Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts ({0})
- Drucksache 9/1065 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 9/1785 Berichterstatter:
Abgeordnete Bohl,
Frau Dr. Däubler-Gmelin
({2})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Auf Drucksache 9/1977 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Abgeordneten Bohl und Frau Dr. Däubler-Gmelin vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Bohl und Frau Dr. Däubler-Gmelin auf Drucksache 9/1977 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich rufe die Art. 1 bis 10 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist mit allen Stimmen angenommen.
Punkt 5 der Tagesordnung ist abgesetzt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 303 StGB ({3})
- Drucksache 9/1937)
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Das Haus ist damit also einverstanden.
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes, mit dem das Antragserfordernis für die Verfolgung von Taten der Sachbeschädigung aufgelockert werden soll.
Das geltende Recht setzt für das Einschreiten der Strafverfolgungsorgane wegen einfacher Sachbeschädigung zwingend einen Strafantrag des Geschädigten voraus. Nach dem Gesetzentwurf des Bundesrates, der dankenswerterweise auf Initiative des Landes Baden-Württemberg zustande kam, soll nun eine Strafverfolgung auch ohne Antrag ermöglicht werden, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Dies ist zu begrüßen.
Zum einen spricht für eine solche Regelung die Erwägung, daß die Vernichtung von Sachwerten, z. B. bei unfriedlichen Demonstrationen, eine Ver7064
schleuderung volkswirtschaftlicher Substanz ist, die die Belange der Allgemeinheit in höchstem Maße berührt.
Es ist zwar richtig, daß Sachbeschädigungen ihrer Art nach die Interessen der Eigentümer zumeist stärker als die Belange der Allgemeinheit berühren. In den von mir angesprochenen Fällen muß aber eine Strafverfolgung ohne oder sogar gegen den Willen des Geschädigten im öffentlichen Interesse liegen. Bei den erwähnten unfriedlichen Demonstrationen kommt es nicht selten zum Zertrümmern von Fensterscheiben, Umwerfen von Autos und Umstoßen von Bäumen. Die Schäden belaufen sich zum Teil auf Beträge von mehr als 50 000 DM. Solche Sachbeschädigungen, die bei unfriedlichen Demonstrationen von kleinen Gruppen - zumindest zum Teil - ganz bewußt gesucht werden, müssen wegen der schweren Störung des Rechtsfriedens bestraft werden, und zwar unabhängig davon, ob der Strafantrag gestellt wird oder nicht, ob er zurückgenommen wird oder nicht.
({0})
Eine zweite Erwägung spricht für die vorgeschlagene Regelung: In der Praxis der Strafverfolgungsbehörden ergeben sich neuerdings immer wieder Fälle, in denen die Zerstörung und Beschädigung von Privateigentum deshalb nicht geahndet werden können, weil der Geschädigte aus Furcht vor Repressalien vor der Stellung eines Strafantrags zurückschreckt bzw. ihn später zurückzieht. Wenn es auch nicht immer reine Vergeltungsmaßnahmen sein mögen, die angedroht werden, so neigen Geschädigte angesichts von massiven Einschüchterungsversuchen oder - in Universitätsstädten - angesichts publizistischen oder kampagnemäßigen „An-den-Pranger-gestellt-Werdens" durch die Täter doch leicht zur späteren Zurücknahme ihres Antrags.
Angesichts dieser Sachlage führt die gegenwärtige Gesetzeslage dazu, daß solche Gewalttäter ohne ein ernstliches Risiko solche Straftaten begehen können und Privateigentum beschädigen. Bleiben aber die angerichteten Zerstörungen ohne strafrechtliche Ahndung, so ist das politische Ziel der Täter erreicht, nämlich das Sicherheits- und Rechtsgefühl weiter Teile der Bevölkerung empfindlich zu stören.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz deutlich sagen, daß wir für die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Entwurf des Bundesrates wenig Verständnis haben. Es wird einmal mehr kein Anlaß gesehen, angesichts dieses Mißstandes einzugreifen. Nach bewährter Manier wird zunächst einmal überhaupt bestritten, daß Strafanträge wegen Sachbeschädigung in einer nennenswerten Zahl von Fällen aus den genannten Gründen nicht gestellt werden. Ich frage mich dann nur, Herr Bundesjustizminister, warum der Vorstand der Polizeigewerkschaft dazu bereits im Jahre 1981, und zwar im April, die Forderung erhoben hat, entsprechende Fälle der
Sachbeschädigung als Offizialdelikt verfolgbar zu machen.
({1})
Ich frage mich, warum in diesem Thesenpapier, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte, ausgeführt wird - Zitat -:
Das Demonstrationsrecht gibt kein Demolationsrecht.
({2})
Gewalttäter dürfen nicht ungestraft in den Tatbestand der einfachen Sachbeschädigung ausweichen.
Das ist doch ein klares Votum derjenigen, die im Alltag an der Basis mit diesen Fällen zu tun haben.
Noch deutlicher wird es in dem Bericht einer Landespolizeidirektion in Baden-Württemberg, den ich mit Genehmigung des Präsidenten gleichfalls zitieren möchte:
Die Erfahrungen in Freiburg belegen, daß Geschädigte tatsächlich aus Angst vor weiteren Repressalien Strafanträge nicht gestellt haben bzw. bereits gestellte Strafanträge wieder zurückziehen. So wurde beispielsweise im Zusammenhang mit dem Komplex Schwarzwaldhof und den Folgeaktionen in fünf bekannten Fällen wegen Sachbeschädigung kein Strafantrag gestellt. In drei weiteren Fällen mußten die Geschädigten in Anbetracht des relativ hohen Sachschadens von der Notwendigkeit eines Strafantrags überzeugt werden.
Was soll man dem noch hinzufügen? Daran kommen Sie doch einfach nicht vorbei! Hier muß gehandelt werden!
Kopfschüttelnd habe ich auch von dem Argument der nordrhein-westfälischen Justizministerin im Protokoll der Bundesratssitzung vom 28. Mai 1982 Kenntnis genommen. Sie trägt dort vor, bei Annahme des Entwurfs des Bundesrates würden die Vorbehalte junger Menschen verstärkt, Politiker würden „sich nicht ihrer Verantwortung für die Probleme stellen, sondern als Alternative zu eigenem Handeln nach Polizei und Justiz rufen". Für eine solche Argumentation, die ich sehr eigenartig finde, vermag ich kaum Verständnis aufzubringen,
({3})
besonders deshalb nicht, meine Damen und Herren, weil ich vor einiger Zeit selbst erlebt habe, wie man als Strafantragsteller bei einem Hausfriedensbruch bearbeitet wird. Ich halte das für eine ganz schlimme Entwicklung, bei der der Gesetzgeber nicht tatenlos zuschauen darf.
({4})
Meine Damen und Herren, bei allem Verständnis für jugendliches Aufbegehren und Austoben: Auch junge Menschen, die sich wegen Sachbeschädigungen dieser Art strafbar gemacht haben, müssen die Konsequenzen ihres gewaltsamen Tuns klar zu spüren bekommen. Die Einhaltung der Rechtsordnung und der praktizierte Verzicht auf Gewalt sind letztBohl
lich die entscheidende Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis unter den Generationen und für den inneren Frieden in unserem Lande. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ueberschär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Bohl hat zu dem uns vorliegenden Strafrechtsänderungsgesetz die uns bekannten Gründe wiederholt und hat sie hier in den wesentlichen Punkten vorgetragen.
({0})
- Das ist Ihr Standpunkt! - Diese Gründe hatten die Bundesregierung seinerzeit veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß ein Regelungsbedürfnis zur Änderung des § 303 Abs. 3 StGB nicht schlüssig dargetan sei.
In der Zwischenzeit bestand ausreichend Gelegenheit, das, was im Schnellbrief des Justizministers des Landes Baden-Württemberg vom Oktober 1981 an Begründungen ausgeführt war, zu ergänzen. Das ist nicht geschehen. Die Situation, vor der wir stehen, ist also unverändert geblieben. Gründe, die ein Regelungsbedürfnis hätten nachweisen können, sind bisher nicht vorgetragen worden.
({1})
Die bisherige Rechtslage hat sich bewährt, Herr Kollege Klein, und es kann natürlich überhaupt nicht davon die Rede sein, daß die Bürger, die betroffen sind, bei denen Sachbeschädigungen im Verlauf von und im Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen auftreten, nicht ihre Rechte durchsetzen könnten.
({2})
Ich verweise dabei darauf, daß die Situation eine zweigleisige ist, was bisher in der Diskussion nicht herausgestellt wurde. Der Geschädigte und Antragsberechtigte im Zivilverfahren wird natürlich daran interessiert sein, Schadenersatz zu erlangen. Das Problem liegt doch für den Antragsberechtigten und Schadenersatzberechtigten in erster Linie in der Notwendigkeit, daß er des Täters habhaft wird, daß dieser zunächst einmal festgestellt werden kann. Das ist bei gewaltsam verlaufenden Demonstrationen ein Phänomen, das vielen Geschädigten zu schaffen machen muß. Darin liegt das Problem, nicht so sehr in der Frage, ob wir nun hier eine Lokkerung des Antragserfordernisses im Bereich des § 303 Abs. 3 StGB durchsetzen wollen oder nicht.
Meine Damen und Herren, es würde sich auch nach einer derartigen Regelung in der Praxis nichts ändern. Wir wissen, nicht nur als Juristen, sondern eben auch als Bürger, die im Leben mit anderen und sich selbst auskommen müssen, daß Unvollkommenheiten auch bei noch so guten Gesetzen nicht
vollständig vermeidbar sind. Wir sollten das auch unter dem Gesichtspunkt sehen, daß die wohlerwogene und historisch gewachsene Unterscheidung von Offizialdelikten und Antragsdelikten weiterhin beibehalten werden sollte, wenn nicht ein wirklich zwingendes Regelungsbedürfnis vorliegt. Die Bürger draußen erwarten zu Recht von uns, daß wir bei allen Gesetzesinitiativen, bei allen Gesetzesvorhaben sehr gründlich prüfen, ob wir den Menschen weitere Gesetze zumuten können und zumuten müssen. Ich meine, daß das im Falle des § 303 Abs. 3 StGB in dem vorgeschlagenen Änderungssinne nicht der Fall ist.
Die Begründung des Entwurfs stützt sich im wesentlichen darauf, daß die Bürger, soweit sie betroffen sind, eine Antragstellung deshalb nicht wagen, weil sie befürchten, daß ihnen Vergeltungsmaßnahmen drohen könnten. Eine derartige Begründung wirkt hypothetisch; sie kann auch nicht in einem nur nennenswerten Umfang belegt werden. Zahlen und Erkenntnisse hierüber liegen nicht vor, abgesehen von einigen Fällen, die uns aus Baden-Württemberg geschildert wurden, die wir aber fast an einer Hand abzählen können. Das kann nicht zum Maßstab einer Änderung werden, die bundesweit zu gelten hätte.
Der zweite Gesichtspunkt, daß dann, wie es in der Begründung heißt, die Strafantragsteller im Hauptverfahren möglicherweise mit der Androhung von Repressalien rechnen müßten - die Hauptverhandlung könnte hierzu Gelegenheit bieten -, reicht für eine überzeugende Begründung im Sinne eines Regelungsbedürfnisses nicht aus. Im übrigen haben wir im Strafverfahren schlechthin, aber auch im Zivilverfahren schlechthin mit der Möglichkeit, wenn sie denn hier und da bestehen sollte, zu rechnen, daß Parteien oder Beschuldigte oder Prozeßbeteiligte von anderen unter Druck gesetzt werden.
Das ist ein allgemeines Problem und kein gesondertes Problem im Bereich der Sachbeschädigung.
Es entsteht hier auch keine Gesetzeslücke, denn wenn so etwas vorkommen sollte, handelt es sich um versuchte Nötigung, und der Betreffende kann sich auch hiergegen zur Wehr setzen.
({3})
- Nein, es ist auch in der Praxis so, Herr Kollege. Das vielleicht gerade als Anmerkung in einer Woche, wo die Zeitungen voller Mafia-Berichte sind. Ich glaube, solche Schwierigkeiten bestehen in unserem Lande nicht.
({4})
Sie werden auch nicht entstehen.
Herr Kollege Bohl, Sie haben sich auf die Leitsätze und Forderungen der Gewerkschaft der Polizei vom 22. April 1981 bezogen und diese Stellungnahme mit zu Ihrer Begründung herangezogen. Ich sehe mich veranlaßt, mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten aus diesen Leitsätzen einmal im Zusammenhange zu zitieren; dann wird manches deutlicher. Wer die Begründung des Gesetzentwur7066
fes aufmerksam durchliest, wird feststellen, daß die vorgesehene Alternative zwar darauf hinausläuft, die von der Gewerkschaft angeregte Lösungsmöglichkeit im Zusammenhange mit gewalttätigen Demonstrationen ins Auge zu fassen. Sie lehnen sie aber dann in den Gründen ausdrücklich ab. Auch im Schreiben des Justizministeriums von Baden-Württemberg vom Oktober 1981 ist diese Lösung abgelehnt worden. Sie können sich also wohl nicht sehr glaubwürdig darauf beziehen wollen.
Aber auch das, was die Gewerkschaft der Polizei sagt, sollte hierzu einmal im Zusammenhang zur Kenntnis genommen werden. Es heißt da unter II „Konsequenzen und Forderungen", Nr. 3:
Rechtsbrüche müssen nach Recht und Gesetz verfolgt werden. Dabei sind das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot zu beachten.
Gewalttäter sind keine Demonstranten. Wer Gewalt gegen Personen oder fremde Sachen verübt, kann sich nicht auf die grundgesetzlich festgelegte Demonstrationsfreiheit berufen, er ist Straftäter. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß zukünftig durch unmittelbar vollziehbare Anordnungen ({5}) einer Unkenntlichmachung ({6}) entgegengetreten wird, um Straftaten im Schutze der Vermummung/Maskierung zu verhindern oder Straftaten besser verfolgen zu können. Gewalttäter dürfen nicht ungestraft in den Tatbestand der einfachen Sachbeschädigung ausweichen. Sachbeschädigung unter erschwerten Umständen muß deshalb als Offizialdelikt verfolgbar sein.
Es nützt nichts, nur nach neuen Gesetzen zu rufen, wenn für die Bewältigung der polizeilichen Aufgaben nichts bewirkt wird. Vielmehr dient ein solcher Ruf dann nur als Alibifunktion.
Die Gewerkschaft der Polizei ist der Überzeugung, daß die geltende Rechtsordnung grundsätzlich ein ausreichendes Instrumentarium bietet, um auch den Gewalttätern anläßlich von Demonstrationen und Hausbesetzungen auf rechtsstaatliche Weise zu begegnen. Die bestehenden Gesetze müssen angewandt und ausgeschöpft werden.
({7})
Wenn man das also im Zusammenhang zur Kenntnis nimmt, Herr Kollege Bohl, dann klingt das natürlich anders als Ihre Begründung, wo Sie eigentlich von dieser Lösung gar nichts wissen wollen, und zwar unter dem Stichwort, daß man Abgrenzungsschwierigkeiten haben werde, wenn man das Antragserfordernis nicht so weit auflockere und über den Bereich von Demonstrationen hinausgehe.
Da keine neuen Gesichtspunkte und Nachweise für die Regelungsbedürftigkeit vorliegen, sind wir der Auffassung, daß wir bei der alten Rechts- und Gesetzeslage bleiben sollten.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch im Bereich des Strafrechts haben wir uns Änderungen, wo sie insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität notwendig sind, nie verschlossen. Allerdings ist es bekannt, daß wir hier große Zurückhaltung üben. Es kann nicht der Sinn einer ersten Lesung sein, bereits zu Fixierungen zu kommen. Uns wird bei den Ausschußberatungen interessieren, welche Fälle es waren, in denen Geschädigte von dem Erfordernis der Strafantragstellung indirekt oder gar direkt durch Androhung empfindlicher Übel abgehalten worden sind, so daß die Straftäter schon aus diesem Grunde der verdienten Strafe nicht zugeführt werden konnten. Uns werden weiter nicht nur die einzelnen Fälle interessieren, sondern insbesondere auch die Frage, wie dies zahlenmäßig zu gewichten ist. Auf dieser Grundlage wird es dann möglich sein, in aller Ruhe im Ausschuß die Abwägung zu treffen, ob das, was der Gesetzentwurf des Bundesrates bezweckt, notwendig ist oder ob wir an dem, was unser geltendes Recht vorsieht, festhalten können. - Danke.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zielt, wie seiner Begründung zu entnehmen ist und wie uns Herr Bohl heute morgen noch einmal bestätigte, hauptsächlich auf Taten, die im Zuge unfriedlich verlaufener Demonstrationen begangen worden sind.
Nach geltendem Recht wird die Sachbeschädigung in der Tat nur auf Antrag verfolgt. Das gilt ohne Rücksicht auf die Höhe des angerichteten Schadens. Er kann im Einzelfall viel höher sein als etwa der Schaden eines Diebstahls, einer Unterschlagung oder eines Betrugs. Ein öffentliches Interesse an der Verfolgung wird man in solchen schweren Fällen kaum leugnen können, und doch stellt das Gesetz die Durchführung des Strafverfahrens in die Verfügung des Geschädigten.
Selbstverständlich muß das Strafrecht den sich ändernden Erscheinungsformen kriminellen Verhaltens, aber auch dem Wandel gesellschaftlicher Anschauungen Rechnung tragen. Es bedarf daher einer ständigen Überprüfung auf seine Wirksamkeit und Erforderlichkeit. Aber, meine Damen und Herren, nicht jedes tagespolitische Ereignis, das die Offentlichkeit beunruhigt, kann Anlaß für eine Änderung unseres Strafrechts sein.
({0})
Was in der Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates vorgetragen worden ist, hat mich von der Notwendigkeit oder auch nur von der Nützlichkeit der angestrebten Regelung nicht überzeugt. Da stimme ich Herrn Ueberschär voll zu. Da heißt es, daß in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen Sachbeschädigungen mangels Strafantrag nicht
verfolgt werden könnten. Das ist nicht neu, ebensowenig wie kollektive Ausschreitungen es sind. Gruppen randalierender Jugendlicher, die Scheiben einschlagen, Autos beschädigen oder Bäume umknikken, gab es schon immer. Neu ist allenfalls die irrige und schädliche Inanspruchnahme des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit.
Aber daß rechtswidrige und schuldhafte Handlungen nicht verfolgt werden können, weil der Geschädigte keinen Strafantrag stellt, liegt doch wohl in der Natur des Antragsdelikts. Das Antragserfordernis wird in vielen Straftatbeständen damit gerechtfertigt und erklärt, daß es den Rechtsfrieden fördere, indem es die Chance der Versöhnung zwischen Täter und Opfer schaffe. Für diese Chance fehlt es manchmal an den Voraussetzungen. Sie wird aber andererseits auch dort genutzt, wo man es eigentlich nicht erwartet. Ich denke etwa daran, daß Hauseigentümer auf die Bitte von Hausbesetzern die wegen Hausfriedensbruch gestellten Strafanträge zurückgenommen haben, weil die besetzten Häuser freiwillig geräumt wurden.
Nun wird zur Begründung des Gesetzentwurfs auf Einschüchterungsversuche der Täter und ihres Anhangs gegenüber den Strafantragsberechtigten hingewiesen. Indessen fehlen die Beweise oder auch nur konkrete Anhaltspunkte dafür, daß diese Sorge begründet ist. Wir dürfen Änderungen des geltenden Strafrechts nicht auf Spekulationen gründen.
Schließlich eine grundsätzliche Frage: Läßt sich das vom Bundesrat verfolgte Ziel mit sachlichen Gründen auf die Sachbeschädigung beschränken?
({1})
Sollte das, was für die Sachbeschädigung recht ist, nicht auch für andere Antragsdelikte billig sein?
Die Möglichkeit, auf den Strafantragsberechtigten Druck auszuüben, besteht bei jedem Antragsdelikt. Die Gefahr solcher Beeinflussung besteht vielleicht am meisten bei personalen Nahbeziehungen, in der Ehe oder in der Familie. Denken Sie an den Haus- oder Familiendiebstahl oder an Gewalttätigkeiten unter Eheleuten. In diesen Fällen, bei denen eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht, liegt es in der Natur der Sache, daß der Täter den Geschädigten leichter einschüchtern kann und auch unter Druck setzen wird, als dies bei Sachbeschädigungen geschieht, die gegenüber unbekannten Personen begangen werden. Daher würde sich auch hier die Frage stellen, warum nicht auch diese Antragsdelikte von Amts wegen verfolgt werden sollen, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt.
Also: Folgte man dem Vorschlag des Bundesrats, so würde dadurch die wohlerwogene Aufteilung der Vergehenstatbestände in Offizialdelikte und Antragsdelikte insgesamt in Frage gestellt. Dann hätten wir aber einen grundsätzlichen Einbruch in das System unseres Strafrechts vor uns, der übrigens auch Auswirkungen auf die angespannte Personallage bei Strafverfolgungsbehörden und Gerichten hätte.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist bereit, vorurteilsvoll alle Tatsachen zu prüfen
({2})
- vorteilsfrei, Herr Erhard, wirklich, Sie werden das im Rechtsausschuß erleben -, mit denen sich die Notwendigkeit der angestrebten Strafrechtsänderung belegen läßt. Hier stimme ich den Ausführungen von Herrn Engelhard voll zu. Aber das bisherige Vorbringen trägt den Gesetzentwurf nicht.
Die Bundesregierung unterstützt daher diesen Vorstoß nicht.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 9/1937 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich bemerke keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung
zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich
zu dem von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbesserung des Versorgungsausgleichs
- Drucksachen 9/34, 9/562, 9/1954 Berichterstatter:
Abgeordnete Erhard ({1}), Stiegler
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag bis zu fünf Minuten vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich bemerke keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Erhard ({2}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute den in diesem Haus seltenen Vorgang, feststellen zu müssen, daß ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Dezember 1980 und ein Gesetzentwurf der Oppositionsfraktion vom Sommer 1981 zum gleichen Gegenstand im Rechtsausschuß nur anberaten und in der Sache überhaupt nicht beraten wurden.
Erhard ({0})
Die Beratungen sind, worauf wir im Juni 1981 von dieser Stelle aufmerksam gemacht haben, nur deshalb nicht weitergekommen, weil die SPD-Fraktion weder den Vorschlag der Regierung trägt noch zu irgendeiner anderen Lösung Vorschläge zu unterbreiten in der Lage war. Die sozialdemokratische Fraktion hat bis in diesen Sommer hinein beraten. Wir haben jetzt im Eilverfahren einen Entwurf vorgelegt bekommen, der denselben Gegenstand anders und wesentlich mehr regelt; darüber werden wir gleich zu diskutieren haben.
Der Herr Justizminister hatte im Sommer 1981 vor der Sommerpause hier erklärt, der Gesetzentwurf werde zügig beraten, und er hat dem Bundesverfassungsgericht 1981 gesagt, es werde noch bis zum Sommer 1982 im Bundesgesetzblatt eine Neuregelung eines Gebiets erfolgen, das mit der Vorlage vom Dezember 1981 überhaupt nichts zu tun hat - nur um Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinauszuschieben und als nicht notwendig erscheinen zu lassen.
Ein solcher Vorgang des Stillstands der Rechtspflege, wobei es darum geht, daß alten Leuten Pensionen und Renten in verfassungswidriger Weise abgesplittet, weggenommen worden sind, die nur der öffentlichen Hand oder den Versicherungsträgern zufließen, ist der Gegenstand des ganzen Problems. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Hier wird in die Alterssicherung alter Leute verfassungswidrig eingegriffen. Und diese Regierung läßt die alten Leute weiter hängen und tut gar nichts. Und die Koalitionsfraktionen, speziell die SPD, treten auf der Stelle und sind nicht einmal bereit, im Berichterstattergespräch, geschweige denn im Rechtsausschuß in der Sache zu verhandeln.
Ein skandalöser Zustand! Aber es wird ja hoffentlich bald anders.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Erhard, Sie haben bei Ihren Darlegungen übersehen, daß zwischen dem Problem der Beseitigung von Härten beim Versorgungsausgleich entsprechend dem Urteil des Verfassungsgerichts und dem Problem der Ablösung des Barausgleichs im Versorgungsausgleich ein sowohl sachlicher als auch politischer Zusammenhang besteht. Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs hat die CDU/CSU in ihrem eigenen Gesetzentwurf in § 4 zum Ausdruck gebracht.
({0})
Die von der CDU/CSU vorgeschlagene Art der Ablösung des Barausgleichs erschien uns als absolut unzureichend. Wir haben es deshalb für notwendig angesehen, hinsichtlich der Ablösung des Barausgleichs eine alternative Regelung zu erarbeiten und dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Diese alternative Regelung liegt nunmehr vor, sie wird gleich debattiert werden, und Sie werden unschwer erkennen können, daß zur Erarbeitung eines derartig um fangreichen Gesetzgebungsvorhabens eine Vorlaufzeit von etwa einem Jahr einfach normal und unausweichlich ist.
Die eingetretene Verzögerung beruht also auf unausweichlich gegebenen sachlichen Notwendigkeiten, und sie führt dazu, daß eine grundlegende Verbesserung und Fortentwicklung des Versorgungsausgleichs nunmehr zügig stattfinden kann. Der Vorwurf des Kollegen Erhard, daß wir, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts negierend, nicht zügig dafür sorgen wollen, daß Härten im Versorgungsausgleich beseitigt werden, trifft nicht zu, und ich weise ihn zurück.
Im übrigen ist es so, daß bei den von einer zukünftigen Härteregelung betroffenen und begünstigten Bürgern, in der Tat zu einem großen Teil alten Leuten, die Versicherungsträger im Vorgriff auf die sich abzeichnende Regelung bereits einen diesen Regelungen entsprechenden Härteausgleich vornehmen, wenn auch nicht in vollem Umfang, wie ich zugebe, weil der mögliche Regelungsspielraum des Gesetzgebers von ihnen beachtet werden muß.
({1})
Insoweit hat Herr Kollege Erhard - ich nehme ihm das gar nicht übel - etwas dramatisiert: So schlimm, wie Herr Erhard sie geschildert hat, ist die Situation nicht, obwohl ich Ihnen zugestehe, Herr Erhard, daß es für manche schon eine doppelte Härte ist, einmal daß die Härte besteht, die das Verfassungsgericht festgestellt hat,
({2})
und daß die Beseitigung der Härte nicht in der aus der Sicht der Betroffnenen wünschbaren Geschwindigkeit möglich gewesen ist.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie können davon ausgehen, daß bei gutem Willen aller drei Fraktionen im Jahre 1983 sowohl die Härteregelung als auch die Ablösung des Barausgleichs zustande kommen kann. - Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Bericht des Rechtsausschusses gibt in der Schilderung des zeitlichen Ablaufs die Tatsachen präzise wieder. Wir werden einräumen müssen, daß das vom zeitlichen Gang der Dinge her für uns alle ganz sicherlich kein parlamentarisches Ruhmesblatt ist. Ich bedauere, daß man nicht bei der verbundenen Debatte geblieben ist, sondern anschließend den vorliegenden Ergänzungsgesetzentwurf gesondert behandeln wird,
nicht nur weil auf Grund anderer politischer Ereignisse an diesem Vormittag nicht viel Zeit bleibt, sondern auch weil in der Sache den Betroffenen mit langen und vielen Worten ganz sicherlich nicht gedient ist. Es besteht zwischen den beiden Tagesordnungspunkten ja auch ein innerer Zusammenhang.
Eine Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion hatte sich darangemacht, sich Fragen, die vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden waren, die aber in der Praxis zu großen Unzuträglichkeiten geführt haben, für eine Ausarbeitung vorzunehmen. Ich begrüße dies sehr; denn wie immer man zu den Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs stehen mag, alle politischen Kräfte dieses Hauses dürften sich darin einig sein, daß die Zielrichtung richtig ist, denjenigen, die bisher hohe Geldbeträge aufwenden mußten, um Rentenanwartschaften bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen, die Möglichkeit zu geben, zu anderen Formen des Versorgungsausgleichs zu kommen. Es war sicher schlecht und eine bedauerliche Begleiterscheinung dieses Vorgangs, daß dies wegen der umfangreichen und schwierigen Materie sehr lange Zeit in Anspruch genommen hat.
Das ins Auge gefaßte Ziel ist jetzt, zu zügigen Beratungen zu kommen. Dazu ist zunächst einmal ein Hearing notwendig,
({0})
um uns bei denen, die tagtäglich mit dieser Materie umzugehen haben, zu versichern, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Ich bin dies alles zu hören und aufzunehmen völlig offen. Wir werden insbesondere die Familienrichter zu uns bitten müssen, und wir als Fraktion der FDP legen auch besonderen Wert darauf, die private Versicherungswirtschaft zu hören, die sich im Bereich von Möglichkeiten der Realteilung gleichfalls seit längerer Zeit Gedanken macht.
Das Problem in diesem Zusammenhang ist nur: Wir sind zeitlich im Verzug. Wer darangeht, dies alles zu beraten, wird absehen müssen, wie lange er dazu braucht. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat uns ermahnt, nicht zu vergesssen, daß uns im Urteil vom 28. Februar 1980 aufgegeben worden ist, alsbald die Nachbesserung vorzunehmen. Es ist in dem Urteil auch der Hinweis enthalten, daß auch eine vorläufige Regelung ausreichen würde. In dieser Situation werden wir eine sehr konkrete Zeitplanung vornehmen müssen.
Ich möchte eine letzte, persönliche Bemerkung anschließen. Ebenso wie der Kollege Emmerlich - wir beide hatten die Aufgabe und die Ehre, den Deutschen Bundestag im November 1979 vor dem Bundesverfassungsgericht zu vertreten - empfinde ich persönlich den Auftrag des Gerichts als eine Verpflichtung, der wir jetzt sachbezogen, nachdrücklich, aber unverzüglich und den Auftrag „alsbald" nie vergessend nachkommen müssen. Dieser Auftrag sollte so erledigt werden, daß wir diesem Ziel gerecht werden. Dieser Auftrag des Gerichts richtet sich ja nicht an eine bestimmte Fraktion, eine bestimmte politische Richtung. sondern er wurde vom Bundesverfassungsgericht dem ganzen Parlament zur Erledigung aufgegeben.
({1})
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zur Aussprache vor. Ich schließe die Aussprache.
Eine Beschlußfassung über den Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ist nicht erforderlich.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich
- Drucksache 9/1981 -Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, ist das Haus damit einverstanden, daß für die Beratung des Gesetzentwurfs von der Frist unserer Geschäftsordnung für den Beginn der Beratung abgesehen werden kann? - Ich sehe, es erhebt sich dagegen kein Widerspruch. Dann hat das Haus mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt.
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe auch da keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ehereformgesetz ist fünf Jahre alt. Es hat sich überwiegend bewährt. Nur in einigen Punkten sind Nachbesserungen und Nachkorrekturen erforderlich. Das ist bei einer so schwierigen Materie auch nicht verwunderlich.
Wir haben auf der Grundlage des Regierungsentwurfs einen Teil der Nachkorrektur in Arbeit. Wir haben als Sozialdemokraten den Standpunkt vertreten, daß wir einen Punkt, nämlich den Ausgleich bei Betriebsrenten oder bei zusätzlichen Altersversorgungen schon jetzt korrigieren sollten, auch wenn über die vielen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht überhaupt noch nicht entschieden ist, auch wenn überhaupt nicht absehbar ist, ob etwa Karlsruhe das geltende Recht beanstanden wird. Immerhin hat der Bundesgerichtshof das geltende Recht für verfassungskonform gehalten. Gleichwohl waren und sind wir aus praktischen Gründen dafür, hier eine Lösung zu finden.
Die geltende Rechtslage führt dazu, daß beim Versorgungsausgleich in den Fällen, wo Betriebsrenten, Abgeordnetenversorgungen oder Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes ausgeglichen werden müssen, die berechtigten Frauen zwar Ansprüche bekommen, daß das aber sehr häufig Titel ohne Mittel sind, weil die entsprechenden Beträge nicht eingezahlt werden, so daß die Frauen dann doch auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich angewiesen sind.
Wir sehen auf der anderen Seite auch die Belastungen der betroffenen Männer, die ja überwiegend als Ausgleichspflichtige in Frage kommen. Sie können für eine Rentenanwartschaft von 100 DM nicht leicht 18 000 DM auf den Tisch legen. Darum haben wir jetzt in einer Arbeitsgruppe der Sozialpolitiker und der Rechtspolitiker unserer Fraktion nach einem Jahr Arbeit in sehr eingehenden Beratungen unter Vorsitz von Frau Dr. Lepsius es für richtig gehalten, den geltenden Regierungsentwurf um eine Regelung über den sogenannten Direktausgleich zu erweitern.
All denjenigen, die sagen, wir hätten das nicht tun sollen, wir hätten warten sollen, was Karlsruhe sagt, denen muß man antworten: selbst wenn Karlsruhe die gegenwärtige Regelung beanstandet hätte, wäre den Betroffenen nicht geholfen gewesen, weil dann j a wieder ein Auftrag an den Gesetzgeber hätte gegeben werden müssen - mit einer nicht absehbaren Zeit, die die Beratung in Anspruch nimmt. Statt hier daran herumzumäkeln, sollte man eigentlich anerkennen, daß es bei einer Materie, die von allen für schwierig gehalten wird, die von allen Fachleuten für äußerst kompliziert gehalten wird, gelungen ist, eine vernünftige Regelung vorzuschlagen.
Wir lassen uns dabei von zwei Grundsätzen leiten. Erstens. Der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich soll auch in diesen Fällen beibehalten werden. Die Frauen sollen einen eigenständigen Anspruch bekommen. An diesem Grundsatz lassen wir Sozialdemokraten nicht rütteln. Wir suchen eine Methode - und haben sie gefunden -, wie dieser Anspruch verwirklicht werden kann, ohne daß die betroffenen Männer mit einer zu hohen Barzahlungsverpflichtung belastet werden. Darum werden wir hier das Quasi-Splitting, das bei der Beamtenversorgung in der Praxis da ist, einführen. Darum werden wir das, was in der Praxis bisher „Super-Splitting" genannt wird, in Form eines erweiterten Splittings vorschlagen. Darum werden wir Methoden der fiktiven Nachversicherung und auch der Realteilung auf freiwilliger Basis vorschlagen, wenn die Versicherungsträger dies mitmachen.
Ich meine, meine Damen und Herren, man sollte anerkennen, daß wir bei Wahrung der Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs einen Weg gefunden haben, der die Verpflichteten nicht über Gebühr belastet und der den Berechtigten ihr Recht auch wirklich gibt und sie nicht nur mit einem Anspruch abspeist. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt nicht nur den Koalitionsfraktionen, sondern auch der Bundesregierung Gelegenheit, ihre Überlegungen zur Überarbeitung des Versorgungsausgleichs öffentlich darzustellen - wenn auch in sehr kurzer Zeit. Sie gibt freilich auch Gelegenheit, unberechtigte Vorwürfe auszuräumen, Herr Kollege Erhard.
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Bundesregierung und Koalitionsfraktionen nehmen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sehr ernst. Sie bemühen sich um möglichst schnelle gesetzgeberische Reaktion auf die Forderungen des Gerichts. Schwierige Rechtsprobleme - und um die handelt es sich hier - aber lassen sich nicht mit legislativen Schnellschüssen beantworten.
Das Bundesverfassungsgericht hat alle zentralen Grundsätze des neuen Eherechts ausdrücklich als verfassungsmäßig anerkannt. Das gilt für das Zerrüttungsprinzip, das gilt für den Versorgungsausgleich, und das gilt für das Unterhaltsrecht. Für bestimmte Härtefällen hat das Gericht Korrekturen verlangt.
Der im Dezember 1980 vorgelegte Regierungsentwurf des Eherechtsergänzungsgesetzes ist mit ganz geringfügigen Änderungen in den jetzt zur ersten Beratung anstehenden Koalitionsentwurf eingegangen. Er dient der Beseitigung möglicher Härten im Bereich des Versorgungsausgleichs. Im Laufe der Ausschußberatungen haben die Koalitionsfraktionen nun den weitergehenden Entwurf erarbeitet, der die überaus schwierige Materie des sogenannten Sofortausgleichs aufgreift und angemessen regelt. Hier kam es, wie die Praxis zeigte, im Einzelfall zu ungewöhnlich starken Belastungen ausgleichspflichtiger Ehegatten.
Die Bundesregierung hatte bereits intensiv und lange Zeit an der Lösung dieser Probleme gearbeitet, als sich Mitglieder dieses Hauses entschieden, selber einen Entwurf zu erstellen. Die Bundesregierung hat daraufhin ihren Sachverstand und den Ertrag ihrer Vorarbeiten in die weiteren Erörterungen eingebracht. Ein eigener Regierungsentwurf könnte somit kaum anders aussehen als der Entwurf der Fraktionen der Koalition.
Namens der Bundesregierung begrüße ich die von dem Koalitionsentwurf vorgeschlagenen Regelungen. Auf die Einzelheiten will ich hier nicht eingehen. Darüber wird in den Ausschüssen zu reden sein.
Das Bundesministerium der Justiz hat die Probleme des Sofortausgleichs während der vorbereitenden Beratungen der Koalitionsfraktionen mit Vertretern der Landesjustizverwaltungen, mit Mitgliedern des Deutschen Familiengerichtstages und mit Vertretern von Verbänden erörtert. Dabei hat sich gezeigt, daß die Regelungen dieses Entwurfs praktikabel sind. Über Änderungsanregungen der Länder wird man im Ausschuß sprechen müssen.
Im Entwurf, meine Damen und Herren, sind die erforderlichen Abwägungen mit dem notwendigen Augenmaß vorgenommen worden. Daß das Ergebnis kompliziert ist, ließ sich leider nicht vermeiden. Unser Versorgungsrecht ist kompliziert. Es ist zu hoffen - und die Bundesregierung geht davon aus -, daß weitere gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich des Versorgungsausgleichs danach auf längere Zeit nicht mehr nötig sein werden. Ich begrüße es ausdrücklich, daß alle anstehenden Korrekturen nun durch ein einziges Gesetz vorgenommen werden. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns, daß der politische Meinungsprozeß innerhalb der SPD - von der FDP kann ich nicht sprechen, die war an den Beratungen nicht beteiligt; sie hat nur in dieser Woche erst den Namen daruntergesetzt, deswegen die eilige Vorlage -, so weit gelangt ist, daß man den Weg öffnet zur Realteilung; d. h. es soll das, was in der Ehe erworben wurde, in der Qualität, in der es erworben wurde, auf die beiden geschiedenen Eheleute aufgeteilt werden - ein alter Vorschlag von uns. Wie er aber jetzt in diesem nicht einmal als Zangengeburt zu bezeichnenden eiligen Entwurf vorgelegt worden ist, läßt sich wie folgt charakterisieren.
Erstens. Der Versorgungsausgleich im ganzen wird auf eine völlig andere Berechnungsmethode umgestellt, was Unsicherheit in die Gerichte bringt, eine größere Zahl von Beteiligten verursacht und Offenheit für das schafft, was im Ergebnis herauskommt, wenn Renten gezahlt werden müssen, ohne daß die entsprechenden notwendigen Anpassungen verfahrensrechtlich auch nur vorgesehen wären.
Zweitens. Es wird bei noch nicht unverfallbar gewordenen Rentenanwartschaften - in der Regel wegen der tatsächlichen Verhältnisse zu Lasten der anspruchsberechtigten Frauen - eine Verschlechterung herbeigeführt. Das noch Verfallbare wird nämlich beim Berechtigten berücksichtigt, beim Verpflichteten aber nicht. Damit wird der gesamte Versorgungsausgleich auf ein niedrigeres Niveau heruntergezurrt. Ich wiederhole: zu Lasten des Schwächeren, das ist in diesen Fällen fast immer die Frau. Wie die SPD dazu gekommen ist, dazu noch unter dem Vorsitz von Frau Lepsius, wird ihr Geheimnis bleiben.
Drittens. Fast alle Entscheidungen der Familiengerichte werden falsch. Ein großer Teil der Entscheidungen zum Versorgungsausgleich ist bereits falsch. An die Eingeweihten: Die Veränderungen in § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes, wo Pensionen und Renten miteinander verschmolzen und abgeschmolzen werden, machen alle Entscheidungen, die auf dem bisher geltenden Recht ergangen sind, schon jetzt falsch. In Berlin sind inzwischen alle Entscheidungen falsch, wo bei einer Ehescheidung einer der Beteiligten aus dem öffentlichen Dienst war, ohne
daß Korrekturmöglichkeiten bestehen. Die Entscheidungen sind rechtskräftig. In der Sache sind sie jedoch falsch. Darum hätte man sich kümmern müssen, auch im Justizministerium.
Viertens: Das Quasi-Splitting: Die außerhalb des öffentlichen Rechts erworbenen Versorgungsanwartschaften werden auch nach diesem Entwurf tatsächlich alle in die öffentlich-rechtlichen Versorungsversicherungsanstalten überführt, mit anderen Qualitäten. Das Verfassungsproblem ist dasselbe wie das, was beim Verfassungsgericht noch ansteht, es wird nur verlagert. Es wird verlagert in Ansprüche zwischen der Versicherungsanstalt und den privaten Versorgungsträgern, wenn Zahlungen erfolgen. Die Sache bleibt dieselbe.
Wie weit das geht, nur, um die Ideologie aufrechtzuerhalten, von der eben auch die Rede war, ist ganz deutlich an einem einfachen Beispiel abzulesen. Da gibt es eine Beamtin und einen Beamten. Er ist meinethalben Staatsanwalt, sie Lehrerin. Und die lassen sich, dem Herrn sei's geklagt, scheiden. Nun hat der eine eine Versorgung nach A 10 und der andere eine nach A 14 der Besoldungsordnung. Wie wird der Ausgleich vorgenommen, von derselben Versorgungskasse, von derselben Pensionskasse? Er wird vorgenommen mit einem Umweg über die Rentenversicherung der Angestellten. Das soll eine vernünftige Regelung sein? Die soll auch noch bald angenommen werden? Wer soll denn so etwas annehmen? Wir etwa? Glauben Sie, die Länder werden das machen? - Ganz bestimmt nicht! Das ist Ideologie, die zu Unsinn führt.
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Eine schnelle Regelung wäre notwendig für die verfassungswidrigen Zustände. Für die hier zu regelnden Fragen haben wir keine verfassungsrechtlichen Aufträge. Hat denn, Herr Minister, die Regierung ihren eigenen Entwurf vom Dezember 1980 zurückgezogen? Der steht doch nach wie vor an. Wir haben doch eben darüber geredet. Und jetzt sagen Sie: Die Koalitionsfraktionen haben da etwas Besseres erarbeitet. Ja, was machen Sie mit Ihrem eigenen Entwurf? Nehmen Sie ihn doch wenigstens zurück, damit auch die Öffentlichkeit weiß, daß überhaupt noch nichts zur Entscheidung ansteht.
Und dann: Am 6. und 7. September hat die Besprechung der Referenten der Länder im Justizministerium zu diesem Entwurf stattgefunden, d. h. in der vorigen Woche Montag und Dienstag. Und dann stellt sich der Justizminister her und sagt: Die Länder sind beteiligt worden. Sie sind nicht beteiligt! Sie haben nicht einmal den Entwurf rechtzeitig bekommen. Vier Wochen vorher haben sie das komische Ding bekommen.
Ich kann nur sagen: Hier wird Nebel verbreitet, als wäre hier jemand eilig bei der Gesetzgebung - aber die Ideologie soll erhalten werden.
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Ich möchte Sie auf ein letztes aufmerksam machen. Wenn wirklich, wie ich aus den Nachrichten gehört habe, demnächst Neuwahlen ins Haus ste7072
Erhard ({2})
hen, dann wird dieser Entwurf in den Orkus gehen. Es müßten neue Gesetzentwürfe eingebracht werden. Und wer bleibt wiederum auf der Strecke? Die alten Leute, denen in verfassungswidriger Weise die Renten weggenommen worden sind.
Ich kann nur sagen: Eine Regierung wäre gut beraten, wenn sie die eiligen Dinge eilig regelt und sich nicht an der Ideologie von Frau Lepsius festbeißt.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich bei dem vorausgegangenen Tagesordnungspunkt mit gütiger Duldung des Herrn Präsidenten die verbundene Debatte bereits vorweggenommen habe, kann ich mich auf zwei Bemerkungen beschränken.
Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß die Zielrichtung des vorliegenden Entwurfs - möglicherweise nicht die Art seiner Verwirklichung im einzelnen - positiv zu bewerten ist und das Ziel, zu einem möglichst bargeldlosen Ausgleich zu kommen, wichtig, richtig und notwendig ist.
Wir haben, Herr Kollege Erhard, den Entwurf hier zusammen mit der Fraktion der SPD eingebracht, um, wie Sie wissen, Zeit zu sparen und Ihrem Anliegen, daraus einen eigenen Gesetzentwurf zu machen und die Arbeit nicht weiter zu verzögern, Rechnung zu tragen. - Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu dem Zusatzpunkt.
Infraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 9/1981 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Haushaltsausschuß zu überweisen, an letzteren auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat darum gebeten, die Sitzung des Deutschen Bundestages für eine Stunde zu unterbrechen. Ich entspreche diesem Antrag und unterbreche die Sitzung bis 11 Uhr.
Ich bin gebeten worden, mitzuteilen, daß die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU zu Fraktionssitzungen in ihre Fraktionssitzungssäle gebeten werden.
Die Sitzung ist unterbrochen.
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Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bericht zur Lage der Nation am Donnerstag, dem 9. September 1982, habe ich mit großer Sorge zur innenpolitischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Die Lage war und blieb auch danach durch Unsicherheit und Ungewißheit über den Bestand der sozialliberalen Koalition gekennzeichnet. Seit Herr Kollege Genscher im Sommer 1981 das Wort von der „Wende" geprägt und seitdem viele Male ausgesprochen hat, war zweifelhaft geworden, ob die FDP bis zum Ende der vierjährigen Wahlperiode an der vom Wähler 1980 eindrucksvoll bekräftigten Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten festhalten will.
({0})
Diese Zweifel hatten sich seit der Koalitionsaussage der hessischen FDP zunehmend verstärkt. Die für jene Zusage an die CDU zunächst gegebene Begründung, man wolle durch eine CDU/FDP-Koalition in Hessen die sozialliberale Koalition im Bundestage weiterhin stützen, ist zu keiner Zeit glaubhaft gewesen; sie wird auch heute schon längst nicht mehr gebraucht.
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Ich habe deswegen in der vorigen Woche den Bericht zur Lage der Nation zum Anlaß genommen, nachdrücklich den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Wahrheit und Klarheit zu unterstreichen. Wahrheit und Klarheit der politischen Willensbildung sind Voraussetzung für eine handlungsfähige Regierung und Gesetzgebung,
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Voraussetzung für innere und soziale Stabilität, für die wirtschaftspolitische Stabilität und vor allem für die außenpolitisch notwendige Verläßlichkeit der Regierungspolitik.
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Mit einem Wort: Die politische und wirtschaftliche Weltkrise verlangt eine voll handlungsfähige Bundesregierung.
Mein Appell und die Plenardebatte am Donnerstag letzter Woche haben - leider - die notwendige Klärung nicht gebracht. Herr Dr. Kohl hat meine Aufforderung nicht angenommen, die von ihm angestrebte Kanzlerschaft unverzüglich über ein konstruktives Mißtrauensvotum nach Art. 67 des Grundgesetzes zu erreichen und danach Neuwahlen herbeizuführen. Aber ebensowenig haben sich die Kollegen Genscher und Mischnick eindeutig und unmißverständlich ohne Wenn und Aber für das Festhalten ihrer Partei an der sozialliberalen Koalition ausgesprochen. Der eine klare Satz hat immer gefehlt, und er fehlte auch in dieser Woche, die morgen zu Ende geht, nämlich der Satz: Die FDP steht fest zur sozialliberalen Koalition.
Mit Recht hat z. B. eine Zeitung am Tage nach der Debatte zur Lage der Nation geschrieben: „Herr
Genscher lieferte eine auf charakteristische Weise zweideutige Rede, die es vermied, seine Partei in der Koalitionsfrage festzulegen." Seitdem sind täglich Zweifel und Ungewißheit über Wege und Ziele der FDP gewachsen. Ich bedaure dies außerordentlich. Denn ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß es auch heute einen großen und soliden Bestand substantieller politischer Gemeinsamkeit zwischen Sozialdemokraten und Liberalen gibt.
({4})
Ich glaube deshalb, daß es uns in einer großen gemeinsamen Anstrengung hätte gelingen müssen, soweit das einem einzelnen außenwirtschaftlich hochabhängigen Industriestaat überhaupt gelingen kann, aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten herauszukommen, und zwar ohne die soziale Gerechtigkeit zu verletzen und ohne den sozialen Frieden zu stören.
({5})
Voraussetzung dafür wäre ein ehrlicher, vor allem ein uneingeschränkter Wille zur politischen Gemeinsamkeit. Er müßte deutlich stärker sein als Freude und Lust an vielfach wechselnden Taktiken und Interview-Gefechten je nach tagespolitischer Opportunität.
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Zusammenarbeit ist nicht möglich bei unausgesprochen bleibenden versteckten Vorbehalten.
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Die mehrfach wiederholte, öffentlich gebrauchte Redensart von den - ich zitiere - „neuen Sachfragen, die sich neue Mehrheiten suchen" hat Anlaß genug gegeben, innere Vorbehalte des Redners, nämlich des Kollegen Genscher, zu erkennen. Denn bisher, Herr Kollege Genscher, hatten wir doch alle Sachfragen einvernehmlich gelöst.
Die Bürger, die Medien und die öffentliche Meinung insgesamt haben die von einem Bundesminister mir am 10. September abends vorgelegte Denkschrift nahezu übereinstimmend als „Scheidungsbrief" oder - ich zitiere - als „Manifest der Sezession" verstanden - das heißt auf deutsch: als Dokument der Trennung.
Dieses Verständnis ist durch die gestrige Erklärung des Bundesministers für Wirtschaft hier vor dem Bundestag keineswegs aufgehoben worden. Daß die Denkschrift mit dem vom gleichen Ressortminister zu verantwortenden Jahreswirtschaftsbericht übereinstimmt, kann ich ebensowenig anerkennen. Es bleibt auch unverständlich, daß die Denkschrift ganz neuerdings bloß mittelfristig und nicht auch schon für die unmittelbare Zukunft gemeint gewesen sein soll. Zu alledem hatte ja der gleiche Redner noch im Mai mehrfach vor der Industrie gesagt, ein etwaiger Regierungswechsel in Bonn werde nicht zum großen oder wichtigen Wechsel in der Wirtschaftspolitik führen; dazu fehle es unserem Staate objektiv an Handlungsspielraum.
Im übrigen aber hat die öffentliche Meinung die Denkschrift sehr richtig verstanden. Sie will in der
Tat eine Wende, und zwar eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Art. 20 unseres Grundgesetzes und eine Hinwendung zur Ellenbogengesellschaft.
({8})
- Auf die Zwischenrufe aus der CDU/CSU kann ich nur sagen: Fragen Sie die katholische Arbeiterbewegung, wie sie das versteht!
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Offenbar soll die Denkschrift als Wegweiser dienen zu anderen Mehrheiten. Jedenfalls wird dieser Eindruck bewußt in Kauf genommen, und er wird nicht überzeugend korrigiert.
Der durch das Verhalten mehrerer FDP-Politiker eingetretene Zustand der Unsicherheit darf nicht fortgesetzt werden. Wenn ganze Landesverbände und viele einzelne Politiker des Koalitionspartners FDP miteinander öffentlich Streit führen über die Frage, ob man der Koalition treu bleiben solle oder ob man ein konstruktives Mißtrauensvotum wagen solle - und wenn ja, wann man es wagen solle -, so hätte die dadurch entstandene große Unsicherheit und zusätzliche Verunsicherung auch der Wirtschaft durch die Parteiführung ausgeräumt werden müssen. Dies ist nicht geschehen.
({10})
Im Interesse unseres Landes, im Interesse unseres parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems und seines Ansehens, nicht zuletzt im Interesse des sozialdemokratischen Koalitionspartners kann und will ich nicht länger zusehen, wie die Handlungsfähigkeit und das Ansehen der Bundesregierung stetig beschädigt werden. Es wird mir niemand verdenken, daß ich auch mich selbst nicht demontieren lassen möchte.
({11})
Ich habe letzte Woche die Opposition aufgefordert, einen konstruktiven Mißtrauensantrag einzubringen und damit einen anderen Bundeskanzler zu wählen. Die Oppositionsführer haben darauf geantwortet, man wolle erst die Wahlen zu den Landtagen in Wiesbaden und in München abwarten. Erst danach werde man weitersehen. Ich habe daraus entnommen, Herr Dr. Kohl, daß Sie gegenwärtig noch nicht glauben, genug Abgeordnete des Deutschen Bundestages hinter sich bringen zu können.
Aus der öffentlichen Diskussion von FDP-Politikern ist zu entnehmen, daß diejenigen, die den gegenwärtigen Bundeskanzler stürzen und durch Herrn Dr. Kohl ersetzen wollen, ebenfalls zunächst die beiden Landtagswahlen abwarten wollen, um damit die Reaktionen der Wählerinnen und Wähler auf den für Wiesbaden angekündigten Koalitionswechsel der FDP auszuprobieren. Mit anderen Worten: Wenn die FDP in Wiesbaden die Fünf-ProzentSchwelle überschreiten sollte, so würde dies einigen Bonner FDP-Politikern genug Mut zum Kanzlersturz einflößen; wenn umgekehrt die FDP in Wiesbaden unter 5 % bleiben und damit aus dem Landtage ausscheiden sollte, dann wollten dieselben Kollegen
- vielleicht - bereit sein, die sozialliberale Koalition in Bonn fortzusetzen. Aber 1 % mehr oder 1 % weniger in Wiesbaden ist keine solide Grundlage für eine Bundesregierung.
({12})
Für den ersten Fall, 1 % mehr, wird schon jetzt - so habe ich registriert -, vorsorglich daran gearbeitet, die Schuld für den angestrebten Koalitionsbruch den Sozialdemokraten zuzuweisen.
Ich habe letzte Woche betont, daß ungeachtet meines nachdrücklichen Hinweises auf die verfassungsrechtliche Möglichkeit eines konstruktiven Mißtrauensvotums nur Neuwahlen zum Bundestag eine volle demokratische Legitimität für einen anderen Bundeskanzler, für eine andere Bundesregierung, für eine andere Politik ergeben können. Ich wiederhole: die Bürger haben das Recht, zu wissen, mit welcher Absicht eine sogenannte neue Mehrheit tatsächlich antritt, welche Antworten ein anderer Bundeskanzler auf die Lebensfragen der Nation geben will und wie seine Führungsmannschaft, seine Ministermannschaft aussehen soll. Herr Dr. Kohl hat bisher darauf mit keinem Wort geantwortet ({13})
welche Antworten? Welche Absichten? Außer Ihnen selbst, Herr Dr. Kohl, weiß niemand, ob Sie andere oder gar bessere Lösungen für die uns alle bedrängenden Probleme zur Verfügung haben.
Ich habe seit der Kabinettssitzung vorgestern mit meinen engsten politischen Freunden die Situation nüchtern geprüft. Herr Brandt, Herr Wehner und ich sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, daß Neuwahlen zum Bundestage in der Tat der beste Weg wären, um aus der gegenwärtigen innenpolitischen Krise herauszuführen. Sie sollten so schnell stattfinden, wie dies verfassungsrechtlich möglich ist.
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Wir stimmen also ausdrücklich dem Ministerpräsidenten Stoltenberg zu, ebenso den Ministerpräsidenten Albrecht, Späth und Strauß, ebenso den Kollegen Barzel, Biedenkopf, Ihrem Generalsekretär Geißler. Diese CDU- und CSU-Führungspersonen, aber auch viele andere im Land, haben sich in den letzten Tagen ganz eindeutig für Neuwahlen ausgesprochen.
Sie selbst, Herr Dr. Kohl, haben vor einigen Tagen der „Westfälischen Rundschau" in Dortmund gleichfalls gesagt, am liebsten hätten Sie Neuwahlen. Allerdings, haben Sie hinzugefügt, sähen Sie im Augenblick keinen realitischen Weg dorthin. Und Sie haben dann noch hinzugefügt - ich zitiere wörtlich Eine von der Union geduldete Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt wäre nur möglich, wenn sie in Absprache mit der Opposition Neuwahlen vorbereitet.
Und weiter wörtlich:
Ich sehe noch nicht den Kanzler der SPD, der solche Absprachen trifft.
Herr Dr. Kohl, Sie irren sich; denn ich bin zu solcher Absprache und Vereinbarung bereit. Und ich bin sehr gespannt, ob Sie zu Ihrem Worte stehen können.
({15})
Ich mache hiermit den im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen den Vorschlag einer Absprache, wie Herr Kohl sagte, oder einer Vereinbarung zum Zwecke der unverzüglichen Herbeiführung von Neuwahlen. Jeder weiß, daß das Grundgesetz dafür einen Weg anbietet. Es ist allerdings ein sehr komplizierter Weg, und er bedarf einer politischen Willensbildung und Übereinstimmung einer Mehrheit des Bundestages. Dieser Weg ist heute vor zehn Jahren schon einmal beschritten worden. Er führt über die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers nach Art. 68 des Grundgesetzes. Danach kann der Bundespräsident auf meinen Vorschlag den Bundestag dann auflösen, wenn vorher ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Mehrheit des Bundestages gefunden hat.
Aber als zweite Bedingung schreibt das Grundgesetz vor: Der Bundestag kann nur dann aufgelöst werden, wenn nicht inzwischen durch ein konstruktives Mißtrauensvotum ein anderer Bundeskanzler gewählt wird.
Der Weg der Vereinbarung, die ich Ihnen anbiete, ist für mich und vor allem für die mich tragende größere Regierungspartei wahrlich nicht leicht zu gehen, weil ja doch in Wirklichkeit volles Vertrauen zwischen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und dem Bundeskanzler besteht.
({16})
Ich für meine Person bin aber bereit, diese Bedenken zurückzustellen - für meine Parteifreunde wird mein Parteivorsitzender Willy Brandt im Laufe der Debatte das Wort ergreifen -, um - erstens - nach Verabredung die Vertrauensfrage zu stellen und - zweitens - meine eigenen Freunde zu bitten, sich der Abstimmung darüber fernzuhalten, damit ich anschließend dem Herrn Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages vorschlagen kann.
Dieser Weg setzt - drittens - voraus, daß er auf der Grundlage einer Vereinbarung durch eine klare Mehrheit des Bundestages beschritten wird, und - viertens - muß diese Vereinbarung natürlich einschließen, daß die Opposition von Art. 68 Abs. 1 Satz 1 keinen Gebrauch macht.
({17})
- Ich erkläre es gleich für diejenigen, die das Grundgesetz nicht unter der Achsel haben. - Mit anderen Worten: Die Verabredung muß den Verzicht der Opposition auf ein zwischenzeitliches Mißtrauensvotum einschließen, denn damit würden Neuwahlen auf unbestimmte Zeit verschoben, sofern Sie überhaupt Neuwahlen wirklich wollen.
({18})
Tatsächlich würde die Frage der Neuwahl des Deutschen Bundestages dann zum Handelsobjekt bei bevorstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen Ihnen und unserem bisherigen Partner FDP;
vielleicht finden die Neuwahlen dann überhaupt nicht statt. Ich will eines klarstellen: Ich kann Ihnen keineswegs - ich will das natürlich auch gar nicht - den Weg über das konstruktive Mißtrauensvotum abschneiden, zu dem ich Sie ja letzte Woche aufgefordert hatte, ohne bisher eine Antwort zu erhalten. Selbst wenn Sie ihn jetzt noch beschreiten wollen, so kann es für diesen Weg natürlich keine Mitwirkung durch den Bundeskanzler geben. Sie müssen dann selbst ausprobieren, ob Sie bei der FDP genug Stimmen finden können. In jedem Falle aber muß, so denke ich, der Oppositionsführer alsbald erklären, wann eigentlich er die Neuwahl will, von der die ganze CDU und die ganze CSU öffentlich reden.
({19})
Ich bin also bereit, alle Partei- und Fraktionsvorsitzenden des Bundestages für nächste Woche zum gemeinsamen Gespräch für eine solche Vereinbarung einzuladen. Dabei gehe ich davon aus, daß die Neuwahl zum Bundestag noch in diesem Herbst stattfinden soll. Wie Sie wissen, besteht die grundgesetzliche Vorschrift aus Art. 39, daß die Neuwahl nicht später als 60 Tage nach Auflösung des Bundestages zu erfolgen hat. Ich denke also an Neuwahl für etwa Ende November.
Wir sind uns gewiß alle darüber im klaren, daß die Auflösung des Bundestages mitten in einer Wahlperiode eine Ausnahme bleiben muß. Deshalb haben die Väter des Grundgesetzes ja unter dem Eindruck der negativen Erfahrung mit häufigeren Reichstagsauflösungen in der Weimarer Republik die Parlamentsauflösung bewußt außerordentlich schwierig gemacht. Das war eine gute und richtige Entscheidung. Sie haben nur diesen einen von mir soeben beschriebenen komplizierten Weg offengelassen.
Weil aber die Bundesrepublik inzwischen politisch erwachsen geworden ist, weil Weimarer Verhältnisse auch in Zukunft in Bonn nicht zu befürchten sind, zweifle ich nicht, daß die Wählerinnen und Wähler meinen Vorschlag verstehen werden. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, die öffentliche Meinung Deutschlands wird den Vorschlag für unverzügliche Neuwahlen einhellig begrüßen.
({20})
Herr Brandt, Herr Wehner, alle meine politischen Freunde und ich, wir sind uns dessen sehr bewußt, daß sich die Sozialdemokratie gegenwärtig in einem handfesten politischen Tief befindet. Wir wissen, daß wir bei Neuwahlen wahrscheinlich Federn lassen müssen. Angesichts der Weltwirtschaftskrise kann gegenwärtig kaum irgendwo in einem parlamentarisch-demokratischen Staat der Welt eine Regierungspartei zusätzliche Wähler für sich gewinnen. Das wird wohl auch uns so gehen. Aber die SPD ist eine selbstbewußte Partei, die auch Krisen durchstehen kann!
({21})
Dies hat sie im Laufe ihrer 120jährigen Geschichte
in weit schwereren Zeiten oft genug bewiesen. Wir
tragen die Regierungsverantwortung mit innerer
Überzeugung, aber wir kleben nicht an unseren Stühlen.
({22})
Ich verkenne keineswegs, daß Neuwahlen auch für die FDP schwerwiegende Fragen aufwerfen. Sie wird Mut brauchen, um Neuwahlen zuzustimmen. Denn wenn sie im Wahljahr 1980 mit 10,6 % der Zweitstimmen in den Bundestag eingezogen ist, so steht ein solches Ergebnis gegenwärtig für sie nicht in Aussicht. Aber es wäre nicht in Ordnung, meine Damen und Herren von der FDP, wenn Sie Ihre 1980 mit den Plakattiteln „Schmidt/Genscher gegen CSU und CDU" gewonnenen Mandate jetzt in eine Regierung aus CDU/CSU und FDP einbrächten.
({23})
Die kritische Lage der FDP ist von einigen ihrer Führungspersonen selbst verursacht worden.
({24})
Ich kann Ihnen die Feststellung nicht ersparen, daß Sie demnächst aus vorangegangenem Tun haften müssen, und ich hoffe, daß Sie gute Schuldner sein werden.
Wenn jetzt, meine Damen und Herren, eine geschichtliche Epoche in der Entfaltung unseres demokratischen Gemeinwesens beendet wird, wenn jetzt die Zukunft dieser Entfaltung ungewiß ist, so will ich in diesem Zusammenhang meinen Stolz auf das in der sozialliberalen Koalition Geleistete noch einmal hervorheben.
({25})
Das gilt für die Aufarbeitung des Reformdefizits, das wir 1969 vorgefunden haben, das gilt für den Ausbau des Sozialstaats, das gilt ebenso für unsere Friedenspolitik im Verein mit unseren Bündnispartnern, aber auch gegenüber den Nachbarn im Osten.
({26})
Ich bin stolz auf diese gemeinsame Leistung und ich werde sie mit großem persönlichem Einsatz verteidigen. Ich stehe ebenso eindeutig zu allem, was wir bis zum heutigen Tage miteinander verabredet haben.
({27})
Ich gehöre zu denjenigen Sozialdemokraten, die im Laufe der gemeinsamen Arbeit zu vielen Abgeordneten der FDP sehr enge kollegiale und menschliche Bindungen gefunden haben. Ich danke Ihnen allen, besonders Wolfgang Mischnick,
({28})
ebenso besonders denen, die bis zur letzten Stunde treu zur sozialliberalen Koalition stehen.
({29})
Ich bin auf sehr viel guten Willen in Ihrer Fraktion
zur sozialliberalen Zusammenarbeit gestoßen. Das
ging schon meinem Vorgänger im Amte, Herrn Willy
Brandt, so. Das hat uns immer wieder Kraft gegeben für die Anstrengungen, die nötig waren, um bei Meinungsverschiedenheiten Kompromisse zu finden, die zugleich sowohl dem öffentlichen Wohle nützlich als auch beiden Koalitionspartnern tragbar waren.
Dies galt zuletzt für die schwierigen Beratungen zum Haushaltsgesetzentwurf für 1983 und für die ihn begleitenden Gesetzestexte am 30. Juni und am 1. Juli. Ich habe mich danach in einem langen Gespräch am 31. Juli mit Herr Kollegen Genscher um Stabilisierung der Gemeinsamkeit bemüht, erneut in der Kabinettssitzung am 25. August. Im gleichen Sinne habe ich am Abend des 25. August Herrn Genscher einen persönlichen Brief geschrieben; der Brief hat am 30. August zu einem weiteren Gespräch geführt.
Ich habe bis zu diesem Mittwoch jede denkbare Anstrengung zur Aufrechterhaltung der Gemeinsamkeit unternommen - gegen die Skepsis fast der gesamten deutschen Presse und gegen viele Skeptiker in beiden Koalitionsfraktionen. Ich habe es an gutem Willen nicht fehlen lassen.
({30})
Aber nach den Ereignissen der letzten Tage mußte ich das politische Vertrauen zu einigen Führungspersonen der FDP verlieren. Eine weitere Zusammenarbeit ist weder den sozialdemokratischen Bundesministern noch dem Bundeskanzler zuzumuten.
({31})
Die Herrn Genscher und Mischnick kennen den Text der Erklärung, die ich Ihnen gegenwärtig unterbreite, seit anderthalb Stunden. Herr Genscher teilt mir daraufhin soeben den Rücktritt der vier FDP-Minister mit. Ich habe die Absicht, bis zur Neuwahl des Bundestages das Auswärtige Amt selbst zu führen. Ich habe die Absicht, bis zur Neuwahl des Bundestages den Bundesminister Lahnstein zugleich für das Bundesministerium für Wirtschaft, den Bundesminister Schmude zugleich für das Bundesministerium des Innern und den Bundesminister Engholm zugleich für das Landwirtschaftsministerium zuständig zu machen.
({32})
- Wenn in einer so ernsten Stunde angesichts der freundlichen Gesichter in der CDU auch eine Freundlichkeit meinerseits erlaubt ist: Björn Engholm natürlich deshalb, weil er neben Josef Ertl einer derjenigen ist, die wirklich etwas von Fisch verstehen.
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Der Oppositionsführer hat heute in einer Frankfurter Zeitung einen politischen Neuanfang verlangt. „Neuanfang", Herr Dr. Kohl, ist ein sehr unklares Wort. Bekennen Sie sich zur Neuwahl in der kürzesten Frist, wie sie in der letzten Woche schon in vielen Zwischenrufen von den Bänken der Opposition verlangt worden ist! Ich habe Sie vorhin zitiert; Sie sprachen da in einem anderen Zeitungsgespräch von einem Minderheitskabinett. Ich wiederhole: Da mit will ich nicht hantieren, sondern ich bin für die Neuwahl des Bundestages.
In der Zwischenzeit werden die sozialdemokratischen Minister und ich unsere Pflicht tun. Die laufende Regierungsarbeit wird keinen Schaden nehmen. Sie hat auch bisher keinen Schaden genommen, wenn die Bürger das auch kaum zur Kenntnis gebracht bekommen haben.
Ich fasse zusammen. Nicht nur viele junge Deutsche, sondern auch eine große und zunehmend größer werdende Zahl von älteren Bürgern fühlen sich in den letzten Monaten durch das, was „die in Bonn" tun oder lassen, zunehmend bedrückt. Ich kann diese Sorgen gut verstehen, denn ich teile sie. Weil ich meine Verantwortung ernst nehme, weigere ich mich, taktischen Manövern noch länger zuzusehen.
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Uns Sozialdemokraten sind Ansehen und Festigkeit der Demokratie wichtiger als taktische Vorteile zugunsten der eigenen Partei.
({35})
Ich habe Mal um Mal dem Koalitionsspartner das ernstgemeinte Angebot gemacht, in einer großen und gemeinsamen Anstrengung die Handlungsfähigkeit der sozialliberalen Bundesregierung zu kräftigen und über den Haushalt 1983 hinaus schöpferische Regierungsarbeit auch in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode zu leisten. Ich bin Mal um Mal ohne eine klare Antwort geblieben. Ein einziger Satz hätte Klarheit schaffen können. Er ist bis heute ausgeblieben. Statt dessen habe ich viele Male von Herrn Kollegen Genscher hören oder lesen müssen, neue Sachfragen schüfen sich neue Mehrheiten. Es drängt sich mir der Eindruck auf, daß die Haushaltsberatungen von einigen Führungspersonen der FDP nur noch zum Schein geführt werden, weil ein Vorwand gesucht wird, mit dem der Partnerwechsel dem Publikum erklärt werden soll.
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Was da seit Wochen über Zeitpläne und Fahrpläne für den Wechsel geredet und geschrieben, aber niemals richtiggestellt worden ist, berührt die Selbstachtung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, berührt die Selbstachtung der sozialdemokratischen Bundesminister und berührt meine eigene Selbstachtung. Aber auch wenn meine persönlichen Empfindungen nicht so wichtig sind: Wichtig bleibt, das Regierungsamt nicht durch Machenschaften beschädigen zu lassen!
({37})
Eigensüchtiges parteiliches Handeln schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland auch jenseits unserer Grenzen. Verläßlichkeit für unsere Partner im Bündnis und unsere Nachbarn in West und Ost schaffen wir nicht allein durch die Kontinuität unserer Außen- und Sicherheitspolitik, sondern die Berechenbarkeit für unsere Verbündeten und für unsere Partner hängt in erster Linie von der Glaubwürdigkeit unseres demokratisch-parlamentarischen Systems ab.
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Ich bitte deshalb die im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen, gemeinsam einen mutigen Schritt zu tun, um die gegenwärtige innenpolitische Krise zu beenden, auf überzeugende Weise und schnell zu beenden. - Ich danke Ihnen.
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Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die Aussprache über die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers beantragt.
Es besteht eine interfraktionelle Vereinbarung, daß die Sitzung für eine Stunde unterbrochen wird. Wir setzen diese Sitzung also um 13.10 Uhr fort.
Die CDU/CSU-Fraktion hat darum gebeten, daß ich bekanntgebe, daß sie gleich anschließend eine Fraktionssitzung durchführt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
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Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich eröffne die Aussprache zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich direkt an Sie wenden, Herr Bundeskanzler, und zunächst zum Ausdruck bringen, was wir zu dieser letzten Rede denken.
Jede Regierung, Herr Bundeskanzler, hat für ihre Arbeit Respekt verdient, und den wollen wir Ihnen auch am Ende Ihrer Regierungszeit nicht vorenthalten.
({0})
Aber, Herr Bundeskanzler, dieser Respekt hätte eine noble und eine menschlich faire Form des Abschieds von einem Partner erfordert, mit dem Sie immerhin 13 Jahre zusammengearbeitet haben und dem Sie Ihre Kanzlerschaft mit verdanken.
({1})
Vieles von dem, was Sie gesagt haben, zielte nicht auf diese Stunde, sondern auf das Bild der Geschichte, das beeinflußt werden soll. Und so will ich der beabsichtigten Legendenbildung klar entgegentreten: Wechsel in der Demokratie ist keine „Machenschaft", wie Sie es bezeichnet haben.
({2})
Es ist schade, Herr Bundeskanzler, daß Sie in Ihrer Abschiedsrede Ihre Erbitterung über sich Herr werden ließen. Es ist schade wegen des Beispiels. Sie haben von den Jungen im Lande gesprochen. Was sollen eigentlich junge Mitbürger denken,
({3})
wenn Wechsel in der Demokratie zur „Machenschaft" degradiert wird?
({4})
Das Grundgesetz, unsere Verfassung, sieht ausdrücklich den Wechsel der politischen Macht auch durch den Willen der Mehrheit der frei in den Bundestag gewählten Abgeordneten vor.
({5})
Demokratie, Herr Bundeskanzler, ist Herrschaft auf Zeit. Darin unterscheidet sie sich von allen anderen Regierungsformen.
({6})
Es ist ein völlig normaler Vorgang, und es hat nichts mit Machtwechsel, mit „Königsmord" und anderem zu tun, wenn eine handlungsunfähig gewordene Regierung abtritt und durch eine neue, handlungsfähige Regierung ersetzt wird.
({7})
Herr Bundeskanzler, Sie haben zutreffend die großen schweren internationalen Probleme geschildert; Sie haben zutreffend die innere Entwicklung und Lage unseres Landes geschildert. Wir stimmen dieser Lagebeurteilung zu. Wir verstehen aber nicht, Herr Bundeskanzler, warum Sie nach dieser Bilanz Ihrer Regierungszeit nicht die selbstverständlichste, die einfachste Konsequenz ziehen und einfach zurücktreten.
({8})
Sie haben versucht, als Patriot in Ihrem Amt das Beste zu tun. Jetzt wäre es eine patriotische Pflicht, zurückzutreten.
({9})
Sie haben gesagt - und dabei auf die große Tradition Ihrer Partei hingewiesen -, den Sozialdemokraten seien Ansehen und Festigkeit der Demokratie wichtiger als taktische Vorteile. Ziehen Sie doch bitte daraus die Konsequenz, und lassen Sie das Taktieren!
({10})
Ich habe Ihnen am vergangenen Donnerstag in der Debatte zur Lage der Nation gesagt - und ich bleibe dabei -: Unsere Verfassung, unser Grundgesetz enthält gerade für die jetzt eingetretene politische Situation überzeugende Lösungsvorschläge. Art. 68 des Grundgesetzes fordert Sie förmlich auf, Herr Bundeskanzler, die Vertrauensfrage zu stellen.
({11})
Die Verfassung sieht nicht den von Ihnen jetzt vorgeschlagenen Weg vor.
Ich kann keinen Sinn in einem Parteiführergespräch erkennen, dessen eigentlicher Zweck doch letztlich nur darin besteht, die Zeit Ihrer Minderheitsregierung zu verlängern.
({12})
Wir, die CDU/CSU, gehen den von der Verfassung vorgesehenen Weg. Wir werden zu unserer Verantwortung stehen. Wir werden versuchen, so rasch wie möglich eine handlungsfähige Regierung zu bilden, und uns dann der Wahlentscheidung unserer Mitbürger stellen.
({13})
Herr Bundeskanzler, warum sollten wir, die CDU/ CSU, uns vor diesem Urteil fürchten?
Ich finde es auch nicht gut, daß Sie anderen unterstellen, sie vermieden aus Angst oder bloßem Taktieren das, was demokratische Pflicht in dieser Situation ist. Ich habe gesagt: Pflicht. Wir, die CDU/CSU, stehen in der Pflicht: für die junge Generation, die Hoffnung und Taten braucht, die sie lange genug entbehren mußte;
({14})
für die alten Mitbürger, die an ihrem Lebensabend Sicherheit erwarten; für die Arbeitslosen, nicht zuletzt für die jungen Arbeitslosen, die Arbeitsplätze suchen; für die Wirtschaft, die Vertrauen braucht, um das alles zu ermöglichen, was jetzt zu geschehen hat.
Herr Bundeskanzler, mit einem Wort - ich wiederhole das, was Sie gesagt haben, in anderer Form -: Wir sind überzeugt, unser Volk braucht einen neuen Anfang. Wir sind dazu bereit.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser 17. September 1982 ist ganz gewiß nicht ein Tag wie jeder andere. Die sozialliberale Koalition hat ihr Ende gefunden, und vor dem Bundestag werden jetzt Meinungen darüber ausgetauscht und damit zugleich den Bürgern nahegebracht, welcher Ausweg aus der entstandenen Krise der angemessene oder aus der Sicht des einen, des anderen oder des Dritten der richtige sei.
Der Bundeskanzler hat heute vormittag dem Deutschen Bundestag dargelegt, daß es seiner Oberzeugung nach - und ich stimme ihm darin zu; die Sozialdemokratische Partei und Fraktion stimmen ihm darin zu - aus der entstandenen Lage, wie er sie geschildert hat, keinen besseren Ausweg gebe, als die Parteien und Fraktionen zu bitten, sich über den Weg zu Neuwahlen zu verständigen.
({0})
Herr Kollege Kohl, wollen Sie mit dem, was Sie eben gesagt haben, den Ministerpräsidenten, die erwähnt worden sind, wollen Sie den Ministerpräsidenten Stoltenberg, Albrecht, Späth und Strauß, wollen Sie Ihren Kollegen Biedenkopf und Geißler durch Ihre Aussage bescheinigen, daß die vom Bundeskanzler vorgeschlagene Regelung, nämlich Neuwahlen, eine nicht vorgesehene, eine nicht angemessene wäre? Er greift doch das auf, wonach Ihre Freunde gerufen haben. Jetzt drücken Sie sich nicht vor der Konsequenz!
({1})
Herr Kollege Kohl, Sie mögen jetzt geneigt sein, den bequemeren Weg zu gehen. Ob dies der angemessene Weg ist, wird sich zeigen müssen.
Im Kern geht es meiner Meinung nach in dieser Stunde darum, ob es angesichts der Lage, wie sie der Bundeskanzler geschildert hat, einen kalten Wechsel in diesem Hause geben darf und soll, ohne daß die Menschen in diesem Lande entscheiden können,
({2})
ob Sie wirklich, ohne daß die Wähler befragt sind, die Weichenstellung rückgängig machen wollen, die von uns gemeinsam seit 1969-1972 erneuert und dann durch zwei Bundestagswahlen bestätigt - eine Politik der Reformen und der aktiven Friedenssicherung gewesen ist und unserer Überzeugung nach bleiben muß. Ich füge gleich hinzu: Dazu gehört jene Reform der Reformen, die nicht einseitig und unausgewogen und sozial ungerecht erfolgen darf. Darüber muß eine Entscheidungsfindung in unserem Volk möglich gemacht werden, und darüber sollte unserer Überzeugung nach in allgemeinen und freien Wahlen, wie sie unser Grundgesetz vorsieht, entschieden werden.
({3})
Herr Kollege Kohl, der Bundeskanzler befindet sich meiner Überzeugung nach in Übereinstimmung mit dem Empfinden all der Bürger, die es als unerträglich empfinden, daß es weitergeht, wie es jetzt geworden war.
({4})
Ich sage auch, und ich habe es am letzten Donnerstag hier gesagt, daß es so nicht weitergeht, daß taktische Doppelbödigkeit irgendwo ihr Ende finden muß,
({5})
daß Klarheit und Wahrheit und Verläßlichkeit geboten sind; die braucht nämlich unsere Demokratie zusätzlich zu den von Ihnen eben erwähnten Kriterien.
({6})
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz - das wissen wir alle - hat für Neuwahlen hohe Hürden errichtet, und es sieht eine Selbstauflösung des Bundestages auch bei noch so qualifizierter Mehrheit nicht vor. Wir Sozialdemokraten sind bereit, dazu beizutragen, daß diese hoch angesetzten Hürden genommen werden, und uns über den Weg zu vorzeitigen Neuwahlen zu verständigen, wie wir es vor zehn Jahren schon einmal in diesem Haus gemacht haben. Und wir Sozialdemokraten sind darBrandt
auf eingestellt, alsbald in die Auseinandersetzung um die Inhalte - und um die muß es j a dann wohl gehen -, um die Themen einzutreten
({7})
und die Neuwahlen mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt und für den Bundeskanzler Helmut Schmidt zu führen,
({8})
der heute vormittag zutreffend und nicht ohne daß dies nicht auch das Gehör der jetzigen Opposition verdiente - darauf hingewiesen hat, daß unsereins und die sozialdemokratische Partei im Ganzen sich schon durch ganz andere Schwierigkeiten hindurchgearbeitet und danach neue Stärke gewonnen haben.
({9})
Wir wissen, verehrte Kollegen von der CDU und der CSU, natürlich, daß die Meinungsbefragungen für uns in diesem Augenblick nicht sonderlich gut aussehen. Und doch sage ich aus meinem Verständnis der Verantwortung: Egal, was die Meinungsbefragungen sagen - die Verantwortung für den Staat geht vor.
({10})
Wir scheuen also trotz dessen, was man uns da entgegenhält, nicht, die Verantwortung in die Hände der Bürger zurückzulegen. Und Sie sollten das mitmachen!
({11})
Statt zu finassieren und die Dinge auch heute im unklaren zu lassen, sollten auch Sie, verehrter Herr Kohl, zu der gebotenen Klarheit beitragen. Wenn Sie das tun, können sie auf Ihre Weise zu dem beitragen, was ganz gewiß in diesem Augenblick im Interesse des Staates geboten ist.
Ich will dem folgendes hinzufügen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Was immer - nicht nur in den letzten Tagen, sondern seit dem vorigen Sommer - sich entwickelt hat: Wir stehen inhaltlich zu dem, was wir mit unseren Kollegen von der Freien Demokratischen Partei zuwege gebracht haben.
({12})
Das ist nicht wenig. Und ich denke nicht daran, keiner von uns denkt daran, davon etwas abstreichen zu lassen. Wir werden nicht verlassen, was gemeinsam geleistet und beschlossen wurde, und wir werden in der Kontinuität unserer Entscheidungen und Beschlüsse bleiben,
({13})
unserer Entscheidungen, die wir gemeinsam mit anderen gefällt haben, und natürlich der Beschlüsse der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wie wir der jeweiligen Lage und unserer Stärke nach in die Willensbildung und in die Entscheidungen dieses Staates einbringen.
({14})
Nun ist es so: Wenn man lange miteinander - wie ich meine, überwiegend gut - zusammengearbeitet hat, dann empfiehlt es sich nicht, wenn das zu Ende geht, hintereinander herzuzetern.
({15})
Ich kann mir denken, was z. B. in den Kollegen der Freien Demokratischen Partei vorgeht, die bis zuletzt gehofft hatten - wie ich übrigens auch und die meisten bei uns -, die Koalition werde nicht zerbrechen, sondern sie könne die Kraft zu einem neuen Start finden.
({16})
Ich will ebenso deutlich machen: Sozialliberale Erkenntnisse und Erfahrungen werden bei uns Sozialdemokraten nicht nur wachgehalten werden, sondern politisches und geistiges Heimatrecht haben.
({17})
Herr Kollege Kohl, die aus den Abgeordneten der CDU/CSU bestehende gegenwärtige Opposition sollte sich auch nicht zu früh freuen. Nicht jeder, der auf eine Erbschaft scharf ist, kommt wirklich auf seine Kosten.
({18})
Ich will noch folgendes sagen und knüpfe dabei an das an, was ich soeben an die Adresse unseres bisherigen Koalitionspartners gesagt habe. Gerade vor dem Hintergrund dessen, was seit dem Herbst 1969 gemeinsam geleistet wurde, bedauere ich nicht nur in diesem Augenblick, was Teile der Freien Demokratischen Partei uns - ich sage es jetzt auch noch einmal: nicht erst in diesen letzten Tagen, sondern seit dem letzten Sommer - zugemutet haben. Sie konnten nicht glauben, sie hätten es bei der SPD mit einer Vereinigung von Leuten zu tun, mit denen man machen kann, was man will.
({19})
Ich habe soeben von taktischen Doppelbödigkeiten gesprochen und will dann auch in aller Offenheit fragen, warum man glaubt, in einem hessischen Wahlkampf ganz anders als in Bonn reden zu können. Überall in der Bundesrepublik, gerade aber im Lande Hessen und auch im Lande Bayern, sollen die Bürger in diesem Augenblick wissen, daß wir, was immer das im Augenblick kostet, Klarheit und Verläßlichkeit in Bonn und überhaupt für geboten halten.
Auch dies noch: Die Einlassungen des bisherigen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff, nicht nur im letzten Papier festgehalten, stellten für uns Sozialdemokraten eine Zumutung an Einseitigkeit dar, vor allem was die Komponente sozialer Gerechtigkeit und was den Wert des sozialen Friedens in diesem Lande angeht,
({20})
ganz abgesehen davon - ich habe das in der vorigen
Woche am Donnerstag vorgebracht und keine Antwort bekommen -, daß sich natürlich mancher dar7080
über gewundert hat, wieso Graf Lambsdorff glaubte, noch der einen Koalitionsregierung angehören zu können, obwohl er nicht nur intern eine andere für erstrebens- und wünschenswert erklärte.
Meine Damen und Herren, ich sage hier in aller Deutlichkeit: Es ist wichtiger, Arbeitslosigkeit durch eine aktive Beschäftigungspolitik einzudämmen und zu bekämpfen, als gegen Gewerkschaften und Sozialdemokraten Front zu machen.
({21})
Es ist gewiß wichtig, nicht weniger als bisher, sondern mehr als bisher die Antennen auszufahren, wo es um die kritischen Arbeitnehmer im Lande und ihre Vertrauensleute in Betrieb und Gewerkschaft geht - und um die vielen jungen Mitbürger, auf die sich Herr Kollege Kohl, glaube ich, der Zahl nach eben nur in geringem Maße hat berufen können.
({22})
Sie wollen mit uns, daß aktive Beschäftigungspolitik und eine völlig unzweideutig bleibende aktive deutsche Politik der Friedenssicherung die entscheidenden Orientierungspunkte in der Politik dieses Landes bleiben.
({23})
Hierüber wollen wir dann streiten. Das sind die Themen 1 und 2. Wenn es um die Beschäftigungspolitik geht, muß man sagen, daß dazu auch Opfer gehören.
({24})
Wenn hier „Ergänzungsabgabe" gesagt und dies bisher nur beiseite geschoben worden ist, dann steht dieses Wort j a nur beispielhaft dafür, daß die einen meinen: Man darf darüber nicht nur reden, sondern muß bereit sein, auch etwas zu tun, auch etwas, was hier und dort - zumal bei denen, die sie tragen können - Einbußen bedeuten würde.
({25})
Es gilt ganz gewiß das, was der Bundeskanzler heute früh über den Sozialstaatsauftrag gesagt hat, der nicht eine papierne Formel werden darf, sondern der unser dauerhafter und verpflichtender Auftrag bleiben muß.
Herr Kollege Genscher, ich sage es in aller Offenheit, zumal Sie nach der Ordnung des Hauses nach mir sprechen - ich wäre auch, wie Sie wissen, mit anderem einverstanden gewesen-: Sie haben bei dem Bundeskanzler - und nicht nur bei ihm - den bedrückend gefestigten Eindruck aufkommen lassen, es gehe Ihnen nicht mehr um die Tatsache des Bruchs, sondern um den Zeitpunkt. Herr Kollege Kohl, wenn Sie das Wort „Königsmord" hineinbringen: Ich habe es ja nicht erfunden. Ich habe es aus der Freien Demokratischen Partei gehört - wie die Zeitungsleser und diejenigen, die Nachrichten hören, auch. Dies hat die Dinge und dann leider auch die Personen in die Lage geraten lassen, die der Bundeskanzler heute früh dargestellt hat.
Wir könnten auch - das sage ich jetzt noch zusätzlich - nicht mitmachen, wenn ins Unverbindliche entschwinden oder nach rechts hin überspielt
werden sollte, wofür wir 1969 - ich zusammen mit Walter Scheel - angetreten sind: unsere deutsche Außenpolitik aus der Verkrampfung zu lösen und eine Politik aktiver Friedenssicherung im Rahmen unserer Möglichkeiten zu betreiben.
({26})
Das ist - ich sage es noch einmal - das zweite der großen Themen, um die dann nicht nur hier im Hause gestritten werden muß. Ich weiß mich dabei in Übereinstimmung mit vielen im Lande, auch mit solchen, die sich in den Parteien bisher noch nicht wiedergefunden zu haben glauben - ganz abgesehen davon, daß der Bundeskanzler nach meiner Überzeugung recht hat, wenn er hier vor dem Bundestag sagt: Innenpolitisches Hickhack und parteipolitische Taktik dürfen nicht zu Lasten der internationalen Reputation unseres Staates gehen.
({27})
Wir meinen also, daß Klarheit geboten ist. Wir halten uns für die angeregten Gespräche bereit. Wir nehmen die Einladung des Bundeskanzlers an. Ich meine, Sie sollten sich das auch noch einmal überlegen.
Ich bitte von dieser Stelle aus unsere Freunde im Land, sich auf neue Konstellationen einzustellen
({28})
und sich auf Neuwahlen einzustellen, die wir gerne gleich hätten.
Den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland versichere ich: Unabhängig von der Art der Verantwortung, in der sie als Wähler uns stellen, werden wir unsere Pflicht erfüllen, so gut wir es können, für die Wohlfahrt unseres Staates und für den Frieden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({29})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir sind mit Ihnen und Herrn Kollegen Brandt der Auffassung: Die Koalition aus SPD und FDP ist beendet; Sie wie wir haben jetzt die Freiheit, in eigener Verantwortung zu entscheiden.
Nach wochenlangen Gerüchten über Pläne zu einer Minderheitenregierung - ({0})
- Meine Kollegen von der SPD, wir haben alles angehört, was von allen Seiten gesagt wurde. Der Ernst der Stunde sollte es gebieten, daß Sie in Anstand und Ruhe das hören können, was ich sage,
({1})
auch wenn Sie es für falsch halten.
Nach wochenlangen Gerüchten über Pläne zu einer Minderheitenregierung, zur erneuten Stellung
der Vertrauensfrage, zur Entlassung meines Kollegen Graf Lambsdorff - das war das mindeste, was über ihn gesagt wurde - und zum Bemühen um eine Neuwahl-Vereinbarung ist jetzt politisch der Weg geöffnet für alle Möglichkeiten, die das Grundgesetz bietet.
Was immer in dieser Aussprache schon gesagt wurde, was heute und in Zukunft noch gesagt werden wird, ich stelle fest: Wir Freien Demokraten werden auch in dieser schweren, unser Land aufwühlenden Zeit mit Respekt und Achtung allen anderen Demokraten in unserem Lande gegenübertreten, Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihren politischen Freunden, unseren Partnern von gestern, mit besonderem Respekt.
({2})
Wir bekennen uns zu jeder Phase unserer Geschichte, zu unserer Mitwirkung in Regierung und Opposition unseres Landes. Wir bekennen uns zu den Erfolgen, zu den Rückschlägen, zu den Entscheidungen, die Bestand haben werden, und denen, die korrekturbedürftig sind. Wir bekennen uns ebenso zu den großen wie zu den schweren Stunden. Es hat Phasen gegeben, in denen unsere Zusammenarbeit leichter, und andere, in denen sie schwerer war. Was dabei an menschlichen Bindungen entstanden ist, werden wir von uns aus weder heute noch in Zukunft beschädigen. Wo wir auch in Zukunft stehen mögen, Herr Bundeskanzler: Unsere Verantwortung, für unser Land zu handeln - und das ist für Demokraten eine gemeinsame Verantwortung -, diese Verantwortung bleibt.
Es ist offenkundig, daß die Einigungs- und Kompromißmöglichkeiten in der Regierungskoalition aus Freien Demokraten und Sozialdemokraten immer schwerer wurden, um so schwerer, je stärker durch strukturelle Veränderungen im Haushalt auch fühlbare Eingriffe notwendig wurden. Auch uns ist keiner dieser Eingriffe leichtgefallen, vor allem dort nicht, wo sie Empfänger kleiner Einkommen trafen, und dort, wo sie für Menschen fühlbar wurden, die als Rentner ihre Lebensleistung schon erbracht haben. Wir wußten und wir wissen, daß wir immer das Ziel im Auge behalten müssen, unser soziales System nicht in Gefahr geraten zu lassen, sondern es zu sichern. Wir sind überzeugt, daß die Arbeitslosigkeit derzeit die größte Bedrohung des sozialen Rechtsstaats und des sozialen Friedens ist. Deshalb muß es vorrangige Aufgabe unserer Innenpolitik werden, sie zu überwinden.
({3})
Mein Brief vom 20. August 1981 war der Versuch, einen gemeinsamen Weg zu zeigen, wie die veränderten ökonomischen Bedingungen als Reformchance für mehr Freiheit, Selbstverantwortung und Subsidiarität begriffen und genutzt werden können. In den Beratungen im Herbst 1981, Anfang 1982 und im Sommer 1982 hat sich gezeigt, daß unter den gegebenen Bedingungen die Unterschiede in den Grundsatzpositionen einer liberalen Partei und einer sozialdemokratischen Partei deutlich zum Ausdruck kommen, ja daß die Gefahr besteht, daß einer von ihnen oder beide beim Überschreiten der Kompromißmöglichkeiten Verluste ihrer Identität erleiden.
Deshalb habe ich in öffentlicher Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. September 1982 und auch bei anderen Gelegenheiten davon gesprochen, daß der Haushalt 1983 zur Bewährungsprobe der Koalition werden würde.
Die Kritik aus den Reihen Ihrer Partei, Herr Kollege Brandt, an den Beschlüssen vom 1. Juli 1982 haben überdeutlich gemacht, daß die Sorge um den Bestand der Koalition jeden aufmerksamen Beobachter schon den ganzen Sommer über beschäftigen mußte. Es waren nicht die Freien Demokraten, die diese Beschlüsse an irgendeiner Stelle in Frage gestellt haben. Aber mit jedem Tag wurden die Wirkungen Ihres Münchener Parteitages deutlicher.
Der Herr Bundeskanzler hat am 21. August 1982 die folgende Frage beantwortet:
Sehen Sie, von heute aus betrachtet, bis zur nächsten Bundestagswahl 1984 überhaupt eine Chance, daß Ihre Partei, die sozialliberale Koalition aus diesem Tief wieder herausfinden, und wenn ja, woraus soll diese Chance entstehen?
Der Bundeskanzler hat gesagt:
Die Chance ist keineswegs gleich Null. Aber ich will nicht behaupten, daß die Chance sehr groß sei.
Ich glaube, das war in der Tat eine realistische Einschätzung.
Meine Damen und Herren, Art und Form der Reaktion auf das von dem Herrn Bundeskanzler erbetene Papier meines Kollegen Graf Lambsdorff haben der deutschen Öffentlichkeit gezeigt, daß der Münchener Parteitag die Regierungsarbeit der SPD endgültig eingeholt hatte. Was angesichts von 2 Millionen Arbeitslosen Anspruch auf eine sachliche und kritische Diskussion, zu der wir aufgefordert hatten, gehabt hätte, wurde letztlich zum Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung, ja in einigen Fällen sogar Anlaß zu persönlicher Herabsetzung eines Mitglieds der gemeinsamen Regierung und Koalition.
({4})
Meine Damen und Herren, wer nicht einen einzigen der Vorschläge von Graf Lambsdorff für richtig gehalten hätte, durfte sich dennoch zu dieser Form der Auseinandersetzung nicht hinreißen lassen. Der Vorwurf, die Denkschrift meines Kollegen richte sich gegen das Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung, wendet sich gegen jeden, der ihn erhebt. Er erhellt aber, daß auch bei einer 13jährigen Zusammenarbeit mit einer liberalen Partei die Übereinstimmung über das, was Liberalität und Toleranz gegenüber der Meinung des anderen gebieten, doch nicht so groß ist, wie es gelegentlich beschworen worden ist.
In der Entwicklung, die mit den Beschlüssen Ihres Münchener Parteitages beschleunigt wurde, liegt der Grund für die schwere Krise, in die die Koalition von Tag zu Tag mehr geriet. Die Wochenzeitung
„Die Zeit" schrieb am 16. September 1982 - ich zitiere wörtlich -:
Geschichtsverfälschung sollte kein Vorschub geleistet werden. Nicht die FDP, sondern die SPD ist als erste von dem für die Koalition vereinbarten Kurs abgewichen - durch Widerstand gegen notwendige Etatkürzungen, durch Forderung nach höheren Steuern und Abgaben, schließlich durch ständiges Gemäkel an gemeinsamen Beschlüssen.
Meine Damen und Herren, und das ist die Wahrheit.
({5})
Sie gilt leider nicht nur für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, sie galt zunehmend auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Die deutsche Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren Zeuge der Probleme geworden, die hier aus der Sozialdemokratischen Partei entstanden sind. Hier liegen die Besorgnisse im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik, die ich oft gehabt habe.
({6})
In den letzten Tagen gab es dann Versuche, auch die Außen- und Sicherheitspolitik noch in die Auseinandersetzung um die Koalition hineinzuziehen. Das einhellige Urteil der deutschen Presse über meinen Aufsatz in der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs" hat diese Versuche untauglich werden lassen. Aber angesichts der Bedeutung, die gerade in der vor uns liegenden Phase die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik für unsere nationalen Interessen, für den Frieden in Europa und in der Welt hat, will ich doch die drei Gedanken wiederholen, die ich schon in der gestrigen Debatte vorgetragen haben.
Lassen wir uns nicht dazu hinreißen, die Außen- und Sicherheitspolitik zum Prügel der innenpolitischen Auseinandersetzung zu machen.
({7})
Lassen wir uns auch in noch so heftigen Auseinandersetzungen nicht dazu verleiten, dem innenpolitischen Gegner den Friedenswillen und Friedensfähigkeit abzusprechen.
({8})
Halten wir auch in einer veränderten innenpolitischen Lage an dieser in aller Welt respektierten Außen- und Sicherheitspolitik fest. Wir stehen zu unserer Politik des inneren und des äußeren Friedens.
Herr Bundeskanzler, meine Bitte um Entlassung aus meinem Amt ist die Konsequenz aus der Beendigung der Koalition. Ich habe das meinem Freund und Kollegen Wolfgang Mischnick in den frühen Morgenstunden mitgeteilt und Sie unterrichtet, als wir uns heute morgen vor Beginn der Fraktionssitzung zu einer Unterredung trafen, in der Sie mir auch den Text Ihrer Rede übergaben.
Sie schlagen Neuwahlen vor, Herr Bundeskanzler. Wir fürchten die Entscheidung der Wähler nicht.
({9})
Wir sehen aber keinen Nutzen in einer Vereinbarung über die Möglichkeiten zur Ausnutzung oder Nichtausnutzung dessen, was das Grundgesetz vorsieht. Ich denke, es sollte auch zum Konsens der Demokraten gehören, daß niemand herabgesetzt wird - hier im Hause und außerhalb -, der legale, durch das Grundgesetz vorgesehene Möglichkeiten erwägt und sie möglicherweise auch nutzen will.
({10})
Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, das Land darf sowohl aus außen- wie auch aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht einer mehrmonatigen Periode der Entscheidungsunfähigkeit, übrigens auch der parlamentarischen Handlungsunfähigkeit, überlassen werden.
({11})
Wir sind deshalb bereit, dazu beizutragen, eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Wenn diese Regierung die jetzt unmittelbar vor uns liegenden Aufgaben erledigt hat, sollte sie sich mit diesen Aufgaben, ihrer Erledigung und ihrem Programm dem Wähler zur Wahl stellen. Sollte die Bildung einer solchen Regierung aus diesem Bundestag heraus nicht möglich sein, so muß es zu Neuwahlen kommen. Wir Freien Demokraten sind überzeugt: Unser Land braucht eine handlungsfähige Regierung. Wir sind bereit, zu ihrer Bildung beizutragen. Wir werden unsere Pflicht erfüllen - gegenüber unserem Land, gegenüber unseren Wählern, gegenüber unseren Grundüberzeugungen. - Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als Vertreter einer Fraktion, sondern möchte als einer der beiden fraktionslosen Abgeordneten
({0})
ein paar kurze Anmerkungen zu dem Problem machen, vor dem wir heute stehen.
Um es vorab ganz deutlich zu sagen: Wir begrüßen nachdrücklich die Absicht des Bundeskanzlers, so schnell wie möglich Neuwahlen zu diesem Bundestag herbeizuführen. Es ist die sauberste und demokratischste Lösung. Dieser Bundestag spiegelt schon lange nicht mehr das wider, was an politischen Positionen, an sozialen, ökologischen Bewegungen in unserem Land vorhanden ist. Die Millionen Menschen, die sich in der Friedensbewegung zusammenfinden, konnten sich schon lange in den gespenstischen Diskussionen in diesem Hause nicht wiederfinden, mit einer CDU/CSU-Opposition, die noch mehr Ausgaben für die Rüstung forderte, und einer sozialliberalen Koalition, die beflissen nachzuweisen versuchte, daß der Rüstungsetat noch nie so stark gestiegen ist wie zur Zeit dieser Koalition.
Ich bin zuversichtlich, daß in einem neuen Bundestag die Kräfte, die konsequent gegen Aufrüstung, gegen Umweltzerstörung und gegen sozialen Abbau angehen, stärker als je zuvor vertreten sein werden.
Ich habe auch nicht die Sorge, daß das zu einer
Unregierbarkeit dieses Landes führt. Wer davon spricht - sei es auch auf der linken Seite -, betreibt das Geschäft von Reaktionären. Denn Unregierbarkeit wurde noch nie von linken demokratischen Organisationen herbeigeführt. Dieses Land wurde in seiner Geschichte von ganz anderen Kräften zerstört.
Wenn die sozialliberale Koalition heute an ihrem Ende steht, dann helfen Schuldzuweisungen zwar nur wenig. Aber ich glaube, daß es auch ein grundlegender Irrtum der SPD-Fraktion gewesen ist, zu glauben, je schneller man sich von seinem Partner aussaugen läßt, um so länger würde dieser bei einem bleiben. Es ist eine biologische Grunderkenntnis, daß das Wirtstier um so schneller verlassen wird, je schneller es sich aussaugen läßt. Sobald es ausgesaugt ist, wird ein anderes Wirtstier gesucht. Herr Kollege Kohl, wenn Sie sich nun als neues Wirtstier zur Verfügung stellen wollen, dann wünsche ich Ihnen viel Glück dabei. Das Pferd wird gewechselt, der Reiter wird bleiben. Ob das für die demokratische Entwicklung in unserem Land so positiv ist, daran habe ich erhebliche Zweifel.
Immerhin, in unserem Grundgesetz heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Wir sollten nicht so zynisch sein, zu sagen: Und sie kehrt nie wieder dorthin zurück. - Wie sollten lernen, daß es ein normaler Vorgang ist, daß auch Neuwahlen stattfinden. Es sollte uns zu denken geben, daß in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nie eine Regierung
unmittelbar durch Wahlen ausgewechselt wurde, sondern immer durch Koalitionswechsel. In einem Fall geschah es anläßlich von Wahlen; aber immer handelte es sich um einen Koalitionswechsel. Nie wechselte die Regierung durch Wahlen, nie durch unmittelbare Entscheidung des Volkes. Ich meine, das ist ein Mangel, und glaube, es ist notwendig, in diesem Fall durch Neuwahlen klar und deutlich zu machen, was der Mehrheitswille der Bevölkerung in der gegenwärtigen Situation ist.
({1})
Ich möchte an das erinnern - und damit vielleicht die Kollegen von der FDP ansprechen -, was Walter Scheel am 27. April 1972 in diesem Hause gesagt hat:
Wenn es zur Regel werden sollte, daß Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten durch Parteienwechsel, also ohne Wählervotum, verändert werden, dann stirbt die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie.
Das hat damals Walter Scheel gesagt. Und er hat hinzugefügt:
Machen Sie unser Land und sich selber nicht unglücklich, indem Sie zur falschen Zeit mit den falschen Methoden eine Regierung etablieren wollen, deren Fundament sich auf politische Überläufer stützen müßte und deren Geburtsstunde vom Makel des Wortbruchs gekennzeichnet wäre!
({2})
Meine Damen und Herren, Neuwahlen sind ein normaler Vorgang. Ich glaube, es ist höchste Zeit, daß auch in unserer Republik in der gegenwärtigen Situation die Entscheidung in die Hände des demokratischen Souveräns, in die Hände des Volkes zurückgegeben wird. - Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir fahren jetzt in der Tagesordnung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu den Unterrichtungen des Bundesrechnungshofes
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung ({1}) für die Haushaltsjahre 1978 und 1979
- Drucksachen 9/38, 9/978, 9/1759 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.
({2})
- Meine Damen und Herren, wir sind zur Abstimmung aufgerufen. Ich bitte, Platz zu nehmen. Das gilt für alle Seiten des Hauses. - Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/1759 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen
- Drucksache 9/1720 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 9/1962 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerlach ({4}) Dr. Nöbel
({5})
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich,
Präsident Stücklen
sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 bis 12 auf:
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. April 1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer ({6}) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen
- Drucksache 9/1951 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({7})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken ({8})
- Drucksache 9/1952 12. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
- Drucksache 9/1905 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({9})
Innenausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/1951, 9/1952 und 9/1905 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. September 1982, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.