zu atomwaffenfreien Zonen zu erklären - unter Berufung auf die Gemeindeordnung, z. B. in Marl. Das hatte damals die CDU in dieser Diskussion getan.
Heute ist die Bundesrepublik dank der jahrelangen Mitwirkung der SPD mit atomaren Angriffswaffen und mit chemischen Waffen vollgestopft. Und heute hält die SPD wider besseres Wissen an der falschen Begründung für die Stationierung neuer amerikanischer Atomraketen fest. Es gibt zwar heute Streichungsanträge zum Verteidigungsetat. Aber auf eine namentliche Abstimmung haben Sie verzichtet, weil einige von Ihnen - so der ehemalige Verteidigungsminister Leber - konsequenterweise gesagt haben: Ich kann doch nach acht Wochen nicht ablehnen, wofür ich vor acht Wochen noch war. Sehr beachtlich. Ich finde das ja konsequent. Andere kriegen die Kurve da sehr viel schneller.
Heute wehren sich auch immer mehr Menschen gegen den NATO-Aufrüstungsbeschluß. Denn sie wollen keine falschen Begründungen in neuer Wahlkampfverpackung, sondern sie wollen eine neue Politik, eine andere Politik.
Und wir demokratischen Sozialisten fordern mit diesen Menschen: sofortige Einstellung der Stationierungsvorbereitungen - deshalb unser Änderungsantrag -, Abzug und Vernichtung der chemischen Waffen vom Boden der Bundesrepublik und vor allen Dingen eine aktive Politik für eine von ABC-waffenfreie Zone in Europa.
({7})
Wer die Unterwerfungspolitik gegenüber den USA weiter fortsetzt, schadet den Lebensinteressen des eigenen Volkes. Er stört den inneren Frieden und wird sich an Eskalationen mitschuldig machen, wenn eines Tages einige von den Menschen, die Angst vor dem haben, was hier passiert, die die Gehörlosigkeit der Politiker leid sind und die eben nicht alte Argumente in neuer Verpackung hören wollen, hingehen und selbst nachsehen wollen, welche Gefahren ihnen von den hier lagernden und den in Aufstellung begriffenen atomaren und chemischen Waffen drohen.
({8})
In den letzten Sätzen muß ich noch einmal auf die schnelle Wende des Kollegen Voigt eingehen, der sich jetzt ja auch - vor allen anderen - so vehement für die Offenlegung der Stationierungsorte ins Zeug legt. Vor einigen Tagen hat der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach der neuen Rechtskoalition auf eine Frage in der Fragestunde hier im Bundestag erklärt, daß aus allen Parteien Einzelpersonen über diese Stationierungsorte bereits informiert seien. Kollege Voigt, machen Sie dann hier keine deklamatorischen Äußerungen mehr. Erkundigen Sie sich bei diesen Einzelpersonen, und erklären Sie den Menschen draußen, die an diesen Stationierungsorten wohnen, welche Gefahren ihnen drohen. Das wäre ehrlicher.
({9})
Weil das so ist, möchte ich Sie bitten, die Sie andere Streichungsanträge angenommen haben, auch dem Streichungsantrag betreffend die Mittel für das NATO-Infrastrukturprogramm zuzustimmen, damit keine festen, unumstößlichen Fakten geschaffen werden und die Stationierungsvorbereitungen für die Aufstellung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen gestoppt werden. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile dem Abgeordneten Kolbow das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen drei Wortmeldungen, einschließlich derjenigen der Bundesregierung, darf ich hier zunächst einleitend bemerken, daß wohl überwiegend im Hause Einigkeit darüber besteht,
daß es eine sowjetische Bedrohung gibt und es deshalb zu verhandeln gilt, um nicht stationieren zu müssen. Das ist im übrigen - das möchte ich Ihnen noch einmal sagen, Herr Bundesverteidigungsminister - Beschlußlage der SPD von München. Wir sind eben die Partei der Verhandlungen. Wir halten Verhandlungen nicht für erfolglos, bevor sie beendet sind. Es ist bei uns auch guter Ton, daß diejenigen, die eine abweichende Begründung bei gleichem Votum zu diesem Einzelplan darlegen wollen, zu Wort kommen können. Dies gilt insbesondere auch für einen Kollegen, der das letzte Mal aus seiner politischen Situation heraus hier in diesem Hause gesprochen hat.
Ich selbst möchte zum Ende der Debatte über den Einzelplan 14 zur Verteidigungspolitik der sozialdemokratischen Fraktion noch einmal das Wort nehmen und in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit, nachdem meine Vorredner aus dem Verteidigungsausschuß zu Einzelfragen des Haushalts Stellung genommen haben, die Frage der Glaubwürdigkeit der Verteidigungspolitik der neuen Regierung ansprechen. Ich tue dies im Vergleich der Reden der Kollegen der CDU/CSU in der Opposition zu ihrem heutigen Handeln in Regierungsverantwortung. Der Minister sagte vorhin: versprochen - gehalten! Die Bilanz sieht anders aus. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander.
Wie soll denn, so frage ich, Vertrauen in die Politik gerade auf dem verteidigungspolitischen Gebiet insbesondere bei unseren Soldaten geschaffen werden, wenn die Unionsparteien und ihre Sicherheitspolitiker, an der Spitze Herr Wörner, Herr Würzbach und auch Herr Biehle, in der Opposition alles schwarz, schwärzer und am schwärzesten - das liegt ihnen - malten, wesentlich mehr Geld für die Bundeswehr verlangten und kaum, daß sie in der Regierung angelangt waren, nichts anderes oder nur unwesentlich anderes machten als die Sozialdemokraten? Meine Damen und Herren, entweder haben die Kollegen der Union in ihrer Oppositionszeit - zugegebenermaßen ohne Verantwortung - verantwortungslos gehandelt, oder sie sind sich jetzt ihrer Regierungsverantwortung bewußt und das, was sozialdemokratische Verteidigungsminister in der sozialliberalen Koalition getan haben, war richtig. Warum, so frage ich, war zu Oppositionszeiten, meine Damen und Herren auf der Rechten dieses Hauses, Ihr Protest gegen Kürzungen im sozialen Bereich durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz, die sicherlich schmerzlich genug waren, vorhanden, wenn Sie jetzt in der Regierung nichts anderes machen? Warum bleibt es beim Wegfall der Sparförderung der Wehrpflichtigen, wenn Sie sich in der Opposition so sehr darüber empörten?
({0})
Warum bleibt es bei der weiteren Senkung der Beitragsbemessungsgrundlage für die Beitragszahlung
des Bundes zur Rentenversicherung bei Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden, wenn Sie in der Opposition so sehr dagegen waren?
({1})
Warum das Beklagen des Fehls von Ausbildern in der Truppe, wenn Ihnen zur Beseitigung nichts einfällt, Herr Minister? Was Sie heute zu dieser beklagenswerten Situation vorgetragen haben, war kein durchgreifender Lösungsvorschlag.
Warum Ihre früheren Forderungen nach Lösungen für die Dienstzeitbelastung der Soldaten, des Ausgleichs für Spitzendienstzeiten und der Dienstzeitregelung, wenn Sie jetzt keine umfassenderen Lösungsvorschläge in der Regierungsverantwortung auf den Tisch legen können?
Haben Sie in der Opposition geschlafen? Jetzt merken Sie - ich nehme das auf, was Sie täglich spüren, Herr Kollege Würzbach -: Fordern allein genügt nicht; man muß auch bezahlen können. Wie unglaubwürdig müssen Sie in der Opposition gewesen sein, wenn Sie all das, was Sie damals wollten, jetzt nicht oder nur unzureichend einer Lösung zuführen können, wenn Sie auf der Rechten des Hauses die ausgabenwirksamen Gesetze der letzten Legislaturperioden mit beschlossen haben?
Herr Minister, im Verteidigungsausschuß - vielleicht hören Sie mir freundlicherweise zu; das Parlament hat Anspruch auf Ihr Ohr - haben Sie sich - ich zitiere Sie wörtlich - als „Fanatiker des Konkreten" bezeichnet. Abgesehen davon, daß ich auf dem Stuhl des Verteidigungsministers keinen Fanatiker sitzen haben möchte, sondern lieber einen überzeugten Anhänger für alle Sorgen, Nöte und Probleme unserer Soldaten, stellt sich dann nicht doch die Frage, Herr Minister, wo Ihre konkreten Antworten auf das sind, was Sie gerade in Ihrer Person in der Opposition stets gefordert haben und nun in der Regierungsverantwortung nicht leisten können?
Obwohl Sie einer Übergangsregierung angehören
- das konzediere ich Ihnen -, kann man von Ihnen verlangen, daß Sie zumindest Akzente setzen, die Sie in der Opposition verlangt haben. Aber wie ist die Wirklichkeit?
({2})
- Ich würde mich freuen, Herr Kollege Würzbach, wenn es so wäre.
({3})
Der Kollege Neumann hat die Einzelheiten dargestellt. Ich darf noch einmal den Rahmen aufzeigen und ihn mit Ihren Absichten verbinden.
({4})
Das Volumen des Einzelhaushalts 14, das um 100 Millionen DM unter dem Entwurf der Vorgängerregierung liegt, schafft lediglich 1 000 zusätzliche Stellen für Zeitsoldaten. Wir sprachen davon. Es sieht 350 Stellenhebungen für Offiziere und Feldwebel vor, die aber aus Mannschaftsstellen genommen werden, und setzt zusätzlich 35 Millionen DM für den Spitzendienstzeitausgleich fest. Das sind alles
Dinge, die Unterstützung verdienen, die aber ein Tropfen auf den heißen Stein sind und Kürzungen bei der Beschaffung von Munition und Ausrüstung nach sich ziehen.
Wir haben Sie im Verteidigungsausschuß darauf hingewiesen, daß Sie Erwartungshaltungen wecken und damit wohl auf den 6. März setzen; denn Sie wissen, Herr Minister, daß Panzer, Schiffe und Flugzeuge nicht wählen, aber die Soldaten und ihre Angehörigen. Wer aber in der Opposition so geredet hat, wie er in der Regierungsverantwortung nicht handelt, was macht der nach dem Wahltag?
({5})
Schrauben Sie dann das, was Sie geringfügig im sozialen Bereich haben leisten können, zurück? Dazu kam bisher keine Antwort, meine Damen und Herren, und inbesondere auch nicht von Ihnen, Herr Dr. Wörner.
Steht nicht zu befürchten, daß Sie sich wieder in Ihre Oppositionsauffassung hineinbewegen und dann, weil die Wahlen vorbei sind, Ihre Umschichtungen vom sozialen Bereich, vom Menschen weg stattfinden werden? Wie lange dauert Ihre Kreidezeit, Herr Dr. Wörner?
Meine Damen und Herren, das sind Fragen über Fragen, die sich aus dem Widerspruch zwischen früheren Aussagen und Forderungen und dem jetzigen Verhalten ergeben. Dies ist, wie ich eingangs sagte, nicht nur die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses Ministers, sondern auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Regierung, und es ist auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Politik auf einem ganz besonders sensiblen Gebiet.
Wer wie Herr Dr. Wörner als Spitzenkandidat der Südwest-CDU meint, unser Volk lechze in Wirklichkeit nach Führung, der muß auch sagen, wie er sich in seinem Verantwortungsbereich Führung vorstellt. Er muß sagen, was gilt, und nicht taktieren. Aber, wie gesagt, Anspruch und Wirklichkeit sind Ihr Problem. „Versprochen - gehalten"? Ich meine: nein.
Wir Sozialdemokraten glauben, daß Soldaten und Bedienstete der Bundeswehr hinsichtlich der Ausgestaltung des Dienstes und seiner materiellen Rahmenbedingungen nicht schlechter behandelt werden dürfen als andere Bereiche des öffentlichen Dienstes. Die akuten Probleme auf diesem Gebiet habe ich genannt. Sie sind uns allen bekannt. Nur, die neue Regierung hat kein durchgreifendes Konzept, wie sie es in der Opposition immer versprochen hatte.
({6})
Angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage - das haben Sozialdemokraten immer gesagt - werden wir sie nicht schnell lösen können. Wir lehnen deshalb auch jegliche Versprechungen ab. Zudem glauben wir, daß die Möglichkeit des vorhandenen Geräts voll genutzt werden muß, bevor jeweils die modernsten und teuersten neuen Geräte angeschafft werden.
Die Investitionen im Waffenbereich sollten weder im sozialen Gebiet noch im Bildungsbereich noch stärker zu Lasten der Attraktivität des Soldatenberufes gehen. Die neue Regierung und der neue Bundesverteidigungsminister haben in diesem Zusammenhang keine Wege für die Zukunft aufgezeigt. Das gleiche gilt hinsichtlich der personellen Zukunft der Bundeswehr. Deshalb hat dieser Minister nicht das Vertrauen der SPD-Bundestagsfraktion - im Gegensatz zur Bundeswehr. Das dokumentieren wir durch die Ablehnung des Einzelplanes 14. Der Dank der Sozialdemokraten aber gilt allen Soldaten und Bediensteten unserer Streitkräfte für ihren schweren und verantwortungsvollen Dienst. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Im Rahmen der gemeinsamen Beratung gehen wir jetzt zur Aussprache über den Einzelplan 23 über. Das Wort hat der Abgeordnete Schluckebier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gilt, was für den gesamten Bundeshaushalt 1983 zutrifft. Nach der langen und intensiven Kampagne der CDU/CSU, daß der Haushaltsentwurf der alten Bundesregierung vom 8. Juli 1982 völlig unbrauchbar sei, legt die neue Regierung diesmal für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit einen Haushaltsentwurf vor, der dem alten fast aufs Haar gleicht. Was geändert worden ist, drückt sich in Kürzungen und regionalen Umschichtungen beim Baransatz aus, deren politische Bewertung höchst interessant ist.
Ich möchte allerdings auf einen gravierenden Einschnitt hinweisen: Bei den Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 sind praktisch 600 Millionen DM gestrichen worden. Das ist unseres Erachtens ein ernster Vorgang, der zu den größten Besorgnissen um die finanzielle Zukunft der öffentlichen Entwicklungshilfe berechtigt. Es offenbart sich immer klarer, daß hier anscheinend der Boden für eine Reduzierung unserer Entwicklungshilfe auf längere Sicht vorbereitet werden soll.
({0})
Jeder kann sich erinnern: Anfang November dieses Jahres trat der neue Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Jürgen Warnke, mit dramatischer Geste vor die deutsche Öffentlichkeit und präsentierte eine Finanzierungslücke in seinem Haushalt für 1983 von mehreren Hundert Millionen DM. Es bestünden offene finanzwirksame Verpflichtungen der Bundesregierung gegenüber den Entwicklungsländern in Höhe von rund 27 Milliarden DM. Das müsse - so der Minister - durch massive Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen der kommenden Jahre aufgefangen werden. Im Bundestag danach gefragt, hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Kollege Dr. Köhler, erst einmal die sogenannte Haushaltslücke auf 742 Millionen DM beziffert. Er mußte
aber gleich anschließend zugeben, daß es sich dabei um übliche Haushaltsrisiken handelt, die durchaus im Rahmen des Bestehenden zu überbrücken sind. Es ist ja auch klar, bei der Langfristigkeit der entwicklungspolitischen Maßnahmen, die - wie wir wissen -, nicht selten über ein Jahrzehnt laufen, muß einfach mit Unsicherheiten beim Mittelabfluß gerechnet werden. Wetterbedingte Verzögerungen oder Beschleunigungen, Personalprobleme, politische Veränderungen, Preissteigerungen, Wechselkursschwankungen und vieles andere mehr tragen das ihre dazu bei, daß die Entwicklungszusammenarbeit nicht bis ins letzte Detail planbar ist. Dies sind die Haushaltsrisiken, mit denen jeder Entwicklungshilfeminister leben muß, und zwar sind sie bei ihm wohl weitaus größer als in jedem anderen Ministerium.
({1})
Herr Köhler mußte dies auch in der oben genannten Fragestunde bestätigen, als er gefragt wurde, ob nun die für 1983 vorgesehenen Mittel für die Entwicklungshilfe ausreichten oder nicht. Er sagte: „Sie wissen sehr genau, daß die Beantwortung dieser Frage mit einer schlichten Antwort nicht möglich ist, sondern daß das ganz und gar von den Steuerungsmaßnahmen, davon, wie der Haushalt gefahren wird, abhängt." Und später sagte der Staatssekretär: „Ich halte solche Abweichungen" - nämlich der Barabflüsse eines Jahres vom Haushaltsansatz - „in einem bestimmten Rahmen für durchaus normal." - Er mußte sogar einräumen, daß bei den bestehenden Haushaltsplanungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die Entstehung von Haushaltsüberschüssen theoretisch denkbar ist. Sehr richtig, Herr Staatssekretär, nur: warum haben Sie das Ihrem Minister nicht schon vor Anfang November gesagt, bevor der große Presseauftritt kam? Sollte, so fragen wir, die einzige Lücke in der Entwicklungspolitik für 1983 im Wissen des Bundesministers um die Materie seines Hauses bestehen?
Deshalb fällt auch der Vorwurf in sich zusammen, daß die sogenannte Pipeline mit 27 Milliarden DM überfüllt sei und dem neuen Bundesminister die Handlungsfreiheit einschränke. Die Pipeline ist, wie schon gesagt, die Summe aller eingegangenen, aber noch nicht voll eingelösten Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit gegenüber Entwicklungsländern eingegangen ist. Belegt sie diese vom Parlament erteilten Verpflichtungsermächtigungen in dem entsprechenden Haushaltsjahr mit Vereinbarungen über konkrete Projekte zu konkreten Kosten, so ist es klar, ist uns jedenfalls immer klar gewesen, daß nicht alles Geld, das für das Projekt vorgesehen ist, sofort abfließen kann. Man rechnet in den verschiedenen Sparten der Entwicklungshilfe - auch dieses wissen wir - mit verschiedenen Abflußgeschwindigkeiten. Bei der Soforthilfe im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit geht es am schnellsten, oft bereits im Jahr der Zusagen. Bei projektgebundener finanzieller Zusammenarbeit und technischer Zusammenarbeit dauert es am längsten. Oder müssen wir unterstellen, daß dem neuen Minister die bisherige Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik grundsätzlich nicht gefällt, er sie verändern möchte, aber durch die bisher eingegangenen Verpflichtungen keine Möglichkeiten sieht, dieses schnell und radikal zu tun?
({2})
Nun kommt das Schönste. Überrascht von dem Finanztheater des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit waren aber auch z. B. die Fachleute im Bundesministerium der Finanzen. Ich entnehme einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau" am vergangenen Freitag, 10. Dezember 1982, daß dort Bundesminister Warnke nicht gerade auf Zustimmung gestoßen ist. „Diese Ausführungen können nicht nachvollzogen werden", heißt es in einem Vermerk an den Ministerkollegen Stoltenberg, und im Finanzministerium wurde richtiggestellt, klipp und klar, daß es in dem Einzelplan 23 keine Fehlbeträge und keine Lücken gibt.
({3})
Nachdem diese Seifenblasen also geplatzt sind, schauen wir uns einmal den Haushaltsentwurf genauer an. Er ist in den Einzelpositionen fast unverändert aus dem alten Haushaltsentwurf übernommen worden. Interessant ist, daß auch bei den Verpflichtungsermächtigungen in diesen Einzelbereichen fast nichts verändert wurde. Es würde uns freuen, wenn sich die Erkenntnis im Ministerium durchgesetzt hätte, daß die bisherige deutsche Entwicklungspolitik optimal gestaltet wurde und von der Fachwelt als vorbildlich anerkannt ist und daß danach eben nicht anders zu handeln war.
Bedeutsamer sind allerdings schon die Bewegungen bei der projektgebundenen bilateralen Hilfe und der Soforthilfe. Hier wird nicht nur der Baransatz um 35 Millionen DM gekürzt - das ließe sich trotz aller Widersprüchlichkeit verschmerzen -, besorgniserregender ist die Kürzung, ich habe schon darauf hingewiesen, der Verpflichtungsermächtigungen bei der finanziellen Zusammenarbeit und der technischen Zusammenarbeit um insgesamt 600 Millionen DM gegenüber dem Ansatz der sozialliberalen Bundesregierung.
Von diesen Kürzungen werden alleine zehn der ärmsten Entwicklungsländer und dreizehn der von den weltwirtschaftlichen Veränderungen am härtesten betroffenen Entwicklungsländer berührt. Wir sehen darin eine bedenkliche Abkehr von der auch von Ihnen mitgetragenen Forderung des Deutschen Bundestages vom 5. März 1982, Entwicklungshilfe auf ärmste Länder und Bevölkerungsschichten zu konzentrieren.
Ihnen, meine Damen und Herren, liegt ein Entschließungsantrag meiner Fraktion vor, mit dem versucht werden soll, wenigstens die schlimmsten Auswüchse zu verhindern. Wenn denn schon gekürzt werden muß, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, so doch nicht ausgerechnet bei den Armsten, sondern dann allenthalben bei den Schwellenländern und bei solchen Staaten, die
durch ihre hohen Rüstungsaufwendungen auffallen.
Wir wollen eine ernsthafte Entwicklungspolitik von der hohen Qualität, wie sie bisher bestanden hat. Wir wollen, Herr Minister, keine Entwicklungshilfe, die politisches Wohlverhalten verlangt.
({4})
Wir erwarten vom zuständigen Minister, daß er endlich lernt, wie Entwicklungshilfe abgewickelt wird. Allerdings ist der großen Sache durch das Gerede der letzten Wochen über Finanzierungslücken in der deutschen Entwicklungspolitik großer Schaden zugefügt worden. Wer dies zu verantworten hat, meine Damen und Herren, kann nicht unser Vertrauen haben. - Ich darf mich bedanken.
({5})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schröder ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als sich der Amtswechsel in der Funktion des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit vollzog, erhielten wir einen Kommentar von einem entwicklungspolitischen Fachinformationsdienst, der gemeinhin, jedenfalls bis zu dem Tage, unverdächtig war, der Union politisch in irgendeiner Weise nahezustehen.
({0})
Ich darf aus dem Kommentar dieses Informationsdienstes ein paar Zeilen zitieren - es hieß dort wörtlich -:
Mit der Amtsübergabe von Bundesminister Rainer Offergeld an seinen Nachfolger Dr. Jürgen Warnke ging wahrlich kein glanzvoller Zeitabschnitt deutscher Entwicklungspolitik zu Ende.
({1})
Das Erbe, das ihm
- nämlich Jürgen Warnke Rainer Offergeld hinterlassen hat, gibt kaum Hoffnung, bereits in wenigen Monaten etwas zu bewirken. Zu häufig und an zu vielen Stellen des BMZ-Zuständigkeitsbereiches wurde in den letzten Jahren nur noch verwaltet. Im BMZ lief schon lange nichts mehr.
Meine Damen und Herren, an anderer Stelle dieser Meldung des entwicklungspolitischen Informationsdienstes hieß es dann weiter:
Jürgen Warnke hat das Erbe in einem Ministerium angetreten, um das es nicht besonders gut bestellt ist. Er wird viel Arbeit und Engagement in die Aufgabe stecken müssen, der deutschen Entwicklungspolitik den ihr gebührenden Stellenwert wieder zu verschaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Holtz?
Mit Vergnügen.
Herr Abgeordneter Holtz zu einer Zwischenfrage.
Sehr geehrter Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß der Verfasser dieser Zeilen Mitglied Ihrer Partei ist?
({0})
Herr Kollege, ein Verfasser ist hier nicht mit angegeben, insofern kann ich Ihnen nicht bestätigen, daß der Verfasser CDU-Mitglied sei. Jedenfalls werden Sie sicher nicht bestreiten können, daß der „Entwicklungspolitische Informationsdienst" in der Vergangenheit häufig dazu gedient hat, als Jubelblatt gerade für Ihre entwicklungspolitischen Intentionen herzuhalten.
({0})
In bezug auf das Thema, das der Kollege Schluckebier hier angesprochen hat, stehen auch noch ein paar bemerkenswerte Sätze in diesem Artikel, die ich zitieren darf:
Schon lange war erkennbar, daß sich im Bonner Entwicklungsministerium ein Tornado zusammenbraute,
({1})
weil sich das BMZ finanziell übernommen hatte. Oft genug hat die Opposition
- das waren wir damals noch vor den überdurchschnittlich zunehmenden Verpflichtungsermächtigungen gewarnt. Offergelds Nachfolger steht heute vor finanziellen Engpässen in der technischen wie auch in der finanziellen Zusammenarbeit, die ihre Auswirkungen haben werden.
Herr Abgeordneter Schröder, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Herr Kollege Schröder, nachdem Sie gesagt haben, Sie kennten den Verfasser nicht: Können Sie wenigstens bestätigen, daß der Herausgeber, der für den Inhalt dieses Pressedienstes Verantwortliche, Mitglied der CDU ist?
Aber, meine Damen und Herren, stellen Sie hier doch nicht immer auf einzelne Personen ab.
({0})
Es kommt doch auf den Sachverhalt an, um den es hier geht. Und damit komme ich auf den eigentlichen Sachverhalt zu sprechen.
Schröder ({1})
Meine Damen und Herren, worum geht es denn hier? Richtig ist, daß in der Vergangenheit die alte Leitung des BMZ - und Sie gehören zu den Mitverantwortlichen,
({2})
Sie sollten lieber ganz kleinlaut verschwinden, als heute noch die große Lippe aufzureißen ({3})
die Warnungen, die nicht nur von der Opposition, sondern auch von anderen Sachkundigen kamen, in den Wind geschlagen hat, nämlich die Mahnungen, sich a) mit Verpflichtungsermächtigungen nicht zu übernehmen und b) vor allen Dingen darauf zu achten, daß es eine sinnvolle und notwendige Synchronisierung zwischen Verpflichtungsermächtigungen einerseits und Abflußplanung und Baransätzen andererseits gibt, meine Damen und Herren. Das ist der eigentliche Punkt, um den es geht.
({4})
Herr Abgeordneter, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Brück zu?
Bitte schön.
Herr Abgeordneter Brück.
Herr Kollege Schröder, Sie sagten, wir sollten uns um den Sachverhalt kümmern: War das, was Sie eben aus diesem Pressedienst vorgelesen haben, Sachverhalt, oder war das Meinungsäußerung?
Herr Kollege Brück, dies war ein richtig geschilderter Sachverhalt, der zutreffend kommentiert worden ist.
({0})
Meine Damen und Herren, genau diesen Zusammenhang hat Bundesminister Warnke bei seiner Amtsübernahme vorgefunden. Ich kann nur sagen: Wir sind ihm zu Dank verpflichtet, daß er mit dem Hinweis auf dieses Problem den Versuch macht, den Haushalt für Entwicklungshilfe nunmehr auf eine realistische, d. h. finanzierbare Basis für die Zukunft zu stellen. Nur darum geht es, um nichts anderes.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn Sie in diesem Zusammenhang, wiederum auf dem Umweg eines Zeitungszitats, auf eine Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen anspielen, dann bitte ich doch, diese Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen vollständig zu zitieren. Ich darf hier, wiederum unter Bezugnahme auf diesen Kernpunkt der Dinge, um den es geht, aus dieser Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen zitieren. Dort heißt es nämlich:
Da BMF
- also der Bundesminister der Finanzen bezüglich des Mittelabflusses aus bereits bestehenden Verpflichtungen bisher
- in der Vergangenheit also stets andere Schlußfolgerungen gezogen hat als der BMZ, könnte bei der nun vom BMZ vorgenommenen anderen Einschätzung der Risiken aus der hohen Pipeline von einem Einschwenken auf unsere Betrachtungsweise
- sprich: die Betrachtungsweise des Bundesfinanzministeriums gesprochen werden. Es heißt dann weiter:
Insgesamt ist die Presseberichterstattung nützlich, soweit sie Illusionen über den Handlungsspielraum in der Entwicklungspolitik abbaut und die Einsicht in die Notwendigkeit des Abbaus der hohen Verpflichtungsermächtigungen auch für die folgenden Haushaltsjahre vermehrt.
({2})
Meine Damen und Herren, genau darum geht es.
Ich füge noch ein Drittes hinzu: Wenn der Kollege Schluckebier hier die Behauptung aufstellt, die Absenkung der Verpflichtungsermächtigung sei ein Indiz dafür, daß der neue Bundesminister und damit auch die neue Bundesregierung offensichtlich beabsichtigten, in Zukunft weniger für die Entwicklungshilfe zu tun, weniger Haushaltsmittel für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, dann kann ich nur sagen, daß das genaue Gegenteil der Fall ist.
({3})
Die neue Bundesregierung mußte sich durch eine Absenkung der Verpflichtungsermächtigung überhaupt erst einmal wieder einen haushaltspolitischen Freiraum für die vor uns liegenden Haushaltsjahre schaffen. Genau dies hat sie getan.
({4})
Aus diesem Grunde sind wir froh darüber, daß wir unabhängig von den relativ geringen Veränderungen, die in der Tat am Einzelplan 23 vollzogen wurden, nunmehr die Gewißheit haben, daß in Zukunft nicht mehr wahllos mit dem Instrument der Verpflichtungsermächtigungen hantiert wird, daß nicht mehr wahllos Versprechungen draußen in der Welt gegeben werden, sondern daß man sich im Vorwege im zuständigen und verantwortlichen Ministerium überlegt, was man zusagen und versprechen kann. Das heißt, wir danken dem Minister dafür, daß er die Entwicklungspolitik auf eine ehrliche, auf eine wahrheitsgemäße und eine den zukünftigen Haushaltsjahren gemäße Basis stellt. Dies ist meiner Meinung und unserer Auffassung nach schon immer das entscheidende Manko der Entwicklungspolitik gewesen, die Sie in den vergangenen Jahren betrieben haben. Wir sind jedenfalls froh darüber, daß Entwicklungspolitik jetzt nicht
Schröder ({5})
mehr im luftleeren Raum hohler Versprechungen betrieben wird, sondern daß das Ganze auf eine realistische, finanzierbare Basis gestellt wird.
({6})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß Minister Warnke deshalb seinem Hause nicht nur bei jedem Einzelprojekt das Gebot der Sparsamkeit verordnet hat, sondern daß er sich jetzt auch bemüht, eine logische Abstimmung zwischen Verpflichtungsermächtigungen einerseits und Abflußplanung und Baransätzen für die Zukunft andererseits herbeizuführen. Aus diesem Grunde sind wir auch mit den neuen Akzenten solidarisch, die der Minister gesetzt hat. Ich meine insbesondere die Akzente im Hinblick auf eine verstärkte Unterstützung und Berücksichtigung der privaten und privatwirtschaftlichen Initiativen.
({7})
Ich nenne hier als Beispiel nur den neu eingeführten Handwerkstitel, ich nenne die Aufstockung des Technologietransferprogramms. Ich nenne das Seniorenexpertenkorps.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch, daß wir jedenfalls den neuen Akzent der Entwicklungspolitik unterstützen, der darin besteht, Entwicklungspolitik im Sachzusammenhang mit den Fragen der Außenwirtschaftspolitik, der Außenpolitik und auch der Sicherheitspolitik zu sehen.
({8})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zu den vorgelegten Anträgen der SPD hier anfügen. Diese sind im Grunde genommen entlarvend. Da ist zunächst einmal der Antrag, der die Bundesregierung auffordert, die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador unter den jetzigen Bedingungen nicht aufzunehmen. Zunächst einmal muß ich gestehen, daß ich den Antrag insofern nicht verstehe, als im Haushaltsplan 1983 weder ein Baransatz noch eine Verpflichtungsermächtigung für El Salvador steht. Es gibt lediglich ein einstimmiges Ersuchen des Haushaltsausschusses an den Bundesminister, er möge doch prüfen, ob die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe für El Salvador möglich ist.
({9})
Immerhin hat es in diesem Land im Unterschied zu den beiden Ländern, bei denen Sie die Verpflichtungsermächtigungen erhöhen möchten, nämlich für Simbabwe und Nicaragua, schon einmal Wahlen gegeben, wenn uns auch das Ergebnis nicht sonderlich gefallen hat. Immerhin hat es dort schon einmal Wahlen gegeben.
Was Nicaragua anbelangt, so würde es mich sehr reizen, Ihnen das im Wortlaut einmal vorzulesen, was Sie heute als Stellungnahme der zur Sozialistischen Internationale gehörenden Regierungspartei des Nachbarlandes Costa Rica nachlesen können, wo unmißverständlich davon die Rede ist, wie das sandinistische Regime in Nicaragua Demokratie, Menschenrechte und die Grenzrechte der Nachbarstaaten ignoriert. Und Sie wollen uns auffordern, für einen solchen Staat auch noch die Entwicklungshilfe zu erhöhen!
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Hier wird deutlich, daß es Ihnen gar nicht um Entwicklungshilfe im Sinne einer Hilfe zur Beseitigung der Armut geht, sondern daß Sie Entwicklungshilfe in der Zukunft so vergeben wollen, wie Sie es auch in der Vergangenheit überwiegend getan haben, nämlich jeweils nach Ihnen genehmen politischen Systemen.
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Wir wollen Entwicklungshilfe so einsetzen, daß sie wirklich einen konkreten Beitrag leistet zur Beseitigung der Armut in der Welt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Trotz der Unzulänglichkeiten, die dieser Etat durch die Übernahme von der vorhergehenden Regierung noch hat, werden wir ihm zustimmen, weil wir Vertrauen zu diesem Minister haben, weil dieser Minister Garant dafür ist, daß die Entwicklungshilfe und die Entwicklungspolitik in Zukunft auf dem Boden der finanziellen Wahrheit und der politischen Klarheit stehen werden.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Entwicklungspolitik wird in der letzten Zeit wieder sehr stark mit ideologischen Komponenten versehen. Ich zweifle sehr, daß dadurch die notwendige Gemeinsamkeit, die wir alle brauchen, wenn die Entwicklungspolitik von der Bevölkerung akzeptiert werden soll, gefördert wird.
Daneben sehe ich die Frage, ob wir im entwicklungspolitischen Bereich von Kontinuität oder Neuanfang reden sollten. Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Die FDP zeigt eine ganz eindeutige Präferenz für die Kontinuität, und für mich ist der Haushalt, den wir heute verabschieden, auch der Beweis, daß die Kontinuität gewahrt wird. Als Elemente dieser Kontinuität sehe ich z. B. die Steigerungsrate des entwicklungspolitischen Haushalts mit knapp 4%, die praktisch gleich ausfällt wie in dem ursprünglich vorgelegten sozialliberalen entwicklungspolitischen Haushalt.
Ganz eindeutig ist die Entwicklungspolitik auch in der jetzigen, der CDU/CSU-FDP-Koalition ein Beitrag zur Friedenspolitik. Daraus, daß wir Entwicklungspolitik als Friedenspolitik sehen, sollten wir auch die Konsequenzen ziehen, und den Zusammenhang zwischen Abrüstungsanstrengungen und vermehrten Ausgaben für Entwicklungspolitik in aller Klarheit deutlich machen.
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Wenn ich von Kontinuität rede, ist für mich wichtig, daß die gemeinsame Entschließung vom 5. März eine entscheidende Grundlage für unsere Entwicklungspolitik bleibt, mit allen Schwerpunkten, die dort festgeschrieben sind: daß wir die Grundbedürfnisse bevorzugt bedienen wollen, daß wir den ländlichen Raum als unseren Schwerpunkt sehen und bei Projekten verstärkt Energie und Ökologie auswählen wollen.
Ich habe sehr viel Verständnis, wenn man sich Gedanken macht, wie wir bei der Bevölkerung mehr Zustimmung finden für einen Ausgabeposten von insgesamt - es gibt j a auch außerhalb des entwicklungspolitischen Bereichs noch in anderen Ministerien Titel, die der Dritten Welt zugute kommen - annähernd 7 Milliarden DM. Da ist es notwendig, daß wir als Parlamentarier uns darum bemühen, daß die Bevölkerung solche Ausgaben unterstützen kann, daß sie sie akzeptiert.
Wenn man sich Gedanken über die Frage einer Lieferbindung macht, auch über die Frage: Inwieweit schafft Entwicklungspolitik Beschäftigung in unserem Lande?, so ist das nicht unbillig. Wenn ich richtig informiert bin, gab es auch in der vergangenen Regierung in den letzten Monaten auch Überlegungen, wie wir mit der Lieferungebundenheit flexibler verfahren können. Ich gehöre nicht zu denen, die die Lieferungebundenheit aufheben und die Lieferbindung einführen wollen. Aber wenn wir hier pragmatischer verfahren und bei den Projekten darauf achten, ob deutsche Firmen mit Aufträgen bedacht werden, dann halte ich das für eine Linie, die ohne weiteres zu akzeptieren ist.
Ich habe auch viel Verständnis, wenn man sich überlegt: In welchen Ländern wirken die Mittel optimal, und welches sind die Länder, die ein Faß ohne Boden sind? Wir müssen uns darum bemühen, daß jede in der Dritten Welt eingesetzte Mark auch eine gewisse Wirkung zeigt. Bloß sollte die Auswahl wirklich effizienzorientiert und nicht ideologisch orientiert sein,
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und das ist für mich der Punkt, an dem es darum geht, daß wir die Debatte sehr offen führen. Wir wollen in der Tat nicht in ein Freund-Feind-Denken gegenüber der Dritten Welt zurückfallen; wir wollen nicht Wohlverhalten belohnen und uns möglicherweise unsympathische Handlungen von Regierungen bestrafen. Wir wollen keine Überlagerung der Nord-Süd-Problematik durch die Ost-West-Problematik.
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Dies alles ist für uns wirklich nicht akzeptabel, und insofern werden wir die Politik sehr aufmerksam verfolgen, eine Politik, die sich übrigens nicht im Baransatz erkennen läßt, sondern die sich viel stärker in den Verpflichtungsermächtigungen widerspiegelt.
Insofern ist die Diskussion über den Einzelplan 23, wenn man die Baransätze betrachtet, eigentlich ein Nachkarten bezüglich der Entwicklungspolitik, die vor fünf oder sechs Jahren betrieben wurde, denn jetzt kommen die Projekte zur
Ausführung und führen die Projekte zu Abflüssen aus unserem Haushalt, die vor fünf oder sechs Jahren beschlossen wurden.
Insofern ist es gar nicht erstaunlich, daß bei einem Haushalt wie dem Einzelplan 23 von 6,3 Milliarden DM eigentlich nur 20 oder 30 Millionen DM, also rund 0,3 % des gesamten Haushalts, politisch noch bewegbar sind. Dies alles sind „Kleinigkeiten", und mit 30 Millionen DM lassen sich keine entwicklungspolitischen Schwerpunkte setzen; da kann man nur kleine Scharmützel schlagen, etwa wenn es darum geht, ob die Kinderfibel nun weiter aufgelegt oder verändert werden soll. Dies alles sind nicht die Grundsatzentscheidungen.
Die Grundsatzentscheidungen liegen bei der Frage, wie die Verpflichtungsermächtigungen ausgefüllt werden, und da ist es in der Tat interessant, daß der jetzige Ansatz deutlich niedriger als der der vergangenen Jahre ist. Ich nehme dabei zur Kenntnis, daß in der mittelfristigen Finanzplanung Steigerungsraten angenommen wurden, die höher als die wirklichen sind. Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung jährliche Steigerungen von rund 10 % angenommen, sind aber heute nur noch in der Lage, Steigerungen von 4 % zu verwirklichen. Insofern kommt es zu einem Überhang der Verpflichtungsermächtigungen, und deswegen kann ein solches Absenken für ein Jahr akzeptiert werden.
Aber schon jetzt kritisieren wissenschaftliche Institute, daß ein so starkes Absenken langfristig die Qualität der Entwicklungspolitik gefährdet, weil die Projekte nicht langfristig genug geplant werden können. Deshalb möchte ich hier die Bitte an die Bundesregierung richten, daß dieses Absenken der Verpflichtungsermächtigungen einmalig bleibt und daß schon im nächsten Jahr wieder Ansätze gefunden werden, die dafür ausreichen, daß man Projekte seriös planen und die Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren weiterhin qualitativ gut führen kann.
Meine Damen und Herren, Haushaltsansatz und Verpflichtungsermächtigungen sind aber in der entwicklungspolitischen Landschaft nur ein Teil der wirklichen Lage. Darüber hinaus ist es meiner Ansicht nach ebenso wichtig, daß wir sehen, daß sich das Klima zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern verschlechtert. Die Leistung der OECD, d. h. die Entwicklungshilfe aller Industrienationen, ist im Anteil abgesunken. Die Weltbank- und die IDA-Mittel sind knapper, als sie es in den vergangenen Jahren waren. Der Internationale Währungsfonds hat bislang keine Antwort auf die Frage parat, wie die Zahlungsbilanzungleichgewichte beseitigt und die Verschuldungsprobleme gelöst werden sollen. All die UNCTAD-Vorschläge - gemeinsamer Fonds und Rohstoffabkommen - sind nicht von der Stelle gekommen. Viel zu wenige Länder haben bislang gezeichnet. Die Rohstoffabkommen werden teilweise auch von den Entwicklungsländern selber nicht in Gang gesetzt.
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STABEX, ein Ansatz, den wir in allen drei Fraktionen gemeinsam getragen haben, ist nicht ausreichend mit Mitteln versehen, um bei den jetzigen niedrigen Rohstoffpreisen überhaupt noch die fälligen Zahlungen abdecken zu können. Die globalen Verhandlungen waren ein Ansatz, der mit viel Hoffnung in der Dritten Welt aufgenommen wurde. Auch hier tritt alles auf der Stelle. Die Seerechtskonferenz in Jamaika war keine Offenbarung für die Entwicklungsländer. Die Energiekonferenz in Nairobi ging für die Dritte Welt enttäuschend aus. Wenn Sie die GATT-Verhandlungen verfolgt haben, dann werden Sie auch feststellen, daß für die Entwicklungsländer aus dem Beschlossenen wenig Hoffnung zu ziehen ist. Teilweise ist es deprimierend, daß die Industrienationen zwar die Maschinen gern in die Dritte Welt liefern, dann aber die Produkte, die auf diesen Maschinen erstellt werden, nicht auf ihre Märkte lassen.
Dies alles schafft ein Klima der Unzufriedenheit und Verbitterung. Deshalb möchte ich die Bundesregierung auffordern, wie in den vergangenen Jahren auf den internationalen Konferenzen mit dazu beizutragen, daß Lösungsansätze vorangetrieben werden, daß wir uns nicht zu früh hinter dem Rükken der Amerikaner verstecken, die als Nein-Sager auf solchen Konferenzen brillieren, sondern daß wir auch ab und zu den Mut haben, im Rahmen der EG initiativ zu werden, daß wir nicht nur gute Absichten haben, sondern ab und zu einmal die eine oder andere verwirklichen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich bin der Ansicht, daß der entwicklungspolitische Haushalt keinen Ansatz für eine Ideologiedebatte bietet. Ich glaube, wir sollten die Verpflichtungsermächtigungen aufmerksam weiterverfolgen. Da wird Politik gemacht. Ich habe Verständnis für die Ungeduld eines Ministers, der eine Pipeline mit 27 Milliarden vor sich sieht und der weiß, daß sich seine Initiativen, seine programmatischen Ansätze frühestens in drei, vier, fünf Jahren in konkrete Projekte umsetzen lassen.
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- Das ist Ihre Beurteilung, verehrter Kollege Bindig -. Ich habe Verständnis, daß dies eine gewisse Ungeduld hervorruft. Dennoch bin ich der Ansicht, daß wir in aller Ruhe und Sachlichkeit die alte Linie fortsetzen sollten. Die FDP wird diesen Kurs unterstützen. - Danke schön.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Sozialdemokraten hat der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgeschlossenheit vorgefunden. Wir haben eigentlich erwartet, daß Sie, Herr Minister Warnke, die so vorgefundene Entwicklungspolitik ruhig und besonnen fortsetzen würden, und zwar auf der Grundlage der entwicklungspolitischen Leitlinien der alten Bundesregierung und auf der Grundlage des gemeinsamen entwicklungspolitischen Beschlusses hier im Deutschen Bundestag vom 5. März 1982. Entgegen dem, was der Haushaltsexperte der Union hier ausgeführt hat, stelle ich für meine Fraktion fest: Sie haben ein gutes Erbe übernommen, Herr Minister.
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Wir wollen nicht, daß die Entwicklungshilfe einfach über die Welt verstreut wird. Wir wollen, daß die wirklich Bedürftigen erreicht werden. Wir sehen die fachlichen Schwerpunkte: ländliche Entwicklung, Energie, Schutz der Umwelt, Bildung und Ausbildung. Wir wollen, daß insbesondere reformorientierte Regierungen und Kräfte unterstützt werden.
Einer Ihrer erfahrenen Fraktionskollegen äußerte öffentlich die Ansicht: „Da er - der Herr Minister - nichts von der Sache versteht, wird er vorsichtig sein und entsprechend wenig Fehler machen." Aber weit gefehlt: Ohne Not sind sie vorgeprescht, haben Haushaltsdaten unnötigerweise und zu Unrecht, wie Ihnen vom Finanzministerium bescheinigt wird, dramatisiert und durch Ihre zahlreichen Interviews - so neutrale Beobachter - zumindest den Verdacht aufkommen lassen, daß sich die politisch-ideologischen Standorte in der Entwicklungspolitik verschoben haben. Bald war der Punkt erreicht, an dem uns klar wurde: Der neue CSU-Minister will eine andere Entwicklungspolitik. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenheit wird die Abkehr von wichtigen entwicklungspolitischen Eckwerten betrieben. Dagegen leisten wir Widerstand.
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Wir bedauern sehr, daß die Kontinuität in der Entwicklungspolitik der sozialliberalen Koalition abgewürgt wird. Bei diesem Urteil haben wir es uns nicht leichtgemacht. Wir hätten gern die Linie der entwicklungspolitischen Gemeinsamkeiten in vielen Fragen fortgesetzt; aber eine Fülle von Erklärungen und Positionsbestimmungen des neuen Ministers untermauert leider unsere Einschätzung. Wenn die Entwicklungspolitik auch einem Riesentanker gleicht, der nur langsam Kursänderungen vollziehen kann, so haben Sie jedoch jede Möglichkeit genutzt, neue Kurse festzulegen und Positionen zu markieren. Sogar von scheinbaren Nebensächlichkeiten machen Sie nicht halt. So wird die bewährte Kinderfibel zu den Nord-Süd-Beziehungen, die Ihnen schon als Abgeordneter ein Dorn im Auge war, zurückgenommen.
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- Ich muß in noch kürzerer Zeit reden, als mir an
sich zur Verfügung steht; ich bitte um Verständnis.
Sie haben folgenschwere Richtungsbestimmungen vorgegeben: Betonung der Ost-West-Dimension, stärkere marktwirtschaftliche Orientierung, Einführung einer Wohlverhaltenserwartung, Einschwenken auf den Reagan-Kurs, stärkeres Freund-Feind-Denken und Überbetonung deutscher Exportinteressen. Diese Richtungsbestimmungen
halten wir für gefährlich und bekämpfen sie deshalb.
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Ich möchte unsere Befürchtungen belegen, und zwar an Hand von Äußerungen des Ministers, der für dieses Ressort politisch die Verantwortung trägt.
Ost-West-Dimension: Sie sagten in der „Frankfurter Rundschau" am 3. Dezember 1982: „Eine stramme Ost-West-Ausrichtung der Entwicklungspolitik ist weder vorgesehen, noch wird sie eintreten." Ich finde: beschwichtigend, aber demaskierend. Wenn Sie sich, Herr Minister, die Ost-West-Brille aufsetzen, dann laufen Sie Gefahr, ganz schnell kurzsichtig zu werden.
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Marktwirtschaftliche Orientierung: Ebenfalls in der „Frankfurter Rundschau": „Wir werden künftig Länder, die marktwirtschaftliche Elemente haben, als Partner besonders ins Auge fassen." In einem Fernsehinterview von Ihnen hieß es gar, dies sei eine Voraussetzung für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Der Vorsitzende des CDU-Fachausschusses „Entwicklungshilfe" sekundierte: Die neue Regierung soll einen ständigen ordnungspolitischen Dialog mit den Partnern in der Dritten Welt führen. Wenn es nach CSU und CDU ginge, soll jetzt der Globus mit einem Netz munterer marktwirtschaftlicher Missionare überzogen werden. In unseren Augen ein untauglicher Versuch,
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da auch in vielen Ländern die Voraussetzungen dafür fehlen.
Wohlverhalten: Minister Warnke in den „Bonner Perspektiven": „Jemand, der uns vor das Schienbein tritt, den werden wir natürlich nicht gerade als bevorzugten Partner behandeln." - Meine Damen und Herren, wir wollen doch nicht Entwicklungspolitik nach dem Motto betreiben: Wes' Brot du ißt, des' Lied du singst.
Reagan-Kurs: Im Konkreten sieht das dann so aus, daß man Probleme im südlichen Afrika unter den Teppich kehren will, Ausrüstungshilfe für Honduras laufen lassen will, daß für Nicaragua die Entwicklungshilfe gekürzt wird, während der Minister vor dem Ausschuß für El Salvador die Ankündigung macht, man sehe keinen Grund, die früher eingegangenen Verpflichtungen weiter hängen zu lassen. Zwischenzeitlich wurde diese Ankündigung - auf Grund vieler Proteste, so nehme ich an - in einen Prüfauftrag umgewandelt.
Selbstverständlich pflegen die Sozialdemokraten die Freundschaft und Zusammenarbeit mit den USA; wir können aber nicht zu allem Ja und Amen sagen. Die im Ansatz falsche Politik der Reagan-Regierung wird besonders deutlich in der mittelamerikanischen Region, was die Dritte Welt angeht. Da versucht der große, gestrenge Vater mit Zuckerbrot und Peitsche die ungehorsamen und undankbarken Kinder zur Räson zu bringen. Im Gegensatz zu ihm sehen wir Sozialdemokraten - und ich weiß, auch viele andere hier im Hause - die eigentlichen Ursachen für die Krisen in der wirtschaftlichen Unterentwicklung, der sozialen Ungerechtigkeit und der Mißachtung der Menschenrechte in vielen Staaten der Region. Hier müssen wir ansetzen, und hier muß auch dementsprechend versucht werden, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wir sind nicht etwa blind auf einem Auge wie Sie, wenn Sie sagen, in Simbabwe hätten keine Wahlen stattgefunden. Informieren Sie sich mal vor Ort, Herr Kollege!
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Mittelamerika darf nicht wie der Iran zu einem Friedhof einer falschen westlichen Politik werden.
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Vielleicht sind wir uns wenigstens darin einig.
Freund-Feind-Denken: Der neue Trend bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit geht in diese Richtung. Bei Reduzierungen von Haushaltsansätzen bei einzugehenden Verpflichtungen fällt der vergleichsweise hohe Anteil von Ländern auf, die nach dem groben Rechts-Links-Raster als reformorientierte, linke Länder gelten. Die neue Bundesregierung läßt doch nicht Österreich und Frankreich deshalb links liegen, bloß weil sie sozialistische Regierungschefs haben, meine Damen und Herren.
Aber vielleicht sehen wir zu schwarz. In der „Frankfurter Rundschau" versuchten Sie uns zu beruhigen: „Die Bundesregierung wird ihre Entwicklungshilfe keineswegs vorrangig nach ideologischen Kriterien vergeben."
Exportinteressen: „Die neue Regierung wird all den Entwicklungsprojekten Vorrang geben, die der deutschen Wirtschaft zusätzliche Aufträge bringen." So der Minister in „Bild" am 2. Dezember 1982. Wir stellen die Frage: Wollen Sie dies, auch wenn die Projekte den Entwicklungsländern weniger nützen? In der gemeinsamen Entschließung vom 5. März heißt es dazu ganz eindeutig: „Beim Zusammentreffen entwicklungspolitischer Ziele mit Zielen anderer Politikbereiche, z. B. Handelspolitik, darf das entwicklungspolitische Interesse nicht zurückgedrängt werden." Sehen Sie bitte dies als Leitschnur auch für Ihr Handeln an! Würden Sie konsequent Ihre Ankündigung durchsetzen, würde das BMZ zu einem reinen Exportförderungsministerium verkommen. Das klingt nach Unterabteilung des BMWI; oder soll ich besser sagen, dem BMIW - Bundesministerium für Ideologie- und Warenexport?
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Die Richtungsbestimmungen durch den neuen Minister bedeuten eine Wende nach rückwärts. Außer Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik werden sie nicht viel bewirken. Hier wird in der Außenpolitik eine Wende vollzogen, und zwar zu Lasten der schwächsten, auf Hilfe angewiesenen Staaten. Wer Ihre Richtungsbestimmungen zu Kriterien bei der Vergabe von Entwicklungshilfe machen wollte, marschierte in die entwicklungspolitische Steinzeit zurück. Nach den trüben ErfahrunDr. Holtz
gen, die man mit derartigen ideologischen Gängelversuchen gemacht hat, kann dies keiner wollen.
Wir üben auch Kritik an einem Minister, von dem wir vor dem Hintergrund ganz anderer, drängender Probleme, wie z. B. des Verfalls der Rohstoffpreise und enormer Zahlungsbilanzprobleme, Antworten auf die Lösung dieser akuten Fragen erwarten, unabhängig davon, ob dies in die Ost-West-Sicht oder in Bündnisinteressen oder in ordnungspolitische Vorstellungen paßt.
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Dies alles bestätigt, daß die CSU über dieses Ministerium an Herrn Genscher vorbei Außenpolitik betreiben möchte. Der bereits zitierte Fraktionskollege der CDU hatte noch gehofft: „Warnkes Berufung gibt uns die Chance, die CSU stärker in die entwicklungspolitischen Vorstellungen der CDU einzubinden. Das mindert den Einfluß des brüllenden bayerischen Löwen."
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Die Bändigung scheint gründlich mißlungen, Herr Kollege.
Prüfaufträge, teilweise vorgenommene Zurücknahmen und Richtigstellungen, Relativierungen, wie Sie sie z. B. vor der FDP-Fraktion vorgenommen haben, auch die - wie mir gesagt wurde - lammfromme Rede, die jetzt folgen soll, verdeutlichen nur, daß Sie eine Reihe von endgültigen Entscheidungen bewußt bis zum 6. März zurückstellen wollen. Wir hoffen, daß Sie dann nicht mehr zum Zuge kommen.
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Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem der Herr Kollege Holtz die Erwartungshorizonte in diesem Hause erheblich hochgesetzt hat,
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möchte ich zunächst zur Sache zurückkehren und sagen: In der Tat, diesem Hause liegt ein Beratungsergebnis mit 6,3 Milliarden DM für den Entwicklungshaushalt des Jahres 1983 vor, das den ursprünglichen Ansatz vom Sommer diesen Jahres in der Größenordnung gehalten hat. Das Wachstum unserer Leistungen für die Dritte Welt ist, wie Herr Kollege Vohrer richtig hervorgehoben hat, mit nahezu 4 % eindeutig überdurchschnittlich gegenüber der Gesamtsteigerung des Bundeshaushaltes 1983. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Zeichen schwerer Belastung unserer Staatsfinanzen.
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Ich danke dem Hohen Hause, und ich danke insbesondere den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit für eine Entscheidung, die weit über die Rechengröße von 6,3 Milliarden DM hinaus politische Aussage, politische Entscheidung, ja, politisches Bekenntnis ist. Bundeskanzler Kohl hat am 13. Oktober 1982 mit Zustimmung aller Seiten dieses Hauses erklären können: Der Frieden ist nicht nur durch Rüstung und durch Waffen bedroht, sondern auch durch Armut, Hunger und Tod in der Dritten Welt. Mit seiner heutigen Entscheidung zieht der Deutsche Bundestag die Folgerung aus dieser Einordnung der Entwicklungspolitik in die aller deutschen Politik übergeordnete Zielsetzung der Friedensbewahrung.
Aber täusche sich keiner: In einer Zeit, da unsere Arbeitnehmer wie die Verbraucher, da junge Menschen in der Ausbildung wie Rentner an ihrem Lebensabend spürbare Einschränkungen auf sich nehmen müssen, in dieser Zeit bedarf unsere Entscheidung mehr denn je der Begründung, der Erklärung, ja der Rechtfertigung vor der Bevölkerung. Sparsam mit dem Geld des Steuerzahlers umzugehen ist unsere Pflicht - auch und gerade in der Entwicklungshilfe.
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Ich habe deshalb Weisung gegeben, die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen zu überprüfen. Ziel muß es sein, daß unsere Hilfe auch wirklich den Bedürftigen zugute kommt und daß sie nicht in Prestigeprojekten vergeudet wird oder in nationalen oder internationalen Bürokratien versickert.
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Nun dachte ich ja eigentlich, die Darlegungen des Kollegen Schröder hätten Mißverständnisse oder Unfähigkeit des Verständnisses bezüglich der Finanzierungsschwierigkeiten, denen wir uns im Jahre 1983 gegenüber sehen, ausgeräumt. Aber die Ausführungen des Kollegen Holtz haben mir gezeigt, daß es hier doch noch einiger durchaus wohlwollender Nachhilfe bedarf.
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Ich habe in der Kasse für das Jahr 1983 500 Millionen DM weniger vorgefunden, als zur termingerechten Bedienung der Forderungen, der eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt, notwendig gewesen wären. 500 Millionen DM weniger - abgestimmt mit dem Bundesfinanzministerium, anerkannt vom Bundesfinanzministerium. Aber, Herr Kollege Holtz, wir leben doch nicht in Wolkenkuckucksheim. Wir bekommen doch nicht 500 Millionen DM mehr bei diesem Zustand der öffentlichen Finanzen, bloß weil ein Defizit im Haushalt für 1983 vorhanden ist. Ich muß diese Erblast durch Streckung an und für sich fälliger Zahlungen über mehrere Jahre hinweg bewältigen.
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- Keinen Menschen in den Entwicklungsländern
interessieren hier haushaltsmäßige Spitzfindigkei8672
ten, ob das nun ein Defizit oder eine Finanzlücke oder ein rechnerisches Risiko ist.
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Was wir dort riskieren, ist, auf Grund von Zahlungen - in der Höhe von Hunderten von Millionen DM -, die später eintreffen als erwartet, statt Genugtuung politische Verärgerung und uns abträgliche Einstellung zu produzieren. Das ist ja wohl eine politische Negativmeisterleistung der ersten Größenordnung.
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Ich habe meinem Amtsvorgänger ausdrücklich bescheinigt, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß er von
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der Planungslücke nicht unterrichtet war. Aber ich kann Ihnen den Hinweis nicht ersparen, daß ein Planungsfehler in der Größenordnung von 2,3 Milliarden DM kennzeichnend ist für die Lässigkeit, mit der unter sozialdemokratischer Verantwortung mit dem Geld des Steuerzahlers umgesprungen worden ist.
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Meine Damen und Herren, die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich durch ein ungewöhnlich hohes Maß an interfraktioneller Übereinstimmung im Parlament aus. Kein anderer Bereich hat meines Wissens eine von allen Fraktionen angenommene Zusammenstellung gemeinsamer Grundüberzeugungen, wie sie in der Entschließung des Deutschen Bundestags vom 5. März 1982 vorliegt. Die Bundesregierung ist sich des Wertes dieser parlamentarischen Gemeinschaftsleistung bewußt und legt ihn ihrer Politik zugrunde.
Aber eines ist auch klar: So, wie wir das Bewährte fortsetzen, wird die Regierung Kohl/Genscher dort, wo es notwendig ist, neue Impulse geben. Von Schlafmützigkeit, einfach im alten Trott weiterzumachen, kann bei uns nicht die Rede sein.
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Ich nenne diese neuen Impulse. Erstens. Wir wollen mehr Partnerschaft mit den Entwicklungsländern. Entwicklungspolitik soll ein ehrliches Angebot an die Dritte Welt sein, nicht nur eine Reaktion auf Wünsche und Forderungen, die an uns herangetragen werden.
Herr Kollege Holtz, in der Entwicklungszielsetzung geben die Interessen des Partnerlands den Ausschlag. Ist das klar?
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Bei der Durchführung werden wir unsere legitimen eigenen Interessen freimütig zur Sprache bringen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Nenner für die berechtigten Interessen beider Partner zu finden.
Auch dafür nenne ich Ihnen ein Beispiel. Angesichts von zwei Millionen Arbeitslosen in unserem Land werden wir dort, wo der Charakter des Projektes es zuläßt und wo die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist, auf solche Maßnahmen hinwirken, die beschäftigungswirksam für die deutsche Wirtschaft und für den deutschen Arbeitnehmer sind.
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Wenn Sie, Herr Kollege Schluckebier, sagen „Das ist ein alter Hut!", will ich Ihnen antworten: In der Tat, das ist auch früher schon geschehen, nur etwas versteckt und durch die Hintertür. Wir wollen uns ehrlich zu diesem Grundsatz bekennen.
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Wir leisten mit diesem Bekenntnis auch einen Beitrag zur Annahme des Gedankens der Entwicklungshilfe durch breite Schichten der Bevölkerung.
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Ohne diese breite Zustimmung wird im demokratischen Gemeinwesen auf Dauer keine wirksame Entwicklungsförderung betrieben werden können.
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Zweitens. In der Tat: Wir werden die private Initiative ermutigen, um so bisher ungenutztes Entwicklungspotential im privaten Bereich stärker als bisher zu nutzen.
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Ein Beispiel ist die Entwicklungsarbeit der Kirchen. Bei sparsamster Haushaltsführung leisten sie wirksame Arbeit für die bedürftigen Menschen vor Ort. Aber auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft, im Handwerk, im mittelständischen Gewerbe, liegen unerschlossene Reserven, die es zu nutzen gilt. Dafür haben wir haushaltsmäßige Vorkehrungen bei der Beratung dieses Etats getroffen.
Nur, meine Damen und Herren: Mehr private Initiative - wir scheuen uns nicht, das auszusprechen, und Sie sollten sich nicht scheuen, das einzusehen - ist auch in den Entwicklungsländern sinnvoll. Wir haben aus über zwei Jahrzehnten Entwicklungspolitik die Erfahrung gewonnen: Marktwirtschaftliche Elemente - von mehr ist ja gar nicht die Rede - in der Politik der Entwicklungsländer haben sich als ein guter Nährboden für jene Selbsthilfe erwiesen, ohne die Entwicklungspolitik zur Weltsozialhilfe verkümmert.
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Wir begrüßen daher marktwirtschaftliche Elemente. Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen haben, Herr Kollege Holtz. Aber wir lassen auch gar keinen Zweifel daran: Die Regierung Kohl/Genscher wird Entwicklungspolitik ideologiefrei betreiben - klatBundesminister Dr. Warnke
schen Sie nicht zu früh! -, nach rechts, aber auch nach links.
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Wir wissen: Für die Erreichung des Entwicklungsziels, nämlich die Überwindung menschenunwürdigen und friedensgefährdenden Elends, kommt es auf den Inhalt und die Wirksamkeit, aber nicht auf das Etikett an.
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Drittens. Bildung und Ausbildung schaffen erst die Voraussetzung dafür, daß die Masse der Bevölkerung in der Dritten Welt finanzielle Leistungen der Entwicklungshilfe dauerhaft zur Selbsthilfe nutzen kann. Ich habe eine Verbesserung der Richtlinien für betriebliche Ausbildungsmaßnahmen mit dem Ziel veranlaßt, 1983 zusätzliche Mittel in der Größenordnung von 10 Millionen DM aufwärts für solche Ausbildung in der Dritten Welt zur Verfügung zu haben.
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Viertens. Die Verschuldung in der Dritten Welt wächst in einem erschreckenden Ausmaß. Ein finanzieller Kollaps würde nicht nur ein einzelnes Entwicklungsland oder die Mehrzahl der Entwicklungsländer, er würde uns selbst als Gläubigerland in größte Gefahren bringen. „Black friday" ist keineswegs ein einmaliges, ein unwiederholbares Phänomen der Wirtschaftsgeschichte. Deshalb wird es eine wichtige Aufgabe unserer künftigen Entwicklungspolitik sein, darauf zu achten, daß die von uns geförderten Maßnahmen nicht die strukturelle Außenverschuldung der Entwicklungsländer erhöhen. Wir werden den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank bei ihren darauf gerichteten Bemühungen nach Kräften unterstützen.
Entwicklungspolitik als Friedenspolitik ist natürlich wesentlicher Bestandteil unserer auswärtigen Beziehungen. Wir werden uns auch in der Entwicklungspolitik bewußt bleiben, daß jene Loyalität und Solidarität, die wir von unseren Bündnispartnern in Schicksalsfragen unseres Landes erwarten und erhalten, keine Einbahnstraße sein kann, d. h. im Klartext: im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit unseren Verbündeten weder Wohlverhalten noch Provokation, sondern geduldige Konsultation mit Freunden, mit denen wir eine gemeinsame Lösung erreichen wollen und erreichen können.
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Deutsche Entwicklungspolitik wird sich unter dieser Regierung nachdrücklich darum bemühen, die Übertragung des Ost-West-Konflikts auf die Dritte Welt zu verhindern. Dort, wo diese Übertragung bereits erfolgt ist, werden wir die Rückkehr zu wahrer Blockfreiheit fördern.
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Anderslautende Behauptungen der Opposition haben weder direkt noch indirekt, weder wörtlich noch sinngemäß eine Grundlage in den Äußerungen und Richtlinien dieser Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder.
Ich möchte nur eines zu den Beispielen sagen, die der Kollege Holtz genannt hat. An der Aussage, daß derjenige, der uns vor das Schienbein tritt, nicht unser bevorzugter Partner sein wird, halten wir allerdings fest.
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Sie sollten einmal ein bißchen Rückkoppelung zu dem aufnehmen, was die Bevölkerung wirklich empfindet, Herr Kollege Holtz. Bis weit hinein in Ihre sozialdemokratische Stammwählerschaft werden wir zu dieser Erklärung massive Zustimmung bekommen.
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Wer nicht in der Lage ist, eine so klare Aussage auch wirklich zu erfassen, muß sich selber Gedanken darüber machen, warum das so ist.
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Alles andere - Freund-Feind-Denken, Einschwenken auf den Reagan-Kurs, Ost-West-Dimension in der Entwicklungshilfe oder Wohlverhalten - ist nicht nur nicht gesagt, sondern zum Teil ist genau das Gegenteil gesagt worden.
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- Sie haben sich nicht rechtzeitig informiert, Herr Kollege.
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Sie sind Ihren eigenen Wunschvorstellungen, einen Popanz haben zu müssen, auf den Sie mangels wirklicher Meinungsverschiedenheiten eindreschen können, zum Opfer gefallen.
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Ich komme zum Schluß. Entwicklungspolitik eignet sich nicht als Knüppel für den Wahlkampf. Wir werden sie dazu nicht mißbrauchen.
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Aber wir werden mit Festigkeit unseren Standpunkt wahren. Entwicklungshilfe bleibt für uns menschliche Verpflichtung zur Beseitigung unerträglicher Armut und politischer Auftrag zur Sicherung des Friedens für uns, für unsere Kinder und für unsere Enkel.
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Meine Damen und Herren, die Beratung über den Einzelplan 23 ist damit abgeschlossen.
Wir treten in die Aussprache zu Einzelplan 27 ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berliner Politikwissenschaftler Richard Löwenthal hat in einem bemerkenswerten Aufsatz in der Zeitschrift „Das Parlament" auf die grundlegende Bedeutung der Ost- und Deutsch8674
landpolitik der früheren Koalition für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik hingewiesen. Mit dieser Politik, schreibt Löwenthal, habe sich die Bundesrepublik ein Stück eigener Souveränität erworben und sich im Bündnis zum geschätzten Partner entwickelt. Die Politik der Verträge habe verhindert, daß die Bundesrepublik zwischen die Mühlsteine west-östlicher Entspannungsbemühungen in der Ära Kennedy geraten und als Hindernis für den Weltfrieden empfunden worden wäre. Diese Politik habe die Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion und zu den ost- und südosteuropäischen Staaten ermöglicht. Sie habe damit zugleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, die deutsch-deutschen Beziehungen auf eine vertragliche Grundlage zu stellen, und das Berlin-Problem entspannt.
Zum erstenmal in neuerer Zeit ging damit ein entscheidender Anstoß für den Frieden von deutschem Boden aus. Er fand seinen Höhepunkt in den Erklärungen beider deutscher Staaten, daß nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen dürfe. Wir Sozialdemokraten haben es daher mit Genugtuung begrüßt, daß der neue Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen in seinen ersten Presseerklärungen und Verlautbarungen sich für die Kontinuität der Politik zwischen der Bundesrepublik und der DDR aussprach. Er sagte etwas, was wir bis dahin nie von seiten der früheren Opposition gehört hatten: in den deutsch-deutschen Beziehungen müsse eine Politik der leisen Töne vorherrschen, müsse vieles auch im Verborgenen geschehen.
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Wenn Minister Barzel dabei als einen eigenen Pflock die Forderung nach einer Politik der Ausgewogenheit einschlug, dann hatten wir nichts dagegen einzuwenden. Wir haben uns stets um eine Politik der Zug-um-Zug-Leistungen und Gegenleistungen bemüht; wie ich meine, mit einigem Erfolg. Die frühere Bundesregierung hat nie eine Leistung erbracht, die nicht den Menschen in beiden deutschen Staaten zugute kam.
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Sie löste Probleme auf beiden Seiten und schuf Voraussetzungen dafür, bei der Zugehörigkeit der deutschen Staaten zu den unterschiedlichen Weltmachtblöcken so viel wie möglich von der Gemeinschaft der Menschen in Deutschland zu retten und zu erhalten. Wenn Autobahnbauten in der DDR gefördert wurden, dann dienten sie der Erhaltung der Lebensfähigkeit Berlins, der größeren Beweglichkeit seiner Bevölkerung. Wenn Grenzen reguliert wurden, dann beseitigten sie Gefahrenherde an diesen Grenzen. Wenn die Schiffahrtswege nach Berlin verbessert wurden, dann diente dies der Wirtschaft dieser Stadt.
Alle diese Maßnahmen waren aber auch für die Wirtschaft der Bundesrepublik und für unseren Arbeitsmarkt von Bedeutung. Sie waren verbunden mit dem Ankauf von Baumaschinen aus der Bundesrepublik, mit dem Einsatz westdeutscher Baufirmen mit großem Namen bei der Errichtung schwieriger Brückenwerke. Und selbst wenn bei dieser oder jener Abmachung auch Nutzen für die DDR selbst herauskam, so frage ich, ob dies nicht vor dem Hintergrund zu vertreten war, daß er die Lebensbedingungen der Bevölkerung der DDR selbst verbessern half,
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die Lebensbedingungen der Menschen im anderen Staat auf deutschem Boden, die letzten Endes in erster Linie und mit erheblichen Opfern die Politik Hitlers bezahlen mußten. An Ausgewogenheit, Herr Minister, hat es also dieser Politik nie gefehlt. Sie war aber auch stets eine Politik, die in erster Linie bemüht war, den Menschen im geteilten Land zu helfen, und das, wie wir meinen, mit Erfolg.
Eine Fortsetzung dieser Politik, ihre Kontinuität, hätte nur diese neue Bundesregierung selbst geehrt. Wir haben daher die Signale, die Minister Barzel hier gab, durchaus positiv aufgenommen, zumal es eine Fülle von Begegnungen gab, mit der man der anderen Seite diese Kontinuität signalisierte.
Wir stellen jedoch mit Bestürzung fest, daß, je näher der Wahltag kommt, sich die Kräfte wieder zu regen beginnen, denen eine Politik der Kontinuität von Anfang an ein Graus war. Wir wollen nicht hoffen, daß man nur so lange für Kontinuität ist, bis der Wähler seine Vollmacht für weitere vier Jahre Regierung erteilt hat.
Wenn da und dort führende Vertreter der Bundesregierung erklären, sie würden das Wort „Kontinuität" nicht in den Mund nehmen, so scheint uns mehr dahinter zu stecken als die Schwierigkeiten, die man damit hat, daß man dauernd von der angeblichen Erblast spricht, die man übernommen habe. Daß diese Argumentation nicht mit dem Begriff „Kontinuität" zusammenpaßt, ist verständlich. Man muß aber auf der anderen Seite sehen, daß, wenn man das außenpolitische Ansehen und die deutschlandpolitischen Erfolge der früheren Bundesregierung in Anspruch nehmen will, man auch die Kontinuität ihrer Politik bewahren muß.
({3})
Dies gilt um so mehr, als die Menschen im anderen deutschen Staat fürchten, daß nach der Bundestagswahl vom 6. März die andere Deutschlandpolitik, die man früher seitens der Regierungspartei betrieben hat, zum Zuge kommt. Die aber heißt nach ihrer Meinung Verschlechterung der mühsam erreichten Verbesserungen. Daß das nicht unbegründete Furcht ist, wird durch manche CSU-Töne bestätigt. Dort will man keine Kontinuität, dort möchte man gern die Muskeln spielen lassen.
Auch wir Sozialdemokraten verkennen nicht, daß viele ungelöste Probleme zwischen den beiden deutschen Staaten stehen. Ich brauche nur auf das Wort „Mindestumtausch" zu verweisen, die neuerlichen Bemühungen um die Erhöhung der Postgebührenpauschale und die noch immer gepflegten Feindbilder in Lehrbüchern und Bilddarstellungen der Nationalen Volksarmee.
Für uns in der Bundesrepublik gibt es diese Feindbilder nicht. Wir sehen sie nicht einmal in
kommunistischen Funktionären der anderen Seite, deren politische Vorstellungen wir entschieden ablehnen, deren menschliche Würde wir aber nicht in Frage stellen.
({4})
Wir sehen sie am wenigsten in den Menschen dort drüben zwischen Elbe und Oder, vor derem unter schwierigen Umständen vollzogenen Wiederaufbau, vor deren beachtlichen wirtschaftlichen Leistungen, vor derem reichhaltigem kulturellen, religiösen und geistigen Leben wir nur Respekt haben können.
({5})
Vieles, was dort entstanden ist, was auf literarischen, künstlerischen und musikalischen Sektoren geschaffen wurde, wird einmal zum festen Bestandteil einer deutschen Nationalkultur gehören. Daran wird auch das Bemühen des Systems nichts ändern, ein ständiges Schattenboxen gegen jeden Begriff von Gemeinsamkeit zu führen.
Die vielen Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und kultureller Tradition können auch durch 37 Jahre der Trennung und zeitweiliger Abschnürung nicht ausgelöscht werden.
({6})
Sie wirken in beiden deutschen Staaten nach, hüben und drüben, und zwar so nachhaltig, daß wir die Hoffnung nicht aufzugeben brauchen, eines Tages doch wieder enger zusammenrücken zu können.
({7})
Aber ganz ohne unser Zutun wird das nicht geschehen. Eine Selbstaufgabe unserer Kontakte und Beziehungen zu den Menschen im anderen deutschen Staat wäre die Aufgabe eines Herzlandes der deutschen Geschichte. Darauf am Beginn des bevorstehenden Luther-Jahres hinzuweisen, müßte sich eigentlich erübrigen.
Es ist aber nicht das Land Luthers allein, um das es geht. Es ist auch das Land Friedrich des Großen, das Land Fontanes, das Land Fritz Reuters und das Land eines Max Liebermanns und vieler anderer. Die Menschen dort drüben sind sich oft dieser im Geistigen begründeten Zusammenarbeit bewußter als wir; enttäuschen wir sie nicht.
Mit Genugtuung können wir registrieren, daß das Interesse an dem anderen Deutschland in der jüngeren Generation zunimmt, wieder mehr Schulklassen in die DDR, an die Grenze zur DDR und ins Zonenrandgebiet reisen. Dennoch wissen wir alle, daß das vielfach nur Tropfen sind, die mühsam tröpfeln.
Wir haben ein gutes Hearing zur deutschen Frage im Unterricht im Innerdeutschen Ausschuß gehabt und dabei feststellen müssen, wie wenig trotz allem auf diesem Gebiet geschieht. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen - und dabei möchte ich besonders darauf hinweisen, daß das von den Tagen der Führung dieses Hauses durch Herbert Wehner an geschehen ist - hat in den vergangenen Jahren vorzügliches Material zur sachlichen Information über die DDR geliefert. Wir bedauern aber, daß es noch viel zu wenig genutzt wird.
Genauso müssen wir immer wieder bedauern, daß die Möglichkeiten für Reisen nach drüben zu wenig in Anspruch genommen werden. Gewiß, der Mindestumtausch ist eine kostspielige Sache, eine staatliche Subvention kann nicht in Frage kommen; aber warum schenken nicht Eltern ihren Kindern eine Reise nach drüben, beispielsweise als Weihnachtsgeschenk?
({8})
Warum leisten nicht wohlhabende Mitbürger kinderreichen Familien auch einmal einen Beitrag für deren Fahrten zu ihren Angehörigen im anderen deutschen Staat?
({9})
Wenn wir uns weiterhin einem gemeinsamen Schicksal verpflichtet fühlen, kann man uns nicht voneinander trennen. Dieser Zusammenhalt ist keine Gefahr für den Frieden, sondern ein Element seiner Stabilisierung. Aber dieses Bemühen kann nur auf Fingerspitzengefühl und einer humanistischen Grundhaltung aufgebaut werden. Wer da meint, mit Stufenplänen und Druckversuchen etwas erreichen zu können, der zerstört auch die Hoffnungen und die Treue der Menschen drüben.
Treiben wir weiter eine Deutschlandpolitik der Geduld und Ausdauer, eine Politik, die in erster Linie an die Menschen dort drüben denkt, die Menschen, denen das Schicksal, Deutsche zu sein, Lasten aufgebürdet hat, die mitzutragen wir trotz eigener Sorgen und Nöte allen Grund haben.
({10})
Wir werden deshalb, um die Hilfe für die Menschen dort drüben nicht zu unterbrechen und zu gefährden, diesem Haushalt trotz mancher Bedenken zustimmen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger ({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kreutzmann, ich freue mich darüber, daß ich heute wieder einmal mit Ihnen um innerdeutsche Probleme, um die Probleme des Einzelplans 27 wetteifern kann. Ich weiß, daß wir in diesen Fragen im Grundsatz häufig gleicher Meinung waren und gleicher Meinung sind. Ihr Einsatz für das Zonenrandgebiet ist mir und uns allen wohlbekannt. Und wir haben großen Respekt davor.
({0})
Daß Ihren Bemühungen, die Kürzung der Mittel für die Zonenrandförderung zu verhindern, kein Erfolg beschieden war, lag wirklich nicht an Ihnen. Es tut mir leid, es schlicht sagen zu müssen: Es lag einfach daran, daß sich Ihr Minister Franke in der damaligen Kabinettsrunde nicht durchsetzen konnte. Insoweit nur auf diesen einen Punkt konzentriert,
Frau Berger ({1})
meine ich, daß auch in diesem Ressort der Regierungswechsel fällig war.
({2})
- Ich würde da gar nicht so sehr lachen. Ich habe mir, als ich vorhin meine Unterlagen durchsah, das Vorwort des Einzelplans 27 angesehen. Da steht geschrieben:
Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen hat die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken, die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu fördern und die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen.
So ist es im Vorwort zum Einzelplan 27 nachzulesen.
Die Haushaltswirklichkeit ist diesem Anspruch - wir reden hier über den Haushalt - in der Vergangenheit immer weniger gerecht geworden. 1980 umfaßte der Einzelplan 27 noch 481 Millionen DM oder rund 0,25% des gesamten Bundeshaushalts. Unter der Verantwortung des Bundesministers Franke wurde uns im September 1982 ein Haushaltsentwurf für 1983 von nur noch 433 Millionen DM vorgelegt, und das waren noch ganze 0,17 % des Bundeshaushalts. Einen solchen Ansatz halten wir bei dem Gewicht der Aufgaben des Ministeriums für absolut unangemessen. Dies muß auch Schritt für Schritt korrigiert werden.
Ähnlich sieht es in der mittelfristigen Finanzplanung aus. Hier sollte nach Absicht der alten Regierung bis 1986 für den Einzelplan 27 noch nicht einmal das Volumen des Jahres 1982 erreicht werden. Deshalb begrüßt meine Fraktion ausdrücklich, daß die neue Bundesregierung sofort politische Schwerpunkte gesetzt und beim Einzelplan 27 zunächst 20 Millionen DM zugelegt hat. Wir begrüßen ferner die Absicht und die Ankündigung von Bundesminister Barzel, auch die mittelfristige Finanzplanung zu überprüfen. Wir stehen somit vor einer Trendwende in der innerdeutschen Haushaltspolitik.
({3})
Ich will es ganz offen und sozusagen auf Berliner Art sagen: Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß mit der neuen Bundesregierung auch im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen wieder frischer Wind weht.
({4})
Nach Jahren der bloßen Verwaltung von Programmen - ich möchte fast sagen: der Lethargie und der Routine - wird politischer Führungswille wieder klar erkennbar. Das sage ich als Mitberichterstatterin für diesen Haushalt und führe folgende Schwerpunkte des Haushalts dafür an.
Erstens. Der Zonenrandförderung wird ein besonderer Stellenwert als deutschlandpolitischer Aufgabe gegeben. Ihr Ansatz wird von 100 Millionen auf zunächst 115 Millionen DM erhöht. Die Kollegen aus dem Zonenrandgebiet werden zu beurteilen wissen, was es für die Menschen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, wenn diese Mittel
nicht wie bisher weiter gekürzt, sondern endlich wieder erhöht werden.
({5})
Zweitens. Die besonderen Hilfsmaßnahmen werden zunächst um 5 Millionen auf 90,6 Millionen DM erhöht, und hier sind sich alle Fraktionen über die Notwendigkeit dieser Verstärkung einig.
Drittens. Die Förderung von Schulklassenfahrten in die DDR wird ebenfalls verstärkt. Auch das wird von allen Fraktionen begrüßt. Das BMB wird meinen Vorschlag prüfen, daß zusätzlich zu den bisher geförderten mehrtägigen Klassenfahrten auch EinTages-Fahrten in die DDR gefördert werden sollen, insbesondere aus dem Zonenrandgebiet und aus Berlin.
({6})
Bundeskanzler Kohl hat auch in den vergangenen Wochen dazu aufgerufen, daß Schulklassen zunächst nach Berlin und in die DDR fahren sollen, um hier die Wirklichkeit der deutschen Teilung zu erfahren, bevor man Klassenfahrten ins Ausland plant. Die dafür notwendigen Zuschußmittel werden im Einzelplan 27 zur Verfügung stehen.
Viertens. Wäre es nach dem Willen der alten Bundesregierung gegangen, so wäre die Förderung der Informationsreisen für Erwachsene nach Berlin bereits 1982 völlig gestrichen worden, und das war schon ein starkes Stück. Wir haben diese Fehlentscheidung im Haushaltsausschuß zweimal korrigiert: Im vergangenen Jahr haben wir den Titelansatz gerettet, und in diesem Jahr haben wir ihn erhöht.
({7})
Neben diesen Schwerpunktmaßnahmen des Einzelplans 27 werden die aus dem Einzelplan 60 vom BMB geförderten deutschland- und berlinpolitischen Maßnahmen fortentwickelt. Im humanitären Bereich gehen die bereits 1962 von Dr. Barzel als Bundesminister begonnenen Bemühungen weiter.
Lassen Sie mich noch zwei kritische Anmerkunge, aber auch gleichzeitig entsprechende Vorschläge machen.
Erstens. Das Ministerium läßt weiterhin Bücherpakete mit deutschlandpolitischer Literatur - das sind etwa 100 Buchtitel - an Schulen versenden. Der Inhalt dieser Bücherpakete ist überprüft und verändert worden, was wir anerkennen. Die Bücher sind aber in erster Linie als Unterrichtsmaterial für die Lehrer bestimmt und nicht als Lesestoff für die Schüler. Ich halte dies für eine Lücke, die geschlossen werden muß, und bitte die Bundesregierung, zu überprüfen, ob nicht künftig auch spezielle Bücherpakete für Schülerbibliotheken zusammengestellt werden sollten. Die Schüler sollten Bücher in die eigene Hand bekommen, die sie neugierig machen und die sie auch zu Reisen in die DDR anregen.
({8})
Zweitens. Für unerträglich halte ich die fast völlige Streichung der Mittel für Zusatzreisen von Besuchern aus der DDR und den Ostblockstaaten.
Frau Berger ({9})
Diese Hilfen werden seit Februar dieses Jahres nur noch gewährt, wenn die Gastgeber Sozialhilfeempfänger oder Kriegsrentner und wenn die DDR-Besucher Rentner sind. Erhält z. B. ein Arbeitsloser Besuch aus der DDR, so kann sein Besucher keine Reisebeihilfe erhalten. Eine solche Regelung ist für den Besucherverkehr, den wir doch alle wünschen, schlicht und einfach abträglich und schädlich.
({10})
Ich bin daher dankbar, daß Staatssekretär Rehlinger in den Berichterstattergesprächen zugesagt hat, er wolle die Änderung der Richtlinien prüfen. Mit wenig Geld, das zudem lediglich aus dem Bundeshaushalt in die Bundesbahn fließt, könnte hier viel erreicht werden.
Eine Schlußbemerkung: Herr Bundesminister Dr. Barzel, Sie haben vor kurzem im Innerdeutschen Ausschuß eine Reihe von konzeptionellen Überlegungen vorgetragen. Ich will mich mit Rücksicht auf die Zeit und auf die Mahnung des Herrn Präsidenten darauf beschränken, mich auf diese Aussagen zu berufen und Sie mit allem Nachdruck zu bitten, auf dem begonnenen Weg fortzufahren. Die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen und den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken, ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Sie liegt bei Ihnen in guten Händen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Einzelplan 27 zu.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden über einen Einzelplan und über ein Sachgebiet der Politik, die es uns eigentlich nicht schwermachen sollten, zu gemeinsamen Lösungen und gemeinsamen Aussagen zu kommen. Ich persönlich denke auch mit Dank an die gute Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Dr. Kreutzmann, aber auch mit allen Kollegen im Innerdeutschen Ausschuß in diesen beiden Jahren zurück, in denen wir in einem Klima miteinander gearbeitet haben, das, meine ich, der Sache dienlich war.
Aber in den Erörterungen der letzten Wochen und auch heute in der Debatte hat ein Begriff eine Rolle gespielt, mit dem man sich doch wohl auseinandersetzen muß: die Kontinuität der Deutschlandpolitik. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich mit einem Zitat beginnen, das genau hierauf deutliche Rückschlüsse zuläßt. Dort heißt es zur Deutschlandpolitik - ich zitiere -:
Wir sind der Überzeugung, daß eine solche Politik im besonderen Maße geeignet wäre, die deutsche Frage aus ihrer gegenwärtigen Isolierung zu befreien und neue Ansatzpunkte für ihre Lösung zu schaffen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich Bundesregierung und Bundestag darüber hinaus die Aufgabe stellen,
eine nüchterne Bestandsaufnahme der Lage im geteilten Deutschland vorzunehmen und sie zur Grundlage einer möglichst von allen Bundestagsparteien getragenen realistischen Deutschlandpolitik zu machen,
die Gefahr eines weiteren Auseinanderlebens zwischen den beiden Teilen Deutschlands durch ein Maximum an innerdeutschen Begegnungen zu bannen,
solche Kontakte auch dadurch zu ermöglichen, daß unter der Verantwortung der Vier Mächte in Berlin gesamtdeutsche technische Kommissionen für die wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und privaten Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands geschaffen werden,
in diesem Zusammenhang besonders die wirtschaftliche Verklammerung der beiden Teile Deutschlands zu fördern durch eine weitere Liberalisierung des innerdeutschen Handels, durch eine großzügige Kreditpolitik der Bundesrepublik und durch eine gesamtdeutsche Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Außenhandels,
Berlin weiter zu einer Stätte der Begegnung zwischen Ost und West auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet auszubauen und schließlich
bei allen internationalen Verhandlungen darauf hinzuwirken, den Zusammenhang zwischen europäischer Sicherheit, kontrollierter Abrüstung und deutscher Wiedervereinigung wiederherzustellen bzw. ganz allgemein Fortschritte auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit mit Schritten auf dem Wege zur Überwindung der Spaltung Deutschlands zu verbinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war ein Zitat aus einer Entschließung des 17. Bundesparteitages der FDP vom 7. Juni 1966. Es wird unschwer möglich sein, dem Hohen Hause deutlich zu machen, daß eine Partei mit einem solchen Zitat, das auch heute unverändert als Maxime der Deutschlandpolitik gelten könnte, allerdings mit dem Begriff „Kontinuität" keinerlei Schwierigkeiten hat.
({0})
Etwas anders sieht das aus, wenn ich diese Frage nach der Kontinuität an die Opposition richte. Dabei nehme ich ausdrücklich das aus, was der Kollege Dr. Kreutzmann hier heute abend gesagt hat. Aber ich kann nicht übersehen - und ich sage dies mit allem Nachdruck -, daß das Auftreten des Kollegen Ehmke und das Auftreten des Kollegen Voigt gegenüber dem ehemaligen Koalitionspartner heute und bereits zu verschiedenen Malen mit der Wiederholung der persönlichen Angriffe auf den Außenminister und Bundesvorsitzenden meiner Partei den Eindruck erwecken, als hätte die SPD ein außerordentlich kurzes Gedächtnis
({1})
und als wäre sie nicht mehr in der Lage, Herr Kollege Voigt, sich daran zu erinnern, daß sie 13 Jahre mit der FDP zusammengearbeitet hat. Ich wäre auch bei Herrn Kollegen Kreutzmann dankbar gewesen, wenn das, was in den vergangenen 13 Jahren geschehen ist, nicht nur als eine Politik der SPD, sondern auch als Koalitionspolitik dargestellt worden wäre. Aber ich sage Ihnen, Herr Kollege Voigt: Eines haben Sie auf jeden Fall vergessen, daß nämlich 13 Jahre lang die Regierungsfähigkeit der SPD davon abgehangen hat, daß meine Fraktion zur Zusammenarbeit mit Ihnen bereit war!
({2})
- Das ist das, worauf ich abstelle, Herr Kollege Wehner,
({3})
aber von Ihrer Seite wird so getan,
({4}) als hätte es diese 13 Jahre nicht gegeben.
({5})
Wir bekennen uns zu diesen 13 Jahren - mit allen Leistungen und Mißerfolgen und Rückschlägen,
({6})
mit allen Chancen und Schwierigkeiten, und ich wäre sehr dankbar, wenn dies deutlicher zum Ausdruck käme, als es heute in den angeführten Äußerungen der Fall gewesen ist.
({7})
Die Frage nach der Kontinuität wird insofern mit einer besonderen Qualität an die Opposition gestellt werden müssen.
Aber auch bei der Debatte zwischen der Union und der Freien Demokratischen Partei kann die Frage nach der Kontinuität nicht ausgeschlossen werden, und das liegt nicht nur daran, daß der Kollege Lintner und ich möglicherweise bestimmte Schwierigkeiten dabei haben, zu einer gemeinsamen Interpretation dieser Vokabel zu kommen, sondern, meine Damen und Herren, sicherlich auch an sehr weit zurückliegenden Nichtübereinstimmungen, über die wir uns verständigen müssen und bei denen ich davon überzeugt bin, daß wir uns verständigen können.
Ich möchte noch einmal an das Jahr 1966 erinnern und zitiere aus einem Artikel des Abgeordneten Genscher, FDP, heute Bundesaußenminister und Vorsitzender der FDP. Es heißt in diesem Artikel:
Noch vor wenigen Tagen schienen die in der kommenden Woche beginnenden Gespräche über die Deutschlandpolitik innerhalb und außerhalb des Kabinetts allein der Diskussion der Methoden der Deutschlandpolitik zu dienen. Nach dem Interview, das der Vorsitzende der CSU, Bundesminister a. D. Strauß, der „Zeit"
gegeben hat, geht es nicht mehr nur um die Methoden, sondern auch um die Ziele der gemeinsamen Deutschlandpolitik. Strauß erklärte: ,,... und ich glaube nicht an die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates, auch nicht in den Grenzen der vier Besatzungszonen." Er bejahte die Frage, ob er an das normale Zusammenleben eines westdeutschen und eines ostdeutschen Staates innerhalb einer übergreifenden europäischen Struktur glaube.
Meine Damen und Herren, wenn ich allerdings Äußerungen aus der jüngsten Zeit höre, dann kommt die Frage, ob uns die Übereinstimmung, die es zwischen den Koalitionsabmachungen jener CDU/CSU-FDP-Koalition damals und denen von heute auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik unbestreitbar gibt, in die Lage versetzt, eine gemeinsame Politik für Deutschland und für die deutschen Menschen zu betreiben. Ich könnte aus beiden Koalitionsabmachungen zitieren. Ich hoffe, daß das unnötig ist, weil beides wahrscheinlich bekannt ist. Auch damals ging es um die Erhaltung des Friedens - so ausdrücklich abgemacht -: als erstes Ziel die Erfüllung des Verfassungsauftrags des Grundgesetzes, die deutsche Einheit in gesicherter Freiheit zu vollenden, sodann die Festigung der Bindung der Bundesrepublik Deutschland an den Westen.
Ich glaube, dies ist eine gute Grundlage für das, was wir damals gemeinsam zwischen CDU/CSU und FDP vereinbart haben und was jetzt in den Koalitionsabmachungen für diese CDU/CSU-FDPKoalition festgeschrieben worden ist. Danach gilt unverändert - erstens - der Friedensvorbehalt unserer gesamten Deutschland- und Außenpolitik. Zweitens bleibt unveränderbar bestehen, daß diese Politik zunächst einmal die Menschen auf beiden Seiten der Grenze im Auge hat, aus guten Gründen in bevorzugter Weise sicherlich die deutschen Menschen der anderen Seite der Grenze. Drittens bleibt unverändert das Festhalten am Grundgesetzauftrag: Vollendung von Freiheit und Einheit in freier Selbstbestimmung - dies als nicht aufzugebendes Ziel -, gleichzeitig mit der Möglichkeit einer flexiblen, phantasiereichen Politik auf diesem Gebiet.
Zum ersten Punkt Friedensvorbehalt: Er bedeutet Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen auf beiden Seiten der Grenze im jeweiligen Bündnis, Ausübung des Einflusses zum Abbau von Spannungen und zur Abrüstung, etwa in Richtung auf KSZE und eine Konferenz für Abrüstung in Europa.
Zum zweiten Punkt: gemeinsame Interessen über die Grenze hinweg suchen. Ich nenne hier nur Stichworte: Umwelt, Kultur, Rechts- und Amtshilfe, Jugendaustausch als einen ganz besonders wichtigen Punkt, um den Zusammenhalt der Nation auch auf die nächsten Generationen zu übertragen. Vielleicht ist mir hier diese Bemerkung gestattet: Ich hoffe, daß in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages eine Zusammenarbeit mit den Ländern und mit den Kultusministern der Länder in dieser entscheidend wichtigen Frage, was eigentlich in der Bewältigung unserer Geschichte, in der Erhaltung der gemeinsamen kulturellen und auch
politischen Basis unserer Nation in unseren Schulen getan werden kann, erreicht wird.
Lassen Sie mich abschließen mit einigen wenigen Worten, die an dies alles anschließen. Politik für die deutschen Menschen ist die Voraussetzung für Deutschlandpolitik. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, muß eine Deutschlandpolitik betrieben werden, die konsequent auf den bisherigen Fundamenten aufbaut und damit zur Sicherung des Friedens beiträgt. Nur so kann gewährleistet werden, daß die insgesamt positive Bilanz unserer Deutschlandpolitik durch die getroffenen Verträge und Vereinbarungen für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands erlebbar bleibt. Es sind noch viele Realitäten im deutsch-deutschen Verhältnis zu ändern. Eine Politik, die das will, muß von den Realitäten des heutigen Tages ausgehen. Herr Minister Dr. Barzel, wir sind bei diesem Bemühen zur Zusammenarbeit mit Ihnen bereit und werden Ihrem Haushalt zustimmen.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne lange zu reden, möchte ich doch mit einer persönlichen Bemerkung beginnen. Ich bin jetzt seit über 25 Jahren hier. Ich habe mich überwiegend in heftigen, strittigen, kämpferischen Debatten betätigt. Ich erlebe nun diesen Abend - damit muß ich erst noch fertigwerden.
({0})
Herr Kollege Kreutzmann, ich möchte zunächst gern etwas zu drei oder vier Punkten Ihrer einführenden Rede sagen.
Sie haben dargetan, es habe in der vergangenen Koalition zum erstenmal von Deutschland aus einen Anstoß für den Frieden gegeben. Sie werden zugeben, daß das auch anders beurteilt werden kann und wohl von der Geschichte zu beurteilen ist. Wenn heute der Frieden im freien Teil Europas gesichert ist und Krieg nicht nur undenkbar, sondern unmöglich ist, hängt das mit Konrad Adenauers Politik der Zusammenführung Europas zusammen.
({1})
Und wenn wir trotz des Ost-West-Konflikts noch immer - Gott sei Dank - in Frieden leben - trotz der Zurüstung der Sowjetunion und ihrer gefährlichen Politik anderswo -, dann nur deshalb, weil mangels Abrüstung hier die Abschreckung funktioniert. Das ist, glaube ich, die Realität. Das sollte man nicht übersehen.
Sie haben zum zweiten, Herr Kreutzmann, gelobt, daß ich Vorsätze gehabt hätte, auch im Verborgenen zu wirken. Das freut mich sehr. Herr Wischnewski hat hier neulich etwas anderes versucht; ich nehme an, daß das damit vorbei ist. Das ist natürlich kontinuierlich, denn das, was wir damals angefangen haben - Frau Berger war so freundlich, es zu erwähnen -, war nur durch verborgenes Wirken möglich. Das soll auch so bleiben.
Dritter Punkt: die Kontinuität. - Ich trete jetzt dem Kollegen Wehner, einem Amtsvorgänger, nicht zu nahe. Sie wissen, Herr Kreutzmann, die Reihe fängt an mit Jakob Kaiser. Das wollen wir auch nicht vergessen. Wir wollen auch nicht Ernst Lemmer und Erich Mende vergessen.
Meine Damen, meine Herren, ich würde nun gern ein Wort zur Kontinuität sagen, weil das auch ein ernster Punkt in der öffentlichen Auseinandersetzung ist, damit hier kein Mißverständnis aufkommt.
Ich habe auf Bitten des Ausschusses - ich komme nachher darauf zurück, Herr Kollege Ronneburger - Gelegenheit genommen, eine Einführung in die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung zu geben. Sie ist im Bulletin abgedruckt worden. Ich fand dort eine Zustimmung, die dann zu der haushaltspolitischen Haltung führte, die wir hier gerade spüren. Ich möchte aus dieser Bemühung vor dem Ausschuß folgende Sätze vorlesen:
Kontinuität
- heißt es dort ist kein rotes Fädchen. Kontinuität ist das Bekenntnis zur Tradition des demokratischen Deutschland. In der Deutschlandpolitik bedeutet Kontinuität das Bekenntnis zur Präambel des Grundgesetzes, die das ganze deutsche Volk aufruft, seine Einheit in Freiheit zu vollenden. Kontinuität umschließt die anhaltende Wirksamkeit unseres Deutschland-Vertrages mit den Westmächten. Kontinuität heißt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung über seine Zukunft entscheidet. Für uns bedeutet Kontinuität auch, daß wir den Willen des deutschen Volkes, der im Grundgesetz seinen bleibenden Ausdruck gefunden hat, sehr ernst nehmen. Er muß stets lebendig gehalten werden und mit all seiner Kraft spürbar bleiben, die auf unser Ziel gerichtet ist, die Einheit unseres Volkes, aus der seine Geschichte erwächst, die in der gegenwärtigen Spaltung gewahrt wird und die auch seine Zukunft prägen soll.
Auf diese Definition von Kontinuität können Sie sicher nicht nur mich in diesem Haus jederzeit ansprechen, meine Damen und meine Herren.
({2})
Es bleibt noch ein Punkt. Ich bitte jetzt um Entschuldigung: Ich bin kein Erbsenzähler auf dem Gebiet, aber, Herr Kreutzmann, Sie waren - auch amtlich - lange genug tätig, um zu wissen, daß Semantik auf diesem Gebiet leider Politik ist. Sie haben soeben gesagt: Es wurden Grenzen reguliert. - Das könnte irreführend sein. Es wurde innerdeutsch der Grenzverlauf gemäß dem Grundlagenvertrag und der dafür eingesetzten Kommission festgestellt. Ich weiß, das ist ein flüchtiges Wort, aber ich muß dies feststellen, damit sich hier keine falschen Dinge einschleichen.
Ich komme nun mit wenigen Worten zu den Ausführungen meiner Kollegin Berger. Ich weiß natürlich die Arbeit zu schätzen; ich danke ihr für ihren Rat, für ihre Hilfe und für ihren Einsatz als Berichterstatter. Mein Dank gilt auch dem Mitberichterstatter, dem Kollegen Nehm, wie auch den Kollegen, die uns in besonderen Angelegenheiten haushaltspolitisch beraten, wenn ich das einmal so sagen darf.
Die beiden Anregungen oder Anmerkungen oder kritischen Hinweise, Frau Kollegin Berger, in Sachen „Bücher für Schulen" und „Zusatzreisen für Reisende aus der DDR" werden, da bin ich zuversichtlich, im nächsten Jahr in diesem Hause nicht mehr geäußert werden müssen. Auch das wird dann eine, wenngleich kurzfristigere Kontinuität der Zusammenarbeit bekunden.
Ich weiß im Interesse der Deutschlandpolitik natürlich den breiten Konsens hier heute zu schätzen. Ich weiß die überproportionale Steigerung dieses Haushalts zu schätzen, wenn sie auch noch lange nicht am Ziel der Notwendigkeiten in der Deutschlandpolitik angekommen ist. Und ich weiß, Herr Kollege Ronneburger, Ihren Vorsitz und den guten Geist in diesem Ausschuß zu schätzen. Ich danke Ihnen für eine zwar sehr kurze, aber vertrauensvolle, redliche Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen für diese bemerkenswerte Rede. Ich werde auf einen Punkt, wo Sie meine Freunde angesprochen haben, gleich zurückkommen. Ich nehme an, daß ich dies darf, obwohl ich hier für die Bundesregierung spreche.
An der Schwelle zum Jahr 1983 tut es not, den Blick nach vorn zu richten. Es ist leider nicht auszuschließen, daß das neue Jahr deutschlandpolitische Probleme bereithält. Ich will mich auf fünf knappe Punkte beschränken.
Erstens. Am 21. Dezember 1982 ist der zehnte Jahrestag des Grundlagenvertrags mit der DDR. Aus diesem Anlaß wird die Bundesregierung eine Erklärung abgeben, eine Erklärung, Herr Kollege Ronneburger und meine Kollegen von der FDP, die wir - bei allem früherem Streit hierüber - nun nach sorgfältiger Diskussion miteinander im Kabinett erarbeitet und beschlossen haben. Ich glaube, auch dies ist ein wichtiger Hinweis.
Zweitens. Verantwortliche in der DDR, aber auch Oppositionelle hier - ein bißchen soeben auch Herr Kreutzmann - bezweifeln, daß die Bundesregierung über den erwarteten Wahlsieg am 6. März 1983 hinaus ihren deutschlandpolitischen Kurs halten werden. Wir sind natürlich nicht geschützt vor Interpretationen, die andere unserer Politik geben. Aber ich kann zu diesem Gerede mit großer Bestimmtheit erklären:
Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1982 gilt.
(Beifall des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU]
Sie gilt wie die Erläuterungen des für die Deutschlandpolitik verantwortlichen Bundesministers am 11. November vor dem zuständigen Bundestagsausschuß. Wir haben uns mit unserem Wort verpflichtet, und jeder Einsichtige kann feststellen, daß unsere Taten damit übereinstimmen. Und so wird es bleiben.
({3})
Es war für den möglichen Erfolg konkreter, anhaltender Verhandlungsbemühungen der Bundesregierung wenig hilfreich, daß der Kollege Bahr - ich muß dies hier in die Debatte einführen - am 5. Dezember die Beständigkeit unseres Kurses öffentlich in Zweifel zog. Der Kollege Bahr ist ein erfahrener Unterhändler. Er weiß, was er mit einem solchen Satz anrichtet, mit einem solchen Satz, der Zweifel an unserer Verläßlichkeit erregt und auch erzeugen soll. Das hat nicht genutzt, sondern geschadet, meine Damen, meine Herren. Dies muß ich hier mitteilen.
({4})
Drittens. Verantwortliche in der DDR werden nicht müde, uns ausdrücklich - und das ist einer der wichtigen Blicke in das nächste Jahr - vor der möglichen Nachrüstung im kommenden Jahr zu warnen und mitzuteilen, in dem Fall, daß es dazu komme, werde das Folgen haben können. Wir sind nicht bereit, eine solche Einmischung hinzunehmen.
({5})
Ob nachgerüstet wird oder nicht, wird in Genf entschieden. Der Wahltermin vom 6. März verstärkt, wie wir heute früh gehört haben, den deutschen Druck auf ein gutes Verhandlungsergebnis und das deutsche Interesse daran.
„Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", so die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kohl, sei „die Aufgabe unserer Zeit"!
Ich füge hinzu: Ich bin nicht bereit, uns bei den Vorrüstern dafür zu entschuldigen, falls es durch die starre Haltung der Vorrüster zur Notwendigkeit der Nachrüstung kommt.
({6})
Noch immer ist die Lage durch anhaltende Überrüstung der Sowjetunion gekennzeichnet. Wir haben diese Überrüstung der Sowjetunion nicht zum Anlaß genommen, einen anderen Kurs in unserer Deutschlandpolitik zu fahren. Man kann es nicht hinnehmen, daß etwa die andere Seite, die DDR, versucht, diese Lage der Überrüstung der Sowjetunion zur andauernden und unveränderbaren Grundlage auch deutschlandpolitischer Beziehungen zu machen. Die DDR sollte vielmehr ihren Einfluß auf die Sowjetunion geltend machen, damit wir in Genf bald ein gutes Ergebnis erreichen.
Das vierte - hier hoffe ich nun auch Konsens zu finden - ist dies. Im kommenden Jahr werden wir überall in Deutschland des 500. Geburtstages von Martin Luther gedenken. Darin kommt für uns die unzerstörte Einheit unseres Volkes wie der Zusammenhalt der Nation zum Ausdruck. Eisleben, Wittenberg, Wartburg und Worms - das sind Plätze in Deutschland, wo Martin Luthers Wirken vor allem geschichtliche Gestalt gewann.
Martin Luther war - das sollten alle bedenken - ein Mann von großem religiösen Ernst, ein Mann
des Wortes Gottes, kein Revolutionär, kein Politiker. Martin Luther gehört natürlich zuerst und vor allem den Lutheranern und den evangelischen Christen. Nach dem Gespräch des Papstes Johannes Paul II. mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 17. November 1980 im Dommuseum zu Mainz darf man wohl sagen, daß Martin Luther sich des Respekts des größten Teils der Christenheit erfreut. Was wir Deutschen ihm zur Entwicklung der Sprache und damit zu unserer Geschichte danken, das ragt heraus.
Meine Damen, meine Herren, so ist es gut, dieses großen Deutschen überall angemessen zu gedenken, wo das in unserem Vaterland möglich ist. Wer sich nun - dies gilt für alle - dieses herausragenden Sohnes unseres Volkes berühmt, der achte darauf - ich sage dies ganz behutsam -, daß er selbst und die Zustände, die er verantwortet, dieses einmaligen Mannes würdig sind.
Wir Politiker sollten außerdem darauf achten, diesen Kirchenmann im kommenden Jahr nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen und die Kirche nicht politisch zu überlasten.
({7})
Im Klartext: Auch in diesem Jahr gehören, wie wir meinen, auf Kirchentage zuerst die, die man auch sonst dort antreffen kann.
({8})
- Herr Duve, Ihrem Bekennermut sind niemals Grenzen gesetzt. Das ist doch ganz klar.
({9})
Sie wissen doch, weshalb ich hier auf das Luther-Jahr zu sprechen komme. Wir wissen doch alle, wo wir sind. Wenn ich im Parlament bin und ein Jahr zu Ende geht und wir uns eine Weile nicht sehen, so gehört es nach meinem Gefühl zum parlamentarischen Stil, daß man zu dem, was man mit Sicherheit erwartet, aus der Sicht der Regierung in Vorausschau - das heißt nämlich Regieren - dem Hause mitteilt, was für eine Politik sich dazu andeutet.
({10})
Es ist zu hören, daß die DDR besondere - auch staatliche - Feierlichkeiten plant. Ihr Interesse an der Teilnahme nicht nur von Bürgerinnen und Bürgern der DDR an diesen Feierlichkeiten ist offenkundig. Wir sehen das mit Interesse und prüfen die sich bietenden Möglichkeiten objektiv und ohne jede Voreingenommenheit. Was schließlich im Laufe des kommenden Jahres an Gemeinsamkeiten möglich sein wird, wird vom Stand der Beziehungen zwischen beiden Staaten in Deutschland abhängig sein. Wenn die Beziehungen sich bis dahin, was wir dringend wünschen, gutnachbarlich entwickeln, wird manches möglich sein, was heute noch als wenig aussichtsreich erscheinen muß. Es liegt zuerst an der DDR, durch gute Nachbarschaft sichtbare Gemeinsamkeit möglich zu machen. An unserem guten Willen fehlt es auch insoweit nicht.
Zum Schluß möchte ich fünftens noch einmal, wie ich das bei meiner Kurzintervention neulich hier schon tun durfte, darauf hinweisen - ich habe die Absicht, dies immer wieder zu tun -, daß zu dem Vertragswerk mit dem Osten der Brief zur deutschen Einheit gehört. Darin heißt es, daß es das Ziel unserer Politik ist, „auf einen Zustand des Friedens in Europa ,hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt". Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik ist daran orientiert. Sie ist orientiert am Grundgesetz, an den West- und an den Ostverträgen, an der einstimmigen Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972, am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Sie wird geleitet vom Willen nach Frieden und Menschenrechten sowie von der Verantwortung für die Deutschen und für Deutschland. Wir erstreben gute Nachbarschaft nach Osten wie nach Westen. Gute Nachbarschaft heißt, auch die Zusammengehörigkeit der Deutschen zu achten, Frieden durch Menschenrechte, Frieden durch Freizügigkeit und Frieden durch Zusammenarbeit. Daran kann man auch unsere Deutschlandpolitik beurteilen und erkennen.
Wenn man das alles so sieht, dann sind wir in der Kontinuität mit uns selbst. Wir reden von Deutschland, vom ganzen Deutschland, von allen Deutschen. Auch das wird so bleiben, und das hat es hier amtlich für lange Zeit nicht gegeben. Dieses neue Alte wird sich bewähren, durchsetzen und bleiben. - Ich danke Ihnen.
({11})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan des Geschäftsbereiches des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Wer dem Einzelplan 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, nach dem stenographischen Protokoll der Sitzung von heute morgen, in der ich präsidierte, hat der Herr Abgeordnete Dr. Diederich ({0}) einem Redner „übler Demagoge" zugerufen. Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Diederich hiermit nachträglich einen Ordnungsruf.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die bisher behandelten Einzelpläne.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 14 auf: Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Hier liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2310 auf. Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß über diesen Änderungsantrag im ganzen abgestimmt wird? - Das ist nicht der Fall.
({1})
Herr Abgeordneter Wieczorek, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag bezieht sich nur auf eine einzige Kürzungssumme, und die darunter stehenden Erläuterungen sind lediglich Erklärungen zur Gesamtkürzungssumme. Insofern ist hier nur ein zusammenhängender Einzelantrag zur Abstimmung zu stellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.
Ich möchte den Ausführungen des Kollegen Wieczorek widersprechen. Es sind Anträge zu einzelnen Titeln, und in einem Titel wird eine Erhöhung beantragt, in den übrigen Kürzungen. Deswegen beantrage ich Einzelabstimmung.
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Meine Damen und Herren, es wurde Einzelabstimmung gewünscht. Ich rufe Kap. 14 14 auf, und zwar Tit. 554 02 - Beschaffung von Fernmeldematerial. Der Ansatz soll um 10 000 000 DM auf 485 000 000 DM gekürzt werden.
({0})
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das zweite war die Mehrheit.
Wir kommen zu Titel 554 01: Beschaffung von Fahrzeugen. Auch hier ist eine Kürzung beantragt. Wer dieser Kürzung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
({1})
Titel 554 01: Beschaffung von ABC-Schutzmaterial. Auch hier ist eine Kürzung vorgesehen. Wer dem Kürzungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das zweite war die Mehrheit.
Titel 522 01. Hier ist eine Erhöhung vorgesehen. Wer der Erhöhung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das zweite war die Mehrheit.
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Jetzt kann über die restlichen Titel 554 01 bis 551 17 insgesamt abgestimmt werden. Wer diesen Anträgen seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das letztere war die Mehrheit.
Herr Abgeordneter Wieczorek, bitte sehr!
Herr Präsident! Nachdem wir uns auf die Einzelabstimmung eingelassen haben, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Titel 554 02 - Beschaffung von Kampffahrzeugen - und 554 05 - Beschaffung von Feldzeugmaterial - noch nicht zur Abstimmung aufgerufen wurden.
({0})
Herr Abgeordneter Wieczorek, ich bin davon ausgegangen, daß über das Gesamtkapitel 14 15 - Feldzeugwesen - insgesamt abgestimmt wurde.
({0})
Ich lasse aber, weil Uneinigkeit besteht, noch einmal über die Einzeltitel abstimmen.
Ich rufe noch einmal den Titel 554 01 auf. Wer diesem Titel seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Dann lasse ich über den Titel 554 02 - Beschaffung von Kampffahrzeugen - abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will - - Abgeordneter Redemann!
({1})
- Herr Abgeordneter, wir sind mitten in der Abstimmung.
Herr Präsident, ich muß zur Abstimmung sprechen. Sie haben nämlich in Ihrem Aufruf eben über den Titel und nicht über den Änderungsantrag abstimmen lassen.
({0})
Das, glaube ich, muß zu Mißverständnissen führen. Ich bitte um eine Wiederholung der Abstimmung.
({1})
Meine Damen und Herren, einen Augenblick! Wir brauchen nur noch über den Titel 554 05 - Beschaffung von Feldzeugmaterial
- abzustimmen; alles andere ist erledigt. Ich lasse jetzt über diesen Titel abstimmen.
({0})
- Verzeihung, über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD.
({1})
Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen auf Drucksache 9/2327 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 14 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit.
Ich rufe Einzelplan 35 auf: Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. Wer dem Einzelplan 35 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte
Vizepräsident Wurbs
ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe zur Abstimmung über Einzelplan 23 - Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - auf. Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht - ({2})
- Wo ist ein Änderungsantrag? Meine Damen und Herren, ich habe hier keinen Änderungsantrag vorliegen.
({3})
Es liegt hier ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 9/2311 vor. Wer diesem Entschließungsantrag - ({4})
- Herr Kollege Esters, ich bin Ihnen dankbar. Es kam nur der Einwand, es liege ein Änderungsantrag vor. Entschuldigen Sie! Mir wurde die Mappe herübergereicht. Ich habe das im Augenblick übersehen. Es liegt also zu dem Einzelplan kein Änderungsantrag vor.
Dann rufe ich nochmals zur Abstimmung über Einzelplan 23 auf. Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, die mit der Fortsetzung der Haushaltsberatung beginnt, auf morgen, Mittwoch, den 15. Dezember 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.