Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich - Drucksache 9/1981 - erweitert werden.
Dieser Zusatzpunkt soll am Freitag zusammen mit Punkt 7 der Tagesordnung beraten werden.
Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/1968 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Hansen auf:
Wann wird die Bundesregierung das vom Bundeskanzler vor der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages vor drei Jahren ({0}) abgegebene Versprechen, das Document Center, Berlin, zu übernehmen, einlösen?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat zur Vorbereitung der Übernahme des Document Center in Berlin einen Vertragsentwurf mit der amerikanischen Regierung ausgehandelt. Aus technischen und juristischen Gründen werden die USA die Übergabe 1982 jedoch noch nicht vollziehen können. Die deutsche Verwaltung ist auf Grund der unterzeichnungsreifen Verträge auf die Übernahme eingerichtet.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die vorgesehene Benutzerordnung - wie am 25. September 1979 vom Bundeskanzler persönlich vor der SPD-Fraktion ebenfalls versprochen - den amerikanischen Zugangsbedingungen zum Nationalarchiv entsprechen wird?
Herr Abgeordneter, das kann ich im Augenblick nicht bestätigen, da mir hier nur der Vertragsentwurf vorliegt. Ich werde der Sache aber gerne nachgehen und Ihnen eine schriftliche Nachricht zukommen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, gibt es in dem vorgesehenen Vertrag auch Regelungen darüber, was dann mit dem „Giftschrank", den es im Berliner Document Center gibt und in dem offensichtlich bestimmte Akten über bestimmte Persönlichkeiten aufbewahrt werden, geschehen soll?
Herr Abgeordneter, ich bin nicht autorisiert, Ihnen inhaltlich zu sagen, was in dem Vertragsentwurf steht.
Ich rufe dann die Frage 3 des Abgeordneten Hansen auf:
Warum sind die Modalitäten der Übergabe weder im Haushalt 1981 - wie ebenfalls am 25. September 1979 zugesagt - noch in den Haushalten 1982 oder 1983 geregelt worden?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, im Haushalt 1982 sowie im Entwurf des Haushaltes 1983 des Bundesinnenministeriums wurde in Kapitel 06 15 Titelgruppe 06 die haushaltsmäßige Voraussetzung für die Übernahme des Document Center in die Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland geschaffen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob die Kosten der Mikrofilmierung der Akten, also der Herstellung von Duplikaten für das Nationalarchiv in diesen Kosten enthalten sind, oder werden diese Kosten von der amerikanischen Seite getragen?
Herr Kollege, das kann ich Ihnen im Augenblick auch nicht
sagen. Ich weiß nur, daß die ganze Mikroverfilmung noch nicht abgeschlossen ist. Wie die Kostenübernahme hierfür geregelt wird, kann ich Ihnen hier aus dem Stande nicht beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung über die erheblichen Schwierigkeiten und sogar Schikanen Auskunft geben, denen aussiedlungswillige Deutsche seit Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 durch polnische Dienststellen in zunehmendem Ausmaß ausgesetzt sind?
Herr Abgeordneter, es ist der Bundesregierung bekanntgeworden, daß unmittelbar nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen zunächst keine Anträge auf Aussiedlungsgenehmigungen mehr entgegengenommen wurden. Diese Praxis hat sich jedoch nach einiger Zeit geändert, wenn auch mit regionalen Unterschieden. Das polnische Außenministerium hat auf entsprechende Vorstellungen ausdrücklich erklärt, daß sich die grundsätzliche polnische Haltung gegenüber aussiedlungswilligen Deutschen nicht geändert habe.
Seit Mai 1982 wurde festgestellt, daß wieder Aussiedler hier eintrafen, die ihre Aussiedlung erst nach Verhängung des Kriegszustandes beantragt hatten.
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß Behinderungen bei Aussiedlungsanträgen, auch wenn sie nur auf lokaler Ebene geschehen, selbstverständlich zu bedauern sind. Entsprechende Demarchen wegen solcher Behinderungen wurden und werden gegenüber den zuständigen polnischen Stellen unternommen.
Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Hupka.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es zum Teil so schlimm ist, daß die Antragsteller sich nächtelang anstellen müssen, um überhaupt eine Registraturnummer zu erhalten, und daß in anderen Orten Ausreiseanträge überhaupt nicht angenommen werden und wiederum in anderen Orten nur Anträge für Besuchsreisen?
Herr Kollege, es ist uns bekannt, daß so etwas vorgekommen ist. Bei entsprechenden Informationen der Botschaft sind wir dazu übergegangen, diesen Antragstellern Bescheinigungen zur Vorlage bei den lokalen Behörden zu geben, in denen festgestellt wird, daß die Regierung in Warschau der Botschaft und der Bundesregierung versichert hat, daß eine Behinderung nicht stattfinden soll.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, Sie haben gesagt, grundsätzlich habe die polnische Militärregierung erklärt, daß die Ausreisen fortgesetzt würden. Aber das besagt nichts darüber, daß es eben doch augenblicklich sehr, sehr schwer ist, Ausreiseanträge abzugeben und sie genehmigt zu erhalten. Wird das Grundsätzliche in den betreffenden Gebieten endlich einmal überall in die Praxis umgesetzt werden können?
Herr Kollege, Sie wissen genau wie ich, daß wir nichts anderes tun können, als mit entsprechenden Demarchen zu versuchen, das grundsätzlich in eine allgemeine Regelung zurückzuführen, und daß wir keine anderen Möglichkeiten haben, als dies unermüdlich zu tun.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, abgesehen davon, daß natürlich auch die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle spielt und die Steuerzahler ja Milliarden für die Umschuldung aus dem Bundeshaushalt - Einzelplan 32 - zahlen, frage ich Sie folgendes. Sie sprachen davon, daß Personen eingetroffen sind, die nach dem 13. Dezember Ausreisepapiere erhalten hätten. Stimmt es, daß es sich hierbei um eine sehr geringe Zahl handelt, daß die Zahl der Ausreisenden mit Ausreisepapieren sehr zurückgegangen ist und daß nur Kranke, Ehegatten bzw. unmittelbare Verwandte, insgesamt nur ganz wenige Personen mit Genehmigung nach dem 13. Dezember kommen?
Herr Kollege, es ist keine ganz geringe Zahl, aber die Zahl ist geringer als vorher. Das kann ich noch einmal bestätigen. Es ist bisher nicht möglich, statistisch genau festzustellen, um welchen Personenkreis es sich in besonderer Weise handelt.
Aber ich glaube, wir sollten doch über jedes Kind froh sein, das wieder zu seinen Eltern kommen kann
({0})
- ja, das sollten wir doch wohl, Herr Kollege -,
({1})
wenn die Eltern auf eine Weise hierhergekommen sind, die von polnischer Seite als illegal bezeichnet wird. Sie bestehen ja mit Recht darauf, daß die Kinder zu ihren Eltern zurückkommen. Wir sind froh über jeden Fall, in dem das auch wirklich zustande kommt.
({2})
Ich rufe Frage 5 - des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka - auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Universitätsbibliotheken der USA Literatur über den Rechtsstandpunkt der Bundesrepublik Deutschland zur Selbstbestimmung und Einheit Deutschlands in Freiheit nicht nur fehlt, sondern durch ein reiches Angebot der Ostblockstaaten ersetzt wird, und was gedenkt sie zu tun?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, die deutschen Auslandsvertretungen in den USA einschließlich des German Information Center in New York haben seit ihrem Bestehen regelmäßig politisch relevante Veröffentlichungen an Professoren der politischen Wissenschaften an den wichtigsten amerikanischen Universitäten und Colleges persönlich sowie an Bibliotheken amerikanischer Universitäten und ihre Fachbereiche versandt und tun das auch weiterhin. Da es in den USA etwa 3 000 Colleges und Universitäten gibt, ist es durchaus möglich, daß sich in den Bibliotheken einzelner Universitäten oder Colleges oder einzelner ihrer Fachbereiche Material auch aus den Ostblockstaaten in besonderer Konzentration befindet. Das können wir nicht verhindern.
Ihre verallgemeinernde Feststellung in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, daß in den Universitätsbibliotheken der USA entsprechende deutsche Literatur fehle, trifft jedenfalls nicht zu. Wir werden aber der von Ihnen angeschnittenen Frage weiter die erforderliche Aufmerksamkeit zuwenden.
Zusatzfrage? - Bitte.
Frau Staatsminister, indem ich mich für den letzten Teil Ihrer Antwort bezüglich der Aufmerksamkeit bedanke, stelle ich die folgende Frage. Wenn Sie etwa die Universität Berkeley besuchen - ich habe sie im Sommer besucht -, ist es nicht auffallend und zugleich bestürzend, daß so mit Beginn der 70er Jahre Literatur, die sich mit der Problematik der Teilung Deutschlands befaßt, nicht mehr dort zu finden ist, während Literatur aus der Zeit vor der Bildung der sozialliberalen Koalition vorhanden ist? Kann man nicht darin auch eine bestimmte Tendenz der Politik sehen?
Nein, Herr Kollege, das kann man auf keinen Fall, denn amerikanische Hochschulen sind überwiegend private Einrichtungen, und Bibliotheksbestände können in keiner Weise beaufsichtigt, reglementiert oder vorgeschrieben werden. Tendenzen kann ich daraus nicht ableiten, aber ich werde auch im Falle Berkeley gern über unser Generalkonsulat feststellen lassen, ob wir hier entsprechende Literatur zur Verfügung stellen können, falls sie fehlen sollte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Selbstverständlich können wir nicht reglementieren, aber, Frau Staatsminister, wäre es nicht geboten, den Universitäten ein ganz bestimmtes Angebot zu machen - wobei ich jetzt gar nicht nur an Berkeley in Kalifornien denke, sondern auch an Universitäten in Florida, die ich gleichfalls besucht habe -, damit unser Standpunkt, jedenfalls für die Studenten und Professoren, mit repräsentiert ist und nicht nur der Standpunkt der kommunistischen Regierung?
Herr Kollege, ich habe Ihnen ja vorhin gesagt, daß sowohl Personen als auch Bibliotheken amerikanischer Hochschulen und Colleges regelmäßig reichhaltige
Literatur zu der von Ihnen angeschnittenen Problematik zur Verfügung gestellt wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, könnten Sie vielleicht darlegen - wenn nicht hier, so im Ausschuß -, in welchem Ausmaß eigentlich das besondere Referat für Deutschlandkunde des Auswärtigen Amtes Kontakte mit Multiplikatoren, Universitäten und ähnlichem in den USA hat und welche Veröffentlichungen, von denen Sie sprachen, vermittelt werden? Sind es solche, die ganz Deutschland im Sinne des Grundgesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darstellen? Daran scheint es doch zu fehlen.
Herr Kollege, das tun wir selbstverständlich, wenn im Ausschuß entsprechende Fragen an uns gerichtet werden.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis 9 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Wir fahren fort in der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 ({0})
- Drucksache 9/1920 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986
- Drucksache 9/1921 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn einer der Kandidaten für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten elf Tag vor der Hessenwahl, wenn auch in seiner Eigenschaft als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, vor Sie hintritt, um zum Haushalt 1983 zu sprechen, dann muß er damit rechnen, daß seine Aussagen von vornherein als Wahlkampfrede abgetan werden.
({0})
Aber ich glaube, niemand, der in diesen Tagen an diesem Pult steht, hat vergessen, daß in den nächsten Tagen in Hessen eine wichtige Wahl stattfindet. Ob wir nun hier reden oder ob wir draußen im Lande reden, wir können allemal fair oder unfair miteinander umgehen, sachbezogen oder unsachlich, versöhnlich oder unversöhnlich.
({1})
Meine Freunde und ich lehnen jedenfalls Unversöhnlichkeit und vor allem Gegnerbeschimpfung ab.
({2})
Wir werben auch im Wahlkampf für Gemeinsamkeit.
Der Bundeskanzler denkt da anders, was ich schon deshalb bedaure, weil er ja ein hohes Staatsamt bekleidet.
({3})
- Ich berichte nur über Tatsachen, lieber Herr Löffler. - Im Hamburger Wahlkampf hat er zusammen mit Herrn Brandt eine Wahlanzeige unterzeichnet, in der die Union als Gegnerin der Friedenspolitik und unser Freund Walter Leisler Kiep als politischer Abenteurer abgestempelt werden sollten. Bei dem SPD-Treffen in Wiesbaden am 28. August 1982 hat sich der Bundeskanzler mir gegenüber ähnlich verhalten. Da steht „Herr Dregger an der Spitze der Scharfmacher" - Originalton Helmut Schmidt. Ob das nicht auf ihn selbst zurückfällt, meine Damen und Herren!
({4})
Und ferner: „Der Mann darf nicht ran." Nun, darüber entscheidet nicht der Bundeskanzler, sondern darüber entscheiden die Hessen, und ihrem Urteil sehe ich durchaus mit Gelassenheit entgegen.
({5})
Das neueste Opfer der Unbeherrschtheit des Bundeskanzlers ist der Graf Lambsdorff. Dem eigenen Wirtschaftsminister öffentlich „einen erstaunlichen Mangel an analytischen Fähigkeiten" zu attestieren, das ist schon ein starker Hund.
({6})
Dabei hat Graf Lambsdorff nichts anderes getan, als einen Grundgedanken aufzunehmen, den der Bundeskanzler selbst vor der SPD-Bundestagsfraktion am 22. Juni 1982 - Sie erinnern sich, Herr Löffler - geäußert hat.
({7})
Ich zitiere den Bundeskanzler:
Wer mehr zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden.
({8})
Ich wiederhole das, das ist eine sehr gewichtige Aussage:
Wer mehr zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden.
Das ist natürlich eine schmerzliche Alternative, in die uns der Bundeskanzler hineingeführt hat. Aber wenn es diese Alternative gibt, dann kann man doch nicht den Wirtschaftsminister beschimpfen, wenn er sich aus der Verantwortung seines Amtes heraus für die Priorität der Vollbeschäftigungspolitik ausspricht.
({9})
Das ist übrigens nicht der einzige Fall überraschender Ausbrüche und überraschender Kehrtwendungen des Bundeskanzlers aus letzter Zeit. Aktuellstes Beispiel: Ergänzungsabgabe. Am 20. Juli 1982 schrieb der Bundeskanzler den Gewerkschaftsvorsitzenden:
Sie wissen, daß ich persönlich einer Ergänzungsabgabe für Bezieher hoher Einkommen durchaus hätte Sympathie abgewinnen können, wenn sie nicht gleichzeitig zu einer Belastung der mittelständischen Unternehmen und des Handwerks geführt und damit kontraproduktiv gewesen wäre.
Das war im Juli.
Schon einige Wochen später, am 25. August 1982, erklärte der Bundeskanzler in der „Rheinischen Post":
Ich bin generell gegen Steuererhöhungen. Wie jedermann weiß, bin und bleibe ich aber offen für eine Ergänzungsabgabe zu Lasten der Höherverdienenden.
Wer kann das noch verstehen? Die Einführung einer Ergänzungsabgabe ist doch eine Steuererhöhung! Man kann doch nicht gleichzeitig gegen Steuererhöhungen und für Steuererhöhungen sein!
({10})
Ferner: Wie kann man eine Ergänzungsabgabe am 20. Juli 1982 noch als kontraproduktiv, also arbeitsplatzgefährdend, beurteilen,
({11})
am 25. August 1982, vier Wochen später, aber positiv?
({12})
Was der Bundeskanzler auch immer verkündet, er tut es in einem Ton, der jeden Widerspruch von vornherein ausschließen soll.
({13})
Nicht jeder weiß, was er vorher mal gesagt hat: vielleicht er selbst auch nicht. Aber irgendwann werden die Widersprüche in seiner Politik sichtbar. Wie kann man einem Bundeskanzler vertrauen, der in
wichtigen Fragen seine Meinung so schnell, so grundlegend und ohne Gründe ändert?
({14})
Die Folgen dieses Hin und Her treffen uns alle. Noch schlimmer als die ausgeräumten Staatskassen, die astronomische Staatsverschuldung und die Massenarbeitslosigkeit mit ihrer steigenden Tendenz, die der Bundeskanzler persönlich verantworten muß, ist der allgemeine Vertrauensverlust, den er bewirkt.
Vertrauen ist in einer freien Gesellschaft die wichtigste Grundlage der Staatsautorität.
({15})
Vertrauensverlust führt in einer freien Gesellschaft zu Stagnation, zu Kaufzurückhaltung und zu Kapitalflucht. Ohne Vertrauen in die Beständigkeit der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es keine Investitionen und keinen Aufschwung. Eine Regierung, die Vertrauen in dem Maß eingebüßt hat wie die jetzige, kann es nicht mehr zurückgewinnen. Sie kann dem Land nur noch einen Dienst erweisen: zurücktreten; aber bald.
({16})
Aber nicht nur der Bundeskanzler, auch Graf Lambsdorff verdient kritische Aufmerksamkeit. Kurz vor der Hessenwahl hat er durch ein Papier Aufsehen erregt, von dem man nicht so recht weiß, was es eigentlich bedeutet. Ist es ein persönliches Dokument, das Dokument eines Einzelkämpfers? Ist es ein Dokument, hinter dem wenigstens seine Partei steht? Das ist offenbar nicht der Fall. Große Teile der FDP lehnen dieses Dokument ab. Ist es ein Regierungsdokument? Das verneint nicht nur der Regierungssprecher, sondern das verneint schimpfend auch der Bundeskanzler.
Das Papier nimmt Analysen, Warnungen und Vorschläge auf, die wir seit einem Jahrzehnt gemacht haben, zuletzt in unserer Sieben-Punkte-Offensive vom 10. Februar 1982. Es ist sicher manches richtig an diesem Papier, aber gewiß auch manches falsch, und wir denken gar nicht daran, uns ungeprüft mit diesem Papier zu identifizieren.
({17})
Für die Regierungspolitik - und das ist doch entscheidend bei einem Wirtschaftsminister - ist dieses Papier jedenfalls ein Nullum, ein Nichts. Unser Land braucht jetzt einen Wirtschaftsminister, der sich auf seinen Kanzler verlassen und auf seine Partei stützen kann. Unser Land braucht jetzt eine Regierung, die mit einer Zunge redet und handlungsfähig ist.
({18})
Unser Land braucht jetzt einen Bundeskanzler, der die Kraft besitzt, seine Einsichten in Politik umzusetzen, der nicht ständig gezwungen ist, faule Kompromisse zu schließen zwischen seinen Einsichten, die nicht selten richtig sind, und konträren Strömungen in seiner Partei. Je länger der Bundeskanzler regiert, um so mehr entgleitet ihm das Steuer. Der Bundeskanzler hätte nach allem, was er, wenn auch
mit zweifelhaftem Erfolg, geleistet hat - und er hat einiges geleistet -, einen besseren Abgang verdient gehabt, d. h. vor allem einen früheren.
({19})
Das Erbe, das uns über kurz oder lang auch in Bonn zufallen wird, wird schwer sein. Es ist ein ganz anderes Erbe als das, das wir 1969 der sozialliberalen Koalition hinterlassen haben.
({20})
Damals betrug die gesamte Neuverschuldung des Bundes aus 20 Jahren Wiederaufbau 14 Milliarden DM. Das soziale Netz war solide finanziert, unsere Wirtschaft war beschäftigt, ja, überbeschäftigt. All das gilt nicht mehr. - Auf einen Arbeitslosen kamen damals sechs offene Stellen; heute kommen 18 Arbeitslose auf eine offene Stelle.
Arbeitslosigkeit ist eine Geißel. Sie demoralisiert. Insbesondere Jugendarbeitslosigkeit ist eine politische Schande. Arbeitslosigkeit ist zudem teuer, sehr teuer auch für den Staat.
Ist Vollbeschäftigung überhaupt noch möglich? Unser europäisches Nachbarland, die Schweiz, ist vollbeschäftigt, gegenwärtige Arbeitslosenquote: 0,4 %. Von der Schweiz wird hier nie geredet. Warum eigentlich nicht?
({21})
Unser großer Konkurrent auf den Weltmärkten und auch auf dem deutschen Markt, Japan, ist vollbeschäftigt, 2,3 % Arbeitslose nach den neuesten Zahlen - das ist zumindest noch an der Grenze von Vollbeschäftigung.
Es gibt eigentlich gar keine Gründe, warum wir nicht genauso gut dastehen sollten. Für ein Land wie das unsere, das an Energie und Rohstoffen arm ist - unser einziger Reichtum ist der Fleiß und die Intelligenz unserer Menschen -, für ein Land, in dem nahezu jeder dritte Arbeitnehmer für den Export arbeitet, ist Vollbeschäftigung eine Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
({22}) Das ist ähnlich wie mit Japan.
Die Exporterfolge dieses Jahres dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir in einigen wichtigen Zukunftsbranchen von den Japanern und den Amerikanern abgehängt worden sind. Das gilt für die Mikroelektronik, die mit ihr eng zusammenhängende Informations- und Kommunikationstechnik, für den Kraftwerksbau und anderes mehr. Auf der anderen Seite bedroht uns die Billigkonkurrenz der sozialistischen Länder mit ihrem niedrigen Lebensstandard und der fortgeschrittenen Entwicklungsländer in Südostasien vor allem.
Nun gibt es einige grün-rote Apostel, die uns das einfache Leben predigen, ohne es bisher selbst auf sich genommen zu haben.
({23})
Wollen wir denn wirklich auf den Stand der Entwicklungsländer und der sozialistischen Länder zurückfallen?
({24})
Dann ist es allerdings mit dem großzügigen sozialen Netz und dem Wohlstand für die breiten Schichten unseres Volkes vorbei. Wir müssen uns doch klar darüber sein: Nur ein Hochleistungsland kann auch Hochlohnland und Sozialstaat sein.
({25})
Hochleistungsland, das betrifft insbesondere unsere Fähigkeit zur technischen Innovation. Es gibt Schätzungen, nach denen in der Bundesrepublik Deutschland demnächst 150 000 Lehrer keinen Arbeitsplatz im erlernten Beruf finden werden. Dafür fehlen in wichtigen Bereichen der Wirtschaft geeignete Ingenieure und Facharbeiter. Das ist doch eine gigantische Fehlleitung der Bildungsenergien und Zukunftshoffnungen einer ganzen Generation. Jetzt zeigt sich, daß es falsch war - das haben wir immer gesagt -, das Beschäftigungssystem so total vom Bildungssystem abzukoppeln oder auch umgekehrt.
Meine Damen und Herren, diese Fehler müssen korrigiert werden. Die praktischen Begabungen, die praxisbezogenen Bildungsgänge, die Naturwissenschaften müssen wieder in den Vordergrund treten. Unsere Universitäten müssen von Politik und Bürokratie befreit und wieder voll in den Dienst der Wissenschaft gestellt werden.
({26})
Es darf nicht sein, daß junge deutsche Wissenschaftler, qualifizierte Wissenschaftler, deshalb ins Ausland gehen, weil an unseren Universitäten ein Klima für Leistung und Wissenschaftlichkeit fehlt. Ein Land wie das unsere kann sich den Luxus der Technikfeindlichkeit nicht leisten.
({27})
Das ist keine Absage an den Umweltschutz. Im Gegenteil, beide bedingen einander. Nur eine leistungsfähige Industrie und ein Land, das von Massenarbeitslosigkeit verschont ist, kann die Kosten finanzieren, die der Umweltschutz erfordert.
({28})
Es ist eine aktuelle Aufgabe der Politik von Bund und Ländern, die ideologischen Barrieren wegzuräumen, die der Verwirklichung von Großprojekten entgegenstehen, die ohne zusätzliche Belastung der Staatskassen verwirklicht werden könnten. Das gilt z. B. für den Kraftwerksbau. Allein der dritte Block des Kernkraftwerks Biblis würde bei geschätzten Kosten von vier Milliarden DM rund 60 000 Mannjahre zusätzlicher Arbeit bringen. Bei einer Bauzeit von fünf Jahren sind das rund 12 000 Arbeitsplätze. Alle atomrechtlichen Voraussetzungen zur Genehmigung des ersten Bauabschnitts sind gegeben, wie der Bundesinnenminister im Februar hier in diesem Hause erklärt hat. Die Gemeindevertretung Biblis hat bei nur einer Gegenstimme ja gesagt. Nur die SPD und unter ihrem Druck der hessische Ministerpräsident sagen nein. Sie verlangen über die rechtzeitig vorhandenen Zwischenläger hinaus gerichtsfeste Entscheidungen für die Endlagerung. Was das bedeutet, kann man an der Startbahn West studieren. Die dortigen Prozesse begannen 1972 und sind bis heute noch nicht beendet. Ich meine, es ist unverantwortlich, bei Massenarbeitslosigkeit und leergeräumten Staats- und Gemeindekassen Projekte ideologisch zu blockieren, die zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beitragen könnten.
({29})
Was für den Kraftwerksbau gilt, gilt auch für die Informations- und Kommunikationstechnik, deren Freigabe für die Entwicklung der Mikroelektronik von großer Bedeutung ist. Man kann durchaus die kulturkritische oder gar kulturpessimistische Frage stellen, ob es wirklich ein Glück für die Menschheit sei, daß es alle diese technischen Erfindungen gibt, aber wir können die Erfindungen doch nicht verbieten, und wir können ihre Verbreitung nicht aufhalten. Genauso wie wir uns von der Postkutsche über die Eisenbahn und das Auto zum Flugzeug fortbewegt haben, so werden wir uns von der Zeitung über den Hörfunk und das Fernsehen zum Bildschirmtext, zum Kabelfernsehen und Satellitenfernsehen fortentwickeln. Als großes Exportland können wir die Grenzen doch nicht schließen. Die einzige Frage, die wir beeinflussen können, ist doch, ob die neuen Arbeitsplätze dieser Technik - es sollen etwa 10 Millionen sein - nur in Japan und in den USA oder auch in Deutschland entstehen, und ich bin für das zweite.
({30})
Ich glaube, daß nicht nur ich, sondern alle, die auf Vollbeschäftigung angewiesen sind - das ist die Mehrheit unseres Volkes -, mit mir in dieser Auffassung übereinstimmen. Man muß wirklich bei Leuten, die überhaupt nicht um ihr Lebensrisiko zu fürchten haben, um Verständnis werben, daß es auch noch Leute gibt, die Vollbeschäftigung brauchen.
({31})
Nur technische Höchstleistungen auf der einen Seite und Kostenbegrenzung auf der anderen Seite sichern unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den Auslandsmärkten und auf dem deutschen Markt. Der bedeutendste Kostenfaktor sind die Lohnstückkosten. Ihr drastischer Anstieg beruht auf gestiegenen Lohn-, aber noch mehr auf gestiegenen Lohnnebenkosten und auf unterbliebenen Rationalisierungsinvestitionen. Die Lohnkosten selbst können um so höher sein, je geringer die sonstigen Kosten sind und je größer der technische Fortschritt ist.
Gegenüber den Gewerkschaften ist anzuerkennen, daß sie in letzter Zeit Lohnabschlüssen zugestimmt haben, die unter der Inflationsrate liegen, was für die Arbeitnehmer die unangenehme Folge hat, daß ihre Reallöhne sinken. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß wir auf Grund der rasanten Lohnsteigerungen zuvor immer noch ein Hochlohnland sind. Das wollten und wollen wir ja auch sein, um die Vision Ludwig Erhards vom „Wohlstand für alle" zu verwirklichen. Wenn davon jetzt Abstriche gemacht werden müssen, wenn die RealeinkomDr. Dregger
men sinken, dann sind dafür diejenigen verantwortlich, die den technischen Fortschritt blockiert und
die sonstigen Kosten in die Höhe getrieben haben.
({32})
Neben den Lohn- und vor allem den Lohnnebenkosten sind es ja - natürlich von Branche zu Branche unterschiedlich - die Energiekosten, deren Höhe die internationale Wettbewerbsfähigkeit stützt oder beeinträchtigt. Die Stromkosten sind in Frankreich zur Zeit 30 % niedriger als bei uns. Sie werden am Ende dieses Jahrzehnts 50 % niedriger sein. Das kostet Arbeitsplätze in Deutschland. Die Ursachen liegen auf der Hand: Während wir uns in Deutschland in den 70er Jahren grün-rote Antikernkraftspiele geleistet haben, haben die Franzosen mit Unterstützung aller politischen Parteien ihr Kernenergieprogramm tatkräftig verwirklicht.
({33})
- Auch die DDR. - Uran ist als Primärenergieträger für die Grundlast der Stromerzeugung nun einmal preiswerter als Steinkohle, Öl und Gas.
Die weiteren Vor- und Nachteile der Kernenergie zu erörtern, fehlt hier die Zeit. Es sind jedenfalls nicht Fortschrittswahn, nicht Gewinnsucht und auch nicht Technikfetischismus, die uns veranlassen, für die Aufhebung der deutschen Selbstblokkade in der Entwicklung der Kernenergie einzutreten. Uns geht es um Vollbeschäftigung, und die ist nur mit ausreichender und preiswerter Energie möglich, die es ohne einen Anteil von Kernenergie zur Zeit nicht geben kann.
({34})
Zu einer Kostenbegrenzung muß es nicht nur bei den Lohnstückkosten und nicht nur bei den politisch beeinflußten Energiekosten kommen, sondern auch bei den vom Staat durch Steuern und Abgaben verursachten Kosten.
Das von der Großen Koalition verabschiedete Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967 - das gilt noch - sieht für eine Lage wie die jetzige vor, daß die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die Lohn-, die Einkommen- und die Körperschaftsteuer um bis zu 10 % senken darf, nicht: erhöhen darf. Damit würde sie j a auch die Kostenlast vermindern. Aber seit der Bundestagswahl ist das Gegenteil geschehen. Die Steuerlast wurde um zirka 15 Milliarden DM erhöht. Durch die Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung von 4 auf 4,5 % und durch die Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenze in der Renten- und in der Krankenversicherung soll die Kostenlast ab 1983 nochmals kräftig erhöht werden. Das ist um so schlimmer, als unser Land schon heute im Hinblick auf die Steuerlast zur Spitzengruppe der Industrieländer gehört.
Am ergiebigsten sprudelt die Lohnsteuer. Ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen ist seit 1969 von 22 auf 32 % angewachsen. Das Lohnsteueraufkommen hat sich seit 1970 um 90 % erhöht, die Nettolöhne und -gehälter dagegen stiegen um 19 %.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?
Herr Kollege Dregger, ist Ihnen bekannt, daß nach amtlichen statistischen Unterlagen die Steuerlastquote heute nicht höher ist als in den 50er Jahren?
Sehr verehrter Herr Kollege, es kommt nicht nur auf die Steuerlastquote, sondern auf die Abgabenquote an.
({0})
Die ist erheblich gestiegen. Dazu, daß die steuerliche Belastung der Arbeitnehmer durch die Lohnsteuer so rasant gestiegen ist, trägt die Hartleibigkeit bei, mit der sich die Regierung gegen die Korrektur heimlicher Steuererhöhungen durch Anpassung der Progression an die Inflationsrate sträubt. Die Lohnsteuer und die sehr stark gestiegenen Sozialabgaben lähmen den Leistungswillen der Arbeitnehmer.
Hier liegt eine der Ursachen für die rapide zunehmende Schwarzarbeit. Für 1982 wird der Umsatz im Bereich der Schwarzarbeit auf rund 40 Milliarden DM geschätzt. Wen wundert es, wenn die offizielle Maurerstunde heute 47,30 DM kostet, wobei nur ein Drittel auf den tariflichen Stundenverrechnungssatz und weiter je ein Drittel auf Lohnzusatzkosten und auf Gemeinkosten wie betriebliche Steuern, Versicherungsbeiträge und ähnliches entfällt? Von dem Drittel, das auf den tariflichen Stundenlohn von 15,60 DM entfällt, erhält der Maurer noch ganze 10 DM. Bei einem solchen Griff in die Taschen der produktiv Tätigen ist der Marsch in die Untergrundwirtschaft unaufhaltsam.
({1})
Die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähigkeit der Unternehmen werden vor allem durch saftige Gewinnsteuern, aber auch durch gewinnunabhängige Steuern beeinträchtigt. Während die Abgabenquote - Anteil am Bruttosozialprodukt - bei uns über 38 % liegt, beträgt sie in der Schweiz nur 28,8 % und in Japan nur 26,3 %. Dafür haben Japan und die Schweiz auch keine Arbeitslosen; da gibt es doch einen Zusammenhang! Das ist zwar nicht der einzige Grund, aber einer der Gründe, die für diese unterschiedliche Entwicklung sprechen. Es muß doch jedem einleuchten, daß Steuer- und Abgabenerhöhungen, mit denen staatliche Beschäftigungsprogramme finanziert werden sollen, noch mehr Arbeitsplätze unrentabel machen und damit noch mehr Arbeitsplätze zerstören, als mit dem Aufkommen aus diesen Steuererhöhungen neu geschaffen werden können.
({2})
Es war daher ein Verdienst, daß die Bundesratsmehrheit die von der sozialliberalen Koalition beabsichtigte Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindert hat.
Weit schlimmer als die von SPD und FDP geplante und von uns verhinderte Mehrwertsteuererhöhung ist das, was der SPD-Bundesparteitag in München beschlossen hat: Arbeitsmarktabgabe für alle, Ergänzungsabgabe für sogenannte Besserverdienen6984
de, höhere Bodenwertzuwachssteuer, höhere Vermögensteuer, höhere Spitzensteuersätze, eine Gewerbesteuer auch für die freien Berufe, Festschreiben der heimlichen Steuererhöhungen, Einschränken des Ehegattensplittings. Es ist erstaunlich, was den Genossen alles einfällt, wenn es darum geht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu nehmen.
({3}) Wenn auch diese Steuerexzesse,
({4})
die die SPD plant, von CDU und FDP verhindert werden können, allein die Tatsache, daß die größte Regierungspartei sie propagiert, zerstört Vertrauen. Wer soll denn noch bereit sein, neue Arbeitsplätze und neue Ausbildungsplätze in einem Hochsteuerland zu schaffen, wenn er ständig mit weiteren Steuerdrohungen behängt wird? Deswegen schlage ich vor, daß sich alle Bundestagsparteien darauf verständigen, das Steuergerede ab sofort zu beenden und durch eine Steuergarantie zu ersetzen, nach der die Steuerlast - für die nächsten Jahre jedenfalls - nicht erhöht wird, damit Vertrauen bei Verbrauchern und Investoren wieder zurückkehren kann.
Meine Damen und Herren, es war doch so, daß Deutschland in den 50er und 60er Jahren der beliebteste Industriestandort der Erde war. Hier wurde investiert, Kapital aus aller Welt kam hierher. Hier entstanden die Arbeitsplätze, hier entstanden Beschäftigung und Überbeschäftigung. Jetzt ist es umgekehrt: Das ausländische Kapital kommt gar nicht mehr an, und deutsches Kapital fließt ins Ausland. Deswegen kann man sich doch über Arbeitslosigkeit, die hier eintritt, nicht wundern.
Neben der Förderung unserer wissenschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit, neben der Begrenzung der Lohnstück-, der Energie-, der Zins- und Abgabekosten sind weitere Schritte zur Rückgewinnung der Vollbeschäftigung notwendig. Es fehlen j a inzwischen mindestens 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze. Wer soll sie denn schaffen? Im öffentlichen Dienst ist das doch nicht möglich. Wir haben die Zahl der Staatsdiener in den 70er Jahren ohnehin um 1,1 Millionen erhöht mit dem Ergebnis, daß sich die Personalkosten verdreifacht haben und mit anderen Ausgaben unsere öffentlichen Haushalte erdrücken. Die Großen werden das auch nicht können; AEG ohnehin nicht, aber auch die gesunden Riesen werden diese Arbeitsplätze nicht schaffen.
({5})
- Die „Neue Heimat" auch nicht, die Bank für Gemeinwirtschaft auch nicht, natürlich nicht; wir wollen da keinen ausnehmen. - 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze können aber trotzdem nur im Bereich der Wirtschaft entstehen.
Meine Damen und Herren, wir werden nur dann 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze für abhängig Beschäftigte haben, wenn 20 000 bis 40 000 Bürger den Mut haben, sich selbständig zu machen.
({6})
Auch das ist in einem Klima der Entmutigung, wie es die Politik dieser Bundesregierung geschaffen hat, nicht denkbar. Wir müssen diesen tüchtigen Facharbeitern, Ingenieuren oder Angestellten, die daran denken, selbständig zu werden, den Rücken stärken. Wir müssen ihnen Mut machen. Wir müssen ihnen helfen, das Risikokapital anzusparen. Bei den hohen Zinssätzen kann man das doch nicht nur mit Fremdkapital machen. Wir müssen ihnen durch großzügige Abschreibungen, gegebenenfalls auch Bürgschaften und Zinsverbilligungen unter die Arme greifen. Vor allem müssen wir ihnen den Rükken stärken. Diese Kleinunternehmer sind doch keine Kapitalisten. Das sind die Tragesel der Nation, die nicht an den Urlaub denken, sondern an den Aufstieg der Firma und die dafür schuften. Denen müssen wir Kraft geben.
({7})
Private Initiative freisetzen, statt sie zu lähmen, das ist der einzige Sinn staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Neben der Rückgewinnung der Vollbeschäftigung ist die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen die zweite große Aufgabe der 80er Jahre. Ohne Vollbeschäftigung gibt es keine Haushaltssanierung, und ohne Haushaltssanierung gibt es keine Vollbeschäftigung. Das zeigt die Schwierigkeit einer Situation, in der beide Aufgaben gleichzeitig in Angriff genommen werden müssen, und den schmalen Grat, auf dem wir uns zu bewegen haben.
Die jetzige Überschuldung hindert jedenfalls Staat und Kommunen daran, der stagnierenden Bauwirtschaft, insbesondere im Tiefbau, unter die Arme zu greifen. Die Gemeinden, die zwei Drittel der öffentlichen Investitionen erbringen, haben sie im vorigen Jahr um 3 % reduziert und reduzieren sie in diesem Jahr noch einmal um 12 %, was j a Gift ist. Dabei ist gerade die Bauwirtschaft einer der Motoren der Volkswirtschaft. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt unmittelbar oder mittelbar vom Bau ab. Kleine staatliche Impulse wie etwa die Wiedereinführung der Abzugsfähigkeit eines Teils der Hypothekenzinsen für Häuslebauer - nur als persönlicher Vorschlag - könnte sehr rasch Hunderttausende von Bauherren mit einem Bauvolumen von 30 Milliarden DM aus der Reserve locken. Die staatlichen Vorleistungen würden sich nach meiner Oberzeugung sehr schnell amortisieren. Die jetzige Oberschuldung verhindert Steuersenkungen und führt zu Steuer- und Abgabenkosten, die leistungsfeindlich sind.
Sie führt außerdem zu hohen Zinskosten. Allein 1981 explodierten die staatlichen Zinsausgaben auf 37 Milliarden DM, was 7 % aller öffentlichen Ausgaben ausmacht. Das ist mehr als die Gesamtheit aller öffentlichen Investitionen, die nur noch 6 % ausmachen.
Niedrige Zinsen müssen finanzpolitisch verdient werden. Nehmen wir einmal die Schweiz und Japan als Beispiel. Man muß sich immer die richtigen Vorbilder aussuchen. Sie suchen sich immer die falschen aus.
({8})
Orientieren wir uns an der Schweiz und an Japan. Die Schweiz mit ihrer stocksoliden Haushaltspolitik,
({9})
ein Land, das vom Dollar wesentlich abhängiger ist als die Bundesrepublik Deutschland, beweist, daß man das Abkoppelungsmanöver von den hohen amerikanischen Zinsen im eigenen Hause vornehmen kann und muß. Das ist natürlich nur mit Einsparungen möglich, mit Abstrichen an den Ausgaben, mit einer sehr konservativen Haushaltspolitik, die in der Schweiz dazu geführt hat, daß der Staatsetat sogar mit einem kleinen Kassenüberschuß abgeschlossen hat. Und vor allem: keine Arbeitslosen - 0,4 %, nicht 7,4 % wie bei uns.
Von den notwendigen Einsparungsbemühungen kann nichts von vornherein ausgenommen werden. Die Personalkosten der öffentlichen Hand nennenswert zu senken, ist nur bei einer schrittweisen Verminderung des Personals möglich - selbstverständlich nicht durch Entlassungen, sondern durch Zurückhaltung bei der Wiederbesetzung freigewordener Stellen -, wobei wir uns darüber klar sein müssen, daß nicht die Bürokratie schuld an der Personalvermehrung ist. Bevor Beamte und Angestellte eingestellt werden, beschließen Politiker Stellenpläne. Bevor Stellenpläne beschlossen werden, erfolgen Auftragsüberweisungen an die Verwaltung. Wir müssen erkennen: Wir haben zu viele öffentliche Aufgaben, zu viele und zu komplizierte öffentliche Vorschriften, zu viele Behörden, zu viele Gerichtsinstanzen, zu lange Verfahren und zu lange Prozesse und deshalb zu viele Staatsdiener.
({10})
Das ist ein Wildwuchs, der den Rechtsstaat allmählich fragwürdig macht.
({11})
Hier ist eine Reform notwendig, damit der Rechtsstaat wieder seinen eigentlichen Sinn erfüllen kann.
All das erfordert, ich weiß es, großen politischen Mut. Es wird auch Mut dazu gehören, das gesamte Sozialsystem, das 1982 fast 485 Milliarden DM kostet, auf den Prüfstand zu stellen. Es ist ja so, daß es immer noch Leute gibt, die zuwenig bekommen, aber auf der anderen Seite gibt es viele, die als Trittbrettfahrer zuviel bekommen. Es gilt, umzuschichten und zu konzentrieren auf diejenigen, bei denen wirklich der Bedarf nach wie vor gegeben ist und gedeckt werden muß.
({12})
Das ist nicht leicht bei aufgeregten Interessenverbänden und bei dem Totschlagsargument der sozialen Demontage, das sofort gebraucht wird, wenn auch nur einer anfängt nachzudenken, auch wenn es ein Vorschlag ist, der sicherlich noch überprüfungsbedürftig ist.
Aber Streichungen und Kürzungen allein bringen keinen Erfolg.
({13})
Entscheidend ist der wirtschaftliche Aufschwung. Nur er gibt den Opfern Sinn, die dann von allen getragen werden müssen. Notwendig ist daher eine Offensivstrategie, die Leistungswillen und Leistungskraft freisetzt, eine neue Politik, die den Menschen wieder motiviert. Mit pessimistischen Kanzlervisionen über die große Krise, mit Schuldzuweisungen an die Vereinigten Staaten von Amerika, mit Passivität im eigenen Bereich und Resignation kann kein neues Vertrauen entstehen. Grundlage des Vertrauens kann nur die Wahrheit sein. Wir brauchen daher als erstes eine ungeschönte, wahrhaftige Eröffnungsbilanz
({14})
und darauf aufbauend einige Perspektiven, die Bestand haben und die nicht schon bei ihrer Verkündung überholt sind wie alle die Wirtschafts-, Finanz-und Haushaltspläne, die uns von dieser Bundesregierung seit langem vorgelegt werden. Nur die Rückkehr des Vertrauens in die Beständigkeit und Wahrhaftigkeit der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik kann den Aufschwung einleiten und mit ihm die Konsolidierung der Staatsfinanzen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 13 Jahren sitzen Sie in der Opposition, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Seit 13 Jahren versuchen Sie, Schreckensbilder im Bewußtsein unserer Bürger zu verfestigen.
({1})
Das war heute bei Ihnen, Herr Dregger, etwas, aber nicht viel anders. Auch Sie hat in weiten Teilen Ihrer Rede Ihre eigene Schwarzmalerei eingeholt. Auch Sie gingen von dem Bild einer zerrütteten Gesellschaft und eines zerrütteten Staates aus. Doch das Bild, Herr Dregger, das Sie vermittelt haben, entspricht nicht den Tatsachen.
({2})
Es muß in Ihrer Konzeption alles so schlimm sein, weil Sie es so wollen, weil es in Ihr Konzept paßt.
({3})
Es ist ein Konzept, das in wesentlichen Teilen von Herrn Strauß vor acht Jahren - vor acht Jahren! - unter einem Schwall düsterer Prophezeiungen in Sonthofen entwickelt wurde.
({4})
Zugegebenermaßen gibt es in den Reihen der CDU/ CSU-Fraktion einige Damen und Herren, die Sonthofen jetzt mit Schlagsahne servieren, weil sie merken, daß Sonthofen „pur" natürlich nicht mehr zieht. Der Ratschlag von 1974 - „wir dürfen jetzt nicht aus der Deckung herausgehen" - ist ungeeignet für die Wahrnehmung politischer Verantwortung, damals und erst recht heute. Die von Herrn Strauß in Sonthofen empfohlene Taktik - „Jetzt nur Anklage und Warnen, aber keine konkreten Rezepte" ({5})
ist keine Politik, mit der man glaubhaft ein hohes Staatsamt anstreben kann.
({6})
Sie, Herr Dregger, wollen hessischer Ministerpräsident werden,
({7})
und Herr Kohl strebt das Amt des Bundeskanzlers an.
({8})
- Zu Ihrem Zwischenruf: Das ist Ihr gutes Recht, meine Herren.
({9})
Aber es ist auch das gute Recht des Bürgers, daß Sie jetzt die Deckung verlassen, die Sie hinter unverbindlichen Allgemeinplätzen gefunden haben,
({10})
und sich den drängenden Fragen unserer Zeit stellen. Das hat Herr Kohl vorigen Donnerstag nicht getan;
({11})
Sie, Herr Dregger, haben es heute auch nicht vollständig getan.
({12})
Da sind z. B. folgende Fragen: Wie wollen Sie die soziale Stabilität in unserer Gesellschaft bei engen finanziellen Spielräumen wahren, über die wir heute leider auf Grund weltweiter wirtschaftlicher Verwerfungen nur verfügen können? Wie wollen Sie den sozialen Auftrag des Grundgesetzes erfüllen? Welche Politik wollen Sie konkret zur Überwindung der Arbeitslosigkeit betreiben?
({13})
Gelten in der Sozialpolitik der Unionen die Vorstellungen der Sozialausschüsse und die letzten Äußerungen von Herrn Professor Biedenkopf, oder gilt immer noch das Wort von Franz Josef Strauß, der soziale Leistungen einmal als „materielle Gratifikation" abqualifizierte?
({14})
- Für die Landwirtschaft gilt das voll und ganz, Herr Kiechle; da gebe ich Ihnen recht.
({15})
Es sind ja nun genügend Vorschläge auf dem Tisch, nur Ihre fehlen.
({16})
Nun nehmen Sie wenigstens zu den Vorschlägen der anderen klar Stellung, ganz konkret!
({17})
Wollen Sie das Arbeitslosengeld kürzen? Wollen Sie den Mutterschaftsurlaub angesichts Ihrer auf diesem Gebiet weitergehenden Forderungen abschaffen? Wollen Sie das Wohngeld einschränken? Wie hoch soll nach Ihrer Vorstellung die Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen sein? Ich könnte Ihnen noch eine ganze Latte solcher Fragen stellen. Auf diese Fragen wollen unsere Bürger eine Antwort.
({18})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Aber ja; selbstverständlich, Herr Rawe.
Herr Kollege Löffler, halten Sie es nicht für besser, wenn die Fragen, die Sie an uns richten, zunächst von der Regierung beantwortet werden? Denn dorthin ist ja das Lambsdorff-Papier gegangen.
({0})
Herr Rawe, diese Fragen werden natürlich im Schoße der Regierung beantwortet werden.
({0})
Ich komme im übrigen noch darauf zurück, Herr Rawe. - Sie verweigern beharrlich klare Antworten auf diese drängenden Fragen, auch in dieser Debatte.
Wie wollen Sie mehr Arbeitsplätze schaffen?
({1})
Dadurch, daß Sie die Massenkaufkraft, die für die Binnennachfrage von großer Bedeutung ist, schmälern und dafür Unternehmungen entlasten, in der vagen Hoffnung, daß dann mehr investiert wird?
({2})
„Vage" sage ich deshalb, weil auch ich als ein in Wolle eingefärbter Sozialdemokrat gelernt habe, daß sich Investitionen nach Absatz- und Gewinnerwartungen richten. Wie sollen diese Erwartungen der Unternehmer erfüllt werden, wenn gerade bei den Schichten die Kaufkraft gemindert wird, deren
vergleichsweise niedriges Einkommen voll in den Konsum fließt?
Wie sieht es mit den Vorschlägen des niedersächsischen Ministerpräsidenten aus, der die höheren Einkommen zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit heranziehen möchte und in diesem Zusammenhang auch die Ergänzungsabgabe erwähnte? Wie stehen Sie zu der Auffassung aus dem Berliner Senat, daß in Anbetracht der gegenwärtigen Lage des Arbeitsmarkts auch die Einführung einer Ergänzungsabgabe diskutiert werden muß? Darüber bisher nicht ein Wort.
({3})
Herr Dregger will mit Zinsen und Bürgschaften der Wirtschaft, insbesondere der mittelständischen Wirtschaft, helfen. Sehr geehrter Herr Dregger, schauen Sie in den Haushaltsplan hinein, und schauen Sie in die Protokolle hinein. Es ist ein großer Bürgschaftsrahmen für mittelständische Unternehmen vorhanden. Als wir mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein Zinsverbilligungsprogramm für mittelständische und kleinere Unternehmungen auf den Weg brachten, hat sich Ihre Fraktion versagt. Und jetzt verkünden Sie das von dieser Stelle aus als Ihre Politik!
({4})
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, daß wir einen großen Schuldenberg geschaffen haben. Der ist aber nachrechenbar und kalkulierbar.
({5})
Ihr Berg unbeantworteter Fragen ist eine viel, viel schwerere Hypothek für unsere Republik.
({6})
- Sie bringen mich nicht aus der Ruhe, meine Herren. Ich weiß, daß Sie gegenwärtig der Übermut kitzelt. Lassen Sie ihn ruhig kitzeln; Sie werden schon noch erleben, was danach kommt.
Als vorige Woche Herr Dr. Kohl an diesem Rednerpult stand, huschte ein Zipfel der Weltgeschichte an ihm vorbei. Sie haben ihn nicht ergriffen, Herr Dr. Kohl.
({7})
- Ich will ihn auch gar nicht ergreifen. Ob Sie die Chance dazu noch einmal erhalten, ist fraglich. Näheres darüber können Sie bei Stefan Zweig in „Sternstunden der Menschheit" nachlesen.
({8})
Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind hier in Bonn und nicht in einem Vorort von Sonthofen. Dort konnte vor acht Jahren einer sagen - ich zitiere -:
Die vielen nüchternen, harten Fragen der Landespolitik, also der Strukturpolitik, der Regionalpolitik, wo man viel Sachkunde braucht, viel Detailkunde braucht, unendliches Maß an Fleiß aufwenden muß und trotzdem kein rauschendes Fest damit feiern kann, all das macht nicht die Wahlergebnisse von morgen aus, sondern die Emotionalisierung der Bevölkerung, und zwar die Furcht, die Angst und das düstere Zukunftsbild sowohl innenpolitischer wie außenpolitischer Art.
Noch einmal, meine Damen und Herren von der Opposition: Das reicht nicht, wenn man politische Verantwortung in der Regierung tragen will.
({9})
Die Aussagen zu den wichtigen innen- und außenpolitischen Fragen fehlen bei Ihnen ja nicht deshalb, weil es in Ihren Reihen keine Antworten gibt. Nein, Sie haben schon Antworten, die sind schon vorhanden. Nur: Sie sind nicht einheitlich. Deshalb gibt es keine geschlossene Aktion von Ihnen. Herr Dregger hat natürlich recht: Eine Regierung muß mit einer Zunge reden. Aber eine Opposition, die sich anschickt, Regierungsverantwortung zu übernehmen, darf auch nur mit einer Zunge reden.
({10})
Klare Vorstellungen und Geschlossenheit ersetzen Sie durch einen zackigen Tonfall und durch haltlose Vorwürfe gegen den Bundeskanzler. In der Opposition mag ja der kleinste gemeinsame Nenner, das schlichte Nein, zur Not noch ausreichen. Doch die Einheit durch die Negation eignet sich nicht zur politischen Gestaltung. Dazu braucht man ein klares Ja zu Grundvorstellungen und Maßnahmen. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Wo ist Ihr eindeutiges konkretes Ja?
Bevor Sie, meine Damen und Herren von der CDU, viele Spekulationen anstellen, ob, wann und wie Sie die Regierungsverantwortung übernehmen können, empfehle ich Ihnen einen Bundesparteitag, möglichst gemeinsam mit der CSU. Auf diesem Bundesparteitag sollten Sie Ihr politisches Programm beraten und beschließen und damit verbindlich machen für beide Unionen; denn erst kommt die neue Politik, und dann kommen die neuen Mehrheiten, die man sich möglichst von den Bürgern besorgen sollte.
({11})
Wahrheit und Klarheit sind auch in der Politik wichtige Prinzipien. Auf die Einhaltung dieser Prinzipien hat der Bürger in der Demokratie einen unbedingten Anspruch. Erfüllen Sie ihn! Herr Dregger, Sie gelten als der Mann, der Recht und Ordnung vertritt. Das tue ich auch,
({12})
damit es da keine Mißverständnisse gibt. Doch, Herr Dregger, ich habe das Empfinden, wenn Sie von Recht und Ordnung sprechen, hat das den Beigeschmack, als wollten Sie damit die Gesellschaft auf einem ganz bestimmten Entwicklungsstand festhalten,
({13})
der oben und unten klar unterscheidet, der Kritik und Zustimmung, Protest und Anpassung innerhalb der Gesellschaft unterschiedlich behandeln will.
({14})
- Herr Dr. Stark, das mag ja möglich sein. Dann müßte Herr Dregger klarstellen, was er vorhin gesagt hat.
({15})
- Herr Dr. Kohl, durch Zwischenrufe verändern Sie nicht die politische Landschaft. Sie haben in der vorigen Woche Gelegenheit gehabt, klar zu sagen, wie sich ein Kanzler Kohl eine Bundesrepublik Deutschland vorstellt.
({16})
Recht und Ordnung sind für uns Sozialdemokraten Voraussetzung für die freie Entfaltung des Menschen, für seine Selbstverwirklichung. Sie sind keineswegs Mauern, die bestehende Auffassungen gegenüber neuen Vorstellungen und neuen Empfindungen unangreifbar machen sollen. Wer in einer komplizierten Industriegesellschaft verantwortungsvoll Politik machen will, darf nicht bei Ordnungsprinzipien an Pupillenerweiterung leiden,
({17})
gleichzeitig jedoch bei Gesellschaftsproblemen die Augen verschließen. Herr Dr. Dregger, das scheint mir bei Ihnen manchmal der Fall zu sein. Die Probleme in Gesellschaft und Wirtschaft werden doch nicht auf SPD-Parteitagen erfunden - das muß man doch einmal feststellen -, sondern sie sind einfach da, sie werden von den Menschen in unserem Lande so aufgenommen und empfunden.
Ich glaube auch nicht, daß alles, was da an Ängsten formuliert ist, berechtigt ist. Doch die Menschen wollen Antworten auf ihre Ängste. Diese Antworten haben wir zu geben,
({18})
wir in diesem Saal. Statt dessen schüren Sie Ängste, verweigern Antworten und steigern damit noch die Unruhe in unserer Gesellschaft.
({19})
Was sagt z. B. die Opposition zu der Bedrohung unserer natürlichen Umwelt, zum Wettrüsten mit Atomwaffen in der Welt, zum Hunger in den armen Ländern, zur Entwicklung der Technik, die von vielen Menschen, Herr Dregger, als Bedrohung ihres bisherigen Lebensgefühls empfunden wird? Das müssen wir sehen. Was sagen Sie zu der Wirtschaftskrise in der Welt, zu den vielen anderen Krisen, die unsere Erde nicht zur Ruhe kommen lassen? Was sagen Sie zur Politik des friedlichen Ausgleichs unter den Völkern, wie sie von der gegenwärtigen Bundesregierung betrieben wird? Auch hier keine verständlichen Antworten, die Hoffnung vermitteln. Die Union fehlt weitgehend bei den Auseinandersetzungen über diese großen Fragen in der Gesellschaft. Statt dessen unterstellen Sie denen politische Unzuverlässigkeit, die sich in der Diskussion den Problemen stellen. Das sieht in concreto so aus, daß mein Pfarrer sagt: „Willst du nicht in den Gemeindekirchenrat eintreten, damit du dort mit die Friedensdiskussion führen kannst?" Ich sage: „Dann gehe doch einmal zu den Gemeindemitgliedern, die der CDU angehören; die gehen da einfach gar nicht hin, die gehen auf Tauchstation."
({20})
Eine politische Gruppierung, die nur andere anklagt, nur schwarz in schwarz malt, kann durch ihre Politik keine Hoffnung vermitteln. Im Gegenteil: Sie schürt Ängste, und sie hofft, daß sich die Ängstlichen in die Arme der Angstmacher flüchten. Vorsicht, meine Damen und Herren, so stark sind Ihre Arme nicht! Der Schaden, der aus einer solchen Strategie entstehen kann, tritt, nebenbeigesagt, bei uns allen ein. Es ist ein Schaden an unserer Demokratie.
({21})
Der Haushalt, den wir heute beraten, entspricht im weitesten Sinne einer gesellschaftlichen Grundvorstellung, auf die sich die beiden Koalitionsparteien verständigt haben.
({22})
Diese Verständigung war möglich, weil die Aussagen in den Programmen von SPD und FDP in diesem Punkt starke Ähnlichkeit haben.
({23})
Im Godesberger Programm heißt es:
Sozialpolitik hat wesentliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich der einzelne in der Gesellschaft frei entfalten und sein Leben in eigener Verantwortung gestalten kann. Gesellschaftliche Zustände, die zu individuellen und sozialen Notständen führen, dürfen nicht als unvermeidlich und unabänderlich hingenommen werden. Das System sozialer Sicherung muß der Würde selbstverantwortlicher Menschen entsprechen.
In den Freiburger Thesen von 1971 lesen wir dazu:
Freiheit und Glück des Menschen sind für einen solchen Sozialen Liberalismus danach nicht einfach nur eine Sache gesetzlich gesicherter Freiheitsrechte und Menschenrechte, sondern gesellschaftlich erfüllter Freiheiten und Rechte. Nicht nur auf Freiheiten und Rechte als bloß formale Garantien ... gegenüber dem Staat, sondern als soziale Chancen in der alltäglichen Wirklichkeit der Gesellschaft kommt es ihm an.
Wir Sozialdemokraten haben nicht die Absicht, uns von unserer programmatischen Aussage zu trennen und damit die Gemeinsamkeit mit unserem
Koalitionspartner in diesem Punkte aufzukündigen.
Diesen beiden Programmaussagen stelle ich das Wort des Herrn Strauß von der „Gratifikation" gegenüber. Gratifikation bedeutet: freiwillige Vergütung, Sonderzuwendung. Wer unsere sozialen Leistungen so bezeichnet, hat ein gebrochenes Verhältnis zur sozialen Ausgewogenheit und damit zum Frieden in unserer Gesellschaft.
({24})
Aber eine solche Haltung schmälert auch die Ausstrahlungskraft der demokratischen Systeme auf die Völker, die unter ideologischem Druck und in Unfreiheit leben müssen. Glaubt denn irgendeiner, daß wir mit dem Bild der bürgerlichen Gesellschaft aus dem vorigen Jahrhundert am Ende des 20. Jahrhunderts für unsere demokratischen Systeme werben können?
({25})
- Eben, und das müssen Sie sich einmal genau durch den Kopf gehen lassen.
({26})
Es ist in einigen Kreisen geradezu ein Sport geworden, unser Sozialsystem schlechtzumachen.
({27})
Da hat jeder sein negatives Beispiel bei der Hand.
({28})
Meistens geschieht das durch Leute, deren Wiege auf der Sonnenseite des Lebens stand, für die höhere Bildung, gute berufliche Stellung und hohes Einkommen fast eine selbstverständliche Mitgift sind. Im übrigen sind das die gleichen Leute, die sich bei gesetzlichen Regelungen, die ihre Interessen berühren,
({29})
z. B. bei der Steuergesetzgebung, sehr laut und vernehmlich äußern. Ein Beispiel dafür haben wir gestern bei Herrn Häfele erlebt.
Hören wir doch einmal die betroffenen Menschen selbst! Hören wir das, was sie von dem sozialen Sicherungssystem, das für sie da ist, denken. Dann würde manches schiefe Bild wieder gerade werden.
Zum Menschenbild der Sozialdemokraten paßt nicht der Mißbrauch von gesellschaftlicher Solidarität. Werfen Sie uns deshalb also nicht immer vor, daß wir den Mißbrauch förderten. Helfen Sie vielmehr, jene sittlichen Grundlagen zu verfestigen, die Mißbrauch verhindern. Am besten helfen Sie durch gute Vorbilder jener, die das Streben nach Eigennutz als eine Selbstverständlichkeit betrachten.
({30}) An die müssen wir uns auch wenden.
({31})
- Wissen Sie, da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Das, was in der Neuen Heimat geschehen ist, wird doch von mir nicht verteidigt oder gebilligt, Herr Haase! Aber soll ich Ihnen dann, wenn Sie „Neue Heimat" sagen, jetzt die Latte der anderen Beispiele herunterbeten, oder wollen wir alle uns nicht darum bemühen, die sittlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens so zu gestalten, daß es keinen Mißbrauch mehr gibt?
({32})
- Na also! Nur müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Mit den sozialen Leistungen sind die Grundwerte angesprochen, die wir Sozialdemokraten in der Gesellschaft verwirklichen wollen: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Grundwerte stehen für uns nicht in jeder finanziell schwierigen Lage zur anderweitigen Verfügung; wir halten an ihnen fest, auch in schwerer Zeit.
({33})
Da werden mir doch sicher alle Fraktionen zustimmen, weil sie zum Teil den gleichen oder ähnlichen Grundwerten verpflichtet sind.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß ein soziales System nicht unabhängig von der Leistungskraft der Wirtschaft gesehen werden kann.
({34})
Darin brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht. Doch die Grundwerte Gerechtigkeit und Solidarität bedingen, daß Einschnitte und Lasten gleichmäßig verteilt werden müssen, wobei die Stärkeren ruhig etwas mehr tragen können.
({35})
Grundsätzlich gibt es jedenfalls in unserer Gesellschaft keine Gruppen, die sich als besser oder wichtiger als andere empfinden dürfen. Deshalb kann es auch für keine Gruppe fest verankerte Vorteile, die unantastbar sind, geben.
Wir wissen auch, daß nur ein finanziell abgedecktes Sozialsystem Sicherheit für die Menschen bringt. Deshalb sind wir auch zu Anpassungen bereit. Aber wir wollen nicht, daß uns jedes aktuelle Haushaltsdefizit gesellschaftspolitisch in Richtung 19. Jahrhundert schubst. Die Frage der Anpassung sollte gelöst werden. Losgelöst von aktuellen Haushaltsereignissen sollten wir sie intensiver beraten. Die Grundzüge unseres sozialen Systems sollten eigentlich aus dem Parteienstreit herausgehalten werden. Da stimme ich dem zu, Herr Dregger, was Sie gesagt haben, und will es hier ausdrücklich noch einmal verfestigen: Wir müßten uns überlegen, ob es nicht dort einen großen Konsens geben sollte; denn unser Sozialsystem hat für die Gesellschaft fast die gleiche
Bedeutung wie das Grundgesetz für den Staat. Wir Sozialdemokraten sind zu dieser Mitarbeit an der großen gesellschaftlichen Aufgabe, die vor uns allen liegt, bereit.
Im Haushalt 1983 werden Einschnitte vorgenommen. Von Opfern möchte ich nicht sprechen. Ein Volk wie das unsrige, das in diesem Jahrhundert eine furchtbare Geschichte hinter sich bringen mußte, weiß, was Opfer sind. Das ist nicht zu vergleichen, nicht auf die gleiche sprachliche Ebene zu heben mit dem, was in den Begleitgesetzen steht. Bitte etwas mehr Augenmaß in der Sprache, auch in der Sprache des Protestes! Das dient dann auch der besseren Verständigung.
Bei dem vielen Gerede um den Haushalt 1983 geht unter, daß 1,5 Milliarden DM zusätzlich für beschäftigungsfördernde Maßnahmen ausgegeben werden. Zusammen mit den 1,7 Milliarden DM aus der Gemeinschaftsinitiative sind das 3,2 Milliarden Mark. Das ist schon etwas. Allerdings wird es nicht ausreichen, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Aber die Ehrlichkeit gebietet es, zu sagen, daß keiner - auch Sie nicht, auch andere nicht - ein Patentrezept dafür in der Tasche hat. Wir werden da im weiteren Fortgang der Diskussion hören, was die einzelnen zu der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu sagen haben.
Die Redner der Opposition haben gestern wieder bemängelt, daß die Grunddaten des Haushalts nicht mehr stimmen. Dabei tun sie so, als hätten sie heute schon bessere Prognosen als diejenigen, die bei der Beratung des Haushaltsentwurfs vorlagen.
({36})
Herr Dr. Häfele hat in diesem Zusammenhang in der vorigen Woche den Satz geprägt: Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche Entwicklung. Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Ich frage mich nur, wo die Giftmischer sitzen.
({37})
Die Unsicherheit wird doch aus Besserwisserei, Anmaßung und Unterstellung zusammengemixt. Dabei kann heute keiner mit Genauigkeit sagen, wie z. B. die wirtschaftliche Entwicklung in zwölf Monaten verlaufen wird.
({38})
Wir wissen es nicht, und Sie von der Opposition wissen es auch nicht. Wenn nachher der Zeitpunkt eingetreten ist, kann natürlich eine Prognose bestätigt oder nicht bestätigt werden. Das ist nun einmal so bei Prognosen.
({39})
Deshalb sollte man nicht so tun, als seien Prognosen eine vorweggenommene Wirklichkeit. Prognosen müssen stets unsicher sein, was das Endergebnis betrifft. Bei dem Streit um die Prognosen verschweigen Sie z. B. - nein, Herr Friedmann nicht mehr -, daß es bedingte und unbedingte Prognosen gibt. Die bedingten Prognosen bewegen sich in dem Schema „wenn das, dann jenes". Um solche Prognosen handelt es sich bei den Grunddaten des Haushalts. Sie aber tun mit Ihren Vorwürfen so, als gäbe es unbedingte Prognosen, die den Eintritt eines Ereignisses unabdingbar voraussagen. Solche Prognosen gibt es nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht. Sie kann es nach menschlichem Ermessen auch nicht geben, es sei denn, man betriebe Wahrsagerei und bezeichnete das als exakte Wissenschaft. Unser aller Aufgabe kann es doch nicht sein, ständig wechselnden Prognosen nachzulaufen, sondern wir müssen dafür sorgen, daß sich schlechte Prognosen gar nicht erst erfüllen.
Lassen wir also diesen Streit und bleiben wir bei dem Fahrplan, den der Finanzminister gestern vorgetragen hat. Wer anders verfahren will, will Schwierigkeiten zum Chaos aufbauschen. Das ist nicht gut für unser Land und deshalb nicht verantwortungsbewußt.
Im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik möchte ich noch ein anderes Thema ansprechen. Der Kollege Dr. Manfred Langner hat in einer Pressekonferenz am 14. September dieses Jahres der Bundesregierung den „drohenden Staatsbankrott" vorgeworfen. Der Kollege Langner hat seine Worte offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Im übrigen hat er auch vorher nicht in ein Lexikon geguckt. Es ist ganz gut, wenn Abgeordnete das ab und an tun. Dann hätte er nämlich gelesen, was er als Finanzexperte der CDU/CSU-Fraktion noch nicht wußte: daß es zwei Formen des Staatsbankrotts gibt, den offenen und den verschleierten.
({40})
Bei offenem Staatsbankrott verweigert der Staat die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten aus der Kreditaufnahme ausdrücklich.
({41})
- Wenn es Ihnen Spaß macht: Lachen Sie ruhig! Glauben Sie doch nicht, daß ich allzu große Hoffnung habe, mit Ihnen in ein sachliches Gespräch zu kommen.
({42})
Da gibt es einige. Aber insgesamt: Die Hoffnung ist nicht so groß. Insofern schmeißen Sie mich nicht aus der Ruhe raus, und Sie schon gar nicht, Herr Dr. Friedmann.
({43})
Bei offenem Staatsbankrott verweigert der Staat die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten aus der Kreditaufnahme ausdrücklich. Das ist ein Staatsbankrott, der meist nach Revolutionen eintritt. Der Staat will bewußt nicht mehr zahlen. Davon kann in der Bundesrepublik Deutschland wahrlich nicht die Rede sein.
Beim verschleierten Staatsbankrott entledigt sich der Staat seiner Verpflichtungen, indem er eine inflationäre Entwicklung betreibt. Aber von einem Land, meine Damen und Herren von der Opposition, das mit der Preissteigerungsrate im internationalen
Vergleich an zweiter Stelle steht, kann man doch nicht sagen, daß in ihm bewußte Inflationierung betrieben wird.
({44})
Im übrigen genießt die Bundesrepublik Deutschland eine ausgezeichnete Kreditwürdigkeit in der Welt. Wir liegen mit den USA und Japan an der Spitze der Kreditwürdigkeit. Wir haben mehr Angebote, als wir aufnehmen können.
Dieses Wort vom Staatsbankrott paßt in das Bild der Angstmacherei und der Verdrehung von Tatsachen.
({45})
Das ist, lieber Kollege Dr. Langner, kein sachlicher Beitrag. Schönen Dank. Die Ansichtskarte von Sonthofen ist angekommen, geht aber in den Papierkorb wie alles andere, was aus dieser Ecke kommt.
({46})
Wenn Sie jeden Haushalt der Bundesregierung ablehnen, dann nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, was wir mit diesen Haushalten geleistet und bewirkt haben.
({47})
Da sind doch Milliarden Mark nicht in irgendwelchen Taschen oder Kanälen verschwunden, sondern
das Geld haben wir für unsere Bürger ausgegeben.
Im Gegensatz, sehr geehrter Herr Dr. Stark, zu vielen Ihrer Fraktionskollegen, die wegen der möglichen Weitergabe von Ernennungsurkunden in der nächsten Zeit die Sternstunde geradezu krampfhaft herbeiziehen und einen riesigen Wortschwall von sich lassen, damit vielleicht ein Kanal, den sie aufreißen, ihnen eine Ernennungsurkunde bringt, habe ich die Sternstunde nicht nötig. Ich bin der politischen Sachlichkeit verpflichtet.
({48}) Und daran will ich mich halten.
({49})
Dafür, was wir mit diesem Geld getan haben, nur ein paar Beispiele. In der sozialliberalen Koalition ist für Technik und Forschung mehr Geld ausgegeben worden als in jeder anderen Epoche der Geschichte der Bundesrepublik. Insofern, sehr geehrter Herr Kollege Dregger, haben wir Technik nicht blockiert, sondern sie in vielen Bereichen überhaupt erst auf den Weg gebracht, damit sie für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung nutzbar wird.
Seit 1975 sind rund 80 % der Summe der Staatsverschuldung durch Steuerentlastungsprogramme den Steuerzahlern zugeflossen.
Im übrigen, sehr geehrter Herr Dregger, kann ich natürlich auch die Schweiz als Beispiel heranziehen.
({50})
- Wissen Sie, Herr Kolb, Sie machen mir immer große Freude. Sie lesen immer bloß das, was die Geschäftsführer der Union Ihnen auf den Tisch legen.
({51})
Sie müssen sich wirklich mal aus neutralen Quellen informieren. Dann würden Sie wissen, daß die Schweiz eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung als die Bundesrepublik Deutschland hat.
({52})
- Na j a; gut.
({53})
- Nein; jetzt nicht. Ich komme zum Ende, lieber Herr Kolb. Es lohnt sich nicht. Sie können es ja.
({54})
Das Realeinkommen eines verheirateten Industriearbeiters mit zwei Kindern ist in Deutschland von 1976 bis 1981 um 14 % gestiegen. Sein Kollege in Frankreich hatte im gleichen Zeitraum nur eine Steigerung von 0,5 %. Auch das ist eine Auswirkung unserer Finanzpolitik.
Oder nehmen wir das Kindergeld: 1974 gab es für 2,4 Millionen Familien 3,2 Milliarden DM Kindergeld. Heute erhalten 8,4 Millionen Familien rund 17 Milliarden DM für ihre Kinder. - Ist das die „Familienfeindlichkeit", die Sie uns z. B. vorwerfen?
Der Lebensstandard ist ebenfalls gestiegen. Der private Verbrauch je Einwohner wuchs von 1965 bis 1981 um 60 % oder, in absoluten Zahlen, von 9 100 DM auf 14 500 DM. Die Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren von der Opposition, ist kein Armenhaus, zu dem Sie sie gerne herunterstilisieren wollen, weil das in Ihr politisches Konzept paßt. Auch wenn wir unseren Bürgern Einschnitte zumuten müssen, wir sind kein Armenhaus, wir sind eine Wohlfahrtsgesellschaft, nach wie vor.
({55})
Von 1977 bis 1979 sind durch staatliche Zusatzmaßnahmen rund 900 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Wie sähe denn die Arbeitslosenquote aus, wenn wir diese Politik nicht betrieben hätten? Der Haushalt 1982, die Gemeinschaftsinitiative und der künftige Haushalt bringen steuerliche Anreize für ein Investitionspotential in Höhe von etwa 20 Milliarden DM.
Diese Leistungen - und man kann die Reihe dieser Leistungen noch fortsetzen - sind ein großer gesellschaftlicher Aufbruch, den wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner zustande gebracht haben. Sie werden an diesem Aufbruch nicht vorbeikommen. Und wir haben nicht die geringste Veranlassung, sehr geehrter Herr Dregger, uns aus der Verantwortung zu schleichen. Natürlich akzeptieren wir Entscheidungen, die nach den Bestimmungen des Grundgesetzes zustande kommen. Wir sind ja Demokraten, und wir wissen, daß der Wechsel möglich sein muß. Aber Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, legen Sie zunächst einmal die Karten auf den Tisch! Die Karte im Ärmel zählt nicht in der Demokratie.
Lassen Sie mich mit drei Bemerkungen zum Haushalt 1983 meine Rede beenden.
Erstens. Das ist ein Haushalt der Bewährung für uns alle. Trotz aller Schwierigkeiten ist er der wirtschaftlichen Situation angepaßt. In ihm sind Einsparungen vorgenommen und zusätzlich Beschäftigungsimpulse verankert worden.
Zweitens. Der Haushalt zeigt eindeutig das Bestreben nach Gerechtigkeit, indem die Belastungen so gleichmäßig verteilt worden sind, wie es möglich war.
Drittens. Die Alternativen der Opposition sind bis jetzt nur besserwisserische Anklagen. Sie ist aufgefordert, ausdrücklich aufgefordert, zur sachlichen Mitarbeit. Und an dieser sachlichen Mitarbeit werden wir und wird das Volk ihre künftige Regierungsfähigkeit erkennen. - Nun mal ran, meine Damen und Herren von der Opposition!
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Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation des Althing der Republik Island Platz genommen. Ich habe die Ehre, seine Exzellenz, den Präsidenten des Althing, Herrn Jon Helgason, und die Mitglieder der Delegation sehr herzlich zu begrüßen.
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Ich wünsche Ihnen einen ebenso angenehmen wie nützlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dregger hat heute morgen hier auch eine klare Frage gestellt, nämlich die Frage, ob Graf Lambsdorff ein Einzelkämpfer sei. Klare Antwort: Graf Lamsdorff ist sicher kein Einzelkämpfer, er erfreut sich der Solidarität seiner Fraktion, bei einigen Mitgliedern auch kritischer Solidarität. Er erhält viel Zustimmung im Land, neben Kritik, die sicher erwähnenswert ist, auch einige Kritik im Grundsätzlichen, viel Kritik im Detail. Graf Lambsdorff hat zu einer offenen, fairen Diskussion aufgerufen. Wir erwarten, daß diese Diskussion so geführt wird, wie sie bei uns geführt werden wird: fair, sachlich und in der Absicht, diesem Lande zu dienen. Wir hoffen, daß sich alle die, die eingeladen worden sind, sich an dieser Diskussion zu beteiligen, des gleichen Verfahrens bedienen werden, wie wir dies in der Fraktion tun werden.
({0})
Meine Position in dieser Frage ist unbestritten klar.
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Kollege Glos, bitte.
Verehrter Herr Kollege Cronenberg, ich möchte Sie nur fragen, ob diese Formel der FDP-Fraktion rechtzeitig ausgegeben worden ist und ob sie auch die Frau Matthäus-Maier verpflichtet?
Sie können sicher sein, daß die Kollegin Matthäus-Maier in einem ungewöhnlich hohen Umfang zur Solidarität dieser Fraktion beiträgt.
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Zweitens kann ich Ihnen versichern, daß in dieser Fraktion keine Formeln oder Direktiven ausgegeben werden.
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Meine Damen und Herren, die Hauptaufgabe unserer Volkswirtschaft heißt 1983: Fortsetzung des notwendigen Strukturwandels. Dieser Strukturwandel in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft ist notwendig, weil wir uns an die veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen anpassen müssen und weil wir im Lande verursachte Fehlentwicklungen korrigieren müssen. Nur wenn es uns gelingt, diese Anpassung vorzunehmen, können wir unsere Wachstums- und Beschäftigungsprobleme lösen. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe für Haushalts-, Finanz-, Wirtschafts- und nicht zuletzt auch Sozialpolitik. Die Haushaltsbeschlüsse vom 1. Juli 1982 und die zur Umsetzung dieser Beschlüsse eingebrachten Gesetzesvorlagen sind nach meiner festen Überzeugung richtige Schritte auf diesem bitteren Weg.
Worum geht es? Es geht darum, die investiven Kräfte zu stärken und die Wachstumschancen zu verbessern. Es geht darum, die Leistungsbereitschaft und die Leistungsmöglichkeiten für Unternehmer und Arbeitnehmer zu erhöhen, und dies kann nur gelingen, wenn die öffentlichen Defizite in den Haushalten wirksam begrenzt werden, wir den Anstieg der Sozialleistungen in den Griff bekommen und, soweit möglich und notwendig, deren Anteil am Bruttosozialprodukt senken, das Vertrauen in die Leistungskraft unserer Wirtschaft erhöht wird und - meine Damen und Herren, das sage ich selbstkritisch - das Vertrauen aller in der Wirtschaft Tätigen in die Politik wieder hergestellt wird.
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Dies stellt bisher nicht gekannte Anforderungen an alle Politiker, auch an die Politiker der Opposition. Kein Politikbereich ist davon ausgenommen, und offenbar ist es unvermeidbar, daß diese Schwierigkeiten immer wieder zu Belastungsproben führen, Belastungsproben mit Interessenverbänden ebenso wie Auseinandersetzungen in den Fraktionen und in den gesellschaftlich relevanten Gruppen dieser Gesellschaft. Aber verkennen wir auch nicht: Bei all
diesen Auseinandersetzungen ist das Bemühen um den richtigen Weg im Interesse dieser Gesellschaft nicht zu verkennen, und diesen Ansatz sollten wir alle gemeinsam begrüßen.
Diese Belastungsproben können wir aber auch nur bestehen, wenn wir den Blick vor den Realitäten, so unerfreulich sie auch immer sein mögen, nicht verschließen. Die Realitäten sind:
Die 60er Jahre mit ihren hohen wirtschaftlichen Zuwachsraten sind vorbei. In allen Industrieländern gehen Wachstum, Außenhandel, Realeinkommen zurück, und insbesondere leiden auch diejenigen Länder, die unsere Produkte abnehmen, unter Inflation und Arbeitslosigkeit, und dies ist für uns als exportabhängiges Land von ganz besonderer Bedeutung.
Die Staatsverschuldungen nehmen überall zu. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit aller Offenheit feststellen, daß es für mich und manche meiner Kollegen gestern nicht einfach war, dem Nachtragshaushalt zuzustimmen. Er war für uns eine Enttäuschung. Denn natürlich hatten wir gehofft, daß uns mit der Einbringung des Haushalts 1982 solche Bitterkeiten erspart geblieben wären.
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Nun steht endgültig fest: Wir geben mehr aus, als wir einnehmen. Zur Lösung dieser Problematik gibt es im Grunde genommen nur drei Möglichkeiten: Entweder wir verschulden uns noch mehr, oder aber
wir erhöhen die Abgaben der Bürger, oder wir bemühen uns, noch wirksamer zu sparen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wir bejahen selbstverständlich Steuermehreinnahmen infolge von mehr Leistungen. Aber wir halten es für unerträglich, wenn immer weniger Leistungen mit immer mehr Abgaben belastet werden. Das ist für die Volkswirtschaft tödlich.
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Wir müssen in diesem Zusammenhang auch immer wieder darauf hinweisen, daß bei aller Zustimmung, die wir für solche Forderungen auch bei der Opposition finden, bestimmte Forderungen, die an den Haushalt gerichtet werden, unseren Bemühungen um Konsolidierung widersprechen. Kollege Dregger, ich kann es Ihnen nicht ersparen, in diesem Zusammenhang die zivile Verteidigung zu erwähnen. Dem Kollegen Wörner kann ich es nicht ersparen, den Verteidigungshaushalt zu erwähnen. Dem Kollegen Geißler kann ich es nicht ersparen, in diesem Zusammenhang den Sozialhaushalt zu erwähnen. All die Ansprüche, die dort zusätzlich angemeldet werden, verschärfen notwendigerweise die Problematik der Konsolidierung. Das kann in dieser Situation für unsere Volkswirtschaft nur schädlich sein.
({5})
Im letzten Jahrzehnt ist die Kreditfinanzierung des Bundeshaushalts von knapp 1 % auf 15 % gestiegen. Herr Kollege Dregger, es muß mit aller Ehrlichkeit festgestellt werden: Diese Steigerungen sind nicht zuletzt auf die Ausgabendynamik der Sozialleistungen zurückzuführen.
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Die Sozialleistungsquote stieg - ich habe das von dieser Stelle aus schon mehrmals gesagt - von 20 % des Bruttosozialprodukts im Jahr 1960 auf mehr als 30 % im Jahr 1980.
Man muß in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Dregger, leider immer wiederholen, weil es nicht bekannt ist: Die größten Ursachen für diese Ausgabensteigerungen liegen in der Zeit der Großen Koalition.
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Kollege Gärtner hat gestern darauf hingewiesen. Ich erwähne die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Steigerung der Versicherungsbeiträge von 14 auf 18 % und die Entscheidung, wo die Koalition kurzfristig die Mehrheit verlor und kurzfristig das gemeinsame Werben um Wählerstimmen die 72er Situation ergab: Gemeinsamkeiten von SPD und CDU/CSU in der Rentenversicherung.
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Meine Damen und Herren, auch dies muß man immer wiederholen: Aus den folgenden Jahren, jedenfalls aus der Zeit, in der ich die Dinge aktiv mitgestalten durfte, kenne ich keinen Fall, wo die CDU/ CSU als Opposition den Ausbau von Sozialleistungen nicht als unzureichend kritisiert und die Problematik durch zusätzliche Anforderungen verschärft hat.
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Insoweit, meine Damen und Herren, ist mir manche Stellungnahme in der heutigen Zeit, in dieser konkreten Situation schlechterdings unverständlich.
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- Wenn Sie immer wieder so sehr auf Ihre eigene Verantwortung pochen, dann haben Sie auch die Verpflichtung, in der Opposition zu dieser Verantwortung zu stehen.
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Es übersteigt unsere Möglichkeiten, unsere bisherige Sozialpolitik fortzusetzen. Kein Weg führt daran vorbei: Das inzwischen erreichte Sozialleistungsniveau ist nicht mehr finanzierbar. Wir müssen dem Anstieg der öffentlichen Transferleistungen im weitesten Sinne Einhalt gebieten. Natürlich kann und wird eine solche Politik nicht populär sein. Ich mache kein Hehl daraus: Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen unterstreichen dies.
Trotzdem müssen wir auf diesem richtigen Weg weitergehen. Wer bei 2 Millionen oder fast 2 Millionen Arbeitslosen eine Wende immer noch für über6994
flüssig hält, hat die Dramatik der Entwicklung nicht begriffen.
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Die Trendwende in der Haushalts- und Sozialpolitik, die Wende zum Realismus, wie der Bundeskanzler richtigerweise gefordert hat, kann wegen der Größe der anstehenden Probleme selbstverständlich nur in mehreren Schritten erfolgen.
Wir Freien Demokraten sind uns bewußt: Für die erforderliche Bewältigung der vor uns liegenden Anpassungsaufgaben benötigen wir den sozialen Frieden. Der soziale Konsens in unserem Land ist ein ganz wichtiger Aktivposten in unserer volkswirtschaftlichen Bilanz. Er hilft, den Bestand unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu sichern. Richtschnur für diesen Konsens kann aber nicht ein Sozialleistungsniveau sein, das wir nicht mehr finanzieren können.
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Wenn dieses Niveau nicht durch eigene Leistung, sondern nur durch die Aufnahme von Schulden gehalten werden kann, dann sind Korrekturen unvermeidlich.
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Man muß es immer wiederholen: Sozialleistungen auf Pump, Sozialleistungen zu Lasten der nächsten Generation bewirken keine soziale Sicherheit, sie bewirken keinen sozialen Frieden; sie werden das Gegenteil erzeugen.
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Aus der Sicht der Freien Demokraten muß auch Sozialpolitik möglichst leistungsbezogen sein. Wer lange und hoch, z. B. in die Rentenversicherung, eingezahlt hat, muß auch die höheren Leistungen empfangen. Die Rente ist eben nicht das in Einheitsverpackung verabreichte Gnadenbrot des Staates, sondern das Ergebnis früherer Leistung. Je einleuchtender das Verhältnis zwischen der gegebenen und der empfangenen Leistung ist, desto größer ist auch die Bereitschaft, für die Solidargemeinschaft Opfer zu bringen. Je enger die persönlichen Bezüge, je individueller die Ansprüche, je größer die Personalisierung in der Sozialpolitik, desto geringer die Mißbrauchsmöglichkeiten. Dies ist ein Plädoyer für die Festigung der Solidargemeinschaft. Es macht die Verantwortung des einzelnen für die Solidargemeinschaft deutlich.
Eigenverantwortung und Eigenvorsorge haben in der Sozialpolitik einen hohen Stellenwert. Je größer die Eigenleistung, desto geringer die Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft. Eigene Vorsorge kann aber nur von demjenigen erwartet werden, der die Chance zur Leistung erhält und der leistungsfähig ist.
Chance zur Leistung für möglichst alle setzt aber voraus, daß wir die Wachstumsschwäche und damit die Arbeitslosigkeit beseitigen. Deswegen dürfen
Abgabenlast und Staatsverschuldung nicht weiter steigen;
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sonst steigen die Risiken für Wachstum und Beschäftigung. Gerade der soziale Friede gebietet die Verlagerung von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben. Anderenfalls werden keine neuen, wettbewerbsfähigen Arbeitsplätze geschaffen, sondern bestehende Arbeitsplätze gefährdet. Der Zusammenbruch unseres sozialen Sicherungssystems, unseres sozialen Leistungssystems wäre sozusagen vorprogrammiert.
Wir Freien Demokraten wollen und müssen die Substanz der sozialen Sicherheit erhalten. Wer an nicht mehr finanzierbaren Sozialleistungen festhält, verschärft die Wachstums- und Beschäftigungsprobleme. Er wird mitschuldig daran, daß weitere Betriebe aufgeben müssen. Davon wären vor allem besonders beschäftigungsintensive Betriebe im mittelständischen Bereich betroffen.
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In diesem Jahr steigt die Zahl der Pleiten, insbesondere der mittelständischen Pleiten, besorgniserregend. Diese Pleiten sind sehr häufig auf mangelndes Eigenkapital der Betriebe zurückzuführen. Das Eigenkapital der Firmen ist von 40 % ihrer Bilanzsumme auf zur Zeit 20 % der Bilanzsumme gesunken.
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Umgekehrt proportional ist die Zahl der Pleiten gestiegen. Ob es einem paßt oder nicht: Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Höhe der Abgaben, der Höhe des Gewinns und dem Eigenkapital.
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- Es ist eben noch keiner meiner Kunden pleite gegangen, weil er zuviel Geld hatte. Das ist zwar eine ganz simple, aber deswegen nicht falsche Feststellung.
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- Es ist niemandem verwehrt zuzuhören, Herr Kollege Haase. - Wer auf zusätzliche Abgabenerhöhung, auf Neuverschuldung setzt, gefährdet weitere Betriebe
({21})
und sollte dann auch offen sagen, daß in erheblichem Umfang rentable mittelständische Betriebe ihn nicht mehr sonderlich interessieren. Wir brauchen nicht zusätzliche steuerverbrauchende Beschäftigte im öffentlichen Dienst oder in subventioCronenberg
nierten Unternehmen, sondern wir brauchen steuerschaffende rentable Arbeitsplätze.
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Ich möchte damit keinen falschen Lobbyismus für eine kleine Gruppe unserer Gesellschaft betreiben. Ich bin aber zutiefst überzeugt, daß es im Interesse unserer Gesellschaft notwendig und richtig ist, der mittelständisch orientierten Wirtschaft eine faire Chance zu geben. Der mittelständische Betrieb ist die beste Organisationsform, um den größten Teil der notwendigen Güter und Dienstleistungen optimal anzubieten. Er ist auch am besten in der Lage, zusätzliche notwendige Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist, recht verstanden, Dienst an der Gesellschaft und für die Gesellschaft. Der mittelständische Betrieb mit seiner unternehmerischen Beweglichkeit kann eben mit der Herausforderung des Strukturwandels, wenn die Bedingungen einigermaßen in Ordnung sind, am besten fertig werden.
Das ist der Grund, warum wir den Betrieben nicht zusätzliches Geld entziehen wollen, auch nicht in Form einer befristeten Ergänzungsabgabe.
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Wenn unsere Betriebe schon zuwenig Eigenkapital haben, kann es doch einfach nicht richtig sein, wenn wir die Möglichkeiten eigenfinanzierter Investitionen durch zusätzliche Abgaben einschränken und mindern.
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Es tut mir leid, daß ich Sie hier mit diesen Klarstellungen belästigen muß. Im Lande läuft aber zum Teil eine Argumentation, die bedauerlicherweise unfair ist, die uns bedauerlicherweise Böswilligkeiten unterstellt und die schlicht und einfach falsch ist. Es ist auch nicht damit getan, Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für Arbeitsplätze vorzusehen, die dem Wettbewerb nicht standhalten, die unproduktiv sind, die unrentabel sind. Deshalb habe ich sogar erheblichen Zweifel, ob ein Teil der in den letzten Jahren in diesem Bereich eingesetzten Mittel wirklich dauerhaft zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen beigetragen hat.
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Kollege Hölscher hat diesbezüglich einige Untersuchungen angestellt, die außerordentlich bedrükkende Ergebnisse gebracht haben. Sind nicht viele Maßnahmen auch so folgekostenträchtig gewesen, daß der Schaden am Schluß größer war als der Nutzen?
Es sind nicht wenige Subventionen, insbesondere auch durch die Länder, für einzelne Betriebe aus jeweils ehrenwerten Motiven gegeben worden, die im Ergebnis gesunde Betriebe krank gemacht haben. Schließlich ist es so, daß man dann, wenn man kranke Betriebe fördert, gesunde Betriebe in schlechte Wettbewerbssituationen bringt.
({26})
Die Fortsetzung solcher Maßnahmen oder sogar ihr Ausbau, wie manche ihn fordern, würde uns nur tiefer in die Arbeitslosigkeit hineinbringen. Solche Maßnahmen erhöhen entweder die Staatsverschuldung oder die Steuer- oder die Abgabenlast. Dies geht unvermeidlich zu Lasten notwendiger Investitionen in der privaten Wirtschaft. Die Folgen sind Verluste an Wachstum, Verluste an Einkommen und Verluste an Arbeitsplätzen.
({27})
Eine begrenzte, aber wichtige Ausnahme gilt für investive Ausgaben der öffentlichen Hand zur Wachstumsvorsorge. Solche Investitionen können nur dann sinnvoll sein, wenn sie in etwa denselben volkswirtschaftlichen Ertrag bringen wie der entsprechende Einsatz privaten Kapitals. In weiten Bereichen des Umweltschutzes ist dies unbestritten der Fall. Dies macht die Gründe deutlich, aus denen wir die Finanzierung überhöhter Sozialleistungen durch zusätzliche Kredite oder durch höhere Steuern oder Sozialausgaben ablehnen müssen. Deshalb stößt nicht nur eine steuerliche Ergänzungsabgabe, sondern auch eine Arbeitsmarktabgabe bei der großen Mehrheit der FDP-Fraktion auf Ablehnung.
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Damit hier kein Mißverständnis aufkommt: Auch die Beamten müssen einen Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen leisten. Dies soll aber nicht systemwidrig über eine Arbeitsmarktabgabe, sondern wie bisher im Rahmen der allgemeinen Besoldungspolitik geschehen.
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Eine zusätzliche Belastung der Selbständigen in der gewerblichen Wirtschaft wäre dagegen beschäftigungspolitisch verfehlt. Eine sachgerechte Beschäftigungspolitik muß für Entlastungen sorgen.
({30})
Man braucht kein Prophet zu sein, um festzustellen: Die volkswirtschaftlichen Daten, die den Koalitionsbeschlüssen vom Juli zugrundeliegen und die in den Vorlagen zur Umsetzung dieser Beschlüsse enthalten sind, haben wir in Kürze nach unten zu korrigieren. Der Konsolidierungsbedarf wird sich damit erhöhen. Wir halten es für unverantwortlich, in diesem Zusammenhang weitere Ausgabenkürzungen zu verdammen. Ein Ausschluß weiterer Kürzungen wäre auch mit den Beschlüssen vom 1. Juli 1982 unvereinbar. Dort ist ausdrücklich festgelegt, daß die Bemühungen fortgesetzt werden, die Eingendynamik großer konsumtiver Ausgabenblöcke mittelfristig eng - ich unterstreiche das Wort „eng" - zu begrenzen.
Natürlich stoßen wir dabei auf die bekannten Probleme. Über die Notwendigkeit, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, herrscht weitgehend Einigkeit. Aber konkrete Sparmaßnahmen stoßen dagegen auf den heftigen Widerstand der Betroffenen. Die Operation 1982 und die bisherige Operation 1983 bieten uns dafür ein anschauliches Beispiel. Wir sollten uns auch künftig dadurch nicht beirren lassen. Verbandsfunktionäre werden ja schließlich dafür be6996
zahlt, bestimmte Interessen wahrzunehmen. Vielleicht werden sie demnächst sogar eine Sonderumlage oder eine Sonderergänzungsabgabe zur Errichtung eines Denkmals vor dem Deutschen Bundestag zu Ehren des Heiligen Sankt Florian durchführen. Die Hoffnung, daß Interessenvertreter der Verbände ihre Sonderinteressen auch einmal dem Gesamtinteresse unterordnen, habe ich nach meinen Bonner Erfahrungen fast aufgegeben. Jeder von uns ist trotzdem verpflichtet, die jeweiligen Proteste objektiv zu würdigen, richtig einzuordnen, aber auch nicht überzubewerten.
({31})
Schließlich sollten wir uns alle kritisch fragen, ob die fortgesetzte Expansion unserer Sozialleistungen unsere Fähigkeit herabgesetzt hat, den notwendigen Anpassungsprozeß erfolgreich zu bewältigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Roth?
Darf ich den Gedanken zu Ende bringen? Dann gerne, Herr Kollege Roth.
Von dieser Frage kann sich keine Fraktion im Bundestag ausnehmen. Denn dem Ausbau der Sozialleistungen haben jedenfalls seit 1969 - zu Zeiten der Großen Koalition war das etwas anderes - alle Fraktionen zugestimmt. Ich halte es daher für außerordentlich ehrenvoll und wichtig, daß der von mir sehr geschätzte Kollege Eugen Glombig diese Frage ernsthaft aufgeworfen und damit eine wichtige Diskussion eröffnet hat. Ich hoffe, daß es uns gelingt, diese Diskussion fair zwischen uns und allen Gruppen zu führen.
Herr Kollege Roth!
Herr Kollege Roth, bitte, zu einer Zwischenfrage.
Ich beglückwünsche Sie zu den klaren Aussagen gegen den Verbandslobbyismus. Ich habe in diesem Zusammenhang eine ganz einfache Frage. Wie qualifizieren Sie das Verhalten des Führers der Opposition, der nach dem Druck des Deutschen Beamtenbundes, also des Herrn Krause, in bezug auf die Verzögerung der Anpassung der Besoldung umgefallen ist?
({0})
Die aus meiner Sicht nicht gerade guten Stellungnahmen zu verschiedenen Verbandsprotesten finden sicher nicht meine Zustimmung.
({0})
Hans Dietrich Genscher hat zu Recht betont, daß leere Kassen nicht das Ende sinnvoller Reformen sein müssen. Im Gegenteil. Die teilweise Rücknahme von öffentlichen Leistungen kann auch dazu beitragen, daß das verbreitete Anspruchsdenken geschwächt und der Leistungswille der Bürger gestärkt werden. Das hat der Herr Bundesfinanzminister gestern hier richtig ausgeführt. Der Wiederaufbau unseres Landes nach dem verlorenen Krieg, der unendlich viel schwieriger war als die jetzt vor uns liegenden Probleme, vollzog sich unter sehr viel schwierigeren Bedingungen. Ich meine, es kann nicht schaden, wenn unsere Bürger künftig wieder mehr auf Leistungseinkommen als auf verschiedene Sozialeinkommen setzen.
({1})
Hansheinrich Schmidt ({2}) und Friedrich Wilhelm Hölscher haben am Freitag für unsere Fraktion deutlich gemacht, daß die eingebrachten Gesetze richtige Schritte in diese Richtung sind. Für die zukünftige Entwicklung in unserem Land wird es entscheidend sein, wie sich die Opposition zu diesen Gesetzen einstellt. Wir haben am Freitag einige Signale von Heinz Franke empfangen, die aber, um es klar und deutlich zu sagen, aus meiner Sicht nicht ausreichend sind.
Wer für sich den Anspruch erhebt, alles besser zu machen, großzügig auf Detailvorschläge verzichtet, darf mindestens nicht die richtigen Schritte in die richtigen Richtungen blockieren. Bei allem Verständnis für die Kritik im Detail, meine Damen und Herren von der Opposition, wird es Ihnen nicht erspart bleiben, im Zusammenhang mit diesen Gesetzen auch Farbe zu bekennen, ob der hier eingeschlagene Weg zu mehr Eigenverantwortung, zu mehr Eigenvorsorge als Schritt in die richtige Richtung von Ihnen akzeptiert oder abgelehnt wird. Angst machen und meckern alleine genügen nicht.
({3})
Ich möchte Sie herzlich bitten und Ihnen zurufen: Verantwortung geht vor Taktik!
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese Beratung des Haushaltsentwurfs für 1983 ist unübersehbar, ist unüberhörbar in eine politische und wirtschaftspolitische Diskussion eingebettet, die tiefer geht und daher noch ernster, noch bewegter, noch grundsätzlicher geführt wird als in früheren Jahren. Wen kann das wundern, meine Damen und Herren, angesichts der weltweiten und der nationalen Probleme, die alle Industrieländer bedrohen und die unser Land schon lange nicht mehr ausnehmen!
Diese Debatte wird - selbst dort, wo sie den Boden der sachlichen Auseinandersetzung verläßt - gut und nützlich sein, wenn sie mehr Klarheit schafft über die Lage, in der wir uns befinden, und über die Wege, die aus den Gefahren führen können. Denn diese Gefahren und nichts anderes sonst sind es ja, die uns diese Diskussion aufgezwungen haben. Schrille Töne, ungerechtfertigte Verdächtigungen, bloßes Lamentieren - das alles wird uns freilich nicht weiterhelfen. Sie schaffen keinen einzigen neuen Arbeitsplatz.
({0})
Die Aufgabe, die heute allen anderen vorangeht, ist doch, der Arbeitslosigkeit Einhalt zu gebieten, die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung zu schaffen - ich füge hinzu -, soweit der Staat das kann. Allein kann es nämlich weder Regierung noch Parlament. Aber wir können und müssen die Weichen in die richtige Richtung stellen. Der Etatentwurf für 1983 ist eine solche unumgängliche Weichenstellung.
Das Kabinett hat mit seiner Haushaltsvorlage richtige, harte, aber unvermeidbare Konsequenzen aus der gesamtwirtschaftlichen Lage gezogen. Niemand, dem diese Beschlüsse nicht gefallen, sollte glauben, daß sie uns leichtgefallen wären. Kürzungen von rund 9 Milliarden Mark haben wir nun wahrhaftig nicht aus Lust am Zusammenstreichen vorgeschlagen. Daß die Operation 1983 nicht dem Vergnügen der Einwohner dienen kann, wissen wir so gut wie alle jene Verbände - darüber ist ja gerade diskutiert worden -, die vergebens dagegen Sturm gelaufen sind.
Aber es gab und es gibt weiterhin eine politische Herausforderung, die sehr viel schwerer wiegt als der Lärm, den beispielsweise die Ärzte des Marburger Bundes wegen 5 DM Selbstbeteiligung pro Krankenhaustag oder die Beamtenfunktionäre wegen eines dreimonatigen Aufschubs der Gehaltserhöhung machen und damit ihren ganzen Berufsstand in unverdienten Mißkredit bringen.
({1})
Diese Herausforderung heißt, den wirtschafts- und finanzpolitischen Grund für die Wiedergewinnung einer höheren Beschäftigung in unserem Land zu legen. Dieser Aufgabe haben wir uns bei der Aufstellung des Etatentwurfs verpflichtet gefühlt; dieser Aufgabe dienen die getroffenen Entscheidungen.
Ich sage nicht, meine Damen und Herren, daß sie schnellen Erfolg in einem Monat, in einem Jahr haben werden. Niemand kann das angesichts der eigenen, der nationalen Daten versprechen. Die weltweiten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen nicht zuversichtlicher.
Aber die Konsequenz aus dieser Einsicht konnte doch nur heißen, auf der Grundlage der verfügbaren Zahlen einen Etatentwurf zu verabschieden, der beschäftigungspolitisch notwendige Erleichterungen schafft. Das ist mit dieser Vorlage geschehen: mit der Begrenzung nicht lebensnotwendiger öffentlicher Ausgaben, mit der Einschränkung der staatlichen Kreditaufnahme, die den Kapitalmarkt entlastet und Luft schafft für beschäftigungssichernde private Investitionen.
Der Etatentwurf 1983 zeigt die Richtung, in die wir jetzt alle gezwungen sind: in die Konzentration auf die wesentlichen staatlichen Aufgaben, in die Besinnung auf das Subsidiaritätsprinzip, also auch auf mehr eigene Anstrengung zur Daseinsvorsorge, auf die Bereitstellung besserer Investitionsbedingungen, die Arbeitsplätze schaffen. Deshalb stehen die Freien Demokraten zu diesem Etat. Deshalb habe ich den Entwurf in den vergangenen Wochen und Monaten gegen viele Einwände vertreten, und deshalb stehen wir zur Regierungspolitik, wie sie sich in diesem Etat ausdrückt. Ich hätte mir gewünscht, daß dies von allen Angehörigen der Koalition so geschlossen geschehen wäre, denn das ist für die Vertrauensbildung in diesem Lande wichtig.
({2})
Nun weiß ich, meine Damen und Herren, ebenso wie alle Mitglieder dieses Hauses, daß der Entwurf, den wir heute beraten, nicht das letzte Wort zum Etat 1983 sein wird. Wer das behauptet, mißachtet nicht nur das Etatrecht dieses Parlaments; er nimmt auch die wirtschaftlichen Daten dieses Jahres nicht zur Kenntnis, die nicht besser geworden sind, sondern die sich verschlechtert haben.
Dennoch sage ich mit allem Nachdruck: Bei der Aufstellung dieses Haushalts mußten wir von den zur Jahresmitte verfügbaren Zahlen ausgehen. Es gab keine anderen. Trotz vieler Zweifel an der Richtigkeit, die der Finanzminister und auch ich in der Öffentlichkeit nie unterdrückt haben, hatten wir gar keine andere Wahl, als jene Annahmen zugrunde zu legen, die wir zuvor selbst aufgestellt hatten, denn neuere, richtigere Zahlen, verläßlichere Zahlen waren im Juni und Juli nicht vorhanden.
Nur auf vage Vermutungen kann sich aber keine Regierung stützen, die einen Haushalt berät. Wir mußten uns auf den Jahreswirtschaftsbericht und die Annahmen stützen, die wir dort nach bestem Wissen und Gewissen niedergeschrieben hatten und die ich dem Kabinett vorgelegt habe. Mit Recht hat Herr Staatssekretär Schlecht im „Handelsblatt" im Sommer geschrieben: „Wir liefern keine getürkten Zahlen, aber wir haben das Recht auf Irrtum." Ich verwahre mich auch an dieser Stelle gegen den in der Diskussion der vergangenen Monate erhobenen Vorwurf, wir hätten bewußt mit unrichtigen, mit falschen Zahlen jongliert.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von der Heydt?
Bitte sehr.
Bitte sehr.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Herr Bundesminister Graf Lambsdorff, stehen Ihre Darlegungen in Ihrem berühmten Papier nicht im Gegensatz zu diesem Jahreswirtschaftsbericht, und müssen Sie nicht heute einräumen, daß Sie von diesem Irrtum ziemlich reichlich Gebrauch gemacht haben?
Herr Kollege, meine Antwort ist: Nein. Sie stehen nicht im Widerspruch zu dem von Ihnen zitierten Papier. Der Jahreswirtschaftsbericht behandelt die ökonomischen Probleme des Jahres 1982. Er ist von mir im Kabinett eingebracht und mit meiner Stimme von der Bunderegierung verabschiedet worden.
Bei dem von Ihnen erwähnten Papier handelt es sich - lassen Sie es mich so sagen - um den Versucht des Weiterdenkens, des Fortdenkens. Es ist ein Versuch, der, wie ich meine, schon deshalb nicht im Widerspruch zum Jahreswirtschaftsbericht stehen kann, weil dieser die Probleme des Jahres 1982 behandelt, während meine Überlegungen die Probleme unter mittel- und längerfristiger Sicht ansprechen. Das war die Aufgabe, die ich zu erfüllen versucht habe.
({0})
Meine Damen und Herren, solange das Bundesverfassungsgerichtsurteil und die Bestimmung des Grundgesetzes, die ich mit allem Respekt und mit Verlaub nicht für der Weisheit letzten Schluß halte,
({1})
gelten, daß ein Haushalt bis zum Ende des vorangegangenen Jahres verabschiedet sein muß, wird jede Regierung immer wieder in ähnliche Situationen geraten. Wir haben einen Etat 1983 beraten in Kenntnis der tatsächlichen Wirtschaftsdaten für das erste Quartal 1982, das übrigens unseren Erwartungen gemäß verlaufen war. Die schlechtere als die von uns - aber nicht von uns allein, sondern von allen Prognostikern - angenommene Entwicklung setzte erst in den Monaten danach ein. Sie war wohl nicht auszuschließen. Viele Beobachter haben sie auch vermutet; aber sicher war sie nicht.
Klarheit über den tatsächlichen Verlauf des ersten Halbjahres 1982 haben wir erst just in diesen Tagen durch das Statistische Bundesamt erhalten. Früher geht es auch nicht. Der Verlauf ist schlechter gewesen, als wir vor einem guten halben Jahr angenommen hatten. Wir haben uns geirrt, wie alle Welt sich geirrt hat. Das Wort „alle Welt" ist hier ganz konkret gemeint, wenn Sie sich die Vorausschätzungen fast aller internationalen Organisationen über den Wirtschaftsverlauf in der Bundesrepublik Deutschland einmal ansehen.
Ich habe nicht die Absicht und ich bin auch nicht in der Lage, dem Deutschen Bundestag hier und heute neue gesamtwirtschaftliche Daten für 1982 und 1983 vorzulegen. Die Tendenzen, die sich aus den Veröffentlichungen einiger Wirtschaftsforschungsinstitute abzeichnen, sind Ihnen bekannt. Einige Abgeordnete der CDU haben durch die Veröffentlichung eines Briefes von Staatssekretär Schlecht, der nicht an sie gerichtet war und den sie nicht von mir erhalten haben, zur Verbreitung dieser ersten Tendenzmeldungen kräftig beigetragen. Man könnte in diesem Zusammenhang über Stilfragen diskutieren; ich will hier nicht viele Worte verlieren.
({2})
Sicher ist, daß wir bisherige Annahmen über den wirtschaftlichen Verlauf der Jahre 1982 und 1983 nicht aufrechterhalten können. Sicher ist aber auch, daß wir Genaueres dazu erst nach den gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen des interministeriellen Arbeitskreises am 7. Oktober 1982 und nach Kenntnis des Sondergutachtens des Sachverständigenrates sagen können, das etwa zur gleichen Zeit oder kurz danach erwartet wird.
Selbstverständlich wird die Revision der bisherigen gesamtwirtschaftlichen Annahmen schwerwiegende Auswirkungen auf den Etatentwurf haben, der Ihnen vorliegt. Aber auch die Mehrausgaben und Mindereinnahmen des Bundes sind heute noch nicht konkret zu beziffern. Solange das nicht möglich ist, werden wir - ich erinnere noch einmal an die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts - diesem Entwurf zu folgen haben. Neue Erkenntnisse, die wiederum keine endgültigen sein werden, werden Regierung und Parlament zu neuen Einspar- und Kreditüberlegungen zwingen. In beiden Bereichen werden schwere Entscheidungen auf uns zukommen. Sie müssen schnell und sie müssen so getroffen werden, daß sie neue wirtschaftliche Impulse freisetzen. Das bleibt unsere allererste Aufgabe - und nicht nur für den Haushalt 1983.
Ich glaube, es gibt in diesem Hause keinen Widerspruch, wenn ich wiederhole: Wir haben keine größere, wir haben keine bedeutendere Aufgabe, als die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen,
({3})
über neues Wirtschaftswachstum die Beschäftigung zu verbessern, dadurch allmählich auch unsere finanzpolitischen Probleme zu erleichtern und weiter gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt für alle zu erzielen. Das Ziel heißt: Beschäftigung für alle, die arbeiten wollen.
({4})
Über den langen Weg dahin kann man gewiß streiten; aber auch nur über den Weg. Ich allerdings sehe keinen anderen als eine neue und umfassende Anstrengung über Jahre hinweg, die Investitionen und Innovationen erleichtert und damit neue Arbeitsplätze, neue Beschäftigungschancen schafft. Schnelle Ergebnisse verspricht niemand.
In unserer Ordnung sind es die Unternehmen, die die weitaus meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen oder nicht zur Verfügung stellen. Also müssen wir sie in die Lage versetzen, das Richtige zu tun. Diese Schlüsselrolle, die unternehmerische Entscheidungen in unserer Wirtschaftsordnung für die Beschäftigung einnehmen, ist politisch oft lästig, ist politisch oft unbequem. Ich bestreite das überhaupt nicht. Trotzdem bejahen wir doch alle - oder wenigstens fast alle - eine Wirtschaftsordnung, die in der Bundesrepublik seit ihrem Beginn erfolgreich war und die es uns auch heute leichter als anderen macht, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in erträglichen Grenzen zu halten.
Aber zu dieser Ordnung gehört eben auch, daß 84 % aller Investitionen auf den privaten Bereich und nur 16 % auf öffentliche Stellen entfallen.
({5})
Bei der Investitionsbereitschaft und Investitionsfähigkeit, der privaten wie der staatlichen, müssen wir ansetzen, wenn wir die Beschäftigung im eigenen Land verbessern und damit auch unseren Beitrag
zur internationalen wirtschaftlichen Wiederbelebung leisten wollen.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler?
Gerne.
Bitte sehr.
Herr Minister, Sie haben eben zu Recht die Anteile der öffentlichen und der privaten Investitionen an den Gesamtinvestitionen genannt; wenn ich mich nicht irre, waren es 16 bzw. 84 %. Könnten Sie auch bestätigen, daß der Anteil an den Gesamtinvestitionen auf Grund der Konjunkturprogramme der letzten Jahre - ich glaube, es waren 13 Programme - keine 2 % erreicht hat?
Herr Kollege, ich habe nie einen Zweifel daran gelassen - und die Zahlen machen das j a auch ganz klar: 84 % private Investitionen und 16 % öffentliche Investitionen -, daß auch die allergrößten Anstrengungen der öffentlichen Hände ausfallende private Investitionen niemals durch öffentliche Mittel - die niemals einen solchen Umfang erreichen können - ersetzen können.
({0})
Allerdings ändert das nichts an der, wie ich glaube, ebenso unbestreitbaren Feststellung, daß private Investitionen allein - also ohne gleichzeitige öffentliche Investitionen im Versorgungsbereich, im Infrastrukturbereich - auch nicht helfen und ausreichen.
({1})
Wir brauchen beides, denn, meine Damen und Herren, es nützt ja nichts, eine Fabrik auf eine grüne Wiese zu setzen, dort aber keine Anschlüsse, keine Verkehrswege und keine Versorgungsleitungen, zu haben.
({2})
Eben deswegen besteht auch die Notwendigkeit, in unseren Haushalten, und zwar nicht nur im Bund, von konsumtiven zu investiven Ausgaben umzustrukturieren.
Meine Damen und Herren, ich sprach von der notwendigen internationalen wirtschaftlichen Wiederbelebung. Alle Erfahrung spricht dafür, daß unser Land zu den ersten gehören wird, die von einer solchen weltweiten Gesundung wiederum profitieren. In der engen weltwirtschaftlichen Verflechtung, mit der die Bundesrepublik steht und fällt, kommt es dabei entscheidend darauf an, die Fähigkeit unserer Wirtschaft zur Anpassung an weltweite Marktveränderungen zu verbessern und zu erleichtern - wiederum allein um der Arbeitsplätze willen. Niemand, der die Augen aufmacht, kann übersehen, daß wir trotz hervorragender Exportergebnisse in diesem Jahr inzwischen auch manches Terrain verloren haben.
({3})
Das geht ebenfalls zu Lasten der Beschäftigung.
Als der Herr Kollege Dregger vorhin auf das japanische Beispiel verwies, hörte ich einen Zwischenruf „Ja, bei acht Tagen Urlaub!". Nun, diese Tatsache sollte uns, wie ich meine, Veranlassung geben, noch einmal darüber nachzudenken, daß wir selbstverständlich nicht zu acht Tagen Urlaub zurückkehren wollen, daß wir uns solchen Verhaltensweisen nicht anpassen wollen, daß aber in Neuseeland, Australien oder Indonesien ein potentieller Käufer einer Maschine überhaupt nicht danach fragt, unter welchen Urlaubsbedingungen sie zustande gekommen ist; er fragt vielmehr nach Preis, Qualität, Service und ähnlichen Dingen.
({4})
Wenn wir also - was ich unterstreiche - auf solche Vorstellungen wie „acht Tage Urlaub" nicht zurückfallen wollen, müssen wir andere Wege ersinnen und erfinden,
({5})
um diesem Wettbewerb begegnen zu können. Ohne Investitionen, ohne Innovationen und ohne Steigerung auch der Produktivität, die ja durch Investitionen und Innovationen ausgelöst wird, ist das wohl nicht denkbar.
({6})
Meine Damen und Herren, die Impulse, die wir brauchen, werden, so hoffe ich, vor allem von den vielen kleinen und mittleren Betrieben in der deutschen Wirtschaft aufgenommen werden. Wir haben gerade in dieser schwierigen Zeit die überragende Bedeutung der mittelständischen Wirtschaft für das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft insgesamt erneut erfahren.
({7})
Sie, die kleinen und mittleren Betriebe, sind es vor allem, die flexibel und gewandt auf die Herausforderungen dieser Jahre reagieren. Sie stellen das Gros der Arbeitsplätze und das Gros der Ausbildungsplätze für junge Menschen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte auch an dieser Stelle gerade den mittelständischen Betrieben und hier gewiß nicht zuletzt denen des Handwerks für ihre immensen Bemühungen danken, den Schulabgängern den Eintritt in das Berufsleben durch eine entsprechende Ausbildung zu ermöglichen.
({9})
Es ist gar nicht genug zu würdigen, daß viele Unternehmen - sicher nicht nur im Mittelstand, aber dort vor allem - über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden und so vielen Jüngeren die deprimierende
I trostlose Situation ersparen, nach dem Schulabschluß ohne Beschäftigung zu sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Spöri, bitte.
Herr Bundesminister, da Sie soeben von den mittelständischen Betrieben gesprochen haben, darf ich die Frage an Sie richten, warum ein zentraler Teil Ihrer Strategie in Ihrem Papier bewußt einen Schwerpunkt bei den Steuerentlastungen im Bereich der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer legt, wo wir doch alle wissen, daß dies eine groß angelegte Entlastung zugunsten der großen Betriebe wäre.
Herr Kollege Spöri, erstens halte ich diese letzte Feststellung von Ihnen nicht für zutreffend, zum zweiten aber - ({0})
- Herr Kollege Spöri, Sie wissen ja, wie das mit Statistiken so geht und was man mit denen alles anstellen kann.
({1})
Zum zweiten, meine Damen und Herren, glaube ich, daß wir die Diskussion über das, was in den nächsten Jahren bei uns an Problemen ansteht und welche Lösungsvorschläge es da gibt, in aller Eindringlichkeit und in aller Ernsthaftigkeit - ich entnehme Ihrer Frage und bin erfreut darüber, daß Sie diese Diskussionsgrundlage wenigstens akzeptieren
- in Zukunft miteinander zu führen hätten.
({2})
Aber diese Feststellung so, wie Sie sie hier machen, daß nämlich die Entlastung von ertragsunabhängigen Steuern insbesondere den Großunternehmen und nicht dem Mittelstand zugute kommen würde, Herr Kollege Spöri, dazu würde ich Ihnen dringend empfehlen, einmal mit den Vertretern der mittelständischen Wirtschaft, mit dem Handwerk zu diskutieren, damit Sie die Antworten hören.
({3})
Meine Damen und Herren, nicht zuletzt wegen der Frage der Ausbildungsplätze müssen wir in unseren Bemühungen um eine Förderung gerade der mittelständischen Unternehmen mit allem Nachdruck fortfahren. Dazu gehört das unbedingte Festhalten an einer Politik, die die deutsche Wirtschaft von bürokratischen Fesseln und Überreglementierungen befreit, unter denen ja nicht so sehr die Großunternehmen mit ihren zahlreichen Stäben, Justitiaren und Verwaltungsabteilungen, sondern vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen leiden.
Wir werden den Wettbewerb weiter zu fördern haben, um das Eindringen von Großunternehmen in mittelständische Märkte zu verhindern und der unfairen Behandlung von kleinen und mittleren Unternehmen am Markt einen Riegel vorzuschieben.
({4})
Ich halte es auch aus diesem Grund für absolut erforderlich, die Selbständigkeit und die Existenzgründung kleiner Unternehmen zu unterstützen. Das muß einmal aus Arbeitsmarktgründen geschehen. Jede neue selbständige Existenz ist ein neuer Arbeitsplatz und zieht in vielen Fällen noch weitere Arbeitsplätze nach sich. Es ist aber auch deshalb nötig, weil Wettbewerb nur dann wirklich besteht, wenn er von einem wirtschaftlich kräftigen Mittelstand getragen wird.
({5})
Wir haben in unserer Wirtschaftspolitik den mittelständischen Unternehmen immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
({6})
- Sie sehen es nicht anders, Herr Kollege. Sie sagen, es sei nicht genug; aber ich glaube nicht, daß sie es anders sehen. Wo immer ich mit ihnen spreche, wird nicht bestritten, daß eine ganze Menge geschehen sei, im Wettbewerbsrecht, in der Steuerpolitik. Warum, Herr Kollege Spöri, haben wir wohl gerade in der Frage der Gewerbesteuer über Anhebung der Freibeträge für die kleinen und mittleren Unternehmen denen Lasten weggenommen?
({7})
- Herr Kollege Conradi, Sie sollten mich nicht veranlassen, die Korrektur, die da vorgenommen worden ist, hier vorzubringen. Ich möchte darauf verzichten. Aber Ihr Zwischenruf könnte mich dazu veranlassen.
({8})
Wir haben bei der Beratung und Finanzierung Erleichterungen vorgenommen - alles, um die Rahmenbedingungen für die mittelständischen Unternehmen zu verbessern.
Ich bestreite in diesem Zusammenhang überhaupt nicht - der Kollege Cronenberg hat darauf hingewiesen - die erschreckende Zahl von Zusammenbrüchen, auch kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Gründe sind mannigfaltig. Sie liegen nicht zuletzt in einer zu geringen Eigenkapitalquote - warum wohl, Herr Spöri und Herr Conradi? - und in dementsprechend zu hohen Zinskosten für Fremdkapital.
({9})
- Auch in zu hohen Entnahmen, Herr Kollege Wolfram. Auch solche Fälle gibt es. Das ist unbestreitbar.
Hier sind in jüngster Zeit einige - gewiß noch nicht ausreichende - Erleichterungen möglich gewesen. Wir können nur hoffen, daß die ZinsentwickBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
lung in den Vereinigten Staaten der Deutschen Bundesbank im Lauf der kommenden Zeit weiteren Spielraum gibt, um ihre Politik einer behutsamen und außenwirtschaftlich vertretbaren Zinssenkung fortzusetzen.
Herr Kollege Dregger, es ist nicht richtig, daß die Schweiz in der Lage gewesen sei, sich zinsmäßig abzukoppeln. Das Schweizer Zinsniveau liegt aus bekannten Gründen - Kapitalsammelplatz Schweiz - strukturell immer niedriger und hat immer niedriger gelegen - auch zu Zeiten, als Sie regiert haben - als das deutsche Zinsniveau. Das Auf und Ab der Schweizer Zinsentwicklung folgt, wie Sie erkennen, wenn Sie die Kurve des Zinsniveaus in den letzten Jahren verfolgen, fast genau dem Bild der Kurve des deutschen Zinsniveaus. Auch in der Schweiz hat es in den letzten Jahren Zinshöhen gegeben, die man dort für völlig unmöglich und unakzeptabel gehalten hätte, wenngleich wir sie immer noch als paradiesisch empfunden hätten; aber wir sind eben nicht der große Sammelplatz Schweiz, oder auch der kleine Sammelplatz Schweiz.
Es sind nicht zuletzt mittelstandspolitische Überlegungen gewesen - ich will das nur am Rand sagen -, die uns bewogen haben, einem Großunternehmen, das in den vergangenen Monaten immer wieder in den Schlagzeilen war, staatliche Hilfe zu gewähren. Bei der Unterstützung der AEG sind marktwirtschaftliche Prinzipien auf eine harte Probe gestellt worden.
({10})
Daß wir uns schließlich doch zu den Ihnen bekannten Bürgschaften entschlossen haben, hatte vor allem den Grund, auch die Existenz von tausenden kleiner und mittlerer Unternehmer zu sichern, die mit der AEG in engen Geschäftsbeziehungen stehen. Das ist von führenden Vertretern gerade der mittelständischen Wirtschaft in vielen Gesprächen nicht nur anerkannt, sondern dringend gewünscht worden. Wir haben es auch um des Ansehens der deutschen Exportwirtschaft im Ausland willen und selbstverständlich, Herr Kollege Wolfram, auch mit Blick auf die gefährdeten Arbeitsplätze getan, wenngleich jeder weiß, daß dennoch eine große Reihe von Arbeitsplätzen nicht nur gefährdet ist, sondern verlorengehen wird.
Die Ereignisse bei diesem Großkonzern müssen uns aber auch als Mahnung dienen, verstärkt gegen Konzentrationsbewegungen in der Wirtschaft anzugehen.
({11})
Das Wettbewerbsrecht gibt uns dazu die notwendigen Handhaben. Sie werden voll genutzt. Eine Aufkaufpolitik, wie sie in diesem Fall vor vielen Jahren betrieben wurde, wäre heute nicht mehr möglich, seit wir die vierte Novelle zum Kartellgesetz haben.
Sie werden gemerkt haben, daß ich dem Mittelstand und den dort tätigen Menschen, und zwar den Unternehmern wie den Arbeitnehmern, eine besondere Rolle bei der Überwindung unserer anhaltenden wirtschaftlichen Probleme beimesse. Ich stimme dem, was der Kollege Cronenberg hier dazu ausgeführt hat, vollinhaltlich zu.
Daß wir trotz aller Sorgen, die in den letzten Monaten nicht geringer geworden sind, von der weltweiten Wirtschaftskrise und Stagnation nicht so schlimm betroffen sind wie viele andere Länder, liegt nicht zuletzt an der unermüdlichen und unbeirrten Arbeit, die in diesen Unternehmen geleistet wird. Denn es ist ja richtig, und niemand kann es bestreiten, niemand kann es übersehen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihren wirtschaftlichen Problemen immer noch besser fertig geworden ist als die meisten anderen Länder der Welt - Japan ausgenommen, wo die Lage nun aber ebenfalls komplizierter wird -. Diese Erkenntnis allein reicht sicher nicht aus. Die Tatsache, daß der Exportboom dieses Jahres nicht zu einer binnenwirtschaftlichen Belebung geführt hat, und die Erfahrung, daß die seit zwei Jahren anhaltende Stagnation allen konjunkturpolitischen Abläufen, die wir in den letzten 30 Jahren kennengelernt haben, widerspricht, deuten weltweit auf tief liegende Unsicherheiten hin. Alles dies gilt nicht für uns allein. Die Folgen der zweiten Ölpreiskrise, die weltwirtschaftliche Strukturumstellung, sie sind immer noch nicht bewältigt. Alle Länder sind von der Wachstumsschwäche betroffen. Überall ist die wirtschaftliche Stimmung gedrückt, werden die Zukunftsaussichten düster beurteilt. Auch unser Land ist von dieser Stimmung angesteckt.
Dabei sind die objektiven Voraussetzungen für eine allmähliche Wirtschaftsbelebung hier unverändert besser. Die Preissteigerungsraten gehen zurück. Sie sind die zweitniedrigsten der westlichen Welt. Die außenwirtschaftliche Leistungsbilanz wird 1983 aller Voraussicht nach wieder ausgeglichen sein. Die Zinsentwicklung war und ist dank eigener Anstrengungen und einer klugen Bundesbankpolitik erträglicher als in anderen Staaten. Das gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Tarifpartner hat sich bei den Abschlüssen dieses Jahres wiederum bewährt. Selbst die Arbeitslosenquote ist unverändert niedriger als in den meisten übrigen Industrieländern.
Wenn Sie, Herr Kollege Dregger, die Schweiz und Japan zum Vergleichsmaßstab erheben, dann, befürchte ich, daß dies beides Vergleiche sind, die nur sehr bedingt und sehr begrenzt herhalten können.
({12})
Die Schweiz, meine Damen und Herren, hat von Anfang an eine Politik betrieben, wonach Gastarbeiter das Land immer nur als Saisonarbeiter betreten durften und dann das Land wieder verlassen mußten.
({13})
- Wenn Sie sagen „sehr gut", Herr Kollege Dregger,
dann frage ich, wer in den 60er Jahren die Gastarbei7002
terpolitik und das Einreisen in dieses Land zu verantworten hatte.
({14})
Ich glaube, wir alle wissen heute, meine Damen und Herren, daß wir damals den Fehler gemacht haben, diese Menschen zu uns ins Land zu holen, anstatt mit unserem Kapital und unserem Know-how dorthin zu gehen, wo die Menschen aufzufinden waren.
({15})
Wenn Sie, Herr Dregger, Japan mit 2,3 % Arbeitslosigkeit als Beispiel anführen, dann wissen Sie einmal, daß es im japanischen System eine große Menge sogenannter verdeckter, versteckter Arbeitslosigkeit gibt,
({16})
und zum anderen, daß man dort mit 55 Jahren seinen Arbeitsplatz zu räumen hat, ohne vorgezogene Rentenversicherungsregelungen oder Ansprüche. Also ich fürchte, daß auch dieser Vergleich nur sehr bedingt herangezogen werden kann.
({17})
- Herr Kollege Klein, Sie schütteln mit dem Kopf. Es ist in letzter Zeit ein bißchen verbessert worden, aber immer noch im Vergleich zu dem, was wir uns unter Altersversorgung vorstellen, auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau, das wir mit Sicherheit auch nicht bei uns haben möchten und einführen wollen.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie in der Lage, uns zu sagen, ein wie großer Teil des japanischen Staatshaushalts kreditfinanziert ist, und sind Sie der Meinung, daß auch diese Quote von Herrn Dregger für vorbildlich gehalten wird?
Ich bin nicht in der Lage, den Satz zu nennen, den Sie, Herr Rapp wie ich genau weiß, natürlich sofort nennen könnten.
({0})
Ich weiß ihn nicht auswendig. Aber ich weiß sehr wohl, daß er außerordentlich hoch ist und daß es innerhalb der japanischen Regierung gerade dieser Tage einen großen Streit wegen zusätzlicher Beschäftigungsprogramme, Ankurbelungsmaßnahmen und damit verbundener zusätzlicher Kreditaufnahme durch den japanischen Finanzminister gegeben hat.
({1})
- 28 %, sagt er. Danke schön.
Meine Damen und Herren, wir haben keinen Grund - ich möchte das unterstreichen -, alles grau in grau zu malen. Herr Kollege Dregger, wenn Sie sagen, deutsches Kapital gehe zu Investitionen ins Ausland und hier komme im Gegensatz zu den 60er Jahren nichts mehr her: Meine Erfahrungen decken sich mit diesem Ausspruch nicht. Richtig ist, daß eine ganze Menge deutsches Kapital zu Investitionen in andere Länder geht, daß z. B. über viele Jahre der günstige Umwechslungskurs des Dollar benutzt wurde, um im Gegenzug - internationale Zusammenarbeit soll nicht Einbahnstraße bleiben - auch in den Vereinigten Staaten privatwirtschaftlich zu investieren. Die Bundesregierung hat das im Grundsatz immer für richtig gehalten.
Mit Erstaunen, aber auch mit Genugtuung habe ich bei meiner Sommerreise in die Vereinigten Staaten, bei der ich viel umhergekommen bin und natürlich mit vielen Geschäftsführern deutsch-amerikanischer Handelskammern zusammengetroffen bin, dort erfahren, daß die Anfragen, das Interesse und die Bereitschaft, aus den Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik zu investieren, in großem Maße gewachsen sind. Das ist zu meiner eigenen Überraschung so, wie ich zugebe,
({2})
aber es bestätigt die Erfahrung, die wir immer wieder hören, daß auch in den Vereinigten Staaten gesagt wird: Wenn wir in Europa investieren wollen, dann ist trotz aller Probleme, die wir aus unserer Sicht in der Bundesrepublik Deutschland sehen, diese Bundesrepublik Deutschland immer noch die erste oder zweite Wahl für solche Investitionen.
({3})
Wir haben um so weniger Grund, alles grau in grau zu malen, wenn es uns gelingt, zusammen mit unseren Partnern in der westlichen Welt eine neue Offensive gegen außenwirtschaftlichen Protektionismus zu beginnen und diese Offensive zu gewinnen.
({4})
Meine Damen und Herren, die größte Gefahr für die weltwirtschaftliche Entwicklung sehe ich in diesen Monaten in den an vielen Stellen stärker und stärker aufkeimenden protektionistischen Bestrebungen.
({5})
Ich bitte, auch wenn es vielleicht über den Haushalt 1983 hinausgeht, um Ihre Aufmerksamkeit für dieses Thema für ein paar Minuten. Denn wenn solche Angriffe auf den freien Welthandel, von dem kein Industrieland der Welt mehr abhängig ist als wir, Erfolg haben sollten, dann, aber aus meiner Sicht auch nur dann, besteht allerdings die tödliche Gefahr weltweiter Depression. Deshalb versuchen wir - bisher auch mit einigem Erfolg und keineswegs allein -, diesen Anfängen zu wehren, wo immer sie sichtbar sind. Aber auch da wollen wir uns nichts vormachen: Je länger diese weltweite wirtschaftliche Stagnation anhält, je enger die VerteiBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
lungsspielräume werden, je mehr man seine eigene Position verteidigen will, desto schwieriger wird dieser Kampf sein.
Das Ministertreffen der GATT-Mitgliedsländer am 24. November 1982 in Genf wird eine weitere Etappe auf diesem Weg sein. Diese Tagung bietet eine besondere Chance, zur Stärkung und Wiederherstellung internationaler Disziplin im Welthandel beizutragen. Allen, die angesichts der gegenwärtig gespannten internationalen Handelsbeziehungen diese Tagung in Frage stellen wollten, habe ich entgegengehalten: Jetzt erst recht, jetzt muß sie stattfinden. Die politische Bedeutung der Tatsache, daß dieses GATT-Ministertreffen in zwei Monaten stattfindet, kann gerade bei der Zunahme protektionistischer Tendenzen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir wissen und müssen uns danach verhalten, daß wir alle gegenseitig voneinander abhängig sind. Es geht gerade wegen der handelspolitischen Zuspitzung im Verhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten oder im Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern letztlich um die Glaubwürdigkeit, um eine neue Bewährungsprobe des gesamten GATT-Systems.
Mir scheint es wichtig, auf dieser Tagung auch zu verhindern, daß es beim Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer zu Rückschritten kommt. Das allein wäre schon ein positives, aber noch kein befriedigendes Ergebnis. Wir werden dort ehrgeiziger sein müssen, und wir sollten uns bemühen, diese kommende GATT-Ministertagung zu einer Initialzündung für konkrete Verhandlungen mit den Entwicklungsländern über eine Verbesserung ihres Marktzugangs bei uns werden zu lassen. Dabei geben wir ohne weiteres zu, daß dies nicht blanker Altruismus ist, sondern daß die Entwicklungsländer nur bei ausreichenden eigenen Exporteinnahmen wichtige Märkte für unsere eigenen Exporte bleiben können. Deshalb dringen wir auch darauf, daß Entwicklungsländer, die schon im Wettbewerb stark sind, zwar die Vorteile des GATT genießen, aber auch bereit sein sollen, allmählich die GATT-Pflichten einer liberalen Einfuhrregelung zu übernehmen.
Ich weiß, daß es ganz gewiß nicht einfach ist, gerade jetzt in unserer schwierigen wirtschaftlichen Lage einer weiteren Handelsliberalisierung das Wort zu reden. Wir müssen dennoch dafür sorgen, daß solche Fortschritte erzielt werden.
Denn wir können nicht übersehen, daß gerade die Bereitschaft, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen und damit auch auf dem Weltmarkt Chancen wahrzunehmen, wesentlich dazu beigetragen hat, daß die deutsche Wirtschaft auf die Herausforderungen der Vergangenheit und der Gegenwart vergleichsweise besser als alle anderen Volkswirtschaften reagiert hat.
({6})
Diese Erkenntnis, unzählige Male bestätigt, darf uns in unserem eigenen und ebenso im Interesse der Länder, die am Freihandel teilnehmen und damit ihre eigene Entwicklung vorantreiben wollen, auch
in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage keinen Moment verlorengehen.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitische Herausforderung, vor der wir heute stehen, darf nicht die Stunde des Wehklagens, der Resignation, des finsteren Pessimismus sein. Ich bin weit von einer solchen Haltung entfernt. Ich weiß, daß es die meisten Menschen in unserem Land ähnlich sehen.
Niemand, der heute verantwortlich Politik und Wirtschaftspolitik betreibt, kann guten Gewissens schnelle Erfolge bei der Wiedererlangung von Wachstum und befriedigender Beschäftigung versprechen. Das ist überall auf der Welt so. Aber wir werden in den Bemühungen um eine Politik fortfahren, mit der wir die Grundlagen für eine ökonomische Belebung weiter verstärken. Ich wiederhole: Wir haben heute keine größere und keine bedeutendere politische Aufgabe als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({7})
Der Weg bis zu einem endgültigen Erfolg wird lang sein. Aber er ist uns nicht versperrt, wenn wir ihn uns nicht selbst versperren. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben in der letzten halben Stunde relativ wenig Falsches gesagt. Aber es war angesichts des Erwartungshorizonts, der an Ihren heutigen Auftritt geknüpft war, eine etwas müde Rede.
({0})
Es ist ja nicht uninteressant, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihnen der Bundeskanzler schon gar nicht mehr zuhört, wie er ja überhaupt relativ wenig Interesse an dem Bundeshaushalt 1983 zu haben pflegt.
({1})
Offensichtlich sieht er gar keine Chance mehr, ihn zu exekutieren. Dennoch bleibt es eine merkwürdige parlamentarische Form, hier mit dem Haushalt und dem Parlament so umzugehen.
({2})
Herr Bundeswirtschaftsminister, ein Dilemma haben Sie heute natürlich nicht beantwortet. Wo stehen Sie eigentlich? Stehen Sie auf der Grundlage des Papiers, das Sie der Öffentlichkeit übermittelt haben, oder auf dem Boden des Regierungsprogramms und dieses Haushalts? Beides ist mit Sicherheit nicht miteinander zu vereinbaren.
({3})
Dr. Waigel '
Oder haben Sie nur die formale Pflichtübung erfüllt, die Ihnen der Bundeskanzler bis zum nächsten Gespräch über das Papier aufgegeben hat?
Aber eines kann man nicht. Man kann sich nicht hier hinstellen und sagen, man stehe zum Jahreswirtschaftsbericht und zum Haushalt 1983 und da sei alles in Ordnung, wenn man auf der anderen Seite ein Papier in die Welt setzt, das in der Analyse eine völlig andere Diskussionsgrundlage darstellt als das, wofür diese Regierung angeblich noch steht.
({4})
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, und Ihr Staatssekretär haben sicher das Recht auf Irrtum wie wir alle. Sie haben aber auch die Pflicht, daraus Konsequenzen zu ziehen. Das ist in Ihrer Rede jetzt vor dem Bundestag jedoch nicht erfolgt.
({5})
Natürlich stellt sich die Frage - schon Kollege Dregger hat sie gestellt -: Was ist dieses Papier eigentlich? Ist es ein Programm, ein Konzept, eine Positionsbestimmung von Ihnen, dem Präsidium der Partei, der Fraktion? Wie steht Frau Schuchardt dazu, wie verhält es sich mit der vielbeschworenen Solidarität der Frau Kollegin Matthäus-Maier, die Ihnen kalte Marktwirtschaft und eine unherzliche Atmosphäre vorgeworfen haben? Wie steht es mit der Verbindlichkeit dieses Papiers? Ist das eine private Meinungsäußerung, ein FDP-Papier? Hat es Kabinettsrang? Wann beschäftigt sich das Kabinett damit?
Es stellt sich hier natürlich auch die Frage nach Ihrem Mut, Herr Bundeswirtschaftsminister. Denn nur dann, wenn aus Ihren Vorschlägen materielle Änderungen der Politik, der Wirtschafts-, der Finanz- und der Gesellschaftspolitik, erfolgen, hat das einen Sinn. Hier wird sich zeigen, wie Ihr Standvermögen gegenüber dem Bundeskanzler in den nächsten Tagen aussieht.
({6})
Diese Fragen haben Sie heute nicht beantwortet; um ihre Beantwortung werden Sie in den nächsten Wochen nicht herumkommen. Sonst bleibt es ein Papier wie viele andere, wie Sachverständige, Professoren oder irgendjemand anders es auch von sich geben kann. Sie werden sich die Frage stellen lassen müssen, ob Sie bei der Verteidigung Ihrer Vorschläge der „Markt-Graf" bleiben oder zu einem Papiertiger werden, was ich Ihnen nicht wünsche.
({7})
Dieses Papier, diese Vorschläge sind natürlich auch für uns eine interessante Diskussionsgrundlage. Als mehr hat das FDP-Präsidium es ja nicht bezeichnet.
({8})
- Na ja, wollen wir einmal sehen. Heute ging er eher etwas zurück, der Herr Bundeswirtschaftsminister. Wir wollen einmal sehen, wie sie alle marschieren, ob sie im Gleichklang marschieren, wie
viele einen Schritt vor- und dann wieder einen halben zurückmarschieren. Sie sind schon oft in viele Richtungen marschiert; wir wollen uns den Marsch aus der Distanz einmal genau ansehen.
({9})
Aber auf eines hat der Bundeswirtschaftsminister Anrecht: daß wir diese Probleme, die er aufgezeigt hat, sachlich und verantwortungsbewußt diskutieren. Er ist immerhin der erste Bundeswirtschaftsminister dieses Kabinetts, der den Versuch unternimmt, die Wirtschaftsprobleme realistisch offenzulegen und ein umfassendes Bündel von Maßnahmen zur Lösung dieser Probleme zusammenzustellen.
({10})
- Herr Matthöfer hat das als Bundesfinanzminister ja nicht sehr lange überlebt. Nachdem er sehr richtige Ansichten zur privaten Investitionstätigkeit und zur Finanzierbarkeit des sozialen Netzes geäußert hatte, blieb er nicht mehr sehr lange Bundesfinanzminister, sondern er wurde dann als Bundespostminister etwas auf die äußere Ecke dieser Bank abgedrängt. ({11})
Eines ist richtig, Herr Bundeswirtschaftsminister - das begrüßen wir -: daß Sie in der Analyse und in manchen Vorschlägen an das 7-Punkte-Programm der CDU/CSU-Bundestagsfraktion anknüpfen.
({12})
Denn bisher war bei Ihnen, bei der Regierung, bei der Koalition, nur Flickschusterei festzustellen, während jetzt immerhin einmal der Versuch unternommen wird - allerdings nur von einer Einzelperson -, alle Bereiche der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zusammenzufassen.
Sie wissen selbst, Graf Lambsdorff - Sie haben das in den letzten Tagen gemerkt -: Nicht alle Einzelvorschläge von Ihnen stoßen auf Zustimmung. Auch CDU und CSU können sich keineswegs mit allen Einzelvorschlägen anfreunden. Schließlich ist Ihr Papier ja auch in Ihrer eigenen Partei, in Ihrer eigenen Fraktion und in Ihrem eigenen Präsidium nicht unbestritten.
Aber eines in diesem Papier ist richtig: Wir müssen vom Besitzstandsdenken Abschied nehmen. Wir müssen die Anspruchsmentalität in allen Bereichen der Bevölkerung brechen. Darüber hinaus sind einschneidende Eingriffe bei einer Reihe staatlicher Leistungen unabdingbar.
Daß dies Kritik, Betroffenheit bei den Betroffenen auslöst, ist klar. Man darf sich - das gilt auch für Sie von der FDP - über diese Kritik nicht wundern. Seit Jahren haben wir auf die sich kumulativ verschärfenden Probleme hingewiesen; Sie haben uns nichts geglaubt. Unsere Maßhalteappelle wurden belächelt, unsere Kritik am zunehmenden Auseinanderklaffen von staatlichen Leistungen und gesamtwirtschaftlichem Leistungsvermögen wurde als Versuch der sozialen Demontage diffamiert, und unsere WarDr. Waigel
nung vor den verheerenden Auswirkungen der maßlosen Staatsverschuldung wurde als Spielerei mit harmlosen Problemen abgetan. Gerade auch Sie, Graf Lambsdorff, fanden nur Spott und Ironie hier in diesem Haus, wenn wir hier und in der Öffentlichkeit auf die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Vergangenheit hingewiesen haben. Die Frage muß hier schon erlaubt sein: Wo waren Sie eigentlich in den letzten zehn Jahren, Graf Lambsdorff? Warum sind Sie als wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP und dann als Bundeswirtschaftsminister dieser Politik nicht ganz entschieden entgegengetreten, die Sie heute als so verhängnisvoll für die Zukunft empfinden und bezeichnen?
({13})
Ihr jetziges Papier kann Ihre Mitschuld an der Fehlentwicklung des letzten Jahrzehnts nicht salvieren.
Sie müssen sich auch den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie jahrelang verbal - verbal war er ganz stark, der Graf Lambsdorff -, angefangen bei zahlreichen Reden über Parteitagsprogramme bis hin zum Jahreswirtschaftsbericht, zwar die richtigen Ansatzpunkte gezeigt haben, sie jedoch am Kabinettstisch in Bonn nicht in die Tat umgesetzt haben. Für diese politische Fehlentwicklung trägt auch die FDP Verantwortung. Wenn der Karren jetzt im Dreck steckt - und Graf Lambsdorff jetzt ein Schweiß- und Tränen-Programm vorlegt, das erwartungsgemäß einen Sturm der Entrüstung auslöst -, dann ist daran auch die FDP schuld; weil man nicht rechtzeitig gegengesteuert hat. Darum tragen Sie für die notwendigen schwierigen Eingriffe jetzt auch die Verantwortung. Sie haben nicht das Recht, andere in diesem Zusammenhang zu diffamieren.
({14})
Nun sehen Sie sich natürlich einer sehr heftigen Kritik gegenüber. Der Herr Bundeskanzler, der sich ja für einen ökonomischen Vordenker hält, geht sogar so weit, Ihnen gewisse analytische Fähigkeiten abzusprechen. Dennoch kann niemand bestreiten, daß dieses Papier eine ehrliche, wenngleich späte Bestandsaufnahme der nationalen und internationalen Probleme enthält. Auch das, was Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, eben zum Protektionismus und zu den Problemen der Außenwirtschaft gesagt haben, wird kaum jemand bestreiten können. Wir haben nie die Einwirkung und die gravierende Auswirkung der veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Spuren der Ölpreisexplosion, des zunehmenden Konkurrenzdrucks der Japaner und der Schwellenländer wie auch die Problematik des zunehmend überhandnehmenden Protektionismus bestritten. Die wirtschafts- und finanzpolitische Argumentation der Bundesregierung aber nahm doch in den vergangenen Jahren permanent Zuflucht zur Sündenbocktheorie, der zufolge im eigenen Hause alles in Ordnung sei, während die Fehler nur von auswärts, vom Ausland her gekommen seien. Damit haben Sie endlich aufgeräumt. Das ist ehrlich. Das finden wir richtig.
({15})
Wir stimmen mit Ihnen überein, daß die derzeitigen weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten die Summe einzelstaatlicher Fehlentwicklungen sind und daß ein wesentlicher Teil der Ursachen unserer binnenwirtschaftlichen Probleme auch im eigenen Land zu suchen ist. Wir können nicht - worauf der Bundeskanzler offensichtlich hofft - darauf vertrauen, daß irgendeine ausländische Instanz - die EG-Kommission, der US-Präsident oder die UNO - die Wirtschaftsprobleme der Bundesrepublik Deutschland lösen könne. Wir sind vielmehr gefordert, selbst Antworten auf die Krise zu finden. Da der Exportboom im Gegensatz zur Rezession von 1974 diesmal nicht auf die Binnenkonjunktur durchgeschlagen hat, sind wir um so mehr gefordert, eigenständige Initiativen zu ergreifen. Bislang - das ist ja auch die Kritik Ihres Papiers, Graf Lambsdorff - ist die Bonner Regierungskoalition Antworten auf die hausgemachten Probleme jedenfalls schuldig geblieben.
({16})
Wie wahr, Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Ihre Feststellungen, Glaubwürdigkeit, Verläßlichkeit und innere Konsistenz seien für die Politik und insbesondere für die Wirtschaftspolitik notwendig! Nur wissen Sie wie wir, daß keine Regierung die Fragen der Glaubwürdigkeit, der Verläßlichkeit von Rahmenbedingungen und innere Konsistenz so vernachlässigt, so mißbraucht hat wie diese Regierung in den letzten Jahren.
Ich teile auch die von Ihnen in Ihr Papier hineingeschriebene Kritik der Wirtschaftsverbände, daß die Maßnahmen vielfach als zu kurzatmig, zu vordergründig, zu unsystematisch und teilweise in sich widersprüchlich angesehen worden sind. Ich will Ihnen dazu nur drei Beispiele nennen. Mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz unternahm die Koalition den Versuch, die Anschaffung von betrieblich genutzten Pkws durch den Wegfall des Vorsteuerabzugs zu verteuern. Wenige Monate später beschloß die Koalition im Rahmen der sogenannten Gemeinschaftsinitiative, die Anschaffung von betrieblich genutzten Pkws durch die Gewährung einer Investitionszulage wieder finanziell zu fördern. Wiederum wenige Monate später will die Koalition die Anschaffung betrieblich genutzter Pkws verteuern, indem der private Nutzungsanteil auf 40 % angehoben werden soll. Sind das die kalkulierbaren Rahmenbedingungen, Graf Lambsdorff, die Sie fordern?
Es dürfte auch zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages zwischenzeitlich Einigkeit darüber herrschen, daß die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen viel zu gering ist. Es ist doch die Misere unserer Wirtschaft, daß in den letzten zehn Jahren diese Eigenkapitalausstattung von 30 auf 20 % zurückgegangen ist und von daher die Investitionsbereitschaft nicht mehr in dem Maße gegeben sein kann und deswegen die Arbeitsplätze nicht so gesichert und neu geschaffen werden konnten, wie es der Fall gewesen wäre, wenn man eine systematische Politik der Erhaltung dieser ursprünglichen Eigenkapitalausstattung betrieben hätte.
({17})
Nun, was tun Sie? Sie haben durch die Absenkung der steuerlich zulässigen Pensionsrückstellungen wiederum die Liquidität der Betriebe erschwert. Wo liegt hier die innere Konsistenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik, frage ich Sie? Es vergeht kein Tag, an dem nicht, vor allen Dingen aus den Reihen der Sozialdemokraten, die Forderung nach einer Erhöhung der öffentlichen Investitionen erhoben wird. Was ist das eigentlich für ein Widerspruch, das permanent zu fordern und im letzten Jahr die Gemeinschaftsaufgabe - die wichtigen Aufgaben Agrarstruktur, Verbesserung der regionalen Strukturpolitik, Straßenbau, Hochschulausbau - ganz entscheidend zu kürzen, weil man nicht bereit war, die Kürzungen im konsumtiven Bereich vorzunehmen?
({18})
Sie haben im Präsidium der FDP laut Ihrer Presseerklärung Fragen gestellt. Ich will sie Ihnen gerne beantworten. Die Grenzen der Belastbarkeit der Arbeitnehmer und der Unternehmer durch Steuer und Sozialabgaben sind längst überschritten. Zum zweiten: Eine weitere Ausweitung der Staatsverschuldung kommt für uns nicht in Frage. Vielmehr ist es das Gebot der Stunde, durch eine Reduzierung der Schuldenzuwächse schrittweise die finanzielle Handlungsfähigkeit unseres Gemeinwesens wiederherzustellen. Für CDU und CSU sind Investitionen der Schlüssel zu mehr Arbeitsplätzen. Dabei muß nach unserer Auffassung der Vorrang bei den privaten Investitionen liegen, wie es der Bundeswirtschaftsminister vorher gesagt hat.
Will man den gesamtwirtschaftlichen Korridor für private und öffentliche Investitionen ausweiten, sind Eingriffe bei den konsumtiven Ausgabeblöcken unumgänglich. Für die öffentlichen Haushalte bedeutet das, Eingriffe bei den Leistungsgesetzen und bei den Subventionen vorzunehmen. Sie hätten diese Fragen theoretisch gar nicht an uns stellen müssen. Allein das Lesen des Sieben-Punkte-Programms hätte diese hypothetischen Fragen erspart.
({19})
Was Ihre Einsparungsvorschläge betrifft, Graf Lambsdorff, handelt es sich um Maximalforderungen, die wir in der Summe und auch in der Konsequenz nicht alle unterstützen können.
({20})
Bei dem Diskussionspapier des Bundeswirtschaftsministers handelt es sich um einen Vorschlagskatalog, keineswegs jedoch um ein in sich geschlossenes und den Kriterien der Solidarität und Subsidiarität Rechnung tragendes Programm. Es enthält keine politische Strategie, wie das wirtschaftspolitisch Notwendige in die Tat umgesetzt werden kann. Dieser Aufgabe müssen wir uns, so hoffe ich, gemeinsam stellen.
({21})
Noch ein Wort zur Steuerpolitik. Im Gegensatz zu dem nordrhein-westfälischen Finanzminister Pos-ser anerkennt der Bundeswirtschaftsminister einen Entlastungsbedarf bei den direkten Steuern. Hier danken wir für die Klarstellung - ich hoffe, daß das auch in der Bundesregierung klar ist -, daß eine Mehrwertsteuererhöhung auf keinen Fall zur Dekkung der Löcher im Bundeshaushalt mißbraucht wird. Wir sind nachdrücklich dafür und unterstützen Sie, wenn das Steuersystem leistungs- und investitionsfreundlicher umgestaltet wird. Wir unterstützen eine Umstrukturierung des Steuersystems jedoch nur dann, wenn damit über den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen hinausgehende echte Entlastungen verbunden sind. Eine Zementierung heimlicher Lohn- und Einkommensteuererhöhungen durch offene Mehrwertsteuererhöhungen lehnen wir ebenso ab wie die Heranziehung weiterer Verbrauchsteuererhöhungen zur Stopfung der Löcher im Bundeshaushalt.
Nur am Rande, Graf Lambsdorff, darf ich vermerken, daß Sie in Ihrem Papier auf unsere Vorschläge zur Förderung der Gründung neuer Existenzen eingegangen sind, sie weitgehend übernommen haben. Ich frage mich bloß: Warum haben Sie und Ihre Freunde nicht zugestimmt, als wir diese Vorschläge eingebracht haben, sie zur Abstimmung gestellt haben?
({22})
Damals hatten Sie die Einsicht nicht, heute schreiben Sie - was ich Ihnen nicht vorwerfe; man darf jederzeit etwas Gutes übernehmen - das von uns ab und stellen es als neuen Gedanken heraus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler hat nach Durchsicht des Diskussionspapiers des Bundeswirtschaftsministers Zweifel an den „analytischen Fähigkeiten" seines Bundeswirtschaftsministers geäußert. Dies ist sein Recht. Auf der anderen Seite muß er sich jedoch fragen lassen, ob er nicht auch in diesem Punkt zur bewährten Sündenbock-Theorie zurückgreift, um vom eigenen Defizit an analytischer Problemverarbeitung abzulenken.
({23})
Die SPD mit ihrem Bundeskanzler ist - das hat sich in den vergangen Jahren klar gezeigt - eine wirtschafts- und finanzpolitische Schönwetterpartei. Solange der Laden floriert, die Wirtschaft wächst, wird aus dem vollen geschöpft und reichlich verteilt. Gerät der Wachstumsmotor jedoch ins Stottern, greift in der SPD blanker Opportunismus um sich.
({24})
Als Chefopportunist - ich sage dieses harte Wort -hat sich ohne Zweifel wieder einmal Bundeskanzler Schmidt entpuppt.
({25})
Ich darf nochmals auf das verweisen, was Kollege Dregger bereits angedeutet hat, nämlich auf die Ausführungen des Bundeskanzlers, die durch den Kollegen Wehner auch der Öffentlichkeit zugeleitet worden sind. Er hat ja da zur Konsolidierung der Staatsfinanzen und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit interessante Bemerkungen gemacht. Er hat gesagt, die Erhöhung der Sozialausgaben der letzten zehn Jahre sei eigentlich auf drei Wegen finanziert worden, einmal durch eine Erhöhung der NettokreDr. Waigel
ditaufnahme, durch eine kräftige Verschuldung. Er sagte sinngemäß, eine weitere Erhöhung der Nettokreditaufnahme komme für ihn nicht mehr in Frage; er könnte sich sonst im Spiegel nicht mehr als Ökonom sehen. - Ich nehme an, er meint nicht das Magazin. - Zum zweiten. Die Grenzen der Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Sozialabgaben sind längst erreicht. Mehr sei auch dem Facharbeiter, der Klientel der SPD, nicht zuzumuten. Zum dritten hat er gesagt: Wir haben dieses Mehr an Sozialleistungen durch ein Herunterfahren der öffentlichen Investitionen finanziert, und er stellt die Frage, ob das gut sei. Dann kommt Helmut Schmidt zu folgender, seine immense Lernfähigkeit bezeugenden Einsicht: Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Bemühungen des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als hier in die Sozialleistungen einschneiden. - Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was eigentlich ist das Diskussionspapier des Bundeswirtschaftsministers anderes als die Erfüllung des damaligen Auftrags des Bundeskanzlers und die logische Konsequenz aus der zitierten Feststellung des Bundeskanzlers vor seiner Fraktion?
({26})
Niemand kann sich doch über die Notwendigkeit tiefer Eingriffe bei den Subventionen und bei den Leistungsgesetzen als Voraussetzung für eine nachhaltige Ausweitung des beschäftigungspolitischen Handlungsspielraums des Staates hinwegtäuschen.
Nur der Bundeskanzler redet vor jedem Gremium anders:
({27})
vor seiner Fraktion anders als im Kabinett, im Kabinett anders als in der Öffentlichkeit und in der Öffentlichkeit wieder anders als vor dem Bundesparteitag der SPD, wo er sich ausgerechnet bei den ihn so betreffenden Fragen der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik nicht in der Lage sah hinzugehen, obwohl es doch so wichtig gewesen wäre, seine weisen Ausführungen vor der Fraktion den Delegierten unmittelbar weiterzugeben.
({28})
Ich halte das für blanken und nackten Opportunismus.
Dieser grenzenlose Opportunismus zeigt sich auch in der Behandlung des Begriffs „soziale Demontage". Der Kollege Dregger hat das bereits angedeutet. Die mißbräuchliche Inanspruchnahme bestimmter Sozialleistungen wird bestritten, Eingriffe bei Leistungsgesetzen werden als „soziale Demontage" denunziert. Aber eine grundsätzliche Alternative der SPD, aus der hervorginge, wie die Staats- und Sozialversicherungsfinanzen dauerhaft saniert werden könnten und damit die Wachstumsschwäche der Wirtschaft überwunden werden könnte, liegt nicht vor. Die Alternative der SPD heißt doch kurz und bündig und immer wieder: Erhöhung der Steuer-und Abgabenbelastung.
Es lohnt sich, darauf hinzuweisen, was bereits allein in dieser Legislaturperiode in diesem Bereich passiert ist: Anhebung der Mineralölsteuer, Anhebung der Branntweinsteuer, Anhebung der Tabaksteuer, mehrfache Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Hinzu kommt die geplante, aber Gott sei Dank von der Union verhinderte Anhebung der Mehrwertsteuer für einen verfehlten Zweck.
Hier herrscht doch eine totale Begriffsverwirrung. Das einzige Ziel dieser Politik ist es, soziale Besitzstände durch einen konsequenten Marsch in den Steuer- und Abgabenstaat zu finanzieren.
Ich möchte auch zur Ergänzungsabgabe etwas sagen. Die Ergänzungsabgabe wird ja nicht unter dem Aspekt gefördert, man könne mit ihrem Erlös sehr viel bewirken - die Summen sind relativ gering -, sondern unter dem Gesichtspunkt der sogenannten sozialen Symmetrie. Es ist unbestreitbar - niemand wird das leugnen -, daß die finanziellen Lasten dessen, was auf uns zukommt, auf alle, auf breite und auf weniger breite Schultern, verteilt werden müssen. Dabei muß aber neben der vielbeschworenen sozialen Ausgewogenheit auch die wirtschaftspolitische Wirkung jeder Maßnahme sorgfältig bedacht werden.
Wer zählt eigentlich zu den „Besserverdienenden", die da mehr tun sollen? Der Fußballstar, der Chefarzt, der Ministerialrat, die Herren Minister und Staatssekretäre, der Abteilungsleiter, der Facharbeiter?
({29})
- Ich habe für mich persönlich nichts dagegen.
({30})
Wir haben als Abgeordnete - das werden Sie wissen, Herr Kollege Roth - in den letzten Jahren hier schon einen erheblichen Verzicht geleistet. Das darf auch einmal gesagt werden. - Die Ergänzungsabgabe erbringt nur dann nennenswerte Mehreinnahmen, wenn wir die große Schicht der Facharbeiter mit einbeziehen, bei denen wir aber doch behaupten, die Grenze ihrer Steuer- und Abgabenbelastbarkeit sei längst überschritten.
Der Bundeskanzler sagte in der Fraktion: Die Facharbeiter dürfen wir nicht mehr mit Steuern und Abgaben belasten, weil sie an ihre Grenze gestoßen sind. Um aber die entsprechende Wahlkampfmunitionierung zu besitzen, wird das Entgegengesetzte zu diesem Thema behauptet. Oder wollen wir weitere heute gut verdienende Arbeitnehmer, deren Grenzbelastung durch Abgaben ohnehin schon bei rund 60 % liegt, durch weitere Steuererhöhungen in die Schwarz- und Schattenwirtschaft abdrängen?
Noch eine Frage an die Freunde von der SPD: Wie verhalten Sie sich eigentlich jenen gegenüber - das muß in diesem Zusammenhang auch einmal gesehen werden -, die durch steuerbegünstigte Anlagen in Berlin oder sonstwo ihr zu versteuerndes Einkommen derart reduzieren, daß sie steuerrechtlich nicht mehr zu den Besserverdienenden zählen?
({31})
Ich bin sehr dagegen, daß man diese Leute laufen läßt, weil sie auf die Art und Weise zu keiner Steuer7008
zahlung kommen. Ein anderer aber, der diese Möglichkeit nicht besitzt, soll natürlich voll von einem noch weiteren Marsch in den Steuer- und Abgaben-staat getroffen werden.
Oder wollen Sie eine Ergänzungsabgabe von jenen erheben, von denen wir erwarten und von denen wir erhoffen, daß sie ihre Investitionen aufstocken, um mehr Ausbildungsplätze bereitzustellen - die Handwerker, die Freiberufler, die mittelständischen Unternehmen? Oder wollen Sie trotz AEG, Bauknecht, Dual, Kreidler, Video-Color, Hoesch, Röchling, Burbach usw. noch mehr Unternehmen in die Pleite oder in die Verlustzone treiben? Wie wollen Sie denn eine Ergänzungsabgabe auf Unternehmensgewinne erheben, wenn immer mehr Unternehmen rote Zahlen schreiben bzw. Konkurs anmelden müssen? Hierauf ist die SPD bis heute jede konstruktive Antwort schuldig geblieben.
({32})
Es ist leider leichter, Neid und Mißgunst zu nähren, als sachliche Antworten zu geben.
({33})
- Mein Gott, Herr Löffler, nach Ihren Ausführungen wagen Sie den Zwischenruf „Bleiben Sie bei der Sache!".
({34})
- Herr Löffler, ich mag Sie zu gern, als daß ich jetzt auf Ihre Zwischenrufe eingehe.
Sicherlich finden sich - ich möchte das nicht unberücksichtigt lassen - auch in den Reihen der SPD Kollegen, die bereit sind, mit dem für uns alle politisch gefährlichen Begriff der sozialen Demontage sorgfältiger umzugehen, die bereit sind, in sachlicher Weise eine Antwort auf das zunehmende Auseinanderklaffen von staatlichen Leistungen und gesamtwirtschaftlichem Leistungsvermögen zu suchen.
({35})
Die Ausführungen von Herrn Glotz, Ihres Bundesgeschäftsführers, und des Kollegen Glombig zur Anpassung des Sozialsystems an die veränderten wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie der Kollegen Roth und Rappe zur Überprüfung der Anpassungsregelungen im Rentensystem habe ich in diesem Zusammenhang mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt auch für die Ausführungen des ehemaligen Finanzministers Matthöfer - anläßlich seines Ausscheidens aus dem Finanzministerium - über die Grenzen der Steuer- und Abgabenbelastung, allerdings Ausführungen, die bei Ihnen nicht auf sehr fruchtbaren Boden gefallen sind.
Ich kann aber nicht verhehlen - das macht uns große Sorgen -, daß bei einem Großteil der Sozialdemokraten ein leichtfertiger Umgang mit dem Begriff „soziale Demontage" betrieben wird. Ich habe fast die Befürchtung, daß Sie als Regierungspartei resignieren und sich heute schon auf eine Strategie in der Opposition vorbereiten,
({36})
nach dem Motto „Nach uns die Sintflut und mit uns die Masse der Unzufriedenen"; eine gefährliche und trügerische Strategie.
({37})
Diese Strategie läuft nämlich darauf hinaus, den Karren selber in den Dreck hineinzufahren und danach diejenigen, die den Karren aus dem Dreck ziehen müssen, zu diffamieren.
({38})
In diesen Zeiten verkehren sich die Begriffe: Was ist eigentlich progressiv, und was ist eigentlich konservativ? Sie, die sich doch sonst immer als progressiv geben, haben doch - ({39})
- Ich rede, über wen ich will, Herr Wehner.
({40})
Sie haben doch heute die Rolle der Erzkonservativen übernommen. Sie verweigern Änderungen, obwohl Sie wissen, daß sie unumgänglich sind.
({41})
Sie sind unfähig, neuen Herausforderungen mit neuen Antworten zu begegnen. Die angeblich Progressiven, die auf dieses Wort so stolz waren, verweigern sich heute der notwendigen Reform, und die soviel geschmähten Konservativen
({42})
sind heute willens und offensichtlich als einzige in der Lage, unseren sozialen Rechtsstaat durch eine wirtschaftliche, finanzielle und gesellschaftspolitische Reform wiederherzustellen und damit die Arbeitslosigkeit wirklich zu bekämpfen.
({43})
Der Kieler Konjunkturexperte Professor Norbert Walter vertritt die Auffassung, daß Einsparungen, die sich auf den ersten Blick als unzumutbare soziale Härte darstellen, im Ergebnis mehr Schaden von den Betroffenen abwenden dürften als staatlicher Aktivismus und kollektive Fürsorge.
({44})
Nur mit einem solchen ordnungspolitischen Schritt nach vorn zu mehr Eigenverantwortung ist seiner Meinung nach auf mittlere Sicht wieder ein Wirtschaftswachstum zu erreichen, das die ArbeitslosigDr. Waigel
keit abbaut und reale Einkommenssteigerungen ermöglicht.
({45})
- Nun, es ist immerhin die große Mehrheit! Was Sie auf Ihrem Gebiet an Professoren aufbieten, kann man im Moment nicht zur Spitze des nationalökonomischen Sachverstands rechnen.
({46})
- Ich nehme das, was ich eben gesagt habe, zurück: Das gilt nicht für Professor Schiller, der aber in diametralem Gegensatz zu Ihnen, Herr Roth, und anderen steht, obwohl er wieder in Ihre Partei eingetreten ist.
({47})
- Ich nehme an, wenn ich ihn anrufe, erschrickt er nicht so, wie wenn Sie ihn anriefen.
({48})
Die gegenwärtige Lage verlangt eine Überprüfung aller staatlichen Leistungen. Tabus darf es in diesem Zusammenhang nicht geben.
({49})
- Die Bauern haben in den letzten zehn Jahren schon sehr viel an Verzicht mitgemacht; das haben Sie vielleicht nur nicht nachgerechnet.
({50})
Ich bin in meiner Fraktion gewiß kein Anhänger der Rasenmäher-Theorie, doch angesichts der Widerstände, des Besitzstandsdenkens und der verbreiteten Anspruchsmentalität spricht vieles dafür, prozentual gleichmäßige Eingriffe vorzunehmen, wie es unsere Finanzpolitiker bereits im vorigen Jahr vorgeschlagen haben.
({51})
Unsere Wirtschaft befindet sich in einer hartnäkkigen Stagnation, und auch mittelfristig sind die Wachstumserwartungen gering. In diesem Zusammenhang gibt es natürlich Gefahren, die über den Bereich der Wirtschaftspolitik hinausgehen und die schlechthin das Problem der Regierbarkeit moderner Industriestaaten berühren.
Der einstige Mentor des sozialliberalen Bündnisses Professor Dahrendorf hat dies wie folgt umschrieben:
Der Ausbau sozialer Rechte hat zur Folge gehabt, daß das Gemeinwesen als Ganzes durch seine politischen Institutionen immer neue Funktionen übernommen hat. Das Gemeinwesen ist nicht ein minimaler Staat geblieben, sondern hat sich zu einem maximalen Staat entwikkelt. Der einzelne erwartet immer mehr, daß seine Bedürfnisse vom Staat befriedigt werden. Das gilt nicht nur in der Sozialpolitik, sondern heute auch in der Wirtschaftspolitik. Man erwartet, daß der Staat wirtschaftspolitische Veränderungen abfedert. Das hohe Maß an Erwartungen an den Staat führt zu seiner Überlastung. Wir haben die absurde Situation, daß, was immer passiert, ob Naturkatastrophe oder persönliche Tragödie, die Menschen glauben, daß die Regierung etwas tun müsse. Diese Form der Überlastung führt mit Notwendigkeit zur Enttäuschung bei denen, die vom Staat erwarten, daß er seine Probleme löst, und diese Enttäuschung schlägt sich nieder in einem Widerstand gegen den maximalen Staat.
Dahrendorf fährt fort:
Entweder werden wir der These folgen: so viel Dezentralisierung wie möglich, so viel Zentralisierung wie nötig, oder aber die Enttäuschung über den Zentralstaat wird ein Ausmaß annehmen, das in der Tat legitimitätssprengend wirken kann, weil immer mehr Menschen sich vom Gemeinwesen und seiner politischen Organisation abwenden werden.
({52})
- Nein, der dezentrale Staat ist ein föderaler Staat, und der ist in der Lage, die Probleme der Bürger näher und realistischer zu sehen als der Zentralstaat, den Sozialisten immer anstreben.
({53})
Frau Skarpelis-Sperk, es enttäuscht mich schon, daß Ihre Arbeit in einem schwäbischen Wahlkreis Sie noch nicht befähigt hat, die Vorteile des Föderalismus zu erkennen.
({54})
- Sie werden die schwäbische und auch die bayerische Mentalität nie begreifen!
({55})
Die Lösung kann meines Erachtens nur in einer verstärkten Hinwendung zu mehr Markt, zu mehr Dezentralisierung, zu mehr Eigenverantwortung gefunden werden. Das hat mit sozialer Demontage überhaupt nichts zu tun. Vielmehr liegen hier die Voraussetzungen für eine dauerhafte und gemeinwohlbezogene Sicherung unseres sozialen Netzes vor dem Hintergrund gravierender wirtschaftlicher Engpässe.
Aktiv gestaltende Gesellschaftspolitik bedarf der Selbstverantwortung in einer offenen Gesellschaft.
Personalität, Solidarität und Subsidiarität sind Ordnungsprinzipien einer solchen Politik.
({56})
Solidarität gründet in der sozialen Natur des Menschen und seiner Wechselbezogenheit zur Gemeinschaft. Subsidiarität - Ihr Verhängnis, Herr Kollege Löffler, ist, daß die SPD keine Beziehung zur Subsidiarität hat, zu diesem Prinzip der Freiheit und der Selbstverantwortung ({57})
ist das Prinzip der Freiheit und der Selbstverantwortung der Person. So sind Solidarität und Subsidiarität Bau- und Gliederungsprinzipien von Staat und Gesellschaft. Solidarität ist Hilfe und ist wesenhaft eine subsidiäre Hilfe, eine Hilfe zur Selbsthilfe.
({58})
Darum eignet sich der Begriff Solidarität nicht zur Gleichmacherei und auch nicht zum Klassenkampf, zu dem Sie dieses wertvolle Prinzip manchmal mißbrauchen.
({59})
Norbert Blüm hat bereits im Jahre 1977 in einem bemerkenswerten Beitrag in der „Welt der Arbeit" gefordert, das Wort Solidarität müsse ganz neu buchstabiert werden, auch die Belastbarkeit der Arbeitnehmer mit weiteren Beitragserhöhungen sei nicht weiter strapazierbar und Anstrengungen müßten von allen nach ihrer Leistungskraft verlangt werden.
({60})
Nur wenn wir diesen Begriff der Solidarität neu bestimmen und nach den Grundsätzen der Subsidiarität bei allen Leistungen der Gemeinschaft, des Staates die Frage stellen, ob nicht der einzelne, der Familienverband, die Gesellschaft, gesellschaftliche Gruppierungen dem Staat Aufgaben und Lasten abnehmen können, wird die Solidargemeinschaft überhaupt bestehen können und finanziert werden können.
Die Staats- und Parteienverdrossenheit unserer Tage ist darauf zurückzuführen, daß immer mehr Aufgaben, Chancen und Möglichkeiten auf den Staat übergegangen sind.
({61})
Die einzige Lösung gesellschaftlicher Fragen in den letzten zehn Jahren bestand von Ihnen darin, daß Sie neue Bürokratien und Großorganisationen geschaffen haben.
({62})
Sonst ist Ihnen nichts eingefallen.
({63}) Anonyme Bürokratien und Großorganisationen sind kein Anreiz zu mehr persönlicher Solidarität, zu Engagement oder zur Leistung der Bürger.
({64})
Bürgerbewußtsein, Selbstverantwortung und Entfaltung der Persönlichkeit sind geistige Werte, die dieser Verdrossenheit entgegenwirken. Vor Jahren bereits hat Professor Dahrendorf die Frage gestellt - jetzt bin ich gespannt, ob Sie die entsprechenden Zwischenrufe auch machen, wenn ich ihn zitiere -, ob die Fundamente unseres Staates wanken. Er kam zu dem Schluß, es zerbreche da gleichsam der sozialliberale Konsens. Nicht der Staat wankt, der sozialliberale Konsens stimmt nicht mehr. Was ist dieser Konsens? Es war ein Konsens der Modernität, stärkerer Staatstätigkeit im Wirtschaftsbereich, Umverteilung, Bildungsexplosion, Entstrukturierung von Familie, Kirche, Schule und anderer Institutionen, Konsumorientierung, wesentliche Hebung des Reallohns. Ich wage die Behauptung: Eben dieser sozialliberale Konsens hat zur Überforderung des Staates und zur Staatsverdrossenheit geführt.
({65})
Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede vor einer Woche, der Bundeswirtschaftsminister in seinem Papier Abschied von dieser verhängnisvollen sozialliberalen Modernität genommen. Die nächsten Tage werden zeigen, ob dahinter taktische Manöver oder glaubwürdige Politik stehen. Die quälende Agonie der Koaliton schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern dem Ansehen unseres Staates. - Ich danke Ihnen.
({66})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte sollte auch dazu dienen, daß man auf die Vorredner Bezug nimmt, und nicht im Abliefern von fertigen Manuskripten bestehen.
Ich will zu meinem Vorredner und seinem Staatsverständnis ein Wort sagen. Da schimmert durch jede Ritze der alte Nachtwächterstaat.
({0})
Ich muß Ihnen sagen: In dieser Zeit hat mancher in der Praxis erleben müssen, daß man ganz schnell vom Nachtwächterstaat in den Feuerwehrstaat rutscht.
({1})
Was meine ich damit? Mit welchem Pomp haben die führenden Leute von AEG vor einigen Jahren - genau: im Jahr 1979 - uns erklärt, jetzt mache man die privatwirtschaftliche, die bessere, die ordnungspolitisch saubere Sanierung der AEG. Damals hat der heutige Postminister und seinerzeitige Bundesfinanzminister das eine oder andere skeptische Wort formuliert und die Frage gestellt: Sollten wir nicht alle - Staat, Banken, AEG, und dort eben beide Teile - eine langfristige Lösung finden? Ich
erinnere mich noch genau an die Schmährufe: typisch, Staatssozialismus, Matthöfer, IG-MetallSchulung. Drei Jahre später kamen die, die damals gesagt hatten, der Staat habe da nichts zu suchen, zum Staat und verlangten den Feuerwehrstaat: Jetzt muß gelöscht werden - mit 1,1 Milliarden DM.
({2})
Ich stehe dazu: Vorausschauende Strukturpolitik wäre bei diesem Beispiel besser gewesen, als jetzt dem Brand hinterherzulaufen.
({3})
Herr Abgeordneter Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Natürlich.
Herr Kollege Roth, weil Sie gerade von der mißlichen Lage der AEG und von den Leuten sprechen, die seinerzeit so geredet haben und diesmal so reden, frage ich Sie: Würden Sie mir sagen, wer jüngst bei der Regierung auf den Knien gerutscht ist, um für das Unternehmen Staatssubsidien zu bekommen?
Wir sind uns - da stimme ich dem Bundeswirtschaftsminister zu - jetzt doch völlig einig, daß wir zur Zeit diesen großen Konzern AEG nicht vom Taumeln ins Stürzen geraten lassen dürfen.
({0})
Und wir dürfen das nicht nur wegen der Bankverbindlichkeiten oder -forderungen tun, sondern wir tun das wegen der Zulieferindustrien und wegen der vielen Beschäftigten bei AEG und in der kleinen und mittleren Wirtschaft.
({1})
Hier gibt es keinen Unterschied. Wenn ich Sie so verstehen soll, daß Sie das ablehnen, wäre es ein bemerkenswerter Beitrag zu dem hessischen Landtagswahlkampf, von dem Herr Dregger gesprochen hat.
({2})
Ich will in einer zweiten Äußerung auf das eingehen, was Herr Waigel gesagt hat. Er hat dem Bundeskanzler - bemerkenswert, muß ich sagen - Opportunismus vorgeworfen.
({3})
- Das ist ein starkes Stück. Jedenfalls habe ich das von keinem neutralen kritischen Beobachter dieser Regierung jemals gehört. Ich weise das zurück.
Aber ich will zwei Beispiele von Opportunismus vorführen,
({4})
und zwar zuerst durch ein Zitat vom 3. August 1982:
Jedem Gewerkschafter
- da bitte ich auch die Liberalen zuzuhören muß das Herz bluten, wenn er sieht, wie die Sozialdemokraten zur Deckung der Löcher im Bundeshaushalt
- über den wir heute reden die Sozialkassen plündern. Nennen wir doch die Dinge beim Namen: Arbeitnehmer wie Arbeitslose, Rentner und Kranke sollen mit ihren Groschen der SPD die Macht in Bonn sichern.
So Helmut Kohl am 3. August 1982.
({5})
Das ist Opportunismus,
({6})
wenn in einer derartigen Phase der Staatsbankrott an die Wand gemalt und bei Einsparungen in diesem Umfang behauptet wird, da würden die Menschen ausgeplündert. - Das ist Opportunismus.
({7})
Ich will mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein zweites Zitat bringen, und zwar von einem Freund der CDU, Gerd Bucerius.
({8})
- Sie unterstützen also meine Einschätzung, daß er Ihr Freund ist.
Er sagte am 23. Juli in der „Zeit":
Von einer CDU/CSU-Regierung erwarten sie
- die Bürger Sparsamkeit und Gewissenhaftigkeit im Umgang mit öffentlichen Geldern ... Und da passiert dieses: Weil Sparen nicht immer nur den kleinen Mann treffen soll, will die Koalition auch den ({9}) Beamten ein Opfer zumuten: Die Beamtengehälter sollen nicht ({10}) zum 1. Mai, sondern erst drei Monate später, zum 1. August erhöht werden. Ersparnis: eine Milliarde Mark.
Herr Bucerius fährt fort:
Ein solches Gesetz muß der Bundesrat ({11}) billigen. Hier also könnte die Opposition beweisen, daß sie, wenn die Lage des Landes es verlangt, auch ihre Freunde und Wähler ({12}) nicht verschont. Aber die Opposition hat schon beim erstenmal,
- wo sie Verantwortung zu tragen hatte versagt.
({13})
Lassen Sie mich hier hinzufügen - um kein Mißverständnis zu erzeugen -: Uns ist es nicht leichtgefallen, die Anpassung um ein Vierteljahr zu ver7012
schieben. Ich denke da an den Briefträger, ich denke da an den Beamten bei der Eisenbahn im Rangierdienst, die A 4 oder A 5 haben. Es ist wirklich ein Einschnitt für sie, wenn diese Anpassung nicht so wie in anderen Bereichen stattfindet. Wir sagen nicht leichthin, diese Verschiebung sei in Ordnung. Wir haben sie bei uns sehr kritisch diskutiert.
({14})
Aber eines kann man nicht machen, das Drama der Staatsverschuldung Tag für Tag als Wahlkampfthema in Hessen und überall sonst benutzen und auf der anderen Seite immer versagen, wenn man konkret gefragt ist, wenn man mitentscheiden muß.
({15})
Hier will ich etwas von dem aufnehmen, was der Herr Bundesfinanzminister gestern gesagt hat: Es gab keinen Entscheidungsprozeß zu Finanzen, wo der Bundesrat Blockierungsmehrheit gehabt hat, wo nicht der Bundesrat draufgesattelt hat, das heißt mehr Kosten für den Bundesstaat provoziert hat. Das ist die Wahrheit. Jeder, der im Vermittlungsausschuß ist, kennt diese Entscheidungsprozesse und weiß, wovon ich rede.
Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, daß heute mehrfach mehr grundsätzliche Fragen der Wirtschaftspolitik angesprochen wurden. Auch ich glaube, daß es nicht ausreicht, in vordergründiger Auseinandersetzung zu verharren. Lassen Sie mich aber trotzdem ein Wort zum Angriff von Herrn Dregger sagen. Herr Dregger, hier habe ich die neuesten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds über die jetzige Lage in der Bundesrepublik Deutschland und in allen anderen westlichen Industriestaaten und über die wahrscheinliche Lage im nächsten Jahr. Diese Zahlen weisen aus, daß die Bundesrepublik Deutschland, wenn man das Wirtschaftswachstum, die Preisentwicklung, die Leistungsbilanz und die Arbeitslosenquote zusammen gewichtet, nach der Schweiz und Japan auf dem dritten Platz in dieser Weltrangliste - im positiven Sinne - steht.
({16})
Das steht hier. Und das ist die Lage. Alle anderen großen Industrieländer, USA, Großbritannien, Frankreich, schneiden weit schlechter ab.
Herr Dregger ist vorhin nun auf die Schweiz ausgewichen. Er hat gesagt, wir sollten es so wie die Schweiz machen. Ich bin gespannt, ob ich demnächst das Matterhorn im Taunus besteigen kann.
({17})
Aber mal abgesehen davon ist der Punkt doch der folgende: Die Hochzinsphase hat die Investitionstätigkeit schwer getroffen. Die Zinsen in der Schweiz aber sind langjährig stets weit unterhalb des Zinsniveaus der ganzen übrigen Welt gewesen.
({18})
Weil die Schweiz niemals an einem Krieg beteiligt war, ist sie das Zielland für viel Spekulationskapital, und deshalb konnten die Zinsen dort untengehalten werden. Das ist die Ursache dieser Differenz. Auf die
zweite Ursache wurde gerade hingewiesen: Die Bundesrepublik Deutschland als EG-Partner kann die ausländischen Arbeiter in der Phase der Arbeitslosigkeit nicht ausweisen, wie es die Schweiz tut. Das wäre auch auf Grund unserer gesetzlichen Lage innerhalb der EG undenkbar.
({19})
Lassen Sie mich eines klar sagen. Es nützt niemandem, wenn wir in der politischen Debatte immer auf andere weisen und über andere reden,
({20})
sondern wir müssen ganz genau überlegen, was in unserer Situation mehr, anders und zusätzlich zu tun ist.
({21})
Lassen Sie mich die Frage stellen: Was hat eigentlich unsere Lage besser gemacht, worauf können wir
aufbauen, und worauf sollten wir nicht verzichten?
Das erste ist: Wir hatten den sozialen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland weit mehr als andere.
({22})
Das ist der erste Faktor. Den sozialen Frieden gibt es nicht zum Nulltarif, sondern er beruht auf dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes; es hat diesen Auftrag gegeben.
({23})
Wir sind ein sozialer Bundesstaat. Das heißt, wenn es Zuwächse gibt, sollten wir diese fair und gerecht verteilen und nicht alles den Reichen geben. Das heißt aber umgekehrt: Wenn es Lasten gibt, wenn eine Krise da ist, sollten wir die Lasten nicht auf die Kleinen abladen, sondern die Lasten in der Krise fair und gerecht verteilen. Das heißt Sozialstaat.
({24})
Wer diese Prinzipien des Sozialstaats leichtfertig, sei es nur durch flotte Reden oder flinke Papiere, verletzt, der wird den sozialen Frieden nicht garantieren können.
({25})
Sozialer Friede hat eine zweite Bedingung, nämlich die Integration der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften in den Entscheidungsprozeß der Wirtschaft, die Gleichbeteiligung.
({26})
Wer in Papieren und Reden Wirtschaft sagt und nur Unternehmer meint, der wird den sozialen Frieden in Deutschland jedenfalls nicht garantieren und sichern.
({27})
Wer diese beiden Prinzipien verletzt, der hat eine andere Republik, und das ist eine Republik des sozialen Unfriedens.
({28})
Zweitens. Wir Sozialdemokraten haben immer großen Wert auf die Vielfalt in der Wirtschaft gelegt. Da stimme ich völlig mit dem überein, was vorher von mehreren Rednern gesagt wurde. Wir wollten keine Konzernwirtschaft. Wir waren diejenigen, die bei der Kartellgesetzgebung immer die härtesten Forderungen gestellt haben, die dann von Ihnen von der CDU/CSU abgelehnt wurden.
({29})
Hier waren wir uns stets einig mit den Liberalen: Vielfalt, kleine und mittlere Wirtschaft, das ist der beste Garant für die Sicherung von Arbeitsplätzen, für die Sicherung der Preisstabilität, und viele andere Faktoren werden günstig beeinflußt. Deshalb muß in dieser Krise jede Maßnahme genau daraufhin abgestimmt werden, ob man sich nicht mehr auf die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen konzentrieren kann.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich muß sehr bedauern, daß Sie eine Zwischenfrage meines Kollegen Spöri so leichtfertig behandelt haben. Wir waren doch die letzten Jahre gemeinsam der Meinung, wir sollten die Gewerbesteuerfreibeträge nach oben ziehen, um die ertragsunabhängigen Steuern bei den kleinen Unternehmen möglichst wegzubekommen. Wir wollten diese Konzentration. Das ist eine gute Sache. Aber auch das Spiegelbild des Arguments von Spöri ist richtig: Wenn ich jetzt sparen muß und nicht Geld zu verteilen habe, ist es doch sehr fragwürdig, die heute eher zur Großbetriebssteuer gewordene Gewerbesteuer zuerst abzuschaffen. Ich halte das jetzt, wo die Kassen knapp sind, für einen falschen Weg.
({30})
Reden Sie doch einmal mit den Kämmerern, wobei ich zugeben muß, daß in Nordrhein-Westfalen nicht sehr viele Liberale in Kommunalparlamenten sind.
({31})
Drittens. Wir haben - auch hier besteht völlige Übereinstimmung mit vielem, was gesagt wurde - zum Welthandel, zur internationalen Integration stets j a gesagt, anders als andere. Wir waren nie der Meinung, daß Protektionismus, Abschirmung irgendeine Funktion im Hinblick auf die weitere Sicherung von Arbeitsplätzen erfüllen könnte. Wir werden diese Politik für einen offenen Welthandel fortsetzen. Wir werden protektionistische Bestrebungen, die es in verschiedenen Lagern gibt - ich gebe zu, auch in manchen Lagern innerhalb der sozialistischen Internationale -, bekämpfen, und zwar auch dort, wo sie erst in Reden anfangen; in der Regel hat das j a spätere Folgen.
Der vierte Punkt, von dem jedenfalls wir Sozialdemokraten gemeinsam ausgehen können, ist: Wir waren ständig der Meinung, daß Strukturwandel und Modernisierung der Wirtschaft sein müssen und daß man ihn nicht hemmen darf. Nicht zuletzt deshalb haben wir in den letzten Jahren immer wieder mitgeholfen und es durchgesetzt, daß Investitionserleichterungen in der Wirtschaft realisiert wurden. Ich erinnere daran, daß es von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion angestoßen wurde, daß die degressive Abschreibung im letzten Jahr erweitert wurde. Ich möchte alle, die hier zu Wort kommen, einmal bitten, zu überlegen, wer in den letzten zwei Jahren mit welchen Anstößen mitgeholfen hat, die Investitionstätigkeit in der Hochzinsphase zu erleichtern. Aber ich gebe zu, daß das nicht ausgereicht hat, denn meines Erachtens fehlt in der Volkswirtschaft zur Zeit Nachfrage. Auch darüber müßten wir einmal sorgfältiger reden.
Sie alle auf der CDU/CSU-Seite sagen immer, wir hätten eine Anspruchsgesellschaft, wir verbrauchten viel zuviel. Ich frage einmal zurück: Stimmt das eigentlich? Wir hatten seit den 50er Jahren beim Konsum folgenden langfristigen Trend: Zuwachsrate zwischen 1951 und 1954 4,7 %, Zuwachsrate zwischen 1959 und 1963 2,6 %, Zuwachsrate zwischen 1972 und 1975 1,1 %, Zuwachsrate zwischen damals und heute - also bis 1982, Prognose einbezogen -0,9 %. Das heißt, wir haben eine langfristig sinkende Zuwachsrate beim Konsum. Auf der anderen Seite gibt es relativ stabile Steigerungen der Produktivität. Hier tut sich eine Schere auf, die uns alle wirtschaftspolitisch vor Herausforderungen stellt, die man nicht mit flinken Reden oder dem Abbau des Sozialstaats beantworten kann.
({32})
Warum nicht? Die kleinen Leute, die auf Sozialhilfe und auf Arbeitslosengeld angewiesen sind, sind diejenigen, die ihr Geld natürlich sofort wieder ausgeben. Die beteiligen sich nicht am Geldspiel bei Hochzinsen, das können die nicht machen, das machen andere. Die stabilisieren dadurch auch die Volkswirtschaft. Es ist sehr fragwürdig, in dieser Situation zu sagen: Wir sparen genau an der Stelle am meisten.
Der durchschnittliche Arbeitslose bekommt zur Zeit bei einer Quote von 68 % Arbeitslosengeld 1 000 Mark. Er bekäme, wenn man die bekannten 18% abzöge, nur noch 50%, d. h. je nach Lage etwa 750 bis 780 Mark. Ich möchte diejenigen, die leichtfertig sagen, 50 % seien genug, wirklich einmal zur Übung ein Jahr auf 780 Mark setzen, damit sie wissen, was das bedeutet.
({33})
Kein Abgeordneter in diesem Saal könnte das. Wir Sozialdemokraten werden diese Demontage der sozialen Lage der Arbeitslosen nicht zulassen und nie mitmachen.
({34})
Wir halten das nicht einmal für diskussionsfähig. Darüber gibt es keinen Satz außer dieser öffentlichen Aussage.
({35})
Warum reden wir zweitens nicht über die Frage: Was hat sich im tertiären Sektor - im Dienstleistungssektor - der Wirtschaft verändert? Wir hatten doch in den 50er Jahren die Situation - - Herr Waigel und ich kommen fast aus demselben Dorf.
({36})
- Gut, ich gebe zu, Herr Waigel, daß die bayerische Grenze dazwischenliegt - und das ist eine ganze Menge -, aber in Sichtweite sind wir aufgewachsen; das geben wir ja zu.
({37})
Sie und ich, wir schämen uns des Schwabentums nicht, und ich bin - das nur als Antwort auf das vorher - ein Föderalist.
({38})
Sie wissen wie ich, daß damals Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft und auch aus der Industrie freigesetzt wurden. Der Dienstleistungssektor, Handel, Verkehr und auch die öffentlichen Dienstleistungsbereiche, wirkte am Arbeitsmarkt wie ein Schwamm. Alle, die freigesetzt worden waren, hatten gar kein Problem, unterzukommen.
Heute aber hat sich das geändert. Die moderne Computertechnik, die Mikroelektronik haben Produktivitätssteigerungen auch in den Dienstleistungsbereich, ja sogar in den Staat getragen. Der alte Schwamm am Arbeitsmarkt ist nicht mehr da; er saugt die Leute nicht mehr automatisch auf. Kann man denn, wenn das so ist, Arbeitszeitverkürzungen ausschließen, wie der Tabu-Katalog der Arbeitgeberverbände es tut? Kann man das tun? Könnten wir alle in diesem Hause diese Debatte nicht dadurch abschließen, daß aus jeder Fraktion einer hochgeht und sagt: Der Tabu-Katalog der Arbeitgeberverbände gegen Arbeitszeitverkürzung paßt nicht in die Landschaft; er muß weg. Das wäre doch eine Sache!
({39})
Ich drücke mich nicht vor der zweiten Frage, die da hineingehört, nämlich Lohnausgleich. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich die Gewerkschaften in der Diskussion der nächsten Monate klar werden müssen und klar werden - ich erinnere an Herrn Döding und einige andere, die das auch schon deutlich gemacht haben -, daß es eine Wechselbeziehung zwischen Arbeitszeit und Lohn gibt und daß man das dann im Kompromiß aushandeln muß. Starre Positionen wie der Tabu-Katalog sind ebenso unmöglich wie starre Haltungen auf der anderen Seite.
({40})
Wenn so etwas aus diesem Hause käme, wäre das wirklich eine Anregung für die politische Diskussion. Das wäre nützlicher als sich - beide Seiten - zu Lasten der kleinen Leute zu bedienen.
Das dritte, was ich sagen will: Wir müssen in der wirtschaftspolitischen Diskussion zur Kenntnis nehmen, daß Rohstoffe und Energie knapp sind und daß wir unsere Wirtschaft vor dem Hindergrund dieser neuen Preisverhältnisse umstrukturieren müssen; darum kann man sich nicht herumbetrügen. Wer das nicht zum zentralen Punkt seiner eigenen wirtschaftspolitischen Anstrengungen und Überlegungen macht, geht an der Wirklichkeit vorbei.
Nach meiner Überzeugung ist das weit mehr Ursache für die jetzige Krise als der vielzitierte Sozialstaat. Wir haben Länder in der Welt, in denen es nicht annähernd einen derart modernen Sozialstaat gibt wie in der Bundesrepublik Deutschland, schauen Sie Amerika an. Da ist doch weit weniger an Sozialstaat, aber die Krise ist größer. Wenn der Sozialstaat die Hauptursache der Krise wäre, dann müßte Amerika blühen und gedeihen und die Bundesrepublik Deutschland am Ende der Weltrangliste stehen.
({41})
Das Gegenteil ist richtig. Ein funktionierender Sozialstaat hilft zwar mit, aber er ist höchstens notwendige Bedingung, und wir brauchen natürlich noch andere, die wir erfüllen müssen.
Das vierte, was ich sagen will: Gilt es so uneingeschränkt, daß jede Art von Investitionsförderung gleichzeitig auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen führt?
({42})
Wirtschaftspolitisch haben wir zur Zeit eine ganz komplizierte Gemengelage. Früher war es ja so: Wenn die Industrie ihre Produktivität gesteigert hat, sind kapitalintensive Industrieanlagen und Maschinen in großem Umfang bestellt worden. Man konnte sagen: Wenn im Industriebetrieb dort, wo gefertigt wurde, wegen der Steigerung der Produktivität durch die neuen Maschinen ein Arbeitsplatz wegfiel, dann sind im übrigen industriellen Bereich, nämlich in der Fertigung von Investitionsgütern, Maschinen und Anlagen, Arbeitsplätze entstanden. Aber wir haben zur Zeit nicht nur das Problem des absinkenden Konsums, sondern gleichzeitig auch die Tendenz, daß die Kapitalintensität in wichtigen Bereichen sinkt. Das heißt: Es wird weniger Kapital, auch Arbeit, notwendig, um die Maschinen zu fertigen, nicht zuletzt wegen der Mikroelektronik. Sie leistet ungeheuer viel; ihre Leistungsfähigkeit steht in keinem - traditionellen - Verhältnis zu ihren Kosten. Jeder von uns weiß, wie billig ein Chip ist.
Hier ergibt sich eine weitere Schere, auf die wirtschaftspolitisch nicht mit schlichter Investitionsförderung reagiert werden kann. Wenn wir fördern, gibt es beschleunigte Rationalisierungsprozesse, die man am Arbeitsmarkt gar nicht so schnell auffangen kann. In Gesprächen mit Betriebsräten wird mir
immer gesagt: Du sagst immer ja zur Investitionsförderung, aber bei uns wird, ohne daß etwas als Ersatz da ist, viel wegrasiert. - An dieser Frage, das muß ich ehrlich sagen, kaue ich hart; denn die Antwort „bremsen" ist keine Antwort. Ich nenne das Stichwort internationale Beziehungen. Wer bremst, macht arm. Aber daß hierin Probleme stecken, zumindest auch staatlicherseits zusätzliche Nachfrageanstöße organisiert werden müssen, ergibt sich aus der Analyse. Deshalb ist die schlichte Behauptung, staatlicher Konsum ist schlecht, staatliche Investitionsförderung gut, in dieser einfachen Form heute nicht mehr richtig.
({43})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die letzten drei Minuten verwenden, um die grundlegende Strategie unserer Finanzpolitik noch einmal zu verdeutlichen.
({44})
Erstens. Wir sind dafür und dabei, die strukturellen Defizite im Bundeshaushalt zu beseitigen.
({45})
Das heißt, wenn wir sehen, daß ein Sozialsystem oder ein Teilsystem des Bundeshaushalts schneller anwächst als das Sozialprodukt, das j a in geringerem Umfang wächst, so werden wir die mittelfristige Konsolidierungsaufgabe weiterhin konsequent fortsetzen. Darüber gibt es keine Diskussionen.
({46})
Wir haben jetzt z. B. schrittweise bis 1986 die Krankenversicherungsbeiträge für Rentner eingeführt, um die Parallelität zwischen Einkommen der Unselbständigen und der Rentner zu bekommen. Diese Maßnahme führt also zu einer Parallelität der Einkommen. Damit wird ein strukturelles Defizit beseitigt. Im Gesundheitswesen müssen wir nach meiner Auffassung jetzt noch mehr tun. Hier haben wir bisher nur auf der Nachfrageseite, nämlich bei den Patienten angesetzt. Hinzu kommen Maßnahmen bezüglich einiger Kurheime. Diese Maßnahmen waren wahrscheinlich ein bißchen zu stark dosiert. Vielleicht muß man hier bis zu einem gewissen Grade noch eine Angleichung vornehmen. Im Grundsatz waren aber auch diese Maßnahmen richtig.
Nun muß doch einmal die Frage gestellt werden: Warum werden die Anbieter völlig ausgespart?
({47})
Warum wird die Frage der Kontrolle bzw. Kontrollierbarkeit von Ärzten nicht angepackt?
({48})
Ich bin der Meinung, es ist eine berechtigte Kontrolle, wenn die Arztrechnung auch dem Patienten übermittelt wird, damit dieser merkt, was der Arzt aufgeschrieben hat.
({49})
- Wir werden uns am Kampfestage wieder sprechen.
({50})
Zweitens. Konjunkturelle Defizite werden nicht durch Kaputtsparen beseitigt. Wer dann, wenn im nächsten Jahr weitere Steuerrückgänge oder Mehrausgaben für Arbeitslose zu erwarten sind, weitere Kürzungen in diesem Umfang verlangt, betreibt Parallelpolitik und verschärft die Wirtschaftskrise, bewältigt sie aber nicht.
({51})
Mit Sozialdemokraten wird es keine Parallelpolitik
geben. Ich war gestern zusammen mit zwei Kollegen
- einem von der FDP und einem von der CDU - beim „Verein für Socialpolitik". Wir haben festgestellt: Es ist in der deutschen Finanzwissenschaft ein Konsens da, daß jetzt keine Parallelpolitik betrieben werden darf, daß auf neue Löcher, die konjunkturell bedingt sind, nicht mit weiteren Streichungen geantwortet werden darf. Das war gestern das Ergebnis.
({52})
Man sollte einmal versuchen, die Ratschläge der Wissenschaft aufzunehmen.
Ich komme auf einen dritten Bereich zu sprechen. Wir sind der Meinung, jede Politik muß sozial ausgewogen sein. Zu der notwendigen Kürzung im Sozialbereich, zu der wir uns im Etat 1983 gerechter- und vernünftigerweise entschlossen haben, gehörte auch eine Ergänzungsabgabe für Höherverdienende.
({53})
Ich sage das deswegen, weil Herr Waigel auf diese Frage keine Antwort gegeben hat. Sie haben gesagt, alle sollten sparen. Ich nehme jetzt einmal nicht den kleinen Unternehmer - dazu sage ich gleich etwas -, sondern den Zahnarzt mit seinem Einkommen - nach eigener Statistik - in Höhe von 225 000 DM. Der ist im Grunde bisher durch alle Sparrunden ohne jede Zusatzbelastung durchmarschiert. Das ist doch nicht in Ordnung, hat doch mit unserer Investitionsförderung nichts zu tun.
({54})
- Rufen Sie nicht so dazwischen, sondern hören Sie zu. Ich biete Ihnen ja etwas an, und zwar zum Denken und dann zum Handeln. Wir könnten ja folgendes machen - was der SPD-Parteitag von München vorgeschlagen hat -: Ergänzungsabgabe, aber Entlastung bei denen, die investieren. Das wäre doch eine Sache.
({55})
Damit würden wir aus dieser eingefrorenen Situation herauskommen. Ich bin der Meinung, man hilft der deutschen Finanzwirtschaft, man hilft dem Bundeshaushalt und man hilft den Haushalten von Ländern und Gemeinden mehr, indem man neue Ideen entwickelt und nicht stur an einer Stelle hinein-hackt, nämlich bei den ärmsten Leuten. Das ist die Position der Sozialdemokratie.
Vielen Dank.
({56})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Haussmann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Nachdem außer Graf Lambsdorff keiner der Vorredner auf den Haushalt eingegangen ist, möchte ich mich dieser Regel anschließen.
({0})
Ich möchte gern einige ökonomische Grundsätze aus der Sicht der FDP darlegen, und ich möchte auch Herrn Roth eine klare Antwort auf die aufgeworfenen Fragen geben. Bei Herrn Waigel ist es ein bißchen schwieriger.
({1})
Er hat sich ja gedrückt; er war etwas müde heute; er hinkt hintendrein. Er war aber der einzige in den letzten zwei Monaten, der überhaupt noch das Sieben-Punkte-Papier der Opposition hier zur Sprache gebracht hat.
({2})
Das ist natürlich bei dem Papier von Graf Lambsdorff etwas anders. - Mich freut es, daß der Oppositionschef selbst so munter wird.
({3})
Die Vorschläge von Graf Lambsdorff haben aus verschiedenen Gründen ein aufgeregtes Echo gefunden.
({4})
Ich erinnere mich an manche Vorschläge eines ebenfalls sehr engagierten Liberalen, nämlich Thomas Dehler, der sich ebenfalls als Politiker die Freiheit herausgenommen hat, manchmal auch einseitige, aber im besten Sinne radikale, d. h. an die Wurzel gehende Vorschläge zu machen. Es wäre ein trauriges Parlament, wenn es nicht möglich wäre, solche Vorschläge hier zu diskutieren. Und es wäre eine traurige Gesellschaft und ein sehr schlechtes Zeichen für die Interessenverbände, wenn sie nicht in der Lage wären, sich mit solchen Vorschlägen konkret auseinanderzusetzen.
({5})
Lassen Sie mich daher zu den zwei Hauptvorwürfen Stellung nehmen, die sowohl von den Sozialdemokraten - nicht so heute; Herr Roth war ja sehr gemäßigt im Parlament, aber wir lesen auch die Presse -, aber auch von Teilen meiner eigenen Partei erhoben werden. Ich halte sie für wichtig; sie sollten hier einmal im Parlament diskutiert werden.
Der erste Vorwurf ist, es sei ein einseitiges Konzept, es sei weitgehend eine Übernahme einer Politik von Reagan oder von Frau Thatcher. Das hat auch hier eine Rolle gespielt. Zweitens wird gesagt, ein solches Konzept würde den sozialen Frieden in der Bundesrepublik gefährden. Das ist ein sehr, sehr heftiger Vorwurf, den wir beantworten müssen.
Zum ersten Vorwurf: Zugegeben, diese Vorschläge betonen sehr stark die Angebotsseite. Das ist aber auch nur konsequent. Denn nur mit einer Verstärkung der Investitionsquote schaffen wir Arbeitsplätze. Es ist richtig: es gab bisher in keinem westlichen Industrieland ein Konzept, das so konsequent Spielraum für Investitionen freigesetzt hätte und das so viele Mittel im Haushalt im sozialen Bereich umverteilen möchte zugunsten von privaten und - ich betone es für unsere Kollegen von den Sozialdemokraten - auch von öffentlichen Investitionen. Es wird Gewaltiges umgeschichtet. Ich kenne bisher kein SPD-Programm, das mehr Mittel zugunsten von arbeitsplatzschaffenden Investitionen mit konkreten Vorschlägen umschichten würde.
({6})
Meine Damen und Herren, gerade an diesem Punkt ist kein Koalitionsvorwurf angebracht, denn richtig ist, daß das Regierungsprogramm 1980 herausstellt: Dieses Jahrzehnt muß ein Jahrzehnt der Investitionen und nicht des Konsums werden. - Diese starke Betonung der investiven Seite raubt uns aber keinesfalls den Blick für die Nachfrageseite. Es handelt sich also hier nicht um eine Übernahme von Reaganscher Politik oder um eine Politik des Monetarismus.
Die Begründung lautet - ich will auf das eingehen, was Herr Roth sagte -:
Erstens. Die konsequente Umschichtung im Staatshaushalt stärkt gerade die investive Nachfrage, die zu Arbeitsplätzen führt.
Zweitens. Nur die hier erstmals - nicht nur verbal wie im Sieben-Punkte-Programm, Herr Waigel - auch durch Zahlen konkretisierte Begrenzung der Abgaben- und Steuerlast läßt die reale Kaufkraft nicht weiter absinken. Wir sind uns auch mit vielen Betriebsräten darin einig, daß die reale Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland durch heimliche Steuererhöhungen und durch ständiges Ansteigen der Soziallasten eingeschränkt wurde.
({7})
Das ist die heftigste Kompression der privaten Nachfrage.
({8})
- Das ist nicht Reagansche Politik. Ich darf noch einmal wiederholen für meinen Kollegen Spöri, den ich sehr schätze: Es werden erstmalig konkrete Vorschläge gemacht, wie es rechnerisch möglich ist, daß die Abgaben- und Steuerquote, die in der Vergangenheit die Hauptursache für die Reduzierung der realen Massenkaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland war, zukünftig nicht mehr steigt.
Drittens. Erst ein lang- oder mittelfristig angelegtes und verbindliches Konzept schafft Vertrauen
und baut Angstsparen ab. Meine Damen und Herren, nur eine Zahl: Der Anstieg der Sparquote um 1 % führt zur Zeit zu einem Nachfrageentzug von 10 Milliarden DM. Diese Größenordnung gilt es zu bewegen.
Viertens. Es ist kein einseitiges Konzept, weil sowohl die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite in unserer Ökonomie nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern enge Zusammenhänge aufweisen. Im Gegenteil, ein gutes, kostengünstigeres Arbeitsangebot schafft sich neue, zusätzliche Nachfrage und damit Arbeitsplätze. Das beste Beispiel sind inzwischen 6 Millionen Schwarzarbeiter in der Bundesrepublik, die parallel über einen regulären Arbeitsplatz verfügen, die aber zeigen, daß es Nachfrage nach einem kostengünstigeren Angebot gibt.
({9})
Ich möchte zu dem ersten Vorwurf zusammenfassend sagen: Es handelt sich nicht um ein einseitiges angebotsorientiertes Konzept, sondern es ist ein modernes ökonomisches gemischtes Konzept. Liebe Kollegen, es können beim besten Willen auch keinerlei monetaristische Züge à la England entdeckt werden. Im Gegenteil, partiell wird sogar die Geldversorgung für investive Zwecke und die Sorge um die Stabilität - ich erinnere an die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 %, die im Gespräch ist - eindeutig - bisher ist das in der FDP nicht so konsequent verfolgt worden - dem Ziel der Wiedererlangung der Vollbeschäftigung untergeordnet. Wer dieses Konzept als einseitiges kapitalistisches Unternehmerkonzept diffamiert, ist nicht auf der Höhe moderner Ökonomie
({10})
und entfernt sich im übrigen auch vom wirtschaftspolitischen Sachverstand geschätzter Sozialdemokraten wie Claus Dieter Arndt, Karl Schiller, Alex Möller oder Manfred Lahnstein.
({11})
- Ich bin auch gern dazu bereit, mich damit auseinanderzusetzen, denn angesichts der Pleiten und der erschreckenden Eigenkapitalbasis unserer mittelständischen Wirtschaft, der wir immerhin über 60 % der Arbeitsplätze und über 70 % der Ausbildungsplätze verdanken, ist die Verbesserung der Investitionsbedingungen nicht gerade Ausdruck klassenkämpferischen Verteilungsdenkens, sondern sie ist arbeitsmarktpolitisch geboten.
Ich komme zum zweiten Vorwurf, nämlich dieses Konzept gefährde den sozialen Frieden; oder noch drastischer: es sei mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar.
({12})
Meine Damen und Herren, ein solcher Vorwurf, der in der Öffentlichkeit wiederholt erhoben wurde, ist aus meiner Sicht unerträglich, wenn er an einzelnen konkreten Vorschlägen festgemacht wird.
Ich möchte ein Beispiel nennen. Was Wolfgang Roth hier gesagt hat, ist einer von alternativen Vorschlägen, d. h. es soll darüber diskutiert werden, ob kurzfristig und abhängig von der Familienlage das Arbeitslosengeld eventuell am Anfang abgesenkt werden könnte.
Darüber kann man mit qualifizierten Sozialpolitikern diskutieren. Es geht nicht um diesen Arbeiter, der hier dargestellt wurde.
({13})
Wir machen es von anderen Kriterien abhängig.
Es geht um zwei Dinge, Herr Roth. Ein Freund von mir, ein qualifizierter Textilingenieur, schrieb mir vor kurzem, er sei durch den Konkurs seines Betriebs arbeitslos geworden. Er habe innerhalb von vier Tagen einen Arbeitsplatz beim größten Konkurrenten gefunden. Er habe sich aber bei dieser Gelegenheit des Arbeitsplatzwechsels erlaubt, ein halbes Jahr Arbeitslosenunterstützung zu beziehen. Er habe in dieser Zeit neben dem Erwerb des Segelscheins A auf dem Bodensee zwei ausgedehnte Sprachkurse absolviert.
({14})
Gegen diese Weiterqualifizierung ist nichts zu sagen. Es ist aber die Frage, ob ein Mann in dieser Position - ({15})
- Ich diskutiere darüber in meinem Wahlkreis. Ich bin sogar bereit, Ihnen Betriebsräte in meinem Wahlkreis zu benennen, mit denen man intern über solche Fragen reden kann. Das muß auch hier möglich sein.
({16})
- Ich habe es konkretisiert und differenziert. Ich möchte die Wogen der Aufregung glätten. Es sollte in einem Parlament möglich sein, über Vorschläge zu diskutieren, die alternativ und differenziert gemacht wurden.
({17})
Herr Kollege Haussmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Tut mir furchtbar leid; ich habe noch zwei wichtige Punkte angekündigt. Wir sind im selben Ausschuß und kennen uns so gut, daß wir das klären können.
({0})
Nach meiner festen Auffassung wird die Erfüllung des Sozialstaatsgebots nicht gefördert durch die sozialpolitische Veränderung einer Einzelmaßnahme, durch die Veränderung eines bestimmten Steuerprivilegs oder durch die Veränderung einer Subvention.
Nein, unser demokratisches System wird bedroht durch Massenarbeitslosigkeit, durch eine Verschärfung unserer Haushaltsprobleme und durch die Angst der Menschen um die Nichtfinanzierbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme.
Daher erfordert nach unserer Meinung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Unterordnung anderer bisher liebgewordener Teilpolitiken. Sie erfordert ein sozialpolitisches, bildungspolitisches, forschungspolitisches Umdenken, das sehr schmerzlich ist.
({1})
Darin liegt der neue Ansatz, der auch nicht in den sieben Punkten der Opposition enthalten ist, nämlich daß andere Politikbereiche dem Beschäftigungsziel untergeordnet werden.
({2})
Meine Damen und Herren, das Sozialstaatsgebot kann auch nicht bedeuten, daß wir unsere Gesellschaft weiter in zwei Klassen spalten, nämlich in die Arbeitsbesitzer, an deren Privilegien überhaupt nichts mehr geändert werden darf, und diejenigen, die über keine Arbeit verfügen.
({3})
Das Sozialstaatsgebot bedeutet also auch - darin bin ich mir mit vielen sozialdemokratischen Kollegen einig -, eine Umverteilung so vorzunehmen, daß diejenigen in Arbeit kommen, die bisher dazu nicht die Chance hatten.
({4})
Meine kritischen Freunde in der eigenen Partei muß ich an das Freiburger Programm und an Karl-Hermann Flach erinnern, der gesagt hat: Es ist das politische Ziel, die praktische Politik an sich verändernde Rahmenbedingungen der Gesellschaft anzupassen. Wenn Karl-Hermann Flach heute noch lebte, würde er dem Beschäftigungsziel Vorrang einräumen. Meine Damen und Herren, das ist ganz wichtig.
({5})
Progressiv ist nicht derjenige Liberale, der am vorhandenen System nichts ändern will, sondern derjenige, der bereit ist, Reformen anzugehen.
({6})
Ich meine - hierbei handelt es sich um eine private Meinung, aber ich möchte sie gleichwohl vortragen -, der Begriff der sozialen Ausgewogenheit im sprachlichen Sinne trifft nicht völlig das Problem, vor dem wir mit unserer Beschäftigungs- und Sozialpolitik stehen.
({7})
Ich meine damit folgendes. Es kann nicht darum gehen, daß rein quantitativ hier etwas weggenommen und rein quantitativ an der anderen Stelle auch etwas weggenommen wird. Ausgewogenheit - wir kennen das aus dem Medienbereich - führt nicht zu
mehr Qualität, sondern führt zu einem Mischmasch.
Deshalb muß man Investitionen begünstigen, deshalb muß man die produktiven Verwendungsbereiche begünstigen. Niemand kann dem entrinnen, was Barbier in der „Süddeutschen Zeitung" in einem zentralen Leitartikel aufgezeigt hat, nämlich der Systematik der volkswirtschaftlichen Verteilungstheorie. Wir haben es versucht. Es hat zu mehr Massenarbeitslosigkeit geführt.
Wir müssen in der Lage sein zu erkennen, woran das liegt. Da haben wir als Liberale kein Alleinvertretungsrecht. Aber wir möchten darüber mit Sozialdemokraten diskutieren. Deshalb möchte ich auch ganz klar sagen, daß die Ergänzungsabgabe nach meiner Auffassung falsch ist.
({8})
Für den Mittelstand ist es wichtig zu wissen, ob es in einer großen Koalition aus SPD und CDU/CSU, die ich nicht völlig ausschließen kann, zu einer Ergänzungsabgabe käme.
({9})
- Dazu komme ich sofort. - Es liegen schon vielzuviele Wortmeldungen von Herrn Albrecht, von Herrn Rommel und von anderen Leuten vor, die klar erkennen lassen, daß die CDU/CDU ebenfalls eine Ergänzungsabgabe anstrebt.
Ich wäre sofort bereit, mit Investitionen aufzurechnen, wenn wir in Deutschland einen gespaltenen Steuersatz hätten. Wir wollen aber keine schwedischen Verhältnisse, die sich dadurch auszeichnen, daß die Unternehmen ganz gewaltig entlastet werden. Der Haushalt muß ausgeglichen werden.
({10})
- Nein, lieber Wolfgang Roth, das ist nicht billig, sondern ich möchte mich mit Ihnen fachlich auseinandersetzen.
({11})
Auch das berühmte Zahnarztbeispiel bringt doch nur etwas, wenn ich nicht sofort den Mittelständler und den Selbständigen treffe. Unsere Steuersystematik ist aber so, daß eine Ergänzungsabgabe nicht nur den Zahnarzt, sondern auch den Mittelstand träfe. Das schwedische System ist wohl eine Alternative. Nur: es hat dazu geführt, daß zwar manche Unternehmersteuern gedrückt werden, daß aber der Haushalt ausgeglichen werden muß durch eine drastische Erhöhung aller Privatsteuern mit den bekannten Konsequenzen der Steuerflucht. Deshalb kann das nicht unser Weg sein.
Ich möchte zusammenfassen: Entscheidend für uns ist, daß die wirtschaftliche Basis erneuert wird, auf der die soziale Sicherung überhaupt nur eine Chance hat.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei Dinge sagen. Zunächst an die CDU/CSU gewandt: Meine Damen und Herren, das Papier ist eine Woche alt. Herr Dregger hat heute morgen wiederholt, es werde geprüft. Herr Kohl hat eine Prüfung zugesagt. Es wird keine Konkretisierung der CDU/CSU-Vorschläge kommen. Das, was Herr Waigel angedeutet hat, das Sieben-Punkte-Programm, ist unkonkret. Dort, wo es konkret werden müßte, gibt es einen Verweis in der Fußnote: siehe Wahlprogramm 1980. Das würde also bedeuten, die CDU/CSU hätte ausgerechnet in ihrem Wahlprogramm konkretisiert, wie man im Haushalt umschichten kann, welche Sozialausgaben gekürzt werden können und welche Subventionen abzubauen sind.
({12})
- Ich habe es hier. Schon beim letzten Mal ist es nicht gelungen, das zu konkretisieren.
({13})
Die einzige bemerkenswerte sachliche Würdigung, die das Papier erfahren hat, hat Herr Stoltenberg vorgenommen. Das Interview in der „Welt" ist übrigens der einzige Beitrag eines Politikers außerhalb der FDP, in dem sich jemand mit der Sache beschäftigt hat. Alles andere sind koalitions- und machtpolitische Erwägungen.
({14})
Es ist traurig, daß angesichts einer Massenarbeitslosigkeit von bald 2 Millionen im nächsten Jahr ein solches Konzept nicht fachlich, in Ruhe und unabhängig von koalitionspolitischen Erwägungen diskutiert werden kann.
({15})
Ich möchte schließen und, an die Sozialdemokraten gewandt, sagen: Wenn man bereit ist, dieses Konzept fair zu prüfen,
({16})
müßte man sicher drei Punkte sehen. Erstens. Beschäftigungspolitik hat für Freie Demokraten Vorrang.
({17})
Zweitens. Die Rolle der öffentlichen Investitionen wird gesehen. Sie wird durch konkrete Vorschläge, über die man diskutieren muß, verstärkt. Drittens. Die Nachfrageseite wird keinesfalls vernachlässigt.
Ich erlaube mir ein letztes Zitat. Dieses Konzept ist gestern so gewürdigt worden:
Der Geist dieser Konzeption von Eigenverantwortlichkeit kann auch Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht fremd sein.
Ich glaube, man sollte darauf vertrauen, daß die Mitglieder der Fraktion der FDP auch dieses Konzept
unter dem Gesichtspunkt der sozialen Verträglichkeit verändern können. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird eine Mittagspause eingelegt. Die Debatte wird um 14 Uhr fortgesetzt.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 2 fort: Haushaltsgesetz 1983, Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich sollte diese Runde noch vor der Mittagspause abgehandelt werden. Aber wie es so ist - wir müssen heute nachmittag fortfahren.
Die Haushaltsdebatte ist ein traditioneller Anlaß, die Politik der Bundesregierung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Im Bereich der Sozialpolitik besteht dazu auch aller Anlaß; denn dieser Haushalt ist sozusagen der traurige End- und Höhepunkt einer Reihe von Fehlleistungen dieser SPD-geführten Regierung in der Sozialpolitik.
Ich glaube, daß, nachdem die Wirtschaftspolitik im Vordergrund stand, Fragen der Sozialpolitik ergänzend behandelt werden müssen. Beginnend mit dem Haushaltsstrukturgesetz 1975, dann mit dem Zwanzigsten und Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz, mit dem sogenannten Subventionsabbaugesetz, mit den Haushaltsoperationen 1981 und 1982 und jetzt mit der Haushaltsoperation 1983 haben Sie eine Sozialpolitik betrieben, die sich durch immer größere Willkürlichkeit und Konzeptionslosigkeit auszeichnet. Sie haben zwar bei all diesen Maßnahmen jedesmal von neuem versprochen, nunmehr sei das soziale Sicherungssystem konsolidiert, die Weichen endgültig in Richtung Wachstum und Vollbeschäftigung gestellt. Führende SPD-Sprecher haben sich natürlich jedesmal öffentlich dafür verbürgt, daß das nun endgültig der letzte Einschnitt ins soziale Netz gewesen sei. So versprach Arbeitsminister Westphal - damals in anderer Funktion - am 20. Januar, also in der letzten Haushalts- oder Sanierungsrunde, von diesem Pult aus noch hoch und heilig:
All denjenigen, die immer noch weiter von Kürzungen bei den Leistungsgesetzen reden ..., möchte ich mit großer Entschiedenheit sagen: Dies, was jetzt war, war es denn auch. Hier geht es ... nicht weiter.
Tatsächlich aber hat der Arbeitsminister jetzt wieder einem Haushalt zugestimmt, der wiederum den Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Rentnern, Schwerbeschädigten und Kranken den Löwenanteil des Sanierungsvolumens aufbürdet. Tatsächlich wurde der
Müller ({0})
Abstand zwischen den einzelnen Eingriffen immer kürzer. Tatsächlich haben Sie unser soziales Sicherungssystem nicht konsolidiert sondern ruiniert. Fundamente unserer sozialen Sicherung sind wackliger denn je.
({1})
- So ist es.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski?
Müller ({0}) CDU/CSU: Ich habe 20 Minuten Zeit. Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
Trotz vieler Versprechungen, trotz wohlklingender Worte hat die SPD für die Arbeitnehmer in Wirklichkeit nur traurige Rekorde errungen.
Erstens. Unter SPD-Verantwortung hat sich die Vollbeschäftigung in Millionenarbeitslosigkeit verkehrt. Als wir 1969 noch in der Regierung waren, hatten wir in Deutschland 179 000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt, das heißt also absolute Vollbeschäftigung. Heute stehen wir bei 1,9 Millionen, und für nächstes Jahr werden unter Umständen 2 Millionen und mehr erwartet. Das sind zehnmal soviel wie unter CDU/CSU-Verantwortung. Am 22. Juni hat Bundeskanzler Schmidt vor der SPD-Bundestagsfraktion selbst zugegeben, daß sozusagen als Ergebnis zwölfjähriger SPD/FDP-Politik 1,3 Millionen Arbeitsplätze abgebaut wurden und gleichzeitig die Arbeitslosenzahl auf 1,8 Millionen gestiegen ist.
({1})
- Ich darf ihn vielleicht wörtlich zitieren:
... wenn wir gleichzeitig sehen, daß in zwölf Jahren die Zahl der Arbeitsplätze von 26,7 Millionen gefallen ist auf 25,4 Millionen - um 1,3 Millionen - und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit von praktisch Null auf 1,8 Millionen gestiegen ist .. .
Bisher wollte die SPD immer den Eindruck erwekken, sie sei die Partei der Arbeitsplatzsicherheit. Lassen Sie mich an die Wahlkampfplakate 1972 erinnern, wo es hieß:
Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiterregieren; dann bleiben die Arbeitsplätze sicher.
Jetzt gibt der Kanzler selbst zu, daß es unter SPD-Verantwortung nicht zu Vollbeschäftigung, sondern zu Millionenarbeitslosigkeit kam.
Und wenn die Bundesregierung glaubt, im nächsten Jahr mit zusätzlichen 900 Millionen DM Bundeszuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit hinzukommen, so ist das blanke Illusion. Allein in diesem Jahr müssen voraussichtlich bis zu zwei Milliarden DM mehr nach Nürnberg gezahlt werden, als Sie bisher geschätzt haben. Noch schlimmer sieht es für das nächste Jahr aus. In Ihrem Haushalt gehen Sie für 1983 von 1,85 Millionen Arbeitslosen aus. Tatsächlich glauben Sie Ihre optimistische Annahme für 1983 schon selbst nicht mehr.
Immer mehr Leute, auch bei der SPD und der FDP, sehen ein, daß diese Haushaltsannahmen auf Sand gebaut sind. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium geht bereits davon aus, daß 1983 für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe 3,5 bis 4,5 Milliarden DM mehr gezahlt werden müssen.
Ihr Haushalt stimmt also hinten und vorn nicht. Die nächste Flickschusterei ist sozusagen programmiert.
Zweitens. Noch nie wurden die Arbeitnehmer mit Steuern und Sozialabgaben so zur Kasse gebeten wie jetzt. Von 100 DM Lohnerhöhung blieben einem ledigen Durchschnittsverdiener 1980 gerade noch 38,11 DM übrig. Diese Tatsache hat der Bundeskanzler in seiner Rede, die schon der Kollege Waigel zitiert hat, wörtlich so vorgetragen:
Was wir so gesteigert haben, sind also die Sozialversicherungsbeiträge. Das wirkte sich auf den Arbeitnehmer so aus: Sein durchschnittliches Arbeitseinkommen war 1970 belastet mit 22,7 % Lohnsteuer und Sozialabgaben. Heute ist es belastet mit 31,7 %. Anders ausgedrückt: Die Grenzbelastung des Arbeitnehmers, d. h. die letzten zehn DM, die er bei einer Lohn- oder Gehaltserhöhung bekommt, sind heute belastet mit 49 % im Durchschnitt. Sie stand vor zwölf Jahren bei weniger als 34 %. Wir haben also den Arbeitnehmer immer wieder zur Kasse gebeten.
So Bundeskanzler Schmidt.
Obwohl der Bundeskanzler beklagt, daß die Arbeitnehmer immer mehr zur Kasse gebeten wurden, will die SPD genau das jetzt wieder tun. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll auf 4,5 % erhöht werden. Ich glaube, man muß jetzt klar sagen, wie weit die Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer eigentlich noch getrieben werden soll.
Ein Beispiel: Während unter unserer - der CDU/ CSU - Regierungsverantwortung 1969 ein Arbeitnehmer im Durchschnitt 6,40 DM im Monat an die Arbeitslosenversicherung bezahlen mußte, werden es im nächsten Jahr rund 64 DM im Monat sein. Das ist genau das Zehnfache.
({2})
Drittens. Die SPD hat die Rentenkassen geplündert und die Renten der Arbeitnehmer durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz auf Dauer um 15 % gekürzt.
({3})
Die allgemeine Bemessungsgrundlage - das ist die Größe, nach der die Renten berechnet werden -beträgt heute 24 099 DM. Bei Beibehaltung der Rentenformel von 1957 müßte sie bei 27 804 DM liegen. Konkret bedeutet das, daß Sie durch Zuwachskürzung die Rente eines Durchschnittsverdieners mit 40 Versicherungsjahren von 1 390 DM auf 1 205 DM monatlich verringert haben.
Müller ({4})
Mit den Haushaltsgesetzen, die jetzt als Entwurf vorliegen, will die SPD erneut die Rentenkasse für den total überschuldeten Bundeshaushalt plündern. Wir meinen: Es muß endlich Schluß damit sein, daß die Rentenkasse immer wieder als Notopfer für die leere Bundeskasse herangezogen wird.
({5})
In der Vermögensbildung für die Arbeitnehmerschaft kann man nur Fehlanzeige melden. In den letzten 13 Jahren gab es hier nur leere Versprechungen und Tatenlosigkeit. 1981 hat die SPD sogar die Arbeitnehmersparzulage gekürzt. Und jetzt soll auch die betriebliche Vermögensbildung eingeschränkt werden.
Wenn ich diese Ergebnisse für die Arbeitnehmer mit den Reden der SPD vergleiche, kann ich nur sagen: Die SPD redet viel von sozialer Gerechtigkeit, aber tatsächlich handelt sie anders. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Die Gewerkschaften gehen in Frontstellung gegen diese arbeitnehmerfeindliche Politik, so sagen sie, zumal dieser Politik jede Perspektive und langfristige Konzeption fehlt.
Angesichts dieser Tatsachen und Fakten ist es barer Unsinn, wenn die SPD der Union immer wieder unterstellt, sie wolle ins soziale Netz einschneiden. Nach dem Motto „Haltet den Dieb" wollen Sie uns immer anhängen, was Sie jetzt selbst tun müssen. Wir bezweifeln nicht, daß in der Sozialpolitik gespart werden muß. Wenn wir davon reden, ist es „soziale Demontage"; wenn Sie es tun, sind es „politische Notwendigkeiten". Ich meine, das ist nicht aufrichtig.
({6})
1969 wurde von der SPD so getan, als beginne mit ihrer Regierungsverantwortung das soziale Zeitalter. Reformen wie am Fließband wurden versprochen. Die Wirklichkeit sieht heute, nach 13 Jahren, anders aus. Die Rücklagen der Sozialversicherungsträger sind verbraucht. Die Beitrags- und Steuerbelastung der Arbeitnehmer wurde auf durchschnittlich 31 % hochgeschraubt. Und die Fundamente unserer sozialen Sicherheit sind durch jahrelange Millionenarbeitslosigkeit erschüttert.
Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Dieser Haushalt 1983 dokumentiert dies überdeutlich. In der Sozialpolitik sind Sie absolut am Ende.
({7}) Sie stehen sozusagen vor dem Offenbarungseid.
Herr Brandt sprach am Sonntag in den „Bonner Perspektiven" von der Notwendigkeit einer Reform der Reformen. Auch von Ihren Herren Glombig und Glotz hört man völlig neue sozialpolitische Töne. Im „Vorwärts" belehrte Peter Glotz die SPD, daß die sozialen Sicherungssysteme auf die wirtschaftlichen Wachstumsraten vergangener Jahre eingestellt seien und nicht mehr in allen ihren Elementen erhalten werden könnten. In der „Westfälischen Rundschau" vom 20. August meinte der SPD-Bundesgeschäftsführer sogar:
Auch wenn die SPD nicht Kompromisse mit dem Koalitionspartner schließen müßte, wären schmerzhafte Maßnahmen nötig und müßten auch von den Gewerkschaften, wenn nicht mitgetragen, so doch zur Kenntnis genommen werden.
Auch Eugen Glombig zeigt neue Einsichten der SPD, indem er betont, die Sozialdemokraten müßten lernen, daß die Zeit des weiteren Ausbaus der sozialen Sicherung vorbei sei.
Ich glaube, es ist bemerkenswert - auch dankenswert -, daß von der SPD heute offensichtlich eingesehen wird, daß die bisherige perspektivlose Flickschusterei und das Hin- und Herschieben von Milliarden-Beträgen von einer Sozialkasse in die andere
({8})
nicht mehr weiterführt.
Meine Damen und Herren, ich meine, die Bürger unseres Landes sind bereit, notwendige Opfer zur Sanierung von Wirtschaft und Staatsfinanzen auf sich zu nehmen, wenn sie - und das ist die Voraussetzung - erstens wissen, wofür diese Opfer gebracht werden müssen, zweitens das Gefühl haben, daß die Opfer gerecht verteilt werden und drittens der Überzeugung sind, daß diese Opfer nicht vergeblich gebracht werden.
Diese Regierung hat aber mit ihren immer kurzatmigeren Sanierungen und willkürlichen Eingriffen in den Sozialbereich bewiesen, daß sie dazu nicht mehr in der Lage ist. Ich glaube, die Leute glauben Ihnen auch nicht mehr; denn Sie haben das Vertrauenskapital verspielt. Von daher brauchen wir einen neuen Anfang.
Wir müssen eine neue qualitative Sozialpolitik verwirklichen,
({9})
um auch in Zeiten knapper werdender Mittel die Grundlagen einer sozial gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu sichern.
({10})
Wer das Netz der sozialen Sicherheit erhalten will, muß gerade auch deshalb bereit sein, über Mißstände und Mißbräuche zu reden, zumal selbst Betriebsräte immer öfter an einen herantreten und sagen, daß es nicht angehe, daß sich einige wenige auf Kosten vieler gutwilliger Arbeitnehmer und Beitragszahler ein schönes Leben machten.
({11})
Hier muß der Schutz der Leistungswilligen und Fleißigen vor Leuten, die sich nicht scheuen, die Möglichkeiten exzessiv auszunutzen, in Teilbereichen noch verstärkt werden.
Unsere soziale Sicherung beruht auf dem Grundgedanken der Solidarität. Gemeinschaftlich werden die Risiken abgesichert, die der einzelne alleine nicht bewältigen kann. Die Solidarität der Gemeinschaft mit dem einzelnen erfordert auch die Solida7022
Müller ({12})
rität des einzelnen mit der Gemeinschaft und verbietet demnach jeden Mißbrauch sozialer Leistungen.
({13})
Die Finanzkrise unseres Staates darf aber nicht kurzerhand auf eine Krise des Sozialsystems reduziert werden. Das wäre eine unzulässige Verkürzung des Problems. Alle Leistungen des Staates müssen auf den Prüfstand, auch die Subventionen und Steuervergünstigungen. Wenn Opfer gebracht werden müssen, dann in allen Bereichen. Ich betone klar, eindeutig und mit Nachdruck: Mißbrauch muß überall, auch im Wirtschaftsleben, bekämpft werden. Wir können nicht sozusagen die Splitter im Auge der Arbeitnehmer entfernen und die Balken bei den anderen übersehen.
({14})
Nun gibt es ein schon viel diskutiertes Papier des Bundeswirtschaftsministers, das genau in diese Kategorie paßt, von dem wir glauben, daß es sozial nicht ausgewogen ist. Einiges wird von uns akzeptiert, zumal wir schon immer, zuletzt in unserer Sieben-Punkte-Erklärung vom 10. Februar 1982, eine grundsätzliche Kursänderung in der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik gefordert haben. Wir sind der Meinung, daß sich die Belastungen, die sich aus dieser grundsätzlichen Kursänderung ergeben, von allen Schichten der Bevölkerung mitgetragen werden müssen. Unser Fraktionsvorsitzender Dr. Kohl hat in seinem Schreiben vom 27. August 1982 an den DGB-Chef Breit deutlich gemacht, daß alle Bürger, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, an den Sanierungsmaßnahmen beteiligt werden müssen. Ich möchte diese Auffassung von Dr. Kohl noch einmal voll und ganz unterstreichen und betonen, daß in diesem Zusammenhang das LambsdorffPapier in seinem Vorschlagsteil trotz guter Ansätze für uns in seiner Gesamtheit so nicht akzeptabel ist. Man kann nicht immer nur die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen.
({15})
Warum werden in dem Papier bei dem Stichwort „Sanierung der Alterssicherung" nur die Bedingungen für die gesetzliche Rentenversicherung verschlechtert? Der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner soll von den beschlossenen 4 % auf 6 % erhöht werden und einiges mehr. Der Rentenzuwachs wurde bereits um 15 % gekürzt. Durch den Krankenversicherungsbeitrag sollen nochmals 6 % dazukommen. Demgegenüber sehen die Abstriche in anderen Alterssicherungsbereichen sehr mager aus. Der Staat zahlt jährlich über 60 Milliarden DM zu den verschiedenen Alterssicherungssystemen. Dieses Geld muß nach den Prinzipien der Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit gerechter verteilt werden. Die Veränderung der ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen betrifft alle Alterssicherungsbereiche gleichermaßen. Ich glaube, es ist daher untragbar, wenn immer nur die Sozialversicherungsrentner belastet werden. Es ist zu fragen, warum dem Bundeswirtschaftsminister zu diesem Problembereich nichts eingefallen ist.
Im Krankenversicherungsbereich wird für mehr Selbstbeteiligung, degressive Pflegesätze und die Abschaffung des Kostenersatzprinzips plädiert. Über all diese Punkte kann man reden, und die letzten beiden Punkte sind sogar sehr vernünftig. Es steht aber nichts in dem Papier, wie man die hohen Kosten im Anbieterbereich des Gesundheitswesens begrenzen kann. All dies sind Kosten, die über den Krankenversicherungsbeitrag in die Kostenrechnungen der Unternehmen eingehen und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft mitbestimmen. Im Gesundheitswesen ist bei allen Beteiligten Eigenverantwortung und Kostenbewußtsein verlorengegangen. Ohne Frage: Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen muß gestoppt werden, aber in allen Bereichen, bei Krankenhäusern, Apotheken, Ärzten, und nicht nur bei den Patienten.
({16})
Darüber hinaus empfiehlt der Bundeswirtschaftsminister andere kräftige Einschnitte im sozialen Bereich, zu denen ich im einzelnen jetzt nicht Stellung nehmen will, zumal wir gesagt haben: Wir sind offen für die Prüfung. Aber es ist zu fragen, warum dem Minister nicht eingefallen ist, wie man die vielen Steuerschlupflöcher dicht machen kann. Warum sagt er nichts dazu, wie man die vielfache Verschwendung von Steuergeldern durch die öffentliche Hand - hier gibt es massenweise Beispiele vom Steuerzahlerbund - eindämmen kann? Warum wird in dem Papier kein Vorschlag gemacht, wie das gigantische Haushaltsrisiko der Bundesbahn in den Griff zu bekommen ist?
Meine Damen und Herren, folgendes muß klar sein: Die notwendige grundsätzliche Kurskorrektur in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik muß alle Bereiche erfassen und betreffen. Nur so ist der soziale Konsens, der in den letzten 30 Jahren einen hohen und unschätzbaren Produktivfaktor in unserem Lande darstellte, zu bewahren.
Müller-Armack, einer der Väter unserer Sozialen Marktwirtschaft, schrieb einmal - ich zitiere -:
Zur Sozialen Marktwirtschaft gehören unabdingbar ein geordneter Wettbewerb und soziale Gerechtigkeit.
({17})
Beides ist notwendig. Wettbewerb und sozialer Ausgleich sind die beiden Seiten einer Medaille. Es hat keinen Zweck, wenn wir Richtungskämpfe anzetteln, bei denen einmal die ökonomische Seite, einmal die soziale Seite in den Vordergrund gestellt wird. Beide sind Teile einer Einheit, die wir auch als Einheit begreifen müssen.
Wer die geistig-moralischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft verschweigt und ihre soziale Dimension leugnet, leistet ihr am Ende einen Bärendienst. Wir brauchen eine Kursänderung und einen generellen neuen Anfang. Für die notwendige Generalbereinigung unseres sozialen Sicherungssystems brauchen wir einen Sozialpakt, an dem sich alle sozialen Gruppen und politischen Kräfte beteiligen
Müller ({18})
sollten. Dabei muß die Gemeinwohlorientierung stärker zum Tragen kommen, und die Parteien müssen sich aus der zunehmenden Umklammerung durch die Verbände lösen.
Das Gebot der Stunde sind auch nicht Betreuung und damit teilweise Entmündigung, sondern Hilfe zur Selbsthilfe und Konzentration der geringer werdenden Mittel. Das Gebot des Grundgesetzes, die Schwachen zu schützen, das Gemeinwohl gegen Individual- und Verbandsegoismus zu verteidigen und soziale Gerechtigkeit anzustreben, wird sich künftig ernsthafter als bisher zu bewähren haben.
({19})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Müller ({0}), es ist für einen Wirtschaftspolitiker eine Freude und auch sehr interessant, einem Sozialpolitiker folgen zu können, weil uns in diesem Hause die Interdependenz von Sozial- und Wirtschaftspolitik beschäftigt
({1})
und dies die Möglichkeit gibt, noch einmal aus der Sicht des Wirtschaftspolitikers darauf einzugehen.
({2})
Herr Kollege Müller ({3}), Sie haben diesem Hause ein Horrorgemälde über das System unserer sozialen Sicherheit aufgezeigt, das einer Betrachtung der wirklichen Verhältnisse nicht standhält.
({4})
Sie haben Vergleiche hinsichtlich der Belastung mit Abgaben gezogen, die über Jahre hinweg zurückreichen, aber vergessen, zu erklären, daß diese Entwicklung doch offenbar von einer erfolgreichen Gesamtpolitik begleitet war, die es ermöglicht hat, dem einzelnen Einkommen zu sichern, die ihm heute nicht nur hohe Renten bescheren, sondern ihn aus dem Solidarprinzip heraus selbstverständlich auch veranlassen, denen, die nicht mehr arbeiten, und denen, die noch nicht arbeiten, mit ihren Beiträgen die Leistungen zu ermöglichen, die die genannten Personengruppen heute empfangen.
Als Wirtschaftspolitiker empfehle ich Ihnen, sich einmal die Statistiken der Deutschen Bundesbank oder auch einmal Zeitschriften des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes anzusehen und daraus zu entnehmen, wie sich allein die Vermögensbildung in Rentnerhaushalten in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Da erkennen Sie ein Problem, das uns in diesem Hause sicherlich noch einmal beschäftigen wird. Wir müssen feststellen, daß der Arbeitnehmer - zugegeben - mit seiner Abgabenbelastung schlechter dran ist, als es heute bei unseren Rentnern der Fall ist, denen wir eine enorme Beteiligung am Wohlstand ermöglicht haben. Das muß an dieser Stelle einmal ganz deutlich gesagt werden.
({5})
Aber nun zur Wirtschaftspolitik. Die Interdependenz ist heute morgen deutlich geworden. Sie ist in dem Papier deutlich geworden, das der Bundeswirtschaftsminister vorgelegt hat und das durchaus als umstritten anzusehen ist, umstritten auch aus der Sicht meiner politischen Freunde.
Wir haben uns in diesem Hause in den letzten Monaten sehr häufig über die wirtschaftliche Situation in unserem Land unterhalten. Wir haben darüber gestritten und im Grunde festgestellt, daß wir in den Zielen einig sind. Ziel Nummer eins war und ist auch heute noch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Dazu brauchen wir Wachstum. Wir wollen wieder Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen mehr Investitionen. In dieser Einschätzung differieren wir gar nicht.
Wir brauchen außerdem ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Geldwertstabilität, damit die reale Kaufkraft dessen, was der einzelne verdient, auch erhalten bleibt.
({6})
- Darauf komme ich jetzt, Herr Kollege.
Zwischen Ihnen und uns werden allerdings Unterschiede deutlich, wenn es darum geht - ich muß an dieser Stelle sagen, daß uns dabei in der Tat die Sieben-Punkte-Erklärung der CDU/CSU, heute schon angesprochen, nicht wesentlich weitergeholfen hat -, konkrete Vorschläge darüber zu unterbreiten, welche Therapie wir gemeinsam entwickeln können, um uns diesen gemeinsamen Zielen nähern zu können. Da bleiben Sie uns die Antwort schuldig, da sind Sie nicht präzis genug.
({7})
- Wenn Sie sich der Mitwirkung in diesem Parlament verweigern, Herr Kollege, dann zwingen Sie uns zu dem Verhalten, das wir ohnehin praktizieren, nämlich unsere Politik ohne Ihre konstruktive Mitwirkung zu entwickeln.
({8})
Wir - damit meine ich ganz deutlich die sozialliberale Koalition ({9})
haben durchaus eine ausgewogene Politik verfolgt. Wir haben auf die Anwendung neu- oder altmodischer Rezepte verzichtet. Wir haben die Handlungsspielräume, die - zugegeben - enger geworden sind, genutzt. Wir waren dabei erfolgreicher - auch wenn Sie das nicht mehr hören wollen - als fast alle anderen Industrieländer. Das ist heute morgen an dieser Stelle schon mehrfach betont worden; Kollege Roth hat es anhand der neuesten Statistiken noch einmal belegt.
Wenn wir in dem Umfeld, das uns umgibt, nicht mehr erreicht haben, dann liegt das sicherlich an unserer starken außenwirtschaftlichen Abhängigkeit.
({10})
Denn - das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen - ein Drittel dessen, was in diesem Lande produziert wird, geht in das Ausland, muß dort verkauft werden.
({11})
- Dazu bedarf es nur der Einsicht und nicht der Zwischenrufe, Herr Kollege. ({12})
Es gibt Branchen, in denen 80 % der Produktion ins Ausland gehen. Was das bedeutet, müßte Ihnen doch klar sein. Daß es weltweit Schwierigkeiten gibt, dürfte auch Ihnen von der Union nicht verborgen geblieben sein.
({13})
- Nein, das ist nicht neu, das ist bekannt. - Unsere Unternehmen haben Mühe - auch das wissen Sie -, Ihre Produkte zu verkaufen. Die Nachfrage der ölproduzierenden Länder - auch das wissen Sie - hat in letzter Zeit deutlich nachgelassen. Die Entwicklungsländer haben wenig Geld - sie sind verschuldet -, und in anderen Industrieländern breitet sich zunehmend Investitionsschwäche aus. Das heißt, daß unsere potentiellen Handelspartner, an die wir unsere Produkte, unsere Güter - Waren und Dienstleistungen - verkaufen, sich in der Tat in einer Situation befinden, die uns im Inland unmittelbar berührt. Daß diese Investitionsschwäche eine Folge des extrem hohen internationalen Zinsniveaus ist, das wegen der Größe und der Dominanz der Vereinigten Staaten im wesentlichen von dorther bestimmt wird, ist, glaube ich, auch klar.
Klar sein müßte auch ein anderer Zusammenhang: Wenn es für einen Unternehmer lohnender ist, sein Geld in festverzinslichen Wertpapieren anstatt in Sachkapital anzulegen, dann wird nicht investiert.
({14})
Klar ist aber auch, daß die Differenz zwischen Kapitalrendite und Zinsniveau auf zwei Wegen verringert werden kann: zum einen durch eine Erhöhung der Kapitalrentabilität, indem ich Löhne, Sozialtransfers oder Lohnnebenkosten zurücknehme, zum anderen durch eine Senkung des Zinsniveaus.
({15})
Es gibt also zwei Möglichkeiten. Daß wir Sozialdemokraten unsere Politik auf die Möglichkeit richten, eine Senkung des Zinsniveaus herbeizuführen oder herbeiführen zu helfen, ist unter den Wirtschaftspolitikern in diesem Hause bei der Behandlung wirtschaftspolitischer Themen j a wohl des öfteren deutlich geworden.
({16})
Wir - hier meine ich einmal mehr uns Sozialdemokraten - halten also eine Zinssenkung für ein ganz vorrangiges politisches Ziel.
({17})
- Auf die Finanzierung komme ich noch zu sprechen, Herr Kollege.
Die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten und die exorbitant hohen Zinsen,
({18})
nicht die von Ihnen überzeichneten Probleme in unserem eigenen Land sind also für mich die Hauptursachen der gegenwärtigen schwierigen Situation. Deswegen muß ich auch den Versuchen widersprechen, die Schwierigkeiten dem Ausbau des Sozialsystems anzulasten.
({19})
Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling, sind Sie mit einer Zwischenfrage des Abgeordneten Franke einverstanden?
Aber natürlich. Bitte, Herr Kollege Franke.
Herr Kollege, Sie weisen auf die außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten hin. Darf ich Sie bitten, zu der Bemerkung des Bundesaußenministers und Vorsitzenden der FDP Stellung zu nehmen, daß die hausgemachten Probleme auch zu Hause gelöst werden müßten, womit er den Eindruck erwecken wollte, daß diese Probleme mit Sicherheit auch hier zu Hause gelöst werden müßten und ständige Ausreden in Richtung auf außenwirtschaftliche Schwierigkeiten letztlich zu keiner Lösung dieser Probleme führen.
({0})
Herr Kollege Franke, daß wir Probleme in unserem Lande haben, ist in diesem Hause ja sehr oft besprochen und durchaus auch konzediert worden. Die Frage ist, wodurch diese Probleme entstanden sind. Die Frage ist, wodurch sie verschärft worden sind. Selbstverständlich liegt die Politik, die zur Lösung dieser Probleme nötig ist, nicht ausschließlich in der Kraft der Regierung. Hier ist beispielsweise auch an die Möglichkeiten zu denken, die die Bundesbank hat. Die Bundesregierung und das deutsche Parlament haben nur einen begrenzten Einfluß auf die Ausformung der monetären Instrumente der Bundesbank. Sie wissen, daß Sozialdemokraten der Meinung gewesen sind, daß wir
unser Zinsniveau schon früher hätten zurücknehmen können,
({0})
ohne verhängnisvolle außenwirtschaftliche Einwirkungen befürchten zu müssen. Damit will ich nicht den Erfolg der Bundesbankpolitik insgesamt - vor allem im letzten Jahr - schmälern. Aber natürlich gibt es Probleme, die in ihren indirekten Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft ausstrahlen, wobei dann auch jeweils unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten - z. B. von seiten der Parteien - gesehen werden.
Ergänzend zu meinen von Ihnen unterbrochenen Ausführungen wollte ich noch dies sagen: Wir sollten diese Schwierigkeiten nicht dadurch zu beheben versuchen, daß wir meinen, sie seien ausschließlich durch den Ausbau des Sozialstaates entstanden.
({1})
Ich meine, daß dies ein zu einfacher Lösungsversuch wäre. Ich meine, daß die wirtschaftlichen Probleme, die wir heute haben, nicht auf den Ausbau des Sozialstaates zurückzuführen sind. Wenn es anders wäre, dürfte es in den Vereinigten Staaten, wo wir ein weniger dicht geknüpftes Netz an sozialen Leistungen haben, ja wohl kaum wirtschaftliche Schwierigkeiten geben.
({2})
Wenn heute von einer Krise des Sozialstaates gesprochen wird, dann deshalb, weil das in Zeiten größerer Wachstumshoffnungen geknüpfte soziale Netz bei sich abschwächendem Wachstum schwerer zu finanzieren ist. Herr Kollege Müller ({3}), Sie haben dies angesprochen. Die volkswirtschaftliche Einsicht, daß in einem Lande an Sozialleistungen quantitativer Art im Laufe einer Periode selbstverständlich nur das zur Übertragung zur Verfügung steht, was neben den Einkommen, die der Staat selbst erzielt, die Arbeitnehmer und die Unternehmen erzielen, in Form von Transfers verteilbar ist, bestimmt die quantitative Ausweitung des sozialen Sicherungssystems. Das ist eine ökonomische Einsicht, die unabhängig von der Gestaltung, der Form und der Ordnung eines Systems der sozialen Sicherung und der jeweils gehandhabten Wirtschaftspolitik ist. Wenn wir die Worte „Sozialstaat reduzieren" hören, bitte ich immer darauf zu achten, daß wir hier leicht der Gefahr unterliegen, daß Ursache mit Wirkung verwechselt wird. Wir sollten uns auch dies vor Augen halten: Was wäre wohl geschehen, wenn wir die gegenwärtige wirtschaftliche Abschwächung, von der alle Industrieländer betroffen sind, hätten erleben müssen, ohne über ein derartig dichtes soziales Netz zu verfügen?
({4})
Die Stabilität dessen, was wir hier heute des öfteren
als sozialen Frieden, als sozialen Konsens beschrieben haben, ist doch letztlich auch das Ergebnis eines
dicht geknüpften Netzes sozialer Leistungen, um das uns andere Länder beneiden.
({5})
Es ist das Ergebnis - ich muß dies sagen - sozialdemokratischer Politik, wobei ich Ihre positive Rolle keinesfalls verleugnen will.
Ich halte es deshalb auch als Ökonom für einseitig, wenn das Heil heute in einem forcierten Abbau sozialer Leistungen gesucht werden sollte - auch dann, wenn die auf diese Weise eingesparten Mittel zur Finanzierung investitionsfördernder Maßnahmen verwendet werden sollten.
Auch wir Sozialdemokraten sind für Leistung und Leistungsanreize, für Investitionsförderung, und wir sind für Haushaltskonsolidierung. Daran soll kein Zweifel bestehen. Wir sind uns selbstverständlich darüber im klaren, daß auch im sozialen Bereich gespart werden muß. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Voraussetzung ist aber, daß nicht nur die sozial Schwachen, sondern auch die Besserverdienenden Opfer bringen, daß die soziale Ausgewogenheit - dieses Wort darf ich noch einmal aussprechen - erhalten bleibt.
Unsere Kritik, die Kritik meiner politischen Freunde an dem vorliegenden Papier ist deshalb nicht als ein Ausdruck von Aufgeregtheit zu verstehen, sondern als eine Sorge, daß hier Weichen gestellt werden könnten, die uns von dem Positiven und Bewährten hinwegführen.
({6})
Der ökonomische Ansatz dabei sollte sein, daß wir weiterhin - eine entscheidende Voraussetzung - bei diesem Bemühen in der Diskussion und in der Neugestaltung behutsam und nicht abrupt verfahren. Denn das ist auch aus ökonomischen Gründen nötig. In einer Zeit, in der der Welthandel stagniert und wenig investiert wird, in einer Zeit, in der der Wachstumsmotor Export zunehmend auszufallen droht, nicht mehr wie in den Jahren zuvor zur Verfügung steht, gewinnt der private Verbrauch an Bedeutung. Herr Kollege Haussmann, Sie haben heute morgen die Gesichtspunkte der privaten Nachfrage in dem vorliegenden Papier angesprochen. Was geschähe, wenn der private Verbrauch bei starken Einschnitten in das soziale Netz seine stabilisierende Wirkung bei zurückgehender Auslandsnachfrage einbüßen würde? Man sollte diesen Gesichtspunkt bei ökonomischen Betrachtungen des vorliegenden Vorschlagspapiers nicht aus den Augen verlieren.
Mit anderen Worten: Eine derart herbeigeführte Schrumpfung der Verbrauchernachfrage kann in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage in der Tat zu dem führen, was man in der Öffentlichkeit als „kaputtsparen" bezeichnet. Im Klartext gesagt, heißt dies: eine Kette entstehen zu lassen, die mit der Kürzung der Sozialleistungen einsetzt, die zu einer allgemeinen Nachfrageschwäche führt, die dann weniger Produktion und weniger Arbeitsplätze zur Folge hat, dem Haushalt weniger Staatseinnahmen zur Verfügung stellt und die damit letztlich eine erneute Sparrunde zur Folge haben könnte. Das heißt, daß
hier ein Teufelskreis entstehen kann, der eine Spirale werden könnte, die in eine Entwicklung nach unten führen würde.
Sicherlich, Herr Kollege Haussmann - das haben Sie in Ihrem Beitrag vor der Mittagspause angesprochen -, sieht das Vorschlagspapier des Bundeswirtschaftsministers vor, daß die Sozialleistungen deshalb gekürzt werden sollen, damit genügend andere Mittel freigesetzt werden, damit Investitionsanreize für die Schaffung neuer Arbeitsplätze entstehen. Aber ich glaube, hier ist etwas bei Ihnen unberücksichtigt geblieben, was man bei einer derart saldierenden Betrachtung berücksichtigen muß: Die Kürzung von Sozialleistungen pflegt in der Regel unmittelbar wirksam zu werden, während das Ingangsetzen vermehrter Investitionstätigkeit mit einem Time-lag ausgestattet ist und erst nach geraumer Zeit zu einer Investitionssteigerung und damit auch wieder zu zusätzlichen Investitionsgüteraufträgen führt. Dieses Loch, das entstehen könnte, ist meine Sorge, ist die Sorge von uns, daß hier eine, wie ich sagte, negative Spirale entstehen könnte.
Daß dieser Nachfrageausfall keinesfalls utopisch und unrealistisch dargestellt wird, das ergibt sich, glaube ich, auch aus dem Vorschlagspapier des Bundeswirtschaftsministers; denn er hat in diesem Papier auf diese Möglichkeit hingewiesen. Wenn man es dennoch riskiert, meine Damen und Herren, dann muß man allerdings damit rechnen, daß der so oft beschworene und gepriesene soziale Konsens aufs Spiel gesetzt wird.
Das bedeutet, daß eine über die Bereiche der Gesamtpolitik hinausreichende Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht heißen kann, rigide Beschränkungen der Sozialausgaben und damit auch der privaten und der öffentlichen Nachfrage vorzunehmen, dies alles in der Hoffnung, daß die Unternehmen hierdurch wieder Vertrauen gewinnen und investieren. Diese Art des Prinzips Hoffnung läßt die gesamtwirtschaftlichen und auch die zeitlichen Wirkungen von Nachfrageveränderungen auf die Güterproduktion außer acht.
Wir Sozialdemokraten werden einer solchen Politik kaum zustimmen, denn sie droht ausschließlich zu Lasten der Haushalte mit niedrigem Einkommen und demzufolge mit einer geringen Spartätigkeit zu gehen. Sie würde die erhoffte Wende eher in die Ferne rücken, sie würde den sozialen Konsens in unserem Lande tangieren.
Herr Kollege Haussmann, lassen Sie mich noch einmal auf das vom Kollegen Wolfgang Roth zitierte Beispiel zurückgreifen, weil ich noch einmal verdeutlichen möchte, weshalb uns diese Sorge bestimmt. Kollege Roth hat dargestellt, daß eine Kürzung des Arbeitslosengeldes - das ist eine Alternative, selbstverständlich! - auf 50 % des letzten Nettoeinkommens in den ersten drei Monaten dazu führen würde, daß das durchschnittliche Arbeitslosengeld von 1 000 DM im Monat auf 750 DM sinkt. Dies ist eine der Möglichkeiten. Haben Sie sich einmal vor Augen gehalten, welche kumulativen Wirkungen eintreten könnten, wenn der davon Betroffene zusätzlich auf Grund anderer Vorschläge belastet wird, etwa wenn eine Kürzung des Wohngeldes realisiert werden sollte oder wenn eine Kürzung des BAföG für die Schüler durchgesetzt werden sollte mit der Folge, daß seine Kinder keine weiterführenden Schulen mehr besuchen können?
({7})
- Das ist nicht mit „Oh je" abzutun, Herr Kollege, das sind echte existentielle Probleme, die allerdings vor allem in Arbeiterfamilien aufzutreten pflegen.
({8})
Was passiert, wenn Unternehmen und die Bevölkerung insgesamt wieder zusätzlich durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer belastet werden? Dann wird das Budget der Betroffenen zusätzlich belastet. Die Solidarität zwischen Arbeitenden und Nichtarbeitenden wird in dieser Weise natürlich tangiert.
Ich muß zum Ende kommen. Wir Sozialdemokraten lehnen radikale Patentrezepte ab. Wir sind der Meinung, daß wir die erfolgreiche angebots- und nachfrageorientierte Politik des mittleren Weges dieser Koalition weiterführen sollten. Wir haben mit dieser Wirtschaftspolitik durchaus
({9})
Erfolge gehabt, die Sie nicht ableugnen können, die Sie durchaus in Ihrem Innern akzeptieren. Tun Sie doch bitte nicht so, als ob es nie Steuerentlastungsprogramme, als ob es nie ERP-Mittelstandsförderungsprogramme gegeben hätte. Tun Sie doch nicht so, als hätte die Investitionshilfe, die Gott sei dank angenommen wird, die wir soeben in der Gemeinschaftsinitiative beschlossen haben, keine positiven Effekte. Wir werden uns am Ende des Jahres darüber unterhalten können, wenn die Auftragseingänge dadurch nach oben gegangen sind. Wir halten an einer Politik fest, die mittelfristig ausgerichtet ist. Wir werden sie weiter vertreten. Diese Politik begünstigt die Strukturanpassung unserer Wirtschaft. Wir betreiben diese Politik im Interesse der Beseitigung der Arbeitslosigkeit und im Interesse unserer Jugend. Wir werden uns dabei allerdings auf durchsetzbare, konsensfähige und realistische Vorschläge konzentrieren. Wir haben Gemeinsamkeiten genug, um sie auch weiterhin mit unserem Koalitionspartner, der FDP, zu entwickeln, zu diskutieren und, wie ich hoffe, auch umzusetzen.
Lassen Sie mich mit den Worten eines FDP-Kollegen schließen, der am 5. Februar dieses Jahres unter dem Beifall der Koalitionsfraktionen diese Gemeinsamkeiten betont hat und dabei den notwendigen Konsens aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen forderte sowie Bestand und Fortsetzung der sozialliberalen Koalition mit den Worten unterstrich - ich darf zitieren -:
Der Wähler hat uns den Auftrag gegeben. Wir erfüllen diesen Auftrag.
({10})
Damit haben wir gewollt Verantwortung übernommen. Wir werden uns weiter bemühen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. In sonnigen Zeiten Verantwortung zu tragen bringt selten Probleme mit sich. Wir sind auch bereit, in
schwierigen Zeiten Verantwortung zu tragen. Wir zieren uns nicht, wenn es wenig Lob, aber viel Kritik gibt, weil wir zu dem stehen, was wir im Interesse dieses Landes für notwendig halten.
Derjenige, der das sagte, war Wolfgang Mischnick. - Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Einbringungsrede hatte ich darauf hingewiesen, daß manches an Diskussion bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wehleidig und provinziell verlaufe. Das hat Herrn Abgeordneten Pfeffermann zu einem Zwischenruf veranlaßt, aus dem ich den Eindruck gewinne, daß er annimmt, daß ich die Sorge um die Arbeitslosigkeit als provinziell abgetan hätte. Das muß ich mit allem Ernst zurückweisen.
({0})
Der Zusammenhang, aus dem heraus ich die Worte „wehleidig" und „provinziell" gewählt habe, ergibt sich aus dem Text sehr eindeutig.
Ich will aber, meine Damen und Herren, heute an diesem Punkt der Debatte sieben Beispiele für das geben, was ich unter „wehleidig" und „provinziell" fassen möchte.
Ich will als erstes Beispiel das gerade bei fast allen Rednern der Union - vielleicht mit Ausnahme von Herrn Dregger - festzustellende Fehlen des ausreichenden Eingehens auf internationale Zusammenhänge nennen. Herr Dregger hat eine Ausnahme gemacht. Er hat ja recht: Man soll sich nicht nur immer mit dem vergleichen, bei dem die einzelnen Zahlen schlechter sind oder eine Zahlenkombination schlechter ist als bei uns. Er hat recht, in diesem Zusammenhang auch Japan und die Schweiz heranzuziehen, wenn dies in differenzierter Form geschieht. Ich bin bereit zuzugestehen, daß die Japaner und die Schweizer - übrigens nicht nur sie - nach dem Krieg Enormes hingestellt haben. Aber, bitte schön, wir doch auch! Es besteht also überhaupt kein Anlaß, uns durch den Vergleich mit Japan und der Schweiz sozusagen als das Armenhaus Europas oder der industrialisierten Welt hinzustellen.
({1})
Was im übrigen dieser internationale Zusammenhang nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern allgemeinpolitisch bedeutet, kann jeder nachlesen, wenn er die neueste Nummer von „Foreign Affairs" zur Hand nimmt. Ich darf dies uns allen wirklich empfehlen; ich meine den Artikel, den der Bundesaußenminister über die Grundfragen der West-West-Politik zu dieser Thematik geschrieben hat.
({2})
Was die Wehleidigkeit und dieses Selbstmitleid angeht, so habe ich heute in der „International
Herald Tribune" ein prächtiges Beispiel von John Dornberg gefunden, der in München sitzt und gerade die Bundesregierung in den letzten Jahren außergewöhnlich kritisch begleitet hat. Er schreibt in der heutigen Ausgabe - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Versuch machen, dies frei, aber hoffentlich zutreffend, zu übersetzen - unter der Überschrift „Die Deutschen sehen die Dinge durch ein anderes Prisma":
Unter den gegebenen Umständen erscheint es fast lächerlich, davon zu reden, daß Deutschland sich wirtschaftlich in Schwierigkeiten befindet. Unter den schlimmsten Umständen ist Deutschlands ,Wunderkind' von damals erwachsen geworden.
Er schließt seinen Artikel mit dem Hinweis: Aber die Politik
- und er meint damit unsere Politik hier in unserem Land folgt einer anderen Logik, wenn man sie durch das Zerrglas des Weltschmerzes betrachtet, ein sehr wirkungsvolles Zerrglas, das eine Sternschnuppe wie das Zentrum der Welt erscheinen läßt.
Wir sollten uns von dieser gelassenen Betrachtungsweise, die Herr Dornberg uns empfiehlt, anstecken lassen. Dann kann man vieles sehr viel ruhiger und, denke ich, auch in der richtigen Proportion diskutieren.
({3})
Drittes Beispiel: Heute morgen ist - ich glaube, Herr Haussmann war es - von dem Anteil der öffentlichen und privaten Investitionen gesprochen worden. Herr Haussmann, Sie haben die Anlageinvestitionen herangezogen. Dann kommt man in der Tat auf einen öffentlichen Anteil von 16%. Wenn wir die Bauinvestitionen hinzunähmen, wären es 25 %. Was mir von meinem Platz aus aufgefallen ist, ist die ganz merkwürdige Beifallsverteilung zu diesem Teil Ihrer Ausführungen. Sie sprachen von der Notwendigkeit, private Investitionen zu stärken. Das ist Allgemeingut aller drei im Bundestag vertretenen Gruppen. Großer Beifall bei der Union. Dann sprachen Sie aber von der ebenso selbstverständlich gegebenen Notwendigkeit, auch öffentliche Investitionen zu stärken. Und bei der Union rührt sich keine Hand. So wird eine an sich ökonomisch sinnvolle und auch haushaltspolitisch relevante Diskussion auf Umstände der Tagestaktik und der Tagespolitik verkürzt. Ich glaube, damit erweist man niemandem einen Dienst.
({4})
Dann kann man in der Tat zu Gespensterschlachten kommen.
Daß das heute morgen nach meinem Eindruck nicht der Fall war, ist - das möchte ich persönlich sagen - sicherlich auch ein Verdienst meines Kollegen Graf Lambsdorff, für dessen Ausführungen heute morgen ich mich für meinen Teil ausdrücklich bedanken möchte. Daraus hat sich eine Diskussion ergeben. Interessant ist nur - ich hoffe, daß das
auch draußen nicht unbemerkt geblieben ist -, daß die Diskussion, sobald sie sachlich und in Einzelfragen geführt wurde, an der Mitte des Hauses vorbeiging. Diese Diskussion ist in durchaus sachlicher Form zwischen Herrn Haussmann, Herrn Roth und Herrn Mitzscherling geführt worden. Auch das wird man wohl konstatieren dürfen.
Viertes Beispiel für „provinziell": Ich halte es nicht für gut - wie das gestern ein paarmal passiert ist -, daß sozusagen, wenn der eine oder andere den Fall AEG erwähnt, wie ein Pawlowscher Reflex irgendeiner Neue Heimat ruft. Ich hielte auch das Umgekehrte für schlecht. Was soll damit bewirkt werden? Es sind ja nicht nur die beiden großen Unternehmen in Schwierigkeiten, sondern viele andere mehr. Sich sozusagen gegenseitig Etiketten oder - wie Herr Schmitz gestern in einem anderen Zuammenhang gesagt hat - Bonbons ans Hemd zu kleben, das wird dem Problem nicht gerecht und schadet insgesamt unserem Ansehen im In- und Ausland. Wir sollten das nicht tun.
({5})
Fünfter Punkt: Der Umgang mit Zahlen. Da bin ich nun bei Herrn Dregger.
({6})
- Ich bin zwar kein Lehrer, aber ich erlaube mir jetzt ein Urteil über die Ausführungen von Herrn Dregger heute morgen. Das darf ich wohl als Finanzminister.
({7})
Er kann nicht hier sein. Bitte, geben Sie es ihm weiter.
Es ist unredlich, jedenfalls ist es unrichtig, so zu tun, als ob sich die Investitionsströme aus irgendwelchen ideologischen und politischen Gründen in den letzten Jahren total in das Gegenteil verkehrt hätten. Auf einen Grund ist schon hingewiesen worden: auf die völlig veränderte Kursrelation zwischen D-Mark und Dollar. Ein anderer Grund muß hinzugefügt werden: die enorme Differenz beim Nominalzins zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten. Aber immerhin sind 1981 - das ist das letzte Jahr, hinsichtlich dessen wir über Statistiken verfügen - 8 Milliarden DM in die Bundesrepublik Deutschland als Anlage geflossen. Allein die Zunahme im Bestand deutscher Aktien in der Hand von Ausländern hat zwischen 1979 und 1981 1,3 Milliarden DM betragen. Dann von einer irgendwie politisch-psychologisch motivierten großen Flucht zu reden, das verkehrt die Realität eher in ihr Gegenteil.
Das gleiche gilt im Zusammenhang mit Konkursen. Viele haben heute morgen und auch gestern die Konkurse beklagt. Wer wird das denn nicht tun? Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß 1981 die Zahl der Selbständigen in der Bundesrepublik Deutschland um 4 000 höher lag als 1976,
({8})
daß die Zahl der Neugründungen die Zahl der Betriebsschließungen jahrelang, bis 1981, bei weitem überstiegen hat.
({9})
Wir haben genügend Leute in unserem Land, die auch unter schwierigen Umständen bereit sind, sich selbständig zu machen. Dieser Weg muß natürlich erleichtert werden.
({10})
- Das ist überhaupt keine Augenwischerei. Ich würde diese Zahlen nie irgendeiner Bundesregierung sozusagen auf die gute Seite legen wollen. Aber sind Sie dann bitte auch so gut und tun nicht permanent das Gegenteil, insbesondere draußen, oder vermitteln zumindest den Eindruck!
({11})
Das letzte, was ich „wehleidig und provinziell" nennen möchte, ist der Weg in die persönliche Herabsetzung, den Herr Waigel heute morgen gewählt hat, als er von Herrn Matthöfer gesprochen hat, indem er so tat, als wäre Herr Matthöfer nur deshalb, weil er hier finanzpolitisch und gesamtpolitisch unbequeme Dinge ausgesprochen habe, sozusagen degradiert worden. Das ist im übrigen auch kein zutreffendes Urteil über die große Aufgabe der Deutschen Bundespost.
({12})
Ich habe bereits gestern darauf hingewiesen: Sie ist der größte Investor in unserem Lande.
Nun ein Hinweis zu den Zahlen und zu ihrer Vorläufigkeit. Wir brauchen diese Debatte hier ja nicht wieder voll aufzunehmen; nur sage ich, wie auch Graf Lambsdorff es heute morgen gesagt hat, noch einmal: Wir haben auf diese Risiken seit Anfang Juli immer wieder und in aller Offenheit hingewiesen, vor der Pressekonferenz, hier im Deutschen Bundestag und auch sonstwo. Wir haben diese Risiken nicht geleugnet. Deshalb ist die Unterstellung von Herrn Glos, dahinter stecke wohl Methode, noch einmal mit allem Nachdruck zurückzuweisen.
({13})
Ein inhaltlich am Ende dieses Abschnitts der Debatte sehr viel gewichtigerer Teil war die Auseinandersetzung über die zusammenhängenden Fragen von Steuerlast, Abgabenlast und Steuerpolitik. Herr Häfele sagte gestern - und auch heute morgen ist dies wieder erwähnt worden -, wir dürften nicht die Steuerquote allein sehen, sondern müßten dies auf die Abgabenquote fortschreiben. Herr Häfele, ich würde Ihnen voll zustimmen! Aber wenn man das tut, sagen Sie damit doch zweierlei. Erstens erkennen Sie an, daß die Steuerlastquote, für sich genommen, seit 1952 stabil geblieben ist.
({14})
Das ist in sich - und dies ist doch der direkte Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt - eine enorme politische Leistung.
({15})
Zweitens bleibt noch die Frage der Sozialabgaben, wobei es nicht ganz richtig ist - aber ich gebe zu, hier ist vielleicht die Sprache etwas ungenau -, alles, was im sozialen Bereich - auch an Beiträgen - läuft, nun gleich mit dem leicht negativ besetzten Wort „Abgabe" zu belegen.
Hier liegt nun - und das ist, glaube ich, politisch wichtig - nicht erst seit heute, sondern spätestens seit dem von Ihnen immer wieder angegriffenen Münchener Parteitag meiner Partei ein für Sozialdemokraten sehr weitgehendes Angebot vor, daß Herr Mitzscherling eben noch einmal in die dürren Begriffe der Ökonomie gekleidet hat. Es ist das Angebot, das Gesamtsystem der sozialen Sicherungsleistungen und der sozialen Transfers, Herr Müller, an die kleiner gewordenen ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten anzupassen. Dieses Angebot so und so weitgehend zu formulieren, wie wir es getan haben, ist uns gewiß nicht leichtgefallen. Von mir aus geht die herzliche Bitte an Sie und auch an die Kollegen aus der FDP, dieses Angebot nicht leichten Herzens und leichtfertig aus der Hand zu schlagen. Man kann dies in der Tat nur langfristig, geduldig und - wie Herr Mitzscherling gesagt hat - behutsam beginnen. Ich habe mich gestern bemüht, auf den gleichen Punkt hinzuweisen.
Nur, Herr Müller, bei aller Wertschätzung, die ich für meinen ersten Arbeitgeber habe: Sie haben heute mit dem, was Sie gesagt haben, nach meinem Eindruck den Januskopf der Union vorgeführt,
({16}) und zwar in aller Klarheit.
({17})
Zudem hörte sich vieles von dem, was Sie z. B. zum hier immer wieder zitierten Papier von Graf Lambsdorff gesagt haben, ganz anders an als das, was aus der gleichen Fraktion gestern nachmittag und heute morgen dazu zu hören war.
({18})
Auch dies muß ausdiskutiert werden und darf ja wohl nicht unbemerkt bleiben.
Zur Steuerpolitik selber: Herr Dregger fordert die Rücknahme der „heimlichen Steuererhöhungen". Auch Herr Häfele hat, glaube ich, gestern diese Forderung erhoben. Diese Forderung verwendet wiederum einen doch etwas unscharfen Begriff. Wir haben natürlich in der Tat - Sie haben die Bezugsgrößen gewählt, und auch ich würde keine anderen wählen - rein nominal Steuererhöhungen in einem Teil unseres Steuersystems, Herr Häfele.
({19})
- „Heimlich" meine ich nicht in dem Sinne, daß sie
nicht offen ausgewiesen wären. Denn in der Tat, aus
der Lohnsteuertabelle kann man sie ja fein herauslesen. Aber ich darf diesen Begriff einmal verwenden.
Wir haben dann aber mindestens auch zu sehen, daß es den gleichen Prozeß in umgekehrter Richtung gibt. Ich nehme also einmal dieses schlimme Wort „heimlich", wende es an und sage: „heimliche Steuerentlastungen".
({20})
Wir müssen beides zusammen sehen. Wenn wir die Steuerlastquote insgesamt konstant halten wollen - und ich habe begriffen, das will hier jeder -, dann muß jeder Ausgleich im Steuersystem selber diesem Gebot unterworfen werden. Zu diesem Ergebnis führt nicht jeder Diskussionsbeitrag der letzten Tage. Wenn das jedoch richtig ist, wie kann man sich dann hier hinstellen und mit einem leisen Triumph in der Stimme, wie Herr Dregger dies heute morgen getan hat, darauf hinweisen: Und wir haben euch die für den 1. Juli 1983 vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung Gott sei Dank kaputtgemacht; denn die hätte nur zur Abgabenerhöhung geführt. - Hätte sie nicht! Sie wissen doch ganz genau, daß die Mehrwertsteueranhebung die Gegenrechnung für die Investitionszulage war, also für eine Steuererleichterung, die strukturell völlig in die gleiche Richtung geht.
({21})
Wir wollten an sie anschließen.
({22})
- Ich will niemanden kritisieren.
({23})
Ich habe jedenfalls die ganze Zeit hier gesessen. Das gehört sich auch so.
({24})
Wir werden, wenn wir dann über Steuerlastquoten und Verschiebungen in der Steuerstruktur diskutieren, nicht ganz übersehen dürfen, mit welchen Argumenten zweimal hintereinander unser Vorschlag für eine etwas zeitnähere Bewertung baureifer, aber unbebauter Grundstücke von Ihnen abgelehnt worden ist. Auch der Punkt gehört dann wohl in die Diskussion der nächsten Monate hinein.
({25})
Einen interessanten Vorschlag fand ich den über einen teilweisen Schuldzinsenabzug bei Hypotheken. Es gibt ja Vorschläge, die bei der Bausparzwischenfinanzierung ansetzen, wenn ich es recht sehe, übrigens in beiden Parteien der Koalition. Hier sind Ansätze, die man vielleicht im Gesamtzusammenhang der nächsten Monate zusammen mit unseren anderen Vorschlägen für Abbau von Steuervorteilen oder in einem anderen geeigneten Zusammenhang sinnvoll diskutieren kann.
Noch einmal, der hauptsächliche Punkt: Wir müssen bei all dem an zwei Dingen festhalten. Ein Grundsatz ist die Konstanz der Steuerquote in beiden Richtungen; laßt uns nicht auf ein Zehntelprozent genau rechnen, das kann niemand sagen. Der zweite Punkt ist ebenso wichtig und muß uns allen gleichmäßig am Herzen liegen, egal, wieviel Kämmerer wir in den Kommunen stellen: Die kommunale Finanzautonomie muß bei all dem uneingeschränkt aufrechterhalten werden, sonst wird da kein Schuh draus.
({26})
Bleiben wir noch eine Minute bei der Steuerpolitik. Herr Häfele, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie unter dem Etikett „familienfreundliches Steuersystem" letzten Endes ein Zurück hinter die Kindergeldregelung gefordert.
({27})
Technisch gesprochen: Kinderfreibetrag und Kindergeld als Restgröße
({28})
für die besonders Bedürftigen. So haben Sie sich, glaube ich, ausgedrückt.
({29})
Das heißt also, der volle Progressionsvorteil soll für die höherverdienenden Familien mit Kindern wiederhergestellt werden.
({30})
- Ja, das müssen wir festhalten. Unser Weg geht ja eher in die gegenteilige Richtung. Wir fragen uns in der Tat - und ich glaube, dafür gibt es gute Gründe -, warum denn jemand ({31})
nehmen wir den berühmten Mann - mit seinen 100 000 DM Jahreseinkommen noch Kindergeld bekommen muß.
({32})
Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie haben das geklärt. Sie wollen zum alten System zurück: Kinderfreibeträge im Zusammenhang mit dem Tarif, d. h. also, voller Progressionsvorteil, und unten für die Härtefälle Kindergeld.
({33})
Das wird man dann gut diskutieren können.
({34})
An dieser Stelle wiederhole ich meine Bitte, weil hier häufiger das Wort vom Klassenkampf in die Debatte geworfen worden ist. Ich bin ein Besserverdienender; und hier sitzen viele solche im Saal. Bitte einen Vorschlag an Stelle der Vorschläge, die wir hier in der vergangenen Woche eingebracht haben, der mich treffen würde! Bitte einen einzigen Vorschlag! Dann könnten wir weiterdiskutieren.
({35})
- Ja, das habe ich gedacht, daß Sie mir das sagen würden: Wenn ich ohne Bezüge zurückträte, dann wäre der Beitrag geleistet. Sie werden zugeben: Erstens ist er ein bißchen radikal und wird zweitens auch nicht aufgehen.
({36})
Der geht schon finanziell nicht auf, auch sonst nicht.
Aber denjenigen, die in diesem Zusammenhang über die Ergänzungsabgabe reden, muß man doch bei allen Vorbehalten - der eine oder andere weiß ja, daß ich technische Vorbehalte habe - folgendes sagen. Dieses Instrument ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen.
({37})
Es macht doch überhaupt keinen Sinn, dies sozusagen vom Grund her zu verteufeln oder zu lobpreisen. Die Frage ist doch nur die Zweckmäßigkeit der Anwendung. Sie ist unter Franz Josef Strauß praktiziert worden. Und hier, dachte ich, bietet möglicherweise der Gesichtspunkt, den Herr Haussmann und Herr Roth heute morgen ausgetauscht haben, den Ansatz für eine wirklich vernünftige Debatte: Wie finde ich also einen Weg - ich weiß auch noch nicht, wo er endet; aber wir sollten uns der Diskussion nicht verweigern -, an die soziale Ausgewogenheit über eine Belastung der Höherverdienenden unter den Kautelen, die der Bundeskanzler in der letzten Woche zusätzlich in die Diskussion eingeführt hat, heranzukommen, ohne die schädliche Nebenwirkung auf die investiv verwendeten Einkommens- und Gewinnanteile dabei in Kauf nehmen zu müssen? So ist die Frage präzis und richtig gestellt. Und an diesem Punkt, denke ich, werden wir wie zu allen anderen Fragen zum gegebenen Zeitpunkt mit präzisen Vorschlägen kommen können.
Ich fand es im Zusammenhang mit den Steuervorteilen interessant - damit bin ich bei den Subventionen; dazu nur einen Satz -, daß außer Herrn Waigel heute morgen niemand mehr aus der Opposition die Querbeetkürzungen gefordert hat. Das ist ein Fortschritt. Den muß man objektiv feststellen. Das macht uns vielleicht den Umgang mit diesem Tatbestand in allen Gruppen etwas leichter.
Ich wollte ein Wort zu den heutigen Ausführungen von Herrn Cronenberg und den gestrigen von Herrn Zumpfort sagen. Lieber Herr Cronenberg, noch einmal: Wir haben doch die Absicht - ich habe es in der Einbringungsrede gestern gesagt - und den Willen, soziale Transfers an ökonomische Gegebenheiten anzupassen. Dies kann man ohne gegenseitige Schelte und ohne gegenseitigen Vorwurf tun, sicher mit Engagement, aber, wie ich sagte, in Ruhe und Behutsamkeit.
Herrn Zumpfort wollte ich nur sagen, daß ich sehr wohl die Frage der Zinslasten für den Bundeshaushalt erwähnt habe, und zwar zweimal.
Wir müssen festhalten, was Herr Glos gesagt hat, auch vor landespolitischem Hintergrund, der j a nicht ganz uninteressant ist. Ich jedenfalls möchte dies festhalten: Herr Glos hat den untauglichen und wirklich schlimmen Versuch unternommen, die Schwierigkeiten bei AEG der Bundesregierung politisch ans Bein zu binden. Herr Glos war es, der, übrigens in vollem Gegensatz zu Herrn Dregger, die Behauptung aufgestellt hat, die Lohnkostenentwicklung im Jahr 1982 sei ökonomisch über das Maß des Notwendigen und Vernünftigen hinausgegangen. Herr Glos hat die, die ein 50-Milliarden-Beschäftigungsprogramm gefordert haben, wörtlich als „Quacksalber" bezeichnet. Das verdient, hervorgehoben zu werden. Dabei muß man nicht mit jeder Forderung des DGB einiggehen. Auch ich tue das nicht. Aber die Sorge und die richtigen Denkansätze hinter den Anstößen des DGB, die u. a. zu der Gemeinschaftsinitiative geführt haben, schlichtweg als Quacksalberei zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück - muß ich sagen.
({38})
- Ja, so hat er im Zusammenhang formuliert.
Ein allerletzter Hinweis. Herr Schröder hat gestern, wie ich fand - und das hat doch mit Zensur nichts zu tun; ich darf doch die Debatte aus meiner Sicht bewerten; das muß ich doch tun; denn wir müssen ja mit dem Haushalt weiter umgehen -, völlig zu Recht auf die Verteilungswirkung der Kreditaufnahme hingewiesen. Ich will wiederholen, was in Antwort darauf Herr Hoffmann gestern schon gesagt hat: Das ist in der Tat nicht unbedenklich. Die Verteilungswirkung von Kreditaufnahme über die Zinszahlungen wirft Fragen auf, die möglicherweise weiter reichen als die Verteilungswirkung der einen oder anderen alternativen Finanzierung, also über Steuern und Abgaben.
Darauf muß man in zwei Richtungen antworten. Und darauf ist Herr Schröder leider die Antwort schuldig geblieben. Erstens gilt es, durch Auswahl im Debt-Management die negativen Verteilungswirkungen zu minimieren - man wird sie nicht ganz ausschalten können. Zweitens. Wo diese negativen Verteilungswirkungen dann verbleiben, da muß man allerdings eine Antwort auf die Frage geben, die Herr Hoffmann gestern dazu gestellt hat: Wie haltet Ihr es denn - nicht mit den kleinen Sparern; an die denkt ja sowieso niemand in der Richtung, daß man ihnen ihre Erträge wegnehmen will - mit denen, die hier über wesentlich größere Einkünfte aus Kapital- und Zinserträgen verfügen?
Mein allerletzter Punkt kann sehr kurz sein. Den habe ich überschrieben: Vorschläge der CDU. Ich habe genau zwei Vorschläge gefunden. Ich habe mich bemüht, wirklich alles zu lesen. Der eine präzise Vorschlag war der mit dem teilweisen Schuldzinsenabzug von Herrn Dregger heute morgen. Der andere Gedankengang war der von Herrn Häfele unter dem Rubrum familienfreundliche Ausgestaltung der Lohn- und Einkommensteuer. - Und sonst nichts. Deswegen höre ich an dem Punkt auf.
Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten mit einem Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute schließen. Die Überschrift lautet:
Remmers: Wirtschaftskonzept der Union Aufforderung an die Bundespartei/ ..
Es heißt dort:
Die niedersächsische CDU drängt die Union, als Opposition in Bonn nun nicht länger mit der Vorlage eines Gesamtkonzepts für die Belebung der Wirtschaft, den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Sanierung der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik zu warten. Ihre Landtagsfraktion und auch die Mitglieder des Kabinetts Albrecht halten einen solchen Vorstoß für dringend erforderlich, und sie erwarten, daß er spätestens gleich nach der Landtagswahl in Hessen unternommen werde.
Vielleicht stimmt diese Prognose, im Unterschied zu mancher anderen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({39})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Reihenfolge ist insofern etwas seltsam,
({0})
als mein Beitrag in eine sozialpolitische Debatte gehört, die bisher aber erst durch einen Redner bestritten worden ist. Das, was Sie, Herr Müller ({1}) gesagt haben, muß aber hier eine Antwort bekommen. Deshalb bitte ich um Verständnis, daß ich mich nach dem Finanzminister gemeldet habe.
Herr Müller, Sie haben auf eine Bemerkung hingewiesen, die ich von diesem Pult zu einem Zeitpunkt gemacht habe, als ich für meine Fraktion als finanzpolitischer Sprecher geredet habe. Ich stehe nicht an, mich zu dem zu bekennen, was ich damals sinngemäß gesagt habe, nun wäre - wir sagen etwas leicht - „Ende der Fahnenstange", wenn es um die Frage der Einschnitte in die sozialen Leistungen gehe. Ich will Ihnen gern bestätigen, daß es - auch in der Verantwortung als Finanzpolitiker meiner Fraktion - meine finstere Entschlossenheit war, daran mitzuwirken, daß in diesem Bereich leichtfertiges Herumfuhrwerken verhindert würde. Ich stehe auch heute dazu.
Daß es Wirtschaftsdaten und Wirtschaftsentwicklungen gegeben hat, die uns eine neue schwierige Entwicklung gebracht haben, war Inhalt der Debatte über zwei Tage. Ich kann es mir ersparen, dies hier noch einmal zu erläutern.
Herr Müller, die von Ihnen angesprochene Berner-kung habe ich zu einem Zeitpunkt gemacht, wo jeder von uns praktisch jeden Tag in der Zeitung lesen konnte, daß einer der Ihren - einer der CDU-Ministerpräsidenten, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU oder Ihr Fraktions7032
vorsitzender hier im Bundestag, Herr Kohl - etwas im Sinne von „Es muß in die sozialen Leistungsgesetze eingeschnitten werden" gesagt hatte. Tag für Tag gab es solche Meldungen.
({2})
Ich will ein Zweites - man könnte das Bekenntnis nennen - sagen. Ich habe den Begriff, den Sie von sich abwehren wollten, den der „sozialen Demontage", von einem bestimmten Tag an nicht mehr benutzt.
({3})
Es ist zwar eine Indiskretion, die ich begehe, aber ich glaube, es muß einmal gesagt werden.
({4})
Es war Herr Stoltenberg, Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein ({5}), Mitglied des Vermittlungsausschusses, der sozusagen von mir erwartet hat - auch ich war damals Mitglied des Vermittlungsausschusses -, daß ich diesen Begriff nicht mehr verwende. Ich habe damit nicht seiner Erwartung, sondern meiner eigenen Einstellung entsprochen; denn das, was ich damals mitzutragen aufgeladen bekommen habe an Kürzungsabsichten, die von der Mehrheit des Bundesrates kamen - das ging viel weiter als das, was nachher im Vermittlungsausschuß beschlossen wurde -, im Hinblick auf die Schwächsten in diesem Lande, die Sozialhilfeempfänger, hat mich veranlaßt, mir zu sagen: Jetzt darfst du nicht mehr vor andere Menschen gehen und von sozialer Demontage reden. Du bist mitverantwortlich. Du hast einen Teil davon mitgetragen, auch wenn du wußtest, daß das eine falsche Richtung war, aber mitgetragen, weil anderes durchgesetzt werden mußte. Inzwischen hat das Haus diese Korrekturen in diesem Bereich vorgenommen; aber lassen Sie sich das ruhig hier einmal offen sagen.
Herr Müller, Sie haben das schlimme Wort gewählt, wir hätten die Rentenkassen „geplündert". Lassen Sie mich mit ein paar Strichen deutlich machen, was Sache ist, was den Tatsachen entspricht.
Erstens. In der Zeit, in der in diesem Land eine sozialliberale Koalition regiert, ist das Rentenniveau enorm gesteigert worden, und wir wollten dies. Dies war notwendig.
({6})
Zweitens. Die Steigerung des Rentenniveaus ist sogar noch in der Zeit weitergegangen, als wir eine erste ökonomische Krise, geboren aus den Ölpreissteigerungen in der Mitte der 70er Jahre, hatten. Wenn ich das mit dem Anwachsen der Arbeitnehmereinkommen vergleiche, die j a netto zu rechnen sind, dann wird mir jeder bestätigen, daß die Renteneinkommen sowohl im Zeitraum von 1970 bis jetzt als auch im Zeitraum von 1976 bis jetzt stärker als die Arbeitnehmereinkommen gestiegen sind.
({7})
- Das war die Sozialgesetzgebung, die wir getragen haben.
({8})
Drittens. Durch das Zwanzigste und Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz hat es eine erhebliche Veränderung und Verbesserung der gesamten Finanzsituation der Rentenversicherung gegeben. Sie hätte diese 15 % Steigerung, die sonst eingetreten wäre, wie es Herr Müller hier gesagt hat, wohl nicht ertragen können. Ich kann mir vorstellen, wie Ihre Argumentation ausgesehen hätte, wenn dies nicht erfolgt wäre.
Dieser Vorgang der - nennen wir ihn ruhig so - Sanierung der Rentenfinanzen hat es mit sich gebracht, daß jetzt - was Sie kritisieren und was ich nicht leichtfertig positiv beurteilen kann, aber mitzutragen habe - eine Korrektur in der Größenordnung des Zuschusses des Bundes an die Rentenversicherungskassen für dieses Jahr 1983 noch einmal in einer Größenordnung von 1,3 Milliarden DM erfolgt. Die Folge davon ist aber nicht, daß die Rentenversicherung in ihrer Finanzierung in Unordnung kommt. Das, was wir als Grundlage haben müssen und was sicher in der Rentenkasse sein muß, ist auch sicher darin, so daß wir die Renten sicher und ordentlich bezahlen können und trotzdem noch eine Reserve haben.
({9})
Viertens. Was die Union vorgehabt hat, Herr Müller, und was Rückwirkungen auf die Rentenkasse gehabt hätte, ist in dem von mir am Freitag voriger Woche schon einmal zitierten Dokument nachzulesen. Ich meine die Beschlüsse, mit denen die Mehrheit des Bundesrates am 26. September 1981 zum Zweiten Haushaltsstrukturgesetz - d. h. zu dem, was wir uns angewöhnt haben, die „Operation '82" nennen - Stellung genommen hat. Dort war die Aufforderung an die Bundesregierung enthalten, Herr Müller, sofort für das Jahr 1982 einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag von 2 bis 3 % einzuführen. Dort war die Aufforderung an die Bundesregierung enthalten, den Beitrag, den die Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosen an die Rentenversicherung und die Krankenversicherung zahlt - es steht dort an: die Sozialversicherung -, auf die Bemessungsgrundlage der Lohnersatzleistung herabzusenken. Das wäre ein enorm tiefer Einschnitt, der bei den Rentenkassen erhebliche negative Finanzfolgen gehabt hätte.
({10})
- Die Hälfte. Das habe ich hier klargemacht. Sie waren nicht da. Sie haben am Freitag Herrn Franke reden lassen. Wie Sie das einteilen, ist Ihre Sache, aber dort habe ich dazu gesprochen. Ich brauche das hier alles nicht zu wiederholen. Vielleicht lesen Sie einmal das Protokoll nach!
({11})
Herr Müller, falls Sie draußen jemand hört, so können Ihre Äußerungen erneut die Wirkung haben, daß bei älteren Menschen Ängste erweckt werden,
({12})
und zwar durch die Vorstellung, die Rentenversicherung und ihre Kassen seien nicht in Ordnung. Der, der die Verantwortung dafür hat, sagt Ihnen und allen hier mit allem Verantwortungsbewußtsein noch einmal: Der Rentner braucht um die Zahlung seiner Rente nicht zu fürchten.
({13})
Am 1. Januar des folgenden Jahres, 1983, für das wir hier über eine Reihe von sehr tiefgreifenden und schwierigen Einschnitten zu reden haben, wird der Rentner eine Rentenerhöhung von etwa 4,6 % bekommen, und dabei ist der Anteil des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags schon abgezogen. Herr Müller, Sie wissen das. Warum sagen Sie das nicht?!
({14})
Herr Müller, Sie haben behauptet - auch das ist ein Wort, das ich aufgreifen muß -, am Ende unserer Sozialpolitik stünde ein Scherbenhaufen. Ich habe mir eben noch einmal die Liste geben lassen. Einer meiner Vorgänger war Walter Arendt, ein hochgeschätzter Arbeitsminister dieses Landes.
({15})
- Jawohl, Herr Vogel. - Ich habe hier in schwieriger Zeit zu handeln. Sie haben gelernt, daß hier kein Illusionist steht.
Aber das gehört zu unserer Gesetzgebung: die Reform der Betriebsverfassung, das Mitbestimmungsgesetz, die Unverfallbarkeit der Betriebsrenten. Ich frage Sie, was bei AEG und den Menschen los wäre, wenn es dieses Gesetz nicht gäbe.
({16})
Weiter: Konkursausfallgeld. Darf ich Sie einmal fragen, was es in einer Wirtschaftssituation wie wir sie haben, für die Arbeitnehmer bedeutete, wenn wir dieses Instrument nicht zur Verfügung hätten?
({17})
Vielleicht würden Sie auch anerkennen, daß in diese Zeit, in der die sozialliberale Koalition Sozialpolitik gemacht hat, die Schaffung der flexiblen Altersgrenze gehört, auch die Verbesserung für die Behinderten auf diesem Gebiet. Auch die Rente nach dem Mindesteinkommen gehört dazu. Weiter nenne ich: das Betriebsärztegesetz, die Arbeitsstättenverordnung, die Erweiterung des Mutterschaftsurlaubs, das Schwerbehindertengesetz, das Reha-Angleichungsgesetz sowie die Schaffung eines einheitlichen Kindergeldes für alle, das eben nicht mehr eine
Entlastung vor allem der reicheren Eltern bedeutet.
({18})
Ich habe diese Liste einmal aus folgendem Gesichtspunkt in Erinnerung gebracht.
({19})
Ich möchte Ihnen und vielleicht auch anderen, die mir zuhören, gern sagen, daß heute keines dieser Gesetze fehlt. Sie alle helfen uns jetzt in schwieriger Zeit. Sie bilden das, was man soziales Netz nennt und was wir in schwieriger Zeit besonders brauchen.
({20})
Denjenigen, die sagen, hier entstünde ein Scherbenhaufen und es sei kein soziales Zeitalter eingetreten,
({21})
füge ich hinzu: Man kann die Zahlen aus dem Mund des Bundeskanzlers, die Sie, Herr Müller, uns entgegengehalten haben, auch in einer positiven Weise zur Darstellung bringen. Sie als Sozialpolitiker sollten die Gelegenheit dazu nicht unbedingt auslassen.
Der Anteil dessen, was in den sozialen Bereich geht, am Bruttosozialprodukt unseres Landes, also an dem, was die Bürger im Laufe eines Jahres erarbeiten, ist seit der Zeit, wo die sozialliberale Koalition ihre Verantwortung übernommen hat, bis zum Jahr 1981 - alles über alles gerechnet - von 24 auf 31 % gestiegen. Wenn Sie dies bedenken, dann wissen Sie, welch enorme Milliardensummen für die Kleinen, für die sozial Schwachen, für die Arbeitnehmer dahinterstehen. Wenn ich hinzufüge, daß das, was wir Operation '82 nennen, daß das, was wir jetzt an Einschnitten verantworten, insgesamt zu einer Rückführung des Anteils am Bruttosozialprodukt von 31 auf 30% führt, dann weiß jeder, wie hart die Wirkungen auf den einzelnen sind; jeder hat seine Beispiele. Aber jeder wird, insgesamt gesehen, auch sagen müssen: Das ist ein Siebtel der Größenordnung, die bestand, als wir anfingen. Das zeigt, daß hier nicht etwa das soziale Netz kaputtgemacht worden ist. Mir lag daran, dies deutlich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich bringe das nicht deshalb vor, um etwa anderen - da meine ich Ihre Kollegen, Herr Müller, die Beifall geklatscht haben, aber an anderer Stelle, als sie es gern gehabt hätten - noch mehr Appetit zu tieferen Einschnitten zu machen. Sie müssen sich erinnern, Herr Müller: Sie sind stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Ihr Vorsitzender, der sonst dort neben Ihnen sitzt, hat in der „Augsburger Allgemeinen" gesagt: Arbeitslosengeld kürzen! Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Karenztage einführen!
({22})
- Nein, nicht in der „Augsburger Allgemeinen", sondern an diesem Pult hat er es gesagt; Entschuldigung! Ich lese es noch einmal nach. Aber ich weiß, daß er es von diesem Pult aus gesagt hat.
({23})
- Natürlich hat er es gesagt. Er hat von der Möglichkeit der Einführung von Karenztagen gesprochen.
({24})
- Und? Was ist da denn anders? Wenn Sie regieren, müssen wir damit rechnen.
({25})
Das gehört zu Ihrem Konzept.
Aber nehmen wir ein anderes Beispiel.
({26})
- Ich setze mich im Augenblick mit Ihnen, mit dem Haushalt 1983 und mit dem auseinander, was Ihrerseits an Vorschlägen auf dem Tisch liegt.
({27})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ich lasse gerne eine zu.
Herr Abgeordneter Franke.
Herr Bundesminister, haben Sie noch in Erinnerung, daß die Bundesregierung beschlossen hat, bis zum Herbst dieses Jahres, glaube ich, ein Gutachten darüber vorzulegen, ob man Karenztage einführen, also die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle einschränken solle, und würden Sie der Opposition das Recht nehmen, ebenfalls in einer solchen Kategorie zu denken, daß so etwas zu prüfen ist?
Erstens ist Ihr Datum falsch, zweitens habe ich das in Erinnerung, drittens ist der Innenminister verantwortlich
({0})
- ja, sicher; gut, sagen wir: federführend -, und der Arbeitsminister hat seinen Senf dazugegeben; selbstverständlich hat er etwas gesagt. Der Arbeitsminister wird nämlich z. B. darauf hinweisen müssen, daß es ein ganz grober Fehler sein könnte, einen solchen Weg zu gehen. Er hat das längst getan, und zwar öffentlich, und keine Minute geschwiegen. Aber was ich Ihnen hier zu sagen habe, ist, daß Ihr
Fraktionsvorsitzender dieses Thema von diesem Pult aus hier aufgegriffen hat.
({1})
- Also gut, wir nehmen zur Kenntnis: Die Union hat solche schlechten Absichten nicht.
({2})
Wollen wir es notieren?
Meine Damen und Herren, ich nehme ein anderes Beispiel, das des Schüler-BAföG. Darüber stand auch etwas in der „Augsburger Allgemeinen". Das war von der Mehrheit der Ministerpräsidenten über den Bundesrat auch angedeutet worden. Was ist denn auf diesem Gebiet vor sich gegangen? Was ist das für ein Vorgang, daß es gelungen ist, in unserer Öffentlichkeit die Vorstellung weit zu verbreiten, Schüler-BAföG sei so etwas wie die Mopedprämie für Gymnasiasten? Was ist das für eine Denkhaltung?
({3})
Da legen sich Arbeitnehmereltern krumm, um es ihren Jungen oder Mädchen zu ermöglichen, eine weiterführende Schule zu besuchen. Es sind die Bezieher kleiner Einkommen, die auf diesem Wege eine Hilfe erhalten. Kein einziger BAföG-Satz führt dazu, daß jemand, der zu den Besserverdienenden dieses Landes gehört, davon etwas abbekommt, es sei denn, er schreibt seine Steuer herunter.
({4})
- Mit der CDU/CSU und ihren Vorstellungen. Die Debatte mit Graf Lambsdorff, der jetzt im Augenblick nicht mehr zuhört, führen wir zu einem anderen Zeitpunkt. Jetzt reden wir über den Haushalt 1983. Wenn er gut zugehört hat, wird er meine Kritik ja mitgekriegt haben.
({5})
- Na und? Wenn ein Bundesminister dem Bundeskanzler auf dessen Bitte hin seine Auffassung vorträgt und er dabei erläutert, wo er etwas verändern will, dabei aber Bereiche nennt, für die er nicht zuständig ist, dann darf auch ich meine Meinung an irgendeiner Stelle dazu sagen.
({6})
Aber heute setze ich mich mit Ihnen auseinander;
denn das kommt j a alles von Ihnen. Ich weiß, was
wir zu erwarten haben, was der Arbeitnehmer zu erwarten hat,
({7})
wenn dieses Land konservativ regiert würde, und zwar - das kann ich hinzufügen - ganz gleich, ob die FDP dabei ist oder nicht.
({8})
Herr Müller, ich bin noch bei Ihnen. Sie haben gesagt - das war der Grund meiner Intervention -, man müsse einen neuen Anfang machen. Nun habe ich gelauert, was denn da wohl kommt. Was kam? Sie haben gesagt, die Mißbrauchsbekämpfung müßte intensiviert werden; das war wohl der einzige Gedanke. Nun stehen Sie einem Mann gegenüber, der daran beteiligt ist - genau wie meine Fraktion und die Liberalen -, daß auf diesem Gebiet eine ganze Menge getan worden ist.
({9})
Wir hätten vielleicht zu fragen, ob Sie immer mitgestimmt haben, als wir das hier zur Entscheidung gestellt haben. Aber in dieser Hinsicht kann man ja nun wirklich sagen, daß entscheidende Eingriffe geschehen sind. Ich habe mich gefreut, Herr Müller - ich muß j a auch etwas Positives zu Ihnen sagen -, daß sie deutlich gemacht haben, daß wir besser aufpassen sollten, den Splitter im Auge des Arbeitnehmers nicht überzubewerten und den Balken im Auge des Steuersünders nicht zu übersehen. Da bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Ich freue mich, wenn Sie uns gegenüber der Mehrheit des Bundesrates helfen, wenn dort am 8. Oktober das erste Mal über unsere Gesetze geredet wird. In diesen Gesetzen geht es z. B. um die Kappung des Ehegattensplittings und auch um die Frage, wie man es mit dem Betriebs-Pkw hält, wenn er privat genutzt wird. Das sind zwei konkrete Beispiele; die Gesetze enthalten noch viele weitere Beispiele dieser Art, an denen Sie zeigen können, daß das mit dem Balken anders ist.
({10})
- Er ist kein Steuersünder, wenn er die Gestaltungsmöglichkeiten nutzt. Aber Herr Müller vertritt, so hoffe ich, mit mir zusammen Arbeitnehmer, und die haben gläserne Taschen.
({11})
Dann kann doch derjenige, der von Steuern etwas versteht, seinen Grips eigentlich nur darauf verwenden, die Umgehungsmöglichkeiten, die rechtlich gegeben sind, abzubauen und zu stoppen,
({12})
nicht aber stolz darauf zu verweisen, so wie es Herr Kreile hier vor ein paar Tagen getan hat, daß einer, der 100 000 DM Einkommen hat, seine Frau bloß 5 000 DM verdienen zu lassen brauche, und schon habe er es geschafft. Ich habe dazwischengerufen - das darf man von der Regierungsbank eigentlich nicht -: Der schickt seine Frau putzen! - 95 000 DM Einkommen, und dann schickt er seine Frau putzen. So ungefähr stelle ich mir die Geisteshaltung bei demjenigen vor, der das Ehegattensplitting mit seinen Vorteilen nun auch noch für sich in Anspruch nehmen will, obwohl er wirklich zu den Reichen dieses Landes gehört.
({13})
Ich muß noch einen Gedanken hier einführen, bevor ich zum Schluß komme. Herr Müller, Sie haben mit guten Gründen auf die Äußerungen meines Kollegen Eugen Glombig hingewiesen, in denen es um die Lösung und die Vorbereitung der Lösung von Langzeitproblemen geht. Ich bin dankbar dafür, daß Sie dieses Stichwort angesprochen haben. Es ist nicht Inhalt unserer Debatte, jetzt Einzelheiten dazu darzulegen; Sie haben die Einzelheiten auch nicht angesprochen. Wichtig bei dieser Frage ist aber, vielleicht einmal den Blick darauf zu richten, daß es Eugen Glombig war, der auf dem SPD-Parteitag in München, über den eine ganze Menge anderes und, was Steuerfragen angeht, nicht Zutreffendes geredet oder kommentiert worden ist, einen wohlüberlegten und mit anderen abgesprochenen Diskussionsbeitrag zu dieser Frage vorgetragen hat: Die sozialdemokratischen Sozialpolitiker wissen um die Problematik, was uns an Langzeitaufgaben gestellt ist, gerade dann, wenn es um unsere Alterssicherungssysteme geht; ich spreche, wie Sie ebenfalls in der Mehrzahl. Wenn wir vor der Tatsache stehen, daß wir auch dann, wenn wir wieder Wirtschaftswachstum haben, nicht wieder auf Dauer ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung wie in den vergangenen Jahren haben werden, und wenn wir eine Bevölkerungsentwicklung haben, die die Zahl der Älteren gegenüber der Zahl derjenigen, die aktiv im Arbeitsleben stehen, nach oben hin verändert, dann wissen wir, daß wir - bezogen auf unsere Alterssicherungssysteme, aber auch auf Sonstiges, etwa auf unsere Arbeitskräfteeinteilung in diesem Lande - genau die Probleme betrachten und dazu Langzeitvorschläge machen müssen. Dies ist abgehoben von unseren gegenwärtigen Problemen.
Ich fühle mich dafür mitverantwortlich und bin dankbar, daß Sie daran erinnert haben, daß es dabei nicht nur um die Rentenversicherung geht, sondern auch um andere Fragen, z. B. um die Beamtenversorgung. Diese Regierung, der ich angehöre, hat entsprechend der Regierungserklärung von 1980 eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Harmonisierung der Alterssicherungssysteme befaßt. Dieser Kommission gehören Politiker, Wissenschaftler und Fachleute aller Art an. Auch aus Ihren Reihen sitzt jemand darin. Wir erwarten zum Mai des kommenden Jahres die Ergebnisse dieser Kommission. Dies wird für uns eine Unterlage gewichtiger Art auf diesem Gebiet sein. Sie wird auch gerade für denjeni7036
gen, der dort Verantwortung trägt, mit Unterlage für seine Beratungen, Überlegungen und Vorschläge sein. Sie können davon ausgehen, daß dies eine der wichtigen Fragen für uns ist.
Letzter Punkt, Herr Müller. Sie haben behauptet, so wie bisher gehe es nicht weiter; hier sei Schluß mit der Sozialpolitik. Das Gegenteil dessen möchte ich Ihnen hier an Hand von ein paar Stichworten deutlich machen. Ich habe gesagt - das will ich hier auch gern mit Beispielen unterstreichen -: Die Sozialpolitik geht auch in schwieriger Zeit weiter. Die Stichworte, die ich Ihnen nennen will, sind die Weiterentwicklung des Sozialgesetzbuchs, das von uns vorbereitete und in Kürze in das Abstimmungsverfahren gehende Arbeitsschutzgesetz, die neue Pflegesatzverordnung für die Krankenhäuser, die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes und der Rehabilitationsgesetze, die damit zusammengefaßt werden sollen, und - das ist das Stichwort, mit dem ich enden möchte - das auch aus der Sicht des Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikers entscheidende Bemühen um Überwindung von Arbeitslosigkeit. Sicherlich ist das zuerst eine Aufgabe von Investitionen; dies ist der größte Teil. Niemand von uns widerspricht, wenn hier gesagt und gemeinsam festgestellt wurde: Jawohl, der größere Teil muß in private Investitionen gehen - obwohl man bei der staatlichen Förderung besser zählen kann, was an Arbeitnehmern herauskommt, die Arbeitsplätze gefunden haben, wenn man öffentliche Investitionen macht. Trotzdem bleibt es richtig, so wie es hier gesagt worden ist. Aber da gehört dann für die Zukunft auch der zweite Teil dazu. Dann gehört die Frage dazu, ob die Lebensarbeitszeit so lang sein soll, wie sie heute ist, ob es Wege gibt, die den Arbeitsmarkt und das Potential dort entlasten, um die Arbeit besser verteilen zu können, wenn das Wirtschaftswachstum nicht ausreicht, um die Vollbeschäftigung herbeizuführen.
({14})
Sie sehen, dies ist also nicht etwa ein Aufhören, sondern es ist ein Ansetzen im Sinne des Korrigierend und des Versuchs, es auf eine sozial ausgewogene Weise zustande zu bringen - da könnten wir besser sein -, und mit der Absicht, dabei die Mittel freizuschaufeln, die wir brauchen, um sie einzusetzen, damit durch unsere Förderungsmaßnahmen Arbeitsplätze entstehen können.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rühe.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Doppelrede von zwei Ministern der Bundesregierung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal scheint die Bundesregierung nicht mehr in der Lage zu sein, mit einer Stimme zu sprechen,
({0})
sondern muß hier gleich mehrfach antreten. Aber da habe ich doch eine herzliche Bitte. Ich will mich nicht grundlegend über die Eignung von dem Herrn Westphal äußern. Aber als Schlußredner, der sachkundig und korrekt eine Debatte abschließt, ist er nun wirklich nicht geeignet. Denn wenn Sie am Ende einer Debatte so sprechen, wie Sie das gemacht haben, müßte die Debatte fast unbegrenzt fortgeführt werden.
Herr Westphal, BAföG, Beitrag fürs Moped, das ist eine Bemerkung von dem Generalsekretär der FDP. Aber wir wollen, daß Ausbildungsförderung bei Schülern und Studenten für diejenigen geleistet wird, die sozial bedürftig und leistungsbereit sind, beides zusammen.
({1})
Gehen Sie mal in einen Betrieb, sprechen Sie mal mit Arbeitern!
({2})
Man braucht die Lohnsteuer von acht Arbeitnehmern, um die Mittel für einen Studienplatz zu finanzieren. Da vertreten Sie mal Ihre Bildungspolitik, die heißt: Ausbildungsförderung ohne den entsprechenden Nachweis der Leistung, dann werden Sie ganz schön untergehen bei den Debatten dort, und das mit Recht.
({3})
Zu den Karenztagen ist hier das Nötige gesagt worden. Wenn es einen Kabinettsbeschluß gibt, den Sie ja auch kennen müßten, daß man das prüfen sollte, dann werden Sie doch wohl uns verzeihen, daß auch wir das prüfen, und dann sollten Sie davon Abstand nehmen, hier irgendwelche Verdächtigungen auszusprechen.
({4})
Sie haben sich über mehrere Minuten hinweg fast daran berauscht, Sozialgesetze aufzuzählen, von denen wir die wichtigsten mitgeschaffen haben,
({5})
und verkennen dabei die reale Lage der Arbeitnehmer. Es muß doch darum gehen, politische Bedingungen zu schaffen, die die Anwendung dieser Gesetze überflüssig machen, daß sie nicht in dem Maße auf diese Sozialgesetze angewiesen sind, wie das im Augenblick der Fall ist auf Grund der Arbeitslosigkeit, die die Folge Ihrer Politik ist. Diesen Problemen sollten Sie sich zuwenden.
({6})
Ich wollte mich als Parlamentarier - ich freue mich, daß die nach den Sprechern der Bundesregierung auch einmal wieder zu Wort kommen - eigentRühe
lich den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zuwenden.
({7}) - Ich tue es, zu Befehl.
({8})
Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede in der letzten Woche zum Bericht über die Lage der Nation völlig zu Recht gesagt, daß im freien Teil Deutschlands die Fragen der Sicherung des Friedens besonders intensiv diskutiert würden und daß auf Grund der geschichtlichen Erfahrung unseres Volkes eine besondere Empfindlichkeit für alle diese Fragen, die mit dem Frieden zusammenhängen, gegeben sei. Mit der Feststellung des Bundesaußenministers, die deutsche Außenpolitik sei vom Tage der Gründung der Bundesrepublik an immer Friedenspolitik gewesen, sollte endlich mit dem Versuch Schluß gemacht werden, dem innenpolitischen Gegner den Willen oder die Fähigkeit zum Frieden zu bestreiten.
({9})
Die Westintegration unseres Landes ist in der Tat die Grundlage jeder Friedenspolitik. Sie hat uns Frieden und Freiheit im Bündnis mit den westlichen Demokratien gesichert.
({10})
Sicherheitspolitik und Bündnispolitik waren von Anfang an Friedenspolitik. Abrüstung und Rüstungskontrolle waren vom Beginn der Bundesrepublik an Bestandteile unserer Außen- und Sicherheitspolitik.
({11})
Bereits 1954 hat die damalige Bundesregierung auf die Herstellung von A-, B- und C-Waffen verzichtet und ihre Bereitschaft zu internationalen Kontrollen erklärt.
({12})
Meine Damen und Herren, das war 14 Jahre vor der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages und 18 Jahre vor dem internationalen Abkommen über die biologischen Waffen.
Ebenfalls 1954 hat die Bundesregierung die Prinzipien der UN-Charta für sich für verbindlich erklärt. Das war 19 Jahre vor unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen.
Bereits 1966 hat die damalige Bundesregierung vertrauensbildende Maßnahmen vorgeschlagen, wie sie dann später teilweise in Helsinki verwirklicht worden sind und wie sie heute noch in allen wichtigen Rüstungskontrollverhandlungen auf dem Verhandlungstisch liegen.
Von der Bundesrepublik Deutschland ist zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für den Frieden ausgegangen. Wir drohen niemandem. Die Politik der aktiven Friedenssicherung, für die sich die CDU/CSU einsetzt, steht in dieser Tradition. Sie vertritt allerdings moralisch und geistig offensiv die Werte der Freiheit, der Menschenwürde, der sozialen Gerechtigkeit sowie der universalen Menschenrechte, darunter das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Zusammen mit unseren europäischen und atlantischen Partnern dürfen wir nicht müde werden, diese Werte und Grundüberzeugungen in die internationale Politik einzubringen. Deutsche Außenpolitik jedenfalls war immer und wird immer Friedenspolitik sein.
Der Bundeskanzler hat am letzten Donnerstag richtigerweise die schlimme Behauptung des Fraktionsvorsitzenden der GAL in Hamburg, Herrn Ebermanns, die CDU und Teile der SPD kalkulierten den Krieg als Konsequenz ihrer Politik ein,
({13})
zu Recht als kommunistische Agitation zurückgewiesen. Betroffen muß es allerdings machen, wenn der sozialdemokratische Bürgermeister von Hamburg, Herr von Dohnanyi, der Verhandlungspartner eben dieses Herrn, in den letzten Wochen immer wieder erklärt hat, man müsse mit der GAL und nicht mit der CDU verhandeln, u. a. weil die CDU in der Friedenspolitik um 180 Grad in die falsche Richtung marschiere.
({14})
Meine Damen und Herren, da die CDU in den Fragen der Sicherheit und Abrüstung die im Atlantischen Bündnis gemeinsam erarbeiteten Positionen vertritt, muß man sich fragen: Welchen Kurs wollen denn eigentlich Herr Dohnanyi und die Sozialdemokraten ansteuern?
({15})
Jedenfalls wird hier die schlechte Tradition fortgesetzt, dem politischen Gegner erst den Willen und später die Fähigkeit zum Frieden zu bestreiten. Wer dies sagt, sagt nicht nur die Unwahrheit, sondern dient vor allem nicht den Interessen unseres Landes.
({16})
Die Schicksalsfrage unserer Außen- und Sicherheitspolitik in den nächsten Jahren lautet, ob es uns auch im kommenden Jahrzehnt gelingt, die Gefahr eines Krieges, und zwar eines nuklearen wie eines konventionellen Krieges, zu bannen, ohne unsere Freiheit zu verspielen. CDU und CSU sind fest davon überzeugt, daß dies mit einer Politik der aktiven Friedenssicherung, wie wir sie planen, möglich ist. Wir verfolgen damit vier Ziele: Erstens das aktive Eintreten für die Freiheit und die Menschenrechte, zweitens Kriegsverhinderung durch Abschreckung sowie die Erhaltung unverminderter Sicherheit durch Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft, drittens das leidenschaftliche Bemühen um wechselseitige und kontrollierte Rüstungsbegrenzung und Abrüstung und viertens den schrittweisen Aufbau einer politischen Friedensordnung der Freiheit und des Rechts, der wechselseitigen Rücksichtnahme, des Interessenausgleichs, der
friedlichen Konfliktregelung und der Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit.
({17})
Entscheidend für die Erfolgsaussichten ist aber der Zusammenhalt des westlichen Bündnisses sowie die Unteilbarkeit der europäisch-amerikanischen Sicherheit. Für die CDU/CSU hat deswegen die Festigung der Sicherheitspartnerschaft mit unseren westlichen Verbündeten Vorrang. Nur so kann es uns gelingen, die Sowjetunion dazu zu bringen, ihre Politik des Gebrauchs militärischer Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele aufzugeben, den Rüstungswettlauf einzustellen und zu einem ausschließlich friedlichen Wettbewerb zwischen den Staaten in Ost und West überzugehen.
({18})
Wie steht es nun in diesen Tagen und Wochen um die Atlantische Gemeinschaft und insbesondere um die deutsch-amerikanische Freundschaft? Der Bundeskanzler, der sicherlich über einer Strategie für die koalitionspolitischen Entscheidungen für die nächsten Wochen brütet und deswegen hier verhindert ist, hat in seiner Rede in der letzten Woche darauf hingewiesen, daß Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Bündnisses nichts Neues seien, sondern etwas Normales und daß man nur darauf achten müsse, daß keine Dauerbelastung eintrete.
Es hat sicher auch in der Vergangenheit Probleme im Bündnis gegeben. Doch, meine Damen und Herren, niemals zuvor war die Bereitschaft so gering, das Gemeinsame, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen.
({19})
Der Wille zur Einigkeit wird jedenfalls nicht ausreichend deutlich. Das bewirkt ein schiefes Bild, das sich vor allen Dingen auch im Bewußtsein der Öffentlichkeit niederschlägt.
({20})
Streit findet doch im wesentlichen auf der offenen Bühne statt, während man sich vielleicht noch hinter dem Vorhang in kleiner Besetzung der Gemeinsamkeit versichert. Das ist doch eine verkehrte Welt innerhalb der Atlantischen Gemeinschaft. Deswegen muß damit Schluß gemacht werden.
({21})
Das darf insbesondere auch deswegen nicht so weitergehen, weil sonst gerade in der nachwachsenden Generation politischer Schaden unvermeidlich ist. Es sollte auch im politischen Alltag immer klar werden, wer eigentlich der Verbündete und Freund und wer der politische Gegner ist. Es sollte klar bleiben, wer uns schützt und vor wem wir uns schützen müssen.
({22})
Die Besinnung auf das Gemeinsame in der Atlantischen Gemeinschaft darf sich jedenfalls nicht auf Festreden an NATO-Jubiläen beschränken. Wir Europäer, Amerikaner und Kanadier sitzen im selben
Boot. Wir haben uns dieses Boot, das Rettungsboot, nicht zufällig gewählt, um gemeinsam Sicherheit zu finden. Wir haben uns dieses gemeinsame Boot bewußt ausgesucht; denn uns verbindet eben mehr als nur das nackte Überleben-Wollen. Deshalb sind die Stimmen für die Gemeinsamkeit unseres Bündnisses schädlich, die unsere Partner und Verbündeten auf eine moralische Ebene mit der Sowjetunion bringen.
({23})
So z. B. Willy Brandt im April 1980, wenige Monate nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan, als er von dem „giftigen Gestammel der Weltmächte" sprach. Der Aggressor, der gerade in Afghanistan eingefallen war, und unser Verbündeter, der sich bemühte, darüber nicht einfach international zur Tagesordnung überzugehen, wurden sprachlich auf dieselbe Anklagebank gesetzt.
Auch das Wort von der „Sicherheitspartnerschaft" mit der Sowjetunion schafft nicht nur sprachliche Verwirrung, sondern signalisiert eine Art geistiger Neutralität,
({24})
indem es den Sicherheitsbegriff reduziert und unterschlägt, daß unser Ziel doch nur die Sicherheit in Freiheit sein kann, die wir nur in der Schicksalsgemeinschaft der westlichen Demokratien finden können.
({25})
In einem Artikel in der „Zeit" vom 28. Mai wird Egon Bahr unter der Überschrift „Das Denken ist seine Lust" mit folgender Ansicht zitiert: „In der NATO sieht Bahr keine Wertegemeinschaft. Die Allianz gilt ihm als Interessengemeinschaft." Meine Damen und Herren, diese Auffassung stößt auf unsere entschiedene Ablehnung.
({26})
Für uns ist die Atlantische Gemeinschaft in erster Linie eine Wertegemeinschaft. Sie ist eine Gemeinschaft, die Grundwerte und Menschenrechte achtet und verteidigt und sich zu Grundsätzen und Idealen bekennt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit Konrad Adenauer mit dem westlichen Bündnis eben nicht für eine zufällige geographische Interessengemeinschaft entschieden, sondern für eine Wertegemeinschaft. Diese Entscheidung war und bleibt die außenpolitische Entsprechung unserer Entscheidung für Demokratie und Freiheit, für den Rechts- und Sozialstaat.
({27})
Die Gemeinschaft des Westens beruht auf einem Fundament gemeinsamer Werte und Grundüberzeugungen. Die CDU hat in ihrer Berliner Erklärung vom Mai dieses Jahres erneut auf diese wichtige Grundlage hingewiesen. Diese Grundlage müssen wir in den Vordergrund stellen, damit in der Öffentlichkeit die moralischen Fundamente unserer Bündnispolitik nicht verschüttet werden. Schädlich sind
jedenfalls herabsetzende Äußerungen auch von führenden Sozialdemokraten über angeblich mangelnde Friedensfähigkeit der Vereinigten Staaten, ihre Unglaubwürdigkeit in Rüstungskontrollverhandlungen
({28})
- das hat keiner gesagt? dann lesen Sie einmal, was Ihre Kollegen gesagt haben - oder gar ihre angebliche Bereitschaft, einen Atomkrieg führen zu wollen. Diese Äußerungen, die inzwischen wie Unkraut wuchern, sind nicht nur Ausdruck aggressiver Ungerechtigkeit gegenüber den USA, sondern sie schaden den Interessen unseres Landes.
({29})
CDU und CSU haben die deutschen Interessen vom Beginn der Bundesrepublik an entschieden und vor allem erfolgreich vertreten. Deshalb ist der Vorwurf des SPD-Bundesgeschäftsführers Glotz schlicht lächerlich, wir verträten eher amerikanische als deutsche Interessen. Darüber kann man zur Tagesordnung übergehen.
({30})
Wir werden auch in Zukunft deutsche Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik mit Nachdruck vertreten. Aber wir sind uns eben auch bewußt, daß es in den Schicksalsfragen unseres Landes eine Gleichheit der Interessen mit den Amerikanern und keinen Gegensatz gibt.
({31})
Deutschlandpolitik, wirkliche Entspannungspolitik und gerade auch Ostpolitik sind nur auf der Basis einer engen und partnerschaftlichen deutschamerikanischen Zusammenarbeit denkbar.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu den sehr verdienstvollen Bemühungen von Frau Staatsminister Hamm-Brücher um eine Verbesserung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika machen. Sie ist ja die Koordinatorin dieser Beziehungen. Aber diese Arbeit darf keine Alibifunktion erhalten. Sie muß endlich unter dem richtigen politischen Vorzeichen zum Erfolg geführt werden. Wer sich einmal vor Augen hält, was alleine von sozialdemokratischer Seite in den letzten Wochen über unseren Bündnispartner USA gesagt worden ist, dem erscheint Frau Hamm-Brücher als jemand - sie möge mir das verzeihen -, den man mit einem Sherry-Glas voll Löschwasser losschickt, um Flächenbrände zu löschen, die inzwischen die anderen Kollegen aus der Regierung, die für die große Politik zuständig sind, ausgelöst haben. Damit muß Schluß sein.
({32})
Ich möchte in einem zweiten Teil gern etwas sagen zu unserer Position zu den Fragen der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Es ist richtig: Die Erfolge sind bisher gering. Aber wir müssen diese Fragen mit aller Energie weiterverfolgen. Sie gehören wesentlich mit zu einer verantwortlichen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Frage, die heute immer mehr Menschen - und nicht nur junge Menschen - bewegt: Wie stoppen wir den Rüstungswettlauf?, hat bei CDU und CSU einen ganz hohen Stellenwert.
({33})
- Sie sind ja nicht einmal mehr in der Lage, ihrem politischen Gegner in der Auseinandersetzung das zu glauben, was er ganz offen und klar sagt. Ich meine, das ist doch die Voraussetzung für jegliche politische Hygiene in diesem Lande.
({34})
Wir lassen uns dabei von vier Grundsätzen leiten. Erstens. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind im technisch-nuklearen Zeitalter unverzichtbare Gebote politischer Vernunft und Ethik. Sie liegen grundsätzlich im Interesse aller Beteiligten.
Zweitens. Vorrangiges Friedensziel muß die Abrüstung bei unverminderter Sicherheit sein, d. h. eine Politik zielstrebiger Verhandlungen über eine ausgewogene und nachprüfbare Rüstungsminderung auf ein möglichst niedriges militärisches Niveau bei allen Beteiligten.
Drittens. Entscheidend für die Friedenssicherung ist die Anerkennung begründeter Sicherheitsinteressen aller Beteiligten auf der Grundlage des Grundsatzes der Gleichberechtigung.
({35})
Viertens. Abrüstungserfolge würden Spielraum schaffen für den Kampf gegen Hunger und Armut in den sich entwickelnden Ländern dieser Welt.
({36})
- Sie können ruhig mitklatschen, meine Damen und Herren von der SPD, denn ich weiß, daß das auch Ihre Meinung ist.
({37}) Das gilt für uns,
({38})
für die Staaten des Westens, aber auch und besonders für die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer Paktes.
({39})
Während z. B. die Sowjetunion - das sollte auch die junge Generation in unserem Lande wissen - 14 bis 15 % ihres Bruttosozialprodukts für Rüstung ausgibt, gab sie 1979 für Entwicklungshilfe nur 0,11 % ihres Bruttosozialprodukts aus.
({40})
1979 haben die in der OECD zusammengeschlossenen westlichen Industrieländer insgesamt 22,4 Milliarden US-Dollar für Entwicklungshilfe ausgegeben. Bei den osteuropäischen Ländern, die im RGW zu7040
sammengeschlossen sind, waren es 1,85 Milliarden US-Dollar.
({41})
Das ist nicht einmal ein Zehntel der Leistungen des Westens, und die gesamten Leistungen dieser kommunistischen Staaten machen nur etwas mehr als die Hälfte der Entwicklungshilfeleistung allein der Bundesrepublik Deutschland aus.
In diesem Zusammenhang ein spezielles Wort an die DDR: Ich meine, auch die DDR sollte von uns ganz deutlich auf ihre Defizite in der Entwicklungshilfe hingewiesen werden. Mehr Brot für die Welt statt immer noch mehr Waffen und Soldaten, das wäre besser für das Ansehen der Deutschen in der Welt!
({42})
Wie brechen wir aus dem Teufelskreis von Vorrüstung und Nachrüstung aus? Die Verhandlungen über Mittelstreckenraketen in Genf haben hier eine Schlüsselfunktion. Der Verhandlungsvorschlag des Westens bedeutet einen neuen Ansatz der Rüstungskontrollpolitik. Er versucht eben gerade, die Automatik von Vorrüstung und Nachrüstung zu unterbrechen. Die Verhandlungen in Genf können, wenn sie zielstrebig und fest geführt werden, einen Fahrplan zur Abrüstung bedeuten.
Carl-Friedrich von Weizsäcker hat in einer Rede in Tutzing im Februar dieses Jahres dazu folgendes erklärt:
In den Jahren 82/83 halten die Genfer Unterhändler über die eurostrategischen Waffen einen Zipfel vom Schicksal der Welt in ihrer Hand. Trotz meiner Skepsis gegen Abrüstung halte ich in diesem Fall die wirkliche Abrüstung für möglich und für unerläßlich notwendig.
Er hat auch die vom Westen vorgeschlagene Null-Lösung als die bei weitem sauberste und für die Völker Europas tröstlichste Lösung bezeichnet.
({43})
Der neue Rüstungskontrollansatz des Westens scheint allerdings bisher von der Sowjetunion nicht honoriert worden zu sein. Das wird auch nur dann glücken, wenn für die Sowjetunion die geplanten westlichen Raketen genauso real sind wie ihre eigenen bereits stationierten. Deshalb ist es für einen Abrüstungserfolg so wichtig, daß der politische Wille des Westens, notfalls nachzurüsten, nicht ins Zwielicht der Unentschlossenheit und Uneinigkeit gerückt wird.
({44})
Die Sowjets dürfen nicht zu einer falschen Lagebeurteilung verführt werden.
({45})
Verhandlungspositionen dürfen nicht zerstört werden, ehe sie überhaupt nutzbar gemacht werden können. Alle diejenigen, die die westlichen Verhandlungspositionen in Frage stellen, laden die Verantwortung für ein mögliches Scheitern der Raketengespräche in Genf auf sich.
({46})
Carl-Friedrich von Weizsäcker hat in seiner angesprochenen Rede zu Recht auch die Friedensbewegung in unserem Lande gebeten, bei der Wahl ihrer Strategie im Kampf gegen westliche Nachrüstung zu bedenken, daß durch ihr Verhalten die Abrüstungsbereitschaft der Sowjetunion eher vermindert als gestärkt werden könnte.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in seiner Rede auf dem Katholikentag und auch hier im Hause zu Recht auf die Chancen des Doppelbeschlusses für die Abrüstung hingewiesen. Ich habe allerdings die Sorge, daß dies in der Sowjetunion nicht richtig verstanden wird, solange es nicht von seinen eigenen Parteifreunden verstanden und öffentlich vertreten wird.
({47})
Der Doppelbeschluß hat jedenfalls weit über seine militärische Bedeutung hinaus symbolische Bedeutsamkeit erlangt; er ist ein wichtiger Härtetest für die NATO und ihre Rüstungskontrollpolitik. Er wird aber auch zeigen, wie weit wir für unsere Sicherheit wichtige Entscheidungen, für die es deutliche parlamentarische Mehrheiten gibt, innenpolitisch durchsetzen können.
({48})
Daß manche in unserem Lande sich heute durch westliche Raketen, die noch nicht stationiert sind, mehr bedroht fühlen als durch sowjetische, die heute schon aufgestellt sind, sollte uns nachdenklich machen. Es fragt sich, ob für manche die sowjetische Überlegenheit im Mittelstreckenbereich bereits psychologisch zum Status quo gehört und ob dadurch diejenigen, die das Gleichgewicht wiederherstellen wollen, zu Störenfrieden werden. Wir müssen j eden-falls aus den vergangenen Jahren lernen, wie es hierzu kommen konnte. Für unsere Öffentlichkeit ist es jedenfalls wichtig, zu wissen, daß mit der geplanten westlichen Nachrüstung, falls sie nicht durch Verhandlungserfolge überflüssig wird, keine Überlegenheit des Westens, nicht einmal numerische Parität, sondern nur ein ausreichendes Gegengewicht gegen entsprechende sowjetische Waffen geschaffen werden soll. Unser Ziel bleibt: Keine Raketen auf beiden Seiten!
CDU und CSU unterstützen im übrigen nicht nur diese westliche Verhandlungsposition in Genf, sondern bei allen übrigen Rüstungskontrollverhandlungen, die zur Zeit stattfinden. Der Westen hat in der Tat dem Warschauer Pakt das breitest angelegte Abrüstungs- und Rüstungskontrollangebot der Nachkriegsgeschichte unterbreitet. Erstmals besteht die Chance auch zu einer echten Reduzierung von Raketen und Waffen. Mir erscheint es deshalb als eine Verzerrung der Wirklichkeit, wenn man, wie z. B. auch der Herr Bundeskanzler zweimal in seiner
Rede in der letzten Woche, unterschiedslos an „die atomaren Mächte und die nuklearen Supermächte" appelliert, ihrer Verpflichtung zur Abrüstung nachzukommen. Solche neutralen Formulierungen stiften Verwirrung, denn sie spiegeln die unterschiedlichen tatsächlichen Abrüstungsangebote nicht wider. Sind solche Formulierungen Zufall, Gedankenlosigkeit oder der ganz persönliche Kompromiß des Bundeskanzlers mit dem sozialdemokratischen Zeitgeist?
({49})
Sie können das vielleicht besser beantworten als ich.
Wir jedenfalls halten bei den Rüstungskontrollverhandlungen folgende Prinzipien für wichtig:
Erstens. Beide Seiten müssen in der Lage sein, die Einhaltung von Vereinbarungen zu verifizieren, damit diese funktionieren können. Wachsendes gegenseitiges Vertrauen in die Einhaltung der Abkommen kann nur durch größere Offenheit erreicht werden.
Zweitens. Die Demokratien des Westens sind offene Gesellschaften. Informationen über unsere Verteidigung stehen unseren Bürgern - die Haushaltsberatungen leisten auch einen Beitrag dazu -, stehen der ganzen Welt zur Verfügung. Umfang und Art der Militärausgaben eines Landes sind aber wichtige Informationen als Maßstab seiner Absichten und der Bedrohung, die dieses Land für seine Nachbarn darstellen könnte. Die UdSSR tut alles, um ihre wirklichen Militärausgaben nicht nur vor uns und vor anderen Ländern, sondern auch vor ihrem eigenen Volk zu verheimlichen. Diese Praxis trägt zu Mißtrauen und Angst vor ihren Absichten bei. Wir unterstützen deshalb den Vorschlag der USA auf der UN-Sondergeneralversammlung, eine internationale Konferenz über Militärausgaben einzuberufen.
Drittens. Es müssen Schritte unternommen werden, um das gegenseitige Vertrauen, die gegenseitige Kommunikation zu verbessern und die Möglichkeiten einer Fehleinschätzung zu verringern. Deshalb kommt vertrauensbildenden Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu.
Meine Damen und Herren, CDU und CSU finden sich nicht ab mit einer hochgerüsteten Welt. „Frieden schaffen ohne Waffen", das ist ein nur allzu verständlicher Wunsch, aber leider auch eine gefährliche Illusion. „Frieden schaffen nur durch Waffen", das wäre eine tödliche Verblendung.
({50})
„Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", das ist unsere Politik, und das ist das Gebot der Stunde. - Schönen Dank.
({51})
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde gleich auf die Bemerkungen eingehen, die von Herrn Rühe zur Lage in der Atlantischen Gemeinschaft gemacht worden sind, zuvor aber noch etwas zu dem Debattenbeitrag von Herrn Dregger heute morgen sagen.
Lassen Sie mich vorweg aber noch einen Eindruck wiedergeben, den ich aus dieser Rede von Herrn Rühe gewonnen habe. Wir sind beide ungefähr gleich alt. Ich war auf dem Evangelischen Kirchentag und auch auf dem Katholischen Kirchentag. Wir haben viel mit jüngeren Leuten zu diskutieren. Wenn es irgend jemandes Aufgabe ist, für die Sorgen und Ängste von Jugendlichen Vermittler in dieses Parlament hinein ohne opportunistische Anpassung in den Inhalten - das meine ich damit nicht - zu sein, dann ist es die Aufgabe unserer Generation hier im Bundestag.
({0})
Mein Eindruck ist - ich sage es auf Grund meiner subjektiven Wahrnehmung -, daß nach dem, wie Sie gesprochen haben, für Sie die Jugend, die draußen beunruhigt ist - verständlicherweise und zum großen Teil berechtigt beunruhigt ist -, die anderen sind, denen Sie gegenüberstehen, aber nicht die, unter denen Sie leben und mit denen Sie zusammenstehen. Das ist der Gesamteindruck Ihrer Rede.
({1})
Ich meine, daß eine Grundhaltung, die darin zum Ausdruck kommt - ich will das jetzt ja gar nicht parteipolitisch bewerten -, nicht den wesentlichen Problemen unserer Sicherheitspolitik adäquat ist.
Das wesentliche Problem unserer Sicherheitspolitik in der gegenwärtigen Situation ist nämlich, daß es unsere Aufgabe nicht nur ist, potentielle Gegner abzuschrecken, sondern auch, die Gewißheit in der eigenen Bevölkerung zu stärken, daß unsere Sicherheitspolitik zur Sicherheit beiträgt. Verhaltensweisen und Reden, die diese Verunsicherung und Ängste in der Bevölkerung, besonders unter den Jugendlichen, nicht aufgreifen, sind nicht geeignet, dieser sicherheitspolitischen Anforderung gerecht zu werden, d. h. nicht nur den potentiellen Gegner abzuschrecken, sondern das Sicherheitsgefühl im eigenen Land bei denen, die verunsichert sind, wieder zu schaffen.
Das ist meine Wahrnehmung. Vielleicht sollten wir darüber diskutieren.
({2})
- Das meine auch ich. Ich meine das ehrlich.
({3})
Zweitens: zu dem Debattenbeitrag von Herrn Dr. Dregger heute morgen. Dazu gibt es eine Überschrift. Herr Bundesminister Lahnstein hat mit einem Zitat aus der FAZ geendet. Ich möchte - mit Genehmigung der Frau Präsidentin - mit einem Zitat aus der FAZ beginnen. Dort hat Adalbert Weinstein unter der Überschrift „Das Reizwort Sicher7042
Voigt ({4})
heitspolitik" über den Wahlkampf von Alfred Dregger ausgeführt:
Im Wahlkampf hält er sich mit strategischen Erläuterungen zurück. Sicherheitspolitik ist vor allem für die Jüngeren ein Reizwort geworden. Die Strategie, die uns vor einem Krieg bewahren soll, ist schwierig zu erläutern. Sie kann mißverstanden werden. Ihre positiven Argumente können sinnverfälscht wiedergegeben werden. Politische Gegner bringen sie dann, wie Dregger einmal sagte, als kleine Münze in die innenpolitische Auseinandersetzung. Doch hat der Wähler Anspruch darauf, zu wissen, was der Spitzenmann einer großen Partei, regional auf ein Bundesland bezogen, unter Sicherheit versteht.
Und ich verstehe es - das hängt mit meiner Äußerung von vorhin zusammen - als Opportunismus, wenn Herr Dregger in diesem hessischen Wahlkampf - und heute hat er im Bundesparlament gesprochen - seine früheren Aussagen zur Sicherheitspolitik nicht wiederholt oder korrigiert - aus Opportunismus deshalb, weil er fürchtet, daß er bei Jüngeren und bei Teilen der Wähler mißverstanden werden könnte. Das ist meiner Meinung nach Opportunismus.
({5})
Ich verstehe es, daß er seine positive Äußerung zur Neutronenwaffe nicht wiederholen will. Ich verstehe es, daß er seine Äußerung zu Chile nicht wiederholen will. Aber wenn er sie nicht korrigiert, sondern einfach verschweigt, dann ist das Opportunismus gegenüber dem hessischen Wähler.
({6})
Und das ist etwas, was uns im Parlament und im parlamentarischen Wettbewerb nicht gut ansteht.
Ihre Rede, Herr Rühe, bewerte ich im Zusammenhang mit dieser Frage anders.
({7})
Nun zur Atlantischen Allianz. Dort gibt es Probleme. Sie haben einige der Probleme erwähnt. Sie meinen, das sei eine Frage nur von Politikern oder Parteien, die nicht treu genug zur Allianz stünden. Das war der Kern Ihrer Aussage.
({8})
- Na j a, ich denke an die Äußerung, daß der Kanzler neutrale Formulierungen gebraucht habe, also - das wird damit unterstellt - auf dem Weg zum Neutralismus ist, weil er eine Aufforderung an beide Nuklearmächte richtet und sie daran erinnert, daß sie zu nuklearer Abrüstung gleichermaßen verpflichtet sind, was eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn Sie das dem Kanzler vorwerfen, muß ich sagen: Das ist schon so etwas wie eine auf Personen
bezogene Kritik an dem Zustand der Nordatlantischen Allianz.
({9})
Im NATO-Brief Nr. 3/1982 ist unter der Überschrift „Ist die Krise in der NATO ein Problem der Führung?" von Herrn Sloan zu lesen - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Man neigte bei den Versuchen, diese Differenzen zu erklären, dazu, sie als Verirrungen, als das Produkt widersprüchlicher Politiken, als Versagen der Führung oder als das Ergebnis unzureichenden Willens und unzureichener Entschlossenheit zu betrachten. Aber obwohl solche Faktoren auf dem Weg in die gegenwärtige Krise sicherlich eine Rolle gespielt haben, so gehen die Wurzeln doch viel tiefer... Eine wesentliche Ursache der Krise kann in der unterschiedlichen Haltung der Amerikaner und der Europäer gegenüber den Ost-West-Beziehungen gefunden werden.
Dann geht es um die Frage, wie diese Ost-West-Beziehungen zu definieren sind, und er sagt:
... dieser Rahmen, dessen Wesen eine Kombination von „Verteidigungs- und Entspannungs" politik darstellt, ist ernsthaft gefährdet worden.
Dies ist auch in den Ausführungen von Bundesaußenminister Genscher in seinem Aufsatz in „Foreign Affairs" angesprochen worden. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Das heißt also: Hier sagt ein amerikanischer Kenner der Situation, daß die Kombination von Verteidigungs- und Entspannungspolitik, die die Grundlage der Politik der NATO darstellt, gefährdet worden ist.
Nun frage ich: Durch wen ist sie gefährdet worden? Durch was ist sie gefährdet worden? Und wo liegt die Kontinuität?
Die Kontinuität liegt - und in diesem Punkte stimme ich Bundesaußenminister Genscher in seinem Aufsatz in „Foreign Affairs" zu - bei den Westeuropäern und insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik und Abrüstungspolitik der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969. Das ist die Kontinuität.
({10})
Die Diskontinuität, erratische Diskontinuität, ist das Problem überwiegend der Amerikaner. Und da gibt es überhaupt keine Frage - das hat mit Antiamerikanismus nichts zu tun -: Wenn diese Nation alle vier Jahre den Versuch macht, in einem Akt von politischer Neuschöpfung wiedergeboren zu werden und ihre Probleme zu bewältigen versucht, indem sie dann jeweil eine völlig neue Weichenstellung in der Außen- und Innenpolitik vorzunehmen versucht, dann ist das Ausdruck von Diskontinuität.
({11})
Voigt ({12})
Auf diese Diskontinuität sind eine Reihe von Präsidenten sogar noch stolz gewesen und damit in den Wahlkampf gegangen. Wenn man deutlich macht, daß diese Diskontinuität eine Belastung für die Kontinuität der Politik des Westens darstellt, dann ist das nicht antiamerikanisch, sondern pro Allianz.
({13})
Deshalb ist es auch erforderlich, dies darzustellen. Es ist richtig, für die Kontinuität der Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik, wie es Bundesaußenminister Genscher gemacht hat, in einem Artikel in den USA zu werben.
Umstritten ist innerhalb des Westens nicht, daß es neben kooperativen gleichzeitig konfrontative und Elemente des Wettbewerbs zwischen Ost und West geben wird und geben muß. Umstritten ist, ob man auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre die konfrontativen Elemente unterstreichen und betonen soll oder die kooperativen. Und da sehe ich einen Unterschied. Den möchte ich noch deutlicher machen, als es in dem zum Ausdruck kam, was der Herr Bundesaußenminister in seinem Artikel in „Foreign Affairs" geschrieben hat. Die Zusammenarbeit zwischen Ost und West ist in der Konzeption, die wir Sozialdemokraten vertreten - und ich füge hinzu: die Sozialdemokraten und Liberale seit 1969 gemeinsam vertreten haben und hoffentlich weiter vertreten werden -, nicht etwa ein Vorschuß auf Belohnung, die mangels Gegenleistung durch Beendigung oder durch eine Bestrafung abzulösen wäre, der kontinuierliche Wille zur Kommunikation und zur Zusammenarbeit ist schon von sich aus, per se, eine sinnvolle Investition in eine rationalere und friedlicher gestaltete Zukunft der Ost-West-Beziehungen. Dieser kontinuierliche Wille zur Zusammenarbeit hat nichts mit Appeasement zu tun.
({14})
Und ich sage: Wer zu diesem kontinuierlichen Dialog und zur Zusammenarbeit mit Osteuropa nicht bereit ist, erhöht die Kriegsrisiken. Das ist meine Überzeugung.
({15})
Aber wie kommen Sie dann - nicht Sie persönlich; ich weiß aber nicht, wer aus der CDU das war - dazu, wenn unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Herr Professor Ehmke, in die Sowjetunion fährt, anschließend zu sagen, das sei Liebedienerei? Wer den Dialog dort drüben als Liebedienerei diffamiert, der hat doch kein Konzept für den Dialog, auch wenn er formal ja sagt.
({16})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0})?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Voigt, nennen Sie mir bitte den Unionspolitiker, der konkret oder abstrakt gegen den Dialog mit der Sowjetunion ist.
Abstrakt sind Sie immer dafür,
({0})
konkret, wenn z. B. Herr Ehmke, Herr Bahr oder Herr Brandt hinfahren - ich sage Ihnen auch gleich: am Sonntag fahre ich hin -, wird das von Ihnen anschließend immer als Anbiederung diffamiert.
({1})
Und dann kommt mit leichtem Unterton die Wiederaufnahme der Formulierung „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau" in verschiedenen Varianten.
({2}) Das ist das, was Sie daraus machen.
({3})
Sie sind nie abstrakt gegen den Dialog, aber Sie waren konkret gegen die Reise des Bundeskanzlers nach dem Afghanistan-Konflikt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte.
Herr Dr. Mertes, bitte.
Herr Kollege Voigt, nachdem Sie meine Frage nicht beantwortet haben, möchte ich die weitere Frage stellen: Hat die Opposition das Recht, Vertreter der Regierungsparteien nach ihren Gesprächen in Moskau danach zu bemessen, ob sie die westlichen Positionen in Genf erleichtert oder erschwert haben?
Sie hat das Recht.
Ich möchte noch einmal auf das vorhergehende eingehen. Sie sind abstrakt immer für Dialog, aber konkret, wenn der Dialog geführt wird, verdächtigen Sie ihn. Ich möchte das festhalten, weil das ein wichtiger Punkt ist.
({0})
Sie haben das Recht, das daran zu bemessen.
({1})
- Lassen Sie mich das erst einmal weiterführen, Herr Würzbach. Vielleicht können Sie Ihre Frage später stellen.
({2})
Wir werden noch darauf zu sprechen kommen. Wir sagen, was nur logisch ist, daß das, was in Genf verhandelt werden soll, nicht in der Form geschehen kann, daß dem Osten gesagt wird: Friß Vogel oder stirb, d. h. schluck den westlichen Vorschlag oder gar
Voigt ({3})
nichts! Vielmehr sagen wir: Es kann nur zu einem Verhandlungsergebnis kommen, wenn beide Seiten lernbereit sind; denn sonst sind es überhaupt keine Verhandlungen. Das bedeutet, daß Ost wie West in einem Lernprozeß überprüfen müssen, ob ihre bisherigen Positionen richtig sind. Wenn man das öffentlich äußert, sagen Sie gleich: Das ist eine Gefährdung der Position des Westens in Genf, während ich sage, daß bei den Genfer Verhandlungen nichts herauskommen wird, wenn man das nicht tut.
({4})
Dann wird doch nur formal verhandelt, ohne daß real etwas dabei herauskommt. Partnerschaft der Sicherheit setzt nicht Sympathie, aber den Versuch des Verstehens, den Dialog voraus.
({5})
Nun hat Herr Rühe versucht, seine Position zu definieren.
({6})
Ich möchte, weil danach gefragt worden ist, das definieren, was wir unter Sicherheitspartnerschaft verstehen, und einige der Kriterien nennen.
Erstens. Ein Element ist: Wird von der wechselseitigen Friedensbereitschaft der in Ost-West-Konflikt miteinander konkurrierenden Staatenbündnisse ausgegangen? Das ist ein Maßstab.
Zweitens. Wird darauf verzichtet, nach militärischer Überlegenheit zu streben?
Drittens. Wird in den öffentlichen Darstellungen der eigenen Seite versucht, auch die legitimen Sicherheitsinteressen des potentiellen Gegners zu verstehen oder darzustellen?
({7})
Viertens. Wird über den Bereich der Militärpotentiale hinaus auch versucht, die subjektiven Sicherheitsinteressen und Bedürfnisse des potentiellen Gegners zu verstehen oder darzustellen?
({8})
Fünftens. Wird versucht, neue Rüstungsoptionen so rechtzeitig in die Verhandlungen einzubeziehen, daß ihre Einführung noch überflüssig gemacht werden kann?
({9})
Sechstens. Wird ein Zeit- und Entscheidungsdruck nur für verteidigungspolitische Entscheidungen oder gleichrangig auch für Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen akzeptiert?
Siebtens. Wird die Bereitschaft zu Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen an außerhalb des Verhandlungsgegenstandes liegende Vorbedingungen geknüpft?
Wenn ich diese sieben Punkte sehe und dann das Verhalten der USA und der Sowjetunion an Hand dieser sieben Kriterien miteinander vergleiche, dann muß ich schlicht und ergreifend feststellen, daß zur Zeit weder die USA noch die Sowjetunion diesen Kriterien der Sicherheitspartnerschaft genügen. Das hat nichts mit Äquidistanz zu tun, sondern das ist von einem Konzept der Sicherheitspartnerschaft her gedacht, von dem ich möchte, daß es unser Bündnis insgesamt übernimmt, und von dem ich feststelle, daß das Bündnis es zur Zeit in der Praxis noch nicht voll übernommen hat.
({10})
Nun komme ich zu anderen Teilen des Aufsatzes des Kollegen Genscher. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Aufsatzes in den USA hat es Hintergrundgespräche gegeben. In einigen Zeitungsberichten über diese Hintergrundgespräche steht, daß diejenigen, die den Aufsatz von Herrn Bundesminister Genscher dargestellt haben, gesagt haben, dieses Konzept könne man sowohl mit einem Kanzler Schmidt als auch mit einem Kanzler Kohl umsetzen. Man darf nicht erstaunt sein, daß sich jetzt ein Sozialdemokrat fragt, wie das möglich ist. Ich erinnere mich, daß die CDU/CSU nein zu allen Ostverträgen gesagt hat. Ich erinnere mich, daß sie zum Beitritt zu den Vereinten Nationen und zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nein gesagt hat.
({11})
- Ich persönlich habe z. B. nein zum Kalten Krieg gesagt.
({12})
- Das können Sie ja ausführen.
({13})
Ich komme jetzt auf die Gemeinsamkeiten der sozialliberalen Koalition in der Substanz. Ich sage Ihnen, Herr Dr. Mertes: Als bei uns in der Partei die Große Koalition beschlossen wurde, war ich gegen diese und habe wegen der Friedens- und Entspannungspolitik für die sozialliberale Koalition geworben. Ich habe bei uns einen außerordentlichen Parteitag durchgesetzt. Herr Ehrenberg hat damals bei uns unter dieser Konsequenz des Strebens nach einer sozialliberalen Koalition gelitten. Wenn ich jetzt erlebe, wie so etwas verwaltet wird und einige Leute diese Koalition preisgeben wollen, dann bin ich um der sozialliberalen Friedens- und Entspannungspolitik willen, für die ich schon als kleiner Junge war, verbittert und enttäuscht über so viel Opportunismus.
({14})
Weil es mir um die Substanz geht, bin ich gegen solche Taktiererei.
Voigt ({15})
Da sage ich: Pacta sunt servanda. Das akzeptiere ich. Das ist Ihre Äußerung. Geschenkt! Richtig! Akzeptiert!
({16})
Aber die Konzeption der CDU/CSU hat sich seit 1969, seit ihrem Nein zur Friedens- und Entspannungspolitik, nicht geändert.
({17})
Solange die CDU/CSU in der Substanz nicht eine Revision ihrer seit 1969 betriebenen Oppositionspolitik vornimmt, bedeutet eine Koalition mit der CDU/CSU eine Preisgabe und, ich sage, einen Verrat an der Friedens- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition.
({18})
Da soll man nicht taktieren.
({19})
- Ich kann ja falsch liegen.
({20})
Aber ich bitte, daß über diese Frage nicht taktiert wird. Ich meine, daß auch die Bevölkerung draußen im Lande ein Recht auf klare Antworten hat.
Wenn man - aus welchen Überlegungen oder parteitaktischen Gründen auch immer - einen Wechsel für nötig hält, dann ist es nach meiner Meinung ein durchsichtiges Manöver, wenn man dies in einigen politischen Bereichen als Ausdruck einer politischen Wende, in anderen politischen Bereichen als Symbol der Kontinuität darstellt. Das verstehe ich nicht.
({21})
- Ich meine, wir müssen darüber nicht nur nachdenken, sondern auch klare Antworten haben.
Das Schlimmste, was man in einer solchen Situation zur Zeit machen kann, wo in der Bevölkerung Antworten verlangt werden, ist, Nebel zu werfen.
({22})
- Nein, das sage ich in dieser Frage an Herrn Kollegen Möllemann gerichtet, der nachher noch reden wird. - Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man einerseits in der Presse als Befürworter eines Koalitionswechsels in Anspruch genommen wird, andererseits Presseerklärungen für eine atomwaffenfreie Zone und für einen Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrages zwischen Ost und West verbreitet.
({23})
Ich möchte einmal wissen, wie das beides zusammenpaßt. Ich weiß nicht, wie man diese Konzeption
der atomwaffenfreien Zone und der Friedens- und Entspannungspolitik - er hat im Rundfunkinterview sogar von einseitiger Reduzierung taktischer Nuklearwaffen gesprochen - anders durchsetzen kann als in einer sozialliberalen Koalition.
({24})
Wenn ich Ihre Sachinhalte ernst nehme, dann müßten Sie einer der konsequentesten Verfechter der sozialliberalen Koalition sein.
({25})
Wenn Sie andere Äußerungen zum Koalitionswechsel ernst nehmen, dann muß ich das als Nebelwerfen begreifen in bezug auf Äußerungen über eine atomwaffenfreie Zone. Ich will dort Klarheit haben. Denn nur wenn diese Klarheit geschaffen wird, hat unsere Koalition noch eine Chance. Ich möchte, daß sie fortbesteht. Wir wollen nicht aussteigen,
({26})
und zwar gerade wegen der Friedens- und Entspannungspolitik. Deshalb werbe ich noch einmal wegen der Inhalte um die Fortsetzung dieser Politik.
Zwei Punkte noch am Schluß. Ich glaube, wir sollten - das sage ich jetzt jenseits von parteipolitischen Diskussionen - darüber nachdenken, ob die Entscheidung richtig war, die die Bundesregierung damals über die Geheimhaltung der Orte getroffen hat, an denen Vorbereitungsmaßnahmen für die Stationierung stattfinden. Warum? Dafür gibt es manche Gründe. Aber ich glaube inzwischen, daß die Geheimhaltung der Orte, an denen die Vorbereitungen stattfinden, mehr Schaden als Nutzen bringt,
({27})
weil nämlich eine zusätzliche Verunsicherung entsteht. An vielen Orten, wo gar nichts ist, wird plötzlich vermutet, es werde stationiert. In Wirklichkeit werden dort vielleicht nur Vorbereitungsmaßnahmen durchgeführt. Die Leute verwechseln das schon mit Stationierung. Dabei ist Stationierung, wenn man die Nullösung ernst nimmt, ganz scharf von dem Vorgang der Vorbereitung der Stationierung zu trennen, der ja dazu dient, den Doppelbeschluß glaubwürdig zu erhalten. Aber es wird alles miteinander vermengt.
Ich meine, wir sollten - ich sage das an uns alle gerichtet - überprüfen, ob wir der Regierung nicht empfehlen sollten, ihre bisherige Praxis in dieser Frage aufzugeben und zu entscheiden, daß diese Standorte in Zukunft öffentlich bekanntgegeben werden.
({28})
Das wird zwar nicht alle Probleme lösen, aber es schafft ein bißchen mehr an Glaubwürdigkeit.
({29})
- Vielen Dank, Herr Dr. Mertes. - Das könnte auch ein Punkt sein, wo man gemeinsam weitergeht.
Nächster Punkt: chemische Waffen. Wir haben auf die Produktion und auf den Besitz verzichtet. Wir unterstützen ein weltweites Verbot der Produktion,
Voigt ({30})
der Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen. Wir unterstützen das, was die Bundesregierung in die Genfer Verhandlungen einbringt, eingebracht hat, besonders auch im Zusammenhang mit der Verifikation eines solchen Abkommens. Ich glaube, daß das wichtige Schritte sind.
({31})
- In dieser Frage sind wir einer Meinung.
Nun meine ich, daß man über den militärischen Sinn chemischer Waffen bei uns nachdenken muß. Nach meiner Auffassung ist es höchst zweifelhaft, ob die Lagerung chemischer Waffen militärisch überhaupt erforderlich oder sinnvoll ist. Wir - übrigens der Westen insgesamt - haben auf den Ersteinsatz durch die Unterzeichnung des Genfer Protokolls verzichtet. Ein Ersteinsatz kommt mithin sowieso nicht in Frage. Insofern sind auch alle Gerüchte, daß die NATO einen Ersteinsatz plane, vorhabe, Unsinn; das ist nicht der Fall.
({32})
Aber bei einem östlichen Ersteinsatz - das ist ja die Vorstellung von einigen - müßte man eine gewisse Menge chemischer Waffen haben, um darauf vergeltend reagieren und durch ein Potential eigener chemischer Waffen abschrecken zu können. Nun sagen eine ganze Reihe von Militärs, daß es nicht logisch sei, mit einer Waffe abzuschrecken, die die eigene Zivilbevölkerung mehr abschreckt als die potentiellen Gegner, die sich nämlich nach einem Ersteinsatz offensichtlich auch gegen chemische Waffen schützen, so daß ein Zweiteinsatz von chemischen Waffen in Wirklichkeit auf einen geschützten militärischen Gegner, aber auf eine ungeschützte Zivilbevölkerung trifft, und daß ein solcher Zweiteinsatz und das dafür bereitgehaltene chemische Potential aus diesem Grunde militärisch nicht glaubwürdig sind, weil die Selbstabschreckung größer ist als die potentielle Abschreckung des Gegners. Nun klingt das zwar sehr kompliziert, aber in der Wirkung läuft das darauf hinaus, einmal zu überlegen, ob man in diesem Bereich nicht über weltweite Maßnahmen hinaus einseitig dafür eintreten sollte, die chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland abzuziehen.
({33})
Das ergibt gewisse Probleme im Zusammenhang mit der Militärstrategie und auch im Zusammenhang mit den Nuklearwaffen.
({34})
- Auch im Zusammenhang mit der Abrüstungsstrategie; ich leugne das ja nicht. Aber ich meine, daß wir sehr darauf achten müssen - damit komme ich auf den Ausgangspunkt meiner Rede -, daß wir mit unserer Sicherheitspolitik die eigene Bevölkerung nicht mehr verunsichern, als daß wir sie sichern; wir müssen sie vergewissern, wobei dann eine Güterabwägung vorzunehmen ist. Ich glaube, der Bereich
der chemischen Waffen könnte ein Bereich sein, in dem es im Zusammenhang mit unserer Sicherheitspolitik sinnvoller ist, den potentiellen Gegner mit anderen Waffen abzuschrecken, um so der eigenen Bevölkerung als Ergebnis des Abzugs von chemischen Waffen mehr Vertrauen als bisher in die eigene Sicherheitspolitik zu vermitteln. Ich wollte das nur mit zur Diskussion stellen; vielleicht wird in der Debatte darauf eingegangen.
({35})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in der parlamentarischen Debatte zur Zeit in einer sehr schwierigen Situation, weil wir Sozialdemokraten zusammen mit den Liberalen gemeinsam um die Fortsetzung der seit 1969 geführten Friedens-, Entspannungs- und Abrüstungspolitik ringen und man sich im Ausland manchmal fragt, ob dies erfolgreich sein kann, soweit es die Koalition betrifft. Ich meine, daß es mit Blick auf das Engagement für die Fortsetzung dieser Politik und dieser Koalition wichtig ist, daß wir diesen Prozeß der Klärung möglichst schnell beenden, weil sonst nämlich auch unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit, Handlungsfreiheit beeinträchtigt ist.
({36})
Der Bundeskanzler hat in der vorigen Woche dazu aufgefordert, daß diejenigen, die einen anderen Kanzler oder eine andere Koalition wollen, in dieser Woche ein konstruktives Mißtrauensvotum einbringen sollten. Ich sage nur: Dies wäre die Klarheit gewesen, die ich mir gewünscht hätte und die ich auch weiter fordere. Man dient diesem Lande aber nicht, wenn man aus parteitaktischen Erwägungen und Rücksichtnahmen heraus diesen Prozeß der Klarheit verzögert. Dieses Land hat Anspruch auf Klarheit.
({37})
Meiner Meinung nach ist eine Klarheit im Sinne der sozialliberalen Reformpolitik nötig. Dafür ringe ich. Klarheit ist geboten. Ich bitte, daß alle über ihre Absichten hier Klarheit schaffen. - Danke sehr.
({38})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist, glaube ich, völlig normal, daß wir in einer Grundsatzdebatte, die die Haushaltsdiskussion ja immer sein muß, nicht darauf verzichten, auch über die Fragen der Friedenssicherung zu debattieren. Es geht dabei nicht darum, ob wir den Frieden sichern wollen - darüber gibt es in diesem Hause bei niemandem einen Zweifel -, sondern darum, wie wir ihn am besten sichern wollen.
Ich möchte den Versuch unternehmen, einige Überlegungen, die wir dazu anstellen, hier vorzutragen.
({0})
- Herr Kollege, Sie werden es ertragen müssen, daß ich unsere Überlegungen vortrage und das, was ich sage, selbst bestimme. Die Fragen, die vom Kollegen Voigt hier angeschnitten worden sind, werden im Rahmen dessen, was ich sachlich zu sagen habe, auch beantwortet.
Die Fragestellung, die bei den Diskussionen draußen, welches der beste Weg der Friedenssicherung sei, immer kommt und zu der wir, wie ich glaube, zunächst auch eine Antwort geben müssen, ist die, ob denn der Friede überhaupt bedroht, überhaupt gefährdet sei und was denn die Bedrohung sei. Wenn man diese Frage nämlich nicht beantwortet, kommt man zu falschen Schlußfolgerungen bei der Beantwortung der Frage nach dem Weg der Friedenssicherung.
({1})
Ich meine, man muß hierzu folgendes sagen. Wir haben weltweit in den letzten Jahren zahlreiche Kriege mit außerordentlich hohen Zahlen von Opfern gehabt. Wenngleich es derzeit für Zentraleuropa sicherlich keine aktuelle Kriegsgefahr gibt, muß man doch einige Tatsachen nennen, die uns besorgt machen und unser Engagement verlangen. Das sind zum einen die Unterversorgung weiter Teile der Weltbevölkerung sowie die Rohstoff- und Energieverknappung. Das sind außereuropäische Konflikte wie der zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, die schneller, als uns lieb sein mag, auf unsere Region übergreifen können. Das ist der andauernde Rüstungswettlauf zwischen Ost und West, der das Konfliktpotential steigert und Ressourcen verbraucht, die wir an anderer Stelle dringend nötig hätten. Das ist das rasante Tempo der technologischen Neuerungen auch in diesem Bereich, das tatsächlich effektive Rüstungskontrolle und Abrüstung so schwierig macht.
({2})
Das von der Sowjetunion erzwungene Kriegsrecht in Polen und die andauernde Besetzung Afghanistans, an die sich die Weltöffentlichkeit und die internationale Politik in ebenso gespenstischer wie unverantwortlicher Weise zu gewöhnen beginnen,
({3})
verdeutlichen, daß die sowjetische Führung das ideologische und strategische Konzept des proletarischen Internationalismus nicht aufgegeben hat. Dieses Konzept berechtigt, ja verpflichtet die Sowjetunion zu jeder, auch der militärischen Art der Intervention, wenn nach ihrem Ermessen irgendwo auf der Welt die Errungenschaften der Arbeiterklasse respektive der sozialistischen Revolution gefährdet sind.
({4})
Dies war die Begründung für alle bisherigen Interventionen - von der DDR über Ungarn bis hin zu Afghanistan -, und dies könnte morgen - ganz gleich, ob im Iran oder möglicherweise auch nach Westen hin, wo bestellte oder bezahlte Hilferufer sicher bereitstünden - auch der Fall sein. Deswegen ist es schon gut, daß wir uns wegen all dieser Gesichtspunkte bemühen, eine vernünftige, realistische Politik der Friedenssicherung zu betreiben.
Dazu nun einige Überlegungen. Aus unserer Sicht kann die Aufrechterhaltung von Frieden und Freiheit mit den Mitteln der Sicherheitspolitik - das ist nur ein Element unserer Friedenspolitik - in der gegebenen weltpolitischen Lage auf westlicher Seite nur von der NATO gewährleistet werden. Das heißt, die NATO muß gestärkt und nicht geschwächt werden. Sie ist ein Bündnis demokratischer Staaten, das auf die Ideale der Demokratie verpflichtet ist. Das bedeutet: Mitglied in der NATO kann dauerhaft nur sein, wer den demokratischen Idealen in seiner inneren Ordnung und seiner Politik entspricht.
({5})
Das bedeutet aber auch, daß sich z. B. unser Partnerstaat Türkei - danach wird in Diskussionen immer wieder gefragt - in sehr absehbarer Zeit entscheiden muß, ob er die Demokratie wieder einführen oder aus der NATO ausscheiden will.
({6})
Denn täuschen wir uns nicht: der Verlust an innerer Glaubwürdigkeit im Blick auf die uns leitenden Ideale könnte größer sein als der Verlust an militärischer Effizienz, wenn es zu diesem Wandel nicht kommt. Deshalb unterstützt meine Fraktion sehr nachdrücklich das Bemühen der Bundesregierung, in Verhandlungen und in Gesprächen mit den türkischen Regierungen den Fahrplan für die Wiedereinführung der Demokratie eingehalten zu sehen.
({7})
Ein weiteres. Ein Bündnis demokratischer Staaten sollte auch im Umgang miteinander sich auszeichnen und wird sich immer auszeichnen gegenüber anderen Bündnissen. Bei uns gibt es eben nicht - im Gegensatz zum Warschauer Pakt - das Prinzip, daß der Große befiehlt und die Kleinen zu gehorchen haben. Bei uns gibt es einen kritischen Dialog, und Dialog, Überzeugung und Kritikfähigkeit strapazieren das Bündnis nicht, sondern sie sichern in Wahrheit seinen inneren Zusammenhalt.
({8})
Da ist natürlich genauso offen anzusprechen, daß es als unbefriedigend gelten muß, wie unser Hauptbündnispartner, die Vereinigten Staaten von Amerika, auf deren Freundschaft und Kooperation wir uns angewiesen wissen und um die wir immer wieder auch werben, dennoch den Fehler gemacht haben, im Falle der Kooperation der Bundesrepublik mit der Sowjetunion im Erdgasröhrengeschäft uns ihren Willen auf eine Art und Weise mitzuteilen, die wir nicht akzeptieren können.
({9})
Das war nicht der Vorgang, der von Partnerschaft so geprägt war, wie er es hätte sein müssen.
Es gibt in unserem Bündnis eine Reihe von Fragen der Strategie gegenüber Problemen der Sicherheit, der Dritten Welt, anderen Kernbereichen der internationalen Politik, die bisher nicht im Sinne einer gemeinsamen Strategie geklärt sind. Genau auf diesen Punkt zielt die Ausarbeitung von Hans-Dietrich Genscher, der die Forderung erhebt, man müsse endlich zu einer solchen gemeinsamen Strategie des Miteinander kommen, damit man nicht in ein Gegeneinander hineingedrängt wird. Da muß ich nun wirklich sagen: ich finde es geradezu absurd, wenn sich dann jemand hierherstellt und erklärt, dies sei der subtile Versuch, Koalitionsfragen zu behandeln. Meine Damen und Herren und lieber Kollege Voigt, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: die Koalitionsfrage ist natürlich unglaublich wichtig, aber die Frage, wie wir Frieden und Freiheit bewahren, ist etwas Wichtigeres.
({10})
Ein zweites. Der Ihnen vermutlich nicht ganz unbekannte Theo Sommer - er war ja immerhin Planungschef auf der Hardthöhe in der Zeit, als Helmut Schmidt Verteidigungsminister war - ({11})
- Er war Planungschef - ich wiederhole das gern, damit sich das jedem einprägt - unter Helmut Schmidt.
Er schreibt in der „Zeit" - ich zitiere wörtlich -: All dies
- gemeint ist der Aufsatz von Hans-Dietrich Genscher hätte Wort für Wort auch Helmut Schmidt schreiben können.
({12})
- Ich meine nur, damit das klar ist: Sie haben sich mit diesem Aufsatz auseinandersetzt und haben Fragen an bestimmte Teile dieses Aufsatzes gerichtet.
({13})
Sagen Sie doch, Kollege Voigt, wo und in welchem Punkt Ihnen dieser Aufsatz nicht paßt. Diskutieren Sie es dann mit Helmut Schmidt in Ihrer Fraktion, der nach Bekunden von Theo Sommer dies alles auch hätte schreiben können.
({14})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gleich, ich zitiere eben noch zu Ende. Theo Sommer schreibt weiter - das hätte ich ja gar nicht vorgetragen, aber weil Sie es gefragt haben, zitiere ich, was er hier noch schreibt -:
Helmut Kohl hätte mit vielem wohl seine
Schwierigkeiten gehabt. Fazit: Anbiederung an
die Union treibt Genscher da nicht. Eher, wenn
man die Sache schon unter dem Bonner Krisenaspekt sehen will,
- so wie Sie es getan haben -,
ist sein Aufsatz ein Stück Kontinuitätspflege. Auf dieser Basis wäre ein Wechsel in Bonn außenpolitisch kein Unglück.
({0})
Bitte.
Herr Kollege Voigt!
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich ausdrücklich gesagt habe, daß dieser Aufsatz Ausdruck von Kontinuität ist? Ich muß hinzufügen, daß ich ihm in den wesentlichen Inhalten zustimmen möchte. Es gibt vielleicht die eine oder andere Formulierung, die ich etwas anders gemacht hätte. Meine Frage richtete sich kritisch nicht an den Aufsatz und dessen Inhalt, sondern meine Frage richtete sich genau wie Theo Sommer kritisch auf den Punkt, wie man solche Politik der Kontinuität im Inhalt bewahren kann in der Diskontinuität in der Koalition, und ich sagte, daß deshalb eine Kontinuität der Koalition meiner Meinung nach um der Sache willen erforderlich ist.
Jeder hat ja begriffen, daß Sie das hier mitteilen wollten.
({0})
Ich fand nur, daß Sie es mit sehr subtilen Angriffen gegen den Außenminister verbunden haben, und daß Sie versucht haben, ihn in eine bestimmte Ecke zu bewegen.
({1})
Ich komme im übrigen auf die weiteren Ausführungen, die Sie gemacht haben, noch zurück.
Zunächst zur NATO-Strategie der flexible response, die derzeit j a auch in der Diskussion ist. Nach unserer Auffassung hat sie sich bislang bewährt; sie muß aber in einem laufenden Prozeß den sich wandelnden politischen, technologischen und demographischen Gegebenheiten angepaßt werden.
Der Grundgedanke des militärischen Teils unseres Konzepts der Friedenssicherung lautet: Wir müssen durch ein annäherndes Gleichgewicht der Kräfte den Frieden sichern. Oder: Jedem denkbaren Aggressor - das heißt in diesem Fall dem Warschauer Pakt - muß deutlich bewußt sein, daß ein Angriff auf die NATO ihm selbst mehr Schaden als Nutzen bringt. Solange diese Voraussetzungen gegeben sind, ist ein Krieg in Zentraleuropa unwahrscheinlich, jedenfalls wenn man davon ausgehen darf, daß die politische Führung in der Sowjetunion nicht aus Abenteurern und unberechenbaren Glücksspielern besteht. Berechenbarkeit und Kontinuität zeichnen allerdings meines Erachtens die sowjetische Politik durchaus aus. Wenn man ihre Grundlagen sorgfältig studiert, stellt man fest, daß es dort Kontinuität gibt. Andrej Gromyko ist seit mehr als 25 Jahren Außenminister, Leonid Breschnew ist erst der fünfte Staatschef seit Lenin in der Sowjetunion.
In unserer Strategie der Kriegsverhinderung oder der Abschreckung vom Krieg spielen Atomwaffen eine wesentliche Rolle, eben wegen der ihnen besonders eigenen Abschreckung. Diese Strategie hat dazu beigetragen, daß in Zentraleuropa seit 36 Jahren kein Krieg mehr entstanden ist, während weltweit über 120 Kriege mit mehr als 20 Millionen Toten geführt wurden. Diese Strategie wird aber wegen der in weiten Bevölkerungskreisen vorhandenen Skepsis und Angst gegenüber Atomwaffen dauerhaft von der großen Mehrheit unseres Volkes nur akzeptiert werden, wenn wir durch Stärkung unserer konventionellen Verteidigungsfähigkeit die atomare Schwelle heben, wenn wir die Rolle der taktischen Atomwaffen, der sogenannten atomaren Gefechtsfeldwaffen, deutlich reduzieren, um somit die Nuklearschwelle ebenfalls anzuheben und die Gefahr eines regional begrenzten Atomkrieges weiter zu verringern, und wenn wir uns bei Rüstungskontrollverhandlungen ernsthaft und überzeugend für die Begrenzung und Reduzierung aller Atomwaffen auf das für die Abschreckung unverzichtbare Maß einsetzen.
Meine Damen und Herren, die auf den ersten Blick sympathische Forderung von Politikern sehr unterschiedlicher Provenienz, wie etwa von Oskar Lafontaine und Kurt Biedenkopf, künftig auf Atomwaffen innerhalb der eigenen Verteidigungskonzeption vollständig zu verzichten, erscheint mir problematisch.
({2})
Ein solcher Verzicht auf Nuklearwaffen bei Beibehaltung konventionell gerüsteter Streitkräfte - niemand geht wohl davon aus, daß wir demnächst weltweit keine Armeen mehr haben werden - könnte zumindest in den Köpfen der politischen und militärischen Planer die Rückkehr zur Kriegsführungsstrategie und damit die Verringerung der Abschrekkungswirkung und die Erhöhung der realen Kriegsgefahr bedeuten. Unser Hauptziel muß es demgegenüber aber bleiben, zu verhindern, daß es überhaupt zu Kriegen kommt, und nicht primär darüber nachzudenken, wie man einen Krieg am besten führen kann.
({3})
Meine Damen und Herren, Strategie, Struktur und Bewaffnung unserer Streitkräfte unterliegen auf Grund veränderter demographischer - also von der Bevölkerungsentwicklung her -, finanzieller, technologischer und politischer Voraussetzungen einer kritischen Diskussion und auch der Notwendigkeit einer teilweisen Veränderung. Die in diesem Zusammenhang für die Bundesregierung und dieses Parlament bevorstehenden Entscheidungen sind meines Erachtens so gravierend, daß wir noch einmal gemeinsam darüber nachdenken sollten, ob es nicht sinnvoll ist, eine aus allen Fraktionen des Parlaments, Vertretern der Bundesregierung sowie Experten, die weisungsungebunden sind und sich ausgewiesen haben, zusammengesetzte Kommission zu bilden, die die Frage prüft, wie die Strategie, die Struktur und die Bewaffnung der Streitkräfte in den 90er Jahren aussehen sollen. Dabei meine ich, daß wir auch vorhandene Alternativen zu bestehenden Teilen unserer Sicherheitspolitik vorurteilsfrei diskutieren müssen. Im Bereich der Bewaffnung unserer Streitkräfte sollte insbesondere die Frage analysiert werden, ob es möglich ist, künftig durch sogenannte intelligente Abwehrsysteme den Aufwand für komplexe, teure und sehr verwundbare Großwaffensysteme zu verringern und auch damit zu verdeutlichen, daß unsere Sicherheitskonzeption allein auf Verteidigung angelegt ist.
Ebenso wie die derzeitige Bewaffnung der Streitkräfte müssen auch die Struktur und die Personalausstattung ohne Tabu analysiert und unter den veränderten Voraussetzungen - demnächst nur noch 50 % der Jahrgangsstärken, geringere staatliche finanzielle Mittel, neue Technologien, neue politische Ansätze - auf ihren Auftrag hin ausgerichtet werden.
Dies sollte zumindest bedeuten, daß der ohnehin schon zu weite Führungsmantel der Streitkräfte reduziert wird, d. h. konkret, daß die Relation zwischen Soldaten und Beamten im Ministerium sowie in Am-tern und Stäben zu denjenigen, die in Kampftruppen und an personell besetzten Waffensystemen Dienst tun, sich verschieben muß. Das gilt im übrigen auch für den Umfang des Verteidigungsministeriums. Ich hätte mir gewünscht - Herr Verteidigungsminister, wir konnten im Ausschuß wegen der terminlichen Schwierigkeiten, die wir hatten, leider noch nicht darüber sprechen -, daß der begrüßenswerte Ansatz, den Sie mit der Einrichtung des Controllers geschaffen haben - wir unterstützen ausdrücklich den Denkansatz -, dadurch plausibler geworden wäre, daß man das, was dort überwacht, begleitet und kontrolliert werden soll, einmal auf das führ-bare Maß hin reduziert und damit schließlich Mittel und Stellen für die Bereiche freigesetzt hätte, in denen sie dringend gebraucht werden.
({4})
Jedenfalls meinen wir, meine Damen und Herren, daß die derzeitige Personalhöchststärke der Streitkräfte dann kein Tabu sein darf, wenn man Aufgaben, die heute von der Bundeswehr wahrgenommen werden, auch von privater Seite erfüllen lassen kann oder wenn andere Strukturen - etwa im Zusammenhang mit der Kaderung - dies erlauben. Wir sind jedenfalls nicht bereit, vor der sorgfältigen Analyse aller denkbaren Alternativen schlicht die Wehrpflicht zu erhöhen oder Frauen in die Streitkräfte einzubeziehen.
Der Versuch, Frieden, Freiheit und Sicherheit nicht nur durch Streitkräfte und Verteidigungspolitik, sondern auch durch Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg zu gewährleisten, muß trotz aller Schwierigkeiten fortgesetzt und verstärkt werden. Vom Kollegen Voigt ist dazu zweierlei gesagt worden, auf das ich eingehen möchte. Ich finde schon, daß es ganz wichtig ist, daß wir bei den derzeit im Mittelpunkt des öffentlichen Streits stehenden Gesprächen über den Abbau der Mittelstreckenwaffen beim Verhandlungsgegenüber keinen Zweifel aufkommen lassen, daß die von uns im Westen definierte Position von uns ganz ernst gemeint ist. Das
bedeutet, daß wir unter der Null-Lösung verstehen, daß tatsächlich alle bislang aufgebauten und derzeit hinzugefügten Mittelstreckenwaffen abgebaut werden sollen.
({5})
Das schließt ein, daß wir uns immer wieder darüber im klaren sind, daß die Bevölkerung natürlich beunruhigt ist, wenn jetzt die Frage aufkommt: Wo werden eigentlich demnächst möglicherweise Raketen stationiert - für den Fall, daß die Verhandlungen kein positives Ergebnis haben? In der Tat fände ich mehr Offenheit in diesem Bereich gut.
Das schließt doch ganz besonders ein - jedenfalls erlebe ich das in vielen Disputen draußen bei Veranstaltungen; nicht nur im Wahlkampf, sondern auch sonst -, daß die Bürger dadurch erheblich beunruhigt sind, daß zum Zeitpunkt des Doppelbeschlusses in diesem Bereich bereits eine sowjetische Überlegenheit durch vorhandene SS-20 bestand und daß trotz einer seither parallel laufenden unglaublichen Propagandawelle der Sowjetunion gegen unseren Bundeskanzler und unseren Außenminister die Sowjetunion Woche für Woche eine weitere Abschußvorrichtung für die SS-20 mit zwei Trägersystemen und jeweils drei Sprengköpfen in Betrieb genommen hat.
Das beunruhigt die Leute. Wir müssen der Sowjetunion sagen, daß sie - und nur sie - die Verhandlungen damit so schwer gemacht hat.
Im übrigen ist es richtig - damit komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben, Herr Voigt -, daß das Konzept, das unseren Parteitag in Berlin beschäftigen wird, für die Fortentwicklung der Grundlinien im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung in einigen Punkten Positionen vorsieht, die über das bisher von uns Gesagte hinausgehen. Das ist ja bei Programmfortschreibungen gemeinhin so. Ich weiß noch nicht, was der Parteitag dazu beschließen wird. Ich setze mich natürlich für dieses Konzept so ein, wie es vorliegt. Aber ich muß Ihnen sagen - das gilt doch für Ihre Partei genauso wie für meine auch -: Zunächst einmal müssen wir sehr genau unsere eigene Absicht definieren, und danach muß man sehen, was von dieser eigenen Absicht mit wem unter Umständen umgesetzt werden kann.
In diesem Zusammenhang habe ich Ihre sehr besorgt klingende Frage deswegen ein bißchen mit Verbitterung gehört, weil Sie hier vergleichsweise zurückhaltend formuliert haben, aber das draußen natürlich nicht tun. Ich habe vor mir die „Frankfurter Rundschau" von heute liegen. Überschrift: „FDP des Verrats bezichtigt - Ehmke und Voigt: Auch in Friedenspolitik auf dem Abmarsch".
({6})
Zweitens habe ich den Pressedienst der SPD-Bundestagsfraktion vom 13. September 1982 vor mir liegen. Da schreibt Herr Ehmke:
Darüber sollte auch beim sicherheitspolitischen
Sprecher der FDP Klarheit herrschen: Wer bereit ist, die sozialliberale Koalition aufzugeben,
der muß auch bereit sein, seinen bisherigen Grundsätzen einer liberalen Friedens- und Sicherheitspolitik abzuschwören. Alles andere ist Betrug oder Selbstbetrug.
Ich weiß nicht, liebe Kollegen, ob Sie, wenn Sie uns des Verrats und des Betrugs bezichtigen, darin einen besonders konstruktiven Beitrag zum Umgang miteinander sehen. Ich habe solche Begriffe jedenfalls auf Sie noch nicht angewendet.
({7})
Gerade den Begriff „Verrat" habe ich bisher bei der Auseinandersetzung um die Außen-, Sicherheits- und Entspannungspolitik in ganz anderen Zusammenhängen gehört. Fangen Sie damit bitte nicht an. Wir verraten niemanden, wir treten für unsere Überzeugung ein.
({8})
Ein letzter Punkt. Ich glaube, daß wir Verständnis für unsere Friedens- und Sicherheitspolitik nur erreichen können, wenn wir im Parlament nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir selbst nicht nach bestimmten Grundsätzen der Friedenspolitik handeln und leben. In diesem Zusammenhang denke ich beispielsweise an die Begriffe „Verrat" und „Betrug", mit denen Sie den Koalitionspartner charakterisieren, ohne daß Sie irgend etwas zur Belegung dieser Charakterisierung sagen. Ich bitte Sie: kommen Sie doch hierher und sagen Sie, an welcher Stelle, in welchem Punkt der Bundesaußenminister oder ich für die Fraktion außen- und sicherheitpolitisch etwas vorgetragen hätte, was nicht mit der Regierungspolitik vereinbar wäre. Wer muß sich denn dauernd vor dem Bundeskanzler stellen, um ihn gegen Angriffe in Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik zu verteidigen? Sind Sie das oder wer ist das?
({9})
Ich möchte eine abschließende Überlegung zu einem ganz anderen Themenbereich unserer Friedens- und Sicherheitspolitik anstellen, der uns in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat, wo wir aber nicht so richtig weiterkommen. Wir haben immer gesagt, nur ein durch Aufklärung und Überzeugung gestärktes Verständnis für die Zusammenhänge unserer Friedens- und Sicherheitspolitik gewährleiste, daß diese Politik auf Dauer auch von unserer Bevölkerung unterstützt werde. In diesem Zusammenhang ist es im Grunde ein unglaublicher Skandal, daß es 25 Jahre nach Einführung der Bundeswehr derselbe Staat, der seinen Bürgern Wehrdienst und Zivildienst als staatsbürgerliche Pflichten abverlangt, der seine Steuerzahler ein gut Teil der von ihnen entrichteten Abgaben für Maßnahmen der Friedenssicherung aufbringen läßt, immer noch nicht für notwendig erachtet, in seinen Bildungseinrichtungen eine nach Umfang und Inhalt obligatorische Unterrichtung über die verfassungsmäßige Absicherung unserer Politik der FriedenssiMöllemann
cherung sowie ihre Instrumente und Ziele durchzuführen.
({10})
Wir verlangen, daß Friedenserziehung an allen Schulformen obligatorisch wird. Wir wollen keine Wehrkunde wie in der DDR, wo bei Militärparaden Generale die Auftragserfüllung von Kinderbataillonen melden. Wir wollen vielmehr, daß unsere Schüler und Jugendlichen erfahren, mit welchen verfassungsmäßig vorgegebenen Mitteln wir den Frieden sichern, daß sie erfahren, an welchen Zielen und Werten Ost und West orientiert sind, daß sie erfahren und erörtern, daß mit Verteidigungs- und Entspannungs-, mit Außen- und Entwicklungspolitik dieser Staat ausschließlich auf den Erhalt von Frieden, Freiheit und Sicherheit hinarbeitet. Diese Friedenserziehung soll weder einseitig noch parteipolitisch fixiert sein. Aber sie hat Partei zu ergreifen für die von der Verfassung und den frei gewählten Parlamenten gesetzte freiheitliche Ordnung dieses Staates
({11})
und die Notwendigkeit, uns diese Freiheit und den Frieden zu bewahren.
({12})
Dann und nur dann dürfen wir erwarten, daß im Blick auf Wehrdienst und Zivildienst tatsächlich und bewußt individuelle Gewissensentscheidungen die Regel werden. Wir werben dafür, daß möglichst jeder heranwachsende junge Mann durch Ableisten seiner Wehrpflicht diesen Staat und unsere Freiheit verteidigt. Wir respektieren und verteidigen aber gleichzeitig auch jene, denen ihr Gewissen den Dienst mit der Waffe verbietet. Ein liberaler Staat, der seinen Bürgern das Recht zur Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes einräumt, darf nicht durch kleinliche und unzumutbare Kontrollen und Überprüfungsmechanismen dieses Recht wieder eingrenzen. Deswegen, meine Damen und Herren, bleiben wir dabei: Strengen wir uns endlich einmal gemeisam an, damit dieses Hickhack beendet wird! Lassen Sie uns die Gewissensprüfung abschaffen! Sie ist unwürdig und niemandem zumutbar.
({13})
Meine Damen und Herren, ich erwähnte die Notwendigkeit der Friedenserziehung an unseren Bildungseinrichtungen. Gleichermaßen aber möchte ich die Notwendigkeit unterstreichen, die Grundlagen unserer Friedenspolitik dauerhaft und immer wieder einer kritischen Überprüfung auch auf wissenschaftlicher Basis zu unterziehen. Deshalb erneuern wir unsere Aufforderung - und werden dafür auch bei den Haushaltsberatungen konkret eintreten -, die Friedens- und Konfliktforschung gerade in dieser Zeit nicht einzuschränken, sondern personell und materiell verstärkt zu fördern und ihre Ergebnisse in die praktische Arbeit von Regierung und Parlament stärker einzubeziehen.
({14})
Wir haben in dem zuständigen Gremium unserer Fraktion festgelegt, daß wir uns bei den Beratungen dafür einsetzen wollen, den derzeitigen Ansatz im Bundeshaushalt von etwa 3 Millionen auf etwa 5 Millionen zu steigern.
({15})
Wir hoffen, uns darauf mit unserem Koalitionspartner und möglichst auch mit den Kollegen von der Union verständigen zu können.
Meine Damen und Herren, ich habe hier - wenngleich zugegebenermaßen in einer bestimmten Passage etwas aggressiv - über die Friedenspolitik geredet. Sie mögen mir bitte nachsehen, daß dann, wenn uns bestimmte Absichten, die alles andere als friedfertig sind, unterstellt werden, dies in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden muß. - Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Voigt: Es würde mir - und wahrscheinlich auch einigen anderen Kollegen - wesentlich leichter fallen, an Ihre Aufrichtigkeit zu glauben, wenn Sie nicht so leichtfertig das persönliche Ansehen eines Kollegen herabgesetzt hätten. Sie haben es für richtig gehalten, den Kollegen Dregger des Opportunismus zu zeihen. Ich möchte das hier in aller Ruhe, aber auch mit aller Entschiedenheit zurückweisen,
({0})
und zwar deswegen: Sie haben es nicht für nötig gehalten, das zu begründen, und das, was Sie zur Begründung gesagt haben, stimmt nun einfach nicht. Der Artikel von Herrn Weinstein, den Sie zitiert haben, enthält klar die sicherheitspolitische Auffassung des Kollegen Dregger, der ich mich ausdrücklich anschließen möchte. Dort steht:
Die Strategie der Abschreckung will Dregger durch eine Zusammenarbeit mit dem möglichen Gegner ergänzt wissen. Er meint, eine Sicherheitspolitik, die in langen Fristen denkt, könne auf den Dialog mit der anderen Seite nicht verzichten.
Dregger hat an diesem Pult - es ist noch nicht einmal ein Vierteljahr her - seine sicherheitspolitischen Vorstellungen, die unsere sicherheitspolitischen Vorstellungen sind, in aller Ausführlichkeit erläutert. Daß Sie jetzt mit Herrn Dregger nicht fertig werden, weil er nicht in Ihr vorgezimmertes Feindbild paßt, ist Ihr Problem, Herr Voigt, aber nicht das Problem des Kollegen Dregger.
({1})
Das, was Sie hier vorgetragen haben - im übrigen
auch sonst in einer Form, die nicht Ihrem üblichen
Niveau entspricht -, erinnert mich wirklich an den vorgezogenen Versuch, an einer Dolchstoßlegende zu zimmern, wiederum um alte Feindbilder zu retten, aber nicht, um der deutschen Außenpolitik einen Dienst zu tun.
({2})
Aber nun zum Thema: In drei schicksalsentscheidenden Feldern unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist die deutsche Politik inzwischen in kritische Zonen geraten.
Das gilt zum ersten für unser Verhältnis zu unseren Hauptverbündeten, den USA. Daß dieses Verhältnis getrübt ist, daß dort Mißtrauen, Streit, wechselseitige Vorwürfe an der Tagesordnung sind, das sieht jeder. Wer das als mehr oder minder normalen Alltagsstreit verharmlost, der will einfach nicht wahrhaben, daß diese Auseinandersetzung weit über den jeweils aktuellen Anlaß hinaus - ob Erdgasröhrengeschäft, ob Stahl, ob Verteidigungsbeitrag - wirklich die Fundamente des Bündnisses - ich meine: in gefährlicher Weise - anzunagen beginnt. Noch ist dieser Prozeß meisterbar. Noch ist es möglich, das aufzufangen. Nur wird das eine der Hauptaufgaben der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein.
Auch im Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Staaten des Ostblocks ist ganz eindeutig Reif auf die Blütenbäume der Entspannung gefallen. Abgrenzung ist an die Stelle von Annäherung getreten, und die Zeichen stehen auch hier auf Abkühlung. Dies macht augenfällig, daß die deutsche Politik, wenn wir nicht sehr aufpassen, in Gefahr ist, sich zwischen die Stühle zu setzen, oder gar im Niemandsland zwischen den Blöcken zu enden. Hält man sich vor Augen, daß sich auch auf dem Felde der europäischen Einigung so gut wie nichts bewegt, so bleibt als einziger, und wie ich meine, schwacher Trost, die Tatsache, daß auch der Weizen der Sowjets - dies meine ich im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - nicht gerade blüht.
Ich nenne ein Drittes dazu: Besonders kritisch wird diese Lage dadurch, daß zur gleichen Zeit, in der sich unser Verhältnis zu den USA wie zur UdSSR verschlechtert, auch die Grundlagen unserer Sicherheit erschüttert oder in Frage gestellt werden. Das gilt für wesentliche Teile unseres Abschrekkungs- und Sicherheitsdispositivs. Dazu kommt, daß unsere Verteidigungsdoktrin der flexiblen Antwort immer häufiger in Zweifel gezogen wird, und dies ohne erkennbare brauchbare Alternative.
Dazu kommt, daß sich angesichts der angespannten Haushalts- und Finanzlage unser Verteidigungsbeitrag, real gesehen, vermindert und die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte darunter leidet. Das heißt: Die Flexibilität und damit auch die Glaubwürdigkeit unserer Verteidigung ist in Frage gestellt. Die Folge kann nur sein: weniger Sicherheit für alle. Das ist eine Folge, die wir nicht bereit sind zu tragen, die unser Volk auch gar nicht verkraften könnte.
Es kann gar keinen Zweifel geben: Wir stehen gegenwärtig nicht nur innenpolitisch, wir stehen auch außenpolitisch auf schwankendem Boden.
({3})
Wenn wir auf festen und tragfähigen Grund zurück wollen, dann gibt es nur ein brauchbares Rezept: Wir müssen die klare Priorität unserer Westpolitik wiederherstellen, d. h. die Priorität unserer Bündnispolitik, die Priorität unserer Europapolitik.
({4})
Das kann eben nur eine handlungsfähige Regierung.
({5})
- Die jetzige ist es nicht mehr, Herr Klejdzinski. Das ist augenfällig. Sie haben mein Thema vorweg genommen.
Man konnte ja einige Zeit, Herr Klejdzinski, den Eindruck haben, daß die gegenwärtige Regierung wenigstens noch auf dem Gebiete der Außenpolitik handlungsfähig sei. Nicht wenige Journalisten schrieben, die Außenpolitik sei der einzige Kitt dieser Regierung. Auch damit ist es ja nun ganz offenkundig aus, wenn man hört, was der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ehmke, in Wiesbaden - und zwar nach übereinstimmenden Zeitungsberichten der „Welt" und der „Süddeutschen Zeitung" - dem Außenminister seiner eigenen Regierung ins Stammbuch geschrieben hat. Ich lese einmal vor: Aus lauter parteipolitischem Taktieren werde die Bundesrepublik durch ihren Außenminister außenpolitisch lahmgelegt; dies sei eine unverantwortliche Politik und „erbärmlich". Da kann man nur sagen: Dann ist ja wohl deutlich, daß auch die Außenpolitik inzwischen in den Sog der Auseinandersetzungen der Koalitionsparteien SPD und FDP geraten ist. Es wird immer deutlicher: Sie sind doch auch außenpolitisch nicht mehr aktionsfähig. Herrn Ehmke möchte ich nur sagen: Wenn wirklich etwas erbärmlich und unverantwortlich ist, dann ist es dieses Spiel mit den Lebensinteressen unserer Nation.
({6})
In diesen Katalog paßt auch das Vokabular, das in Ihrer Abwesenheit, Herr Außenminister, der Kollege Voigt für Ihre vermutete Abtrünnigkeit gefunden hat. Der Herr Möllemann hat sich damit beschäftigt. Da ist die Rede vom Verrat. Warum eigentlich? Wo war die Begründung? Die einzige Begründung, die Herr Voigt gefunden hatte, war die Tatsache, daß die CDU/CSU - im übrigen aus wohlerwogenen Gründen, einige davon kann man heute noch mit sehr gutem Gewissen zitieren; aber das ist Vergangenheitsbewältigung, die ich nicht mache - damals gegen die Ostverträge gestimmt hat. Herr Voigt, begreifen Sie eines nicht: daß dies in der politischen Auseinandersetzung ein völlig untauglicher Vorwurf ist? Sonst müßten wir Sie ununterbrochen fragen, wer denn gegen die NATO,
({7})
wer denn gegen die Abschaffung des Besatzungsstatuts, wer denn gegen den Einzug nach Europa gestimmt hat.
({8})
Mein Gott, wenn die CDU/CSU nicht alle Grundlagen der Friedenspolitik in Deutschland gelegt hätte, hätten Sie überhaupt keine Chance, Friedenspolitik heute oder morgen zu machen.
({9})
Aber geschenkt, ich möchte mich in diesen Koalitionsstreit nicht allzuweit hineinhängen. Das wird der Herr Außenminister sicher selbst besser machen können, als ich das für Sie besorgen kann.
Ich meine also, daß unsere Außen- und Sicherheitspolitik vor drei ebenso wichtigen wie schwierigen Aufgaben steht:
Die erste und wichtigste Aufgabe ist die Neubelebung des Atlantischen Bündnisses. Vorrangig ist hier die überfällige Einigung über eine westliche Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion. Das ist ja auch das Thema des Aufsatzes des Bundesaußenministers. Dazu gehört vor allem die Einigung über eine gemeinsame, flexible Strategie des Westens auch im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Osten. Nach unserer Meinung, nach Meinung der CDU/CSU, müssen wir zu diesem Zweck eine größere Bandbreite politischer, wirtschaftlicher, finanzieller und technologischer Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten als bisher entwickeln. Das heißt, der Westen muß Optionen für ein möglichst nuanciertes und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel entsprechendes Vorgehen gewinnen.
Wir schlagen daher der Bundesregierung vor, auf dem bevorstehenden Treffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft und dann anschließend auf dem Treffen der NATO - diesem informellen Treffen der Außenminister - die Initiative zu ergreifen, um aus dieser Sackgasse der Meinungsverschiedenheiten im Westen über die Wirtschaftsbeziehungen zum Sowjetblock hinauszufinden. Ein Weg dazu könnte sein, daß man sich auf der Grundlage der Beschlüsse des Versailler Gipfels und des NATO-Gipfels unter anderem über folgende konkrete Maßnahmen verständigt:
Erstens über politisch und wirtschaftlich verantwortbare Handhabung von Krediten und Bürgschaften, insbesondere über die Vergabe von Krediten nur zu Marktbedingungen - ich kann nur dankbar feststellen, daß wir uns in diesem Punkt einig sind; denn das schreiben Sie auch Ihrem Artikel in „Foreign Affairs" -;
zweitens über die weitere Einschränkung des Transfers hochentwickelter Technologien im Rahmen der COCOM-Verhandlungen, insbesondere zuverlässigere Unterbindung der Weitergabe militärisch gebrauchter Technologie;
und schließlich über die Errichtung eines ständigen Informations- und Konsultativorgans über Fragen des Ost-West-Handels im Rahmen der Atlantischen Allianz.
Das wäre nach meinem Dafürhalten ein Weg, auf dem man Europäer und Amerikaner zusammenführen könnte. Das wäre ein Ausweg aus der mißlichen Lage, in die sich das westliche Bündnis hineinmanövriert hat. Denn ich halte es für ein Unglück sondergleichen, daß die Anwendung des Kriegsrechts in Polen und die erschütternden Vorgänge dort nicht den Osten, sondern in erster Linie den Westen gespalten haben.
({10})
Sie haben sicher zugehört, Herr Voigt - so hoffe ich jedenfalls -: Wir von der CDU/CSU wollen keine Konfrontation, auch nicht auf wirtschaftlichem Gebiet, und schon gar keinen Handelskrieg. Wir sind für Wirtschaftsbeziehungen, aber eben auf der Basis der Gegenseitigkeit. Dazu gehört auch eine politisch-militärische Selbstbeschränkung der Sowjetunion. Die UdSSR muß endlich begreifen - wie oft soll man das noch sagen? -: Sie kann nicht beides zugleich haben, ungeschmälerte Hilfe des Westens auf der einen Seite und gewaltsame Machtausbreitung auf Kosten des Westens auf der anderen Seite.
({11}) Das ist doch eine ganz einfache Sache.
Sie sollten auch das Argument aus der Welt schaffen, das ebenfalls zu Ihrer Schablone, zu Ihrem Feindbild gehört, man wolle die Sowjetunion mit wirtschaftlichen Mitteln auf die Knie zwingen. Das ist doch glatter Unfug; das geht auch gar nicht.
({12})
Allerdings gilt auf der anderen Seite auch - und das muß hinzugefügt werden -: Es kann doch nicht die Verpflichtung der Steuerzahler der freien Welt, es kann doch nicht die Verpflichtung des deutschen Arbeiters sein, mit seinen Steuergeldern die systembedingten, katastrophalen und kostspieligen Mängel der kommunistischen Regime zu bezahlen und diese damit vor dem Zwang zur inneren Reform zu bewahren.
({13})
Wir brauchen daher die Kombination von Anreizen auf der einen Seite und angemesseneren Reaktionen bei Verstößen gegen den Grundsatz friedlichen Wettbewerbs auf der anderen Seite. Damit wäre auch bereits ein entscheidender Ansatz zur Neugestaltung unserer Beziehungen zur Sowjetunion geschaffen. Diese Beziehungen zur Sowjetunion - das möchte ich in dieser Debatte auch für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal ausdrücklich festhalten - stehen für die CDU/CSU unter dem Ziel der Zusammenarbeit und - ich wiederhole es - unter stärkerer Betonung der Gegenseitigkeit.
Unser Konzept der aktiven Friedenssicherung ist auf den Abbau von Spannungen, ist auf das Zuschütten von Gräben, ist auf die Überwindung des unseligen Gegensatzes von Ost und West gerichtet. Das, was der Bundeskanzler hier in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat: „Wer sich vertragen will, der braucht Verträge", findet unsere unein7054
geschränkte Zustimmung. Nur - auch das muß gesagt werden, denn das wird von Ihnen nicht mehr gesagt ({14}) müssen solche Verträge auch gehalten werden.
({15})
Die andere Seite - und hier liegen die Mängel Ihrer Politik, nicht im Konzept, sondern in der Ausführung -, d. h. beispielsweise die DDR, muß wissen, daß es sich lohnt, mit uns Verträge zu schließen, daß es sich noch mehr lohnt, Verträge zu halten, daß es sich aber nicht lohnt, sondern daß es empfindliche Nachteile nach sich zieht, wenn man diese Verträge bricht. Darum geht eine Politik mit uns nicht: eine Politik Kasse gegen Hoffnung. Mit uns geht nur eine Politik Kasse gegen Kasse.
({16})
Dabei brauchen Sie uns nicht zu sagen, daß man die Dinge nicht übers Knie brechen kann, daß man schrittweise vorgehen muß, daß man Rückschläge einstecken wird, auch wir. Aber wir wissen dabei - und diese Erkenntnis ist Ihnen weitgehend verlorengegangen -, daß Atmosphäre Substanz nicht ersetzen kann. Was nützt es, wenn Herr Wischnewski die gute Atmosphäre bei den Gesprächen mit Herrn Honecker rühmt, wenn sich in der entscheidenden Sache des Zwangsumtausches nichts bewegt und wenn am selben Abend wieder ein junger Mensch an der Mauer zusammengeschossen wird, der nur von seinem Grundrecht als Mensch Gebrauch machen wollte?! Dann nützt die Betonung der Atmosphäre überhaupt nichts.
Als ich zur Aussprache über die Regierungserklärung herunterkam, war eine halbe Stunde vorher ein Mann aus meinem Wahlkreis bei mir - eigens nach Bonn gefahren -, der seit 1976 ergebnislos versucht, seine Braut herüberzuholen, die inzwischen schwersten Schikanen ausgesetzt ist, und das ist kein Einzelfall, wie wir wissen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: da hat es mich schon eigenartig berührt, daß der Herr Bundeskanzler - ich sage: in geradezu sentimentaler Weise - des 70. Geburtstages von Herrn Honecker gedacht und daran erinnert hat, daß er aus dem Saarland stammt, ohne auszusprechen, daß es dieser selbe Herr Honecker ist, der die Menschen in Erfurt, in Jena, in Leipzig hindert, ins Saarland zu kommen und ihre Landsleute zu besuchen.
({17})
Das muß dann schon dazugesagt werden.
({18})
Denn Herr Honecker gibt Ihnen keine Prämie dafür, daß Sie das verschweigen. Darauf können Sie sich verlassen. Deswegen sage ich: Mehr Menschenrechte, mehr Austausch, mehr Durchlässigkeit für die Deutschen, das ist unser Maßstab, an dem sich auch unser Entgegenkommen gegenüber der DDR mißt.
Die dritte Hauptaufgabe lautet, die materiellen Grundlagen der Friedenssicherung zu befestigen, und das heißt, ausgewogene militärische Kräfteverhältnissse mit dem einzigen Ziel herzustellen, es auch in Zukunft jeder Macht als aussichtslos erscheinen zu lassen, sich von der Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt uns gegenüber irgendeinen Vorteil zu versprechen. Damit ist Friedenspolitik nicht zureichend umschrieben; das brauchen Sie uns nicht zu sagen. Es ist doch auch eines jener Klischees, daß es uns nur auf militärisches Gleichgewicht ankomme. Wir wissen, daß dazu mehr gehört, und ich werde dazu auch noch einiges sagen. Aber militärisches Gleichgewicht, Ausgewogenheit der militärischen Kräfteverhältnisse gehören dazu. Nur so können wir für den Rest des Jahrhunderts wie bisher den Ausbruch eines Krieges in Europa verhindern. Ich sage das dazu: nicht nur den Ausbruch eines atomaren, sondern auch eines konventionellen Krieges, der im übrigen für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland kaum weniger schrecklich wäre.
Ich muß jetzt eines einfach einmal loswerden. Wenn ich mir die aktuelle Friedensdiskussion anschaue, beobachte ich mit steigender Sorge, wie diese Debatte mehr und mehr den Bezug zu den wir-lichen politischen und militärischen Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Sicherheitspolitik verliert. Ich frage manche in der Friedensbewegung, denen ich den redlichen Willen weiß Gott abnehme, ob sie sich darüber im klaren sind, daß die Einseitigkeit, mit der sie unsere Sicherheitsvorkehrungen in Frage stellen, einen ganz handfesten Beitrag dazu leisten kann, daß die Kriegsgefahr in dieser Welt nicht abnimmt, sondern wächst. Das ist jedenfalls unsere Auffassung,
({19})
und wir werden uns nicht scheuen, das deutlich zu machen.
({20})
Diese Friedensdebatte wird meist auf den nuklearen Aspekt beschränkt. Das eigentliche strategische Problem Westeuropas, nämlich die sowjetische konventionelle Offensivfähigkeit in der Region, spielt kaum noch eine Rolle. Dann wird die Entlastungsfunktion nuklearer Abschreckung weitgehend übersehen. Diese nukleare Abschreckung - das muß auch manchmal ausgesprochen werden - erlaubt Verzicht auf entsprechende innen- und außenpolitische Kosten. Verzicht auf Militarisierung der Bundesrepublik Deutschland erlaubt Politik ziviler Prioritäten.
Ich sage Ihnen ganz offen, und vielleicht wird mir der eine oder andere auf Ihrer Seite insgeheim vielleicht sogar zustimmen: Mir wird angst und bange, wenn ich sehe, wie sich die Diskussion ausschließlich auf nukleare Waffen beschränkt. Müssen wir uns nicht die Frage vorlegen, ob es nicht gerade die Angst vor einem Nuklearkrieg war, die den Ausbruch eines Krieges in Europa verhindert hat, die dafür gesorgt hat, daß unsere Menschen vor einem Krieg verschont blieben, während über 140 Kriege in der ganzen Welt stattgefunden haben? Müssen wir uns nicht die Frage vorlegen, ob nicht der Wegfall
nuklearer Waffen den Ausbruch eines konventionellen Krieges wahrscheinlicher machen würde?
Kriegsverhinderung muß darum nach Auffassung der CDU/CSU stets beide Ebenen einbeziehen; denn wir wollen - ich wiederhole es - weder einen atomaren noch einen konventionellen Krieg.
Die beste Gewähr dagegen sind ausgeglichene Kräfteverhältnisse. Wenn es darum geht, wie man diese ausgewogenen Kräfteverhältnisse herstellt, dann gibt es doch gar keinen Zweifel, daß sich darin wiederum alle drei Parteien in diesem Hause einig sind, daß wir es vorziehen, einen solchen Ausgleich auf dem Wege der Abrüstung statt auf dem der Aufrüstung zu suchen.
Wir von der CDU/CSU sind dankbar, daß gegenwärtig auf drei wichtigen Ebenen Abrüstungs- und Rüstungskontrollgespräche zwischen Ost und West stattfinden. Eines muß allerdings klar sein: Unsere Verhandlungspolitik wird um so weniger fähig sein, Beschränkungen sowjetischer Macht durchzusetzen, je stärker wir uns innenpolitisch unter Erfolgszwang setzen und je weniger militärische Verfügungsmasse wir für Abrüstungs- und Rüstungskontrollgespräche übrigbehalten.
Sehen Sie, da setzen unsere Zweifel an, auch an dem, was Sie, Herr Voigt, eben gesagt haben. Das war unsere Kritik an Herrn Ehmke. Unsere Kritik setzte nicht daran an, daß Herr Ehmke nach Moskau gereist ist. Mit Verlaub gesagt: Es gibt sehr viele Politiker der CDU/CSU, die nach Moskau gereist sind, nach Moskau reisen und auch in Zukunft nach Moskau reisen werden. Von uns hat keiner Scheu, mit sowjetischen Politikern in aller Ausführlichkeit und Offenheit zu sprechen.
Übrigens möchte ich, wenn hier von Verhandlung gesprochen wird, doch einmal an Adenauer erinnern, weil er immer ein gutes Beispiel dafür ist, wie man mit der Sowjetunion verhandeln kann. Er fuhr 1955 in die Sowjetunion. Da war die Bundesrepublik Deutschland kaum selbständig. Da war gerade das Besatzungsstatut gefallen. Da waren wir wirtschaftlich schwach. Da hatten wir keine Bundeswehr. Er wußte: Die Sowjets wollen mit uns diplomatische Beziehungen aufnehmen. Da fuhr dieser Mann hinüber.
({21})
- Auch Carlo Schmid war dabei. Sie können es bei Carlo Schmid nachlesen. Ich bin Ihnen für diesen Hinweis sehr dankbar. Seinen Beitrag will ich hier gar nicht unterschlagen.
Aber ein Punkt ist wichtig. Adenauer sagte den Sowjets: Ich will eine Gegenleistung; ich will die deutschen Kriegsgefangenen haben. Als daraufhin die Sowjets sagten: „Die haben wir leider nicht mehr, wir haben bloß Kriegsverbrecher", sagte Adenauer: „Dann haben die Verhandlungen ihren Sinn verloren, dann reise ich ab." Er hat sich eben nicht unter Erfolgszwang setzen lassen.
({22})
Er hat sein Flugzeug startklar machen lassen. Aber
noch ehe das Flugzeug startklar war - auch das
können Sie bei Carlo Schmid nachlesen -, haben die Sowjets entdeckt, daß es noch Kriegsgefangene gab, und Adenauer konnte die Kriegsgefangenen mitnehmen.
Sehen Sie, das beweist zweierlei. Einmal beweist es, daß man mit den Sowjets verhandeln kann, ja, verhandeln muß. Zweitens beweist es aber auch, daß man nur dann eine Erfolgschance hat, wenn man auf festem Boden steht, wenn man weiß, was man will, und wenn man sich nicht fortlaufend selber unter Erfolgszwang setzt.
({23})
Deswegen nehmen wir Anstoß an dem, was Ehmke bei seiner Rückkehr gesagt hat, daß er plötzlich Sympathien für die Null-Plus-Lösung entdeckt hat, die ja letztlich eine sowjetische Position ist.
Auch das, was Sie, Herr Voigt, machen, wird die Abrüstungsverhandlungen - das garantiere ich Ihnen - nicht fördern, sondern in starkem Maße behindern.
({24})
Denn eine Erfahrung haben die Amerikaner, die Deutschen und alle anderen, die mit den Sowjets gesprochen und verhandelt haben, doch machen müssen: Die Sowjets setzen sich hin, sie haben eine klare Position, sie haben eine Maximalposition, die pakken sie auf den Tisch. An dieser Maximalposition halten sie fest. Dann können sie darauf zählen, daß nur fünf oder sechs Monate später unter Garantie die Herren Voigt, Bahr, Brandt, Ehmke und wie sie sonst heißen mögen, Bewegung fordern, und zwar Bewegung nicht auf der anderen, sondern auf unserer Seite. Das heißt, daß dann sofort wieder dem westlichen Bündnis in den Rücken gefallen wird.
Glauben Sie doch nicht, daß die Sowjets das nicht merken! Warum sollen die Sowjets dann Konzessionen machen, wenn sie wissen, daß sie das Ganze, wenn es nach ihnen geht, ohne eine Gegenleistung kriegen. Das ist doch die Mechanik!
({25})
Herr Ehmke hat draußen - das hat er jetzt wieder gemacht, als er mit Ihnen abgerechnet hat, Herr Genscher; das wird inzwischen offensichtlich die Praxis - in einem Aufwasch das Kapitel CDU/CSU gleich mit erledigt und wiederholt, was er hier im Bundestag - leider in meiner Abwesenheit - gesagt hat. Ich zitiere aus der Presse:
Als Beispiel verwies Ehmke auf Kommentare der CDU zu den Genfer Abrüstungsverhandlungen. Darin werde unter Berufung auf Genscher behauptet, daß der Westen mit den Sowjets nach dem Motto verhandeln solle: Friß, Vogel, oder stirb. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen die Null-Lösung, und wenn wir sie nicht erreichen, rüsten wir auf.
Also, Herr Ehmke, daß Sie im Erfinden von Tatsachen ein Meister sind,
({26})
war mir schon klar. Aber daß Sie in einer so vitalen Frage an einer falschen Stelle ansetzen und gar nicht merken, was Sie damit tun, nämlich daß Sie Ihre eigene Politik unterlaufen, läßt mich an einigem anderen als nur an Ihrer politischen Weisheit zweifeln. Denn nehmen Sie zur Kenntnis: Die CDU/ CSU stützt die Null-Lösung. Wir sind ja noch die einzigen - von dem Außenminister und großen Teil der FDP, abgesehen -, die diese Position geschlossen und aus Überzeugung unterstützen.
({27})
Aber es ist nicht wahr, daß wir sagen: Vogel, friß oder stirb! Verhandeln heißt, sich aufeinander zubewegen - das wissen wir auch -, heißt Kompromisse schließen.
Deswegen nehmen Sie zur Kenntnis: Wir sagen j a zur Bewegung in den Verhandlungen - aber bitte auf beiden Seiten! Der Unterschied zwischen uns liegt dort, wo Sie außerhalb der Verhandlungen einseitig Positionen preisgeben, während wir der Meinung sind, daß in Verhandlungen um ein beiderseitiges Nachgeben gerungen und auf eine faire und für die Sicherheit beider Seiten erträgliche Lösung hingearbeitet werden muß. Das ist die Position der CDU/CSU. Sie können keine einzige Äußerung von uns zitieren, in der das anders gewesen ist.
({28})
Bei der Gelegenheit, meine Damen und Herren, eine ganz interessante Geschichte: Da hat die Bundesregierung Positionen in Abrüstungsverhandlungen; da hat das Bündnis Verhandlungen aufgenommen, nach mühsam erreichter Übereinstimmung im westlichen Bündnis; da stützt die Opposition, die CDU/CSU, diese Vorstellungen, und zwar nicht nur nach innen, sondern - im Unterschied zu manchem SPD-Politiker - auch nach außen;
({29})
da lassen wir uns draußen - Herr Mertes hat jetzt gerade ein Beispiel in Bitburg erlebt - für die Politik der Bundesregierung, weil es die Politik des Bündnisses in diesem Punkte ist, prügeln - und wer tritt uns da entgegen, öffentlich? Führende Politiker der SPD!
({30})
Das ist paradox und - noch schlimmer - macht Ihre Politik so unglaubwürdig.
({31})
Unerträglich wird diese Situation dann, wenn derselbe Bundeskanzler - das muß ich noch los werden, wenngleich er diese Verhandlungen über sein Budget inzwischen mit Abwesenheit straft;
({32})
deswegen sage ich es in Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers zum Herrn Bundeskanzler -, für dessen Politik wir uns draußen in diesem Punkt prügeln lassen, uns dafür als außenpolitische Abenteurer oder als Sicherheitsrisiko brandmarkt, wie das jetzt wieder im hessischen Wahlkampf geschieht.
({33})
Die Tatsachen allerdings - das ist der Punkt, Herr Genscher, an dem Sie inzwischen in dieser Koalition angelangt sind - sprechen eine ganz andere Sprache. Die SPD nimmt - zum Teil offen, zum Teil versteckt - Abschied von der Politik des Bündnisses und der Regierung. Prügeln Sie dafür nicht den Bundesaußenminister, prügeln Sie dafür nicht CDU/ CSU, sondern fassen Sie sich an die eigene Nase und geben Sie das, was hier passiert, endlich zu!
({34})
Dem Herrn Bundeskanzler kann ich nur raten: Es wäre für ihn wesentlich besser und im übrigen auch lohnender, wenn er sich gegen die Doppelzüngigkeit seiner eigener Parteifreunde zu wehren wüßte, als sich mit der CDU/CSU zu beschäftigen und ihr mangelnde Friedensfähigkeit zu unterstellen.
({35})
Allerdings muß Friedenspolitik - das möchte ich zum Schluß noch herausstellen -, wenn sie seriös sein will, von der Welt ausgehen, wie sie ist. Daher können wir und wollen wir auf Verteidigung unserer Freiheit nicht verzichten - gerade um des Friedens willen.
Eines aber muß gesagt werden: Die Lage unserer Verteidigung ist in den letzten Jahren immer unbefriedigender geworden. Die konventionelle Übermacht des Warschauer Pakts hat zugenommen. Dadurch wäre die NATO in Mitteleuropa sehr früh - wir meinen, zu früh - zum Einsatz nuklearer Waffen gezwungen. Das ist doppelt unerträglich. Zum einen schwächt es die Chance wirksamer Verteidigung, zum anderen untergräbt es die Glaubwürdigkeit der Abschreckung. Daher müssen wir nach Wegen suchen, die uns aus dem Zwang zum frühen Einsatz von Nuklearwaffen schrittweise befreien. In dieser Hinsicht stimme ich mit dem, was Herr Möllemann gesagt hat, voll überein. Dies geht nur auf dem Weg über die Verstärkung der konventionellen Verteidigung unter Ausnutzung der Möglichkeit moderner Waffentechnologie.
Eine rein konventionelle Verteidigung bleibt auf absehbare Zeit allerdings eine Utopie. Zu einer realistischen Friedenspolitik gehört die Erkenntnis, daß auf absehbare Zeit zur Verhinderung von - nuklearen wie konventionellen - Kriegen auch auf nukleare Abschreckung nicht verzichtet werden kann. In diesem Zusammenhang sage ich jenen - insbesondere den jungen Leuten, aber auch den anderen, die betroffen sind -, die uns nicht nur auf den Kirchentagen, sondern auch auf den Straßen und in unseren Versammlungen sicher mit Recht wieder und wieder fragen, ob wir denn vor dem nuklearen Verhängnis kapitulieren und uns ergeben, mit dieser schicksalhaften Verstrickung abfinden müssen, ob es denn keinen Weg gebe, sich aus dieser schlimmen Situation herauszulösen, daß in dieser Welt immer
mehr und immer schrecklichere Waffen aufgehäuft werden: Das ist ein Problem, das nicht nur sie drückt. Das ist ein Problem, das jeden nachdenklichen Politiker in diesem Hause und jeden, der mit diesen Fragen umgeht, pausenlos beschäftigt.
({36})
Ich sage als ein Politiker der CDU/CSU: Wir als CDU/CSU meinen, daß man vor diesem nuklearen Verhängnis nicht kapitulieren muß. Wir glauben, es gibt einen Ausweg aus diesem Verhängnis. Wir meinen, daß man sich mit dieser Landschaft der Abschreckung, so wie sie ist, nicht zufriedengeben darf.
Es gibt nur einen einzigen realistischen Weg - ich glaube, es gibt kaum einen, der nach längerem Nachdenken nicht zur selben Überzeugung kommt -, und dieser Weg führt über beiderseitige kontrollierte und gleichgewichtige Abrüstung. Diesen Weg zu gehen, sind wir fest entschlossen: den Weg gleichgewichtiger Abrüstung. Das wollen wir mit Leidenschaft.
Allerdings sei eines hinzugefügt - ich zitiere jetzt Kissinger -: Die Sehnsucht der Demokratien nach Frieden darf nicht zu einer Erpressungswaffe in der Hand der Rücksichtslosesten werden.
({37})
Deswegen sind wir gegen einseitige Abrüstung. Sie führt, wie die geschichtlichen Erfahrungen - denken Sie an Falkland, denken Sie an Afghanistan - bis in unsere Tage hinein beweisen, nicht zum Frieden; sie führt zum Krieg. Auch ein Einfrieren der Nuklearwaffen macht den Frieden nicht sicherer. Wir wollen diese Waffen nicht einfrieren; wir wollen sie schrittweise abbauen.
Eine letzte Überlegung: Der Schlüssel zum Ausweg aus dem Dilemma liegt letztlich nicht im militärischen Bereich; er liegt letztlich im politischen Bereich. Denn Waffen sind nicht die Ursache, Waffen sind der Spiegel, die Folge von politischen Spannungen. Darum müssen wir alles daransetzen, die politischen Spannungen dieser Welt schrittweise zu lösen. Deshalb müssen wir eine politische Friedensordnung aufbauen, die auf Gegenseitigkeit, auf Zusammenarbeit, auf friedliche Konfliktregelung ausgeht. Wir dürfen uns da nicht entmutigen lassen.
Das ist ein schwerer Weg. Das ist ein Weg, den man nur gehen kann, wenn man fest im westlichen Bündnis und fest auf der Grundlage einer stabilen Verteidigungsgemeinschaft verankert bleibt, wenn die Amerikaner, die Briten, die Franzosen hierbleiben, wenn die Bundeswehr intakt bleibt, wenn klar ist, daß militärische Macht gegen uns keinen Sinn hat. Dann und nur dann wird es aussichtsreich sein, auch im politischen Bereich diese Friedensordnung aufzubauen, wenn es uns gelingt, den sowjetischen Politikern deutlich zu machen, daß es keinen Sinn hat, auf militärische Macht und Gewalt zu setzen. Denn auch bei denen fängt es an knapp zu werden. Dann muß ihnen klar sein: wir wollen zusammenarbeiten. Sie haben die Chance zur Zusammenarbeit. Aber das bedeutet Verzicht auf die Vernichtung des anderen. Das bedeutet Verzicht auf die Aufrüstung.
Dazu muß ein anderes passieren, und das macht so sichtbar, daß es Frieden ohne Freiheit nicht gibt. Warum haben wir uns mit den Franzosen versöhnt, die einmal, wie ich es noch in der Schule habe lernen müssen, unsere Erbfeinde gewesen sein sollen? Warum haben wir uns mit ihnen versöhnt? Weil es gelungen ist, die Menschen zusammenzuführen, die jungen Deutschen und die jungen Franzosen. Warum soll es nicht möglich sein, die jungen Deutschen und die jungen Russen oder auch nur die jungen Deutschen in allen Teilen Deutschlands zusammenzuführen? An uns scheitert das nicht.
Aber wenn man von Friedenspolitik redet, dann muß man eines wissen. Friedenspolitik geht nur, wenn man die Barrieren zwischen den Menschen niederreißt, wenn man Mauern durchlässiger macht.
({38})
Das ist das Hauptstück der Friedenspolitik.
Deswegen gehört - das ist mein letztes Wort - zur Friedenspolitik auch: nicht nationalistische Überheblichkeit,
({39})
aber das Wissen darum, daß die deutsche Nation ihren Beitrag zum Frieden auch für die Sowjetunion um vieles wirksamer wird leisten können, wenn man ihr wieder das ihr zustehende Selbstbestimmungsrecht einräumt und wenn man ihr die nationale Einheit im europäischen Rahmen wiedergibt.
({40})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, indem ich mich an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion wende, zu einigen Erklärungen des heutigen Tages nicht Stellung nehmen. Zu Fragen, die Sie mir stellen, verweise ich auf das, was ich vor dem Deutschen Bundestag vor einer Woche gesagt habe. Dazu stehe ich.
({0})
Soweit Kollegen der SPD es für richtig gehalten haben, im Zusammenhang mit einem Artikel, den ich als Teil des europäisch-atlantischen Dialogs in Foreign Affairs veröffentlicht habe, im hessischen Wahlkampf als Beginn einer konzertierten Aktion zu sprechen und dahinter Vermutungen zu setzen bis hin zur Veränderung der außenpolitischen Linien der Regierung und dann zu sagen, darunter könnte die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik leiden, meine Damen und Herren, dazu sage ich Ihnen eines: Wenn Sie besorgt sind um die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik, dann sollten Sie folgende Grundsätze beachten.
Erstens. Machen Sie nicht die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zum Gegenstand Ihrer Landtagswahlkämpfe!
({1})
Zweitens. Hören Sie damit auf, Friedenswillen und Friedensfähigkeit anderer demokratischer Parteien zu bestreiten!
({2})
Drittens. Bekennen Sie sich eindeutig zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Hier sind in besonderer Weise Zweideutigkeiten zu vermeiden.
({3})
Am 10. Juni 1982 hat der Bonner Gipfel des westlichen Bündnisses in seiner Bonner Deklaration gesagt:
Unser Ziel ist es, Krieg zu verhindern und unter Wahrung der Demokratie die Grundlagen für dauerhaften Frieden zu schaffen.
Die Erklärung fährt fort mit dem bedeutsamen Satz:
Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Das ist unser Beitrag zur Friedenssicherung in der Welt. Dieses Bekenntnis schließt den Verzicht auf den Ersteinsatz sowohl von Nuklearwaffen wie von konventionellen Waffen - von beidem - ein.
({4})
Wir wollen den nuklearen Krieg verhindern, aber nicht nur ihn, den konventionellen genauso. Hüten wir uns davor, daß eine Stimmung entsteht, in der man glaubt, der konventionelle Krieg sei nur eine Fortsetzung dessen - das wäre schon schlimm genug -, was im Zweiten Weltkrieg war. Ein konventioneller Krieg unter den technischen Verhältnissen von heute hätte ein Vielfaches an Vernichtungskraft und Zerstörungskraft dessen, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist.
Deutsche Außenpolitik und deutsche Sicherheitspolitik finden ihre Grundlage im westlichen Bündnis, dem wir in Wertgemeinschaft angehören.
Wir wollen - das ist der nächste Grundsatz unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik - unsere Zukunft gestalten in der Gemeinschaft der europäischen Demokratien, in der Europäischen Gemeinschaft, für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine gemeinsame Außenpolitik und, wie wir hoffen, bald auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik und kulturelle Zusammenarbeit. Dabei wissen wir, daß diese europäische Einigung nicht ohne die enge Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen möglich ist.
Wir bekennen uns zur Vertragspolitik mit den Staaten des Ostens; wir bekennen uns zur Politik gegenüber der DDR auf der Grundlage des Grundlagenvertrages. Für uns sind Entspannungspolitik und Politik des Ausgleichs keine Episode deutscher
Außenpolitik, sondern langfristig angelegte Politik der Sicherung des Friedens in Europa.
({5})
Unser Ziel ist es, eine europäische Friedensordnung zu schaffen, in der durch die Verbindung der politischen und wirtschaftlichen Interessen eine Vertrauensgrundlage zusammen mit Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen entstehen mag, die es uns möglich machen wird, aus dem Nicht-Krieg durch Abschreckung zu dem Frieden durch Vertrauen überzugehen. Das muß das große Ziel sein. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen.
Deutschlandpolitik kann deshalb immer auch nur europäische Friedenspolitik sein. Deshalb bekennen wir uns in diesem Sinne auch zum Brief zur deutschen Einheit.
Für uns sind Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Abrüstung, nicht einseitige, sondern ausgewogene Abrüstung und Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau. Dafür verhandeln wir; darum ringen wir in Wien bei den MBFR-Verhandlungen. Dafür sind wir beteiligt an der Ausarbeitung und Durchführung des Verhandlungsmandats für die Verhandlungen über Mittelstreckenraketen. Hier bin ich ganz fest überzeugt, daß das Bestehen auf der NullLösung, auf dem beiderseitigen Verzicht auf Mittelstreckenraketen, nicht eine Position des „Alles-oderNichts" ist. Wäre sie das, hätte die Bundesregierung sie j a nicht vorgeschlagen.
({6})
Das Bestehen auf dem Verzicht auf beiden Seiten soll erstmalig möglich machen, daß in einem wichtigen Bereich der Vernichtungsmittel wirkliche Abrüstung, völlige Abrüstung stattfindet, damit wir von dort aus Schritt für Schritt in andere Bereiche der Rüstung im gleichen Sinn weitergehen können.
Der Verzicht auf die Null-Lösung darf ganz gewiß auch nicht verstanden werden als Bekenntnis zu einseitiger Null-Lösung auf seiten des Westens und Akzeptanz der Raketenbedrohung aus dem Osten. Das muß klar sein.
({7})
Wir unterstützen die Verhandlungen der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion über die Herabsetzung der interkontinentalen strategischen Waffen. Wir beteiligen uns an den Abrüstungsverhandlungen in der UNO. Wir wollen, daß bei der KSZE-Folgekonferenz in Madrid eine europäische Abrüstungskonferenz eingesetzt werden kann, damit durch vertrauensbildende Maßnahmen j ene Vertrauensgrundlage geschaffen werden kann, die wir brauchen.
Wir lassen schließlich keinen Zweifel daran, daß Teil unserer Friedenspolitik weltweit der Beitrag zum Abbau von Konflikten ist, das Bekenntnis zur Blockfreiheit und unser Bemühen um Überwindung des Nord-Süd-Gegensatzes. Für uns ist Entwicklungspolitik nicht nur eine Politik der Humanität - das halte ich für selbstverständlich -; für uns ist Entwicklungspolitik weltweite Friedenspolitik.
Meine Damen und Herren, das ist die Grundlage der Außen- und Sicherheitspolitik, die wir gemeinsam verantworten. Ich habe sie in meinem Artikel in „Foreign Affairs" noch einmal dargelegt. Wer daran Kritik zu üben hat, mag sagen, an welcher Stelle das geschehen soll. Ich denke, daß ein uneingeschränktes Bekenntnis zur gemeinsamen Politik der beste Beitrag ist zur Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. - Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Wörner gesagt hat, auch zu dem, was der Herr Außenminister hier gesagt hat.
Zunächst, Kollege Wörner: Wenn Sie die Rede, die Sie heute gehalten haben, zu Beginn der Entspannungspolitik gehalten hätten, wären Sie, glaube ich, nicht bei jedem Schritt der Entspannungspolitik, den wir getan haben, zu einem negativem Votum gekommen.
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Meine zweite Äußerung, Herr Wörner: Ich wäre froh, wenn alle immer so sprächen, wie Sie heute sprechen. Der Kollege Voigt hat gestern gerade ein Papier über die Äußerungen des Kollegen Dregger aus der letzten Zeit vorgelegt, das ich Ihrem Studium empfehle. Es ist unvereinbar mit dem, was Sie hier heute gesagt haben.
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Herr Wörner, ich stimme Ihnen in einem zu und spreche da auch den Bundesaußenminister an: Ich bin der Meinung, man sollte die Krise der Koalition, in der wir ja sind; wir haben gestern schon darüber gesprochen - ({2})
- Darf ich weiterreden? Ich bin der Meinung, wir sollten gerade auf außenpolitischem Gebiet - da gibt es nicht nur Übereinstimmung mit dem Außenminister, sondern auch Berührungspunkte zu Herrn Wörner - festmachen, daß wir, wie immer diese Krise am Ende gelöst wird, nicht das Ziel aus dem Auge verlieren, das der Außenminister und der Kanzler viele Jahre lang angestrebt haben: wenn es geht, eine Außenpolitik auf möglichst breiter Basis zu machen. Dieses Ziel sollte dabei nicht aus dem Auge verloren werden.
Wenn ich jetzt zum Außenminister komme, muß ich zunnächst sagen: Ich lege großen Wert darauf, in dieser Krise nicht persönliche Beziehungen kaputtgehen zu lassen. Herr Außenminister, ich habe gesehen, daß ein Teil der Presse berichtet hat, ich hätte Sie persönlich angegriffen. Das ist nicht der Fall. Zur sachlichen Position sage ich gleich etwas. Aber ich möchte durch diese schwierige Situation so kommen, daß wir beide auch weiterhin miteinander so reden - wie immer der Ausgang aussehen wird -, wie wir das viele Jahre getan haben.
Ich bitte Sie allerdings um Verständnis für folgendes - ich habe das schon am Donnerstag gesagt -: Man kann nicht so tun, als ob die Außen- und Friedenspolitik, die wir gemeinsam tragen - ich habe Ihren Ausführungen am Donnerstag ja zugestimmt -, nicht Schaden nimmt durch die Tatsache, daß im Ausland der Eindruck entsteht, die Regierung sei handlungsunfähig. Das kann man nicht voneinander trennen, Herr Möllemann.
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Vielmehr muß man sich auch operativ zu dieser Politik bekennen, d. h. die Krise muß gelöst werden.
Das zweite, was ich sagen will, ist: Ich verstehe nicht ganz, Herr Kollege Genscher, daß nun in Landtagswahlkämpfen die Außenpolitik keine Rolle spielen soll; denn natürlich ist über den Bundesrat eine Einwirkung der Landesregierungen auf die Außenpolitik möglich. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn ich das lese, was Freie Demokraten zwölf Jahre lang über den Kollegen Dregger gesagt haben, bis in den Juni dieses Jahres hinein - sogar der Vorsitzende der Freien Demokraten in Hessen -, daß gerade Herr Dregger wegen seiner außenpolitischen Linie ein Mann sei, mit dem man schon deswegen nicht zusammengehen könne - Sie kennen die Zitate so gut wie ich -, dann müssen Sie sich nicht wundern, daß die SPD bei dem plötzlichen Schwenk der FDP - nun sagt sie, dieser Mann solle Ministerpräsident werden - Zweifel kriegt, ob es mit der Fortführung der bisherigen Außenpolitik ernst gemeint ist. Das kann man wohl keinem übelnehmen.
({4}) Nichts anderes ist gesagt worden.
Dann wollte ich mich beim Kollegen Wörner und beim Bundesaußenminister sehr herzlich für eine Klarstellung bedanken, die ich für wesentlich halte und um die ich am letzten Donnerstag gebeten hatte, die ich aber damals nicht bekommen habe. Vielleicht deswegen, Herr Wörner, weil Sie verhindert waren. Ich hatte am Donnerstag dargestellt, welche Stellungnahmen der CDU/CSU es unter Berufung auf den Außenminister zu den Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenraketen gibt. Ich habe dann gesagt: Ich finde das nicht gut; hier entsteht der Eindruck, als ob wir sagen: Dies ist unsere Ausgangsposition; entweder wird die geschluckt, oder es gibt gar nichts. Ich hatte um Interpretation, um Stellungnahmen von beiden Seiten gebeten.
Das ist heute erfolgt. Herr Kollege Wörner hat gesagt: Natürlich muß man sich aufeinander zubewegen, natürlich wollen wir Kompromisse schließen.
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- So, wie das draußen ankam, war es nicht selbstverständlich, zumal nicht im Lichte einer amerikanischen Auseinandersetzung, in der der rechte Flügel der Reagan-Leute nun selbst Männer wie Rostow und Nitze seit Tagen angreift. Entschuldigen Sie bitte, man muß j a wohl die Situation sehen.
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- Das haben Sie kritisiert. Darin sind wir einig. - Ich bedanke mich also beim Kollegen Wörner für die Klarstellung, um die ich Donnerstag gebeten hatte. Ich bedanke mich auch beim Außenminister für die Klarstellung. Die Sache ist für mich ausgeräumt. Kein Mensch in diesem Haus vertritt also die Meinung, in Genf könne bei den Verhandlungen der Grundsatz gelten: Entweder ihr akzeptiert unsere Position, oder es gibt gar nichts. Vielmehr soll verhandelt werden. Diese Klarstellung finde ich gerade in dieser Situation - ich verweise auf das, was ich eingangs gesagt habe - wichtig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Herr Kollege Wörner, wenn ich vielleicht noch einen Satz anfügen darf - es ist an sich mein letzter -: Sie haben gesagt, wir hätten uns einseitig geäußert. Herr Kollege Wörner, ich habe am Donnerstag vor dem Bundestag gesagt, ich hätte der sowjetischen Seite klargemacht, daß ihre Position in Genf für uns unannehmbar ist. Auf die Frage, was passiere, wenn die Sowjetunion bei ihrer Position bliebe, habe ich geantwortet, daß die Europäer dann nach meinem Urteil mit der Stationierung der amerikanischen Waffen beginnen werden. Klarer kann es wohl nicht sein. Sie waren Donnerstag nicht da. Ich wäre dankbar, wenn Sie das Protokoll nachläsen. Dann werden Sie sehen, daß es keinen Grund gibt, einen Vorwurf der Einseitigkeit zu erheben.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Sicher.
Herr Ehmke, nach all dem, was Sie gesagt haben, frage ich Sie: Halten Sie es für anständig, eine Behauptung aufzustellen, die aus dieser Studie nicht hergeleitet werden kann, wie Sie wissen, da sie Ihnen vorliegt, und dann ein Dementi zu erwarten, und halten Sie es für ein ideales Instrument der Auseinandersetzung, wenn Sie das zusammen mit Herrn Voigt im hessischen Wahlkampf wieder und wieder bringen, nun aber in dieser sehr netten Weise einlenken?
Herr Wörner, verschieben Sie hier bitte die Positionen nicht! Ich bin aus Moskau zurückgekommen, und Sie haben mir erst einmal gesagt, ich hätte da wieder Liebedienerei gemacht. Darüber habe ich mich - ({0})
- Dann haben Sie einen anderen Ausdruck gebraucht: „Er macht da gut Wetter". Darüber habe ich mich am Donnerstag schon geäußert. Das war sehr deplaziert.
Doch nun zur Sache! Das gilt übrigens auch für einen Satz in Ihrem interessanten Manuskript, Herr Kollege Möllemann. Dazu ist auf Grund eines CDU-Papiers - das von Herrn Möllemann war noch nicht da - gesagt worden, die CDU sei insoweit einer Meinung mit dem Außenminister, während der Bundeskanzler mit dem amerikanischen Außenminister etwas anderes besprochen habe, nämlich daß es in Genf nicht heißen kann „alles oder nichts". Das ist auf Grund Ihres Papiers in der Presse behandelt worden. Aber ich sage noch einmal: Ich halte Ihre heutige Klarstellung für wesentlich, bedanke mich dafür und bitte - wie immer hier in den nächsten Wochen eine Lösung der Lähmung gefunden werden kann - noch einmal darum, daß wir versuchen, so viel außenpolitische Gemeinsamkeit zu erhalten, wie es nur irgend möglich ist. - Schönen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1920 - Haushaltsgesetz 1983 - und den Finanzplan des Bundes 1982 bis 1986 - Drucksache 9/1921- an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Freitag, den 17. September 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.