Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe noch etwas bekanntzugeben: Für den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt sind zwei neue stellvertretende Mitglieder zu wählen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, an Stelle des Abgeordneten Dr. Hennig den Abgeordneten Schulze ({0}) zu bestimmen. Die Fraktion der SPD benennt für den Abgeordneten Hofmann ({1}), der aus der SPD-Fraktion ausgeschieden ist, den Abgeordneten Sielaff.
Für den aus dem Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung ausscheidenden Abgeordneten Carstens ({2}) schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Echternach vor.
Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Schulze ({3}) an Stelle des Abgeordneten Dr. Hennig und der Abgeordnete Sielaff an Stelle des Abgeordneten Hofmann ({4}) als stellvertretende Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt sowie der Abgeordnete Echternach an Stelle des Abgeordneten Carstens ({5}) als neues Mitglied des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung gewählt.
Schließlich teile ich mit, daß der Bundestag für den aus dem Kunstbeirat der Deutschen Bundespost ausscheidenden Abgeordneten Dr. Köhler ({6}) ein neues Mitglied vorschlagen kann. Die Fraktion der CDU/CSU benennt hierfür den Abgeordneten Metz.
Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Metz an Stelle des Abgeordneten Dr. Köhler ({7}) als neues Mitglied des Kunstbeirates der Deutschen Bundespost vorgeschlagen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Antrag zum Bericht des Seeverkehrsbeirats „Führen fremder Flaggen" vom 9. März 1981 - Drucksache 9/1872 ({8}) -, der in der 125. Sitzung des Deutschen Bundestages dem Ausschuß für Verkehr federführend sowie dem Finanzausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Mitberatung überwiesen wurde, nachträglich
auch dem Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat soll Punkt 16 der Tagesordnung - Freilassung des Gewerkschaftsführers Lech Walesa und anderer politischer Häftlinge - abgesetzt werden. - Auch damit ist das Haus einverstanden.
Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 9/2078 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Klein zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Börnsen auf:
Ist es zutreffend, daß es der Bundesgerichtshof abgelehnt hat, etliche Unrechtsurteile aus dem Dritten Reich gegen Widerstandskämpfer, so gegen Mitglieder der Weißen Rose, aufzuheben und die damals „Verurteilten" zu rehabilitieren, und beabsichtigt die Bundesregierung bejahendenfalls, eventuell notwendige rechtliche Voraussetzungen für eine Rehabilitation zu schaffen?
Herr Kollege Börnsen, es trifft nicht zu, daß der Bundesgerichtshof es abgelehnt hat, Unrechtsurteile aus dem Dritten Reich gegen Widerstandskämpfer aufzuheben. Die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile ist durch landes- oder zonenrechtliche Vorschriften bereits vor der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland geregelt worden. Für Bayern gilt insoweit das Gesetz Nr. 21 vom 28. Mai 1946. Einer Presseveröffentlichung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 26. Oktober dieses Jahres entnehme ich, daß das Urteil des Volksgerichtshofes gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose" bereits im Jahre 1946 durch das genannte Gesetz aufgehoben worden ist.
Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, das von Ihnen genannte Gesetz Nr. 21 vom 28. Mai 1946 hat im Lande Bayern Gültigkeit erlangt. Ist es auch für den gesamten Bereich der Bundesrepublik gültig?
Für den gesamten Bereich der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl einschlägiger rechtlicher Normen: für die ehemalige amerikanische Zone das erwähnte bayerische Gesetz, für das Land Bremen ein Gesetz vom 27. Juni 1947, für Hessen ein Gesetz vom 29. Mai 1946, für Württemberg-Baden ein Gesetz vom 31. Mai 1946, für Berlin ein entsprechendes Gesetz, für die heutigen Länder der damaligen französischen Zone entsprechende Gesetze, für die britische Zone eine Verordnung des Präsidenten des Zentraljustizamtes für die britische Zone vom 3. Juni 1947 und für die sowjetische Zone schließlich den Befehl Nr. 288 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration vom 30. Juli 1946. Damit ist nicht nur der Bereich der Bundesrepublik Deutschland, aber auch dieser Bereich vollkommen abgedeckt.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, in den anderen Ländern seien entsprechende Gesetze erlassen worden,
({0})
haben jedoch nicht die Frage beantwortet, ob das Gesetz, welches in Bayern Gültigkeit erlangt hat, in ähnlicher Weise - bezogen auf die Urteile, die gegen Mitglieder der „Weißen Rose" gefällt wurden - auch für den gesamten Bereich der Bundesrepublik Deutschland Gültigkeit hat.
({1})
Herr Kollege, das Urteil gegen die Mitglieder der „Weißen Rose" ist in München verhängt und vollstreckt worden und fiel deshalb in den Regelungsbereich des Landes Bayern. Die Wirkung dieses Gesetzes erstreckt sich selbstverständlich, indem sie dieses Urteil aufhebt, auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatssekretär, hat sich, wie in der Frage unterstellt, der Bundesgerichtshof jemals speziell mit dem Fall „Weiße Rose" beschäftigt?
Herr Kollege Thüsing, am besten beantworte ich Ihre Frage, indem ich hier die einschlägige Presseverlautbarung des Bundesgerichtshofes mindestens auszugsweise zitiere. Es heißt da:
Der Bundesgerichtshof war mit den Urteilen des Volksgerichtshofs gegen die Mitglieder der Weißen Rose nicht befaßt und hat sie niemals als zu Recht ergangen bezeichnet. Er hat im Gegenteil in anderen Fällen Urteile des Volksgerichtshofs als rechtswidrig gekennzeichnet,
wenn die Todesstrafe in einem unerträglichen Mißverhältnis zu dem Verhalten der Beschuldigten gestanden habe und gesetzliche Milderungsmöglichkeiten nicht in Betracht gezogen worden seien. Es habe sich vielfach
- so zitiert der Bundesgerichtshof seine eigene Entscheidung nur um eine „Ausnutzung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung" gehandelt. Ein Richter, der an derartigen Urteilen mitgewirkt habe, sei nicht als bloßer Gehilfe Freislers, sondern gegebenenfalls als Täter des Tötungsverbrechens - also als Mörder - zu verfolgen.
So weit die Verlautbarung des Bundesgerichtshofes.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kann ich dann, wenn man einzelne Regelungen in Landesgesetzen qualitativ miteinander vergleicht, davon ausgehen, daß die Regelung, die Bayern betrifft, eine andere Qualität als beispielsweise Landesgesetze anderer Bundesländer hat, insbesondere bezogen auf den Fall, den mein Kollege vorhin angesprochen hat?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihre Frage richtig verstanden habe, aber falls ich sie richtig verstanden habe, würde ich sie mit Nein beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe Frage 2 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß alle Verfassungsorgane, Behörden und alle, die amtliche Funktionen - auch im Schulbereich - ausüben, im Sinne ihrer Verpflichtung zu verfassungs- und gesetzesgemäßem Handeln darauf hinwirken müssen, die „nationale und staatliche Einheit" ganz Deutschlands zu wahren ({0}), weil nur das ganze deutsche Volk in freier Entscheidung und Selbstbestimmung ({1}) anders entscheiden kann?
Herr Präsident, ich würde gern beide Fragen des Kollegen Dr. Czaja im Zusammenhang beantworten, wenn das möglich ist.
Ist der Fragesteller damit einverstanden?
({0})
- Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich
zusätzlich Frage 3 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Vizepräsident Wurbs
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Verfassungsorgane und - im Rahmen verfassungs- und gesetzesgemäßen Handelns - auch alle Ämter und öffentlichen Stellen „von der im Grundgesetz verankerten Existenz Gesamtdeutschlands mit einem deutschen ({1})Staatsvolk und einer ({2})deutschen Staatsgewalt auszugehen" haben und die Bezeichnung „deutsche Nation", die eine Klammer für Gesamtdeutschland ist, als „Synonym für das ,deutsche Staatsvolk"' zu benützen ist ({3})?
Herr Kollege Dr. Czaja, die Bundesregierung beantwortet beide Fragen mit einem klaren Ja.
Eine Zusatzfrage.
Danke schön, Herr Präsident, aber ich möchte noch zwei Zusatzfragen stellen. Erstens. Bezieht sich das Wahrungsgebot, das in Frage 2 angesprochen ist, also auf das rechtlich fortbestehende Deutschland in seinen rechtmäßigen Grenzen?
Herr Kollege Dr. Czaja, Sie haben in Ihrer zweiten Frage das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 zitiert, aus dem ich meinerseits jetzt zitieren möchte:
Die klare Rechtsposition jeder Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist: Wir haben von der im Grundgesetz vorausgesetzten, in ihm „verankerten" Existenz Gesamtdeutschlands mit einem deutschen ({0})Staatsvolk und einer ({1})deutschen Staatsgewalt auszugehen.
Wenn heute von der „deutschen Nation" gesprochen wird, die eine Klammer für Gesamtdeutschland sei, so ist dagegen nichts einzuwenden, wenn darunter auch ein Synonym für das „deutsche Staatsvolk" verstanden wird, an jener Rechtsposition also festgehalten wird und nur aus politischen Rücksichten eine andere Formel verwandt wird.
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung.
Ich danke für die klare Antwort.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, kurz den Grenzverlauf dieses Gesamtdeutschlands anzugeben?
Herr Kollege, ich glaube, daß dies einer Friedenskonferenz vorbehalten ist. So heißt es auch in den einschlägigen Verträgen und Abkommen. Ich glaube nicht, daß man das heute spezifizieren sollte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Kollege Dr. Hennig, ist diese erfreulich klare Auskunft der Bundesregierung auch Ausgangspunkt für Gespräche mit den Ländern, die daraus ja folgen müßten, um sicherzustellen, daß überall dort - wir wissen ja aus dem Anhörungsverfahren des Innerdeutschen Ausschusses, daß es da noch vielfach fehlt -, wo diese klare Auffassung sich noch nicht durchgesetzt hat, die Frage der deutschen Einheit insbesondere im Schulbereich auf Grund solcher Gespräche auch von den Schulbehörden angenommen wird?
Selbstverständlich, Herr Kollege. Es ist vorgesehen, daß entsprechende Gespräche geführt werden.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Subventionsaufwand pro Wohnung bei der Errichtung von öffentlich geförderten Mietwohnungen in Verdichtungsgebieten zu hoch ist, und ist sie bereit, zur Vergrößerung des Mengeneffekts bereits in dem von ihr geplanten Programm zur Verstärkung des Mietwohnungsbaus in Verdichtungsgebieten auf eine Umstrukturierung der Fördermethoden hinzuwirken?
Herr Kollege Sperling, es trifft zu, daß die bisher im sozialen Wohnungsbau üblichen Förderungsmethoden insbesondere in Ballungsgebieten im Einzelfall zu sehr hohem Subventionsaufwand für öffentlich geförderte Mietwohnungen geführt haben.
Die Bundesregierung hat deshalb im Interesse größerer Mengeneffekte und damit im Interesse der Baunachfrage das Schwergewicht der Förderung im Sonderprogramm zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus auf den 2. Förderungsweg gelegt. Wie Sie wissen, sollen von den für die Wohnungsbauförderung zusätzlich vorgesehenen insgesamt 2 Milliarden DM 1,5 Milliarden DM als Finanzhilfen für Aufwendungsdarlehen und Aufwendungszuschüsse im 2. Förderungsweg bereitgestellt werden.
Keine Zusatzfragen. Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Pauli auf:
Sind der Bundesregierung Hinweise bekannt, wonach die Metro GmbH neben ihren bisherigen Anteilen über eine Schweizer Bank weitere 26 Prozent des Aktienaufkommens an der Kaufhof-AG erworben hat, und wie beurteilt die Bundesregierung hierbei die Möglichkeiten der Fusionskontrolle?
Der Bundesregierung sind keine Hinweise bekannt, wonach die Metro GmbH neben ihren bisherigen Anteilen von 24 % über eine
Schweizerische Bank weitere 26 % des Aktienaufkommens an der Kaufhof AG erworben hat. Ein solcher Zusammenschluß unterläge zwingend der präventiven Fusionskontrolle, d. h. alle beteiligten Unternehmen hätten das Vorhaben beim Bundeskartellamt anzumelden und könnten den Zusammenschluß erst vollziehen, wenn das Amt die Transaktion nicht innerhalb einer Viermonatsfrist untersagt. Beim Bundeskartellamt ist eine solche Anmeldung weder eingegangen noch signalisiert worden.
Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn sich doch herausstellen sollte, daß es so ist: Kann die Bundesregierung ausschließen, daß das Bundeskartellamt in nächster Zeit gegen ein den freien Markt verzerrendes Zusammenwirken der Kaufhof AG und der Metro-Gruppe vorgehen muß, da sich unter Umständen die Möglichkeiten der Einflußnahme der Metro-Gruppe auf die Geschäftspolitik der Kaufhof AG durch den Verkauf eines 8%igen Aktienanteils der Schweizerischen Bankgesellschaft an einen bis jetzt in der Öffentlichkeit noch nicht bekannten Aktieneigner unzulässigerweise vergrößern würden?
In einem solchen, unterstellten Fall wäre das Bundeskartellamt am Zuge und würde seine Entscheidung zu treffen haben.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, ihre Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft auch im Interesse des mittelständischen Einzelhandels insbesondere dadurch unter Beweis zu stellen, daß sie die Vorgänge um die Kaufhof AG und die Metro-Gruppe im Hinblick auf Wettbewerbsverzerrungen besonders sorgfältig beobachten läßt und entsprechende Bemühungen des Bundeskartellamtes unterstützt?
Da die Bundesregierung mit großem Nachdruck die Fusionskontrolle in das Kartellgesetz eingefügt hat - mit Unterstützung des ganzen Parlaments -, ist es selbstverständlich, daß sie alle ihre Möglichkeiten nutzen wird, um dieser Fusionskontrolle Geltung zu verschaffen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung die Veröffentlichungen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu dieser beabsichtigten Fusion bekannt, und zwar FAZ vom 9. November 1982 und FAZ vom 11. November 1982, und wie ernst nimmt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Dementi in der FAZ vom 11. November 1982?
Die Zeitungsveröffentlichungen sind bekannt. Ich verweise noch einmal auf die zwingende rechtliche Verpflichtung zur
Anmeldung eines solchen Vorgangs, wenn er tatsächlich stattgefunden hätte, mit all den Konsequenzen, die etwa eine unterlassene Anmeldung auf die betroffenen Unternehmen hätte.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Feile werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Berschkeit. Der Fragesteller der Fragen 10 und 11, der Abgeordnete Stockleben, hat um schriftliche Beantwortung gebeten, ebenfalls der Fragesteller der Frage 12, Herr Abgeordneter Poß. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Schwenk ({0}) auf.
Ist die Bundesregierung bereit, sich aus regionalpolitischen Gesichtspunkten gegenüber dem Konzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm dahin gehend einzusetzen, daß im Werk Stade getätigte und vorbereitete Investitionen dort jetzt und in Zukunft genutzt und damit Arbeitsplätze erhalten werden?
Die Beschäftigung im MBB-Werk Stade wird ganz wesentlich vom Airbus-Programm bestimmt. Zur Marktsituation dieses Programms und zur industriellen Verantwortung seiner Abwicklung habe ich anläßlich der Fragestunde vom 28. Oktober 1982 bereits Stellung genommen. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß nur das Unternehmen selbst beurteilen und verantworten kann, durch welche betrieblichen Maßnahmen verhindert werden soll, daß sich bei einem Absatzrückgang die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprogramms insgesamt gravierend verschlechtert.
Die Bundesregierung geht allerdings davon aus, daß das Unternehmen im eigenen Interesse Vorsorge trifft, um einen späteren Hochlauf der Produktionsrate nicht zu gefährden. Sie hat ihrerseits ihre Bereitschaft angekündigt, eine Erweiterung des Airbus-Programms zu gegebener Zeit und unter bestimmten Voraussetzungen mitzutragen.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, was gedenkt denn die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß durch Rationalisierungsinvestitionen Arbeitsplätze in bestimmten Regionen verlorengehen, weil das Unternehmen gedenkt, Produktionszweige zusammenzulegen, und weil die Gefahr besteht, daß das Werk Stade damit mindestens zu einem ganz erheblichen Teil Arbeitsplätze verliert?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat gerade im Zusammenhang mit dem Airbus-Programm immer betont, daß Rationalisierungsinvestitionen dringend notwendig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit des Programms, insbesondere gegenüber dem amerikanischen Konkurrenten Boeing, zu sichern. Es ist eine entscheidende Voraussetzung für die Sicherung der ArbeitsParl. Staatssekretär Grüner
plätze bei MBB, daß diese Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Geschäftsleitung und alle sonst zuständigen Unternehmensgremien im Interesse der Erhaltung der Arbeitsplätze alles tun, um dieser Wettbewerbsfähigkeit Vorrang zu verschaffen.
Weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Schwenk.
Tritt die Bundesregierung in Überlegungen ein, was den Beschäftigten in der von mir genannten Region angeboten werden kann, wenn sie dort, und zwar in großer Zahl, ihre Arbeitsplätze verlieren werden?
Herr Kollege, nach der Verfassung ist für die regionale Strukturpolitik das Land zuständig. Die Möglichkeiten der Bundesregierung beschränken sich auf das Institut der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", wo Bund und Land zusammenwirken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Börnsen.
Herr Staatssekretär, sicher ist es notwendig, daß auch ein Unternehmen wie MBB rationalisiert, vielleicht ist sogar nicht zu verhindern, daß dabei auch Arbeitsplätze eingespart werden. Aber halten Sie es hinsichtlich der Aussagen der Bundesregierung bei der Fusion von MBB und VFW heute für richtig, daß in Norddeutschland die Arbeitsplätze wegrationalisiert und in Süddeutschland im wesentlichen erhalten bleiben?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat auch im Zusammenhang mit der Fusion immer darauf hingewiesen, daß diese Fusion auch notwendig ist, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie hat gehofft - lange Zeit hatte es auch den Anschein -, daß der Hochlauf der Produktion durch den außerordentlichen Erfolg des Airbus-Programms mit der Erhaltung der dort vorhandenen Arbeitsplätze Hand in Hand gehen könnte. Für die jetzt eingetretene Situation ist der Rückgang der Nachfrage nach Großraumflugzeugen des Typs Airbus entscheidend, obwohl sich dieses Programm im internationalen Vergleich nach wie vor günstig darstellt. Das ist die Ursache für die Personalentscheidungen, die noch nicht getroffen sind, die aber die Geschäftsleitung dem Aufsichtsrat zur Entscheidung vorlegen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Verwunderung teilen, daß sich hier ein Abgeordneter der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in großer Sorge um den Airbus bei Ihnen bemüht, wo sich doch sozialdemokratische Abgeordnete im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages und anderswo, öffentlich
und hier im Parlament, jahrelang gegen dieses Projekt ausgesprochen haben?
({0})
Herr Staatssekretär, die Frage steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten Frage. Es steht Ihnen frei, darauf zu antworten.
({0})
Herr Kollege, es ist richtig, daß das Airbus-Programm von den Kollegen unterschiedlich beurteilt worden ist und daß auch der hohe Subventionswert kritisch aufgenommen worden ist. Es steht mir aber nicht zu, in irgendeiner Richtung Verwunderung zu äußern.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich bitte schon im vorhinein um Entschuldigung dafür, daß ich noch einmal nachhaken muß; aber die Frage meines Kollegen Börnsen, wie sich die Bundesregierung dazu stellt, daß Verlagerungen von Arbeitsplätzen von Norddeutschland nach Süddeutschland vorgenommen sind, haben Sie nicht beantwortet, sondern Sie haben unter Hinweis auf das allgemeine Airbus-Programm geantwortet und auf die Verlagerung von bestimmten Fertigungszweigen aus dem norddeutschen Raum keine Antwort gegeben. Ich bitte Sie jetzt darum.
Herr Kollege, von einer solchen Verlagerung ist der Bundesregierung nichts bekannt. Im übrigen sind für derartige Entscheidungen die zuständigen Gremien des Unternehmens verantwortlich, das ja bekanntlich mitbestimmt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Gremien einer solchen Verlagerung, wenn sie stattgefunden haben sollte, ihre Zustimmung erteilt hätten, wenn dafür nicht wirklich zwingende Gründe vorgelegen haben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die von der Agfa-Gevaert AG beabsichtigte Stillegung des Agfa-Camera-Werks München mit 3 200 Beschäftigten, die damit verbundene erhebliche Zahl von Arbeitslosen in der Region München, sowie die Folgen für mittelständische Zulieferindustrie und Einzelhandelsgeschäfte abzuwenden?
Herr Kollege Dr. Schöfberger, die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, bestimmenden Einfluß darauf zu nehmen, ob es im Rahmen der Neuordnung des fototechnischen Unternehmensbereichs möglich ist, das AgfaCamera-Werk in München fortzuführen. Die bisher entstandenen und die zu erwartenden Verluste lassen nach Auffassung des Aufsichtsrats der AgfaGevaert AG eine Weiterführung nicht zu. Die zuständige bayerische Landesregierung hat alle ihr
möglichen Hilfen zur Rettung des Werkes angeboten.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Gesamtkonzern Agfa-Gevaert AG keineswegs in Produktionsoder Absatzschwierigkeiten ist und rote Zahlen schreibt, sondern auch künftig die gesamte Produktpalette aufrechterhalten will, die Produkte allerdings aus Drittländern beziehen, mit dem Markennamen Agfa versehen und auf den deutschen Markt bringen will, und ist die Haltung der Bundesregierung angesichts dieser Tatsachen noch verständlich und aufrechtzuhalten?
Herr Kollege, auch derartige Informationen ändern nichts daran, daß die Bundesregierung rechtlich und tatsächlich keinen Einfluß auf Entscheidungen eines Unternehmens hat. Die Bundesregierung hat den Informationen des Unternehmens entnommen, daß in den genannten Werken seit 1965 Verluste von über 1 Milliarde DM entstanden seien, davon allein 226 Millionen DM im Jahre 1981.
Eine Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung dann den Umstand, daß die Agfa-Gevaert AG nach Auskunft des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in den Jahren 1976 bis 1981 öffentliche Förderungsmittel des Bundes in einer Gesamthöhe von 26 072 801 DM entgegengenommen hat, und ist daraus vielleicht die Absicht der Bundesregierung zu entnehmen, bis zur Aufsichtsratssitzung am 18. November 1982 wenigstens noch politisch bei der Agfa-Gevaert AG vorstellig zu werden? Denn dieses Unternehmen hat ja auch bereitwillig das Geld des Bundes und damit auch Lohnsteuergelder in Empfang genommen.
Herr Kollege, derartige Projektförderungen werden und sind sehr gezielt auf bestimmte Projekte bezogen. Eine solche Projektförderung hat nichts mit der allgemeinen Verlustsituation eines Unternehmens zu tun, ohne daß ich das Projekt kenne, daß Sie jetzt ansprechen. Im übrigen ist für die nächste Woche ein Gespräch über die hier angeschnittenen Probleme zwischen dem zuständigen bayerischen Wirtschaftsminister Jaumann und Bundesminister Graf Lambsdorff vorgesehen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Bundesregierung weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit hat, auf die Unternehmensleitung und die anderen zuständigen Unternehmensgremien einzuwirken.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Ihre erste Antwort doch noch einmal zu überprüfen, wenn ich Ihnen mitteile, daß der Vorsitzende des Vorstands der Agfa-Gevaert
AG in der Sitzung des Aufsichtsrates am 1. Oktober 1982 berichtet hat, das Ergebnis vor Ertragsteuern liege im Januar bis August 1982 für die gesamte Gruppe bei plus 157,3 Millionen DM und das konsolidierte Ergebnis einschließlich Kompographik im Januar bis August 1982 bei plus 247 Millionen DM, und warum wird dann in der Öffentlichkeit behauptet, das Werk müsse schließen, weil es tief in den roten Zahlen stecke?
Herr Kollege, diese von Ihnen genannten Zahlen sind mir nicht bekannt, sondern ich habe bisher die Zahlen zugrunde gelegt, die das Werk und die Firmenleitung veröffentlicht haben. Eine solche veränderte Situation würde bei den Unternehmensentscheidungen sicherlich auch eine veränderte Beurteilung der Lage erlauben. Ich betone noch einmal, daß es für die Bundesregierung nicht möglich ist, darauf Einfluß zu nehmen, wie die Unternehmensleitung, der Aufsichtsrat und die mitbestimmten Gremien die Gesamtlage des Unternehmens beurteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bei der Agfa-Gevaert AG auf die Einhaltung der Vorschriften über die unternehmerische und die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der beabsichtigten Stillegung des Agfa-Carnera-Werks München zu drängen?
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, daß Vorschriften über die Unternehmensmitbestimmung nicht eingehalten worden wären. Nach Ansicht des Betriebsrats soll die Unternehmensleitung der Agfa-Gevaert AG ihn allerdings nicht rechtzeitig und umfassend genug über die beabsichtigte Betriebsstillegung unterrichtet haben. Die Bundesregierung hält es für selbstverständlich, daß auch im Falle der beabsichtigten Betriebsstillegung der Agfa-Gevaert AG die geltenden Beteiligungsrechte des Betriebsrates beachtet werden. Die Einhaltung dieser Rechte wird der Betriebsrat notfalls auch mit Hilfe der zuständigen Gewerkschaften erzwingen können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schöfberger.
Wie beurteilt die Bundesregierung, auch unter dem Gesichtspunkt der unternehmerischen Mitbestimmung, den Umstand, daß das Agfa-Camera-Werk in München bereits jetzt von den Philippinen Blitzlichtgeräte zu etwa 15 DM das Stück bezieht, sie zu etwa 250 DM das Stück auf den Markt bringt, den gesamten kaufmännischen Verkehr mit vier Beschäftigten aufrechterhält und diesen Vorgang auch als Beispiel für den künftigen Bezug von Photogeräten von den Philippinen auffaßt, um gleichzeitig 3 800 deutsche Arbeitsplätze zu vernichten?
Herr Kollege, wenn die von dem Unternehmen genannten Zahlen über die ganz ungewöhnliche Verlustsituation des UnterParl. Staatssekretär Grüner
nehmens zutreffend sind, habe ich durchaus Verständnis dafür, daß das Unternehmen den Versuch macht, die Überlebensfähigkeit des Unternehmens auch durch Importe, wie das ja auch andere Unternehmen in diesen Bereichen tun, sicherzustellen, auch wenn das die bedauerliche Folge hat, die Sie hier geschildert haben.
Ich betone noch einmal, daß ich mich als Vertreter der Bundesregierung mit keiner der hier genannten Zahlen identifizieren kann, weil sie uns nicht etwa auf Grund eigener Einsicht in die Bücher zur Verfügung stehen, sondern weil wir auf die Informationen angewiesen sind, die über die Öffentlichkeit, über das Unternehmen selbst und über das bayerische Wirtschaftsministerium zu uns gelangt sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Wie kann dann angesichts dieser Haltung der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Mitbestimmung noch davon geredet werden, daß Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll - ich nehme an, dem Wohle der Allgemeinheit deutscher Arbeitnehmer und der deutschen Wirtschaft und nicht unbedingt der philippinischen?
Herr Kollege, wenn durch die Produktion derartige Verluste entstehen, ist absehbar, wann weit über den bisher betroffenen Bereich hinaus weitere Arbeitsplätze wegen der Verlustsituation gefährdet sind. Das ist ein Rechenexempel. Deshalb ist die Frage des Allgemeinwohls vor dem Hintergrund zu behandeln: wie können die vorhandenen Arbeitsplätze gesichert werden? Mit Sicherheit nicht durch die Erzeugung ständiger Verluste. Sie sind die größte Gefährdung aller dort vorhandenen Arbeitsplätze. Deshalb liegt es im Interesse des Allgemeinwohls, daß eine Unternehmensleitung einen Betrieb auf Gewinn ausrichtet, weil nur Gewinn es möglich macht, Löhne zu zahlen.
Weitere Zusatzfrage, des Abgeordneten Marschall.
Herr Staatssekretär, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der von Ihnen heute dargestellten mangelnden Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter des Agfa-CameraWerks in München, und was beabsichtigt sie, um ähnliche Vorgänge in anderen Unternehmen zu verhindern oder zu vermeiden?
Herr Kollege, uns liegen keine Informationen darüber vor, daß Beteiligungsrechte des Betriebsrates verletzt worden sind. Ich betone aber noch einmal, daß hier das Handeln der Bundesregierung nicht erforderlich wäre, sondern daß die Gewerkschaften und die Betriebsräte Manns genug sind, ihre gesetzlich festgelegten Rechte auf dem dafür vorgesehenen Wege auch durchzusetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts der in der Öffentlichkeit genannten und zum Teil auch hier heute bereits vorgebrachten Fakten nicht für einen gravierenden, schweren Verstoß gegen die sozialpolitische Verantwortung eines Großkonzerns, wenn nach schweren Managementfehlern - z. B. einer jahrelangen bewußten Vernachlässigung der Forschung auf dem Gebiet von marktgerechten Neuentwicklungen - über Nacht mehr als 3 000 Menschen arbeitslos gemacht werden, für die nunmehr der Staat und die Arbeitslosenversicherung und damit der deutsche Steuerzahler Beträge in Milliardenhöhe zur Verfügung stellen müssen, während durch diese Maßnahmen beispielsweise die Arbeitsplätze der Gruppe in Belgien gesichert und, wenn ich das Beispiel des Kollegen Schöfberger aufgreife, damit auch indirekt Arbeitsplätze in Japan stabilisiert werden?
Herr Kollege, keine Wirtschaftsordnung ist vor schwerwiegenden Fehlentscheidungen des Managements gefeit. Die Folgen haben die Arbeitnehmer und hat die Allgemeinheit zu tragen. Ich mache mir hier Ihr Urteil über Managementfehler nicht zu eigen, weil ich das nicht aus eigener Kenntnis beurteilen kann. Aber wenn solche Managementfehler geschehen - und wir haben zahlreiche Beispiele in vielen Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland, wo im nachhinein sehr deutlich wird, daß auch gravierende Managementfehler zum Verlust von Arbeitsplätzen beigetragen haben -, dann hat es die hier genannten, von Ihnen mit Recht bedauerten Folgen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Fragesteller der Frage 16, der Abgeordnete Hinsken, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Das gleiche trifft für den Fragesteller der Frage 17 und der Frage 18 - des Abgeordneten Gansel - zu. Die Antworten auf diese Fragen werden als Anlagen abgedruckt.
Dann bedanke ich mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Grunenberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten für das Zustandekommen einer gemeinsamen EG-Fischereipolitik, und welche Haltung nimmt die Bundesregierung gegenüber den besonderen Wünschen Dänemarks ein?
Herr Kollege Grunenberg, nach Auffassung der Bundesregierung besteht noch eine Chance, nach sechsjährigem vergeblichen Bemühen die gemeinsame Fischereipolitik endlich festzulegen. Zwischen neun Mitgliedstaaten konnte bereits Einvernehmen er7874
zielt werden. Gegenüber besonderen dänischen Anliegen - insbesondere der Forderung nach einem Anteil an der Makrelenfischerei westlich der britischen Inseln - hat sich die Bundesregierung um Ausgleich bemüht und ist dabei bis an die Grenze des Möglichen und Vertretbaren gegangen.
Die von der Kommission für deutsche Fischerei vorgeschlagenen Quoten bleiben bei einigen Beständen hinter den Erwartungen der Bundesregierung zurück. Sie bieten jedoch eine tragfähige Grundlage für das Weiterbestehen der Hochseefischerei und die Entwicklung der Kutterfischerei. Im Rahmen eines Gesamtkompromisses bei der Lösung der schwierigen Probleme der gemeinsamen Fischereipolitik können diese Quotenvorschläge letztlich akzeptiert werden. Dies gilt nicht nur für das EG-Meer, sondern auch für die Drittlandabkommen mit Kanada, Norwegen, Schweden und den Färöern, die für die Bundesrepublik Deutschland von besonderer Bedeutung sind.
Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stehen die Ergebnisse der Bestandserkundung unserer finanziell recht aufwendigen Fischereiforschung in der dänischen Fischereizone vor Grönland außer der Bundesrepublik auch den Dänen zur Verfügung, tragen andere Nationen zu diesen Bestandserkundungen in diesem Gebiet bei und trägt dieser Forschungsaufwand in irgendeiner Weise zu dänischem Entgegenkommen bei?
Herr Kollege, ich sehe mich außerstande, Ihre Frage zu beantworten, weil sie nicht im Zusammenhang mit der Ausgangsfrage steht.
({0})
Ich bin aber gern bereit, Ihnen eine Antwort schriftlich zu liefern.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter. Sie haben zwei Fragen gehabt. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär will die zweite Zusatzfrage schriftlich beantworten.
Herr Präsident, das war eine einzige Frage, weil das im Zusammenhang mit dem dänischen Entgegenkommen stand. So habe ich das verstanden. Darf ich noch eine Frage stellen?
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung gegebenenfalls in Erwägung gezogen, in der deutschen Fischereizone der Nordsee Fischereiformen und Fischereitechniken, die nicht der Fischerei für den menschlichen Konsum dienen - ich meine jetzt die Gammelfischerei -, grundsätzlich zu verbieten, um den Schutz der Fischbestände zu gewährleisten, d. h. den Dänen zu verwehren, bei uns Industrie- bzw. Gammelfischerei zu betreiben?
Herr Kollege, während der langwierigen Verhandlungen ist über alle Fragen gesprochen worden. Letztlich kommt es darauf an, zu einem Kompromiß zu gelangen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, welche Schwierigkeiten es dabei gegeben hat und daß die Bundesrepublik Deutschland bis an den Rand des Möglichen gegangen ist, um diesen Kompromiß herbeizuführen. Wir müssen jetzt unser Augenmerk darauf richten, wie sich Dänemark in den nächsten Tagen und Wochen verhalten wird.
({0})
Die Frage 20 des Abgeordneten Grunenberg wird auf Grund der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Kann die Bundesregierung Meldungen bestätigen und welche Stellungnahme nimmt sie dazu ein, daß eine Verbrecherorganisation ({0}) die EG um mehrere Millionen DM betrogen hat ({1})?
Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich Ihre Fragen 21 und 22 zusammen beantworte?
Sind Sie damit einverstanden?
Bitte schön. Ja.
Ich rufe dazu die Frage 22 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Trifft es zu, daß dieser Betrug in Zusammenarbeit mit Staatsbeamten durchgeführt wurde, und welcher materielle Schaden ist dadurch entstanden?
Herr Kollege, über die in der Presse erschienenen Meldungen hinaus liegen der Bundesrepublik keine weiteren Informationen über den Vorgang vor.
Es ist Aufgabe der EG-Kommission, als Hüterin der Verträge der Angelegenheit nachzugehen und die Mitgliedstaaten gegebenenfalls in den zuständigen Gremien über den Vorgang zu unterrichten. Eine offizielle Stellungnahme der Kommission bleibt abzuwarten. Eine Schätzung der Schadenshöhe ist deshalb verfrüht.
Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wurden seitens der Bundesregierung auf Grund dieser Pressemeldungen Aktivitäten eingeleitet, um dieser Sachlage nachzugehen?
Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, hier Nachforschungen anzustellen. Das liegt allein im Aufgabenbereich der Kommission der EG. Wir sind natürlich sehr daran interessiert, daß diese Fragen, um die es hier geht, aufgeklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Heißt dies, daß Sie auch nach der heutigen Fragestunde von sich aus keine Aktivitäten in dieser Richtung unternehmen werden?
Wir werden weiterhin bemüht sein, dafür zu sorgen, daß diese Vorgänge durch die EG-Kommission weiter erforscht werden, damit Klarheit in bezug auf die Meldungen entsteht, die wir bisher auch nur aus der Presse kennen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, daß ich, sobald Erkenntnisse vorliegen, von der Bundesregierung eine schriftliche Stellungnahme erhalte?
Ja.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Welche Kosten sind den deutschen Steuerzahlern durch angebliche Betrügereien entstanden, die von Verbrecherorganisationen der Kasse der EG zugefügt wurden?
Herr Kollege Riedl, bis auf die in letzter Zeit erschienenen Zeitungsberichte über Vorfälle in Italien liegen mir Informationen über Subventionsbetrug durch Verbrecherorganisationen nicht vor. Die Kosten für den deutschen Steuerzahler lassen sich nicht quantifizieren. Zunächst liegen keine offiziellen Angaben über die Höhe der erhaltenen Subventionen vor. Weiter gibt es keine Informationen, inwieweit von den Begünstigten erlangte Beträge erfolgreich zugunsten des EG-Haushalts wieder eingezogen werden können. Lediglich den dann noch verbleibenden Schaden des EG-Haushalts hätte der deutsche Steuerzahler im Rahmen der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Finanzierung des EG-Haushalts mitzutragen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, ich konzediere Ihnen, daß es sehr schwer ist, gegen internationale Machenschaften der Mafia auf diesem Gebiet schnelle Erfolge zu erzielen. Aber sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es gerade in einer Zeit, da wir auch hier im Deutschen Bundestag jeden Pfennig zweimal umdrehen, bevor wir ihn ausgeben, notwendig wäre, uns zu bemühen, z. B. über den Europäischen Rechnungshof, vielleicht aber auch über Interpol oder das Bundeskriminalamt, schnellstmöglich dafür zu sorgen, daß solche für mich und hoffentlich auch für das ganze Haus unerträglichen Machenschaften schnellstmöglich beendet werden?
Ich bin Ihrer Aufassung. Ich bin sicher, daß die EG-Kommission alles unternehmen wird, um in Ihrem Sinne zu handeln.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Glos.
Herr Staatssekretär, nachdem ich um die strengen und peniblen Prüfungen deutscher Prüfungsbeamter für gewährte Subventionen weis, darf ich Sie fragen, was die Bundesregierung bisher unternommen hat, um in den Partnerländern der EG ähnlich strenge Überprüfungen von gewährten EG-Subventionen durchführen zu lassen.
Herr Kollege, es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, festzulegen, wie die Prüfungen in den anderen EG-Ländern stattzufinden haben, sondern es ist eine Aufgabe der EG-Kommission, dafür zu sorgen, daß die Prüfungen in allen Ländern gleich durchgeführt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Welche Vorkehrungen wurden getroffen bzw. werden noch getroffen, um ähnliche Betrugsfälle in Zukunft auszuschließen?
Herr Kollege Riedl, zur Verhinderung von Subventionsbetrug im Agrarbereich hat die EG umfangreiche Maßnahmen ergriffen. Sie hat bei zahlreichen Regelungen, die finanziell sensitive Bereiche betreffen, Auflagen den Begünstigten gegenüber sowie Prüfungen der Mitgliedstaaten vorgesehen, um Manipulationen zu verhindern. Die EG-Kommission kontrolliert durch ihre Bediensteten die Einhaltung dieser Regelung.
Nach der „Buchprüfungsrichtlinie" des Rats vom 27. Juni 1977 ist darüber hinaus vorgesehen, daß in den Mitgliedstaaten eine Mindestzahl von Betrieben hinsichtlich der Geschäftsunterlagen systematisch geprüft wird. Welche Folgerungen aus den jüngsten Fällen gezogen werden, kann zur Zeit nicht beurteilt werden.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Deutschen Bundestag baldmöglichst das abschließende Ergebnis Ihrer Ermittlungen mitzuteilen?
Jawohl.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr
Vizepräsident Wurbs
Parlamentarischer Staatssekretär Franke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Auch auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage von Bundesarbeitsminister Dr. Blüm im Deutschen Bundestag am 15. Oktober 1982: „Ich frage Sie nun alle: Was haben die Arbeitslosen von Humanisierung?", und welche Konsequenzen zieht sie daraus für die Zukunft des unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung beschlossenen Programms „Humanisierung der Arbeit"?
Herr Präsident, ich bitte um die Genehmigung, die beiden Fragen des Abgeordneten Auch gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 26 auf:
Hält die Bundesregierung es nicht für zwingend notwendig, daß angesichts von rund 2 500 tödlichen Arbeitsunfällen, 380 000 Zugängen bei Erwerbsunfähigkeit und 21 000 Zugängen bei Berufsunfähigkeit im Jahr 1981 das Programm „Humanisierung der Arbeit" künftig inhaltlich und finanziell gezielt weiterentwickelt wird?
Herr Kollege Auch, Ihre Frage ist ein Beweis dafür, wie man durch unvollständige Wiedergabe von Formulierungen sich selbst oder andere glauben machen will, eine bestimmte Person - in dem vorliegenden Fall der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm - verfolge möglicherweise bestimmte Ziele. Ich darf Ihnen daher in Erinnerung rufen, wie Bundesminister Dr. Blüm diesen Abschnitt seiner Rede abgeschlossen hat. Ich zitiere:
Ich bin ja für Arbeitsschutz, Mitbestimmung und Humanisierung. Aber zunächst einmal müssen die Menschen Arbeit haben, damit ihre Arbeit überhaupt human werden kann.
Diese klare Aussage ist unmißverständlich. Die Bundesregierung tritt selbstverständlich für gesunde und befriedigende Arbeitsbedingungen ein.
Zu Ihrer zweiten Frage kann ich Ihnen mitteilen, daß die Bundesregierung eine gezielte Weiterentwicklung des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens" anstrebt. Der Ausschuß für Forschung und Technologie des Deutschen Bundestages hat in diesen Tagen einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem die Bundesregierung ersucht wird, bis zum 28. Februar 1983 einen Plan zur Weiterentwicklung des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens" vorzulegen. In diesem Plan werden wir die erforderlichen Weichenstellungen für die Zukunft des Programms vornehmen. Neben der inhaltlichen Festlegung der zukünftigen Forschung wird es bei diesen Überlegungen wesentlich darauf ankommen müssen, wie die Ergebnisse der Humanisierungsforschung in der Praxis zügig zur Anwendung gebracht werden können. In erster Linie geht es nicht um die Bereitstellung von mehr Mitteln, sondern um Sicherstellung einer optimalen Effizienz des Programms.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Darf der erste Teil Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, so verstanden werden, daß die Arbeitnehmer, die durch miese Arbeitsbedingungen ihre Gesundheit ruinieren und frühzeitg als Invaliden aus dem Arbeitsleben scheiden, immer noch besser dran sind als die Arbeitslosen?
Herr Kollege, Ihre Ausgangsfrage ist gewesen, wie der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung seine Meinung hier vorgetragen hat und was er damit gemeint haben könne. Auf die Frage, die Sie hier stellen, kann ich deswegen ganz eindeutig antworten, daß das mit dem, was Minister Blüm gemeint hat, selbstverständlich in keinem Zusammenhang steht. Zu dem von Ihnen hier künstlich hergestellten Sachzusammmenhang sage ich, daß das mit dem, was Herr Minister Blüm ausgeführt hat, selbstverständlich nicht gemeint sein kann. Miese Arbeitsbedingungen desjenigen, der in Arbeit und Brot ist, müssen selbstverständlich verbessert werden.
Weitere Zusatzfrage.
Wenn das so ist, Herr Staatssekretär, wie Sie es hier darstellen, warum ist dann weder der Bundeskanzler noch der Arbeitsminister in der Aussprache präziser auf dieses umfangreiche Problem eingegangen? Warum wird ein Problem, das viele Menschen draußen beschäftigt und von dem sehr viele betroffen sind, von dieser Regierung so flapsig abgehandelt?
({0})
Die Beurteilung, daß das Problem „flapsig" behandelt werde, muß ich zurückweisen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es in der Aussprache in diesem Hause Gelegenheit gegeben hat, diese Fragen zu behandeln.
Es gehört selbstverständlich zur Grundüberzeugung der Bundesregierung unter Helmut Kohl und des Bundesarbeitsministers Norbert Blüm, dafür das Menschenmögliche und das politisch Mögliche zu tun, damit die Einhaltung der Gesetze und die Humanisierung des Arbeitslebens, die u. a. eine Aufgabe auch der Gewerkschaften, der Betriebsräte und der Unternehmensleitungen draußen in den Betrieben ist, gewährleistet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Sie haben gerade ausgeführt, Herr Staatssekretär, der Ausschuß für Forschung und Technologie habe beschlossen, das Programm weiter auszubauen. Ich weiß das, weil ich diesen Beschluß betrieben habe. Wie verträgt sich aber die Tatsache, daß der neue Forschungsminister das Programm von 118 auf 100 Millionen DM kürzt, mit Ihrer Aussage, daß es weiter ausgebaut werden soll und dies das erklärte Ziel der Bundesregierung ist?
Im Entwurf des Bundeshaushalts 1983 hat die Bundesregierung im Einzelplan des Bundesministers für Forschung und Technologie 100 Millionen DM - Sie sagten es gerade - und im Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung weitere 6 Millionen DM vorgesehen.
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Forschung und Technologie waren, wie Sie mit Recht sagen, im Jahre 1982 116 Millionen DM enthalten. Das heißt, auf Grund der Haushaltslage, die die Bundesregierung hier vorgefunden hat, und auf Grund der Mindereinnahmen, die im Jahre 1983 in Höhe von etwa 12 Milliarden DM allein im Bereich der Steuereinnahmen zu erwarten sind, ist es nicht möglich gewesen, diesem Programm den letzten Ansatz, d. h. 116 Millionen DM, zu geben. Aber 106 Millionen DM sind eingesetzt.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Auch.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung eigentlich im klaren darüber, wieviel Unglück und menschliches Leid hinter den immer noch hohen Zahlen von Arbeitsunfällen, Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang, hinter den Berufskrankheiten und dem dadurch bewirkten hohen Stand an Berufs- und Erwerbsunfähigkeit steht, und, sollte Sie dies kalt lassen, würden Sie mir dann zugestehen, daß der hohe volkswirtschaftliche Verlust, der durch die Folgen inhumaner Arbeitsbedingungen entsteht, künftig bei der Beurteilung dieses Problems mehr in den Vordergrund gerückt werden muß, und wie hoch beziffert die Bundesregierung diesen volkswirtschaftlichen Schaden, der durch Arbeitsunfälle, Erwerbs- und Berufsunfähigkeit jährlich entsteht?
Herr Kollege, ein Kollege hat noch eine umfangreiche Frage zur Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit gestellt. Ich bitte Sie, die Antwort darauf abzuwarten.
Zweite Bemerkung zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Es ist außergewöhnlich tragisch, daß diese Zahlen - ich kann sie leider nur bestätigen - für die Bundesrepublik Deutschland zutreffen. Aber Sie beschreiben hier einen Zustand - und ich spreche hier nicht von einer Schuldzuweisung -, den die Bundesregierung unter Helmut Kohl jetzt vorgefunden hat. Ich sage nicht, daß die alte Regierung dazu nicht genügend Leistungen erbracht hätte. Das ist eine tragische Entwicklung. Wir werden uns alle gemeinsam bemühen müssen, das Menschenmögliche, das politisch Mögliche zu tun um eine weitere Steigerung bzw. die Entwicklung dort generell zu verhindern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Keller.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben die Zahlen der Haushaltsansätze 1982 und 1983 genannt: Aber - das möchte ich Sie fragen - kann man ein derartiges Humanisierungsprogramm allein - ich sage: allein - nach der
Quantität, nach den Ansätzen beurteilen, oder gibt es auch noch andere Kriterien?
Selbstverständlich kann man das nicht nur von der Quantität her beurteilen, sondern muß auch auf die Möglichkeiten der Bewußtseinsweckung für besseren Arbeits- und Unfallschutz in den Betrieben abstellen wodurch für die Verhinderung solcher Ereignisse gesorgt werden könnte.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hoffmann ({0}).
Herr Staatssekretär, auch meine Frage bezieht sich auf die finanzielle Ausstattung. Da Ihnen sicher bekannt ist, daß die CDU/CSU-Fraktion in den letzten drei Jahren permanent Anträge auf Kürzung dieser Titel gestellt hat, frage ich Sie: Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie vorhaben, die finanzielle Dimension einzuschränken, und wie bewerten Sie diesen Vorgang in der Kontinuität der Streichungsanträge der CDU/CSU-Fraktion?
Ich möchte die Frage mit der Antwort beantworten, die ich eben schon einmal gegeben habe. Im Entwurf des Bundeshaushalts 1983 hat die Bundesregierung im Einzelplan des Bundesministeriums für Forschung und Technologie 100 Millionen DM und im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung weitere 6 Millionen DM vorgesehen.
({0})
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, natürlich antworten Sie damit nicht auf meine Frage. Deshalb formuliere ich sie so um: Haben Sie in Ihrem Hause denn schon darüber nachgedacht, wie die Ansätze für das nächste Haushaltsjahr und wie die Fortschreibung aussehen sollen - es gibt schließlich eine mittelfristige Finanzplanung, die gerade diesen Titel exakt beziffert -, und halten Sie sich an die mittelfristige Finanzplanung, wie sie im Finanzplan vorgesehen ist?
Aber Herr Kollege, ich beantworte die Frage hier für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Hinsichtlich der mittelfristigen Finanzplanung werden wir uns bemühen, die Ansätze, die angeschrieben worden sind, einzuhalten. Mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie muß ich darüber selbstverständlich noch sprechen.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die erste Frage meines Kollegen Dieter Auch erklärt haben, daß Sie den Herrn Bundesarbeitsminister hier vollständig zitiert hätten, darf ich Sie fragen: Ist daraus zu schließen, daß von der Bundesregierung Initiativen zur Verbesserung der
Humanisierung der Arbeitswelt zu erwarten sind, und gilt dies auch für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, und, wenn ja, wann ist damit zu rechnen?
Sie kommen mit Ihrer Frage auf Umwegen zu dem Thema der erweiterten Mitbestimmung. Sie werden natürlich einsehen, Herr Kollege Kirschner, daß dies nur eine künstliche Konstruktion zu dem Ausgangspunkt dieser Frage ist. Es gibt die Montanmitbestimmung aus den 50er Jahren mit der paritätischen Mitbestimmung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit einem neutralen Mann für Konfliktentscheidungen an der Spitze. Unter der Regierung von SPD und FDP wurde eine erweiterte Mitbestimmung mit einem anderen Auflösungsmechanismus eingeführt. Daß diese Institutionen - Aufsichtsräte und Betriebsräte - selbstverständlich in der Lage sind, auch auf die Humanisierung des Betriebs- und des Arbeitslebens einzuwirken, versteht sich von selbst; nur muß dies dann auch geleistet werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Pauli auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zur effektiveren Gestaltung der Arbeitsvermittlung der Arbeitsämter zusätzliche Medien einzusetzen und den Einsatz vorhandener Medien auszuweiten, wie beispielsweise die im Rahmen der sog. computerunterstützten Arbeitsvermittlung eingesetzten Lesegeräte in den Fluren der Arbeitsämter auch an markanten Plätzen und Orten der jeweiligen Arbeitsamtsbezirke einzusetzen, im Rahmen des Fernsprechsonderdienstes offene Stellen und Angaben über Arbeitssuchende bekanntzumachen und für die Arbeitsvermittlung neben dem Rundfunk auch das Vormittagsprogramm des Deutschen Fernsehens zu nutzen?
Die Bundesanstalt für Arbeit, der die Arbeitsvermittlung gesetzlich als Selbstverwaltungsaufgabe übertragen ist, hat zu Ihrer Frage mitgeteilt, daß sie zur Verbesserung der Wirksamkeit der Arbeitsvermittlung bereits genutzte moderne Kommunikationstechniken weiter ausbaut und neue Möglichkeiten der Übermittlung von Stellen- und Bewerberangeboten an Interessenten nutzen wird. Die Bundesregierung wird die Bundesanstalt für Arbeit dabei unterstützen.
Ein erster Versuch, im Rahmen der Mikroverfilmung offener Stellen Lesegeräte auch außerhalb der Arbeitsämter aufzustellen, ist erfolgreich verlaufen. Die Bundesanstalt beurteilt eine Ausweitung positiv. Sie hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab.
Der Fernsprechansagedienst für offene Stellen soll erweitert werden. Dabei wird die Bundesanstalt die jeweilige regionale Lage des Arbeitsmarktes berücksichtigen.
Dagegen soll die Bekanntgabe von Stellenangeboten in Rundfunk und Fernsehen gegenwärtig nicht ausgebaut werden, weil bisherige Bemühungen kaum zu nennenswerten Erfolgen geführt haben.
Dafür erwägt die Bundesanstalt für Arbeit eine Nutzung des modernsten Mediums, des Bildschirmtextes. Sie beteiligt sich an den Feldversuchen in Berlin und Düsseldorf.
Eine Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Möglichkeiten im Rundfunk-und Fernsprechdienst noch einmal zu überprüfen, weil ich der Meinung bin, daß bei regionaler Ausstrahlung und Bekanntmachung doch Möglichkeiten gegeben wären, um die Arbeitsvermittlung besser und vernünftiger zu gestalten?
Herr Kollege Pauli, ich möchte noch einmal sagen, wie die Erfahrungen sind. Ich wiederhole den Absatz aus meiner Antwort, da ich unterstelle, daß er von Ihnen akustisch nicht ganz verstanden worden ist: Dagegen soll die Bekanntgabe von Stellenangeboten in Rundfunk und Fernsehen gegenwärtig nicht ausgebaut werden, weil bisherige Bemühungen kaum zu nennenswerten Erfolgen geführt haben. - Das ist eine Erfahrung, die uns mitgeteilt worden ist. Ich glaube Ihnen diese Erfahrung mitteilen zu müssen. Ich glaube also nicht, daß nach den Erfahrungen, die gemacht worden sind, der von Ihnen erhoffte Erfolg durch eine Wiederbelebung der Maßnahmen in diesem Bereich eintreten würde.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich hatte Sie bei Ihrer ersten Antwort schon richtig verstanden. Das kann ich Ihnen gerne bescheinigen. Ich hatte Sie gefragt, ob angesichts der Bemühungen, die bisher unternommen wurden, und der Erkenntnisse, die sich ergeben haben, noch einmal untersucht werden könnte, ob eine Regionalisierung dieser Dienste zu anderen Ergebnissen führt. Das war meine Frage.
Herr Kollege Pauli, nicht wegen Ihrer Hartnäckigkeit, sondern wegen Ihres Hinweises auf den regionalen Effekt und auf die regionale Ausstrahlung will ich dieser Frage gern noch einmal nachgehen. Ich möchte sie aber unter den Teil der Antwort, den ich eben gegeben habe, einordnen. Ich sage Ihnen aber zu, daß wir dieser Frage der Regionalisierung gerne noch einmal nachgehen werden.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abegordneten Dr. Pinger, Dr. Köhler ({0}), Frau Fischer, Höffkes, Dr. Hornhues, Dr. Hüsch, Dr. Kunz ({1}), Lamers, Dr. Müller, Dr. Pohlmeier, Repnik, Schmöle, Herkenrath, Bahner, Graf von Waldburg-Zeil, Schröder ({2}), Frau Dr. Hellwig, Ruf, Dr. Jobst,
Vizepräsident Wurbs
Dr. Voss, Sauer ({3}), Dr. Möller, Dr. von Wartenberg, Ganz ({4}), Regenspurger, Voigt ({5}), Jung ({6}), Pohlmann, Milz, Sauter ({7}), Louven, Schwarz, Dr. Schäuble, Sauter ({8}), Funk ({9}), Dörflinger, Werner, Hauser ({10}), Sick, Landré, Doss, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Jahn ({11}), Feinendegen, Kraus, Frau Geiger, Dr. Faltlhauser, Dr. George, Rossmanith, Hinsken, Dr. Schwörer, Dr. Stavenhagen, Dr. Hackel, Schulze ({12}), Dr. Warnke, Haase ({13}) und der Fraktion der CDU/CSU
Förderung des Handwerks in Entwicklungsländern
- Drucksache 9/1924 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Nein.
Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schlußbilanz sozialdemokratischer Regierungspolitik weist leere Kassen und gigantische Schulden aus.
({0})
Hinsichtlich der Kasse für Entwicklungspolitik ist das Bild noch katastrophaler. Die Regierung Schmidt hat hier unbezahlte Rechnungen, ungedeckte Schecks und unbezahlbare Wechsel in Höhe von 2,3 Milliarden DM hinterlassen. Das können wir nicht als gutes Erbe bezeichnen. Angesichts dieser Situation muß es unser gemeinsames Ziel sein, die Entwicklungspolitik noch stärker auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen und ihre Qualität zu verbessern. Das aber bedeutet, daß die Selbsthilfekräfte in den Entwicklungsländern stärker geweckt werden. Durch produktive Projekte muß die Armut von innen heraus bekämpft werden. Eckpfeiler dieser Strategie sind kleine, selbständige Existenzen, sind Handwerksbetriebe und kleinbäuerliche Betriebe.
Das Handwerk ist in der Entwicklung des Menschen angelegt, in allen Entwicklungsländern vorhanden und einer ihrer wichtigsten Entwicklungsträger. Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage weist aus, daß die bisherige Regierungspolitik den Stellenwert des Handwerks nicht erkannt und in der Handwerksförderung einen besonderen entwicklungspolitischen Schwerpunkt nicht gesetzt hat. Auch das können wir nicht als gutes Erbe bezeichnen, Herr Kollege Holtz.
({1})
- Ich spreche den Kollegen Holtz an, weil er heute
eine dpa-Meldung herausgegeben hat, in der er von
dem guten Erbe sprach; das ist jedenfalls nicht Teil eines guten Erbes. ({2})
Auch für die Entwicklungsländer gilt der Leitspruch: Ohne Handwerk geht es nicht. Die Vorteile des Handwerks liegen auf der Hand: Handwerk baut auf den vorhandenen Strukturen auf, Handwerk überfordert nicht, Handwerk schafft Eigeninitiative, Handwerk ist kreativ. Voraussetzung allerdings ist, daß Handwerker und ihre Organisationen Freiräume für ihre Tätigkeit haben.
Schwellenländer, aber gerade auch die am wenigsten entwickelten Länder sind auf Privatinitiative dringend angewiesen. Erstaunlicherweise behaupten Sozialisten oft genau das Gegenteil. Das liegt daran, daß das Wort „Privatinitiative" bei ihnen sofort den Gedanken an multinationale Konzerne auslöst. Kein Wunder, daß bei einem solchen Sehfehler die entwicklungspolitische Analyse dem blinden Fleck zum Opfer fällt.
({3})
So einhellig inzwischen die Skepsis gegenüber den Großprojekten, den Millionenprojekten in der Entwicklungspolitik ist, so sicher steht doch fest, daß diese Projekte in der Praxis des Bundesministeriums und seiner Durchführungsorganisationen noch immer den Schwerpunkt der Hilfe bilden. Handwerksbetriebe dagegen sind ein wesentlicher Teil der erwünschten Millionen von Projekten; nur durch sie erreichen wir Massenwirksamkeit in der Entwicklungspolitik.
Handwerk ist angepaßte Technologie und angepaßte Entwicklung. Wir haben gelernt, daß die Entwicklungszusammenarbeit nur dann Erfolge aufweist, wenn sie auf dem Bekannten, auf den vorhandenen Kenntnissen aufbaut. Nur was im wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhang mit der bisherigen Lebensweise steht, wird von der Bevölkerung akzeptiert und allmählich auch verbessert. Dies gilt generell, nicht nur in technologischer Hinsicht. Handwerksbetriebe werden von der Bevölkerung angenommen, weil sie keinen Bruch mit dem soziokulturellen Umfeld herbeiführen.
Handwerk ist für uns einer der Garanten für eine Grundbedürfnisbefriedigung. Das lokale Handwerk lebt von der Nachfrage nach Gütern und Leistungen des täglichen Bedarfs. Gleichzeitig ist das Handwerk der wichtigste Motor bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Leistung sollte uns angesichts unserer eigenen Arbeitsmarktsituation besonders nachdenklich machen. Das Handwerk ist nach der Landwirtschaft der für die Bekämpfung der Massenarmut entscheidende Bereich.
Das Handwerk verkörpert auch ein Stück Soziale Marktwirtschaft. Dabei denken wir keineswegs an die Wirtschaftsordnung, die sich bei uns konkret entwickelt hat. Unter Sozialer Marktwirtschaft verstehen wir vielmehr wichtige Prinzipien, die auf jeder Entwicklungsstufe und in jedem Lande die besten ökonomischen Ergebnisse, die freiheitlichste Wirtschaftsordnung und den besten sozialen Ausgleich herbeiführen. Wenn wir darauf so großen
Wert legen, dann ist das, Herr Kollege Holtz, kein ordnungspolitischer Kreuzzug, sondern dies sind die notwendigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, damit sich Eigeninitiative überhaupt entfalten kann.
({4})
- Wenn die ordnungspolitischen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern nicht gegeben sind, fordern wir neben der Demokratie, der Beachtung von Menschenrechten und vielem anderen, was Voraussetzung für Entwicklung ist, notwendigerweise auch und gerade diese ordnungspolitischen Voraussetzungen,
({5})
zu denen als Element des Sozialen notwendigerweise auch ein funktionierender Wettbewerb gehört. Wenn dies nicht gegeben ist, wäre das ein Thema für den notwendigen Dialog mit den Entwicklungsländern.
({6})
Aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus war das Handwerk immer ein selbstbewußter Gegner des Zentralismus und des Totalitarismus. Wir, die wir hier im Parlament das Ziel der Demokratieförderung in den Entwicklungsländern in unserem gemeinsamen Beschluß vom 5. März 1982 noch einmal bekräftigt haben, sollten einen derart antitotalitären Bevölkerungskreis wie das Handwerk besonders fördern.
Für uns ist das Handwerk auch ein wesentlicher Teil des sozialen Aufstiegs. Zweifellos muß aber der Beruf des Handwerkers unter den gesellschaftlichen Leitbildern der Entwicklungsländer noch aufgewertet werden. Unsere Entwicklungspolitik muß dazu beitragen.
({7})
Bei der Umsetzung des Handwerksprogramms müssen folgende Punkte beachtet werden: Förderung der Selbsthilfe im Handwerk läßt sich nicht durch einen direkten Kontakt deutscher Entwicklungshilfeträger mit jedem einzelnen kleinen Betrieb erreichen. Hier muß vielmehr die handwerkliche Selbsthilfeorganisation als eine Mittlerorganisation tätig werden. Das Handwerk hat ja auch in Deutschland eine große Zahl von Selbsthilfeorganisationen hervorgebracht. In den Entwicklungsländern mögen diese Organisationen anders aufgebaut und anders benannt sein; entscheidend ist, daß sie von Handwerkern selbst gegründet und selbst verwaltet werden.
({8})
Es gibt bisher keine systematische und konsequente Gründung und Förderung solcher handwerklichen Selbsthilfeorganisationen. Dieses Defizit muß beseitigt werden.
Das Handwerk ist der vielseitigste Wirtschaftsbereich, nicht nur in Deutschland. Daher werden auch die Förderungsmethoden und Förderungsinhalte gerade auch in den unterschiedlichen Entwicklungsländern vielfältig sein müssen. Statt einer strengen Typisierung streben wir Flexibilität an. Viele kleine Schritte und ein langer Atem sind sinnvoller als ein großartiges Programm, das den jeweiligen besonderen Verhältnissen nicht gerecht wird. Das heißt aber nicht abwarten, sondern diese Schritte sehr bald einleiten.
Meine Damen und Herren, Handwerksförderung erfordert ein integriertes Konzept. Handwerkliche Ausbildung und Fortbildung allein sind nicht ausreichend. Hinzutreten müssen Beratung, Kreditversorgung, Interessenvertretung gegenüber dem Staat und anderen gesellschaftlichen Gruppen - um die wichtigsten Elemente zu nennen.
Auch die Verknüpfung der Handwerksförderung mit der Entwicklung anderer Sektoren ist unabdingbar. So muß sich der Aufbau eines Landhandwerks an Programme der ländlichen Entwicklung anschließen, muß sich Handwerk in Slumgebieten in die Slumsanierung einordnen und durch ausländische Direktinvestitionen neue Impulse erhalten und darf nicht etwa in eine Existenzgefährdung geraten.
Wirksame Handwerksförderung ist nicht ohne die Beteiligung der deutschen Handwerker möglich. Wir begrüßen es, daß sich der Zentralverband des deutschen Handwerks zu einem entwicklungspolitischen Engagement entschlossen hat. Außerdem sind bereits mehrere Handwerkskammern und viele einzelne Handwerker in der Entwicklungspolitik engagiert. Wir sind sicher, daß sich dieser Einsatz noch verstärkt. Wir sind davon überzeugt, daß auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit diese Entwicklung persönlich unterstützt.
Ein Programm, das eine Vielzahl von Betrieben fördern und die Masse der armen Bevölkerung erreichen will, muß im Einzelfall bereits mit kleinen Leistungen an den Betrieb wirksam werden können. Wir denken nicht an hundert Kreditfälle, sondern an viele Tausende, nicht an 10, 20 oder 30 Ausbildungsplätze im Jahr, sondern an Hunderte im Monat, nicht an ein paar Beratungsstunden, sondern an Beratung von Tausenden von Betrieben. Erreichbar ist dies nur, wenn wir im Verlauf der Programmarbeit aktive Selbsthilfeorganisationen unterstützen, die die Betreuung organisieren, teilweise finanzieren und auch die Motivationsarbeit vor Ort leisten.
Meine Damen und Herren, wir erwarten vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Signal, daß es die große Bedeutung des Handwerks in den Entwicklungsländern endlich erkennt und anerkennt. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie die aufgezeigten Kriterien aufnimmt und in ihrer praktischen Zusammenarbeit mit kompetenten deutschen DurchführungsorDr. Pinger
ganisationen umsetzt. Da denken wir an Nicht-Regierungs-Organisationen, aber auch an die großen Durchführungsorganisationen wie GTZ und Kreditanstalt. Die Arbeit dieser Durchführungsorganisationen muß in ein integriertes Konzept einbezogen werden. Die einzelnen Aufgaben müssen aufeinander abgestimmt, und es müssen klare Verantwortlichkeiten zugewiesen werden. Ein solches Konzept muß dann in allen Regierungsverhandlungen als ein konretes Angebot an die Entwicklungsländer herangetragen werden.
Meine Damen und Herren, das wachsende Massenelend in der Dritten Welt zwingt uns zum Handeln. Die Erfahrungen aus den bescheidenen Erfolgen und den vielen Fehlschlägen zweier Entwicklungsdekaden fordern von uns neue Wege. Die konsequente und breit angelegte Förderung des Handwerks ist ein solcher neuer Weg. Auf diesem Wege wird es uns gelingen, die ungeheure Kraft freizusetzen, die in dem Selbstbehauptungswillen von Millionen von Menschen steckt und darauf wartet, zur Beseitigung von Hunger und Elend eingesetzt zu werden. - Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Osswald.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es bis zu einem gewissen Grade rührend, daß jetzt Kollege Pinger endlich auch festgestellt hat, daß eine Erblast auch im Bereich der Entwicklungspolitik besteht.
({0})
Dies hat sich in den letzten Tagen auch durch einige Presseerklärungen des Ministers dokumentiert. Ich habe allerdings immer noch im Ohr, was der Minister im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sagte: er habe ein gut bestelltes Haus übernommen.
({1})
- Ja, gut; dann ist das ein verzögerter Reflex.
({2})
Ich war davon ausgegangen, daß die Komplimente, die im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit an den Minister Offergeld gemacht worden sind, ernst gemeint waren. Nun stellen wir fest, wie Herr Pinger das am Anfang gesagt hat, daß dies alles wohl nicht mehr wahr ist.
Meine Damen und Herren, wie schon öfter bei entwicklungspolitischen Debatten haben wir es auch heute mit einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu tun, der die Bundesregierung auffordert, die Förderung des Handwerks in Entwicklungsländern mit einem höheren Stellenwert als bisher auszustatten. Die CDU/CSU macht mit diesem Antrag deutlich, daß die Handwerksförderung für die Bundesregierung nicht nur ein zusätzlicher Schwerpunkt sein soll - man muß den Antrag genau lesen -, sondern daß dieser Bereich „eine grundlegende Priorität" darstellen sollte.
({3})
Es wäre vielleicht ganz aufschlußreich, wenn Herr Pinger oder Herr Schmöle nachher erklärte, was der Unterschied zwischen „Priorität" und „grundlegender Priorität" ist. Das habe ich in meiner Einfachheit bisher noch nicht ganz begriffen.
Die Kollegen von der Union gehen sogar so weit zu sagen, daß weniger wichtige Förderungsprogramme zugunsten der Handwerksförderung eingeschränkt werden sollen. Sie sagen aber mit keinem Wort, welche. So weit, so gut.
Die Begründung, die dafür angeführt wird, ist im großen und ganzen durchaus akzeptabel. Es ist bekannt, daß die entwicklungspolitischen Vorstellungen der SPD-Fraktion zu diesem Thema im Prinzip nicht verschieden sind von dem, was die Kollegen von der Union hier wünschen. Mit einem kleinen Unterschied: Wir erklären nicht grundsätzlich alles, was wir für richtig halten, zu einer „grundlegenden Priorität",
({4}) wie es in diesem Antrag getan wird.
Was haben Sie, verehrte Kollegen von der Union, allein in dieser Legislaturperiode nicht bereits alles zu einer „entwicklungspolitischen Priorität" erklärt! Ich erinnere nur an die Hilfe zugunsten der ärmsten Länder - „grundlegende Priorität" -, an die Unterstützung von Nicht-Regierungs-Organisationen - „grundlegende Priorität" -, an die personelle Hilfe - darüber werden wir noch reden müssen, „grundlegende Priorität" -, und vieles andere mehr. Wir haben es inzwischen mit einer Art Prioritäteninflation im Bereich der Entwicklungspolitik zu tun, jedenfalls in dem Bereich, wo Sie Anträge stellen. Der Wert der einzelnen Prioritäten vermindert sich natürlich, wenn man alles dazu erklärt und vor allem nicht sagt, in welchen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden sollen. Das ganze läuft ja, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, in allen Anträgen, die Sie gestellt haben, kostenneutral.
Meine Damen und Herren, seit der Formulierung dieses Antrags und der heutigen Debatte dazu hat sich die politische Landschaft verändert. Wir haben nun die pikante Situation, daß ein Antrag der CDU/ CSU-Fraktion, der eigentlich an eine sozialliberale Bundesregierung gerichtet war, seine Forderungen nun an ein Entwicklungsministerium richtet, das von einem Minister der CSU geleitet wird. Er ist heute leider nicht da. Da der Herr Minister Warnke nicht da ist, darf ich die Frage an Herrn Staatssekretär Köhler richten: Auf welche Weise wollen Sie die Festlegung der Prioritäten für die Unterstützung des Handwerks in Entwicklungsländern durchsetzen, nachdem Sie beide - Minister und Staatssekretär - zu den Unterzeichnern dieses Antrags vom August dieses Jahres gehören und heute für die deutsche Entwicklungspolitik verantwortlich zeichnen?
Wenn ich einen Blick in die von der neuen Regierung vorgelegten Ergänzungen zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1983 werfe, dann fehlt dort allerdings jeder Hinweis darauf, daß der von Ihnen mitgetragene Antrag in irgendeiner Weise in eine finanzielle Verstärkung des Bereichs Handwerksförderung umgesetzt würde. Weder beim Deutschen Entwicklungsdienst, dessen Arbeit zu einem großen Teil aus der Vermittlung von handwerklichem Know-how besteht und dessen finanzielle Sorgen jedem Ausschußmitglied bekannt sind, noch bei einer der Aus- und Fortbildungsorganisationen, die in der Dritten Welt, aber auch bei uns in Deutschland tätig sind - ich erwähne als Beispiel hier nur die Carl-Duisberg-Gesellschaft -, wurden die finanziellen Zuwendungen erhöht, sondern es wurden schlicht die von uns vorgelegten Ansätze übernommen, allerdings mit einer Kürzung von 35 Millionen DM. Nicht einmal beim Titel „Förderung entwicklungspolitischer Vorhaben privater deutscher Träger in Entwicklungsländern", den Sie bisher immer wieder als besonders wichtig herausgestellt haben und bei dem anerkannterweise gerade im Bereich der kirchlichen Entwicklungshilfe das Handwerk einen hohen Stellenwert hat, haben Sie die von uns eingebrachten Ansätze erhöht.
Natürlich habe ich als sozialdemokratischer Entwicklungspolitiker nichts dagegen, wenn die neue Regierung bis auf wenige Titel den von Sozialdemokraten vorgelegten Haushalt 23 fast unverändert übernimmt, zeigt dies doch entgegen dem, was Herr Pinger gesagt hat, daß wir selbst Ihrer Beurteilung nach, wenn Sie den Haushalt angucken, Herr Pinger, gar nicht so falsch gelegen haben, wie das so oft von Ihnen behauptet wird. Es weist vielmehr auf viele Gemeinsamkeiten hin, die wir gerade in der Entwicklungspolitik haben und die ich gar nicht verlassen will. Auch der neue Minister hat im Ausschuß gesagt, daß er diese nicht verlassen will. Ich rede vom Ausschuß und nicht von Vorträgen bei der Hanns-Seidel-Stiftung. Ich möchte Ihnen damit vielmehr verdeutlichen, daß Sie, da Sie nun in der Regierungsverantwortung stehen, selbst merken, daß es irgendwie auf Dauer unglaubwürdig wird, wenn man als Opposition alles mögliche zu ersten Prioritäten erhebt und mehr Geld dafür fordert, ohne klar zu sagen, wie es finanziert werden soll und in welchem Bereich Abstriche gemacht werden sollen.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund, daß die neue Regierung in ihrem Haushaltsentwurf keine Erhöhung der Handwerksförderung vorgenommen hat, kann der Vorwurf aus dem CDU/CSU-Antrag, hier sei bisher nur unzureichend gefördert worden, nicht mehr länger aufrechterhalten werden. Wenn Sie ehrlich sind, meine lieben Kollegen von der Union, können Sie diesen Vorwurf schon seit der Antwort der Bundesregierung - ich meine die alte Bundesregierung - auf Ihre Kleine Anfrage nicht mehr aufrechterhalten. Diese Antwort hat doch ganz deutlich gezeigt, daß es im Bereich der Handwerksförderung in Entwicklungsländern eine Vielfalt von Instrumenten gibt und daß in diesem Bereich bereits viel Geld investiert wurde. Ich habe den Verdacht, daß Ihr Vorwurf, wir hätten hier zu wenig getan, vielleicht eher daraus resultiert, daß der Bereich Handwerksförderung nicht explizit bei den Hauptprioritäten unserer entwicklungspolitischen Grundlinien aufgeführt ist. Es wäre nun aber vollkommen falsch, daraus zu schließen, daß wir der Handwerksförderung keine Bedeutung beimessen würden.
Der Unterschied zu Ihnen ist, daß wir schon lange erkannt haben, daß der deutsche Begriff Handwerk nicht dem entspricht, was für die meisten Entwicklungsländer mit ihrer von unserer oft grundverschiedenen Gesellschafts- und Berufsstruktur in diesem Bereich dienlich ist. Wir sprechen daher viel lieber von Kleingewerbe, und somit ist die Unterstützung einer dezentralisierten kleinen Gewerbestruktur dann auch in den Grundlinien unserer Entwicklungspolitik enthalten. Diese von uns favorisierte Förderung des Kleingewerbes paßt dann auch ganz hervorragend zu den fachlichen Schwerpunkten unserer entwicklungspolitischen Ziele, als da sind - Sie haben das mit übernommen, und Minister Warnke hat das bestätigt -: ländliche Entwicklungen, erneuerbare Energien und Schutz der natürlichen Ressourcen. Sie paßt nicht nur dazu, sondern ist geradezu ein Hauptinstrument, um diese Schwerpunkte zu entwickeln.
Die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft auch in der Dritten Welt schafft in vielen Bereichen Handwerks- und Gewerbemöglichkeiten im technischen Sektor. Ich denke da z. B. an den Beruf des Landmaschinenmechanikers, die ohne den oft befürchteten Zivilisationsschock an traditionelle Handwerksberufe in Entwicklungsländern anknüpfen können. So sind z. B. die ehemals eher verachteten Schmiede der Nomaden- und Halbnomadenkulturen Afrikas heute oft die Chefs florierender Kleinbetriebe wie Kfz-Werkstätten, Installationsbetriebe usw.
Trotz der begrüßenswerten Einflüsse vieler unserer Entwicklungshilfemaßnahmen auf die Entstehung einer selbständigen Kleingewerbeschicht in Entwicklungsländern sehe ich nicht alle Auswirkungen von vornherein so positiv, wie es im CDU/ CSU-Antrag geschildert wird. Leider ist es eben nicht zwingend, daß - so wie Sie das formuliert haben - Handwerksbetriebe erstens angepaßte Technologien verwenden, zweitens - ({5})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr Pinger. Ich denke da an einige Handwerksbetriebe, die sich im Bereich des Tourismus usw. angesiedelt haben.
({6})
- Ja, sicher.
({7})
- Natürlich. Nur, das Problem besteht eben darin, daß der Katalog, den Sie aufgeführt haben, mit dem nicht übereinstimmt. Wenn wir das alles in ähnlichen Bereichen machen, z. B. um eine Tourismusindustrie aufzubauen, sitzen die Leute auch auf ihren
produzierten Gütern, wie das z. B. in Gambia - Herr Pinger, Sie waren dabei - der Fall ist. Dort werden inzwischen von Frauenorganisationen irgendwelche touristischen Güter produziert, die nicht mehr absetzbar sind, weil dort so viele Touristen gar nicht durchkommen.
({8})
- Natürlich sind zum Teil Handwerker mitbetroffen.
Ich darf noch einmal sagen: Handwerksbetriebe verwenden nicht automatisch angepaßte Technologien. Zweitens formulieren Sie, daß sie vor allem Güter des täglichen Bedarfs produzieren. Das ist auch nicht nachgewiesen. Drittens sollen sie heimische Ressourcen zur Produktion nutzen und damit viertens eine regional gleichwertige Entwicklung bedingen. Auch das ist nicht automatisch der Fall. Angesichts der starken Landflucht, der Verstädterungstendenzen in der Dritten Welt ist es oft vielmehr so, daß eben auch das Kleingewerbe die ungesunde Konzentration auf die Metropolen mitmacht und somit vielfach für die so notwendige ländliche Entwicklung nicht mehr zur Verfügung steht. Untersuchungen darüber im Bereich von Lagos und Ibadan zeigen das.
Hinzu kommt, daß gerade in den Städten, wo moderne Produktionsmittel relativ leicht zu haben sind, nicht mehr mit den entwicklungspolitisch erwünschten angepaßten Technologien gearbeitet wird und ebenso oftmals auch nicht mit heimischen Ressourcen, sondern eher mit importierten Materialien, die billiger sind. Ich erinnere an die Überschwemmung vieler Entwicklungsländer mit billigen Plastikartikeln, die viele traditionelle Handwerksberufe, die mit einheimischen Materialien wie Ton und Holz gearbeitet haben, in ihrer Existenz bedroht und zu Produzenten von folkloristischem Kitsch für unbedarfte Touristen degradiert.
Gerade letzteres, die Souvenirproduktion für den wachsenden Fremdenverkehr, schafft zwar Kaufkraft, kann aber keineswegs als Beitrag zur dringend erwünschten besseren Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs angesehen werden. Ich möchte hier gar nicht über die Kapazitäten im Kleingewerbebereich reden, die von Konsumkritikern „parasitärer Konsum" genannt werden, der einer kleinen, aber meist reichen Oberschicht vieler Entwicklungsländer dient.
Mit diesen kritischen Bemerkungen möchte ich beileibe nicht die wichtige Funktion des Handwerks oder des Kleingewerbes in den Entwicklungsländern grundsätzlich in Frage stellen. Vielmehr will ich damit aufzeigen, daß es hier nicht nur allein um die Frage des „Ob", sondern vor allem um die Frage des „Wie" geht. Hier gibt es allerdings - insofern stimme ich vielen Punkten des Antrags zu - viele Möglichkeiten für eine Intensivierung der Förderung. Dazu brauchen wir gar nicht unbedingt neue Instrumente zu schaffen. Es gibt seit Jahrzehnten eine Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten, in denen dazu Vorschläge gemacht werden. Derartige wissenschaftliche Untersuchungen, aber auch die einschlägigen Erfahrungen der Durchführorganisationen zeigen, daß das Problem weniger in der Förderungswürdigkeit - sie ist wohl allgemein unumstritten -, sondern eher in der Förderungsfähigkeit kleingewerblicher Strukturen liegt. Die Förderungsfähigkeit, d. h. das Finden von Förderungsmöglichkeiten, wird vielfach von Faktoren begrenzt, auf die die Entwicklungshilfeorganisationen staatlicher oder privater Art nur bedingt Einfluß nehmen können.
Dazu gehören unter anderem vor allem folgende Erschwernisse: erstens Mangel an Anträgen zur Kleingewerbeförderung; zweitens fehlende oder unzureichende Partnerorganisationen;
({9})
drittens Mangel an geeigneten Möglichkeiten zur Kapitalbereitstellung. - Natürlich, Herr Pinger, kann man das auch finden. Sie sind ja auch durch Westafrika gereist und haben immer gefragt, wo nun endlich die Kleinbetriebe seien, mit denen man kooperieren könne. In den ärmsten Ländern, in den LLDC, hat sich dann immer wieder herausgestellt, daß es sie nicht gibt.
({10})
- Natürlich gibt es Handwerk überall. Nur ist die Frage, wo Kooperationsmöglichkeiten bestehen, wo es Möglichkeiten gibt - Sie kennen die Schwierigkeiten; ich komme auf die drei Punkte noch einmal zurück -, dieses Handwerk tatsächlich zu fördern.
({11})
- Wir machen das, wir verordnen das, und wir schaffen das.
({12})
- Ja, ich sage die drei Punkte, warum das so schwierig ist. Ich habe sie gerade angeführt.
Zum ersten - nämlich Mangel an Anträgen zur Kleingewerbebeförderung - wäre zu sagen, daß die Nachfrage seitens der Entwicklungsländer bestimmt deutlich gesteigert werden könnte, wenn prinzipiell schon im Anfangsstadium aller Projekte eine Handwerks- oder Kleingewerbekomponente mit angeboten würde. Ebenso wie es heute selbstverständlich sein sollte, jedes Projekt auf seine Umweltverträglichkeit zu prüfen, sollte zukünftig bei jeder ins Auge gefaßten Maßnahme untersucht werden, in welchem Maße sie die lokalen oder regionalen Kleingewerbestrukturen verbessern könnte.
Das zweite Problem - der fehlenden Partnerorganisationen - kann nur durch den langfristig angelegten Aufbau von Selbsthilfeinstitutionen in den Ländern selbst - da gibt es keine abweichenden Meinungen - gelöst werden. Vor allem im ländlichen Raum ist die Voraussetzung für die genaue Kenntnis sozialstruktureller Gegebenheiten dringend notwendig. Dabei sind vor allem vorhandene Elemente zu nutzen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir zu Anfang der 60er Jahre als damals wissenschaftlich Tätige bereits diese Entwicklungspolitik
gefordert haben; die Umsetzung dauert immer etwas länger.
Der dritte Punkt, der mir sehr wichtig zu sein scheint, ist der Mangel an Möglichkeiten zur Kapitalbeschaffung im handwerklichen Bereich in Ländern der Dritten Welt. Dieses Problem dürfte meines Erachtens das Wichtigste sein und muß daher besonders sorgfältig angegangen werden. Um hierbei für die Investitionswilligen nicht unnötige und abschreckende Bürokratien aufzubauen, sollte die Kapitalbereitstellung möglichst über dezentrale Organisationen geschehen. Ich denke dabei vor allem an Entwicklungsbanken, die von uns Mittel bekommen und diese Mittel vor allem Genossenschaftsbanken zur Verfügung stellen. Denn ich darf vielleicht daran erinnern, daß wir in den meisten Ländern der Dritten Welt eben das nicht finden, was mal die FDP in den 60er Jahren gesucht hat: den jungen Unternehmer in der Dritten Welt - das war einmal ein Programm der Naumann-Stiftung -; den gibt es natürlich in egalitären Strukturen nicht. Den kann man lange suchen. Den findet man nicht.
Das eine ist, daß hier eben nur genossenschaftliche, gruppenorientierte Projekte eine Chance haben. Das zweite ist, daß der einzelne nicht in der Lage ist, eine Garantie dafür zu geben, daß das Kapital, das er aufnimmt, auch wirklich von ihm abgesichert werden kann. Ich erinnere mich, daß ich 1967 - es ist schon lange her - in Niger damals entsetzt darüber war, daß Armenier und andere als Banker auftretende Leute Zinsen von 70 bis 80 % verlangt haben und daß sogar Kreditgenossenschaften im ländlichen Bereich 35 % verlangen mußten, weil die Frage der möglichen Sicherheiten, die für Kredite gegeben werden konnten, nicht gelöst war. Das heißt, daß wohl der einzige Weg darüber geht, wenn der einzelne nicht in der Lage ist, hier Sicherheiten zu bieten, daß man gruppenorientierte Projekte durchführt und daß man in gruppenorientierten Projekten so etwas wie eine kollektive Sicherheit für Kredite gibt. Ich glaube, da gibt es auch keine Schwierigkeiten zwischen den einzelnen Fraktionen.
Ein gutes Beispiel für Handwerksförderung möchte ich zum Schluß noch anführen. Es wird Ihnen vielleicht nicht so gefallen. Bereits 1978, also vor der Unabhängigkeit, haben wir in Simbabwe gegen den Widerstand der damaligen Opposition praktische Hilfe auf dem Gebiet der Handwerksförderung geleistet. Hunderte von jungen Simbabwern wurden mit deutscher Hilfe beruflich ausgebildet. Die meisten von ihnen sind heute bereits in ihrer Heimat, arbeiten als wichtige Fachkräfte am Aufbau ihres Landes mit. Ähnliches gilt in der Zukunft auch für die Frage Namibia.
Wenn eine Förderung des Handwerks - wie im Beispiel Simbabwe - von großer Bedeutung für die Entwicklung eines Landes sein soll und wenn die Absicht besteht - so wie Sie es im Antrag formuliert haben -, in Zukunft die Förderung des Handwerks mehr in den Vordergrund zu stellen, dann kann ich nur hoffen - Herr Staatssekretär Köhler wird dies Herrn Minister Warnke wohl ausrichten;
dies hoffen auch meine Fraktionskollegen -, daß solche Entwicklungsansätze nicht von den von Ihnen neuerdings in die Diskussion gebrachten - ich zitiere - „legitimen außenpolitischen Interessen" und erwartetem politischem Wohlverhalten von Ländern abhängig gemacht wird.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eingangs ein paar Bemerkungen zu den bisherigen Ausführungen.
Wir - alle Fraktionen - hatten bereits vor zehn Tagen in aller Form um Ihr Einverständnis gebeten, daß das Ministerium heute hier durch mich vertreten wird. Dieses Einverständnis ist erteilt worden.
({0})
- In der Tat, Herr Kollege Linde. Ich danke dafür. Ich bitte, daß das auch von den letzten innerlich akzeptiert wird. Dies setzt voraus, daß ich in getreuer Pflichterfüllung den Herrn Minister über jede Nuance der Debatte sorgfältig informieren werde.
({1})
Herr Osswald, Sie haben mir Anlaß zu dieser Bemerkung gegeben.
Des weiteren, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Eine Haushaltsdebatte zu führen, war gestern bis zum späten Abend Gelegenheit, und Gelegenheit dazu wird in Bälde wieder sein. Deswegen werde ich das jetzt hier nicht tun.
({2})
Ich bin allerdings der Auffassung, daß wir uns bei diesem Punkt hier vor allem über inhaltliche Fragen zu unterhalten haben. Und wenn wir in den Fragen des Inhalts, Herr Kollege Professor Osswald, weitergekommen sind, dann wäre es an der Zeit, sich über die finanziellen Mittel dafür zu unterhalten. Ich würde es für eine schlechte Methode halten, jetzt einfach „for show" ein paar Millionen irgendwo schnell hinzustecken, um dann zu sehen, wie wir sie verbraten, ohne daß wir bis dahin eine solide Sachpolitik ausdiskutiert haben.
({3})
Da diese Angelegenheit noch im Ausschuß intensiv beraten wird, wäre ein solches Vorgehen aus meiner Sicht schon nicht mit dem Respekt vor dem Parlament zu vereinbaren.
Daß wir heute einen Antrag beraten, den auch ich - noch aus der Opposition heraus - erarbeitet habe, scheint mir übrigens gar nicht so unnatürlich
zu sein. Gestern haben hier Kollegen aus Ihrer Fraktion bewegte Klage darüber geführt, daß mancher Antrag inzwischen zurückgezogen worden ist. Die Entwicklungspolitiker meiner Fraktion brauchen hier nichts zurückzuziehen, weil es richtig ist, was sie gemacht haben.
({4}) Warum wundern Sie sich denn heute darüber?
Und das letzte: Zu Ihrer Bemerkung zu Simbabwe erinnere ich daran, daß diese Ausbildungsprogramme - Herr Kollege Brück, wir haben manches Mal darüber gesprochen - von der Opposition weitestgehend mitgetragen worden sind. Das möchte ich hier genauso wenig zerredet haben
({5})
wie zu jener Stunde, als ich einmal auf Ihrem Berliner Parteitag beinah im Begriff war, das zu tun. Lassen Sie uns diesen Raum, wo wir Vernünftiges in sensiblen Dingen zusammen tun können, bitte weiter erhalten.
({6})
- Ich habe doch nun Berlin nach links und nicht Berlin mit Ihren Problemen angesprochen!
({7})
Es ist hier natürlich durchgeklungen, was wir an finanziellen Sorgen haben. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dies eigentlich nur in dem Sinn ansprechen, weil ich wirklich meine, daß wir um so mehr Grund haben, in einen Wettbewerb einzutreten, mit welchen Ideen wir das spärlich Vorhandene optimal weiter einsetzen können. Ich möchte Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geradezu bitten, an diesem Ideenwettbewerb mit allen Kräften mitzuwirken, damit wir weitere Möglichkeiten - nicht nur die, die in Geldeswert ausgedrückt werden können - für unsere Entwicklungspolitik erschließen.
Lassen Sie uns da nicht in einen müßigen Prioritätenstreit eintreten. Ich sehe gar keine Möglichkeit zu einem Prioritätenstreit auf diesem Feld, wenn von Kampf gegen Armut und Förderung des Handwerks die Rede ist. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Hier geht es darum, mit der Frage der Förderung des Handwerks eine weitere Möglichkeit zu erschließen, um den Kampf gegen die Armut zu intensivieren. Lassen Sie es uns doch bitte so sehen und nicht in der Fragestellung antagonistischer Art.
({8})
Die Förderung des Handwerks in den Entwicklungsländern, d. h. eine gezielte und systematische Unterstützung der Entwicklung kleingewerblicher Einheiten im produzierenden und im Dienstleistungsbereich dieser Länder, ist bisher nicht mit dem gebührenden Nachdruck betrieben worden - davon glaube ich doch mit Überzeugung reden zu können -, obwohl sich letztlich gerade dieser Bereich unmittelbar aus dem Grundbedürfniskonzept herleiten läßt.
Wir müssen das vor dem Hintergrund von Prognosen sehen, die besagen, daß wir in der Dritten Welt bis zum Jahr 2000 rund 1 Milliarde zusätzliche Arbeitplätze brauchen, wenn die derzeitige Arbeitslosigkeit und die derzeitige Unterbeschäftigung beseitigt werden sollen und vor allem den in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen Beschäftigung gegeben werden soll. Diese Zahl allein zeigt, vor welch ungeheurer Aufgabenflut die Länder der Dritten Welt und wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten als Leute, die helfen wollen, stehen.
Ein Mensch in der Dritten Welt, der keine Arbeit hat, hat - da es keine sozialen Netze wie bei uns gibt - nichts zu kaufen. Er kann keine Kaufkraft einsetzen. Er hat deswegen von vornherein ein unglaubliches Hindernis, wenn es um die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse geht. Er ist letztendlich ohne Arbeit dazu verdammt, in menschenunwürdiger absoluter Armut dahinzuvegetieren. Die Schaffung von möglichst vielen zusätzlichen Arbeitsplätzen, von dauerhaften und volkswirtschaftlich sinnvollen und konkurrenzfähigen Arbeitsplätzen muß daher ein herausragendes Ziel unserer entwicklungspolitischen Anstrengungen sein.
Angesichts der Tatsache, daß die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft schon heute an Grenzen zu stoßen scheinen, können solche Arbeitsplätze vor allem im nichtlandwirtschaftlichen gewerblichen Sektor entstehen. So, wie die Dinge nun einmal liegen, müssen diese Arbeitsplätze möglichst billig, arbeits- und lohnintensiv sein. Genau aus diesem Grunde muß sich unsere ganz besondere Aufmerksamkeit auf die Handwerksförderung in den Enwicklungsländern richten. Deswegen fällt es mir gar nicht schwer, diesen Antrag heute seitens der Regierung ausdrücklich zu begrüßen.
Ich möchte noch einmal einige der wichtigsten Argumente für eine Förderung kleiner und kleinster gewerblicher Betriebe in unseren Partnerländern wiederholen:
Gerade sie schaffen erfahrungsgemäß besonders billige Arbeitsplätze mit vergleichsweise geringem Investitionsaufwand. Sie sparen knappes Kapital und sind oft wesentlich arbeits- und lohnintensiver als größere Betriebe. Sie sparen damit auch die fast immer knappen Devisen, und zwar sowohl bei den Anfangsinvestitionen als auch im laufenden Betrieb. Sie verwenden sehr oft unkomplizierte Technologien mit geringer Importabhängigkeit und verarbeiten häufig an Ort und Stelle verfügbare und sonst nicht genutzte einheimische Rohstoffe.
Klein- und Kleinstbetriebe haben dezentralisierte breitgestreute Standorte, nicht zuletzt auch in den wirtschaftlich benachteiligten ländlichen Gebieten. Sie produzieren vergleichsweise billig an Ort und Stelle, marktnah für den täglichen lokalen Bedarf, und decken oft unmittelbar Grundbedürfnisse der breiten Bevölkerungsschichten. Sie haben oft bescheidenere Ansprüche an teure Infrastruktur; der Transportaufwand für Rohstoffe und Fertigproduk7886
te, aber auch für die Arbeitsplätze bleibt dabei relativ gering.
Diese Betriebe bilden auch in den Entwicklungsländern - das ist wirklich nachgewiesen - die Basis für ein gesundes, eigendynamisches und breitgestreutes wirtschaftliches Wachstum. Aus ihnen entwickeln sich, wenn es der Markt erlaubt, auf organischem Wege größere Betriebe. Sie haben auch eine Funktion bei der langsamen Entstehung des tatsächlich oft fehlenden Unternehmertums. Sie sind eine wichtige Vorstufe für einen Weg, der nur von innen heraus eine sich bedarfsgerecht entwickelnde Industrialisierung ergeben kann.
Diese kleinen und kleinsten Betriebe bilden in der Tat eine wichtige Grundlage für das Entstehen einer sozioökonomisch und soziokulturell gesunden Mittelschicht. Das ist ein weiteres entscheidendes Problem vieler Entwicklungsländer: das Fehlen dieser Mittelschicht, die wiederum von größter Bedeutung ist für das Entstehen einer dauerhaften pluralistischen und freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in den Partnerländern.
Es ist unbestreitbar, daß es in der deutschen Entwicklungspolitik bei der Industrialisierung der Dritten Welt bisher zu einer übermäßigen Konzentration auf Mittel- und Großbetriebe gekommen ist. Die finanzielle Zusammenarbeit, die über die Entwicklungsbanken lief, und die Industrieobjekte, die im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit im Laufe der Jahre unmittelbar - bilateral oder multilateral - gefördert worden sind, sind Beispiele, die diese Tatsachen deutlich zeigen.
Natürlich sind im Rahmen der technischen Zusammenarbeit zahlreiche Projekte durchgeführt worden, die auch eine Handwerkskomponente hatten und mehr oder weniger unmittelbar auch dem Kleingewerbe in den Partnerländern zugute kamen. Ich denke dabei vor allem an die vielen Projekte der beruflichen Bildung, die mit wechselnden Prozentsätzen auch Kleinbetriebe mit Fachkräften versorgt und auch neue Kleinunternehmer hervorgebracht haben. Besonders haben natürlich auch die freien Träger mit staatlicher Unterstützung einige sehr erfolgreiche Handwerksprojekte durchgeführt.
Hauptnutznießer der öffentlichen Entwicklungshilfe im gewerblichen Bereich waren aber zweifellos immer wieder große und größere Betriebe. Für eine breit gestreute kleingewerbliche Entwicklung, für eine Entwicklung des Handwerks zum unmittelbaren Nutzen der armen und ärmsten Bevölkerungsschichten ist wenig abgefallen. Die Handwerker in den Ländern der Dritten Welt waren bisher keine als solche definierte besondere Zielgruppe unserer Entwicklungspolitik.
Das gilt übrigens nicht nur für die bisherige Bundesregierung, das gilt auch für andere große Geberländer und bis zu einem gewissen Grade auch für die multilateralen Geberinstitutionen.
Die Gründe liegen natürlich nicht nur bei den Gebern. Viele der Empfängerländer haben aus verschiedenen Gründen bewußt eine andere, mehr auf Großbetriebe gerichtete Industrialisierungsstrategie verfolgt. Anträge auf Förderung kleiner und kleinster gewerblicher Einheiten sind in der Vergangenheit relativ selten gewesen. Wir werden natürlich in der Zusammenarbeit mit souveränen Partnern das Antragsprinzip als Regelfall nicht verlassen können und wollen. Aber wir haben schließlich doch die Möglichkeit, unsere Partner von der Bedeutung gerade dieses Bereichs für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu überzeugen und sie schon bei der Vorbereitung entsprechender Projekte und Projektanträge systematisch zu unterstützen. Dies werden u. a. Experten tun, die im Rahmen eines differenzierten Beratungsdienstes tätig werden sollen, der jetzt auf der Grundlage einer engen Zusammenarbeit mit den Institutionen der deutschen Wirtschaft beschleunigt aufgebaut wird.
Wir müssen uns darüber klar sein - insofern gibt es da, Herr Professor Osswald, zwischen uns offenbar große Übereinstimmung -, daß wir hier vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Die Erfahrungen anderer Geber sind nicht immer positiv gewesen; das wissen wir. Das Bedarfsvolumen ist, wenn wir es ernst meinen, geradezu unvorstellbar. Aber wir können auch hier nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Wir müssen Initiativen wecken, nicht zuletzt auch Privatinitiativen, und bereits bestehende Initiativen durch materielle und institutionelle Unterstützung auf den Weg bringen. Wir müssen Eigenleistungen möglich machen, Engpässe beseitigen und eine Rolle als Katalysator spielen.
Die Leistungsfähigkeit klein- und kleinstgewerblicher Einheiten in Entwicklungsländern leidet unter verschiedenen Handicaps, und zwar in sehr wechselnder Zusammensetzung.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Holtz?
Gern.
({0})
Herr Staatssekretär, besteht nicht ein Widerspruch zwischen Ihren Ausführungen und Ihren entwicklungspolitischen Zielsetzungen hier und der Ankündigung des Ministers Warnke, die allgemeine Zielsetzung einer Stärkung der Nordatlantischen Allianz werde ihren spürbaren Niederschlag auch in entwicklungspolitischen Entscheidungen finden?
Keineswegs, Herr Kollege Holtz. Einen solchen Widerspruch vermag ich an keiner Stelle zu entdecken. Die Tatsache, daß deutsche Entwicklungspolitik in ihrer Schwerpunktbildung schon immer auch dazu gedient hat, Ländern in der Dritten Welt, die uns freundlich gesonnen sind, Hilfe zu geben, kennen Sie genauso gut wie ich.
({0})
- Das hat nichts mit NATO zu tun. Aber ich nenne einmal ein Beispiel, Herr Kollege Kühbacher: Der Schwerpunkt Sudan, den ich persönlich immer sehr gern unterstützt habe, hat beileibe nicht nur eine entwicklungspolitische Motivation, sondern hängt auch mit politischen Positionen im ganzen nahöstlichen Spiel zusammen. Das ist legitim. Deswegen haben wir Herrn Offergeld nie getadelt; denn wir haben es hier mit einer rationalen Angelegenheit zu tun.
({1})
- Das habe ich doch eben schon gesagt, Herr Offergeld, daß die NATO hier keineswegs das entscheidende Kriterium ist.
({2})
- Herr Holtz, wollen wir das nicht in einem geordneten Dialog machen? Würden Sie bitte von den ausreichenden Möglichkeiten, die Sie haben, den Minister zu befragen - es gibt auch eine Fragestunde des Deutschen Bundestages -, den Ihnen zusagenden Gebrauch machen?
({3})
- Das habe ich eben - wenn Sie die Gewogenheit gehabt hätten, zuzuhören, wäre es Ihnen nicht entgangen - versucht. Das scheint nur nicht angekommen zu sein.
({4})
- Das hat etwas mit dem zu tun, der etwas sagt, und dem, der zuhört.
Ich war bei den objektiven Problemen, die wir hier haben, und möchte mich ihnen noch einmal zuwenden, weil die Überlegungen, die Kollege Osswald hier vorgetragen hat, eine ernsthafte Auseinandersetzung verdienen: Kapitalmangel, Nichtverfügbarkeit von Krediten für Investitionen und sehr oft auch für Betriebskapital sind natürlich häufig ein Engpaß, aber nicht der einzige und auch nicht immer der wichtigste.
Die in den Hauptstädten residierenden zentralen Entwicklungsbanken, die mit erheblichen Mitteln gefördert wurden, sind bisher weder willens noch in der Lage gewesen, kleine und Kleinstunternehmer mit den notwendigen Krediten zu versorgen. Auch die Geschäftsbanken mußten hier vielfach versagen.
Es wird darauf ankommen, den Aufbau und Ausbau von solchen Finanzierungsinstitutionen zu unterstützen, Spar- und Darlehenskassen, Genossenschaftsbanken, revolvierende Darlehens- und Kreditfonds, Kreditgarantiefonds usw., die vor Ort angesiedelt und geeignet sind, auch dem ganz kleinen Unternehmer um die Ecke das Kapital zur Verfügung zu stellen, das er braucht, um in seiner Entwicklung einen Schritt weiterzukommen, zwei oder drei neue Arbeitsplätze einzurichten. Oft sind das nur 500 oder 5 000 DM, nicht mehr. - Und es gibt ermutigende Beispiele dafür. Wir alle haben vor einiger Zeit gehört, wie der Landkreis OsterholzScharmbeck, unterstützt von einem Kollegen aus
Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der SPD, das auf den Philippinen in einer wirklich eindrucksvollen Weise gemacht hat.
Andere Engpässe sind natürlich Mangel an Roh-und Hilfsmaterial, Mangel an maschinellen Einrichtungen und an Ersatzteilen, auch technische Produktionsmängel, die sich in schlechter Qualität oder hohen Kosten niederschlagen, auch kaufmännische Probleme, Absatzschwierigkeiten. Auch hier liegen mannigfaltige Ansätze für eine Förderung, nicht zuletzt über Selbsthilfeorganisationen wie Einkaufs-, Produktions- und Absatzgenossenschaften, über von privaten einheimischen Projektträgern geförderte Handwerkerausbildungsstätten, technische und betriebswirtschaftliche Beratungsdienste, Kleinunternehmerfortbildung usw., gegebenenfalls auch über staatliche Einrichtungen, und zwar überall dort, wo eine unter den örtlich gegebenen Umständen zufriedenstellende Wirksamkeit auch solcher Institutionen absehbar ist.
Ich fand es sehr interessant, Herr Kollege Holtz, daß mir am Rande unserer Gespräche mit den deutschen Mitarbeitern der FAO in Rom im September von denen gesagt wurde, daß sie auf Grund ihrer Erfahrungen sehr wohl Möglichkeiten für solche Ansätze sähen.
Die Unterstützung einheimischer Selbsthilfeorganisationen wird eine besondere Rolle spielen. Wir dürfen den oft in ihrer Kapazität total überforderten staatlichen Administrationen in vielen Entwicklungsländern nicht noch mehr zumuten. Wir müssen versuchen, direkt an den Mann zu kommen.
Ich möchte hier vor übertriebenen Hoffnungen warnen. An vielen Stellen in den armen und gerade in den ärmsten Ländern - insofern sind die Einwände durchaus bedenkenswert - existieren solche Selbsthilfeorganisationen noch gar nicht oder noch nicht in wirksamen Ansätzen. Aber das heißt, daß wir um so mehr nach solchen Ansätzen suchen müssen, daß wir Vorstellungen, Pläne und Absichten aufgreifen müssen, daß wir Starthilfe geben müssen, auch wenn wir auf recht bescheidenen Grundlagen in aller Behutsamkeit aufbauen müssen.
Voraussetzung für unsere Hilfe wird zunächst immer eine Initiative auf der Partnerseite sein müssen. Wir werden auch in diesem Bereich regelmäßig nicht auf die Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Partnerregierungen verzichten können. Es sollte aber - auch gerade wegen der sorgfältig zu überlegenden skeptischen Aspekte der Sache - jede Gelegenheit, auch außerhalb der jeweiligen Regierungsverhandlungen, genutzt werden, unseren Partnern zu verdeutlichen, wie wichtig und letztlich unabdingbar Eigeninitiativen und Selbsthilfewillen gerade in diesem Bereich sind.
Es gibt einen weiteren Aspekt von großer Bedeutung, den wir, meine ich, stärker herausstellen müssen. Wir müssen auf diesem Felde die vorhandene Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit unserer eigenen deutschen Handwerkerorganisationen viel stärker in unsere entwicklungspo7888
litischen Bemühungen mit einbeziehen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
({5})
Die Bereitschaft dazu besteht, und dafür möchte ich dem Handwerk in diesem Moment in aller Form danken.
({6})
Solange angesichts der Mittelknappheit in unserem Lande eine Gruppe mit Erfahrung und Leistungsfähigkeit noch Bereitschaft zeigt, in der Entwicklungspolitik mitzuhelfen, wir aber dieses Potential nicht in dankbarer Zusammenarbeit erschließen, wie ich es hier anbiete, machen wir uns einer schweren Unterlassungssünde schuldig, die wir vor der Dritten Welt nicht vertreten können.
Auch andere Institutionen der deutschen Wirtschaft können hier noch einen Beitrag leisten, auch und gerade die freien Träger, die in diesem Bereich zum Teil schon lange über Erfahrungen verfügen. Die Kirchen haben in den zurückliegenden Jahren bereits Hervorragendes auf diesem Gebiet geleistet. Wir müssen sie in die Lage versetzen, mehr zu tun. Die Kooperationsmöglichkeiten zwischen unseren staatlichen Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit und den verschiedenen gesellschaftspolitischen Institutionen sowie den zahlreichen Organisationen unserer hochentwickelten Wirtschaft sind mannigfaltig und können, ja müssen meines Erachtens weiter aktiviert werden. Hier liegt noch ein weites und fruchtbares Feld vor uns. Dieser Antrag bietet Anlaß und ist ein Ansatzpunkt, auf diesem Felde intensiver tätig zu werden.
Wir werden nun systematisch prüfen müssen, welche Ansätze realistischerweise bestehen. Ich habe die Defizite beim Namen genannt. In enger Zusammenarbeit mit allen in Frage kommenden staatlichen und privaten Einrichtungen im Bereich der Entwicklungspolitik werden wir systematisch und im Detail prüfen, was wir auf unserer Seite insgesamt für eine verstärkte Kleingewerbeförderung tun können. Wir bitten den Ausschuß, auf diesem Gebiet unsere bereits begonnene Aktivität mit seiner fundierten Kenntnis und seinem Rat zu begleiten. Wir freuen uns auf den Dialog mit dem Ausschuß über dieses Thema. Möglichkeiten, wie sie von den in den nächsten Jahren zur Verfügung stehenden Mitteln und von der personellen Verfügbarkeit her gegeben sind, werden wir dann prüfen und identifizieren müssen, wenn wir diese inhaltlichen Klärungen miteinander vorgenommen haben. Ich sagte bereits, wir haben die ersten Gespräche auf diesem Gebiet schon geführt.
Wir wollen auf der Grundlage der so zu gewinnenden Erkenntnisse ein von den Gegebenheiten auf beiden Seiten ausgehendes und auf die entwicklungspolitischen Realitäten auf beiden Seiten - in den Empfängerländern und bei uns - bezogenes Programm erarbeiten, das unsere Kleingewerbeförderung in den Entwicklungsländern zum erstenmal auf eine umfassende Arbeitsgrundlage stellen wird. Dabei gehen wir davon aus, daß die Zeit in beängstigender Weise drängt. Die unvorstellbaren Zahlen, die ich am Anfang meiner Ausführungen genannt
habe, bedeuten, daß schon jetzt, in diesem Augenblick rund 300 Millionen Arbeitsplätze in der Dritten Welt fehlen, daß 300 Millionen Brotverdiener mit den von ihnen abhängigen Familien in diesen Tagen langfristig keine oder nur unzureichende Arbeit haben, kein oder nur unzureichendes Einkommen, keine Kaufkraft, nicht die Grundlagen für ein menschenwürdiges Dasein und keine Hoffnung.
Wir müssen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, in dieser Lage etwas zu helfen. Mehr als etwas können wir nicht leisten; aber dieses Etwas ist unendlich viel mehr als nichts. Eine systematische Kleingewerbeförderung kann und muß unter diesen Umständen ein wesentliches Mittel zur Bekämpfung von Hunger, Not und Armut in der Dritten Welt sein. - Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit seiner Eingangsbemerkung, daß im BMZ unbezahlte Rechnungen und ungedeckte Schecks in Höhe von 2,3 Milliarden DM vorgefunden worden seien, hat Herr Pinger offenbart, daß er entweder von der Entwicklungsfinanzierung keine Ahnung hat - das wäre schlimm für den entwicklungspolitischen Sprecher einer Regierungspartei - oder daß er absichtlich falsche Behauptungen verbreitet. Entwicklungshilfefinanzierung verläuft so, daß mit den Entwicklungsländern verbindliche Vereinbarungen über Projekte getroffen werden, die dann in den Folgejahren durchgeführt werden. Dazu gibt es extra Ermächtigungen, diese Verpflichtungen einzugehen.
({0})
Die Mittel fließen dann während der Projektdauer aus dem Haushalt ab.
({1})
Alle diese Verpflichtungen, die eingegangen worden sind, hat die Union immer mitgetragen. Sie sind, um Ihr Bild zu benutzen, Mitunterzeichner der Schecks, um die es hier geht. Ich glaube, das war ein Rohrkrepierer, Herr Pinger.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pinger?
Ja, bitte.
Herr Kollege Bindig, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Wechsel deshalb gezeichnet worden sind, weil sich die Regierung Verpflichtungsermächtigungen im Obermaß hat geben lassen
({0})
und auf Grund dieser Verpflichtungsermächtigungen völkerrechtliche Zusagen gegeben hat, die nun beim besten Willen von keiner Regierung eingehalten werden können?
Diese Verpflichtungsermächtigungen hat dieses Parlament
({0})
der Regierung gegeben; sie sind von Ihnen mitgetragen worden.
Auch eine zweite Bemerkung, die Sie gemacht haben, ist hier zu korrigieren und zurechtzurükken.
({1})
Sie haben davon gesprochen, daß in der Regel oder mehrheitlich nur Großprojekte in der Entwicklungspolitik gefördert wurden. Es gibt bereits jetzt eine ganze Reihe von Projekten zur Befriedigung der Grundbedürfnisse. In der technischen Zusammenarbeit sind es mehr als 50%, in der finanziellen Zusammenarbeit mehr als 25% - mit steigender Tendenz. Außerdem ist auch an den Kleinprojektefonds der technischen Zusammenarbeit zu denken.
Hat man die bisherigen Beiträge angehört, dann könnte man meinen, daß Handwerk und Handwerksförderung so etwas wie die Achse der Entwicklungspolitik sind - noch dazu eine neu entdeckte. Es ist notwendig, Förderungsmaßnahmen in diesem Bereich wieder auf ihren zwar wichtigen, aber doch begrenzten Platz zu verweisen. Welcher Stellenwert einer Förderung dieses Bereiches zukommt, muß im Zusammenhang mit den Zielen der Entwicklungspolitik und dem Beitrag zu einer Strategie zur Beseitigung der Unterentwicklung gesehen werden. Vorab muß begriffliche Klarheit geschaffen werden. Der typisch deutsche Begriff „Handwerk" ist im Dialog mit den Entwicklungsländern mit dem von uns allgemein verstandenen Inhalt nicht brauchbar. Es geht in Wirklichkeit um die Förderung jenes wirtschaftlichen Sektors, der eine Fülle von Einzelproduzenten und Kleinstbetriebe umfaßt - oftmals wird er auch als informeller Wirtschaftssektor bezeichnet - und der fast in jedem Entwicklungsland eine eigene soziokulturelle Ausgestaltung hat. Entwicklungsländer verstehen unter Handwerk nicht das, was wir darunter verstehen. Es handelt sich um kleine und kleinste Einheiten im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich.
Welche Bedeutung nun und welchen Stellenwert eine Förderung dieses Bereiches in der Entwicklungspolitik hat, ist aus den Grundzielen der deutschen Entwicklungspolitik abzuleiten.
({2})
Das vorrangige Ziel, so sagen wir einheitlich, ist die Bekämpfung der absoluten Armut. Dies bestimmt die fachliche Ausrichtung der Projekte und Programme entscheidend mit. Es soll also vorrangig den 800 Millionen Menschen geholfen werden, die in den Entwicklungsländern in absoluter Armut leben. Absolute Armut ist nach einer Definition der Weltbank jener Zustand, der von Unterernährung, Analphabetentum, Krankheit, erbärmlicher Umgebung, hoher Kindersterblichkeit und niedriger Lebenserwartung so stark geprägt ist, daß es außerhalb jeder vertretbaren Definition der menschlichen Würde liegt.
Diese Menschen haben nun Grundbedürfnisse: Nahrung, Unterkunft, Kleidung, Gesundheit, Bildung, angemessene Arbeit, befriedigende Umweltverhältnisse und politische Partizipation. Ganz gewiß kann kleingewerbliche Produktion in Entwicklungsländern - damit stelle ich wieder die Brücke zu dem Antrag her - einen Beitrag zur Befriedigung und Deckung einiger der Grundbedürfnisse leisten.
({3})
Aber der Beitrag des Kleingewerbes kann doch nicht als die notwendige Bedingung zur Deckung der Grundbedürfnisse schlechthin bezeichnet werden. Ein gesundes, schnell wachsendes Kleingewerbe ist nur ein Faktor unter einer ganzen Reihe von weiteren Faktoren, die zur Befriedigung von Grundbedürfnissen erforderlich sind.
({4})
- In Ihrem Antrag steht, daß die Förderung des Kleingewerbes eine notwendige Bedingung ist und deshalb grundlegende Priorität haben soll.
Förderung des Kleingewerbes kann also in gewissem Umfang Arbeit schaffen, kann zur Verarbeitung natürlicher Rohstoffe und zur Entwicklung von Binnenmärkten beitragen; sie ist aber nicht die einzige notwendige Bedingung. Eine handwerkszentrierte Entwicklungspolitik ist ebenso verfehlt wie eine industriezentrierte oder eine landwirtschaftszentrierte Entwicklungspolitik.
({5})
Aus dem obersten entwicklungspolitischen Ziel der Bekämpfung der absoluten Armut und aus dem Grundbedürfniskonzept ergibt sich die besondere Bedeutung der Kleingewerbeförderung, aber diese muß - neben anderen Mitteln - Mittel zum Ziel bleiben. Ländliche Entwicklung, Energie, Schutz der natürlichen Ressourcen und Bildung sind die wirklichen Bereiche mit besonders hoher Priorität. Kleingewerbeförderung ist, entwicklungspolitisch gesehen, deshalb dienlich, weil sie diesen Zielen förderlich sein kann - mehr aber auch nicht. In dieser Funktion wollen und sollten wir die Kleingewerbeförderung sehen und bewerten.
({6})
Es ist sehr wichtig, daß der eigentliche Bezugspunkt der Entwicklungspolitik, die Bekämpfung der absoluten Armut, wirklich im Blickfeld bleibt. Bei dem Eifer, mit dem die Auffassung vertreten wird, daß Kleingewerbeförderung so wichtig ist, kann es nämlich sonst zu einer Zweck-Mittel-Umkehrung kommen: Plötzlich wird die Gewerbeförderung zum Leitziel, vor allem dann, wenn noch etwas häusliche Wirtschafts- und Mittelstandsideologie hineingemischt wird.
Mit der Kleingewerbeförderung ist die Grundbedarfsdeckung in einigen Teilsektoren möglich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pinger?
Lassen Sie mich bitte noch diesen Satz sagen: Umweltschutz, Trinkwasser- und Gesundheitsversorgung sowie bestimmte Infrastrukturmaßnahmen sind ebenso erforderlich. - Bitte!
Herr Kollege Bindig, wenn Kleingewerbeförderung ein Mittel zur Bekämpfung der absoluten Armut ist - da sind wir uns einig -, welche alternativen Mittel sehen Sie? Sehen Sie - gerade in LLDC-Ländern - Groß- und Größtprojekte als Mittel an? Sehen Sie die Almosenverteilung - die wir doch gar nicht leisten können - als Mittel an? Oder welche anderen Alternativen sehen Sie?
Ergänzend müssen Maßnahmen der Gesundheitsversorgung, Maßnahmen im Trinkwasserbereich und bestimmte Infrastrukturmaßnahmen, die ich in meinem letzten Satz gerade genannt habe, hinzutreten. Das werde ich gleich noch weiter ausführen.
({0})
Wird in der Entwicklungspolitik vorrangig auf die Mobilisierung unseres privaten Sektors gesetzt, ist schnell ein erster Schritt zur Verlagerung der Prioritäten weg von der Grundbedarfsstrategie gemacht, da private Investitionen meist in Schwellenländern getätigt werden.
Der Antrag leidet in bezug auf die LLDC-Länder und auf die Schwellenländer noch an einem weiteren Mangel: Wer „Handwerksförderung" sagt und nicht ausschließlich von Kleingewerbeförderung spricht, denkt mehr in Richtung auf die Schwellenländer als in Richtung auf die ärmsten Entwicklungsländer.
({1})
Je entwickelter ein Land ist, um so kongruenter ist der Handwerksbereich mit unserem Bereich, um so eher ist Handwerksförderung möglich. Bekämpfung der absoluten Armut muß jedoch in den ärmsten Entwicklungsländern ansetzen. Wir haben hier vor einiger Zeit einen Antrag zur Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder beraten und haben gesagt, daß sich die Entwicklungshilfe auf diese Länder und auf die ärmsten Menschen in den Schwellenländern konzentrieren soll. Das mag mit Kleingewerbeförderung gehen, nicht aber mit der Förderung eines Wirtschaftssektors, der mit unserem Handwerk vergleichbar ist. In Bangladesch, einem der ärmsten Länder, hat sich z. B. eine besondere Form kleiner Produktionseinheiten im informellen Sektor herausgebildet. Über die besondere Förderung solcher spezifischen Problemlagen sagt Ihr Antrag nichts aus.
Es ist besonders schwierig, Erfahrungen, die mit Selbsthilfeorganisationen in industrialisierten Ländern gemacht worden sind, ohne vorherige Prüfung und Anpassung auf die ärmsten Entwicklungsländer zu übertragen. Selbsthilfemodelle in Entwicklungsländern haben selten praktischen Erfolg,
wenn sie fremden Kulturen von außen aufgezwungen werden. Da es noch am ehesten eine Ähnlichkeit zwischen der Handwerks- und Industriestruktur der Schwellenländer und derjenigen der Industrieländer gibt, muß dem Sog und der Versuchung entgegengearbeitet werden, Handwerks- und Kleingewerbeförderung hauptsächlich in den Schwellenländern durchzuführen, weil dies zu einer Schwerpunktverlagerung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit führen würde.
In bezug auf die Handwerks- und Mittelstandsförderung in den Schwellenländern bietet sich meiner Meinung nach ein gutes Betätigungsfeld für die Deutsche Entwicklungsgesellschaft. Die Deutsche Entwicklungsgesellschaft könnte das Dauerärgernis, das darin zu sehen ist, daß sie den größten Teil ihrer Mittel seit Jahren entgegen ihrem entwicklungspolitischen Auftrag beharrlich in der Zusammenarbeit mit größeren Betrieben einsetzt, dadurch etwas verringern, daß sie sich mehr der Handwerksförderung in den Entwicklungsländern widmet.
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Doch zurück zu der Frage des Stellenwerts der Bedeutung der Kleingewerbeförderung für die Entwicklungspolitik. Für diese Bedeutung ist es neben der Frage, welchen Beitrag Kleingewerbeförderung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse leistet, erforderlich, die kleingewerbliche Tätigkeit in ihrer Stellung im Wirtschaftsgefüge des jeweiligen Entwicklungslandes zu sehen, die Frage also, wie das Kleingewerbe bzw. das Handwerk mit den anderen Wirtschaftssektoren verbunden ist.
Die Tatsache, daß im Kleingewerbe produziert wird, vielleicht sogar auf der Basis lokaler Rohstoffe, sagt noch nichts über den Beitrag des Kleingewerbes zur Beseitigung der Unterentwicklung aus. Handwerkliches, kleingewerbliches Handeln kann auch für Touristen, für den Auslandskonsum oder für den Luxuskonsum einer führenden Oberschicht geleistet werden. Eine solche Produktion gliedert sich nicht sinnvoll in ei e Wirtschaftsstruktur ein und hat keinen echten Entwicklungseffekt.
Strategien zur Beseitigung der Unterentwicklung - besonders Senghaas hat das dargelegt - verweisen darauf, daß es die Art der Verkettung der verschiedenen Wirtschaftszweige eines Landes ist, auf die es ankommt. Kleingewerbliche, handwerkliche und industrielle Produktion haben dann einen echten Entwicklungseffekt, wenn sie mit binnenmarktorientierten Aktivitäten von landwirtschaftlicher Produktion, Produktionsgüterindustrie und Massenkonsumgüterindustrie bei einer in die breite gehenden Infrastrukturausstattung miteinander verschränkt sind. Eine handwerkliche und kleingewerbliche Produktion, die in enger Verschränkung zu anderen Wirtschaftsbereichen besteht, kann zur Beseitigung der Unterentwicklung einen wichtigen Beitrag leisten. Nicht jedes Kleingewerbe, nicht jede handwerkliche Produktion, sondern nur solche, die sich organisch in eine Binnenmarktorientierung mit sozialer Breitenwirkung einordnet, hat also eiBindig
nen hohen entwicklungspolitischen Effekt und ist daher besonders förderungswürdig.
Diese geschilderten Zusammenhänge machen nochmals deutlich, daß Kleingewerbeförderung wichtig ist, daß es daneben aber auch andere wichtige Aufgaben gibt. Dieses relativiert also den Entschließungsantrag, der eine grundsätzliche Prioritätensetzung verlangt. Ein einseitiger Wachstumspol Handwerk wird den Anforderungen einer integrierten Entwicklung allein nicht gerecht.
Mit der von mir dargelegten Notwendigkeit, die Kleingewerbeförderung in die Grundbedürfnisstrategie und in eine speziell verkettete Wirtschaftsstruktur einzubinden, ist die Aufgabe der Förderung des Kleingewerbes auf den Bereich eingegrenzt, wo sie wirklich etwas leisten kann. In dieser aufgabenbezogenen Form haben wir die Kleingewerbeförderung in der Vergangenheit gesehen. Die Vielzahl der bereits laufenden Projekte ist in der Drucksache 9/1818 über die Unterstützung des Handwerks in den Entwicklungsländern dargestellt. So soll sie auch zukünftig gesehen werden, wobei sie im Umfang ausgedehnt werden kann.
Wir wollen die Anerkennung der Bedeutung der Gewerbeförderung in einen Gesamtkontext einordnen. Wir wollen keine ideologische Überbewertung der Gewerbeförderung durch den Handwerksbegriff, weil sonst der Bezugspunkt, Bekämpfung der absoluten Armut, verlorengehen könnte.
Entwicklungspolitik darf nicht auf einen Schlingerkurs geraten, wo das Ziel nicht mehr mit allen Mitteln verfolgt wird, sondern nur noch mit einigen Mitteln, die einem besonders in die ideologischen Vorstellungen passen. Vor allen Dingen werden wir als Sozialdemokraten darauf achten, daß Entwicklungspolitik nicht mit entwicklungsfremden Zielen anderer Bereiche der Politik überlastet wird. Bekämpfung der absoluten Armut ist die zentrale Aufgabe.
Mit Sorge hören wir von den Absichten zur Veraußenpolitisierung der Entwicklungspolitik durch die neue Bundesregierung; so wenn Minister Warnke davon spricht, daß die neue Bundesregierung in der Entwicklungspolitik gegenüber Mittel-und Südamerika den „Stellenwert" der USA berücksichtigen wird. Herr Minister Warnke, lassen Sie die Entwicklungspolitik nicht zu einem Instrument der Außenpolitik verkommen!
({3})
Hier hat der Minister in den vergangenen Wochen schon angefangen, Porzellan - ich sollte besser sagen: Keramik - zu zerschlagen. Ja, wie ein Elefant im Keramikladen hat er sich verhalten.
({4})
Für uns Sozialdemokraten jedenfalls ist und bleibt der Bezugspunkt der Entwicklungspolitik die Bekämpfung der absoluten Armut.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmöle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte geglaubt, die Debatte würde sich in der Tat auf dem Felde bewegen, daß wir miteinander überlegen - das kommt in diesem Hause zwar selten genug vor -, wie wir am besten ein gemeinsames Ziel ansteuern, verwirklichen, wie wir der Regierung Aufgaben stellen, wie dieses Ziel, das wir verschiedentlich gemeinsam formuliert haben, am besten realisieren können. Aber offensichtlich geht das bei solch einer Debatte nicht ohne polemisches Beiwerk ab.
({0})
- Ich meinte doch gar nicht Sie, Herr Kollege Osswald. Sie haben es mir in der Tat ganz schwer gemacht, mit Ihnen zu polemisieren. Der Herr Kollege Bindig hat dann doch noch etwas gefunden, aber etwas, was völlig untauglich ist. Denn wenn der Minister sagt, daß Entwicklungspolitik einen Bezugspunkt zur Außenpolitik hat, dann ist das doch eine selbstverständliche Sache. Ich glaube, es ist völlig unangemessen, hier darauf hinzuweisen, daß man Entwicklungspolitik nicht zu einem Instrument der Außenpolitik verkommen lassen dürfe.
({1})
Wenn man diesen Zusammenhang nicht erkennt, dann, glaube ich, erweist man der Entwicklungspolitik einen Bärendienst.
({2})
Er hat nicht gesagt, daß er deutsche Entwicklungspolitik abhängig macht von den Interessen der USA, sondern er hat gesagt, daß sie in einem Zusammenhang stehen. Ich glaube, das kann man insbesondere in dem mittel- und südamerikanischen Raum überhaupt nicht bestreiten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Osswald?
Ja, bitte.
Herr Kollege Schmöle, haben Sie die Rede, die vor der Hanns-Seidel-Stiftung gehalten worden ist, und wären Sie bereit, uns die zur Verfügung zu stellen?
Ich habe keinen Zweifel, daß das getan werden kann. Ich habe die Rede bisher nicht zur Verfügung gehabt. Ich kann auch nur auf das antworten, was der Kollege Bindig hier gefragt hat. Er hat gesagt, daß der Minister auf diesen Bezugspunkt hingewiesen hat. Daraus kann ich weiß Gott nicht erkennen, was die Zielsetzung unserer Entwicklungspolitik in Frage stellt, die wir in diesem Hause gemeinsam beschrieben haben, auf die sich der Minister bereits bezogen hat, und zwar positiv.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmöle, wären Sie bereit festzustellen, daß ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen dem, was uns der Minister im Ausschuß gesagt hat, und dem, was über diese Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung berichtet worden ist,
({0})
und wären Sie bereit, wenn Sie an die Rede kommen, sie auch uns zur Verfügung zu stellen, denn wir haben sie bisher nicht bekommen?
Herr Kollege Osswald, ich habe bereits gesagt, ich gehe davon aus, daß solche Reden zugänglich sind. Das ist das erste.
Das zweite: Aus dem, was berichtet wurde, habe ich nicht den Schluß ziehen können, daß hier eine Änderung der Beurteilung erfolgen soll.
({0})
- Entschuldigung! - Wenn zwei Sätze losgelöst vom Gesamtzusammenhang berichtet werden, kann ich eine solche Beurteilung nicht treffen. Ich gehe davon aus, daß sich an dem, was der Minister uns im Ausschuß gesagt hat und was er hier im Plenum erklärt hat, daß nämlich die gemeinsame Zielsetzung der Entwicklungspolitik auch seine Politik ist, überhaupt nichts ändert.
({1})
Ich darf dann auf das hier anstehende Thema zu sprechen kommen, weil ich der Auffassung bin, daß wir davon doch noch einige Punkte diskutieren sollten. Meine Damen und Herren, wer die Antwort der bisherigen Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Förderung des Handwerks in den Entwicklungsländern ausgewertet hat, der muß sich doch zumindest die Frage stellen, ob denn diesen Problemen bisher die richtige Aufmerksamkeit von der bisherigen Bundesregierung gewidmet wurde. Ich will Ihnen einige praktische Beispiele nennen, die mich das fragen lassen.
Zunächst einmal ist in der Antwort nicht angegeben worden, in welchen Ländern wie viele Handwerker Nutznießer deutscher Entwicklungsprogramme sind oder sein können. Wenn dies so ist, meine ich, fehlt das Erkennen der entsprechenden originären Zielgruppe, die das notwendig macht. Dann ist beispielsweise das Rückkehrprogramm für türkische Arbeitnehmer bisher nur in Einzelfällen zu einer Unterstützung für Existenzgründungen im Handwerk verwandt worden. Man sollte sich auch darüber Gedanken machen, ob hier nicht Schwerpunkte möglich wären. Oder: Von den 24 Projekten der GTZ für Handwerk, Klein- und Mittelindustrie kommt nur ein Bruchteil der Hilfe den Handwerksbetrieben zugute. Oder: Bei der Entwicklungsbankfinanzierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau erhielten sieben Betriebe in Ruanda durchschnittlich je 39 000 DM Hilfe. Ich glaube, wir sind uns darüber einig und es liegt auf der Hand, daß eine solche Größenordnung für ein Land wie Ruanda, nämlich eines der ärmsten LLDC-Länder weitaus zu hoch ist und insofern völlig fehlgeleitet ist.
Auch in der multilateralen Entwicklungshilfe hatte die bisherige Bundesregierung ihre Beiträge nicht auf die Handwerksförderung ausgerichtet. Ich glaube, wir müssen hier der Stellung des Handwerkes noch einmal die Bedeutung zukommen lassen, die sie auch bei uns hat und daraus eine Möglichkeit schaffen, etwas für die Entwicklungsländer zu tun. Das deutsche Handwerk zählte z. B. Ende 1982 fast 500 000 Unternehmen, ungefähr 4,1 Millionen Beschäftigte, erzielte 375 Milliarden DM Umsatz und stellte 675 000 Ausbildungsplätze bereit. Nach der Industrie erwirtschaftete das Handwerk den zweitgrößten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Was das Handwerk in denjenigen Bereichen leistet, die durch Zahlen nicht erfaßbar sind, sondern mit dem Begriff Lebensqualität bezeichnet werden können, ist noch gar nicht beschrieben.
({2})
- Ich komme gleich darauf zurück, Kollege Bindig. Sie sollten vielleicht etwas mehr vom Handwerk lernen, weil Sie vielleicht mehr Beziehungen zu gemeinwirtschaftlichen Unternehmen als zu diesem Bereich haben, um sich dann die entsprechenden Schlußfolgerungen zu erlauben.
({3})
- Eine ideologisch enge Sicht wäre es in der Tat, wenn ich das nur gemeinwirtschaftlich sehen würde.
({4})
Ich will sagen, daß jede dieser Leistungen natürlich vor dem wirtschaftlichen Hintergrund unseres Landes gesehen werden muß, aber daß man daraus sehr wohl auch Entwicklungen für unsere Arbeit entnehmen kann. Wir können natürlich nicht unsere Verhältnisse auf Entwicklungsländer übertragen; aber wir müssen eine Antwort auf die Herausforderung der Massenarmut in diesen Ländern finden. Ich glaube, daß die wirkliche Verwendung der
Möglichkeiten des Handwerks jedenfalls eine Teilantwort darauf geben kann.
({5})
Da wir dank der vorherigen Regierung finanziell keinen besonderen Bewegungsspielraum mehr haben,
({6})
müssen wir den geringen verfügbaren Antriebsstrom so gezielt wie möglich einsetzen. Glücklicherweise gibt es schon mehrere praktische Schritte, die ermutigende Beispiele sein können. Konkrete Maßnahmen einer systematischen Handwerksförderung werden zur Zeit vom internationalen Kolping-werk zusammen mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks vorbereitet. In einem Land will das internationale Kolpingwerk beispielsweise mit 1 000 DM ausgebildeten Handwerkern, die kapitallos und daher auch arbeitslos sind, zu Werkzeug verhelfen und sie so wieder in die Wirtschaft integrieren, damit sie ihre Familien ernähren können. Sollte dies gelingen, wäre das sicherlich ein hochwirksames Arbeitsbeschaffungsprogramm. Die Friedrich-Naumann- und die Konrad-AdenauerStiftung fördern in ein oder zwei Projekten Handwerker durch Ausbildung und Beratung. In einem Fall soll eine Handwerkskammer aufgebaut werden. Der konsequente Aufbau von landesweiten Handwerkerselbsthilfeorganisationen wäre eigentlich ein stiftungstypisches Vorhaben. Wir können die Stiftungen eigentlich nur ermuntern, dies als Herausforderung zu begreifen und auch anzunehmen.
({7})
In dem Plan der Carl-Duisberg-Gesellschaft halten wir die Idee für betriebliche Partnerschaften für besonders ausbauwürdig. Selbstverständlich ist hier auch die kirchliche Handwerksförderung zu nennen. Missionare waren bekanntlich die ersten Handwerksberater, und zwar Jahrzehnte bevor es die öffentliche Entwicklungshilfe gab. Es wäre vorteilhaft, wenn die lokalen kirchlichen Projekte bewußt einer Verbandsbildung im Handwerk zuarbeiten könnten. Wertvolle Anregungen stammen in letzter Zeit von Bürgschaftsbanken. Überprüft werden sollten auch das System des Junghandwerkersparens und die Programme zur Erleichterung der Existenzgründung, die, glaube ich, auch beispielhaft für Entwicklungen in den von uns jetzt behandelten Ländern sein könnten.
Die Maßnahmen der genossenschaftlichen Verbände und Institute für die Entwicklungsländer sind sicherlich auch im Handwerksbereich ausbaufähig. Ein entscheidender Beitrag kann meines Erachtens von den einzelnen Handwerkern selbst kommen, wenn sich kurzfristig erfahrene Fachleute zur Besetzung von Beratungs-, Studien- und Ausbildungsplätzen bereitfinden.
Meine Damen und Herren, es gibt ja dieses bekannte Lied „Auf du junger Wandersmann", in dem beschrieben wird, daß ein Handwerker erst dann erfahren ist, wenn er sich den Wind draußen hat um
die Nase wehen lassen. Das war damals sicher für einen engen Bereich gesehen; aber mir scheint, wir sollten die Handwerker heute ermuntern, sich diese Erfahrung draußen in Entwicklungsländern anzueignen. Das käme ihnen sicher auch in unserem Lande sehr zugute.
({8})
Was erwarten wir nun von der Bundesregierung? Erstens. Sie soll den Handwerksbereich in den Entwicklungsländern die Aufmerksamkeit widmen, die ihm von der tatsächlichen Bedeutung her auch zukommt. Er ist ein Schwerpunkt. Natürlich kann der Minister bei der übernommenen Haushaltsmisere kurzfristig keine neuen Schwerpunkte setzen.
({9})
Trotzdem, meine ich, müssen alle Chancen für eine Korrektur des bisherigen Kurses genutzt werden, und dabei muß mit aller Phantasie vorgegangen werden.
Zweitens. Wir erwarten von der neuen Bundesregierung mehr Ehrlichkeit. Die Behauptung des früheren Ministers in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, Bonn unterstütze das Handwerk in fast allen Ländern der Dritten Welt, stimmt ärgerlich, wenn man die tatsächlich geförderten Zielgruppen überprüft und sich einmal einen Atlas vornimmt.
Ich komme zum Schluß. Das Subsidiaritätsprinzip, das in vielen, wahrscheinlich in allen Bereichen künftig in der Gesellschaftspolitik einen Schwerpunkt erhalten muß, sollte auch hier wieder zum tragenden Strukturprinzip werden. Bei der Förderung des Handwerks in Entwicklungsländern können wir auch zu diesem Ziel beitragen. - Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion verlängert die meiner Ansicht nach jetzt schon relativ lange Liste der entwicklungspolitischen Prioritäten um die Forderung
({0})
- und um Grundsätze - nach einer originären Handwerkerpolitik. Wie gesagt, ich halte die Liste der Prioritäten schon jetzt für relativ lang und bin deshalb gegenüber jeglicher neuen Priorität skeptisch, wo doch die alten oftmals nur auf dem Papier stehen.
({1})
Wenn wir über den Vorrang der Entwicklungspolitik als solche diskutieren - er wird ja auch bei der neuen Bundesregierung auf Grund der Haushaltsansätze erkennbar -, spiegelt sich allerdings diese Bedeutung der Entwicklungspolitik in der Präsenz der Bundesregierung überhaupt nicht wider. In meiner zehnjährigen parlamentarischen Arbeit habe ich bislang noch nicht erlebt, daß eine zweistündige Debatte über einen Antrag ohne die
Präsenz eines einzigen Ministers in diesem Hause geführt wird.
({2})
Aber kommen wir zum Thema. Das Thema kleingewerbliche Produktionsstrukturen ist sicher wert, vertieft behandelt zu werden; denn es gibt sehr viele Entwicklungsländer, die mit ihrer Wirtschaftsverfassung experimentieren. Sie haben diese als Reaktion auf die koloniale Vergangenheit auch sozial oder sozialistisch genannt, und sie sind dennoch bereit, im Bereich der kleingewerblichen Betriebe die privatwirtschaftliche Struktur zu erhalten.
({3})
Es kommt jetzt sehr darauf an, ob in diesen Ländern, in denen ordnungspolitisch noch nichts festgeschrieben ist, erfolgreich geführte kleingewerbliche Betriebe bewirken, daß dieser Sektor ausgedehnt wird; daß sich marktwirtschaftliche Elemente, die den wirtschaftlichen Freiheitsraum des einzelnen erweitern, in solchen Gesellschaften ausdehnen;
({4})
daß in solchen Wirtschaftsordnungen das Element des Wettbewerbs zum Tragen kommt, der allein die Marktwirtschaft glaubwürdig machen kann; daß solche kleinen Unternehmungen in der Lage sind, die Flexibilität zu zeigen, die die zentral gesteuerten Unternehmungen oftmals nicht zeigen. Das wäre angesichts der Struktur und der Diskussion, die wir dort erleben, von großer Bedeutung und käme insoweit auch unserem Ziel entgegen, Demokratie als Gesellschaftsform und Marktwirtschaft als wirtschaftliche Ordnungsform zu verankern.
({5})
Die Zusammenhänge im soziokulturellen Umfeld wurden von den Kollegen erläutert. Ich stimme der Auffassung voll zu, daß kleingewerbliche Strukturen am ehesten in das soziokulturelle Umfeld der Entwicklungsländer passen. In welcher Weise gilt dies für die angepaßten Technologien, die wir fördern. Das paßt zu diesem Sektor.
Aber man sollte hier wirklich nicht den Eindruck erwecken, als ob kleingewerbliche Unternehmungen im Konzept der bisherigen Bundesregierung nicht enthalten gewesen wären. Ich glaube, es war auch der Konsens der drei Fraktionen, daß das Kleingewerbe in der Lage ist, in ländlichen Räumen die versteckte Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft aufzusaugen. Das Kleingewerbe wurde auch bislang schon im ländlichen Raum gezielt gefördert; es paßt ebenfalls in das Konzept der Grundbedürfnisdeckung und ist darüber hinaus in der Lage, Deviseneinsparungen zu bewirken. Es fördert die Qualifikation im ländlichen Raum, und zwar nicht nur die handwerkliche, sondern auch die unternehmerische Qualifikation, die unbedingt notwendig ist, wenn größere Einheiten eines Tages entstehen sollen. In den kleinen Unternehmungen ist gewährleistet, daß die Rohstoffe am besten genutzt werden und daß in der Tat auf ökologische Zusammenhänge und auf Umweltschutz Rücksicht genommen wird.
Aber ein Effekt ist im besonderen Maße immer wieder auch bei uns herausgestellt worden, das ist der Beitrag des Kleingewerbes zur Ausbildung. Da sollten wir sehr pragmatisch vorgehen und vorsichtig sein, nicht unbedingt unsere Strukturen - das duale Ausbildungssystem - in Entwicklungsländer unkritisch übertragen.
({6})
Es wird sicherlich eine Mischung der verschiedenen Elemente sein: betriebliche Ausbildung, schulische Ausbildung, überbetriebliche Ausbildung. Es wird für jedes einzelne Land notwendig sein, sich darum zu kümmern, wie solche Ausbildungsgänge ausgestaltet werden, wie intensiv die Ausbildung sein muß, wieviel Spezialisierung oder wieviel Breite im Berufsfeld für das jeweilige Land das Richtige ist.
Es ist sicherlich ein entwicklungspolitisch sinnvoller Ansatzpunkt, gerade im außerbetrieblichen Teil der Ausbildung gezielt anzusetzen. Wir haben ja schon die Förderung von Gewerbeschulen. Das Land Baden-Württemberg hat sich in Tunesien sehr verdient gemacht. Die anderen Länder können durch die Freistellung von Gewerbelehrern einen wichtigen Beitrag leisten, daß hier mehr passiert.
Es gibt ein weiteres Instrument, an das wir lange Zeit geglaubt haben, nämlich die Förderung privater Investitionen mit Ausbildungscharakter. Bloß hat die Diskussion über das Entwicklungsländersteuergesetz gezeigt, daß es nahezu unmöglich ist, von der Bundesrepublik Deutschland aus zu beurteilen, welche Investitionen in einem Entwicklungsland Ausbildungscharakter haben und welche nicht. Wenn wir hier eine Drehbank fördern, dann ist es für den Finanzbeamten schlichtweg unmöglich, zu überprüfen, ob die Drehbank in dem Entwicklungsland zur Produktion oder zur Ausbildung eingesetzt wird. Insofern ist das Instrumentarium zur Förderung privatwirtschaftlicher Initiativen im Ausbildungsbereich sehr, sehr unübersichtlich. Ich möchte da doch eine gewisse Skepsis zeigen, inwieweit Privatwirtschaft schlechthin als idealer Ansatz in dem Bereich gesehen werden kann.
Ich halte es für wichtig, daß die bisher schon tätigen Institutionen - die Carl-Duisberg-Gesellschaft, DED und die Kirchen - sich in dem Feld auch weiterhin engagieren. Dabei möchte ich die Frage stellen, inwieweit die Carl-Duisberg-Gesellschaft noch in dem bisherigen Ausmaße die Praktikanten nach Deutschland holen sollte oder ob das Geld nicht sinnvoller verwandt wird, wenn in stärkerem Maße am Platz die handwerklichen Ausbildungen stattfinden.
({7})
Der Ansatz des DED ist übrigens deshalb hervorhebenswert, weil da eine ganze Menge an Idealismus gezeigt wird. Denn die Leute, die draußen die Handwerkerausbildung betreiben, sind sehr qualifizierte Kräfte, die bereit sind, für ein idealistisches EinDr. Vohrer
kommen sich für Jahre draußen zu verpflichten. Das gleiche gilt sicherlich auch für die Helfer der Kirchen.
Aber Sie können kleine Unternehmungen draußen nicht gründen, indem Sie lediglich Ausbildung als Hilfe gewähren. Es reicht auch nicht aus, Kapital und Beratung und all die anderen Elemente zu gewähren; sondern sicher ist die Voraussetzung für die Gründung eines Unternehmens, daß überhaupt kaufkräftige Nachfrage da ist, und daß ein kontinuierlicher Fluß von Material und Rohstoffen zur Produktion gewährleistet ist. Erst dann können wir mit Entwicklungshilfe gewisse flankierende Maßnahmen bereitstellen.
Zu den flankierenden Maßnahmen gehört mit Sicherheit der ganze Sektor Kapital, den ich in erheblichem Maß mit Beratung zusammen sehe. Es reicht nicht aus, Werkzeuge oder Maschinen bereitzustellen. Es muß auch die Fähigkeit vermittelt und die notwendige Beratung bereitgestellt werden, daß solches Kapital und solches Werkzeug optimal eingesetzt werden. Insofern werden Kapital und Beratung immer in einem Komplementaritätsverhältnis sein.
({8})
Wenn wir immer wieder hören, daß die Kleinkredite zu teuer sind, dann müssen wir uns darum bemühen, daß zumindet in den Banken, denen wir Zuschüsse gegeben haben, die Richtlinien der Vergabe der Kredite so ausgestaltet werden, daß es dem Kleinbetrieb möglich ist, an diese Gelder heranzukommen.
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Und wenn wir - was der Kollege Bindig zu Recht angeschnitten hat - von den Vertretern der DEG immer wieder hören, daß es ihm unmöglich ist, sich von Köln aus um den Kleinbetrieb zu kümmern - das sehe ich ja ein -, dann müssen wir uns darum bemühen, daß die Regionalbanken, die mit Geldern von uns finanziert werden, diese Aufgabe übernehmen.
({10})
Hier müssen wir als Parlament uns direkter um die einzelnen Ansätze kümmern. Hier müssen wir mehr ins Detail gehen. Wir dürfen nicht nur die ganz großen Linien zeichnen. Für mich ist Kleingewerbeförderung auch, daß wir direkten Einfluß auf die Richtlinien nehmen. Welche Zahlen könnten als Kreditgewährung ausreichend sein? Sie nennen in Ihren Ausführungen dreistellige Summen. Diese Zahlen halte ich für etwas optimistisch und blauäugig. Wahrscheinlich werden sie pro Betrieb deutlich darüber liegen, obwohl es - da sind wir sicher einig - nicht in Bereiche über 50 000 DM gehen muß.
Bevor wir neue Instrumente wie revolvierende Fonds in die Debatte bringen, sollten wir die vorhandenen Instrumente besser ausnutzen. Ich habe auf Regionalbanken hingewiesen. Aber ich denke auch an die Genossenschaftsbanken. Was Raiffeisenbanken und Volksbanken an Erfahrung haben, sollten wir primär nutzen, bevor wir neue Fonds in die Debatte werfen, die letztlich dann doch
Geschäftsbanken sein müssen und so kritisch und ernsthaft wie diese arbeiten müssen. Da finde ich es sinnvoller, wenn wir die Idee der Genossenschaftsbank mit allen Anpassungsnotwendigkeiten für Entwicklungsländer vertieft untersuchen.
({11})
Wenn Sie die originäre Handwerkerpolitik wünschen und die bisherige, nur mittelbare Politik kritisieren, komme ich zu einem Bereich, wo es gar keine spezifische Handwerkerpolitik geben kann: nämlich zu dem Infrastrukturbereich. Es kann keine Straßen nur für die Handwerker und keine Energieversorgung nur für die Handwerker und keine Wasseranschlüsse nur für die Handwerker
({12})
und keine allgemeinbildenden Schulen nur für Handwerker geben; sondern all diese Bereiche, die für ein funktionierendes Handwerk entscheidend sind, können nur für die Gesamtheit von Landwirtschaft, Kleingewerbe und industrieller Produktion dienen. Insofern sollten Sie nicht zu kritisch mit dem entwicklungspolitischen Ansatz sein, der mittelbar das Handwerk fördert. Hier gibt es keine spezifische Förderung. Jede solche Förderung kommt dennoch dem Handwerk, dem Kleinbetrieb zugute. Insofern seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich Sie bitte, daß wir das Ziel sehen und nicht zuviel ideologische Überfrachtung mit dem Ziel verbinden.
({13})
Ich habe manchmal bei dem Antrag den Eindruck gehabt, daß Sie das Bild der mittelalterlichen Zünfte vor Augen hatten, daß Sie sagten: Diese Länder sind Jahrhunderte zurück und müssen nachvollziehen, was wir in Europa in den Zünften an vernünftiger Arbeit geleistet haben. Aber die Zünfte waren faktisch eine Dreiklassengesellschaft: die Lehrlinge, die Gesellen und die Meister. Wir werden solche Modelle den Entwicklungsländern mit Sicherheit nicht empfehlen können.
Wenn wir Handwerksverbände und Handwerkskammern fordern, sollten wir auch sehen, daß solche Institutionen dann möglichst die Reibungsverluste, die wir erlebten, vermeiden und schon von vornherein Unternehmer, Arbeitnehmer und staatliche Institutionen, die für die Gewerbeförderung wichtig sind, an einem Tisch sitzen, damit es nicht zu gesellschaftlichen Spannungen kommt. Wir sollten durch die Ausgestaltung solcher Handwerksoder Gewerbeverbände rechtzeitig dazu beitragen, daß sie gesellschaftlich so wenig wie möglich Konfliktstoff bieten.
Ich habe an vielen Stellen den Eindruck, daß Sie von dem Entwicklungsmodell LandwirtschaftHandwerk-Industrie ausgehen. Das muß nicht zwangsläufig für alle Entwicklungsländer gelten. Es gibt in vielen Bereichen jetzt schon eine duale Gesellschaft, nämlich Landwirtschaft und Industrie. Wichtig ist bei diesem Ansatz das Zwischenglied zwischen dem Sektor Landwirtschaft und dem Industriebereich in Form des Kleingewerbes, wozu nicht nur das produzierende Gewerbe, sondern ins7896
besondere auch der Bereich der Instandhaltung gehört.
Ich meine, wir sollten diese Ideologiekomponente aus dem Antrag herausnehmen. Ich war überhaupt verwundert, warum immer nur vom Handwerk die Rede ist. In allen wissenschaftlichen Publikationen ist nie gezielt vom Handwerk die Rede. Ich habe mir noch einmal in dem Internationalen Handbuch die dortigen Überlegungen zur Gewerbeförderung angesehen. Zwar heißt der generelle Titel „Handwerk", aber alle pragmatischen Ausführungen wurden kleine oder mittlere Unternehmungen oder Industrien genannt. Deshalb sollten wir uns bei aller innenpolitischen Wirkung des Themas darauf verständigen können, daß es nicht primär um das Handwerk im deutschen Sinne geht, sondern um die Förderung des Kleingewerbes, wie es sich draußen in den Entwicklungsländern zeigt.
({14})
Nicht, daß hier der Eindruck entsteht, ich hätte ein gestörtes Verhältnis zum Handwerk: Ich bin sicher von den Rednern, die hier aufgetreten sind, der einzige, der einen Gesellenbrief, ausgestellt von der Handwerkskammer, besitzt
({15})
und in seiner Familie zwei Onkel hat, die beide Obermeister in meiner Geburtsstadt Reutlingen sind.
({16})
Insofern schätze ich diesen Bereich sehr. Ich möchte jedoch auf die Differenzen zum Ansatz in den Entwicklungsländern hinweisen.
Sie haben in Ihren Vorschlägen auch darauf hingewiesen, daß der eine oder andere deutsche Handwerksmeister in ein Entwicklungsland gehen sollte. Das wird der betrieblichen Wirklichkeit natürlich nicht gerecht;
({17})
denn den Betrieb, der es sich erlauben könnte, daß der Meister für zwei Jahre oder auch für eine kürzere Zeit in ein Entwicklungsland geht, kenne ich nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wollte den Gedanken noch zu Ende bringen; dann gern.
Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen der eine oder andere Handwerksmeister bei Parteiversammlungen erklärt hat, daß er bei der vorherigen Regierung gern in ein Entwicklungsland gehen wollte. Aber dieser Zustand hat sich durch die Tatsache, daß Sie jetzt die Regierungsverantwortung haben, sicherlich wesentlich verändert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pinger?
Herr Kollege Vohrer, da Sie erfreulicherweise vom Handwerk sehr viel verstehen, frage ich Sie: Können Sie sich vorstellen, daß in einem Handwerksbetrieb mit 20 oder 30 Leuten der Juniorchef als Meister ebenso wie der Geselle, von dem schon Herr Kollege Schmöle sprach, mal für drei oder fünf Jahre in ein Entwicklungsland geht, um zusätzliche Erfahrungen zu sammeln? Halten Sie das für möglich?
Herr Kollege Pinger, ich habe mich auch schon jetzt als Verwaltungsratsmitglied des DED jedesmal gefreut, wenn es eine solche qualifizierte Kraft gab, die mit Hilfe des DED hinausging. Es gibt also schon jetzt sehr vernünftige Möglichkeiten, solche Qualifikationen in ein Entwicklungsland einzubringen. Aber wir sollten, um solchen Know-how-Transfer zu bewerkstelligen, nicht neue Institutionen schaffen.
({0})
Im Zusammenhang mit dem Engagement deutscher Handwerker draußen erinnere ich mich noch sehr gut an unser Hearing, wo wir den Kollegen Dürr, den heutigen AEG-Chef, als Unternehmervertreter gehört haben. Ich möchte hier aber keine Assoziationen an seine entwicklungspolitischen Aussagen wecken. Der Kollege Dürr hat uns damals auf meine Frage, inwieweit kleine Unternehmen hinausgehen könnten, ganz unmißverständlich erklärt: „Wer nicht so stark ist auf der Brust, daß er eine Fehlinvestition ohne Risiko für die Existenz des heimischen Betriebs verdauen könnte, sollte die Finger von einem solchen Engagement lassen." Es ist also wirklich sehr abzuwägen, ob wir hier Empfehlungen aussprechen, die von der Kapitalstruktur des Handwerks her - sicherlich - nicht unbedingt realistisch sind. Es kann Einzelfälle geben, wo dies sinnvoll ist. Aber das ist für uns sicher nicht der Ansatz, politische Instrumente zu entwickeln, die gezielt auf den Handwerker ausgerichtet sind.
Es gibt übrigens noch einen Punkt, den ich in dieser Debatte als Besonderheit sehe. Die CDU als Antragsteller ist im Gegensatz zu nahezu allen anderen Fällen, in denen die Opposition eine Anfrage eingebracht hat, in der glücklichen Lage, schon zum Zeitpunkt der Debatte ihren Antrag durch Regierungspolitik verwirklichen zu können. Ich kann nur hoffen, daß es gelingen wird, zumindest die sehr produktiven Anregungen, die von den verschiedenen Rednern hier gemacht wurden, in praktische Politik umzusetzen, nicht als eine neue Handwerkerpolitik, sondern als eine Fortführung der Förderung der Kleingewerbebetriebe im ländlichen Raum als Elemente der Grundbedürfnisbefriedigung. In diesem Sinne glaube ich, daß wir in allen drei Fraktionen in dem ideologiefreien Ansatz zusammenstehen können. Nur sind wir über den Ballast der Ideologie hier unterschiedlicher Meinung. - Danke schön.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Vizepräsident Frau Renger
zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1982 ({0})
- Drucksache 9/1912 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({1})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kürzung des Amtsgehalts der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre
- Drucksache 9/2028 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der beiden Punkte a und b vorgesehen. Für die Debatte ist eine Stunde vorgesehen. - Mit dieser Handhabung ist das Haus einverstanden.
Zur Begründung wird das Wort nicht erbeten.
In der Aussprache hat Herr Abgeordneter Regenspurger das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Zufall, oder besser gesagt: der Ältestenrat, haben es gefügt, daß im unmittelbaren Anschluß an die Einbringung des Haushalts 1983 und des Nachtragshaushalts 1982
({0})
die beiden heute zur Erörterung stehenden Gesetzentwürfe auf die Tagesordnung des Plenums des Deutschen Bundestages gesetzt wurden. Die scheinbar zufällige Regie erweist sich aber mehr als gerechtfertigt. Beide Gesetzesvorlagen haben zwar scheinbar einen unterschiedlichen Inhalt; in Wirklichkeit geht es aber auch hier um die Grundsatzfrage, die uns in diesen Tagen alle berührt, nämlich, wie die notwendigen finanziellen Opfer möglichst gleichmäßig und gerecht auf alle Schultern verteilt werden können.
Dem öffentlichen Dienst ist bescheinigt worden, daß er sich mit einem Tarifabschluß von 3,6 % noch in gesamtwirtschaftlich erträglichen Grenzen gehalten habe. Die CDU/CSU hätte es begrüßt, wenn dieser Abschluß in vollem Umfang und auch zeitlich nahtlos auf die Beamten übertragen worden wäre. Diesen Standpunkt haben zahlreiche Unionsvertreter, darunter auch ich, von dem Zeitpunkt an vertreten, zu dem die Absicht der damaligen Bundesregierung bekannt wurde, die Besoldung der Beamten erst drei Monate später zu erhöhen als die der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst.
Auch heute hat mir noch niemand eine plausible Erklärung für diese unterschiedliche Behandlung, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, geben können. Nach allen öffentlich vorgelegten Zahlen sind die Gehälter der Angestellten und der Arbeiter im öffentlichen Dienst in den letzten Jahren etwa im gleichen Umfang wie die Besoldung der Beamten erhöht worden.
Ich begrüße es deshalb, daß es der neuen Bundesregierung gelungen ist, die dreimonatige Verschiebung wenigstens um einen Monat zu verkürzen, so daß die Beamten bereits zum 1. Juli 1982 in den Genuß der 3,6%igen Erhöhung gelangen. Ehrlich gesagt, wäre es mir allerdings lieber gewesen, wenn der Gleichklang in vollem Umfang gewahrt worden wäre und es überhaupt keine zeitlichen Unterschiede zwischen der Erhöhung der Gehälter der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst und der Anhebung der Besoldung der Beamten gegeben hätte.
Ich kann aber verstehen, daß die neue Bundesregierung gar keine andere Alternative mehr hatte. Die Verschiebung der Erhöhung zugunsten der Beamten und der Versorgungsempfänger um einen Monat kostet die öffentlichen Dienstherren 321,4 Millionen DM. Das bedeutet, daß der Wegfall der verbleibenden zwei Monate eine Haushaltslücke von 642,8 Millionen DM zur Folge gehabt hätte. Diese Korrektur war zum jetzigen Zeitpunkt - wir sind immerhin im Monat November - für das Haushaltsjahr 1982 praktisch nicht mehr möglich.
Ich will hier keine großen Schuldzuweisungen vornehmen - damit ist den Angehörigen des öffentlichen Dienstes auch nicht gedient -, aber eines muß eindeutig festgehalten werden: Der Fehler liegt ausschließlich bei der alten Bundesregierung.
({1})
Sie hätte Anfang des Jahres die Möglichkeit gehabt, anstatt durch Ungleichbehandlung im öffentlichen Dienst die vorhandenen Haushaltslücken auf andere Weise zu schließen.
({2})
- Das war doch Ihre Sache. Wir haben doch einen Vorschlag gemacht. Sie waren doch die Regierungspartei. Sie mußten doch die Vorschläge bringen. Sie haben in allem versagt, auch bei den Vorschlägen.
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Sie hätten Anfang dieses Jahres die Möglichkeit gehabt, anstatt durch die Unbgleichbehandlung im öffentlichen Dienst die vorhandenen Haushaltslükken auf andere Weise zu schließen - ich wiederhole dies. Die Probleme wären sicher auch geringer, wenn die alte Bundesregierung und der damalige Innenminister im vergangenen Jahr statt der 1%igen Kürzung bei den Beamtenbezügen einen vernünftigeren und praktikableren Sparvorschlag gemacht hätten und wenn der Bundeskanzler und der Bundesinnenminister damals wenigstens so konsequent gewesen wären, diese Sparmaßnahmen auch gegenüber Herrn Kluncker durchzusetzen.
({4})
So müssen wir heute diese wenig rühmliche Sparruine, kaum daß sie im 2. Haushaltsstrukturgesetz verkündet war, wieder beiseite räumen. Ich habe viel Verständnis für die Beamten, die unruhig werden und nicht mehr ein noch aus wissen, weil sie beim Gesetzgeber zu Recht den roten Faden und die notwendige Ausgewogenheit vermissen. Und schuld, meine Damen und Herren, sind Sie von der SPD.
Kein Verständnis habe ich allerdings für die Kollegen der SPD, die jetzt versuchen, die von der neuen Bundesregierung vorgeschlagene gesetzliche Regelung zu kritisieren, und die der Union vorwerfen, sie habe sich nicht an gegebene Versprechen gehalten. Die SPD sollte sich genau überlegen, ob ihr diese Taktiererei in der Öffentlichkeit abgenommen wird;
({5})
denn dies ist exakt die Haltung eines Mannes, der ein Feuer gelegt hat und dann auf diejenigen, die sich bemühen, dieses Feuer zu löschen, von hinten mit Steinen wirft.
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Wenn wir heute in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes eine Ungleichbehandlung zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern feststellen müssen, so ist dies doch nicht die Schuld der Union. Schauen Sie sich, meine Kollegen von der SPD, die unausgegorenen Sparmaßnahmen an, die im 1. und 2. Haushaltsstrukturgesetz getroffen wurden. Sie haben einseitig in die Struktur des Beamten- und Besoldungsrechts eingegriffen und damit die Kluft im öffentlichen Dienst noch vergrößert. Sie von der SPD haben Unruhe in die Beamtenschaft hineingetragen, indem Sie immer wieder die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe gefordert haben.
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Die neue Regierung hat deutlich gemacht, daß mit der Ungleichbehandlung Schluß sein wird. CDU/CSU und FDP haben in dem Koalitionspapier vereinbart, daß nach dem bei der Besoldungsanpassung 1982 gemachten ersten Schritt die tatsächliche Gleichbehandlung und Gleichstellung von Beamten, Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst ab dem Jahre 1983 vollzogen werden soll.
({8})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diese Absicht. Sie stärkt das Berufsbeamtentum, für dessen Erhaltung sich die Union mit allen Mitteln einsetzen wird.
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- Mit allen! Ich kann Ihre Unruhe verstehen, Herr Schäfer. Das ist doch ganz klar. Ihre Position möchte ich auch nicht vertreten müssen.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich auch einmal allen im öffentlichen Dienst Beschäftigten für ihre Arbeit für die Allgemeinheit danken, die rund um die Uhr geht und die
letztlich auch nicht immer auf Rosen gebettet ist, vom Finanziellen her, aber auch von den Äußerungen aus der Allgemeinheit her.
({10})
Auch der zweite zur Beratung anstehende Gesetzentwurf zur Kürzung der Amtsgehälter ist von der SPD mit zum Teil rüden Worten und unsachlicher Polemik kritisiert worden. Herr Kollege Liedtke, der meine Ausführungen sicherlich am Lautsprecher im Büro anhört, hat versucht, diese Maßnahme als reine Augenwischerei in Mißkredit zu bringen. An der SPD-Basis werden zur Zeit zum Teil noch stärkere Töne angeschlagen. Mir liegt beispielsweise ein Info vor, in dem die falsche Behauptung aufgestellt wird, schon Helmut Schmidt habe für das Jahr 1982 die Gehälter in gleicher Höhe gekürzt. Ich verstehe die Erregung der SPD, kann sie aber nicht billigen. Sie ist Ausdruck des schlechten Gewissens und der Enttäuschung.
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Die Regierung Kohl/Genscher hat die 5 %ige Kürzung als erste Maßnahme beschlossen. Zu einem solchen Kraftakt war die alte Koalition in den 13 Jahren ihrer Regierung nicht in der Lage. Die SPD hat zwar immer von den notwendigen Opfern der Besserverdienenden gesprochen. Sie hat es aber nicht geschafft, bei ihren Amtsträgern eine entsprechende Kürzung durchzusetzen.
({12})
Statt wortreicher Diskussion und Polemik will ich mich auf die Fakten beschränken. Sie sprechen für sich.
Erstens. Den behaupteten Verzicht auf die Gehaltserhöhung seitens der alten Bundesregierung gibt es nicht. Es existiert noch nicht einmal ein Gesetzentwurf, sondern lediglich ein Kabinettsbeschluß, in dem die Absicht zur Gehaltskürzung angekündigt wurde.
Zweitens. Besagter Kabinettsbeschluß sah einen Verzicht auf die 3,6 %ige Gehaltserhöhung lediglich für fünf Monate im Jahr 1982 vor.
({13})
Davon ausgenommen wären die Amtsträger gewesen, wie z. B. der frühere Bundesfinanzminster Lahnstein, der nicht dem Parlament angehörte. Die jetzt von der Bundesregierung vorgesehene Kürzung betrifft alle Amtsinhaber in voller Höhe. Sie ist nicht auf fünf Monate begrenzt, sondern gilt für die Dauer von 26 Monaten, nämlich vom 1. November 1982 bis zum 31. Dezember 1984.
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- Ja, und dann geht es wieder aufwärts, meine Herren. Wir wollen noch viel länger regieren. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, daß Sie hier sehr lange in der Opposition verharren müssen.
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Drittens. Die von dieser Bundesregierung beschlossenen Einsparungen stehen in keinem Verhältnis zu dem von der alten Bundesregierung lediglich angekündigten Verzicht. Durch die 5 %ige Kürzung werden insgesamt 790 000 DM eingespart. Dem stehen lediglich 111 000 DM an Einsparungen nach den Vorstellungen der alten Bundesregierung gegenüber, wobei diese Vorstellungen noch nicht einmal in Gesetzesform gekleidet waren.
Auch bei den einzelnen Amtsträgern ergeben sich augenscheinliche und gravierende Unterschiede. Ich nenne drei Beispiele. Bundeskanzler Schmidt - Gott sei Dank nicht mehr im Amt - hätte für die Dauer von fünf Monaten auf 691 DM im Monat verzichten müssen. Das wären insgesamt 4 150 DM weniger gewesen. Bundeskanzler Dr. Kohl muß demgegenüber monatlich auf 995 DM und für den gesamten Zeitraum auf insgesamt rund 28 800 DM verzichten. Die Bundesminister der alten Koalition hätten monatlich auf 595 DM bzw. insgesamt auf 3 530 DM verzichten müssen.
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- Ich verstehe Ihre Unruhe. Das gefällt Ihnen nicht. Das kann ich verstehen. Das sind aber die Fakten.
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- Ich war nicht in einer hessischen Gesamtschule. Ich kann noch einigermaßen rechnen. Ich komme aus Bayern. Die jetzt im Amt befindlichen Bundesminister müssen monatlich auf 796 DM und insgesamt auf rund 22 300 DM verzichten. Ein Parlamentarischer Staatssekretär der alten Regierung hatte monatlich 457 DM bzw. insgesamt 2 700 DM weniger. Die jetzigen Parlamentarischen Staatssekretäre müssen eine Kürzung von monatlich 597 DM und insgesamt von rund 16 700 DM hinnehmen. Ich überlasse es Ihrer Bewertung, meine Damen und Herren, ob diese Maßnahme eine Augenwischerei ist. Wir wären froh gewesen, wenn sich Ihre Funktionsträger, meine Damen und Herren von der SPD, zu der Zeit, als Ihre Partei in der Koalition das Sagen gehabt hat, in dieser Form die Augen gewischt hätten.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem gleichfalls von Ihnen erhobenen Vorwurf sagen, daß diese Einsparungen durch die Berufung eines weiteren Staatsministers und drei weiteren Parlamentarischer Staatssekretäre bei weitem aufgezehrt worden seien. Ich halte diesen Vorwurf für absurd und fadenscheinig. Sie wissen natürlich genau, daß Sie hier Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn Sie versuchen, einen Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und den Einsparungen zu konstruieren. Wenn Sie aber einen derartigen Vergleich anstellen wollen, dann sollten Sie wenigstens einigermaßen ehrlich ans Werk gehen. Sie müßten dann konsequenterweise die Aufblähung des Staatsapparates in den zurückliegenden 13 Jahren, die Schaffung der sogenannten Leitungsstäbe, der Küchenkabinette und die personelle Mißwirtschaft in den Bonner Ministerien, mit deren Folgen wir uns heute herumschlagen müssen, gleichfalls in die Berechnungen einbeziehen. Wir von der Union sind gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen diese vergleichenden
Untersuchungen durchzuführen und sie dann der Öffentlichkeit zur Kritik vorzulegen.
Trotz der auch in der heutigen Debatte zutage getretenen unterschiedlichen Auffassungen sollten alle Fraktionen des Deutschen Bundestages bemüht sein, die beiden Gesetzentwürfe in den Ausschüssen so schnell wie möglich zu beraten und zu verabschieden. Insbesondere die Beamten müssen Jahr für Jahr die traurige Erfahrung machen, daß die Besoldungsanpassungen viel zu spät verabschiedet werden. Die Öffentlichkeit, die die komplizierten Sachzusammenhänge nur schwer durchschaut, wird dadurch immer wieder irritiert. Die Beamten geraten dabei in den Verdacht, sie würden im Jahr gleich zweimal kassieren, nämlich beim Tarifabschluß und beim Inkrafttreten des Besoldungsanpassungsgesetzes. Diesem Eindruck sollten wir durch eine schnelle Verabschiedung entgegenwirken. Ich bitte Sie darum, daß wir dies bald tun. - Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordneter Bernrath.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine schon fast liturgische Übung, in einer Debatte über den öffentlichen Dienst Hinweise auf die Notwendigkeit oder die Bedeutung des öffentlichen Dienstes zu vermitteln. Dabei ist, Herr Regenspurger, die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes unbestritten. Wenn wir uns aber mit dem öffentlichen Dienst beschäftigen und seine Leistungsfähigkeit rühmen, ist es auch gut, einmal darauf hinzuweisen, daß wir im öffentlichen Dienst wie im übrigen auch in weiten Bereichen der Großunternehmen der gewerblichen Wirtschaft aufwendige organisatorische Formen der Verwaltung, aber auch bürokratisches und umständliches Wirtschaften, etwa in den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen des öffentlichen Dienstes, haben. Das letzte allerdings richtet sich, meine ich, auch an unsere Adresse, auch an die Adresse der Rechtsprechung. Denn vieles von dem, was wir tun, führt ja in der Tat zu Zentralismus und Oberperfektionismus, wenn man es in praktisches Handeln umsetzen will. Das sollte uns gerade im Zusammenhang mit der - ich betone das - Erhaltung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes nachdenklich machen.
({0})
In der allgemeinen Debatte zum Haushalt 1983 ist schon von allen Seiten Aktuelles zur Beamtenbesoldung, auch zur Tarifpolitik im öffentlichen Dienst gesagt worden. Dabei zeigte sich unsere erstaunliche Fähigkeit, uns schnell auf unsere neuen Rollen umzustellen und vergessen zu machen, was wir noch gestern oder vorgestern dazu gesagt haben. Ich möchte darum das, was gesagt worden ist, nicht im einzelnen wiederholen, und ich will hier auch nicht auf Ihre strammen Erklärungen eingehen, Herr Regenspurger, die kaum der Sache dienen.
({1})
Da aber ebenfalls auf allen Seiten ein gewisses Unbehagen hinsichtlich der Wirkungen politischer - also haushaltsrechtlicher - Vorgaben für Tarifverhandlungen, wie wir sie jetzt erwarten müssen, aber auch bezüglich des beamten- oder besoldungsrechtlich schwierigen Vorgehens bei der Besoldungsanpassung für Beamte etwa nach den Maßstäben sozialer Ausgewogenheit erkennbar wurde, möchte ich meinen Ausführungen eine kurze allgemeine Betrachtung vorausschicken.
Der öffentliche Dienst beschäftigt rund 4,5 Millionen Mitarbeiter. Knapp die Hälfte davon sind Beamte oder Soldaten; davon wiederum sind rund 80 v.H. Beamte des einfachen oder des mittleren Dienstes. Die anderen Mitarbeiter befinden sich in tarifvertraglichen Beschäftigungsverhältnissen. Überwiegend führen Beamte oder Angestellte und Arbeiter gleiche oder gleichartige Tätigkeiten aus. Das führt dazu, daß im öffentlichen Dienst von Beamten auf der Grundlage völlig gleicher Rechtsvorschriften z. B. sowohl Tätigkeiten des einfachen, des ausführenden Dienstes als auch herausgehobene Führungsfunktionen in den Ministerien oder in der Leitung riesiger gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungsunternehmen wahrgenommen werden. Ohne Rücksicht auf die Art der Tätigkeit oder die Höhe der Besoldung unterliegen alle Regelungen für Beamte den verfassungsrechtlich garantierten hergebrachten - gelegentlich weit hergeholten - Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Das u. a. erschwert - besonders heutzutage - eine sozial gerechte oder ausgewogene Anpassung der Besoldung an die Lebenshaltungskosten. Insofern sollten gerade die aktuellen politischen Schwierigkeiten zum Anlaß genommen werden, zu versuchen, aus diesen Bindungen zum Vorteil aller Beschäftigten und auch des Staates herauszukommen. Das wird, meine ich, nicht gelingen, wenn wir etwa wieder die Forderung nach einem einheitlichen Dienstrecht ausgraben. Es werden nur schrittweise mehr Spielräume für politische Entscheidungen auch in dieser Hinsicht gewonnen werden können, und dies vor allen Dingen dann, wenn - das wird Ihnen nicht gefallen, Herr Regenspurger - zunächst die Zahl der Beamten nach und nach gemäß der in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes genannten Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten beschränkt wird. Ich denke, damit stabilisieren wir das Berufsbeamtentum, und das wird ja in Ihrem Sinne sein.
Nun zu den Gesetzentwürfen: Wenn es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Staates - auch um die Sicherung durch eine verantwortungsbewußte Haushaltspolitik - geht, kann der öffentliche Dienst von Belastungen nicht ausgespart werden. So wie jeder Beschäftigte im gewerblichen Bereich Risiken seines Betriebes mitträgt, müssen auch die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in die staatlichen Sparverpflichtungen - beispielsweise dann, wenn es wirtschaftliche oder haushaltswirtschaftliche Schwierigkeiten gibt - einbezogen werden. Soweit dabei Opfer verlangt werden, müssen sie gerecht - ich wiederhole: ausgewogen - verteilt sein, also alle Beschäftigtengruppen gleichermaßen treffen. Die Forderung nach stärkerer Belastung hoher und schwächerer Belastung kleiner und mittlerer Einkommen gilt daher - wie allgemein - auch hier. Ihre Verwirklichung wird aber durch die eben angedeuteten rechtlichen Besonderheiten erschwert.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Besoldungsanpassung 1982 wird dieser Forderung nicht gerecht. Das gilt im Gegensatz zu den Erklärungen etwa von Herrn Minister Zimmermann im Spitzengespräch mit den Gewerkschaften. Es gilt im übrigen natürlich auch - das will ich nicht verschweigen - für seinen ursprünglichen, von der früheren Koalition eingebrachten Inhalt. Die Gründe für diese Beurteilung habe ich ebenfalls anzudeuten versucht. Wir rücken von diesem ursprünglichen Gesetzentwurf der früheren Bundesregierung, der allerdings eine ausschließlich einmalige zeitliche Verschiebung vorsieht, auch nicht ab, obwohl uns auch schon dieses Vorgehen - ich möchte ausdrücklich sagen: auch schon damals - besorgt gemacht hat, insbesondere hinsichtlich der sozial unausgewogenen Auswirkungen auf kleine und mittlere Beamteneinkommen oder Beamtenpensionen.
Betrachten wir aber den nunmehr zur ersten Lesung vorliegenden Entwurf der neuen Bundesregierung insbesondere im Licht der Haushaltsgesetze für 1983, wachsen unsere Besorgnisse, weil sich aus dem Haushaltsbegleitgesetz insbesondere weitere einseitige Belastungen für geringere Einkommen ergeben, erstens aus dem Zusammenfallen vieler Einzelmaßnahmen - z. B. BAföG-Wegfall, Begrenzung der Vorsorgepauschale, Einschränkungen der Beihilfe, Krankenversicherungsbeiträge für bestimmte Pensionärsgruppen, Umwandlung von Freibeträgen, Mehrwertsteuererhöhung - und zweitens wegen der jeder Ihrer früheren Erklärungen widersprechenden Vorgabe einer Leitlinie für die Besoldungsanpassung 1983 mit nachhaltiger Wirkung auf die Tarifhoheit, mit der Gefährdung der Tarifhoheit oder dem völligen Abkoppeln der Anpassung der Beamtengehälter von den Ergebnissen der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Hier geht es nicht mehr allein um ein Abkoppeln, sondern um einen bisher nicht dagewesenen Druck auf die Tarifparteien weit über den öffentlichen Dienst hinaus. Für diese Vorreiterrolle ist das Besoldungsrecht der Beamten aber nicht geeignet. Es wird hier sozusagen zum Kampfmittel der Tarifauseinandersetzungen gemacht. Im übrigen, so meine ich, gefährdet eine solche Leitlinie in höchstem Maße die zumindest hier noch vorhandene Einheitlichkeit des Maßstabes für die Anpassung der Arbeiterlöhne, der Angestelltenvergütungen und der Beamtengehälter im öffentlichen Dienst, nämlich des Maßstabes des mit den Gewerkschaften vereinbarten Ergebnisses von Tarifverhandlungen.
Auf die Gesetzesinitiativen der unionsregierten Länder im Bundesrat etwa zur Kürzung der Überstundenentschädigung oder zum Wegfall des Weihnachtsgeldes will ich heute nicht eingehen. Wir werden das alles zusammen in den Ausschüssen sorgfältig zu wägen und dann in der zweiten und dritten Lesung zu bewerten haben. Eine inzwischen vom
Innenausschuß angesetzte Anhörung der Gewerkschaften wird uns dieses Bewerten erleichtern.
Noch ein letztes kurzes Wort zur Kürzung der Amtsgehälter der Mitglieder der Bundesregierung. Dieser Gesetzentwurf ist nichts als eine für die Betroffenen mildere Neuauflage der zwar formal anderen, in den Wirkungen aber kräftigeren und länger anhaltenden Beschlüsse des sozialliberalen Kabinetts. Im übrigen sind Ihre zeitlich befristeten, geringfügigen Kürzungen auch als Aufforderung zur Solidarität ungeeignet, weil sie weder vergleichbar mit den Belastungen für mittlere und kleine Einkommen sind noch - und das ist schwerwiegender - die Spitzengehälter im öffentlichen Dienst - etwa nach der Besoldungsordnung B - einbeziehen noch den - das darf ich am Rande sagen - wesentlich weitergehenden realen Verringerungen der Abgeordnetenentschädigungen während der vergangenen Jahre entsprechen und außerdem im Spareffekt weitgehend aufgezehrt werden durch die Kosten zusätzlicher Bürokratisierung der Bundesregierung mit vier weiteren Staatssekretären und ihren Stäben. Auch hierüber werden wir in den Ausschüssen sprechen müssen.
Dies sollte - ich wiederhole das - unter der eben angedeuteten Notwendigkeit geschehen, den öffentlichen Dienst langfristig etwas näher zu betrachten, und mit der politischen Absicht - vielleicht und am besten in kleinen Schritten, aber bald beginnend -, die dienst- und besoldungsrechtlichen Voraussetzungen für eine sozial abgestimmte, sachgerechte Anpassung der Bezüge der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu schaffen. - Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren Kollegen! Ich habe etwas Hemmungen, als einziger Nichtbeamter zu diesem Thema zu sprechen. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Regenspurger, ich habe auch gar keine Lust, dabei besonderes Pathos abzusondern. Als ich Sie reden hörte, kam es mir vor, als ob sich jemand, der eine Clementi-Sonate spielen will, bemüht, das mit besonderem Pathos zu tun, und dabei immer das rechte Pedal tritt, mit dem man die Töne so angenehm verwischen kann, um die Schwächen des Vortrages zu verbergen.
({0})
Das hat doch keinen Sinn. Ich meine, diese Argumentation - wir kommen aus tiefster, schwärzester Nacht, und vor uns liegt der helle, schöne Morgen - glaubt doch allmählich keiner mehr, es bringt auch nichts, führt auch nicht weiter.
Ich will einmal etwas sagen zu dem Thema Kürzung der Amtsgehälter der Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre. Es trifft einen überschaubaren Kreis und schafft, soweit ich feststellen
kann, keine sozialen Probleme, hat keine haushaltsmäßige Bedeutung,
({1})
- kostet auch nicht viel -, sondern fällt eigentlich unter die Rubrik Symbolik.
({2})
- Gut, angenehm. - Ich denke, daß unsere Fraktion diesem Entwurf zustimmen wird. Das ist sicher eine vernünftige Symbolik.
({3})
Ich will gar nichts dagegen sagen. Ich will bei dieser Gelegenheit nur betonen, daß auch die Mitglieder dieses Hauses ihren symbolischen Beitrag dadurch leisten, daß sie seit sechs Jahren unveränderte Bezüge haben. Das hat kaum jemand in diesem Lande. Das muß man, wenn über Symbolik gesprochen wird, einmal sagen.
({4})
Zu dem Bereich der Beamtenbesoldung. Da wird es schon etwas komplizierter. Der eigentliche Punkt, der hier in der Debatte gar nicht vorgetragen worden ist, ist doch die Tatsache, daß Beamte kein Streikrecht haben, kein Streikrecht bekommen sollen und daß wir darum in besonderer Weise verpflichtet sind, aus unserer eigenen Entscheidung den Ansprüchen und den Erwartungen der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gerecht zu werden. Das ist der eigentliche Punkt. In welchem Umfang tun wir das? Wie können wir die Leistungen, die diese Mitarbeiter erbringen, gerecht bewerten und dabei sowohl ihre Leistungen wie auch die finanzielle Lage des Unternehmens in vernünftiger Weise berücksichtigen?
Da muß man feststellen, daß die Diskussion über die Besoldungsfragen auch in den Parteien eigentlich darunter leidet, daß wir eine allgemeine Bürokratiediskussion haben, in der viele Menschen den Eindruck haben: Da sitzt eine Horde von vielen Leuten, die nichts anderes im Sinn haben, als ihre Mitmenschen mit irgendwelchen Erfindungen oder Tätigkeiten zu belästigen, die wir eigentlich gar nicht brauchen; außerdem werden sie noch viel zu hoch bezahlt. Das ist natürlich eine falsche Optik - ich brauche das hier nicht länger auszuführen -, aber immerhin eine Optik, bei der die Beamten fürchten, daß darunter der Wert und der Sinn des Berufsbeamtentums Schaden nimmt - was zu einem Teil sicherlich richtig ist - und daß wir nicht bereit sind, die Erwartungen und Ansprüche dieser Mitarbeiter in einer fairen Weise abzuwägen. Darum muß das in der Tat mit besonderer Sorgfalt geschehen.
Wenn man verfolgt, wie sich die Entwicklung der Gehälter im öffentlichen Dienst im Vergleich zu den Einkünften in der privaten Wirtschaft in den letzten zehn Jahren vollzogen hat, dann kann man ohne Zweifel belegen, daß die Entwicklung der Einkünfte des öffentlichen Dienstes hinter der allgemeinen Entwicklung der Gehälter in der Privatwirtschaft zurückgeblieben ist - nicht erheblich, aber zurückgeblieben. Das wird Ihnen der Bundesinnenminister Zimmermann an Hand der Zahlen seines
Hauses belegen können. Wenn Sie die Besoldung der Beamten, Soldaten und Richter des Jahres 1970 gleich 100 setzen, so ist sie bis 1981 auf 210 gestiegen, hat sich also mehr als verdoppelt. In der privaten Wirtschaft geht die Entwicklung im gleichen Zeitraum von 100 auf 227; die Steigerung ist also höher.
({5})
Dasselbe stellen Sie fest, wenn Sie den Vergleich von 1975 zu 1981 ziehen. Das ist unstreitig, muß unstreitig sein. Über Zahlen brauchen wir nicht zu streiten; die muß man einfach zur Kenntnis nehmen. Das werden Sie belegt bekommen können.
Wir haben im Laufe der letzten beiden Haushaltsjahre speziell bei den Einkünften des öffentlichen Dienstes eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, die nicht von Pappe waren: Abbau von über secheinhalbtausend SteIlen allein beim Bund, Senkung der Anwärterbezüge, Nichtanpassung der Stellenzulagen, Nichtanpassung der Mehrarbeitsvergütung, Abbau der Doppelversorgung, Beihilferegelungen, Kürzung der Vorsorgepauschale. Wenn Sie alles das zusammenzählen - und das ist noch nicht alles, was wir gemacht haben -, kommen Sie auf einen Betrag von immerhin 2 Milliarden DM pro Jahr, die wir den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes gekürzt haben. Dazu tragen sie dieselben Belastungen, die wir allen anderen Bürgern zumuten: Veränderungen beim Kindergeld, Wohngeld usw. Ich glaube, hier muß man langsam aufpassen, was man tut, wenn man diesen Mitarbeitern gerecht werden will. Herr Kollege Bernrath hat recht, wenn er sagt: Die gehören ja ganz überwiegend nicht zu den Reichen im Lande, sondern ganz überwiegend zu den Beamten des einfachen, mittleren und, wie ich hinzufüge, auch des gehobenen Dienstes. Auch das sind nicht gerade Spitzenverdiener in unserer Gesellschaft.
Darum haben wir bisher eine ganze Reihe von Forderungen abgelehnt: Wegfall des Urlaubsgeldes, des 13. Gehaltes, Wegfall des Verheiratetenbestandteils im Ortszuschlag, Arbeitsmarktabgabe, auch die Abkopplung der Besoldung der Landesbeamten aus der Bundesgesetzgebung, ein Gedanke, den auch Herr Ministerpräsident Späth, Baden-Württemberg, verfolgt. Ich halte es für einen völlig falschen Gedanken, weil das dazu führen würde, daß es Ungleichheiten bei vergleichbaren Positionen gibt, und die Folge wird sein, daß jeder für andere Berufungsfälle schafft und wir in eine Entwicklung hineinkommen, die uns alle gemeinsam überfordern wird. Das ist ein Weg, den man unter allen Umständen ablehnen muß.
Aber es bleibt die Tatsache, daß die Personalkosten insgesamt zu hoch sind. Beim Bund ist das prozentual nicht so sehr der Fall, was mit der anderen Haushaltsstruktur des Bundes zusammenhängt. Bei den Ländern machen die Personalkosten im Schnitt 43 % aus, bei den Gemeinden sind es im Schnitt über 30 % und bei beiden mit steigender Tendenz. Da beißt keine Maus den Faden ab, daß man dann, wenn sich die Firma nicht in glänzender finanzieller Lage befindet, auch an den Personalkosten kürzen muß.
Deswegen haben wir uns - Herr Kollege Regenspurger, ich hätte das hier ohne Zucken weiter vertreten - dazu bekannt, im Gegensatz zu den früheren Regelungen die Tarifabschlüsse in diesem Jahr oder im vergangenen Jahr nicht pauschal auf die Besoldungen zu übertragen, sondern sie zeitlich zu versetzen. Wir hatten uns auf drei Monate festgelegt. Wir wären bereit gewesen, das auch durchzutragen, weil das von allen notwendigen Eingriffen noch der am wenigsten belastende ist. Er nimmt den Beamten nichts gebündeltes Bares aus der Tasche, sondern kürzt Erwartungen - das ist richtig -, führt aber gleichzeitig auch nicht zu strukturellen Verschiebungen, die auf Dauer irreparabel wären. Die Lösung, zwei Monate abzukoppeln, liegt auf derselben Linie, ist kein prinzipieller Unterschied.
Ich sehe ein größeres Problem in dem Gesetzentwurf über die Regelung, über die hier in den letzten Tagen mit verhandelt worden ist, nämlich die Festlegung der 2%igen Anhebung ab Mitte nächsten Jahres, also eine Vorgabe vor Tarifverhandlungen. Das ist etwas, was zum erstenmal vorgeschlagen wird. Ich bin sehr zufrieden darüber, daß wir im Innenausschuß darüber eine Anhörung machen werden; denn in der Tat muß sichergestellt sein - das entspricht, glaube ich, dem Willen aller Beteiligten -, daß die Tarifhoheit unter einer solchen Regelung nicht leidet. Das ist der eine Satz. Der zweite Satz: Wir müssen in irgendeiner Weise zu dem vernünftigen Grundsatz zurückkehren, daß, jedenfalls im Prinzip, trotz aller Haushaltsprobleme die verschiedenen Mitarbeitergruppierungen des öffentlichen Dienstes, Beamte, Angestellte und Arbeiter, im Grundsatz nicht unterschiedlich behandelt werden sollten.
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Das ist die Folge der Tatsache, daß wir den einen das Streikrecht gegeben haben, den anderen aber nicht gewähren können. Diejenigen, die es nicht haben, dürfen deswegen nicht auf Dauer materiell benachteiligt werden. Dieser Grundsatz muß also erhalten bleiben.
Ich hoffe, daß wir einen vernünftigen Weg finden, trotz der unbestreitbaren wirtschaftlichen und finanziellen Probleme, die wir haben, auch unseren Mitarbeitern die Gewißheit zu geben, daß wir im Grundsatz diesen Satz nicht verletzen wollen. Das muß ein Ziel sein, und ich hoffe, daß wir in Gesprächen mit allen Fraktionen - ich sage es noch einmal: ohne Polemik, sondern einfach unter Würdigung der gegebenen Probleme - zu einer Lösung kommen, die möglichst einmütig vom gesamten Haus getragen werden kann. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, Dr. Zimmermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst bei meinen drei Vorrednern, den Kollegen Regenspurger, Bernrath und Hirsch, für eine, wie ich glaube, sachliche Debatte.
Lassen Sie mich zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen für die Bundesregierung kurz Stellung nehmen. Die 1%ige Kürzung von Besoldung und Versorgung nach dem 2. Haushaltsstrukturgesetz hatte den Gleichklang aller Statusgruppen im öffentlichen Dienst zur Voraussetzung. Die vorgesehene Kürzungsformel konnte im Tarifbereich von Bund, Ländern und Gemeinden, wie Sie wissen, so nicht durchgesetzt werden. Damit ist die innere Begründung für dieses Sparvorhaben auch bei den Beamten entfallen. Der Gesetzentwurf berücksichtigt das. Die neue Bundesregierung übernimmt insoweit den Vorschlag.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1912 sollen auf Grund von Entscheidungen der früheren Bundesregierung Besoldung und Versorgung im Vergleich zum Tarifbereich des öffentlichen Dienstes drei Monate später angepaßt werden. Die bisherige Bundesregierung hatte dieses Hinausschieben u. a. mit Sparzwängen im Haushalt und anderen Argumenten begründet. Sie hat damit aber zugleich auch den von allen Fraktionen des Hauses seit Jahren immer wieder bekräftigten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Statusgruppen im öffentlichen Dienst aufgegeben.
Die jetzige Bundesregierung vermag diesem Schritt, den sie für einen Schritt in die falsche Richtung hält, nicht zu folgen. Sie ist der Auffassung, daß aus Gründen der Gerechtigkeit und Ausgewogenheit Einschränkungen nicht nur für die Beamten allein gelten können. Der öffentliche Dienst ist trotz unterschiedlicher Statusverhältnisse ein Ganzes. Diese Bundesregierung möchte darauf hinwirken, daß das wieder sichtbar wird. Die Erhaltung und Festigung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes erfordert aus diesem Grund die Gleichbehandlung aller Mitarbeiter, soweit dies möglich ist.
({0})
Diese Prämisse ist für die Bundesregierung ein Eckpunkt ihrer Dienstrechtspolitik und auch in schlechten Zeiten oberstes Gebot.
Aus diesem Grund schlägt sie in Übereinstimmung mit den Koalitionsabsprachen vor, den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Besoldungsanpassung 1982 um einen Monat vorzuverlegen. Damit wird dem Gleichklang im öffentlichen Dienst wenigstens tendenziell Rechnung getragen. Die Bundesregierung bedauert, daß ihrem Bemühen um die Wiederherstellung des vollen Gleichklangs durch die von ihr vorgefundenen Verhältnisse zunächst Schranken gesetzt sind. Mehr zu tun war in dieser Lage nicht möglich.
Besonders wichtig ist der Bundesregierung, daß das Hohe Haus mit der Beratung beginnt. Nachdem der Tarifbereich bereits seit Mai dieses Jahres geregelt ist, muß im Bereich der Beamten, Richter und Soldaten dringend eine Entscheidung für 1982 getroffen werden, zumal die Bundesregierung ja bereits eine Regelung für 1983 vorgeschlagen hat.
Zum zweiten Gesetzentwurf haben meine Vorredner bereits das Wesentliche ausgeführt. Das Wesentliche ist in der Tat, daß wir bei der freiwilligen Einschränkung der Amtsgehälter von Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären eine Laufzeit von 26 Monaten mit einer Einsparung von 790 000 DM haben. Das ist ein Zeichen, und selbstverständlich ist das auch nur als ein Zeichen, als ein Signal zu verstehen.
Das ist öffentlich, wie ich meine, ausreichend gewürdigt worden. Ich halte es nicht für sachgerecht - wie in letzter Zeit gelegentlich und auch heute hier geschehen -, zwischen den Einsparungen und den Mehraufwendungen für die Berufung von vier weiteren Parlamentarischen Staatssekretären einen Zusammenhang herstellen zu wollen. Wenn versucht wird, meine Damen und Herren Kollegen, die Bedeutung dieser Einsparung durch den Hinweis zu schmälern, daß schon die frühere Bundesregierung die Nichtteilnahme der Amtsgehälter der Minister an der 3,6%igen Anpassung der Beamtenbesoldung vorgeschlagen hat, ist dazu anzumerken, daß selbstverständlich auch von uns der Vorschlag der früheren Bundesregierung als Signal verstanden worden ist, aber als ein Signal, das jedenfalls nur für fünf Monate gelten sollte und den Bundeshaushalt daher lediglich um 110 000 DM entlastet hätte. Dabei wären die Bundesminister, die nicht dem Deutschen Bundestag angehörten - Kollege Regenspurger hat es gesagt -, von dieser Maßnahme nicht getroffen worden.
Ich wäre Ihnen auch hier für eine schnelle Beratung und Verabschiedung des Gesetzentwurfes dankbar. Da die Kürzung der Amtsgehälter der Minister für die Zeit vom 1. November 1982 an gelten soll, muß das Gesetz rückwirkend zu diesem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden, worum ich Sie im Namen der Bundesregierung ausdrücklich bitten darf.
({1})
Meine Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat hat Ihnen die Überweisungsvorschläge auf der Tagesordnung angegeben. Sind Sie damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 9/2034 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 9/2065 Berichterstatter:
Abgeordnete Kiehm Krey
({1}) Das Wort wird nicht erbeten.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe die Artikel 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist in der zweiten Beratung angenommen.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Kooperationsabkommen vom 2. April 1980 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sowie zum Abkommen vom 2. April 1980 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien andererseits
- Drucksache 9/1719 -Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({2})
- Drucksache 9/2075 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Haussmann
({3})
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Eine Aussprache wird auch nicht erbeten.
Dann kommen wir zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften ({4})
- Drucksache 9/2039 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({5})
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. November 1979 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer
- Drucksache 9/2055 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Ausschuß für Verkehr
Das Wort wird nicht erbeten.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/2039 und 9/2055 an die entsprechenden Ausschüsse vor. Die Vorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. - Ist das Haus damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses ({7}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 9/2041 Auch hier wird das Wort nicht erbeten.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Der Tagesordnungspunkt 16 - Freilassung des Gewerkschaftsführers Lech Walesa und anderer politischer Häftlinge - ist abgesetzt worden.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 9. November 1982 mitgeteilt, daß ihr Entschließungsantrag auf Drucksache 9/1410 zur Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1982 der Bundesregierung zurückgezogen wird. Dadurch entfällt die Beratung des Tagesordnungspunktes 17.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Eigenmitteln der Gemeinschaft
- Drucksachen 9/368, 9/2061 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({9}), Hoffmann ({10})
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2061 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so - ({11})
Vizepräsident Frau Renger
- Oh, das waren Enthaltungen?
({12})
- Ich sehe es, drei wichtige Stimmen dagegen. - Aber die Entschließung ist angenommen.
Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. November 1982, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.