Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf eine Erklärung geben, warum der Präsident den Saal heute von der anderen Seite betreten hat:
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Ich bin der Meinung, daß alle im Hause das Recht haben, daß der Präsident einmal so nahe an ihnen vorbeikommt.
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Meine Damen und Herren, bevor ich in die Tagesordnung eintrete, habe ich die große Freude und Ehre, eine Begrüßung vorzunehmen. Auf der Diplomatentribüne ist der Herr Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Pieter Dankert, mit einer Delegation eingetroffen und hat dort Platz genommen. Ich begrüße ihn im Namen des Deutschen Bundestages recht herzlich.
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Herr Präsident Dankert, wir wissen Ihren Besuch ganz besonders zu schätzen. Ist doch dieser Besuch ein sichtbarer Ausdruck auch unseres Wunsches, die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag zu verstärken.
Wir sehen in Ihrem Besuch weniger einen diplomatischen Staatsakt als vielmehr eine Zusammenkunft von Mitgliedern der Familie der Parlamente in der Europäischen Gemeinschaft, also ein europäisches Familienereignis.
Sie, sehr geehrter Präsident Dankert, stehen an der Spitze des Europäischen Parlaments, dessen Aktivitäten wir nicht nur aus einer Zuschauerrolle verfolgen. Wir begleiten diese Aktivitäten vielmehr in tätiger Mitwirkung an der Lösung der uns allen aufgegebenen europäischen Probleme.
Ausdruck unseres Willens, die europäische Einigung zu fördern, ist auch unsere heutige Aussprache hier im Bundestag, die aktuelle grundsätzliche und konkrete Probleme der Europäischen Gemeinschaft zum Gegenstand haben wird. Ursprünglich war geplant, diese Plenarsitzung zum heutigen Tag ausschließlich mit Europaproblemen zu belegen. Leider ließ die allgemeine Geschäftslage, deren
Gründe ja allgemein bekannt sind, eine reine Europadebatte nicht zu.
Wir hoffen, daß die vielfältigen Kontakte in diesen Tagen Ihnen einen Begriff davon zu geben vermögen, daß unsererseits alles das, was sinnvoll und geeignet ist, geschehen wird, um die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten zu vertiefen und den Gedanken der Einigung Europas tatkräftig in politische Wirklichkeit umzusetzen. Nehmen Sie bitte die Überzeugung mit, daß sich der Deutsche Bundestag der gemeinsamen Verantwortung für die europäische Sache jederzeit bewußt ist. Wir wissen uns mit Ihnen verbündet bei der Bewältigung der schwierigen Aufgaben, die Ihnen und uns auf dem gemeinsamen europäischen Wege gestellt sind.
Ihnen und Ihrer Begleitung wünsche ich einen angenehmen Aufenthalt in Bonn. Mit besonderer Freude haben wir von Ihrem bevorstehenden Besuch in Berlin gehört.
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Die Europäische Gemeinschaft ist eines der Fundamente der Lebensfähigkeit dieser Stadt. Daß sich die europäische Solidarität mit unserer alten Hauptstadt auch bei dieser Gelegenheit wieder bewähren wird, ist uns Anlaß zu ganz besonderer Freude und Dankbarkeit.
Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, und Ihrer Begleitung einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland wünschen.
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Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 bis 10 auf:
4. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zur Außenpolitik, zum Ergebnis der USA-Reise, zur Zukunft des Atlantischen Bündnisses und zu Europafragen
5. Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
Aufgaben, Probleme und Perspektiven des Atlantischen Bündnisses
- Drucksachen 9/1532, 9/1739 8006
Präsident Stücklen
6. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union
- Drucksache 9/951 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mertes ({5}), Graf Huyn, Dr. Czaja, Köster, Dr. Stercken, Dr. Hupka, Dr. Todenhöfer, Graf Stauffenberg, von der Heydt Freiherr von Massenbach und der Fraktion der CDU/CSU
Einführung eines Europapasses
- Drucksache 9/1473 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({6})
Auswärtiger Ausschuß
8. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP
Politik der Europäischen Gemeinschaft
- Drucksache 9/1741 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
Die Regionen Europas
Erster Periodischer Bericht über die soziale und wirtschaftliche Lage in den Regionen der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/158 Nr. 1, 9/1040 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schaffung von Arbeitsplätzen: Prioritäten für eine Aktion der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/1211, 9/1993 Berichterstatter: Abgeordneter Pohlmann
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die Tagesordnungspunkte 4 bis 10 in einer verbundenen Debatte behandelt werden. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 13. Oktober habe ich Ihnen von dieser Stelle aus die Ziele und
Prioritäten vorgetragen, die die Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspolitik verfolgen will.
Ich berichte Ihnen heute über die Begegnungen und Konsultationen mit unseren wichtigsten Freunden und Verbündeten in Europa und in Nordamerika. Ebenso will ich Sie über die ersten Gespräche mit Mitgliedern der sowjetischen Führung und mit Regierungsvertretern der DDR unterrichten.
Meine Damen und Herren, dies ist natürlich keine Bilanz, und es kann auch gar keine sein. Was sich jedoch aus den Begegnungen für mich klar ergibt, ist: Unsere Freunde, unsere Verbündeten, Präsident Reagan, Präsident Mitterrand, Premierminister Thatcher, zählen auf die Gradlinigkeit, Festigkeit und Verläßlichkeit der Politik der Bundesrepublik Deutschland.
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Sie können es auch. Sie wissen, daß sie sich auf uns verlassen können, so wie wir uns auf sie verlassen können. Ich bin sicher, daß auch Generalsekretär Andropow und Generalsekretär Honecker davon ausgehen, daß die Politik der Bundesrepublik Deutschland ihnen gegenüber berechenbar und damit solide bleibt.
Unsere Politik bleibt eine Politik für den Frieden, für Stabilität, Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa und weltweit. Sie bleibt eine Politik für das Bündnis freier, unabhängiger Demokratien; sie bleibt eine Politik für die Einigung Europas. Deshalb war es mir wichtig, möglichst rasch auch den persönlichen Kontakt mit unseren wichtigsten Partnern zu suchen. Vertrauen in die Politik eines Landes setzt auch Vertrauen in die Personen und in die politischen Kräfte, die diese Politik tragen und unterstützen, voraus. Von ganz besonderem Gewicht ist dies in einem Augenblick, in dem uns der Führungswechsel in der Sowjetunion, so sehr er sich unter dem Zeichen der Kontinuität vollzogen hat, auch mit Fragen, Erwartungen und Möglichkeiten konfrontiert.
Meine Damen und Herren, die Begegnungen, über die ich berichte, markieren wichtige Schwerpunkte unserer Außen- und Sicherheitspolitik: im Atlantischen Bündnis, in der Europäischen Gemeinschaft, in den Ost-West-Beziehungen, in unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika und in unserem Verhältnis zu den Vereinten Nationen.
Die Kürze der Zeit seit der Amtsübernahme ließ es nicht zu, weitere wichtige Bereiche schon jetzt einzubeziehen. Das gilt insbesondere für unsere Beziehungen zu den Ländern der Dritten Welt. Aber, meine Damen und Herren, dies bedeutet nicht, daß wir uns von politischen und wirtschaftlichen Aufgaben und Verantwortungen abwenden, die wir im Nahen Osten, in Afrika, in Asien und in Lateinamerika zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft übernommen haben.
Ich will dies ausdrücklich unterstreichen, so wie ich dies auch vor wenigen Tagen hier in Bonn geBundeskanzler Dr. Kohl
genüber den Repräsentanten des Diplomatischen Korps zum Ausdruck gebracht habe. Wir - die Bundesrepublik Deutschland - werden, soweit dies unsere Kräfte und Mittel zulassen, unseren Freunden und Partnern in diesen Regionen ein guter Freund und ein hilfreicher Partner bleiben.
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Meine Damen und Herren, ich darf meinen Bericht mit den deutsch-französischen Konsultationen beginnen. Mein Besuch in Paris und der 40. deutsch-französische Gipfel haben die Normalität der deutsch-französischen Beziehungen bestätigt; Normalität, unabhängig von den jeweiligen Regierungen und den sie tragenden politischen Kräften in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland.
Zu dieser Normalität gehört auch, daß es für mich selbstverständlich war, meinen ersten Besuch unmittelbar nach meiner Wahl in Paris abzustatten. Ich habe dies getan, weil wir wissen - und hier möchte ich Präsident Mitterrand zitieren -,
wie sehr die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ein wesentliches Element des Friedens sind, des Gleichgewichts, des Wohlergehens in unseren beiden Ländern, des Wohlergehens Europas, ja zweifelsohne der ganzen Welt.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die vor nun bald 20 Jahren im Elysée-Vertrag von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle verfaßt wurde, hat sich nicht nur bewährt - das ist viel zuwenig -, es sind ihr ständig neue Gebiete zugewachsen. Und: es ist eine Freundschaft, die gewachsen ist nicht nur zwischen Regierungen, sondern vor allem zwischen den beiden Völkern mitten in Europa.
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Wir verstehen - und, meine Damen und Herren, ich bin sicher, ich spreche hier im Namen des ganzen Hauses - diese Zusammenarbeit nicht als eine Zusammenarbeit, die andere ausschließt. Wir wollen sie vielmehr fruchtbar machen für den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft. So dient sie auch der Festigkeit des Atlantischen Bündnisses, dem wir beide angehören.
Eben deshalb haben wir bei den vergangenen deutsch-französischen Konsultationen gemeinsam wesentliche Positionen der Politik des Bündnisses bekräftigt, so den Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen. Aus gemeinsamer Besorgnis über Fragen der Sicherheit haben wir auch einen regelmäßigen, vertieften Meinungsaustausch über die Fragen der Sicherheit vereinbart. Künftig werden Vierer-Gespräche der Außen- und Verteidigungsminister beider Länder fester Bestandteil der deutschfranzösischen Zusammenarbeit sein.
Wir haben damit nach 19 Jahren zum ersten Mal eine wichtige, bereits im Elysée-Vertrag getroffene Übereinkunft aktiviert. Hier geht es uns um einen Meinungsaustausch mit einem wichtigen, mit einem großen Nachbarn. Und eben damit nützen wir auch der gemeinsamen Sicherheit des Westens.
Meine Damen und Herren, wir werden anläßlich des 20. Jahrestages des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 20. Januar hier in Bonn und am 21. Januar in Paris - hier in Bonn auch im Deutschen Bundestag - die Bedeutung unserer Beziehungen in einem würdigen Rahmen herausstellen können.
Wir verstehen sehr gut die Sorge, die unseren französischen Freunden manche Entwicklung in ihrer Handelsbilanz bereitet. Wir haben ihnen dazu gesagt, daß man unter Freunden, gerade wenn es schwierig ist, miteinander sprechen und um tragfähige Lösungen bemüht sein muß. Wir wissen, daß Abschottung unserer Märkte uns schadet, daß dadurch langfristig mehr Arbeitsplätze gefährdet als in Wahrheit kurzfristig gesichert werden.
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Ich hoffe, daß wir in der Serie der Gespräche auch in dieser Meinungsbildung vorankommen. Ich werde schon in Kürze, am 7. Dezember in Paris und zuvor beim Europäischen Rat in Kopenhagen am 3. und 4. Dezember, erneut zu einem Meinungsaustausch mit Präsident Mitterrand zusammentreffen.
Mein Besuch in London und der Verlauf des 12. deutsch-britischen Gipfeltreffens am 28. und 29. Oktober haben über die Kontinuität und die Dichte der deutsch-britischen Beziehungen hinaus die Übereinstimmung zwischen unseren beiden Regierungen in wesentlichen europäischen und internationalen Fragen bestätigt. Insbesondere war es unsere gemeinsame Überzeugung, daß es für Europa lebenswichtig ist, die Partnerschaft mit unseren Freunden in den Vereinigten Staaten zu intensivieren. Mit Befriedigung hat die Bundesregierung die britische Zusage zur Kenntnis genommen, die Rheinarmee und die britischen Luftstreitkräfte auf deutschem Boden ungeschmälert zu erhalten. Die Präsenz britischer Soldaten am Rhein und in Berlin stärkt das Bündnis und festigt unsere politischen Beziehungen.
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Der Besuch, den Premierminister Thatcher im Anschluß an das Gipfeltreffen in Bonn Berlin abstattete, war ein überzeugender Ausdruck des Engagements, mit dem Großbritannien zusammen mit Frankreich und den Vereinigten Staaten Freiheit und Sicherheit unserer alten Hauptstadt verbürgt. Die Bundesregierung ist Frau Thatcher für diese Geste der Freundschaft und der Verbundenheit mit allen Deutschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges von Herzen dankbar.
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Mein Besuch in Rom diente ebenso wie die Besuche in anderen europäischen Hauptstädten einer ersten Kontaktaufnahme mit einem wichtigen Partner in der Europäischen Gemeinschaft und in der Atlantischen Allianz. Meine Gespräche mit Präsident Pertini, mit dem amtierenden Minister8008
präsidenten Spadolini, mit zahlreichen alten Freunden der Democrazia Christiana, aber auch mit Politikern aus anderen Parteien - so mit dem Sekretär der Sozialistischen Partei Craxi - haben mir erneut gezeigt, wie sehr wir in Fragen der europäischen Einigung wie auch in vitalen und existentiellen Fragen des Bündnisses gleichgerichtet denken und handeln. Das gilt insbesondere für die deutschitalienische Initiative einer Europäischen Akte, von der wir uns neue Anstöße für die europäische Einigung versprechen. Wir werden daher im Rahmen unserer Möglichkeiten mit Nachdruck versuchen, diese deutsch-italienische Initiative unter der deutschen EG-Präsidentschaft nach dem 1. Januar 1983 voranzubringen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch sagen, wie sehr ich in einem Gespräch mit Papst Johannes Paul II. beeindruckt war von seinem leidenschaftlichen Bemühen um religiöse Freiheit und Menschenrechte, aber auch um das Gespräch mit Andersdenkenden. Papst Johannes Paul II. hat in sehr herzlichen Worten die große Hilfsbereitschaft gewürdigt, die viele unserer Landsleute in Deutschland seinen Landsleuten in Polen gegenüber zum Ausdruck bringen.
Mit Genugtuung möchte ich schließlich auch den freundschaftlichen Verlauf meiner Gespräche mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten erwähnen. Mir war aus mehreren Gründen an dieser Begegnung besonders gelegen, zumal ich mich mit Ministerpräsident Werner und seinem sehr realistischen Engagement für die europäische Einigung seit vielen Jahren besonders verbunden weiß; weil ich auch persönlich aus meiner Zeit und Erfahrung als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz die Entwicklung Luxemburgs zu einer der Hochburgen europäischer Gesinnung erlebt habe, und nicht zuletzt - und das will ich besonders betonen - weil ich glaube, daß europäische Zusammenarbeit nur wirklich gelingen kann, die politische Einigung Europas nur möglich ist, wenn in der Zusammenarbeit Europas die größeren europäischen Länder den kleineren Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft mit besonderem Respekt begegnen.
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Fundament deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, so habe ich es am 13. Oktober formuliert, sind das Nordatlantische Bündnis und die Freundschaft und die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Meine Gespräche in Washington, vor allem mit dem Präsidenten, mit Außenminister Shultz kurz nach dessen Rückkehr aus Moskau, mit Verteidigungsminister Weinberger, mit Finanzminister Regan und zahlreichen anderen Persönlichkeiten aus dem politischen, aus dem wirtschaftlichen, aus dem gewerkschaftlichen Leben, haben - dessen bin ich sicher - dieses Fundament solider gemacht.
Ich war und bleibe beeindruckt von dem überaus freundlichen, freundschaftlichen, ja herzlichen Empfang, den der Präsident, seine Gattin und die Mitglieder der amerikanischen Administration mir,
meiner Frau und den Mitgliedern unserer Delegation bereitet haben. Ich bin dankbar für diesen Empfang.
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Ich sage dies um so unbefangener, als dieser Empfang zwar mir persönlich und meiner Begleitung galt, aber ebenso dem deutschen Partner im Bündnis, auf den man gerade jetzt in den Vereinigten Staaten angesichts der weltpolitischen Lage mit besonderer Aufmerksamkeit blickt und - auch das will ich sagen - auf den man gerade jetzt auch ganz besonders aufmerksam hört.
Ich traf bei dem Präsidenten auf die Überzeugung, die auch meine ist, daß man unter guten Freunden miteinander und nicht übereinander sprechen muß. Dies gilt gerade dann, wenn es in einzelnen Fragen natürlicherweise Interessenunterschiede geben mag.
Einige dieser europäisch-amerikanischen Meinungsverschiedenheiten, die in den letzten Wochen und Monaten häufig zu sehr im Vordergrund des öffentlichen Interesses gestanden hatten, konnten noch vor meiner Ankunft in Washington ausgeräumt werden.
Durch das von der Kommission mit den USA ausgehandelte Stahl-Arrangement wurden bereits länger andauernde Unstimmigkeiten über den Umfang europäischer Stahllieferungen in die Vereinigten Staaten ausgeräumt.
Der deutschen Stahlindustrie ist die Zustimmung zu diesem Arrangement verständlicherweise nicht leichtgefallen. Wir haben hier Opfer gebracht, und ich habe dies in Washington auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Aber letzten Endes wurde in dieser Frage doch ein Kompromiß gefunden, der allen nutzt: unseren europäischen Partnern, dem Zusammenhalt in der Gemeinschaft, den transatlantischen Beziehungen und schließlich auch unserer Stahlindustrie, die einen festen Marktanteil erhält.
Was ich hier sage, gilt auch für die Aufhebung der amerikanischen Sanktionsmaßnahmen, von denen die am Erdgas-Röhren-Geschäft beteiligten europäischen Firmen hart betroffen wurden.
Jeder in diesem Hause weiß - und ich will es überhaupt nicht verschweigen -, daß ich kein Verfechter dieses Geschäfts war. Aber ich trete mit allem Nachdruck und mit aller Deutlichkeit dafür ein, daß wir, die Deutschen, zuverlässige Vertragspartner sind und daß geschlossene Verträge gelten.
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Deutsche Politik muß vertragstreue Politik sein. Dann ist sie berechenbare Politik. Und daraus erwächst Friedenspolitik.
Ich habe daher die Aufhebung der Sanktionen begrüßt. Die Bundesregierung sieht hierin auch ein Signal an die Sowjetunion zur Entwicklung konstruktiver Ost-West-Beziehungen.
Es ist gelungen, im Kreis der sieben Gipfelländer und unter Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft eine substantielle Einigung über die wichtigsten Elemente eines Gesamtkonzepts in den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen zu erarbeiten. Die Gespräche werden fortgesetzt. Ich bin heute sicher: Wir sind auf einem guten Weg, zu einer vernünftigen, gemeinsamen Linie zu kommen.
Diese Einigungen mit unserem amerikanischen Partner, an denen die Bundesregierung tatkräftig und, wie ich hoffe, auch konstruktiv mitgewirkt hat, haben - das ist sicher - die Gespräche in Washington erleichtert. Dasselbe gilt für die erfolgreichen Gespräche, die kurz zuvor mein Kollege Wörner mit Verteidigungsminister Weinberger geführt hat.
Der amerikanische Präsident und ich haben unsere Gespräche im deutlichen Bewußtsein der gemeinsamen deutsch-amerikanischen Interessen und der uns gemeinsamen Vorstellungen von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat geführt. Ich habe allen meinen Gesprächspartnern mit voller Überzeugung sagen können, daß meine Landsleute in der Bundesrepublik Deutschland die deutschamerikanischen Beziehungen und unsere Partnerschaft im Bündnis unterstützen. Unsere amerikanischen Freunde können sich darauf verlassen, daß wir zuverlässige Verbündete bleiben.
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In diesem Sinne hat der amerikanische Präsident auch ausdrücklich seine hohe Wertschätzung für den bedeutenden und kontinuierlichen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung geäußert. Auch wir wissen, daß wir uns auf die Vereinigten Staaten verlassen können. Wir wissen es sehr zu schätzen - auch dies habe ich deutlich zur Sprache gebracht -, wenn ein amerikanischer Präsident in Berlin und jetzt wieder bei meiner Begrüßung vor dem Weißen Haus sagt: Ihr seid nicht allein; wir sind mit euch.
Die Vereinigten Staaten haben seit mehr als drei Jahrzehnten einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa geleistet. Die amerikanische Regierung ist mit uns davon überzeugt, daß die unverminderte Präsenz amerikanischer Truppen in Europa und die Garantie der Vereinigten Staaten für die gemeinsame Sicherheit unerläßlich bleiben.
Acht amerikanische Präsidenten und sechs deutsche Bundeskanzler haben seit Gründung der Bundesrepublik ungeachtet aller innenpolitischen Veränderungen in unseren Ländern und ungeachtet von Regierungswechseln zu dieser deutsch-amerikanischen Partnerschaft beigetragen. Ich sehe es als eine meiner wichtigsten Aufgaben an, in meiner Regierungszeit diese Partnerschaft zu festigen.
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Meine Damen und Herren, dazu gehört, daß wir für unsere Interessen bei unserem Partner werben. Dazu gehört aber auch, daß wir die Vereinigten Staaten von Amerika nach unseren Möglichkeiten und Kräften dabei unterstützen, die gemeinsamen Interessen der freien Industriestaaten zu sichern.
Der Tod von Staats- und Parteichef Breschnew und die Bestellung seines Nachfolgers Generalsekretär Andropow gaben dem Meinungsaustausch mit dem Präsidenten und dem Außenminister über die Ost-West-Beziehungen besondere Bedeutung. Unter uns bestand volle Übereinstimmung, daß die auf Festigkeit und Verhandlungsbereitschaft gegründete Politik des Bündnisses gerade in dieser Lage ganz besonders wichtig ist. Für die Zukunft sind die Vereinigten Staaten wie auch wir bereit, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten zum gegenseitigen Vorteil zu erweitern.
Die weitere Entwicklung in Polen wird hierbei ebenso eine Rolle spielen wie das zukünftige sowjetische Vorgehen in Afghanistan und das Verhalten der Sowjetunion in den laufenden Abrüstungsverhandlungen. Ich will gerade heute im Blick auf die konkrete Lage in Afghanistan noch hinzufügen: Die Bundesregierung tritt weiterhin nachdrücklich für einen baldigen Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ein.
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Der amerikanische Präsident und ich waren uns über die Bedeutung des NATO-Doppelbeschlusses in seinen beiden Teilen für ein Gleichgewicht der militärischen Kräfte einig. Ich habe in meinen Gesprächen in Washington und auch in öffentlichen Äußerungen dort sehr deutlich gemacht, welch großen Wert wir auf ernsthafte, seriöse Verhandlungen in Genf legen und daß wir die laufenden Verhandlungen mit großer Aufmerksamkeit und großem Engagement verfolgen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist überzeugt, daß die Vertreter der Vereinigten Staaten in Genf ernsthaft und mit dem klaren Willen zum Erfolg verhandeln. Wir werden von unseren amerikanischen Partnern ständig und umfassend unterrichtet. Erst vor wenigen Tagen haben der amerikanische Chefunterhändler, Botschafter Nitze und Botschafter Rostow Bundesminister Genscher und mich zu diesem Zweck aufgesucht. Wir und unsere Bündnispartner haben die Möglichkeit, im Rahmen intensiver Konsultationen unseren Einfluß auf die Verhandlungen geltend zu machen. Und wir machen nachdrücklich von diesen Möglichkeiten Gebrauch.
Ich war sehr beeindruckt von dem persönlichen Engagement des Präsidenten für diese Verhandlungen, und ich teile diesen Eindruck mit meinem Vorgänger Bundeskanzler Schmidt, der ja die gleiche Überzeugung von seinen Gesprächen mit Präsident Reagan mit nach Hause gebracht hat. Unabdingbare Voraussetzung für einen Erfolg dieser Verhandlungen ist unsere feste Entschlossenheit, zu stationieren, wenn dies notwendig werden sollte. Für diesen Fall gelten die im Doppelbeschluß vereinbarten Zahlen der zu stationierenden Systeme und die Vereinbarungen über die zeitlichen Abläufe der Vorbereitungsarbeiten. Ich will diesen Satz ganz besonders unterstreichen, weil es zu diesem Punkt in den letzten Wochen eine öffentliche Diskussion in der Bundesrepublik gab. Für uns, für die Bundesregierung - hier gibt es klare Zusagen, die
von amerikanischer Seite erneut bestätigt wurden -, gilt das, was abgemacht wurde, gelten beide Teile des NATO-Doppelbeschlusses und damit auch die abgesprochene Zahl der zu stationierenden Systeme im Falle, daß diese Systeme in der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden.
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Meine Damen und Herren, es bestand volle Einigkeit zwischen dem Präsidenten und mir über die große Bedeutung, die dem umfassenden Abrüstungsangebot an die Sowjetunion zukommt. Der Präsident hat dieses Angebot in seiner Ansprache vorn Montag dieser Woche durch den Vorschlag zusätzlicher vertrauensbildender Maßnahmen erweitert. Wir begrüßen diese Initiative, weil sie dazu beitragen kann, Mißtrauen und die Gefahr der Fehleinschätzung im Bereich nuklearer Waffen abzubauen. Ich habe im Gespräch mit dem Präsidenten der USA angeregt, daß er sein früheres Angebot, mit Generalsekretär Breschnew zusammenzutreffen, gegenüber Generalsekretär Andropow bald erneuert.
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Ich glaube, dies könnte sich günstig auf die Beziehungen zwischen Ost und West, auch günstig auf die laufenden Verhandlungen, insbesondere auf die Genfer INF-Gespräche auswirken. Selbstverständlich gibt ein solches Treffen nur dann einen Sinn, wenn es aufs sorgfältigste nach Inhalt, Themenbereichen und Zeitpunkt vorbereitet und abgestimmt ist.
Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Gegenstand unserer Gespräche war die krisenhafte Lage unserer Volkswirtschaften. Ich habe meinen Gesprächspartnern unsere Befriedigung über die bereits erfolgte Zinssenkung in den Vereinigten Staaten mitgeteilt. Es bleibt für uns entscheidend und wichtig, daß sich diese Entwicklung fortsetzt. Anknüpfend an die Ergebnisse des Versailler Wirtschaftsgipfels haben wir festgestellt, daß es gerade in der jetzigen schwierigen Lage wichtig ist, keine Lösungen für die eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf Kosten der Partner zu suchen.
Das Ergebnis meiner Gespräche in den Vereinigten Staaten haben wir in einer Erklärung zusammengefaßt, auf die ich Sie ausdrücklich aufmerksam machen darf, eine Erklärung, von der ich glaube, daß sie auch für unsere künftige Politik von Bedeutung sein wird.
Zusammenfassend darf ich sagen: Ich glaube, mein Besuch hat klar bestätigt, daß es sich lohnt, in Freundschaft und in kooperativem Geist, aber auch in aller Offenheit miteinander zu sprechen. „In aller Offenheit" heißt selbstverständlich: in klarer Darlegung der eigenen Interessen gegenüber dem Partner.
Ich habe dem Präsidenten erläutert, was es für uns und unsere Politik bedeutet, daß wir ein geteiltes Land an der Nahtstelle zwischen Ost und West sind, daß Mauer und Stacheldraht mitten durch Deutschland führen, daß Berlin geteilt ist und daß
diese Lage uns Deutsche für Entwicklungen in der Weltpolitik ganz besonders sensibel macht.
Ich habe mit ihm besonders über die Lage in Berlin gesprochen, die ihm selber durch seinen kürzlichen Besuch noch sehr gegenwärtig war. Ich habe vor allem über die großen Sorgen gesprochen, die uns die wirtschaftliche Lage Berlins bereitet.
Beide Seiten, die USA und wir, stehen ohne Vorbehalt zu der auf dem Bonner NATO-Gipfel bestätigten politischen Gesamtstrategie des Bündnisses und ihren Instrumenten, Verteidigung, Rüstungskontrolle, Dialog und Zusammenarbeit mit dem Osten unter voller Wahrung des westlichen Sicherheitsinteresses.
Dies, meine Damen und Herren, ist unsere gemeinsame politische Grundlage. Auf dieser Grundlage werde ich und wird die von mir geführte Regierung die Partnerschaft zu den Vereinigten Staaten auch in Zukunft durch verstärkte Konsultationen vertiefen. Ich freue mich, daß wir anläßlich des Besuches des Außenministers Shultz bei unserem Kollegen Genscher am 7. und 8. Dezember erneut Gelegenheit zur Vertiefung unserer Gespräche haben.
Meine Damen und Herren, es ist uns in den letzten Wochen gelungen, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, die die transatlantischen Beziehungen, j a, sogar den Zusammenhalt im Bündnis, belastet haben, indem wir aufeinander zugegangen sind. Und das stimmt mich auch für die Zukunft hoffnungsvoll.
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Dies war möglich, weil das Fundament der Gemeinsamkeiten breit und tragfähig ist und weil man auf diesem Fundament dann Kompromisse unter Freunden finden kann.
Während meines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten bin ich in New York mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Pérez de Cuéllar, zusammengetroffen. Wir haben dabei über die Beiträge gesprochen, die die Vereinten Nationen für die Lösung einer Reihe schwerer politischer Krisen in den einzelnen Regionen der Welt erbringen können. Gegenstand unseres Gesprächs war auch die Fortführung des Nord-Süd-Dialogs. Ich habe dem Generalsekretär versichert, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Friedenspolitik ihre aktive und konstruktive Mitarbeit in den Vereinten Nationen fortsetzen wird. Die Bundesregierung wird auch künftig nachdrücklich für eine Stärkung der Vereinten Nationen und ihres friedenserhaltenden Instrumentariums eintreten.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie ein Wort zur Entwicklung in der Sowjetunion. Es bleibt die erklärte Politik der Bundesregierung, den Beziehungen zur Sowjetunion hohe Aufmerksamkeit zu widmen und sie auch unter Berücksichtigung des Gesamtstandes des Ost-West-Verhältnisses kontinuierlich weiterzuentwickeln.
In Gesprächen mit dem stellvertretenden Mitglied des Politbüros Solomenzew und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Kostandow habe ich mit Befriedigung feststellen können, daß dies auch
voll und ganz den Absichten der Sowjetführung entspricht.
Dies hat sich auch bei dem wichtigen Gespräch bestätigt, das der Herr Bundespräsident und der Herr Bundesaußenminister aus Anlaß der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew mit dem neuen Generalsekretär der KPdSU, Andropow, geführt haben.
An die Adresse der sowjetischen Führung wiederhole ich von dieser Stelle nachdrücklich, daß für uns die Beziehungen zur Sowjetunion von großer Wichtigkeit sind. Sie sind es, weil die Sowjetunion große Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt trägt. Sie sind es für uns im besonderen auch deshalb, weil die Sowjetunion eine der für Berlin und Deutschland als Ganzes verantwortlichen Mächte ist.
Das haben der Bundespräsident und der Bundesminister Genscher während ihres Gesprächs mit Generalsekretär Andropow auch klar zum Ausdruck gebracht.
Auch für uns bleibt Zusammenarbeit zwischen West und Ost auf der Grundlage der Verträge und Vereinbarungen auf lange Sicht angelegt. Meine Damen und Herren, das heißt aber auch, daß Hindernisse überwunden werden können, wenn man dies will, daß wir Rückschläge, auch schwere Rückschläge, wie sie sich aus den tragischen Ereignissen in Afghanistan und Polen ergaben, dann nicht als endgültig ansehen müssen, wenn die Sowjetunion ihren Beitrag dazu leistet.
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Die Bundesregierung hat mit Aufmerksamkeit von den Darlegungen des Generalsekretärs der KPdSU vor dem Plenum des Zentralkomitees Kenntnis genommen. Wir sind bereit, auf Schritte in Richtung konstruktiver West-Ost-Beziehungen positiv zu reagieren. Aber, meine Damen und Herren, was hier zählt, sind Handlungen und Tatsachen.
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Die Bundesregierung und - dessen bin ich gewiß - die große Mehrheit unserer Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland verfolgen die Ereignisse in Polen mit großer Aufmerksamkeit und mit größtem innerem Engagement. Unser Interesse und unsere menschliche Anteilnahme an dem Schicksal unseres polnischen Nachbarvolkes ist selbstverständlich.
Es ist unsere Überzeugung, daß die Polen ihre schweren politischen und gesellschaftlichen Probleme auf dem Weg der inneren Verständigung ohne Einmischung von außen selbst lösen müssen.
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Die spontane Hilfsbereitschaft in den zahllosen Spenden von Privaten, von Kirchengemeinden, von Vereinen, von Gewerkschaften und Verbänden ist der sichtbarste Ausdruck für die Aussöhnung zwischen unseren beiden Völkern. Hier hat die Politik
der Verständigung gute und kräftige Früchte getragen. Wir alle sollten jetzt vor Weihnachten unsere Landsleute ermuntern, auf diesem Wege tätiger Nächstenliebe fortzufahren.
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Meine Damen und Herren, wir - ich bin sicher, auch hier darf ich sagen: wir alle - wünschen, daß an die Stelle von Kriegsrecht und Internierung ein wirklicher Dialog zwischen Regierung, Kirche und berufenen Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen tritt. Wir hoffen, daß die Freilassung des Gewerkschaftsführers Walesa dazu beiträgt, den Weg hierzu zu ebnen. Wir hoffen auf weitere Schritte in dieser Richtung.
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Ich begrüße es, daß die Begegnung des Herrn Bundespräsidenten und von Bundesaußenminister Genscher mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Generalsekretär Honecker, in Moskau Gelegenheit geboten hat, unser Interesse an einer Fortsetzung des Gesprächs mit der DDR auf allen Ebenen zu bekräftigen. Es wurde deutlich, daß auch seitens der DDR Interesse an einem solchen Gespräch und an einer solchen Entwicklung besteht.
Drei Ereignisse in den letzten zehn Tagen machten die Weiterführung der Gespräche und Kontakte sichtbar: die Eröffnung unserer Ausstellung „StadtPark - Park-Stadt" in Magdeburg durch Bundesminister Schneider und die Begegnung mit dem Wohnungsbauminister der DDR, Junker; die Eröffnung der Schinkel-Ausstellung aus der DDR in Hamburg durch Staatsminister Jenninger und die Inbetriebnahme der Autobahn Berlin-Hamburg durch Verkehrsminister Dollinger und sein Gespräch mit seinem DDR-Kollegen Arndt.
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- Ich nehme an, Sie haben nur eitel Freude daran, meine Damen und Herren von der SPD.
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Ich habe auch meine Freude daran gehabt, weil das diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs Gelegenheit gab, Feindbilder zu beseitigen.
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In meiner Regierungserklärung vom 13. Oktober habe ich erklärt:
Die DDR kann sich darauf verlassen, daß wir zu übernommenen Verpflichtungen stehen. Und wir erwarten, daß sich die DDR ebenfalls an Inhalt und Geist dieser Verträge hält.
Der mit den Verträgen geschaffene Modus vivendi ist die Basis. Hierauf wollen wir zum Nutzen der Menschen in Deutschland aufbauen. Dies ist ein Teil aktiver Friedenspolitik.
Wir stimmen mit Generalsekretär Honecker darin überein, daß angesichts der heutigen internationalen Lage die beiden deutschen Staaten besondere Verantwortung für den Frieden tragen. Auch wenn wichtige grundsätzliche Fragen zwischen uns und der DDR offenbleiben, so wollen wir doch ver8012
suchen, daß die beiderseitigen Beziehungen im Interesse des Friedens in Europa und vor allem im Interesse der Menschen in Deutschland weiterentwickelt werden.
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Im Gespräch mit der Führung der DDR hat die Erschwerung des innerdeutschen Reiseverkehrs durch die Erhöhung der Mindestumtauschsätze eine wichtige Rolle gespielt. Der Herr Bundespräsident und Bundesminister Genscher haben Generalsekretär Honecker darauf hingewiesen, daß gerade auch hier ein wichtiger Beitrag für die Verbesserung der Beziehungen erwartet wird.
Mit Recht messen unsere Mitbürger in der DDR und auch hier bei uns die Ergebnisse der Deutschlandpolitik auch daran, j a vor allem daran, wieviel mehr Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen Wirklichkeit wird.
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Zusammenfassend darf ich sagen: Diese Gespräche und Begegnungen, über die ich vortragen durfte, zeigen die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung in klaren Konturen. Unsere Politik ist eine Politik, die das Bündnis stärkt. Das Nordatlantische Bündnis und die Freundschaft und Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika sind Grundlage und Fundament unserer Sicherheitspolitik. Nur ein starkes, nur ein einiges Bündnis freier Völker kann den Frieden in Freiheit sichern. Dieses Bündnis bleibt auch Grundlage für eine Politik wirklicher Entspannung.
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Die Bundesregierung verfolgt auch weiterhin das Ziel des Gleichgewichts der militärischen Kräfte auf einer möglichst niedrigen Ebene. Dieses Ziel wollen wir durch vereinbarte Rüstungskontrolle und Abrüstung erreichen.
Der Dialog in den Ost-West-Beziehungen bleibt nützlich und notwendig. Er trägt dazu bei, die Teilung Europas und Deutschlands für die Menschen erträglicher zu machen und langfristig zu überwinden, was immer Ziel deutscher Politik sein muß.
Wir werden auf die Einhaltung der Schlußakte von Helsinki bestehen. Die Bundesregierung tritt für eine Stärkung des KSZE-Prozesses ein und hält an dem Ziel fest, das Madrider KSZE-Folgetreffen erfolgreich abzuschließen. Der Westen zeigt durch seine geschlossene, durch seine ruhige Verhandlungsführung, daß es uns ernst ist mit der Forderung nach einem substantiellen und ausgewogenen Schlußdokument. Es sollen, ja es müssen greifbare Fortschritte bei den Menschenrechten, den menschlichen Kontakten und der Information ebenso wie ein präzises Mandat für eine Konferenz über Abrüstung in Europa erreicht werden. Die Länder des Warschauer Pakts bleiben aufgerufen, konstruktiv auf die in Madrid eingebrachten westlichen Vorschläge zu antworten.
Wir führen den Dialog auch direkt mit der Sowjetunion. Ich begrüße es daher, daß der sowjetische Außenminister Gromyko beabsichtigt, zu Beginn des neuen Jahres, im Januar, zu Gesprächen nach Bonn zu kommen.
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- Wenn wir gemeinsam dieser Meinung sind, habe ich nichts dagegen, wenn Sie mir Beifall spenden, meine Damen und Herren von der SPD.
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Unsere Politik ist Politik für Europa. Mein Kollege Bundesaußenminister Genscher wird im Verlauf der Debatte zu diesem Thema noch im einzelnen sprechen. Lassen Sie mich nur soviel sagen: Die europäische Integration ist eine der entscheidenden Aufgaben unserer Zeit. Ich stimme Präsident Mitterrand voll und ganz zu, der bei der letzten deutsch-französischen Konsultation gesagt hat:
Wenn Europa sich nicht eine stärkere politische Basis verschafft, ... so wird das Gewicht der Interessen bald das Gewebe Europas zerreißen.
Gemeint sind Interessen im nationalstaatlichen Sinne. Ich hoffe, wir alle können dieser Feststellung des französischen Präsidenten nur zustimmen.
({28})
Ich füge hinzu: Es gibt keine Alternative zu dieser Politik. Wenn es uns nicht gelingt, in diesem Jahrzehnt, in unserer Generation einen entscheidenden Schritt auf dem Wege der politischen Einigung Europas voranzukommen, verspielen wir die Chance und den geschichtlichen Auftrag unserer Generation. Wir sollten dabei nicht kleinmütig sein. Wenn man sieht, wie in den vergangenen Jahrhunderten bis weit in unser Jahrhundert hinein der Weg der europäischen Völker und Nationen auseinander, ja gegeneinander geführt hat, und wenn man dagegen vergleicht, was trotz aller Schwierigkeiten in den letzten drei Jahrzehnten möglich war, so sollte uns dies eine Ermutigung sein.
Für mich ist es eine große Ermutigung, daß heute an diesem Tag und bei dieser Debatte der Präsident des ersten frei gewählten Europäischen Parlaments unser Gast ist.
({29})
Die Bundesregierung will versuchen, im Zusammenhang mit der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft zu Beginn des neuen Jahres deutliche Zeichen für eine Fortentwicklung der Gemeinschaft zu setzen. Ich bin mir über die Schwierigkeiten, die auf diesem Weg auf uns warten, völlig im klaren. Ich finde aber: Wenn überhaupt ein Land in Europa aus den Erfahrungen seiner Geschichte allen Grund hat, hier Schritte zu wagen, dann sind wir es, die Deutschen.
({30})
Es geht uns, meine Damen und Herren, um eine funktionsfähige, eine entscheidungsfähige Gemeinschaft. Es geht uns vor allem darum, die Solidarität der Mitglieder der Gemeinschaft in den wichtigsten Sachfragen zu stärken: im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, in den politischen und wirtschaftlichen Fragen unserer gemeinsamen Sicherheit, in
Fragen des Handels, in Fragen des freien Verkehrs von Gütern und Menschen innerhalb der Gemeinschaft. Es geht uns vor allem auch darum, das Bewußtsein wieder zu schaffen, daß die Europäische Gemeinschaft kein bloßer Verteilungsmechanismus für Haushaltsmittel ist, kein technokratischer Apparat, sondern ein für uns alle lebenswichtiger enger Zusammenschluß der freiheitlichen und demokratisch organisierten Staaten Westeuropas.
({31})
Im engen Miteinander sind wir so ein gewichtiger Partner der Vereinigten Staaten von Amerika, können wir unsere Verantwortung in den Ost-WestBeziehungen und gegenüber unseren Freunden in der Welt wahrnehmen.
Meine Damen und Herren, es kann nicht darum gehen und es darf nicht darum gehen, eigene Verpflichtungen auf die Gemeinschaft abzuwälzen. Es geht vielmehr um stärkere Verpflichtung, stärkere Verantwortung aller Mitgliedstaaten für das Funktionieren der Gemeinschaft und für die Zusammenarbeit in ihr.
Unsere Politik bleibt eine Politik der Partnerschaft mit den Ländern der Dritten Welt. Die Bundesregierung achtet das Recht der Staaten auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Sie tritt für das Recht dieser Völker ein, sich ihre politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung frei zu wählen. Sie tritt weltweit ein für die Achtung der Würde und der Rechte der Menschen, ohne die es auf Dauer weder inneren noch äußeren Frieden geben kann. Um Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Staaten der Dritten Welt zu stützen, werden wir uns auch in unserer jetzigen schwierigen Lage bemühen, den Stand der Entwicklungshilfe zu halten und wo und wenn möglich auszubauen.
Unsere Politik ist eine Politik für den freien Welthandel. Wir treten dafür ein, die eigenen Probleme durch eigene Anstrengungen und nicht zu Lasten anderer, anderer Länder und Völker zu lösen. Die Bundesregierung erwartet auch aus diesem Geist, daß die GATT-Ministertagung in diesen Tagen das freie Welthandelssystem stärkt.
({32})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor allem aber ist unsere Politik eine Politik für den Frieden in Freiheit. „Die Erhaltung des Friedens ist oberstes Ziel der Politik der Bundesregierung", so beginnt die Erklärung, mit der die Bundesregierung ihre gestrige Beratung über Fragen der Sicherheitspolitik zusammenfaßt. Weil wir den Frieden erhalten wollen, ist der Gewaltverzicht das Kernstück unserer Sicherheitspolitik. Das Atlantische Bündnis hat dies in der Bonner Erklärung vom 10. Juni so ausgedrückt:
Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Dieser Politik, meine Damen und Herren, ist es zu verdanken, daß es in Europa seit 25 Jahren keinen Krieg gegeben hat, daß unser Kontinent auch heute Krieg nicht zu fürchten braucht. Was wir heute zu
fürchten haben, ist eine Störung des Gleichgewichts.
Mit Sorge sehen wir, daß die Sowjetunion über ein ganzes Jahrzehnt mit großer Kraftanstrengung das militärische Kräfteverhältnis durch Ausbau und Verbesserung ihrer Waffen zu ihren Gunsten zu verändern sucht. Das gilt nahezu für alle Waffengattungen: für die Nuklearwaffen, für die konventionelle Bewaffnung, einschließlich der Rüstung zur See.
Uns beunruhigt ganz besonders der Ausbau der sowjetischen Mittelstreckenraketen. Über 300 Raketen mit über 900 Sprengköpfen sind bereits aufgestellt. Sie zielen auch auf unser Land.
Weil wir zusammen mit unseren Bündnispartnern den Rüstungswettlauf nicht wollen, verfolgen wir eine Politik der Verhandlungsbereitschaft und der Festigkeit. Wir sind davon überzeugt, daß nichts unversucht bleiben darf, daß wir alle unsere Kräfte dafür einsetzen müssen, ein Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau zu erreichen und zu sichern.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole den Satz aus der Regierungserklärung:
Wir wollen mehr Sicherheit mit weniger Waffen und weniger Soldaten.
({33})
Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Bundesregierung um konkrete und nachprüfbare Rüstungskontrolle und Abrüstung bemüht, ist für uns nicht nur eine Forderung der Vernunft - das ist sie selbstverständlich auch -; es ist angesichts der fast unvorstellbaren Zerstörungskraft nuklearer Waffen eine sittliche Pflicht, nichts unversucht zu lassen, daß die Waffenarsenale nicht noch weiter gefüllt werden, sondern verringert werden können.
({34})
Die christlichen Kirchen geben hierzu klare und eindeutige Antworten. In der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils „Die Kirche in der Welt von heute" heißt es - ich zitiere -:
Da der Friede aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen sollte, statt den Nationen durch den Schrecken der Waffen auferlegt zu werden, sollten alle sich bemühen, dem Wettrüsten ein Ende zu machen. Man soll wirklich mit der Abrüstung beginnen, nicht einseitig, sondern in vertraglich festgelegten gleichen Schritten und mit echten und wirksamen Sicherungen.
In der Denkschrift der EKD von 1982, „Frieden wahren, fördern und erneuern", ist die gleiche Forderung enthalten:
Das Ziel muß die Ausbildung einer politischen Friedensordnung sein, die den Abbau militärischer Gewaltmittel möglich macht.
Meine Damen und Herren, niemand von uns kann sich diesen ernsten und verantwortungsbewußten Mahnungen verschließen. Wir wollen uns
als Bundesregierung von diesem Geiste in unserer Sicherheitspolitik leiten lassen.
Das aktuellste Problem der Sicherheitspolitik sind die nuklearen Mittelstreckenwaffen. Die Bundesregierung hält - wie die Regierung Schmidt, die Vorgängerregierung - an beiden Teilen des Doppelbeschlusses fest, weil sie mit allem Ernst und mit allem Nachdruck einen Erfolg der Genfer Verhandlungen wünscht. Weil wir den Erfolg der Genfer Verhandlungen wollen, zählen wir auf die Solidarität aller Bündnispartner, die sich wie wir zu beiden Teilen des Doppelbeschlusses verpflichtet haben.
Meine Damen und Herren, um es noch einmal klar auszusprechen: Wer den Abbau der sowjetischen Mittelstreckenraketen SS 20 wirklich will, wer keine entsprechende Nachrüstung in Europa will, muß die Politik des Doppelbeschlusses unterstützen.
({35})
Aus meinen Gesprächen mit der amerikanischen Regierung und vor allem mit dem Präsidenten selbst weiß ich: Für ihn wie für uns sind diese Verhandlungen nicht irgendwelche Verhandlungen. Es sind existentielle Verhandlungen unserer Zeit.
Wir haben in unseren Gesprächen es auch der neuen sowjetischen Führung klar zu verstehen gegeben: Niemand bei uns in der Bundesrepublik Deutschland möchte, daß neue amerikanische Raketen stationiert werden müssen. Zusammen mit unseren Bündnispartnern können wir es jedoch nicht hinnehmen, daß uns Hunderte modernster sowjetischer Mittelstreckenraketen unmittelbar bedrohen. Der einzige Weg, eine westliche Nachrüstung zu verhindern, ist ein beiderseitiger Verzicht auf die Stationierung.
({36})
Die Bundesregierung ist sich der Tragweite der schon getroffenen und der noch vor uns liegenden Entscheidungen bewußt. Ich bin überzeugt, daß der Weg, den meine Regierung gemeinsam mit den Fraktionen von FDP und CDU/CSU fortsetzen will, richtig ist und unserer politischen Gesamtverantwortung entspricht. Ich bin bereit, mich über die Frage der Richtigkeit dieses Weges mit all denjenigen offen und fair auseinanderzusetzen, die unser Ziel teilen: die Erhaltung des Friedens in Freiheit.
Meine Damen und Herren, es ist für ein demokratisches Land selbstverständlich, daß in einer so wichtigen und grundsätzlichen Frage auch unterschiedliche Ansichten vertreten werden. Wir müssen beinahe schicksalhaft um den richtigen Weg ringen. Je klarer und offener diese Debatte geführt wird - auch hier im Deutschen Bundestag -, um so besser für unser Land; denn es geht um den Frieden und die Freiheit unseres Vaterlandes.
({37})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, sie haben Ihre erste Regierungserklärung zur Außenpolitik abgegeben. Sie haben eine Reihe von Antrittsbesuchen gemacht. Wir kennen Ihre Koalitionsvereinbarung, Ihre Regierungserklärung bis zum 6. März 1983, aber auch erste politische Aktivitäten in dem Bereich, der heute zur Debatte steht.
Es ist für die parlamentarische Opposition an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Anläßlich ihrer Regierungserklärung vom 13. Oktober haben wir bewußt auf die Behandlung dieses Teils verzichtet.
Lassen Sie mich für die Haltung meiner Partei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, zu Ihrer Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Europapolitik, Deutschlandpolitik und Entwicklungspolitik einige sehr grundsätzliche Bemerkungen machen.
Erstens. Dort, wo Sie die bewährte Politik von Bundeskanzler Helmut Schmidt - die Vertragspolitik stammt noch aus der Zeit von Bundeskanzler Willy Brandt - fortsetzen, werden Sie unsere Unterstützung haben.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns darum bemüht, unseren Beitrag dazu zu leisten. Bitte prüfen Sie die Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt vor dem diplomatischen Corps in Bonn sehr genau. Das gilt auch für die Ausführungen, die ich vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen habe machen dürfen.
Zweitens. Dort, wo Sie zwar von Kontinuität sprechen, aber in Wirklichkeit etwas ganz anderes tun, werden wir das aufzudecken haben.
Drittens. Dort, wo Sie trotz unveränderter Voraussetzungen die bisherige bewährte Politik ändern, werden wir Ihnen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Widerstand entgegensetzen. Auf eine Reihe von entscheidenden Veränderungen ist bereits heute im Laufe der Debatte hinzuweisen.
Viertens. Wir müssen leider annehmen, daß Sie nach dem 6. März 1983, und zwar unabhängig vom Wahlergebnis, vom Wahlausgang, zu Ihrer alten Politik der Ablehnung und der Härte zurückkehren.
Über eine entscheidende Veränderung ist vorerst kurz zu berichten. Herr Bundeskanzler, Ihr Außenminister ist derselbe wie der in der sozialliberalen Koalition, aber er ist nicht mehr der gleiche.
({1})
Denn bei den Bundestagswahlen 1980 bekam er für seine Partei noch stolze 10,6 %. Würde heute gewählt werden, würde der Außenminister dem Deutschen Bundestag nicht mehr angehören.
({2})
Wer zu Hause das Vertrauen verloren hat, der ist ungeeignet, für das Vertrauen unseres Landes in der Welt einzutreten!
({3})
Herr Bundeskanzler, nach Ihren Gesprächen in den Vereinigten Staaten besteht Anlaß, diesem Thema auch in den Ausführungen der Opposition besonderes Gewicht zu geben. Der Münchener Parteitag der SPD
({4})
ist hier im Plenum des öfteren erwähnt worden. Dieser Parteitag hat zu unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten folgendes gesagt:
Zusammenarbeit und Freundschaft mit Regierung und Volk der Vereinigten Staaten von Amerika gehören zu den Prinzipien sozialdemokratischer Außenpolitik.
({5})
Sie beruhen nicht nur auf der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Nordatlantischen Verteidigungsbündnis, sondern auch auf gemeinsamen Wertvorstellungen vom Recht des Individuums auf Glück und vom Recht der Völker auf Demokratie und Unabhängigkeit.
({6})
Diese Gemeinsamkeiten müssen sich auch bei aktuellen Interessen- und Meinungsunterschieden bewähren. Sachliche Kritik an Einzelmaßnahmen oder politischen Strategien einer US-Administration ist kein Antiamerikanismus.
Dies hat der sozialdemokratische Parteitag einstimmig beschlossen, dies ist unsere Politik, dies und nichts anderes gilt.
Herr Bundeskanzler, wir freuen uns sehr darüber, daß Sie sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten gut verstehen, aber es ist j a wohl auch nichts Besonderes, wenn sich zwei Konservative ganz besonders gut verstehen.
({7})
Aber bei allem Respekt vor dem Präsidenten der Vereinigten Staaten: Andere Auffassungen als die von Präsident Reagan oder von Staatssekretär Weinberger sind doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch kein Antiamerikanismus!
({8})
Die Vereinigten Staaten von Amerika, das sind nicht nur Präsident Reagan und Staatssekretär Weinberger. Die Vereinigten Staaten, das sind auch die 60 % der amerikanischen Wählerinnen und Wähler, die am 2. November 1982 für das Einfrieren der atomaren Waffen in Ost und West gestimmt haben.
({9})
Das sind auch die katholischen Bischöfe in den Vereinigten Staaten, und das sind auch George Kennan und McNamara und Mondale und Kennedy und viele andere bedeutende Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten. Wir wissen, daß es bei den Wahlen 1980 eine starke konservative Entwicklung in den Vereinigten Staaten gegeben hat. Wir wissen auch, daß dabei die rechtswidrige, j a kriminelle Geiselnahme in Teheran eine ganz besondere Rolle gespielt hat. Keine westliche Regierung hat sich so bemüht, den Vereinigten Staaten bei der Lösung dieses schrecklichen Problems behilflich zu sein wie die damalige Bundesregierung, und ich weiß sehr genau, worüber ich hier rede.
Aber nun gibt es auch wieder andere Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, und die nächsten Wahlen finden schon im Jahre 1984 statt. Wir Sozialdemokraten werden unsere Kontakte zu den liberalen und fortschrittlichen Kräften der Vereinigten Staaten weiter ausbauen.
({10})
Es wird nicht zum Schaden unseres Landes sein, wenn Sie mit den konservativen Repräsentanten und wir mit den liberalen und fortschrittlichen Kräften dieses großen und bedeutungsvollen Landes besonders verbunden sind.
({11})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihre gemeinsame Presseerklärung mit Präsident Reagan sehr genau prüfen, werden Sie feststellen, daß sie in allen wesentlichen Punkten auf dem beruht, was Ihr Vorgänger vereinbart hat. Herr Bundeskanzler, auch deshalb fordere ich Sie auf, das böse Wort vom Zwielicht zurückzunehmen.
({12})
Lassen Sie mich ein Wort sagen, was den Stil des Umgangs untereinander - ich meine zwischen den Vereinigten Staaten und Europa in diesem Falle - angeht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich bedankt für die Aufhebung der Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen das Erdgasröhrengeschäft mit der Sowjetunion. Diese Maßnahmen waren völlig ungerechtfertigt; ihre Rechtsgrundlage war und ist höchst zweifelhaft. Dieser Weg ist unter Partnern in einem Bündnis völlig unmöglich.
({13})
Deshalb sage ich, es besteht kein Anlaß, sich zu bedanken, wenn jemand einen völlig ungerechtfertigt vor die Schienbeine tritt und dann auf einmal damit aufhört.
({14})
Außenpolitik, das ist nicht nur der Austausch von Freundlichkeiten,
({15})
Außenpolitik, das ist die eindeutige Vertretung unserer Interessen gegenüber anderen Staaten, auch gegenüber dem wichtigsten Verbündeten.
({16})
Übereinstimmung in den großen Zielen reicht nicht aus. Der Entscheidungsprozeß in der Außenpolitik wird durch eine Fülle von Einzelentscheidungen geprägt. Deshalb habe ich heute folgende konkrete Fragen, Herr Bundeskanzler, an Sie zu richten.
Erstens. Welche Verpflichtungen ist die Bundesregierung gegenüber den Vereinigten Staaten eingegangen über die Einschränkung unserer Handelsbeziehungen mit den Staaten des Comecon, insbesondere mit der Sowjetunion? Ich berufe mich hier ausdrücklich auf die Ausführungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten in seiner Rundfunkansprache vom 13. November 1982. In dieser Rundfunkansprache spricht der Präsident von „erreichten Übereinkommen" und von „Sofortmaßnahmen", auf die man sich bereits geeinigt habe.
Zweitens. Welche Belastungen ergeben sich durch die getroffenen Vereinbarungen für die deutsche Wirtschaft?
Drittens. Worauf sind die sehr unterschiedlichen Aussagen zu diesem Thema des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Präsidenten der Französischen Republik zurückzuführen?
Viertens. Da Sie erklärt haben, daß Sie in allen wesentlichen Fragen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, aber auch mit dem Präsidenten der Französischen Republik übereinstimmen, frage ich Sie: wie ist die Haltung der Bundesregierung zu diesen Fragen?
Wir erwarten von Ihnen, daß Sie die Interessen der deutschen exportierenden Betriebe, ihrer Ingenieure und ihrer Techniker, ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter genauso eindeutig und konsequent wahrnehmen, wie der Präsident der Vereinigten Staaten die Interessen der amerikanischen Farmer wahrnimmt, wenn es um den Getreideexport in die Sowjetunion geht.
({17})
Für den Export in die Staaten des COMECON arbeiten in unseren Betrieben nahezu 250 000 Menschen.
({18})
Wir wollen mehr Export, und wir wollen nicht in erster Linie über Boykott reden.
({19})
In der gemeinsamen Erklärung über die Gespräche von Bundeskanzler Schmidt mit Präsident Reagan vom Januar dieses Jahres heißt es unter anderem:
Der Bundeskanzler und der Präsident unterstreichen die engen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten.
({20})
Sie stimmten in der Notwendigkeit überein, die deutsch-amerikanische Freundschaft durch die Förderung und Erweiterung gegenseitiger Kontakte und insbesondere durch besseres gegenseitiges Verständnis unter Angehörigen der jüngeren Generation zu wahren und zu vertiefen.
Sie nahmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Außenminister Genscher und Haig zu diesem Zweck in ihren jeweiligen Ministerien Koordinatoren für die deutsch-amerikanischen Verbindungen benannt haben. Im amerikanischen Außenministerium wurde diese Aufgabe dem Abteilungsleiter für Europa, Lawrence S. Eagleburger, übertragen, im Auswärtigen Amt wurden diese Aufgaben von Staatsminister Frau Dr. Hildegard Hamm-Brücher wahrgenommen.
Soweit die Erklärung.
Ich möchte zunächst Frau Dr. Hamm-Brücher für ihr Engagement in dieser Aufgabe,
({21})
für ihren Ideenreichtum und für ihre Zielstrebigkeit, den deutsch-amerikanischen Beziehungen zu dienen, sehr herzlich danken.
({22})
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: warum ist diese wichtige Aufgabe für die deutsch-amerikanischen Beziehungen seit nunmehr nahezu zwei Monaten noch immer nicht besetzt? Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: warum haben Sie einen neuen Koordinator noch nicht berufen, um ihn auf Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten mitzunehmen und dort den neuen Koordinator vorzustellen?
({23})
Herr Bundeskanzler, unmittelbar nach Ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten hat eine deutsch-amerikanische Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn stattgefunden. Da ist auch über Einzelheiten gesprochen worden.
Da hat sich sehr schnell gezeigt, wo nach wie vor erhebliche Differenzen gegeben sind. Wenn ich die Differenzpunkte anschaue - der Bonner „General-Anzeiger" hat darüber einen Bericht eines Journalisten gebracht, der mit der deutschen Außenpolitik besonders gut vertraut ist -, stelle ich fest, daß sich darin eigentlich nichts geändert hat.
Die „Zeit", Herr Bundeskanzler, hat zu Ihrem Besuch geschrieben: „Da sich die Partner bei ihren Gesprächen nicht in Details verloren, die gewöhnlich doch nur Ärger provozieren, stand einer neuen
Harmonie auf höchster deutsch-amerikanischer Ebene nichts im Wege."
({24})
Von dieser deutsch-amerikanischen Konferenz liegt mir das Manuskript der Rede von Richard Allen, dem früheren Sicherheitsberater von Präsident Reagan, vor.
({25})
Allen forderte in seiner Rede eine Überprüfung der gesamten deutschen Ostpolitik. Er forderte die Überprüfung unserer Ostpolitik natürlich mit dem Ziel der Veränderung. In der Tatsache, daß Dr. Kohl nun die Regierung übernommen hat, sieht Allen - so hat er sich wörtlich ausgedrückt - einen „exzellenten Beginn für diese Überprüfung". Herr Bundeskanzler, wir möchten Sie ausdrücklich vor einer solchen Entwicklung warnen.
({26})
Der amerikanische Journalist David Binder, von dem deutschen Fernsehjournalisten Dieter Kronzucker nach der Meinung der US-Regierung über
Man sieht in Kohl eher eine knetbare Figur, nämlich in der amerikanischen Regierung. Ich stelle ausdrücklich fest: Ich zitiere einen sehr bekannten amerikanischen Journalisten.
({0})
Wir brauchen einen Bundeskanzler, der die Interessen des Bündnisses kennt und wahrnimmt.
({1})
Wir brauchen einen Bundeskanzler, der die deutsch-amerikanischen Beziehungen so ernst nimmt, wie sie genommen werden müssen.
({2})
Aber wir brauchen auch einen Bundeskanzler, der gegenüber dem wichtigsten Partner im Bündnis die Interessen unseres Landes eindeutig wahrnimmt.
({3})
Wir brauchen keinen Bundeskanzler, der eine knetbare Figur ist.
({4})
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung besonders zum Doppelbeschluß vom Dezember 1979 Stellung genommen. Wir haben unsere Haltung in dieser Frage nicht geändert.
({5})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben in den Vereinigten
Staaten gesagt, Sie wollen dies auch für die Bundestagswahl am 6. März 1983 zum Thema machen. Wir
greifen das gern auf. Das gibt uns die Möglichkeit, die bestehenden Unterschiede der Auffassungen sehr deutlich herauszuarbeiten und herauszustellen.
({6})
Für uns Sozialdemokraten stehen die Verhandlungen eindeutig im Vordergrund.
({7})
Helmut Schmidt hat große Anstrengungen unternommen,
({8})
um die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zu bringen.
({9})
Beide Seiten wollten doch zuerst gar nicht verhandeln. Helmut Schmidt hat hier im Interesse aller Europäer gehandelt.
({10})
Für die CDU/CSU steht ganz offensichtlich die Nachrüstung im Vordergrund.
({11})
- Moment! Moment!
({12})
Ich bringe Ihnen zwei gewichtige Zitate. Der Vorsitzende einer Ihrer Koalitionsparteien hat sehr bald nach dem Beschluß der NATO den Verhandlungsteil als „Geburtsfehler" und „in der Sache leider unlogisch" bezeichnet.
({13})
Diese Auffassung, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir bekämpfen, und wir freuen uns, daß wir bis zum 6. März dazu hervorragende Gelegenheit haben.
({14})
Der Kollege Todenhöfer
({15})
hat noch am 10. November im Pressedienst der CDU/CSU zu diesen Fragen folgendes erklärt - ich zitiere -:
Der NATO-Doppelbeschluß sieht Rüstungskontrollverhandlungen unter Einbeziehung der INF als Ergänzung, nicht als Ersatz für die Modernisierung der INF vor. Er sieht vor, daß die INF-Verhandlungen parallel zur Vorbereitung
und gegebenenfalls Implementierung der INFModernisierung laufen sollen.
({16})
Weiterhin heißt es - darin ist fast eine Rückkehr zu der alten Wörner-These „Erst rüsten, dann verhandeln" zu erkennen -:
Mit unseren Bündnispartnern sind wir uns darüber einig, daß die Sowjetunion möglicherweise erst dann zu wesentlichen Konzessionen bereit ist, wenn der Westen, wie vorgesehen, mit der Dislozierung beginnt und sie nötigenfalls planmäßig zu Ende führt.
Das ist doch völlig
korrekt!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so spricht,
({0})
gewährt den Verhandlungen nicht den notwendigen Ernst und die Bedeutung, die sie jedenfalls für uns Sozialdemokraten haben.
({1})
Auch in der gemeinsamen deutsch-amerikanischen Erklärung findet sich kein einziger Hinweis darauf, daß im Westen nach Bewegungsmöglichkeiten gesucht wird, z. B. indem man die INF-Verhandlungen und die START-Verhandlungen stärker miteinander verbindet. Ohne Fortschritte bei den START-Verhandlungen ist ein Verhandlungsergebnis bei den INF-Verhandlungen nur schwer vorstellbar. Dagegen würde man Unterschiede in der strategischen Ausgangslage beider Seiten sehr viel besser berücksichtigen können, wenn man beide Verhandlungen stärker miteinander verschränkt. Es ist doch eine Tatsache, daß das Nuklearpotential Frankreichs und Großbritanniens in der strategischen Gesamtlage eine Rolle spielt.
Es ist aus unserer Interessenlage heraus richtig, die Verhandlungen auf die landgestützten Systeme zu konzentrieren. Man sollte aber doch nicht ausschließen, im Interesse einer Verhandlungslösung auch andere Mittelstreckensysteme einzubeziehen
({2})
- z. B. luftgestützte Mittelstreckenraketen - oder in einer Gesamtverhandlungslösung auch für Kurzstreckensysteme Regelungen zu treffen.
({3})
Mein Eindruck ist, daß die neue Bundesregierung nicht genügend tut,
({4})
um Bewegung in den Genfer Verhandlungen zu ermöglichen.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht Kontinuität. Dieses ist Abkehr.
({6})
Zur Kontinuität gehört, daß wir den Verhandlungsprozeß in Genf im Sinne von Verhandlungsergebnissen beeinflussen. Dies aber ist nach unserer Auffassung nicht mehr der Fall. Wir werden auf unserem Ordentlichen Parteitag im Herbst 1983 entscheiden, welche Folgerungen wir aus dem bis dahin erreichten Verhandlungsstand für die Frage der Stationierung ziehen.
({7})
Die Verhandlungen müssen mit dem Ziel geführt werden, sowjetische eurostrategische Raketen abzubauen,
({8})
um die Einführung neuer eurostrategischer Mittelstreckenwaffen der Vereinigten Staaten überflüssig zu machen.
({9})
Wir wollen weniger atomare Waffen in Europa
({10})
und nicht etwa mehr.
({11})
Mein Freund Hans-Jochen Vogel hat dazu folgendes gesagt: „Bis dahin" - damit meint er den Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - „werden wir nicht müde werden, die Sowjetunion zu drängen,
({12})
daß sie sich bewegt, und wir werden unsere amerikanischen Freunde so, wie Helmut Schmidt das formuliert hat, immer wieder bitten, die größten Anstrengungen zu unternehmen, damit die Aufstellung überflüssig wird."
({13})
So sagte Jochen Vogel.
Wir fordern die Bundesregierung auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den Verhandlungsprozeß zu fördern,
({14}) in Washington und in Moskau.
({15})
Wir, die Opposition, werden in dieser Frage die treibende Kraft sein. Wir werden unsere Kontakte in
Washington und Moskau nutzen, um den Verhandlungsprozeß zu fördern,
({16})
und wir werden beiden Seiten sagen, daß die Wiederholung von Ausgangspositionen nicht zu Ergebnissen führen kann.
Jeder kann von unserem Verantwortungsbewußtsein für die Sicherheit unseres Landes und für die Notwendigkeit des Gleichgewichts auf möglichst niedrigem Niveau ausgehen. Unsere Haltung wird auch durch das Maß an Information beeinflußt, das die augenblickliche Bundesregierung zu diesen Lebensfragen unseres Landes auch der Opposition zu geben bereit ist.
Wir haben Anlaß, die Bundesregierung daran zu erinnern, daß eine alleinige Stationierung in der Bundesrepublik in keinem Fall in Frage kommt. In einem Leitartikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 18. November 1982 war im Zusammenhang mit der USA-Reise des Bundeskanzlers zu lesen, daß der Bundeskanzler dort auf die Bedingung verzichtet hat, die Bundesrepublik dürfe nicht das einzige Land sein, das stationiert. Der Autor müßte es eigentlich wissen, denn er war bei der Reise dabei. Trifft das wirklich zu? Eine Klärung in dieser Frage erweist sich als absolut notwendig, und zwar, Herr Bundeskanzler, noch heute.
({17})
Herr Bundeskanzler, wir verfügen leider über Informationen, daß das Pentagon plane, bereits im kommenden Frühjahr mit der Stationierung von Ausrüstungsgegenständen für die im Doppelbeschluß vorgesehenen neuen amerikanischen Waffen in Westeuropa zu beginnen.
({18})
Wir haben Sie darüber vor Ihrer Amerika-Reise informiert, und Sie haben dazu etwas gesagt.
({19})
Ich möchte die Zusatzfrage stellen, ob Sie auf Grund Ihrer Gespräche damit rechnen, daß es in den Vereinigten Staaten Erwartungen gibt, daß man nach dem 6. März vielleicht besser über diese Frage reden kann.
Das zweite: Die Auskunft, Herr Bundeskanzler, die Sie in der Frage der Anzahl der Pershing II gegeben haben, befriedigt mich, so daß ich die Frage hier zurückstellen kann.
Herr Abgeordneter Wischnewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Wischnewski, hätten Sie die Freundlichkeit mitzuteilen, auf Grund von welchen Hinweisen oder Vermutungen
({0})
Sie zu der Ansicht kommen können, daß die amerikanische Seite entgegen der klaren Absprache vorher Stationierungsmaßnahmen trifft, und in welchem Zusammenhang hier das Datum 6. März, also das Wahldatum, eine Rolle spielt?
Ich kenne Aussagen aus den Vereinigten Staaten.
({0})
Ein Name ist hier gerade gefallen. Zum Beispiel hat Richard Allen gesagt, daß man bis zum 6. März alles vermeiden muß, was der Regierung Kohl Probleme bereitet. Aus diesem Grund erlaube ich mir sehr mit Recht, diese Frage zu stellen, Herr Bundeskanzler.
({1})
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege Wischnewski, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß ich die eben von Ihnen wiedergegebene Meinung als abwegig betrachte, und sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß das gegebene Wort der amerikanischen Regierung gilt, daß die Zahl der Systeme und die dann noch abzusprechenden Daten eingehalten und nicht vorverlegt werden und das Ganze im Zusammenhang mit dem Ergebnis der Genfer Verhandlungen zu sehen ist?
Herr Bundeskanzler, ich bedanke mich dafür, daß Sie die Gelegenheit wahrgenommen haben, in beiden Fragen noch einmal eindeutig Klarheit zu schaffen.
({0})
Wir werden das ganze Jahr 1983 an Ihre Aussagen von heute sehr genau denken. ({1})
- Eine Debatte findet auch deshalb statt, um in bestimmten Punkten Klarheit zu schaffen, und in dieser Frage hat es vorher Unklarheiten gegeben.
({2})
- Nicht nur bei uns.
Herr Abgeordneter Wischnewski, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Ehmke?
Sehr gerne.
({0})
Herr Kollege, um die Klarheit noch zu vergrößern: Da der Herr Bundeskanzler gerade von „abzusprechenden Daten" gesprochen hat, frage ich: Stimmen Sie mir zu, daß das Datum
einer etwaigen Stationierung im NATO-Beschluß selbst eindeutig fixiert worden ist mit den Worten „frühestens Ende 1983"?
({0})
Kollege Professor Ehmke, zwischen dem Inhalt des Beschlusses, Ihrer Frage und meinen Vorstellungen besteht keinerlei Differenz. So ist es.
({0})
Der frühere Verhandlungsführer der Vereinigten Staaten bei den SALT-Verhandlungen, Paul Warnke, hat interessante Vorschläge für die Genfer Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen gemacht. Hat die Bundesregierung diese Vorschläge geprüft? Zu welchem Ergebnis hat diese Prüfung geführt? Ist die Bundesregierung bereit, diese Vorschläge oder einen Teil dieser Vorschläge zu übernehmen?
Zur Zeit gibt es wieder eine Debatte im amerikanischen Senat über den Abzug amerikanischer Soldaten aus Europa. Sie, Herr Bundeskanzler, haben das Thema in Washington angesprochen. Und wir befinden uns in dieser Frage in völliger Übereinstimmung.
({1})
Raketen aufstellen und Soldaten abziehen, das ist eine Politik, der wir unseren ganzen Widerstand entgegensetzen werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Außerdem ist diese Debatte leider schädlich für die westliche Position bei den für uns so wichtigen Wiener MBFR-Verhandlungen.
({3})
Ich habe nach Ihren Gesprächen in den Vereinigten Staaten zwei weitere Fragen zu stellen, auch nach Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler. Welchen Beitrag wollen die Vereinigten Staaten als führende Weltwirtschaftsmacht leisten, um die gefährliche Weltwirtschaftskrise zu überwinden? Insbesondere mit welcher Zinspolitik der Vereinigten Staaten haben wir zu rechnen? Hält Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, die Politik der Vereinigten Staaten zur Überwindung der Krise für richtig und ausreichend?
Herr Bundeskanzler, haben Sie die großen Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft in der Agrarpolitik angesprochen, und welche Vorstellungen haben Sie selbst zur Lösung dieses Konflikts,
({4})
nachdem die Bundesrepublik in vier Wochen den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft übernehmen wird?
({5})
Wir haben uns in der Debatte über militärische Aktivitäten der NATO außerhalb des eigentlichen Bündnisbereichs klar dafür ausgesprochen, unsere militärische Rolle klar auf das Einsatzgebiet der NATO zu beschränken.
Die neue Bundesregierung hat sich dieser Auffassung in der Regierungserklärung auch angeschlossen. In seiner Rede vor dem American Council on Germany in New York erklärte der Bundeskanzler jedoch:
Wir sehen wohl, was die Vereinigten Staaten für unsere gemeinsamen Lebensinteressen außerhalb Europas tun,
({6})
damit die Unabhängigkeit und die Sicherheit der freien Welt bewahrt bleibt.
({7})
Wir sind bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten und soweit es unsere Kräfte zulassen, die Vereinigten Staaten dabei zu unterstützen, die gemeinsamen Interessen der freien Industriestaaten zu sichern.
({8})
Wir könnten mit dieser Aussage durchaus leben,
({9})
wenn es nicht vor kurzem ganz massive Äußerungen gegeben hätte, insbesondere des verehrten Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, den NATO-Bereich entscheidend auszuweiten.
({10})
- In der „Berliner Morgenpost" vom 10. Januar 1981 haben Sie erklärt:
Man kann daran denken, den Verantwortungsbereich der NATO auf den Südatlantik und auf Teile oder den ganzen Indischen Ozean auszudehnen.
({11})
- Angesichts dieser Haltung, Herr Kollege Dr. Dregger, werden Sie verstehen, daß ich Anlaß habe, hier noch einmal nachzubohren. Das ist nämlich die Aufgabe der Opposition.
({12})
Wir erwarten von der Bundesregierung eine aktive, vorantreibende Rolle bei den Wiener Verhandlungen. In der Datendebatte in Wien haben beide
Seiten viel Prestige investiert und dabei sehr viel Zeit verbraucht. Jetzt ist es an der Zeit, zu prüfen, ob unabhängig von der Nicht-Einigung in der Datenfrage eine beiderseitige Truppenreduzierung vereinbart werden kann. Eine solche Initiative fände unsere Unterstützung.
Herr Bundeskanzler, Sie haben dem Deutschen Fernsehen gesagt: „Ich bin kein Fan des ErdgasRöhren-Geschäfts." - Das ist keine gute Grundlage für die Fortsetzung des schwierigen KSZEProzesses, denn natürlich ist das Erdgas-RöhrenGeschäft für uns nicht nur ein ganz normales Geschäft, es ist auch Teil der Bemühungen, der Schlußakte von Helsinki gerecht zu werden, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über geographische und ideologische Grenzen hinweg einen wichtigen Platz in der Entspannungspolitik einzuräumen.
({13})
Wer an diese Fragen mit Gleichgültigkeit, j a, eher mit Widerwillen herangeht, bei dem haben wir Zweifel, ob er bereit ist, sich an den großen Anstrengungen zu beteiligen, die notwendig sind, um eine Europäische Abrüstungskonferenz zu erreichen.
Die MBFR-Verhandlungen in Wien, der KSZEProzeß von Helsinki bis Madrid und die Verhandlungen in Genf sind ganz wesentlich durch die Friedenspolitik der Regierungen Brandt und Schmidt zustandegekommen. Diese Verhandlungen sind Ihnen bis zum 6. März 1983 anvertraut.
({14})
Wir erwarten von Ihnen, daß Sie den unter schwierigen Umständen zustandegekommenen Verhandlungsprozeß mit Tatkraft, aber auch mit Besonnenheit voranbringen, um in einer schwierigen Zeit den Frieden in Europa nicht nur zu erhalten, sondern ihn noch sicherer zu machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({15})
Beim Staatsbesuch von Präsident Mitterrand hier in Bonn haben Sie, Herr Bundeskanzler, die deutsch- französische Gemeinschaft im Interesse und zum Wohle Europas beschworen. In Brüssel beim Rat der EG-Wirtschafts-, -Finanz- und -Sozialminister haben Sie alle gemeinsamen europäischen Anstrengungen vom Tisch gewischt. Von tiefen Differenzen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik ist jetzt die Rede. Die Zeitung „Die Welt", die Ihnen ja nicht so fremd ist, vom 18. November 1982 schrieb, daß diese Differenzen den Keim einer Entfremdung zwischen Bonn und Paris in sich trügen. Herr Bundeskanzler, sprechen Sie nicht von Adenauer und de Gaulle, handeln Sie so, wie diese beiden Männer es heute täten!
({16})
Zu den anderen wichtigen, entscheidenden Fragen der Europäischen Gemeinschaft wird mein Freund Willy Brandt Stellung nehmen.
Kontinuität in der Ostpolitik bedeutet für viele Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU, daß sie heute die Politik akzeptieren, die sie mehrere Jahre lang mit allen Mitteln bekämpft haben. Die historische Wahrheit verlangt es in dieser Stunde, in der Sie erklären, daß Sie unsere Vertragspolitik gegenüber unseren Nachbarn im Osten nicht nur respektieren, sondern auch zu Ihrer Politik machen,
({17})
daran zu erinnern, daß Sie diese Politik jahrelang bekämpft haben. Da war von Ausverkauf und sogar von Verrat die Rede.
({18})
Es ist gut für unser Land, daß Sie den langen Weg hinter sich gebracht haben.
({19})
Wir zollen denjenigen unseren Respekt, die diesen Weg aus Überzeugung gegangen sind. Wir haben Verständnis für diejenigen, die sich realistisch verhalten, weil die Verträge in der Welt anerkanntes Völkerrecht geworden sind. Wir hoffen, daß die Zahl derjenigen, die sich wegen des Regierungswechsels nur opportunistisch angepaßt haben, nicht zu groß ist. Aber wir wissen sehr genau, daß es solche gibt.
Aber diese Verträge dürfen nicht nur respektiert werden, sie müssen immer wieder neu mit Leben erfüllt werden.
({20})
Wir bitten Sie sehr dringend, das zu tun. Es gibt noch viele Möglichkeiten. In dem notwendigen Dialog darf keine Pause eintreten. Das gilt gerade nach einer entscheidenden personellen Veränderung in der Sowjetunion.
({21})
Lassen Sie mich ein Wort zu Polen sagen. Lech Walesa ist freigelassen worden;
({22})
ein gewichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des Kriegsrechts scheinen günstiger geworden zu sein. Herr Bundeskanzler, in dieser Stunde, vor einem für das polnische Volk schwierigen Winter bitte ich Sie sehr herzlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die chemischen Mittel bei uns eingekauft werden können, die notwendig sind, um die Menschen in Polen mit den erforderlichen Medikamenten versorgen zu können. Ich darf die Bundesregierung sehr herzlich darum bitten, zu überlegen, ob in dieser Frage nicht geholfen werden kann.
({23})
Herr Bundeskanzler, Sie haben die Nord-SüdPolitik nur erwähnt und nicht angesprochen. Aber gerade hier zeigen sich eine Reihe von entscheidenden Veränderungen. Sie müssen von uns angesprochen werden. Der neue Entwicklungsminister braucht zuerst einmal selbst Entwicklungshilfe.
({24})
Wir glaubten, daß der Kollege Köhler für Kontinuität Sorge tragen würde. Aber wir haben uns offensichtlich getäuscht.
Für Nicaragua soll die Entwicklungshilfe gekürzt werden. Ich unterschreibe auch nicht alles, was in diesem Land geschieht.
({25})
Aber wir müssen unseren Beitrag leisten für die drei Ziele der sandinistischen Revolution, zu der hoffentlich auch Sie stehen: politischer Pluralismus,
({26})
gemischte Wirtschaft und Blockfreiheit. Wir werden für diese drei Ziele immer eintreten.
({27})
Dagegen wollen Sie die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador wieder aufnehmen. Sie wollen sogar wieder einen Botschafter in dieses Land entsenden. Der Christdemokrat Duarte,
({28})
der frühere Präsident,
({29})
der dann abgesetzt wurde, mit dem ich viele Stunden Gespräche geführt habe, und zu dem Sie doch ganz besonders gute Beziehungen unterhalten,
({30})
hat gesagt, Herr Kollege Dr. Dregger: Das, was zur Zeit in El Salvador geschieht, ist nur vergleichbar mit der Zeit von Hitler und Mussolini. Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie das, was Duarte gesagt hat, sehr ernst nehmen.
({31})
Herr Abgeordneter Wischnewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege Wischnewski, darf ich aus Ihren Worten schließen, daß Sie als neue Außenpolitik raten, nie einen Botschafter zu umstrittenen Regierungen oder gar zu diktatorischen Regierungen zu schicken? Wie stellen Sie sich unter diesen Umständen noch Außenpolitik vor?
Verehrter Herr Kollege, Sie wissen, daß der Botschafter nicht aus diesen Gründen, sondern aus Sicherheitsgründen abberufen wurde. Die Entscheidung des Auswärtigen Amts damals war ganz klar und eindeutig.
({0})
Dort sind laufend so viele Menschen ermordet worden, daß die Sicherheit für unseren Botschafter nicht gegeben war.
({1})
Wenn ich mir die derzeitige Situation in El Salvador ansehe, da die Vereinigten Staaten darauf drücken mußten, daß Soldaten, die drei katholische Schwestern umgebracht haben, angeklagt wurden,
({2})
dann sehe ich nicht die Sicherheitsvoraussetzungen geschaffen, daß wir unsere Botschaft wieder besetzen. Meine Meinung in dieser Hinsicht ist eindeutig.
({3})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich möchte jetzt keine weiteren Fragen zulassen. Ich bitte um Entschuldigung.
({0})
- Ich habe bisher alle Fragen beantwortet. Aber jetzt geht meine Zeit in dieser Hinsicht zu Ende.
({1})
Die Zusage für Zimbabwe soll gekürzt werden. Bei Ihrer Kürzungsliste scheint die politische Tendenz eindeutig zu sein.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vereinigten Staaten sind für unsere Sicherheit eine Lebensfrage, und wir wollen die besten Beziehungen auch zur Regierung der Vereinigten Staaten. Aber ich muß dringend davon abraten, alle Positionen der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber den Ländern der Dritten Welt zu übernehmen.
({3})
Leider haben unsere amerikanischen Freunde für Entwicklungen in der Dritten Welt nicht immer das Verständnis, das man dafür haben muß.
({4})
Ich möchte nicht, daß die Bundesrepublik etwas von dem großen Ansehen, das sie in den Ländern der Dritten Welt erreicht hat, verliert.
({5})
Wir sehen jedenfalls in neuen Entscheidungen Anzeichen dafür, daß das Prinzip der Unabhängigkeit und Blockfreiheit nicht mehr den Stellenwert hat, den es in unserer Nord-Süd-Politik gehabt hat.
({6})
Ich frage deshalb: Bleibt es bei der Haltung der CDU/CSU, daß Entwicklungshilfe in erster Linie an befreundete Länder gewährt wird, oder ist die Bundesregierung bereit, dort zu helfen, wo die Not am größten ist?
({7})
Ich frage die Bundesregierung: Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Herstellung des Friedens im südlichen Afrika und der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts in Namibia auch mit der SWAPO Gespräche zu führen - wie alle unseren Verbündeten -, oder bleibt es bei der Haltung der CDU/CSU, daß die SWAPO eine Terroristenorganisation ist, mit der man keine Gespräche führt?
({8})
Dies war bisher ihre Haltung.
({9})
Nachdem die Vereinten Nationen in der Regierungserklärung mit einem Halbsatz erwähnt worden sind und heute auch nicht wesentlich, habe ich folgende Frage zu stellen: Ist die Bundesregierung bereit, der Arbeit der Vereinten Nationen die ihr gebührende Bedeutung beizumessen, oder ist die völlig untergeordnete Erwähnung der Vereinten Nationen in der Regierungserklärung darauf zurückzuführen, daß die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen nicht zugestimmt hat
({10})
und der heutige Bundesminister Dr. Barzel damals aus diesem Grunde von seinem Amt zurückgetreten ist?
Nicht nur wir haben Schwierigkeiten, die Grundsätze und die Linie Ihrer Nahostpolitik zu erkennen, Herr Bundeskanzler. Eine ganze Reihe von
Ländern in der Region ist verunsichert. Die beiden Staatsminister im Auswärtigen Amt sprechen über den Nahen Osten mit sehr, sehr unterschiedlicher Tendenz. Wir warnen vor dieser Doppelzüngigkeit.
({11})
Unsere Nahostpolitik muß mit einer Stimme vertreten werden gegenüber Israel und gegenüber den arabischen Ländern.
({12})
Doppelzüngigkeit gegenüber dem Nahen Osten hat in der Regierung Erhard schon einmal zu einer Katastrophe geführt. Wir haben das damals wieder in Ordnung bringen müssen.
In der Erklärung von Washington lesen wir im Nahost-Teil nicht ein einziges Wort über die Palästinenser. Wir haben auch den Eindruck, daß Sie sich von gemeinsamen Positionen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft entfernen. Übereinstimmung mit Frankreich scheint mir überhaupt nicht gegeben zu sein. Die Entwicklungshilfe für Ägypten wird gekürzt nach Camp David.
Hier ist keine politische Linie erkennbar. Schaffen Sie, Herr Bundeskanzler, in unser aller Interesse so schnell wie möglich Klarheit!
In bezug auf die Türkei habe ich folgende Frage zu stellen. Bleibt es bei der Linie, die alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in ihrer Entschließung vom 3. Juni 1981 niedergelegt haben und in der es hieß, daß die Gewährung von Wirtschaftshilfe von der Einhaltung demokratischer Grundsätze und der Menschenrechte abhängig ist? Sie werden uns nicht davon abhalten, in bezug auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze und der Menschenrechte bei Staaten, die Mitglieder des Bündnisses sind, besonders strenge Maßstäbe anzulegen.
({13})
Dies ist im Interesse der Glaubwürdigkeit unseres Bündnisses unverzichtbar.
({14})
Nun ein Wort über unsere Beziehungen zum anderen deutschen Staat. Sie haben in den Medien verbreiten lassen - und der Herr Bundeskanzler hat das heute hier wiederholt -, daß die Kontakte intensiviert würden. Und dann haben Sie aufgeführt - auch heute wieder -: Ihr Wohnungsbauminister und der der DDR sind in Magdeburg bei der Eröffnung der Ausstellung zusammengekommen, die beiden Verkehrsminister bei der Eröffnung der Autobahn Berlin-Hamburg, Staatsminister Jenninger ist in Hamburg bei der Eröffnung der hervorragenden Schinkel-Ausstellung der DDR. Die von uns geführten Verkehrsverhandlungen, die zum Bau der Autobahn Berlin-Hamburg führten, haben Sie hart kritisiert - mit Ausnahme des damaligen Kollegen von Weizsäcker, möchte ich hier ausdrücklich erwähnen. Die Ausstellungen wurden vereinbart am Werbellinsee. Sie wissen selber, was Sie über
das Zusammentreffen am Werbellinsee gesagt haben. Aber wir freuen uns darüber, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie unsere Arbeit in dem Bereich fortsetzen. Wir freuen uns für die Berliner, für die Hamburger, für alle Menschen, die in beiden deutschen Staaten die Ausstellungen sehen können. Aber Politik gegenüber dem anderen deutschen Staat ist nicht nur ein Eröffnungs- und Einweihungsgeschäft. Wir fordern Sie auf, die Verhandlungen mit dem anderen deutschen Staat auf allen Gebieten weiterzuführen.
({15})
Es gibt die Möglichkeit weiterer Verkehrsverbesserungen. Es gibt die Möglichkeit, zwischen den beiden deutschen Staaten ein Kulturabkommen abzuschließen.
({16})
In den letzten Tagen vor dem 1. Oktober 1982 haben wir mit der DDR noch ein Gewässerschutzabkommen im Interesse der Berliner vereinbart. Auch hier gibt es weitere Möglichkeiten.
Weiter fordern wir Sie auf, in der Frage der Elbgrenze zu einer Übereinkunft mit der DDR zu kommen.
({17})
Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten ist auch die Grenzlinie zwischen den beiden Bündnissystemen. Hier darf es keine Lücke geben, für die es keine von beiden Seiten getragene Vereinbarung gibt. Ich hoffe im Interesse der beiden deutschen Staaten, aber auch im Interesse unseres Bündnisses, daß Herr Ministerpräsident Albrecht nun mehr Verständnis für die Regelung dieser Frage hat. Unsere Unterstützung würden Sie dabei haben.
Wir treiben nicht Opposition um der Opposition willen. Uns ist an weiteren vernünftigen Vereinbarungen zwischen den beiden deutschen Staaten im Interesse der Menschen gelegen.
In den letzten Jahren haben wir viele Tausende von humanitären Fragen lösen und regeln können. Wir werden Sie rechtzeitig vor dem 6. März 1983 fragen, was Sie in den fünf Monaten auf diesem Gebiet getan haben. Sich „unter den Linden" mit unserem Ständigen Vertreter fotografieren zu lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren, reicht für die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nicht aus.
({18})
Wir sind dem Herrn Bundespräsidenten sehr dankbar, daß er seinen Aufenthalt in Moskau anläßlich der Trauerfeierlichkeiten für Generalsekretär Breschnew dazu genutzt hat, ein Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR zu führen.
Ich muß noch von einer entscheidenden Änderung unserer Politik durch Sie sprechen. Ich meine die Förderung der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Zuerst haben die meisten CDU/CSU-regierten Länder die Förderung der Friedensforschung eingestellt. Nun hat der neue Forschungsminister Weisung gegeben, daß 1983 keine
neuen Projekte der Friedensforschung mehr gefördert werden dürfen. Sie wollen die Friedensforschung austrocknen.
({19})
Das können und werden wir nicht zulassen. Eher werden wir die Menschen in unserem Land aufrufen und sie bitten, für diese wichtige Aufgabe zu spenden. Und ich bin sicher: Die Menschen in unserem Land werden das auch tun.
({20})
Sie werden sich daran gewöhnen müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß in einem demokratischen Staat die Regierung nicht die Ergebnisse der Forschung bestimmen kann. Wir streiten Ihnen den Willen zum Frieden nicht ab. Wir bestreiten Ihnen auch nicht Ihre Friedensfähigkeit.
({21})
Aber Sie ergreifen hier Maßnahmen, die ohne Not den Zweifel vieler Bürgerinnen und Bürger in unserem Land größer werden lassen; das muß nicht sein.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riesenhuber?
Herr Kollege Wischnewski, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß die Bundesregierung vorgesehen hat, die Projekte der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, die im nächsten Jahr abgewikkelt werden können, im Rahmen des Haushalts weiter durchführen zu lassen, daß aber die Bundesregierung das Konzept der alten Regierung übernommen hat, den Wissenschaftsrat um ein Gutachten zur Zukunft der deutschen Friedensforschung zu bitten, daß es die Bundesregierung für falsch hält, vor dem Vorliegen des Ergebnisses dieses Gutachtens hier irgendwelche präjudizierenden Beschlüsse für die weitere Zukunft der deutschen Friedensforschung zu fassen, und daß aus diesem Grund die Bundesregierung die von Ihnen angezogenen Beschlüsse einer begrenzten Einschränkung für das nächste Jahr hier vorgelegt hat?
Herr Bundesminister, Sie sprechen von einer begrenzten Einschränkung. Mir liegen Informationen darüber vor,
({0})
daß es für das Jahr 1983 keine neuen Projekte der Friedensforschung gibt,
({1})
und mit einer solchen Politik sind wir Sozialdemokraten nicht einverstanden.
({2})
Dabei bleibt es!
({3})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Riesenhuber?
Gerne.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Einwände gegen die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung nichts damit zu tun gehabt haben, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages Friedensforschung für erforderlich gehalten haben, daß aber die vergangene Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung in ihrer sachlichen Qualität und ihrer ideologischen Vorprägung eine erfolgreiche weitere Arbeit - auch nach der Entscheidung der alten Bundesregierung mit deren Beauftragung des Wissenschaftsrates - nicht hat erwarten lassen?
({0})
Erstens, Herr Bundesminister, muß ich Ihnen sagen, daß die Sorge meiner Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion in bezug auf die Behandlung dieses Themas so groß ist, daß dazu, wie Sie wissen, im Bundestag eine Kleine Anfrage eingebracht worden ist; und es wäre eine Große Anfrage geworden, wenn nicht die Sorge bestünde, daß bis dahin der Bundestag vielleicht schon aufgelöst worden ist.
Zweitens habe ich Ihnen ganz klar und eindeutig gesagt: Die Ergebnisse der Forschung können nicht durch die Bundesregierung beeinflußt werden. Ich gebe zu, daß es im Rahmen der Forschung auch Projekte gibt, über die ich selber auch nachdenken würde.
({0})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Freiheit der Forschung fördert, muß damit leben, daß es auch Projekte gibt, mit denen nicht jeder glücklich sein kann.
({1}) Das ist eben die Freiheit der Forschung!
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Catenhusen?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Wischnewski, könnten Sie vielleicht den jetzigen Forschungsminister darauf hinweisen, daß aus der Lektüre des von Herrn Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß bestellten Gutachtens gegen eine weitere Förderung der Friedensforschung eindeutig hervorgeht, daß die Union ihren Kampf gegen diese deutsche Friedensgesellschaft auch damit begründet,
({0})
daß ihr diese Forschung zu unabhängig und zu linkslastig sei?
({1})
Und können Sie bestätigen, daß Herr Strauß damit auch der Drahtzieher dieses Kampfes gegen die Friedensforschung ist?
Wir warten jetzt einmal ab, wie die Bundesregierung die Kleine Anfrage beantwortet. Wir jedenfalls werden uns für die Fortsetzung der Friedensforschung in unserem Lande nachdrücklich einsetzen und verwenden.
({0})
Meine sehr verehrte Damen und Herren, von allen Aufgaben, die uns gestellt sind, ist die, den Frieden zu erhalten, die entscheidendste. Hier haben wir alle Anstrengungen zu unternehmen, die menschenmöglich sind. Unsere Bundeswehr leistet in unserem Bündnis ihren Friedensdienst. Wir müssen alle Anstrengungen machen, um Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung endlich zum Erfolg zu führen. Ich kann verstehen, daß viele Menschen in der Welt die weltweit in einem Jahr für Rüstung getätigten Ausgaben von 1,1 Billionen DM für Wahnsinn halten. Wir müssen über ideologische Grenzen hinweg zur Zusammenarbeit bereit sein. Es ist immer besser, zu verhandeln und Verträge zu schließen als Spannungen treiben zu lassen. „Vertrag" bedeutet für uns auch „vertragen", und das können wir mit unseren Vorstellungen von Freiheit und parlamentarischer Demokratie in Einklang bringen.
Wir wissen, daß es auf der Welt keinen Frieden geben wird, wenn viele Millionen Menschen in Hunger und Not leben müssen. Wir wissen, daß wir nicht gleichgültig sein dürfen. Wir müssen unseren wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Hunger und Not leisten. Wir müssen das auch in einer schwierigen Zeit unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen. Das hat unsere Politik in der Regierungsverantwortung bestimmt, und das bestimmt unsere Politik auch heute.
Wir haben eine lange Zeit geglaubt, daß es in dem vor uns liegenden Wahlkampf in erster Linie um innenpolitische Fragen gehen wird. Sie sind dabei, an einer bewährten Politik, an einer Politik, die im Interesse unseres Landes im Bündnis, in der Europäischen Gemeinschaft, gegenüber unseren Nachbarn im Osten und gegenüber den Ländern der Dritten Welt gedient hat, wesentliche Veränderungen vorzunehmen. Damit werden die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik, die Europapolitik, die NordSüd-Politik und die Deutschlandpolitik zu wichtigen Punkten der politischen Auseinandersetzung für den 6. März 1983. Unsere Aufgabe wird darin bestehen, die Unterschiede deutlich zu machen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wischnewski, ich glaube, Sie haben sich deswegen so schwergetan, weil Sie es versäumt haben, am Anfang Ihrer Rede die Horrorgemälde abzuräumen, von denen Sie jahrelang politisch gelebt haben,
({0})
bei denen aber nun jedermann weiß, daß sie nicht der Realität entsprechen. Sie haben doch jahrelang gesagt, die Union wäre, wenn sie regieren würde, dialogunfähig, sie wäre gesprächsunfähig, mit uns würde niemand mehr reden, vielleicht im Westen noch ein paar Leute, aber diese auch mit Unbehagen, und im Osten würde niemand mit uns reden. Nun können unsere Mitbürger miterleben, daß dies reine Propaganda war. Das ist bitter für Sie.
({1})
Sie sind doch in der Situation desjenigen, der als Wetter die große Dürre voraussagt und dann miterleben muß, daß schon am nächsten Tag ein ganz solider, warmer Landregen über das Land geht, und der vor den Augen seiner Mitbürger ganz deutlich als jemand überführt ist, der die Dinge falsch dargestellt hat. Da hilft es Ihnen auch nichts, wenn Sie jetzt versuchen, die nächste Legende hier auf zubauen. Wenn Sie sagen, dort, wo wir Ihre bewährte Politik fortsetzen wollten, bekämen wir Ihre Unterstützung, dann kann ich nur sagen, kein Bereich der Politik wird im Ausland und im Inland so sehr mit dem Altkanzler Schmidt identifiziert wie der NATO-Doppelbeschluß. Helmut Schmidt - Doppelbeschluß, das ist ein internationaler Markenbegriff geworden. Sie sagen, Sie wollten uns in den bewährten Teilen Ihrer Politik unterstützen. Ich habe es nicht als Unterstützung empfunden, was Sie zum NATO-Doppelbeschluß gesagt haben,
({2})
sondern ich habe das als den Versuch empfunden, das Nein noch näher heranzurücken, von dem schon Egon Bahr gesprochen hat. Sie müssen doch wissen, daß Verhandlungen nur dann erfolgreich geführt werden können, wenn man auch zur Nachrüstung entschlossen ist. Es ist ganz töricht, hier eine Diskrepanz zwischen den beiden Teilen des NATO-Doppelbeschlusses aufzuzeigen.
({3})
Wenn es Ihnen im übrigen um die Kontinuität der deutschen Politik zu tun ist, dann kann ich nur sagen, den einzig wirklich gravierenden Bruch, den ich sehe, das ist der Bruch mit der sicherheitspolitischen Kontinuität, nicht durch uns, sondern durch Sie und durch Ihre Haltung zum NATO-Doppelbeschluß.
({4})
Was Sie dazu in Kiel gesagt haben, das stand zwar unter der Überschrift „Aufbruch nach vorn" - so stand es auf den Transparenten -, aber in Wirklichkeit war das doch ein Aufbruch zur Seite, in die Büsche, aus der Verantwortung für die gemeinsame deutsche Sicherheitspolitik.
({5})
Was Sie hier über den Bundesaußenminister Genscher gesagt haben, kann nun wirklich so nicht stehenbleiben. Es ist ganz billig, wenn Sie auf Meinungsumfragen abheben und sagen, nur weil die Meinungsumfragen so schlecht seien, könne der Bundesaußenminister unser Land im Ausland nicht mehr mit Gewicht vertreten. Ich erinnere mich noch an die Meinungsumfragen im Sommer. Da lagen Sie bei 30 %,
({6})
- unter 30 % -, der Helmut Schmidt hätte doch gar nicht mehr über sein Reihenhaus in Langenhorn hinausgehen können, um unser Land zu vertreten.
({7}) Das ist doch eine ganz billige Methode.
Ich meine im übrigen, daß die Verratslegende sich jetzt immer mehr in ihr Gegenteil umkehrt. Wenn Sie sich mal anschauen, wie fein abgestimmt die Übertritte erfolgen, muß man doch inzwischen fragen: Wer ist eigentlich der Verräter, und wo findet der Verrat statt?
({8})
Da sollten Sie nun nicht eine Kampagne beginnen und das Gewicht und die Glaubwürdigkeit des Bundesaußenministers auf Grund von Meinungsumfragen bestreiten.
Im übrigen: wenn Sie dann in Ihrem nächsten Kapitel gleich davon sprechen, daß Sie in besonderer Weise geeignet seien, deutsche Interessen wahrzunehmen, kann ich nur sagen: das paßt nun wirklich nicht zusammen, was Sie hier gesagt haben. Sie hätten Ihrer Glaubwürdigkeit viel mehr genützt, wenn Sie schlicht und einfach festgestellt hätten: Die ersten sieben Wochen Außenpolitik unter Bundeskanzler Kohl und Bundesaußenminister Genscher waren sieben erfolgreiche Wochen für die Bundesrepublik Deutschland.
({9})
Herr Wischnewski - und das gilt für Ihre Kollegen auch -, lassen Sie bitte Ihre Finger von dem Kapitel „Wer vertritt eigentlich die deutschen Interessen am besten?". Zunächst einmal: deutsche Interessen werden nicht durch verbale Ausfälle gegenüber unserem wichtigsten Verbündeten erfolgreich vertreten.
({10})
Seit dem ersten Tag der Bundesrepublik Deutschland wissen im übrigen unsere Mitbürger, wer die Interessen unseres Landes am besten vertritt. Ich kann Sie nur warnen. Es gab ein unglückliches Wort Ihres damaligen Vorsitzenden in den 50er Jahren über die Außenpolitik Adenauers und die angeblich mangelnde Vertretung deutscher, nationaRühe
ler Interessen und eine zu enge Anlehnung an die Alliierten. Dieses ist gescheitert. Seit mehr als 30 Jahren wissen unsere Mitbürger, daß die Interessen Deutschlands in der Führung der Union sehr gut aufgehoben sind, Herr Wischnewski. Deswegen sollten Sie auch nicht versuchen, dieses in Zweifel zu stellen.
Im übrigen, Herr Wischnewski, wenn Sie meinen, im Zusammenhang mit dem Kanzler von einer „knetbaren Figur" sprechen zu sollen, kann ich Sie nur an die Flugbahn eines Bumerangs erinnern. Ich möchte an Sie die Frage richten, ob Sie persönlich eigentlich gut beraten sind, solche Formulierungen zu verwenden.
({11})
Was nun die Freunde angeht, kann ich nur sagen: denen muß man in der Not helfen. Dem Herrn Napoleon Duarte, dem Führer der christlichen Demokratie in San Salvador, dem hätten Sie helfen müssen, als er mutig die Landreform betrieben hat.
({12})
Und dem hätten Sie helfen müssen, als er mutig den Kampf gegen die Radikalen von links und rechts betrieben hat.
({13})
Aber da haben Sie eben nicht geholfen. Deswegen ist das nichts wert, was Sie jetzt zu diesem Thema sagen.
({14})
Die Fraktion begrüßt nachdrücklich und uneingeschränkt die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl und die Rechenschaft, die er über die ersten sieben Wochen der Außenpolitik der neuen Bundesregierung gegeben hat. Daß der Bundeskanzler Helmut Kohl in rascher Folge sechs westliche Hauptstädte besucht hat, das war alles andere als ein Zufall. Es war vielmehr eine demonstrative Bestätigung für die erklärte Absicht dieser Bundesregierung, die feste Verankerung unseres Landes in der westlichen Gemeinschaft zu einem tragenden Fundament unserer Außenpolitik zu machen.
({15})
Diese Gespräche haben gezeigt, daß wir gute Freunde in der Welt haben und daß sie auch wissen, daß sie sich auf unsere Freundschaft verlassen können. Gemeinsame Wertvorstellungen, gleichberechtigte Partnerschaft, gegenseitiges Vertrauen, das sind die prägenden Merkmale dieser Freundschaft.
Natürlich gibt es auch unter Freunden gelegentlich unterschiedliche Interessen, abweichende Meinungen. Das ist normal. Aber das kann am besten dann geregelt werden, wenn das Grundverhältnis stimmt. Dann lassen sich alle derartigen Probleme in einer guten Atmosphäre ohne eine Belastung der Beziehungen regeln. Dann steht eben nicht - wie vielfach in den vergangenen Jahren bei Ihnen das Trennende, sondern das Verbindende im Vordergrund.
Wir haben uns auch schon als Fraktion zu dem Ergebnis dieser Reisen geäußert. Ich unterstreiche das und spreche gerade hier Bundeskanzler Helmut Kohl für diesen großen Erfolg seiner Außenpolitik unseren besonderen Dank aus.
({16})
Denn ein Erfolg unserer Politik war es ohne Zweifel, daß bei dem USA-Besuch eine Festigung des Atlantischen Bündnisses, eine Stärkung der deutsch-amerikanischen Freundschaft und auch eine Unterstützung der deutschen Interessen erreicht werden konnten. Dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister ist es gelungen, eine schädliche Periode der Irritationen, der Mißverständnisse und der Spannungen im deutschamerikanischen Verhältnis endlich zu beenden. Seinem persönlichen Einsatz ist es zu verdanken, daß der für uns alle so wichtige Grundkonsens wieder sichtbar geworden ist, die Tatsache nämlich, daß wir nicht in einem bloßen Zweckbündnis leben, sondern daß es tiefgebende Übereinstimmungen in allen wesentlichen Fragen der Politik gibt.
Wir begrüßen es als einen wichtigen politischen Erfolg, daß durch diesen Besuch in den Vereinigten Staaten der enge Schulterschluß zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland wiederhergestellt worden ist. Denn hierdurch wird gleichzeitig ein Eckpfeiler des Nordatlantischen Bündnisses gefestigt. Das ist auch für die internationale Lage im Ost-West-Verhältnis wichtig, weil es die internationalen Beziehungen berechenbarer macht. Insofern ist es auch ein Stück Stabilisierung der internationalen Politik.
Dies gilt besonders für die Abrüstungsfrage und für unser Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Verbündeten. Der Zufall hat Regie geführt, daß zur gleichen Zeit, als Bundeskanzler Kohl sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten traf, unser Bundespräsident und unser Außenminister mit dem neuen sowjetischen Generalsekretär Andropow und auch mit Erich Honecker Gespräche in Moskau führten. Aber dieser Zufall hat, wie ich meine, dennoch seine symbolische Bedeutung. Er illustrierte schlaglichtartig die politische Position der Bundesrepublik Deutschland im Ost-West-Verhältnis.
Diese wird gekennzeichnet einerseits durch eine feste und verläßliche Freundschaft mit den Partnern des westlichen Bündnisses, besonders mit den USA, andererseits durch die Bereitschaft zum Gespräch sowie zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und der DDR wie auch mit den übrigen Nachbarstaaten im Osten. Unsere feste Verankerung im Westen schafft überhaupt erst den Handlungsspielraum für eine aktive Politik gegenüber dem Osten.
({17})
Nur wenn jedermann weiß, wo wir stehen, sind wir
ein berechenbarer politischer Faktor, vermeiden
wir Mißtrauen im Westen und falsche Hoffnungen
im Osten. Den notwendigen Handlungsspielraum auch in der Ostpolitik gewinnen wir eben nicht dadurch, daß wir unsere Westbindungen lockern. Die Bundesrepublik Deutschland eignet sich aus vielerlei Gründen nicht zum Wanderer zwischen den Welten in West und Ost.
Wenn wir also mit aller Aufrichtigkeit erklären, daß wir möglichst gute Beziehungen zur Sowjetunion anstreben, dann vergessen wir darüber keine Sekunde die prinzipielle politische Gegnerschaft, die zwischen uns und der Sowjetunion herrscht. Soweit es an uns liegt, darf daraus kein Feindschaftsverhältnis erwachsen. Wir wollen keinen kalten Krieg und schon gar keinen heißen. Aber niemand im Kreml sollte die Illusion haben, man könne diese Bundesrepublik Deutschland mit Drohungen oder Verlockungen aus der westlichen Staatengemeinschaft herausbrechen.
({18})
Sosehr wir die Freundschaft zum russischen Volk bejahen, so sehr verweigern wir uns jeder Anbiederung gegenüber einem politischen System, das sich vorgenommen hat, unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Wir werden keine Verwischung der politischen und ideologischen Gegensätze zulassen. Wir werden auch unangenehme Tatsachen beim Namen nennen, und wir werden immer deutlich sagen, wo wir stehen, so daß die Sowjetunion wissen kann, woran sie mit uns ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Erwartungen an die Adresse der neuen sowjetischen Führung formulieren. Für die CDU/CSU ist eine Politik der Berechenbarkeit, der Verständigung, des fairen Interessenausgleichs und der friedlichen Konfliktregelung in den deutsch-sowjetischen Beziehungen ein Faktor der Stabilität in ganz Europa. Die CDU/CSU wünscht, daß die neue sowjetische Führung an einem gründlichen Dialog mit der neuen Bundesregierung, aber auch mit den sie tragenden Parteien interessiert ist, um die jeweiligen Grundpositionen und Interessenlagen besser kennenzulernen. Auch wir streben mit der Sowjetunion Kooperation auf möglichst vielen Gebieten an. Wir erwarten allerdings, daß die sowjetische Führung dabei unsere feste Bündnistreue und unsere enge Freundschaft mit den Vereinigten Staaten respektiert und jeden Versuch unterläßt, einen Keil zwischen uns und unsere westlichen Partner zu treiben. Ein solcher Versuch würde nicht nur Fortschritte im deutsch-sowjetischen Verhältnis verhindern, sondern auch schon Erreichtes in Frage stellen.
({19})
Wir unterstreichen auch, daß in den deutsch-sowjetischen Beziehungen die ungelöste deutsche Frage und ihre praktischen Auswirkungen eine gewichtige Rolle spielen.
({20})
Wir bestehen nach wie vor auf der Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes für das ganze deutsche Volk.
({21})
Wir machen darauf aufmerksam, daß es wirkliche Entspannung und einen gesicherten Frieden in Europa erst dann geben kann, wenn die Teilung Deutschlands gemäß dem Wunsch der Deutschen überwunden wird. Wir weisen nachdrücklich darauf hin, daß die Entwicklung wirklich gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland schon jetzt zu einer deutlichen Verminderung von Spannungen führen würde. Daran müßten alle Seiten interessiert sein. Wir bitten daher die Sowjetunion, ihren Einfluß gegenüber der DDR in diesem Sinne geltend zu machen.
Wir erinnern die Sowjetunion auch nachdrücklich an ihre Verantwortung für Berlin. Die UdSSR ist Vertragspartner des Viermächteabkommens über Berlin, das seiner klaren Zielsetzung nach nicht zum Austragen unterschiedlicher Rechtsauffassungen gedacht ist, sondern die Situation Berlins in der Praxis verbessern soll. Diese positive Zielsetzung sollte nicht durch den ständigen Versuch einer Seite unterlaufen werden, West-Berlin von seinen Bindungen an den Westen abzukoppeln.
Die CDU/CSU hofft auch, daß die Sowjetunion Einsicht in die Sicherheitsinteressen Westeuropas beweist und nicht ausschließlich auf die USA fixiert bleibt. Schließlich bedrohen die SS-20-Mittelstrekkenraketen Westeuropa. Nichts anderes gilt für die weit überlegenen konventionellen Streitkräfte der Sowjetunion, insbesondere die Panzerwaffe. Wir erwarten, daß die Sowjetunion künftig eine größere Bereitschaft zum Abbau ihrer für Westeuropa bedrohlichen Überrüstung zeigt. Dieses sollte im Rahmen der Verhandlungen in Genf und in Wien möglich sein. Wir erwarten, daß die Sowjetunion auf der KSZE-Nachfolgekonferenz, also der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa positive Zeichen setzt, d. h. praktische Schritte im Sinne der KSZE-Schlußakte unternimmt. Dieses würde dann auch dazu beitragen, die Chancen für das Projekt einer Konferenz über Abrüstung in Europa zu erhöhen.
Mir scheint, daß gerade auch der Führungswechsel im Kreml eine Chance bietet, im deutsch-sowjetischen Verhältnis voranzukommen. Ich weiß, daß manche im Westen jetzt vielleicht eher zur Zurückhaltung raten, weil das Gewicht, der Kurs und die Amtsdauer der neuen sowjetischen Führung noch unbekannte Größen sind. Ich bin aber der Meinung, daß wir uns jetzt nicht abwartend, sondern aufgeschlossen gegenüber der neuen Regierung in Moskau verhalten sollten, und zwar vor allem aus zwei Gründen. Zum einen stehen jetzt wichtige politische Entscheidungen an, bei denen die Sowjetunion eine maßgebliche Rolle spielt, z. B. bei den Genfer INF-Verhandlungen, in Madrid und nicht zuletzt auch in Polen. Alles, was der Westen zur Entscheidungswilligkeit der Sowjetunion beitragen kann, sollte er auch tun. Zum anderen bietet sich für die neue sowjetische Führung ganz generell, wie ich meine, eine historische Chance, die politische Erstarrung, von der die Breschnew-Ära in ihrer Spätphase gekennzeichnet war, zu überwinden. Es liegt auch im Interesse des Westens, eine größere politische Beweglichkeit der Sowjetunion zu fördern, um
damit das Ost-West-Verhältnis insgesamt zu entkrampfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Gern.
Herr Abgeordneter Rühe, ich möchte zunächst nachdrücklich unterstützen, daß der Westen diese Chance nutzen und nicht verspielen sollte, und Sie dann fragen, ob Sie vielleicht besser als ich wissen, ob Bundeskanzler Kohl bei seinem Besuch bereits in diesem Sinne auf die Reagan-Administration Einfluß genommen hat; denn aus der Regierungserklärung konnte ich dieses Bemühen und einen Erfolg dieses Bemühens bisher nicht herauslesen.
Herr Kollege, es gibt in der Regierungserklärung eine ganze klare Passage zu diesem Thema, und ich habe an der Reaktion in Ihrer Fraktion auch gemerkt, daß sie Unterstützung gefunden hat. Ich finde, sie verdient die Unterstützung des ganzen Hauses.
({0})
- Das wird auch noch insgesamt zur Verfügung gestellt. Das soll ja nicht als Geheimsache laufen, sondern wir begrüßen alle Bemühungen, diesen Teil und alle anderen Teile der Regierungserklärung zu veröffentlichen.
Meine Damen und Herren, von Anfang an hat die neue Bundesregierung erklärt, daß ihre Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik auf Kontinuität gerichtet sei. Wir unterstützen die Bundesregierung in dieser Politik, und wir tun dies um so überzeugter, als wir auch schon vorher viele Positionen der früheren Regierung mitgetragen und sie sogar gegen den Widerstand aus Ihren eigenen Reihen verteidigt haben. Dennoch erscheint es mir notwendig, etwas näher auf den Begriff der Kontinuität einzugehen, zu erläutern, was er meint und was nicht, damit es keine Mißverständnisse gibt.
Kontinuität - das möchte ich ganz deutlich sagen - bedeutet nicht, die vorgefundene Politik einfach fortzusetzen; denn dies hieße, den Kontinuitätsbegriff unzulässig zu verkürzen. Kontinuität heißt vielmehr auch, sich auf die Grundlagen der deutschen Politik zurückzubesinnen und sie dort, wo sie verstaubt oder zugeschüttet waren, wieder freizulegen.
In der Außenpolitik bedeutet das z. B., den politischen Standort unseres Staates wieder deutlich zu machen. Konrad Adenauer hat unseren Staat fest in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien verankert. Diese für unser Staatswesen so wichtige Grundentscheidung darf auch heute nicht zweifelhaft werden.
({1})
Wir können nicht zum Makler zwischen Ost und West werden. Ebensowenig können wir eine wie
auch immer definierte Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion anstreben, weil wir damit unsere Verteidigungspartnerschaft im westlichen Bündnis ins Zwielicht rücken würden. Sicherheitspartner für uns sind unsere Verbündeten in der Atlantischen Allianz. Diese Tatsache zählt zum Kernbestand unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Wer sich hierauf beruft, steht in der Kontinuität. Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion wäre ein gefährlicher Irrweg, der aus der Kontinuität herausführen würde. Dennoch bleibt es richtig - das beruhigt Sie vielleicht etwas -, daß die Sicherung des Friedens auf dieser Welt durch einseitiges Handeln allein nicht mehr möglich ist. Um z. B. Abrüstungserfolge zu erreichen, ist es unumgänglich, dabei auch die Interessen der anderen Seite zu berücksichtigen.
Kontinuität in der Außenpolitik bedeutet schon seit Konrad Adenauer, möglichst gute Beziehungen auch zu unseren östlichen Nachbarn zu suchen. Schließlich leben wir Seite an Seite auf demselben Kontinent und müssen friedlich miteinander auskommen. Das gebietet nicht nur die Vernunft, sondern das entspricht auch unseren Interessen, denn z. B. in der deutschen Frage kann nichts ohne die Sowjetunion oder die DDR gelöst oder verbessert werden.
Vielfältige geschichtliche Erfahrungen, auch historische Schuld, verbinden uns mit Polen, der CSSR, der Sowjetunion und anderen Nachbarn im Osten. Wir haben außerdem ganz konkrete humanitäre Anliegen gegenüber diesen Staaten, die zufriedenstellend geregelt werden müssen. Dies ist ganz offenkundig der Fall im Verhältnis zur DDR; aber es gilt auch für die anderen Staaten in Osteuropa, in denen Deutsche leben, die auf unsere Hilfe rechnen.
Auf einen kurzen Nenner gebracht, läßt sich die Position der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zum Westen und Osten folgendermaßen beschreiben: Verständigung und fairer Interessenausgleich mit dem Osten, aber Freundschaft und vertrauensvolle Partnerschaft mit dem Westen;
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Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn, aber gemeinschaftliches Handeln mit unseren westlichen Freunden; friedliche Konfliktregelung mit den Staaten des Warschauer Paktes, aber Festigung des Atlantischen Verteidigungsbündnisses.
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Meine Damen und Herren, Kontinuität in der Deutschlandpolitik bedeutet für uns nicht nur die Fortsetzung der Vertragspolitik mit der DDR. Deutschlandpolitik beschränkt sich nicht auf den engeren Bereich der innerdeutschen Beziehungen. Sie umfaßt die ganze Bandbreite unserer nationalen Frage, von der Einheit der Nation bis zur innerdeutschen Familienzusammenführung, vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes bis zur Verbesserung des Transitverkehrs nach Berlin. Wir sind deswegen auch sehr dankbar, daß der neue Bundesminister, Herr Dr. Barzel, klargemacht hat, daß Kontinuität in der Deutschlandpolitik eben
auch das Bekenntnis zur Präambel unseres Grundgesetzes bedeutet, die das ganze deutsche Volk auffordert, seine Einheit in Freiheit zu vollenden.
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Kontinuität bedeutet eben nicht nur die Fortsetzung der Vertragspolitik, die Anfang der 70er Jahre begonnen wurde, sondern auch die Aktivierung des Deutschland-Vertrages aus dem Jahre 1954,
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der bekanntlich bekräftigt, daß die deutsche Frage noch offen ist. Er hält die drei Westmächte an ihren Pflichten und ihren Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes fest. Er verpflichtet sie nicht zuletzt dazu, eine Politik im Interesse der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands aktiv zu unterstützen.
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Ich nenne in diesem Zusammenhang der Kontinuität unserer Politik auch die Briefe zur deutschen Einheit, die - und da sollten wir alle keine Schwierigkeiten haben - gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 zu den Ost-Verträgen, eine Entschließung, die noch einmal im Namen aller Parteien festgestellt hat, daß die Ostverträge einen Modus vivendi beschreiben. Gerade weil die deutsche Vertragspolitik mit den kommunistischen Staaten von manchem, nicht nur im Osten, bewußt oder unbewußt als Zementierung der deutschen Teilung mißverstanden wird, ist es um so notwendiger, den Modus-vivendi-Charakter dieser Verträge hervorzuheben. Niemand, weder im Osten noch im Westen, sollte der gefährlichen Fehleinschätzung unterliegen, daß die Deutschen ihre nationale Einheit abgeschrieben hätten.
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Diese Frage bleibt weiterhin auf der Tagesordnung der Geschichte.
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Meine Damen und Herren, die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Deutschlandpolitik werden nur dann kontinuierlich fortgesetzt werden können, wenn sie im Lichte der gemachten Erfahrungen überprüft und weiterentwickelt werden. Politik, die nicht weiterentwickelt wird, führt unausweichlich zur Stagnation oder ins politische Abseits.
Wenn Sie mir als jemand, der von der Küste kommt, aus Hamburg, gestatten, hier ein Bild aus der Seefahrt zu verwenden: Ein Schiff, dessen Ruder in einer bestimmten Position verkeilt wird, steuert keinen berechenbaren und kontinuierlichen Kurs, sondern es driftet weg. Ein Schiff kann nur dann seinen Kurs kontinuierlich halten und das angesteuerte Ziel erreichen, wenn es seinen Kurs, der ja von Wind und Wellen und Strömungen ständig beeinflußt wird, auch immer wieder korrigiert.
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Genauso ist es auch in der Politik: Zur Kontinuität
bedarf es immer wieder der Kurskorrektur. Kontinuität und neue Impulse sind die Grundlagen der
erfolgreichen Außenpolitik dieser neuen Bundesregierung.
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Ich meine, wer sich um die Kontinuität sorgt - Sie tun das ja in sehr sichtbarer Weise -, der muß halt aufpassen, daß er sich nicht dem Vorwurf der Scheinheiligkeit aussetzt; denn - ich habe es vorhin schon gesagt - ich sehe einen gravierenden Bruch mit der sicherheitspolitischen Kontinuität in der Politik, die die sozialdemokratische Partei seit dem 1. Oktober verstärkt eingeschlagen hat. Die Nagelprobe auf Ihre Kontinuitätsfähigkeit werden Sie schon sehr schnell zu bestehen haben, nämlich bei der Beantwortung der Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit dem NATO-Doppelbeschluß?
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Es wird sich zeigen, wieweit Sie hier in der Kontinuität Ihres Altkanzlers Helmut Schmidt bleiben, der noch am 1. Oktober von diesem Pult aus festgestellt hat:
Wenn aber die Verhandlungen trotz größter Anstrengungen unserer amerikanischen Freunde dennoch erfolglos bleiben sollten, so brauchen wir ein entsprechendes Gegengewicht gegen die uns bedrohenden sowjetischen SS-20-Raketen.
Egon Bahr hat allerdings nur auf ein Stichwort gewartet, um das geplante Nein der sozialdemokratischen Partei näher heranzurücken. Als Bundesverteidigungsminister Wörner völlig zutreffend klarstellte, daß die Genfer Verhandlungen selbstverständlich auch dann weitergeführt werde müßten, wenn mangels einer Null-Lösung bis zum Herbst 1983 mit einer Raketenstationierung begonnen würde, warf ihm Bahr vor, er habe damit den Verhandlungsdruck weggenommen. Gemeint war offenkundig die Wegnahme des Drucks von den USA; das ist offensichtlich auch immer Ihre Hauptsorge. Egon Bahr kündigte zugleich an, das Nein der SPD sei nun nähergerückt.
Aber, meine Damen und Herren, tatsächlich wird doch der Verhandlungsdruck in Genf noch verstärkt, wenn die Sowjetunion fest damit rechnen muß, daß diese Bundesregierung verläßlich zu dem NATO-Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen steht, und zwar gleichwertig.
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Ich wundere mich, daß Sie eine Politik empfehlen, die das Aufstehen vom Verhandlungstisch empfiehlt. Der Kollege Wörner hat doch empfohlen weiterzuverhandeln. Ich kann nur sagen: Das ist nicht unsere Politik, wir werden nicht die ersten sein, die vom Verhandlungstisch aufstehen. Sie sollten sich überlegen, ob es wirklich eine kluge Politik ist, die Sie da zum Ausdruck gebracht haben.
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Die Wahrheit ist, daß die Sozialdemokraten schon seit längerer Zeit beharrlich daran arbeiten, den Nachrüstungsteil politisch herauszubrechen und dann den Verhandlungsteil als Torso übrigzubehalten, der sich wahrlich nicht als besonders drückend
im Hinblick auf die Notwendigkeit für die Sowjetunion, zu verhandeln, auswirken würde.
Das kann man durch viele Fakten belegen: durch die Beschlüsse von München, Inaussichtnahme eines Moratoriums, vor allen Dingen aber auch durch die jüngsten Erklärungen Ihres Kandidaten Vogel, man müsse den Stand der Genfer Verhandlungen im nächsten Jahr politisch bewerten. Davon steht im Doppelbeschluß der NATO, den Sie mit unterschrieben haben, nichts. Dort heißt es ganz konkret: Der INF-Bedarf der NATO wird im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden. - Dieser Bedarf - füge ich hinzu - wäre im Idealfall gleich Null. Diese Null-Lösung streben wir weiterhin mit allem Nachdruck an, und wir unterstützen die Vereinigten Staaten in diesem Sinne.
Aber der NATO-Doppelbeschluß deckt ebenso Teillösungen ab, und er umfaßt auch die volle Dislozierung der im Beschluß vorgesehenen Systeme bei einem totalen Fehlschlag der Genfer Verhandlungen. Ich frage mich deswegen - und ich bitte Sie um eine Antwort -, was bei dieser klaren Beschlußlage mit der politischen Bewertung gemeint ist. Man kann doch im November 1982 nicht so tun, als ob der NATO-Doppelbeschluß erst noch gefaßt werden müßte. Er ist bereits gefaßt worden, am 12. Dezember 1979.
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Mir scheint - ich lasse mich da gerne eines anderen belehren -, daß die Sozialdemokraten drauf und dran sind, die politische Debatte über den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses wieder zu eröffnen, um ihn in Frage zu stellen, wobei dann die Schuld für einen möglichen Fehlschlag der Genfer Verhandlungen den Amerikanern in die Schuhe geschoben werden soll. Erhard Eppler spricht sicher nicht immer für die ganze SPD, aber nach allem, was man jetzt von Ihnen hört, dürfte seine Feststellung wohl zutreffen: „Es wird niemals einen sozialdemokratischen Parteitag geben, der die Stationierung dieser Raketen billigt". Das würde allerdings die bedingungslose Aufkündigung des NATO-Doppelbeschlusses bedeuten. Das wäre auch - man muß es festhalten - der offene Bruch mit der Politik Helmut Schmidts - der offene Bruch mit der Politik Helmut Schmidts! - und eine dramatische Diskontinuität in der gemeinsamen Sicherheitspolitik der im Bundestag vertretenen politischen Parteien.
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Daß das nicht nur von uns so gesehen wird, können Sie etwa auch einem Kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 12. November 1982 entnehmen. Ich zitiere:
Wenn Bahrs Annäherung an ein Nein zu einer eventuellen Raketenstationierung aber zum Nennwert zu nehmen ist, dann bedeutet seine Ankündigung auch ein deutliches Abrücken vom Standort des früheren Bundeskanzlers Schmidt, der sich in seiner letzten Bundestagsrede klar und deutlich zur Notwendigkeit der
Nachrüstung bekannt hatte, wenn bei den Genfer Verhandlungen kein Erfolg erzielt werde.
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Nun, meine Damen und Herren von der SPD, seien Sie gewiß, daß wir Ihr Verhalten mit höchster Aufmerksamkeit beobachten werden. Seien Sie ganz sicher, daß es Ihnen nicht gelingen wird, sich heimlich oder unter durchsichtigen Vorwänden aus der Mitverantwortung für diesen Beschluß herauszustehlen. Wir werden Sie öffentlich stellen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wer vollmundig den Aufbruch nach vorn proklamiert, bei dem werden wir nicht zulassen, daß in der Sicherheitspolitik ein Aufbruch zur Seite, in die Büsche, in die Verantwortungslosigkeit Platz greift.
Aber trotz dieser Kritik möchte ich zu diesem Zeitpunkt an Sie appellieren: Finden Sie zurück zur Gemeinsamkeit in dieser für unser Land und seine Sicherheit so überaus wichtigen Frage! Halten Sie fest an der Kontinuität deutscher Sicherheitspolitik und geben Sie der Bundesregierung hier Ihre Unterstützung, so wie wir als Opposition Ihren Bundeskanzler in dieser Frage stets verläßlich unterstützt haben!
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Ich meine, der NATO-Doppelbeschluß ist zu wichtig, als daß er parteitaktischen Interessen zum Opfer fallen darf; denn er bietet eine bisher einmalige Chance, zu einer echten Abrüstung zu gelangen. Sein Ziel ist j a doch der Abbau von real existierenden Raketen, der SS 20, gegen bloß angekündigte Raketen, Raketen auf dem Papier gegen Raketen aus Stahl. Das ist nun wirklich ein ernsthaftes Angebot zum Stopp des Wettrüstens. Herr Wischnewski, gerade dann, wenn Sie sich dafür einsetzen, diesen Rüstungswettlauf zu unterbrechen, müssen Sie diesen NATO-Doppelbeschluß voll und mit aller Kraft unterstützen, um den Versuch zu unternehmen, Schluß zu machen mit der Politik: erst aufrüsten, um abrüsten zu können. Denn erstmals stellt die NATO ein Waffensystem zur Disposition, bevor es überhaupt produziert, geschweige denn stationiert worden ist. Dieser völlig neue Ansatz der Rüstungskontrollpolitik sollte nicht verschüttet werden. Damit dieses Angebot aber überhaupt eine Chance hat, von der anderen Seite ernstgenommen und angenommen zu werden, muß der Wille, diese Papierraketen notfalls auch zu stationieren, genauso stahlhart sein wie die bereits aufgestellten sowjetischen SS-20-Raketen. Wer diesen Willen aufgibt oder wer ihn gar bekämpft, verurteilt diesen zukunftsweisenden Abrüstungsversuch zum Scheitern und er trägt letztlich auch die Mitverantwortung dafür, wenn sich die Rüstungsspirale künftig weiterdreht.
Bei den Genfer Verhandlungen - das sollte immer wieder klargestellt werden - geht es nicht um die Aufstellung neuer Raketen, sondern es geht um die Beseitigung schon installierter Raketen, die uns bedrohen.
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Das ist die schlichte Tatsache, die nicht beiseite geschoben werden darf.
Die USA verhandeln in Genf, um von uns eine Bedrohung abzuwenden, die höchst real ist. Sie verhandeln stellvertretend für uns, weil wir nicht in der Lage sind, ein Verhandlungsobjekt wie etwa die Pershing II überhaupt auf den Tisch zu legen. Ich meine, deswegen verdienen sie jede nur mögliche Unterstützung, damit sie in diesen Verhandlungen, die die Sicherheit in Westeuropa fördern sollen, in unserem eigenen Interesse den größtmöglichen Erfolg erzielen können.
Dazu ist es aber wichtig, daß das Verhandlungsfaustpfand nicht durch öffentliche Erklärungen aus der Hand geschlagen wird. Wer dies anders sieht, begreift seine eigene Interessenlage nicht mehr.
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Deshalb zum Schluß noch einmal mein dringlicher Appell - dies trotz der Signale, die ich sehe, daß Sie sich aus der Kontinuität Schmidtscher Sicherheitspolitik wegbegeben wollen - an die SPD: Überdenken Sie das noch einmal! Lassen Sie sich Ihren Blick nicht durch Emotionen trüben! Erinnern Sie sich - ich darf das sagen, weil ich diese Debatten als ganz junger Mensch sehr interessiert verfolgt habe - an die kühle Vernunft und den strategischen Durchblick eines Fritz Erler und seine Ausführungen zur Sicherheitspolitik und zur Sicherheitslage der Bundesrepublik!
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Ich habe Ihnen gesagt: Sehen Sie das nicht als einen billigen Trick an, sondern als einen ernst gemeinten Appell, auch einmal etwas freizulegen von der Kontinuität Ihrer eigenen Sicherheitspolitik, wie sie schon vor Helmut Schmidt etwa auch - wie ich finde: in eindrucksvoller Weise - in manchen wichtigen Debatten durchaus durch einen Mann wie Fritz Erler demonstriert wurde.
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Unterstützen Sie die Abrüstungschance, die der NATO-Doppelbeschluß eröffnet!
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Stehen Sie deshalb ohne Wenn und Aber zu diesem Beschluß in seinen beiden Teilen! Wenn Sie dies tun, dann dienen Sie der Sicherheit unseres Landes und dem Frieden in Europa. Das sollten wir alle miteinander tun. - Schönen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese außenpolitische Aussprache des Deutschen Bundestags findet in einer internationalen Lage statt, die belastet ist durch Ereignisse in verschiedenen Teilen der Welt - ungelöste Konflikte im Nahen Osten, im südlichen Afrika, in Ostasien - und die Sorge der Menschen vor einem neuen Rüstungswettlauf.
Die Politik der Bundesregierung kann und darf in dieser Phase in keiner Weise in ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Geradlinigkeit erschüttert werden. Aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung gestern noch einmal in einer sicherheits- und außenpolitischen Erklärung zu den Grundlagen unserer Außen- und Sicherheitspolitik bekannt. Diese Grundlagen sind in den Gesprächen bestätigt worden, von denen der Bundeskanzler heute berichtet hat.
Herr Kollege Wischnewski hat die Frage aufgeworfen und sie schon für sich in seinem Sinne beantwortet, ob es Anlaß zu Zweifeln an der Kontinuität der Politik der Bundesregierung, ihrer Außenpolitik, gebe. Herr Kollege Wischnewski, wer Ihrer Rede genau zugehört hat, hat gespürt, wie schwer es Ihnen fiel, als Oppositionspolitiker Ansatzpunkte der Kritik an der Politik der Bundesregierung zu finden.
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Selbst dort, wo Sie glaubten, sie gefunden zu haben, wurde deutlich, daß das sehr künstlich war. Die Fragen, die der Herr Kollege Wischnewski aufgeworfen hat, will ich gern beantworten.
Was den Doppelbeschluß der NATO angeht, den Sie erwähnt haben und wo Sie glaubten, eine Abkehr von der gemeinsamen Politik feststellen zu können, Herr Kollege Wischnewski: Sehen Sie sich in Ihrer Partei um, bis hin zu Erklärungen der jüngsten Wochen und Monate! Wenn jemand hier besorgt sein muß, ob eine Abkehr von der bisherigen Sicherheitspolitik stattfindet, dann ist es die Sozialdemokratische Partei.
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Meine Damen und Herren, der Doppelbeschluß der NATO in seinen beiden Elementen ist die Grundlage für eine ernsthafte Bemühung des Westens, in einer wichtigen Frage der Massenvernichtungsmittel abzugehen von der alten Methode, daß auf Vorrüstung Nachrüstung folgt, ist die Grundlage der Bemühung, durch Verzicht auf beiden Seiten die Rüstungsschraube anzuhalten, auf der einen Seite zurückzudrehen, um von dort aus dann vorschreitend auf anderen Gebieten der Abrüstungspolitik Fortschritte zu erzielen. Das setzt aber voraus, daß an keinem der beiden Teile gezweifelt werden kann. Oder, um es anders auszudrücken: Wer nicht nachrüsten will - und das ist doch die Meinung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages -, der darf keinen Zweifel daran lassen, daß im Falle erfolgloser Verhandlungen diese Nachrüstung im Interesse der Sicherheit stattfinden muß.
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Deshalb darf bitte auch nicht durch einen leichtfertigen, einen mißverständlichen Umgang mit dem
Begriff „Automatismus" Zweifel darin gesetzt werden, daß die Bundesrepublik Deutschland sich für den Fall, daß keine konkreten Verhandlungsergebnisse erzielt werden, zur Stationierung verpflichtet hat. Das ist das Entscheidende. Nun muß es darum gehen, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, daß die Verhandlungen in Genf zum Erfolg führen.
Die Unterrichtung, die die Bundesregierung seit Beginn der Verhandlungen erfährt, ist eine intensive, wie wir sie in keiner anderen Abrüstungsverhandlung, die zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion geführt wurde, jemals bekommen haben. Es ist eine Unterrichtung, die auf der Regierungsebene stattfindet, auf der Ebene der Abrüstungsbeauftragten und durch die Verhandlungsführer selbst.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die amerikanische Regierung das Verhandlungsmandat ernsthaft verfolgt, das wir im westlichen Bündnis gemeinsam vereinbart haben und das eben darauf hinzielt: Verzicht auf landgestützte amerikanische und sowjetische Mittelstreckenraketen, Verzicht auf beiden Seiten. Daran müssen wir festhalten.
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Ich möchte davor warnen, von unserer Seite her die Frage nach der Einbeziehung der französischen und englischen Systeme aufzunehmen. Meine Kollegen, in den NATO-Doppelbeschluß ist eben diese Frage nicht aufgenommen worden. Wir wissen alle, daß eine Forderung dieser Art, insbesondere für das Selbstverständnis der französischen Verteidigungspolitik, schwere Beeinträchtigungen bedeuten würde. Was wir im Augenblick in dieser Verhandlungssituation zwischen West und Ost am wenigsten gebrauchen können, ist eine Auseinandersetzung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über elementare Sicherheitsfragen in Europa.
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Deshalb bitte ich alle Seiten des Deutschen Bundestages, an dem Doppelbeschluß in beiden Teilen, im Verhandlungs- wie im Nachrüstungsteil, ernsthaft und ohne Einschränkungen festzuhalten. Das ist die Chance, die wir doch alle von Herzen wünschen, daß es nicht zu einer Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen kommen muß, weil das von uns gewünschte Verhandlungsergebnis in Genf erreicht wird.
Wir wollen, wenn wir die Ernsthaftigkeit der amerikanischen Verhandlungsabsichten untersuchen - das tun wir als ein Partner in einem Bündnis selbständiger und unabhängiger freiheitlicher Demokratien -,
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auch unserer Öffentlichkeit sagen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich im Doppelbeschluß dazu verpflichtet haben, 1 000 atomare Sprengköpfe aus Westeuropa abzuziehen, um die Verhandlungen in Genf zu fördern, dieser Verpflichtung 1980 als ein Zeichen des guten Willens auf westlicher Seite nachgekommen sind.
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Wir sind auch darüber einig, daß im Falle der ganzen oder teilweisen Nachrüstung - je nach Ergebnis der Verhandlungen - für jeden neuen Sprengkopf ein anderer abgezogen wird, so daß auch das nicht zu einer Erhöhung der Potentiale auf westlicher Seite führen würde.
Ich glaube aber, jetzt muß es darum gehen, daß wir uns nicht selber von dem Ziel entfernen, welches die Bundesrepublik Deutschland als eines der Stationierungsländer in den Doppelbeschluß eingeführt hat, nämlich von dem Ziel des Verzichts auf die Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten.
Die Bundesregierung hat gestern in ihrer sicherheitspolitischen Erklärung nicht nur diese Forderung nach dem vollständigen Verzicht erneut bekräftigt, sie hat auch noch einmal zu dem großen Paket von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen, die derzeit zwischen West und Ost laufen, Stellung genommen. So gesehen ist die internationale Lage nicht nur durch Hoffnungen, sondern auch durch Chancen auf konkrete Ergebnisse geprägt.
Wir können feststellen, daß zu keiner Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im West-Ost-Verhältnis an so vielen verschiedenen Tischen über die ganze Breite der Abrüstungs- und Rüstungsproblematik verhandelt worden ist wie im gegenwärtigen Zeitpunkt. Hier stimme ich dem Herrn Kollegen Rühe zu, wenn er sagt, man müsse auch im Führungswechsel in der Sowjetunion eine Chance sehen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bekräftigung ihrer gemeinsamen Politik mit ihren Verbündeten, Festigkeit in der Vertretung dieser Politik und eine Politik der ausgestreckten Hand zur Sowjetunion und zu den Staaten Osteuropas jetzt die Möglichkeit bieten können, Fortschritte in dem uns alle berührenden Bereich der Abrüstungs-
und Rüstungskontrolle zu machen.
Deshalb begrüßen wir, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bei den sogenannten START-Verhandlungen in Genf über einschneidende Verringerungen bei den interkontinentalen strategischen Atomwaffen verhandeln. Das kommt zu den Mittelstreckenraketen, über die in Genf verhandelt wird, hinzu.
Wir bemühen uns - nicht zuletzt durch einen neuen Vorschlag, den der Westen unterbreitet hat -, bei den Verhandlungen über Truppenstärken in Mitteleuropa, die in Wien stattfinden, Fortschritte zu machen. Diese Verhandlungen, meine Damen und Herren, sind noch immer durch das Datenproblem belastet. Sie sind in ihrer Bedeutung natürlich auch durch die Tatsache eingeschränkt, daß sie sich auf Mitteleuropa beschränken.
Diesen Grundgedanken Rechnung tragend, haben wir den französischen Vorschlag unterstützt, eine europäische Abrüstungskonferenz einzusetzen, die vertrauensbildende Maßnahmen zwischen dem Atlantik und dem Ural vereinbaren soll. Damit
würde dieses große Gebiet, nämlich ganz Europa, zu einer Rüstungskontrollzone werden. Vertrauensbildende Maßnahmen sind nun einmal der erste Schritt zum Abbau von Mißtrauen, und der Abbau von Mißtrauen ist die Voraussetzung für konkrete, realistische Abrüstung.
Wir haben in den letzten Wochen Äußerungen von sowjetischer Seite - „von sowjetischer Seite" sage ich deswegen, weil man noch nicht feststellen kann, ob diese Äußerungen voll der sowjetischen Regierungspolitik entsprechen - gehört, man sei auch bereit, über die Frage des konventionellen Gleichgewichts in Europa - also über Mitteleuropa hinausgehend - zu reden. Wenn das der Fall wäre - und darüber ist zu sprechen, wenn der sowjetische Außenminister nach Bonn kommt -, so würde das unserem Bemühen um Abrüstung bis zu einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstung zusätzliche Impulse geben können,
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und es könnte auch die MBFR-Verhandlungen erleichtern.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen doch, daß in Europa angesichts konventioneller sowjetischer Überlegenheit, angesichts der großen Entfernung der Vereinigten Staaten von Europa und angesichts zunehmend gefährdeter Seewege von den Vereinigten Staaten nach Europa zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts auf westlicher Seite auch eine atomare Abschreckung notwendig ist. Wenn wir sehen, daß die Menschen in Europa nichts sehnlicher wollen als einen Abbau der atomaren Rüstung - und zwar auf allen Ebenen -, müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, über die Rüstungskontrollzone Mitteleuropa hinaus zu einem konventionellen Gleichgewicht in ganz Europa zu kommen.
Deshalb wäre es - ich wiederhole das - ein bedeutsamer Ansatzpunkt für fortschreitende Abrüstungsverhandlungen, wenn sich diese Äußerungen von sowjetischer Seite als Bereitschaft der Sowjetunion herausstellen würden, mit dem Westen auch über konventionelles Gleichgewicht in ganz Europa zu verhandeln. Natürlich würde das nicht nur Einfluß auf die Frage der atomaren Abschreckung haben; es würde auch Einfluß auf die Rüstungsausgaben haben können, die ja für die Völker in West und Ost durch die Unterhaltung hochgerüsteter konventioneller Armeen entstehen.
Wenn wir über das alles reden, dürfen wir niemals einen Gesichtspunkt außer acht lassen, der in der gegenwärtigen Diskussion eine entscheidende Rolle spielt. Es ist der von östlicher Seite geforderte Verzicht auf den Ersteinsatz atomarer Waffen. Wir antworten darauf: Wir sind für den Verzicht auf den Ersteinsatz aller Waffen, der atomaren und der konventionellen!
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Wir dürfen über der Diskussion über die Mittelstreckenraketen, wir dürfen über der Diskussion
über die interkontinentalen Raketen, wir dürfen
über der Diskussion auch über die taktischen Atomwaffen niemals übersehen, daß auch ein konventioneller Krieg im Zeichen der technischen Möglichkeiten der 80er Jahre ein schlimmer Vernichtungskrieg wäre, tausendmal schlimmer als der Zweite Weltkrieg.
({9})
Deshalb ist es so wichtig, daß wir dem Gleichgewicht auch in diesem Bereich eine erhebliche Bedeutung zumessen, wobei Gleichgewicht für uns doch immer Verhinderung von Krieg bedeutet - Verhinderung von Krieg! Denn alle Sicherheitspolitik heute kann nur darauf gerichtet sein, Kriege zu vermeiden, und nicht etwa, über die Gewinnbarkeit von Kriegen nachzudenken, seien sie atomar oder seien sie konventionell.
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Deshalb ist die Strategie des Westens eine Kriegsverhinderungsstrategie. Sie ist damit auch Ausdruck der Politik der Bundesrepublik Deutschland von ihrem Beginn an, nämlich der Politik des Friedens und des Verzichts auf Gewalt.
Vertrauensbildende Maßnahmen in Madrid zu vereinbaren, ist ein wichtiges gemeinsames Ziel. Genauso wichtig ist unser Bemühen um ein umfassendes Verbot aller chemischen Waffen als Ergebnis der Verhandlungen im Genfer Abrüstungsausschuß. Und wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen zur Erhöhung der Transparenz und gegenseitigen Berechenbarkeit im militärischen Bereich. Der Westen bietet durch seine offenen Gesellschaften, durch seine freiheitlichen Gesellschaften ein hohes Maß an Sicherheit für die andere Seite. Jede Rüstungsentscheidung im Westen wird diskutiert. Die Bundesrepublik Deutschland bietet geradezu den Beweis dafür durch das leidenschaftliche Ringen etwa um die Frage des Doppelbeschlusses. Das heißt: hier kommt nichts überraschend.
Deshalb ist es wichtig, daß wir Transparenz in allen Entscheidungsphasen verlangen, sie im Westen verwirklichen und sie im Osten erwarten, weil auch hier Abbau von Mißtrauen Vertrauensbildung bedeutet, und Vertrauensbildung ist - ich wiederhole es - Voraussetzung aller erfolgreichen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen. Deshalb ist für uns Abrüstung und Rüstungskontrollpolitik integraler Bestandteil unserer Sicherhheitspolitik. Das hat der Bundeskanzler auch in den Vereinigten Staaten noch einmal zum Ausdruck gebracht.
Wir betrachten die Handelspolitik, die Wirtschaftspolitik mit dem Osten als einen Beitrag zur Stabilisierung des West-Ost-Verhältnisses. Deshalb gilt für die Bundesregierung und für alle Verbündeten der Grundsatz: Wir wollen Zusammenarbeit, und wir wollen keinen Handelskrieg. Das ist das, Herr Kollege Wischnewski, was das erste bei den Gesprächen war, die in Washington über die zukünftige West-Ost-Handelspolitik geführt wurden. Ich darf einmal zitieren, damit wir die Grundlagen dieser Verhandlungen kennenlernen:
Wir sind übereingekommen, gegenüber der UdSSR und Osteuropa ein vernünftiges und nuanciertes wirtschaftliches Vorgehen einzuschlagen im Einklang mit unseren politischen und sicherheitspolitischen Interessen. Hierzu gehört das Vorgehen in drei Schlüsselbereichen.
Erstens werden unsere Vertreter im Anschluß an die internationalen Erörterungen vom Januar bei der Verbesserung des internationalen Systems für die Kontrolle der Ausfuhr strategischer Güter in diese Länder und der nationalen Durchsetzung von Sicherheitskontrollen zusammenarbeiten.
Zweitens werden wir in der OECD Informationen über alle Aspekte unserer Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen mit der Sowjetunion und Osteuropa austauschen.
Drittens sind wir unter Berücksichtigung der bestehenden wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen übereingekommen, Finanzbeziehungen mit der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten vorsichtig zu handhaben, um sicherzustellen, daß sie auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis gestaltet werden, einschließlich der Notwendigkeit kommerzieller Vernunft auch bei einer Begrenzung der Ausfuhrkredite. Die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen unterliegt einer regelmäßigen nachträglichen Prüfung.
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- Das sage ich jetzt, Herr Kollege Ehmke. Das ist die Erklärung des Wirtschaftsgipfels von Versailles. Auf dieser Grundlage haben die Verbündeten aus der NATO und die anderen Teilnehmer der Versailler Konferenz Beratungen in Washington aufgenommen, in denen auch die Erarbeitung von Studien vorgesehen ist, in denen einige dieser Fragen konkretisiert wurden und die weitergeführt werden müssen.
Die Meinungsverschiedenheiten, Herr Kollege Wischnewski, die insbesondere durch Erklärungen der französischen Republik entstanden sind, beruhten zu allererst darauf, daß durch Verlautbarungen in den Vereinigten Staaten der Eindruck entstanden war, als seien diese Vereinbarungen oder diese Gespräche in Washington eine Gegenleistung für die Aufhebung der Sanktionen. Es war aber vor Aufnahme der Gespräche ausdrücklich festgelegt worden, daß beides nicht in einem Zusammenhang miteinander stehen dürfe, sondern daß die europäischen Partner des Erdgas-Röhren-Geschäfts eine Aufhebung der Sanktionen erwarteten, weil sie sie von Anfang an nicht für berechtigt hielten. Von daher hat der Bundeskanzler sich zwar nicht bedankt für die Aufhebung der Sanktionen, aber hat er sie begrüßt. Ich denke, jeden Fortschritt in der Zusammenarbeit sollte man in der Tat auch unter Verbündeten begrüßen dürfen.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Ehmke? - Bitte.
Herr Kollege Genscher, ich stimme Ihnen erstens darin zu, daß man das begrüßen soll. Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß man - was Sie unausgesprochen gesagt haben - dafür keinen Preis zu zahlen braucht. Aber ich habe eine Frage. Der Bundeskanzler hat heute in seiner Regierungserklärung von einer „substantiellen Einigung" gesprochen. Ich vermag keine substantielle Einigung zu sehen. Ist es nicht vielmehr so, daß - abgesehen von der Sanktionsfrage - man sich lediglich auf Studien in fünf Bereichen geeinigt hat, aber noch keineswegs eine substantielle Einigung in den Fragen dieser fünf Bereiche in Sicht ist?
Es sind auch - Dr. Ehmke ({0}): Herr Kollege Genscher, wäre es nicht klüger, statt hier vorwegzunehmen, daß man Einigung erreicht, das Weiterbestehen von Dissensen, das ja keine Schande ist, zuzugeben? Durch eine wie immer motivierte Darstellung, es sei schon eine Einigung erreicht - obwohl keine Einigung erreicht ist -, schwächt man doch nur die eigene Verhandlungsposition.
Herr Kollege Ehmke, das ist wie mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas. Es ist in bestimmten Bereichen eine Übereinstimmung erzielt worden, auch in der Konkretisierung der eben von mir verlesenen Grundsätze aus Versailles. Natürlich ist auch die Beschlußfassung oder Einigung über Studien zu bestimmten Bereichen mit Vorgaben eine Einigung. Aber das liegt alles im Rahmen dieser von mir eben verlesenen Erklärungen, so daß man durchaus begrüßen darf, daß Fortschritte gemacht worden sind. Aber daß wir noch nicht fertig sind, das weiß jedermann. Ich bin gern bereit, in der kommenden Woche im Auswärtigen Ausschuß Ihnen im einzelnen vorzutragen, worin offene und gelöste Fragen bestehen. Ich glaube, es wäre auch nicht im Interesse der Erfolge der Bemühungen um eine gemeinsame westliche Wirtschaftsstrategie, wenn wir die Verhandlungen durch eine öffentliche Diskussion erschwerten.
Nur eines muß ganz klar sein: zwei Grundsätze gelten für alle Teilnehmer dieser Gespräche in Washington. Erstens. Wir sehen in den Wirtschaftsbeziehungen ein stabilisierendes Element der WestOst-Beziehungen. Zweitens. Aus diesem Grunde kann ein Handelskrieg nicht in Frage kommen. Ich denke, daß das die Basis ist, die auch für uns im Deutschen Bundestag gelten kann.
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Die Fragen, die Herr Kollege Wischnewski in bezug auf die Dritte-Welt-Politik der Bundesregierung gestellt hat, sind durch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers mit beantwortet worden, aber auch durch die gestern veröffentlichte Erklärung der Bundesregierung, in der es heißt:
Für die weltweite Sicherung des Friedens und der Stabilität unterstützt die Bundesrepublik Deutschland echte Blockfreiheit und die Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt.
Das sind die Grundsätze, nach denen auch die Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu gestalten ist.
Ich bin darüber informiert worden, daß gestern im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Informationen zu den von Ihnen genannten Themen Nicaragua, El Salvador und Simbabwe gegeben worden sind. Wie ich höre, sind die Entscheidungen für Nicaragua durch noch nicht abgeflossene Mittel präjudiziert, so daß hier keine Einschränkung in den sachlichen Vorhaben entsteht. Für El Salvador ist eine Entscheidung noch nicht getroffen worden. Auch für Simbabwe sind, wie mir gesagt wird, die Mittel, die gebraucht werden, jetzt vorhanden.
Was die Entsendung eines Botschafters nach El Salvador angeht, Herr Kollege Wischnewski, so erwägt die Bundesregierung die Entsendung des Botschafters in diesem Zeitpunkt nicht. Ich weise im übrigen darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland zu der Minderheit der Staaten der Europäischen Gemeinschaft gehört, die überhaupt diplomatische Vertretungen in El Salvador unterhalten, während andere sich zum Teil mit Doppelbesetzungen bzw. Doppelakkreditierungen behelfen. Wir sehen also einen solchen Anlaß im Augenblick nicht.
Was die Türkei angeht: Es bleibt bei unseren Grundsätzen von der Notwendigkeit der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Türkei und der Verwirklichung der Menschenrechte. Die Bundesregierung hat den drei beteiligten Ausschüssen, dem Auswärtigen Ausschuß, dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bericht zu erstatten. Sie wird diesen Bericht am Mittwoch beschließen. Sie wird dabei auch die Frage zu beantworten haben, Herr Kollege Wischnewski, ob eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und auch der anderen Hilfsmaßnahmen zu erwägen ist. Ich möchte jetzt der Entscheidung der Bundesregierung nicht vorgreifen. Ich beabsichtige aber, auch dazu in der kommenden Woche dem Auswärtigen Ausschuß zu berichten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wille der Bundesregierung, durch Verbesserung der Zusammenarbeit im westlichen Bündnis, durch Stärkung der Europäischen Gemeinschaft und durch eine Politik der ausgestreckten Hand zum Osten zur Friedenssicherung beizutragen, wird auch in den Vorstellungen deutlich, die wir für die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft entwickelt haben und entwickeln und die wir in den kommenden Monaten ab 1. Januar 1983, wenn wir die Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft und in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit übernehmen, durchsetzen wollen.
Wir wissen, daß diese Aufgabe in eine schwierige Zeit fällt. Wir werden uns in unserer Präsidentschaft dennoch nicht darauf konzentrieren, die wirtschaftliche und die politische Funktionsfähigkeit nur zu erhalten; sondern wir wollen unsere ganze Kraft dafür einsetzen, meßbare Fortschritte auf dem Weg zu einer europäischen Union zu erreichen. Wir wollen, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat, neue Wege zur Einigung Europas eröffnen. Wir müssen uns am Beginn dieser Präsidentschaft bewußt sein, welchen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen wir gegenüberstehen.
Mehr als elf Millionen Menschen, das sind nahezu 10 % der Erwerbsbevölkerung, sind in der Gemeinschaft als Arbeitsuchende registriert. 40 % davon sind Jugendliche unter 25 Jahren. Die Arbeitslosenunterstützung kommt die Europäische Gemeinschaft oder ihre Staaten etwa genau so teuer wie die Ölrechnung. Viel schlimmer ist das, was für jeden einzelnen Menschen dahintersteht.
Die Wurzeln dieser hohen Arbeitslosigkeit liegen in den Strukturschwächen und in der weltweiten Rezession. Verschärfend wirkt die demographische Entwicklung. Von 1982 bis 1985 werden - unter Berücksichtigung der Abgänge vorn Arbeitsmarkt - jährlich 1 Million neuer Arbeitssuchender in der Europäischen Gemeinschaft zusätzlich auftreten. Wenn wir also das jetzige Beschäftigungsniveau nicht nur halten, sondern anheben wollen, müssen wir 1 Million neuer Arbeitsplätze und mehr schaffen. Selbst in den 60er Jahren, den Jahren des großen wirtschaftlichen Aufschwungs, konnten in Europa jährlich nur 260 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Das zeigt die ganze Größe der Herausforderungen, vor denen die Staaten der Europäischen Gemeinschaft stehen.
Zur Lösung dieser Aufgabe muß die Gemeinschaft als solche ihren Beitrag leisten. Nur wenn sie das tut, werden die Menschen in Europa die Oberzeugung gewinnen, daß diese Europäische Gemeinschaft auch für ihre persönlichen Lebenschancen von Bedeutung ist. Die Grundbedingungen für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung sind vorhanden. Wir haben neue Technologien, die uns in das Zeitalter der dritten industriellen Revolution führen. Wir haben in Telekommunikation, Automatisierung der Produktionsprozesse, Raumfahrt, in den neuen Energie- und Umwelttechnologien Investitionsmöglichkeiten großen Ausmaßes. Die Europäer müssen sich zum Ziel setzen, einen ganz wesentlichen Teil des Nachfragesoges zu bedienen, der durch die Einführung dieser fortgeschrittenen Technologien erzeugt wird. Die Europäische Gemeinschaft verbraucht, um ein Beispiel zu nennen, dem Werte nach 23 % der in der Welt erzeugten integrierten Schaltkreise, aber sie selbst produziert davon nur 5 %. Das zeigt, was hier aufzuholen ist. Zugleich ist weltweit der Bedarf an Industriegütern und Dienstleistungen groß.
Wir werden als Europäer alle diese Chancen nur nutzen können, wenn wir die kontinentale Dimension unseres eigenen Binnenmarktes nutzen. Dieser Binnenmarkt ist heute durch einen in vielen Formen auftretenden Protektionismus ernsthaft gefährdet. Nichttarifäre Restriktionen und wettbewerbsverzerrende Subventionen haben sich draBundesminister Genscher
stisch vermehrt. Deshalb werden wir in unserer Präsidentschaft mit aller Kraft dafür eintreten, diese Gefahren für den Binnenmarkt abzuwehren. Es ist aber noch mehr notwendig. Wir müssen den Gemeinsamen Markt nicht nur erhalten, sondern weiter ausbauen. Noch gibt es Grenzkontrollen und Formalitäten, die den Warenaustausch in der Gemeinschaft erschweren. Der Kostenaufwand für die Abfertigungszeiten im EG-Warenverkehr wird auf jährlich 36 bis 37 Milliarden DM geschätzt. Bei einem Transport von Holland nach Neapel mit 26 Stunden Fahrtzeit kommen rund zehn Stunden für die Grenzabfertigung zu diesen 26 Stunden hinzu. Vor allem aber muß für viele Bereiche der hohen Technologie ein gemeinsamer Binnenmarkt überhaupt erst geschaffen werden. Besonders die Liberalisierung der öffentlichen Aufträge im Bereich des Fernmeldewesens muß zielstrebig in Angriff genommen werden.
Es ist darüber hinaus der Augenblick gekommen, einige der in der Europäischen Gemeinschaft entwickelten Ideen zur Stärkung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit Europas initiativ aufzugreifen. Vor allem aber müssen wir dafür sorgen, das im Rahmen des ESPRIT-Programm angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich Europa in strategisch wichtigen Bereichen der Kommunikations- und Automationstechnologien in zehn Jahren den Anschluß an Japan und die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Der Zeitraum von zehn Jahren verdeutlicht, welcher Nachholbedarf vorhanden ist. Die Erreichung dieses Ziels wird nur durch eine verstärkte technologische Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft möglich sein. Mit nicht abgestimmten, rein nationalen Programmen werden wir die Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit in entscheidenden Bereichen der fortgeschrittenen Technologien nicht erreichen. Das heißt, wir würden damit nicht nur den Weltmarkt verlieren, wie landläufig angenommen wird, sondern auch noch den eigenen europäischen Markt den Konkurrenten überlassen müssen. Eine Beherrschung der modernen Kommunikations- und Automationstechnologien durch die Industrien der Gemeinschaft könnte - das haben Experten errechnet - vier bis fünf Millionen Arbeitsplätze in der EG innerhalb der nächsten zehn Jahre schaffen. Die hohe Arbeitslosigkeit nährt aber überall protektionistische Tendenzen. Protektionismus kann für die Gemeinschaft, die so stark von einem freien Welthandel abhängig ist, kein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein.
Europa muß vielmehr mit den Vereinigten Staaten und mit Japan der gemeinsamen Verantwortung für ein liberales Funktionieren des Welthandelssystems gerecht werden. Unsere amerikanischen Freunde sollten dabei, bei allen sicher auch zum Teil berechtigten Klagen über die Europäische Gemeinschaft, nicht vergessen, daß sie im Handel mit der Europäischen Gemeinschaft Jahr für Jahr hohe Überschüsse erzielen. In den letzten zehn Jahren waren es mehr als 100 Milliarden Dollar. Die Europäische Gemeinschaft ist im Prinzip nach wie vor ein offener Markt. Sie hat im Vergleich zu anderen Industriestaaten einen niedrigeren durchschnittlichen Zolltarif. Sie nimmt - das ist ganz wichtig für unsere Zusammenarbeit mit der Dritten Welt - 27 % der Ausfuhren der Entwicklungsländer auf und ist damit für die Dritte Welt der bedeutendste Markt überhaupt. Denn wer wirklich gleichberechtigte Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft will, der darf sich nicht darauf beschränken, nur in den Kategorien der öffentlichen Entwicklungshilfe zu denken, der darf auch nicht nur in den Kategorien der privaten Investitionen der Entwicklungsländer denken, sondern der muß auch bereit sein, seinen Markt zu öffnen, damit die Entwicklungsländer auch ihre Fertigwaren und Halbfertigwaren bei uns absetzen können.
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Dazu müssen wir auch dort die Kraft finden, wo eigene Probleme entstehen. Dazu müssen wir feststellen, daß auf diesem Gebiet in den Staatshandelsländern die größte Zurückhaltung vorhanden ist.
Die gegenwärtige Ministertagung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens in Genf muß entschlossen deutlich machen, daß wir den freien Welthandel aufrechterhalten wollen. Das kann nur gelingen, wenn nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch alle anderen ihre Märkte öffnen.
Meine Damen und Herren, wir können die äußeren wirtschaftlichen Herausforderungen nur bestehen, wenn wir im Innern wirtschaftlich und finanziell die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft erhalten und stärken. Dazu gehört vor allem auch eine bessere Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken. Das ist zugleich auch eine Voraussetzung für das Funktionieren und die Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems. Für den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft ist es wichtig, den Abstand zwischen den reichen und den ärmeren Regionen der Gemeinschaft zu verringern. Wir wollen uns in unserer Präsidentschaft für eine wirksame, auf dieses Ziel gerichtete Regional- und Sozialpolitik einsetzen. Wir wissen, daß hier die Gemeinschaft der sechs Gründerstaaten in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs manches versäumt hat in der Entwicklung in diesem Bereich vorhandenen zurückgebliebenen Regionen, aber auch in der Entwicklung der Instrumente. Das macht es uns heute so schwer, dieses unbedingte Ziel der Europäischen Gemeinschaft, das auch Auswirkungen auf die Wanderungsbewegungen der Menschen in der Gemeinschaft hat, unter schwierigeren wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen zu erreichen nach dem klaren Grundsatz: Es sollten nicht Menschen aus Existenzgründen entwurzelt und gezwungen werden, die angestammte Heimat zu verlassen, um Arbeit zu finden, sondern es sollte eine Strukturpolitik durchgeführt werden, die überall ein angemessenes Angebot an Arbeitsplätzen schaffen kann.
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Nun müssen wir für eine solche Politik die Mittel finden. Der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft hat inzwischen ein Volumen von rund 50 Mil8038
liarden DM erreicht und damit nahezu die Ein-Prozent-Grenze der Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer ausgeschöpft. Angesichts dieser Entwicklung und angesichts der Finanznöte, in denen die nationalen Haushalte aller Mitgliedstaaten stecken, müssen wir die für eine wirksame Strukturpolitik notwendigen Mittel vor allem durch eine Umschichtung des Gemeinschaftshaushalts schaffen. Das bedeutet, daß wir weniger für Agrar- und mehr für Strukturmaßnahmen ausgeben. Wir können heute feststellen, daß es gelungen ist, seit 1979 den Anteil der Agrarausgaben am EG-Budget von 74 auf 62 Prozent herabzuführen. Das ist eine beachtliche Leistung, und zwar eine große strukturpolitische Leistung, auch wenn - das muß man einschränkend sagen - relativ hohe Weltmarktpreise für Agrarprodukte in der Vergangenheit diese Entwicklung begünstigt haben.
Wir werden diesen Erfolg nur halten können, wir werden den Agrar-Anteil nur weiter senken können, wenn wir darangehen, unsere Agrarpolitik in der vorgesehenen Weise zu entwickeln. Das Gelingen hängt aber - ich muß es noch einmal sagen - auch von der Entwicklung der Produktion, von den Weltmarktpreisen und dem Dollar-Kurs ab. Dennoch: Wir dürfen in unserem Bemühen hier nicht nachlassen. Die Belastungen durch Überschußproduktion müssen durch mehr Marktwirtschaft und durch stärkere Erzeugermitverantwortung abgebaut werden. Nur so kann es gelingen, den Anstieg geringer zu halten.
Aber es besteht kein Zweifel - das möchte ich für die Bundesregierung noch einmal sehr klar sagen -: Die tragenden Grundlagen der gemeinsamen Agrarpolitik dürfen nicht in Frage gestellt werden.
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Bei aller auch berechtigten Kritik an Fehlentwicklungen, die niemand bestreitet, die zuallerwenigst in der Landwirtschaft bestritten werden, dürfen wir die unverzichtbaren Leistungen der gemeinsamen Agrarpolitik nicht übersehen. Diese gemeinsame Agrarpolitik, die erste gemeinsam entwickelte Politik, ein Grundelement des Zusammenhalts in der Gemeinschaft übrigens, hat uns allen eine gesicherte Versorgung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln gebracht. Diese gemeinsame Agrarpolitik hat uns vor spekulativen Weltmarktentwicklungen bewahrt,
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die die Weltrohstoffmärkte immer wieder erschüttern. Und wer sich über die Entwicklung des Preisindex freut, darf niemals vergessen, daß die Landwirtschaft daran einen ganz wesentlichen Anteil hat.
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Die gemeinsame Agrarpolitik hat die Einkommen unserer Landwirte gesichert und die Rezession teilweise abgefedert. Und schließlich hat die gemeinsame Agrarpolitik die Modernisierung der Landwirtschaft begünstigt und damit ganz wesentlich dazu beigetragen, daß Landwirtschaft in Europa auch weiterhin eine Zukunft hat.
Meine Damen und Herren, wir müssen in der Gemeinschaft für eine gerechtere Verteilung der finanziellen Lasten unter den Mitgliedstaaten sorgen. Für 1982 konnte der Ausgleich aus dem EG-Haushalt für Großbritannien befriedigend geregelt werden. Damit wurde aber auch zum erstenmal ein deutsches Haushaltsproblem ausdrücklich anerkannt - indem wir für den britischen Ausgleich nur die Hälfte unseres normalen Finanzierungsanteils zahlen. Es geht jetzt darum, die britische Haushaltsentlastung auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen und dabei auch unsere Probleme zu berücksichtigen.
Besondere Aufmerksamkeit und Dringlichkeit wird die Bundesregierung den Verhandlungen über den Beitritt Portugals und Spaniens widmen. Wir wollen uns dafür einsetzen, die Voraussetzungen für den gleichzeitigen Beitritt beider Länder zu schaffen.
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Wir dürfen nicht ein Land zurückhängen lassen.
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- Herr Kollege, niemand wird die ökonomischen und finanziellen Probleme unterschätzen wollen, vor die uns eine Süderweiterung stellt. Und wir wissen, daß das besondere Problem für die Landwirtschaft unserer südlichen Mitgliedstaaten schaffte, und wir wissen, daß wir aufpassen müssen, daß nicht durch eine Verlagerung der Landwirtschaftspolitik auf die Südprodukte Probleme in unserem Bereich entstehen. Darauf werden wir achtzugeben haben.
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Aber wir werden auch zu beachten haben, daß die Demokraten in Portugal und in Spanien auf den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft gesetzt haben. Das dürfen wir nicht enttäuschen.
Spanien hat sich entschieden, Mitglied des westlichen Bündnisses zu werden. Ich möchte vermeiden, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auch nur den Eindruck in Spanien erwecken könnten, wir seien zwar bereit, für unsere Sicherheit auch spanische Soldaten in Anspruch zu nehmen, aber wir seien nicht bereit, Spanien durch den Beitritt in die Europäische Gemeinschaft eine Verbesserung seiner sozialen und wirtschaftlichen und damit politischen Stabilität zu ermöglichen.
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Hier werden wir unsere besondere Verantwortung, die ja im Deutschen Bundestag nie umstritten war, zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Ein nach innen gefestigtes Europa muß seine Interessen kraftvoll nach außen vertreten können. Wenn wir auf dem Weg zur Europäischen Union voranschreiten wollen, brauchen wir daher die Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik in der EPZ und deren Verzahnung mit der gemeinsamen
Außenwirtschaftspolitik. Die EPZ, die Europäische Politische Zusammenarbeit, hat in den vergangenen Jahren große Bedeutung erlangt: wir wollen sie fortsetzen. Sie hat ihr Gewicht in den Vereinten Nationen, sie hat unsere Positionen zum Nahost-Konflikt und zur Nahost-Frage entwickelt. - Wir halten daran natürlich fest, Herr Kollege Wischnewski.
({10}) - Auch an Venedig, Herr Kollege Wischnewski.
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- So ist es. Wir stehen zu dem, was in Europa als ein Bestand gemeinsamer Politik entwickelt worden ist.
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Diesen Bestand gilt es aber auszubauen. Wir müssen in der Lage sein, überall in den Krisenzonen einen Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung zu leisten. Wir werden ganz sicher einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der West-Ost-Zusammenarbeit im KSZE-Prozeß zu leisten haben.
Eine besondere Aufgabe für unsere Präsidentschaft wird die Pflege der europäisch-amerikanischen Beziehungen sein. Wir sehen eine wichtige Aufgabe darin, die im transatlantischen Verhältnis sichtbar gewordenen Meinungsunterschiede weiter abzubauen und für eine enge Abstimmung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu sorgen. Ein starkes einiges Europa, das seine Interessen im Bündnis mit Klarheit und Einigkeit vertritt, ist auch für die Vereinigten Staaten ein besserer, weil berechenbarer Partner. In der Gemeinsamen Erklärung des Bundeskanzlers mit
Die Entwicklung eines geeinten Europas stärkt die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und damit auch das Bündnis.
Meine Damen und Herren, nur ein starkes Europa kann auch seiner Verantwortung gegenüber der Dritten Welt gerecht werden, auch bei der Unterstützung regionaler Zusammenschlüsse - nicht nur des ASEAN-Zusammenschlusses -, auch in der Zusammenarbeit mit entstehenden regionalen Zusammenschlüssen in Afrika und natürlich im Rahmen unserer gemeinsamen Lomé-Politik.
Wir sind der Meinung, daß unsere Europäische Politische Zusammenarbeit gemeinsam mit dem, was wir in der Gemeinschaftspolitik zu leisten haben, unsere Bemühungen für die Europäische Union voranbringen muß. Wir haben das Ziel, daß die von uns vorgeschlagene italienisch-deutsche Initiative in einem Europäischen Rat unter deutscher Präsidentschaft verabschiedet werden kann.
Wir brauchen heute nötiger denn je einen starken politischen Impuls, der der Gemeinschaft und ihren Bürgern wieder eine über das ökonomische hinausgehende politische Perspektive vermittelt und damit auch die geistige Kraft der europäischen Einigungsidee mobilisiert. Sicher ist es schwierig, heute wieder jene Europabegeisterung zu wecken, die am Anfang der Gemeinschaft stand. Aber gerade in einer Zeit, in der wir die Besorgnis haben müssen, daß Debatten über Agrarpreise, Haushaltsprobleme, über egoistische Berechnungen, welche Vorteile man hat und was man an Nachteilen in Kauf nehmen muß, im Vordergrund stehen, muß ein neuer Impuls gegeben werden.
Wir werden die aktuellen Probleme nur dann lösen können, wenn wir das Ziel eines vereinten Europas wieder zum zentralen Anliegen der Politik aller Mitgliedstaaten machen. Das steckt hinter dieser gemeinsamen deutsch-italienischen Initiative. Wir wollen damit ein engeres Zusammenwirken von Europäischer Gemeinschaft und Europäischer Politischer Zusammenarbeit.
Wir wollen die Institutionen in Europa stärken. Die Kommission muß wieder stärker Motor der Integration werden, und sie muß ihr Initiativrecht voll nutzen. Die Entscheidungsfähigkeit des Rates soll durch Erschwerung der Berufung auf vitale Interessen gestärkt werden. Oder ich will es anders ausdrücken: Wir müssen wieder schrittweise zu dem zurückkehren, was in den Verträgen vorgesehen ist, nämlich zum Mehrheitsprinzip. Das ist auch deshalb notwendig, weil mit der Erweiterung der Gemeinschaft das bisherige Verfahren den Entscheidungsprozeß natürlich noch stärker lähmen würde, als das jetzt der Fall ist.
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Der verstärkte Ausbau der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, der mit dem Londoner Bericht von 1981 meßbare Fortschritte gebracht hat, muß fortgesetzt werden. Wir sind der Meinung, daß von besonderer Bedeutung die Stärkung des Europäischen Parlaments ist; denn hier geht es um das demokratische Selbstverständnis der Gemeinschaft. Wir waren froh darüber, daß wir mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, der heute auch begrüßt wurde, gerade unter diesem Gesichtspunkt über unsere Präsidentschaft sprechen konnten. Wir haben dabei deutlich gemacht, daß die beiden zentralen und unverzichtbaren Elemente unserer Initiative die Verbesserung des Entscheidungsverfahrens im Rat und die deutliche Stärkung der Rolle des Parlaments sind.
Wir sehen natürlich - ich muß das offen bekennen -, daß diese Vorschläge noch nicht bei allen Partnern in der Europäischen Gemeinschaft Zustimmung finden. Wir müssen versuchen, sie geduldig zu überzeugen.
Wir müssen die politischen Mitwirkungsbefugnisse des Europäischen Parlaments ausbauen. Das Parlament muß ein vollwertiger und verantwortlicher Partner des Rates bei der Formulierung der Gemeinschaftspolitik sein. Wir wollen hierbei Vorschläge verwirklichen, die ohne Vertragsänderung erreicht werden können. Sie reichen von der Ausdehnung des Konzertierungsverfahrens über die Mitwirkung des Parlaments beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge der Gemeinschaft bis hin zur
Beteiligung des Europäischen Parlaments bei der Ernennung der Mitglieder der Kommission.
Das Europäische Parlament erfüllt eine wichtige Funktion als Forum für die europäische Bewußtseinsbildung. Hier wird vornehmlich unter europäischen Gesichtspunkten entschieden und nicht, wie häufig in den Räten, noch unter Wahrnehmung vermeintlicher, gar nicht wirklicher nationaler Interessen. Hier wird ein Stück europäischer Identität deutlich. Wir müssen sehen, daß alle diese Fortschritte auch im Blick auf die europäischen Wahlen wichtig sind.
Wir wollen mit unserem Bemühen auch die Arbeiten des Parlaments an einer europäischen Verfassung unterstützen, die darauf abzielt, die Rechte des europäischen Bürgers zu stärken und die gemeinsame Überzeugung vom freiheitlich verfaßten Europa zu bekräftigen.
Wir wollen neue Bereiche in die Zusammenarbeit einbeziehen: engere kulturelle und justizpolitische Zusammenarbeit, vor allem aber eine stärkere Zusammenarbeit in den politischen und wirtschaftlichen Fragen der Sicherheit. Der Londoner Bericht zur Europäischen Politischen Zusammenarbeit sieht Konsultationen der Zehn zu diesem Thema, zum Thema der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, vor. Ich will mich als Vorsitzender des Rats dafür einsetzen, daß unter unserer Präsidentschaft und in Abstimmung mit unseren Partnern ein besonderes Außenministertreffen einberufen wird, das sich mit den politischen Aspekten unserer Sicherheit befassen kann. Das wäre ein erheblicher Fortschritt.
Eine Gemeinschaft, die die Lebensgrundlage ihrer Mitglieder umfassend sichern will, darf keinen Bereich ausklammern. Das gilt auch für die noch vorhandenen Freizügigkeitsbarrieren in Europa, auch in der täglichen Praxis. Die EG-Bürger werden bald einen einheitlichen Paß besitzen. Ich hoffe, daß das noch vor der nächsten Direktwahl sein wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Politik der Bundesrepublik Deutschland gewinnt an Gewicht, gewinnt an erhöhter Durchsetzbarkeit auch unserer eigenen nationalen Interessen durch unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft, aber auch im westlichen Bündnis. Auf dieser Grundlage wollen wir Zusammenarbeit, Entspannung, Rüstungskontrolle und Abrüstung. Wir wissen, daß diese Mitgliedschaft uns nicht behindert, sondern unser Gewicht erhöht. Deshalb haben wir uns so sehr in Europa und für Europa engagiert.
Wenn wir von Europa sprechen, so wissen wir, daß damit nicht nur das Europa der Europäischen Gemeinschaft gemeint ist. Wenn wir von Europa sprechen, so wissen wir, daß dazu Polen genauso gehört wie Ungarn, die Tschechoslowakei oder Bulgarien,
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so wie zu Deutschland in unserem Verständnis auch der andere Teil unseres Vaterlandes, die DDR, gehört.
So steht für uns fest und muß maßgeblich sein für unsere ganze Politik: Deutschland ist unsere Aufgabe, Europa ist unser Schicksal. Für Europas Frieden zu arbeiten, das bedeutet auch, den Deutschen im geteilten Land zu helfen. - Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wischnewski war so freundlich, mich zweimal in die Debatte einzubeziehen: einmal wegen der Vergangenheit, einmal wegen der Gegenwart. Ich will gern darauf antworten.
Erstens. Herr Kollege Wischnewski hat noch einmal über die alten Vorgänge hinsichtlich des UNO-Beitritts und des Kampfes um die Verträge gesprochen. Ich finde diesen Hinweis, Herr Kollege Wischnewski, eigentlich - verzeihen Sie - unter dem Niveau. Denn Sie haben seinerzeit z. B. gegen die NATO gestimmt; dann kamen Sie an die Regierung und sind dann nicht ausgetreten, sondern haben die NATO als Instrument Ihrer Politik benutzt.
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Die Freien Demokraten haben früher einmal gegen die Europäische Gemeinschaft gestimmt, kamen in die Regierung und benutzten es als Instrument ihrer Politik. Dies machen wir heute. Es ist doch albern, solche Dinge noch in Erinnerung zu rufen. Sie können die Debatte haben, aber ich glaube, sie bringt keinen von uns nach vorn und findet gerade in der jungen Generation kein Verständnis.
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Der zweite Punkt betraf die Gegenwart. Ihre Bemerkung über meinen Besuch in beiden Teilen Berlins beantworte ich nicht. Ich glaube, das richtet sich gegen den, der das gesagt hat.
Es war die Rede von den Kontakten zur DDR. Herr Kollege Wischnewski hat es für richtig gehalten, einige kritische Anmerkungen zu machen. Es tut mir leid, daß Sie sie gemacht haben, obwohl Sie besser wissen, was wirklich geschieht. Das war kein guter Einstieg in die Opposition und auch wenig hilfreich hinsichtlich meines Bemühens, in den Fragen, für die ich die Verantwortung trage, einen breiten Konsens auch hier im Hause herzustellen.
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Ich werde mich aber nicht stören lassen, meine Damen und Herren, hier meinen Kurs zu halten.
Ich bin hier gemahnt worden und es ist öffentlich angekündigt worden, man werde uns hinsichtlich unserer Erfolge auf dem humanitären Gebiet öffentlich befragen. Herr Kollege Wischnewski, Sie wissen, daß das weitergeht. Sie wissen, wie das weitergeht. Sie wissen, daß es auch so weitergeht, wie es der Mann, der hier spricht, vor 20 Jahren angeBundesminister Dr. Barzel
fangen hat, nämlich durch Verschwiegenheit im Interesse der Menschen und der Menschlichkeit. Da können Sie mich anzapfen, wie Sie wollen; das wird nur so gut weitergehen, wenn ich an dieser Haltung festhalte.
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Meine Damen und Herren, ich darf dazu sagen, daß die Verantwortlichen in der DDR in dieser Frage offensichtlich ein besseres Gedächtnis haben und auch eine respektvolle Erinnerung bewahren.
Sie haben, Herr Kollege Wischnewski, das Kulturabkommen angesprochen. Sie wissen selbst, daß es - ohne Ihr Verschulden - nicht möglich war, in den zehn Jahren diese Verabredung des Grundlagenvertrags zu verwirklichen. Sie wissen, daß die neue Bundesregierung, seit es eine veränderte Situation zum Ende Ihrer Regierungszeit gab - ich räume dies doch ein -, auf einen Termin zum Beginn dieser Gespräche drängt. Das wissen Sie alles. Sie wissen, daß das auch für das Abkommen über Wissenschaft und Technik gilt, das im Grundlagenvertrag vorgesehen ist, das aber auch noch nicht da ist. Dies alles wissen Sie. Aber Sie mahnen uns mit polemischen Fingerübungen.
Sie mahnen uns an, weitere Verhandlungen zu führen. Sie, Herr Kollege Wischnewski und meine Damen und Herren aus der Opposition, wissen wie dieses Haus, daß der verantwortliche Minister mit den Leitern aller dieser Delegationen selber gesprochen hat, und Sie kennen die Erklärungen, die ich im zuständigen Ausschuß unter Billigung aller Seiten des Ausschusses dazu abgegeben habe. Wir haben da gesagt:
Die Zusammenarbeit der beiden Staaten in Deutschland soll im Interesse Deutschlands und der Deutschen verbessert werden. Die laufenden Verhandlungen und Gespräche werden fortgesetzt.
Das ist eine Tatsachenmitteilung.
Wir prüfen, ob wir mit neuen oder weiterführenden Vorschlägen die da und dort stagnierende Gesprächslage zu beleben und zu tragfähigen Lösungen zu gelangen vermögen. Wir sind an umfassenden längerfristigen Abmachungen zum Nutzen der Menschen und auf der Grundlage der geltenden Abkommen interessiert.
Wir haben mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt - auch davon war die Rede -, wie sich die Regierung der DDR zum Regierungswechsel hier geäußert hat. Es wurde vielfach vermutet, Ost-Berlin würde einer Regierung Kohl/Genscher die kalte Schulter zeigen. Sie wissen, daß das nicht der Fall ist. Ich darf daran erinnern, daß von dieser Stelle aus noch vor wenigen Wochen die Unglaublichkeit gesagt worden ist, wir seien zwar friedenswillig, aber nicht friedensfähig. Dieser Satz ist ja nun durch die Realitäten in sich selbst zusammengebrochen, meine Damen und Herren.
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Sie wissen, Herr Kollege Wischnewski, daß es außer den drei Aktivitäten, die der Bundeskanzler in
der Regierungserklärung genannt hat, allein in diesem Monat gegeben hat: die zweite Verhandlungsrunde über die Neufestsetzung der Postpauschale, die 35. Sitzung der Verkehrskommission. Sie wissen, daß wir uns vorbereiten auf das Kulturabkommen, daß wir arbeiten an der Lösung des Problems der Verschmutzung der Werra, an der Lösung von Problemen dieser Art an der Elbe und auch am Böden. Ich denke, es ist Ihnen auch nicht unbekannt, daß wir uns bemühen, die Anbindung der Autobahn in Berlin voranzutreiben. Und so wird Ihnen nicht entgangen sein, daß unser Kollege Staatsminister Jenninger am 2. Dezember zu verantwortlichen Gesprächen nach Ost-Berlin fahren wird. Was sollen also diese Anmahnungen, meine Damen und Herren?
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Herr Kollege Wischnewski, Sie haben dann - und das nehme ich natürlich ernst; das andere waren Fingerübungen, die muß man mal so zurückgeben - ({6})
- Natürlich zur Sache. Ich bin die ganze Zeit dabei. Ich war bei so sachlichen Dingen wie der Versalzung der Werra. Wenn Sie das nicht für sachlich halten, dann weiß ich es nicht.
Der Kollege Wischnewski hat sich dann einer der Grundfragen zugewandt, die sich beim Abschluß des Grundlagenvertrages als nicht lösbar erwiesen. Ich möchte Ihnen hierzu die Bilanz sagen, die die neue Regierung hier macht: Wir finden einige Abreden vor, die noch nicht verwirklicht sind, obwohl sie im Grundlagenvertrag vorgesehen sind, wie Kulturabkommen, Abkommen über Wissenschaft und Technik und anderes. Wir finden zum anderen abredewidrige Tatbestände vor.
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Ich nenne den Zwangsumtausch, ich nenne die Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten, ich nenne die Schikanen im Verkehr. Meine Damen, meine Herren, wir wünschen unter dem Aspekt guter Nachbarschaft zuerst das herzustellen, was verabredet ist.
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Wenn das hergestellt ist, kann man über anderes reden. Wer vorher Grundfragen, die sich damals nicht lösen ließen, aufwerfen will, muß damit rechnen: Auch wir werden dann Grundfragen aufwerfen. Dies, glaube ich, ist eine klare Position, die hier deutlich gemacht werden sollte.
In diesem Zusammenhang würde ich gern - und da hoffe ich auf Unterstützung doch aller Seiten des Hauses - sagen, daß sich die Klagen in diesen Tagen mehren, daß humanitäre Lieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland zur Linderung der Notlage des polnischen Volkes leider bei der Durch8042
reise durch die Deutsche Demokratische Republik besonderen Schikanen begegnen.
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Ich möchte sagen: Dies ist gegen den Geist guter Nachbarschaft.
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Dies richtet sich gegen eine rein humanitäre Aktion, eine Aktion im Interesse der Menschen und der Völker. Ich möchte an die Adresse der Verantwortlichen in der DDR hinzufügen: Gute Nachbarschaft erfordert Respektierung der Zusammengehörigkeit. Wir gehören mit allen Nachbarn zusammen, auch mit den polnischen Nachbarn. Sie sind Europäer wie wir.
Ich möchte in dieser ersten Intervention in dem Amt, das ich jetzt habe, am Schluß folgendes in Erinnerung rufen, damit es alle wissen und sich niemand irritiert zeigt, weil wir von Deutschland sprechen. Am 21. Dezember 1972 - dies gehört zum Grundlagenvertrag - hat Herr Kollege Bahr, damals als Staatssekretär und Unterhändler der Bundesrepublik Deutschland, an die Regierung der DDR folgenden Brief geschrieben - ich zitiere -:
Sehr geehrter Herr Kohl!
Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Daran halten wir fest - geduldig, friedfertig, unbeirrbar. Wir suchen nicht die Konfrontation, wir suchen nicht die Polemik, weder hier im Hause noch mit der DDR. Wir suchen das Gespräch. Wir suchen nicht die Schlagzeilen, sondern das Ergebnis. - Sie sind eingeladen, daran mitzuwirken, Herr Kollege Wischnewski.
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Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.00 Uhr.
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Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Beratung der Punkte 4 bis 10 der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben nach dem Regierungswechsel gesagt, wir seien auf Grund unseres Verständnisses von nationaler, gesamtstaatlicher Verantwortung nicht daran interessiert, die amtierende Bundesregierung auf den Gebieten der Außenpolitik mit mehr als der gebotenen Kritik zu begleiten. Es gibt nämlich auch sonst genug, worüber zu streiten sich lohnt, und es wäre ja das Schlechteste nicht, wenn in der auswärtigen Politik ein hohes Maß an Kontinuität gewahrt und damit ein Konsens hergestellt würde.
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Meine Damen und Herren, ich bin allerdings nicht sicher, ob diese unsere Einstellung schon gut genug verstanden worden ist. Es hat doch hoffentlich niemand geglaubt, wir scheuten die offene, lebhafte Auseinandersetzung, wenn sie uns geboten erscheint. Manche Äußerungen der letzten Tage und auch des heutigen Vormittages scheinen dafür zu sprechen, daß es noch einmal notwendig sein wird, unsere friedenspolitischen Überzeugungen und die in den zurückliegenden Jahren daraus abgeleiteten Initiativen vor einer breiten Öffentlichkeit zu begründen, sie mit den Haltungen anderer zu vergleichen und nicht zuzulassen, daß „Kontinuität" gesagt, aber womöglich Etikettenschwindel betrieben wird.
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Ich will die Grundpositionen der deutschen Sozialdemokraten hier noch einmal deutlich machen, und ich tue das in ausdrücklicher Übereinstimmung mit Hans-Jochen Vogel.
Wir halten erstens an der Europäischen Gemeinschaft, am nordatlantischen Bündnis und an der deutsch-amerikanischen Freundschaft fest, die sich natürlich nicht - worauf Hans-Jürgen Wischnewski zu Recht hingewiesen hat - allein auf die jeweilige Administration erstreckt, und wir halten am besonderen Charakter der deutsch-französischen Zusammenarbeit fest.
Wir drängen zweitens darauf, daß die deutsche Außenpolitik auch in der Aussöhnung mit dem Osten ihre Stetigkeit behält.
Wir werden also drittens unverändert und unverdrossen für gute Nachbarschaft in Mitteleuropa - auch im Verhältnis zum anderen deutschen Staat - und für eine Außenpolitik im Geist der Friedensbereitschaft und Friedfertigkeit eintreten.
Wir bejahen und unterstützen viertens den Beitrag der Bundeswehr zur gemeinsamen westlichen Verteidigung.
Wir bestehen fünftens zugleich auf dem Anspruch der Bundesrepublik darauf, daß die Großmächte auf dem Verhandlungsweg zur Abrüstung ihrer Kernwaffen kommen. Hier geht es dann auch, wovon heute kaum noch die Rede war, um den Zusammenhang zwischen START und INF, was natürlich für das breite Publikum nicht so geläufig sein kann; in dem einen Fall geht es um die interkontinentalen Zerstörungsmaschinen, in dem anderen Fall um die von geringerer Reichweite, aber auch mit gewaltiger Zerstörungskraft.
Ich füge sechstens hinzu: Bei den Verhandlungen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über
nukleare Mittelstreckenraketen werden wir nicht müde werden, einerseits die Sowjetunion zu drängen, daß sie sich bewegt, und andererseits unsere amerikanischen Freunde immer wieder zu bitten, die größten Anstrengungen zu unternehmen, damit die Aufstellung neuer Waffen überflüssig bleibt.
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In der Kieler Erklärung unserer Bundeskonferenz vom vorigen Freitag heißt es:
Mit der Politik der vereinbarten schrittweisen Abrüstung bei annäherndem Gleichgewicht erstreben wir eine Partnerschaft der Sicherheit.
Ich wüßte nicht - und ich sage dies an die Adresse des Kollegen Rühe -, was vernünftigerweise dagegen ins Feld geführt werden könnte.
Dem Bundeskanzler möchte ich sagen, er sollte jeden Eindruck vermeiden, als lege er sich vorweg auf etwas fest, was sich aus einem ihm ebenso wie uns anderen unbekannten Ausgang der Genfer Verhandlungen unmittelbar ergeben könnte.
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Für uns gibt es - und ich bestätige dies ausdrücklich nach der kritischen Bemerkung des Bundesaußenministers - in der Tat weder Automatismen noch Blankovollmachten.
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Wenn die Regierung zu früh Festlegungen träfe, würde und müßte dies nachdrücklichen Widerspruch hervorrufen.
Kontinuität heißt nicht, einen negativen Ausgang der Verhandlungen vorwegzunehmen,
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sondern mit großem Nachdruck positiv auf den Gang der Verhandlungen einzuwirken. Wenn Regierung und Opposition gemeinsam auf positive Verhandlungsergebnisse drängen, dann nehmen sie in der Tat gemeinsam ein friedenspolitisches und nationales Interesse wahr.
Meine Damen und Herren, dies sollte ursprünglich eine europapolitische Bundestagsdebatte werden. Ich möchte mich mit diesem ursprünglich vorgesehenen Thema ein wenig befassen.
Vorweg ein Wort zur Begründung eines Entschließungsantrages, den die gegenwärtigen Koalitionsfraktionen vorgestern zur Europapolitik eingebracht haben. Da hat die Fraktion des Bundesaußenministers übrigens nicht mehr so sehr auf den genauen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Antrag geachtet, den sie gemeinsam mit uns am 16. Juni eingebracht hatte. Ich werde darauf zurückkommen.
Für das Gegenteil einer auf Kontinuität angelegten Politik halte ich jedoch den Text, mit dem die Fraktion der CDU/CSU den gemeinsam mit der FDP - oder soll ich sagen, FDP-Mehrheit - eingebrachten Entschließungsantrag von vorgestern begründet hat. Da heißt es in diesem Antrag von vorgestern, dem europäischen Einigungswerk solle ein neuer Impuls gegeben werden. Warum eigentlich nicht? Aber dann folgt ein Satz über die, wie es
heißt - und ich zitiere -, „insbesondere unter der Kanzlerschaft Schmidts um sich greifende und sogar geförderte Europamüdigkeit in der Bundesrepublik Deutschland".
Das ist, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, zunächst nicht besonders freundlich gegenüber dem Herrn, der auch bei Bundeskanzler Schmidt Außenminister war, und es ist extrem unsachlich, wo von „gefördert" die Rede ist; unsachlich deshalb, weil der Verfasser des über Gebühr polemischen Textes gewiß weiß, was in den letzten Jahren von Bonn aus mit bewegt worden ist, wo es sich zum Beispiel um die Erweiterung der Gemeinschaft handelte oder um das Lomé-Abkommen mit einer großen Zahl von Entwicklungsländern oder um das Europäische Währungssystem. Wenn ich Erweiterung gesagt habe, will ich äußerlich deutlich machen, daß meine Fraktion weiter zu dem steht, was sie bisher zur Süderweiterung gesagt hat.
Trotzdem, das Wort von der Europamüdigkeit, losgelöst von der Polemik, ist natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Ich bin nicht sicher, ob es heutzutage irgendeinem von uns gelänge, gegen das laute oder unterdrückte Gähnen anzukommen, mit dem ein großer Teil der Bürger das Thema Europa begleitet.
({6})
Nationale oder europäische Bürokratien, begleitet durch allerlei Schönredner, haben es in der Tat fertiggebracht, den europäischen Gedanken um Saft und Kraft zu bringen. Dabei ist man dann doch immer wieder überrascht, daß die Europäische Gemeinschaft auch heute für manche in Europa ein Quell der Hoffnung ist und daß viele in der Welt, in der Welt um uns herum, zumal auch in der Dritten Welt, hohe Erwartungen an die Europäische Gemeinschaft knüpfen.
Im übrigen wird kaum jemand in diesem Hause in Abrede stellen wollen: die Europäische Gemeinschaft ist für uns, für die Bundesrepublik Deutschland, ohne vernünftige Alternative. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft hat sich für unser Land wirtschaftlich vorteilhaft ausgewirkt. Sie ist uns auch außenpolitisch zugute gekommen.
Wovor ich jedoch nachdrücklich warnen möchte, das ist die naive Vorstellung, daß die Mühle am rauschenden europäischen Bach schon munter weiter klappern werde. Routine in Sachen Europa heißt leider das Zudecken tiefgreifender Mängel mit schönen Sprüchen, z. B. denen, die von einer Europäischen Union und deren Verfassung handeln.
({7})
Ich rate uns und allen, die es angeht, sich nicht bei schönen Worten aufzuhalten, sondern sich mit der weniger schönen Realität auseinanderzusetzen.
({8})
Da trifft es natürlich zu, worauf der Bundesaußenminister uns vor der Mittagspause aufmerksam gemacht hat: in gut einem Monat wird die Bundesrepublik turnusgemäß für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Ge8044
meinschaft übernehmen. Es wäre in der Tat gut, wenn unsere heutigen Beratungen dazu beitragen könnten, denen, die die Bundesrepublik auf verschiedenen Ebenen in der Zeit der Ratspräsidentschaft zu vertreten haben, die damit verbundene Verantwortung zu erleichtern. Doch machen wir bitte uns und anderen nichts vor: wer Wahlen zum Deutschen Bundestag im März ernstnimmt, kann nicht auch noch den Eindruck erwecken wollen, er könne in Brüssel in den ersten Monaten des neuen Jahres viel bewegen.
({9})
Gleichwohl bleibt gewiß richtig, daß gerade die Bundesrepublik ein vitales Interesse an einer wirtschaftlich starken, einer politisch handlungsfähigen und einer demokratisch legitimierten Europäischen Gemeinschaft hat.
Wo es um die demokratische Kontrolle auf europäischer Ebene geht, müßte dem direkt gewählten Europäischen Parlament eine wichtigere, wenn nicht die entscheidende Rolle zukommen. Ich bezweifle, daß sich die damaligen Regierungschefs hierüber voll im klaren waren, als sie Direktwahlen für 1979 ansetzten. Jetzt jedoch müßten alle demokratischen Kräfte ein Interesse daran haben, daß die nächsten Direktwahlen im Jahr 1984 nicht durch extrem niedrige Wahlbeteiligung in ein Votum gegen Europa umschlagen.
({10})
Da sage ich: Erfolg werden die Europäer nur haben, wenn es gelingt, offenkundigen Fehlentwicklungen energischer als bisher zu begegnen. Die Entscheidungsfähigkiet der Gemeinschaftsorgane muß jedenfalls dringend verbessert werden. Das stimmt ja alles nicht mehr, was ursprünglich mal für die Abgrenzung zwischen Rat und Kommission festgelegt worden war.
({11})
Es müßte dazu natürlich gehören, die Rechte des Europäischen Parlaments so zu erweitern, daß es seiner Rolle als direkt gewählte Volksvertretung in etwa entsprechen kann. Ich kann da weitgehend dem zustimmen, was heute vormittag dazu aus der Sicht der Bundesregierung gesagt worden ist.
Ich sage dies auch, weil ich selber habe feststellen müssen, daß ich mein Mandat im Europäischen Parlament, das zu übernehmen mich meine Partei 1977 gebeten hatte, nicht werde beibehalten können. Ich denke, ich habe doch einiges zur Arbeit des Europäischen Parlaments beitragen können.
({12})
Aber so, wie sich diese Arbeit gestaltet hat, stellt es sich auch ohne die zusätzlichen Pflichten eines Parteivorsitzenden als praktisch unmöglich heraus, ein Doppelmandat im nationalen Parlament und im Europäischen Parlament wahrzunehmen.
({13})
Die inzwischen bewährte Europäische Politische Zusammenarbeit sollte - da stimme ich dem, was gesagt worden ist, ausdrücklich zu - auch unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten fortentwickelt und mit den vertraglich festgelegten Entscheidungsmechanismen der Gemeinschaft verzahnt werden.
Die deutsch-italienische Initiative einer Europäischen Akte enthält Vorschläge, denen meine Fraktion ihre Zustimmung gegeben hat und weiterhin geben kann, wie es auch im Antrag der damaligen Koalitionsfraktionen vom Juni dieses Jahres zum Ausdruck gekommen ist. Doch ich muß wiederholen, was ich bei anderer Gelegenheit gesagt habe. Schwächen in der Substanz der Gemeinschaft lassen sich durch keinerlei politisch-verbale Verzierungen kompensieren.
({14})
Zur Weiterentwicklung und Vertiefung der europäischen Integration bedarf es erkennbarer Fortschritte in den Bereichen, in denen nationale Lösungsansätze zu kurz greifen. Die Beschäftigungspolitik einschließlich einer Verkürzung der Arbeitszeit, wie sie jetzt noch einmal von der EG-Kommission angeregt worden ist, Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, Energiepolitik, Umweltpolitik, industrielle Erneuerung, eine weitgehende wirtschaftspolitische Koordinierung, die Umstrukturierung bestimmter industrieller Sektoren, unsere früheren, jetzt von den Franzosen wieder aufgenommenen Überlegungen in Richtung eines europäischen Sozialraums: auf diesen Gebieten wird sich meiner Überzeugung nach entscheiden, was aus der Gemeinschaft wird. Angesichts von elf Millionen Arbeitslosen in den Ländern der Gemeinschaft wird sich hier entscheiden, ob eine Mehrheit der Bürger und der Wähler eigene Interessen an der Europäischen Gemeinschaft erkennen kann.
Die jüngste Brüsseler Tagung des Jumbo-Rats, also der Finanz-, der Wirtschafts- und der Arbeitsminister der Europäischen Gemeinschaft, sollte, so hieß es, gemeinsame Aktionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit behandeln. Soweit ich sehen kann, ist nichts Nennenswertes dabei herausgekommen.
({15})
Soweit ich erkennen kann, hat auch die jetzige Bundesregierung nichts Vernünftiges, nach vorn Weisendes bewirken können. Mit den Beteuerungen, wie sie der Bundesaußenminister hier und auch sonst für das Fernsehpublikum bereithält, ist der Arbeitslosigkeit offensichtlich nicht beizukommen.
({16})
Apropos Erblast, die ja nun wohl zu einem der Wahlkampfthemen gemacht werden soll. Professor Ralf Dahrendorf war es, der dieser Tage im Rundfunk sagte, von Erblast sprächen heutzutage neue Regierungen immer und überall. Im Fall der Bundesrepublik, so Dahrendorf, sei das besonders merkwürdig, weil die alte Regierung ja in der neuen Regierung z. B. im wirtschaftlichen Bereich vertreten sei.
({17})
Dahrendorf weiter: Die Bundesrepublik schneide in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit vergleichsweise gut ab. Wörtlich:
Die Erblast, die eine neue Regierung in der Bundesrepublik übernimmt, ist also eine vergleichsweise positive.
({18})
Und Dahrendorf, der in London lebt, weiß, wovon er spricht.
({19})
Der erklärte Wille zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft muß seinen Niederschlag auch in einer ausgewogenen Haushaltsstruktur der Gemeinschaft finden. Das wird sich ohne eine angemessene Reform der europäischen Agrarpolitik nicht bewerkstelligen lassen. Meine politischen Freunde im Europäischen Parlament haben konkrete und, wie ich meine, realistische Vorschläge zur Kostenbegrenzung unterbreitet.
Es bleibt für mich eines der großen Geheimnisse der jetzigen Bundesregierung, wie sie ihre gelegentliche Kritik an unzureichender Preispolitik in Brüssel mit der bisher im Bundesrat und im Bundestag von allen Seiten vertretenen Forderung nach Beibehaltung der einprozentigen Mehrwertsteuerregelung für die Gemeinschaft unter einen Hut bekommen will. Für uns Sozialdemokraten gilt jedenfalls nach wie vor, was auch im gemeinsamen Antrag unserer Fraktion und der Fraktion der Freien Demokraten vom Juni steht, nicht jedoch im Entschließungsantrag der neuen Koalition von vorgestern: Wir werden keiner Erhöhung der 1 %-Mehrwertsteuergrenze zustimmen, solange nicht eine befriedigende Regelung für die europäische Agrarpolitik erkennbar ist,
({20})
d. h. für eine Politik, die seit Jahren zwei Drittel des EG-Haushalts oder mehr in Anspruch genommen hat.
Bei der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben darf darüber hinaus der Gesichtspunkt des gerechten Ausgleichs nicht zu kurz kommen. Belastungen und Vorteile aus dem Gemeinschaftshaushalt müssen in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines jeden Mitgliedstaates und seiner Bürger stehen.
Schließlich natürlich auch noch dies: Eine Identifikation mit der Gemeinschaft wird sich natürlich leichter herausbilden, wenn die Einigungsbemühungen auch im täglichen Leben der Bürger sichtbar werden. Dazu kann die Einführung eines europäischen Reisepasses und eines gemeinsamen Führerscheins beitragen. Dies ergibt meines Erachtens aber nur dann Sinn, wenn gleichzeitig eine ernstere Anstrengung unternommen wird, die immer noch kleinlichen Grenzkontrollen in der Europäischen Gemeinschaft abzuschaffen.
({21})
Die damals jungen Europäer sind nach dem Zweiten Weltkrieg ja nicht dafür eingetreten, daß die Schlagbäume schöner angestrichen würden. Sie wollten, daß die Schlagbäume verschwänden.
({22})
Meine Damen und Herren, nun kann man andere und sich selbst fragen - ich habe es hier ja auch schon einmal anklingen lassen -, ob eigentlich mit den Vorstellungen und den institutionellen Ansätzen der 50er Jahre eine vernünftige Europapolitik für die 80er und 90er Jahre überhaupt noch gestaltet werden kann. Der wachsende Wunsch vor allem vieler junger Menschen nach einem eigenständigen, unverwechselbaren, selbstbestimmten Lebensentwurf für Europa kontrastiert in bedrückender Weise mit dem kläglichen Bild, das die Gemeinschaft dem Betrachter jetzt immer wieder in bedrückender Vielfalt bietet. Es entsteht dann die Frage: Bedarf es nicht eines neuen Integrationsansatzes, eines Ansatzes, der die Europäische Gemeinschaft als Wirtschaftsgemeinschaft zunächst einmal so funktionieren läßt, daß sie wirklich dazu beitragen kann, Arbeitsplätze zu sichern und neu zu schaffen, eines Ansatzes, der zugleich auf die Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen abzielt, der auf ein sozial und umweltverträgliches Wachstum abzielt, der auf die Entwicklung und Sicherung der regionalen Vielfalt und Eigenständigkeit, auf die Gleichberechtigung, auf Mitbestimmung in der Großwirtschaft und die Erweiterung der Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen in unterschiedlichen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens abzielt?
Ich möchte zwei Aktionsprogramme der EGKommission hervorheben. Das eine, auf das die Kolleginnen im Europäischen Parlament besonders gedrungen haben, betrifft die Chancengleichheit im Erwerbsleben. Das andere hat den Umweltschutz zum Inhalt und geht von der Notwendigkeit einer vorausschauenden Schadensverhütung aus.
Nun habe ich mit einigem Interesse festgestellt, daß es in dem schon erwähnten Entschließungsantrag der gegenwärtigen Koalition heißt, „koordinierte Maßnahmen im Bereich der grenzüberschreitenden Umweltprobleme" sollten „unter Zugrundelegung der jeweils strengsten nationalen Gesetzgebung" angegangen werden. Ich habe damit keine Probleme, aber ich frage mich, wie das mit dem übereinstimmt, was Graf Lambsdorff noch vor kurzem zu Papier gebracht hat.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sage ich noch einmal: Abstrakte Diskussionen über eine wie auch immer geartete europäische Verfassung tragen jetzt nicht weit. Vielmehr werden konkrete Fortschritte in einigen wesentlichen Bereichen - ich habe einige solche genannt - darüber entscheiden, ob sich die Gemeinschaft so entwickelt, daß eine große Mehrheit der Bürger ihr Vertrauen entgegenbringt.
Im übrigen wird - da versuche ich, an meine einleitenden Bemerkungen anzuknüpfen - das Werk der europäischen Einigung natürlich daran gemessen werden, wie wirksam es der Friedenssicherung
zugute kommt. Die Entwicklung hat bestätigt, daß Europa wie die Welt mehr und nicht weniger Entspannung braucht. Ich bleibe bei der einfachen Wahrheit, daß die Menschheit in Gefahr ist, sich zu Tode zu rüsten, und daß die Existenz der Völker Europas jedenfalls aufs Spiel gesetzt ist, käme es zum dritten Weltkrieg. Die europäischen Völker würden eine solche Katastrophe mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überleben.
Also müßte es darauf ankommen, unsere Kräfte und die anderer zu bündeln, möglichst viele europäische Kräfte zu bündeln, um die Ost-West-Beziehungen zu stabilisieren und neu zu beleben, um das Bemühen zugunsten von Entspannung und Zusammenarbeit zu vertiefen, auch durch die Abwehr törichter Reaktionen, wie wir sie im Zusammenhang mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft erlebten, um Rückfälle in den Kalten Krieg zu vermeiden und dazu beizutragen, daß dem Wettrüsten ein Ende bereitet wird. Es stellt sich ja mittlerweile heraus, daß in diesem Jahr, 1982, nicht, wie man noch vor einigen Jahren meinte, 500 Milliarden, nicht 600 Milliarden, sondern 650 Milliarden Dollar weltweit für Zwecke der Rüstung ausgegeben werden - und dies, während für den Kampf gegen Hunger und Elend in der Welt nicht mehr, sondern deutlich weniger Mittel zur Verfügung stehen.
({23})
Es läßt sich kaum widerlegen, daß die immensen Rüstungsausgaben die wirtschaftliche Stabilität beeinträchtigen und zusätzlich gefährden, und zwar nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industriestaaten. Aus dem Wettrüsten ist für die ohnehin anfällige und gefährdete Weltwirtschaft Gift geworden.
Im Verhältnis zur Dritten Welt und bei der gebotenen Neuordnung der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen könnte die EG Bahnbrechendes leisten. Die gerade begonnenen GATT-Verhandlungen in Genf, also über die Bedingungen des internationalen Handels, zeigen, wie schwierig dies ist. Aber niemand kann der Gemeinschaft die Verantwortung abnehmen, die mit der Wahrnehmung wohlverstandener europäischer Interessen zusammenfällt.
An die beiden Weltmächte - bei allen uns hier in diesem Hause geläufigen und wohl zu registrierenden Unterschieden - geht zuerst die Aufforderung, vernünftige Wege einzuschlagen und durch die Vereinbarung eines annähernden Gleichgewichts auf deutlich niedrigerem militärischen Niveau mehr Sicherheit zu schaffen. Ich kann bei aller gebotenen Skepsis - um nicht zu sagen: Mißtrauen - nur hoffen, daß die Signale, die jetzt zwischen Washington und Moskau ausgetauscht werden, zu mehr als zu neuer Polemik und neuen Umdrehungen der Rüstungsspirale führen.
({24})
Aus unserer deutschen und unserer europäischen
Interessenlage müssen wir darauf dringen, daß die
Verhandlungen über eine Begrenzung und Kontrolle von Rüstungen beschleunigt und daß sie zu Ergebnissen gebracht werden.
({25})
In Wien - Thema: Beiderseitiger Abbau von Truppen in Europa - sollte es möglich sein, nachdem man sich bei der Daten-Diskussion seit Jahren im Kreise dreht, zu einem ersten Zwischenergebnis zu gelangen. In Madrid - Thema: Fortführung des aus der gesamteuropäischen Helsinki-Konferenz erwachsenen Prozesses - sollte man sich darüber verständigen, daß eine besondere Konferenz über vertrauensbildende Maßnahmen und Fragen der Abrüstung in Europa einberufen wird. Vor allem aber richten sich die Blicke auf Genf, wo über die interkontinentalen Nuklearwaffen und über nukleare Mittelstreckenraketen verhandelt wird.
Ich unterstreiche noch einmal, was wir von den Verhandelnden erwarten. Wir erwarten, daß einseitige Bedrohungen beseitigt und daß solche Voraussetzungen geschaffen werden, die eine Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen überflüssig machen.
({26})
Und ich sage: Genf darf nicht ohne Erfolg bleiben, sonst würden die Völker Europas - nach einem Wort der Friedensnobelpreisträgerin Alva Myrdal - noch stärker zu Geiseln im nuklearen Pokerspiel der Supermächte werden. Der Frieden in Europa und für die Welt wäre dann ein gefährliches Stück unsicherer geworden.
({27})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland steht weiterhin in der Pflicht, sich noch mehr als andere anzustrengen - weil sie noch mehr als andere betroffen sein würde -, wo immer es darum geht, daß die Erfordernisse europäischer Friedenspolitik zum Durchbruch kommen und sich behaupten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({28})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Klein ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neue Bundesregierung ist noch nicht ganz acht Wochen im Amt, also wenig länger als die Hälfte jener hundert Tage Schonfrist, die in angelsächsischen Demokratien neuen Regierungen eingeräumt wird.
({0})
Ihr wurde eine solche Schonfrist nicht gewährt, im Gegenteil.
({1})
Dennoch hat sie auch in der Außenpolitik bereits eine stattliche Erfolgsbilanz vorzuweisen.
({2})
Klein ({3})
Die Bundesrepublik Deutschland hat in dieser vergleichsweise kurzen Zeit wieder an internationaler Statur gewonnen.
({4})
Vertrauen im Westen, Berechenbarkeit für den Osten, beides ist weitgehend wiederhergestellt, aus dem Zwielicht gerückt.
({5})
Und da die SPD-Fraktion, wie der Herr Kollege Ehmke am 13. Oktober vor diesem Hohen Hause erklärt hat, eine breite Gemeinsamkeit in der Außenpolitik für wünschenswert hält, kann sie sich jetzt über diese eindruckvollen Erfolge von Bundeskanzler Dr. Kohl mit uns freuen.
({6})
Angesichts der schweren außenpolitischen Probleme, zu deren Lösung wir als geteiltes Land auch deshalb beitragen müssen, um eines Tages diese Teilung überwinden zu können, läge eine solche Haltung der Opposition im wohlverstandenen Staatsinteresse.
Die SPD wird in den kommenden Monaten und Jahren ohnehin viel Kraft brauchen, um ihre von radikalpazifistischem Gedankengut beherrschten Gruppierungen von jenen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten zu überzeugen, die auch die frühere, von ihr geführte Bundesregierung formuliert hat.
({7})
Sie erwiese sich aber einen Bärendienst, wenn sie fortführe, von einem Einschwenken der CDU/CSUFDP-Bundesregierung auf die außenpolitische Linie der SPD zu sprechen. Sie würde damit nur ihren verschiedenen Flügeln ein Angebot an widersprüchlichen Bezugspunkten liefern. Denn welche war denn die außenpolitische Linie der SPD?
({8})
Die des damaligen Bundeskanzlers? Die ihres Parteivorsitzenden? Die von Egon Bahr? Oder die von Erhard Eppler?
({9})
Genau an diesem Punkt haben doch, um es ganz unpolemisch zu sagen, vor einigen Jahren die Schwierigkeiten der SPD und damit der von ihr geführten Bundesregierung begonnen. Es blieb unseren westlichen Verbündeten ebenso wenig verborgen wie unseren kommunistischen Kontrahenten, daß der damalige Bundeskanzler in entscheidenden außen- und sicherheitspolitischen Fragen zwar auf die Kooperationsbereitschaft der Unionsfraktion, dagegen nicht mehr auf die geschlossene Zustimmung seiner eigenen Fraktion bauen konnte.
({10})
Es waren keineswegs namenlose Hinterbänkler, die der Politik ihrer eigenen Regierung widersprachen. Es waren international bekannte sozialdemokratische Spitzenpolitiker, die unsere Position im westlichen Bündnis in Zweifel zogen, unsere Beziehungen zu den USA und zur UdSSR auf eine Stufe stellten und gegenüber Washington einen aggressiven Ton anschlugen, den sie gegenüber Moskau niemals anzuschlagen wagten.
({11})
Der Kollege Wischnewski hat vorhin mit Tremolo in der Stimme bedauert, daß die neue Bundesregierung noch keinen Koordinator für die deutschamerikanischen Beziehungen bestimmt habe. Er hat der Frau Hamm-Brücher ein Kompliment für ihre Arbeit gemacht, dem anzuschließen für mich keine Beschwer bedeutet. Aber, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, diese Koordinatorfunktion war auch eine Feigenblattfunktion. Dies hat die neue Bundesregierung in diesem Umfang und in dieser Art überhaupt nicht nötig.
({12})
Herr Kollege Wischnewski, auf der anderen Seite des Atlantiks ist Richard Allen soeben von Präsident Reagan
({13})
zum Chairman für die US-deutsche Regierungskommission ernannt worden, die die Dreihundertjahrfeier für nächstes Jahr vorbereiten soll.
({14})
Dieser Richard Allen wird von Ihrem Kollegen Männing in dem sozialdemokratischen Pressedienst vom 11. November dieses Jahres als „privatisierender Politbrandstifter" bezeichnet.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der Mann, der, von dem Präsidenten mit seinem Vertrauen ausgestattet, auf der anderen Seite des Atlantiks deutsch-amerikanische Beziehungen koordiniert. Und das ist die Tonlage, in der prominente sozialdemokratische Politiker mit ihm umgehen! Und da fragen Sie, wo die Gründe für das Zerwürfnis liegen, j a, bestreiten sogar, daß ein solches vorgelegen habe.
({16})
Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich bin in jedem Falle gegen aggressiven Ton in der Außenpolitik, auch gegenüber Moskau.
({17})
Daß der Ton auch in der Außenpolitk die Musik macht, ist Bundeskanzler Kohl ganz offensichtlich stärker bewußt, als es seinem Vorgänger bewußt gewesen ist.
({18})
Klein ({19})
Meine Damen und Herren, neben Kompetenz und Glaubwürdigkeit spielen das persönliche Auftreten und die Fähigkeit, auf seinen Partner einzugehen, bei wichtigen außenpolitischen Begegnungen eine Rolle.
({20})
Es gibt neben der subjektiven Glaubwürdigkeit gleichrangig eine objektive Glaubwürdigkeit, die bei einem Bundeskanzler davon abhängt, ob er für eine geschlossene Mehrheit spricht oder nicht.
({21})
Bundeskanzler Kohl hat bei all seinen außenpolitischen Gesprächen für eine Mehrheit der Bürger dieses Landes und im Namen einer geschlossenen parlamentarischen Mehrheit gesprochen.
({22})
Das haben seine Gesprächspartner gewußt und gewürdigt. Sein Vorgänger hat es gleichwohl für richtig gehalten, auf dem sogenannten Kleinen Parteitag der SPD letzte Woche zu erklären, es reiche nicht aus, in ausländischen Hauptstädten nur Ergebenheitsadressen abzuliefern.
({23})
- Herr Apel, es ist mir völlig klar, daß Sie dafür Applaus spenden. - Nun sollte man solche Äußerungen angesichts der bekannten Polemisierlust des Kollegen Schmidt nicht auf die Goldwaage legen, insbesondere auch deshalb nicht, weil er damit seine ansonsten dankenswert klare Darstellung unserer Bedrohung durch das wachsende Raketenarsenal der Sowjetunion für die versammelten Genossen offenbar konsumierbar machen mußte. Aber er hat mit dieser Formulierung, wie so oft zuvor, eine Diffamierungsparole ausgegeben, die schließlich zum Schaden jener Politik ins Feld geführt wird, die auch er für richtig hält. Doch anscheinend bringt er es nicht über sich, den überzeugenden Erfolg seines Nachfolgers anzuerkennen.
Bundeskanzler Kohl hat deutsche Auffassungen und Interessen vielfach wesentlich nachdrücklicher vorzutragen vermocht als sein Vorgänger.
({24})
Aber er hat eben zunächst dafür gesorgt, daß - wie mein Freund Volker Rühe das nannte - das Grundverhältnis wieder stimmt. Als Partner, als Verbündeter, als Freund der mächtigsten Demokratie dieser Erde halte ich es geradezu für abwegig, nicht zu leugnende Unterschiede zu Lasten der tatsächlichen Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Diesen Fehler hat Bundeskanzler Kohl nicht begangen.
Weil Sie diesen Namen ständig auf der Zunge tragen, erlauben Sie mir, Ihnen an Hand eines fast drei Jahre zurückliegenden Beispiels die unterschiedliche Art und Weise darzulegen, in der ein führender Unionspolitiker und ein führender SPD-Politiker deutsche Interessen in Amerika vertreten haben. Als Franz Josef Strauß im Frühjahr 1980 in Washington war, wurde er im Senat mit einer Aussage Helmut Schmidts konfrontiert. Der damalige Bundeskanzler hatte gegenüber den amerikanischen Gesetzgebern die Interessenverschiedenheit zwischen unseren beiden Staaten mit der Feststellung begründet, daß sowjetische Panzereinheiten nur wenige Marschstunden von seiner Heimatstadt Hamburg entfernt stünden. Strauß dagegen unterstrich die Gemeinsamkeit der deutsch-amerikanischen Interessen mit dem Hinweis, daß sowjetische Interkontinentalraketen im Zweifel rascher New York oder Washington erreichen könnten als sowjetische Panzer Hamburg. Ich wiederhole: Beide haben deutsche Interessen vertreten. Nur, Helmut Schmidt hat mit seiner Beweisführung den Eindruck gefährlich eingeschränkter Handlungsfähigkeit erweckt. Franz Josef Strauß hat den Amerikanern klargemacht, daß sie mit uns in einem sicherheitspolitischen Boot sitzen.
Bundeskanzler Kohl hat Präsident Reagan versichert, daß die Bundesrepublik Deutschland zum NATO-Doppelbeschluß stehe, daß sie beim Scheitern der Genfer Verhandlungen den Nachrüstungsteil zu vollziehen entschlossen sei und daß er ein baldiges Gipfeltreffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem neuen Generalsekretär der KPdSU für wünschenswert halte. Es gehört schon eine starke Portion Böswilligkeit dazu, das alles als „Ergebenheitsadresse" abzuqualifizieren.
({25})
Meine Kollegen von der SPD, lassen Sie uns offen und ernsthaft über den NATO-Doppelbeschluß diskutieren. Ihr Kanzlerkandidat - für dessen Wirklichkeitssinn es spricht, daß er nach dem 6. März 1983 für den SPD-Fraktionsvorsitz zu kandidieren beabsichtigt - hat in Kiel erklärt, die Bundesregierung lege das Gewicht stärker auf den Nachrüstungsteil, während der Akzent der SPD auf dem Verhandlungsteil liege. Das ist heute im Laufe der Debatte mehrfach so oder anders betont worden.
({26})
Ich unterstelle sicher zu Recht, daß beide Seiten dieses Hauses das Idealziel der sogenannten NullLösung anstreben.
({27})
Entschieden werden muß über die Frage, auf welchem Wege wir dieses Idealziel - Verschrottung der sowjetischen SS-20-Raketen und Nichtstationierung geplanter bzw. in Bau befindlicher amerikanischer Raketen - am wahrscheinlichsten erreichen.
({28})
Es gibt keinen einzigen historischen Hinweis darauf, daß die Sowjetunion bislang eine westliche Vorleistung durch eigene Mäßigung honoriert hätte, im Gegenteil. Wer also wie Egon Bahr öffentlich verkündet, das Nein der SPD zur Stationierung sei nähergerückt, wer wie der SPD-Kanzlerkandidat oder heute der Kollege Wischnewski vom „Akzent auf dem Verhandlungsteil" spricht, wer wie der Münchner SPD-Parteitag den NATO-Doppelbeschluß zur späteren Disposition stellt, wer von Moratorium oder Einfrieren spricht - der Westen
Klein ({29})
kann nichts einfrieren, was er noch nicht hat -, nährt auf sowjetischer Seite die - nach meiner festen Überzeugung falsche - Hoffnung, ein Verzicht des Westens auf die Stationierung moderner Mittelstreckenraketen könne ohne sowjetische Gegenleistung erreicht werden.
({30})
Diese falsche Hoffnung wird auch genährt, wenn die innenpolitische Diskussion bei uns durch ansonsten ernsthafte Politiker mit verzerrten Zitaten angeheizt wird. Herr Kollege Wischnewski, im Gegensatz zu Ihnen hatte ich voriges Jahr das Vergnügen, am CSU-Parteitag teilzunehmen, auf dem der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende über den NATO-Doppelbeschluß gesprochen hat. Ich habe - wieder im Gegensatz zu Ihnen - den Vorzug, den korrekten Wortlaut zur Hand zu haben.
({31})
- Der „Bayernkurier" ist zwar eine vorzügliche Zeitung mit einem hohen Informationsgehalt, Herr Kollege Wischnewski, aber wenn Sie eine wichtige politische Rede zitieren, müssen Sie sich schon den ganzen Wortlaut besorgen. Da ist der „Bayernkurier" im Zweifelsfall so wenig in der Lage, vollständig zu sein, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" oder irgendein anderes Blatt.
({32})
Herr Kollege Wischnewski, ich erspare es mir aus Zeitgründen - Sie haben offenbar eine andere Verpflichtung -, Ihnen diesen Text jetzt vorzulesen. Aber ich bin gern bereit, ihn Ihnen zur Verfügung zu stellen. Sie werden feststellen: Er deckt sich nicht mit dem, was Sie hier als Formel aus dem Mund von Franz Josef Strauß eingeführt haben.
({33})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe soeben - Sie haben mir nicht widersprochen - die Linie der SPD im Blick auf den NATO-Doppelbeschluß zu beschreiben versucht.
({34})
- Ich bin immer bei der Sache. Wenn Sie mir nicht folgen können, ist das Ihr Problem!
({35})
Wer - das ist die Linie der CDU/CSU, das ist die Linie dieser Koalition - seine Entschlossenheit aber glaubhaft bekundet, im Falle gescheiterter Abrüstungsverhandlungen den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses zu vollziehen, wird dem harten, aber keineswegs risikolüsternen sowjetischen Verhandlungspartner die zwingende Notwendigkeit der Abrüstung vor Augen führen.
Vor diesen beiden Fragen stehen wir, vor diesen beiden Verhaltensformen stehen wir.
In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung zum neuen Kremlchef Juri Andropow, von dem heute schon mehrfach die Rede war, sicher angebracht. Seine langjährige Erfahrung als KGB-Vorsitzender gewährleistet zweifellos einen hohen Informationsstand über die Verhältnisse auch in westlichen Demokratien. Das berechtigt zumindest zu der Annahme, daß ihn übertriebene Berichte über Stärke und Einfluß der Pazifismusgruppierungen nicht zu Fehleinschätzungen der realen Lage im Westen verleiten. Diese Lage hat sich - dafür sind die erfolgreichen außenpolitischen Aktivitäten von Bundeskanzler Kohl ein Beleg - in den letzten Wochen im Sinne größerer Geschlossenheit und im Sinne vertrauensvollerer Gemeinsamkeit verbessert.
In gleichem Maße, wie das Verhältnis zwischen den USA und Europa, insonderheit der Bundesrepublik Deutschland, bereinigt wurde, begannen auch die Europäer wieder Tritt zu fassen. Dies ist von großer Bedeutung für einen beiderseits befriedigenden Ausgleich mit der Sowjetunion. Es entspricht auch der Notwendigkeit zu verstärkter europäischer Zusammenarbeit bei der Überwindung so drängender Probleme wie Arbeitslosigkeit, Inflation und wirtschaftliche Stagnation, über deren Dimensionen der Herr Bundesaußenminister vorhin eindrucksvolle Angaben gemacht hat.
Vor allem muß die Europäische Gemeinschaft in der Lage bleiben, eigenständig, aber auch in zuverlässiger Partnerschaft mit den USA friedenstiftende, die Menschenrechte befördernde und die wirtschaftliche Entwicklung gewährleistende Aufgaben in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu erfüllen. Gerade im Blick auf die Dritte Welt, die von der Sowjetunion und den übrigen kommunistischen Staaten leider so gut wie überhaupt keine Entwicklungshilfe erhält, aber im Übermaß militärische Güter und Revolutionsexperten, sind intakte und offene Märkte der westlichen Industrienationen Voraussetzung für globalen Fortschritt. Protektionistische Tendenzen vermögen heute angesichts der weltweiten gegenseitigen Abhängigkeiten kaum noch einen einzelnen Industriezweig, geschweige denn einen Industriestaat auch nur mittelfristig vor Schaden zu bewahren. Im Gegenteil! Wer, um es auf eine einfache Formel zu bringen, anderen nichts abkauft, von dem werden die anderen auch nichts kaufen - auf die Dritte Welt angewandt heißt dies: auch nichts kaufen können.
In diesem außenpolitischen Zusammenhang steht der große Industriestaat Japan. Wir wären schlecht beraten, Erfindungsgabe, Fleiß, Organisationskraft und Markttalent dieses hochentwickelten Volkes mit seinem bedeutenden Lebensstandard auf die unkundige Unterstellung zu reduzieren, Japan sei ein Billiglohnland. Für die westliche Staatengemeinschaft ist ein wachsender Beitrag bei der Erfüllung gemeinsamer Aufgaben, von der Verteidigung bis zur Entwicklungshilfe, seitens die8050
Klein ({36})
ses hochindustrialisierten und mit ihr vielfach verbundenen asiatischen demokratischen Staates von Bedeutung.
Die neue Bundesregierung wird in der Kontinuität der außenpolitischen Vorstellungen von CDU und CSU die Beziehungen zur Volksrepublik China, zu Indien, zu den ASEAN-Staaten weiterentwikkeln. Sie wird Pakistan dabei helfen, die Probleme zu bewältigen, die das Millionenheer afghanischer Flüchtlinge geschaffen hat, die den sowjetischen Invasoren entkommen sind. Sie wird im Nahen Osten und in Afrika in engem Schulterschluß mit ihren europäischen und amerikanischen Verbündeten eine Politik betreiben, die den drei Prinzipien entspricht, die die Bundesrepublik Deutschland seit den Tagen Konrad Adenauers auch im Blick auf das nationale Anliegen der Deutschen stets als gleichrangig und unauflösbar miteinander verbunden betrachtet: Recht auf Selbstbestimmung, Respektierung der Souveränität und Integrität von Nachbarstaaten, Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele oder rechtlicher Standpunkte.
Dies gilt für den Staat Israel, dem gegenüber die Deutschen in einer besonderen historischen Pflicht stehen. Dies gilt für die Palästinenser als einem Zweig der arabischen Völkerfamilie, zu der die Deutschen traditionell freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Dies gilt für die Bewohner des afrikanischen Kontinents, für deren staatliche Entwicklungsprozesse, deren kulturelle Identitätsfindung und deren allmählichen wirtschaftlichen Aufstieg wir weiter Zusammenarbeit anbieten. Auch gegenüber Lateinamerika, dem dritten Kontinent der Zukunft, der Europa historisch und kulturell so eng verbunden ist, wird eine unionsgeführte Bundesregierung einer Politik das Wort reden, die sich als komplementär und nicht als alternativ empfindet zur amerikanischen Politik.
Meine Fraktion wird die Bundesregierung auch stets ermutigen, sich der Deutschen im Ausland, sei es in der argentinischen Pampa, in amerikanischen Großstädten, am Rande der Wüste Nabib oder in der Steppe Kasakstans, mit besonderer Fürsorge anzunehmen. Mit Auslandsdeutschen meine ich jene loyalen Bürger fremder Staaten, die selber oder deren Vorfahren aus Deutschland ausgewandert sind und oft unter großen persönlichen Opfern die geistig-kulturelle Verbindung zur alten Heimat aufrechtzuerhalten trachten.
({37})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung führt eine Außenpolitik der Kontinuität. Gleichwohl setzt sie überall dort, wo sich in den letzten 13 Jahren die Gewichte in die falsche Richtung verlagert haben, wieder neue Akzente. Unter Kontinuität verstehen wir den Ausbau der deutsch-französischen Freundschaft, die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Großbritannien und allen größeren und kleineren Partnerländern in der EG. Unter Kontinuität verstehen wir die Weiterentwicklung der guten Beziehungen zu den skandinavischen Ländern und den Mittelmeeranrainern, die Festigung des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses als einer Wertegemeinschaft. Unter Kontinuität verstehen wir insbesondere das enge Vertrauensverhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA.
Damit der Begriff nicht zu falschen Interpretationen verlockt, sage ich: Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung steht auch in der Politik gegenüber der Sowjetunion in der Kontinuität Konrad Adenauers, unter dessen Kanzlerschaft die diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR aufgenommen wurden,
({38})
von denen er jedoch seinerzeit in einem Schreiben an Marschall Bulganin feststellte, daß dies keine Anerkennung des derzeitigen beiderseitigen territorialen Besitzstands darstelle; die endgültige Festsetzung der Grenzen Deutschlands bleibe dem Friedensvertrag vorbehalten.
({39})
Zu dieser Kontinuität gehört die Friedensnote des Bundeskanzlers Ludwig Erhard vom 25. März 1966, in der es hieß:
Die Bundesrepublik Deutschland hat bereits mit ihren westlichen Verbündeten Gewaltverzichtserklärungen ausgetauscht. Da die Regierungen der Sowjetunion und einiger europäischer Staaten wiederholt ihre, wenn auch unbegründete, Sorge über einen deutschen Angriff ausgedrückt haben, schlägt die Bundesregierung vor, auch mit den Regierungen der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei und jedes anderen osteuropäischen Staates, der dies wünscht, förmliche Erklärungen auszutauschen, in denen jede Seite gegenüber dem anderen Volk auf die Anwendung von Gewalt zur Regelung internationaler Streitfragen verzichtet.
Schließlich, meine Damen und Herren, gehört zu dieser Kontinuität auch all das an politischen Anstrengungen, was von CDU und CSU seinerzeit aus der Opposition heraus unternommen wurde, um sicherzustellen, daß die Verträge mit den osteuropäischen Staaten und der DDR nicht Grenzverträge, sondern Gewaltverzichtsverträge wurden. Kurt Georg Kiesinger hat dazu am 17. Mai 1972 erklärt: Die Verträge dienen der Herstellung eines Modus vivendi, d. h. eines geregelten Übergangszustands, der zentrale Fragen der Sicherheit und des Friedens in Europa nicht präjudiziert.
Der Brief zur deutschen Einheit, 1970 entscheidend von der CDU/CSU mit durchgesetzt, und die verfassungskonforme Auslegung des Grundlagenvertrags mit der DDR, durch die Klage der bayerischen Staatsregierung beim Bundesverfassungsgericht 1973 erwirkt, gehören ebenfalls zu dieser Kontinuität.
Die CDU/CSU und die von ihr geführte Bundesregierung brauchen weder irgendwo hinzuschwenken noch auf jemanden einzuschwenken, um diese klare Kontinuitätslinie weiterzuführen.
Ich finde es deshalb, mit Verlaub gesagt, billig, wenn die SPD bei jeder sich bietenden Gelegenheit
Klein ({40})
der Berufung eines Unionspolitikers auf, sagen wir, die KSZE-Schlußakte oder von ihr betriebene Gesetze, Verträge und Abkommen ähnlichen Inhalts so reagiert, als sei dies unzulässig. Richtig, wir wagen gegen diese Unterzeichnung, wie wir gegen viele außenpolitische Schritte der früheren Regierung gestimmt haben. Das würden wir, zumindest in den meisten Fällen, auch heute in der Kontinuität unserer außenpolitischen Grundüberzeugungen wieder tun, was nichts damit zu tun hat, daß für uns ganz selbstverständlich geschlossene Verträge und Abkommen als Grundlage der weiteren Politik dienen müssen.
Meine Damen und Herren, dieser Kontinuität hatte die frühere Bundesregierung schließlich die Basis zu verdanken, auf der sie überhaupt eine unabhängige, freie Außenpolitik betreiben konnte. Aber wir haben die Sozialdemokraten nicht bei jeder Gelegenheit daran erinnert, daß sie so gut wie alle Verträge abgelehnt haben, auf deren Grundlage der Zusammenschluß des freien Europas, die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Staatengemeinschaft und die Mitgliedschaft in einem unsere Freiheit schützenden Verteidigungsbündnis möglich wurden und die nach der Punktation, die der Kollege Brandt hier soeben vorgetragen hat, von der SPD heute größtenteils bejaht und unterstützt werden.
Die außenpolitische Entwicklung von knapp acht Wochen hat auch ausgereicht, die verantwortungslose Formel, daß unser Staat unter einer unionsgeführten Bundesregierung in die Isolierung geriete, ad absurdum zu führen. Selbstverständlich ist diese Aussage nicht eingetroffen. Aber mehr noch, schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, daß die Regierungen zahlreicher Staaten den Regierungswechsel äußerst positiv bewerteten. Der neue Bundeskanzler kam auf Anhieb mit seinen ausländischen Partnern - selbst wenn es sich, wie im Falle des französischen Staatspräsidenten Mitterrand, um jemanden einer ganz anderen politischen Richtung handelte - offenkundig besser zurecht als sein Vorgänger.
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Und die düsteren Prophezeiungen eines politischen Kälteeinbruchs in unseren Beziehungen zu den kommunistischen Staaten Osteuropas? Moskau hat auf mannigfache Weise öffentlich und dieskret signalisiert, es sei an der Fortsetzung guter Beziehungen stark interessiert. Das gleiche gilt für die meisten anderen Ostblockstaaten und für die DDR. Dieses Interesse ist ja - das ist auf der Gegenseite bekannt - durchaus wechselseitig. Die einzige mir bekannte auffällige Ausnahme bilden hier die Äußerungen des Propagandaapparats der polnischen Militärregierung, doch dieser Apparat spiegelt sicher nicht die Empfindungen des polnischen Volkes,
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das in einer schweren Not die Hilfsbereitschaft der Deutschen zu würdigen weiß.
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Die Außenpolitik und die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland - so hat der heutige Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Dr. Rainer Barzel, vor über zehn Jahren an die Adresse der damaligen SPD-geführten Bundesregierung gesagt - waren vor dieser Bundesregierung Friedenspolitik, und sie werden es nach ihr bleiben.
Bleiben wird auch als ewige Konstante unsere geopolitische Lage im Herzen Europas. Geblieben sind die Teilung unseres Vaterlandes und der Verfassungsauftrag an das gesamte deutsche Volk, in freier Selbstbestimmung Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben mit den eindrucksvollen außenpolitischen Aktivitäten Ihrer ersten acht Regierungswochen, über die Sie in Ihrer heutigen Regierungserklärung berichtet haben, im Sinne dieses Verfassungsauftrags gehandelt. Dafür darf ich Ihnen namens der CDU/CSU-Fraktion Respekt und Dank ausdrücken. Der Fraktion ist wie Ihnen bewußt, daß der Weg zur schließlichen Erfüllung dieses Verfassungsgebots noch weit ist. Er führt über die Anerkennung der Menschenrechte aller europäischen Völker, und er kann nur gegangen werden, wenn in der Welt Frieden herrscht.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Klein, ich gratuliere Ihnen als Kollege zu Ihrer großen außenpolitischen Jungfernrede. Bisher war es ja vorwiegend auswärtige Kulturpolitik.
Ich habe nicht gezählt, wie häufig Sie das Wort Kontinuität gebraucht haben. Es fällt mir nun schwer, es noch zu wiederholen. Ich bin zwar völlig Ihrer Meinung, aber wir geraten jetzt ein bißchen in Schwierigkeit, mit diesem Wort zu häufig umzugehen.
Es ist ja nun schon mancher vom Saulus zum Paulus geworden. Ich habe mir - das sage ich hier ganz ernst und ganz offen - beim Wechsel dieser Regierung in Bonn auch Gedanken darüber gemacht, ob es tatsächlich so etwas wie eine Kontinuität der Außenpolitik in einigen Feldern geben wird. Ich bekenne das hier ganz offen, denn ich habe ja nun in langjährigen Erfahrungen im Auswärtigen Ausschuß - weniger mit Herrn Klein, aber doch mit einigen Kollegen von ihm - und auch sonstwo den Eindruck gehabt, daß es schon ganz beträchtliche Unterschiede in der Beurteilung der außenpolitischen Lage gab, vor allem im Bereich der Ost- und Entspannungspolitik, aber auch in der Nord-SüdPolitik. Ich bin sehr froh, daß der Herr Bundeskanzler und auch der Herr Außenminister heute in ihren Erklärungen deutlich gemacht haben - und dadurch sind zumindest meine Befürchtungen, meine Zweifel doch erheblich geringer geworden -, daß es - und hier muß ich das Wort Kontinuität nun doch gebrauchen - bei dieser Kontinuität bleibt. Ich bin sehr froh, wenn es bei dieser Kontinuität
Schäfer ({0})
bleibt und werde alles dazu tun, um dies gerade auch in den von mir genannten Feldern zu fördern.
Meine Damen und Herren, es gibt sicher keinen Zweifel darüber, daß sowohl die Koalitionsvereinbarungen als auch die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers heute vormittag wie auch die ersten Treffen mit Bündnispartnern im Westen, über die der Herr Bundeskanzler berichtet hat, aber auch das Zusammentreffen des Herrn Bundespräsidenten mit dem Nachfolger des verstorbenen sowjetischen Generalsekretärs in Moskau und mit weiteren Regierungsvertretern in der sowjetischen Hauptstadt deutlich gemacht haben, daß die deutsche Außenpolitik weiterhin aktiv bleibt und von ihrem guten Haben-Stand lebt.
Ich meine, daß das, was Herr Kollege Wischnewski heute morgen hier gesagt hat, nicht so ganz begründet werden konnte, daß er nämlich befürchtet, daß nach dem 6. März sich diese Politik nun doch durch eine Diskontinuität verändern würde. Den Beweis ist er eigentlich nicht angetreten. Ich muß allerdings eine Einschränkung machen, und die werden Sie mir bitte verzeihen. Herr Wischnewski hat keine sehr freundlichen Ausführungen zu dem Vorsitzenden meiner Partei, dem Bundesaußenminister, heute morgen hier gemacht. Ich habe dafür Verständnis.
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- Na ja, Verständnis aus den Kreisen der SPD, daß man nun sehr böse ist, darf ich j a nun wohl hier noch äußern. Sie werden es gleich hören; ich komme noch dazu.
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- Herr Rühe, ich habe das alles in meinem Papier vorgesehen. Lassen Sie mich doch mal weiterreden.
Ich meine aber, Herr Kollege Wischnewski, daß ein ganz entscheidender Punkt im Wahlkampf zu diesen Wahlen am 6. März doch der sein wird, ob es gelingen wird, die FDP trotz Ihrer begreiflichen Verärgerung noch in diesem Deutschen Bundestag zu haben. Genauer gesagt, wer diese Partei hier nicht mehr wünscht, sondern möglicherweise eine absolute Mehrheit der CDU/CSU will - oder aber auch die Grünen an unserer Stelle -, für den ist, das muß ich allerdings sagen, die Kontinuität dieser deutschen Außenpolitik nicht gewährleistet. Ich meine, das sollten alle draußen sehen, sosehr man auch vielleicht gelegentlich den Stab über der FDP gebrochen hat.
Und wenn Herr Kollege Wischnewski Herrn Kohl heute morgen aufgefordert hat, das böse Wort vom Zwielicht, das in die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten gekommen sei, zurückzunehmen, dann darf ich in diesem Zusammenhang sagen, ich fand sein Wort zu Herrn Genscher mindestens ebenso böse; denn, wie man auch politisch zu Herrn Genscher stehen und ihn beurteilen mag, an einem gab es auch für seine Kritiker in der FDP keinen Zweifel: daß er seine
Außenpolitik fortsetzt und daß es für die Bundesrepublik Deutschland schädlich ist, wenn man heute hier feststellt, daß Herr Genscher, da er angeblich das Vertrauen in Deutschland verloren habe, nunmehr nun auch kein Vertrauen mehr draußen in der Welt habe. Ich halte diese Behauptung für mindestens so böse und wäre froh, wenn Herr Wischnewski das zurücknehmen würde.
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Was nun das deutsch-amerikanische Verhältnis betrifft - ({4})
- Ich habe ja Verständnis für Sie. Aber wir dürfen uns ja nicht dauernd weiter ärgern. Es bringt, glaube ich, nicht allzuviel für den Fortgang unserer Außenpolitik. Nur darauf habe ich mich bezogen. Ich muß das sehr deutlich sagen.
Die gelegentlichen Trübungen unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten sind sicher auf die Kontroversen zurückzuführen gewesen, die notwendigerweise von Zeit zu Zeit auch mit unserem amerikanischen Bundesgenossen aufgetreten sind und, wie ich meine, auch in Zukunft zwangsläufig auftreten werden. Es ist einfach Unsinn, zu glauben, daß bei wirtschaftlichen Fragen immer und von vornherein zwischen den USA und uns Übereinstimmung bestehen würde. Es ist also keinesfalls auszuschließen, daß es auch in Zukunft an dieser so wichtigen Stelle gelegentliche Dissense geben muß. Ich meine, hier ist es gut, wenn die Bundesregierung, wenn die Bundesrepublik Deutschland, wenn die Europäer ihre Interessen wahrnehmen und auch diese Kontroversen nicht fürchten. Ich halte es für falsch, wenn man hier hysterisch reagiert, daß es gelegentlich in Amerika Kritik an uns oder hier Kritik an den Vereinigten Staaten gibt. Das ist wohl unter Freunden gar nicht zu vermeiden. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Form diese Kritik geübt wird.
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Wir haben auch heute noch einen Dissens, und ich sage das ganz klar, auch in meiner Beurteilung der Vereinigten Staaten, zu bestimmten Kreisen um den Präsidenten, insbesondere am rechten Flügel der Republikanischen Partei. Hier gibt es einfach eine Weltsicht, die wir nie geteilt haben. Ich glaube auch nicht, daß die CDU/CSU sich in der Nachbarschaft dieser Politiker befindet, die immer wieder alle Probleme, die in der Welt auftauchen, sehr schnell mit dem Einfluß des Kommunismus verwechseln - das gilt insbesondere auch für die lateinamerikanische Hemisphäre -, die die Entspannungspolitik niemals gewollt haben. Hier wurde ja einer dieser Herren zitiert, der gesagt hat: Die Entspannung ist tot. Nach unserer Auffassung war sie und ist sie nicht tot. Im Schlußkommuniqué des Gespräches, das der Bundeskanzler mit dem amerikanischen Präsidenten geführt hat, ist ganz klar geworden, daß auch der amerikanische Präsident unserer Auffassung zuneigt, daß natürlich die
Schäfer ({6})
Entspannungspolitik, daß die Ostpolitik fortgesetzt wird.
Es gibt auch Dissense zu Fragen der Entwicklungspolitik. Hier meine ich, wir können natürlich als Bundesrepublik, als Bundesregierung doch nicht alle vier Jahre bei dem Wechsel des amerikanischen Präsidenten und seiner engsten Berater wieder eine neue Politik vollziehen, d. h. sozusagen nahtlos den Amerikanern folgen. Sondern hier müssen wir natürlich eine bewährte Politik fortsetzen, auch wenn eine neue Administration zu anderen Ergebnissen kommt. Ich glaube, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Es gibt einen Dissens zu den Richtlinien, die die Reagan-Administration zu ihrer Entwicklungspolitik herausgegeben hat, wo sie ja militärische Sicherheit in den Vordergrund stellt, was nicht unsere Vorstellung von Entwicklungspolitik ist. Aber solche Kontroversen sind doch nicht tödlich für ein Bündnis. Sie sind auch nicht gefährlich. Ich halte sie für notwendig. Wir sollten sie nicht scheuen, wenn sie notwendig werden. Es geht eben nur darum, daß wir den rechten Ton finden, sie auszutragen. An dem grundlegenden Konsens mit den Vereinigten Staaten und an unserer Partnerschaft hat doch in diesem Hause niemand gezweifelt. Das ist ja für uns lebensnotwendig. Hier braucht das Wort „Kontinuität" nicht bemüht zu werden. Ich würde hier sagen, das ist Selbstverständlichkeit.
Ich bin dem Bundeskanzler auch dankbar, daß er heute in seiner Regierungserklärung ein deutliches Wort zu dem zunächst uns etwas erschreckenden Ergebnis gesagt hat, das angeblich mit den Vereinigten Staaten über Maßnahmen zur Erreichung eines breiteren Konsenses in der Ost-West-Handelspolitik erzielt worden sei, daß also ein Abkommen bereits getroffen worden sei. Es hat sich herausgestellt - der Bundesaußenminister hat es heute deutlich bestätigt -, daß wir hier erst auf dem Wege sind. Ich gehe davon aus, Herr Vorsitzender Marx, daß wir das im Auswärtigen Ausschuß auch vorher noch einmal diskutieren dürfen, bevor es dann endgültig verabschiedet wird.
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Denn das Parlament soll ja ein bißchen kritisch die Regierung mit verfolgen, und wir dürfen auch vielleicht den einen oder anderen Rat geben.
Ich glaube, daß es gefährlich wäre, wenn jetzt von den beiden großen Parteien in diesem Bundestag gegenseitig Zweifel gesät würden, von der einen Seite zur anderen, daß sie nur einen Teil des NATO-Doppelbeschlusses gerne verwirklichen wollte. Das ist heute morgen schon zum Ausdruck gekommen. Ich halte davon nichts. Es war letzten Endes Bundeskanzler Schmidt, der sich für diesen NATO-Doppelbeschluß entschieden eingesetzt und ihn mit der deutschen Bundesregierung, mit der sozialliberalen Koalition herbeigeführt hat. Es ist Unsinn, wenn man jetzt so tut, als wolle die SPD nur die Verhandlungslösung, aber nicht über die Nachrüstung nachdenken, und umgekehrt sie der CDU vorwirft, sie
sei überhaupt nur an der Nachrüstung interessiert. Das führt uns hier nicht weiter.
({8})
Es schadet auch den Verhandlungen. Und es stimmt natürlich auch nicht. Herr Rühe, wir sind völlig einig. Aber genauso empfehle ich, nicht umgekehrt der anderen Seite zu unterstellen, hier sei man überhaupt nicht interessiert und hier werde man dem zweiten Teil des Nachrüstungsbeschlusses nicht folgen.
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Wenn Sie meinen, daß einzelne SPD-Abgeordnete das möglicherweise lieber anders sähen - Herr Lenz, wenn Sie mich das fragen wollten: ich habe es erfaßt -, dann gebe ich Ihnen das zu. Aber noch gelten für mich
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- das habe ich ja gerade gesagt - eigentlich die Parteitagsbeschlüsse und -programme, auch die Außerungen der Parteiführungen. Und hier ist, meine ich, auch die SPD immer noch in der Kontinuität ihrer früheren Politik. Auch das muß man hier vielleicht einmal deutlich sagen.
Ich halte es für sehr richtig und sehr wichtig, daß der Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten gedrängt hat, sich zu dem seit langem vorgesehenen Gipfelgespräch mit dem sowjetischen Generalsekretär bereitzufinden. Ich meine nämlich, auch mit Kollegen des Auswärtigen Ausschusses, daß es zwar schön ist, sehr viele Rüstungskontrollverhandlungen und Abrüstungsverhandlungen zu haben und neue Konferenzen zu fordern, daß es aber ein bißchen lang bei einigen dieser Konferenzen zugegangen ist. Vielleicht bedarf es doch eines Pushes von oben, damit nun endlich Ergebnisse etwas schneller herbeigeführt werden können. Gerade bei MBFR in Wien ist es nach neun Jahren an der Zeit, daß sich Lösungen abzeichnen.
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Vielleicht bedarf es hier natürlich einer Initiative auf höchster Ebene. Die könnte nur hilfreich sein.
({12})
- Herr Kollege Marx, selbstverständlich geht es um die richtigen Zahlen. Aber was die Zahlen betrifft, so gerate auch ich gelegentlich in Verwirrung. Denn die ändern sich von Tag zu Tag. General Rogers hat nun erklärt, in allen Bereichen seien, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Sowjets im Verhältnis 2:1 überlegen. Es wird mir sehr schwerfallen, das so nachzuvollziehen, da es ja eine Fülle anderer Zahlen gibt. Die Zahlenarithmetik wird sicher nicht weiterführen.
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Schäfer ({14})
- Wir sind uns einig. Ich wollte das nur noch einmal herausstellen.
Ich glaube auch, daß beide Seiten - sowohl die Sowjetunion als auch die Vereinigten Staaten von Amerika - gewissen Begehrlichkeiten ihrer Militärs nach immer neuen Waffen und immer neuen Technologien im Waffenbereich widerstehen müssen. Ich glaube nicht daran - und hier treffe ich mich j a mit manchem Kritiker dieser Entwicklung -, daß Rüstung allein schon den Frieden garantiert. Ich glaube auch daran, daß in der amerikanischen Innenpolitik die von Herrn Wischnewski zu Recht zitierte Freeze-Bewegung und auch der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe deutlich machen, daß solche Vorstellungen auf Dauer innenpolitisch kaum mehr durchzuhalten sein werden. Und ich glaube, in der Sowjetunion werden sie wirtschaftspolitisch nicht mehr durchzuhalten sein.
Ich begrüße es, daß der neue Generalsekretär in einer aufsehenerregenden Rede vor dem ZK vor zwei Tagen, die Carl Gustaf Ströhm in der „Welt" interessanterweise gestern als „beinahe revolutionär" bezeichnet hat, die Formulierung verwendet hat, „die KPdSU wolle nicht, ,daß Waffen und die Bereitschaft, sie einzusetzen, zum Maßstab des Potentials von Gesellschaftsordnungen werden`". Das ist ein recht interessanter und vom Auswärtigen Amt nachzuprüfender Satz. Ich hoffe nur, daß sich das in praktischen Taten niederschlagen wird. Das gilt für Wien, für Genf, aber auch für Madrid. Wir jedenfalls sind daran interessiert. Es darf keinen Zweifel an unserer Ernsthaftigkeit und der amerikanischen Ernsthaftigkeit geben, die Verhandlungen zu einem sinnvollen und guten Ende zu bringen.
Ich kann in diesem Zusammenhang auch sagen, daß die Sorge von Herrn Wischnewski nicht berechtigt ist, daß der Dialog mit dem Osten nicht fortgesetzt würde. Er hat schon begonnen. Es war ziemlich aufsehenerregend, daß der Bundespräsident und der Bundesaußenminister in Moskau immerhin eine Stunde vom neuen sowjetischen Generalsekretär empfangen worden sind und daß der Bundespräsident auch mit dem Staatschef der DDR, Herrn Honecker, zusammengetroffen ist. All dies halte ich für eine Fortsetzung des Dialogs. Ich bin froh, daß mein Kollege Voigt vor kurzem bemüht war und ich an diesem Wochenende in Moskau bemüht sein werde, mit dem bescheidenen Anteil als Parlamentarier den Dialog fortzusetzen und daß wir im nächsten Jahre damit rechnen können, daß zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder ein Austausch von Parlamentarierdelegationen stattfinden wird, nämlich der deutsch-sowjetischen Parlamentariergruppe und umgekehrt der Parlamentariergruppe des Obersten Sowjets. All das wird dazu beitragen, die Mißverständnisse ein bißchen zu verringern und auch deutlich zu machen, daß wir den Willen haben, weiterzukommen.
Ich glaube, daß ein Feld der Außenpolitik noch vor Bewährungsproben, auch was die neue Regierung angeht, steht. Das ist die Nord-Süd-Politik. Hier muß manches noch präziser werden. Hier dürfen wir sicher auch nicht in die Vorstellung zurückfallen, wir sollten den Vereinigten Staaten das Feld überlassen, weil eigentlich nur sie eine Weltmacht seien, wir uns auch als kleine Mittelmacht oder mittlere Kleinmacht bei der Lösung bestimmter Probleme vielleicht doch besser nicht beteiligen sollten. Ich halte das für falsch. Wir haben hier - ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika - ein Kapital gewonnen, das wir nicht aufgeben werden, nicht aufgeben dürfen. Es gibt für mich auch keine Vorhöfe. Das gilt sowohl für Afghanistan als auch für Zentralamerika. Ich meine, man sollte nicht bestimmte Dinge in Zentralamerika rechtfertigen wollen und gleichzeitig den Sowjets Vorwürfe im Hinblick auf Afghanistan machen. Das geht nicht. Entspannung ist unteilbar. Aber auch die Menschenrechte sind unteilbar.
Das gilt auch für den Nahen Osten. Ich bin sehr dankbar, daß wir unseren israelischen Freunden deutlich gemacht haben - der Bundesaußenminister hat es heute morgen noch einmal deutlich gemacht -, daß es auch an der Strategie von Venedig nichts zu ändern gibt. Das gute deutsch-israelische Verhältnis enthebt uns nicht der Notwendigkeit, eine bestimmte Politik gegenüber einer Regierung zu betreiben, die sich nicht immer nur an Moral hält, sondern gelegentlich auch handfeste Machtpolitik betreibt. Wer also die Invasion in Afghanistan verurteilt, wird sicher nicht die Invasion im Libanon rechtfertigen wollen. Wer Opfer in Afghanistan beklagt, wird sicherlich nicht umhinkönnen, auch die Massaker in Beirut hier nicht totzuschweigen. Hier sind moralische Abgründe deutlich geworden, zu denen wir nicht schweigen dürfen, nur weil wir ein gutes Verhältnis zu den Juden und zum Staat Israel haben. Es geht hier auch um die Handlungen einer Regierung, einer Armee. Es geht auch um die Uneinsichtigkeit bestimmter israelischer Politiker, die bis zur Stunde z. B. nicht bereit sind, sich mit den Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten zu beschäftigen. All das wird sicher Thema der Besprechungen mit dem israelischen Außenminister sein, der die Bundesrepublik in Kürze j a auch besuchen wird. Ich meine, wir sollten uns hier vor einer falschen Sentimentalität hüten. Auch im Nahen Osten geht es um die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik. Das habe ich hier wiederholt gesagt, und ich wiederhole es heute.
Das gilt auch für das südliche Afrika. Wer uns gebeten hat, an der Lösung des Namibia-Konflikts mitzuwirken - die Bundesrepublik hat dabei eine große Verantwortung mit übernommen, und sie hat sie für meine Begriffe unter dem Engagement des Bundesaußenministers der Welt auch hervorragend zur Kenntnis gebracht -, muß heute auch sehen, daß wir nicht wiederum neue Forderungen der Südafrikaner zur Grundlage für einen Fortschritt in den Fragen annehmen. Ich muß hier ganz deutlich sagen: Wer will, daß die Kubaner aus Angola verschwinden - ich glaube, das wollen wir alle -, darf nicht eine südafrikanische Intervention in Angola totschweigen wollen oder billigen wollen. Sonst wird er die Kubaner dort noch sehr lange sitzen haben. Er sollte vielmehr genau diesen Ländern helfen, aus der Umklammerung herauszukommen, in die sie nicht ohne Schuld des Westens hineingeSchäfer ({15})
kommen sind. Das gilt auch für Mosambik. Ich hoffe sehr, daß wir in Gesprächen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ganz deutlich machen, daß sich unsere Politik hier auf keinen Fall verändern wird,
({16})
daß wir auch den Ländern helfen wollen, deren Gesellschaftsordnung nicht so ist, wie es uns im Augenblick gerade gefällt. Wir müssen also darauf drängen, daß diese Länder frei werden, aber nicht mit den falschen Mitteln, die einigen hier vielleicht als die richtigen erscheinen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich kann nur hoffen, daß das, was Herr Klein mit dem Wort „Kontinuität" so häufig beschworen hat, nicht nur ein verbales Bekenntnis bleibt. Ich bin der Auffassung, nach dem, was wir heute vom Kanzler und vom Außenminister gehört haben, gibt es das wirklich, wird das in praktische Politik umgesetzt. Sosehr die Opposition das Wächteramt in dieser Frage behalten muß, so sehr wird die FDP mit dem alten und neuen Außenminister dafür zu sorgen haben, daß in dieser Hinsicht kein Jota an der bisherigen erfolgreichen Politik der sozialliberalen Koalition verändert wird. - Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Voigt ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zumindest bei der Rede von Herrn Schäfer habe ich, obwohl wir uns jetzt in anderen Funktionen gegenüberstehen, an mehreren Stellen noch klatschen können.
({0})
Das erleichtert es wenigstens, auch angesichts verschiedener Rollen, die wir haben, ein gewisses Maß an Kontinuität der persönlichen und politischen Beziehungen in dieser Frage zwischen uns beizubehalten. Das möchte ich ausdrücklich begrüßen und am Anfang hervorheben.
({1})
- Keine Sorge, ich fahre in diesem konstruktiven Geist fort. - Es geht hier bei unserer Auseinandersetzung nicht um gut oder böse, nicht um schwarz oder weiß. Vielmehr geht es um kurzfristig unterschiedliche Akzente und um längerfristig möglicherweise gegenläufige Trends in der Außen-, Sicherheits-, Abrüstungs- und auch in der Entwicklungspolitik. Deshalb ist die Klärung dieser Trends und der damit verbundenen Absichten und möglicherweise auch Risiken Aufgabe dieser Debatte.
Nun ging es dabei zentral um den Begriff der Kontinuität. Wir haben uns Kontinuität wechselseitig versprochen und sie gleichzeitig wechselseitig bezweifelt. Trotzdem meine ich, daß die Debatte bereits eine gewisse Klärung gebracht hat. Denn
wenn ich die Redner der CDU und CSU richtig verstehe - bei Herrn Klein war es deutlicher als bei Herrn Rühe, aber es war bei beiden ausgeprägt -, dann ist Ihre Kontinuität vor allen Dingen ein Rückgriff auf die Außenpolitik der 50er Jahre.
({2})
- Es ist vor allen Dingen, Herr Rühe, ein Rückgriff auf die 50er Jahre. Sie haben ja auch ausdrücklich gesagt, Herr Rühe, daß Kontinuität nicht heiße, die vorgefundene Politik einfach fortzusetzen, sondern daß es - im Gegenteil - zur Kontinuität immer wieder der Kurskorrektur bedürfe. Wenn Sie das sagen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir diesen Rückgriff auf die Kontinuität der 50er Jahre, verbunden mit der Ankündigung einer Kurskorrektur, als ersten Schritt eines Rückfalls in die 50er Jahre verstehen und damit auch unsere Befürchtung verbinden, daß daraus schrittweise - nicht vor dem 6. März, aber nach dem 6. März - das Risiko entsteht, daß wieder eine Politik eingeleitet und neu begonnen wird, die dann doch auch zu dem, in den 50er Jahren herrschenden Kalten Krieg führen könnte.
({3})
Die Kontinuität, die Herr Schäfer hier vorgetragen hat, ist eine andere. Er versucht, wenn ich es einmal so sagen darf, die Brücke zwischen beiden Positionen zu schlagen. Das ist eben die schwierige Aufgabe, die er hat: daß er versucht, die Kontinuität zwischen der aktiven sozialliberalen Friedens-, Abrüstungs-, und Entspannungspolitik und der Politik der 50er Jahre herzustellen, in denen die FDP j a auch mit an der Regierung beteiligt war.
({4})
Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß er damit in gewisse Widersprüche zu dem, was von der CDU/ CSU hier vorgetragen wird, und auch in Widersprüche zu dem gerät, was von der CDU/CSU in der Sache schrittweise durchgesetzt wird.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Dr. Mertes möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Meine Redezeit ist knapp bemessen. Ich dachte ursprünglich, daß sie etwas großzügiger bemessen sei. Da dies nicht so ist, möchte ich die Zwischenfrage nicht zulassen.
({0})
Ich meine, daß die Risiken, die mit dieser Kurskorrektur, die Sie ankündigen, Herr Rühe, verbunden sind, um so schwerwiegender und weitreichender sind, je länger Sie die Möglichkeit haben, diese Kurskorrektur zu betreiben. Denn dann wird diese
Voigt ({1})
Kurskorrektur zu einer Weichenstellung in Richtung auf eine andere Politik führen.
({2})
- Herr Mertes, Sie haben j a als Mitglied der Regierung jederzeit die Möglichkeit, hier zu sprechen. Vielleicht hören Sie jetzt ausnahmsweise einmal geduldig zu, da jetzt die Opposition die sowieso seltene Möglichkeit hat, ihre Gedanken darzulegen.
Das, was als Ergebnis der Reisediplomatie von Herrn Kohl besonders bemerkenswert ist, sind die negativen Folgen der Vorliebe fürs Allgemeine und der mangelnden Präzision im Detail. Das ist z. B. auch aus den Widersprüchen zwischen der Rhetorik der deutsch-französischen Erklärung und der Praxis der deutsch-französischen Gegensätze danach abzuleiten. Der Bundeskanzler erklärte anläßlich der 40. deutsch-französischen Konsultationen in Bonn am 21. Oktober 1982:
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß nur in der Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und Frankreich unser Europa eine Zukunft finden kann ...
Dies kann ich unterstützen.
({3})
In der Praxis jedoch bahnt sich eine gefährliche Entfremdung zwischen Bonn und Paris an. Erstens. Willy Brandt hat schon darauf hingewiesen, daß sich die europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialminister nicht auf eine gemeinsame Aktion zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben einigen können. Wie es heißt, hat Finanzminister Stoltenberg zusätzliche Programme abgelehnt. Ich verstehe das von der Sache her nicht; ich halte das auch in der Sache für falsch. Aber es besteht dann in der entscheidenden Sachfrage der Arbeitslosigkeit eben keine Gemeinsamkeit, sondern eine Uneinigkeit in den deutsch-französischen Beziehungen.
({4})
Zweitens. Tiefe Differenzen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland haben sich, wie man hört, auch bei den Gesprächen gezeigt, die der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Mertes, mit seinem Amtskollegen geführt hat.
({5})
In der Frage des Beitritts von Spanien und Portugal, beim Budgetbeitrag, im europäischen Binnenhandel und im Ost-West-Handel habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben.
({6})
Herr Bundeskanzler Kohl und Herr Bundesaußenminister Genscher haben sogar bestätigt, daß es zwischen der Haltung der USA in Osthandelsfragen und der der europäischen Staaten zwar Ansätze, Bemühungen um Einheitlichkeit, aber in der Sache nach wie vor Unterschiede gebe und daß noch kein gemeinsames Konzept vereinbart sei.
({7})
Dieser Begriff der substantiellen Einigung ist durch Zwischenfragen von Herrn Ehmke klargestellt worden. Dabei kam durch die Antworten von Herrn Genscher heraus, daß die substantielle Einigung wahrscheinlich doch noch keine Einigung in der Substanz war, sondern erst eine Andeutung von Substanz, ohne daß dabei im Ergebnis eine gemeinsame Haltung herausgekommen wäre.
({8})
Wie soll auch eine gemeinsame Haltung herauskommen, wenn eine amerikanische Osthandelspolitik im Kern darauf gerichtet ist, den Osthandel zu beschneiden, und wenn unsere Osthandelspolitik, wenn sie die KSZE-Schlußakte und das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen ernst nimmt, darauf gerichtet sein muß, den Osthandel auszuweiten, aus politischen und aus wirtschaftlichen Gründen und weil es auch im Rahmen unserer Zustimmung zur KSZE-Schlußakte liegt, den Handel insgesamt auszuweiten.
({9})
Ich meine, daß auch bei den deutsch-amerikanischen Gesprächen das Risiko sichtbar war, daß man über die Beschwörung der Geistesverwandtschaft zwischen konservativen Politikern im Grundsätzlichen hinaus dann Schwierigkeiten im Detail entweder nicht ansprach oder überdeckte. Das wird sich dann in einer späteren Phase rächen. Ich denke z. B. daran, daß jetzt bei den GATT-Verhandlungen die Europäer und die USA erhebliche Meinungsunterschiede haben. Das ist der Fall. Und mir ist nicht bekannt, daß diese Frage in den USA in irgendeiner Weise angesprochen oder erfolgreich einer Lösung zugeführt worden wäre. Diese Frage der Wirtschaftsbeziehungen - GATT - muß aber, genau wie die Frage der Arbeitslosigkeit im deutsch-französischen Verhältnis, aber auch in den anderen Ländern des westlichen Bündnisses eine zentrale Rolle spielen.
Lassen Sie mich nun noch zu der Mittelstreckenproblematik kommen, weil sie mehrfach angesprochen worden ist: Ich glaube, es ist nicht berechtigt - und ich möchte ausdrücklich unterstreichen, daß es nicht berechtigt ist -, irgendeinen Zweifel an unserer Kontinuität in der Frage der Sicherheits-, Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik zu haben. Ich möchte ausdrücklich dem zustimmen, was hier Hans-Jürgen Wischnewski und Willy Brandt gesagt haben, auch im Namen von Jochen Vogel gesagt haben, und hinzufügen: Es ist eindeutig - und wir haben das in der Vorbereitung dieser heutigen Sitzung bei uns in der Fraktion ausführlich diskuVoigt ({10})
tiert -, daß die SPD als Partei und die SPD-Fraktion zu den Münchener Parteitagsbeschlüssen und den Berliner Parteitagsbeschlüssen zur Friedens-, Außen- und Sicherheitspolitik und damit auch zu den Beschlüssen in diesem Punkte stehen. Wir sind stolz darauf, daß es nicht zuletzt dem rüstungskontrolipolitischen Engagement und dem ständigen Drängen von Bundeskanzler Schmidt zu verdanken ist, daß in Genf überhaupt verhandelt wird. Wo dann unsere Differenzen möglicherweise beginnen, ist das Engagement beim Drängen auf ein Verhandlungsergebnis. Wir werden die neue Koalitionsregierung daran messen, ob sie wie die bisherige sozialliberale Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende tut, um die Genfer Verhandlungen im Sinne unserer sicherheits- und abrüstungspolitischen Ziele und Interessen zu beeinflussen.
Dazu gehört, daß zügig verhandelt wird und daß mit dem Willen zum Kompromiß verhandelt wird. Der Hinweis auf die Unterstützung des Reaganschen Null-Lösungs-Vorschlags ist eben noch nicht identisch mit dem Willen, zum Kompromiß zu kommen.
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- Es ist ein Vorschlag, der eine Ausgangsposition für Verhandlungen bezeichnet, die wir unterstützen. Wenn man aber Verhandlungen ernst nimmt, dann kann die Ausgangsposition nicht von Verhandlungen ausgeschlossen werden nach dem Prinzip: Friß, Vogel, oder stirb.
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Dann muß sie verhandelbar sein. Das bedeutet auch, daß man auf beiden Seiten auf Kompromisse drängen muß. Das ist etwas, was wir von der neuen Regierung genauso erwarten wie von der alten Regierung.
({13})
Es gibt dabei noch einen Punkt, der zu beachten ist. Das ist die Einbettung des Doppelbeschlusses in ein entspannungspolitisches Gesamtkonzept. So ist er ja auch von Helmut Schmidt verstanden worden. Deshalb muß noch einmal gesagt werden, daß ohne die Einbettung in ein entspannungspolitisches Gesamtkonzept der Doppelbeschluß selber seines politischen Rahmens beraubt würde und damit auch Verhandlungsaussichten gefährdet würden. Christoph Bertram hat vor kurzem in der „Zeit" völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß es im wesentlichen den Schwierigkeiten in der Entspannungspolitik zuzuschreiben ist, daß es heute so langsame Fortschritte, wenn überhaupt Fortschritte, in der Rüstungskontrollpolitik gibt.
Nun meine ich, daß hier noch einige zusätzliche Fragen geklärt werden müssen. Der Bundeskanzler hat gesagt, daß mit der Stationierung nicht vor Ende 1983 begonnen werden soll. Ich möchte hinzufügen: Ich verstehe das so - wenn es nicht so verstanden werden soll, dann bitte ich um Korrektur -, daß weder Teile noch Ausrüstungsgegenstände vorgezogen stationiert werden. Das heißt, wir bejahen alles das, was mit der NATO-Infrastruktur gemacht wird. Das haben wir auch mit unterstützt. Aber alles das - um die Finanzierungsweise anzusprechen -, was durch die Amerikaner finanziert wird und was entweder direkt zu den Mittelstreckenraketen oder Cruise Missiles gehört oder was im Zusammenhang mit ihrer Stationierung zu sehen ist und durch die Amerikaner dort hingestellt wird, gehört nicht in die Bundesrepublik Deutschland, wenn überhaupt, dann auf keinen Fall vor Ende 1983. So verstehe ich Ihre Aussage, Herr Bundeskanzler. Falls sie nicht so verstanden sein sollte, bitte ich um Korrektur. Wenn das so klargestellt sein sollte, wäre das eine wichtige Klarstellung für unsere Debatte.
Nun haben Sie sich auch mit dem Begriff des Automatismus auseinandergesetzt. Es ist richtig, wir haben schon 1979 in Berlin, aber auch in München gesagt: Einen Automatismus kann es nicht geben, nicht mit uns Sozialdemokraten. Das ist auch die Logik, weshalb wir gesagt haben: Ein Parteitag soll vor Beginn einer möglichen Stationierung - die wir ja möglichst vermeiden wollen ({14}) noch einmal entscheiden.
({15})
Dies darf zumindest von seiten der FDP nicht kritisiert werden.
({16})
Denn Herr Bundesaußenminister Genscher hat auf seinem Parteitag in der Sache eine ähnliche Zusage an seine Delegierten dort gegeben.
({17})
Wenn er seinem Parteitag vorher einen Bericht über den Stand der Verhandlungen geben soll, dann kann das der Sache nach nur bedeuten, daß auch er einem Automatismus der Stationierung nicht zustimmt.
Wenn in dieser Frage die Positionen von FDP und SPD deckungsgleich sind, was ich hoffe, dann kann es keine glaubwürdige Kritik an unserer Feststellung mehr geben, daß es bei uns keinen Automatismus bei der Stationierung gibt,
({18})
daß wir uns als Partei die politische Bewertung und unsere politische Entscheidung für Ende 1983 vorbehalten, vor dem Beginn der Stationierung.
({19})
Als Sozialdemokraten nehmen wir uns das Recht heraus, als Partei unser Urteil darüber abzugeben. Ich hoffe, die FDP tut das genauso, nicht im gleichen Wortlaut, aber der Sache nach identisch. Wenn Sie das für verkehrt halten, setzen Sie sich bitte mit
Voigt ({20})
Ihrem Koalitionspartner auseinander, aber bitte nicht mit uns; denn in dieser Frage haben wir eine Position, die wir seit 1979 vertreten, nur noch einmal bestätigt.
({21})
Ich möchte noch auf einen Punkt im Kommuniqué Reagan/Kohl hinweisen, den ich, vielleicht unzulässigerweise, nicht ganz verstanden habe. Dort wird jeder einseitigen Reduzierung von Nuklearwaffen eine Absage erteilt. Nun sind wir j a auch für Verhandlungslösungen. Aber ich verstehe diese generelle Absage an jede einseitige Reduzierung von Nuklearwaffen nicht - im Kommuniqué als Prinzip festgeschrieben -, wenn Herr Bundesaußenminister Genscher hier völlig zu Recht darauf hinweist, daß schon einmal 1 000 Sprengköpfe einseitig abgezogen worden sind, und wenn andererseits Herr Möllemann bisher immer gesagt hat - übrigens mit meiner vollen Zustimmung, weil es unseren eigenen Forderungen entspricht -, die NATO könne gegebenenfalls sogar einseitig auf eine größere Zahl von nuklearen Gefechtsfeldwaffen verzichten, ihre Zahl reduzieren. Wenn man das auch einseitig kann - Herr Möllemann nickt -, dann verstehe ich nicht, was diese Passage in der deutsch-amerikanischen Erklärung soll. Ich vermute fast, daß dieses Problem im Detail durch die Vorliebe für Generelle dort etwas überdeckt worden ist.
Überdeckt worden ist wohl auch ein anderes Problem, nämlich das der chemischen Waffen. In dem deutsch-amerikanischen Kommuniqué werden die Genfer Verhandlungen über chemische Waffen angesprochen. Aber Herr Jung hat - übrigens mit Berufung auf seine Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung - am 22. November 1982 eine Presseerklärung veröffentlicht, in der es heißt, chemische Waffen seien als Abschreckungspotential unglaubwürdig. Weiter: Es werde auch ein Abkommen zur Ächtung der Produktion und Lagerung von chemischen Kampfstoffen gefordert. Dem stimmen wir zu. Dann heißt es:
Desgleichen die dieses Abkommen fördernde vertrauensbildende Maßnahme, daß aus beiden Teilen Deutschlands sofort alle chemischen Waffen abgezogen und keine weiteren nachgeführt werden.
Das entspricht im Kern dem, was wir auf dem Münchener Parteitag gefordert haben. Mir ist nicht bekannt, daß das bisher die Position der CDU war. Aber wenn der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Kurt Jung das mit Berufung auf seine Funktion darlegt, muß ich annehmen, daß das die neue Position der Bundesregierung zu chemischen Waffen ist, die ich ausdrücklich unterstützen möchte. Ich wäre sehr dankbar, wenn in der weiteren Debatte klargelegt würde, ob meine Interpretation der neuen Linie der Bundesregierung richtig ist oder ob hier ein Alleingang einer einzelnen Person gemacht worden ist, ohne
daß das abgedeckt worden ist, obwohl sich diese Person auf sein Regierungsamt beruft.
In der Debatte hat es noch eine Frage zu diesem Gesamtkomplex gegeben, die Frage der Offenlegung der Stationierungsorte. Am 17. September 1982 haben wir hier eine Diskussion geführt. Das war noch zu der Zeit, als die sozialliberale Koalition existierte. Ich habe damals im Namen der SPD-Fraktion gefordert - diese Forderung richtete sich an die sozialliberale Regierung -, mit dieser Geheimniskrämerei aufzuhören und die geplanten Standorte öffentlich bekanntzugeben.
({22})
Daraufhin hat Herr Abgeordneter Mertes einen Zwischenruf gemacht - das ist aus dem Protokoll ersichtlich -, mit dem er das ausdrücklich unterstützte.
Nun höre ich, daß die neue Bundesregierung nicht beabsichtigt, das zu tun. Ich möchte deshalb meinen Appell noch einmal an Sie richten, diese Forderung gemeinsam zu vertreten. Wir sagen j a ausdrücklich, daß wir die frühere Haltung unserer eigenen Regierung mit ändern wollten, d. h. zu einer Zeit, als die Regierung noch von der sozialliberalen Koalition gebildet wurde. Ich erneuere also meinen Appell: Ändern Sie Ihre Haltung, geben Sie die geplanten Standorte bekannt! Anderenfalls wird nur unnötige Angst und unnötiges Mißtrauen geschürt. Ich meine, es täte gut, wenn in unserem Lande Klarheit geschaffen wird und nicht an jeder Ecke, wo Baumaßnahmen durchgeführt werden, künftige Standorte vermutet werden.
({23})
Herr Rühe hat sich kritisch mit dem Begriff der Sicherheitspartnerschaft auseinandergesetzt. Nun muß man erst einmal darauf hinweisen, daß Bundeskanzler Schmidt im Namen der sozialliberalen Bundesregierung insgesamt am 14. Juni 1982 ausdrücklich auf diese Sicherheitspartnerschaft Bezug genommen hat. Er hat das in einer Rede vor der UNO im Jahre 1978 im Detail ausgeführt. Deshalb verstehe ich nicht ganz, wie man jetzt in der Koalition von FDP und CDU die Sicherheitspartnerschaft kritisiert, die früher als Konzept mitgetragen wurde, und zwar nicht nur vom Bundeskanzler, sondern durch die gesamte sozialliberale Koalition.
({24})
Zumindest muß man sagen, daß es eine Abkehr vom Konzept der Sicherheitspartnerschaft, eine Abkehr vom Konzept des bisherigen Bundeskanzlers ist, denn Sie kritisieren das ja.
({25})
- Kritisieren Sie es wegen der Sache oder wegen der Wortwahl, Herr Rühe?
({26})
Voigt ({27})
- Kritisieren Sie auch den Begriff der gemeinsamen Sicherheit? Das will ich nur fragen.
({28})
- Was ist sozusagen Verwerfliches daran, wenn man gemeinsame Sicherheit sagt und formuliert und Sicherheitspartnerschaft anstrebt? Warum sollen wir nicht den Streit in der Sache führen?
({29})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ja, jetzt lasse ich eine Frage zu.
Bitte, Herr Dr. Mertes.
Herr Kollege Voigt, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir sagen: verläßliche Sicherheitspartnerschaft nur mit dem Atlantischen Bündnis, aktive Friedenssicherung auch mit der Sowjetunion, die unsere Sicherheit bedroht. Wenn Sie diese selbstverständlich notwendige Form der Friedenssicherung durch das gleiche Wort auf eine Stufe stellen mit der abwehrenden Sicherheitspolitik des Bündnisses, stellen Sie das Bündnis auf eine Stufe mit dem Pakt, der uns bedroht. Dieses ist semantische Irreführung.
({0})
Ich möchte auf ein Interview vom 28. November im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt", das Herr von Weizsäcker gegeben hat, hinweisen und es Ihnen zur Lektüre empfehlen. In diesem Interview wendet er sich gegen diese semantische Spiegelfechterei. Der Sache nach stimmt er zu. Ich bitte darum, daß auch wir das hier tun, daß wir in dieser Frage nicht allein über Begriffe streiten.
({0})
Nun komme ich zu einem Punkt, der mich am meisten bewegt. Der von Herrn Klein so sehr in den Vordergrund gestellte und gelobte Richard Allen hat auf der Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung
- das hat j a bereits in der Presse eine gewisse Rolle gespielt -, gesagt, die Amerikaner sollten die neue Regierung bis zum 6. März unterstützen und auch schonen; aber danach, nach dem 6. März, würde man eine fundamentale Überprüfung der deutschen Ostpolitik verlangen. Nachdem dieses Zitat von Richard Allen heute morgen in der Debatte eine Rolle spielte und dies nachher von Herrn Klein nicht etwa richtiggestellt wurde, sondern Herr Klein ausdrücklich Richard Allen gelobt und seine Bedeutung hervorgehoben hat, können Sie doch nicht erstaunt sein, daß wir die große Befürchtung haben und eigentlich durch die Äußerung von
Herrn Klein bestätigt empfinden, daß bis zum 6. März Kurskorrekturen vorgenommen werden und nach dem 6. März Weichenstellungen in eine andere Richtung erfolgen sollen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl?
Selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Dr. Kohl.
Herr Kollege, was gibt Ihnen eigentlich Veranlassung, daran zu zweifeln, daß das, was ich heute in meinem Amt als Bundeskanzler vorgetragen habe, was j a aber auch zugleich - von der Person her - der Vorsitzende der CDU Deutschlands vorgetragen hat, stimmt, und zu meinen, daß ein Zitat, das Sie aus einem Vortrag eines uns befreundeten Amerikaners herausziehen, sozusagen die Präjudizierung unserer Politik nach einer erfolgreichen - das unterstellen Sie ja - Bundestagswahl nach dem 6. März bedeutet?
Schlicht und ergreifend die Art und Weise, wie sich Herr Klein zu Herrn Allen geäußert hat - das Zitat selber -, auch die Rückgriffe auf die 50er Jahre, die mehrfach erfolgten, verbunden mit Begriffen wie „Kurskorrektur". Das veranlaßt mich zwar nicht, an Ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit zu zweifeln, aber zumindest zu vermuten, daß Sie, falls Sie die Absicht hätten, die sozialliberale Friedens- und Entspannungspolitik fortzusetzen, Schwierigkeiten hätten, das bei Teilen Ihrer eigenen Fraktion durchzusetzen.
({0})
Herr Abgeordneter, sind Sie mit einer weiteren Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl einverstanden?
Bitte sehr.
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Kohl.
Herr Kollege, wären Sie bereit, einmal nachzulesen, was wir zu diesen sehr wesentlichen Punkten in der Kontinuität unserer Politik - die beiden ersten Redner unserer Fraktion haben dazu gesprochen - in den Wahlprogrammen 1972, 1976 und 1980 gesagt haben? Würden Sie dann immer noch Ihre Behauptung aufrechterhalten, die Sie eben aufgestellt haben?
Ja. Diese Wahlprogramme und die damit zusammenhängende Praxis der Kritik an einer aktiven Friedens- und Entspannungspolitik und Ihr jetziger Hinweis auf diese Wahlprogramme und die damit zusammenhän8060
Voigt ({0})
gende Praxis bestärken eher meine Befürchtung, als daß sie sie ausräumen.
({1})
Sie bestärken meine Befürchtung besonders deshalb, weil der Westen zur Zeit eine Wiederaufnahme der Diskussion über ein Containment, ein Neocontainment der Sowjetunion erlebt.
Nun hat es immer, in der gesamten Nachkriegszeit, Kooperation und Containment gegeben,
({2})
aber es hat nach dem Auseinanderbrechen der Anti-Hitler-Koalition und den ersten Abrüstungsbemühungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, die dann ja gescheitert sind, eine Containment-Politik gegeben, die damals von Kennan mit vorgeschlagen worden ist und die dann im Ergebnis zum Kalten Krieg geführt hat, obwohl das so nicht in der Absicht Kennans lag. Nun fürchten wir, daß das Wiederaufgreifen einer Containment-Politik, einer Eindämmungspolitik, zu einer Wiederbelebung und einem Hineinschlittern in Situationen der 50er Jahre und des Kalten Krieges führen wird.
Dazu möchte ich sagen: Trotz Afghanistan ist das Problem des sowjetischen Einflusses in der Dritten Welt nicht primär ein Problem sowjetischer militärischer Macht und westlicher militärischer Gegenmacht. Trotz des Anwachsens sowjetischer Militärmacht ist die Hauptgefahr für den Westen nicht ein sowjetischer Angriff oder eine sowjetische militärische Erpressung, sondern die wirtschaftlichen Probleme in den einzelnen westlichen Staaten,
({3})
in der westlichen Welt insgesamt und vor allen Dingen auch in den Ländern der Dritten Welt. Deshalb ist es die falsche Reaktion konservativer Regierungen, wenn sie, um der sowjetischen Militärmacht zu begegnen, die Grundlagen der eigenen Wirtschaftskraft untergraben. Das ist zur Zeit in den USA eine aktuelle Gefahr. Wenn man sich auf diese Politik einläßt, kann ich nicht ausschließen, daß dies über längere Sicht, zumindest wenn man Absichten von Manfred Wörner aus früheren Jahren in Erinnerung hat, auch in der Bundesrepublik eine Gefahr werden könnte.
({4})
Wer kooperative Schritte vernachlässigt und Neo-containment oder eigene militärische Stärke in den Vordergrund rückt, kann, auch wenn er die Form der Verhandlungen wahrt, diese nicht zu ausgewogenen Kompromissen und Verhandlungsergebnissen führen.
Das Problem der sowjetischen Militärmacht, das ich nicht übersehe,
({5})
kann nicht primär durch die Verstärkung und Verfeinerung der eigenen Abschreckungsfähigkeit gelöst werden. Das Primat gehört den Verhandlungslösungen. Einseitige Lösungen führen auf Dauer in die Sackgasse, sind auf Dauer auch zu riskant. Wir können zwar auf eine ausreichende Abschrekkungsfähigkeit nicht verzichten, aber die Verstärkung und Verfeinerung der Abschreckung ist auf Dauer keine Lösung. Sie enthält bestenfalls, wie die Denkschrift der Evangelischen Kirche, die Freeze-Bewegung und die amerikanischen Bischöfe gesagt haben, eine Gnadenfrist zur Lösung unserer Sicherheitsprobleme mit anderen Methoden.
({6})
Die Risiken der Abschreckung können nicht mit den Methoden der Abschreckung überwunden werden. Dies ist der Kerngedanke der Sicherheitspartnerschaft.
Und ich sage zuletzt: Die konservative Politik, die wir in den USA kritisieren, die wir in der Bundesrepublik auch kritisieren und die wir in ihrer Praxis in Großbritannien mit Sorge gesehen haben,
({7})
führt dort, wo sie betrieben wird, wirtschafts- und sozialpolitisch in eine Sackgasse. Diese Politik führt zur Verschärfung sozialer Gegensätze und vermehrt die Arbeitslosigkeit. Diese konservative Politik führt zu vermehrten Risiken für den Welthandel, von dessen Funktionieren wir als exportorientiertes Land in besonderem Maße abhängig sind. Diese konservative Politik blockiert im Sinne des Berichtes der Brandt-Kommission dringend erforderliche Schritte zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen Nord und Süd.
({8})
Sie droht den Ost-West-Gegensatz auf das NordSüd-Verhältnis zu übertragen und blockiert Finanzmittel, wo gemeinsame Anstrengungen von Ost und West zum Abbau von Hunger und Not erforderlich wären. Wir brauchen ein Konzept im Nord-Süd-Verhältnis und im Ost-West-Verhältnis, das mehr Zusammenarbeit bewirkt, das Blockkonfrontation überwindet und schließlich zu einer europäischen Friedensordnung führt.
({9})
Diese europäische Friedensordnung ist der konstruktive Gedanke, der nicht ersetzt und nicht abgelöst werden kann durch eine Wiederaufnahme und einen Rückgriff auf die Konzeptionen der 50er Jahre.
Wir meinen, daß man den kooperativen Elementen, den Elementen der Zusammenarbeit den Vorrang vor den militärischen Elementen in den Ost-West-Beziehungen geben sollte. Wir fürchten, daß die neue Politik, die Politik der Neokonservativen genauso wie die Politik der Altkonservativen, dazu
Voigt ({10})
führt, daß die richtige Entwicklung nicht begünstigt, sondern eine verkehrte eingeleitet wird.
Deshalb kann die Anpassung an den gegenwärtig vorherrschenden Trend in der USA-Politik kurzfristig zwar Harmonie als Stimmung erzeugen, aber langfristig würden damit die Widersprüche in der westlichen Allianz bis hin zu einer Gefährdung der Handlungsfähigkeit der westlichen Allianz selber beschleunigt und provoziert werden. Meine Überzeugung und Hoffnung sind natürlich, daß eine solche konservative Politik, sei es in USA, sei es bei uns, langfristig und, wie ich hoffe, auch schon kurzfristig nicht mehrheitsfähig sein wird. - Vielen Dank.
({11})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Lenz ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Voigt, daß ich einem Satz Ihrer Rede voll und ganz Zustimmung zollen kann: Sie brauchen ein Konzept. Ihre Rede hat nachgewiesen, daß Sie es noch nicht haben.
({0})
Lassen Sie mich nur kurz etwas zum deutschfranzösischen Verhältnis sagen. Lieber Herr Voigt, dieses deutsch-französische Verhältnis bedarf bestimmt der besonderen Pflege und Sorgfalt. Ich halte es für absolut unvertretbar, daß man, wie geschehen, gemeinsame Projekte verspricht, obwohl man nicht einmal geprüft hat, ob auf der einen Seite dafür überhaupt die Voraussetzungen vorliegen. Wenn das diese Regierung machen würde, wie es die vergangene Regierung gemacht hat, dann würden Sie uns an der Seite der Kritiker dieses Vorgehens finden.
({1})
Im übrigen möchte ich das Thema ein bißchen wechseln und auf den 1. Januar 1983 zu sprechen kommen. Dann übernimmt nämlich die Bundesrepublik Deutschland die Präsidentschaft im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften. Das trifft sich gut; denn die Europapolitik ist ein Schwerpunkt in der Politik der neuen Bundesregierung. Bundeskanzler Helmut Kohl hat gleich nach Übernahme seines Amtes deutliche Zeichen in dieser Hinsicht gesetzt, indem er nach Paris, London, Rom, Brüssel und Luxemburg reiste. Der neuen Bundesregierung liegt die Pflege der Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft besonders am Herzen; denn solche guten Beziehungen sind wichtig für den Fortgang des europäischen Einigungswerks.
Gestatten Sie eine persönliche Bemerkung. Ich habe mich gefreut, daß der Herr Bundeskanzler auch nach Luxemburg gefahren ist, in eine Stadt, in der ich sechs Jahre meines Lebens für das Europäische Parlament gearbeitet habe. Deutschland hat
Luxemburg etwas abzubitten. Wir haben nämlich in den Jahren von 1940 bis 1944 den Versuch unternommen, den Luxemburgern ihre Identität als eigenes Volk zu nehmen. Ich freue mich, daß der Bundeskanzler durch seinen Besuch in Luxemburg diesem Volk ein Zeichen gegeben hat, daß wir es heute als gleichberechtigten Partner in der Europäischen Gemeinschaft behandeln.
({2})
- Ich nehme an, Herr Kollege Freimut Duve, daß Sie in dem Punkt mit mir übereinstimmen.
({3})
Der Besuch des Bundeskanzlers in Brüssel galt nicht nur dem Königreich Belgien, sondern auch den Europäischen Gemeinschaften. Bundeskanzler Kohl hat dort die Arbeitsräume des Europäischen Parlaments besucht. Er ist der erste Regierungschef gewesen, der das in Brüssel getan hat. Diese demonstrative Geste gegenüber dem von den Völkern Europas direkt gewählten Europäischen Parlament ist dort mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Das Europäische Parlament steht gelegentlich im Schatten anderer europäischer Institutionen, des Rates oder der Kommission, aber dafür von Zeit zu Zeit um so mehr im Brennpunkt der Kritik, einer Kritik, die häufig von mangelnder Sachkenntnis und gelegentlich vom Willen zur Herabsetzung getragen ist. Wer kennt schon die Schwierigkeiten dieses Parlaments aus zehn Nationen, mit zehn verschiedenen Traditionen, mit sieben Amtssprachen, sieben Fraktionen und aus 60 unterschiedlichen Parteien? Ich begrüße es, daß der Präsident des Europäischen Parlaments heute auch diesem Hause einen Besuch abgestattet hat, und ich hoffe, daß sein Besuch hier in Deutschland mehr Verständnis für die Probleme, aber auch für die Möglichkeiten des Europäischen Parlaments zur Folge hat.
Die europäische Einigung hatte den unerwünschten Nebeneffekt, daß Befugnisse des Deutschen Bundestages und natürlich auch anderer europäischer Parlamente auf den Rat in Brüssel übergegangen sind. Wir wünschen, daß diese Befugnisse auf das Europäische Parlament in der Weise übergehen, daß es ein Mitentscheidungsrecht in allen wichtigen Fragen der Europäischen Gemeinschaft bekommt.
({4})
Ein schwaches, einflußloses Parlament ist dem Ansehen der parlamentarischen Regierungsform abträglich. Wir sind Anhänger dieser Regierungsform, und deswegen treten wir für mehr Befugnisse für das Europäische Parlament ein.
({5})
Wir würden es auch begrüßen, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Eigenschaft als Präsident des Europäischen Rates vor dem Europäischen Parlament sprechen würden. Sie würden sich dadurch vorteilhaft von Ihrem Vorgänger abheben; und
Dr. Lenz ({6})
wenn Sie ganz großes Glück haben, werden Sie dort gelegentlich Ihren Vorvorgänger antreffen, denn der kommt als Mitglied des Europäischen Parlaments manchmal dorthin.
Wir haben, Herr Bundeskanzler, durch Ihre Besuche in den Hauptstädten der Europäischen Gemeinschaft das Interesse der Bundesrepublik Deutschland am Fortgang des europäischen Einigungswerks zum Ausdruck gebracht, und das war nicht nur richtig, sondern auch notwendig. Das vertragsmäßige Funktionieren der Europäischen Gemeinschaft ist für die Bundesrepublik Deutschland und für die anderen Mitgliedstaaten von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Für alle Mitglieder, auch für die Bundesrepublik, sind die übrigen Mitgliedsländer wichtige oder sogar mit Abstand wichtigste Handelspartner. Für die meisten von ihnen ist Deutschland ein unersetzlicher Markt, ebenso wie ihre Märkte für uns unverzichtbare Absatzfelder sind.
({7})
Meine Damen und Herren, um Ihnen von den Größenordnungen ein Beispiel zu geben, möchte ich sagen, daß unser Handel mit einem der kleineren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, den Niederlanden, größer ist als der Handel mit der Sowjetunion und mit den Vereinigten Staaten zusammengenommen. Außerdem bezahlen die Holländer pünktlich, was man von manchen unserer Abnehmer im Osten nicht sagen kann.
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die Kommission in Brüssel bei der Wahrnehmung der Aufgabe zu unterstützen, das vertragsmäßige Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten und notfalls auch eigene Schritte in dieser Richtung zu tun. Denn der Gemeinsame Markt ist eine unersetzliche Quelle für Beschäftigung und Wohlstand. Ohne Gemeinsamen Markt gibt es keinen gemeinsamen Wohlstand,
({8})
sondern nur gemeinsamen Rückschritt. Ohne den Gemeinsamen Markt wären wir alle ärmer. Ein Mitglied der Brüsseler Kommission hat mir einmal gesagt, die Verflechtung Deutschlands mit dem Gemeinsamen Markt könne auf 560 Milliarden DM beziffert werden. Es mögen ein paar Milliarden mehr oder weniger sein, aber angesichts dieser Größenordnung verblassen alle nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten einschließlich noch so gut gemeinter konjunkturpolitischer Programme. Deswegen ist das Offenhalten des Gemeinsamen Marktes der wichtigste Beitrag, den die Bundesregierung für das wirtschaftliche Leben, die Sicherung der Arbeitsplätze und den Wohlstand in unserem Lande leisten kann.
({9})
Zum Gemeinsamen Markt gehört der gemeinsame Agrarmarkt. Die gemeinsame Agrarpolitik war bisher, auch wenn sie Geld gekostet hat, erfolgreich.
({10})
Diejenigen, meine Freunde, die sie reformieren wollen, müssen dies so tun, daß die Substanz des Gemeinsamen Marktes nicht beschädigt wird.
({11})
- Das heißt, daß einiges von dem, was ich eben vom Kollegen Brandt gehört habe, mehr in den Katalog der Beschädigung des Gemeinsamen Marktes als in den der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik gehört.
({12})
Die europäische Einigung war für die Union, für die Partei Konrad Adenauers, niemals nur eine Frage des Geschäfts, obwohl gute Geschäfte sichere Arbeitsplätze schaffen und damit einen unerläßlichen Beitrag zur Lebensqualität leisten. Die europäische Einigung war und ist für die Union immer auch ein Beitrag für die Erhaltung des Friedens, die Bewahrung der Freiheit und die Sicherung der Zukunft.
Gelegentlich sieht man auf unseren Straßen junge Leute mit der Aufschrift herumlaufen „No future". Ich finde das eine entsetzliche Aufschrift, muß ich Ihnen sagen. Wir müssen uns fragen, ob wir hier nicht irgend etwas falsch gemacht haben. Es scheint uns jedenfalls nicht gelungen zu sein - und vielleicht haben wir es auch gar nicht genügend versucht -, diese Jugendlichen davon zu überzeugen, daß sie eine Zukunft haben, wenn sie sie nur anpacken, und daß diese Zukunft nicht in fernen Kontinenten, sondern hier in Europa liegt.
Dem Bundeskanzler und auch dem Bundesaußenminister kann man diesen Vorwurf nicht machen, denn sie haben unermüdlich für den Gedanken der europäischen Einigung als wesentlichen, vielleicht den wesentlichsten Beitrag zur Sicherung unserer Zukunft geworben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen beiden dafür.
Die Union unterstützt deshalb auch die deutschitalienische Initiative für die Europäische Union, die j a schon vor längerer Zeit entworfen worden ist, und wünscht, daß sie nun endlich zustande kommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege, Sie haben im Rahmen dieser Debatte soeben über die Zukunft der Jugend gesprochen und auch unsere Handelsbeziehungen mit Holland als besonders positiv herausgestellt. Da Holland mehr agrarische Rohstoffe als jedes andere Land Europas einführt und wir mit der Agrarpolitik eine Überschußproduktion haben, die uns daran hindert, überhaupt noch Geld für andere Maßnahmen zur Verfügung zu haben, frage ich Sie: Kann diese von Ihnen so positiv herausgestellte Agrarpolitik, die mal Klammer Europas war, nicht am Ende in Wirklichkeit der Sprengsatz EuroOostergetelo
pas werden, weil Spanien und Portugal keinen Platz mehr haben, wenn wir so weiterfahren?
({0})
Herr Kollege, es ist nicht zu bestreiten - und der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung gesagt -, daß es Fehlentwicklungen gibt. Der Herr Bundesaußenminister hat sich in gleicher Weise geäußert. Nur darf bei allen Diskussionen darüber nicht vergessen werden, daß der gemeinsame Agrarmarkt ein Teil jenes package deal war, der den Gemeinsamen Markt insgesamt zustande gebracht hat, und daß die Grenzen der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik dort liegen, wo dieses Werk gefährdet wird.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Lenz?
Ich möchte zur Politischen Union kommen. Ich glaube, diese Diskussion werden wir im - ({0})
- Ach, Herr Kollege Roth, das ist doch nicht sehr originell, was Sie hier vortragen.
Ich möchte zur deutsch-italienischen Initiative zurückkommen. Vielleicht können Sie Ihre Zwischenfragen dann stellen, wenn ich gerade am Thema bin, nicht wenn ich schon beim nächsten Punkt bin.
({1})
Ja, manche können nicht, das gebe ich Ihnen zu, Herr Kollege Duve.
({2})
Die deutsch-italienische Initiative, die mit den Namen Colombo und Genscher verbunden ist, gibt der europäischen Einigung die politische Bedeutung zurück, die ihr von der Sache her zukommt. Ohne die Anerkennung der europäischen Politik als eines wesentlichen Beitrags für Frieden, Freiheit und Wohlstand, also für die Sicherung der Zukunft, kann die Europäische Gemeinschaft nicht überleben. Wenn der politische Wille zum Miteinander fehlt, kann sich aus dem Nebeneinander der europäischen Staaten leicht ein Gegeneinander entwikkeln mit allen Gefahren für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa, die daraus entstehen können und die wir in den dreißiger Jahren kennengelernt haben.
Wenn es in den letzten Jahren in Europa nicht so recht vorangegangen ist, war das nicht allein die Schuld der vergangenen Bundesregierung. Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft läßt zu wünschen übrig. Die Übung, manche Fragen, die durchaus mit Mehrheit entschieden werden können, nur einstimmig zu entscheiden, hat sich als lähmend für die Gemeinschaft erwiesen.
Diese Lähmung wird fortschreiten, je mehr Mitgliedstaaten es sind. Der französische Europaminister Chandernagor hat den gegenwärtigen Zustand drastisch beschrieben. Er sagt:
Man verlangt heute bei allen Fragen, auch solchen von geringerer Bedeutung, ein einstimmiges Votum. Wenn also die Angelegenheit dem Rat vorliegt, fragt der Vorsitzende jeden, was er davon denkt. Und die Antwort ist: Das ist nicht schlecht, aber - -. Und dann bringt jeder seine Vorbehalte vor. So geht es mehrfach reihum, und die Vorbehalte verschärfen sich. Dann sagt der Vorsitzende: Das ist nicht reif. Und die Angelegenheit wird vertagt.
So weit Chandernagor.
Dieses Verfahren ruiniert Europa. Es muß geändert werden. Eine Festschreibung dieses Verfahrens oder auch nur des Luxemburger Dissenses von 1966 kommt für die CDU/CSU-Fraktion nicht in Betracht. Wir ermuntern die deutsche Präsidentschaft, so zu verfahren wie der belgische Außenminister Tindemans, der im Mai dieses Jahres die Agrarpreisfrage auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission mit Mehrheit entscheiden ließ. Aber natürlich muß die Mehrheitsentscheidung auch die berechtigten Interessen der überstimmten Länder wahren.
Ich glaube jedoch, daß die Einstimmigkeitsregeln nicht die eigentliche Ursache der Handlungsschwäche der Europäischen Gemeinschaften sind. Die Regierungen mancher Mitgliedstaaten haben nur eine unsichere parlamentarische Basis und sehr wenig Entscheidungsspielraum. Sie sind also auch entscheidungsschwach. Nur potenziert sich dies alles auf europäischer Ebene durch die Einstimmigkeitsregel. Deswegen müssen wir von dieser weg. Es ist das Verdienst des Bundesaußenministers, diese Frage in Angriff genommen zu haben.
({3})
- Manche Fragen muß man - darauf werde ich noch kommen - in Angriff nehmen, um überhaupt Lösungen näherzukommen. Ich finde, wir haben im letzten Jahr - daran war ja die vorangegangene Bundesregierung durchaus beteiligt - einige Fortschritte in dieser Richtung gemacht. Ich hoffe, wir werden auf diesem Wege weitere Fortschritte machen. Der Bundesaußenminister verdient für seinen Mut und für seine Entschiedenheit in schwierigen Fragen unsere respektvolle Anerkennung. Wir wünschen ihm diesen Mut und diese Entschiedenheit auch in diesem Falle.
({4})
Wir wünschen ihm die Unterstützung der Regierungen aller Mitgliedstaaten, insbesondere aber die Frankreichs, mit dem uns ein Vertrag zur Förderung der Solidarität und Zusammenarbeit verbindet, und Italiens und der Benelux-Länder, wo christlich-demokratische Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Regierungen besitzen.
Dr. Lenz ({5})
Die größte Partei in der vergangenen Koalition hat es an politischem Engagement für die europäische Sache fehlen lassen.
({6})
Der frühere Bundeskanzler Brandt und der frühere Bundeskanzler Schmidt haben manchmal den vielleicht falschen Eindruck erweckt, sie führen lieber nach Moskau als nach Brüssel oder Straßburg.
({7})
- Einige Ihrer Parteifreunde haben die europäische Einigungspolitik, die eine Politik für Frieden, Freiheit und Wohlstand ist, durch Äußerungen in Mißkredit gebracht wie: Deutschland sei der Zahlmeister Europas oder der größte Nettozahler, ohne die großen Vorteile der europäischen Einigungspolitik für unser Land zu erwähnen.
({8})
- Das waren alles sozialdemokratische Äußerungen, meine Damen und Herren; Herrn Genscher und seinen Freunden wäre so etwas nie in den Sinn gekommen.
({9})
Bei den hohen Kosten der Ostpolitik - das scheint Sie offenbar zu treffen - sind derartige Äußerungen nie gefallen. Statt dessen wurden uns ihre Vorteile in den rosigsten Farben angepriesen. Einiges davon haben wir ja auch heute hier gehört. Diejenigen, die so geredet haben, haben natürlich die nicht zu bestreitenden Leistungen der vergangenen Regierung auf diesem Sektor geschmälert.
Die Union begrüßt es auch, daß die Bundesregierung sich weiter für den baldigen Eintritt Portugals und Spaniens in die Europäische Gemeinschaft einsetzen will, weil Nationen, die einen so großen Beitrag zur Geschichte und damit zur Identität Europas geleistet haben, eine Bereicherung für die Europäische Gemeinschaft darstellen.
({10})
Wir wollen sie bald in unseren Kreis aufnehmen. Aber wir sind uns auch der Probleme bewußt, die sich in diesen Ländern, aber auch in den Ländern, die der Gemeinschaft schon angehören, und in den Ländern, die mit Spanien und Portugal auf dem Gemeinsamen Markt konkurrieren, stellen werden. - Wenn wir nicht ein Loch von 40 Milliarden in der Bundeskasse von Ihnen geerbt hätten, Herr Kollege, könnten wir mehr zur Lösung dieser und anderer Probleme in der Europäischen Gemeinschaft tun.
({11})
Wir haben zusammen mit der FDP und zum Teil gegen den hartnäckigen Widerstand der SPD, der j a auch heute noch spürbar wurde, unter Konrad Adenauer die Grundlagen der europäischen Einigungspolitik gelegt. Wir haben auch in unserer Oppositionszeit die Europapolitik nach besten Kräften gefördert. Wir haben z. B. die Pläne des luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner zur Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion und von Ministerpräsident Leo Tindemans zur Schaffung einer Europäischen Union unterstützt. Die CDU/CSUBundestagsfraktion hat bereits im vergangenen Jahr ihre Vorstellungen über den Weg von der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union zur Diskussion gestellt. Dieser Antrag ist auch in den Parlamenten anderer Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament eingebracht und behandelt worden. Es war eine gemeinsame Aktion von Christlichen Demokraten auf europäischer und nationaler Ebene. Anfang Dezember werden wir in Paris an die in der Europäischen Volkspartei zusammengeschlossenen christlich-demokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft appellieren, gemeinsam mit uns auf dem Weg zur Europäischen Union voranzuschreiten.
Wir haben jetzt zusammen mit unserem Koalitionspartner FDP einen Katalog von elf Punkten aufgestellt, die nach unserer Auffassung während der deutschen Präsidentschaft besonders energisch betrieben werden sollten. Vielleicht werden wir nicht alle diese Ziele erreichen. Aber wer nicht wagt, kann nicht gewinnen. Packen wir es also an.
Vielleicht haben wir Europapolitik oft zu abstrakt und über die Köpfe unserer Bürger hinweg betrieben. Die Bürger müssen sehen, daß sich in Europa etwas bewegt. Schaffen wir deshalb die Kontrollen im Reiseverkehr ab, wie die Benelux-Länder es getan haben. Ich kenne die Einwände. Sie überzeugen mich nicht. Die Bürger müssen sehen, daß sich in Europa etwas bewegt. Und etwas bewegen kann man immer noch am besten im eigenen Land, wo man nicht die Zustimmung von neun anderen Regierungen braucht. Gehen wir also mit gutem Beispiel voran.
Wir sind keine Europa-Ideologen. Wir wollen nicht alles um jeden Preis in Europa vereinheitlichen. Kennedy hat einmal davon gesprochen, daß die europäische Einigung zu den zahlreichen Versuchen seit Hunderten von Jahren gehöre, Stärke durch Einheit und Freiheit durch Vielfalt zu erhalten. Vielfalt ist Teil der vielbesprochenen europäischen Identität. So viel Europa wie nötig, so viel Eigenverantwortung wie möglich - das ist unsere Devise. Wenn wir anders handeln würden, schwächten wir die Kraft Europas.
Die europäische Identität bliebe für uns christliche Demokraten unverständlich ohne das Christentum. Davon hat Papst Johannes Paul II. bei seiner kürzlichen Spanienreise gesprochen. Zum Christentum gehört auch Solidarität. Das heißt in der Praxis: dem anderen beistehen und nicht die eigenen Probleme auf Kosten des anderen lösen. Ich weiß: Das Wort „Jeder ist sich selbst der Nächste" ist weit verbreitet. Aber christlich ist es nicht.
Solidarität ist die Eigenschaft, die zum Bau Europas unerläßlich ist. Das hat schon Robert Schuman vor mehr als 30 Jahren erkannt. Robert Schuman: französischer Patriot lothringischer Abstammung, Bonner Student, deutscher Soldat im 1. Weltkrieg, französischer Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg, französischer Ministerpräsident und Außenminister und erster Präsident des Europäischen ParlaDr. Lenz ({12})
ments - ein Stück europäische Geschichte in dem Leben dieses einen Mannes.
Er sagte in seiner Erklärung vom 9. Mai 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs:
Europa läßt sich nicht mit einem Schlag herstellen, auch nicht durch einfache Zusammenarbeit. Es wird sich nur dann bilden können, wenn durch Solidarität der Tat eine wirkliche Gemeinschaft entsteht.
Wir brauchen diese Solidarität der Tat nach innen und nach außen - nicht nur gegenüber Argentinien und den USA, sondern auch und vor allem gegenüber der Sowjetunion.
Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, wir wissen, daß Sie mit Mut und Fantasie für die Einigung Europas arbeiten, wie Robert Schuman und Konrad Adenauer sowie viele andere Männer und Frauen aus vielen Ländern und aus vielen politischen Lagern. Wir werden Sie dabei entschieden und entschlossen unterstützen.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich als Redner direkt nach dem Kollegen Lenz die Gelegenheit nutzen, dem Kollegen Lenz herzlich zu seiner Ernennung zum Koordinator für die deutsch-französischen Beziehungen zu gratulieren.
({0})
Ich glaube, das ist eine wichtige Aufgabe im Sinne der europäischen Freundschaft. Ich darf Ihnen dazu viel Erfolg wünschen.
Meine Damen und Herren, das Jahr 1982 hat uns in der Europäischen Gemeinschaft nicht die Fortschritte gebracht, die wir uns erhofft haben und die für die Gemeinschaft notwendig gewesen wären. Viele Hoffnungen, aber auch begründete Erwartungen wurden enttäuscht. Zu häufig mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß wichtige Entscheidungen vertagt wurden, daß Probleme nicht gelöst werden konnten und daß der Ministerrat sich nicht einig werden konnte. Mancher wendet sich in dieser Situation ab, und die Bereitschaft, sich für die Europäische Gemeinschaft einzusetzen, wird geringer, auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Die Europäische Gemeinschaft sieht sich heute vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme vielfältiger Kritik ausgesetzt. Aufgabe der Politik muß es in dieser Situation sein, diese Kritik nüchtern zu prüfen.
Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen, die gemeinsame Fischereipolitik und - dieses Thema hat auch Herr Lenz vorher angesprochen - unsere Rolle als Zahlmeister in der EG.
Die gemeinsame Fischereipolitik gehört sicher nicht zu den Aktivposten der Gemeinschaft. Auch wenn man sich vor Augen führt, daß der Teufel hier, wie auch anderswo, im Detail steckt, so ist doch zu bedenken, daß - dies wird deutlich, wenn man verfolgt, an welchen vergleichsweise kleinen Punkten die Einigung scheitert - hier oftmals der gute Wille fehlt. Es ist, glaube ich, nicht länger hinzunehmen, wenn eine gemeinsame Fischereipolitik wegen eines geringfügigen Anteils für ein Land an der EGMakrelenfangquote nicht zustande kommt. Andererseits müssen wir aber auch bedenken, daß diese Probleme durch eine Gemeinschaft, die sich in den letzten Jahren teilweise auch positiv entwickelt hat, überhaupt erst entstanden sind. Ohne eine Überwindung der nationalen Grenzen in Nord- und Ostsee und ohne eine Einigung auf eine gemeinsame europäische Fischereizone von 200 Meilen hätten wir gar nicht das Problem, wie eine europäische Zone gemeinsam genutzt werden soll. Dafür hätten wir dann aber andere Probleme, und diese wären sicherlich nicht weniger schwierig.
Von der Bundesrepublik Deutschland ist, wenn wir an die Beiträge denken, immer wieder als dem „Zahlmeister" für die Gemeinschaft die Rede. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß eine verengte Sicht auf die Finanzprobleme ausgesprochen gefährlich ist. Wenn wir nur die 6,5 Milliarden DM sehen, die wir im Jahre 1981 netto zugezahlt haben, werden wir der Rolle der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft nicht gerecht. Es ist aber nahezu unmöglich, diesen Betrag zu dem in Relation zu setzen, was wir an Vorteilen aus der Gemeinschaft haben, zu dem, was wir von dem größeren Binnenmarkt haben, und zu den beschäftigungspolitischen Wirkungen, die aus einem größeren Markt für eine Industrienation entstehen. Deshalb sollten wir uns gerade vor dem Hintergrund und unserer Arbeitsmarktsituation überlegen, ob wir allein auf diese Beträge schauen sollten und ob wir eine Kosten-Nutzen-Analyse der EG-Mitgliedschaft auf die Frage der Nettozahlungen reduzieren sollten.
Die jüngsten Beschlüsse des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments im Bereich der Regional- und Sozialpolitik - man ist bereit, den Haushalt erheblich zu erhöhen - zeigen, daß wir auf dem besten Weg sind, ein Europa zu schaffen, in dem die Nettozahlungen dazu beitragen, die Kluft zwischen arm und reich zu verringern.
Meine Damen und Herren, es wurde hier viel über den Genscher-Colombo-Plan gesprochen. Für viele außerhalb dieses Hauses ist dieser Begriff sicherlich fach-chinesisch, mit dem sie wenig anfangen können und den ich deshalb erläutern möchte. Wer die Rede von Außenminister Genscher im Europäischen Parlament im Oktober dieses Jahres nachliest, darf sich keine allzu großen Hoffnungen für die Europäische Akte machen. Ihr Schicksal ist während der dänischen Präsidentschaft ungewiß geworden. Zu viele Widerstände aus einzelnen Mitgliedsländern haben sich aufgetan. Aber liegt das nicht auch daran, daß hier zuviel auf Beamtenebene verhandelt und nicht auf politischer Ebene entschieden wurde?
Für uns ist die Europäische Akte nach wie vor ein geeigneter Schritt, um die Gemeinschaft auf dem Weg zu einer handlungsfähigen Europäischen Union weiterzubringen. Sie, die Europäische Akte,
soll erstens das politische Ziel der Einigung Europas weithin sichtbar vor unser aller Augen stellen. Sie soll zweitens auch einen Rahmen für die Zusammenarbeit der Institutionen in der Gemeinschaft schaffen. Sie soll drittens die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten weiter harmonisieren. Sie soll schließlich viertens die Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit verbessern. Dies sind die Kernpunkte der Initiative der beiden Außenminister. Wir fordern die Bundesregierung auf, während ihrer Präsidentschaft einen erneuten, energischen Anlauf vorzunehmen, um im Rat zu einem Beschluß über die Akte zu kommen.
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich nach wie vor für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft ein. Die Verhandlungen über die Aufnahme von Spanien und Portugal sollten bald abgeschlossen werden. Wir wissen zwar, daß die Gemeinschaft mit diesem Beitritt vor eine neue Belastungsprobe gestellt wird, aber für uns überwiegen die politischen Vorteile, die sich mit diesem Beitritt ergeben. Wir alle in der EG, aber auch die neuen Beitrittspartner sollten die Zeit bis zum endgültigen Beitritt nutzen, die überfälligen Reformen in der Gemeinschaft anzupacken, um den Erfolg der zweiten Erweiterung zu sichern und die mit ihr verbundenen Lasten in vertretbaren Grenzen zu halten. Der Herr Bundesaußenminister hat darauf aufmerksam gemacht, welche - insbesondere agrarischen - Probleme mit dieser Erweiterung auf uns zukommen. Wir fordern den Europäischen Rat, der Anfang Dezember in Kopenhagen zusammentreffen wird, auf, die politischen Ziele der geplanten Süd-Erweiterung besonders deutlich zu machen, damit nicht anschließend in den Fachministerräten Fortschritte wiederum an Detailfragen scheitern, wie wir das ja oft erleben mußten. Die FDP-Bundestagsfraktion wertet diesen Schritt der Erweiterung als Zeichen der demokratischen Solidarität mit diesen Ländern.
Die mit dem Beitritt Spaniens und Portugals verbundenen Probleme sind auch finanzieller Art. Sie sollten Anlaß sein, über die Finanzierung der Gemeinschaft grundsätzlich nachzudenken, und zwar im Hinblick auf das Ziel, das wir erreichen wollen, nämlich die Europäische Union. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dieses Problem zu Beginn dieses Jahres ausführlich diskutiert und folgendes beschlossen:
Erstens. Die Gemeinschaft muß politische Zuständigkeiten und Handlungsfähigkeiten immer dann erhalten, wenn sie die Probleme wirksamer lösen kann als einzelne Mitgliedstaaten.
Zweitens. Die Verteilung der Zuständigkeiten darf nicht ausschließlich deshalb erfolgen, um den Mitgliedstaaten ein Mitwirkungsrecht zur Wahrung ihrer Interessen zu geben.
Drittens. Die Finanzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat muß dieser Aufgabenteilung entsprechen. Dies bedeutet: Künftig müssen wir zuerst die Aufgaben der Gemeinschaft definieren und dann den finanziellen Bedarf zu ihrer Lösung festlegen. Wir müssen die Gemeinschaft angemessen mit Mitteln ausstatten, die dann nach den
Grundsätzen einer sparsamen Haushaltsführung verwendet werden müssen.
Wenn Aufgaben von den Mitgliedsländern auf die Gemeinschaft übertragen werden, muß sichergestellt werden, daß mit der Finanzierung dieser Aufgaben auf Gemeinschaftsebene die nationalen Haushalte entsprechend entlastet werden. Gerade dieser Aspekt sollte in der öffentlichen Diskussion stärker in den Vordergrund geschoben werden.
Wenn man diesen Grundsätzen zustimmt und die Erweiterung mit berücksichtigt, darf nach unserer Auffassung der Höchstsatz von einem Prozent des Mehrwertsteueraufkommens kein Tabu sein. Den durch den Beschluß vom 29. April 1970 vorgeschriebenen Höchstsatz werten wir als einen Schritt auf dem Weg zu einem Anteil der Gemeinschaft an einem gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystem. Dies heißt nun nicht, daß wir sofort die 1-ProzentGrenze abschaffen wollten, ganz im Gegenteil. Wenn wir davon ausgehen, daß zunächst die Aufgaben der Gemeinschaft gleich bleiben, kommt eine Erhöhung der 1-Prozent-Mehrwertsteuer-Grenze so lange nicht in Betracht, solange nicht eine befriedigende Regelung der Agrarreform erreicht ist.
Ich anerkenne hier ohne weiteres die Anstrengungen, die gemacht wurden, um den Anteil des Agrarhaushalts von 75 % auf 62 % der Gesamtausgaben herunterzudrücken. Wir setzen uns aber dafür ein, die Ausgabensteigerungen im Agrarbereich unter das jährliche Wachstum der EG-Einnahmen zu senken, um Mittel für die dringend notwendigen Aufgaben im Bereich der Infrastruktur-, der Regional-, der Sozial- und Entwicklungspolitik zu haben.
Die FDP-Bundestagsfraktion hält den europäischen Agrarmarkt nach wie vor für einen tragenden Pfeiler des europäischen Integrationsprozesses. Er kann dies aber nur dann in Zukunft weiter sein, wenn die Grundlagen der Finanzierung und eine deutliche Zielsetzung in bezug auf die Erhaltung der flächenbezogenen Landwirtschaft auf der Basis des Familienbetriebes neu erarbeitet oder weiterentwickelt werden.
Wir müssen uns darüber im klaren sein: Die europäische Integration mit allen ihren Vorteilen gerade für uns als exportorientiertes Land kann es nicht zum Nulltarif geben. Die Kritik an den zu hohen Kosten für die Gemeinschaft ist in meinen Augen unberechtigt. Und dies kann an einigen wenigen Zahlen auch erläutert werden. Der Gesamthaushalt der Europäischen Gemeinschaft macht weniger als 1 Prozent des Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft aus. Und der EG-Haushalt entspricht 2,5 Prozent der Summe aller nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten.
Die Wirtschaftskrise, in der wir uns in der Gemeinschaft befinden, hat überall die Versuchung vergrößert, sich auf sich selbst zurückzuziehen und das eigene Heil in nationalen Aktionen zu suchen. Wenn wir den Gemeinsamen Markt insgesamt betrachten, so sehen wir eine Fülle nationaler Subventionen, die schwer oder überhaupt nicht mit Buchstaben und Geist der Römischen Verträge zu vereinbaren sind. Und wir sehen mehr und mehr
nichttarifäre Handelshemmnisse, die den Warenaustausch in der Gemeinschaft ernsthaft behindern. Frankreich, unser Nachbarland, hat - um nur ein Beispiel zu nennen - gerade in jüngster Zeit erhebliche Importbeschränkungen eingeführt, die zu einem ernsthaften Zerwürfnis führen können, wenn die Franzosen in der EG und auch gegenüber anderen Ländern im Rahmen des GATT nicht wieder die Freizügigkeit des Handels über die Grenzen hinweg herstellen. Für die Väter der Römischen Verträge war gerade die Freiheit des Binnenmarktes ein wesentliches politisches Ziel, aber auch die Voraussetzung für alle weiteren Integrationsschritte.
Jeder, der sich für Protektionismus ausspricht oder ihn als kleineres Übel akzeptiert, verkennt die wachstums- und beschäftigungsfördernde Wirkung des internationalen Handels. Die Weltwirtschaft braucht den Druck des internationalen Wettbewerbs, um aktiv den schwierigen Prozeß struktureller Anpassung bewältigen zu können. Nur ein von unnötigen Hemmnissen freier Handel bringt mehr Wachstum, damit mehr Beschäftigung, und schafft den finanziellen Spielraum, um den Entwicklungsländern zu helfen.
Meiner Meinung nach hat die EG-Kommission bisher zu häufig nationale Beihilfen akzeptiert. Die Kommission selbst hat in ihrem 11. Bericht über die EG-Wettbewerbspolitik festgestellt, daß der protektionistische Druck in den Mitgliedsländern zugenommen habe und die öffentliche Hand immer mehr zur Gewährung von Beihilfen tendiere. Dies sollte uns veranlassen, nicht nur nationale Beihilfen in anderen Staaten zu kritisieren, sondern auch in unserem Lande gewährte Subventionen kritisch zu überprüfen. Wir Freien Demokraten fordern deshalb die EG-Kommission auf, ihre Rolle als Hüterin der Römischen Verträge ernst zu nehmen, alle Vertragsverletzungen diesbezüglicher Art zu bekämpfen und sie vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.
Angesichts der beunruhigenden Zunahme der Arbeitslosigkeit sowie der regionalen Unterschiede in den Mitgliedstaaten der EG kommt der Regional-und Sozialpolitik besondere Bedeutung zu. Wir unterstützen daher den Versuch des Europäischen Parlaments, die Regional- und Sozialpolitik der Gemeinschaft weiter auszubauen. Nur so können wir uns dem Ziel der Römischen Verträge, die Lebens-und Beschäftigungsbedingungen der Menschen in der gesamten Gemeinschaft zu verbessern und den Abstand zwischen Armen und Reichen in der Gemeinschaft zu verringern, wirklich nähern. Die Instrumente hierzu, wie Regional- und Sozialfonds, sind stärker mit Mitteln auszustatten. Die Aufteilung der Mittel soll nach Quoten erfolgen, die sich aus den objektiven strukturpolitischen Bedürfnissen der benachteiligten Gebiete ergeben. Die verschiedenen Fonds, die der regionalen Entwicklung dienen, müssen deshalb besser koordiniert werden. Erforderlich hierzu ist eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen und
Regionen in der Gemeinschaft. Dort, wo Kontrolle notwendig ist, ist dies Aufgabe des Parlaments.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem Problem, das mir besonders am Herzen liegt. Es ist der Bereich des Umweltschutzes. Denn Probleme wie der saure Regen machen nicht an nationalen Grenzen halt und zeigen die Notwendigkeit internationaler Umweltschutzabkommen besonders deutlich. Eine umfassende europäische Umweltpolitik muß dafür sorgen, daß die lebenswichtigen ökologischen Kreisläufe in Europa im Gleichgewicht bleiben. Grundprinzipien europäischer Umweltpolitik müssen sein das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und das Kooperationsprinzip. Eine auf diesen Prinzipien beruhende Politik der Europäischen Gemeinschaft, die zugleich Voraussetzung für ein langfristig erfolgreiches Wirtschaften ist, muß zügig verwirklicht werden. Dies bedeutet konkret: Erstens. Eine zielbewußte Vorsorge im Rahmen einer langfristigen Umweltstrategie, die vom Schutz und der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen ausgeht und die darauf angelegt ist, Umweltbelastungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Zweitens. Die Verantwortlichkeit des die Umweltbelastungen und Umweltschäden Verursachenden dafür, daß diese beseitigt und künftig vermieden werden, macht es notwendig, daß dazu Maßnahmen veranlaßt werden und deren Kosten dem Verursacher angelastet werden. Das dritte Prinzip, das Kooperationsprinzip, bedingt die verständnisvolle Zusammenarbeit aller betroffenen Gruppen zur Lösung der Umweltprobleme. Dies kann und muß, wo notwendig, grenzüberschreitend erfolgen.
Neben dem Europarat, der im Bereich des Umweltschutzes wichtige Maßstäbe gesetzt hat, ist insbesondere die Europäische Gemeinschaft dazu aufgerufen, Impulse für eine grenzüberschreitende Umweltpolitik zu geben. Wichtige Umweltrichtlinien konnten bereits verabschiedet werden. Ich erinnere an die Seveso-Richtlinie, an die Richtlinie für Blei in der Luft. Trotzdem ist eine Vielzahl von Umweltfragen auf europäischer Ebene noch nicht gelöst. Die deutsche EG-Präsidentschaft hat daher die große Chance, hier Zeichen zu setzen und deutlich zu machen, daß für die Bundesregierung einer der Schwerpunkte ihrer Politik der Umweltschutz ist. Es gibt eine ganze Reihe von noch nicht verabschiedeten Richtlinien im Bereich der Luftreinhaltung, im Gewässerschutz, für die Lärm- und Abgasverringerung bei Kraftfahrzeugen und für die Umweltverträglichkeitsprüfung. Probleme der Abfallwirtschaft sind noch nicht gelöst. Die Bemühungen der Bundesregierung um schrittweise Senkung der Schadstoffbelastung der Luft können keine nur nationale Maßnahme sein. Der Novellierung der TA Luft muß eine entsprechende Regelung auf EGEbene folgen. Gleiches gilt für den Gewässerschutz. Vorhaben wie das Schwerpunktprogramm Nordsee und die Einberufung einer internationalen Nordseekonferenz sollten jetzt durchgeführt werden.
Wir haben in den letzten Jahren hier im Bundestag immer wieder feststellen müssen, daß eine Reihe unserer Kompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft übergegangen sind. Richtlinien und
Verordnungen werden national wirksames Recht, ohne daß diese Entscheidungen auf EG-Ebene parlamentarisch kontrolliert werden. Die Gemeinschaft schließt heute internationale Handelsverträge, und es gibt kein Parlament, das die Befugnis hätte, die Verträge zu ratifizieren. Die nationalen Parlamente können das nicht mehr, das Europäische Parlament kann es noch nicht. Wir haben die Gesetzgebung der Gemeinschaft dem Ministerrat anvertraut, der hinter verschlossenen Türen und ohne öffentliche Kontrolle solche Entscheidungen trifft. Der Ort für eine solche Kontrolle muß das Europäische Parlament sein. Die Liberalen treten deshalb engagiert dafür ein, diesem Parlament mehr Kompetenzen zu geben, um diese Aufgaben wirksam erfüllen zu können.
({1})
Wir wünschen aber auch eine klare Aufgabenteilung der europäischen Parlamente, nämlich zwischen dem Europarat und dem Europäischen Parlament. Während ich hier die Aufgabe des Europäischen Parlamentes beschrieben habe, sehe ich die Aufgabe der Parlamentarischen Versammlung des Europarates stärker in der Konzentration auf Grundsatzfragen der Politik. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates muß auch den Mut haben, zukunftsorientierte Fragen aufzugreifen und eine europäische Orientierungslinie zu erarbeiten, die für die nationalen Parlamente eine Richtschnur dafür darstellen kann, in welcher Richtung europäische Lösungen gefunden werden können.
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich für eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen dem Bundestag und dem Europäischen Parlament ein. Auf der Ebene der Fraktionen in beiden Parlamenten haben wir diesen Schritt bereits vollzogen, und zwar durch die Einrichtung eines Arbeitskreises Europa, dem auch die deutschen Kollegen der liberalen und demokratischen Fraktion des Europäischen Parlamentes angehören. Der Kommission des Ältestenrats zur Behandlung dieser Frage liegt der Entwurf eines Antrags vor, in dem die Einsetzung einer Europa-Kommission des Bundestages gefordert wird. Ich wünsche mir, daß sich alle drei Bundestagsfraktionen möglichst bald mit diesem Vorschlag befassen, damit es zu einer entsprechenden institutionalisierten Kooperation zwischen diesen beiden Parlamenten kommen kann und europapolitische Entscheidungen stärker als bisher das Interesse dieses Hauses finden.
Ich möchte in dem Zusammenhang auch den Wunsch äußern, daß es zukünftig möglich sein sollte, daß nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten in diesem Hohen Hause das Rederecht erhält - etwa um eine Grußadresse zu verlesen -, sondern daß auch der Präsident des Europäischen Parlamentes, wenn er uns einen Besuch abstattet, in diesem Hohen Hause zu uns reden kann.
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Selbst wenn es den einen oder anderen gibt, der Präsidenten nur danach beurteilt, welche Macht hinter ihm steht, möchte ich doch sagen: Gerade deshalb sollte der Präsident des Europäischen Parlamentes ein analoges Rederecht wie Präsident Reagan in diesem Hause haben; denn damit wird symbolisch deutlich, welchen Stellenwert für uns Europa und das Europäische Parlament hat.
Was vielleicht viele nicht oder nicht mehr für möglich hielten: Im Mai 1982 hat der Ministerrat mit Mehrheit eine Entscheidung über die Agrarpreise und das Argentinien-Embargo getroffen. Wir haben jahrelang die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips im Rat gefordert. Wir wünschen uns, daß auch zukünftig Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat die Regel sind. Nur so kann der Ministerrat die notwendige Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erreichen. Wir fordern die Bundesregierung auf, nachdrücklich und konsequent die grundsätzliche Anwendung des Mehrheitsprinzips auf europäischer Ebene zu fordern.
Die Kürze der Zeit erlaubt es mir nicht, auf die Verfassungsvorstellungen der FDP einzugehen. Wir sind der Ansicht, daß es möglich sein muß, Grund- und Bürgerrechte für die Gemeinschaft zu formulieren. In einer solchen Verfassung muß eindeutig die Abschaffung der Todesstrafe in der Gemeinschaft verankert werden. Darin müßte auch festgelegt werden, daß die Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechtes auf kommunaler Ebene und zum Europäischen Parlament für Bürger der Gemeinschaft im Lande ihres ständigen Wohnsitzes möglich ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt ({0})?
Ich komme zwar zum Schluß, aber gerne.
Herr Vohrer, ich habe nichts gegen den Inhalt der Verfassung einzuwenden, sondern ich frage Sie - nachdem mit der Direktwahl zum Europäischen Parlament nicht automatisch und mit der erwarteten Geschwindigkeit auch die entsprechende Machtübertragung an das Parlament verbunden war -, ob Sie nicht die Besorgnis von Herrn Brandt teilen, daß, wenn man jetzt einen Verfassungsentwurf zur Diskussion stellt, während parallel dazu die realen Probleme - Agrarmarkt, Arbeitslosigkeit - nicht gelöst werden, damit Illusionen geweckt werden, die nachher in noch größerer Frustration enden müssen, und daß das vielleicht auch als Täuschungsmanöver, um von der Nichtbewältigung praktischer Probleme abzulenken, verstanden werden könnte.
Ich gebe zu: Es wäre das Schlechteste, wenn dieser Eindruck entstünde. Wir müssen alles tun - da müssen die drei Fraktionen zusammenstehen -, um die Glaubwürdigkeit der Ankündigungen zu untermauern. Eine Verfassung, die einen Nebenkriegsschauplatz darstellen würde, wird von mir nicht gefordert. Ich glaube, eine parallele Aktivität können wir beide unterstützen. Das müssen wir sicher mit der Ankündigung verbinden, daß die Realisierungschance nicht innerhalb eines Jahres oder innerhalb von zwei Jahren gesehen wird, daß wir aber damit ganz eindeutig die politiDr. Vohrer
sche Forderung verbinden und uns dafür einsetzen, auch bei den Mitgliedstaaten, damit wir mit dieser Forderung nicht alleinstehen.
Ich komme zum Schluß. Der Problemdruck, der auf der Gemeinschaft lastet, steigt ständig. Die internationale Lage erfordert eine entschlossene und gemeinsam handlungsfähige Gemeinschaft im außenpolitischen, aber auch im außenwirtschaftlichen Bereich. 11 Millionen Arbeitslose müssen durch gezielte Maßnahmen gerade auf EG-Ebene abgebaut werden.
Angesichts dieser Situation müßte in Parteien, Parlamenten und bei Regierungen die Einsicht wachsen, daß diese und andere Probleme nicht mehr nationalstaatlich zu lösen sind, sondern nur durch verstärkte Anstrengungen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Die Gemeinschaft muß beweisen, daß sie nicht nur tonnenweise Entschließungen, Richtlinien und Verordnungen produzieren kann, sondern auch praktische Erleichterungen für jeden europäischen Bürger zustande bringt. Der Bürger will den europäischen Paß und den europäischen Führerschein. Er möchte den Abbau von Grenzkontrollen und Grenzformalitäten. Europapolitik muß Politik für den Alltag werden. Europäische Fortschritte müssen für den Bürger erlebbar sein. Herr Lenz, da stimmen wir absolut überein. Es ist unsere Aufgabe, hier die Kluft zwischen Reden und Praxis zu schließen.
({0})
Wir Liberalen in der Bundesrepublik, aber auch in unseren Partnerstaaten, sind zu diesen Schritten bereit. - Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Haase ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Europadebatte findet vor einem Plenum statt, das eigentlich gefüllter sein könnte.
({0})
- Nein, Herr Klein, ich möchte das nicht unbedingt als Kritik gegenüber den Abgeordneten aufgefaßt wissen, sondern möchte das als Aufhänger für eine Bemerkung benutzen, die tiefer greift. Wir haben in einem Jahr 450 Anträge und Richtlinienvorlagen der EG in diesem Hause zu bearbeiten. Wir laufen mit der Bearbeitung und Entscheidung oder Abhakung dieser Richtlinien nur Entscheidungen hinterher, die in Brüssel längst gefaßt sind. Dies führt zur Frustration, die wir nicht nur im Volk, nicht nur bei den Bürgern, erleben, sondern die Frustration findet hier ihren sichtbaren Ausdruck.
Ich meine, da muß in der Tat etwas gemacht werden, da muß etwas verbessert werden. Es kann ja nicht so sein, daß man nur den Ministerialbürokraten in Brüssel oder in Bonn die Entscheidungen über das überläßt, was ziemlich weit führt und in
den Details in der Industrie, im Handwerk, in der Bürgerschaft, in der Landwirtschaft gespürt wird.
Meine Damen und Herren, das ist der Grund, warum in dem gemeinsamen Vorschlag von Sozialdemokraten und Freien Demokraten, der dem Hause vorliegt, zunächst davon ausgegangen wurde, daß es eine Lösung geben soll, indem man einen Unterausschuß bildet. Inzwischen ist der Vorschlag aufgetaucht, eine Kommission zu bilden. Man muß wohl beides prüfen, aber man muß es zügig machen, damit man möglichst zu brauchbaren Ergebnissen kommt.
Nun hat die Bundesrepublik ab 1. Januar dieses Jahres die Präsidentschaft im Rat. Das bedeutet, daß wir uns hier ein paar grundlegende Bemerkungen einfallen lassen müssen, die wir dem Vorsitzenden der Ratsversammlung mit auf den Weg geben. Ich meine - und insoweit stimme ich Herrn Brandt zu und setze eigentlich nur fort, was er hier gesagt hat -,
({1})
entscheidend ist ja gar nicht die Frage der Sonntagsreden und der allgemeinen theoretischen Erörterungen. Entscheidend ist z. B. die Frage: Wie wird es nun werden in bezug auf die Nettozahler und das Verhältnis der Finanzstruktur in der Europäischen Gemeinschaft?
Wenn wir - ich sage das ganz bewußt - eineinhalb Nettozahler haben - Großbritannien ist dabei, dieses Problem für sich zu lösen -, und denen acht andere gegenüberstehen, dann kann es bei allem guten Willen in den übrigen europäischen Mitgliedstaaten auf die Dauer nicht zu Ergebnissen kom-men, wenn dieses Verhältnis so bleibt. Dieses Verhältnis wird stören, weil bei jeder europäischen Maßnahme, etwa im Bereich der landwirtschaftlichen Strukturreform, die Frage eine Rolle spielt: Wie wird sich das im Verhältnis der Zahler und der Empfänger zueinander auswirken? Diese Frage spielt eine Rolle in bezug auf den Budgetausgleich Großbritanniens. Es wird keine endgültige Bereinigung geben, weil dieses Problem alle anderen überlagert. Es wird nicht möglich sein, hinsichtlich der obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben oder der Mitsprache des Europäischen Parlaments in Europa selbst eine Veränderung zustande zu bringen. Sie wird blockiert durch diese Überlagerung, durch die Angst der Finanzminister, von der Position eines Nettoempfängers in die Position eines Nettozahlers zu kommen. Da liegt der Schlüssel. Solange Sie dieses Problem nicht lösen, werden Sie auch die europäische Frage letztlich nicht entscheidend weiterbringen können.
Ich stimme dem Außenminister zu, wenn er sagt, die Fortschritte müßten natürlich meßbar sein. Dann aber bitte auch keine großen Worte, sondern meßbare Fortschritte in kleinen Einheiten, in kleinen Dosen! Die Grenze von 1 % der Mehrwertsteuer kann nicht verändert werden, wenn es keine Fortschritte gibt, auch keine Fortschritte in der europäischen Finanzstruktur.
Das Problem des Protektionismus muß eben ganz konkret gelöst werden, z. B. in dem Punkt Zollamt
Haase ({2})
Poitiers. Wir brauchen keine Worte hier zu verlieren, sondern das muß man dort lösen. Die Frage ist, was bisher in diesem Punkt getan worden ist, der ja erst vor 14 Tagen, drei Wochen in das Bewußtsein der europäischen Öffentlichkeit gerückt ist. Es wäre nötig gewesen, das hier darzulegen.
Japanisches Automobilwerk in Wales mit der ausdrücklichen Maßgabe der britischen Regierung: keine japanischen Autos nach Großbritannien, sondern nur in den Raum der übrigen EG-Länder. Was ist in diesem konkreten Fall passiert? Das könnte hier vorgetragen werden.
Oder Beschränkung der Textileinfuhren in Italien dadurch, daß Ursprungszeugnisse verlangt werden. Was ist geschehen, damit das geändert wird, damit es nicht mehr stattfindet? Wir haben also eine ganze Zahl von konkreten Fällen.
Herr Außenminister, Sie sind Außenminister nicht erst, seitdem der Regierungswechsel hier stattgefunden hat; Sie waren es schon vorher. Das Thema ist für Sie also nicht neu. Daher sage ich: Hierher treten und einen Katalog von schönen Worten und Reihenfolgen aufstellen, ohne aber konkret zu sagen, was in diesen Punkten bisher geleistet worden ist, ist nicht fair. Deshalb mußte ich das hier einmal sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Herr Kollege Haase, wollen Sie mit Ihren Ausführungen etwa die frühere Bundesregierung beschimpfen, weil sie im europäischen Raum nicht genügend geleistet hat?
Diese Frage zielt genau an dem vorbei, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Es gibt eine Reihe von Problemen, die gelöst werden müssen. Und ich habe gesagt: Diese Probleme hätten hier erörtert werden müssen, egal, ob sie schon gelöst worden sind oder ob man jetzt im Begriff ist, sie zu lösen. Aber man sollte nicht mit einer Reihe von Erklärungen und schönen Worten vor das Parlament treten; das führt uns nicht weiter.
Die Probleme, die ich genannt habe, sind in der Tat ganz neuer Natur. Es gab auch andere, ältere Probleme. Nur wäre hier dazu durchaus eine Erfolgsbilanz angebracht gewesen. Dies ist der Punkt, den Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen. Nicht die schönen Worte werden uns also weiterführen, sondern die ganz nüchterne Bilanz, wie die Dinge einzeln erledigt und abgehakt worden sind.
Die Zusammenarbeit im Bereich der Telekommunikation oder der Schaltkreisproduktion oder der neuen Technologien sind alles schöne Wünsche. Aber die Frage ist zunächst: Was geschieht mit Poitiers? Was geschieht in der Frage der Textileinfuhren usw.?
({0})
- Das hat damit jetzt nichts zu tun,
({1})
sondern das hat etwas damit zu tun, daß das Außenministerium oder, besser gesagt, die Gesamtregierung dafür zunächst einmal Maßnahmen vorschlagen muß, wie man so etwas löst. Das wäre hier ein dankbarer Gegenstand der Beratungen gewesen.
Die deutsche Präsidentschaft müßte sicher - da stimmen wir überein - verstärkt darauf drängen, daß die Zusammenarbeit im außenpolitischen Bereich schneller und enger funktioniert. Das würde sich als hilfreich erweisen. Wir wären aber schon froh, wenn wir unter der deutschen Präsidentschaft zu den Mehrheitsbeschlüssen des Rates zurückkehrten, die die Regel sein sollen. Die erfolgreiche europäische Politik wird sich in Zukunft natürlich daran messen lassen müssen, was der Außenminister gemeint hat, als er hier sagte, dies sei das, was in nächster Zeit getan werden müsse, worin wir ihm zustimmen.
Es soll natürlich so sein, daß in Europa in der Zukunft mehr die politische und die kulturelle Wurzel und das Gemeinsame in diesem Bereich besprochen und in Lösungsvorschlägen für den Bürger anfaßbar gemacht werden. Das ist nicht hoch genug zu bewerten; das ist überhaupt keine Frage. Nur gebe ich zu: Wenn Sie nur bis zum 6. März Zeit haben, dann sind das, vom Beginn der deutschen Präsidentschaft am 1. Januar aus gerechnet, nur zwei Monate. Das ist wenig Zeit.
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Es ist immerhin mutig, daß Sie sich für diese zwei Monate all die Ziele vorgenommen haben, die Sie hier aufgeführt haben.
Herr Lenz, ein Wort noch zu der etwas flapsigen Bemerkung - er ist jetzt leider nicht da,
({3})
aber ich will es hier trotzdem sagen -, man höre von Sozialdemokraten über Europa eigentlich nur Negatives. So habe ich ihn jedenfalls verstanden, und so hat er es auch gesagt.
Meine Damen und Herren, ich hätte das, glaube ich, hier gar nicht sagen müssen; aber jetzt muß man es einmal sagen: Die Leistungen deutscher Sozialdemokraten für Europa sind doch wohl gar nicht wegzudiskutieren. Carlo Schmid war einer derjenigen, die dieses Europa mitbegründet und mitgestaltet haben. Es gibt gar keine Frage, daß es führende Sozialdemokraten in dieser Zeit waren, die sich um dieses Europa verdient gemacht haben.
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Die Verdienste von Herrn Brandt, als es darum gegangen ist, Portugal für die EG zu erhalten, als andere Portugal nach der Revolution längst aufgegeben hatten, können doch nicht weggeleugnet werHaase ({5})
den. Das war doch eine echte sozialdemokratische Initiative.
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Die wird doch auch dadurch nicht kleiner, daß Sie hier den Kopf schütteln.
Und Spanien? - Sie müssen nur einmal nach Spanien gehen. Da gibt es doch die Einflußnahme auch der deutschen Sozialdemokraten auf unsere spanischen Freunde. Der EG-Beitritt ist immer noch ein deutlicher Wunsch der Spanier, obwohl es viele Enttäuschungen in Spanien um die Beitrittsverhandlungen gibt.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, was der Bundeskanzler Helmut Schmidt im Rahmen des Europäischen Währungssystems geleistet hat. Wo wäre denn unsere Exportindustrie, wenn es dieses Währungssystem nicht gäbe, das es zu erhalten gilt und das in der Stabilität verstärkt gefördert werden muß?
Wenn Sie das zusammennehmen, war es, meine ich, keine gute Bemerkung, die Herr Lenz gemacht hat, daß wir uns eigentlich nur negativ zu Europa äußern würden. Das Gegenteil ist der Fall. Sozialdemokraten betrachten Europa als eine ganz entscheidende politische Wurzel des Wirkens auch der Deutschen in der Völkergemeinschaft schlechthin. Ich meine, daß dies überall deutlich geworden ist und in Zukunft deutlich werden wird.
Erst, wenn Sie die Erfolge aufweisen können, die Sie noch vor sich haben,
({7})
- bis zum 6. März, ich habe das vorhin gesagt, Herr Klein -, dann können wir noch einmal darüber reden, ob es nun wirklich so war oder nicht. Ich kann hier sagen: Deutsche Sozialdemokraten werden sich in ihrer Aktivität und in ihrem Interesse für Europa
({8})
kaum übertreffen lassen. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich zum eigentlichen Punkt meines Beitrags komme, möchte ich die hier versammelten Geschäftsführer der etablierten Fraktionen dieses Hauses fragen, wie ihnen eigentlich zumute ist bei der ständigen Manipulation der Wortmeldungen von fraktionslosen Mitgliedern dieses Hauses.
Einen Moment, Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht zugestehen, daß Sie hier von Manipulation reden, denn das ist nicht der Fall.
({0})
Ich nehme das Wort „Manipulation" zurück und sage: bei dem ständigen Bemühen untereinander, eine Wortmeldung eines fraktionslosen Abgeordneten an den Schluß der Debatte über einen Tagesordnungspunkt zu drücken,
({0})
in dem Bemühen, daß Fernsehen und Rundfunk möglichst ausgeschaltet sind, damit solche Redebeiträge der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis gebracht werden. Dies ist eine Tatsache, die die Öffentlichkeit auch erfahren sollte.
({1})
- Ja, ja, das muß nur einmal gesagt werden. Manches läßt darauf schließen - wenn Sie meinen, Sie tagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit -, wenn Sie immer von den Menschen draußen im Lande reden und von Ihrer Abkapselungsmentalität. Das ist ja wahr.
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- Darüber können wir auch einmal reden. ({3})
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
In der Tat hat diese heutige Debatte - das paßt sehr gut zu meiner Einleitung
- für viele Menschen, wie Sie so schön sagen, „draußen im Lande" geradezu gespenstischen Charakter, weil es nämlich in der Tat eine beängstigende Kontinuität des Ausklammerns, des Verschleierns und des Aussparens ganzer Sektoren von Argumentationen der Öffentlichkeit hier ständig gibt. Ein Element dieser Kontinuität ist z. B. das Festhalten an der Doktrin der militärischen Abschreckung in der Ost-West-Politik, die in der Bundesrepublik Deutschland von den etablierten Parteien geradezu zu einer Heilslehre erhoben worden ist, wo Ketzerei mit allen möglichen politischen Dissens- und Dissidentenausschlußverfahren bestraft wird.
Aber es wird hier so getan, als gebe es in der Bundesrepublik nicht wachsenden Widerstand von Millionen Menschen gegen das Festhalten an dieser Heilslehre, der Doktrin von der militärischen Abschreckung, als einziger Möglichkeit einer realitätsbezogenen Politik. Es wird so getan, als gebe es in Amerika nicht einen wachsenden Widerstand einer Friedensbewegung bis in den Kongreß hinein mit ernst zu nehmenden Repräsentanten gegen die Politik des Präsidenten der USA.
Es wird so getan, als gebe es von Anfang an etwas, was „NATO-Doppelbeschluß" heißt, zu dem
es keine Alternative gibt, obwohl es inzwischen gewichtige Argumente dagegen gibt. Schon semantisch - ich greife das Wort, das Dr. Mertes soeben gesagt hat, einmal auf - ist dies falsch. Es hat nie einen NATO-Doppelbeschluß gegeben. Dies wird immer wieder unterschlagen. Im Wortlaut ist es schon kein NATO-Doppelbeschluß. Ich darf das noch einmal kurz zitieren. Es heißt im Beschluß über die Stationierung: „Die Minister haben daher beschlossen, das LRTNF-Potential der NATO durch die Dislozierung von amerikanischen bodengestützten Systemen in Europa zu modernisieren." Über den Verhandlungsteil heißt es lediglich: „Die Minister messen der Rüstungskontrolle als Beitrag zu einem stabileren militärischen Kräfteverhältnis zwischen Ost und West und zur Förderung des Entspannungsprozesses eine große Bedeutung bei."
({0})
Schon hier liegt im Wortlaut ein Ungleichgewicht, so daß man gar nicht von Doppelbeschluß reden kann. Es bleibt dabei, daß dieser Beschluß ein Aufrüstungsbeschluß mit einer Verhandlungsfußnote ist.
Dies hat inzwischen nicht nur in den öffentlichen Diskussionen, sondern auch von sehr gewichtigen Repräsentanten Bestätigung gefunden. Der nächste semantische Betrug in der Öffentlichkeit liegt in dem Stichwort „Vorrüstung" und „Nachrüstungs"Beschluß. Wörtlich sagt dazu der Generalinspekteur Brandt am 31. März 1982:
Es geht bei der Nachrüstung nicht darum, die Fähigkeit des Westens zu verbessern, der anderen Seite in einer möglichen globalen Auseinandersetzung einen untragbaren Schaden anzudrohen.
- Das kann man ohnehin, füge ich hinzu, mit dem seegestützten Potential weiterhin.
Es geht auch nicht darum, etwa dem Waffensystem SS 20 entsprechende Waffensysteme des Westens entgegenzusetzen. Es geht vielmehr darum, der Allianz Optionen für politisches Handeln zu erhalten, die sie zur Reaktion auf sowjetische Aktivitäten in dem Bereich zwischen ,nur` politischer Druckausübung durch die Sowjetunion und einer großen militärischen Auseinandersetzung der Blöcke befähigen.
Wo bleibt da die Legende von der Vor- und der Nachrüstung?
Aber es findet auch weiterhin ein Konsens aller hier vertretenen Parteien mit der Bundesregierung statt, die in der Tat - das sage ich an die Adresse der Kollegen der SPD - eine Fortsetzung der gleichen Politik mit den gleichen Mitteln betreibt. Es geht auch darum, dauernd die Absichten der USRegierung zu verschleiern. Auch da muß ich Ihnen wenigstens korrigierend zu dem, was heute hier dauernd nicht gesagt worden ist,
({1})
etwas zur Kenntnis geben. Herr Colin S. Gray - vielleicht lesen Sie das einmal, das wäre sehr interessant - hat erst in diesem Monat im „Air Force Magazin" folgendes geschrieben. - Hoffentlich sagt dabei jetzt einer „Hört! Hört!", denn das wäre etwas Neues -:
Abrüstungsgespräche können sich bestenfalls als irrelevant für die nuklearen Aufstellungspläne herausstellen, schlechtestenfalls als weitere Verstärkung dieser Planungen. Lassen Sie uns die sogenannte „Null-Option" des Präsidenten
- diese setzt der Herr Colin S. Gray selbst in Anführungszeichen für die landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa erörtern! Der NATO-Plan, 108 landgestützte Pershing II und 464 Cruise missiles aufzustellen, hat nichts damit zu tun, einen Ausgleich für die SS 20 zu sein. Die NATO braucht also ihre 572 Startrampen, ob nun die Sowjetunion ihre SS 20 bis auf Null abbaut oder nicht.
Hieraus geht eindeutig hervor, daß stationiert werden soll, ganz gleich, wie die Verhandlungen in Genf laufen. Diese Wahrheit sollte auch von Ihnen einmal deutlich ausgesprochen werden. Sie wissen doch ganz gut, daß Pläne bestehen, die Mittel für die NATO-Infrastruktur von 50 Millionen um ein Zehnfaches zu erhöhen, damit die Stationierungsvorbereitung schneller vor sich geht. Die Stationierung ist im Gange. Sagen Sie endlich dem deutschen Volk auch darüber die Wahrheit, statt hier eine weitere Verschleierungs-, Verdummungs- und Irreführungspolitik zu betreiben. Das gilt für alle Parteien, die in diesem Hause präsent sind wie auch für die Bundesregierung.
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Ich möchte noch ein Element dazu nennen. Das geht das schöne Prinzip an, das Herr Genscher heute als Außenminister proklamiert hat: Wir müssen zukünftig in der Außenpolitik mehr vertrauensbildende Maßnahmen haben; wir müssen Mißtrauen abbauen; j a, was mich sehr interessiert hat, er hat auch von wachsender Transparenz gesprochen. Allerdings meint er dies alles zur Außenpolitik. Da finde ich aber geradezu skandalös,
({3})
daß dem deutschen Volk gegenüber weiterhin eine Politik des Mißtrauens betrieben wird, was natürlich auf der anderen Seite bei den Bundesbürgern wiederum Mißtrauen erzeugt. Das heißt nämlich auch hier Fortsetzung der alten Politik mit dem gleichen Mittel: Geheimhaltungsdiplomatie gegen das eigene Volk.
Es ist ja interessant, daß der Kollege Voigt plötzlich entdeckt hat, man möchte doch bitte heute mit dieser Geheimhaltungsdiplomatie aufhören,
({4})
und zwar genau ein Jahr, nachdem ein Mitglied seiner Partei wegen dieses Vorwurfs an die vorige Regierung von der Partei ausgeschlossen worden ist.
({5})
Ich frage mich: Wie will eigentlich die SPD in der Opposition - der Wahlkampf hat ja schon begonnen - mit der Ablösung von der Regierungspolitik glaubwürdig werden, die sie damals so vehement unterstützt hat?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Das heißt doch: Was man in der Regierung nicht gewollt hat, will man nun in der Opposition nach dreizehn Jahren dem Volk als eine neue glaubwürdige Strategie hinstellen. Das nimmt Ihnen doch keiner ab.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Herr Eppler, mein ehemaliger Parteikollege -
Herr Abgeordneter, würden Sie mir bitte antworten!
Nein!
Herr Eppler, mein ehemaliger Parteikollege, hat j a zu Recht schon vorweg gesagt,
({0})
die SPD werde sich im Herbst gefallenlassen müssen, wenn sie sich dann langsam vom NATO-Doppelbeschluß heruntergehangelt hat - Herr Reddemann, ich habe die Anführungszeichen mitgesprochen -, gefragt zu werden, wie sie denn überhaupt auf die Frage Antwort geben will: Warum wollt ihr jetzt in der Ohnmacht der Opposition etwas ablehnen, wozu ihr in der Regierung die Macht, etwas effektiv zu verändern, gehabt hättet? Vor dieser Frage und Glaubwürdigkeitslücke wird die SPD weiter stehen. Sie wird sich für die Politik der letzten dreizehn Jahre zu verantworten haben.
({1})
Jedenfalls würde es mich sehr freuen, wenn der Herr Kollege Marx jetzt hier vorne hinkäme und seinen Vorschlag an die Regierung wiederholte, der darauf hinausläuft, zu sagen: Machen wir Schluß mit dieser Geheimhaltung, mit dem Mißtrauen gegenüber dem eigenen Volk! Legen wir die Stationierungsorte - z. B. der chemischen Waffen - doch endlich offen,
({2})
weil nämlich diese chemischen Waffen schon im
Frieden eine Gefährdung für Leben und Gesundheit des ganzen Volkes sind. Es entspräche sogar
einem Auftrag des Grundgesetzes, so etwas zu tun, nämlich den Menschen über die Gefährdung der Menschen „in diesem Lande" gefälligst Auskunft zu geben. Nein: Der mögliche militärische Gegner weiß mehr darüber als die Leute, die an diesen Stationierungsorten wohnen. Ich halte das für einen Skandal. Ich halte es auch für heuchlerisch,
({3})
von Transparenz in der Außenpolitik zu sprechen, dieses aber in der Innenpolitik dem eigenen Volk gegenüber zu verweigern.
Glauben Sie ja nicht, daß diese Verdummungs-, Verschleierungs- und Desinformationspolitik sich noch länger machen läßt. Sie werden in den Wahlkämpfen schon von Millionen Bürgern darauf angesprochen werden. Denn immer weniger Leute sind bereit, sich mit dieser Politik abzufinden. Sie wollen klare und deutliche Antworten, was denn nun ist und wie es weitergehen soll, wenn die beschlossene und von niemand mehr bestrittene Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles im Herbst 1983 stattfindet.
Darauf hätte man heute gern eine Antwort gehabt. Die ist jedenfalls ausgeblieben.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kehre zur Europapolitik zurück. Es sind 13 Monate her, seit die CDU/CSU ihren Antrag zur Europapolitik gestellt hat. Es ist schon ein Hinweis für den Stellenwert der Europapolitik, daß es erst jetzt möglich ist, darüber zu debattieren. Um so mehr freuen wir uns, daß die neue Regierung die wenigen Plenartage, die bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr zur Verfügung stehen, darauf verwendet, diese Debatte nun doch noch führen zu können.
({0})
Nachdem der Kollege Brandt hier gesprochen hat, ist es notwendig, ein paar Bemerkungen zu der Bilanz von 13 Jahren SPD-dominierter Politik in den Fragen der Europapolitik zu machen. Wir haben erlebt, daß der damalige Bundeskanzler Brandt im Dezember 1969 nach der Haager Gipfelkonferenz stolz angekündigt hat, ab dem 1. Januar 1970 werde die Integration der Gemeinschaft in die Endphase ihrer Entwicklung gehen. Nach 13 Jahren müssen wir leider feststellen, daß in der Frage der Integration so gut wie keine Fortschritte zu verzeichnen sind.
Auch Institutionen wie die Europäische Politische Zusammenarbeit und der Europäische Rat haben einen schwerwiegenden Geburtsfehler. Sie sind nämlich Gremien der nationalen Begegnung und
wirken damit nicht integrierend; es besteht auch keinerlei Verbindung zum Europäischen Parlament.
Der Bundeskanzler Brandt hat in den Jahren seiner Kanzlerschaft seine Aktivität so einseitig auf die Ostpolitik ausgerichtet, daß offenbar für europäische Initiativen keine Zeit mehr verblieben ist. Vielleicht hat ihn auch die erklärte Feindschaft der Sowjetunion gegen die politische Einigung Europas in dieser Haltung beeinflußt.
Sein Nachfolger, der frühere Bundeskanzler Schmidt, zog ganz sichtbar nationale Konsultationen den integrierten europäischen Gremien vor. Das Europaparlament beehrte er in den acht Jahren seiner Kanzlerschaft nicht ein einziges Mal mit seinem Besuch.
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Es kommt hinzu, daß die SPD nichts unternommen hat, die europafeindlichen Tendenzen bei ihren sozialistischen Schwesterparteien in Europa - in Dänemark, in Großbritannien und in Griechenland - abzufangen. Es ist so weit gekommen, daß man heute, 13 Jahre nach dem Beginn dieser Regierungszeit der SPD, nicht mehr wagt, Vertragsentwürfe vorzulegen, weil man befürchten muß, daß die Parlamente einiger Mitgliedstaaten die Ratifizierung ablehnen würden. Auch darin drückt sich die europafeindliche Haltung einiger sozialistischer Schwesterparteien der SPD aus.
Es wurde auch in Europa durchaus registriert, daß der frühere Bundeskanzler Schmidt keinerlei persönliche Initiativen in Richtung Integrierung Europas unternommen hat.
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Der frühere dänische Ministerpräsident Jörgensen hat bei seinen antiintegrativen Äußerungen zu Europa beim Amtsantritt seiner EG-Präsidentschaft sich am 8. Juli 1982 ausdrücklich auf Helmut Schmidt bezogen.
Der Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober seine europapolitischen Ziele definiert. Er hat als erster deutscher Kanzler sofort nach Amtsübernahme den europäischen Organen in Brüssel seinen Antrittsbesuch abgestattet. Zu Recht stellte Kanzler Kohl in seiner Rede in Brüssel fest - ich zitiere -: „Wenn wir in diesem Jahrzehnt nicht einen entscheidenden Fortschritt in Europa machen, werden wir die Chance unserer Generation versäumt haben." - Er hat dies heute hier an dieser Stelle wiederholt.
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Entwürfe zur Errichtung der politischen Europäischen Union liegen zur Genüge vor. Die Bundesregierung will mit der Genscher/Colombo-Initiative zu einer Europäischen Akte weiterkommen. Bundeskanzler Kohl wird vor allem ab 1. Januar 1983 als Ratsvorsitzender diese Initiative vorantreiben. Die CDU/CSU hat hier im Parlament einen Antrag gestellt, der ebenfalls in Richtung auf die Integration Europas geht. Das Europäische Parlament hat in einer dramatischen Sitzung am 5. und 6. Juli dieses Jahres Leitlinien für eine Europäische Union beschlossen, die noch vor dem Sommer 1984 realisiert werden sollen. Die Europa-Union hat ein Aktionsprogramm für eine Europäische Union erarbeitet und durch ihren Präsidenten Walter Scheel dem Bundeskanzler Helmut Kohl überreicht.
Ich brauche all das, was hier an Entwürfen und Plänen vorhanden ist, nicht im einzelnen vorzustellen. Wichtig ist dabei, daß der Weg zur politischen Union konsequent weiter beschritten werden muß und daß allen Tendenzen zu einer Schrumpfung auf ein Europa bloß nationaler Konsultationen eine Absage erteilt werden muß.
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Ich möchte das hier kurz in fünf Punkten vortragen.
Erstens. Das geeinte Europa - das ist heute schon von verschiedenen Rednern betont worden - muß für den Bürger sichtbar, spürbar und erlebbar werden. Dazu gehört, daß die Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft endlich abgebaut werden. Die Freizügigkeit für die Bürger, die längst verbindlich vereinbart ist, muß in allen Bereichen auch praktisch realisiert werden.
Der Herr Außenminister möge uns bitte dabei unterstützen, den Europapaß, von dem er heute auch gesprochen hat, so schnell wie möglich einzuführen. Es ist dafür notwendig, daß eine Novelle zum deutschen Paßgesetz erarbeitet wird. Ich bin dafür, das jetzt zu tun, auch wenn wir dieses Gesetz erst in der nächsten Legislaturperiode verabschieden können.
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In diesen und anderen praktischen Fragen finden die Bürokraten der nationalen Verwaltungen hundert Wenn und Aber, um bürgerwirksame sichtbare und spürbare Maßnahmen für ein geeintes Europa zu verzögern. In 32 Referaten sind 200 Beamte und Angestellte in der Bundesverwaltung mit europäischen Fragen befaßt. Sie müssen verpflichtet werden, alle ihre Energien für Europa und nicht für nationale Vorbehalte einzusetzen.
Zweitens. Die Arbeitslosigkeit in Europa kann nicht nur national, sondern sie muß auf europäischer Ebene bekämpft werden.
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Der Trend zur wirtschaftlichen Desintegration muß umgekehrt werden. Nur ein intakter und dynamischer europäischer Binnenmarkt kann zu einer Wirtschaftsbelebung führen. Hier wäre das jüngste französische Memorandum aufzugreifen, das in seiner Ziffer 8 ausdrücklich fordert, daß endlich die rechtlichen, technischen und steuerlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt geschaffen werden. Dazu gehört auch - das ist heute ebenfalls schon wiederholt betont worden - der Ausbau der europäischen Regionalpolitik, um die Gegensätze zwischen armen und wohlhabenden Regionen innerhalb Europas abzubauen. Mit Entschiedenheit müssen eine
gemeinsame europäische Energiepolitik, eine Umweltpolitik, eine gemeinsame Forschungspolitik und eine Verkehrspolitik vorangetrieben werden.
Drittens. Die schmerzlichste Lücke ist wohl - gerade angesichts der wachsenden Krise auch in Osteuropa - das Fehlen einer europäischen Sicherheitspolitik. Man muß sich nur einmal einen Augenblick lang vorstellen, in welcher Situation Europa heute wäre, wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 hätte verwirklicht werden können. Es wäre in der Tat ein Kernstück der europäischen Einigung gewesen. Aber auch hier war es so, daß die deutschen Sozialdemokraten über zwei Jahre lang diesem Entwurf Widerstand entgegengesetzt haben,
({7})
bis schließlich 1954 die französische Nationalversammlung, ebenfalls sozialistisch dominiert, eine Mehrheit für die Ablehnung gefunden hat. Konrad Adenauer hat in seiner letzten Fernsehsendung vor seinem Tode in einem Interview auf die Frage des Journalisten, was für ihn die dunkelste Stunde seiner politischen Arbeit gewesen sei, ohne Zögern erklärt, das sei jene Nacht gewesen, in der die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Frankreich abgelehnt worden sei.
Nun hören wir, daß im Rahmen der Intensivierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit die Sicherheitspolitik ein neues Schwergewicht erhalten kann. Es ist sicher richtig, daß man bei der Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen bei der Planung beginnen muß; sonst ist es nicht möglich, etwa einen gemeinsamen Panzer oder ein gemeinsames Flugzeug zu bauen.
Ich gebe allerdings zu überlegen, ob diese künftige deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Sicherheitssektor nicht für andere europäische Länder, die der NATO angehören, geöffnet werden soll, damit es möglich wird, aus dieser deutsch-französischen Zusammenarbeit eine erweiterte europäische Zusammenarbeit auf dem Sicherheitssektor zu machen; der Herr Bundesaußenminister hat diesen Punkt heute ja schon angesprochen. Ich möchte hoffen, daß die Bundesregierung mit diesem Weg zu einem europäischen Sicherheitsrat Erfolg haben wird.
Viertens. Die neue Bundesregierung sollte mit der Übernahme des Ratsvorsitzes dafür sorgen, daß Rat und Kommission der Europäischen Gemeinschaft wieder Impulse geben. Die Kommission muß ermutigt werden, wirksame Vorschläge zum weiteren Ausbau und zur Vollendung der Europäischen Gemeinschaft zu machen. Es ist doch absurd, wenn das Europäische Parlament die Kommission verklagen muß, weil sie untätig geblieben ist. Das ist z. B. auf dem Verkehrssektor geschehen.
Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft bedarf ebenfalls eines Impulses. Die Reformvorschläge zur Agrarpolitik liegen auf dem Tisch. Auch über die Finanzausstattung der Europäischen Gemeinschaft wird zu beschließen sein.
Hier hat - das ist in der Debatte ja auch schon angesprochen worden - der frühere Bundeskanzler Schmidt mit seinem Schlagwort vom Zahlmeister Europas eine unheilvolle Rolle gespielt. Ich habe allerdings nie gehört, daß ein Mitglied der SPD-Regierung dieses Klagelied auch bei der Finanzierung der Ostpolitik angestimmt hätte.
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Fünfter Punkt: Das Europäische Parlament muß gestärkt werden. Am 5. Juni 1979 hat der damalige Bundeskanzler Schmidt im ZDF folgendes erklärt - ich zitiere wörtlich -:
Wir setzen uns nicht dafür ein, daß das Europäische Parlament nun durch Vertragsänderungen zusätzliche Kompetenzen übertragen erhält.
Da haben Sie einen Hinweis auf das, was vorhin an der Haltung des früheren Bundeskanzlers kritisiert worden ist.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat dagegen demonstriert, daß er die Stellung des Europäischen Parlaments stärken will, sei es durch Regierungsvereinbarungen wie die Europäische Akte, sei es auch durch Vertragserweiterungen, wie es die Leitlinien des Europäischen Parlaments für eine Europäische Union vorsehen. Das Europäische Parlament ist das einzige Organ der Gemeinschaft, das öffentlich tagt, das die Probleme und Bemühungen um die Einigung Europas für den Bürger sichtbar und durchschaubar macht. Es ist auch der einzige Ansprechpartner für den europäischen Bürger - und das nicht nur im Kampf um das Reinheitsgebot beim Bier.
Schließlich ist das Europäische Parlament die einzige demokratische Kontrollinstanz der Gemeinschaft. Es sollte keinem Demokraten genügen, daß europäische Exekutivorgane Rechtsnormen ohne ein Parlament setzen können. Ich bin sicher, daß Bundeskanzler Kohl und seine Bundesregierung jede Möglichkeit ausschöpfen werden, um das Europäische Parlament mit weiteren Mitwirkungsrechten zu versehen. Bundeskanzler Kohl wird als Ratspräsident im Europäischen Parlament Rede und Antwort stehen, so wie das in der Zeit vorher von Margaret Thatcher und Tindemans mit Erfolg praktiziert worden ist.
Es wäre schließlich auch wünschenswert, wenn es der Bundesregierung gelänge, das Parlament in den Dialog mit den neugebildeten Gremien, also dem Europäischen Rat und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, miteinzubeziehen. Dies wäre ein wirksamer Schritt in Richtung auf eine Europäische Union vom Faktischen her. Das Europäische Parlament hat sich als die konsequenteste dynamische Kraft zur weiteren Einigung Europas erwiesen. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung Kohl/Genscher das Europäische Parlament in der Zukunft tatkräftig unterstützen wird.
Es gibt auf dem europäischen Sektor in den kommenden Monaten eine Menge zu tun, auch wenn im März gewählt und das Parlament vielleicht sogar noch in diesem Jahr aufgelöst wird.
Die Fraktion der CDU/CSU wird die Bundesregierung bei allen Schritten unterstützen, die die Integration und die politische Einigung Europas weiterführen. Hier allerdings knüpfen wir an die Tradition der CDU/CSU aus den vergangenen Jahren ganz bewußt an.
Der Entschließungsantrag unserer Fraktion führt eine große europäische Tradition in christlich-demokratischem und christlich-sozialem Sinn fort. Wir fühlen uns einem Wort Konrad Adenauers verpflichtet, das sich in seinen „Erinnerungen" findet. Ich darf wörtlich zitieren:
Die CDU
- das gleiche gilt natürlich auch für die CSU tritt seit ihrem Bestehen aus tiefer Überzeugung für eine europäische Föderation ein. Wir sahen und sehen in ihrer Schaffung die alleinige Möglichkeit, den Bestand, die Tradition und den Einfluß Europas zu retten.
Konrad Adenauer hat am 19. Januar 1956 an alle seine Bundesminister eine Weisung dafür gegeben, wie sie in ihrem Verantwortungsbereich die Integration Europas voranzubringen hätten. Ich empfehle dem gegenwärtigen Bundeskanzler, diese Weisung aus dem Jahre 1956 wieder einmal nachzulesen. - Danke schön.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bitte erlauben Sie, daß ich in dieser in moderatem Kammerton geführten Debatte noch einen moderaten Part hinzufüge und nach den „Europäern", Herr Kollege Althammer, doch noch einmal auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen zurückkomme; denn ich habe nach der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, nach seiner, wie von allen Seiten bestätigt wurde, sehr erfolgreichen ersten USA-Reise und den anderen ersten Besuchen, die er in Europa absolviert hat, das Gefühl, daß der Start - wenn man so will - in die außenpolitische Kontinuität sehr gut gelungen ist.
({0})
Aber es beschäftigt mich sehr oft, meine Damen und Herren - bitte erlauben Sie mir, das aus meiner jahrelangen früheren Tätigkeit hier auch einmal vorzutragen -, was wir eigentlich aus solchen Debatten am guten Ende in die Öffentlichkeit hinaustransportieren wollen;
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denn es sollte am Ende einer solchen Debatte dieses Parlaments ein bißchen mehr an außenpolitischem Bewußtsein in unserer Bevölkerung vorhanden sein als am Anfang. Und da muß es möglich sein, festzustellen - und das möchte ich am Anfang meiner Rede schnell tun -, daß hier sehr viel Gemeinsames deutlich geworden ist. Andererseits sind Probleme andiskutiert, aber nicht so ausgeleuchtet worden, wie das unsere Bürger draußen erwarten.
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind nicht ganz so problemlos, wie es in der Regierungserklärung dargestellt wurde, aber sie sind auch nicht ganz so problembeladen, wie uns das hier von seiten der Opposition heute vorgetragen wurde. Und ich möchte hinzufügen: Ganz gewiß sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen außerordentlich pflegebedürftig. Sie sind es nicht nur an den Spitzen der Regierungen - dazu möchte ich nachher noch etwas sagen -, sondern sie sind auch gefährdet, zumindest partiell nicht dicht genug, unterhalb der Regierungsebene. Darüber haben wir, Kollegen aller Fraktionen, uns wiederholt in großer Übereinstimmung unterhalten. Ich möchte vor der Illusion warnen, daß wir, weil sich der neue Bundeskanzler und der neue Präsident nun so gut verstehen, die Beziehungen unterhalb der Regierungsebene womöglich zu den Akten legen und sagen könnten: die Hauptsache sind die da oben! während wir ansonsten alles wieder sich selbst überlassen könnten.
({2})
Liebe Kollegen, was ist uns denn gemeinsam wichtig? Das kam hier heraus. Ich fasse es noch einmal in den Schwerpunkten zusammen: die transatlantischen Beziehungen, das Bündnis, die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten, die Sicherheit für Berlin, die Zukunft einer friedlichen Entwicklung in Europa. All dies ist ohne vertrauensvolle, ohne tiefgehende deutsch-amerikanische Beziehungen gar nicht möglich. Das Bündnis muß hier mehr sein als ein Zweckbündnis, mehr als eine gemeinsame militärische Veranstaltung. Das ist eine Gemeinschaft von Demokratien mit gleichen Grundüberzeugungen, mit gleichen Werten. Ich glaube, das sollten wir doch aus dieser Debatte mit nach Hause nehmen.
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Ich fand den Fehdehandschuh des Bundeskanzlers, als er in der ersten Regierungserklärung sagte, daß er dazu ausersehen sei, die deutsch-amerikanischen Beziehungen aus dem Zwielicht zu befreien, ein bißchen überflüssig. Dieser Fehdehandschuh hat mich auch persönlich sozusagen noch gestreift. Darum wollte ich das heute ansprechen, damit es dann aus der Welt ist.
Ich glaube, Herr Kollege Mertes, die sozialliberale Koalition hat genauso wie die jetzige das Problemfeld der Pflege und Intensivierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, die Überwindung der Defizite, sehr rechtzeitig erkannt. Ich habe mir bei der Vorbereitung dieser Debatte die beiden Kommuniqués der Besuche des damaligen Bundeskanzlers im Januar dieses Jahres und des Bundeskanzlers jetzt noch einmal angesehen. Der eben angesprochene Bereich hat im Kommuniqué des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt eine viel größere Rolle gespielt als im jetzigen. Ich möchte mir jetzt nicht vorwerfen lassen, daß wir nicht alles getan haben, um rechtzeitig dem entgegenzuwirFrau Dr. Hamm-Brücher
ken, was unter Umständen an Schwierigkeiten und Belastungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis auftauchen könnte.
Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Jetzt darf mein Nachfolger gerne seine Frage stellen.
Verehrte Frau Kollegin, trifft es nicht zu, daß das Problem in folgendem bestand: Wenn der Bundeskanzler Helmut Schmidt und der Außenminister Genscher in Washington ihre Position in Fragen der Sicherheit und Abrüstung - die von uns, der damaligen Opposition, mitgetragen wurde -, vertraten, war weder der amerikanischen Regierung noch dem Bundeskanzler klar, ob diese seine Politik auch von seiner eigenen, der damaligen Regierungspartei SPD mitgetragen wurde. Ist jetzt nicht eine Situation eingetreten, in der der Deutsche Bundeskanzler und der deutsche Außenminister sagen können: Wir werden von beiden Parteien, jedenfalls von der CDU/CSU, voll mitgetragen? Sind nicht diese Ungewißheiten und Unklarheiten durch den Regierungswechsel beseitigt?
({0})
Herr Kollege Mertes, ich kann Ihnen leider nicht zustimmen; denn ich kann mich noch erinnern, daß im vorigen Sommer, als hier neuerlich der NATO-Doppelbeschluß zur Abstimmung stand, die ganze SPD-Fraktion, ausgenommen ein paar Enthaltungen, diesen neuerlich bekräftigt hat. Es konnte also gar kein Zweifel aufkommen, daß von der damaligen Regierungspartei SPD auch dieser Teil, der wichtige Teil der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit bestätigt worden ist.
({0})
Es ist mir gelegentlich gespenstisch, daß wir hier alle so einig sind. Alle demokratischen Parteien haben an der Bündnistreue nie einen Zweifel gelassen. Aber wir müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, daß außerhalb der Parteien,
({1})
außerhalb der Parlamente ein zunehmendes Potential an sehr kritischer Haltung - ich will es gar nicht pauschal Antiamerikanismus nennen - gegenüber diesem Bündnis, seinen Anforderungen, seinen Gefährdungen usw. besteht. Das sollten wir hier im Parlament mehr debattieren, meine Damen und Herren.
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Denn uns immer wieder nur zu bestätigen, daß wir einig sind, genügt nicht. Dieser Bazillus greift um sich. Ich arbeite sehr viel in kirchlichen Kreisen. Es beunruhigt mich in der Tat, wie sehr sich mittlerweile alle Parteien von diesen Strömungen abgekoppelt haben. Das müssen wir rückgängig machen; denn sonst kriegen wir in der Tat Schwierigkeiten,
wenn der zweite Teil des Nachrüstungsbeschlusses tatsächlich realisiert werden sollte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte schön.
Frau Kollegin, wie erklären Sie sich denn die Tatsache, daß der frühere Bundeskanzler Schmidt, als er sich nicht mehr bereit erklärte, seiner Partei als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen, ausdrücklich betonte, daß für seinen Verzicht die internen Auseinandersetzungen mit seiner Partei über Fragen der Sicherheit und der Abrüstung ein wesentlicher Grund seien?
({0})
Herr Kollege Mertes, das war wohl einer von vielen Gründen. Wir wollen alle Gründe respektieren und heute nicht noch einmal nachbohren.
Gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt ({0})?
Es soll Gerechtigkeit herrschen. Bitte schön.
Frau Kollegin, Sie wissen sicherlich, daß ich die FDP anders als der Bundesaußenminister Genscher und wohl auch anders als Sie beurteile. Aber in einem Punkt sind wir doch wohl einer Meinung - und das ist meine Frage an Sie -: daß die Diskussion, die über dieses Thema sowohl in der FDP als auch in der SPD stattgefunden hat und weiter stattfindet, Ausdruck der Tatsache ist, daß wir Bevölkerungsängste, ernsthafte Besorgnisse der Bürger aufgreifen, das aber nie im Widerspruch zur Handlungsfähigkeit der Regierung gestanden hat, es vielmehr viel besorgniserregender wäre, wenn wir in den Parteien über diese Frage nicht kontrovers diskutieren würden.
({0})
Ich glaube, wir alle werden uns darum bemühen müssen, gegenüber diesen neuen, außerhalb der sogenannten etablierten Parteien stattfindenden Diskussionen offen zu sein. Wir müssen uns alle als offen erweisen, wo auch immer wir tätig sind; denn sonst geht die Entwicklung an uns vorbei. Das wäre für unsere parlamentarische Demokratie ein bleibender, ein dauerhafter Schaden.
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Damit möchte ich, Herr Kollege Voigt, zu meinem Thema zurückkommen. Es ist doch nicht so, daß nur deshalb, weil jetzt eine neue Koalition geschaffen wurde, in der - sagen wir einmal - die Zweifel oder die Diskussionen nicht oder noch nicht so deutlich sind, wie es bei der alten Koalition der Fall
war, die Probleme in den deutsch-amerikanischen Beziehungen aus der Welt, sozusagen weggezaubert sind. Ein Beweis dafür sind doch die Diskussionen, die Sie, Herr Kollege Mertes, am letzten Wochenende auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung bravourös bestritten haben.
Die Regierung hat gewechselt, aber die Probleme im deutsch-amerikanischen Verhältnis, die dort diskutiert worden sind, sind exakt dieselben, und die Positionen sind beinahe auch dieselben. Wenn Sie mit dem Kopf schütteln, lese ich Ihnen noch einmal etwas aus der uns weiß Gott nicht besonders nahestehenden „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor. Da steht nach einem langen, sehr differenzierten Bericht:
Die Perspektive, die sich auf dieser Tagung bot, enthüllte Übereinstimmung in vielen Fragen, aber auch Schwierigkeiten und Unterschiede, die mit gutem Willen nicht bereinigt werden können,
- also nicht nur mit gutem Willen - aber ganz gewiß auch nicht ohne ihn.
Ich bitte Sie daher nur, Herr Kollege, etwas vorsichtig zu sein mit der Darstellung in der Öffentlichkeit: Wir müssen nur kommen, dann gibt es keine Probleme mehr.
({1})
- Aber es klingt doch so.
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- Ich höre ganz genau zu.
Ich empfehle Ihnen, noch einmal die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen zwischen 1918 und der Mitte der 70er Jahre nachzulesen. Das ist wirklich interessant. Es hat immer Phasen gegeben, in denen die Schwierigkeiten größer waren, und es hat immer Phasen gegeben, in denen es besonders gut gegangen ist. Es war keineswegs so, daß es unter CDU/CSU-Regierungen immer nur Honeymoon und unter SPD-Regierungen immer nur bitteren Reis gab. Nein, es war zeitweise genau umgekehrt. Das möchte ich nur deutlich machen.
Worauf es ankommt, Herr Kollege Mertes - entschuldigen Sie, daß ich mich durch Ihr intensives Zuhören immer ablenken lasse -,
({3})
ist doch das Fundament des Vertrauens, der gemeinsamen Pflege der politischen Kultur zwischen Europa und der Bundesrepublik einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits. Wenn dieses Fundament stimmt und fest ist, dann kann es sozusagen in den oberen Etagen ruhig einmal ein bißchen klirren. Um dieses Fundament habe ich mich ja als Koordinator bemüht.
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- Das weiß ich ja, Herr Kollege Mertes. Sie haben mich auch besonders freundlich angeschaut, wie Sie vorhin gesagt haben.
Aber ich muß Ihnen sagen: In diesem Fundament gibt es eben Schwachstellen. Diese Schwachstellen will ich in ein paar Punkten ganz kurz aufzeigen, weil uns eine vertiefte Diskussion um diese Probleme irgendwann einmal bevorsteht. Ich hoffe, daß das bald geschieht; denn wenn wir nicht bald etwas tun, werden diese Defizite größer werden.
Es ist eine ausgesprochene Schwachstelle unterhalb der Regierungsebene, daß sich die Administrationen zuwenig kennen. Die amerikanischen Administrationen kommen heute aus Teilen der Vereinigten Staaten, zu denen wir keine traditionellen und regelmäßigen Beziehungen haben. Die jüngeren Parlamentarier kennen sich viel zuwenig. Ich habe neulich eine Veranstaltung finanziell und ideell unterstützt, auf der zum erstenmal Länderabgeordnete und State Legislatures zusammen waren. Das war eine Offenbarung, meine Damen und Herren, weil sich nämlich herausgestellt hat: Das sind ja die Spitzenpolitiker von morgen, und die haben diese Erfahrungen nicht, die wir in den 50er und 60er Jahren gesammelt haben. Wir haben uns damals gegenseitig kennengelernt.
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Wenn wir nicht die Infrastruktur auf diesen Ebenen wieder stärken, kann es eines Tages bei einer Belastung wirklich zu dauerhaften Verstimmungen, Enttäuschungen und Schwierigkeiten kommen.
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Zur Sprache und zum Kulturinteresse in den Vereinigten Staaten: Meine Damen und Herren, mit einem Goethe-Institut mit drei entsandten Leuten, das ein Gebiet abdecken soll, welches fünfmal so groß ist wie die Bundesrepublik, können Sie keine Kontakte pflegen und Kultur-, Sprach- und Kunstinformation vermitteln. Wir haben in den USA weniger Goethe-Institute als in Brasilien. Wenn wir hier nicht bald etwas tun, dürfen wir uns nicht wundern, daß das Bild der Amerikaner über die aktuelle Bundesrepublik nicht up to date ist.
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Der Nachwuchsmangel bei den Deutschlandexperten in den USA ist alarmierend. Lassen Sie sich einmal die Zahl der Doktorarbeiten für Postgraduierte für „german expertise" geben. Das ist von zweistelligen Zahlen heruntergegangen bis unter zehn. Das muß uns doch alarmieren, wenn uns die Kontinuität der deutsch-amerikanischen Beziehungen am Herzen liegt.
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- Ich komme ja gleich darauf.
Schauen Sie sich einmal die Klischees, die einseitigen Verkürzungen in den Schulbüchern an! Ich bin froh, daß während meiner Tätigkeit wenigstens im Prinzip Schulbuchvereinbarungen unterzeichnet
wurden. Aber sie müssen umgesetzt werden, und zwar rasch; denn das Deutschlandbild der jungen Amerikaner hört praktisch bei Holocaust auf. Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung.
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- Herr Kollege Reddemann, darauf komme ich. Die gleichen Klischees, die gleichen Vorurteile und die gleiche Ignoranz sind natürlich bei uns auch vorhanden. Ich habe darüber zweimal mit den Kultusministern gesprochen. Beziehungen sind ja immer etwas Wechselseitiges. Darum war es ja so wichtig, daß sich zwei engagierte Atlantiker um diese Koordination, um den Austausch und die Überwindung der Defizite so außerordentlich bemüht haben.
Ich möchte schnell noch folgendes sagen. Ein Koordinator hat sowohl eine außenpolitische als auch eine eminent innenpolitische Aufgabe:
Wir müssen die heranwachsenden Multiplikatoren in allen Bereichen der Wirtschaft, des Handwerks, der Erziehung, der Wissenschaft rechtzeitig zusammenbringen, junge Amerikaner und Deutsche. Wir müssen langfristige Programme anlegen. Wir müssen den Austauschtourismus allerdings in Grenzen halten. Es ist nämlich immer eine Versuchung, daß möglichst viele möglichst auf Staatsgelder hin- und herfahren können. Wir müssen die Parlamentarierprogramme intensivieren.
Und innenpolitisch, meine Damen und Herren: Der Ausbau der Beziehungen der deutschen Bürger zu den hier ansässigen Amerikanern und ihren Familien ist eine der wichtigsten Aufgaben bei der Verbesserung, der Stärkung und Intensivierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Für alle diese Dinge brauchen wir auch ein bißchen Geld. Es liegt ein schlüssiges Programm vor, ein realisierbares Programm. Bei gutem Willen müßte man es umsetzen können, man müßte es finanzieren können. Leider ist das über die Kabinettsentscheidungen zum Haushalt nicht gelungen, und ich bin dem Haushaltsausschuß heute schon dankbar, daß er wenigstens für die bevorstehende Dreihundertjahrfeier der deutscher Einwanderung in die USA noch 2 Millionen DM genehmigt hat, damit wir uns vor den Amerikanern nicht blamieren, weil es uns nicht möglich wäre, die notwendige Reziprozität herzustellen.
Frau Kollegin, wollen Sie bitte zum Ende kommen.
Jawohl, Frau Präsident, das tue ich.
Kurze Rede, tieferer Sinn, meine Damen und Herren: Ich möchte dafür plädieren, daß wir die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Weise auf Dauer belastbar machen und in die nächste Generation hineintragen, daß wir uns nicht damit begnügen, daß sich die Minister und die Präsidenten gut verstehen, sondern zu erreichen versuchen, daß das Fundament des Vertrauens bis tief in unsere
Bevölkerung geht. Dazu gehören Anstrengungen. Dazu gehört ein großes Engagement und auch die Bereitschaft, mal Strömungen zu ertragen, wie es sie heute in unserem Lande gibt, und durch solche Möglichkeiten der Begegnung auch zu überwinden. Hier liegen viel gemeinsame Anstrengung und Mühe vor uns. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt zur Europapolitik zurückkehren.
Die Verträge von Rom, die Grundlage der Europäischen Gemeinschaft - sie tragen die Unterschrift Konrad Adenauers -, wären damals nicht Wirklichkeit geworden, wäre die Landwirtschaft nicht voll in die Politik der Gemeinschaft einbezogen worden. Natürlich ist es für die Landwirtschaft der EG politisch auch nachteilig, daß es daneben nicht die Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb des europäischen Bereichs gibt. Die Landwirtschaft ist also die grüne Klammer Europas geworden. Lassen Sie mich diese Bemerkung vorwegstellen, wenn ich hier einige Anmerkungen zur europäischen Agrarpolitik mache. Denn Nichtkenner, die sich über diese Politik äußern, sprechen über Butterberge, Milchseen, Weinmeere usw. usw.
Wie sehen nun die Grundelemente der europäischen Agrarpolitik aus, die wir erhalten wollen?
Erstens: Präferenz der einheimischen Erzeuger gegenüber Drittländern. Ich glaube, dies ist eine ganz normale Sache.
Zweitens: Einheitliche Wettbewerbsbedingungen für die Landwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten. Hier stellt sich eine große und ständige Aufgabe und Herausforderung für die Bundesregierung, über den Ministerrat tätig zu werden. Dies kostet oft kein Geld. Vielmehr werden durch nationales Unterlaufen in Europa Milliardenbeträge bewegt, und für die Länder, die sich hier gemeinschaftsbewußt zurückhalten, gehen Marktanteile zu Lasten ihrer Bauern zurück. Oft, ja zu oft waren in der Vergangenheit die deutschen Bauern die Leidtragenden. Das gilt nicht nur für die nationalen Subventionen, das gilt genauso für die Richtlinien im Bereich von Verordnungen und Erlassen für den Einsatz oder Nichteinsatz z. B. von Mitteln des Pflanzenschutzes, der Tierbehandlung, des Natur-und des Umweltschutzes. Gemeinsam läßt sich hier, da wettbewerbsgleich, viel machen. Einzelnes, nationales Vorpreschen oder Unterlassen schadet der jeweiligen Landwirtschaft und verunsichert und gefährdet die Verbraucher.
Drittens. Seit Begründung war es das Ziel der europäischen Agrarpolitik, die Einkommensentwicklung der Landwirtschaft zu steigern und damit auch die ländlichen Räume zu stärken. Durch die unterschiedlichen Kosten der landwirtschaftlichen Betriebsmittel in den einzelnen EG-Ländern und die sonstigen wirtschaftlichen und strukturpolitischen Bedingungen in diesen Ländern stellt sich
natürlich die europäische Landwirtschaft recht unterschiedlich dar. Die Problematik der landwirtschaftlichen Betriebe in den südlichen Regionen ist langfristig nicht durch agrarische Programme, sondern nur durch die Stärkung der wirtschaftlichen Struktur dort zu erreichen. Ob dies allerdings langfristig durch Beibehaltung der 1-%-Grenze bei der Zahlung aus der Mehrwertsteuer an die EG-Kasse möglich ist, möchte ich persönlich mit einem großen Fragezeichen versehen. Allein die jetzige Größenordnung des Agrarfonds gibt nicht die Möglichkeit, dies zu erreichen.
Als viertes und fünftes Grundelement der europäischen Agrarpolitik sehen wir die ausgeglichene Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen und die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung auch für Krisenfälle an. Es mag, meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ein wenig hochgezogen klingen, was ich jetzt sagen möchte. Wer aber wie ich Gelegenheit hatte, Lastwagen des Malteserhilfsdienstes mit Nahrungsmittelpaketen nach Polen zu begleiten, konnte einmal wieder lernen, was es bedeutet, die Nahrungsmittelversorgung im Bereich der Europäischen Gemeinschaft garantiert und gesichert zu haben.
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Dabei betragen die Kosten der europäischen Agrarpolitik rund 3 % der Lebensmittelausgaben aller Europäer. Hierbei muß auch vermerkt werden, daß die Europäische Gemeinschaft mit 270 Millionen Einwohnern der größte Nettoimporteur für Agrargüter der Welt ist; allein im Jahre 1980 handelte es sich um 32 Milliarden DM.
Wir wollen die Überschüsse einzelner Bereiche gar nicht verschweigen. Allerdings sind Nahrungsmittelhilfen in Krisengebiete und Entwicklungsländer nur durch Überschüsse möglich. Im Milchbereich z. B. leistet der Erzeuger durch die Mitverantwortungsabgabe, eine Quasi-Steuer, seinen Anteil, um Kosten zu senken. Sonstige Mengenbegrenzungen werden diskutiert. Direkte Einkommensübertragungen, wie sie auch in dem vom Herrn Kollegen Brandt vorgetragenen neuen Agrarprogramm der SPD enthalten sind - Einkommensübertragungen aus der Staatskasse, von der wir wissen, daß sie quasi leer ist -, werden die Mengenprobleme überhaupt nicht lösen können.
Eine Bitte an die Bundesregierung: Sprechen und schreiben Sie nicht davon, daß die EG-Agrarpolitik 70 % des Gesamthaushalts verschlinge. Diese Zahl ist falsch, weil in ihr Ausgaben aufgeführt werden, die mit der Agrarpolitik originär nichts zu tun haben. Ich nenne: Lomé-Abkommen, Neuseeland-Butter, Hungerhilfe, Währungspolitik. So bleiben rund 50 % übrig, was ich mit dem Hinweis verbinden möchte, daß es in den wichtigsten anderen Gebieten der EG überhaupt keine gemeinsame Politik gibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wenden uns dagegen, die Probleme der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts zum Anlaß zu nehmen, die Grundlagen der gemeinsamen EGAgrarmarktordnung zu zerstören. Damit würde
nicht nur der gemeinsame Agrarmarkt in Frage gestellt, sondern auch die weitere Integration der übrigen Wirtschaftsbereiche in die Gemeinschaft gefährdet.
({1})
Ich kann es mir ersparen, auf den „sauren Regen" einzugehen. Herr Kollege Vohrer hat dieses Problem bereits angesprochen.
Die Einbeziehung der Landwirtschaft in die Europäische Gemeinschaft war auch die Voraussetzung, daß sich für die deutsche Industrie ein großer Exportmarkt mit vielen Vorteilen auftat. Die deutsche Industrie konnte allein von 1969 bis 1979 ihre Ausfuhren im EG-Bereich um 330 % steigern. Damit sicherte und schuf die gemeinsame Agrarpolitik Arbeitsplätze in Industrie, Handel und Gewerbe. Gerade diese Tatsache zeigt: Nicht die Landwirtschaft, sondern wir alle profitieren von der Europäischen Gemeinschaft nicht nur, sondern wir wollen auch ihre Festigung und ihren Ausbau.
Abschließend glaube ich schon sagen zu können: Die europäische Agrarpolitik hat ihren Beitrag dazu geleistet. Sie braucht in ihrer Grundkonzeption daher nicht geändert zu werden.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor hier Frau Hamm-Brücher das Wort genommen hat, begann auch ich sehr heftig am Sinn dieser Debatte zu zweifeln, weil mir überhaupt nicht mehr klar war, was eigentlich nach draußen transportiert werden soll. Nun fordert mich Herr von Schorlemer im Grunde dazu heraus, auch wieder einen Problemkreis in einem Fachidiotendeutsch oder jedenfalls in einer Weise anzusprechen, die von den Leuten draußen auf der Straße oder um uns herum nicht verstanden wird.
Herr von Schorlemer, das Problem liegt doch darin, daß endlich auch einmal die Kenner die Butterberge und die Milchseen zur Kenntnis nehmen müßten, daß also nicht nur die Nichtkenner darüber reden, weil nur dann das Problem der europäischen Agrarpolitik tatsächlich auch angegangen wird. Faktisch ist es doch so, daß die Einkommensdisparitäten auch bei den deutschen Bauern laufend zunehmen und eben nicht kleiner werden. Faktisch ist es auch so, daß die Kosten für die Preisstützungen und für den Garantiefonds nicht geringer, sondern größer werden und daß diese Kosten letzten Endes dafür ausschlaggebend sind, daß Spanien und Portugal die Europäische Gemeinschaft vermutlich nicht erreichen können, weil Frankreich das blokkiert, da es mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr zu finanzieren ist.
Wenn wir jetzt also außer für Getreide und Milch auch noch für Apfelsinen, Oliven, Hammelfleisch und sonst etwas auf Druck der südlichen Länder Preisstützungsgarantien wie in den geltenden Agrarmarktordnungen schaffen sollten, wäre das in der Tat nicht mehr zu finanzieren; für den SozialFrau Dr. Martiny-Glotz
fonds, für regionale Ausgleichsmaßnahmen innerhalb der EG und ähnliche Dinge stünde kein Pfennig mehr zur Verfügung.
Aber ich müßte dazu eine agrarpolitische Rede halten, und das wollte ich eigentlich nicht.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gallus?
Ach, das habe ich mir gedacht. Bitte sehr, Herr Gallus.
Frau Kollegin, wollen Sie dem Hohen Hause zugestehen, daß der Beitritt Spaniens und Portugals deshalb so schwierig ist, weil gerade diese Länder und die anderen Südregionen Europas für Apfelsinen, Zitronen und überhaupt sämtliche Mittelmeerprodukte höhere Subventionen wollen, als sie ihnen bisher zugestanden worden sind?
({0})
Das nehme ich zur Kenntnis, Herr Gallus. Aber ich hätte mir beispielsweise gewünscht, daß heute in der Rede des Herrn Bundeskanzlers darauf Bezug genommen worden wäre. Denn mit Sicherheit kann die Präsidentschaft der Deutschen im Ministerrat dazu genutzt werden, hier manche Hürde abzuschleifen. Das ist jedenfalls leichter, als wenn später Griechenland oder Frankreich die Präsidentschaft haben, also Länder, die an diesen Fragen natürlich erst recht kein Interesse haben.
Aber ich wollte keine agrarpolitische Debatte führen, und Sie, Herr Gallus, haben als Staatssekretär sicher nach wie vor hinreichend die Möglichkeit, sich zu artikulieren, und müssen mir hier nicht meine spärliche Redezeit beschneiden.
({0})
- Ich wollte hier keine agrarpolitische Debatte beginnen!
({1})
- Sie haben sie begonnen. Ich wollte den Punkt, der mir kritisch zu sein scheint, hier aus meiner Sicht ansprechen, ihn aber nicht einer Lösung zuführen. Dazu muß bei späterer Gelegenheit Raum sein.
({2})
- Ich habe mir gedacht, Herr Kiechle, daß Sie es nicht ertragen können, daß ich etwas sage, ohne daß Sie widersprechen. Das war schon immer so, auch als ich noch Mitglied im Agrarausschuß war.
Ich wollte hier zu generelleren Fragen der Wirtschaftspolitik Stellung nehmen und nehme als Ausgangspunkt etwas, was Frau Hamm-Brücher angesprochen hat, nämlich daß wir nicht unterschätzen
sollten, wie schwierig die amerikanisch-deutschen Beziehungen nach wie vor bleiben. Der Herr Bundeskanzler hat bei seinem USA-Besuch beispielsweise auch mit dem dortigen Gewerkschaftsvorsitzenden Lane Kirkland gesprochen. Dieses Gespräch hat weniger als eine Stunde gedauert. Wenn man noch die Zeiten für den Übersetzer abzieht, bleibt da nicht so schrecklich viel, um in die Tiefe zu dringen. Der Bundeskanzler hätte dort aber beispielsweise erfahren können, daß es in den Vereinigten Staaten zur Zeit 11,6 Millionen Arbeitslose, 1,6 Millionen Mutlose, die sich überhaupt nicht mehr melden, und 6 Millionen Leute, die eigentlich vollzeitlich arbeiten möchten, aber nur eine Teilzeittätigkeit finden, gibt. Er hätte auch erfahren können, daß von diesen fast 20 Millionen Leuten ein ungeheurer Druck auf mehr Protektionismus im Welthandel ausgeht, ein Druck, der auch die amerikanischen Politiker natürlich nicht unbeeinflußt läßt.
Die „Washington Post" hat, als der Bundeskanzler schon wieder weg war, geschrieben, daß man nicht in den Fehler verfallen sollte, über all den freundlichen Worten, die dort gewechselt worden sind, zu vergessen, wie ungelöst die Probleme tatsächlich seien. Probleme gibt es in zwei Richtungen, einerseits betreffend „the tactics in dealing with the Soviet Union", also die Art und Weise, wie man mit der Sowjetunion zurechtkommt. Zum zweiten geht es um „some economic problems" - - Entschuldigung, ich muß das Zitat später im Text korrigieren. Ich wollte nicht das ganze Zitat bringen.
({3})
- Das war echtes Englisch, soweit ich mich nicht versprochen habe, Herr Kollege von Schorlemer!
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Ich bringe ein weiteres Zitat und bemühe mich, mich nicht zu versprechen, auch damit die Protokollanten es leichter haben: „The real test of the Kohl government's competence is more likely to be economic policy." Das heißt, das Wohl und Wehe der Regierung Kohl entscheidet sich an den ökonomischen Problemen. Diese müssen bitte zur Kenntnis genommen werden. Ich meine, daß hier Entschiedeneres und vor allen Dingen Konkreteres in der Debatte hätte gesagt werden müssen zu der derzeit laufenden GATT-Konferenz und zu den Problemen der weltweiten Arbeitslosigkeit und den Vorstellungen, die die Bundesregierung entwickelt, um diese Probleme einer Lösung näherzuführen. Ein Fakt ist nämlich nicht zu bestreiten: Wenn in den OECD-Ländern ein Wachstum von 2 % herrscht, dann wächst der Welthandel um das Dreifache. Es gilt aber auch das Umgekehrte. Da wir zur Zeit in allen OECD-Ländern eine Schrumpfung des Bruttosozialproduktes und kein Wachstum haben, bedeutet dies einen dramatischen Rückgang im Welthandel. Wie sollen denn die Entwicklungsländer eigentlich ihre Schulden bezahlen, wovon, wenn der Handel in dieser Weise beschnitten ist? Woher sollen die Impulse
für eine Überwindung der Arbeitslosigkeit eigentlich kommen?
({5})
Bei uns hängen 5,8 Millionen Menschen und deren Arbeitsplätze davon ab, daß Waren und Dienstleistungen für das Ausland hergestellt werden, jeder vierte der insgesamt 25,5 Millionen Arbeitsplätze.
Die Exportabhängigkeit des deutschen Arbeitsmarktes ist in den letzten Jahren gewachsen - das ginge ja noch -, aber sie ist eben auch in den USA gewachsen und ist auch in den übrigen EG-Ländern gewachsen. Das bedeutet, daß wir alle in viel stärkerem Maße als früher vom Export und damit vom Welthandel abhängig sind. Dabei ist das Verhältnis zu Japan natürlich einerseits besonders wichtig, andererseits aber auch besonders problematisch. Auch hier ist der sehr unausgewogene bilaterale Handel im Jahr 1982 erstmals zurückgegangen. Nur bei Chemikalien, bei vorbereiteten Nahrungsmitteln und bei Textilien erzielt die EG Überschüsse. Alles andere wird viel stärker von Japan zu uns her exportiert, bei uns importiert, als daß umgekehrt ausgeglichen werden könnte.
Daraus ergibt sich natürlich eine ungeheure Zunahme des protektionistischen Druckes auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Japan. Ich nenne nur das Stichwort Poitiers. Darauf muß ja erst mal einer kommen, zu sagen: Generell dürfen japanische, aber auch deutsche Video-Recorder bei uns eingeführt werden, aber bitte nur in Poitiers, was nicht an der Grenze, sondern mitten im Lande liegt.
({6})
Und es heißt, das hier nur ein Zöllner und dieser auch nur nachmittags die entsprechenden Transporte abfertige. Grundig klagt vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Dumpingpreise der Amerikaner. Ich frage mich seit Tagen, seit diese Nachrichten durch den Wirtschaftsteil der Zeitungen gehen: Was tut hier eigentlich die Bundesregierung? Das ist ja keine „Erblast", sondern das ist jüngst entstanden. In welcher Weise kommt man denn hier den betroffenen Industrien zu Hilfe?
({7})
- Aber Poitiers ist etwas sehr Neues, und hier hätte man in der Tat schon mal Stellung nehmen können.
({8})
Wie will man denn im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Politik finden? Dazu haben Sie als Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und FDP in den letzten Tagen eine Entschließung gefaßt, die in weiten Bereichen eigentlich eher dünn als inhaltsreich ist. Beispielsweise liegt ein Vorschlag der Kommission zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor. Herr Althammer hat dankenswerterweise davon gesprochen. Fast 12 Millionen Arbeitslose haben wir nun innerhalb der EG zu beklagen. In diesem Vorschlag der Kommission sind Akzente auf die Jugendarbeitslosigkeit und auf die Förderung mittelständischer Unternehmen gelegt. Nichts davon ist in der Debatte heute hier erwähnt worden. Wenn ich unseren Bundeshaushalt im Wirtschaftshaushalt angucke, der gestern im Ausschuß behandelt worden ist, dann stelle ich fest, daß der Vorschlag der neuen Regierung vorsieht, daß die Mittel für die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der mittelständischen Unternehmen um 40 Millionen DM gekürzt werden. Statt der nötigen Förderung wird ein Schaufensterantrag eingebracht, daß ganze 10 Millionen für Existenzgründungen wieder hereinkommen, wobei die Kriterien für die Vergabe noch gar nicht vorliegen.
Ein anderes konkretes Beispiel. Es ist natürlich toll, den Antrag auf Einführung des Europapasses hier zu unterstützen. Ich finde das ja auch gut. Aber wie verträgt sich damit die Erwägung, Herr Althammer, die Herr Dollinger gestern zumindest nicht ausgeschlossen, sondern unterstützt hat, daß auch auf unseren bundesdeutschen Autobahnen vielleicht demnächst Gebühren eingeführt werden dürften. Der Fernsehsprecher gestern hat deutlich von „Wegezoll" gesprochen. Damit erledigt sich der Europapaß im Grunde in der Schublade „Symbolische Handlungen", und das andere schafft Fakten, die die Grenzüberschreitung noch schwieriger machen, als sie in der Vergangenheit gewesen ist.
Ich komme zu der Entschließung, die ja heute wohl mehrheitlich beschlossen werden soll. In den Punkten 2 und 3 ist sie doch ziemlich unspezifisch. Was sind denn „erneute und verstärkte Anstrengungen für eine Konvergenz der europäischen Wirtschaftspolitik", und was sind „besondere Anstrengungen zum Abbau der noch bestehenden Handelshemmnisse"? Ich meine, hier müßte man schon etwas konkreter werden, wenn man, wie auch Herr Lenz das gesagt hat, Europa mehr in das Bewußtsein der Bevölkerung rücken möchte. Bisher haben doch die Harmonisierungen - Herr Lenz, das werden Sie sicher auch bestätigen - vor allem unter dem Vorzeichen eines möglichst reibungslosen Kapital- und Warenverkehrs gestanden. Wenn überhaupt etwas zustande kam, dann war es die Beseitigung möglicher nichttarifärer Handelshemmnisse.
({9})
Frau Kollegin - Frau Dr. Martiny-Glotz ({0}): Ich möchte den Gedankengang eben noch zu Ende führen. Dann gern.
Die Mitversicherungsrichtlinie beispielsweise wird vermutlich auch in den nächsten Wochen hier noch umgesetzt. Aber beim Konsumentenkredit, bei der Haftung für fehlerhafte Produkte, bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, bei der Ausweitung der Mitbestimmungsmöglichkeiten von Beschäftigten in multinationalen Unternehmen ist man immer noch nicht fertiggeworden.
Jetzt, bitte.
Frau Kollegin, eine Frage. - Bitte, Herr Lenz.
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß ich einen ganz spezifischen Vorschlag gemacht hatte, um etwas sichtbar zu machen, nämlich: die Grenzkontrollen abzuschaffen? Das war mein konkreter Vorschlag. Vielleicht können Sie sich im weiteren Verlauf Ihrer Rede dazu konkret äußern.
({0})
Ich habe nur handschriftliche Notizen, Herr Reddemann, und bedarf der Belehrung über das Mir-Merken durchaus nicht.
Ich habe das sehr wohl zur Kenntnis genommen. Die Frage ist nur, wie man dieses macht. Das gleiche Problem ist natürlich auch beim Europapaß hier angesprochen worden. Ich habe gar nichts gegen diesen Vorschlag und würde ihn sehr unterstützen, da das auch mithelfen könnte, ein gemeinsames europäisches Bewußtsein zu schaffen. - Fällt Ihnen noch etwas Neues ein?
Frau Kollegin, würden Sie bereit sein, mir zuzustimmen, daß es bei der Einführung eines europäischen Passes, für den ich natürlich bin, der Zustimmung von zehn Regierungen bedarf, zur Abschaffung der Grenzkontrollen auf deutscher Seite aber ausschließlich deutschen politischen Willens? Darin liegt der Unterschied.
({0})
Das finde ich oberlehrerhaft, und das ist eigentlich nicht mein Stil. Ich hätte den Herrn Lenz dazu nicht ermuntert.
({0})
Herr Lenz, wir wollen gemeinsam dafür kämpfen, daß es uns gelingt, diese Grenzkontrollen abzuschaffen. Aber das macht natürlich die Erwägung des Herrn Dollinger, dieses dann möglicherweise durch Straßentarife auszugleichen, auch nicht intelligenter.
({1})
- Jetzt will ich aber nicht mehr. Ich möchte in meinem Gedankengang fortfahren. Vielen Dank.
Ich wollte nämlich noch auf einen Komplex zu sprechen kommen, der uns als Parlamentarier, meine ich, ganz besonders beschäftigen müßte, nämlich den der Koordination zwischen dem Europaparlament und dem Bundesparlament. Ich will es einmal an einem Beispiel sagen, da meine Redezeit zu Ende geht. Ich habe mich intensiver mit dem
Gesetz zur Regelung von Haustürgeschäften beschäftigt.
({2})
Da ist mir gesagt worden, hier in unserem Parlament, das könne hier nicht erledigt werden zur Zeit, weil eine Richtlinie in Europa verhandelt würde. Dann habe ich mich bei dem zuständigen Ministerium erkundigt, das war das Justizministerium. Dieses sagte, der zuständige Beamte sei diesmal bei der Sitzung leider nicht dabeigewesen, da müsse man sich beim Wirtschaftsministerium erkundigen. Dann sagte der Herr vom Wirtschaftsministerium: j a, aber die Dänen hätten diesmal das und das gewollt. Und dann stellte sich heraus, daß das, was die Dänen gewollt hatten, überhaupt nicht das war, was unser deutsches Justizministerium gewollt hatte und schon gar nicht das war, was wir als Parlament gewollt haben. Dieses halte ich für einen erheblichen Konstruktionsfehler.
Ich meine, daß es mit der Forderung allein, daß das Europäische Parlament mehr Handlungsmöglichkeiten bekommt, nicht getan ist, sondern daß dieses ergänzt werden müßte durch eine fest verankerte Koordination zwischen beiden Parlamenten. Denn es kann nicht angehen, daß Bürokraten in Brüssel oder wo immer ohne Basisunterbau entweder etwas vorbereiten oder etwas blockieren, je nach ihren spezifischen Interessen, völlig dem Lobbyeinfluß unterliegen, und daß es an der parlamentarischen Kontrolle auf beiden Ebenen aber erheblich hapert.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Martiny-Glotz hat zu Beginn ihrer Ausführungen das „Fachidiotendeutsch" des Kollegen von Schorlemer beklagt. Im Verlauf Ihres Beitrages und vor allen Dingen, nachdem Sie dann gefordert haben, wir müßten in unserem Antrag konkreter werden, habe ich Ihren anfänglichen Vorwurf überhaupt nicht mehr verstanden.
Verehrte Frau Kollegin, wir führen eine außenpolitische und Europa-Debatte. Zu den Problemen der EG gehören sehr viele schwierige Sachfragen und Detailfragen. Diese lassen sich nicht mit allgemeinen Appellen diskutieren, sondern wir müssen dann schon zu Fachfragen übergehen. Oder sollte ich Ihre Kritik so verstehen, daß wir in diesem Hohen Hause generell auf die Erörterung spezieller Fachprobleme verzichten sollten? - So war das sicher nicht gemeint.
({0})
- Dies, verehrter Herr Kollege, geschieht. Aber dies muß natürlich auch hier im Hohen Hause geschehen. Ich zumindest verstehe die Aufgabe des Parlamentes nicht so, daß wir uns auf die Erörte8084
rung allgemeiner Appelle einlassen und Fachfragen hier nicht mehr diskutieren.
({1})
- Mache ich gerne. - Die Ausführungen des Kollegen von Schorlemer gehörten eben zu den Fragen der Europa-Debatte.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz, Herr Kollege?
Gern.
Bitte sehr.
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß die Tatsache, die eben beklagt wurde, daß die Agrarkosten 70 % des europäischen Haushaltes bestreiten, Grund genug ist, Gelegenheit zu nehmen, einige Worte dazu zu sagen und Sie sich nicht schurigeln lassen müssen von einem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD?
({0})
Ich kann dem Kollegen voll zustimmen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Bei der knappen Zeit muß ich leider darauf verzichten. Ich bitte um Verständnis.
Ich möchte jetzt zu den Fragen der EG zurückkehren, und zwar zu den schwierigen Fragen der zukünftigen Gestaltung des Gemeinschaftshaushaltes. Dies gehört sicher zu den schwierigsten Problemen, die wir innerhalb Europas zu lösen haben.
Die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft kann nicht isoliert diskutiert werden, denn der Gemeinschaftshaushalt ist integraler Bestandteil der öffentlichen Finanzwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten. Wirtschafts- und haushaltspolitische Probleme und damit gesamtwirtschaftliche Schwierigkeiten und Grenzen der finanziellen Belastbarkeit sind auch bei der Gestaltung des Gemeinschaftshaushaltes zu beachten. Bei dem dringend notwendigen Abbau der öffentlichen Defizite muß auch die Gemeinschaft ihre Opfer bringen, d. h. die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft müssen ihre Ansprüche der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anpassen.
Die schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen eine Umstrukturierung des EG-Haushaltes unausweichlich. Von den bisherigen Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft stehen verständlicherweise die Agrarausgaben im Mittelpunkt der Kritik. Darauf ist der Kollege von Schorlemer bereits eingegangen.
Ebenso wichtig aber wie die Überprüfung dieser Agrarausgaben ist auch ein effizienter Einsatz der Sozial- und Strukturausgaben innerhalb der EG. Von den Gemeinschaftsausgaben des Haushaltes werden zusammen mit den Gemeinschaftskrediten in diesem Bereich über 10 Milliarden DM für die strukturschwachen Gebiete eingesetzt. Dabei werden nahezu 50 % des Gemeinschaftsgebietes - nach dem Beitritt Spaniens und Portugals steigt der Anteil erheblich - mit den Mitteln des Regionalfonds gefördert. Um einen effizienten Einsatz dieser Mittel zu erreichen, ist es dringend notwendig, die Sozial- und Strukturmittel auf die eigentlichen Problemfälle und Problemgebiete in der Gemeinschaft zu konzentrieren. Die Kommission hat jetzt eine Beschränkung der Fördergebiete vorgeschlagen. Ich meine, dies ist ein richtiger Schritt.
Bei dem gegenwärtigen Stand der Integration müssen wir am System der Finanzzuweisungen aus dem EG-Haushalt mit spezifischer Zweckbindung festhalten. Bei der Überprüfung der bestehenden Gemeinschaftsfinanzierung und auch für die Weiterentwicklung der Finanzverfassung sollte die Regel gelten, daß sich die gemeinsame Politik vor allem auf die Bereiche konzentriert, in denen die Gemeinschaft Aufgaben billiger und wirkungsvoller durchführen kann, als dies die Mitgliedstaaten selber können. Nach unserem föderativen Verständnis sollte sich die Gemeinschaft bei neuen Aufgaben weitgehend auf eine Regelungskompetenz beschränken, die Durchführungs- und Finanzierungskompetenz aber zweckmäßigerweise den Mitgliedstaaten überlassen. Dies bedeutet, meine ich, auch eine Abkehr von der Projektförderung mit zentraler Entscheidung auf der europäischen Ebene und einen Übergang zu einer Programmförderung, bei der die Gemeinschaft Rahmenregelungen erläßt, die Entscheidungen über Einzelprojekte aber dezentral und damit in genauer Kenntnis der örtlichen Bedingungen getroffen werden.
({0})
Die Kommission und das Europäische Parlament haben Vorschläge zur Weiterentwicklung der Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft gemacht. Bei diesen Vorschlägen müssen der Beitritt Spaniens und Portugals und die Probleme der britischen Haushaltsentlastung mit berücksichtigt werden. Der Bundestag hat am 12. November 1982, also vor knapp zwei Wochen, noch einmal bestätigt, daß die bestehenden Haushaltsprobleme der Gemeinschaft in den Grenzen der vorhandenen Eigenmittel, insbesondere unter Einhaltung der Ein-Prozent- Mehrwertsteuer-Grenze, gelöst werden müssen. Nach dem Haushaltsentwurf der Europäischen Gemeinschaft für 1983 wird die Mehrwertsteuer-grenze zu etwa 0,76 % ausgeschöpft. Der Ein-Prozent-Mehrwertsteuer-Plafond kann aber durch die Risiken im Agrarbereich und durch die Mehrausgaben der Süderweiterung schon bald ausgeschöpft sein. Ich meine, die Ein-Prozent-Grenze ist sicher kein Dogma und keine für alle Zeiten festgeschriebene Grenze, aber über eine Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft kann erst diskutiert werden, wenn alle Möglichkeiten zur Konzentration
der Aufgaben und zur Umstrukturierung des EG-Haushalts konsequent genutzt worden sind. Wenn auch alle Nettoberechnungen mehr oder weniger anfechtbar sind, wenn vor allen Dingen die Diskussion über die Nettozahlerposition desintegrierend wirkt, so meine ich, muß man doch betonen, daß die Finanzstruktur der Gemeinschaft eine Schlagseite bekommen hat, die den deutschen Anspruch auf eine angemessene Entlastung des deutschen Beitrags gerechtfertigt erscheinen läßt.
Die Bundesrepublik führte 1981 Mittel in Höhe von insgesamt 14 Milliarden DM an die EG ab. Wenn man die Rückflüsse berücksichtigt, ergibt sich aber saldiert eine Belastung von rund 6 Milliarden DM. Der Ressourcentransfer, der insgesamt über den EG-Haushalt abgewickelt wurde, ging im Jahre 1980 ganz überwiegend und im Jahre 1981 fast vollständig zu Lasten der Bundesrepublik. Großbritannien wird durch die getroffenen Vereinbarungen weitgehend von Nettozahlungen entlastet, und die übrigen Länder sind Nettoempfänger. Sicherlich muß die Bundesrepublik auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stellung zu den Nettozahlern innerhalb der EG zählen. Es ist jedoch auf Dauer nicht einzusehen, daß sie angesichts der Tatsache, daß es noch andere Länder mit ähnlicher wirtschaftlicher Position in der EG gibt, der alleinige Nutznießer bleibt. Die jetzige Lastenverteilung läßt viele Wünsche offen und berücksichtigt die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Länder nur unzureichend.
Die Weiterentwicklung der Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft und damit die Lösung der Haushalts- und Finanzprobleme wird nur möglich sein, wenn sich die EG wieder auf die Ziele der Gemeinschaftsverträge zurückbesinnt. Zu den Zielen dieser Verträge gehört die Aufgabe, die Gemeinschaft zu einer Wirtschafts- und Währungsunion und damit letztlich zu einer politischen Union weiterzuentwickeln. Nur mit einem neuen Anstoß zur politischen Weiterentwicklung der EG werden auch die Haushaltsprobleme der Europäischen Gemeinschaft zufriedenstellend lösbar sein. - Danke sehr.
({1})
Als nächster Redner hat die Frau Kollegin Hoffmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätte sich der Deutsche Bundestag noch vor weniger als sechs Monaten mit dem Thema Europa befaßt, so hätte die politische Analyse anders, d. h. in diesem Zusammenhang deprimierender, ausfallen müssen. In der Vergangenheit war von der Europapolitik wenig oder nur Negatives zu hören. Enttäuschung, Gegensätze, Scheitern, Vertagung, das waren die Schlagworte, die die Bürger nach jeder Tagung der Ratsminister vernahmen. Der längst überfällige Regierungswechsel hat auch hier einen Wandel zum Positiven bewirkt.
({0})
- Ich werde auf Herrn Lambsdorff gleich zurückkommen.
({1})
- Auf Herrn Genscher natürlich auch.
Dies gilt nicht nur für die Lösung einiger wichtiger anstehender Sachbereiche, dies gilt im besonderen Maße für die Beziehungen der beiden Länder, die die Lebensachse der europäischen Einigung bilden: Frankreich und Deutschland als Basis der Europäischen Gemeinschaft. Das deutsch-französische Verhältnis ist für Europa lebenswichtig. Geographische Gründe - eigentlich wäre es unnötig, dies an dieser Stelle zu wiederholen - haben zur Folge, daß ohne das deutsch-französische Einvernehmen und ohne die deutsch-französische Verständigung Europa auseinanderbrechen müßte.
Der Regierungswechsel in der Bundesrepublik Deutschland hat verhindert, daß sich die ehemals feinen Haarrisse in den deutsch-französischen Beziehungen von kleinen Rissen zu großen Brüchen entwickeln konnten.
({2})
Obwohl noch vor wenigen Monaten die deutsche Bundesregierung von deutschen Sozialdemokraten geführt worden ist und in den französischen Sozialisten doch eigentlich ideale Gesprächspartner hätte finden müssen, gab es für das deutsch-französische Verhältnis gefährliche Meinungsverschiedenheiten. Das reichte von der Nachrüstungsfrage über die Sicherheitspolitik, über die Beurteilung der Lage in Polen bis hin zur Wirtschafts- und Ordnungspolitik.
Damit, meine Damen und Herren, ist nun Schluß. Der Bundeskanzler hat wenige Tage nach seinem Regierungsantritt bewiesen, wem und was er Priorität zumißt. Drei Tage nach der Regierungsübernahme ging die erste Reise unseres Bundeskanzlers nach Paris,
({3})
wenige Tage später nach London, Rom, Brüssel und Luxemburg. Das heißt - im Unterschied zu seinem Vorgänger -: Das Motto seiner Politik heißt nicht „vermitteln" sondern Erfüllung der Gemeinschaft, zuerst mit Frankreich und dem übrigen Westeuropa und sodann mit den Vereinigten Staaten. Der Kontakt, den der Christdemokrat Kohl mit dem Sozialisten Mitterrand schon nach wenigen Stunden gefunden hat, dient der Beständigkeit der deutschfranzösischen Freundschaft, die sich unabhängig von der jeweiligen Regierung entwickelt hat. Daß es im 19. Jahr des deutsch-französischen Vertrages erstmals möglich wurde, den Artikel über die verteidigungspolitische Zusammenarbeit in Anspruch zu nehmen, ist ein Verdienst von Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl. Bei aller Kontinuität sind sowohl in der Außen- als auch in der Sicherheitspolitik neue Schwerpunkte gesetzt worden.
({4})
Dieser Kontakt auf höchster Ebene wäre aber ein Koloß auf tönernen Füßen, wenn er nicht durch die
Frau Hoffmann ({5})
Begegnungen vieler Deutschen und Franzosen untermauert wäre. Zwischen beiden Ländern bestehen über tausend Städtepartnerschaften, gibt es den Austausch von Schülern, Studenten und jungen Berufstätigen, gibt es Sportbegegnungen und kulturelle Gemeinsamkeiten.
Das, meine Damen und Herren, sind die Folgen des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik von 1963, dessen 20jähriges Jubiläum wir im nächsten Jahr begehen werden.
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Das sind die Folgen einer Politik, die von Konrad Adenauer begründet worden ist und an die die neue Bundesregierung und die sie tragenden Parteien wieder anknüpfen.
Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle dem Deutsch-Französischen Jugendwerk aussprechen, das seit Juni 1963 unzählige Kontakte zwischen Franzosen und Deutschen hergestellt hat.
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Leider kommt man nicht umhin, festzustellen, daß der Höhepunkt der Zahl der Begegnungen zwischen Deutschen und Franzosen in den Jahren 1965 und 1968 gelegen hat und daß seitdem die Zahl der staatlich bezuschußten Programme und Teilnehmer zurückgeht. Waren im Jahre 1965 noch über 300 000 Jugendliche durch das Deutsch-Französische Jugendwerk vermittelt worden, so waren es im Durchschnitt der letzten Jahre leider nur noch 112 000 Jugendliche.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage: Warum nutzen wir nicht die vorhandenen Kontakte der Städtepartnerschaften aus, um z. B. bei jungen Arbeitslosen durch längere Aufenthalte im Partnerland - in Form von Au-pair-Aufenthalten - Sprachkenntnisse zu verbessern? Warum schaffen wir nicht zusätzliche Möglichkeiten auf rein privater Initiative, die sich vervielfältigen ließen? In meinem Wahlkreis tun wir das bereits.
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Die beruflichen Chancen der jungen Menschen verbesserten sich wesentlich, und sie täten etwas Vernünftiges. Sie lernten die Sprache des Partnerlandes und damit die Kultur, insbesondere aber dieses Land kennen und schätzen.
Meine Damen und Herren, hier soll nicht der Versuch gemacht werden, um idealistischer Zielvorstellungen willen die Augen vor der Realität zu schließen. Tatsächlich gibt es leider auch zwischen Deutschen und Franzosen Differenzen. In der Wirtschaftspolitik sind Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich unübersehbar. Ich vermisse bei der neuen französischen Wirtschaftspolitik die klare ordnungspolitische Linie.
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Ich sehe in ihr in drei wesentlichen Punkten Widersprüche.
Erstens. Die Dezentralisierung der wirtschaftlichen Macht ist nicht vereinbar mit einer Zentralisierung auf der Ebene der industriellen Entscheidungen.
Zweitens. Eine Antiinflationspolitik widerspricht der expansiven Einkommens- und Finanzpolitik.
Drittens. Das notwendige Vertrauen der privaten Investoren ging durch eine Politik der Verstaatlichungen der großen Unternehmen und Banken in Frankreich verloren.
Die Folge davon war, daß der französische Franc bereits zweimal abgewertet werden mußte. Eine dritte Abwertung droht.
Eine solche Entwicklung in Frankreich macht einen regelmäßigen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich unentbehrlich, sollen nicht EG-Gemeinsamkeiten und das EWS gefährdet werden. Eine ordnungspolitische Diskussion in Europa ist dringend nötig. Es rächt sich jetzt, daß es diese innerhalb der EG nie gab. Abgrenzungstendenzen, Protektionismus sind die Folge. Handelshemmnisse und Grenzkontrollen gefährden den innergemeinschaftlichen Warenaustausch. Eine nationale Subventionierung in 14 Branchen allein in Frankreich gefährdet die Offenheit des EG-Marktes.
Hinzu kommt die anhaltend schwierige Wirtschaftslage in Europa mit hohen Inflationsraten, steigenden Arbeitslosenzahlen und enormen Haushalts- und Zahlungsbilanzdefiziten.
Der Sicherung des europäischen Binnenmarktes gebührt daher erste Priorität. Die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb der EG bilden Gott sei Dank inzwischen einen Rahmen, in dem es zu einem heilsamen gegenseitigen Erziehungsprozeß kommt. Ziel muß die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu einer nach außen orientierten Binnenpolitik sein, die zu gemeinschaftsfreundlicheren nationalen Entscheidungen führt. Dem Interesse einer zukunftsträchtigen Arbeitsmarktpolitik dient am besten eine weltoffene Handelspolitik der Gemeinschaft.
Es gibt leider auch auf der Seite der Franzosen europafeindliche Hinweise. Ich denke da an das französische Zollamt in Poitiers, welches als einziges alle Einfuhren an Videorecordern und Hi-Fi-Geräten in den französischen Markt kontrollieren soll. Diese Maßnahme hat zur Folge, daß 30 000 Videorecorder bereits in Poitiers lagern und weitere 60 000 Geräte an den Grenzen und in den Häfen liegen sollen. Alle Importe dieser Art nach Frankreich, also nicht nur japanische, sondern auch deutsche und Geräte aus anderen EG-Ländern, fallen unter diese verschärfte Kontrolle, die das Weihnachtsgeschäft für nichtfranzösische Anbieter wesentlich behindert. Nadelstiche dieser Art gefährden den europäischen Binnenhandel.
Es ist Wirtschaftsminister Lambsdorff zu danken, daß er seinem französischen Kollegen eindeutig die Vorteile des Freihandels und der Offenhaltung der eigenen Märkte vor Augen geführt hat. Die intensiven deutsch-französischen Konsultationen müssen im Interesse der europäischen Idee, im Interesse des Zusammenwachsens zu einem geeinten Europa
Frau Hoffmann ({11})
gerade im wirtschaftspolitischen Bereich fortgesetzt werden. Dies ist die große Aufgabe, die sich jetzt im besonderen Bereich der deutsch-französischen Beziehungen stellt.
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Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Reddemann.
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Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ein sozialdemokratischer Kollege war gerade dabei, sich zu beschweren, daß schon wieder ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion hier spricht. Herr Kollege, ich habe gerade Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer angeboten, daß er, der die Schlußrede halten wollte, vor mir spricht. Er hat es nicht gewünscht. Ich bitte also, Ihren Einspruch zurückzuziehen.
({0})
Meine Damen, meine Herren, ich hatte ursprünglich die Absicht, nur einen Appell an die Mitglieder dieses Hauses und an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten. Lassen Sie mich aber deswegen ein paar Vorbemerkungen machen, weil in der Debatte ein paar Punkte angeschnitten worden sind, von denen ich meine, daß man sie kurzerhand noch einmal erwähnen sollte.
Der erste betrifft den Nahen Osten. Hier muß ich meinen Blick in die Richtung der FDP-Fraktion werfen. Der Herr Kollege Schäfer, dessen Sympathie für die PLO allgemein bekannt ist - gegen die ich mich auch nicht wende -, hat davon gesprochen, daß unser Verhältnis zu Israel von einer falschen Sentimentalität freigemacht werden sollte. Herr Kollege Schäfer ist leider nicht hier. Ich wäre dankbar, wenn einer seiner Fraktionskollegen ihm sagte, daß wir das Verhältnis zum Judentum und zu Israel nicht auf einer falschen Sentimentalität aufbauen, sondern daß dies eine moralische Grundlage hat und es nicht sehr zweckmäßig ist, ob in der aktuellen Politik oder in der grundsätzlichen Auseinandersetzung, diese beiden Dinge zu verwechseln.
({1})
Meine Damen, meine Herren, ich möchte eine zweite Bemerkung zum Kollegen Haase ({2}), machen. „Fürth" füge ich hinzu, um den Kollegen Haase ({3}) nicht zu treffen. Auch er ist leider nicht mehr hier. Es scheint zur Gewohnheit des Hauses zu werden, daß man seine Rede hält und hinterher das Haus verläßt. Ich freue mich, daß der Herr Kollege Wischnewski diese nicht sehr erfreuliche Methode nicht aufgegriffen hat, sondern noch weiter hier ist.
Da ich annehme, daß Herr Haase nachliest, was in dieser Debatte gesagt worden ist, in der er selbst gesprochen hat, möchte ich um eines sehr herzlich bitten. Er hat in Richtung CDU/CSU gesagt, wir
müßten in der Europapolitik erst einmal etwas leisten. Meine verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich glaube, Sie, die Sie hier noch ausgehalten haben, müssen nicht mehr informiert werden. Aber bitte richten Sie Ihrem Kollegen aus, daß es immerhin die CDU/CSU gewesen ist, die von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl angefangen über den Europarat, über EURATOM und über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft den Weg nach Europa geebnet hat. Ich will Ihnen gar nicht vorwerfen, daß Sie damals mit aller Energie dagegen gestimmt haben;
({4})
denn ich habe in europäischen Gremien bemerkt, daß Sie durchaus willens geworden sind, auch in Europa entsprechend mitzuarbeiten. Aber ich möchte doch gerade deswegen darum bitten, daß man nicht aus Unkenntnis oder aus Propagandagründen die Realitäten in der europäischen Entwicklung hier in diesem Saal falsch zeichnet.
({5})
Meine Damen, meine Herren, wenn wir über Europa sprechen - ich habe den Eindruck, daß wir heute ein bißchen zu kurz debattiert haben -, dann vergessen wir manchmal, daß außerhalb der zehn Staaten, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vorhanden sind, noch zwölf weitere demokratische Staaten in Europa existieren - daß noch weitere Staaten vorhanden sind, die weil sie entweder nicht integrationsfähig oder nicht integrationswillig sind, außerhalb des Rahmens der Europäischen Gemeinschaft bleiben. Wenn wir die gesamte politische Auseinandersetzung, auch unsere gesamte politische Zielsetzung in Richtung Europa ausschließlich auf die Europäische Gemeinschaft konzentrieren, dann verhindern wir einen Brückenschlag zu jenen Staaten, die von sich aus derzeit der Europäischen Gemeinschaft nicht angehören und vielleicht auch auf lange Zeit nicht angehören wollen.
({6})
Herr Außenminister, gestatten Sie mir, daß ich mich direkt an Sie wende. - Ei, wo ist er denn? Ah, er kommt wieder. Wenn das Stichwort da ist, kommt er. Ich freue mich. - Herr Kollege Genscher, es gibt ein Gremium in Europa, von dem ich fürchte, daß es in der Vergangenheit manchmal ein wenig stiefmütterlich behandelt worden ist; das ist der Europarat. Wir dürfen eben nicht vergessen, daß dieser Europarat für die Schweden, für die Norweger, für die Zyprioten, für die Malteser, für die Österreicher, für die Schweizer und auch heute noch für Spanier und Portugiesen die eigentliche Anlaufstelle europäischer Politik ist. Wir erleben es j a immer wieder, daß etwa dann, wenn das Joint Committee zusammentritt, wenn Parlamentarier und Mitglieder der Regierungen der 21 EuroparatStaaten zusammentreffen, deren Außenminister ganz selbstverständlich in Straßburg mit versammelt sind, ihre Vorstellungen vortragen. Ich muß gestehen, als Leiter der deutschen Delegation im Europarat hätte ich recht gerne auch unseren Au8088
ßenminister dort gesehen. Ich möchte Sie darum bitten, das als Anregung aufzufassen, Herr Kollege Genscher, damit Sie in Zukunft in Straßburg ebenfalls anwesend sind und sich nicht durch jemanden vertreten lassen, an dessen Zuständigkeit ich nicht zweifle, über dessen Kompetenz man aber sicher nachdenken könnte.
Gestatten Sie mir dazu eine Schlußbemerkung. Es ist heute einfach unmöglich, so zu tun, als sei das freie Europa auf die Staaten der Europäischen Gemeinschaft beschränkt. Ich fürchte, daß wir einen Teil des Vertrauenskapitals, das wir in Europa besitzen, verspielen, wenn wir von der Regierungsseite her nicht wieder stärker, und zwar so, wie es in der Regierungserklärung jetzt gefordert worden ist, auch in diesem Rahmen tätig sind. „Vertrauensbildende Maßnahmen" ist nicht nur ein Begriff, den es zwischen Ost und West gibt, sondern vertrauensbildende Maßnahmen sollten auch zwischen den demokratischen Staaten Europas erfolgen. Ich bitte diese Regierung und das Hohe Haus, diese vertrauensbildenden Maßnahmen jetzt nach dem Antritt der neuen Regierung gerade gegenüber den Staaten zu verstärken, die noch nicht den Weg in die Europäische Gemeinschaft gefunden haben.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Linde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Reddemann, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie im Namen der „Europäer" noch einmal an alle appelliert haben, was eigentlich zu tun ist. Wir müssen Funken überspringen lassen.
Ich möchte mein Bedauern zum Ausdruck bringen, daß es uns Parlamentariern nicht gelungen ist, eine vernünftige Europa-Debatte zu inszenieren, obwohl wir uns darum bemüht haben. Herr Kollege Lenz, ich wollte niemanden schurigeln. Ich hatte durch meinen Zuruf vorhin eigentlich nur deutlich machen wollen, daß wir es, wenn wir über Europa sprechen, auch schaffen müssen, miteinander über bestimmte Sachen nacheinander zu reden. Ich glaube, es ist überhaupt nicht hilfreich, wenn jeder hier im Parlament versucht, sein Statement abzugeben - der eine mit mehr, der andere mit weniger Engagement, der eine technisch, der andere vielleicht etwas gefärbt. Das bringt in Europa nichts. Wir müssen uns, glaube ich, gemeinsam überlegen, wie wir Europa in dieses Parlament und auch in die Politik zurückholen.
({0})
- In die Politik zurückholen und den Funken dann auf die Bürger überspringen lassen. Heute sind j a viele gute Ansätze genannt worden. Aber wir sehen es doch auch an uns selbst: Wir konnten noch nicht einmal das Interesse des eigenen Parlaments wekken. Ich möchte nicht ungerecht sein. Sie wissen, daß sehr viele Kollegen heute auch in den Ausschüssen sitzen. Aber dennoch ist richtig: Der Funke ist nicht übergesprungen. Wir sollten aber in
der neuen Wahlperiode noch einmal versuchen, diesen Ansatz aufzugreifen.
Lassen Sie mich zum Abschluß der Debatte kurz auf den Abgeordneten Hansen eingehen. Herr Hansen hat ja gesagt, diesem Parlament fehle Diskussionsbereitschaft
({1})
- wo ist er denn? Nein, er ist nicht da -, und fraktionslose Abgeordnete würden nicht ausreichend berücksichtigt. Zu der ausreichenden Berücksichtigung kann ich nur feststellen, daß nach meiner Kenntnis Herr Hansen sofort berücksichtigt worden ist. Ich bin sogar zurückgetreten; ich will nicht sagen, zu seinen Gunsten, aber er ist vor mir drangekommen. Zweitens war das wohl auch nur für irgendwelche Öffentlichkeitsarbeit gedacht; denn wir hatten keine Gelegenheit, mit ihm zu diskutieren. Er hat sein Statement abgegeben und ist anschließend aus diesem Saal verschwunden. Solche Schaubeiträge sollten wir nicht liefern.
({2})
- Das auch nicht. Im übrigen ist er ein Fünfhundertneunzehntel dieses Parlaments und hat ausreichend Redezeit erhalten, und zwar nicht nur heute, sondern schon öfter.
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Meine Damen und Herren, ich finde das unfair. Deswegen sage ich es hier, und wir sollten das auch nach außen deutlich machen. Minderheiten werden hier nicht untergebügelt. Sie sollen ruhig hierherkommen.
Es hat keinen Zweck, jetzt noch einmal alles zusammenzufassen und zu sagen, was im einzelnen politisch zu machen wäre. Dem Herrn Außenminister möchte ich dafür danken, daß er soviel von dem gesagt hat, was man während der EG-Präsidentschaft machen könnte. Bloß, Herr Genscher: Ich glaube, wir alle haben die Befürchtung, daß wir wohl schon wüßten, was wir machen könnten und was wir machen müßten. Ich weiß aber wirklich nicht zu sagen, wie es wirklich durchzusetzen ist und wie man der Gefahr widerstehen kann, daß es in der Tat zu einer Renationalisierung kommt. Da müssen wir sehr vorsichtig sein.
Herr Reddemann, ich kann gut nachvollziehen, was Sie von der europäischen Begeisterung gesagt haben. Ich selbst bin ebenfalls aus Europabegeisterung zur Politik gekommen, weil ich gedacht habe: Dies wäre eine Idee. Ich bin davon überzeugt: Es ist eine gute Idee. Wir müßten sie bloß nutzen. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß sich unsere nationalen Schwierigkeiten leichter beheben ließen, wenn wir versuchen könnten, in Europa Lösungsansätze für all das zu finden.
Aber daran müßten wir arbeiten. Was haben wir gemacht? Wir haben Verdrießlichkeit organisiert, weil wir vieles den Bürokratien überlassen haben. Dadurch haben wir eine europäische Verdrossenheit erzeugt. Die müssen wir abbauen.
Frau Kollegin Hoffmann, wir kennen uns ja schon aus Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der Fremdenverkehrspolitik. Ich glaube, so einfach darf man es sich nicht machen, daß man hier sagt: Kaum ist der Bundeskanzler Kohl im Amt, ziehen sich die Haarrisse zu einer glatten Oberfläche zusammen. Ich bin sehr froh, daß Sie nachher noch von einigen europäischen Problemen gesprochen haben. Auch die Politik der neuen Mitte oder der neuen Mehrheit oder der geistig-moralischen Erneuerung wird es nicht schaffen, mit den europäischen Problemen fertigzuwerden. Ich glaube, wir sollten zwischen den Parteien, gerade was die Frage Europa angeht, nach den Gemeinsamkeiten suchen. Es ist nämlich schon schwierig genug, innerhalb der vielen Staaten Europas einig zu werden. Wenn wir keine nationale Strategie entwikkeln, wie wir Europa voranbringen, wird aus diesem Europa nichts werden.
({4})
Einen schönen Gruß, Frau Kollegin Hoffmann und vielleicht auch die anderen, die es angeht, an Ihr Konrad-Adenauer-Haus. Dort wurde eine Schrift „Die Europapolitik der Sozialdemokraten" verfaßt. Das ist doch alles Wahlkampfmunition und nützt uns europäisch überhaupt nichts. Das ist genauso eine Schrift als Wahlkampfmunition wie die Publikation „Schlußbilanz der SPD als Regierung". Die kam am 11. Oktober, also noch pünktlich vor der Regierungserklärung. Dies nützt uns europäisch nichts.
({5})
- Da sind Sie ganz hervorragend. Herr Reddemann, Sie können natürlich sagen, die Sozialisten in Europa seien sich nicht einig. Das stimmt sogar. Wir ringen auch dort um Konzepte, und die Renationalisierung macht uns in diesen Parteien natürlich auch Schwierigkeiten. Bloß: Die Christdemokraten sind sich ja nicht einiger; sie sind bloß ein paar weniger. - Lassen Sie uns also nicht darüber reden, sondern darüber, wie Europa in Gang kommt.
Zum Abschluß möchte ich noch etwas zu der Frage sagen, wie wir das hier in diesem Hause vielleicht schaffen könnten. Ich bin weit davon entfernt, die frühere Bundesregierung zu loben und zu sagen, sie habe genug geleistet. Sie hat nicht genug geleistet, und ich fürchte, auch die neue Bundesregierung wird nicht genug leisten und wird auch nicht genug leisten können. Diese Aussprache hier war schon sehr lange geplant; wir haben uns ein halbes Jahr bemüht, daß wir hier über Europa debattieren. Deshalb sollten wir versuchen, hier noch einiges zu Protokoll zu geben, z. B. folgendes.
Das Parlament hat sich seiner Kontrollmöglichkeiten und seiner politischen Einflußmöglichkeiten in bezug auf Europa begeben. Das Europäische Parlament, das frei gewählt worden ist, hat diese politischen Kompetenzen leider noch nicht erobern können. Dazwischen gibt es einen Freiraum.
({6})
- Und mit welcher Alternative, Herr Kollege Lenz?
({7})
- Das brauchen Sie j a nicht.
({8})
- Wenn der Präsident das erlaubt.
({9})
Erlauben Sie ihm eine?
Herr Kollege, was den Deutschen Bundestag angeht, so haben wir uns der Entscheidungsbefugnisse begeben - würden Sie mir darin zustimmen? -, aber nicht der Kontrollbefugnisse; denn dieses Haus - davon war heute schon in den Ausführungen der Frau Kollegin Martiny-Glotz die Rede - schafft es in der Tat, 450 Verordnungen der EG pro Jahr zu betrachten. Es kann sie kontrollieren; bloß: Beeinflussen kann es sie nicht.
Zweitens. Das Europäische Parlament - stimmen Sie mir darin zu? - hat durchaus die Möglichkeit zu kontrollieren, bloß leider ebenfalls nicht die Möglichkeit zu entscheiden.
Würden Sie mir schließlich darin zustimmen, daß es vielleicht nützlich wäre, wenn wir uns in der Sprache etwas präziser faßten, damit wir das, was existiert, besser unterscheiden können von dem, was noch nicht existiert?
Ein Glück, daß Sie nur drei Fragen gestellt haben, Herr Kollege Lenz!
({0})
Herr Kollege Lenz, ich beantworte sie alle drei mit Ja. Sie haben völlig recht. Sie haben präzis das ausgedrückt, was ich eigentlich sagen wollte. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Unterstützung. Bloß, Herr Kollege Lenz, wir müssen uns gemeinsam darüber Gedanken machen, wie wir die Entscheidungsbefugnisse vielleicht wieder etwas stärker an uns heranziehen und uns die Möglichkeit schaffen können, die Kontrolle tatsächlich auszuüben. Dies ist nämlich das Problem, daß sie nicht stattfindet. Wir sind uns da einig.
Nun haben wir ja versucht, in diesem Bundestag auch darüber nachzudenken. Ein Ergebnis unseres Nachdenkens war eben diese Sitzung, diese Debatte hier. Ich glaube, sie hat noch nicht sehr zur Kontrolle beitragen können.
Was sollen wir nun in diesem Parlament eigentlich wirklich machen? Ich möchte erinnern an die
Kleine Anfrage, die wir gestellt haben, wie es eigentlich mit der Gewichtsverteilung, auch arbeitsmäßig, zwischen der Regierung und diesem Parlament aussieht. Es gibt nur sehr wenige Abgeordnete, die überhaupt die Möglichkeit haben, sich mit Europa zu befassen. Allerdings gibt es da zahlreiche Beamte.
({0})
- Richtig, ja. Trotzdem findet eine Diskussion der politischen Fragen, die dahinterstehen, hier in diesem Parlament nicht statt.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage - wenn ich Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen darf
- hat die Bundesregierung kundgetan: Es gibt 32 Referate im Bereich der Bundesregierung mit etwa 200 Mitarbeitern, die aussschließlich mit Europafragen befaßt sind. Dazu gibt es noch 45 Mitarbeiter der Ständigen Vertretung in Brüssel. Im Jahre 1980 haben 2 368 Expertensitzungen mit 3 587 deutschen Vertretern stattgefunden. Ungeheuer, nicht?
Das gegenwärtige Verfahren der Koordinierung entspricht nach Auffassung der damaligen Bundesregierung - und wahrscheinlich auch noch der heutigen Bundesregierung - den Erfordernissen. Das will ich gar nicht bestreiten. Ich meine bloß, die Erfordernisse sollten überdacht, die Parlamente nicht vergessen und das Europa der Experten zu einem Europa der Bürger umgestaltet werden. Darauf müssen wir uns in der Tat konzentrieren.
Herr Kollege Linde, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Aber gern.
Herr Kollege Linde, sind Sie mit mir darin einig, daß wir auch im Deutschen Bundestag, in den damit befaßten Ausschüssen, z. B. dem Auswärtigen Ausschuß, Verfahren finden können, ohne große Komplikationen, mit denen wir die Kontrolle der Europatätigkeit unserer eigenen Bundesregierung verbessern können, und stimmen Sie mir zu, daß wir diese Schritte unternehmen sollten, um damit europäische Fragen hier in diesem Hause zeitnäher diskutieren zu können, als wir das im Augenblick tun?
Darauf will ich jetzt zum Abschluß gern kommen. Wir müssen tatsächlich auch unser eigenes Verfahren verbessern, Herr Kollege Lenz. Dazu hat es j a Überlegungen hier im Hause gegeben. Eine Überlegung war, in einem Unterausschuß die verschiedenen Europa-Beteiligungen der Ausschüsse zusammenzufassen und die Europaprobleme zeitnäher zu diskutieren. Ich meine, es ist wichtig, daß wir das tun, weil wir als Parlament j a auch Gesprächspartner unserer europäischen Kollegen sein müssen. Dies muß koordiniert werden, weil zu den normalen Ausschußsitzungstagen die europäischen Kollegen meist nicht kommen können, da sie selber Sitzung haben. Mein Parteivorsitzender, Herr Brandt, der sein Mandat leider aufgeben muß, hat ja erzählt, wie schwierig es ist, hier und dort Abgeordneter zu sein.
Deswegen würde uns, Herr Kollege Lenz, ein Ausschuß, in dem man sich verabredet, in dem man eine Tagesordnung aufstellt und die Experten von hier und die Experten von Europa zusammenführt, auch die Experten der Regierung, sehr nützen. Ich fürchte nur, daß das, was die SPD und die FDP in ihrem Antrag gewollt haben: einen Unterausschuß zu bilden, nicht ausreicht, und zwar aus zwei Gründen. Erstens muß dieser Unterausschuß an einen Ausschuß angebunden werden. Das ist nach unserern Vorstellungen der Auswärtige Ausschuß. Das Engagement des Auswärtigen Ausschusses für die Europafragen reicht aber nicht aus, es muß auch das Engagement in Fachfragen hinzukommen. Zweitens würde uns eine Organisation der Europafragen auf Ausschußebene nicht die Möglichkeit schaffen, mit den europäischen Abgeordneten wirklich ins Gespräch zu kommen; sie könnten nur von Fall zu Fall als Sachverständige gehört und zugelassen werden.
Deshalb hat der Ältestenrat den, wie ich meine, bedenkenswerten weiteren Vorschlag gemacht, ob man nicht im Rahmen unserer Geschäftsordnung eine Art Europakommission schaffen sollte, in der sich gleichberechtigte Abgeordnete dieses Parlaments, die für diese Aufgabe zuständig sind - vielleicht nach den Fachkompetenzen zusammengesetzt -, und Abgeordnete des Europäischen Parlaments zusammenfinden, um auf nationaler Ebene die europäischen Strategien und Konzepte zu besprechen und sich in den Informationen und auch in den politischen Strategien wechselseitig zu ergänzen. Ich glaube, wir sollten diesem Gedanken noch einmal nachgehen. Es wird sicherlich keinen Zweck haben, das noch vor dem 6. März zu machen. Aber dieser Vorschlag des Ältestenrats zur Bildung einer Kommission kann ja auch noch nach dem 6. März in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
Ich glaube nicht, daß wir uns hier mit perfekten Lösungen abgeben sollten. Sie sind alle zum Scheitern verurteilt. Nehmen Sie zehn oder elf engagierte Abgeordnete! Kümmern wir uns um die europäischen Fragen! Sprechen wir mit der Regierung darüber, sprechen wir mit unseren europäischen Abgeordneten! Und erklären wir draußen, was Europapolitik für uns wirklich bedeuten kann! Damit würden wir dem europäischen Gedanken wahrscheinlich einen riesengroßen Gefallen tun. Ich würde sehr gern weiterhin daran mitwirken. Ich bin sicher, daß das auch meine Fraktion tun wird. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Zu einer kurzen Bemerkung - ich glaube, zu einer Berichtigung - erteile ich dem Kollegen Louven das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich Sie am Ende dieser langen Debatte noch zwei bis drei Minuten aufhalten muß. Aber die BeLouven
schlußempfehlung in der Bundestagsdrucksache 9/1993 bedarf einer kleinen Berichtigung.
In Ziffer I auf Seite 3 müssen die Worte „1 v. H. am Mehrwertsteueraufkommen" durch die Worte „1 v. H. der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer" ersetzt werden. Lassen Sie mich dies mit wenigen Sätzen begründen.
Der Ausdruck „1 v. H. am Mehrwertsteueraufkommen" ist auf Grund eines Formulierungsversehens unrichtig. Er gibt das Beratungsergebnis des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung nicht zutreffend wieder. Der Ausschuß hat mit Ziffer I der Beschlußempfehlung gemeint, daß die Vorschläge der EG-Kommission nicht zu einer Ausweitung der Haushaltsmittel der Gemeinschaft über den Mehrwertsteueranteil, den die Mitgliedstaaten zur Zeit an die Gemeinschaft abzuführen haben, hinaus führen dürften. Dieser abzuführende Mehrwertsteueranteil beträgt jedoch nicht 1 v. H. am Mehrwertsteueraufkommen, sondern 1 v. H. der Bemessungsgrundlage des Mehrwertsteueraufkommens. Was der Unterschied ist, möchte ich an einigen Zahlen deutlich machen.
Als Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer in einem Mitgliedstaat ist die Summe aller steuerpflichtigen Warenlieferungen und Dienstleistungen auf der Endstufe zu verstehen. Für die Bundesrepublik Deutschland beläuft sich die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer zur Zeit auf über 900 Milliarden DM, so daß über 9 Milliarden DM - das ist 1 % - zu zahlen wären. Das Aufkommen aus der Mehrwertsteuer beläuft sich für 1982 in der Bundesrepublik Deutschland auf eine Größenordnung von 100 Milliarden DM. 1 % des Mehrwertsteueraufkommens entspräche demnach einer Abführung von etwa 1 Milliarde DM. In Wirklichkeit sind aber für 1982 im Etat 8 Milliarden DM vorgesehen.
Meine Damen und Herren, die Berichtigung dient somit der Klarstellung und soll Mißverständnisse vermeiden. Es ist damit sichergestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als 1 % der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer an die Gemeinschaft abzuführen braucht. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt einmütig, so zu verfahren. - Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 4 bis 10 liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Zu Punkt 4 der Tagesordnung - Regierungserklärung - liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 9/2116 vor. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß sowie den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 6 bis 8. Der Ältestenrat schlägt Oberweisung der Anträge wie folgt vor: bei Punkt 6 an den Auswärtigen Ausschuß, bei Punkt 7 an den Innenausschuß - federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß und bei Punkt 8 an den Auswärtigen Ausschuß. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 9/1040 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke sehr. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Es ist entsprechend beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 10. Dazu ist durch den Kollegen Louven eine Berichtigung eingebracht worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch oder besteht Einvernehmen zwischen den Fraktionen? - Letzteres ist der Fall.
Dann stelle ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 9/1993 in der geänderten Fassung, die soeben beschlossen worden ist, zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es ist entsprechend beschlossen. Damit sind die Tagesordnungspunkte 4 bis 10 erledigt.
Es ist bereits mitgeteilt worden, daß der Antrag auf Drucksache 9/1541 zurückgezogen worden ist. Daher entfällt die Beratung des Tagesordnungspunktes 11 a.
Ich rufe Punkt 11 b der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hoffmann ({0}), Klein ({1}), Dr. Althammer, Dr. Czaja, Schwarz, Köster, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Stercken, Dr. Lenz ({2}), Graf Huyn, Dr. Marx, Sauer ({3}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Schäfer ({4}), Dr. Vohrer, Dr. Wendig, Ronneburger, Frau Dr. Hamm-Brücher, Popp, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP
Freilassung des polnischen Bürgerrechtlers Jozef Lipski und anderer politischer Häftlinge
- Drucksache 9/2103 Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte sehr, Frau Kollegin!
({5})
- Frau Kollegin Hoffmann hat zur Begründung und in der Aussprache das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Antrag auf Freilassung des Bürgerrechtlers Jo-zef Lipski und anderer politischer Häftlinge in Polen möchte ich wie folgt begründen.
Um die Jahreswende 1981/82 haben u. a. die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die EG-Außenminister und auch der Deutsche Bundestag ihre Besorgnis über die Zustände in Polen geäußert. Der Machtübernahme durch das Militär am 13. Dezember 1981 und dem Kriegsrecht folgt massive Einschränkungen der ohnehin geringen bürgerlichen und gewerkschaftlichen Rechte.
Uns als Bürgern Europas darf das Schicksal Polens nicht gleichgültig sein.
({0})
Als Deutsche sind wir dem polnischen Volk zudem in ganz besonderer Weise verpflichtet. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, diesen internationalen Verantwortlichkeiten gerecht zu werden, hat doch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung betont, daß wir für die Verwirklichung der Menschenrechte überall in der Welt eintreten werden.
({1})
Wir freuen uns darüber, daß Lech Walesa aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Ein erster Schritt, eine erste Hoffnung. Professor Mazowiecki und andere Internierte warten aber noch auf ihre Freilassung. Selbst Arbeitsminister Gorski hat am letzten Freitag in Genf die Zahl der Internierten noch mit 700 angegeben.
({2})
Eine Solidarność-Delegation in der Schweiz sprach von 800 und betonte, daß mehrere tausend Mitglieder zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Wir - die CDU/CSU-Fraktion - setzen uns mit diesem Antrag für alle politischen Gefangenen ein.
Jan Jozef Lipski steht nicht nur deshalb im Mittelpunkt dieses Antrages, weil er sehr bekannt ist. Im Oktober 1981 erschien in der Exilzeitschrift „Kultura" sein großer Aufsatz „Zwei Vaterländer - Zwei Patriotismen". Lipski hatte den Mut und die geistige Vornehmheit, eine Meinung zu äußern, die ihn nicht nur ins Visier der polnischen Regierung brachte. Er rechnet gleichzeitig gnadenlos mit dem übersteigerten Nationalismus ab. Er bekennt sich zur Aussöhnung und europäischer Zusammenarbeit.
Im Sommer 1976 hatte Lipski öffentlich gegen die Verhaftung streikender Arbeiter in Ursus und Radom protestiert. Er wurde Gründungsmitglied des Komitees zur Verteidigung der Rechte der Arbeiter.
Nach Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 eilte Lipski zu „seinen" Ursus-Arbeitern, um sie zur Mäßigung anzuhalten und Blutvergießen zu vermeiden. Der schwerkranke Intellektuelle wurde dennoch als „Streikleiter" vor Gericht gestellt. Dank der Bitten englischer Freunde wurde der Prozeß im Mai 1982 unterbrochen. Lipski durfte zur Krankenbehandlung nach England ausreisen. Und wieder Mut: er kehrte am 15. September 1982 freiwillig nach Warschau zurück. Verhaftung am Tag darauf. Nun steht er wieder vor Gericht wegen angeblicher Streikführung.
Ich würde mich freuen, wenn der Antrag einhellige Unterstützung finden könnte; es wäre ein Zeichen europäischer Verbundenheit mit Polen und mit Jozef Lipski, einem aufrechten Europäer. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Polkehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Hoffmann, es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß Ihre Entschließung nicht gerade Begeisterungsstürme in Ihrer Fraktion hervorgerufen hat. Sechs Kollegen Ihrer Fraktion sind heute abend hier noch anwesend.
({0})
- Wir haben keine Entschließung gefaßt; Sie brauche nicht dort hinüber zu schauen.
({1})
Meine Damen und Herren, in fast 120jähriger Geschichte sind Sozialdemokraten ununterbrochen für politische Verfolgte, für die Freilassung politischer Häftlinge eingetreten. Wir fordern auch heute die Freilassung aller derer, die sich in vielen Staaten der Welt aus politischen Gründen in Haft oder Internierung befinden.
({2})
Nun zur vorliegenden Entschließung. Wir halten Entschließungen dieser Art, die besonders für Einzelpersonen eintreten, für nicht sehr sinnvoll, eben weil wir die Freilassung aller politischen Häftlinge - hier konkret: aller polnischen - und nicht nur der prominenten unter ihnen wünschen und fordern.
({3})
In Kenntnis der Lage in Polen hege ich auch Zweifel daran, daß solche Aktionen die erwarteten Wirkungen erzielen. Lech Walesa ist frei. Darüber freuen wir uns. Es macht heute keinen Sinn, womöglich darüber zu spekulieren, worin die Ursachen für seine Freilassung zu suchen sind.
({4})
Herr Kollege Polkehn, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe dafür keine Zeit.
Im übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der neuen Mehrheit, tun Sie mit Ihrem Antrag so, als ob Sie noch in der Opposition sind.
({0})
Sie fordern die Regierung, die Sie doch selber stellen, zum Handeln auf, obwohl Ihnen in dieser Regierung jetzt alle diplomatischen Kanäle offenstehen, Sie sich also selber - und, wenn möglich, vor Ort - für die Freilassung der Inhaftierten und Internierten in Warschau einsetzen können.
({1})
So nehme ich z. B. an, daß der Herr Bundesaußenminister bei seinem Blitzbesuch in Ankara sich eindringlich für die Freilassung politischer Häftlinge eingesetzt hat. Einen ähnlichen Besuch in Warschau schätze ich jedenfalls für wirkungsvoller ein als Entschließungen, so hehr sie auch sein mögen, die wir hier verabschieden müssen.
Unser Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner und andere Kollegen unserer Fraktion und auch ich haben in diesem Jahr in Warschau mehrmals sehr offen das die polnischen Menschen bedrückende Kriegsrecht angesprochen und unserer Sorge um die Internierten Ausdruck gegeben. Diese Gespräche sind nicht wirkungslos geblieben. Ich meine überhaupt: stille Diplomatie kann immer noch mehr für die leidgeprüften Menschen in Polen und anderswo erreichen - und sie hat es j a auch in der Vergangenheit erreicht - als alle spektakulären Aktionen.
Bitte, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, nehmen Sie es mir nicht übel: die Unterschriften derer unter der Entschließung, die die Verträge mit Polen bekämpft haben und auch heute noch bekämpfen, werden der Glaubwürdigkeit einer solchen Entschließung nicht aufhelfen und den Betroffenen ganz sicher nicht nützlich sei. Aber das ist ausschließlich Ihre Sache. Dies sollte nur ein aufrichtig gemeinter Rat von mir sein.
({2})
Die sozialdemokratische Fraktion bittet, den Entschließungsantrag dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen.
Schönen Dank.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag von Abgeordneten und der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 9/2103 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
({0})
- Ach, erst die Abstimmung über die Überweisung?
- Moment, erst die Entscheidung in der Sache.
({1})
- Bitte schön.
Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt gegen eine Überweisung? - Der Antrag auf Überweisung ist abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Annahme der Entschließung. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist gegen den Antrag? - Enthält sich jemand der Stimme? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
({2})
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. November 1982, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.