Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Am 12. September 1982 hat Frau Abgeordnete Benedix-Engler ihren 60. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch!
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Der Abgeordnete Dr. Jentsch ({1}) hat am 8. September 1982 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 13. September 1982 der Abgeordnete Dr. Becker ({2}) die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen, der uns kein Fremder ist, wieder herzlich in unserem Hause und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 5 der Tagesordnung, erste Beratung des Entwurfs eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Auf der Diplomatentribüne haben Mitglieder der koreanischen Nationalversammlung der Republik Korea Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen.
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Nach Gesprächen im Deutschen Bundestag und mit Mitgliedern der Bundesregierung wird die Delegation noch heute nach Berlin fliegen, um sich über die Situation des geteilten Deutschlands und Berlins zu informieren.
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Ich wünsche der Delegation, daß Sie als Politiker aus einem ebenfalls geteilten Land hier einen angenehmen Aufenthalt haben und reiche Erfahrungen sammeln können.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans
für das Haushaltsjahr 1983 ({6})
- Drucksache 9/1920 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986
- Drucksache 9/1921 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort zur Einbringung hat der Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung bringt diesen Haushaltsentwurf zu einer Zeit ein, in der die weltweite Wirtschaftskrise seit nunmehr zwei Jahren anhält. Die erfreulichen Fortschritte, die wir seit einem Jahr zu Hause bei der Inflationsbekämpfung, der Begrenzung des Anstiegs der Produktionskosten, in der Leistungsbilanzentwicklung und auch - in geringerem Ausmaß - bei der Senkung des Zinsniveaus gemacht haben, können die Folgen dieser allgemeinen weltwirtschaftlichen Schwäche nicht überdecken. Die zunächst positive Entwicklung unserer Exporte hat sich so nicht fortgesetzt. In fast allen Industriestaaten herrscht wirtschaftlicher Stillstand, verbunden mit schwierigen, zum Teil schwierigsten sozialen Verwerfungen. Die Leistungsbilanzüberschüsse der OPEC sind deutlich zurückgegangen; damit läßt auch ihre Importkraft nach. Die meisten übrigen Entwicklungsländer und auch eine Reihe von Industriestaaten kämpfen mit den Folgen einer in den letzten Jahren rapide sich auftürmenden Auslandsverschuldung. Viele Länder müssen ihre Importe senken, um die Folgen der Auslandsverschuldung zu bewältigen. Das weltweit hohe Zinsniveau dämpft nicht nur die Investitionen, es verschärft auch die Auslandsverschuldung und die Leistungsbilanzprobleme in weiten Teilen der Welt.
Wir können aus diesen Gründen deshalb diesmal nicht damit rechnen, daß der Export die alleinige
Triebkraft der Wiederbelebung ist. Für die Bundesrepublik ist dies eine historisch neue Erfahrung. Die Konjunkturmuster der Vergangenheit scheinen nicht mehr anwendbar. Deshalb kommt diesmal den inländischen Auftriebskräften eine deutlich größere Bedeutung zu.
Dies, meine Damen und Herren, vergrößert noch die Verantwortung der Finanzpolitik. Einerseits müssen wir durch glaubwürdige und ausgewogene Konsolidierung die Kapitalmärkte entlasten und zu sinkenden Zinsen beitragen, andererseits aber müssen wir die direkten und auch die indirekten Nachfragewirkungen der Finanzpolitik besonders sorgfältig im Auge behalten; denn die Schwungkraft der Auslandsnachfrage wird uns nicht ausreichend helfen. Im Gegenteil, die Gefahr einer sich gegenseitig aufschaukelnden weltweiten Krise bleibt groß, wenn es auch in den USA endlich erste Anzeichen für einen Wirtschaftsaufschwung gibt.
Wenn ich auf die grundlegend veränderten internationalen Bedingungen hinweise, so hat das nichts mit Wegschieben von Verantwortung für unsere Wirtschaftsentwicklung zu tun. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir nie machen. Im Gegenteil, unsere Verantwortung wird größer, wenn die aus der Weltwirtschaft wirkenden negativen Einflüsse an Gewicht gewinnen.
Trotzdem, wer die fast unlösbaren Probleme in anderen Ländern kennt, auch in vielen wichtigen und uns sonst sehr verwandten Partnerstaaten, wird manche Diskussion bei uns als wehleidig und provinziell empfinden müssen.
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Der Deutschland-Korrespondent der „Financial Times", Jonathan Carr, schrieb kürzlich zu der Stimmung bei uns:
Die Deutschen sind traditionell eingebildete Kranke, für die Gesundheit nicht so sehr ein Zustand ist, den man genießen kann, als ein Zustand, der der Krankheit vorausgeht. Dies gilt für persönliche wie für ökonomische Fragen.
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Die deutsche Wirtschaftspolitik allein hat auf weltwirtschaftliche Probleme nur einen sehr beschränkten Einfluß: Gerade im Vergleich mit anderen Ländern wird das Spannungsverhältnis zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Einflüssen deutlich. Und das heißt: Wer jetzt nicht alle binnenwirtschaftlichen Möglichkeiten ausschöpft, um die Zinsen zu senken, die Investitionen zu steigern und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen, der handelt verantwortungslos.
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Wer aber, meine Damen und Herren, den großen Einfluß der internationalen Entwicklung auf uns leugnet, der redet an den Gegebenheiten vorbei.
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Es ist nur zu verständlich, daß die innenpolitische Diskussion der letzten Wochen und Monate von den Themen Arbeitslosigkeit, Zinsen und Haushaltsentwicklung bestimmt wird. Eine öffentliche Diskussion dieser Fragen ist nicht nur richtig, sondern notwendig. Aber ohne die präzise Einbettung in die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben solche Diskussionen unergiebig und unter Niveau.
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Es ist nach meiner Meinung auch nicht ausreichend, die weltwirtschaftliche Krise lediglich als Summe nationaler Fehlentwicklungen zu beschreiben.
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Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Finanzmärkte um Landesgrenzen ebensowenig scheren wie multinationale Unternehmen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß es im industriellen Westen vom objektiven Gewicht her eine eindeutige Führungsmacht gibt, nämlich die USA. Und das hat Wirkungen und Konsequenzen.
Natürlich ist es richtig, daß wir Einnahmen und Ausgaben im Lot halten müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Das ist aber kein Exklusivthema für Minister, Abgeordnete und Bonner Journalisten. Es geht jeden Bürger an. Wenn der Staat seine Ausgaben kürzt oder wenn der Staat Steuervorteile abbaut, belastet das immer auch die Bürger.
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Maßnahmen, die niemandem weh tun, meine Damen und Herren, gibt es nicht. Die Frage ist dann also: Welche Gruppen sollen belastet werden, mit welchen Maßnahmen und in welchem Umfang? Wenn diese Fragen keine breite öffentliche Diskussion auslösen, welche Probleme dann sonst?
Die Art der öffentlichen Diskussion allerdings hat aber nach meinem Empfinden nur vereinzelt ein wirklich angemessenes Niveau gefunden. Vordergründige Sensationssuche hat bis in diese Tage hinein die Szene beherrscht.
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Können die Akteure sich zusammenraufen? Wann sollen die Entscheidungen fallen? In der letzten Oktoberhälfte oder erst Mitte November? Wer setzt sich durch, wer bleibt auf der Strecke?
Daneben dann hauptberufliche Interessenvertreter aller Farben - auch wieder bis ins letzte Wochenende hinein -, die ihre Pflichtübungen nach dem Sankt-Florians-Prinzip absolvieren:
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Sparen ja, aber nicht bei uns. Spart bei den anderen! - Derartige Positionen helfen nicht weiter.
Die Probleme, um die es geht, sind gewiß besorgniserregend. Vor allem ist die Zahl der Arbeitslosen eine schwere Hypothek und Herausforderung zugleich.
Aber stehen wir deshalb an der Schwelle zum Abgrund?
Viele ausländische Besucher finden bei uns trotz aller Probleme einen bewundernswerten Wohlstand und fragen verwirrt, von welchem Land denn da so Fürchterliches berichtet wird.
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Die schwierige Lage, die zuzugeben ist, wird in unserem Land in der öffentlichen Diskussion zusätzlich verzeichnet.
Es ist deshalb Zeit, sich auf die Realitäten zu besinnen. Wo stehen wir heute im historischen Vergleich? Wo stehen wir international? Welche Probleme haben wir bewältigt, und welche Probleme liegen noch vor uns?
Lassen Sie mich an die Ausführungen von Hans Matthöfer am 22. Januar 1982 bei der Abschlußberatung des Bundeshaushalts 1982 anknüpfen. An Hand einer Reihe von Beispielen hat er eindrucksvoll belegt, in welchem Umfang sich der Lebensstandard unserer Bevölkerung erhöht hat:
Von 1965 bis 1980 hat sich der Nettoverdienst eines Arbeitnehmers fast verdreifacht. Das bedeutet eine reale Verbesserung um mehr als die Hälfte.
Der Arbeitslose kann sich heute mit rund zwei Dritteln des letzten Nettoeinkommens mehr leisten als sein beschäftigter Kollege 1965. Diese weitgehende Beseitigung materieller Not sollte jedoch nicht ablenken von verbleibender schwerer Belastung, die die Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Wir haben heute 8 1/2 Millionen Wohnungen mehr als Mitte der 60er Jahre. Die Wohnflächen sind um ein Fünftel größer als damals.
Wir leisten uns mehr und besseren Urlaub. 1965 haben deutsche Touristen im Ausland 5,3 Milliarden DM ausgegeben; 1982 wächst dieser Betrag auf das Achtfache.
Verbessert wurden aber nicht nur Rechte und Wohlstand des einzelnen. Verbessert wurde auch das Angebot an Gütern und Diensten, das der Staat für die Bürger bereithält:
Unsere Städte und Dörfer sind attraktiver geworden.
Wir haben seit Mitte der 60er Jahre unser Verkehrssystem wesentlich ausgebaut.
Ich erinnere an die Studentenförderung, um nur ein besonders aktuelles Beispiel aus der augenblicklichen Diskussion zu nennen.
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- Ach, die anderen Zahlen bringt ja dann schon Herr Häfele, Herr Barzel!
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- Sie werden sehen, daß ich keinen Grund habe, an den Problemen vorbeizugehen.
Während 1965 nach dem Honnefer Modell rund 35 000 Studenten höchsten 250 DM im Monat erhielten, beträgt die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz heute bis zu 660 DM im Monat für rund 350 000 Studenten, also für zehnmal so viele junge Menschen.
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- Damit hier kein Mißverständnis aufkommt: Ich sehe dies positiv.
({13})
Die Reihe läßt sich beliebig ergänzen: Erhöhung der Zahl der Kindergartenplätze, Verminderung der Klassenstärken in den Schulen, Erhöhung der Zahl der Krankenhausbetten, Ausstattung der privaten Haushalte und vieles andere mehr.
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Diese historisch beispiellose Entwicklung gehört mit ins Bild, wenn wir fair miteinander diskutieren wollen.
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Es trifft zu: Der Lebensstandard der Deutschen wächst im Augenblick nicht. Für viele sinkt er etwas. Aber er ist und bleibt hoch. Angesichts der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist es derzeit schon eine wichtige Leistung, wenn es gelingt, das Erreichte durch produktive Anstrengungen dauerhaft zu sichern.
Auch wenn die Haushalts- und Finanzpolitiker der Opposition das Wort „Ausland" kaum jemals in den Mund nehmen: Für uns Deutsche ist die Welt weder in Passau noch in Aachen noch in Flensburg zu Ende.
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- Also daß Passau hier einen Zwischenruf auslösen würde, hatte ich ja fast vermutet!
In den Einbringungsreden zu den Bundeshaushalten 1973 und 1974 hat schon der damalige Finanzminister Helmut Schmidt die weltweite Dimension der wirtschaftlichen Probleme betont. Und das hat sich bis heute nicht geändert.
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In diesem Netz internationaler Abhängigkeiten mit Chancen, aber auch mit Risiken muß sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik im internationalen Vergleich messen lassen:
Wir werden die Phase unseres Leistungsbilanzdefizits in diesem Jahr aller Voraussicht nach abschließen können. Nach Fehlbeträgen von 30 Milliarden DM im Jahr 1980 und 17 Milliarden DM im Jahr 1981 ist in diesem Jahr erstmals wieder ein kleiner Überschuß zu erwarten. Mühe und Phantasie unserer Exportwirtschaft sowie sparsamer Umgang mit Energie und Rohstoffen haben sich für uns alle ausgezahlt - eine Situation, von der viele unserer Handelspartner nur träumen können.
Auch mit dem Problem der Preissteigerungen sind wir besser fertig geworden als andere. Der Direktor des Internationalen Währungsfonds hat erst vor zehn Tagen auf der Jahrestagung seiner Organi6884
sation in Toronto die deutschen und die japanischen Erfolge bei der Inflationsbekämpfung besonders hervorgehoben und sie „hervorragend" genannt. Das gilt für die Jahre 1980 und 1981, und das ist auch für 1982 absehbar.
Wir sind im August bei einem Preisanstieg von 5,2 % gegenüber dem Vorjahr angelangt. Bei dieser Zahl wird sicherlich niemand „hurra" schreien. Aber der Trend zeigt weiter nach unten; wir könnten bald wieder eine Vier vor dem Komma haben.
Bei uns haben sich die Realeinkommen auch in den letzten Jahren günstiger entwickelt als anderswo. Die Kaufkraft eines Industriearbeiters ist bei uns wesentlich stärker gestiegen als bei unseren Nachbarn.
Natürlich ist die Arbeitslosigkeit mit 7,4 % unannehmbar hoch. Dennoch: Rings um uns her ist es noch schlimmer: Frankreich 8,2 %; USA 9,8 %; Großbritannien 12,8 %.
Die Bundesrepublik - darauf kommt es im Zusammenhang mit dem Haushalt besonders an - gehört zu den ganz wenigen Ländern, denen es gelingen kann, 1982 - ich meine jetzt den öffentlichen Gesamthaushalt - einen Anstieg des öffentlichen Defizits zu verhindern, und dies bei einem Niveau der staatlichen Neuverschuldung, das im internationalen Vergleich eher niedrig ist.
Wer freien Welthandel will, der braucht freie Kapitalmärkte und kann dann nicht mehr allein über sein Zinsniveau entscheiden. Unser Zinsniveau ist immer noch zu hoch. Wir sind daher besonders froh, daß sich unsere amerikanischen Partner bemühen, ihren Kreditbedarf zu drosseln, und so Chancen für einen weltweiten Zinsabbau eröffnen, der auch genutzt wird. Trotz der hohen Abhängigkeit von der internationalen Zinsentwicklung gibt es durchaus begrenzte Spielräume für eine nationale eigenständige Zinspolitik, und die haben wir - nicht zuletzt dank einer verantwortungsbewußten Politik der Deutschen Bundesbank - auch genutzt. Die Zinsen sind bei uns seit dem letzten Herbst um zwei Prozentpunkte gesunken. Außer der Schweiz und Japan hat die Bundesrepublik Deutschland das niedrigste Zinsniveau aller westlichen Industrieländer. Allerdings - das muß man hinzufügen -, mit 9 % Zinsen als „Niedrigzinsland" zu gelten, das zeigt in der Tat die ganze Paradoxie der weltwirtschaftlichen Situation.
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Unser Land hat einen Wohlstand erreicht wie nie zuvor. Wir haben die Wirtschaftsprobleme dieser Zeit besser gemeistert als viele andere. Doch das sind selbstverständlich keine Lorbeeren zum Ausruhen. Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, daß auch unserem Lande große Wachstumsverluste entstanden sind, daß die 01- und Rohstoffländer am Wohlstand der Industrieländer teilhaben wollen. Das sind Entwicklungen, an die wir uns anpassen müssen, an die wir uns aber auch anpassen können.
Es zeigen sich zusätzliche Schwierigkeiten, die man auch dem Bürger klarmachen muß: Da ist zum
einen die Bevölkerungsentwicklung mit ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Nach der ersten Ölpreisexplosion von 1973 hat die Bevölkerungsentwicklung den Arbeitsmarkt entlastet, weil die Zahl der Arbeitskräfte damals abgenommen hat. Diesmal, bei der Überwindung der Folgen der zweiten Ölpreisexplosion ist es umgekehrt. Von 1977 bis 1981 hat sich das Arbeitskräfteangebot um 900 000 erhöht. Das heißt: schon um eine Konstanz am Arbeitsmarkt zu erhalten, müßten 900 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Arbeitskräfteangebot steigt auch jetzt noch weiter an - um etwa 150 000 jährlich -, während gleichzeitig die Zahl der Arbeitsplätze sinkt. Diese und andere Umstände werden uns noch auf lange Jahre das Risiko einer erheblichen Sockelarbeitslosigkeit bescheren. Niemand kann, niemand darf hier rasche Lösungen versprechen!
Viele unserer Handelspartner, Entwicklungsländer, aber auch Industrieländer in West und Ost, sind an den Grenzen ihrer internationalen Kreditfähigkeit oder schon darüber hinaus. Das schafft Schwierigkeiten nicht nur für das internationale Bankensystem, das schafft auch für unsere Exportwirtschaft Schwierigkeiten.
Schwierigkeiten bestehen aber auch bei uns zu Hause, vor allem in der Schwerfälligkeit mancher politischen Entscheidungsprozesse zumal im föderalen Staatsaufbau. Diese Schwierigkeiten und diese Schwerfälligkeit sind nach meiner Überzeugung letztlich darauf zurückzuführen, daß wir die anstehenden Probleme nicht genügend als gemeinsame Herausforderung begreifen.
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Wir müssen höllisch aufpassen, daß unnötiger Zank nicht zu einem eigenständigen Hemmnis wird. Wir sind dabei, zu riskieren, daß mehr und mehr die Stimmung die Lage beeinflußt. Wir müssen mehr darauf achten, wie ein derartiger Streit im Ausland aufgenommen und bewertet wird. Sicherlich nicht als Zeichen der Stärke.
Doch mit all diesen Schwierigkeiten können wir fertig werden. Wir haben keinen Grund zur Klage und Miesmacherei, sondern gute Chancen unser hohes Wohlstandsniveau über schwierige, sehr schwierige Zeiten zu retten. Das wird nicht ganz ohne Kratzer abgehen. Aber wäre das eigentlich so schlimm? Begreifen wir endlich die Probleme als gemeinsame Herausforderung und nicht als Schicksalsschläge. Wir haben j a schon ganz andere Probleme gemeistert.
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Hier wird von dem einen oder anderen immer wieder auf die Nachkriegszeit verwiesen. Damals sei auch nicht lamentiert und miesgemacht worden. Das ist zutreffend. Ich habe absolut nichts gegen Vergleiche mit den ersten Jahrzehnten nach 1945. Wogegen ich aber etwas habe, das sind falsche Vergleiche, die in eine konservative Geschichtsklitterung einmünden würden.
({21})
Manch einer, dem jetzt das Wort vom Neubeginn allzu hurtig von den Lippen geht, steht vor dieser Gefahr. Wir müssen uns deshalb daran erinnern: Alle demokratischen Kräfte haben 1949 im Parlamentarischen Rat den Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes mitgetragen, in dem es heißt:
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
({22})
Alle demokratischen Kräfte haben Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes mitgetragen, der da lautet:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
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Alle großen Parteien haben für das Betriebsverfassungsgesetz und das Gesetz über die paritätische Mitbestimmung von 1951 gestimmt. Mit breiter Mehrheit ist 1953 die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wiedererrichtet worden.
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Mit ebenso breiter Mehrheit vollzog sich 1957 die große Rentenreform. Herr Jenninger, das waren noch Zeiten. Damals saß meine Partei in der Opposition, hat sich allerdings in derartigen Fragen etwas kooperativer als Sie verhalten.
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- Ich komme auf den Punkt des Steueränderungsgesetzes ja nachher noch einmal zurück.
Der Lastenausgleich, das umfassende System der Kriegsopferfürsorge waren ebenfalls nie Gegenstände des Parteienstreits. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Arbeitsförderungsgesetz 1969 sind ebenso Kinder der Großen Koalition wie das Bundessozialhilfegesetz. Die flexible Altersgrenze 1972 ist auch mit Ihrer Zustimmung beschlossen worden.
Was ich damit sagen will: Unser System der sozialen Sicherung ist in seinen wesentlichen Strukturelementen ein Kind der 50er und 60er Jahre und wurde von allen großen Parteien mit entworfen und mit getragen. Es besteht aller Anlaß zu der Feststellung, daß das nicht ohne Grund so war. In der Tat: Die Pflicht zum sozialen Ausgleich ergibt sich aus dem Grundgesetz. Aber sie ergibt sich nicht nur aus dem Grundgesetz. Sozialer Ausgleich ist außerdem eine ganz wesentliche Grundlage für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
({26})
Die Bürger in diesem Land haben ein Recht, zu erfahren, ob Politiker mit etwas nebulösen Formulierungen wie der von der neuen sozialen Frage oder von der gesellschaftspolitischen Wende diese Grundstrukturen der Gesellschaftspolitik der letzten 30 Jahre in Frage stellen wollen und worum es dann konkret geht. Sicher, in schwierigen Zeiten, wenn fast alle konkreten Vorschläge unpopulär sind,
ist es verlockend, mit Wortgeklingel Politik zu machen. Aber es muß dann auch erlaubt sein, aufzuzeigen, daß ein derartiges Vorgehen entweder unnötigen Schaden anrichtet oder aber auf die Substanz des in 30 Jahren gemeinsam Aufgebauten zielt.
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Das heißt für mich: Jetzt notwendige, konkrete Einschränkungen ja; Leistung und Leistungsanreize ja. Einschränkung der Prinzipien der Solidarität, der Mitbestimmung, Einschränkung der tragenden Grundsätze des Sozialstaates nein.
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Eines allerdings, meine Damen und Herren, unterscheidet uns deutlich von den Gründerjahren der Republik: Wir sind heute - und das ist schon der Hintergrund für den Haushaltsentwurf 1983, Herr Schröder - ein wohlsituiertes Land; den meisten von uns geht es gut, und die meisten wissen das auch. Weniger der Wille, Neues zu schaffen und zu erwerben, als der Wunsch, das Erworbene zu sichern, bestimmt die Motive vieler.
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Das ist wohl legitim, aber es kann auch gefährlich werden, wenn es in Unbeweglichkeit und Defensive führt.
Der Wohlstand macht erfolgreiches Wirtschaften nicht einfacher - macht auch Finanzpolitik nicht einfacher -, sondern eher schwieriger: In der Phase des Wiederaufbaus waren die Aufgaben jedermann sichtbar. Wenn es überall mangelt, kann niemand am Bedarf vorbeiproduzieren.
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Man konnte damals fast alles gebrauchen, und man konnte mit fast allem Geld verdienen. Das ist heute anders. Aber Chancen bieten sich genügend. Die Möglichkeit technischer Neuerungen ist nicht begrenzt. Sie sind auch kein Monopol für andere, für Amerika oder Japan. Und nicht nur technische Neuerungen bieten uns Chancen. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die wir mit längst vorhandener Technik lösen können; ich denke an den schonenden Umgang mit Energie, an die Wiedergewinnung wertvoller Rohstoffe aus Müll und Abfall, an den Schutz der Umwelt.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich für mich: Wenn wir die Beschäftigungsprobleme in der Bundesrepublik in den Griff bekommen wollen - und das ist ja wohl das Zentralproblem, an dem wir auch unsere finanzpolitische Diskussion ausrichten müssen -, muß in den nächsten Jahren das Erwirtschaften neuen Wachstums Vorrang vor dessen Verteilung haben. Wir müssen einen höheren Anteil am Bruttosozialprodukt einer wachstumsfördernden Verwendung zuführen.
({31})
Der Zuwachs beim privaten und beim öffentlichen Verbrauch muß demgegenüber gebremst werden.
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Um mehr Wachstumsspielräume und damit auch mehr Beschäftigung zu schaffen, brauchen wir allerdings keine grundlegende Umkehr.
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Was wir brauchen, ist die „Leidenschaft zur Vernunft" - wie der Bundeskanzler es einmal genannt hat - als gemeinsames Band aller gesellschaftlichen Gruppen in diesem Lande. Wirtschafts- und Finanzpolitik allein kann Wachstum weder verordnen noch garantieren. Sie kann und sie muß aber dazu beitragen.
Deshalb sage ich, damit auch hier keine Unklarheit bleibt: Gerade mit der Vorlage des Haushalts 1983 bekenne ich mich mit Nachdruck zu dieser eigenständigen wirtschaftlichen Verantwortung des Staates.
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Sicherlich ist es richtig, daß Reformpolitik gerade dann fortgesetzt werden muß, wenn wir knapp bei Kasse sind. Ebenso richtig ist es aber auch, daß die Kasse auch danach ausgerichtet werden muß, daß der Staat dieser eigenständigen wirtschaftlichen Verantwortung auch weiterhin gerecht werden kann.
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Meine Damen und Herren, es darf kein Zurück in einen vorsintflutlichen „Nachtwächterstaat" geben, der z. B. darauf verzichtet, aktiv Rahmenbedingungen zu setzten und zumindest zur Ausschöpfung des vorhandenen Produktionspotentials beizutragen.
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Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft und zur Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen und eigener Anstrengungen des Bundes sind drei Marksteine zu nennen: die beschäftigungsfördernden Maßnahmen im Rahmen des Haushalts 1982, die Gemeinschaftsinitiative und dieser Haushaltsentwurf für 1983. Nehmen Sie zur Kenntnis, nehmen wir alle zur Kenntnis, daß sich die steuerlichen Anreize zur Investitionsbelebung auf Grund dieser drei Elemente bis 1985 auf ein Volumen von über 20 Milliarden DM belaufen; davon trägt allein der Bund über 8 Milliarden DM. Ich will hier nur die Stichworte nennen: die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten für alle Gebäude; die Anhebung des Höchstsatzes der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens von 25 auf 30 %; die 10 %ige Investitionszulage, die Investitionen begünstigt, die das durchschnittliche Investitionsvolumen der letzten drei Jahre übersteigen - also nicht Gießkannenprinzip, sondern Belohnung besonderer Anstrengungen.
Mit diesen und anderen Maßnahmen haben sich die Rahmenbedingungen für die private Investitionstätigkeit objektiv verbessert. Kaum je zuvor seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland war unter Steuersystem so investitionsfreundlich wie heute. Diese Wahrheit darf bei aller berechtigten Einzelkritik nicht übersehen werden, und sie bleibt Wahrheit, auch wenn der eine oder der andere Wirtschaftsverband entgegengesetzte Meldungen in die Welt setzt.
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Auch die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand sollte stabilisiert werden. Dabei ist zweierlei zu berücksichtigen: Der Staat trägt weniger als ein Viertel aller Investitionen - bei den Anlageinvestitionen sind es gar nur 16 % -, der Bund allein sogar nur 5 %. Die Möglichkeiten der öffentlichen Hand für eigene Investitionen sind also begrenzt. Außerdem: Hüten wir uns auch hier vor oberflächlicher Schematik. Längst nicht jede öffentliche Investition bringt uns auf einen Weg zu mehr Wachstum. Wir brauchen nicht unbedingt mehr Rathäuser, mehr Schwimmbäder und in jeder größeren Stadt eine U-Bahn mit ihren hohen Folgekosten, die niemand mehr bezahlen kann.
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- Ach, Herr Dr. Riedl, das war nicht einmal ein ganz indirekter Hinweis auf ein Thema, das uns heute morgen beschäftigt hat! - Aber wir brauchen den Ausbau der Energieversorgung, wir brauchen Investitionen zur sparsamen Energieverwendung, und wir brauchen eine Verbesserung des Umweltschutzes an allen Ecken und Kanten, um nur einige Beispiele zu nennen.
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Wichtig ist außerdem nach meiner Einschätzung der Infrastrukturausbau von Nachrichten- und Kommunikationstechnik auch wenn diese Investitionen nicht im Bundeshaushalt stehen, sondern im Haushalt der Bundespost veranschlagt werden. Die Bundespost, der größte Investor in unserem Land, gibt in diesem Jahr allein hierfür über 13 Milliarden DM aus. Das ist mehr als doppelt so viel, wie der gesamte Fernstraßenbau des Bundes ausmacht.
Investitionen, meine Damen und Herren, das sind aber nicht nur Straßen, Gebäude und Umweltschutzmaßnahmen. Welche Investition wäre besser, welche Investition wäre notwendiger als die in schöpferische Intelligenz und berufliche Qualifikation?
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Deshalb ist im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative das Ihnen bekannte Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit enthalten. Wir können hiermit nur einen Beitrag zur Linderung des Problems leisten. Unsere Beschränkung in diesem Punkt ist schon von der Verfassung her gegeben. Darüber hinaus kommt es aber darauf an, daß sich Unternehmen weiterhin anstrengen - gerade in diesen Wochen, aber auch in den nächsten JahrBundesminister Lahnstein
en -, um Möglichkeiten für die verstärkte Ausbildung von Jugendlichen zu schaffen.
({41})
Insgesamt haben die Investitionen und die sonstigen beschäftigungsfördernden Ausgaben und Mindereinnahmen im Bundeshaushalt 1983 ein Volumen von 40 Milliarden DM erreicht, davon allein 3,2 Milliarden DM zusätzlich zum Finanzplan des Vorjahres.
Ich meine, mit diesen Ausgaben leistet der Bund einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaftsbelebung, auch zur Stabilisierung der Endnachfrage. Und ein derartiger Beitrag bleibt auch weiterhin notwendig.
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Wir dürfen die Endnachfrage nicht noch weiter absacken lassen.
Die zur Wachstumsförderung durch die öffentlichen Haushalte erforderlichen zusätzlichen Mittel können in schwieriger Haushaltslage nur freigemacht werden, wenn auch durch zusätzliche Einschränkungen im konsumtiven Bereich entsprechende Spielräume geschaffen werden. An dieser unbequemen Wahrheit kommt keine Seite dieses Hauses vorbei.
Die CDU präsentiert hier seit geraumer Zeit ihren Patentvorschlag einer Querbeet-Kürzung, einer linearen Kürzung; ich habe versucht, Fremdworte soweit wie möglich zu vermeiden. Für den Laien klingt das einfach und auch gerecht. Der Fachmann indes muß fragen, was das denn eigentlich bedeutet.
({43})
Hans Matthöfer hat in mehreren Briefen an Herrn Kohl herauszufinden versucht, wovon denn z. B. 5% - manchmal war j a auch von 8 % die Rede - gekürzt werden sollen. - Vergeblich. Es blieb - wie Graf Lambsdorff damals zu Recht formuliert hat, Herr Kohl - beim „Wackelpudding", den niemand an die Wand nageln kann.
({44})
- Wissen Sie, mir geht es hier um den Bundeshaushalt 1983. Wenn Sie mich schon wiederholt fragen, dann darf ich Sie bitten, gerade diesen Passus aus dem Papier meines Kollegen sehr sorgfältig zu lesen. Er spricht sich nämlich mit Vorrang für eine differenzierte Kürzung von Subventionen aus. Dann muß man schon fair und vollständig zitieren.
Es fehlt bei Ihnen allerdings in doppelter Hinsicht an einer Festlegung, was eigentlich gekürzt werden soll. Unklar ist das Volumen: Was sind denn eigentlich „Subventionen" und „Leistungen"? Unklar ist die Frage, ob jede einzelne Subvention um 5% oder ob ein Gesamtbetrag gekürzt werden soll.
In der Sitzung des Haushaltsausschusses am 1. Oktober 1981 hatte die CDU - das darf man nicht untergehen lassen - vom Kindergeld über die Berlinförderung bis hin zum Verteidigungshaushalt fast alles für eine 5%-Kürzung in Betracht gezogen. Brieflich hat Herr Kohl nur eine einzige Klarstellung vorgenommen, nämlich was nicht gekürzt werden soll: Steuerliche Subventionen sollen ausgenommen sein.
({45})
Warum eigentlich? Ein linearer Abbau aller Steuervergünstigungen wäre in der Tat weder sinnvoll noch praktikabel. Soweit, so gut. Ich habe das hier auch wiederholt dargestellt. Aber warum sollte man das selbst dort nicht machen, wo es möglich ist?
Im Klartext bedeutet der Ausschluß steuerlicher Subventionen bei Sparmaßnahmen doch nur, daß allein die Besserverdienenden hierdurch geschont werden.
({46})
Das ist die objektive Konsequenz. Wir können ja hierüber debattieren. Wenn dies so wäre, wäre es lediglich Klientelpolitik.
({47})
- Ich gehöre j a zu den Besserverdienenden. Ich wäre froh, wenn Herr Kohl einen präzisen Vorschlag machen würde, der mich träfe. Ich habe ihn nur bisher noch nicht gehört. Machen Sie doch einen!
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- Nun lassen Sie das doch, Herr Zimmermann! Wir haben neun präzise Vorschläge am 25. August im Kabinett verabschiedet und hier im Bundestag in der vergangenen Woche eingebracht. Herr Zimmermann, ich weiß nicht, ob Sie da sein konnten.
({49})
Aber die Diskussion zwischen Herrn Kreile und einigen anderen zu dem Thema können Sie j a nachlesen.
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Ich halte nicht viel von der Rasenmähermethode beim Subventionsabbau, und zwar aus zwei Gründen: Einmal entfallen über 75% des Gesamtvolumens der Finanzhilfen - so heißen die Subventionsausgaben im Subventionsbericht - auf nur 15 Einzelmaßnahmen. Und da kann man gleich Roß und Reiter nennen. Zum anderen ist nicht jede Subvention von Übel: Die Bundesregierung bekennt sich zum Beispiel nachdrücklich dazu, Berlin weiterhin mit vielen Milliarden Mark - das geht an die 14 Milliarden DM - finanziell zu unterstützen.
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Wir werden zwar sicherlich nicht so weit gehen können, die Umsatzsteuerpräferenzen bei voller Besitzstandswahrung noch auszuweiten, wir werden auch kleinere Abstriche machen müssen von den hohen
Zuschüssen, die wir im Finanzplan des vergangenen Jahres für Berlin vorgesehen hatten. Eine fünfprozentige Kürzung der Berlinzuschüsse wäre ganz und gar unerträglich. Auch die Subventionen für die deutsche Luftfahrtindustrie möchte ich nicht unbesehen um 5% kürzen,
({52})
wenn ich z. B. an den durch diese Subvention bewirkten Airbus-Erfolg denke.
Wie stellen Sie sich, Herr Kohl, mit Ihrem Vorschlag einer linearen Kürzung die künftige Kohleverstromung und die Bemessung der Kokskohlebeihilfe vor?
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Wollen wir die Probleme des Saarlandes - Sie kennen die Probleme der Stahlindustrie des Saarlandes j a genau - oder die Stahlprobleme des Ruhrgebietes durch Kürzung nach der Rasenmähermethode lösen? Wohl kaum. Wie steht es mit der Vorsteuerpauschale in der Landwirtschaft? Oder wollen Sie die Forderungen Ihres Kollegen Stoltenberg für Werften, Fischerei und Schiffahrt zurückschrauben?
Wohlgemerkt, hier geht es nicht um die Frage, wer mehr oder weniger sparen will. Es geht ausschließlich um den Denkansatz. Und da halte ich gezieltes Vorgehen nach wie vor für sinnvoller und ehrlicher.
({54})
Nach der Debatte um die Fünf-Prozent-Kürzung hat dann die Opposition seit langem eine Verfahrensdiskussion zum Bundeshaushalt, auch zum Entwurf 1983, angefangen. Herr Riedl hat die Debatte in den letzten Tagen noch um einige zusätzliche Finessen bereichert, was den Nachtragshaushalt 1982 angeht. Über Ihre Anträge, über die Anträge der Union ist in diesem Zusammenhang durch den Bundestag befunden worden. Ich bitte Sie sehr herzlich: Lassen wir es endlich dabei, damit wir zur Sachdiskussion im Ausschuß kommen.
({55})
Ich will hier einen Einschub machen zu der Klage. Ich hatte Sie etwas voreilig, wie ich zugebe, in der letzten Woche aufgefordert, wegen des Bundeshaushalts 1981 die Klage im Hinblick auf Art. 115 GG einzureichen. Sie ist eingereicht. Meine Wertung bleibt die gleiche, die ich bereits bei der Einbringung des Nachtragshaushalts hier vorgetragen habe. Ich sehe dem Ergebnis mit Neugierde und mit Gelassenheit entgegen.
Da ich heute morgen nicht dazu gekommen bin, sehr viele Zeitungen zu lesen, habe ich mir den „Generalanzeiger" genommen und darf ihn mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, einmal ausnahmsweise zitieren:
Die Koalition wird in Karlsruhe vortragen können, daß im Jahre 1981 das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört war ... Dies hat auch die Union immer wieder konstatiert. Die Väter des Grundgesetzes konnten nicht vorhersehen,
daß eine solche Wirtschaftslage einmal ein Dauerzustand sein würde.
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- Die Gründe dafür habe ich Ihnen offen und ehrlich dargelegt.
Aber nach der geltenden Rechtslage werden sich die Richter kaum eine andere Interpretation leisten können.
Das weiß natürlich auch die CDU/CSU, weshalb sie immer wieder gezögert hat, den nun doch eingeschlagenen Weg zu gehen. Wäre sie felsenfest davon überzeugt, daß tatsächlich ein Verfassungsverstoß vorliegt, dann wäre es ihre Pflicht gewesen,
- ihre Pflicht! längst Klage zu erheben. Zum jetzigen Zeitpunkt zielt der Vorstoß lediglich auf die anstehenden Wahlen.
Diesem Kommentar stimme ich ausdrücklich zu.
({57})
Was die Sache selber angeht, nämlich die Frage, wie wir dann mit zusätzlichen Haushaltsrisiken fertigwerden wollen, so will ich hierzu später noch eine etwas detailliertere Antwort geben, soweit dies der heutige Wissens- und Diskussionsstand schon erlaubt. Zunächst nur eine allgemeine politische Vorbemerkung: Wenn sich im Herbst weitere Steuerausfälle und z. B. ein erhöhter Zuschußbedarf für die Bundesanstalt für Arbeit ergeben, warum sollten wir eigentlich als Koalition mit diesen Problemen nicht fertigwerden?
({58})
Wir haben doch auch bisher alle notwendigen Entscheidungen gefällt, getroffen und vertreten.
({59})
In den letzten drei Jahren haben allein die Steuerausfälle und die Mehrausgaben für Arbeitslose die Finanzlage des Bundes, bezogen auf 1983, um über 40 Milliarden DM verschlechtert. Eine Reihe anderer Belastungen - 6 Milliarden DM für Zinsen, 3,5 Milliarden DM für die Verteidigung - lasse ich einmal draußen vor, weil ich j a auch die Gegenposition „Bundesbankgewinn" nicht außer acht lassen darf. Um 40 Milliarden DM also hätten wir die Nettokreditaufnahme des Bundes für 1983 aufstocken müssen, wenn wir keine Maßnahmen getroffen hätten.
Tatsächlich aber werden über 80 % dieser Mehrbelastungen durch die verschiedenen Maßnahmen ausgeglichen, die im Zusammenhang mit dem Subventionsabbaugesetz von 1981, der Haushaltsoperation 1982 und im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushalts 1983 beschlossen wurden. Ich halte das für einen großen Erfolg sozialliberaler Haushaltsund Finanzpolitik.
({60})
Er berechtigt mich zur Zuversicht, auch künftige Haushaltsprobleme erfolgreich gemeinsam zu bewältigen.
Die Summe der beschlossenen und jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen führt zu einer Nettokreditaufnahme 1983 von 28,5 Milliarden DM.
({61})
Diese Nettokreditaufnahme ist keine unverrückbare Größe, sondern ein Betrag, den ich bei der Datenlage, die dem Haushaltsentwurf zugrunde gelegen hat, für vertretbar, aber auch für notwendig hielt
({62})
- trotz der damit verbundenen Zinsbelastung, die mir sehr wohl bewußt ist. Wenn die Wirtschaftsdaten geändert werden müssen, wird auch über die Höhe der Nettokreditaufnahme für 1983 erneut nachzudenken sein. Die generelle Linie, daß die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand weiter zurückgeführt werden muß, muß von einer vorübergehenden Anpassung an aktuelle gesamtwirtschaftliche Erfordernisse unberührt bleiben. Alles andere wäre ökonomisch ganz einfach unsinnig.
({63})
Zentrale Bedeutung hat für mich nicht die Nettokreditaufnahme. Sie ist bei feststehender Einnahmeseite Resultat: Differenzbetrag zwischen Ausgaben und Einnahmen. Zentrale Bedeutung für die Aufstellung des Haushalts kommt damit der vorgesehenen Ausgabenentwicklung zu. Dabei muß in einer konjunkturellen Schwächephase sehr sorgfältig darauf geachtet werden, daß nicht durch eine zu weitgehende Verringerung der öffentlichen Nachfrage, insbesondere bei den auftragswirksamen Investitionen, die Konjunkturschwäche noch verstärkt wird.
({64})
Die Bundesregierung hat ihre Haushaltspolitik mittelfristig darauf ausgerichtet, daß die Gesamtausgaben des Bundes geringer steigen als das nominale Bruttosozialprodukt. Für 1983 hatten wir vor der Sommerpause mit einem Anstieg des nominalen Bruttosozialprodukts von 6,5 IN rechnen können und einen Ausgabenanstieg von 1,9 % angesetzt. Selbst wenn dieser Anstieg etwas höher wäre - er bliebe immer noch spürbar geringer als der Anstieg des nominalen Bruttosozialprodukts, auch wenn es nicht 6,5 % werden, sondern etwas weniger. Möglich wurde diese Zuwachsrate insbesondere durch die Reihe von Einsparbeschlüssen im sozialen Bereich, die Sie kennen und die insgesamt zu einem Entlastungsbetrag von 8,2 Milliarden DM für den Bund geführt haben. Das waren schwere Beschlüsse, schwierige Beschlüsse, gerade für die eigenen Reihen, aber wir vertreten sie nach außen, so wie wir alle anderen Teile dieses Entwurfes auch vertreten.
Weitere Einsparungen auf der Ausgabenseite von über 1 Milliarde DM konnten im Haushaltsverfahren durchgesetzt werden, wobei Finanzhilfen und andere Ansätze betroffen sind. Darüber hinaus hat die Bundesregierung verschiedene steuerliche Maßnahmen beschlossen, die für den Bund bis 1986 2,5 Milliarden DM und für Länder und Gemeinden 3,5 Milliarden DM an Mehreinnahmen bringen sollen. Sie sind in der vergangenen Woche im Bundestag diskutiert worden, so daß ich sie nicht erneut vorführen muß.
Nun wird uns mit ganz gegensätzlichen Argumenten vorgeworfen, das Haushaltspaket 1983 sei insgesamt sozial unausgewogen. Diese Behauptung kann ich nicht stehenlassen. Richtig ist, daß die Sozialausgaben in ihrer Gesamtheit eine Dynamik entwikkelt haben, die an geringeres Wirtschaftswachstum angepaßt werden muß.
Investitionsschwäche und Wachstumsstockung treffen durch Arbeitslosigkeit und Einkommensstillstand vor allem die sozial Schwächeren. Eine wirklich soziale Politik muß deshalb auch immer wieder darauf achten, daß durch Investitionsbelebung neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das heißt dann in der Konsequenz: Konzentration der Leistungen ist unumgänglich. Daß von derartigen Maßnahmen in der Gesamtsumme breite Schichten der Bevölkerung stärker betroffen werden, hängt in erster Linie damit zusammen, daß sie auch einen wesentlich höheren Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen. Es wird nie gelingen - es wird nie gelingen! -, eine soziale Ausgewogenheit auf Heller und Pfennig herzustellen. Entscheidend ist vielmehr, daß der Bürger ein Maßnahmenpaket akzeptieren und dazu j a sagen kann, weil er merkt, daß er nicht allein der Betroffene ist.
({65})
Deshalb gehören auch die steuerlichen Maßnahmen zum Gesamtkonzept, und zwar unabtrennbar. Wer diesen Zusammenhang leugnet, wie Sprecher der Union dies immer wieder tun, gerade noch in der letzten Woche hier im Bundestag, der lädt objektiv eine schwere Verantwortung auf sich.
({66})
Noch einmal: Bei diesem Abbau steuerlicher Subventionen steht nicht allein der fiskalische Effekt im Vordergrund, sondern das Ziel, das gesamt Einsparpaket sozial erträglich zu machen. Ich appelliere ausdrücklich und erneut an die CDU/CSU, sich ihrer staatspolitischen Verantwortung in schwieriger Wirtschaftslage konstruktiv zu stellen.
({67})
Draußen im Lande gibt es ein feines Gespür für Gerechtigkeit;
({68})
hier sind berechtigte Erwartungen vorhanden, die Sie nicht durch Verweigerungshaltung enttäuschen dürfen.
({69})
Noch ein Wort zur Steuerpolitik: Unsere Steuerpolitik - ich bitte Sie, das dann auch zur Kenntnis zu nehmen - ist seit Jahren darauf gerichtet, die volkswirtschaftliche Steuerquote konstant zu halten.
({70})
- Auf hohem Level? Den Level 1952 haben Sie doch eingeführt. - Diese Steuerquote ist heute niedriger als im Jahre 1952. Die steuerpolitischen Beschlüsse, die seit Beginn der Legislaturperiode verwirklicht oder auf den parlamentarischen Weg gebracht wurden, führen nicht zu einer Erhöhung der Steuerlasten, im Gegenteil! Wir haben damit nicht nur die Steuerstruktur verbessert, sondern dem Bürger und der Wirtschaft per saldo sogar noch 10 Milliarden DM zurückgegeben. Es ist einfach unredlich, wenn man uns, wie finanzpolitische Sprecher der Union es immer wieder tun - ich vermute, auch in dieser Debatte -, vorwirft, daß wir Steuererhöhungen in zweistelliger Milliardenhöhe durchgeführt hätten, ohne dabei gleichzeitig zu erwähnen, daß auf der anderen Seite doppelt soviel an steuerlichen Entlastungen zurückgegeben worden ist.
({71})
Aber Steuerpolitik hört ja 1983 nicht auf. Mittelfristig stellt sich uns, und zwar für mich immer im Rahmen einer konstanten Steuerquote, eine Reihe wichtiger Aufgaben: Wir müssen zu mehr Gerechtigkeit und Vollständigkeit im Steuervollzug kommen. Ich bin hier dem Kollegen Posser für seine Initiative sehr dankbar.
({72})
Er hat uns j a wirklich eindrucksvolle Beispiele, z. B. von Abschreibungskünstlern, vorgeführt. Ich mache niemandem einen Vorwurf, der Gesetzeslücken oder unvollkommene Bestimmungen ausnutzt, sofern nicht Betrug im Spiel ist. Aber es ist Aufgabe des Gesetzgebers, derartige Fehlentwicklungen auszuschließen.
({73})
Das sollte mittelfristig auch für die Einkünfte aus Kapitalerträgen gelten. Ich darf hier ausnahmsweise einmal auf Präsident Reagan verweisen.
Steuerpolitik braucht Stetigkeit. Denn dann kann die Anwendung geltenden Rechts nicht nur erleichtert werden, es muß dann auch stärker durchgesetzt werden.
Korrekturen im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer bleiben von Zeit zu Zeit notwendig. Das ist kein direktes Problem des Haushalts 1983, wohl aber für den mittelfristigen Finanzplan ab 1984 ff. Bei gleichbleibender Steuerquote erfordert die aufkommensneutrale Finanzierung solcher Korrekturen allerdings Anhebungen bei indirekten Steuern. Es gibt außerdem ja nicht nur die immer wieder so leichthin zitierten und kritisierten „heimlichen Steuererhöhungen" im Bereich der Einkommensteuer, sondern daneben auch ebensolche „heimlichen Steuerentlastungen" bei den indirekten Steuern, insbesondere bei den mengenabhängigen Verbrauchsteuern.
Die Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert. Das hat seine Ursachen sicher auch in unzureichenden Gewinnen, aber auch in dem Umstand, daß das Steuerrecht Fremdkapital in vielen Fällen einfach billiger macht als Eigenkapital. Die Risiken eines zu kleinen Eigenkapitalanteils werden in einer Krisenzeit wie der gegenwärtigen besonders deutlich. Von dieser Fragestellung her müssen wir steuer- und vermögenspolitisch in den nächsten Jahren unbedingt ausgehen.
Ich komme zur Ausgabenseite des Haushalts zurück. Mit einer Steigerungsrate von 1,9 % kann niemand große Sprünge mache. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil wir einen hohen Mehrbedarf gegenüber dem Vorjahr bei den Zinsen zu verkraften haben. Die meisten meiner Ressortkollegen können daher 1983 nicht so viel ausgeben wie in diesem Jahr. Nur vier von ihnen stehen nach dem Regierungsentwurf Mittel für Ausgaben mit überdurchschnittlicher Steigerungsrate zur Verfügung. Das gilt für den Forschungsminister mit 7,3 %, den Wirtschaftsminister mit 6,6 %, wenn man die Verstärkungsmittel für das ERP-Sondervermögen und den Stahlbereich hinzurechnet, die formal beim Finanzminister veranschlagt sind, und es gilt auch für Entwicklungshilfe und Verteidigung.
Die Verteidigungsausgaben werden für 1983 gegenüber dem bisherigen Finanzplan um 400 Millionen DM aufgestockt. Trotz aller Sparbemühungen, auch im Verteidigungsbereich, sind wir um diese Aufstockung nicht herumgekommen. Nirgendwo im Bundeshaushalt wirken sich die enormen Preissteigerungen im Ausland so stark aus wie bei den Rechnungen, die Hans Apel zu bezahlen hat. Ich habe Verständnis dafür, wenn mancher Kritiker den Verteidigungsausgaben besondere Skepsis entgegenbringen. Dennoch ist es unrichtig, zu behaupten, daß die sozialliberale Koalition Mittel aus dem Sozialhaushalt in den Verteidigungshaushalt umschichten würde.
({74})
- Wissen Sie, Herr Kohl, hier im Haus sicherlich niemand.
({75})
Aber hier hören ja viele auch draußen zu. Von Ihnen niemand, von der SPD niemand, von der FDP niemand. Aber Sie wissen, daß diese Frage z. B. im Wahlkampf in Hessen, wo wir uns ja nach mehreren
Seiten zu wehren haben, eine erhebliche Rolle spielt.
({76})
- Das brauche ich meinen eigenen Leuten nicht zu sagen. Die haben diese Behauptung nie aufgestellt. Die können nämlich Zahlen lesen, und die Zahlen sind eindeutig.
({77})
Von 1969 bis 1983 ging der Anteil der Verteidigungsausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes von 23 % auf 18 % zurück, während der Anteil der Sozialausgaben von 30 % auf 32 % angestiegen ist, und zwar trotz der im Haushaltsentwurf vorgesehenen Einsparungen.
Die Ausgaben für die Entwicklungshilfe steigen mit 4,4 % mehr als doppelt so stark wie die Gesamtausgaben des Bundes. In diesem Zuwachs spiegeln sich die aktive Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Nord-Süd-Dialog und die hohe Priorität wider, die wir der Entwicklungshilfe beimessen. Allerdings konnten die Sparbemühungen auch an der Entwicklungshilfe nicht ganz Halt machen. Gerade in Zeiten abgeschwächten Wirtschaftswachstums dürfen die Anstrengungen um technologische Weiterentwicklung und Innovation im Forschungsbereich nicht nachlassen. Hier bestimmt sich auf Dauer die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Der Haushalt für Forschung und Technologie führt daher völlig folgerichtig auch 1983 mit einer Steigerungsrate von 7,3 % die Reihe der hohen Steigerungsraten vergangener Jahre fort.
Wichtige Beiträge zur Zukunftssicherung gibt es aber auch in anderen Bereichen, z. B. bei den Hilfen für die Stahlindustrie. Die deutsche und die europäische Stahlindustrie stecken insgesamt seit 1975 in einer anhaltenden Krise. Die Lösung der Strukturprobleme ist in erster Linie Aufgabe der Stahlunternehmen selbst. Dennoch ist sich die Bundesregierung bewußt, daß diese Stahlkrise nur durch das Zusammenwirken von Unternehmen, Gewerkschaften und Regierungen gelöst werden kann. Mitte 1981 haben wir deshalb ein Stahlprogramm mit einem Volumen von ursprünglich 1,7 Milliarden DM verabschiedet. Inzwischen haben wir die Mittel für die Investitionsfinanzierung noch aufgestockt, so daß allein im Bundeshaushalt 1983 jetzt etwa 900 Millionen DM für den Stahl vorgesehen sind.
Die Aufgabe im Bereich der Strukturpolitik - und dieser strukturpolitischen Aufgabe müssen wir uns in der Tat in den nächsten Jahren verstärkt zuwenden - besteht jedoch nicht allein in der Modernisierung der sektoralen Produktionsstruktur. Zusammen mit den Bundesländern trägt die Bundesregierung auch erhebliche Mitverantwortung für die regionale Strukturpolitik in unserem Lande. Ich - das werden Sie mir schon wegen meiner Herkunft nachsehen, auch wegen meiner politischen Herkunft - denke hierbei insbesondere an das Ruhrgebiet.
({78})
Für die Gebiete mit besonderen Strukturproblemen hat die Bundesregierung bereits 1979 eine Reihe von Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 2 Milliarden DM beschlossen. Auch von den im Rahmen des Haushalts 1983 beschlossenen zusätzlichen beschäftigungsfördernden Maßnahmen wird ein erhebliches Volumen in das Ruhrgebiet fließen und mithelfen, den Strukturwandel erfolgreich zu bewältigen. Besonders zu erwähnen ist das Sonderprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen außerhalb der Eisen- und Stahlindustrie im Frühjahr dieses Jahres. Mit ihm sollen im Ruhrgebiet, im Saarland und an anderen Stahlstandorten die Voraussetzungen für 40 000 Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden.
Viele Bereiche unserer Wirtschaft - um den Überblick über die Schwerpunkte der Ausgabenseite abzuschließen - sind bei ihren Exporten auf öffentliche Rückendeckung durch die Gewährung von Bürgschaften angewiesen. Hierfür ist im Bundeshaushalt 1983 ein Ermächtigungsrahmen von insgesamt 185 Milliarden DM vorgesehen.
Mit den Exportbürgschaften ist auch die Brücke zur weltwirtschaftlichen Verflechtung wieder geschlagen. Ich habe die Stichworte genannt: weltweit zu hohe Zinsen, weltweit anhaltende Flaute, weltweit unerträglich hohe Arbeitslosigkeit. In erster Linie diese Verflechtung macht auch bei uns eine Korrektur der gesamtwirtschaftlichen Annahmen für 1982 und 1983 nach unten unvermeidlich. Das schafft für den Bundeshaushalt 1983 einen zusätzlichen Deckungsbedarf in einer Höhe von mehreren Milliarden DM. Wir werden die genauen Zahlen bald kennen, und - die Kollegen im Haushaltsausschuß wissen das - wir werden sie rechtzeitig berücksichtigen. Dabei wird nichts verschleiert werden. Dabei wird allerdings - jedenfalls von mir aus - auch nichts vorzeitig in die Welt gesetzt werden.
Es gibt darüber hinaus noch Unwägbarkeiten, die unser Haushaltsproblem teils erleichtern, teils erschweren. Ich nenne hier beispielsweise den EG-Haushalt, den wir noch nicht kennen, die präzise Höhe des Bundesbankgewinns, die Mehrwertsteuerverteilung, Einnahmeausfälle durch Vorgänge wie den im AEG-Bereich, möglicherweise etwas geringere Zinsausgaben.
An dieser Stelle ein Einschub zum Bundesbankgewinn, weil er wieder Gegenstand kritischer Stellungnahmen war, als sei dies eine verschleierte Gabe der Bundesbank, die sich an sich gar nicht gehört. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Die Regelung über den Bundesbankgewinn steht eindeutig und abschließend im Bundesbankgesetz. Ich nehme nicht an, daß Sie das Bundesbankgesetz ändern wollen.
({79})
Hier tut die Bundesbank nichts anderes als ihre Pflicht.
({80})
Von Ihnen wird behauptet, damit würde Geldschöpfung betrieben. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Die Aktivseite der Bundesbankbilanz und die Passivseite bestehen in der Tat im wesentlichen aus Ergebnissen von Geldschöpfungsvorgängen und -Korrelaten. Das kann ja gar nicht anders sein. Dafür ist die Bundesbank doch da. Nur: Sie müssen die Frage dann auch ehrlich stellen, und Sie müssen sie vollständig beantworten. Entscheidend ist im Rahmen der Bundesbankgeldschöpfung nicht der Betrag, der an den Bundeshaushalt geht, entscheidend ist der Betrag, mit dem die Bundesbank insgesamt Geldschöpfung betreibt. Dafür gibt es die Geldmengenziele, und die Bundesbank hält diese Geldmengenziele ein. Wer also so tut, als wenn durch Oberweisung an den Bundeshaushalt hier zusätzlich inflationäres Potential in die Volkswirtschaft käme, der weiß - entschuldigen Sie dieses offene Wort - nicht genau, wovon er redet.
({81})
Die genauen Zahlen dieses Bundesbankgewinns werden wir bald kennen, und wir werden sie dann einsetzen.
Die Frage ist nun: Wie wollen wir mit den Dekkungslücken fertig werden, wenn sie auftreten? Und sie werden auftreten. Viele Konjunkturforscher halten mit ernst zu nehmenden Gründen für 1983 eine völlige Kreditfinanzierung der jetzt neu eintretenden konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben für angemessen, so erst vor wenigen Tagen das Hamburger Weltwirtschaftliche Archiv. In der Tat wirken, wirtschaftlich gesehen, konjunkturbedingte Mindereinnahmen oder Mehrausgaben völlig gleich. Eine unterschiedliche Behandlung läßt sich mit sachlichen Gründen meines Erachtens nicht rechtfertigen. Das kann man auch dem Jahreswirtschaftsbericht 1982 der Bundesregierung entnehmen. Dort heißt es wörtlich:
Eine vorübergehende Erhöhung der Nettokreditaufnahme ist deswegen vertretbar bei etwaigen konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben.
({82})
- Natürlich vorübergehend. Das ist zu unterstreichen. - Der Jahreswirtschaftsbericht geht also von einer Gleichbehandlung beider Elemente aus. Und was im Januar richtig war, kann ja im September nicht völlig falsch sein. Im Januar wie im September ging und geht es darum, den notwendigen Beitrag zur Festigung der Endnachfrage zu leisten.
Auf der anderen Seite gibt es politische und psychologische Gründe, insbesondere die immer wieder notwendig werdende Stärkung des Vertrauens auf den Kapitalmärkten, und die sprechen für eine differenzierte Betrachtungsweise. Ein weiterer Grund liegt in der erheblichen Schwierigkeit, konjunkturelle und strukturelle Gegebenheiten sauber auseinanderzuhalten. Eine gewisse zusätzliche Begrenzung der Ausgaben, zusätzliches Sparen also, erscheint mir aber auch deshalb notwendig, weil wir die Konsequenzen hoher Zinsausgaben für die kommenden Haushaltsjahre berücksichtigen müssen.
({83})
Bei einem Nullwachstum des Bundeshaushalts, ohne Zinsen gerechnet, sind dem zusätzlichen Sparen allerdings enge Grenzen gesetzt. Das muß man dann auch zur Kenntnis nehmen. Auf die in der letzten Zeit vertretene Faustformel: „Mindereinnahmen durch Kredite abdecken, Mehrausgaben durch Einsparungen ausgleichen" will ich aus den dargelegten Gründen deshalb so leicht nicht einschwenken.
Ich schlage Ihnen vor: Lassen Sie uns im Haushaltsausschuß - da gehört der Haushalt jetzt hin - den Entwurf des Etats sorgfältig auf Einsparmöglichkeiten durchsehen, und zwar Punkt für Punkt, und Roß und Reiter nennen!
({84})
Dabei sollten wir uns darauf verständigen, daß wir investive Ausgaben ausnehmen. Lassen Sie uns in einem vertretbaren Umfang die Nettokreditaufnahme erhöhen! Damit sollten wir immer noch unter der Vergleichsgröße des Vorjahres bleiben können. Damit wäre der Weg der mittelfristigen Konsolidierung absolut nicht verschüttet. 1981 haben wir für 37½ Milliarden DM Kredit aufgenommen, 1982 wird das leicht darunter liegen können, 1983 noch mal darunter. Was eigentlich will man in einer Dauerflaute denn sonst noch an Konsolidierungsehrgeiz entwickeln?
({85})
Lassen Sie uns Einverständnis darüber erzielen, daß etwaige zusätzliche Mittel für Wachstum und Beschäftigung nicht ohne Umschichtung gewonnen werden können!
Sollte es dann noch notwendig werden, meine Damen und Herren, im Gesamtzusammenhang Gesetze zu ändern, sollten wir in der Tat rechtzeitig handeln, dabei aber von folgenden Grundsätzen ausgehen. Erstens. Wir müssen alles tun, um den Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit zu wahren.
({86})
Zweitens. Ein solides Gesetz mit Inkrafttreten zum
1. Juli 1983 z. B. sollte uns lieber sein als überhastetes Flickwerk mit Inkrafttreten zum Jahresbeginn.
({87})
Wer alle Probleme der Republik am Haushaltskalender aufhängen will, der fällt zu leicht in Kurzatmigkeit.
({88})
Dies ist aus meiner Sicht eine vernünftige und auch einigungsfähige Linie.
Ich fasse zusammen. Aus den von Regierung und Koalition beschlossenen Eckwerten vom Juli dieses
Jahres und aus dem Ihnen vorliegenden Haushaltsentwurf ergibt sich:
Erstens. Eine deflationistische Finanzpolitik wird und darf es nicht geben.
({89})
Wir dürfen das eine Übel, die Inflation, nicht damit bekämpfen, daß wir ein anderes Übel produzieren, nämlich die Deflation,
({90})
und hierbei muß uns die Geldpolitik unterstützen. Bei Konsolidierung und Nachfragestützung müssen Bonn und Frankfurt zusammenarbeiten.
Was diese deflationistische Finanzpolitik und die Risiken derselben angeht: Ich warte mit Neugierde und nicht ohne Interesse auf die Gutachten, die jetzt in den nächsten Wochen kommen werden. Ich beziehe mich einmal auf einen Verein, der von der Grundausrichtung her nicht gerade im Geruch steht, sozialistisches Gedankengut zu vertreiben, nämlich den altehrwürdigen „Verein für Socialpolitik", der in diesen Tagen in Köln seine Jahrestagung abhält. Ich zitiere aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger" von heute mit Genehmigung des Präsidenten:
Haushaltsdefizite, die durch konjunkturbedingte Steuerausfälle einerseits und den Aufwand für zunehmende Arbeitslosigkeit andererseits entstehen, sollten durch Kredite gedeckt werden. Dies empfiehlt Professor Otto Gandenberger von der Universität München, der auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik in Köln heute „Thesen zur Staatsverschuldung" vorträgt.
In einer Pressekonferenz sagte der Vorsitzende des Vereins, Professor Helmut Hesse, mit dieser Aussage treffe Gandenberger das „Herz der Mitglieder".
Lassen Sie uns also die Arbeitsergebnisse der Wissenschaft wirklich ernsthaft in die Diskussionen im Haushaltsausschuß einbeziehen! Deswegen habe ich auch überhaupt keine Bedenken und überhaupt keine Angst vor dem Hearing, das Sie am 30. September veranstalten wollen.
({91})
Zweitens. Wir müssen und wollen in den öffentlichen Haushalten alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit die Zinsen weiter sinken können. Deshalb muß auf eine Reihe von Jahren hinaus die Zuwachsrate des öffentlichen Haushalts unter der Steigerungsrate des nominalen Bruttosozialprodukts liegen.
Drittens. Für mehrere Jahre müssen wir ein in jeder Hinsicht schwieriges Doppelproblem meistern: Arbeitslosigkeit finanzieren und sie durch neue Arbeitsplätze über mehr Investitionen allmählich abbauen helfen. Für uns alle ist die bloße Hinnahme von Arbeitslosigkeit unzumutbar und unerträglich - so hoffe ich jedenfalls.
({92})
Viertens. Zur Abdeckung zusätzlicher Haushaltsrisiken gilt: Begrenzt kann zusätzlich Kredit in Anspruch genommen werden. Ergänzend bedürfte es in solchem Falle der zusätzlichen Ausgabenumstrukturierung in den öffentlichen Haushalten. Das heißt, daß irgendwo auch gekürzt werden muß. Dieser Hinweis ist unbequem, aber er ist notwendig.
Fünftens. Bei alledem muß soziale Gerechtigkeit gewahrt bleiben. Ich habe darauf bei Einbringung der Vorschläge zum Abbau von Steuervorteilen hingewiesen. Erneut appelliere ich an die Opposition, sich hier nicht zu verweigern.
({93})
Sechstens. Wir müssen unter der Voraussetzung sozialer Ausgewogenheit bereit sein, über langfristige - und das Wort „langfristige" möchte ich unterstreichen - Veränderungen im sozialen Netz als Folge geänderter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen nachzudenken - aber bitte: sorgsam, im Gesamtzusammenhang und nicht im Hauruckverfahren.
({94})
Siebentens. Für uns heißt soziale Ausgewogenheit unter anderem: Niemand darf zusätzlich Abstriche bei den Sozialleistungen verlangen, wenn er jeden zusätzlichen Beitrag derjenigen ablehnt, die auf Sozialleistungen nicht angewiesen sind.
({95})
Wir werden darüber zu reden haben, welches hierfür der zweckmäßigste Weg ist.
In Krisenzeiten wie den gegenwärtigen, in denen es nicht mehr, sondern weniger zu verteilen gibt, wachsen die Spannungen und verschärft sich die Auseinandersetzung um den richtigen Weg. Auch an diesem Haushalt wird in einem Atemzug kritisiert, daß er hier zuviel und da zuwenig spare, daß er deflationistisch wirke und daß die Neuverschuldung noch viel niedriger hätte ausfallen müssen, daß Investitionen, Verteidigung, Entwicklungshilfe und Beamtengehälter zu kurz kämen, daß er zu Lasten der Rentner und Arbeitslosen gehe und daß die Besserverdienenden zuviel bezahlen müßten. - Auch der letzte Vorwurf wird erhoben.
Das ist nun mal so in Zeiten wie diesen. Wir müssen nach bestem Wissen und Gewissen unsere Pflicht tun, auch wenn es vordergründig Popularität bei jenen kostet, die das Ganze nur an ihren Interessen messen, und auch Popularität bei vielen ehrlichen Mitbürgern, die ihren Anteil an der Belastung als ungerecht empfinden. Jemand muß aber für das Ganze eintreten und das Notwendige ehrlich verantworten.
Ich sage freimütig: Wir können voll zu dem bislang in der Koalition Erreichten stehen. Ich sehe keinen Anlaß, das anders zu sehen als vor einigen Monaten oder vor einigen Jahren. Und auch auf die Gefahr hin, von einigen Kommentatoren als Tagträumer angesehen zu werden, füge ich hinzu: Bleiben wir auf diesem Weg der Vernunft, den wir in der Koalition und als Koalition beschritten und gangbar gemacht haben. - Zu diesem Weg einer Kombination
aus wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung gibt es keine Alternative. - Schönen Dank.
({96})
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Sitzung jetzt unterbrochen und um 11 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt werden. Im Anschluß an die Fragestunde beginnt um 13 Uhr die Aussprache über das Haushaltsgesetz 1983 und den Finanzplan des Bundes 1982 bis 1986.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/1968 Zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Feldmann ({0}) wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Dreßler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Herberholz auf:
Liegen der Bundesregierung inzwischen Erkenntnisse vor, ob die Aufhebung der „empfohlenen Richtpreise" für Brillengläser, die auf Initiative des Bundeskartellamts erfolgt ist, sich kostendämpfend ausgewirkt hat, und wie wird gegebenenfalls sichergestellt, daß der Kunde nicht nur durch ein reißerisches Angebot für das Brillengestell angelockt wird, sondern auch die Möglichkeit erhält, Preisvergleiche hinsichtlich der Brillengläser seiner Kaufentscheidung zugrunde zu legen?
Herr Kollege Herberholz, seit Anfang 1980 toleriert das Bundeskartellamt nicht mehr die bis dann praktizierten unverbindlichen Preisempfehlungen für Brillengläser, da diese Preisempfehlungen gewerbliche Leistungen der Optiker mitumfaßten, was nach den Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unzulässig ist.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Aufhebung der unverbindlichen Preisempfehlungen für Brillengläser längerfristig preisdämpfend wirkt. Ihr liegen aber angesichts der verhältnismäßig kurzen Zeit seit Aufhebung der Preisempfehlungen keine konkreten Erkenntnisse über die preislichen Auswirkungen vor.
Ihr sind auch keine Fälle bekannt, die in diesem Zusammenhang Anlaß zur Prüfung wettbewerbsrechtlicher Fragen geben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Herberholz. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie, wenn ich Ihnen konkrete Unterlagen zur Verfügung stelle, unter Umständen bereit, dem nachzugehen?
Selbstverständlich.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Kuhlwein zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 56 der Frau Abgeordneten Roitzsch auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Studenten sich an verschiedenen Universitäten gleichzeitig in Fächern ohne Numerus clausus immatrikulieren und somit mehrfach BAföG erhalten?
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 56 und 57 wegen des Zusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Sind Sie damit einverstanden, Frau Abgeordnete?
Wenn ich dementsprechend viele Zusatzfragen habe, natürlich gern.
Jawohl. Sie haben dann vier Zusatzfragen.
Ich rufe demnach auch die Frage 57 der Frau Abgeordneten Roitzsch auf:
Ist die Bundesregierung im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs in der Lage, diesen Mißstand zu beheben, und was gedenkt sie gegebenenfalls zu tun?
Die Bundesregierung hat ebenso wenig wie die für die Ausbildungsförderung zuständigen Landesministerien Anlaß zu der Annahme, daß sich Studenten im Sinn eines Mißstands gleichzeitig an verschiedenen Universitäten immatrikulieren und auf diesem Weg mehrfach Förderungsleistungen erhalten. Falls einzelne Studenten so verfahren sollten, würde dies zweifellos den Straftatbestand des Betrugs erfüllen und müßte entsprechend geahndet werden. Die Bundesregierung warnt jedoch davor, eventuelle einzelne Betrugsfälle zu verallgemeinern und dadurch das System der Ausbildungsförderung zu diskreditieren.
Dem Versuch einzelner Bürger, sich unrechtmäßig Leistungen zu erschleichen oder sich der Pflicht, Abgaben zu entrichten, zu entziehen, läßt sich allenfalls mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand entgegenwirken. Die obersten Bundes- und Landesbehörden sind hinsichtlich der AusbildungsfördeParl. Staatssekretär Kuhlwein
rung nach eingehender Prüfung zu der Auffassung gelangt, daß derzeit keine Möglichkeit besteht, dies mit einem verhältnismäßigen Aufwand und datenschutzrechtlich unbedenklich zu tun.
Die Bundesregierung hielte es, was ich nochmals betonen möchte, zudem grundsätzlich für verfehlt, den Bürgern, die Anträge auf Sozialleistungen stellen, betrügerische Absichten zu unterstellen und dementsprechend Kontrollen generell einzurichten.
Zusatzfrage. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung vielleicht bekannt, wieviel junge Akademiker, die auf Grund ihrer hohen Einkommen schon über der Krankenversicherungspflichtgrenze liegen, sich an der Universität in irgendeinem exotischen Fach wie Chinesisch wieder eintragen, um somit wieder in den Genuß der Krankenversicherung für Studenten zu geraten?
Das Problem - das mit Ihrer Ausgangsfrage nicht direkt etwas zu tun hat - ist der Bundesregierung natürlich bekannt, nach unserer Einschätzung zahlenmäßig jedoch nicht so relevant, daß man dafür zusätzliche Kontrollen einführen sollte und daß dies vom Verwaltungsaufwand her gerechtfertigt wäre.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wäre es im Interesse der Solidargemeinschaft nicht dringend erforderlich, eine zentrale Versichertenkartei zu erstellen, die der Datenschutz bisher verhindert hat?
Was das Ausbildungsförderungsgesetz angeht, ist dessen Text 1974 dahin geändert worden, daß auf Antrag des Bundesrates der Name nicht mehr erfaßt wurde, weil der Bundesrat damals gesagt hat, es sei nicht Aufgabe einer Bundesstatistik über Ausbildungsförderung, die Namen der Geförderten auszuweisen. In der Begründung hieß es weiter: Auch im Interesse des Datenschutzes ist eine Preisgabe der Namen der Begünstigten für statistische Zwecke nicht zulässig. Die Bundesregierung hat sich damals wie auch das Parlament dieser Begründung des Bundesrats angeschlossen. Deswegen sind die Namen in der Statistik nicht mehr enthalten.
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn sich aber nun herausstellt - es gibt Zahlen, und ich bedaure, daß Sie sie nicht haben -, daß Mißbrauch in dieser Form getrieben wird, glauben Sie nicht, daß man dann von einem Beschluß von 1974 abrücken und eine neue Entscheidung fällen müßte?
Über eine Initiative, die ja der Bundesrat in Korrektur seines 1974 vorgelegten Antrages einleiten könnte, würde dann selbstverständlich auch in der Bundesregierung neu diskutiert werden.
Letzte Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Ist es nicht auch im Interesse der Bundesregierung - nicht nur des Bundesrats -, hier angesichts der nicht mehr vorhandenen Mittel initiativ zu werden, um sowohl das Versichertenwesen als auch das Mehrfach-BAföG-Kassieren in den Griff zu bekommen?
Wir haben eine Prüfung vorgenommen, ob man beim BAföG dadurch eine Kontrolle einführen könnte, daß das Bundesverwaltungsamt die Darlehensmeldungen erfaßt. Wie dieses aber selbst festgestellt hat, wäre der verwaltungsmäßige Aufwand dafür so hoch, daß er in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag stünde.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, meine Frage vom 5. August 1982 ({0}) im zweiten Anlauf dahin gehend richtig und vollständig zu beantworten, daß sie mir mitteilt, wie hoch die Autotelefongebühren der einzelnen Parlamentarischen Staatssekretäre im vergangenen Jahr waren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Friedmann, die für die jeweiligen Anschlüsse für 1981 angefallenen Gesprächsgebühren - einschließlich Funkkanalgebühr - betragen für die einzelnen Ressorts: Bundeskanzleramt 5 781,99 DM; Auswärtiges Amt: ein Anschluß 2 044,52 DM, der andere Anschluß 7 292,54 DM; Bundesminister des Innern 9 118,97 DM; BMJ 3 067,35 DM; BMF 2 393,87 DM, der andere Anschluß
3 626,82 DM; BMWi 484,74 DM; BML 2 725,81 DM;
BMVg 6 798,43 DM; BMV 2 848,95 DM; BMFT
4 877,80 DM; BMP 1 580,96 DM. Eine Meldung des BMA liegt mir nicht vor. Ich habe gerade durch Rückfrage bei meinem Kollegen festgestellt: Er hat ein Telefon; die Höhe der Gebühren werde ich Ihnen gerne nachträglich mitteilen.
Bei den Zahlen ist zu berücksichtigen, daß die Funkkanalgebühr auch für ankommende Gespräche berechnet wird. Hinzu kommt noch die Grundgebühr, die monatlich 180 DM pro Anschluß beträgt.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, innerhalb der Regierung Klarheit zu verschaffen, daß das Autotelefon nicht nur ein
Statussymbol ist, sondern ein Arbeitsgerät, mit dem man auch entsprechend sparsam umzugehen hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich halte es für überflüssig, hier Klarheit zu schaffen, weil diese Klarheit schon besteht. Es ist ein Arbeitsgerät, und so wird es auch benutzt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden inzwischen auch die Dienstwagen von Ministerialdirektoren mit Autotelefonen ausgestattet?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ein solcher Fall ist mir nicht bekannt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Fragesteller der Frage 7, Abgeordneter Dr. Hennig, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort ist als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Austermann auf:
Trifft die Aussage von Bausenator Lange ({0}) zu, daß noch in diesem Monat Gespräche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über Möglichkeiten zur Verminderung der Elbverschmutzung beginnen, und daß von den Bundesländern die Hamburger Landesregierung allein an diesen Gesprächen beteiligt ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, die Bundesregierung hat der DDR, nachdem diese auf unsere Initiative hin ihre grundsätzliche Bereitschaft zu informativen Expertengesprächen erklärt hatte, vor kurzem eine Einladung zu Expertengesprächen über die Verringerung der Verunreinigung der Elbe in Bonn übermittelt. Eine Entscheidung der Regierung der DDR hierzu steht noch aus. Die Bundesregierung arbeitet in der Frage der Reinhaltung der Elbe aufs engste mit den Bundesländern zusammen, durch deren Gebiet die Elbe fließt. Dies gilt auch bei Expertengesprächen mit der DDR.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, einen konkreten Termin für ein Gespräch gibt es demnach entgegen der Äußerung von Bausenator Lange zur Zeit nicht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ein konkreter Gesprächstermin ist gegenwärtig, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, noch nicht vereinbart.
Weitere Zusatzfrage? - Keine mehr.
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Austermann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die im Widerspruch zu einem Schreiben von Bundeskanzler Schmidt an den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Dr. Stoltenberg stehende Aussage, die Bundesminister Engholm vor kurzem in
Wewelsfleth/Steinburg gemacht hat, die Entsorgung des im Bau befindlichen Kernkraftwerks Brokdorf sei zur Zeit nicht gesichert, so daß nach der Fertigstellung ohne zusätzliche Entsorgungsmaßnahmen eine Inbetriebnahme nicht in Frage komme?
Die Regierungschefs von Bund und Ländern, Herr Kollege Austermann, haben durch ihren Beschluß vom 29. Februar 1980 die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke einvernehmlich festgelegt. Diese Grundsätze konkretisieren die entsorgungspolitischen Anforderungen bei Planung, Bau und Betrieb von Kernkraftwerken. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat darauf in seinem Schreiben vom 14. März 1980 an den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein hingewiesen.
Nach den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke ist spätestens vor der ersten Teilbetriebsgenehmigung der Nachweis zu erbringen, daß ab Inbetriebnahme eines Kernkraftwerkes für einen Betriebszeitraum von sechs Jahren im voraus der sichere Verbleib der bestrahlten Brennelemente durch Einrichtungen des Betreibers oder durch bindende Verträge mit Dritten sichergestellt ist. Dieser Nachweis kann für das Kernkraftwerk Brokdorf durch Verträge über die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente, durch ihre Zwischenlagerung in kraftwerkseigenen Kompaktlagern oder in externen Zwischenlagern geführt werden. Darüber hinausgehende Entsorgungsmaßnahmen sind nach der ersten Teilbetriebsgenehmigung nach den Entsorgungsgrundsätzen nicht erforderlich.
Zu einer Zusatzfrage, bitte, Herr Leuschner.
Herr Staatssekretär, da zur Entsorgung auch eine endgültige Endlagerung gehört, darf ich Sie fragen: Kann die Bundesregierung ausschließen, daß die Salzstöcke in Gorleben für eine Endlagerung im Endergebnis nicht geeignet sind, und wäre es, wenn das nicht sicher ist, deswegen nicht geboten, außer diesem Standort auch andere schleunigst auf ihre Eignung für eine Endlagerung zu untersuchen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die bisherigen Erkundungsarbeiten in Gorleben keinen Anlaß dazu geben, an der grundsätzlichen Eignung des Salzstocks zu zweifeln. Die Frage, die Sie gestellt haben, würde sich allerdings in der Tat dann stellen, wenn sich diese Bewertung auf Grund der fortschreitenden Erkundungsarbeiten ändern würde - aber auch erst dann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jansen.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß im Rahmen der Kompetenz der Länder als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden im Bereich der Kernenergie den Ländern unter
Beachtung der gemeinsamen Grundsätze zwischen Bund und Ländern Ermessensspielräume geblieben sind und ihre Verantwortung in bezug auf ihre Zuständigkeit auch zu beweglichen politischen Entscheidungen führen kann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, daß es in Bundesauftragsverwaltung durchgeführt wird. Die Entscheidungen treffen die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Länder zunächst in eigener Verantwortung. Der Bundesminister des Innern hat als Aufsichtsbehörde Möglichkeiten, korrigierend einzugreifen.
Aber Sie haben völlig recht, daß die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Länder bei den atomrechtlichen Einzelentscheidungen einen gewissen Ermessensspielraum haben. Das ist dann im Wege der Bundesaufsicht von der Bundesregierung zu beurteilen. Aber zunächst liegen häufig Ermessensentscheidungen der einzelnen Genehmigungsbehörden der Länder vor.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Länder trotz der ungeklärten Entsorgungsproblematik auf Grund des ihnen verfassungsmäßig zugesicherten Rechts auf eigene Zuständigkeiten in der Energiepolitik auch eigene Energiekonzepte entwickeln und dann auch umsetzen dürfen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, rechtlich ist es ohne Zweifel so, wie Sie es beschreiben. Die Ausgangsfrage war allerdings eine politische Frage nach der Bewertung der Entsorgungssituation durch die Bundesregierung. Dazu habe ich eine Bewertung abgegeben. Sie entspricht den in dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern getroffenen Grundsätzen zur Entsorgungspolitik. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Fragesteller der Frage 10, Abgeordneter Dr. Laufs, hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Stockleben auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß beihilfeberechtigte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes des Bundes im Krankheitsfall, insbesondere bei einem Krankenhausaufenthalt, mit den Leistungen aus der Beihilfe und aus den privaten Zusatzversicherungen, soweit diese dem Grund nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, ein höheres Einkommen erzielen, und, wenn nein, welche Höhe kann die Einkommenssteigerung erreichen?
Herr Kollege Stockleben, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammenfassend beantworten dürfte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 12 des Abgeordneten Stockleben auf:
Kann die Bundesregierung diesen Sachverhalt für Angehörige und Hinterbliebene von beihilfeberechtigten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ausschließen, und, wenn nein, welche Höhe kann hier die Einkommenssteigerung erreichen?
Die Beihilfevorschriften des Bundes gehen davon aus, daß der Beamte für sich und seine Familie zu einem erheblichen Teil Vorsorge aus eigenen Mitteln trifft. Diese Vorsorge wird durch Leistungen des Dienstherrn ergänzt, die so bemessen sind, daß sie zusammen mit den Versicherungsleistungen die entstandenen Aufwendungen in der Regel decken. Allerdings kann eine freiwillige Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse oder eine zu hohe private Krankenversicherung dazu führen, daß Beihilfe und Kassenleistung zusammen die tatsächlich entstandenen Krankheitskosten übersteigen. Die Höhe des im Einzelfall die tatsächlichen Kosten übersteigenden Betrages ist generell nicht quantifizierbar, da sie von den von Fall zu Fall unterschiedlichen Kassenbzw. Beihilfeleistungen abhängt.
Ich habe in Vorbereitung dieser Fragestunde aber versucht, einige Modellrechnungen anstellen zu lassen, die das Übersteigen der Gesamthöhe der tatsächlichen Aufwendungen wie auch das Unterschreiten an Hand von Einzelbeispielen darlegen. Herr Kollege Stockleben, ich wäre gerne bereit, Ihnen diese Modellrechnung im Anschluß an die Fragestunde zu Ihrer Information zur Verfügung zu stellen.
Die Entwicklung, die ich eben gekennzeichnet habe, beruht im wesentlichen auf Umständen, die außerhalb des Beihilferechts liegen. So ist es im Bereich der privaten Krankenversicherungen noch möglich, sich - allerdings gegen höhere Beiträge - höher als notwendig zu versichern. Eine Reihe von Privatversicherungen hat diese Möglichkeit jedoch erfreulicherweise inzwischen ausgeschlossen. Zu Übererstattungen kann es insbesondere aber auch bei einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen, denn die Ersatzkassen, in manchen Fällen auch die RVO-Kassen, sind dazu übergegangen, an Stelle der die gesetzliche Krankenversicherung prägenden Sachleistung Barleistung zu gewähren. Zur Vermeidung solcher dem Wesen der Beihilfe zuwiderlaufender Übererstattungen ist eine Regelung im Rahmen der Neuordnung des Beihilferechts vorgesehen. Die Vorarbeiten in der Bund-Länder-Kommission sind bereits abgeschlossen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stockleben, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Situation, daß wir auf der einen Seite große Teile der Bevölkerung bitten, eine Selbstbeteiligung bei den Krankenhauskosten von 7 mal 5 DM herbeizuführen, aber auch die Tatsache besteht, daß es nach der Beihilferegelung
möglich ist, einen höheren Betrag zu erhalten, auf der anderen Seite den Bürger zur Kasse bitten, politisch nicht mehr erklärbar und auch nicht vertretbar ist? Ist das auch die Grundlage für die Reformierung der Beihilferegelung?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Das ist der Grund, Herr Kollege, wieso die Bundesregierung die Neuordnung der Beihilferichtlinien mit Nachdruck vorantreiben will, um nämlich zu verhindern, daß es in Zukunft dazu kommt, daß in Einzelfällen eine höhere Erstattung, als es den tatsächlichen Krankheitsaufwendungen entspricht, erfolgt.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Huonker zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dörflinger auf:
Aus welchen Gründen plant das Bundesfinanzministerium, die Rückerstattung der Mehrwertsteuer bis zu einer Einkaufshöhe von 100 DM für Kunden aus Nicht-EG-Ländern zu streichen, und bis wann ist mit der Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs zu rechnen?
Sehr geehrter Herr Kollege Dörflinger, ich würde Sie bitten, beide Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Sind Sie damit einverstanden? - Gut. Dann rufe ich zusätzlich Frage 14 des Abgeordneten Dörflinger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die voraussehbaren negativen Auswirkungen einer solchen Regelung auf den grenznahen deutschen Einzelhandel ({0}) angesichts der derzeit ohnehin angespannten wirtschaftlichen Situation, und welche Gegenmaßnahmen zur Minderung dieser Auswirkungen sind denkbar?
Es gibt keine Entscheidung des Bundesfinanzministers mit dem Ziel, die Umsatzsteuerbefreiung für Verkäufe über die Grenze bis zur Höhe von 100 DM an Kunden aus Nicht-EG-Ländern zu versagen. Richtig ist, daß diese Frage zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder geprüft wird, da die Einschränkung dieser Umsatzsteuerbefreiung für die Grenzzollstellen zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung führen würde.
In die Prüfung dieser Frage sind die Spitzenverbände der betroffenen Wirtschaftskreise eingeschaltet worden. Selbstverständlich werden die besonders vom deutschen Einzelhandel an den Grenzen zur Schweiz und zu Österreich erhobenen Bedenken in diese Prüfung einbezogen, die Ertragseinbußen mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zum Gegenstand haben. Hierbei wird auch geprüft werden, ob den geäußerten Bedenken möglicherweise durch eine andere Betragsgrenze Rechnung getragen werden kann. Ob mit der Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu rechnen ist, ist zur Zeit durchaus offen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung mitteilen, ob die mit dieser Neuregelung angestrebte Verwaltungsvereinfachung womöglich auch im Abbau des Personalbestandes an den Grenzübergängen bestehen soll?
Dies kann ich nicht bestätigen. Hinzufügen will ich gleich - das werden besonders Sie als jemand, der aus dem Grenzraum kommt, wissen -, daß die Grenzzollstellen ja auch ohne diese Arbeit außerordentlich stark ausgelastet und belastet sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben angekündigt, die beabsichtigte Neuregelung auch mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft besprechen zu wollen. Ist vorgesehen, das auch vor Ort zu tun, d. h. nicht nur in Bonn, sondern unmittelbar am Ort des Geschehens?
Die Spitzenverbände haben ja die Funktion, die Interessen aller Mitglieder und in einem solchen speziellen Fall - das zeigen auch die Eingaben - der Mitglieder zu vertreten, die in diesem Bereich tätig sind und deshalb von einer solchen Maßnahme besonders tangiert würden.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß es im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet eine nicht unerhebliche Zahl von Betrieben gibt, die bis zu 60 % ihres Umsatzes im Export erzielen, die damit von der beabsichtigten Regelung empfindlich getroffen würden?
Daß es Unternehmen gibt, die einen erheblichen Teil ihres Umsatzes durch diese Geschäfte erzielen, ist der Bundesregierung bekannt, nicht zuletzt durch die Eingaben. Ich wiederhole, daß natürlich diese Gesichtspunkte mit einem ganz erheblichen Gewicht in die Prüfung einbezogen werden.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um dies noch zu verdeutlichen: Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß das von der beabsichtigten Änderung ausgelöste Schrumpfen des Exportanteils deutscher Betriebe zum konkreten Verlust von Arbeitsplätzen - vor allem im Mittelstand - und zu einem deutlichen Rückgang der Investitionen sowohl im Mittelstand als auch bei den Zulieferbetrieben führen würde, also genau zum Gegenteil dessen, was in der augenblicklich schwierigen wirtschaftlichen Lage wünschenswert und notwendig wäre?
Der Bundesregierung sind die Gründe der betroffenen Unternehmen und ihrer Verbände bekannt. Ich sage noch einmal, daß diese Gründe - Sie haben ja einige genannt - in der Prüfung ihr besonderes Gewicht haben werden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Fragsteller der Frage 15, der Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup, ist nicht im Saal.
Der Fragesteller der Fragen 16 und 17, der Abgeordnete Dr. Kübler, hat um schriftliche Beantwortung der Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 18 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Angestellten und der Mitglieder bzw. der Versicherten der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, und liegt in der Möglichkeit der Kooptierung neuer Mitglieder in die Mitgliedervertreterversammlung durch bereits amtierende Mitglieder nicht eine Gefahr im Hinblick auf die demokratische Vertretung der Interessen aller Mitglieder?
Sehr verehrte Frau Kollegin, nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 besteht der Aufsichtsrat eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit mit mehr als 500 Arbeitnehmern zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer. Diese Vertretung im Aufsichtsrat eröffnet den Arbeitnehmern Informations- und Mitsprachemöglichkeiten, nicht jedoch die Möglichkeit einer gleichgewichtigen Mitbestimmung.
Die Bundesregierung hatte daher in der Begründung zu § 1 des Regierungsentwurfs eines Mitbestimmungsgesetzes 1975 vorgeschlagen, die Einbeziehung von Unternehmen in der Rechtsform des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit in den Anwendungsbereich dieses Mitbestimmungsgesetzes zu prüfen. Die gesetzgebenden Körperschaften haben sich zu einer entsprechenden Ausdehnung des Anwendungsbereichs nicht entschlossen.
Die Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit wirken an der Willensbildung des Vereins durch eine oberste Vertretung - das ist die Versammlung von Mitgliedern oder von Vertretern der Mitglieder - mit. Hierfür haben sich drei Systeme herausgebildet, die im einzelnen darzustellen diese Fragestunde sprengen würde.
Die Bundesregierung sieht die im System der von Ihnen genannten Kooptation liegenden Besonderheiten, und sie sieht auch damit zusammenhängende Probleme. Für die Interessenwahrung der Mitglieder insbesondere größerer Vereine sind praktikable und unangefochtene Lösungen jedoch nicht ersichtlich.
Wesentliche Schwierigkeiten - wenn ich dies hinzufügen darf - haben sich hieraus bisher nicht gezeigt. Insbesondere sind keine Sachverhalte bekanntgeworden, die als eine Gefährdung der Belange der Versicherten im Sinne des § 81 des Versicherungsaufsichtsgesetzes hätten gewertet werden müssen.
Lassen sie mich ein weiteres hinzufügen: Die weit überwiegende Zahl der Mitglieder, die ihre Mitgliedschaft regelmäßig als Nebenfolge des Abschlusses eines Versicherungsvertrags erwirbt und mit der Beendigung dieses Verhältnisses auch wieder verliert, pflegt, soweit mir das bekannt ist, an einer Mitwirkung im Verein häufig kein spürbares Interesse zu haben. Damit sind alle Versuche belastet, sehr geehrte Frau Kollegin, eine andere Form der Vertretung einzurichten.
Zusatzfrage, bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, nach meinen Informationen sind diese Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit zum Teil aus sehr kleinen Anfängen entstanden und schon sehr alt. Heute verwalten sie allerdings ein Milliardenvermögen. Das Kooptationsverfahren hat dazu geführt, daß in vielen Fällen Freunde und Verwandte der ursprünglichen Vertreter kooptiert worden sind.
Können Sie dies bestätigen? Können Sie den Verdacht, daß hier peu à peu eine Klüngelwirtschaft entstanden ist, wirklich ausschließen?
Ich kann das nicht bestätigen. Sollte Ihre Frage auf einem ganz konkreten Einzelfall beruhen, könnte es natürlich hilfreich sein, wenn Sie diesen der Bundesregierung zur Kenntnis bringen könnten.
Weitere Zusatzfragen, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, kennen Sie diesen Einzelfall nicht schon?
Ich kenne diesen Einzelfall nicht, oder - ich will das einschränken - er ist mir im Augenblick nicht präsent.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 19 der Frau Abgeordneten Dr. Martiny-Glotz auf:
Sind nach Meinung der Bundesregierung die wenigstens theoretisch bestehenden Anteilsrechte der Mitglieder der Versicherungsvereine a. G. an den Vereinsvermögen und deren Zuwächsen im Interesse der Versicherten ausreichend klar geregelt, und erhalten Mitglieder von Versicherungsvereinen a. G. z. B. in der Lebensversicherung grundsätzlich höhere Überschußbeteiligungen als Versicherte bei Aktiengesellschaften?
Bitte, Herr Staatssekretär:
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit nehmen am Vereinsvermögen - und dessen Zuwächsen - nur im Falle der Auflösung des Vereins teil. Die hierfür im Versicherungsaufsichtsgesetz enthaltenen Regelungen sind eindeutig. Von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen Verteilung an die im Zeitpunkt der Auflösung
noch dem Verein angehörenden Mitglieder kann in der Satzung des Vereins - dies ist im Gesetz vorgesehen - abgewichen werden.
Die Verteilung des sich nach der Bilanz eines Versicherungsvereins ergebenden Überschusses erfolgt nach den in der Satzung des Vereins enthaltenen Bestimmungen. Diese können sowohl den Maßstab für die Verteilung festlegen als auch die Frage regeln, ob der Überschuß nur an die am Schluß des Geschäftsjahrs vorhandenen oder auch an ausgeschiedene Mitglieder verteilt werden soll. Diesem mitgliedschaftsrechtlichen Anspruch der Versicherungsnehmer auf Beteiligung an einem etwaigen Überschuß entspricht bei Versicherungs-Aktiengesellschaften der Anspruch der Aktionäre auf den Bilanzgewinn.
Der Anspruch nach § 38 Versicherungsaufsichtsgesetz steht den Mitgliedern des Vereins neben den Beitragsrückerstattungen zu, die ihnen - wie auch den Versicherungsnehmern von Versicherungs-Aktiengesellschaften - zufließen.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, ergibt sich bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit zwar seit Jahren im Mittel jeweils ein etwas höheres Verhältnis von Überschuß zur Beitragseinnahme als bei den Aktiengesellschaften. Ebenso liegt seit Jahren die Zuweisungsquote bei den Versicherungsvereinen im Mittel höher als bei den Aktiengesellschaften. Diese Durchschnittsergebnisse lassen jedoch keinen Schluß auf den einzelnen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit oder die einzelne Versicherungs-Aktiengesellschaft zu, weil die Ergebnisse wesentlich von der Zusammensetzung des Versicherungsbestandes abhängen. Eine grundsätzlich höhere Überschußbeteiligung von Mitgliedern eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, z. B. in der Lebensversicherung, gegenüber Versicherten bei Aktiengesellschaften, ist aus der Rechtsform somit nicht abzuleiten.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten, bitte.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Versicherten über die unterschiedlichen Strukturen der Kosten, die der Ausschüttung ja vorausgehen, hinreichend informiert sind und tatsächlich wissen, daß sie sich bei einem öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen auf Gegenseitigkeit in einer besseren Risikogruppe befinden und infolgedessen im Endeffekt mit einer höheren Gewinnbeteiligung zu rechnen haben?
Ich würde zögern, dieses schlicht mit einem Ja oder Nein zu beantworten. Ich gehe davon aus, daß wir alle miteinander in dem hierzu vorgesehenen Hearing einiges an Klarheit gewinnen werden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Herr Staatssekretär, ich bitte, noch einen Augenblick hierzubleiben. Ich wollte doch die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup zulassen. Er ist in dem Augenblick in den Saal gekommen, als die
Frage 16 aufgerufen wurde. Er hatte Schwierigkeiten mit dem Aufzug.
Ich rufe also die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Kosten für ländlich-hauswirtschaftliche Auszubildende steuerlich von den Finanzämtern unterschiedlich gehandhabt werden, und wenn ja, wäre es nicht sinnvoll - insbesondere unter dem Aspekt, zusätzliche Ausbildungsplätze im hauswirtschaftlichen Bereich zu schaffen -, die Kosten für die ländlich-hauswirtschaftlichen Auszubildenden einheitlich als Betriebsausgaben anzuerkennen?
Aufwendungen für die Ausbildung eines in der ländlichen Hauswirtschaft Auszubildenden entfallen zum Teil auf typisch landwirtschaftliche Aufgaben und damit auf den betrieblichen Bereich und zum Teil auf den privaten Bereich. Dementsprechend sind die Aufwendungen teilweise als Betriebsausgaben und teilweise als nichtabzugsfähige Aufwendungen für die Lebensführung zu behandeln.
Die Aufteilung ist nach einem Beschluß der Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder aus dem Jahre 1974 im Wege der Schätzung vorzunehmen. Danach verfahren die Finanzämter, soweit der Bundesregierung bekannt, einheitlich. Das Aufteilungsverhältnis kann dabei unterschiedlich sein. Das ist jedoch sachgerecht. Die Zuordnung der Aufwendungen für den Auszubildenden hängt davon ab, in welchem Umfang er für betriebliche Zwecke einerseits und für den privaten Bereich andererseits tätig ist. Da die tatsächlichen Verhältnisse unterschiedlich sind, kann ein einheitliches Aufteilungsverhältnis nicht festgelegt werden.
Soweit die hauswirtschaftliche Ausbildung den privaten Haushalt betrifft, besteht keine Möglichkeit, die anteiligen Kosten zum Abzug als Betriebsausgaben zuzulassen. Die Kosten des privaten Haushalts betreffen die Privatsphäre und sind daher nach § 12 des Einkommensteuergesetzes grundsätzlich nicht abziehbar. Im Hinblick auf den das Einkommensteuerrecht beherrschenden Grundsatz, daß in der Privatsphäre begründete Aufwendungen nicht zu einer Minderung der Steuerbelastung führen dürfen, sehe ich keine Möglichkeit - auch nicht aus beschäftigungspolitischen Gründen -, besondere steuerliche Erleichterungen für die Ausbildung von Auszubildenden in der ländlichen Hauswirtschaft zu schaffen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Schartz ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft verfügte Kürzung der Walzdrahtproduktion beim Moselstahlwerk Trier zu einer Schließung des Trierer Werks zunächst für die Zeit vom 8. September bis 4. Oktober 1982 geführt hat, obwohl dieser Betrieb bisher positive Wirtschaftsergebnisse erzielt hat?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Situation des Moselstahlwerks in Trier ist der Bundesregierung bekannt. Das Unternehmen hat einen vorübergehenden Produktionsstillstand beschlossen, um die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft für Walzdraht festgesetzte Produktionsmenge im dritten Quartal 1982 nicht zu überschreiten. Das Unternehmen hat sich mit seinem Anliegen sowohl an die EG-Kommission als auch an die Bundesregierung gewandt. Gegen die Festsetzung der Quoten hat es auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß gerade die mittelgroßen Betriebe der Stahlindustrie durch eine solche Produktionsbeschränkung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten können und daß dies in diesem Bereich wohl gefährlicher ist als in den großen Stahlindustriewerken?
Herr Kollege, ich würde die Antwort auf diese Frage, wenn Sie einverstanden sind, gerne gleich mit der Antwort auf Ihre zweite Frage verbinden, weil sich die Fragen tatsächlich inhaltlich decken.
Sind Sie damit einverstanden?
Ja, natürlich.
Dann rufe ich noch die Frage 21 des Abgeordneten Schartz ({0}) auf:
Sind die Auswirkungen bedacht worden, die eine solche Maßnahme für die strukturschwache Region Trier hat, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die EG-Entscheidung so zu überprüfen und so zu differenzieren, daß die positiv arbeitenden Betriebe der Stahlindustrie in ihrem wirtschaftlichen Handeln davon nicht negativ berührt werden?
Die Produktionsquotenregelung nach Art. 58 des Montanvertrages ist eine generelle Norm, die zu einer Anpassung der Produktion aller Stahlwerke an die stark abgeschwächte Stahlnachfrage führen soll. Damit soll auch eine Erlösverbesserung auf dem rückläufigen Wahlzdrahtmarkt erzielt werden, auf dem wegen hoher Überkapazitäten ein ruinöser Preiswettbewerb herrscht. Die Bundesregierung hat immer wieder ihre Bedenken gegen die obligatorische Quotenregelung erkennen lassen. Angesichts des Marktungleichgewichts stellt aber diese Regelung derzeit die einzige Möglichkeit dar, kurzfristig eine Marktstabilisierung herbeizuführen.
Zwar sieht das Quotensystem für außerordentliche Schwierigkeiten Ausnahmeregelungen vor. Das Moselstahlwerk hat einen entsprechenden Antrag bei der Kommission gestellt, der von der Kommission der EG nach erster Prüfung negativ beschieden worden ist. Die Bundesregierung hat grundsätzlich keinen Einfluß auf die Entscheidung der Kommission.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich entnehme Ihrer Antwort, daß Ausnahmen möglich sind. Wäre die Bundesregierung bereit, bei der EG vorstellig zu werden, um eine solche Ausnahme für das Moselstahlwerk Trier zu erreichen, wenn dieses Werk sich verpflichtet, die zusätzliche Produktion nur in Drittländer zu exportieren, und gäbe es einen befristeten Zeitraum, um eine solche Entscheidung herbeizuführen?
Ich betone noch einmal, Herr Kollege, daß die Bundesregierung keinen Einfluß auf die Entscheidung der Kommission in dieser Frage hat. Die Tatsache, daß ein Antrag des Unternehmens gestellt wurde, daß Klage erhoben wurde, daß enger Kontakt des Unternehmens auch mit der Bundesregierung besteht, stellt aber sicher, daß das, was im Rahmen der ungewöhnlich ungünstigen Situation, die wir auf dem Stahlmarkt haben, getan werden kann, auch tatsächlich getan werden wird. Mangels Zuständigkeit - die Zuständigkeit liegt bei der EG-Kommission - kann ich hier nicht auf irgendwelche Einzelheiten in dieser Frage eingehen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sehen es mir bitte nach, wenn ich Ihre Antwort nicht richtig verstanden habe. Sie sagten auf der einen Seite, wir hätten keinen Einfluß, und auf der anderen Seite, die Bundesregierung stehe in Gesprächen. Meine konkrete Frage: Ist die Bundesregierung, wenn sie auch nicht entscheiden kann, zumindest bereit, diesen Antrag des Moselstahlwerkes mit allem Nachdruck in Brüssel zu unterstützen?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird die präjudizielle Wirkung mit zu bedenken haben. Der Stahlmarkt in diesem Bereich ist vom ruinösen Preiswettbewerb betroffen. Unsere Bestrebungen, den Wettbewerb im Bereich der Stahlindustrie entscheiden zu lassen, sind nicht erfolgreich gewesen, weil massive Subventionen über Jahre hinweg in anderen Ländern diesen Wettbewerb verfälscht haben. Sie alle wissen, daß wir uns in dieser Lage einem EG-Reglement gebeugt haben, das die Konsequenzen hat, die wir hier im Augenblick diskutieren. Wir sehen deshalb keine Möglichkeit, hier an dieser Stelle zu Einzelfragen, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission liegen, Stellung zu nehmen.
Eine letzte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, durch die Betriebsschließung eines so bedeutsamen Werkes in einer industrieschwachen Region können natürlich Schwierigkeiten für andere Betriebe entstehen: Zulieferbetriebe, Abnahmebetriebe und auch Betriebsgesellschaften für die Betreibung von Häfen. Hat die Bundesregierung eine Möglichkeit, finanzielle Hilfen für diese mittelbar geschädigten Betriebe zu geben?
Nein, diese Möglichkeit hat sie nicht. Sie hat lediglich im Rahmen der regionalen Strukturpolitik - gemeinsam mit den Ländern - die Möglichkeit, im Rahmen der Planungsgemeinschaft zu handeln, was sie in der Vergangenheit auch getan hat. Nur unter diesen sehr eingeschränkten Voraussetzungen, die Ihnen sicher bekannt sind, ist eine regionalpolitische Zuständigkeit der Bundesregierung - im Zusammenwirken mit allen und unter Zustimmung von mindestens sechs Bundesländern - gegeben.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da die Situation des Moselstahlwerkes in die Lage der gesamten Stahlindustrie und deren Verhältnis zu den europäischen Stahlproduzenten eingebettet ist, darf ich Sie fragen: Werden Sie in Brüssel, vor allem dann, wenn die deutsche EG-Präsidentschaft ansteht, weiterhin darauf dringen, daß es in Europa zu einem vernünftigen, abgestimmten Verhalten vor allem auch in dem Sinne kommt, daß nicht alte Kapazitäten woanders - stark subventioniert - erhalten bleiben und moderne Kapazitäten hier abgebaut oder stillgelegt werden müssen?
Das ist das Ziel unserer Bemühungen in den letzten Jahren gewesen. Wie Sie wissen, haben wir uns mit unseren Vorstellungen nur unzulänglich durchgesetzt, weil die Interessenlage anderer, hoch subventionierter Stahlwerke in anderen Ländern es nicht möglich gemacht hat, einen Weg in unserem Sinne tatsächlich auch EGweit durchzusetzen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Fragesteller der Frage 22, Herr Abgeordneter Gansel, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Hinsken auf:
Wieviel Aufträge mit welcher Auftragssumme wurden durch den Bund seit 1981 an ausländische, nicht im EG-Bereich liegende Firmen vergeben?
Zahlen über die Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes an Unternehmen aus Drittländern liegen nur insoweit vor, als diese Aufträge nach dem GATT-Kodex „Regierungskäufe" oder in Anwendung der EG-Richtlinie über öffentliche Aufträge vergeben worden sind. Diese Regelungen erfassen nur Beschaffungen oberhalb bestimmter Werte: Für Lieferaufträge beträgt der Wert zur Zeit 364 000 DM, für Bauaufträge zur Zeit 2 Millionen DM.
Eine statistische Berichtspflicht für Beschaffungen unterhalb dieser Schwellen existiert nicht. Der GATT-Kodex „Regierungskäufe" und die EG-Richtlinie decken allerdings einen großen Teil der Bundesaufträge ab. Militärspezifische Beschaffungen fallen nicht darunter. Im Jahre 1981 wurde nur ein Bundesauftrag an ein Unternehmen außerhalb der
Europäischen Gemeinschaft vergeben. Es handelt sich um einen Lieferauftrag des Bundesministers der Verteidigung im Wert von ca. 1,5 Millionen DM. Die Zahlen für 1982 liegen noch nicht vor, dürften aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre vergleichbar ausfallen.
Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, konnte dieser eine Auftrag nicht von deutschen Firmen ausgeführt werden, und wurde er deshalb an diese ausländische Firma vergeben?
Ich kann Ihnen keine Auskünfte darüber geben, wie die Wettbewerbslage bei dieser Ausschreibung war, so daß ich die Frage, ob überhaupt Bewerbungen deutscher Firmen um diese Aufträge vorgelegen haben, nicht beantworten kann. Ich kann also, wie gesagt, dazu keine Auskunft geben, werde aber gern nachprüfen, ob eine zusätzliche Information möglich ist.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat diese ausländische Firma deutsche Mitarbeiter oder nur ausländische beschäftigt?
Auch diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Hinsken auf:
Wieviel ausländische Firmen mit wie vielen Mitarbeitern sind seit 1981 durch Bundesaufträge in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt?
Genaue Zahlen über die Beschäftigung ausländischer Firmen und ihrer Mitarbeiter in der Bundesrepublik durch öffentliche Aufträge des Bundes liegen nicht vor. Das von Ihnen angesprochene Problem der sogenannten Werkvertragsarbeitnehmer stellt sich für den Bereich öffentlicher Aufträge - wenn überhaupt - nur im Baubereich. Für diesen liegen nur generelle, nicht aber für öffentliche Aufträge spezifische Angaben vor. Die Zahl der bei uns im Baugewerbe tätigen Werkvertragsarbeitnehmer aus den Staatshandelsländern einschließlich Jugoslawien ist von 9 176 am 30. November 1981 auf 5 179 am 31. Juli 1982 zurückgegangen. Die Zahl der österreichischen Werkvertragsarbeitnehmer ging im gleichen Zeitraum von 1 484 auf 863 zurück. Diese Zahlen differenzieren, wie gesagt, nicht zwischen privaten und öffentlichen Aufträgen.
Da seit 1980 kein öffentlicher Bundesauftrag an Unternehmen an Drittländern vergeben worden ist, ist davon auszugehen, daß die ohnehin rückläufige Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer bei öffentlichen Bauaufträgen des Bundes keine Rolle spielt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zahlen diese Firmen Gewerbesteuer, und wenn sie eine solche zahlen: an wen wird diese gezahlt?
Die unterliegen deutschem Recht und sind deshalb auch hinsichtlich ihrer steuerlichen Leistungen deutschen Unternehmen gleichgestellt.
Wer ist dann der Empfänger dieser Gewerbesteuer?
Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten, auch weil sie so unpräzise ist. Das hängt von dem Sitz des Unternehmens ab.
({0})
Deshalb kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten. Sie müßten dann vielleicht fragen: Wohin hat die Firma XY ihre Gewerbesteuer zu entrichten? Dann würde man der Frage nachgehen können.
({1})
Verzeihung, Sie haben keine Frage mehr. Sie haben zwei Zusatzfragen gestellt.
Ich rufe Frage 25 - des Abgeordneten Dr. Czaja - auf:
Welche konkreten Vorschläge hat die Bundesregierung gemacht, um Konflikte im Zusammenhang mit dem Erdgasröhrengeschäft wegen der tatsächlich oder angeblich widerstreitenden Interessen im Bereich des internationalen Privatrechts - wie sie ständig vorkommen - im Sinne der OECD-Richtlinien für solche Fälle „in gutem Glauben" zu lösen?
Es trifft zu, daß nach den Richtlinien der OECD für multinationale Unternehmen ein Konsultationsverfahren in den Fällen möglich ist, in denen multinationale Unternehmen divergierenden Rechtsanforderungen verschiedener Rechtsordnungen unterworfen sind. Die Bundesregierung strebt jedoch zunächst zusammen mit den anderen westeuropäischen Regierungen ein unmittelbares Gespräch mit der US-Regierung an.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Frage der extraterritorialen Anforderungen für den Reexport von amerikanischen Erdöl- und Erdgastechnologien der US-Regierung nur einen Teil einer breiteren Erörterung der Probleme der Wirtschaftsbeziehungen mit der UdSSR und des westeuropäisch-sowjetischen Erdgasgeschäftes darstellt.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht sinnvoller gewesen, statt scharfe Noten zu wechseln und Gegenmaßnahmen zu treffen gegen die amerikanische Verhinderung der Weitergabe von Lizenzen für sensitive Güter amerikanischen Ursprungs an die Sowjetunion, die ja politisch von den EG-Außenministern am 4. Januar 1982 und im NATO-Rat am 11. Januar 1982 wegen der Gewaltanwendung bejaht worden ist, wäre es nicht sinnvoller gewesen, über die Einzelheiten einer gemeinsamen westlichen Strategie zu verhandeln bei der Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Osten gemäß den politischen und Sicherheitsinteressen, wie es in Ziffer 6 der Bonner NATO-Erklärung heißt?
Darum hat sich die Bundesregierung mit ganz ungewöhnlicher Intensität bemüht, Herr Kollege, und diese Bemühungen werden auch fortgesetzt.
Zusatzfrage? - Bitte.
Warum stilisiert dann die Bundesregierung die Ereignisse, die doch alltäglich zu solchen Konflikten im Bereich des internationalen Privatrechts führen, mit einer unzulänglichen Beweisführung zu einer Völkerrechtswidrigkeit um, obwohl auch deutsche Lizenzen beispielsweise für einen Panzerbau an italienische Firmen nicht ohne Genehmigung an Dritte weitergegeben werden dürfen oder deutsche Kernkraftwerktechnologie von Argentinien nicht an Dritte weitergegeben werden darf? Warum dann die Hochstilisierung?
Herr Kollege, die Bewertung, die Sie dem völkerrechtlichen Urteil der Bundesregierung hier angedeihen lassen, kann ich nicht teilen.
({0})
Die Fragen, Herr Kollege, werden ja im Ausschuß ausführlich behandelt werden und sind im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages behandelt worden.
({1})
Die Bundesregierung hat ausdrücklich angeboten, im Ausschuß durch ihren Völkerrechtsexperten die Rechtsfragen, die Sie hier bewerten, erörtern zu lassen.
Daß mit diesen Problemen existentielle Fragen für deutsche Firmen und im Hinblick auf Arbeitsplätze verbunden sind, macht die Dramatik der Situation aus und auch die Notwendigkeit, daß sich die Bundesregierung auch öffentlich klar zu ihrer Rechtsauffassung bekennt. Würde sie das nicht tun, würde sie sehr schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für deutsche Firmen und Arbeitsplätze auslösen. Sie folgt also in dieser Lage einer Pflicht, die sie sich weiß Gott anders gewünscht hätte.
Ich rufe Frage 26 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welchen Beitrag hat die Bundesregierung geleistet, um eine befriedigende, von den NATO-Staaten gemeinsam getragene, präzise Definition, was als „strategisches" Gut zu verstehen und auf die COCOM-Listen zu setzen ist, zu erreichen, und war sie ebenfalls darum bemüht, daß auch sicherheitsrelevante Lizenzen und Patente auf die COCOM-Listen kommen?
Maßgeblich für die Definition, was als strategisches Gut zu verstehen und auf die COCOM-Listen zu setzen ist, sind die strategischen Kriterien des COCOM, die zuletzt im Jahre 1978 einstimmig neu gefaßt worden sind. Danach müssen die Waren und Technologien so be6904
schaffen sein, daß sie einen bedeutenden Beitrag zum militärischen Potential der vom Embargo betroffenen Länder leisten und sich somit nachteilig auf die Sicherheit der Mitgliedstaaten auswirken. Generell sind es Materialien, Ausrüstungen und Technologien, die für die Waffenproduktion besonders konstruiert sind und dafür verwendet werden, die einmalige einschlägige technologische Kenntnisse enthalten, bei denen eine in einem angemessenen Zeitraum nicht behebbare Mangellage besteht.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die Beratungen über die Revision der COCOM-Listen in Kürze beginnen. Die Bundesregierung wird dabei konstruktiv mitarbeiten.
Die Bundesregierung hat sich ebenfalls bemüht, daß auch die Weitergabe der nicht allgemein zugänglichen Kenntnisse über gewerbliche Schutzrechte, Erfindungen, Herstellungsverfahren und Erfahrungen in bezug auf die Fertigung strategisch relevanter Waren einer strikten Kontrolle unterworfen wird. Zur Zeit ist die Kontrolle dieser Weitergabe den COCOM-Mitgliedsländern lediglich anheimgestellt. Einen US-Antrag auf obligatorische Kontrolle hat die Bundesregierung mit Nachdruck gefördert. Ein einstimmiger COCOM-Beschluß konnte allerdings noch nicht erreicht werden, da in einigen COCOM-Mitgliedsländern erst die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen werden müssen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Weitergabe der genannten Kenntnisse nach § 45 Abs. 2 der Außenwirtschaftsverordnung seit langem einem Genehmigungsbedürfnis unterworfen. Diese Regelung geht weiter und ist embargopolitisch viel wirksamer als die bloßer Erfassung von Lizenzen und Patenten; denn die für die Embargopolitik entscheidende Frage liegt nicht im juristischen Bereich - etwa im Bereich der Lizenz- und Patentverträge -, sondern sie ist die Verhinderung des tatsächlichen Transfers rüstungsrelevanter Technologien einschließlich des damit zusammenhängenden Know-how-Transfers.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier wiederholt darauf hingewiesen, daß seit vielen Monaten über die Verbesserung der COCOM-Vorschriften verhandelt wird. Auch die französische Regierung hat das als dringend notwendig bezeichnet. Welche Ergebnisse liegen inzwischen vor, und hat die Bundesregierung außer dem einen Tatbestand, den Sie angeführt haben - Unterstützung des amerikanischen Verlangens -, Wesentliches zur Verbesserung der Listen und Definitionen beigetragen?
Herr Kollege, die Gespräche im COCOM gehen weiter, wie ich Ihnen hier ebenfalls gesagt habe. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die strategischen Kriterien des COCOM so weit gefaßt sind, daß sie genügend Spielraum für notwendige Beschränkungen des Technologietransfers geben. Die Bundesregierung hält daher in Übereinstimmung mit anderen Mitgliedstaaten des COCOM die derzeitigen Kriterien in diesem Bereich für ausreichend. Ich habe angedeutet, daß
unsere Regelungen über das hinausgehen, was das COCOM im Augenblick vorschreibt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie eine Erfassung von Lizenzen und Patenten unmittelbar durch die COCOM-Listen nicht für notwendig, und stimmt es, Herr Staatssekretär, daß die amerikanischen Kontrollisten 70 Güter mehr als die deutschen aufführen?
Ich kann Ihnen zu dieser Spezialfrage hier keine Auskunft geben, weil mir die erforderlichen Informationen nicht zur Verfügung stehen. Ich werde gern darauf zurückkommen.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß die Erfassung noch nichts über die tatsächliche Kontrolle der Ausfuhr sagt und daß unsere Außenwirtschaftsverordnung seit Jahren dafür sorgt, daß eine etwaige Ausfuhr kontrolliert werden kann, was wir für wirkungsvoller als lediglich die Erfassung halten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Der Fragesteller der Frage 27, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Fragesteller der Fragen 28 und 29, Herr Abgeordneter Schwarz, ist nicht im Saal.
Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschasft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wie hoch sind nach Meinung der Bundesregierung die Kosten für internationale Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Agrarsektor aus dem EAGFL-Fonds ({0})?
Herr Kollege, angesichts der Wirtschaftskrise in Polen und einer unzureichenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln beschloß die Europäische Gemeinschaft 1980 und 1981, Polen den Bezug von Nahrungsmitteln zu Preisen zu ermöglichen, die unter den Weltmarktpreisen lagen. Neben den üblichen Exporterstattungen wurden bis Ende 1981 Sondervergünstigungen in Höhe von rund 250 Millionen DM, bezogen auf die gesamte EG, vom EG-Haushalt getragen.
Die Kosten im Agrarbereich bei internationalen Abkommen, wie dem Lomé-Abkommen und wie den Kooperationsabkommen mit den Maghreb-Ländern, lassen sich insgesamt nicht eindeutig im einzelnen quantifizieren. Nach dem Wesen dieser Abkommen, Gewährung von Handelsvorteilen und Entwicklungshilfe, werden Leistungen aus dem EAGFL nicht direkt gewährt. Allerdings können Kosten für
den EAGFL entstehen, wenn sich auf Grund von begünstigten Einfuhren von Agrarprodukten die von der EG auszuführenden Mengen erhöhen. So importiert die Gemeinschaft z. B. aus AKP-Ländern jährlich zirka 1,3 Millionen Tonnen Zucker und ist gezwungen, zusätzliche Ausfuhren, die unter Umständen den eingeführten Mengen entsprechen, zu tätigen. Dafür wurden 1982 im EG-Haushalt rund 330 Millionen ECU berücksichtigt. Weiter lassen sich aus den für den Export von Rindfleisch beim EG-Haushalt 1982 veranschlagten Ausgaben rund 41 Millionen ECU dem Lomé-Abkommen zurechnen. Hinsichtlich der Maghreb-Abkommen sind mir für die Einzelproduktbereiche solche haushaltsmäßigen Aufschlüsselungen nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, da Ihnen die Auswirkungen dieser verschiedenen internationalen Abkommen nicht bekannt sind, frage ich Sie: Sind Sie bereit, über die entsprechenden Stellen in Brüssel zu erforschen, wie hoch die Kosten sind? Das muß doch für Sie als Bundesregierung von großer Bedeutung sein; denn die Diskussion über die Kosten des Agrarmarktes der Europäischen Gemeinschaft ist ja für die Politik, die die Bundesrepublik in Europa gestalten möchte, außerordentlich wichtig.
Herr Kollege, nach der Auskunft, die wir bisher erhalten haben, liegen diese Daten nicht vor. Aber ich bin gern bereit, noch einmal Nachforschungen bei der EG anstellen zu lassen. In einem etwas längeren Zeitraum, der uns dann zur Verfügung steht, werden wir das noch einmal versuchen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Ist die Bundesregierung bereit, in der öffentlichen Diskussion dafür einzutreten, daß die Kosten dieser internationalen Abkommen, die zur Debatte stehen, nicht der Landwirtschaft angelastet werden, und wird sie sich in Zukunft, wenn solche Diskussionen entstehen, hier stärker einsetzen?
Herr Kollege, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten weist bei allen seinen Äußerungen in allen entsprechenden Veröffentlichungen darauf hin, daß das so ist, wie Sie hier sagen.
({0})
Nein, Sie haben schon zwei Zusatzfragen gestellt.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft dafür einzusetzen, daß die Kosten für die internationalen Abkommen bei der Aufstellung der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft gesondert ausgewiesen werden?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich stets für eine größtmögliche Transparenz des EG-Haushalts eingesetzt. Die wesentlichen der von Ihnen, Herr Abgeordneter, erwähnten Kosten sind bereits im Anhang zu den Ausgaben der Abteilung Garantie des EAGFL dargestellt, Seite 411 des Amtsblatts Nr. L 31/1982. Die Bundesregierung ist selbstverständlich weiter darum bemüht, mögliche Verbesserungen dieser Darstellung zu erreichen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung, wenn im Ministerrat in Brüssel neue Assoziierungen mit Drittländern zur Debatte stehen, vorher über die daraus zu erwartenden Kosten informieren lassen, damit ein erster Schritt getan wird, die Diskriminierung der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Kostenfrage in Brüssel zu beenden?
Herr Kollege, die Frage der Kosten ist stets Gegenstand der jeweiligen Verhandlungen, sowohl in bezug auf Assoziierungen als auch in bezug auf Beitritte weiterer Staaten zur EG.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schartz.
Herr Staatssekretär, aus der Antwort an meinen Kollegen Eigen entnehme ich, daß für die Wiederverwendung der eingeführten Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt hohe Kosten entstehen: Wäre die Bundesregierung bereit, in einem offiziellen Bulletin darauf hinzuweisen, daß diese Einfuhr in keiner Weise mit der Versorgungsnotwendigkeit in der EG zusammenhängt, und wäre sie bereit, die durch diese Einfuhren entstehenden Kosten auch in einer offiziellen Verlautbarung der Bundesregierung auszuweisen, damit nicht der Eindruck entsteht, dies seien Kosten, die die Landwirtschaft verursache?
Die Bundesregierung und unser Ministerium haben bisher stets so gehandelt, wie Sie es hier von uns verlangen, indem sie darauf hingewiesen haben, daß die Selbstversorgung mit Zucker, um die es hier in erster Linie geht, voll gewährleistet ist, wir in der EG sogar Überschüsse produzieren, uns die Einfuhren aus den AKP-Ländern zusätzlich belasten und daß es Kosten verursacht, wenn sie wieder exportiert werden; denn der Weltmarktpreis liegt im Augenblick wesentlich niedriger als der Preis, zu dem der Zucker auf Grund der Abkommen mit den AKP-Ländern in die EG hineinkommt.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Stutzer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß im Hinblick auf die Gefahr eines Einschleppens der Bakterienringfäule, von der dänische Kartoffeln befallen sind, Kartoffeln aus Dänemark nicht mehr importiert werden sollten, und was wird
Vizepräsident Wurbs
sie zum Schutz insbesondere der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft unternehmen, daß diese Krankheit sich nicht auch südlich der Grenze ausbreitet?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Kartoffeln aus Dänemark unter bestimmten Voraussetzungen auch weiterhin eingeführt werden können. Die Maßnahmen, die die sogenannte EG-Pflanzenbeschaurichtlinie 77/93/EWG gegen eine Verschleppung der Bakterienringfäule vorsieht, haben sich nach Auffassung der Bundesregierung im wesentlichen bewährt. Ob zusätzliche Maßnahmen getroffen werden müssen und welcher Art sie sein sollen, wird zur Zeit - gestern und vorgestern, am 13. und 14. September 1982 - zwischen Pflanzenschutzsachverständigen des Bundes, der Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen und dem Dänischen Pflanzenschutzdienst in Kopenhagen beraten.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie kann diese Krankheit chemisch oder biologisch bekämpft werden, und in welchen Ländern tritt sie auf?
Herr Kollege, die Bakterienringfäule der Kartoffeln mit dem Erreger Corynebacterium sepedonicum ist eine Krankheit, die in der EG nur in Dänemark auftritt. Da sie nur in Dänemark auftritt, muß sich Dänemark darum kümmern, wie sie bekämpft werden kann.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hatte gefragt, wie sie chemisch oder organisch bekämpft werden kann: Können Sie mir bitte sagen, welche Schutzmaßnahmen Dänemark mit dem Ziel getroffen hat, eine Ausbreitung dieser Kartoffelkrankheit zu vermeiden?
Herr Kollege, hier gelten nach der EG-Pflanzenbeschaurichtlinie sehr strenge Bestimmungen. Der Dänische Pflanzenschutzdienst kontrolliert vor jeglicher Ausfuhr die Kartoffeln. Bei der Einfuhr geschieht das ebenfalls durch den Deutschen Pflanzenschutzdienst.
Nachdem einige Sendungen zurückgewiesen worden sind, hat Dänemark auch keine Bescheinigungen mehr ausgestellt.
Jetzt kommt es darauf an, was bei diesem Gespräch in Dänemark gestern und vorgestern herausgekommen ist. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich, da meine Beamten noch nicht zurück sind, nicht endgültig sagen kann, welches Ergebnis erzielt worden ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, auf welche Gebiete Dänemarks sich diese Aussage bezieht, ist beispielsweise Jütland als unmittelbarer Nachbar von Schleswig-Holstein betroffen?
Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich will Ihnen aber gerne schriftlich mitteilen lassen, in welchen Gebieten in Dänemark die Bakterienringfäule in erster Linie auftritt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einig - das würde die Beantwortung der Frage des Kollegen Stutzer erleichtern -, daß Fachleute behaupten, daß die Bakterienringfäule überhaupt nicht bekämpfbar ist, und sie deswegen fordern, daß die Grenze zu Dänemark für den Import von Kartoffeln grundsätzlich gesperrt wird?
Herr Kollege, wenn Sie das sagen, nehme ich an, daß das so stimmt. Ich bin kein Fachmann für Pflanzenschutzmaßnahmen. Ich muß das hier offen sagen. Ich hätte im Hinblick auf die Beantwortung die Biologische Bundesanstalt fragen müssen. Aber da ich weiß, daß Sie sich sehr intensiv um die Dinge bemühen, akzeptiere ich Ihre Aussage.
Bezogen auf den zweiten Teil Ihrer Frage muß ich allerdings sagen, daß wir die Einfuhr von Kartoffeln aus Dänemark nicht ohne weiteres verbieten können, sondern nur Maßnahmen im Rahmen der EGPflanzenbeschaurichtlinie ergreifen können. Das ist in den letzten Tagen noch einmal besprochen worden. Wir haben darauf hingewiesen, daß, solange das nicht geklärt ist, möglichst keine Kartoffeln mehr kommen sollten.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Stutzer auf:
Wieviel öffentliche Mittel sind in den letzten fünf Jahren für Tierversuche aufgewendet worden, und wieviel entfallen davon auf Einrichtungen und Versuche, die Kosmetika, Wasch-und Pflegemitteln - insbesondere aber dekorativer Kosmetika - dienen?
Herr Kollege, es wird in diesem Zusammenhang auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Müller ({0}) vom 22. September 1981 Bezug genommen. In der Antwort vom 17. Dezember 1981 ({1}) ist dargelegt worden, daß Tierversuche integraler Bestandteil einzelner Forschungsvorhaben sind und daher eine Spezifizierung der auf Tierversuche anrechenbaren Personal- und Investitionskosten aus haushaltstechnischen Gründen nicht möglich ist. Es läßt sich somit nur errechnen, in welcher Größenordnung Bundesmittel für die Beschaffung und Haltung von Versuchstieren im fraglichen Zeitraum zur Verfügung gestellt worden sind. Hierzu wird es erforderlich sein, die notwendigen Auskünfte von den jeweiligen zuständigen Ressorts einzuholen. Dieses Verfahren ist mit erheblichem Zeit- und Verwaltungsaufwand verbunden. Sobald die Angaben der einzelnen Ministerien vorliegen, wird Ihre Anfrage schriftlich beantwortet.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich wäre in diesem Zusammenhang dankbar, wenn Sie auch die Kosten, die von den Ländern aufgebracht werden, nennen würden. Darf ich die Zusatzfrage stellen: Wie viele Bundesmittel sind für die Entwicklung von Alternativmethoden für 1983 eingeplant, und wem sollen diese Mittel zufließen?
Herr Kollege, die Zusatzfrage war nicht Gegenstand Ihrer Anfrage. Deshalb sehe ich mich außerstande, sie zu beantworten. Ich bin aber gern bereit, die Antwort schriftlich nachzuholen, auch in bezug auf die Kosten, die bei den Ländern entstehen. Ich muß allerdings sagen: Sie müssen Verständnis dafür haben, daß wir genug Zeit brauchen, um so umfassende Fragen beantworten zu können.
({0})
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß auch künftig Tiere für die Entwicklung rein dekorativer Kosmetika geopfert werden sollen, obwohl es heute schon viele Hersteller gibt, die auf Tierversuche verzichten, ohne sich hierdurch in der Forschung und Entwicklung eingeengt zu fühlen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hält sich an das Tierschutzgesetz. Das Tierschutzgesetz steht kurz vor seiner Novellierung. Entsprechende Anhörungen in Ausschüssen des Deutschen Bundestages haben bereits stattgefunden. Damit obliegt es diesem Parlament, zu entscheiden, was künftig einbezogen werden darf.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Funk ({0}) auf:
Wird die Bundesregierung der EG-Kommission vorschlagen, eine Weihnachtsbutter-Verbilligungsaktion für 1982 durchzuführen?
Herr Kollege, durch Beschluß des EG-Ministerrats - Verordnung EG Nr. 1186/82 - sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, im Wirtschaftsjahr 1982/83 eine Beihilfe für Marktbutter zu gewähren. Der Beitrag der Gemeinschaft ist auf 75% der gewährten Beihilfe, höchstens jedoch auf 45 ECU je 100 kg begrenzt. Haushaltsmittel zur Finanzierung des nationalen Kostenanteils stehen der Bundesregierung nicht zur Verfügung, so daß von dieser Ermächtigung in der Bundesrepublik Deutschland auch für eine Verbilligung von Butter in der Weihnachtszeit nicht Gebrauch gemacht werden kann.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher bekannt, daß die milcherzeugenden Landwirte eine sogenannte Mitverantwortungsabgabe bezahlen, daß diese Mitverantwortungsabgabe im letzten Jahr überhaupt nicht aufgebraucht worden ist - nach Ihren eigenen Bekundungen ist über
eine Milliarde DM in Brüssel überhaupt nicht verbraucht worden - und daß - nach Ihrer Aussage - dieses Geld dazu verwendet werden soll, um die Marktchancen der Milchwirtschaft mengenmäßig auszudehnen, also zur Absatzförderung.
Herr Präsident, darf ich die zweite Frage auch gleich beantworten? Die Antwort würde im wesentlichen das beinhalten, was auf die Zusatzfrage zu antworten wäre.
Wenn der Fragesteller damit einverstanden ist.
Wenn mein Fragerecht nicht eingeschränkt wird.
Nein, keineswegs.
Ich rufe auch noch Frage 35 des Abgeordneten Funk ({0}) auf:
Welche Verbilligungsbedingungen wird die Bundesregierung der EG-Kommission empfehlen?
Die Bundesregierung prüft zur Zeit mit der Kommission die Möglichkeiten zur Erzielung eines zusätzlichen Butterabsatzes und dessen volle Finanzierung aus Mitteln der Gemeinschaft unter vorrangiger Verwendung von Einnahmen aus der Mitverantwortungsabgabe. Vom Ausgang dieser Prüfungen wird es abhängen, ob die Bundesregierung der Kommission eine Verbilligungsaktion vorschlagen und welche Modalitäten sie dafür empfehlen wird.
Herr Präsident, darf ich jetzt noch den einen Teil der Zusatzfrage beantworten, die sich bezog auf eine Milliarde ECU des letzten Jahres? Da kann ich nur sagen, daß das ein großer Trugschluß ist. Es dreht sich in erster Linie um die Mittel des laufenden Jahres. Nur ein Teil ist aus dem letzten Jahr überführt worden. Der größere Teil ist dazu verwendet worden, die Kosten im EAGFL, die durch die Marktordnung für Milch verursacht werden, zu verringern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie die Prüfung rasch vornehmen sollten, einfach deshalb, weil es nach den bisherigen Erfahrungen bei der Administration langer Zeit bedarf, bis alle Gesetzeshindernisse überwunden sind, damit die praktische Milchwirtschaft an die Auslieferung dieser verbilligten Weihnachtsbutter gehen kann und der Verbraucher überhaupt in den Genuß dieser Verbilligungsaktion kommt? Wie wollen Sie das bewerkstelligen?
Herr Kollege, ich darf Ihnen sagen, daß die Bundesregierung alle Entscheidungen so schnell wie möglich trifft. Voraussetzung für eine Entscheidung ist, daß die Kommission ihrerseits entscheidet, ob diese Mittel, wie wir es wollen, aus der Mitverantwortungsabgabe zur Verfügung gestellt werden kann.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Verbraucher diese Verbilligungsaktionen sehr geschätzt haben und daß sie auch immer ein großer Erfolg gewesen sind? Ich muß eigentlich bedauern, daß Sie nicht schon früher die notwendigen Schritte eingeleitet haben.
Darf ich Sie bitten, eine Frage zu stellen, nicht eine Begründung zu geben, Herr Abgeordneter.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie schnell mit der Prüfung beginnen, und bitte, mir zu sagen, welche Geldmittel aus der Mitverantwortungsabgabe im laufenden Jahr für diese Aktion zur Verfügung stehen.
Herr Kollege, an Schnelligkeit lassen wir uns nicht übertreffen,
({0})
wenn die Kommission, wie gesagt, ihrerseits auch bereit ist, entsprechend darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Entscheidungen - das sehen Sie richtig - in den nächsten Wochen über die Bühne gehen müssen, wenn eine Weihnachtsbutteraktion stattfinden soll. Ich bin Ihrer Auffassung, daß die vergangenen Weihnachtsbutteraktionen ein Erfolg waren. Ich habe die Zahlen hier; sicherlich kennen Sie die Zahlen auch. Andererseits muß man natürlich auch im Hinterkopf haben, daß die jetzigen Butterbestände, die wir für eine solche Aktion zur Verfügung haben, nicht so eindeutig sind wie in den Jahren 1977/78, 1978/79 und 1979/80, in denen Weihnachtsbutteraktionen gemacht worden sind, weil nämlich, Herr Kollege - davon muß ich Sie unterrichten -, der Großteil der Lagerbestände bei Butter sich in privater Lagerhaltung befindet, ungefähr 300 000 t Butter, während in öffentlicher Lagerhaltung - ich lasse mich jetzt nicht auf das Kilo festlegen - nur ungefähr zwischen 56 000 und 60 000 t Butter vorhanden sind.
Letzte Zusatzfrage.
Wie kommt es dann zu der Aussage aus Ihrem Hause, daß wir es in der Milchwirtschaft mit besorgniserregenden Überschüssen zu tun haben?
Weil wir in den letzten Wochen bei Magermilchpulver einen erschrekkenden Zuwachs zu verzeichnen haben, Herr Kollege. Wir haben in der EG gegenüber dem Vorjahr ein Mehr an Magermilchpulver von 200 000 Tonnen zu verzeichnen. Der jetzige Bestand liegt bei 500 000 Tonnen Magermilchpulver.
Auch die Tatsache, daß wir 300 000 Tonnen Butter in der privaten Lagerhaltung haben, bereitet uns gewisse Sorgen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob bei dem jetzt geltenden Butterpreis Butter überhaupt in dem Ausmaße am Markt abfließt, daß die Lager auf diesem Sektor so schnell geräumt werden, wie das im letzten Jahr der Fall gewesen ist, oder ob auch hier nicht ein Trend sichtbar wird wie bei übrigen Nahrungsmitteln, daß nämlich der Verbraucher zu billigeren Nahrungsmitteln greift, d. h. der Verbrauch an höherwertigen Nahrungsmitteln zurückgeht, wie da z. B. bei Rindfleisch der Fall ist. Dort haben wir im ersten Halbjahr 1982 einen Rückgang von 7,5% zu verzeichnen.
Das sind unsere Sorgen in bezug auf das Verhältnis der privaten Lagerhaltung - 300 000 Tonnen - und der öffentlichen Lagerhaltung - 60 000 Tonnen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hinsken.
Herr Präsident, zunächst die Frage: Darf ich zwei Zusatzfragen stellen, da die Fragen j a gemeinsam beantwortet wurden?
Ja.
Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen zu, daß im vergangenen Jahr EG-Butter zu einem Preis von unter 3 DM in den Iran geliefert wurde?
Herr Kollege, ich habe die Zahlen jetzt nicht genau im Kopf. Aber Tatsache ist, daß jedes Drittland von seiten der EG gleichbehandelt wird, mag es sich um eine Ausschreibung der EG an den Iran, nach Marokko oder - nach Rußland ist zur Zeit nicht drin - sonstwohin handeln. Immerhin ist es doch so: Wenn es schon Überschüsse gibt, sind Exporte billiger zu finanzieren als Verbilligungsaktionen innerhalb der EG, gleich welcher Art sie sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hinsken.
Herr Staatssekretär, falls es heuer zu Weihnachten doch verbilligte Butter gibt: Ist daran gedacht, daß Großverbraucher wiederum zu Günstigstpreisen einkaufen können?
Herr Kollege, ich weiß nicht, ob es zu Weihnachten eine Vérbilligungsaktion gibt.
({0})
Und über ihre Modalität - vorausgesetzt, daß es überhaupt eine gibt - kann ich überhaupt nichts sagen.
({1})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schartz.
Herr Staatssekretär, ich habe Sie doch eben richtig verstanden, daß Sie sagten, die EG trage zwar 75% der Kosten einer Butterverbilligungsaktion, ihre Durchführung sei aber nicht möglich, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage sei, die fehlenden 25% beizubringen? Wenn ich das richtig verstanden habe, frage ich Sie: Wird die Bundesregierung bei der EG beantragen, daß innerhalb des nächsten Monates zur Beruhigung des Buttermarktes eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob die Gelder aus der MitverantSchartz ({0})
wortungsabgabe, also Bauerngelder, für die Verbilligung verwandt werden dürfen?
Herr Kollege, ich habe ausgeführt, daß die Bundesregierung zur Zeit zusammen mit der Kommission prüft, ob das möglich ist. Das bedeutet, daß wir schon einen Schritt weiter sind, als Sie verlangen; denn wir befinden uns im Augenblick schon im Gespräch mit der Kommission.
Was den ersten Teil Ihrer Frage betrifft, nämlich die 25% bei der Verbilligung von je 100 kg Butter um 45 ECU: Dafür stehen uns im Haushalt keine Gelder zur Verfügung. Diese Verbilligungsaktion, die man machen könnte, ist in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund fehlender Haushaltsmittel nicht möglich. Aber Sie ersehen aus den Zahlen, daß das auch nur eine relativ geringe Verbilligung darstellen würde. Ob sie überhaupt solche Auswirkungen hätte, wie wir das von der Weihnachtsbutteraktion her kennen, ist sehr fraglich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal auf die Weihnachtsbutter zu sprechen kommen und möchte Sie fragen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß eine solche Aktion unter Umständen insofern ein zweischneidiges Schwert ist, als diese verbilligte Butter natürlich die Normalpreisbutter im Absatz verdrängt? Sie haben vorhin ausgeführt, daß der Bürger natürlich gerne das billigere Produkt nimmt. Gilt das nicht auch für Butter?
Herr Kollege, rein rechnerisch, mathematisch ist das so. Das kann niemand bestreiten. Ich bin gehalten, der Wahrheit die Ehre zu geben. Wir können nicht bestreiten, daß Exporte von Butter in Drittländer für die EG und letzten Endes für die nationalen Haushalte auf Grund dessen, was an Brüssel zu zahlen ist, billiger sind als Verbilligungsaktionen in der EG. Aber nachdem man in der Vergangenheit so viel Butter in den öffentlichen Lagern hatte, war es - auch wenn es etwas mehr kostete - richtig und sinnvoll, den europäischen Verbraucher an diesen Überschüssen teilhaben zu lassen. Jetzt geht es ja nur noch um die Frage, ob aus den Mitteln, die aus der Mitverantwortungsabgabe aufkommen, Gelder zur Verfügung gestellt werden können, ohne daß der nationale Haushalt herangezogen werden muß.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Wenn ich noch einmal auf den Vorschlag zurückommen darf, nun speziell eine Modalität zu finden, dann, wenn man überhaupt zu einer Regelung kommt, auch Großabnehmern einen verbilligten Buttereinkauf zu ermöglichen, möchte ich Sie fragen: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß dann, wenn so etwas geschieht, die Verbilligung in irgendeiner Form an den Endverbraucher - insbesondere bei den Kosten für Nahrungsmittel, etwa für Backwaren - weitergegeben werden muß, und inwieweit liegen da Erfahrungen vor?
Herr Kollege, bisher lief es so, daß wir entsprechende Aktionen für Großverbraucher - ich denke an die Speiseeisherstellung und an anderes mehr - durchgeführt haben. Diese Aktionen sind sehr gut gelaufen; dagegen kann man nichts sagen. Wenn es aber um eine Weihnachtsbutteraktion geht, muß sie direkt dem Verbraucher zugute kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Erfahrungen aus früheren Jahren zeigen, daß dann, wenn es verbilligte Butter gab, im Saldo in der Tat ein Mehrkonsum zu verzeichnen war, der in einem Jahr bei 1,2 kg pro Bürger der Bundesrepublik Deutschland lag?
Herr Kollege, das habe ich nie bestritten. Der Mehrkonsum, der sich ergibt, und die Tatsache, daß es etwas kostet, ein Kilo Butter aus der Überschußproduktion gewissermaßen wegzubekommen, sind allerdings zwei Paar Stiefel.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, um die Aussage vom Milchüberschuß zu relativieren: Sind Sie mit mir einer Meinung, daß zwar die Zuwächse beim Magermilchpulver von 200 000 t in bezug auf die zukünftige Marktentwicklung sehr ernst zu nehmen sind, daß aber der jetzige Umfang der Lager mit knapp unter 500 000 t von dem früheren Kommissar Gundelach der Höhe nach als Mindestreserve der EG angesehen wurde?
Herr Kollege, was die Kommissare in Brüssel jeweils feststellen, ist ihre Sache. Für uns sprechen die nackten Zahlen. Wenn die Lagerbestände von Magermilchpulver einmal die Grenze von 500 000 t überschreiten, wird es in bezug auf den Abbau dieser Bestände und wegen der Kosten in bezug auf die Haushalte ernst. Das müssen wir ganz nüchtern sehen.
Ich bin sicher, daß die Kommission auf Grund unserer Anregungen, die wir längst gemacht haben, auch entsprechende Maßnahmen treffen wird, damit diese Bestände, insbesondere beim Magermilchpulver, wieder nach unten korrigiert werden können.
Keine Zusatzfragen mehr; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grobecker zur Verfügung.
Der Abgeordnete Dr. Jobst, der die Fragen 37 und 38 gestellt hat, hat um schriftliche Beantwortung ge6910
Vizepräsident Wurbs
beten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Dr. Struck auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahrs bei der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste e. V. in Israel nicht als freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes für die Förderung des freiwilligen sozialen Jahrs anerkannt werden kann, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, einen Gesetzentwurf zur Änderung des genannten Gesetzes einzubringen, der die Anerkennung eines freiwilligen sozialen Jahrs nicht nur im Inland und europäischen Ausland, sondern auch z. B. in Israel beinhaltet?
Herr Kollege Struck, die Bundesregierung teilt die im ersten Teil Ihrer Frage genannte Auffassung. Nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres ist nur ein Einsatz im europäischen Ausland möglich. Dieser kann auch nur nach vorheriger Ableistung eines halbjährigen Dienstes im Inland als Teil des gesamten freiwilligen sozialen Jahres anerkannt werden.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Vorschläge zur Änderung des Gesetzes in dem von Ihnen gewünschten Sinne einzubringen. Der seit der Novelle vom 18. Dezember 1975 überhaupt erstmals zugelassene Auslandseinsatz wurde deshalb nicht auf das außereuropäische Ausland ausgedehnt, weil das soziale Risiko bei einem Einsatz im außereuropäischen Ausland für den jugendlichen Helfer zu groß ist und weil die notwendige pädagogische Betreuung nicht sichergestellt werden kann. Da der Helfer in der Regel erst 17 Jahre alt ist, wenn er gerade die Schule verlassen hat, ist eine solche persönliche Betreuung im außereuropäischen Ausland nicht möglich. Den Risiken, denen die Helfer im außereuropäischen Raum ausgesetzt sind, stehen keine entsprechenden sozialen und finanziellen Sicherungen gegenüber. Die Helfer erhalten neben Kost und Logis nur ein geringes Taschengeld. Der sozialversicherungsrechtliche Schutz kann außerhalb der EG nur durch Sozialversicherungsabkommen hergestellt werden. Ein solches Abkommen besteht auf dem Gebiet des Krankheitsschutzes mit Israel zur Zeit nicht.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß Jugendliche, die ein Jahr freiwillig in Israel arbeiten - z. B. für die „Aktion Sühnezeichen" -, eine besondere Leistung erbringen, die mindestens genauso hoch, wenn nicht sogar höher zu bewerten ist wie die Arbeit im Inland oder im europäischen Ausland?
Ich stimme Ihnen zu, daß dies eine hohe Leistung ist. Ob sie höher zu bewerten ist als die in Ihrer Frage beschriebene, kann ich nicht beurteilen.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, ihre ablehnende Haltung zu einer entsprechenden Änderung des Gesetzes aufzugeben, wenn gewährleistet wäre, daß der Träger einer Maßnahme in Israel - z. B. die „Aktion Sühnezeichen" - eine Betreuung der Jugendlichen durchführt, die das, was Sie in Ihrer Antwort „soziales Risiko" genannt haben, ausschaltet, und damit die Bedingungen wie in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wären?
Dazu ist die Bundesregierung so lange nicht bereit, solange nicht ein Sozialversicherungsabkommen mit Israel besteht. Zum anderen muß man bei einer solchen Ausweitung auch berücksichtigen, daß erhebliche finanzielle Mittel anfallen, die den Rahmen des Bundesjugendplans überschreiten.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, wenn ich als richtig unterstelle, daß das freiwillige soziale Jahr auch eine Maßnahme ist, die möglicherweise der Berufsfindung in einem geordneten Arbeitsverhältnis dient: Sind Sie bereit, im Hinblick auf die gerade angesprochenen Probleme die tatsächlichen Verhältnisse von Einsätzen mancher Gruppen in Israel daraufhin zu überprüfen, daß zum Teil Einsätze durchgeführt werden, die eine totale Überforderung derjenigen darstellen können, die ein solches freiwilliges soziales Jahr in Israel ableisten?
Verehrter Herr Kollege, ich werde und kann es nicht überprüfen, weil im Rahmen des gesetzlichen sozialen Jahrs Einsätze in Israel nicht stattfinden.
Keine weitere Zusatzfrage mehr. Der Fragesteller der Frage 40, der Abgeordnete Dr. Friedmann, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
Was ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung unter „biologischen Nahrungsmitteln" zu verstehen, wie sie jetzt zunehmend den deutschen Verbrauchern angeboten werden?
Herr Kollege Riedl, der Begriff „biologisch" wird im Zusammenhang mit Lebensmitteln in sehr unterschiedlicher Weise verwendet. Verbreitet ist diese Bezeichnung bei frischen pflanzlichen Lebensmitteln. Hier dienen das Wort „biologisch" oder mit diesem Wort gebildete Bezeichnungen der Umschreibung bestimmter Landbaumethoden, mit denen Agrarprodukte erzeugt werden. Diesen Landbaumethoden ist zu eigen, daß dabei weitgehend auf den Einsatz von Mineraldüngern und chemischen Pflanzenschutzmitteln verzichtet wird.
Andererseits wird das Wort „biologisch" z. B. bei Eiern verwendet, die nicht von Hühnern aus der KäParl. Staatssekretär Grobecker
fighaltung, sondern von Hühnern aus Freilandhaltung stammen.
Auch bei weiterverarbeiteten Lebensmitteln wird der Begriff „biologisch" verwendet. Bei Brot dient er der Beschreibung einer bestimmten Zusammensetzung.
Der Begriff „biologisch" ist also mehrdeutig. Einen allgemeingültigen Sinngehalt für dieses Wort gibt es zur Zeit noch nicht.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie kann sich aber heute der Verbraucher, der j a von diesen sogenannten biologischen Nahrungsmitteln erwartet, daß er sich nicht vergiftet, daß er nicht zusätzlich chemische Pflanzenschutzmittel usw. zu sich nimmt, beim Kauf dieser Nahrungsmittel sinnvoll davon überzeugen, daß er auch wirklich sogenannte gesunde Nahrungsmittel einkauft und dann zu sich nimmt?
Herr Kollege, die in Rede stehenden Lebensmittel, die dieses Etikett „biologisch" tragen, unterliegen denselben amtlichen Lebensmittelüberwachungen wie andere Lebensmittel. Deshalb kann der Verbraucher zu den entsprechenden Stellen und Behörden - auch zum Verbraucherschutzbund - gehen und prüfen lassen, ob diese als „biologisch" angebotenen Lebensmittel dem auch entsprechen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie die relativ hohen Preise, die heute für diese biologischen Nahrungsmittel gefordert werden - es wurde in der Fachpresse bereits darüber berichtet, daß diese Preise weit überhöht sind - für realistisch und für verbraucherangemessen?
Herr Kollege Dr. Riedl, ob sie realistisch sind, kann ich nicht beurteilen. Aber daß sie höher sind als, wenn ich mich so ausdrücken darf, konventionell erzeugte Lebensmittel, ist hinreichend bekannt und ergibt sich aus den besonderen Anbauarten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wonach die Volksgesundheit durch den sogenannten biologischen Ernährungsmarkt verbessert wurde und wird?
Herr Kollege Dr. Riedl, Erkenntnisse darüber, daß die Gesundheit der Bevölkerung durch die Ernährung mit als „biologisch" bezeichneten Lebensmitteln verbessert würde, liegen exakt nicht vor. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die im Einklang mit den bestehenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften hergestellten Lebensmittel den Erfordernissen des Schutzes der Gesundheit der Verbraucher entsprechen. Dies gilt
auch für die im normalen Landbau hergestellten Lebensmittel. Gleichwohl begrüßt und unterstützt die Bundesregierung - wie sie es bereits in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kiechle, Susset ausgeführt hat - Bemühungen, im Rahmen alternativer Landbaumethoden zu einer Verringerung des Einsatzes von Planzenschutzmitteln und damit auch zu einer Herabsetzung der Gesamtbelastung mit diesen Stoffen zu gelangen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, worin liegen - vielleicht könnten Sie hier einige Beispiele nennen - gravierende Qualitätsunterschiede zwischen biologischen Nahrungsmitteln und - ich würde es einmal so nennen - dem konventionellen Gemüse oder der konventionellen Ernährung?
Herr Kollege Riedl, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei nächster Gelegenheit den Herrn Landwirtschaftsminister dies fragten. Ich kann es wirklich nicht beurteilen - nicht, weil ich mich drücken will; die Geschäftsordnung läßt es nicht zu, daß ich eine private Antwort gebe.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riedl?
({0})
- Gut. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob das Ihr Ressort betrifft, aber
({0})
ich möchte Sie doch fragen, ob nicht in gewissen Einzelfällen der Tatbestand eines unlauteren Wettbewerbs dadurch gegeben sein kann, daß - ich sage das sehr vorsichtig - hier manchmal mit Plaketten angeblicher Untersuchungsämter Werbung betrieben wird, die man frei vereinbart hat, obwohl sich in der Analyse bei den amtlichen Kontrollen herausgestellt hat, daß Rückstände auch von Schwermetallen und ähnlichen Dingen genauso - manchmal sogar mehr, manchmal weniger - in diesen biologischen Nahrungsmitteln enthalten sind, was zu einer Irreführung der Bevölkerung führt.
({1})
Herr Kollege, Ihre letzte Feststellung in dieser Frage kann ich nicht bestätigen; jedenfalls liegen mir solche amtlichen Erkenntnisse nicht vor. Aber daß der Begriff „biologisch" im Zusammenhang mit Lebensmitteln auch Werbecharakter hat, ist hinreichend bekannt. Ob das jeweils unlauter ist oder nicht, müßte man
untersuchen. Dafür wären dann auch die entsprechenden Stellen zuständig.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Wie kann der Käufer von „biologischen" Nahrungsmitteln heute feststellen, daß die unter diesem Begriff verkauften Nahrungsmittel auch den allgemeinen Erwartungen an eine gesunde Ernährung entsprechen?
Beabsichtigt die Bundesregierung zur Verbrauchersicherheit den Begriff „biologisch" rechtlich verbindlich zu definieren?
Herr Kollege Rose, ich hatte soeben schon Herrn Riedl geantwortet: Der Begriff „biologisch" wird im Verkehr mit Lebensmitteln in unterschiedlicher Weise und mit verschiedenen Sinngehalten verwendet. Eine allgemein gültige Definition dieses Begriffes besteht nicht. Die Bundesregierung beabsichtigt zur Zeit auch nicht, eine solche Begriffsbestimmung zu entwickeln. Nach ihrer Auffassung bedarf es so einer Bestimmung nicht.
Soweit auf Grund besonderer Umstände im Einzelfall die Verwendung des Begriffs „biologisch" im Zusammenhang mit Lebensmitteln als mißbräuchlich im Sinne einer Täuschung des Verbrauchers anzusehen ist, finden die allgemeinen Vorschriften des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes zum Schutz vor Täuschung Anwendung.
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, nachdem in der Öffentlichkeit doch ziemlich stark die Meinung vertreten wird, daß die biologische Ernährung gesünder ist, und dabei auch gesagt wird, daß diese biologische Ernährung vor allen Dingen chemiefrei ist, möchte ich Sie fragen: Liegen Ihnen Erkenntnisse vor, daß diese Ernährung wirklich chemiefrei ist oder zu welchem Prozentsatz sie chemiefrei ist? Oder aber ist es vielleicht doch so, daß auch die herkömmliche Ernährung nicht mehr und nicht weniger diese Rückstände hat wie die biologische?
Eine sehr differenzierte Frage, die einer differenzierten Antwort bedarf und die ich doch gerne nach neuen Erkundigungen ergänzen will. Zur Zeit liegen mir keine Erkenntnisse vor. Ich hatte aber schon auf die Zusatzfrage von Herrn Kollegen Immer gesagt, daß das Wort „biologisch" eben auch als Werbung benutzt wird, und deshalb ist nicht auszuschließen, daß auch so bezeichnete Waren möglicherweise chemische Rückstände haben. Herr Kollege, man muß dabei aber berücksichtigen - das möchte ich noch sagen -, daß natürlich alle Lebensmittel den gleichen Gesetzen unterliegen und wir deshalb davon ausgehen können, daß diese Gesetze greifen und eine Gesundheitsgefährdung daher nicht vorhanden ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist vielleicht sogar der Umkehrschluß erlaubt, daß, wenn von der biologischen Nahrung ständig gesagt wird, sie sei die gesündere Nahrung, dann jene, die die konventionelle Ernährung bevorzugen, gesundheitsschädigend arbeiten?
Dieser Umkehrschluß ist nicht möglich.
Der Fragesteller der Frage 55, Herr Abgeordneter Dr. Hennig, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Die Fragesteller der Fragen 45, 46 und 47, die Abgeordneten Milz, Herberholz und Frau Benedix-Engler, haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Die Fragesteller der Fragen 48, 49 und 50, die Abgeordneten Milz und Dr. Enders, haben um schriftliche Beantwortung der Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Der Fragesteller der Fragen 51 und 52, Herr Abgeordneter Weirich, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Clemens auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Stellenwert der Lärmforschung bei Flugzeugen, und ist ihrer Auffassung nach damit in Einklang zu bringen, daß in der Abteilung Technische Akustik der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. in Braunschweig drastische Personalkürzungen erfolgen, die zur Auflösung dieser Abteilung führen?
Herr Kollege Clemens, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Der Fluglärm wird weit überwiegend von Triebwerken verursacht. Bei Propellerflugzeugen und Hubschraubern tritt außerdem der Propeller- bzw. Rotorlärm hinzu. Triebwerke, Propeller und Rotoren werden überwiegend im Ausland beschafft. Die deutsche Lärmforschung hat daher nur geringe Möglichkeiten, zur Reduzierung dieser Lärmquellen beizutragen. Die in der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt nach Schließung der Abteilung „Technische Akustik" verbleibenden Forschungskapazitäten reichen hierfür aus.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Clemens, bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist es richtig, daß sich etwa 3 bis 5 Millionen Menschen durch den Fluglärm zeitweilig bis dauernd gestört fühlen?
Herr Kollege Clemens, sicherlich ist es richtig, daß sich eine große Anzahl von Bürgern in der Bundesrepublik durch den Fluglärm gestört fühlt. Ich wage aber nicht zu behaupten - wenn Sie dies damit verbinden -, daß dies an der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland liegt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Könnten nicht z. B. Probleme, wie sie jetzt bei der Startbahn West auftauchen, durch eine intensivierte Forschung auch in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden, ohne daß die Wirtschaftlichkeit der Flugzeuge und der die Fliegerei betreibenden Unternehmen sehr stark beeinträchtigt wird?
Herr Kollege Clemens, ich habe eben auf Ihre erste Frage geantwortet, daß es für uns in der Bundesrepublik, da wir derartige Aggregate wie Motoren und alles, was dazugehört, zum größten Teil nicht erzeugen, verhältnismäßig wenig Einflußmöglichkeiten gibt, um die Lärmerzeugung in diesem Bereich zu vermindern. Daß wir von seiten der Bundesregierung aber dem Lärmschutz insgesamt, der j a nachher in Ihrer nächsten Frage von Ihnen auch angesprochen wird, große Bedeutung beimessen, steht außer Zweifel. So geben wir z. B. allein für die DFVLR in Braunschweig, deren Institut Sie in Ihrer Anfrage ja auch ansprechen, rund 31 Millionen DM im Jahre 1982 aus, wenn ich die Zahl, die mir hier vorliegt, richtig sehe. Sie wissen, daß auch an anderen Hochschulen in diesem Bereich mit Hilfe der Bundesregierung und natürlich auch der Bundesländer geforscht wird.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Clemens auf:
Wird außer in der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. in weiteren Forschungseinrichtungen anwendungsbezogene Lärmforschung betrieben, und reichen die vorhandenen Kapazitäten aus, die Lärmforschung intensiv weiterzubetreiben, wenn die Personalkürzungen in der vorher erwähnten Großforschungseinrichtung des Bundes durchgeführt sind?
Lärmforschung, die sich allerdings nicht nur auf den Fluglärm bezieht, wird außer in der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt an einer Reihe von Hochschulinstituten, z. B. in Aachen, in Berlin und Göttingen, in der Max-Planck-Gesellschaft und in der Fraunhofergesellschaft betrieben. Außerdem unterhält die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft, Ottobrunn, ein Akustiklabor. Diese Kapazitäten werden für eine Bearbeitung der Lärmforschung voraussichtlich auch in der Zukunft ausreichen.
Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ergibt sich in Anbetracht der von mir bereits geschilderten erheblichen politischen Widerstände nach Auffassung der Bundesregierung nicht die Notwendigkeit, die Fluglärmforschung, auf die ich jetzt bewußt abhebe - dazu braucht man wohl Spezialisten -, zu intensivieren, zumal das Umweltbundesamt im Bericht 1981 beim Fluglärm von einem sehr ernsten Problem spricht und auch ausdrücklich ausführt, daß hier intensive Forschung weiterbetrieben werden muß, um den Fluglärm zu mindern?
Herr Kollege Clemens, ich habe soeben schon dargestellt, daß diese Möglichkeiten bei uns auf Grund der Produkte, die wir einführen, verhältnismäßig beschränkt sind. Ich habe ausdrücklich hinzugefügt, daß die Bundesregierung auch das Problem, das Sie hier jetzt direkt angesprochen haben - Sie beziehen sich, Herr Kollege Clemens, wahrscheinlich nur auf ein Institut an einer Forschungseinrichtung von vielen; auch dies sollte man vielleicht hinzufügen -, weiter untersucht und daß man aus der Verlegung einzelner Personen von einem Institut ins andere nicht schließen kann, daß die Bundesregierung diesem Bereich keine Bedeutung beimesse. Im Gegenteil: Die Zahlen von Forschern, die in diesem Bereich tätig sind - ob in Instituten von Hochschulen oder in Forschungseinrichtungen -, sind ja vorzeigenswert. Wir werden diese Forschung auch weiterhin betreiben, weil wir meinen - genauso wie Sie es einschätzen -, daß die Lärmminderung insgesamt ein wichtiges Problem ist, das wir meistern müssen.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich aus Ihren Antworten schließen, daß die Bundesregierung die Auffassung vertritt, daß wir uns im Bereich Lärmforschung, Fluglärmforschung auf die Forschung in anderen Ländern verlassen sollen, oder sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland in erheblichem Maße von Forschung und Wissenschaft lebt, weil wir eben nicht genügend Rohstoffe haben, und daß wir diese Forschung deswegen weiter intensivieren müssen? Von der ganzen Bedeutung für die Umwelt will ich im Zusammenhang mit dieser speziellen Frage gar nicht sprechen.
Herr Kollege Clemens, dem Rundumschlag, den Sie hier soeben als Frage formuliert haben, kann ich nur hinzufügen, daß wir z. B. an dem Institut in Braunschweig, das Sie in Ihrer ersten Frage angesprochen haben, insgesamt etwa 700 Beschäftigte haben. Im übrigen kann - das steckt ja in Ihrer Frage drin - aus der Verlegung von sechs oder acht Personen an andere Institute doch bestimmt nicht hergeleitet werden, daß wir, die Bundesregierung, den Forschungsbereich, den Sie soeben auch sehr plastisch dargestellt haben, vernachlässigen. Dem kann ich nicht zustimmen. Im Gegenteil: Ich glaube, daß wir insgesamt eine ganze Menge tun und in vielen Bereichen auch die Nase vorn haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die öffentliche Seite in der Bundesrepublik Lärmforschung in ausreichender Weise betreibt, daß aber im Bereich der privaten Luftfahrtindustrie hier noch einiges getan werden könnte?
Herr Kollege, das kann ich nicht einschätzen. Ich kann hier nur für die öffentliche Seite sprechen. Fachleute sagen mir, daß wir in diesem Bereich eine ganze Menge tun und dies als ausreichend betrachtet werden kann. Ich möchte hier nochmals darauf hinweisen, daß sich die Frage des Herrn Kollegen Clemens auf ein Institut bezieht, das derzeit in einem Forschungszentrum von einer Umorientierung betroffen ist, woraus man keine Schlüsse in bezug auf die Gesamtforschung ziehen kann.
Im übrigen will ich hinzufügen, daß die Forschung und Lehre in unserem Land weitgehend frei sind. Das heißt: Die Bundesregierung stellt die Mittel zur Verfügung, und die jeweiligen Einrichtungen, vertreten durch ihre Selbstverwaltung und wissenschaftlichen Räte bzw. Gremien beschließen darüber.
Abschließend möchte ich hinzufügen, daß der Herr Kollege Clemens in diesem Institut war und das dafür verantwortliche Vorstandsmitglied ihm den gesamten Sachverhalt eingehend dargestellt hat.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes werden in der morgigen Fragestunde aufgerufen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren fort in der Beratung des Tagesordnungspunktes 2: a) Haushaltsgesetz 1983 - Drucksache 9/1920 -, b) Beratung des Finanzplans des Bundes von 1982 bis 1986 - Drucksache 9/1921 -.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat heute morgen den Bundeshaushalt 1983 und die neue mittelfristige Finanzplanung eingebracht, zu einem Zeitpunkt, da wir in der Bundesrepublik Deutschland, wie die meisten Industriestaaten auch, verstärkt mit wirtschaftlichen Problemen ringen. In unserem Volk geht die Sorge um. Die Bürger fragen sich: Wie soll es weitergehen mit der Arbeitslosigkeit? Wird die Zahl von 2 Millionen bald wieder überschritten werden? Wird es, wie manche schon schätzen, bald 3 Millionen Arbeitslose geben? Die Menschen fragen sich: Wie wird das enden mit dieser Rekordzahl von Firmenzusammenbrüchen? Man fragt sich draußen: Was soll aus den Berufs- und Zukunftschancen der jungen Menschen werden? Viele fragen besorgt: Ist unsere Altersversorgung gesichert? Können wir uns darauf verlassen, am Ende des Lebens die Früchte unseres Lebens zu haben? Und die Bürger fragen: Wie soll es enden mit dieser Staatsverschuldung? Wird sie womöglich noch zum Staatsbankrott führen?
({0})
Dabei spüren die Menschen draußen, daß es um mehr geht als um dieses oder jenes Problem, daß vielmehr die Grundlagen unseres Gemeinwesens ins Wanken zu geraten drohen, daß das gesamte Gefüge außer Rand und Band zu kommen droht.
Diese Stimmung der Sorge, der Resignation, ja der Angst birgt bei uns in Deutschland besondere Gefahren, weil unser Volk eine gebrochene Geschichte hat. Unser Volk ruht nicht so selbstverständlich in sich wie andere Nationen. Bei uns kommt noch hinzu: Wir sind ein geteiltes Land. Der freiheitliche Versuch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wird im anderen Teil Deutschlands verfolgt, und die Menschen drüben, die Deutschen drüben fragen sich: Wie werden die in Freiheit mit ihren Problemen fertig?
In dieser Lage hat die Opposition die Aufgabe, kritisch und wachsam zu prüfen, ob die Regierung unserer Lage gerecht wird, j a ob die Regierung überhaupt noch in einem Zustand ist, daß sie mit unseren Problemen fertig werden kann.
({1})
Herr Finanzminister Lahnstein, ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie mir Ihre Rede schon gestern abend überlassen haben. Sie haben damit an einen guten Brauch Ihres Amtsvorgängers Matthöfer angeknüpft. Wie ich mir habe sagen lassen, ist dieser Brauch nicht in allen Ressorts der Bundesregierung allgemein üblich.
({2})
Sie haben heute morgen Ihre Rede gehalten. Es gibt keinen Zweifel, da sind einige richtige Ansätze auch von Ihnen klar angesprochen worden. Aber Ihre Rede ist insgesamt der Lage, in der wir sind, und den Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht geworden.
({3})
Die Vorschläge der Bundesregierung sind ein Endzeitdokument einer 13jährigen, von Grund auf falsch angelegten Politik.
({4})
Sie sind unzureichend und fehlerhaft, und sie sind vor allem ohne einen Entwurf für die Zukunft, der die schöpferischen Kräfte unseres Volkes zur Heilung der Krise entfalten könnte.
({5})
Erstens. Die Vorschläge der Regierung sind unzureichend. Die Regierung geht nach wie vor von unhaltbaren Wachstumsannahmen und nicht wirklichkeitsgerechten Arbeitslosenzahlen aus. Zwar haben Sie als Mehrheit in der letzten Woche unseren Antrag auf neue Haushaltsentwürfe abgelehnt. Aber inhaltlich ist unser Antrag heute schon bestätigt. Dies geht aus dem Brief von Staatssekretär Schlecht vom 2. September hervor, den er vor der Aussprache zur Lage der Nation an den Herrn Bundeskanzler gerichtet hat, und das geht auch eindeutig aus der Analyse des Papiers von Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hervor.
({6})
- Ich hoffe, daß sich sowohl der Bundeskanzler als auch Graf Lambsdorff noch auf der Regierungsbank einfinden werden.
({7})
Die Risiken für das kommende Jahr belaufen sich auf bis zu zehn Milliarden DM. Im laufenden Jahr sind es trotz des Nachtrags, trotz einer zusätzlichen Neuverschuldung von 7 Milliarden DM, rund weitere 3 Milliarden DM. Vor allem ist mittelfristig - das ist das Problem - eine echte Herabführung der Neuverschuldung nicht in Sicht. Das ist der tiefste Grund - wir wissen alle, daß in einem Jahr nicht mehr viel bewegt werden kann -, warum die Staatsverschuldung inzwischen zur Hauptursache für das tiefbegründete Mißtrauen in unserem Volk geworden ist. Sie glauben nicht mehr, daß die Regierung mit der Staatsverschuldung fertig wird.
({8})
Der Vertrauensverlust ist besonders groß, weil die Bundesregierung den Fehler gemacht hat, zum dritten Mal hintereinander in drei Jahren andere Zahlen im Entwurf vorzulegen, um erst nach langem Hin und Her am Schluß zugestehen zu müssen, daß es 10 Milliarden DM Neuverschuldung mehr sind, als sie ursprünglich schon angenommen hatte. Wir werden also nach heutigen Erkenntnissen im nächsten Jahr bei einer Neuverschuldung von rund 50 Milliarden DM allein beim Bund enden, wobei ich den Bundesbankgewinn hinzuaddiere, was ich tun muß.
Herr Lahnstein, ich möchte Sie ansprechen, weil Sie heute morgen außerhalb des Manuskripts etwas dazu gesagt haben. Die Rechtslage ist unumstritten. Es gibt zwar eine Auffassung, wonach die Bundesbank keine Verpflichtung habe, wonach man das auch anders ansehen könne. Aber lassen wir dies! Natürlich hat die Bundesregierung - das hat sie auch schon getan - das Recht, mit der Bundesbank etwas anderes zu vereinbaren. Das ist ihr unbenommen. Was daraus wird, darin ist die Regierung völlig frei. Dieser Bundesbankgewinn, abgeführt zur Finanzierung von Deckungslücken im Staatshaushalt, wirkt volkswirtschaftlich wie eine Neuverschuldung.
({9})
Er ist haushaltspolitisch sogar schlimmer als eine
Neuverschuldung, weil keine Zinslast daraus erwächst und damit der Anschein für den Staat entsteht, er habe insoweit keine Schulden, obwohl das nur eine vorübergehende und keine dauerhafte Lösung ist.
({10})
Geldpolitisch, meine Damen und Herren - und das ist das Entscheidende; das ist der Einwand gegen das, was Sie heute morgen gesagt haben -, ist das, was die Bundesbank jedes Jahr macht, die Geldmengenvermehrung in dem Korridor, von 4 bis 7 %, den sie zur Zeit bis an den obersten Rand ausnutzt, in der Tat eine Geldschöpfung. Dieses Geld fließt aber jetzt nahezu ausschließlich an den Bundeshaushalt, mit der Folge, daß die Geldschöpfung der Bundesbank in erster Linie über die Bundeskasse fließt und konsumtiv verwendet wird und nicht über den Bankenapparat fließt und investiv verwendet wird, wie es sonst sein könnte und wie wir es so dringend bräuchten.
({11})
Der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Dr. Fritz Leutwiler, hat in der Generalversammlung seiner Schweizer Notenbank am 30. April dieses Jahres zu diesem Thema etwas gesagt und sich gegen jede Abführung an den Haushalt ausgesprochen: „Der Gedanke ist schon im Ansatz falsch." - Wir sollten uns, wenn wir uns schon mit dem Ausland vergleichen, in der Solidität gelegentlich auch mit solchen vergleichen, die es besser machen, wie z. B. die Schweiz.
({12})
Die Regierung hat keinen neuen Handlungsspielraum gewonnen. Als Folge der abenteuerlichen Schuldenpolitik der letzten Jahre ist die Regierung in der Sackgasse. Man muß sich das vorstellen: Ende dieses Jahres wird sich der Schuldenstand allein beim Bund auf über 300 Milliarden DM belaufen, bei Bund, Ländern und Gemeinden zusammengenommen auf über 600 Milliarden DM, mit Bahn und Post auf über 680 Milliarden DM. Allein der Zinsendienst der öffentlichen Hand wird sich Ende dieses Jahres auf über 50 Milliarden DM belaufen. Täglich, jeden Tag, alle 365 Tage des Jahres, verschuldet sich die öffentliche Hand zusätzlich mit über 200 Millionen DM. Beim Bund wirkt sich das so aus, daß nach dem Entwurf der Regierung im kommenden Jahr die ohnehin schon zu hohe Neuverschuldung vollkommen durch die Zinszahlungen für vergangene Lasten aufgezehrt wird: 28,4 Milliarden DM Neuverschuldung, 28,3 Milliarden DM Zinslast.
Das Ausgabenwachstum, das die Regierung für das kommende Jahr vorsieht, das sicher sehr niedrig angenommen wird, beläuft sich auf 4,5 Milliarden DM - das ist die Zahl nach dem neuen Nachtragshaushalt -; an Zinsausgaben muß der Bund im kommenden Jahr aber 4,9 Milliarden DM mehr entrichten. Die Ausgabensteigerung des kommenden Jahres finanziert also im Saldo überhaupt keine neue öffentliche Ausgabe mehr, sondern wird gänzlich für zusätzliche Zinsleistungen ausgegeben und reicht dafür noch nicht einmal aus. Dabei sind die Investitionen von der Bundesregierung für die kommenden Jahre bei etwa 32 Milliarden DM festge6916
schrieben. Sie wachsen nicht mehr und werden damit relativ immer geringer. Die Zinslast wächst aber am stärksten von allen Ausgabenpositionen weiter, mit der Folge, daß der Staatskredit kein Mittel mehr zur Finanzierung von Staatsaufgaben, zur Finanzierung von Investitionen, zur Finanzierung der Zukunft ist. Der Staatskredit dient praktisch nur noch der Verwaltung der Erblast der vergangenen Jahre.
({13})
Die Lösung kann mit Sicherheit nicht darin bestehen, es mit noch mehr Neuverschuldung zu versuchen. Denn sonst werden die Gefahren für die Zukunft noch schlimmer. Die Milchmädchenrechnung: „Machen wir halt die Schulden höher, so daß die Schulden noch höher als die Zinsen sind" endet erst recht in der Katastrophe und in der Vernichtung jeder Zukunftschance.
({14})
Das ist der letzte Grund, warum die Fraktion der CDU/CSU, nachdem sie jahrelang politisch gekämpft hat, jetzt schließlich zum Mittel der Verfassungsklage gegriffen hat, weil es nach Art. 115 allenfalls eine Ausnahme sein darf, daß der Staat mit seiner Neuverschuldung die Grenze der Summe der Investitionen überschreitet. Aber diese Ausnahme darf nicht zum Dauerfall werden. Genau dagegen wenden wir uns. Das ist der Sinn unseres Begehrens.
Ich fasse Punkt 1 zusammen: Die Bundesregierung hat die Sanierung nicht durchgreifend eingeleitet. Vor allem ihre mittelfristigen Vorschläge sind nicht überzeugend. Der Staat hat seine Handlungsfähigkeit praktisch verloren.
Zweitens. Die Vorschläge der Regierung sind fehlerhaft. Erneut flieht die Regierung großenteils in Steuer- und Abgabenerhöhungen. Genau dies halten wir für Gift in unserer wirtschaftlichen Lage.
({15})
Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag soll erneut angehoben werden: um 3 Milliarden DM auf 4,5 %. Das Steueränderungsgesetz und andere Maßnahmen sollen 2 Milliarden DM mehr erbringen. Zusammen sind das also 5 Milliarden DM.
In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung, auf ein ganzes Jahr gerechnet, schon Steuer-und Abgabenerhöhungen von 16,2 Milliarden DM vorgeschlagen und in Kraft gesetzt. Wenn ich die 5 Milliarden DM addiere, komme ich auf 21,2 Milliarden DM. Ab 1984 kommt die Wiederanhebung des Rentenversicherungsbeitrags auf 18,5 % hinzu, so daß es dann, auf ein ganzes Jahr berechnet, 25 Milliarden DM sein werden.
Nun haben Sie, Herr Lahnstein, heute morgen gesagt, man müsse redlicherweise das gegenrechnen, was Sie an Steuersenkungen vorgenommen haben. Wir haben ganz redlich gerechnet. Dies sind die Gesetze, die in dieser Legislaturperiode beschlossen und in Kraft gesetzt wurden. Den - ohnedies verspäteten - Teilabbau heimlicher Steuererhöhungen vergangener Jahre können Sie da nicht gegenrechnen. Das hieße Äpfel mit Birnen vergleichen.
Zudem haben Sie immer Widerstand genug gegen unser Drängen geleistet, die heimlichen Steuererhöhungen abzubauen.
Es bleibt dabei: Auf ein ganzes Jahr gerechnet, hat die Regierung allein in dieser Legislaturperiode die Steuer- und Abgabenlast um 25 Milliarden DM angehoben - und dies trotz der Beteuerungen der FDP, auch trotz klarer Erklärungen des Bundeskanzlers, eine Steigerung der Steuer- und Abgabelast dürfe nicht erfolgen, auch, Herr Lahnstein, trotz Ihres Aufsatzes am 15. Juni 1982 im „Handelsblatt", zwei Wochen vor den Beschlüssen der Regierung. Darin schreiben Sie wörtlich: Steuer- und Abgabeerhöhungen scheiden für 1983 aus. - Ich finde es eigentlich schlimm, daß es in der Öffentlichkeit niemand mehr zur Kenntnis nimmt, daß ein Ministerwort, zumal das Wort eines neuen Ministers - Sie waren damals als Minister ganz neu - nach 14 Tagen gebrochen wird. Das spiegelt wider, wie tief der Vertrauensschwund in der Öffentlichkeit ist. Ein Ministerwort sollte in unserem Land noch etwas gelten.
({16})
Wie bei dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz, bei dem wir zur Mehrwertsteuererhöhung nein gesagt haben, sagt die CDU/CSU nein auch zu diesem neuen Steueränderungsgesetz, das ein Steuererhöhungsgesetz ist, und sie sagt nein zu der erneuten Anhebung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags.
({17})
Ich fordere Sie auf, Herr Minister oder die Bundesregierung:
({18})
Es gibt in diesem Steueränderungsgesetz Teile, über die man reden kann. Das sind vielleicht sogar Notwendigkeiten. Die CDU/CSU ist nicht dafür, daß Schlupflöcher etwa für Spekulanten offenbleiben.
({19})
Wenn es hier saubere rechtsstaatliche Lösungen gibt - und die kann man sicher finden -, werden wir genauso konstruktiv mitwirken, wie wir es in den letzten Jahren schon bei ähnlichen Versuchen gemacht haben. Trennen Sie also diese diskussionswürdigen Punkte ab! Dann können wir miteinander reden. Dann können wir vernünftige Lösungen finden. Aber die Steuererhöhung als solche lehnen wir ab.
Wir sagen auch nein zu dem Einstieg in diese noch familienfeindlichere Besteuerung durch die Kappung des Ehegattensplittings. Man kann auch hier über vieles mit sich reden lassen. Aber was die Union will, ist folgendes: Wir wollen - das haben wir seit Jahren gesagt -, daß das Steuerrecht wieder familienfreundlicher wird. Das kann man freilich im Moment nicht machen, weil die Staatskasse es nicht hergibt. Das ist ein Zukunftsprogramm. Wir wollen,
daß das Steuerrecht wieder familienfreundlicher wird.
({20})
Deshalb ist es ausgeschlossen, zum Stopfen von Haushaltslöchern etwas völlig Verunglücktes vorweg vorzunehmen, statt etwas Dauerhaftes, Vernünftiges zu unternehmen.
Abgeordneter Dr. Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?
Bitte.
Bitte, Abgeordneter Löffler.
Sehr geehrter Herr Kollege Häfele, wären Sie bitte so nett, dem Haus zu erläutern, was Sie mit „familienfreundlich" meinen? Meinen Sie die Familien mit sehr hohen Einkommen? Oder meinen Sie auch die Familien mit sehr kleinen Einkommen, bei denen durch Steuererleichterungen nicht allzu viel hineinkommt?
({0})
Herr Löffler, das kann ich Ihnen sagen.
({0})
Wir wollen wirklich die vernünftige Lösung, die inzwischen die Mehrheit unseres Volkes will. Der normale deutsche Arbeitnehmer wird progressiv besteuert. Er sagt: Wenn ich zwei Kinder habe, will ich nicht ebenso viel Steuern zahlen wie ein Ehepaar, das keine Kinder hat; also entlastet mich bei der Steuer! - Das wollen wir.
({1})
Wissen Sie, was wir darüber hinaus noch wollen? Daß derjenige, der keine Steuern zahlt, weil er zuwenig verdient, das Kindergeld bekommt und daß das auf die wirklich Bedürftigen konzentriert wird. Das ist unsere Lösung. Das wollen wir machen.
({2})
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, die Frage ist genügend beantwortet.
({0})
- Lassen Sie Ihren Klassenkampf, und hören Sie auf die Leute draußen, Herr Löffler.
({1})
Wie schaut es denn aus? Fragen Sie doch den durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer im Jahre 1982! Von einer Mark Lohnerhöhung bekommt er 40 Pfennig netto auf die Hand. Da hilft Ihre Klassenkampfparole nicht mehr! Gehen Sie doch mal in die Betriebe!
({2})
Es gibt einen weiteren Grund, warum wir dieses Steuererhöhungsgesetz ablehnen. Die Bundesregierung hat vor ein paar Monaten eine Investitionszulage beschlossen, um Anreize für zusätzliche Investitionen zu schaffen. Das soll im nächsten Jahr kassenmäßig mit 2 Milliarden DM wirksam werden. Zugleich erhöht die Bundesregierung jetzt den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 3 Milliarden DM, zur Hälfte zu Lasten der Betriebe, das macht anderthalb Milliarden DM. Das ist genau das Gegenteil von dem ersten. Ich habe hier einen hervorragenden Kronzeugen, den Bundesfinanzminister Lahnstein selbst, der in einem Interview im Hessischen Rundfunk am 11. Juli dieses Jahres gesagt hat:
Ich kann nicht auf der einen Seite z. B. eine Investitionszulage geben und die mit der anderen Hand über Abgaben wieder wegnehmen wollen.
({3})
Herr Finanzminister, genau das tun Sie. Deswegen ist klar, diese Steuer- und Abgabenerhöhungen werden unsere Zustimmung nicht finden.
Man muß j a Steuern und Abgaben längst in ihrem Zusammenwirken sehen. Wir müssen berücksichtigen, daß wir in diesem Jahr eine Abgabenlastquote von nahezu 40 % haben. Es kommt darauf an, ob man es finanzwirtschaftlich oder volkswirtschaftlich rechnet. Volkswirtschaftlich sind es schon mehr als 40 %. 1970 waren es auf jeden Fall erst 33,6 %. Das ist eine Differenz von rund 6 %. 1 % sind 16 Milliarden, sechs mal 16 sind 96, also rund 100 Milliarden DM pro Jahr mehr Abgaben als nach der Quote des Jahres 1970. Im Grunde wäre schon in diesem Jahr der Abbau heimlicher Steuererhöhungen fällig.
({4})
Im Grunde wäre es notwendig, daß wir, um Investitionen zu fördern, steuerlich etwas täten. Aber weil die Staatskasse nichts mehr hergibt, fehlt ja jede Handlungsfähigkeit in dieser Richtung. Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Löffler, die Lohn- und Gehaltssumme wächst in diesem Jahr um 3,5 %, die Lohnsteuer aber um 7,7 %! Das sind die heimlichen Steuererhöhungen.
({5})
Deshalb sagt die CDU/CSU auch zu diesem Steueränderungsgesetz 1983 nein. Über Steuerumschichtungen lassen wir mit uns reden; das muß aber in Ruhe gemacht werden. Dazu haben auch Sie selbst, Herr Lahnstein, zutreffende Ausführungen gemacht. Da könnte ich Sie auch zitieren: Nicht unter dem Zwang zum Stopfen von Haushaltslöchern, sondern in Ruhe Steuerumschichtungen, um das Steuerrecht auf Dauer leistungsfreundlicher, investitionsfreundlicher, wachstumsfreundlicher, familienfreundlicher zu machen. Das kann man aber nicht so hopplahopp. Da stimmen wir völlig überein. Wir wollen Ihnen helfen, daß das nicht geschieht.
Schließlich, meine Damen und Herren, die Vorschläge der Regierung verschieben weitgehend Lasten auf andere Träger, so daß das Vertrauen in die Zukunft der Rentenversicherung, in die Zukunft der
Krankenversicherung zusätzlich geschmälert wird. Die Leute draußen befürchten, daß weitere Abgabenerhöhungen die Folge sein werden. Dieses Verschieben etwa im Gesundheitsbereich, wo Sie einiges tun, ist aber doch mehr flickwerkartig. Es ist die Frage, ob der richtige Grundgedanke von mehr Selbstverantwortung, von mehr Eigenbeteiligung hier nicht falsch angelegt ist und eher der Widerstand dagegen mobilisiert wird, anstatt diesen richtigen Gedanken zu fördern. Dennoch wird sich die CDU/CSU - und jetzt haben Sie das Wort - bei diesen Gesetzen konstruktiv verhalten. Wir werden uns ähnlich verhalten wie bei dem 2. Haushaltsstrukturgesetz im letzten Jahr, wo wir echte Einsparungen, echte Lösungen, die man vertreten kann, haben passieren lassen oder gar ihnen zugestimmt haben. Genauso wollen wir uns bei diesen Vorschlägen verhalten.
({6})
Ich komme zu dem Ergebnis Nr. 2: Die Vorschläge der Regierung sind weniger ein Sparprogramm als ein Steuer- und Abgabenerhöhungsprogramm. Es ist teilweise ein flickwerkartiges Verschieben auf andere Träger und vor allem ohne eine durchgreifende Sanierung der öffentlichen Finanzen insgesamt.
Die Vorschläge der Regierung sind drittens kein Entwurf für die Zukunft, der die schöpferischen Kräfte unseres Volkes zur Heilung der Krise entfalten könnte. Denn wir haben nicht nur eine objektiv fehlerhafte Entwicklung. Vielleicht noch viel schlimmer ist, daß sich in unserem Lande eine Stimmung der Resignation, des Pessimismus, ja der Ratlosigkeit breitmacht. Dabei ist es Aufgabe einer Regierung, dem Volk Halt zu geben, dem Volk Wegweisung zu vermitteln. Genau das tut die Regierung nicht.
Das hat seine Gründe einmal darin, daß die Ursache der Krise von der Regierung bis heute nicht redlich dargestellt wird,
({7})
und zum zweiten darin, daß die beiden Koalitionspartner SPD und FDP inzwischen zwei völlig verschiedene Wege - mindestens in Worten - anbieten.
Ich wäre nun wirklich dankbar, Herr Finanzminister Lahnstein - ich möchte nachher nämlich auch den Herrn Bundeskanzler ansprechen -, wenn sich die Regierungsmitglieder wenigstens bei der Aussprache über den Bundeshaushalt so allmählich auf der Regierungsbank einfänden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn die Möglichkeit dazu besteht.
({8})
Ich möchte den Bundeskanzler auch persönlich ansprechen.
Zum ersten, zur Ursachenerklärung: Nach wie vor hören wir vor allem aus dem Lager der SPD, daß wir gleichsam ein unschuldiges Opfer der weltwirtschaftlichen Entwicklung seien, daß das Ausland
weitgehend die Ursache für unsere Entwicklungen sei und die Vergleiche, die auch heute wieder angestellt wurden, eigentlich alle für uns sprächen. Kein Mensch bestreitet, daß wir weltwirtschaftlich schwere Probleme haben und daß die meisten Industriestaaten mit schweren Problemen kämpfen. Aber, meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte endlich von dieser berühmt-berüchtigten Hospitaltheorie Abstand, nach der der eine Belegarzt zum anderen sagt: Ich bin stolz darauf, daß mein Patient 39 Grad Fieber hat; ätsch, deiner hat schon 39,5 Grad Fieber. Das hilft nicht weiter.
({9})
Es stimmt, daß andere Länder schon früher und tiefgebender mit Fehlentwicklungen begonnen haben; schon vor 1969, das stimmt. Deswegen sind die Krisen da und dort noch schlimmer.
({10})
- Jetzt keine Frage; ich will den Gedanken zu Ende führen. - Aber die Aufgabe der jeweiligen nationalen Regierung besteht ja gerade darin, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, den eigenen Haushalt zu sanieren und die auswärtigen bzw. internationalen Herausforderungen anzunehmen und das Volk darauf vorzubereiten.
({11})
- Keine Antwort, Herr Löffler, damit das klar ist.
({12})
Graf Lambsdorff sagt in seinem neuen Papier und bestätigt damit unsere Analyse:
({13})
Es handelt sich um „die Summe einzelstaatlicher Fehlentwicklungen". Oder: daß „ein wesentlicher Teil der Ursachen unserer binnenwirtschaftlichen Probleme auch im eigenen Lande zu suchen" ist. Wir stimmen dieser Diagnose völlig zu, die übrigens eine Selbstanklage ist nach 13 Jahren gemeinsamer Regierungsverantwortung von SPD und FDP
({14})
und nach vier- oder fünfjähriger Verantwortung als Wirtschaftsminister von Graf Lambsdorff.
({15})
Es handelt sich um die Fehlentwicklung eines ganzen Jahrzehnts. Es war ein Jahrzehnt des Substanzverzehrs. Wir haben in Deutschland - wie andere Völker auch - verstärkt über unsere Verhältnisse gelebt. Die Regierung hat zuviel versprochen. Die Folge ist eine tiefgehende Erschlaffung der dynamischen Kräfte in unserem Land. Diese Erschlaffung ist inzwischen Ursache und Folge zugleich der finanzpolitischen Fehlentwicklung.
An Warnungen aber hat es nicht gefehlt. Ich erinnere daran, daß nach der Regierungsübernahme
durch SPD und FDP 1969 unser damaliger Fraktionsvorsitzender Rainer Barzel hier in dem Hohen Hause die Eröffnungsbilanz gezogen und gesagt hat: Sie übernehmen volle, pralle Staatskassen; das Land hat Probleme, aber es ist im Prinzip kerngesund, und jetzt versprechen Sie Reformen und geben zunächst einmal einen aus. Das haben Sie hier gesagt, Herr Barzel.
({16})
Sie haben gewarnt, wir würden die Koalition nach ein paar Jahren daran messen, was sie aus dieser Erbschaft mache. An Warnungen hat es nicht gefehlt. Die Krise, die wir inzwischen haben, ist die am besten vorhergesagte des letzten Jahrzehnts.
({17})
1974 hat Dr. Jürgen Eick, der Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in einem Büchlein geschrieben: „Wie man eine Volkswirtschaft ruinieren kann." Es empfiehlt sich, heute dieses Büchlein aus dem Jahre 1974 nachzulesen. Genau gegen das, wovor er damals gewarnt hat, hat diese Regierung jahrelang verstoßen.
({18})
Es begann mit diesem Rausch der Reformen, und im Ergebnis haben diese Reformen ein Mehr an Anspruchsdenken und ein Weniger an Leistungsdenken bewirkt.
({19})
Wenn der Bundeskanzler jetzt hier wäre
({20})
- ich hoffe, daß er bald da ist, denn ich muß ihn ansprechen -, müßte ich ihm sagen, daß er immer der Hauptmeister ist, wenn es darum geht, Verantwortlichkeiten auf andere abzuladen. So einfach kann er es sich nicht machen! Es gibt keinen deutschen Politiker, der mehr Verantwortung für die Fehlentwicklung des letzten Jahrzehnts trägt als Bundeskanzler Helmut Schmidt.
({21})
Ich frage den
War er auf der richtigen Seite, als 1971 Finanzminister Möller zurückgetreten ist, als 1972 Finanz- und Wirtschaftsminister Schiller zurückgetreten ist, weil sie nicht mehr damit weitermachen wollten, daß die „Belastbarkeit der Wirtschaft ausprobiert" wird, weil sie nicht damit weitermachen wollten, daß sich unsere Inflation fortsetzt, daß die Politik nur bis zum Tellerrand der nächsten Wahlen denkt und daß eine Politik des „Nach uns die Sintflut" gemacht wird. War er damals auf der richtigen Seite?
({0})
War es nicht Helmut Schmidt - dann als Nachfolger, der er werden wollte, von Schiller -,
({1})
der den Wahlkampf 1972 mit der völlig falschen Alternative „Mir sind 5 % Inflation lieber als 5 % Arbeitslosigkeit" geführt hat? - Und heute bzw. letzte
Woche muß er beim Bericht zur Lage der Nation, in einem Nebensatz versteckt, zugeben: Zuerst kommt die Inflation, und die Folge ist dann die Arbeitslosigkeit.
({2})
War es nicht der Finanzminister Schmidt und dann der Bundeskanzler Schmidt, der 1974 eine Steuerreform und einen Einkommen- und Lohnsteuertarif durchgesetzt hat, der bewirkt, daß heute, im Jahre 1982, der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer von einer Mark Lohnerhöhung nur noch 40 Pfennig auf die Hand bekommt, was Helmut Schmidt heute in Reden vor seiner Fraktion selber beklagt?
({3}) War es nicht Helmut Schmidt,
({4})
der der Vorsitzende der SPD-Langzeitkommission war und in ihr die Forderung unterstützt und durchgesetzt hat, wonach der Staatsanteil bis zum Jahre 1985 auf 45 % wachsen müsse? Hier hat er allerdings gründlich gearbeitet: Das ist zehn Jahre früher erreicht worden; wir sind inzwischen sogar bei 49 % angelangt.
War es nicht Helmut Schmidt, der 1976 den Wahlkampf mit den Renten geführt und gesagt hat, deren Finanzierung sei nur ein „Problemchen"? Und am Tage nach der Wahl mußte er Rentensicherungsgesetze vorschlagen!
War es nicht der Bundeskanzler, der die Hauptverantwortung dafür trägt, daß in den ordentlichen und guten Wachstumsjahren 1977, 1978 und 1979 trotz aller Warnungen der Marsch in die Staatsverschuldung munter fortgesetzt wurde, statt zu konsolidieren und Reserven zu bilden, mit denen wir heute die Krise meistern könnten?
({5})
Ist nicht der Bundeskanzler Schmidt der Hauptverantwortliche dafür, daß im Wahlkampf 1980 auf unvertretbare Weise das Thema „Staatsverschuldung" verniedlicht wurde? Er hat jeden als „Panikmacher" abgestempelt, der vor diesem abenteuerlichen Marsch gewarnt hat; er hat die Verschuldung damals sogar als ein Mittel zur Herstellung der Vollbeschäftigung gepriesen. Heute muß die Regierung zugeben, daß die Staatsverschuldung zum Investitionshemmnis Nummer eins geworden ist, zur Bremse bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, und daß sie im Grunde handlungsunfähig geworden ist.
War es nicht der Bundeskanzler Schmidt, der noch vor wenigen Wochen in einem Fernsehinterview und anschließend - geschmacklos genug - in Amerika selbst wiederholt gesagt hat, der Kreditbedarf in Amerika sei „zehnmal so groß" wie der bei uns in Deutschland? Man ist dann immer so verblüfft, daß man, wenn man eine solche These des Kanzlers im Fernsehen hört, natürlich zunächst nachprüfen muß. Wir haben nachgerechnet, wie es wirklich ist. Die öffentliche Neuverschuldung in Deutschland
umfaßt im laufenden Jahr 4,7 % unseres Bruttosozialprodukts. In Amerika sind es 2,9 % des amerikanischen Bruttosozialprodukts.
({6})
Die öffentliche Neuverschuldung nimmt in Deutschland in diesem Jahr 38,8 % unserer Geldkapitalbildung in Anspruch, und nur rund 60 % bleiben für private Zwecke. In Amerika nimmt sie nur 16,8 % in Anspruch. - Nein, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, zumal nicht im befreundeten Ausland!
({7})
Ist es nicht der Bundeskanzler Schmidt, der unserem Volk erneut eine falsche Parole ausgibt, nämlich man könne sich auch „kaputtsparen"? Zu einem Zeitpunkt, da im nächsten Jahr eine rekordhafte Neuverschuldung des Bundes von 50 Milliarden DM entstehen wird, redet er von „Deflation", und zu einem Zeitpunkt, da für unser Volk die Staatsverschuldung zum Alpdruck geworden ist, sagt er, man dürfe sich nicht „kaputtsparen". Als ob das sein Problem wäre!
({8})
Meine Damen und Herren, nur wenn wir eine redliche Bestandsaufnahme über die Fehlentwicklung vornehmen,
({9})
kann auch die Lösung zutreffend sein. Die Wahrheit ist: Die modernen Wohlfahrtsstaaten haben sich übernommen. Die Regierungen - auch unsere Regierung - haben zuviel versprochen und zuviel verteilt. Der französische Nobelpreisträger François Mauriac hat recht: Der Bau von Luftschlössern kostet nichts, aber ihre Zerstörung ist sehr teuer.
Dies ist der Grund, warum die Hauptquelle unseres Wohlstands, die Hauptquelle unserer sozialen Sicherheit heute weniger sprudelt als vordem: weil die Wirtschaftskraft unserer Betriebe schwächer geworden ist und weil die Leistungskraft unserer Bürger durch eine falsche Politik eingeschränkt worden ist.
({10})
Weil die Diagnose inzwischen völlig verschieden ist, suchen in Worten SPD und FDP auch verschiedene Wege zu gehen.
Die SPD hat im Frühjahr ihren Münchner Parteitag gehabt. Dabei hat sie aus Fehlern nichts gelernt. Sie hat sich dabei verhalten wie bei ihrem Steuerparteitag 1971, als ihr Karl Schiller entgegenrufen mußte: Genossen, laßt die Tassen im Schrank!
Sie glauben nach wie vor unausrottbar an die staatliche Machbarkeit der Wirtschaft, aller Dinge, mit der Folge von mehr Bürokratie, mehr Subventionen, mehr Gängelung. Sie wollen noch mehr Abgaben und Steuern und noch mehr Umverteilung - mit der Folge, daß Leistung und Privatinitiative noch mehr eingeschränkt werden. Sie wollen den verhängnisvollen Weg der Staatsverschuldung fortsetzen - mit der Folge, daß die Staatsverschuldung noch mehr zum Hemmschuh für unsere wirtschaftliche Entwicklung und für die Schaffung von Arbeitsplätzen wird. Sie wollen festhalten an der zerstörerischen Philosophie des Neids. Sie nennen alles „neokonservativ", was nicht so denkt wie sie, und vollziehen selbst den größten Rückfall in finstersten Sozialismus.
({11})
Anders die FDP. Es begann vor einem Jahr mit dem „Wende"-Brief von Herrn Genscher. Es setzte sich fort in der Genscher-Rede der letzten Woche, die wir hier gehört haben. Die Analyse im Lambsdorff-Papier dieser Tage liegt völlig auf dieser Linie. Die Analyse besagt: Das Ergebnis von 13 Jahren SPD/FDP-Bundesregierung ist vernichtend. Wir stimmen dieser Analyse zu.
({12})
Graf Lambsdorff, ich füge aber hinzu und anerkenne dies: Sie haben in Ihrer Rede am 31. August dieses Jahres in Wiesbaden wörtlich gesagt: „Auch wir Liberalen, die wir in der Regierungsverantwortung stehen, haben unseren Anteil an diesen Fehlentwicklungen." Ich anerkenne dies; wo hat es dies schon gegeben - es sind ja nicht nur Pannen passiert, sondern es ist eine grundlegende Fehlentwicklung eingetreten, daß ein Politiker, der für die Fehlentwicklung mitverantwortlich ist, wenigstens 5 vor 12 oder 5 nach 12 aufsteht und sagt: Auch wir sind mitverantwortlich für diese Fehlentwicklung?
({13})
Was die FDP vorschlägt, verhält sich zu den Ansichten der SPD wie das Feuer zum Wasser. Sie will weniger Staat, sie will weniger Verschuldung, sie will weniger Abgaben- und Steuerbelastung, sie will mehr Leistungsdenken, sie will mehr Privatinitiative, sie will mehr Selbstverantwortung.
({14})
Bei zwei so völlig verschiedenen Analysen und Wegen kann eine Regierung nur lavieren und taktieren. Davon hat unser Volk genug!
({15})
Dies ist längst schädlich für unser Land geworden. Dies ist kein Entwurf und kann kein Entwurf werden für den allein helfenden Neuanfang, den wir brauchen.
Viertens. Nun zur Alternative. Was wäre nach einem Neuanfang zu tun? An der Spitze eines Neuanfangs, meine Damen und Herren, müßte eine redliche Bestandsaufnahme über die Lage stehen, wie sie ist.
({16})
Unser Volk will keine weiteren Beschönigungen und Täuschungen mehr haben.
({17})
Die Leute wissen, der Staat hat sich übernommen.
Sie wissen sogar: Die Erblast dieser Fehlentwicklung trifft leider alle. So ist es leider in einem Volk.
Und sicher ist, es wird nicht gut werden, wenn wir den Weg der ständigen Inflation gehen, und es wird nicht gut werden, wenn wir immer noch mehr Verschuldung vornehmen, sowohl binnenwirtschaftlich wie international.
({18})
Wir müssen die Grundbedingungen der Sozialen Marktwirtschaft wieder in Gang bringen.
({19})
Das wird, so wie die Lage ist, ein schwerer und langer Weg. Graf Lambsdorff hat nicht nur eine völlig zutreffende Analyse gegeben, er hat auch Wege aufgezeigt. Das geht großenteils in die richtige Richtung - nicht in allen Einzelheiten; da sind problematische Dinge dabei, einiges ist da nicht zu akzeptieren, manches muß verbessert werden, manches muß anders beurteilt werden.
({20})
Aber zum erstenmal hat sich ein Mitglied der Bundesregierung in der Linienführung auf den Boden des Sieben-Punkte-Papiers der CDU/CSU-Fraktion vom Februar dieses Jahres begeben.
({21})
Ich selber habe am 8. Januar dieses Jahres im „Handelsblatt" versucht darzustellen, daß wir ein „Jahrzehnt des Jätens und Säens" vor uns haben.
({22})
Im einzelnen ist folgendes zu machen.
Erstens. Wir brauchen einen durchgreifenden Beginn und ein zähes Fortführen der Sanierung der Staatsfinanzen durch Begrenzung der Ausgabenzuwächse auf viele Jahre.
({23})
Das Zurückziehen der öffentlichen Hände aus Aufgaben und Ausgaben, die Wiederverkleinerung des Staatsanteils, solle kein Selbstzweck sein,
({24})
sondern dies soll Freiräume schaffen für die persönliche Leistungsbereitschaft, für Selbstverantwortung, Privatinitiative und betriebliche Innovationen und Investitionen.
({25})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen, der Sie da so laut tönen: Wer hat denn unserem Volk die Arbeitslosigkeit beschert? Wir müssen mit Ihrer Erblast fertig werden. Vor dem steht eine neue Regierung. Da sollten Sie nicht so hämisch tun. Die Leute haben Sorgen wegen Ihrer Politik.
({26})
Zweitens. Mittelfristig muß das Steuersystem wieder leistungsfreundlicher, innovationsfreundlicher und wachstumsfreundlicher werden. Wir müssen auch mit Hilfe des Steuerrechts möglichst viele zur Selbständigkeit ermuntern.
({27})
- Also, Ihnen kann man wirklich nicht mehr helfen.
({28})
Drittens. Wir brauchen einen Abbau von Investitionshemmnissen im Wohnungsbau, im Energiebereich und bei der modernen Nachrichtentechnik.
({29})
Viertens. Wir brauchen eine Entbürokratisierung zur Erhöhung der Anpassungsfähigkeit unserer Betriebe und zur besseren gebiets- und fachbezogenen Beweglichkeit und Änderungsbereitschaft unserer Arbeitnehmer.
Fünftens. Wir müssen - und das wird eine schwierige Aufgabe - die Tarifpartner, die selbstverantwortlich handeln, ermuntern, bei der Lohnpolitik mit Vorrang die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Auge zu haben.
({30})
Dies muß gepaart werden mit neuen Schritten zur breiteren Streuung unseres Produktivvermögens.
({31})
Alle diese Maßnahmen haben das Ziel, die Schaffenskraft unseres Volkes zur Entfaltung zu bringen. Das ist der Grund - ich kann da nur an das anknüpfen, was vor einem Jahr Bundesfinanzminister Matthöfer in seiner Rede sehr eindrucksvoll ausgedrückt hat -, daß eine solche Situation, die wir haben, wo die Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang hat, nicht Jahre sein können, wo staatliche Verteilungsgesichtspunkte Vorrang haben. Ich bitte das nachzulesen - auch das Niveau, wie er es damals dargestellt hat.
Die soziale Aufgabe Nummer 1 in den kommenden Jahren ist, möglichst viele Arbeitsplätze zu retten und neue zu schaffen.
({32})
Die soziale Aufgabe Nummer 2, die mit der ersten natürlich zusammenhängt, ist, dafür zu sorgen, daß die Grundlagen unseres sozialen Sicherheitssystems gesund in die Zukunft gerettet werden können.
({33})
Wenn ein Kuchen schmort, darf sich die Politik nicht in erster Linie damit befassen, wie man den schmorenden Kuchen anders verteilt. Vielmehr müssen wir das Schmoren zunächst einmal stoppen und dafür sorgen, daß der Kuchen wenigstens wieder etwas wächst.
({34})
Daß das nicht leicht sein wird und daß dies von allen Beteiligten viel Verständnis verlangt, daß das auch für die Gewerkschaften nicht einfach sein wird, wissen wir. Die Gewerkschaften haben sich aber auch
am Beginn unseres Staates in den 50er Jahren verantwortungsbewußt gezeigt und dazu beigetragen, daß der Aufbau und das Wachstum des Wohlstandes damals überhaupt möglich war.
({35})
Unsere Arbeitnehmer draußen wissen, daß Arbeitsplätze auf Dauer nur sicher sind, wenn die Betriebe Gewinne machen und wenn das Eigenkapital der Betriebe nicht sinkt, sondern wächst. Unsere Arbeitnehmer wissen, daß man die Leistungsträger eines Volkes - auch die Unternehmer - nicht auf Dauer auspeitschen kann. Sonst können sie irgendwann nicht mehr und bleiben stehen. Das ist auch ein Grund für die Firmenzusammenbrüche, die wir haben.
({36})
Nur wenn die Pferde ermuntert werden, den Wagen zu ziehen, können wir auch für die Benachteiligten mehr tun, mehr jedenfalls, als wenn der Wagen zum Stehen kommt.
({37})
- Sie gewiß nicht.
({38})
Allen Ernstes, meine Damen und Herren: Im Kern
wird diese Aufgabe nur zu lösen sein, wenn wir die geistig-moralische Herausforderung, die dahintersteht, annehmen. Wir müssen von mehr Abschied nehmen als nur von falschen Maßnahmen. Wir müssen von der glücksorientierten Staatsauffassung Abschied nehmen, von der Auffassung, als ob der Staat alles und jedes versprechen und lösen könne. Wir müssen von dem Anspruchsdenken, von der Subventionsbegehrlichkeit und von jener Betreuungsmentalität, wie sie sich da und dort ausgebreitet hat, Abschied nehmen. Die Politik muß wieder mehr an die Stärken der Bürger appellieren. Sie darf die Bürger nicht mehr so sehr zum Bequemen anstacheln. Vor allem der Jugend müssen wir Zuversicht vermitteln, aber nicht, indem wir ihr Falsches versprechen, sondern indem wir sagen: Auch ihr habt in Zukunft wieder neue Chancen. Ihr habt es schwerer als manche Generation vor uns, aber leichter als die Generationen, die aus dem Ersten Weltkrieg und aus dem Zweiten Weltkrieg herausgekommen sind.
({39})
Ihr müßt aber wieder mehr auf eure eigene Kraft setzen. Ihr müßt selbst euer Leben in die Hand nehmen. Dann habt ihr auch heute eure Zukunftschancen.
({40})
Wir müssen auch die andere Seite des Sozialen wieder deutlicher aussprechen. „Sozial" kann nicht heißen, daß man anderen zur Last fallen darf, wenn man selber etwas leisten kann.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine ausländischen Modelle. Es gibt das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft.
({41})
Die Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft, ihre Begründer und diejenigen, die sie in die Tat umgesetzt haben, wußten, daß das Wagnis der Freiheit nur gelingt, wenn diese Freiheit mit moralischen Bindungen gepaart ist. Bürgersinn verlangt Selbstverantwortung und Hilfsbereitschaft. Ohne Tugenden, Werte und Pflichten geht Freiheit auf die Dauer nicht gut. Das ist das Gegenteil dessen, was Sie „Ellenbogengesellschaft" oder gar „Raubrittergesellschaft", wie meines Wissens der hessische Sozialminister jetzt im Wahlkampf sagt, nennen. Wer so etwas sagt, hat Ludwig Erhard und die Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft nicht verstanden.
Das bedeutet natürlich auch - meine Damen und Herren, das ist eine ernste Sache -, daß alle die, die in einer besonderen Verantwortung stehen, vorbildlich handeln müssen. Es sollte nicht, wie die Sozialisten immer meinen, alles über ein Gesetz geregelt werden. Durch ständiges Piesacken wird nichts besser. Ich denke vielmehr an vorbildliches Handeln. Eigentum verpflichtet; aber auch Verantwortung verpflichtet. Ob einer ein Eigentums-Unternehmer oder Manager-Unternehmer, Politiker, Verbandsfunktionär oder Gewerkschaftsführer ist - er wird vom Volk daran gemessen, ob er nur Sprüche klopft oder ob dahinter Leistung steht.
({42})
Von jedem, der in einer verantwortlichen Position steht, muß erwartet werden, daß er nicht provoziert,
({43})
daß er keine Ärgernisse schafft,
({44})
daß es nicht heißt: Sie predigten Wasser und tranken Wein.
({45})
- Diese Beispiele gibt's, auch in Ihrem Lager; die kennen wir.
({46})
Meine Damen und Herren, nur aus dieser Grundhaltung heraus werden wir in unserem Volk die gemeinsame Anstrengung zustande bringen, um die Probleme zu meistern und der jungen Generation wieder neue Arbeitsplätze zu geben.
Ludwig Erhard, der seiner Zeit weit voraus war, hat schon am 10. September 1956
({47})
gesagt, daß wir eine neue Wirtschaftsgesinnung bräuchten. - Sie verstehen den Ludwig Erhard nicht, unser Volk versteht ihn inzwischen , auch diejenigen, die ihn damals vielleicht nicht verstanden haben. Wäre man seinen Maßhalteappellen damals nur mehr gefolgt! ({48})
Er hat damals, 1956, gesagt, daß das deutsche Volk immer darauf angewiesen sei, an der Spitze des wirtschaftlichen Fortschritts zu stehen; sonst könnten wir unseren Wohlstand nicht halten; das ist das erste. Aber er fügt dann wörtlich hinzu:
Wer unserem Volk nichts anderes zu geben vermag, als „besser leben" oder „weniger arbeiten", der wird die Geister und Herzen auf die Dauer nicht gewinnen können. Über dem löblichen Streben des einzelnen müssen wir als Volk und Nation um die Verwirklichung übergeordneter Ziele bemüht sein. Dann werden wir überrascht feststellen, daß wir mit dem allgemeinen Wohl zugleich die Grundlagen unseres eigenen Lebens gefestigt haben.
So weit Ludwig Erhard.
({49})
Meine Damen und Herren, in diesem Geiste wird die Union an die Arbeit gehen.
({50})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Walther.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Häfele, niemand kann Ihnen bestreiten, daß Sie wortgewaltig sind. Wenn ich einmal alles das, was in Ihrem Vortrag in den letzten 15 Minuten Lyrik, Gartenlaube, Courths-Mahler und Cowboyroman war,
({0})
außen vorlasse, dann ergibt sich an sachlichen Argumenten, Herr Kollege Häfele, nun wirklich nicht viel. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Den Hinweis auf den ehemaligen Bundeskanzler Erhard in dieser Zeit fand ich ziemlich geschmacklos. Denn wer hat denn eigentlich Herrn Erhard gestürzt?
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, im Namen meiner Fraktion zunächst einmal für die Einbringungsrede von heute morgen bedanken.
({2})
Sie hat sich nahtlos an die hervorragenden Einbringungsreden Ihres Vorgängers, Herrn Matthöfer, angeschlossen.
({3})
Das ist eine solide Grundlage,
({4})
auf der wir beraten können. Nur das, was der Bundesfinanzminister heute morgen hier dargestellt,
nur das, was er heute morgen hier eingebracht hat,
ist für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Grundlage der Beratungen in den nächsten Wochen.
({5})
Herr Kollege Häfele - ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie gestört habe, aber ich möchte ganz gern ein paar Takte mit Ihnen reden -, Sie haben es hier wiederum so dargestellt, als sei unser Verweis auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge eine Ausrede. Sie tun so, als seien die in unserem Land zweifellos vorhandenen Probleme - die bestreitet doch niemand - hausgemacht, ausschließlich hausgemacht.
({6})
Herr Kollege Häfele, Sie sind für mich viel zu intelligent, als daß Sie das, was Sie da gesagt haben, glauben könnten.
({7})
Ihr Beispiel, Herr Kollege Häfele, von den beiden Kranken mit den unterschiedlichen Fieberstufen, das zieht nun wirklich nicht. Denn die beiden Kranken, hoffe ich jedenfalls, in Ihrem Krankenhaus lagen nicht so nahe beieinander, daß sie sich gegenseitig anstecken konnten.
({8})
- Ja, ich weiß. Ich habe das ja letzte Woche schon gesagt: am lautesten lärmen immer diejenigen, die am wenigsten davon verstehen. Bleiben wir dabei.
({9})
Nein, Herr Kollege Häfele, wenn wir den Hinweis auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge geben, dann geht es nicht um Schuldzuweisungen oder Entschuldigungen oder gar billige Entschuldigungen. Das muß dazugehören, wenn wir eine wahrheitsgemäße Bestandsaufnahme oder eine wahrheitsgemäße Analyse dessen machen wollen, was wir an Problemen vor uns haben, und dessen, was wir national zur Bewältigung dieser Probleme tun können. Aber wer, wie Sie, Herr Kollege Häfele, eine nur partiell richtige und deshalb falsche Diagnose stellt, kann auch nicht die richtige Therapie entwickeln. Deshalb wundert es mich auch nicht, daß Sie außer Courths-Mahler und viel Lyrik unter Hinweis auf die Sieben-Punkte-Erklärung Ihrer Fraktion, die ja inhaltlich auch nichts aussagt, an praktischen Vorschlägen wiederum heute hier überhaupt nichts gebracht haben.
({10})
Ich wiederhole: wer die Probleme der deutschen Volkswirtschaft nicht in ihren weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verflechtungen sieht, kann deshalb auch keinen konstruktiven Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten. Wie ist die Situation? Vielleicht überzeichne ich, aber ich sage Ihnen, daß sich nach meinem Empfinden die Weltwirtschaft in einer schweren Depression befindet, der schwersten seit den 30er Jahren, seit dem berühmten Schwarzen Freitag: 30 Millionen Arbeitslose in den westlichen Industrieländern, mehr als 10 Millionen
Arbeitslose im Bereich der Europäischen Gemeinschaft.
Der Kollege Löffler, dessen Autorenschaft ich an dieser Stelle nicht verschweigen will, hat einmal in die Debatte gebracht - und ich will das hier gerne laut sagen -, ob es nicht sinnvoll sei, an Stelle jener Weltwirtschaftsgipfel, die es ja sinnvollerweise gibt, eine Gesprächsrunde der wichtigsten Industriestaaten mit dem Ziel zustande zu bringen, wie man denn weltweit die Probleme der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommt.
Die Wachstumsschwäche und die Zahlungsbilanzprobleme überall in der Welt - überall in der Welt, Herr Kollege Häfele - haben sich auch auf den Welthandel ausgewirkt. Das Welthandelsvolumen stagniert seit fast zwei Jahren. Es stagniert seit fast zwei Jahren - ich wiederhole den Satz, weil er deutlich macht, was anschließend kommt: wie bedeutsam die Leistung unserer Wirtschaft im Gegensatz zu dem ist, was Sie hier dargestellt haben. Obwohl der Welthandel nicht gewachsen ist, ist der Anteil der deutschen Exportwirtschaft am gesamte Welthandel erheblich größer geworden.
({11})
Das hat dazu geführt - die FAZ hat es dieser Tage gesagt -, daß wir in diesem Jahr einen Handelsbilanzüberschuß von rund 60 Milliarden DM erwarten können.
Trotz der Fortschritte, die erzielt worden sind, sind die hohen Zinsen weltweit - weltweit; bei uns am niedrigsten -, vor allem aber in den USA das wichtigste Hemmnis für die Wiedergewinnung von Wachstum und Vollbeschäftigung. Dies, obwohl - Herr Häfele, Sie wissen, das genauso gut wie ich - die Bundesrepublik noch zu den Ländern mit den niedrigsten Zinsen gehört. Trotzdem ist die Rendite festverzinslicher Wertpapiere immer noch um rund 3% höher als im Jahresdurchschnitt 1978, d. h. genau um 3 % mindestens zu hoch.
Mexiko, das größte Schuldnerland der Welt übrigens, Brasilien, Argentinien, Polen - ich könnte eine Reihe anderer Länder dazu zählen - haben mit Finanzierungsproblemen zu tun, die das gesamte internationale Finanzsystem schwer belasten.
({12})
- Herr Kollege Glos, daß Sie als Schwarzer als erstes an Afrika denken, das wundert mich überhaupt nicht.
({13})
Meine Damen und Herren, das geht doch so weit, daß der japanische Ministerpräsident vor kurzem gesagt hat, selbst Japan stünde am Rande eines Staatsbankrotts - Japan, jenes Land, auf das manche hier in unserem Lande so zeigen mit dem Ziel, uns einreden zu wollen: macht nur alles, wie es die Japaner machen, dann ist unsere Welt wieder heil und in Ordnung.
({14})
Der Kollege Genscher hat gesagt: wir machen hier Politik. Das ist wahr. Die machen wir ja auch. Aber es macht keinen Sinn, verschweigen zu wollen, daß wir mit dem, was wir durch Politik hier bewirken können, das bei weitem nicht aus der Welt bringen können, was sich weltweit an sehr viel schwierigeren Problemen darstellt. Das ist der Punkt, auf den ich hinweisen wollte.
({15})
Die Bundesrepublik, Herr Kollege Häfele, kann sich alle dem doch nicht entziehen. Denn wir sind doch nach den USA das zweitgrößte Exportland, deutlich noch vor Japan. Wir haben einen höheren Außenhandelsanteil als Japan, als die USA. Viele Branchen liefern mehr als die Hälfte ihrer Produkte ins Ausland. Ich sage das, damit auch an diesen Daten noch einmal deutlich wird, wie groß unsere Verflechtung in die Weltwirtschaft ist und daß wir das, was sich weltwirtschaftlich ereignet, hier nicht einfach mit nationalen Mitteln wegstecken können, als seien wir die Weltmeister im eigenen Land.
Herr Kollege Häfele, ich sage Ihnen und anderen: Gefährlich wird das alles, wenn aus innenpolitischen und parteitaktischen Überlegungen Porzellan zerschlagen wird, wenn schwierige Probleme der internationalen Politik in - ich sage es einmal vereinfacht - rustikaler Manier erledigt werden sollen. Ich nenne nur das Stichwort Erdgas-Röhren-Geschäft. Ich umschreibe das ganz zaghaft. Auch solches muß internationales Vertrauen zerstören, auch solches muß sich sehr nachteilig auf die Beschäftigung bei uns und woanders auswirken. Ich kann vor solchen Praktiken nur warnen.
Meine Damen und Herren, ich will mit diesem etwas zu lang geratenen Beitrag - aber Sie haben mich dazu provoziert, Herr Kollege Häfele - ({16})
- Ich bedaure das mit Ihnen. Ich wollte mit dem etwas zu lange geratenen Beitrag und mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Zusammenhänge sagen: Es gibt, wenn wir über wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande reden, nicht nur ein Aggregat, es gibt eine Menge Einflußgrößen, die alle richtig zusammenkommen müssen, wenn wir die schwerwiegenden Probleme, auch die Strukturprobleme in unserer Wirtschaft lösen wollen. Ich nenne nur: Angebotssituation, Nachfragesituation, Kostensituation, Rahmenbedingungen, Zins- und Kapitalmarktsituation. Deshalb nützt es nichts, allein auf eine dieser Größen Einfluß nehmen zu wollen. Notwendig ist nach unserer Auffassung eine Politik des - das klingt nicht so schön wie das, was Sie sagen - Sowohl-als-auch.
Warum sage ich das? Es gibt zwei Beispiele von Ländern, die glaubten, sie hätten Patentrezepte. Ich warne vor Heilslehren, ich warne vor Patentrezepten. Es gibt also zwei Länder, deren Beispiel ich Ihnen vorführen möchte.
Präsident Reagan hat, als er ins Amt kam, seinem Vorgänger - ich vermute, so wie Sie uns - kritisiert wegen seiner Schuldenaufnahme. Als Präsident
Carter aus dem Amt schied, hatte er in seinem Haushalt ein Defizit von 60 Milliarden Dollar.
({17})
Dann hat Präsident Reagan ganz offenbar eine Politik praktiziert, die, wenn ich hinter Ihren blumigen Bemerkungen einen sachlichen Inhalt erkennen kann, von Ihnen favorisiert wird, eine Politik, wie Sie sie gern hätten. Diese Politik hat er praktiziert.
({18})
Er hat sie praktiziert mit dem Ergebnis, Herr Kollege Häfele, daß er jetzt, nach einem Jahr, keine 60 Milliarden Dollar Schulden haben wird, sondern 103,9 Milliarden Dollar ({19})
und dies, nachdem er die größte Steuererhöhung in der Geschichte Amerikas in Höhe von fast 100 Milliarden Dollar durchführen mußte.
({20})
Das heißt, Herr Kollege Friedmann, eine Politik, die da meint, sie könnte durch staatliche Mittel Nachfrage vernichten und dadurch zum Aufschwung beitragen, führt in Wahrheit zu größeren Haushaltsdefiziten. Ich sage Ihnen als Haushaltspolitiker - ({21})
- Herr Kollege Langner, ich sage Ihren Zwischenruf jetzt einmal laut, damit alle ihn hören. Sie sagen, das hätte etwas mit den Rüstungsprogrammen in den USA zu tun.
({22})
Dies ist wahr, und dies beweist, Herr Kollege Langner, daß Rüstung die Menschheit nicht nur in einer Hinsicht nicht reicher, sondern ärmer macht.
({23})
Die Arbeitslosen in den Vereinigten Staaten wissen, daß das so ist, Herr Kollege Langner, und vor einer solchen Politik warnen wir auch hier in unserem Lande.
({24})
Wenn es erlaubt ist, möchte ich einen kurzen Hinweis auf das geben, was die Politik in Großbritannien ausmacht. Herr Strauß hat gesagt, er sei der deutsche Thatcher. Herr Glos, war das so? Da muß man unterstellen, daß er auch die gleichen Rezepte wie Frau Thatcher anwenden würde
({25})
und zwar mit den Folgen für den Haushalt: Das Staatsdefizit in Großbritannien ist größer geworden,
({26})
die Arbeitslosenzahlen sind größer geworden, und die Inflationsraten sind größer geworden.
({27})
- Herr Kollege Lemmrich, Ihre Frage zeigt mir nur, daß Sie möglicherweise von Verkehrspolitik mehr als von Nationalökonomie verstehen.
({28})
Deswegen sage ich für meine Fraktion: Eine Politik, die in unserem Land zu solchen Ergebnissen führen müßte, wird von uns strikt abgelehnt.
({29})
Obgleich ich weiß, wie sehr in einer nach meiner Überzeugung unzulässigen Art und Weise das Thema der öffentlichen Kreditaufnahme sensibilisiert worden ist, stelle ich trotzdem die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, mit programmierten, mit voraussehbaren Haushaltsdefiziten Beschäftigung zu finanzieren, als darauf zu verzichten, um anschließend die unprogrammierten, aber sich automatisch einstellenden höheren Defizite so sang- und klanglos finanzieren zu müssen.
({30})
Deshalb sind wir nicht bereit, eine deflatorische Politik zu betreiben. Aus den Gründen sagt der Bundeskanzler zu Recht: Eine Politik des Kaputtsparens - das meint er damit - kommt für uns nicht in Frage.
({31})
- Verehrter Herr Zwischenrufer, wir werden in wenigen Wochen das Sondergutachten des Sachverständigenrats bekommen. Ich will dem nicht vorgreifen, was ich auch gar nicht könnte. Ich bin ganz sicher, Kollege Häfele, Sie und andere werden aus diesem Sondergutachten nicht sehr viel Honig saugen können.
Ich weiß nicht - ich müßte den Finanzminister fragen, aber ich lasse es einmal sein -, ob ich einen in dieser Republik sehr bekannten Wirtschaftswissenschaftler aus dem konservativen Lager zitieren darf.
({32})
- Ich nenne ihn im Moment nicht beim Namen, aber Sie können ihn privat von mir hören, wenn Sie wollen. Dieser hat am Wochenende bei einer Tagung in einem kleinen Kreis gesagt, die öffentliche Diskussion über die Staatsverschuldung in den Jahren 1982/83 erinnere ihn an einen pathologischen Prozeß, und die Diskussion nehme schon skurrile Züge an.
({33})
Diese skurrilen Züge habe ich bei Ihnen auch gehört, Herr Häfele.
Ich komme noch einmal zum Thema der Bundesbankgewinne zurück, Herr Kollege Häfele. Sie haben einen Teil der Problematik dargestellt, und das will ich nicht bestreiten. Wenn wir und Sie akzeptieren, daß wir die Folgen der verschlechterten ökonomischen Rahmendaten über geringere Steuern und höhere Ausgaben für Nürnberg im Haushalt etatisieren, müssen wir auch zugeben, daß es richtig ist, die aus den gleichen Gründen bei der Bundesbank entstehenden Gewinne auch im Bundeshaushalt zu etatisieren. Anders kann das doch nicht sein.
Herr Kollege Häfele, weil Sie die Zwischenfragen des Kollegen Löffler abgelehnt haben, reizt es mich, noch ein paar Bemerkungen zu Ihrer steuerpolitischen Philosophie zu machen. Sie reden hier von Steuererhöhungen. In Wahrheit - das wissen Sie als Steueranwalt sehr genau - geht es um nichts anderes als um den Abbau heute nicht mehr gerechtfertigter Privilegien. Daß Sie sich bei Ihrem Beruf und bei der Klientel, von der Sie leben, gegen einen solchen Abbau wehren, Herr Kollege Häfele, wundert mich überhaupt nicht.
({34})
Nur können Sie nicht verlangen, daß wir die Interessenlage Ihrer Klientel zum Maßstab unserer Politik machen, Herr Kollege Häfele.
({35})
Mein Gott, Herr Kollege Häfele, wenn wir vorschlagen, den Vorteil aus dem Ehegatten-Splitting auf 10 000 DM und nicht mehr 14 500 DM jährlich zu begrenzen, dann reden Sie davon, daß das familienfeindlich sei. Ich frage noch einmal, Herr Kollege Häfele: Wo fängt bei Ihnen die Familienfreundlichkeit an? Wo ist die Familienfreundlichkeit für den Arbeitslosen im Verhältnis zu dem, für den der Splitting-Vorteil heute fast 15 000 DM beträgt?
({36})
Was Ihren Hinweis auf den Art. 115 anlangt, Herr Kollege Häfele, da sind wir im guten Wasser. Die Kollegen der Union haben einmal den Antrag gestellt, man möge den Investitionsbegriff neu fassen. Ich bestreite gar nicht, daß es dafür eine Berechtigung gibt, weil wir unter dem Investitionsbegriff manches fassen, was heute nicht mehr aktuell ist, und manches nicht drin haben, was eigentlich dazugehört. Deshalb ist die Rechnung, Herr Häfele, die der ansonsten von mir sehr verehrte Herr Zavelberg für Sie aufgemacht hat - Sie haben sie gestern in der Pressekonferenz in Form von Schaubildern verteilt - schlicht falsch und stellt dem mit Sicherheit vorhandenen intellektuellen Verstand von Herrn Zavelberg ein schlechtes Zeugnis aus. Sie, Herr Häfele, die Sie politisch dafür die Verantwortung tragen, hätten das nachsehen und überlegen sollen, ob
Sie es mit Ihrem Ruf vereinbaren können, solche Zahlen und solche Schaubilder zu veröffentlichen.
({37})
- Da sich Herr Zavelberg öffentlich als Verfasser dieses Papiers zur Verfügung gestellt hat, wird man es wohl sagen dürfen.
({38})
- Das ist wahr, hab' ich ja gesagt. Das habe ich in meiner umschreibenden Formulierung doch gesagt, Herr Häfele: unter seinem Niveau.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wo liegt heute der entscheidende Ansatzpunkt für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage? Ginge es nach der Meinung von Konservativen und Wirtschaftsverbänden, reichte es aus, den Unternehmen Steuererleichterungen zu geben, die Löhne zu stoppen und für einen kräftigen Zuwachs bei den Gewinnen zu sorgen. Dann wäre der ganze Aufschwung gelaufen.
({39})
- Herr Kollege Schröder, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich rede davon, was uns von Ihnen an ökonomischen Patentrezepten angeboten wird, und versuche dies an dem zu messen, was bisher geschehen ist.
({40})
Herr Kollege Häfele, Sie können es nachrechnen: In der Steuerpolitik hat sich das Gesamtvolumen durch Steuererleichterungen für die Wirtschaft von 1975 bis einschließlich 1982 um rund 20 Milliarden DM verringert. Für die Wirtschaft - diese Zahl ist wichtig - hat sich das Steuervolumen um 20 Milliarden DM verringert. Können Sie mir an irgendeiner Stelle nachweisen, wo das zu neuen Arbeitsplätzen geführt hätte? Der Anteil der Steuern, Herr Kollege Häfele, von denen überwiegend Unternehmen betroffen sind, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer, ist von 26 %, als Sie regiert haben, auf 15,2 %, heute, zurückgegangen. Wer also dauernd davon redet, wir müßten die Unternehmensbesteuerung verringern, der geht an der Wirklichkeit vorbei, der hat diese Zahlen nicht im Kopf und weiß, im Ernst, nicht, wovon er redet.
({41})
Herr Abgeordneter Walther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Weil er mein Kasseläner Nachbar ist, gerne.
Herr Abgeordneter Haase, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Lieber Freund und Kollege Walther, könnte das Zurückgehen des Anteils der Steuern der Unternehmen auch damit in Zusammenhang stehen, daß die kaum mehr oder keine Gewinne machen, was ein Indikator für die zurückgehende und schlechte Wirtschaftstätigkeit in unserem Lande ist?
Herr Kollege Haase, dies ist mit Sicherheit auch ein Grund - das will ich überhaupt nicht bestreiten -, nur ist es nicht der Hauptgrund. Deshalb habe ich das Volumen der Steuerentlastungsgesetze für die Unternehmen genannt. Das liegt bei 20 Milliarden DM. Der Finanzminister hat heute morgen zu Recht gesagt: Keine Regierung hat mehr für die Unternehmensbesteuerungsentlastung getan als gerade diese sozialliberale Regierung.
({0})
Sie haben immer davon geredet. Wir haben das, was Sie uns empfehlen, gemacht. Nur: Wer hat denn im Ernst trotz dieser Steuerentlastungen mehr investiert?
Und was die Lohnzurückhaltung anlangt, ist es doch wohl keine Frage, daß sich die Gewerkschaften in den letzten beiden Jahren fast mehr, als sie ihren Mitgliedern zumuten konnten, zurückgehalten haben. Das bedeutet: Der Lohnkostendruck, von dem immer die Rede ist, in den Betrieben ist gesunken; und wo sind die neuen Arbeitsplätze, die dadurch zustande kommen?
Und daß im ersten Halbjahr - Herr Kollege Haase, diese Teilantwort bin ich Ihnen noch schuldig - die Bruttoeinkommen aus Unternehmen und Vermögen um 8,5 % und im Gegensatz dazu die Einkommen aus unselbständiger Arbeit um nur 2,7 % gestiegen sind, macht ebenfalls deutlich, daß es eine Umverteilung von den Einkünften aus unselbständiger Arbeit hin zu Unternehmergewinnen gegeben hat. Doch gibt es dadurch auch nur einen Arbeitsplatz mehr?
Was will ich damit sagen? Kein Unternehmer investiert,
({1})
solange er nicht weiß, daß er die Produkte, die er mit seinen Investitionen erzeugt, verkaufen kann.
Deshalb kann der Faktor Nachfrageseite nicht außer acht gelassen werden.
Deshalb sind wir in diesem Jahr in der Situation, Ihnen sagen zu müssen: Wer am Bundeshaushalt noch mehr als die Bundesregierung konsolidieren will, vernichtet Inlandsnachfrage und die Arbeitsplätze bei der Endnachfrage in den Kaufhäusern
und Läden, wo immer die Bürger mit ihrem Geld einkaufen können.
({2})
Er setzt eine Spirale in Gang, die möglicherweise da endet, wo sie vor vielen Jahren schon einmal geendet ist.
({3})
Daß in dem Haushalt, der uns vorliegt, eine große Zahl zusätzlicher beschäftigungswirksamer Komponenten enthalten ist, ist mehrmals dargestellt worden und wird heute nachmittag weiter dargestellt werden. Nur, wir Sozialdemokraten hätten es lieber gesehen, wenn es uns gelungen wäre, im Bundeshaushalt 1983 weitere beschäftigungswirksame Maßnahmen unterzubringen.
({4})
Was der Herr Bundeswirtschaftsminister, nein, der Graf Lambsdorff - er tat es wohl nicht in seiner Eigenschaft als Minister - im beschäftigungspolitischen Teil seines Papiers vorgeschlagen hat, ist ja gar nicht so unvernünftig. Darüber, ob man das macht, kann man doch reden.
({5})
Nun laßt uns bitte darüber reden, wie wir solche beschäftigungspolitische Maßnahmen in Gang bekommen. Wenn wir das im Ernst wollen, wird es uns auch möglich sein, die Finanzierung sicherzustellen. Das ist besser, als wenn wir nachher die Defizite aus höherer Arbeitslosigkeit bezahlen müssen.
({6})
Herr Kollege Häfele, ich komme zu meiner Eingangsbemerkung zurück. Sie glauben nicht im Ernst, daß das, was Sie als Alternative vorgetragen haben, eine Alternative ist.
Sie haben gesagt, als erstes müsse eine redliche Bestandsaufnahme kommen. Ja, mein Gott, Herr Kollege Häfele, Sie reden jedes Jahr in so düsteren Farben, daß ich annehmen muß, daß das Ihre redliche Bestandsaufnahme ist, es sei denn, Sie akzeptieren selber, das, was Sie hier vortragen, sei nicht redlich. Das ist die Konsequenz aus dem, was Sie vortragen. Und da haben Sie recht.
Nur, wenn das, was Sie vortragen, Ihre redliche Bestandsaufnahme ist: Bitte schön, dann kommen Sie heute oder morgen oder wann immer Sie wollen, noch einmal hier herauf, oder schicken Sie Herrn Kohl oder wer immer kommen soll, und lassen Sie uns von Ihnen hören: Was wollen Sie konkret machen? Womit wollen Sie Ihre Lyrik ausfüllen?
({7})
Da hilft es uns auch nicht weiter, wenn in der hektischen Diskussion dieser Tage der eine - wie Häfele heute - sagt: „Einen Teil davon und so könnte man ja machen; vielleicht!" und der andere - wie Ihr Kollege aus dem Saarland - sagt: „Mit uns nicht!". Da hört man also sehr dissonante Antworten und Äußerungen.
Herr Kollege Häfele, ich will nicht wissen, ob Sie die Kriegsopferversorgung um 1 Milliarde oder nur um 999 Millionen kürzen wollen. Sie sollen hierher hochkommen und mindestens in groben Quanten sagen, an welcher Stelle Sie einsparen wollen.
({8})
Was wir heute von Ihnen gehört haben, war doch nichts anderes als: „Das, was die Regierung macht, machen wir nicht mit, höchstens ein bißchen, im übrigen aber sagen wir nicht, wie wir den dadurch entstehenden Ausfall finanzieren wollen."
Übrigens, Herr Kollege Häfele, heute nachmittag werden noch Redner meiner Fraktion kommen und Ihnen vorrechnen, was uns der Vermittlungsausschuß gekostet hat.
({9})
- Das kriegen Sie heute nachmittag alles noch zu hören, Herr Kollege Riedl. - Was der Vermittlungsausschuß auf Antrag der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat beschlossen hat, kostet den Bundeshaushalt weit über 20 Milliarden DM.
({10})
So teuer ist uns diese Opposition gekommen. Und da reden Sie davon, man müsse sparen und Sie hätten Konzepte. Bitte, kommen Sie hierher, Sie haben die Gelegenheit. Kommen Sie hierher, und tragen Sie vor,
({11})
was Sie für Rezepte, für Konzepte haben. Dann können wir weiterreden, auch in der Sache weiterreden. Aber zu sagen: „Das, was ihr tut, das paßt uns nicht" und im übrigen hier nur Lyrik zu erzählen und von dannen zu gehen, Herr Kollege Häfele, das ist für eine Opposition, die regieren will, einfach zuwenig.
({12})
Aber ich fürchte, meine Damen und Herren, eher geht ein Blinder mit dem Krückstock auf den Nanga Parbat, als daß Sie hier Alternativen vorlegen.
({13})
- Herr Haase, das ist in Sonthofen schon alles vorgezeichnet worden. Dort steht übrigens auch eine hervorragende Bemerkung über unseren Koalitionspartner drin. Das könnte man zur Erheiterung des Publikums heute hier auch einmal zitieren. Ich lasse das aber sein, weil es mir darum geht, zum Schluß folgendes zu sagen:
({14})
Wir Sozialdemokraten orientieren uns hier und heute an dem, was der Bundesfinanzminister für die gesamte Bundesregierung vorgelegt und erläutert hat. Dieses ist Maßstab unseres Handelns. Wenn es neue Probleme geben sollte - keiner weiß das genau -, dann werden wir uns über diese Probleme unterhalten, wenn wir sie kennen, und dann werden wir unsere Pflicht tun, so gut wir es können.
Meine Damen und Herren, meine Bitte geht auch an alle, die es sonst in diesem Hause angehen mag:
Die Bürger in diesem Lande haben einen Anspruch darauf,
({15})
daß diejenigen, die im Oktober 1980 gemeinsam eine große Mehrheit bekommen haben, jetzt auch gemeinsam darangehen, die Probleme zu lösen.
({16})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gärtner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestatte dem Kollegen Haase eine Vorfrage.
({0})
Herr Kollege, Sie müssen erst das Wort nehmen, ehe ich Sie fragen kann, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
({0})
Herr Präsident, ich habe darauf hingewiesen, daß ich ihm eine Vorfrage gestatte.
Die Geschäftsordnung kennt keine Vorfragen, sondern nur Zwischenfragen, Herr Abgeordneter Gärtner.
({0})
Herr Kollege Haase, ich gestatte Ihnen eine Zwischenfrage, wenn der Präsident die Geschäftsordnung anwendet.
Verehrter Herr Kollege Gärtner, ich wollte eigentlich unseren gemeinsamen Freund Rudi Walther noch gegen Ende fragen,
({0})
und zwar in seiner Eigenschaft als Mitglied der Führungsmannschaft -
Herr Abgeordneter Haase, Sie können Zwischenfragen nur an den Redner stellen.
({0})
Deswegen darf ich vielleicht an Sie die Frage richten, Herr Kollege, da Sie j a auch zu den Führungsgremien der Koalition gehören: Warum nimmt der Herr Bundeskanzler an dieser für die Republik so wichtigen Beratung der ersten Lesung seines Etats nicht hier im Raum teil? Können Sie das eruieren, eruieren lassen und uns vielleicht mitteilen lassen oder selbst mitteilen, wo sich der Bundeskanzler in den letzten Stunden aufgehalten hat?
({0})
Herr Kollege Haase, ich habe mich selbst darum bemüht, wie Sie gesehen haben, möglichst „meine" Mannschaft auf die Regierungsbank zu bekommen. Ich bin insoweit nicht zuständig, was den Bundeskanzler angeht. Ich sage aber aus meinem Verständnis als Parlamentarier: Wenn die Regierung einen Haushaltsentwurf einbringt, wäre es nicht mehr als recht und billig, wenn die Regierungsbank möglichst insgesamt vertreten wäre.
({0})
Ich füge aber gleich hinzu, Herr Kollege Haase - das wollte ich dem Kollegen Häfele sagen; Sie können sich gerne wieder setzen -:
({1})
Während der Rede des Kollegen Häfele hat sich auch einer aus Ihrer Fraktion nicht in den Saal getraut, nämlich der Kollege Geißler, wenn ich das richtig sehe. Wenn wir uns schon gegenseitig die Frage stellen, wer nicht hier ist - ({2})
- Entschuldigen Sie einmal. So wichtig es auch sein mag, zu fragen, warum der Bundeskanzler nicht hier ist: Es sind auch einige andere Kollegen nicht anwesend, die glauben, zum Thema Haushalt eine ganze Menge sagen zu müssen, wenn sie draußen reden, die jedoch, wenn es darum geht, den Haushalt hier zu beraten, nicht hier sind. Das muß man auch sehen.
({3})
- An Herrn Kohl habe ich zugegebenermaßen nicht gedacht.
Wegen des Anspruches der Redlichkeit, den Sie angemeldet haben, Herr Kollege Häfele, will ich gleich zu Anfang meiner Rede an Ihre Adresse doch einige Fragen nachschieben.
Sie haben darauf hingewiesen, daß in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt schwierige Operationen im Sinne der Belastung der Wirtschaft durchgeführt worden seien. Netterweise haben Sie uns dann alles in die Schuhe geschoben. Ich will einfach einmal mit der Aufzählung beginnen: Wenn wir schon über Belastungen der Wirtschaft und Probleme der Finanzierung reden, sollten wir das in der Rentenversicherung geltende bruttolohnbezogene Prinzip nicht vergessen. Das haben Sie - zusammen mit den Kollegen der SPD - beschlossen.
({4})
Boshafterweise hatten wir schon damals recht, als wir sagten, daß das auf die Dauer nicht zu finanzieren sei.
({5})
Herr Kollege Häfele, es gibt noch ein paar Restposten aus der Zeit der Großen Koalition. Das haben Sie damals zusammen mit den Sozialdemokraten beschlossen. Die eindrucksvolle Bilanz hat der Finanzminister heute morgen ja auch vorgelegt. Ich darf Sie an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle
erinnern, jedenfalls an die Form, wie sie beschlossen worden ist.
({6})
Ich darf Sie daran erinnern, wer den Rentenversicherungsbeitrag 1968 von 14 auf 18 % erhöht hat. Das waren Sie zusammen mit den Sozialdemokraten.
({7})
Und wer hat 1972 kurz vor Auflösung des Bundestages mit einer Einstimmenmehrheit noch ein Geschenk an die Wähler durch die um ein halbes Jahr vorgezogene Auszahlung der Renten verteilt?
({8})
- Ich finde es gut, daß wir alle das gemeinsam so sehen.
({9})
- Herr Schäuble, es wäre doch recht günstig, wenn wir nicht eine künstliche Diskussion darüber führten, ob wir sozusagen ein bestimmtes Ausmaß an Gemeinsamkeit haben, was die Schuld für vergangene Sünden angeht.
({10})
- Natürlich haben wir immer einen Vorsprung. Aber Ihr Beitrag zu den beschlossenen Maßnahmen ist nicht zu unterschätzen. Ich will z. B. nur ein Programm nennen, das Zukunftsinvestitionsprogramm. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an dieses sogenannte ZIP erinnern, 1976, das mit Krediten bezahlt worden ist. Wissen Sie, wie sich die Baden-Württemberger darüber gestritten haben, ob sie zustimmen sollen? Nicht, weil sie das Programm nicht wollten, sondern deshalb, weil ihr Anteil zu gering war. Man muß doch zumindest fragen, ob nicht auch die Länderseite das Ihre dazu beigetragen hat.
Nun noch eine Arabeske, wenn man so will, am Rande. Sie reden von Belastungen, die wir der Wirtschaft immer aufbürdeten. Als sich die bayerische Staatsregierung über das Thema der Feiertagsregelung ausgelassen hat, war das ja auch nicht gerade ein Ausbund von Verbesserungen der Rahmenbedingungen der bayerischen Wirtschaft.
({11})
- Herr Schäuble, die Frage brauchen Sie gar nicht zu stellen. Das sehen Sie j a.
({12})
Man darf auch, Herr Kollege Häfele, über das Thema Ehegattensplitting nicht so reden, wie Sie das getan haben. Sie haben nämlich den Eindruck erweckt, als ob die Einschränkung des Ehegattensplitting den Facharbeiter tatsächlich träfe. Ich
kenne bisher keinen Facharbeiter in dieser Republik, der 100 000 DM im Jahr verdient.
({13})
Wenn Sie das Ganze auf der anderen Seite als Steuererhöhungsprogramm verkaufen wollen, muß ich Sie fragen: Wie reden Sie eigentlich mit Ihrem Parteifreund Rommel in Stuttgart? Herr Rommel hat auf die Frage, wie die Gemeindefinanzen zu sanieren seien, gesagt, das müsse über Steuererhöhungen gehen. Wir wollten das nicht. Aber es muß doch festgestellt werden, daß es innerhalb Ihrer Partei eine Diskussion darüber gibt.
Herr Albrecht in Niedersachsen stellt die Ergänzungsabgabe zur Diskussion und Disposition. Herr Strauß in München geht hin und sagt: Wenn es sein muß, kann die Neuverschuldung 1983 auch höher liegen. Dann können Sie doch nicht hierher kommen und sagen, Sie allein wüßten, wo es lang gehe. Ich finde, das ist jedenfalls nicht ganz widerspruchsfrei.
Ich meine, Sie können Ihren Kollegen eine ganze Menge Ratschläge geben. Aber vielleicht darf ich mich mit Ihnen noch ein bißchen unterhalten; denn ich finde, das ist sinnvoller, als wenn hier jeder seine Rede sozusagen vorliest, egal, was vorher passiert ist.
Hier wird nun gesagt, es müßte alles anders werden. Ich meine, Sie tragen das wirklich gut vor; das Problem ist nur, das staunende Publikum wartet immer auf den Moment, in dem Sie selbst sagen, was geändert werden soll.
({14})
Ich finde, man muß das doch im Parlament machen.
({15})
- Entschuldigung, Herr Häfele, vielleicht hören Sie doch noch einmal zu!
Man muß das also hier im Parlament machen. Es genügt meines Erachtens nicht, daß der Kollege Kohl am 27. August an den Deutschen Gewerkschaftsbund schreibt: Das ganze Konzept ist sozial unausgewogen; es müßte von allen Schichten der Bevölkerung mitgetragen werden; um Sofortmaßnahmen kommt man nicht herum, und man will konstruktiv zusammenarbeiten. Sie brauchen noch nicht zu gehen, Herr Kohl; ich rede noch länger über Sie.
({16})
Er sagt einfach, mit dem DGB wolle er konstruktiv zusammenarbeiten, aber im Parlament kommt keine einzige Vorlage. Warum können wir das nicht einmal hier machen?
({17})
Der Bundesfinanzminister hat heute morgen zutreffend auf die Sitzung des Haushaltsausschusses vom 1. Oktober 1981 hingewiesen.
({18})
- Herr Kollege Glos, Sie werden sich über das wundern, was ich sagen werde. - In dieser Sitzung hat er darauf hingewiesen, daß die CDU/CSU-Haushaltsarbeitsgruppe mit ihren tapferen Mitstreitern, angeführt von Obmann Erich Riedl, die Dispositionsmasse dargestellt und gesagt habe, wo man - bis hin zum Verteidigungshaushalt - sparen kann.
({19})
Das Dumme ist nur: Die Kollegen von der CDU/ CSU-Haushaltsarbeitsgruppe dürfen sich bei Ihnen nicht durchsetzen. Das ist das Problem.
({20})
- Wo sind denn die Einzelvorschläge hier im Plenum des Deutschen Bundestages geblieben, Herr Kollege Friedmann?
({21})
Im Plenum des Deutschen Bundestages haben Sie, Herr Kollege Friedmann, Rechenbeispiele dargestellt, und Sie haben in einigen Fällen, was niemand bestreitet, auch recht gehabt. Aber Sie hätten hier wenigstens zur Beratung des Nachtragshaushalts oder schon damals den Antrag stellen müssen, die 5 Milliarden - oder was auch immer Sie ausgerechnet hatten - einzustellen! Sie können doch nicht hingehen und sagen: Da fehlt etwas, aber ich stelle nichts ein; da die anderen sich an das gehalten haben, was Datenmaterial ist, konnten wir doch gar nicht anders handeln als so.
({22})
- Sie selbst haben dazu relativ wenig auf den Tisch gebracht!
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ({0})?
Gern, Herr Kollege Schröder.
Bitte, Herr Abgeordneter Schröder ({0}).
Herr Kollege Gärtner, darf ich Ihre Aufforderung an uns, Einzelvorschläge zu unterbreiten, so deuten, daß Sie diese auf der Grundlage der verbalen Aussagen des Bundeswirtschaftsministers in konkrete Einzelvorschläge zum Haushalt 1983 umsetzen werden?
({0})
Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Wir werden zum Haushalt 1983 die notwendigen Maßnahmen auf den Weg bringen, um einen Haushalt zu fahren, der mindestens das Ziel Nummer eins verfolgt, das wohl wir alle haben sollten, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({0})
Und ich sage: Da ist jeder aufgefordert, Vorschläge zu machen. Natürlich kann es nur demjenigen, der Vorschläge macht, passieren, daß er kritisiert wird. Sie haben es da ein bißchen einfacher; Sie kritisieren nur.
Von einem zweiten müssen wir mit Sicherheit ausgehen. Das erste Ziel habe ich eben genannt. Jetzt nenne ich das zweite Ziel, das darin besteht, daß die Sozialversicherungssysteme - was übrigens auch Sie, Herr Häfele, angesprochen haben - den geänderten Rahmenbedingungen angepaßt werden. Der Herr Kollege Genscher und der Herr Kollege Hölscher haben das in der vergangenen Woche gesagt, und in Teilen hat es auch der Kollege Franke am letzten Freitag gesagt. Er ist z. B. sogar bereit gewesen, die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner, die von Ihnen eigentlich als Sündenfall kritisiert worden ist, zu akzeptieren.
({1})
- Eben klang es so, als würden wir den Rentnern über den Krankenversicherungsbeitrag etwas wegnehmen. Der Kollege Franke ist an dieser Stelle sozusagen eher mit uns Komplize als mit Ihnen. Falls ich Sie mißverstanden haben sollte: Ich werde das nachlesen und mich bei Ihnen gegebenenfalls in aller Form entschuldigen.
({2})
Jedenfalls meine ich, daß dann, wenn die Sozialversicherungssysteme umgebaut werden sollten - und nur darüber sollten wir meines Erachtens reden; es geht überhaupt nicht um den Abbau von Sozialversicherungssystemen, sondern um deren Umbau -, gleichzeitig auch das Thema hinzugenommen werden muß, daß dies auch ausgewogen und sozial verträglich ist.
({3})
Man kann nicht hingehen und nur sagen, daß die Veränderungen der Weltwirtschaft oder auch sonstiger Rahmenbedingungen dazu führen, daß die Finanzierung nicht mehr so sicher ist wie damals, sondern muß dann auch sagen, wohin das in der Konsequenz führt. Das heißt auch, daß klar sein muß, was es bedeutet, wenn man umbaut. Man darf nicht so tun, als sollte über Änderungen sozusagen der Abbau eingeleitet werden. Ich glaube, das sollten wir gemeinsam nicht so stehenlassen.
({4})
Der dritte Punkt, der auch ein Generalthema ist, betrifft die Eindämmung dessen, was „Staatsverschuldung" genannt wird und die Haushaltspolitiker im Grunde genommen so einengt, daß, um es einmal ironisch auszudrücken, unsere einzigen haushaltspolitischen Spielräume darin bestehen, Wohltaten an die zu verteilen, die eigentlich schon Geld haben. Diese Kreise haben natürlich mehr von der Kapitalmarktentwicklung und den steigenden Zinsen als diejenigen, die keinen Pfennig haben.
Man sollte also auch sehen, daß uns die Kreditfinanzierung in diesem Fall Schwierigkeiten bereitet. Deshalb sind wir gezwungen, dort Einhalt zu gebieten, nicht weil man ideologisch über etwas streitet, sondern weil die praktischen Auswirkungen so sind, wie ich sie eben geschildert habe.
Nur verlangt die Forderung nach Konsolidierung und weniger Staatsverschuldung Vorschläge, verlangt, daß man etwas auf den Weg bringt, verlangt konkretes Einsparen, verlangt Stetigkeit und Konsequenz, verlangt - dies zum Schluß gesagt - auch hier Gerechtigkeit. Man sollte nicht nur einfach sparen, sondern auch den Versuch unternehmen, daß die Gerechtigkeit in diesem Land nicht auf der Strecke bleibt.
({5})
Dieses Konzept, um das wir ringen müssen, Herr Kollege Häfele, ist auch ein wichtiger Punkt. Das, was den ökonomischen Prozeß in unserem Lande bewegt, sind zum einen Fragen von Steuern und Abgaben. Der eine sagt: positiv, der andere sagt: negativ. Über Grenzen kann man diskutieren. Mit Sicherheit bewegt auch in diesem Lande den ökonomischen Prozeß nach vorn die Tatsache, daß es sozialen Frieden gibt.
({6})
Deshalb, so meine ich, müssen wir einen deutschen Weg der Konsolidierung beschreiten.
({7})
Es muß nämlich in diesem Land diskutiert und akzeptiert werden.
({8}) Da kommen wir mit Kopieren nicht weiter.
({9})
Wir haben die Nachteile von ausländischen Mustern gesehen. Ich möchte einmal sehen, was Sie uns vorwerfen würden, wenn wir uns im Bundestag so verhalten hätten wie der amerikanische Präsident.
({10})
Sie haben im vorigen Jahr geklatscht, als Herr Reagan die Steuern senkte. Ich wundere mich, daß Sie dieses Jahr immer noch klatschen, obwohl er die Steuern erhöht hat.
({11})
Wenn wir das gemacht hätten, wäre das mit Sicherheit zweifelhaft gewesen.
({12})
- Nur langsam! Es gibt Sachen, über die man wenigstens im Parlament noch offen reden kann. Das einzige, was mich bei Ihnen manchmal stört, ist die Tat6932
sache, daß Sie angeblich schon immer alles besser wußten.
({13})
Es kann ja wohl auf die Dauer nicht so sein, daß es immer nur beim Bundeshaushalt so schlecht ist.
Wer trägt denn in Schleswig-Holstein die Verantwortung? Ich sehe schon die Wahlprospekte der CDU in Schleswig-Holstein für nächstes Jahr vor mir. Da wird zum dreizehnten Mal damit geworben, daß es in Schleswig-Holstein so gut sei. Es ist aber das Land mit der höchsten Verschuldung in der Bundesrepublik! Wer ist denn dafür verantwortlich?
({14})
Waren wir das auch? Nach Ihrer Meinung sind wir ja für alles verantwortlich, auch dafür, daß wir nicht Fußballweltmeister geworden sind. Aber es kann auf die Dauer nicht so gehen, daß alles bei uns hängenbleibt, während dort, wo Sie politische Verantwortung tragen, immer die anderen schuld sind.
Ich habe die Diskussion über das Sparen hier längere Zeit miterlebt. Als es am Anfang um das Thema des Subventionsberichts ging, hat hier eine verschwindende Minderheit im Plenum gesessen. Es waren mehr Aufpasser als Sparer vorhanden, als zu diesem Thema diskutiert wurde. Der Haushaltsausschuß hat - ich habe beinahe den Eindruck: aus weiser Voraussicht - am 58. Todestag von Franz Kafka das Subventionshearing begonnen. Die Frage ist nur, ob das, was dort ablief, „Prozeß" oder „Urteil" war.
({15})
Das war ein hervorragendes Ereignis. Die Creme der deutschen Wirtschaftswissenschaften, die Creme der deutschen Industrie, die Creme der Banken waren vertreten. Jeder wußte, wo gespart werden könnte. Jeder wußte aber auch ganz genau, wo bei dem anderen gespart werden kann.
Als man dann solche unsittlichen Hinweise gab wie den, ob man nicht ein gutgehendes Unternehmen wie beispielsweise Airbus Industry finanzieren könne, wurde gesagt: So weit geht das ja nicht; wir können an der Stelle nicht einspringen; das sollte der Staat machen! - Das sind dieselben Leute, die uns „Staatsinterventionismus" vorwerfen. Ich wundere mich, daß das nicht auch im Zusammenhang mit der AEG gesagt wird. Das aber sind genau dieselben - hier wird die Frage der Glaubwürdigkeit aktuell -, die vorher sagen: Wir müssen sparen. Der Bundesverband der Deutschen Banken sagt: Man muß sparen quer über alles.
Das sind auch so Sachen. Als im Rahmen der ersten Sparoperationen vom Subventionsabbau im Zusammenhang mit dem Privileg der Sparkassen oder der Genossenschaftsbanken zu hören war, sind alle im Dreieck gesprungen und haben gesagt: Das kann man doch wohl nicht ernst nehmen. Ich finde, das ist ein Problem, bei dem unser Ansehen draußen leidet. Das ist ja auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Parlaments. - Herr Kollege Hackel, wenn Sie
noch einmal anfangen, wiederhole ich das Thema der Berlin-Subventionen.
({16})
- Ich will zu einem sachlichen Thema zurückkommen: Wie weit ist ein Interessenverband in der Lage, einen selbständigen Vorschlag zu machen. Beim Hearing zum Subventionsabbau war der Beitrag des Deutschen Industrie- und Handelstages der einzige, dessen Resultat in Mark und Pfennig ausgedrückt werden konnte. Das betraf die Kürzung der Subventionen für die Außenhandelskammern um 10 %; der Betrag belief sich auf 2,5 Millionen DM. Es war schon erstaunlich, daß das am Ende herausgekommen ist. Einige andere Subventionsempfänger waren nicht anwesend, wie der Vorsitzende zutreffend gerügt hat. Ich weiß nicht, wie die von Ihnen jetzt behandelt werden, aber ich erwarte diesbezüglich noch ein paar Vorschläge.
Herr Häfele, Sie haben heute über das Thema Investitionsförderung im Sinne einer Umschichtung des Haushalts gesprochen. Wir haben vorige Woche ja schon einmal über dieses Thema diskutiert, ich muß mich insofern leider wiederholen. Sie haben ja auch den Bundesrat zitiert, der gesagt hat: Das, was hier vorliegt, ist ja kein richtiges Sanierungskonzept. - Da wir j a nicht mal das kleine Stück bezüglich der Beamtenbesoldung machen dürfen, weil Sie das ablehnen, frage ich mich natürlich immer wieder, wie das auf den Weg kommen soll, wenn alle vom Umschichten von konsumtiven in investive Bereiche reden und wenn gleich beim ersten Schritt gesagt wird: Das geht nicht, hier schon gar nicht. - Herr Kollege Häfele, ich meine, wir sollten gemeinsam versuchen, das noch einmal zu überprüfen. Der Bundesrat hat an der Stelle eine Chance, noch einmal über sein Papier vom 6. August nachzudenken.
Über das Thema, wie hoch die Kreditfinanzierung - wie wir das nennen - sein darf, gibt es ja innerhalb der Wissenschaft Gott sei Dank einen riesigen Streit. Ich muß sagen, daß ich selten so enttäuscht worden bin; denn zu diesen Themen kommt von der Wissenschaft relativ wenig. Bei dem Thema Investitionsbegriff hatten wir schon einmal so ein Erlebnis. Dazu ist ein relativ dickes Papier herausgekommen; das Ergebnis war gleich Null. Jeder sagte nämlich: Man kann es auch ganz anders sehen.
Dasselbe gilt wohl für die Frage, in welcher Größenordnung ein Haushalt kreditfinanziert werden darf. Es gibt Leute, die sagen: 2 bis 3 % im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt sind ausreichend. Wenn man sich das genau ansieht, dann ist eigentlich noch sehr solide finanziert worden, jedenfalls wenn man dem Glauben schenken darf, was die Wissenschaft sagt. Nichtsdestoweniger ergibt sich aus dem vorher Gesagten, daß wir uns verstärkt darum bemühen müssen, die Kreditaufnahme zu verringern.
Herr Kollege Häfele, ich weiß nicht, ob Sie in Toronto waren. - Ich bedaure das insoweit. Dort hätte man vielleicht von einigen Staaten dieser Welt lernen können, wie man mit Problemen fertig wird. Ich will nicht, daß wir diese Probleme auch haben, aber
wir als Weiße hätten vielleicht auch einmal gemerkt, daß wir auf dieser Welt eigentlich eine Minderheit sind. Wie wir uns manchmal benehmen, macht manche j a nachdenklich.
({17})
- Nein, das Schlimme ist nur: Es gibt viele Sachen, die Sie offenbar wissen; ob Sie sie auch begriffen haben, ob Sie sie jemals vor Augen hatten, wage ich manchmal zu bezweifeln. Man lernt eben mehr, wenn man auch einmal nach draußen geht.
({18})
Herr Kollege Häfele hätte das mit Goethe gesagt; Sie hätten sehr wahrscheinlich darauf hingewiesen, daß Reisen bildet. Ich sage das ein bißchen anders.
Ich wollte Ihnen nur sagen: Es wäre zumindest nachdenkenswert, sich die Situation dieser Länder einmal anzusehen. Wenn Sie sich ein exportorientiertes Land ansehen, das so viel draußen verkauft
- wir verschenken ja nichts; wir verkaufen ja nicht zu Selbstkostenpreisen, sondern mit Gewinn - wie wir, dann muß man doch nüchtern zu der Überlegung kommen, daß nicht alle unsere teuren Produkte zu unseren Preisen abnehmen können, wenn es draußen noch schlechter aussieht. Das kann gar nicht anders sein. Deshalb muß man zu einer gemeinsamen Aktion kommen, die auch diesen Ländern hilft, ihre Finanzprobleme zu bewältigen, wenn wir nicht wollen, daß die internationalen Finanzmärkte pleitegehen.
({19})
- Nein, das heißt doch nur, daß nicht jeder auf dieser Welt seinen eigenen Weg gehen kann; er kann nicht so tun, als passierte um ihn herum nichts.
({20})
Gerade wir müssen doch wissen, daß es ein Großteil von Problemen in unserem Lande gibt. Ich füge ganz bewußt in Klammern hinzu, daß Probleme in unserem Lande auch von uns selbst zu verantworten sind.
({21})
- Lauter, Herr Haase! - Aber man muß doch genauso sehen, daß ein Teil unserer Probleme dadurch verursacht wird, daß bestimmte Branchen vom Wettbewerb her Belastungen ausgesetzt sind, die wir in Teilen auch selbst produziert haben. Wer hat denn die Stahlwerke, die eigenen Unternehmen, irgendwo draußen verkauft? Heute sagen Sie: Daß diese Anlagen auch noch produzieren, ist ja unerträglich. Man muß, wenn es dazu kommt - wie z. B. bei Stahl und Textil -, einfach sehen, daß das natürlich Probleme bringt. Das heißt schlicht und einfach, daß man nicht so tun kann, als ob alles in diesem Lande nur hausgemacht sei.
Ich will ja nur sagen, daß man sich an die Lösung der Probleme nicht nur nach dem Motto heranrobben kann: Wir gucken uns in unserem Land um, wie
es aussieht; dann können wir die Probleme mit einem Federstrich lösen. - Eben das können Sie nicht. Wenn Sie die internationalen Finanzmärkte einbeziehen, werden Sie meines Erachtens in Zukunft sehr viel vorsichtiger verfahren müssen, als es geschieht, wenn Sie nur hier im Lande umgehen und so tun, morgen werde schon wieder alles gehen, wenn das in Ordnung gebracht werde, was an irgendeiner Ecke fehle.
Sicherlich - darauf hat Herr Kollege Häfele zu Recht hingewiesen - ist der Einzelplan 32 - Bundesschuld - das unangenehmste Thema, über das ein Haushälter redet. Es ist der Einzelplan mit dem kürzesten Vorwort und, wie ich glaube, auch mit den wenigsten Mitarbeitern. Dort sind, wie ich glaube, nur 302 Mitarbeiter ausgewiesen. Dieser Einzelplan hat jedoch die größten Ausgabensteigerungen. Die Entwicklung des wirtschaftlichen Wachstums führt uns natürlich, wie ich schon einmal sagte, auch in die Umverteilungsdiskussion in diesem Lande. Man sollte fairerweise auch diese Diskussion mit den Gewerkschaften führen. Was habe ich im Grunde genommen politisch dagegen, wenn ein Gewerkschaftsführer von mir ein 50-Milliarden-Programm verlangt? Eigentlich könnte ich es mir ganz einfach machen und sagen: Es kommt im Grunde gar nicht mehr darauf an, welchen Umfang das Programm hat. Es kostet mich ja relativ wenig. - Wenn ich dann aber sehe, daß derjenige, der wirklich etwas von einer Umverteilung hat, auch jetzt schon Geld hat, so würde ich das zumindest für nachdenkenswert halten. Ich habe bei einer Vertrauensleutekonferenz einmal gesagt - ich gebe zu, das ist eine Sottise -: Wenn es stimmt, daß die Bank für Gemeinwirtschaft daran verdient, so muß es deshalb noch nicht sozialdemokratisch sein.
({22})
- Herr Kollege Walther, Sie sind doch ein verträglicher Nordhesse.
({23})
Zumindest an der Stelle muß man zu dieser Frage so etwas doch einmal sagen dürfen. Es ist ja auch in der Auswirkung erkennbar. Mit den Hessen reden wir doch wirklich noch gut. Das ist doch hier mindestens anders.
({24})
Wenn man sozusagen ein Kreditprogramm für die Inhaber von Festgeldkonten macht, so bringt das nicht viel. Ich würde im Blick auf dieses Thema fast die Behauptung wagen: Wenn ich über die Senkung der Kreditzinsen versuche, es den Hypothekenbesitzern zu erleichtern, ihre Schuld zu bezahlen, so ergibt das netto mehr als die nächste Tariferhöhung. Das wäre zumindest ein Punkt, der uns in dieser Frage Leitpunkt sein muß, wenn die Beratungen über die nächsten Haushaltspositionen auf den Weg kommen. Es sollte also nicht der leichteste Ausweg gewählt werden, weil der leichteste Ausweg - das wird, wie ich finde, an diesem Punkt deutlich - für
die Betroffenen eher zu einer Art Holzweg werden kann.
({25})
- Ich hebe gerne hervor, daß die sozialdemokratischen Haushälter in dieser Frage mit mir völlig einer Meinung sind.
({26})
- Nein, es gibt noch mehr. Warum kann man denn über so etwas nicht einmal diskutieren? Warum muß das immer so vorgestanzt sein? Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Was ich Ihnen allerdings vorwerfe, ist, daß man bei Ihnen, wenn es ein paar verschiedene Äußerungen gibt, leider nicht abstimmen kann. Das ist der einzige Punkt. Bei den Kollegen von der SPD weiß ich, daß man mit ihnen etwas richtig abstimmen kann. Sie schlucken auch manches - das gebe ich zu -; wir tun das auch. Bei Ihnen ist das im Augenblick noch nicht praktisch geworden. Vielleicht versuchen Sie es einmal.
({27})
Ich will noch einen Punkt ansprechen, weil ich finde, daß man auch darüber vorurteilsfrei reden können muß. Ich meine das Thema Investitionen. Bei uns geistert immer die Vorstellung herum, daß Investitionen das Beste auf dieser Welt wären, was es überhaupt nur gibt. Ich bezweifle, ob bei Aussagen in diesem Sinne in allen Fällen immer gerechnet wird. Wir rechneten beispielsweise in das Bruttosozialprodukt die Fernstraßenneubauten positiv ein. Jetzt rechnen wir auch noch die Lärmschutzwände positiv ein. Dies ist ein Punkt, bei dem man sich fragen muß, ob man es nicht auch anders hätte machen können, ob nicht ein bißchen weniger vielleicht mehr gewesen wäre. Stellen wir uns die Frage in bezug auf die Investitionen - ich kann das ja, abweichend von der Mehrheit meiner Fraktion, mit Fug und Recht sagen
- z. B. im Zusammenhang mit dem berühmten Kalkar-Reaktor, der in Betrieb genommen werden soll oder auch nicht. Wenn Sie in Ihrer Entschließung fordern, daß für dieses Projekt 1,5 Milliarden DM zugelegt werden - beispielsweise aus dem Einzelplan 30: Forschung und Technologie -, weil die Finanzierungsdefizite offenbar sind, dann müssen Sie, Herr Häfele, auch Ihren schwäbischen Tüftlern
- wenn ich es einmal so locker sagen darf - erklären, daß sie für Kalkar opfern. Ob es sinnvoll, wirklich sinnhaftig ist, dem Kreativitätspotential weithin Forschungsgelder wegzunehmen, um sie in etwas hineinzustecken, wovon heute noch niemand richtig weiß, ob das Ding überhaupt läuft,
({28})
ist doch sehr die Frage. Darüber, so meine ich, sollte man vorurteilsfrei reden.
Am Ende will ich noch kurz sagen - Sie werden sonst wahrscheinlich danach fragen -, wie wir uns die weiteren Beratungen vorstellen. Ich meine, wir sollten ein Stück Einigkeit darüber erzielen, daß wir
heute nicht mehr nur die alten Instrumente anwenden können. Es kann mir heute keiner mehr erzählen, daß auf dieser Welt alles nur Unwissende sind und nur die Deutschen wissen, wie der Weg der Zukunft aussehen soll. Es gibt auf dieser Welt niemanden mehr, der irgendein Patentrezept anzubieten hat. Wir sollten versuchen, gemeinsam die Aufgabe zu bestehen, vor dem Wähler zu verkünden, daß wir das, was Herr Häfele am Anfang gesagt hat, gemeinsam hinkriegen, nämlich den Anspruch zu verwirklichen, realistische Politik zu formulieren, wenn wir uns über Konzepte vorurteilsfrei streiten. Allerdings bitte ich sehr darum, daß Sie, Herr Kollege Häfele, und Ihre Kollegen, die nach Ihnen reden werden, wenigstens dem Prinzip gerecht werden, das Sie am Anfang formuliert haben: eine konkrete Alternative anzubieten. Uns fehlt es nicht an Mut, etwas zu machen. Wir würden nur gerne wissen, was Sie machen würden, wenn Sie mutig wären.
({29})
Ich wünsche uns jedenfalls allen, also meinen 32 Kollegen im Hauhaltsausschuß, eine schöne Beschäftigung. Es wird uns natürlich leid tun, daß wir das Plenum in dieser Zeit nicht sehen werden. Aber vielleicht gibt es dort oben auch eine Welt, die uns gemeinsam gefällt. Jedenfalls sollten wir bei diesem ganzen Geschäft die Nerven behalten. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({30})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Carstens ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie wird wohl einem Finanzminister zumute sein, der einen Haushalt einbringt, von dem er genau weiß, daß er vorne und hinten nicht stimmt, und dem er auch noch bescheinigt, daß er der Wahrheit und der Klarheit entspricht?
({0})
Meine verehrten Damen und Herren, ich nehme an, daß er sich als der Verantwortliche für die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland nicht wohl fühlen wird. Der Haushaltsentwurf 1983 ist jedenfalls nicht wahr und nicht klar und auch nicht „stocksolide", meine verehrten Damen und Herren,
({1})
wohl aber ist das deutsche Volk auf die Politik dieser Bundesregierung stocksauer.
({2})
Im übrigen darf ich jetzt feststellen, Herr Kollege Haase, daß der Herr Bundeskanzler es immer noch nicht für nötig befunden hat, hier im Plenum anwesend zu sein.
({3})
Herr Minister Lahnstein, Sie und die von mir persönlich sehr geschätzten Haushaltskollegen WalCarstens ({4})
ther und Gärtner führten eine geradezu gespenstische Debatte.
({5})
Das ganze Volk betrachtet die weitere Entwicklung in unserem Lande mit Sorge und Bitternis,
({6})
Sie aber scheuen sich nicht, immer wieder neue finanzpolitische Märchen und Ausreden aufzutischen:
({7})
weltwirtschaftliche Probleme, tiefgreifende Umwälzungen und wie die Gründe alle heißen. Ich weiß nicht, woher Sie überhaupt den Mut dazu nehmen. Es sind im Grunde alles faule Ausreden für Ihr politisches Versagen.
({8})
Schon oft gab es in der Vergangenheit weltweite Krisen, mit denen unser Land fertig werden mußte. Ich denke an die Korea-Krise, ich denke an die Kuba-Krise. Es ist nicht das erste Mal, daß die Zinsen in den Vereinigten Staaten erheblich höher sind als bei uns.
({9})
Zu allen Vorkommnissen in der Welt wissen Sie etwas zu sagen, nur Ihr eigenes Haus haben Sie nicht in Ordnung.
({10})
Spüren Sie denn immer noch nicht, was im Volke vor sich geht? Sie brauchen sich gar nicht zu wundern, wenn man Ihnen kein Wort mehr glaubt.
Im Grunde ist es noch schlimmer. Das Volk achtet schon gar nicht mehr darauf, was Sie überhaupt sagen. Es ist dem Volk fast gleichgültig, was Sie vortragen,
({11})
weil man Ihnen überhaupt nicht mehr glaubt, weil man Ihnen überhaupt nichts mehr zutraut.
({12})
Ständig nennen Sie falsche Zahlen. Zu Beginn des Haushalts sieht es immer anders aus als am Ende der Beratungen. Das stimmt auch wieder für 1983. Jeder von uns weiß, daß etwa 10 Milliarden fehlen werden. - Herr Kollege Gärtner, das hat mit Besserwisserei nichts zu tun. Das wissen nicht nur wir, sondern das wissen auch Sie. Und der Finanzminister weiß es. Das ist doch der Vorwurf, den wir Ihnen machen: daß Sie hier die Unwahrheit sagen.
Das betrifft genauso die Aussagen von Finanzminister Lahnstein zum Thema der staatlichen Neuverschuldung. Er erklärte, daß wir bei der jährlichen Neuverschuldung noch relativ gut dastünden. Herr Kollege Häfele hat eben die Zahlen, die Vergleiche mit den Vereinigten Staaten angesprochen. Es gibt aber auch andere Vergleichszahlen. Wir stehen - im Vergleich Bruttosozialprodukt/Neuverschuldung - mit 5 % schlechter da als Frankreich mit 3%, Großbritannien mit 2,2 %, Kanada mit 2,2 %, die Vereinigten Staaten mit 2,9 % und Japan mit 3,4 %. Übertroffen wird die Bundesrepublik lediglich von Dänemark, Belgien und Italien. Alle anderen Länder, die vergleichbar sind, stehen besser da als wir.
({13})
Dann sagte der Herr Finanzminister, man müsse schon Verständnis für eine vorübergehende Neuverschuldung haben. Darum kann es doch überhaupt nicht gehen. Seit 1974 verschulden wir uns Jahr für Jahr neu mit einer Summe um 30 bis 40 Milliarden DM.
({14})
Ich muß Herrn Finanzminister Lahnstein vorwerfen, daß er die Chance nicht genutzt hat, als neuer Finanzminister eine neue Finanzpolitik zu beginnen. Er führt die miserable Schuldenpolitik seiner Vorgänger zum Schaden des Volkes unbeirrt fort - leider, muß ich sagen. Mit dieser Politik hat man eine blühende Wirtschaft zerstört, hat man eine solide Finanzstruktur zerstört. Und es war gewollt, Herr Kollege Häfele, wie Sie ausgeführt haben. Das war das Programm der SPD, das Langzeitprogramm: in der Strukturpolitik und bei der Investitionslenkung. Bei all diesen Themen wurde deutlich gesagt, daß man diese Politik anstreben würde. Das heutige Dilemma kommt also nicht von ungefähr. Es hatte Plan und Methode. Systematisch wurden die Staatsleistungen ausgeweitet, bis auch der letzte Zufall in Sicherheit umgewandelt war.
({15})
Eine selbstgefällige Politik, zu der es keine Alternativen zu geben schien. Die Ängste der kleinen Leute wurden durch den Mut der Großen zum Schuldenmachen verdrängt.
Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, woher Sie überhaupt das moralische Recht genommen haben, diese Schuldenpolitik zu betreiben. Sie haben eine Wirtschaft übernehmen können, Sie haben ein Land übernehmen können, welches prächtig gedieh, welches eine starke Wirtschaft hatte. Der Aufbau nach dem Kriege war im Grunde genommen zustande gebracht worden durch die Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes - ohne Kreditaufnahme. Es war nicht ganz ohne Kreditaufnahmen, aber Sie nehmen jetzt alle vier, fünf Monate mehr Kredite auf, als CDU/CSU-geführte Regierungen in 20 Jahren zusammen aufgenommen haben.
({16})
Wir hatten Wirtschaftsblüte, Arbeitslosigkeit gab es nicht, wir hatten ständiges Wachstum. Jetzt haben Sie Schulden und Arbeitslosigkeit.
Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann?
Nein, ich habe nur eine Viertelstunde.
Wir haben dieses Instrument der Staatsverschuldung unsererseits nicht angesetzt. Sie haben das moralische Recht für sich in Anspruch genommen,
Carstens ({0})
Ihre Politik mit Schulden auszubauen. Die Hauptverantwortung hierfür liegt letztlich beim Bundeskanzler. Wenn man davon gesprochen hat, den öffentlichen Korridor ausweiten zu wollen, dann glaube ich sicher, daß letztlich damit bezweckt werden sollte, eine Art von demokratischem Sozialismus bei uns zu verwirklichen. Das war der Sinn dieser Politik. Das stand immer dahinter.
({1})
Der Hauptdrahtzieher dieser Theorie war der jetzige Bundeskanzler.
({2})
Diese ist schmählich gescheitert, so wie sie überall scheitern wird, wo man sie einzusetzen wagt.
Die Arbeiter in Deutschland haben mittlerweile die Nase voll von dieser Politik und laufen der SPD davon.
({3})
Sie haben längst festgestellt, daß die SPD nur vorgibt, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. In Wirklichkeit passiert genau das Gegenteil. Das haben die Arbeitnehmer gespürt, und deswegen bekommt die SPD bei Meinungsumfragen und bei Wahlen nur noch gute 30 oder 35 %. Das scheint mir auch das richtige Maß dafür zu sein.
({4})
Die Wirtschaft konnte sich nicht mehr weiterentwickeln, weil die Staatsquote um 10 % anstieg, was bei einem Bruttosozialprodukt von 1,6 Billionen DM bedeutet, daß zusätzlich 160 Milliarden DM durch öffentliche Kassen geleitet werden und nicht mehr von denen ausgegeben werden können, die dieses Geld in Wirklichkeit verdient haben. 160 Milliarden DM, das ist eine unwahrscheinlich hohe Summe. Alle Ausgaben der Gemeinden zusammengenommen belaufen sich im Jahre 1981 nur auf 148,5 Milliarden DM. Eine solche Umverteilung hat stattgefunden.
Der Finanzminister hat heute morgen zum Ausdruck gebracht, daß der Staat nur wenig Möglichkeiten hat zu investieren. Wenn er also 160 Milliarden DM mehr über seine Kassen laufen läßt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Investitionen zurückbleiben, wenn keine Vorsorge für die Zukunft getroffen wird und eben auch keine Arbeitsplätze mehr geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit in unserem Lande deswegen ansteigt.
Die Auswirkungen auf die Bevölkerung sind schlimm. Wir gehen jetzt auf mehr als 2 Millionen Arbeitslose zu. Die Reallöhne sinken. Bei etwa 4 % Lohnerhöhung und einer Inflationsrate von über 5% sinken eben die Reallöhne. Und es wird denen, die ein Häuschen gebaut haben, immer schwerer gemacht, die Abträge noch zu zahlen.
({5})
Viele Arbeiter müssen bei dieser Politik ihr selbstgebautes Haus verkaufen, können es nicht mehr halten.
({6})
Das ist die Sozialpolitik der SPD/FDP-Regierungskoalition!
({7})
Und wieviel Leid und Elend wird über Familienbetriebe gebracht! 15 000 Betriebe geraten in Konkurs. Wie viele kämpfen wohl ums Überleben, und wie viele Arbeitskräfte haben Angst davor, durch Konkurs in Zukunft in Arbeitslosigkeit zu geraten! Das ist Auswirkung Ihrer Politik.
Das Schlimme ist, daß sich die Opfer, die die Bevölkerung zu bringen hat, nicht lohnen, nicht auszahlen. Bei Ihrer Politik wird die Arbeitslosigkeit weiter wachsen, wird die Wirtschaftsschrumpfung weiter zunehmen. Die Opfer, die die Menschen bringen, gehen drauf für Zinsen und für die Mehrkosten der Arbeitslosigkeit. Deswegen ist es so beschämend, diese Politik immer wieder vertreten zu müssen. Ich wundere mich deswegen auch gar nicht, daß der Kanzler es sozusagen nicht wagt, hier im Plenum dabei zu sein, sich die Vorwürfe anhören zu müssen.
({8})
Die Wirtschaft schrumpft, obwohl man sich Mühe gibt. Die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr. Das, was mir am meisten aufgefallen ist und was ich für das Bedeutendste halte in dem Brief von Herrn Staatssekretär Schlecht an den Kanzler, war folgender Satz - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Damit hält die Wachstumsstockung seit nunmehr zwei Jahren an, obwohl sich inzwischen wichtige Rahmendaten für die wirtschaftliche Entwicklung gebessert haben. Hieraus wird immer deutlicher, daß die zyklischen Ablaufmuster der Vergangenheit offenbar nicht mehr gelten.
Dadurch, daß das Volk kein Vertrauen mehr hat in die Politik dieser Regierung, ist es sogar gelungen, den bislang absolut zuverlässigen Konjunkturzyklus kaputtzumachen. Normalerweise müßte es mal wieder bergauf gehen. Aber das Volk hat einfach kein Vertrauen, und solange diese Regierung am Ruder sein wird, werden wir auch keine wirtschaftliche Entwicklung nach vorwärts erleben.
({9})
Hierzu eine sehr wichtige, eine beängstigende Zahl: Es hat bei der Kreditgewährung an die inländischen Nichtbanken, also an die Privaten, im ersten Halbjahr nur ein Volumen von 30 Milliarden DM gegeben. Das ist das absolut geringste Volumen seit 1970, einschließlich 1973. Die private Kreditaufnahme hat sich gegenüber 1981 glatt um die Hälfte verringert. Wenn das keine Superrezession gibt, dann weiß ich nicht, wie sich Wirtschaften heute noch entwickeln.
Carstens ({10})
Wenn in diesem Zusammenhang z. B. in Wahlkundgebungen in Hessen zum Ausdruck gebracht wird: Wartet ihr erst einmal ab, was euch passiert, wenn die CDU/CSU regiert, so kann ich dazu sagen, daß wir wissen, daß wir von der Bevölkerung Opfer erwarten müssen. Wir haben konkrete Vorschläge bezüglich der linearen Kürzungen bei staatlichen Ausgaben und bei den Subventionen gemacht.
({11})
Dazu stehen wir, dazu standen wir, und dazu werden wir auch in Zukunft stehen.
({12})
Wir wissen auch, daß wir dem Volk diese Kürzungen zumuten können,
({13})
weil das Volk dann die Hoffnung haben kann, daß es zu einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung kommt, die dann, wenn sie schnell greift, verhindert, daß es zu weiteren Kürzungen im Sozialbereich, zu weiterem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt, wie das bei Ihrer Politik in den nächsten Jahren unter Garantie weiter der Fall sein würde.
({14})
Wir wissen, daß Freiräume für die Wirtschaft geschaffen werden müssen. Wir wollen nicht kürzen um den Kürzens willen - darum geht es nicht -, sondern wir wollen Freiräume für die Wirtschaft schaffen, damit sich eine neue Kraft für Privatinvestitionen, aber auch für öffentliche Investitionen entfaltet. Nur hierüber kann es in Zukunft zu neuen Arbeitsplätzen, zu einem Wachstum der Wirtschaft kommen. Nur so können wir das soziale System unseres Landes auf Dauer sichern, und darauf kommt es an.
({15})
Diese Zuversicht können wir der deutschen Bevölkerung mit unserer Politik vermitteln. Die deutsche Bevölkerung will wohl hart zupacken, sie will mitmachen, sie wartet nur darauf, daß ordentliche Politik gemacht wird. Das deutsche Volk hat Geist und Verstand, will arbeiten und kann arbeiten, aber es muß die passende Politik gemacht werden, damit die Fähigkeiten des deutschen Volkes auch freigelegt werden, und das wird nicht passieren, solange Sie regieren, meine Damen und Herren.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Carstens hat soeben davon gesprochen, daß die Zahlen am Ende eines Jahres immer anders als zu Beginn eines Jahres aussehen. Ich will zwei Beispiele dafür nennen, damit Sie dann auch sehen, wie die Prognose-Trefferquote insgesamt aussieht. Es war zu einer Zeit, als Karl Schiller und Franz Josef Strauß Minister waren, und an dem Sachverstand der beiden Herren werden Sie sicherlich nicht zweifeln.
({0})
Im Jahre 1967 schätzten die Institute ein reales Wirtschaftswachstum von 2,5 %, der Sachverständigenrat von 3 %, die Bundesregierung von 2 %. Nach Ende des Jahres war es ein Minus von 0,1 %.
({1})
- Die Unfähigkeit würde ich dem damaligen Finanzminister Franz Josef Strauß an Ihrer Stelle nicht unterstellen.
({2})
Im Jahre 1969 - das sage ich, damit Sie sehen, daß es auch andersherum gehen kann - schätzten die Institute einen realen Anstieg um 3,5%, der Sachverständigenrat von 4,5 % und die Bundesregierung von 4,5 %. Das Ergebnis nach Abschluß des Jahres war ein Plus von 7,9 %. Sie sehen daran, daß es zu den verschiedensten Zeiten, wenn man sich dies zusammennimmt, und in den verschiedensten Situationen unterschiedliche Trefferquoten in der volkswirtschaftlichen Prognose gab.
Der Kollege Carstens hat davon gesprochen, daß unsere Bevölkerung wohl einiges gemerkt habe.
({3})
Was sie aber auch will, Herr Kollege Carstens, ist, daß die Abgeordneten, nämlich wir, sachlich und mit Augenmaß gerade in der Finanzpolitik vorangehen.
Der Herr Bundsfinanzminister hat diese Politik heute morgen genau dargestellt. Sie verfolgt den Weg der Mäßigung und der Vernunft zwischen der Hasardeurforderung nach fast unbegrenzter Kreditaufnahme
({4})
und den Dr.-Eisenbart-Rezepten von einem fast unbegrenzten, Herr Häfele, Kaputtsparen - so kann man dies nennen.
Uns geht es darum, den Haushalt mittelfristig durch Verminderung der Kreditaufnahme schrittweise zu konsolidieren, ohne durch abrupte Einschnitte die Kaufkraft von Millionen Menschen auf einen Schlag so zu schwächen, daß die Nachfrage nach Gütern zum Schaden für Wirtschaft und Beschäftigte führt.
({5})
Das ist nicht nur ökonomisch richtig, sondern auch politisch sinnvoll.
({6})
Wenn in diesem Lande, zu Recht, das Eigentum und
die private Verfügungsmacht über die Wirtschaft gewichtige Bestandsgarantien haben, dann muß es
auch einen ähnlichen Respekt für solche Leistungen geben, die nach dem Sozialstaatsgebot gewährt werden, soll es nicht zu einer wirklichen Vertrauenskrise im Volke kommen. Dann gehört dies zusammen.
({7})
Millionen Menschen, die soziale Leistungen auf Grund von Rechtsansprüchen erhalten, die ihnen dieses Parlament gegeben hat,
({8})
haben es nicht verdient, daß man sie einfach als Verfügungsmasse im Zusammenhang mit den jeweiligen Konjunkturverläufen behandelt, die sie selbst nur ganz geringfügig bestimmen können.
({9})
Der Weg der Vernunft, den wir gehen, ist im Haushaltsentwurf 1983 und auf der Datenbasis, die ihm zugrunde liegt, der letzten Schätzungsergebnisse, präzise und für jedermann erkennbar beschrieben. Auf dieser Grundlage werden wir in den Ausschüssen die Beratungen aufnehmen und sind selbstverständlich bereit, wenn uns neue ökonomische Daten vorgelegt werden, zu der gegebenen Zeit Korrekturen anzubringen. Es ist aber absurd, schon jetzt den Vorwurf der Unseriosität gegenüber diesem Haushaltsentwurf zu erheben. Zum einen entspricht unser Vorgehen dem absolut üblichen Verfahren hier und auch bei den Haushaltsberatungen in den Ländern, zum anderen wäre es unverantwortlich, einstweilen einfach abzuwarten oder im Vorgriff auf ungesicherte Daten schon jetzt übereilte Schritte zu tun. Der hochempfindliche Verlauf der Konjunktur verlangt, daß der Staat in der Haushaltspolitik sorgfältig und nicht hektisch und panisch reagiert.
({10})
Sollten Korrekturen durch neue Daten notwendig werden, dann werden sie, so erklären wir Sozialdemokraten, die Ausgewogenheit und soziale Symmetrie des vorgelegten Entwurfs nach unserem Willen nicht in Frage stellen.
Der Entwurf ist ein Kompromiß, den die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten vor ihrer jeweils verschiedenen Wählerschaft verantworten wollen. Wir Sozialdemokraten halten an diesem Kompromiß fest und werden seine Linie der Ausgewogenheit auch dann fortsetzen, wenn sich Korrekturen wegen neuer ökonomischer Daten als notwendig erweisen sollten. Das ist die größtmögliche Klarheit über die Gestaltung des Haushalts 1983, die heute möglich ist. Und es wird in diesem Hause allgemein anerkannt, daß die Wirtschaft Klarheit braucht, um ihre Dispositionen treffen zu können.
Wenn man ansonsten den verehrten Kollegen Dr. Häfele und meinen Freund Manfred Carstens gehört hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier wieder einmal die Nebelwerfer eingesetzt worden sind.
({11})
Ihre Vorstellungen von der Haushaltskonsolidierung sind das bestgehütete Geheimnis in diesem Land.
({12})
Noch niemand, Herr Kollege Carstens, wahrscheinlich noch nicht einmal Ihr oberster Vorturner, hat es ergründen können. Einerseits weichen Sie mit der pauschalen Behauptung aus - so auch der Kollege Häfele vorhin -, es sei Aufgabe der Opposition, das zu kritisieren und zu prüfen, was die Regierung vorlege, nicht jedoch, eigene Alternativen zu entwikkeln. Es mag sein, daß Sie mit diesem Rezept an die Regierung gelangen: durch Verkehrung des Wählerwillens hier im Bundestag und durch den Appell an die Ängste von Menschen draußen,
({13})
die Regierungen für allgewaltig halten und deshalb von einem Wechsel Wunder erwarten. Mit einer parlamentarischen Opposition im Vollsinn hat das alles allerdings wenig zu tun. Wir halten es mit dem, was Kurt Schumacher hier einmal formulierte, als er sagte: „Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen aufzuzwingen."
({14})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind weder konkret noch positiv, noch haben Sie Vorschläge, die man als Konzept der Opposition bezeichnen kann.
({15})
Was Sie haben, ist eine Fülle widersprüchlicher Privatmeinungen in Ihren Reihen. Unter Wahlgesichtspunkten - da gebe ich Ihnen recht - ist es sicher nützlich, daß man jedem etwas bieten kann.
({16})
Sie bezeichnen in Ihrem berühmten Sieben-Punkte-Offensivprogramm vom Frühjahr 1982 die Haushaltssanierung mit Recht als vorrangiges finanzpolitisches Ziel und schlagen zuallererst ganz vorsichtig die Beseitigung von Mißbräuchen im System der sozialen Sicherung vor. Wer wünscht dies nicht? Machen wir uns doch gemeinsam daran, auch Mißbräuche auf der steuerlichen Seite abzuschaffen!
({17})
Dazu haben wir ja am Freitag morgen einiges an Vorschlägen aus dem Rechnungsprüfungsausschuß auf dem Tisch, worüber wir uns in der Sache einig waren. Ich bin aber sicher: Im Bundesrat wird es nicht gehen. Dann müssen wir es auf beiden Seiten machen.
({18})
Die einen leiten in ihren Reihen aus dieser Abschaffung von Mißbräuchen ab, daß es ohne erhebliche Einschränkungen bei den Leistungsgesetzen keine Trendwende geben kann - das war Herr Stoltenberg -,
({19})
während die Sozialausschüsse den Handlungsspielraum für Kürzungen in erster Linie bei den Subventionen und den Finanzhilfen sehen.
({20})
- Das liegt Ihnen vor, Herr Kollege Schröder; da müssen Sie nur entsprechend reingucken. Und erläutert hat es Ihnen der Finanzminister.
({21})
Ich willen Ihnen einiges von dem sagen, was Damen und Herren Ihrer politischen Couleur in die Landschaft gesetzt haben, weil ich mich bemühen will, dahinterzukommen, was Sie denn nun wirklich im einzelnen wollen. Deswegen muß dies mal gesagt werden.
Die Verschärfung der Zumutbarkeitsregel bei der Arbeitsvermittlung, von der z. B. Ministerpräsident Späth gesprochen hat, haben die Sozialausschüsse als Zumutung an sich bezeichnet.
({22})
Herr Geißler schließt Überlegungen zur Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht aus. Ministerpräsident Späth will nicht daran rütteln, daß ein Arbeitsloser, der mit 58 Jahren seinen Arbeitsplatz verloren hat, Abstriche hinnehmen soll. Die in Ihrer CDU/CSU bekanntermaßen vorhandene Omnipotenz der Sozialausschüsse führt zu der Versicherung, daß Derartiges nicht gegen ihren Willen durchzusetzen sei. Die einen bei Ihnen sprechen von der Wiedereinführung von Karenztagen.
({23})
- Ich sprach von Ihren Leuten, Herr Kollege Friedmann.
Die Mittelstandsvereinigung Westfalen-Lippe hat Vorschläge entwickelt, wonach im Krankheitsfalle alle Arbeitnehmer für drei Wochen ein auf 85 % reduziertes Einkommen bekommen sollen. Die Sozialausschüsse behaupten genau das Gegenteil.
({24})
Hier hat man eine Unmenge von verschiedenartigen Vorstellungen, die aus den Reihen der Opposition gekommen sind.
({25})
- Ich kann ja nicht alles vorlesen. - Immer dann, wenn es konkret wird, ist bei Ihnen die entsprechende Sendepause. Die Kürzungen bei den Subventionen sind ein Paradebeispiel dafür, wie so etwas gehen kann. „Lineare Kürzungen aller Finanzhilfen" - Abbau der Steuervergünstigungen ging schon wieder nicht - „um 5 bis 10 % im Rasenmäherverfahren", so hieß das alles einmal so schneidig,
Herr Kollge Haase. „Aber bitte nicht beim Schiffbau", meint der Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein,
({26})
„und nicht bei Steuervergünstigungen, um Gottes willen, hier könnte doch einmal eine andere Schicht getroffen werden", meinte Herr Dr. Häfele. „Überhaupt nicht pauschal 5 bis 10 % kürzen, sondern gezielt für einzelne Bereiche", meinte der Ministerpräsident Stoltenberg dazu. Sie sehen - und mit dem Bundesrat hat man j a zu tun -, welche Fülle von Vorschlägen aus den Reihen der Opposition da ist.
Wenn es ohnehin nicht genau darauf ankommt und draußen sowieso niemand weiß, was Sie meinen, hat man einen besonderen Punkt im Bereich der Personalausgaben. Herr Geißler hält eine einprozentige Gehaltskürzung als Opfer des öffentlichen Dienstes für zumutbar, während Herr Vogt das Weihnachtsgeld der Beamten kürzen möchte. Zu der sehr viel milderen Verschiebung der Besoldungsanpassung um drei Monate konnten sich die Unionsministerpräsidenten nicht verstehen - aus verfassungsrechtlichen Gründen, so hieß es dann. Wenn ich das Interview richtig verstanden habe, das der Präsident des Bundesverfassungsgerichts vor kurzem gegeben hat, dann dürfte der Punkt vom Tisch sein.
Das heißt mit anderen Worten: während Regierung und damit auch Koalitionsfraktionen ein Gesamtkonzept vorgelegt haben
({27})
- ja, sicherlich -, haben Sie immer dann Ihre großen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, daß etwas konkretisiert werden soll, was Sie als Nebel verbreitet haben. Denken Sie aber bitte daran, daß man dann, wenn man die Führung im Staate beansprucht und andere Kollegen aus diesem Hause dazu gewinnen will, selbst führungsfähig sein muß. Diesen Nachweis sind Sie in den Beiträgen, die bis jetzt gekommen sind, schuldig geblieben. - Herzlichen Dank.
({28})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, die Debatte hat etwas Irreales an sich. Wenn ich das in einem kurzen Vergleich zusammenfassen darf, so sagen Sie, verehrte Kollegen von der Opposition, nicht, was Sie tun wollen, aber Sie sagen: Packen wir es an. Und wir sagen, was wir gerne tun wollen, können es aber nicht so anpakken, wie wir wollen, weil Sie uns dazu im Bundesrat oder im Vermittlungsausschuß nicht die Möglichkeit geben.
({0})
Das ist das Problem: Wir versuchen im Augenblick, einen Haushalt zu konsolidieren, stoßen aber auf eine Blockadepolitik.
Ich verkenne nicht, daß es bei Ihnen Leute gibt, die sagen könnten und auch sagen werden, was sie wollen. Aber zur Zeit hören wir nichts. Das ist eine Tatsache.
({1})
- Ich werde mich bemühen.
Außerdem ist festzustellen, daß die Debatte doch ein Stück von der hochgradigen Politisierung weg und zu einer mehr pragmatischen Betrachtung hin geführt hat, nicht zuletzt dank der einführenden Worte des Finanzministers Lahnstein, der ganz klar gesagt hat: Wir werden wahrscheinlich noch mehr tun müssen. Wir müssen eventuell auch - das hat er im Haushaltsausschuß gesagt - einen zweiten Nachtragshaushalt einbringen, und wir müssen den Haushalt 1983 korrigieren. Das ist für mich ein Beispiel dafür, daß man auch bei Schwierigkeiten einen Haushalt einbringen kann, vorausgesetzt, man sagt, daß wir etwas ändern müssen. Und daß ich für Änderungen bin, können Sie sich vorstellen.
({2})
Ich fürchte nur, unser Publikum draußen am Fernseher und hier, das uns seit über einem Jahr beobachtet und sich fragt, was denn nun in Bonn herauskommt, ist schon so frustriert, daß es diese Wendung hin zu mehr Pragmatismus nicht mehr mitbekommt oder nicht mitbekommen will.
({3})
Um welches Problem geht es denn? Um es ganz einfach darzustellen: Es geht darum, daß die Einnahme-Ausgabe-Schere trotz Sparoperation '81, trotz Operation '82, trotz Nachtragshaushalt 1982 und trotz der bisher beschlossenen Eckwerte zum Haushalt 1983 noch nicht geschlossen ist. Das ist traurig, aber wahr. Es handelt sich nicht, wie manche Kollegen in meiner Fraktion sagen, um marginale Werte, die noch ausgeglichen werden müssen. Nein, wenn wir uns vor Augen halten, daß der Haushalt 1982 - immer die Einnahme-Ausgabe-Schere im Blick - gedeckt wurde durch die Bundesbank, durch die Bundespost, durch das Zurückschicken der Bundesbahn auf den Kreditmarkt, daß wir dann noch 18 Milliarden DM einsparen mußten und das immer noch nicht ausreichte, wir vielmehr 27 Milliarden DM Nettokredite aufnehmen mußten und wir diesen Betrag jetzt noch erhöhen müssen, dann ist das Dilemma ganz klar beschrieben. Das muß man auch deutlich sehen. Sie zeigen das Dilemma auf. Aber wir sehen es auch, und wir versuchen, Abhilfe zu schaffen.
({4})
Wesentlich ist, daß es sich nicht allein um das Problem der Nettokreditaufnahme handelt, sondern auch um andere Größen, die wir im Haushalt untergebracht haben. Vor diesem Hintergrund darf ich mir die persönliche Wertung erlauben, daß die Wende im Konsolidierungsprozeß noch nicht eingetreten ist.
({5})
Es sind ja Zahlen genannt worden, die Sie, Herr Finanzminister Lahnstein, heute morgen nicht angeführt haben. Das betrifft z. B. den Titel 32: Bundesschuld. Das für mich Erschreckende daran ist, daß dieser Titel im Vergleich zum Gesamthaushalt mit zehnfacher Geschwindigkeit wächst, und das nicht erst seit einem Jahr. Zum zweiten ist daran erschreckend, daß wir dadurch unsere Haushaltsmanövriermasse - bei den Zinslasten handelt es sich ja um konsumtive Ausgaben - immer mehr einengen und die Investitionsquote damit ständig sinkt. Auch das ist zu sehen.
({6})
Wir haben auch noch nicht unser Ziel erreicht, die Nettokreditaufnahme mittelfristig auf das Niveau zurückzuführen, daß wir uns selber vorgegeben haben. Auch das muß man ganz deutlich sagen.
({7})
Selbst wenn wir das Problem der Nettokreditaufnahme angepackt haben wie im Haushalt 1982, als wir eingangs den Vorschlägen des Sachverständigenrats gefolgt sind, der ja gesagt hatte, es bestehe ein strukturelles Defizit in der Größenordnung von mindestens 40 Milliarden DM - im Haushaltsentwurf 1982 sind wir immerhin in einer Größenordnung von 7 Milliarden DM unter der vorgegebenen Grenze geblieben -, kann man doch sagen, daß das keine langfristige Konsolidierung war, weil das nur dank der Bundesbankabgaben möglich war. Wenn es sie nicht mehr gibt, haben wir auch nichts mehr konsolidiert. Das muß man ganz deutlich sagen.
({8})
Vor diesem Hintergrund darf ich mir auch erlauben, zu sagen, daß wir immer noch am Anfang der Konsolidierung stehen und daß wir vor allen Dingen unsere langfristigen Konzepte noch einmal überdenken müssen,
({9})
langfristig auch in dem Sinne, in dem Lambsdorff es in seinem Papier festgeschrieben hat, worüber aber in unserer Fraktion noch beraten wird.
Der Haushalt 1983 ist - auch das stelle ich hier fest - für uns Liberale dazu der Ansatzpunkt und auch die Bewährungsprobe.
({10})
Ich will das nicht dramatisieren; ich glaube, wir brauchen kein Sondergutachten. Was wir brauchen, sind Entscheidungen, und die Entscheidungen stehen an.
({11})
Was wir brauchen, ist
({12})
- und hier zitiere ich meinen Parteivorsitzenden -:
Erstens Festlegung und Durchsetzung eines mittelfristig angelegten und gesetzlich abgesicherten
überzeugenden Konsolidierungskonzepts für die öffentlichen Haushalte,
({13})
das die Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast ausschließt und das durch seine verläßliche Festlegung finanzielle Unsicherheiten abbaut und die Voraussetzungen für weitere Zinssenkungen schafft.
({14})
- Aber wir sagen es, und das schon seit geraumer Zeit, Herr Haase!
Zweitens Festlegung und Durchsetzung einer mittelfristig angelegten und möglichst gesetzlich abgesicherten Umstrukturierung der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen von konsumtiver zu investiver Verwendung,
({15})
um die private und öffentliche Investitionstätigkeit nachhaltig zu stärken und die wirtschaftliche Leistung wieder stärker zu belohnen.
({16})
Drittens Festlegung und Durchsetzung einer Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die veränderten Wachstumsmöglichkeiten und eine längerfristige Sicherung ihrer Finanzierung ohne Erhöhung der Ausgabenlast,
({17})
um das Vertrauen in die dauerhafte Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherung wiederherzustellen und zugleich der Eigeninitiative und der Selbstvorsorge wieder größeren Raum zu geben.
({18})
Dies schließt ein, daß man selbst bekennt, daß wir in der Vergangenheit Finanzpolitik nicht ausschließlich in einer Pipeline gesehen haben, nämlich so, daß die Ausgaben, die zu leisten sind, durch die Pipeline der Einnahmen begrenzt werden. Vielmehr hatten wir und haben immer noch verschiedene Pipelines nebeneinander, nicht nur im Forschungshaushalt mit zwei verschiedenen Reaktorlinien, nicht nur im Verteidigungshaushalt mit verschiedenen Rüstungsprogrammen, sondern z. B. auch im Verkehrshaushalt mit der Bundesbahn und dem Kanal, den wir parallel finanzieren wollen, aber nicht finanzieren können. Und da gibt es verschiedene andere Dinge mehr, z. B. im sozialen Bereich. Hier gilt es doch, langfristig ein anderes Konzept anzuwenden.
({19})
Der Finanzplanungsrat macht dazu auch einen Vorschlag, den wir alle kennen. Er lautet: Alle Transferleistungen und Vergünstigungen, die durch Gesetze, Verordnungen, Programme und Richtlinien festgelegt sind, müssen überprüft werden.
({20})
Diese Medaille hat zwei Seiten. Zum einen bedeutet das: Keine Regierung kann sich an der Verantwortung dafür vorbeidrücken, strukturelle Defizite in den Sozialgesetzen zu beseitigen. Wir haben sie noch nicht beseitigt. Bisher haben wir Mißbräuche augeschaltet, aber an die Substanz sind wir im wesentlichen noch nicht herangegangen.
({21})
Reparaturen am sozialen System reichen nach meiner Ansicht nicht aus. Grundsätzliche Einschnitte sind erforderlich. Überprüft werden müssen alle Transfers, z. B. auch solche, die da heißen: Mutterschaftsgeld, BAföG, Renten, Arbeitslosengeld. Die soziale Frage braucht dabei nicht auf der Strecke zu bleiben.
({22})
Die soziale Frage lösen heißt hierbei z. B., daß man das Arbeitslosengeld differenziert: nach Bedürftigkeit, nach Kindern usw.
({23})
Die soziale Frage lösen heißt auch noch etwas anderes: Wenn wir dafür eintreten, staatliche Transferleistungen zu kürzen, so treffen wir damit unbestritten
({24})
- darauf komme ich gleich - vorwiegend untere Einkommensschichten. Doch das liegt in der Natur der Dinge. Es ist die eine Seite der Transferleistungen, daß sie meistens an Einkommensgrenzen geknüpft sind und daß ihr Wegfall mithin ärmere Bevölkerungsschichten trifft. Wenn wir dort einschränken, gibt es verständlicherweise sehr große Einbußen.
Da dies nun einmal so ist, habe ich Verständnis für die Forderungen, notwendige Einschnitte mit einer Komponente zu versehen, die auch soziale Ausgewogenheit sichert. Der soziale Frieden, der heute zu Recht als ein Produktionsfaktor angesehen wird, darf kein unverbindliches Schlagwort sein. Eine solch durchgreifende Änderung im Denken aller, wie sie auch im Papier von Lambsdorff gefordert wird, erfordert auch einen finanziellen Beitrag der Bessergestellten, um das ganz deutlich zu sagen.
({25})
Unterhalten wir uns darüber, was „bessergestellt" bedeutet. Bessergestellt ist nicht derjenige, der mehr verdient als ich. Denn jetzt kommt die andere Seite der Transfermedaille: Bessergestellt sind diejenigen, die durch Einnahmeverzichte des Staates über Steuersubventionen Einkommenszuwächse haben, wie sie sie normalerweise über den Markt nicht erreichen würden.
({26})
- Aber klatschen Sie nicht zu früh, verehrte Kollegen von der Opposition. Dann müssen Sie nämlich nicht nur die direkten Einkommenstransfers, also die direkten Subventionen kürzen, dann müßten Sie einmal den Vorschlag machen, auch die indirekten
Steuersubventionen zu kürzen. Dieser Vorschlag kommt nicht.
({27})
Herr Kollege Zumpfort, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Kühbacher?
Nein. Ich habe relativ wenig Zeit und möchte mein Konzept geschlossen vortragen.
Die hierfür von einer bestimmten Seite immer wieder in die Debatte gebrachte Ergänzungsabgabe ist nach Meinung meiner Fraktion - oder der Mehrheit meiner Fraktion - abzulehnen. Das ist bisher so gewesen, und dabei bleibt es aus meiner Sicht auch.
({0})
Wir halten es nicht für vernünftig, die sowieso schon hohe Steuerbelastung für diese Einkommen noch zu erhöhen und dadurch die Leistungsmotivation dieser Gruppen, die gerade jetzt erhalten und gefördert werden muß, zu gefährden.
({1})
Man kann nicht denjenigen, von denen wir höhere Investitionen erwarten, die Mittel dafür Wegsteuern.
({2})
Der Finanzminister hat vom „Verein für Socialpolitik" gesprochen. Er wird auch andere Überschriften gelesen haben - wir alle müssen sie gelesen haben -, die beispielsweise sagen: „Die steuerliche Belastungsgrenze ist erreicht"; „Immer mehr flüchten in die Schattenwirtschaft." Ich glaube, eine Ergänzungsabgabe hätte auch einen solchen Effekt.
({3})
Den unumgänglichen Beitrag der Besserverdienenden können wir auch dadurch erreichen, daß wir parallel zur Kürzung der direkten Transferleistungen einen ernsthaften und fühlbaren Abbau der Steuersubventionen durchführen. Diese Subventionen begünstigen doch in vielen Fällen überdurchschnittliche Einkommen und nur in geringem Umfang die niedrigen, mangels Masse nicht steuerpflichtigen Einkommen. Nehmen Sie nur die Sonderabschreibungen aller Art, die verschiedenen Freibeträge für bestimmte Berufsgruppen oder die Steuerersparnismöglichkeiten aus Verlustzuweisungsgesellschaften. Derjenige, der über Verlustzuweisungsgesellschaften keine Steuern zahlt und sich somit vom Staat verabschiedet, ist für mich das eigentliche Ärgernis. Das ist die soziale Frage.
({4})
Der letzte Subventionsbericht weist allein an Steuervergünstigungen im engeren Sinne für das Jahr 1982 30 Milliarden DM aus. Dazu kommen die seit dem Sechsten Subventionsbericht nicht mehr als Steuersubventionen im eigentlichen Sinne aufgeführten Vorschriften, die zu Steuerausfällen in einer Höhe von 16 Milliarden DM führen. Hier verfügen wir über ein weites Betätigungsfeld, und zwar - um es noch einmal zu wiederholen - bei Bevölkerungsgruppen, die jedenfalls in der Regel nicht zu den untersten Einkommensschichten gehören. Ich glaube, diesen konstruktiven Beitrag sollten wir aufnehmen; und ich fordere Sie als Opposition auf, Ihre bisherige Ablehnung eines Abbaus steuerlicher Subventionen aufzugeben; denn das haben Sie ja nicht vorgeschlagen.
({5})
Es ist ganz einfach unverständlich, sich beim Abbau von Subventionen nur auf die direkten Transferleistungen beschränken zu wollen. Selbstverständlich sind Steuersubventionen auch Subventionen. Wenn wir die Subventionen anpacken wollen, müssen wir auch dort herangehen.
Steuervergünstigungen kämen für mich nur noch in Betracht - auch diesen Gedanken findet man im Lambsdorff-Papier - für die Personen und Unternehmungen, die damit investieren und Arbeitsplätze schaffen. In dieser Richtung sollten wir künftig vorangehen.
Ich möchte zum Schluß an das erinnern, was Finanzminister Matthöfer in seiner Rede zur Verabschiedung des Haushalts 1982 gesagt hat. Er hat dem Sinn nach gesagt: Wir können in dieser Situation leider nicht verhindern, daß die Einkommensverteilung in unserer Gesellschaft dann, wenn investiert werden muß, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, kurz- und mittelfristig verändert wird.
Aber wir müssen sehen, daß das besser und sozial ausgewogen ist, wenn dadurch Arbeitsplätze entstehen, als wenn wir auf der herkömmlichen Einkommensverteilung beharren wollten. Das ist die Frage für die Zukunft.
({6})
Diese Maßnahmen, die ich eben genannt habe, sind sicherlich unpopulär, aber sie sind nicht unausgewogen. Sozial unausgewogen wäre eine Politik, die eine weitere Zunahme der Finanzkrise der sozialen Sicherungssysteme zuließe, nur weil die Verantwortlichen nicht den Mut aufbringen, die öffentlichen Finanzen nachhaltig zu ordnen. Darum geht es zur Zeit.
({7})
Meine Damen und Herren, ich habe, als ich an dieser Stelle zum erstenmal zu Problemen des Haushalts sprechen durfte, gesagt: Wir müssen Abstand nehmen von Wachstumsideologien. Dies wird unser Problem für die 80er Jahre sein.
Das haben auch andere gesagt. Nur: Im Unterschied zu mir sind hier viele Kollegen, die auch noch andere Zeiten im Parlament kennengelernt haben,
als es möglich war, aus einem Mehr an Einnahmen ein Mehr an Reformen zu machen.
({8})
Wir - d. h. die Kollegen, die mit mir 1980 in den Bundestag gekommen sind, und ich - haben diese Zeit nicht mehr erlebt. Wir brauchen von dieser Politik nicht Abstand zu nehmen. Wir haben nur als Bürger erlebt, wie man mit einem Mehr an Einnahmen mehr an Gerechtigkeit, mehr an sozialer Sicherheit, mehr an Wohlstand, mehr an Freiheit und mehr an Fortschritt leisten konnte. Wenn aber dieses Mehr nicht mehr vorhanden ist, dann muß man - das ist unsere Überzeugung als Politiker - auch in der Lage sein, umzudenken, Fehler einzusehen, Fehler zu korrigieren und neue Maßnahmen zu beschließen. Darum geht es zur Zeit.
({9})
Wir wollen das. Zu dieser politischen Aufgabe hat niemand von uns und von Ihnen ein Patentrezept. Wir wollen auch niemandem den Schwarzen Peter in die Schuhe schieben. Wir sollten aber auch so ehrlich sein und zugeben, daß wir diese Aufgabe anpakken müssen.
({10})
Denn wir müssen sehen, daß die beschlossenen Programme und Gesetze bei der Bevölkerung an materielle, wirtschaftliche Grenzen stoßen, aber nicht nur daran, sondern auch an sozialpsychologische Grenzen. Viele Bürger erkennen, daß damals Dinge gemacht worden sind, die heute nicht mehr begründbar und nicht mehr notwendig sind, die geändert werden müssen. Gerade diese sozialpsychologische Grenze müssen wir sprengen, überspringen. Dazu müssen wir langfristige Konzepte anbieten und die Konsolidierungspolitik energischer als bisher anpacken. Ich frage mich aber auch: Wie groß eigentlich muß das Defizit im Haushalt, wie groß muß der Titel Bundesschuld, wie groß müssen die zukünftigen Zins- und Tilgungsverpflichtungen im Bundeshaushalt werden, damit wirklich jeder Abgeordnete hier im Bundestag - auch der letzte - einsieht, daß wir unsere Politik ändern müssen? Das ist ein Erkenntnisproblem, und ich befürchte, daß diese Erkenntnis immer noch nicht zu allen durchgedrungen ist. Ich habe zudem die Sorge, daß die Probleme, die wir im Haushalt haben, schneller zunehmen als die Lernfähigkeit des Parlaments bei der Bewältigung derselben. Da müssen wir uns alle einen Ruck geben.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Politiker wie Lahnstein und Lambsdorff haben Vorschläge gemacht, wie man in schwierigen Zeiten Politik praktizieren muß.
({11})
Wenn wir nur Kollegen von dieser Sorte hätten, hätte ich keine Bange vor der Zukunft. Ich befürchte jedoch, wir müssen noch sehr viel Arbeit leisten, damit solch praktikable Vorschläge auch umgesetzt
werden. Daher kann ich nur sagen: Ich sehe große Schwierigkeiten für den Haushalt '83 und damit auch Probleme für unser Staatsgebilde. - Vielen Dank.
({12})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Glos das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für meine Person kann ich sehr gut vertragen, daß der Herr Bundeskanzler heute nicht da war, als über seinen Haushalt debattiert worden ist, aber für das Parlament insgesamt halte ich es für eine Ungehörigkeit.
({0})
Zu dem, was der Kollege Zumpfort ausgeführt hat, kann ich nur sagen: Lieber Freund Zumpfort, wie schade, daß du in dieser FDP bisher noch keine Mehrheit gehabt hast, denn dann hätten wir miteinander eine bessere Politik machen können.
({1})
Herr Barbier hat heute in der „Süddeutschen Zeitung" einen Artikel veröffentlicht. Er muß die Konzepte der Reden der SPD-Kollegen schon vor ein paar Tagen gehabt haben, denn er gibt heute die Antwort. Er schreibt:
Die halsstarrige, im Namen der Gerechtigkeit stolz herausgestellte Weigerung, Leistungsansprüche zu kürzen und durch nachfragesteuernde Eigenbeteiligungen in Grenzen zu halten, hat einen brutalen und die Menschen erniedrigenden Prozeß in Gang gesetzt. Aus einer Million Arbeitslosen sind zwei geworden.
({2})
Und würde den Sozialdemokraten nicht die Gnade vorzeitiger Ablösung zuteil, dann würden sie demnächst zweieinhalb Millionen zu verantworten haben.
({3})
- Für die „Süddeutsche Zeitung".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch nach der Rede des neuen Finanzministers Lahnstein, der j a ähnlich geredet hat wie Herr Matthöfer, der jetzt für die Briefmarken zuständig ist - und auch die sind teurer geworden -,
({4})
bleiben ein paar Tatsachen. Tatsache ist: Herr Lahnstein, Sie haben dem Parlament einen unrichtigen Haushalt vorgelegt. Es ist weiterhin Tatsache, daß wir - Bund, Länder und Gemeinden, Bahn und Post zusammen - am Ende des Haushaltsjahrs 1983 insgesamt 750 Milliarden DM Schulden haben werden.
({5})
Bei 25 Millionen Erwerbstätigen bedeutet dies, daß
jeder Erwerbstätige - ob Arbeiter, Angestellter,
Landwirt oder -Selbständiger - im Jahr 3 000 DM nur für Zinsen aufbringen muß. Oder 250 DM von den Lohn- oder Einkommensteuern im Monat gehen nur für die Zinsen dieser Schulden dahin.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Krise der Staatsfinanzen ist die wohl bestprognostizierte Krise dieses Jahrhunderts. Sie war vorhersehbar, und sie ist vorhergesagt worden. Die Koalition hat stets versucht, Schönfärberei zu betreiben und die dringende Konsolidierung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Dies war zum Schaden der deutschen Wirtschaft und damit zum Schaden für die Arbeitsplätze in diesem Lande. Nun holen die Sünden ihre „Macher" ein.
({7})
- Den Schuldenmacher.
({8})
Bald müssen mehr als 2 Millionen Arbeitslose für dieses Fehlverhalten büßen. Immer mehr macht sich Unsicherheit im Land breit. Leider ist auch am Horizont noch keine Besserung wahrzunehmen. Im Gegenteil. Die AEG-Pleite und die dort geplanten Entlassungen sind doch nur die Spitze eines Eisberges.
Dies alles ist die Folge einer falschen Politik in der Vergangenheit. Viele kleine Unternehmen werden noch den Gang zum Konkursrichter antreten müssen, ohne daß viel Notiz davon genommen wird und ohne daß sich irgend jemand um staatlichen Beistand bemüht.
({9})
Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit - ich kann mir bei ihrer Zusammensetzung nicht vorstellen, daß es in Zukunft besser wird - mit untauglichen Mitteln und mit dem Irrglauben an die Wirkung staatlicher Programme versucht, dieser Entwicklung gegenzusteuern.
An allen diesen verkehrten Entscheidungen war der Wirtschaftsminister mit beteiligt. Er kann heute nicht so tun, als ob dies alles in seiner Abwesenheit geschehen wäre.
({10})
Ich darf hier als Beispiel nur den jüngsten wirtschaftspolitischen Schildbürgerstreich erwähnen, der sich als ganz besonderer „Schuß in den Ofen" erweist, nämlich die 10 %ige Investitionszulage für Mehrinvestitionen.
({11})
Von der Zielsetzung her sollten neue Investitionen belohnt werden. In Wirklichkeit bestraft man antizyklisches Verhalten in der Vergangenheit. „Der Spiegel" schreibt in der Ausgabe der letzten Woche mit Recht:
Die Investitionszulage wird am Ende weit mehr als die veranschlagten 4 Milliarden kosten und trotzdem keine zusätzlichen Investitionen bewirken.
({12})
Demnach haben findige Zeitgenossen einen Weg entdeckt, an die Zulage vollkommen legal heranzukommen, ohne mehr zu investieren. Nicht Neckermann macht's möglich, sondern Leasing macht's möglich.
Ich glaube, dies ist ein typisches Beispiel für die ganze Fragwürdigkeit staatlicher Finanz- und Wirtschaftspolitik überhaupt.
Diese Investitionszulage, von der Wirtschaft nicht gewollt, auf Druck der SPD-Fraktion eingeführt, war von vornherein ein untaugliches Instrument, weil sie die eigentlichen Ursachen der Investitionsschwäche - nämlich hohe Zinsen, hohe Löhne, hohe Lohnnebenkosten und vor allen Dingen fehlendes Vertrauen in staatliche Planung - nicht zu beseitigen vermag.
Erstens. Die hohen Zinsen sind die Folge der hohen öffentlichen Defizite. Der übermäßige Kredithunger des Staates und der öffentlichen Hand insgesamt hat den Preis für Geld in die Höhe getrieben.
Zweitens. Obwohl sich die Realeinkommen der deutschen Arbeitnehmer wegen der Wachstumsschwäche verschlechtert haben, waren die Lohnabschlüsse der letzten Jahre immer noch zu hoch. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung schreibt:
Die Lohnrunde '82 verursacht 400 000 Arbeitslose. Der soziale Friede ist zu teuer erkauft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Staat allerdings hat es versäumt, in seinem Bereich, dort, wo er Zuständigkeit hat, positive Signale zu setzen.
({13})
Ich erinnere nur an die Zurücknahme der Kürzungen um 1 % im öffentlichen Dienst. Das war wirklich kein Heldenstück! Man braucht in diesem Land scheinbar nur mit dem Mülldeckel zu klappern, und schon fällt der Baum, um im Bild zu bleiben.
({14})
Drittens. Die hohen Lohnnebenkosten kommen durch die Ausweitung der Staatstätigkeit und durch überzogene Sozialpolitik, die die Selbstverantwortung immer mehr ausgehöhlt hat und künftig nicht mehr in dieser Höhe zu finanzieren sein wird. Die Erkenntnis, daß sich der Staat einen kleineren Anzug schneidern muß und der Wirtschaft nicht noch mehr Belastungen auferlegen darf, hat sich anscheinend noch nicht bis zur SPD herumgesprochen. Im Gegenteil: Sozialisten denken über neue Belastungen der Wirtschaft nach. Einige ganz aktuelle Beispiele: Der Bundesbildungsminister will unter dem harmlosen Begriff „Ausbildungspfennnig" eine neue Umlage für die Wirtschaft einführen. Staatssekretär Egert will einen Ausgleichsfonds, der natürlich wieGlos
der von der Wirtschaft gespeist werden soll, für das Mutterschaftsgeld.
({15})
Minister Westphal will die Beiträge der Versicherten und der Wirtschaft zur Arbeitslosenversicherung erhöhen und möchte der Wirtschaft außerdem durch eine neue Arbeitszeitordnung, die nur eine Verteilung des Mangels bedeuten würde, neue Belastungen auferlegen.
Viertens. Meine sehr verehrten Damen und Herren - das ist heute schon oft gesagt worden; es kann nicht genug wiederholt werden -, die staatlichen Vorgaben sind völlig unzuverlässig. So wurde für 1981 ein Wachstum von 2 % bis 3 % prognostiziert; eingetreten ist ein Rückgang von 0,3 %. Folge: 10,5 Milliarden DM neue Schulden. Für 1982 war die Prognose wieder 2% bis 3% Wachstum. Tatsächlich ist, wie es nach den jüngsten Zahlen eindeutig ist, kein Wachstum zu erwarten. Die Folge sind 10 Milliarden DM neue Schulden, nämlich der erste Nachtragshaushalt und der zweite, der schon angekündigt ist und mit Sicherheit kommen wird. Für 1983 - über diesen Haushalt sprechen wir hier ja im besonderen - war die Prognose bei 3 %. Nur Optimisten sehen überhaupt noch ein Wachstum für das nächste Jahr, Pessimisten sehen überhaupt kein Wachstum mehr. Allein die neuen Zahlen, 1 % bis 1,5 % Wachstum, bedeuten eine Haushaltslücke von ca. 12 Milliarden DM im nächsten Jahr. Wenn ich nur einmal die Lükken der letzten drei Jahre zusammenfasse, stelle ich fest, daß dies 32 Milliarden DM mehr Schulden sind, als in den Regierungsentwürfen der letzten drei Jahre vorgesehen worden sind.
Meine sehr verehrten Kollegen, das kann doch nicht immer Zufall oder Irrtum sein. Ich bin überzeugt: Dahinter steckt Methode. Woher soll Vertrauen bei Investoren kommen, wenn sich die Zahlenvorgaben des Staates fortlaufend als unrichtig erweisen? Der Bundeswirtschaftsminister hat - vertreten durch Herrn Staatssekretär Schlecht - ein Recht auf Irrtum für sich reklamiert. Nun, bei dieser Bundesregierung ist das Recht auf Irrtum zwar noch kein Menschenrecht oder Grundrecht, aber immerhin schon ein Gewohnheitsrecht geworden.
({16})
Sie hat in den letzten Jahren von diesem vermeintlichen Recht sehr oft Gebrauch gemacht.
Wirtschaftliche Quacksalber haben derzeit wieder Hochkonjunktur. Trotz Schulden fordern sie ein kreditfinanziertes 50-Milliarden-Programm.
({17})
Die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich geistert wieder durch die Lande.
({18})
Es ist nicht verwunderlich, daß der Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff in dieser verzweifelten Situation die Flucht nach vorn angetreten hat und sich in seinem Papier zum Kronzeugen der Anklage macht. Ob ihm das etwas nützt, ob die Geschichte ihm in ihrem Urteil mildernde Umstände zuweist, mag noch sehr dahingestellt sein.
({19}) Schiller sagt im „Wallenstein":
Spät kommt ihr - Doch ihr kommt! Der weite Weg, Graf Isolan, entschuldigt euer Säumen.
({20})
Nicht entschuldigt bleiben die folgenschweren Versäumnisse und Fehler einer langjährigen falschen Politik. Die letzte Verzweiflungsschlacht dieser Koalition hat begonnen.
({21})
- Verehrter Herr Löffler, Sie haben bewiesen, daß Sie höchstens den finanzpolitischen Sachverstand von Hans im Glück besitzen.
({22})
Denn Ihre Finanzpolitik in den letzten Jahrzehnten kann nur damit verglichen werden. Ich bin überzeugt, mit der SPD zusammen als Koalitionspartner wird Graf Lambsdorff nicht mal die Punkte und Kommas dieses Programms verwirklichen können, geschweige denn die notwendigen Einschnitte.
({23})
Wir sind sehr gespannt, Herr Minister - ich freue mich, daß Sie inzwischen da sind -, ob diesen Worten und diesen großen Ankündigungen auch die entsprechenden Taten folgen werden oder ob dies wieder ein Theaterdonner bleibt, der nur inszeniert worden ist, um den Überlebenskampf Ihrer Partei in Hessen und in Bayern etwas erfolgreicher zu machen. Oder, Graf Lambsdorff, haben Sie vor, sich vielleicht als politischer Kamikaze-Flieger zu betätigen, der sich auf dieses Schlachtschiff SPD stürzt?
({24})
Wir jedenfalls von der CDU/CSU sind zu einem neuen Anfang bereit. Mit uns ist darüber zu reden.
({25})
Wir haben auch Rezepte für einen neuen Aufschwung.
({26})
- Immer mit der Ruhe, Herr Esters. Ich werde es ganz kurz sagen, und zwar sage ich es mit den Worten, die Ernst Günther Vetter in der FAZ dazu gefunden hat. Er schreibt:
Es gibt nur einen Ausweg: die Inflation muß in Schach gehalten, die Kräfte von Millionen Unternehmern müssen aktiviert und die verluderten Staatshaushalte wieder in Ordnung gebracht werden. Nicht durch die Disposition von Bürokraten, sondern durch die Tatkraft und die Ideen der Bürger wird der Karren aus dem
Dreck gezogen. Nur dann können so viele Arbeitsplätze geschaffen werden, daß die Wirtschaft wieder in Richtung Vollbeschäftigung marschiert. Diese Politik braucht Vertrauen und einen langen Atem.
So weit das Zitat. Ich füge hinzu: diese Politik braucht andere Akteure.
({27})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt sehr schwer, nach diesem Ausflug in das bayerische Komödienstadl
({0})
jetzt wieder zur sachlichen Berichterstattung und zur Meinungsfindung beizutragen. Ich will es dessen ungeachtet, Herr Kollege, trotzdem versuchen.
Der von der Regierung eingebrachte Entwurf zum Haushalt 1983 liegt nun in den Händen des Parlaments, das jetzt sein weitestgehendes politisches Recht, nämlich über das Budget die Politik in diesem Lande zu beeinflussen, ja, zu bestimmen, ausüben muß. In der wirtschaftspolitisch wohl schwierigsten Phase der Bundesrepublik Deutschland kommt es darauf an, die Entscheidungen sachgerecht, ausgewogen und vertretbar für alle Kreise der Bevölkerung zu fällen. Meinen Freunden und mir ist sehr daran gelegen, daß wir die notwendigen Diskussionen offen hier im Parlament und in den mitberatenden Ausschüssen führen. Wenn man noch bei der veröffentlichten Meinung den Eindruck haben könnte, daß die Verantwortung des Parlaments sich nur auf die regierungtragenden Parteien beschränkte, so möchte ich doch noch einmal an die Gesamtverantwortung dieses Hauses erinnern.
Dieses deutsche Volk hat Anspruch darauf, daß seine Regierung von allen, die den Sachverstand haben, beraten wird. Jedes Mitglied dieses Hauses - auch aus einer kritischen Grundhaltung heraus - muß seinen Sachverstand hier mit einbringen. Wir müssen Antworten erwarten auf die Fragen, die sich uns stellen. Ich halte es für unerträglich, wenn Parlamentarier über Medien ihre politischen Zielvorstellungen transportieren lassen und nicht diesen Raum zum Austausch von Meinungen benutzen.
({1})
Ich bin aus diesem Grunde sehr dankbar dafür, daß der Kollege Häfele mit, wie er sagte, sehr viel Sympathie dieses Papier des Wirtschaftsministers mit in die Debatte eingeführt hat. Ich glaube nicht, daß man daran vorbeigehen kann, zumal der Herr Kollege Häfele sich ja in weiten Teilen damit identifiziert hat. Ich, meine Damen und Herren, kann mich
mit dem Inhalt dieses Papiers absolut nicht identifizieren.
({2})
Ich würde gern den Sachverstand der Kollegen von der CDU im Haushaltsausschuß auch benutzen, um einige Übersetzungen der Thesen zu bekommen, die Herr Häfele eben hier als gut dargestellt hat, und sie in praktische Politik umzusetzen. Wir wollen uns damit nicht vor der Verantwortung drücken. Ich sage das, damit keine Schieflage in die Diskussion kommt. Aber ich möchte Sie konkret fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß die Probleme gemeistert werden können, wenn wir den Vertrauensschwund bei der investitionszurückhaltenden Wirtschaft durch eine erhebliche Verschärfung des Sozialgefälles in unserem Staat auszugleichen versuchen, und ob es Ihre Auffassung ist, daß dies mit einer Beendigung des sozialen Friedens bezahlt werden kann.
Pessimistische Grundstimmungen zu überwinden ist eine Aufgabe für Politiker nicht nur den Unternehmern gegenüber, sondern im wesentlichen und nicht zuletzt ist es ihre Aufgabe, dem arbeitenden Menschen, dem arbeitswilligen Menschen das Vertrauen in diesen Staat, in diese Gesellschaft zu erhalten.
Es wäre für uns alle sehr hilfreich, wenn wir erfahren könnten, ob Sie es als Preis für das Vertrauen der Unternehmer in diesen Staat wirklich verantworten können, wenn die Familie eines ohne Eigenverschulden arbeitslos Gewordenen nun ein erheblich reduziertes Arbeitslosengeld bekommt - in den ersten Monaten nach dem uns vorliegenden Papier möglicherweise j a nur noch 50 % -, gleichzeitig aber dieser Familie auch noch zugemutet wird, beim Wohngeld erhebliche Abstriche hinzunehmen, und wenn dem über BAföG geförderten Sohn ebenfalls noch der Unterhalt eingeschränkt wird, ob man das alles als Preis für ein imaginäres Vertrauen, das ja etwa in dem theologischen Bereich der Glaubensfragen liegt, einsetzen kann.
({3})
Der innere Frieden darf in diesem Land nicht gefährdet werden. Ich habe das Gefühl, als ob die Gefahren für den inneren Frieden nicht richtig eingeschätzt werden. Lassen Sie mich versuchen, das, was ich sagen will, an einem Beispiel griffig zu machen und in unsere Normalsprache zu übersetzen: Die Stadt, aus der ich komme, mit 530 000 Einwohnern, hat im Augenblick 22 000 Arbeitslose und 28 000 Kurzarbeiter.
({4})
Es sind also 50 000 Menschen, arbeitsfähige und arbeitswillige Mitbürger, die im Augenblick von der Kürzungshysterie im Sozialbereich betroffen werden. Fast 150 000 Menschen sind in einer einzigen Stadt betroffen, und auch ohne Hochrechnung kann sich jeder in diesem Hause sicherlich vorstellen,
Wieczorek ({5})
welches Gefahrenpotential für den inneren Frieden hier entstehen kann.
({6})
Ich frage Sie dies, weil es mir darum geht, auch von Ihnen zu erfahren, ob Sie die Kürzungen für eine Möglichkeit halten, einen Weg aus dieser Krise aufzuzeigen,
({7})
und ob Sie, Herr Kollege, die Kürzungen als einen Weg ansehen, die weltwirtschaftliche Krise zu beenden.
({8})
Wir Sozialdemokraten sind durchaus gern bereit, in eine seriöse Sachdiskussion darüber einzutreten,
({9})
wie die Sozialleistungen an das reduzierte Wirtschaftswachstum angepaßt werden können. Das muß sich aber auf eine ausgewogene Form konzentrieren.
Ich will auch nicht verhehlen, daß es sich bei den Leistungen, die unter dem Begriff „Sozialleistungen" zusammengefaßt werden, auch dann, wenn der Staat sich an der Finanzierung erheblich beteiligen muß, im Grunde genommen nicht um Geschenke des Staates handelt, sondern daß der einzelne über die Beiträge zu den Sozialversicherungen in erheblicher Weise zur Daseinsvorsorge beigetragen hat. Wenn davon gesprochen wird, daß Selbstvorsorge stärker in den Mittelpunkt zu rücken sei, dann frage ich allen Ernstes, was denn eigentlich die Beiträge zur Sozialversicherung sein sollen. Ich möchte Sie - unabhängig von dem jetzt zitierten Papier - weiter fragen, ob Sie bereit sind, Herr Kollege Glos, weitere Kaufkraftreduzierungen der Bevölkerung hinzunehmen und dadurch zu riskieren, daß die Wirtschaft nochmals nachhaltig beeinflußt wird. Darüber werden Sie mir sicherlich noch einige Auskunft geben.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, aber auch von der FDP-Fraktion, ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß dieses, für mich unausgegorene Papier erneut zu schwerwiegenden Verunsicherungen der Menschen in unserem Lande und auch der investierenden Wirtschaft führt. Ich möchte Sie aber auch fragen, was darunter zu verstehen ist, wenn der Generalsekretär Ihrer Partei, der CDU, davon spricht, daß es größtenteils den Vorstellungen der CDU/CSU entspreche, er aber den Zeitpunkt der Veröffentlichung kritisiert. Wenn ich die letzten Tickermeldungen von Herrn Strauß lese, so distanziert er sich ja wieder in weiten Teilen von dem Generalsekretär.
Es ist aber auch die Frage zu stellen, ob der wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik in der Vergangenheit nicht im wesentlichen dadurch bedingt war, daß der soziale Konsens immer gesucht wurde, und ob dieser soziale Konsens nicht auch der entscheidende Wettbewerbsvorteil der deutschen Volkswirtschaft gewesen ist.
({10})
Sie müssen sich diese Fragen schon gefallen lassen; denn Sie können sich nicht wie in der Vergangenheit aus der Verantwortung stehlen. Sie müssen in diesem Hause Farbe bekennen.
({11})
Ich sage Ihnen auch gleich wieder unseren Standpunkt, Herr Kollege.
Wir sind uns darüber klar, daß der Abbau von Arbeitslosigkeit Opfer fordert, Opfer von allen, die Arbeit und Einkommen besitzen, besonders aber von den Gruppen, die höhere, hohe und höchste Einkommen haben.
({12})
Darum treten wir auch dafür ein, daß eine Ergänzungsabgabe eingeführt wird, die uns dabei helfen könnte, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzuleiten.
({13})
Wir lassen uns von niemandem zu der Alternative treiben, daß es nur eine fast unbegrenzte Kreditaufnahme oder ein fast unbegrenztes Kaputtsparen gäbe. Die Sozialdemokraten sind sich darüber klar, daß die Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte sehr zurückhaltend und verantwortungsbewußt gehandhabt werden muß, da damit nur die investiven Bereiche unseres Haushalts finanziert werden dürfen. Wir sind uns aber auch darüber klar, daß eine ruckhafte Reduzierung der Nettokreditaufnahme schwere Schäden für unsere Volkswirtschaft nach sich ziehen würde.
({14})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Beschäftigungsbereiche, die fast ausschließlich von der öffentlichen Hand leben und die von der öffentlichen Hand ihre Impulse bekommen. Ich denke an die Bauwirtschaft, ich denke an die Bereiche, die durch die Deutsche Bundesbahn im wesentlichen beeinflußt werden.
Meine Damen und Herren, auch das leichtfertige Umgehen mit dem Wort Staatsverschuldung führt nicht zu einer Verbesserung des Vertrauensklimas in unserem Staat. Aber das ist ja wohl kein ungewolltes Nebenprodukt, sondern das ist wohl Absicht.
({15})
Sicherlich niemand kommt auf die Idee, einer Familie, die ihr Vermögen zusammengekratzt und ein Eigenheim gebaut hat, hinterher zu sagen, daß sie verschuldet sei oder daß sie jetzt ärmer sei als vorher.
Wieczorek ({16})
Aber genau das versuchen Sie unserem Volke einzureden.
({17})
Sie sind unredlich, meine Damen und Herren, wenn Sie dies tun, und Sie wissen es auch ganz genau.
({18})
- Lassen Sie mich aber weiter fragen, was Sie wirklich wollen. Herr Kollege Schmitz, was wollen Sie?
Ein Punkt in der öffentlichen Diskussion der letzten Tage, der auch heute hier schon durchgedrungen ist, war die Abschaffung der Gewerbesteuer. Ich bin sehr sensibel in diesem Bereich und bin hellhörig geworden, weil ich mich schon einmal mit der Abschaffung einer gewerbesteuerähnlichen Steuer beschäftigen mußte. Es geht mir im wesentlichen darum, daß wir uns wieder daran erinnern, was die Diskussion um die Lohnsummensteuer ausgemacht hat. All die Hypothesen, die damals aufgestellt wurden, daß Unternehmen jetzt in arbeitsintensivere Bereiche investieren würden, sind nicht eingetreten. Die einzigen, die davon Schaden genommen haben, sind die Bürger der Städte, bei denen jetzt, nach Wegfall des Spitzenausgleichs die Probleme ganz deutlich geworden sind.
Meine Damen und Herren, ich könnte diesen Fragenkatalog unbegrenzt fortsetzen, möchte ihn aber an dieser Stelle beenden, weil ich Ihnen weitere Peinlichkeiten ersparen möchte.
({19})
Ich möchte Sie aber bitten, darüber nachzudenken, daß die Bundesrepublik Deutschland eingebettet ist in die weltwirtschaftlichen Problemkreise, die da sind: weltweit hohes Zinsniveau, Zahlungs- und Finanzierungsschwierigkeiten vieler Länder, von Polen bis Mexiko. Damit sind Gefahren für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland verbunden.
Meine Damen und Herren, die Beschäftigungspolitik in unserem Lande ist weitgehend bestimmt durch die außenwirtschaftlichen Indikatoren; denn nach wie vor ist unsere Volkswirtschaft auf die Veredelung von Rohstoffen angewiesen, die wir aus dem Ausland beziehen und die unsere Volkswirtschaft zu mehr als 30 % beeinflussen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen und möchte Sie ganz herzlich bitten, Ihre Vorstellungen endlich mit in die Beratungen einzuführen und so zu gestalten, daß es nicht wieder zu einer weiteren Verschlechterung der Finanzsituation unseres Staates führt. Ich habe mir hier einmal eine Zusammenstellung machen lassen, wie durch Ihre Initiativen in den letzten Jahren der Haushalt verändert wurde, durch Initiativen im Sinne von Aufsatteln auf bestehende Gesetze oder durch Initiativen, die durch das Vermittlungsverfahren ausgelöst wurden.
({20})
Meine Damen und Herren, diese Zahl sollten Sie wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
({21})
Von 1978 bis 1984 sind durch Ihre Aufsattelungen insgesamt Mehrkosten von 18,4 Milliarden DM diesem Staate Bundesrepublik Deutschland entstanden. Auch der Verantwortung dafür können Sie sich nicht entziehen.
({22})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, Sie wollen Verantwortung tragen. Bitte, antworten Sie zumindest!
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte reizt mich eigentlich dazu, einmal mit ein paar definitorischen Klarstellungen zu beginnen.
({0})
Der Bundeskanzler hat gesagt - leider hat das mein hockgeschätzter Freund Wieczorek soeben aufgenommen -: „Wir wollen das soziale Netz nicht kaputtsparen." Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich Sparen, nicht nur im Sinne des Bürgers, sondern auch, wenn Sie so wollen, nach der offiziellen volkswirtschaftlichen Definition? Sparen heißt, etwas nicht ausgeben, was man hat. Sie treiben hier aber seit Jahren eine Politik, bei der Sie etwas ausgeben, über etwas verfügen, was Sie gar nicht haben, indem Sie nämlich Schulden machen.
({1})
Der Bundesfinanzminister stellt sich hierhin und spricht - er hat es heute morgen bemerkenswerterweise nicht wiederholt - von einem „stocksoliden" Haushalt!
({2})
Meine Damen und Herren, was heißt denn „stocksolide", oder - ich will bescheidener fragen - was heißt denn überhaupt „solide"? Solide finanzieren heißt, alle finanziellen Verpflichtungen, die man hat, auch erfüllen zu können. Nun frage ich Sie: Ist diese Regierung in den letzten Jahren bis zur Vorlage des Haushalts 1983 in der Lage gewesen, alle gesetzlichen Verpflichtungen, die sie hat, zu finanzieren?
({3})
- Nein! Sie hat sich aus der Affäre gezogen, indem sie bisher schon eine Reihe von Haushaltsstrukturgesetzen vorgelegt hat, indem sie hier weitere Einschränkungen ankündigen mußte und sie auch vornehmen wird. Dies ist das genaue Gegenteil von „stocksolide", sondern das ist eine höchstgradig unsolide Haushalts- und Finanzpolitik.
({4})
Schröder ({5})
Ein Argument, das sich heute wie ein roter Faden durch die Debatte zog und das ich von der Sache her sehr ernst nehme - die Kollegen Wieczorek und Esters haben es benutzt; ich fürchte, daß es nicht als ernstgemeintes Sachargument in diese Debatte getragen wurde, sondern als Vorankündigung für eine Propagandawelle draußen in der Bevölkerung -, ist das hier - so wie soeben vom Kollegen Wieczorek - wiederholt vorgetragene Argument von der Gefährdung des sozialen Friedens oder das von meinem Freund Helmut Esters vorgebrachte Argument von der notwendigen Beachtung der Sozialstaatlichkeit.
Meine Damen und Herren, dazu kann ich nur klipp und klar feststellen: Das Sozialstaatsprinzip steht für uns außerhalb jeder Diskussion. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß jedenfalls in den Reihen der Christlichen Demokraten und der Christlich Sozialen niemand die Absicht hat, das zu demontieren oder zu zerstören, was wir selber in 20, 30 Jahren hier geschaffen haben.
({6})
Das ist nicht die Fragestellung, um die es hier geht, sondern die Frage ist, ob wir in der Lage sind, in der Zukunft das soziale Netz, das wir geschaffen haben, überhaupt noch zu finanzieren. Oder, andersherum ausgedrückt: Die Aufgabe, vor der wir und auch Sie stehen, lautet, das System der sozialen Leistungen wieder finanzierbar zu machen.
({7})
Das ist die eigentliche Frage, um die es geht.
Was die Gefährdung des sozialen Friedens anbelangt, lieber Helmut Wieczorek, muß ich sagen - ich finde, das hätte eigentlich gerade jemand aus dem „Ruhrpott" sagen sollen -: Auch für mich ist die größte Gefährdung des sozialen Friedens die Arbeitslosigkeit, für die leider Ihre Politik maßgeblich verantwortlich zeichnet.
({8})
Der Bundesfinanzminister hat heute morgen in seiner Haushaltsrede durchaus zutreffend davon gesprochen, es gebe - so hat er wörtlich formuliert - eine eigenständige wirtschaftliche Verantwortung des Staates.
({9})
- Dieses ist ganz sicher so. Ich will deshalb, Herr Kollege Walther, einmal einige wenige konkrete Zusammenhänge aufzeigen und darlegen, wie sich die haushaltspolitischen Entscheidungen, die in diesem Hause oder, genauer gesagt, durch Ihre Regierung in der Vergangenheit getroffen worden sind, auf unsere Betriebe und Unternehmen draußen im Lande auswirken. Damit meine ich nicht nur Investitionen, sondern vor allen Dingen auch Arbeitsplätze.
Da gibt es doch als erstes unstrittig - und ich denke, das wird auch bei Ihnen niemand leugnen können - einen unmittelbaren und direkten Zusammenhang von Art und Ausmaß der sozialen Transfergesetze, die wir in diesem Haus beschließen, einerseits und der Höhe der Lohnnebenkosten andererseits.
({10})
Das Problem von der Nachfrageseite her, Herr Kollege Walther, besteht ja gar nicht darin, daß hier irgend jemand daran denkt - das ist im Lauf der Debatte von einem der sozialdemokratischen Kollegen hier behauptet worden -, etwa die Löhne festzuschreiben, einzufrieren oder gar zu senken. Wir stehen voll zur Tarifautonomie der Tarifpartner und damit zum freien Aushandeln der Löhne.
({11})
Aber was wir hier sehr wohl, und zwar mit den Entscheidungen über die Haushaltspolitik, beeinflussen können, sind die Lohnnebenkosten, und diese sind in den vergangenen 15 Jahren von rund 40 % auf über 80 % gestiegen. Hier ist doch ein Faktor, der wesentlich zum Rückgang der Investitionstätigkeit draußen, besonders bei unseren mittelständischen Betrieben, geführt hat.
({12})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte schön, Herr Kollege Cronenberg.
Erst hat sich der Herr Kollege Kühbacher gemeldet. Bitte.
({0})
Nun nehme ich mal das Recht des Stärkeren in Anspruch. Wir vertreten den größeren Teil.
Sie haben recht, Herr Kollege Schröder, was die 80 % Lohnnebenkosten angeht. Nur, wollen Sie dem Haus zugeben, daß etwa die Hälfte davon durch Gesetze dieses Hauses und die andere Hälfte durch freiwillige Leistungen beider Tarifpartner entstanden sind?
Das gebe ich zu. Ich spreche hier von jenem Teil, wo wir unmittelbar durch die entsprechenden parlamentarisch-politischen Entscheidungen über soziale Transfergesetze das Ausmaß der Lohnnebenkosten in den Betrieben direkt beeinflussen.
({0})
Herr Kollege Schröder, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Bitte.
Bitte sehr.
In Ergänzung der Frage meines Vorfragers: Können Sie dem Haus denn bestäti6950
gen, daß diese bedauerliche und sicher bedrückende Entwicklung weitestgehend durch alle Seiten des Hauses, auch durch die Mitte des Hauses, gefördert worden ist?
Herr Kollege Cronenberg, die bisherige Debatte hat für mich deutlich gezeigt, daß die Mitte und - das darf ich jetzt wohl wieder sagen - die rechte Seite des Hauses zu Erkenntnis und Selbstkritik sehr wohl fähig und in der Lage ist, daß sich aber in allen Diskussionsbeiträgen, angefangen beim Bundeskanzler über den sozialdemokratischen Finanzminister bis zu den sozialdemokratischen Kollegen, die bisher gesprochen haben, nicht an einer einzigen Stelle und nicht an einem einzigen Punkt auch nur den Hauch einer Andeutung verspürt habe, daß man in der Vergangenheit etwas falsch gemacht hat.
({0})
Einen zweiten unmittelbaren Zusammenhang gibt es zwischen haushaltspolitischen Entscheidungen hier und den Rückwirkungen auf Investitionen und Arbeitsplätze draußen, nämlich durch das Ausmaß der Staatsverschuldung einerseits und den Rückwirkungen, die dadurch auf die Situation unserer Kredit- und Kapitalmärkte andererseits eingetreten sind.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahl vortragen, abgeschlossen im Juni 1981, wo wir auf den Kapitalmärkten für die festverzinslichen Papiere in der Bundesrepublik Deutschland folgende Situation feststellen mußten. Einem Pfandbriefumlauf von 108 Milliarden DM standen Mitte 1981 225 Milliarden DM Kommunalobligationen, 129 Milliarden DM Anleihen von Bund und Ländern und nur 4 Milliarden DM Industrieobligationen gegenüber.
Das bedeutet im Klartext: Die Industrie hatte zu diesem Zeitpunkt nur die Gelegenheit, mit 0,7 % den Kapitalmarkt der Bundesrepublik Deutschland für festverzinsliche Papiere in Anspruch zu nehmen, die öffentlichen Hände dagegen mit weit über zwei Drittel. Und damit frage ich Sie: Wer ist denn nun eigentlich der zinsbestimmende Faktor bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
- Herr Hoffmann, Sie können die Zahlen gerne nachprüfen, wenn Sie wollen. Ich weiß, das paßt in Ihre Ideologie sicher nicht hinein.
Ich komme zu einem dritten Zusammenhang. Wenn der Staat in diesem Ausmaß die Kapitalmärkte in Anspruch nimmt, dann muß er natürlich logischerweise auch diese Zinsen zahlen. Das hat zunächst einmal mit den amerikanischen Zinsen noch gar nichts zu tun. Die amerikanischen Zinsen waren immer und ewig und werden auch in Zukunft für alle westeuropäischen Industrienationen eine Art Leitfunktion haben, aber die konkrete Höhe richtet sich immer nach den jeweiligen binnenwirtschaftlichen Faktoren.
({2})
Das ist nun einmal bei uns in der Bundesrepublik Deutschland das Ausmaß der Beanspruchung durch die öffentlichen Hände. Wenn Sie also, um überhaupt die entsprechenden Gelder aufnehmen zu können, derartige Zinssätze zahlen müssen, dann stellen Sie das einmal gegenüber. Sie finden dann eine wesentliche Antwort, warum in den Betrieben nicht mehr investiert werden kann und warum demgemäß Arbeitsplätze gefährdet werden und Arbeitsplätze verlorengehen. Stellen Sie das dann einmal jenem Prozentsatz gegenüber, mit dem heute - und leider schon seit einigen Jahren - in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere in den vielen mittelständischen Betrieben eingesetzes Eigenkapital noch verzinst wird. Da landen Sie nämlich bei einer Zahl zwischen 2 und 3 %, wohingegen Sie in den vergangenen Jahren bis zum heutigen Tage im Schnitt 10 % Zinsen zu Lasten des Steuerzahlers gezahlt haben.
({3})
Ein weiterer Zusammenhang. Es ist heute - ich habe das gar nicht verstanden, muß ich hier gestehen - so oft darauf hingewiesen worden, daß angeblich die Steuerquote nicht angestiegen sei. Man hat sich geradezu ein wenig gebrüstet, daß man von 1952 bis heute die Steuerquote so einigermaßen konstant gehalten habe. Als ob es nur darauf ankäme, meine Damen und Herren! Was in den Kalkulationen zu Buche schlägt, Herr Kollege Kühbacher, das sind Steuern und Sozialabgaben. Hier ist nun einfach unleugbar, daß wir in den zurückliegenden zehn Jahren einen Anstieg von durchschnittlich 34 % auf durchschnittlich 40 % festzustellen haben.
Dies ist doch nun einmal unleugbar - und damit komme ich wieder zur Kehrseite der Medaille, zur Auswirkung auf die Situation draußen, auf unsere Betriebe und unsere Arbeitsplätze - die Ursache dafür, daß die Eigenkapitalbasis unserer mittelständischen Betriebe in der Zwischenzeit auf durchschnittlich 18 % abgesackt ist und wir damit den Rekord in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft halten, und zwar nach unten und mit weitem Abstand. Selbst in Volkswirtschaften, die wir gelegentlich so ein bißchen als marode belächeln wie die englische oder die italienische, gibt es eine Eigenkapitalquote der Klein- und Mittelbetriebe, die im Schnitt bei über 50 % liegt. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland sind wir auf 18 % heruntergegangen. Hier, meine Damen und Herren, haben Sie die Ursache für den gewaltigen Anstieg von Insolvenzen und Konkursen, die in diesem Jahr wahrscheinlich 16 000 bis 17 000 erreichen werden. Auch hier besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der konkreten Finanzpolitik, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben, und den Auswirkungen auf die Situation unserer Betriebe und damit der Arbeitsplätze draußen im Lande.
Lassen Sie mich auch noch einen letzten Zusammenhang ansprechen, bevor Sie sich weiter beweihräuchern wegen der „Konstanz der Steuerquote". Das Ausmaß der Steuerlast ist - und ich füge gleich vorweg hinzu: ich beklage das zutiefst - die wesentliche Ursache dafür, daß wir auch in der Zwischenzeit in der Bundesrepublik Deutschland ein VoluSchröder ({4})
men an Schwarzarbeit haben, das die 60 Milliarden DM erreicht hat. Meine Damen und Herren, rechnen Sie sich einmal aus, was das, wenn dieses sozusagen legal durch die Statistik und durch die Steuer ginge, für den Finanzminister und vor allen Dingen für die Kassen unserer gesetzlichen Sozialversicherungsträger an zusätzlichen Einnahmen bedeutete! Aber warum steigt denn die Schwarzarbeit von Jahr zu Jahr an? Weil der von Ihnen zur verantwortende Anstieg der Steuer- und Abgabenlastquote für den einzelnen Arbeitnehmer draußen im Lande, denn der trägt sie ja, ein leistungsfeindliches Ausmaß erreicht hat, was eben dem einzelnen nicht mehr zumutbar ist.
({5})
Eine letzte Bemerkung zu den unmittelbaren Zusammenhängen. Es war unvermeidbar, daß in den sozialdemokratischen Debattenbeiträgen heute wieder die alte Leier vorgetragen wurde, wir wollten Wirtschafts- und Finanzpolitik à la Reagonomics oder Thatcherismus betreiben. Ich war ja schon heilfroh, daß man bei Ihnen nicht wieder auf Brüning zurückgegangen war. Wahrscheinlich haben Sie sich in der Zwischenzeit ein bißchen sachkundiger gemacht. Lassen Sie mich deshalb wegen dieser Legende, die man draußen ausstreut, wir, die Christlichen Demokraten wollten eine Wirtschaftspolitik à la Reagonomics oder Thatcherismus betreiben, ganz klar und deutlich sagen, dies ist nicht der Fall, dies kann auch gar nicht der Fall sein, weil die Problemstellungen, unter denen Herr Reagan und unter denen Frau Thatcher angefangen hatten, völlig andere gewesen sind als die Problemstellungen, die Sie uns hinterlassen haben und vor denen wir jetzt anfangen müssen. In den Vereinigten Staaten und Großbritannien ging es nämlich zunächst einmal darum, eine exorbitant hohe Inflationsrate herunterzudrükken und eine exorbitant passive Zahlungsbilanz wieder auszugleichen.
({6})
Wir haben hier völlig andere Probleme, nämlich das Problem der von Ihnen verursachten Staatsverschuldung und das Problem der von Ihnen verursachten Arbeitslosigkeit. Demgemäß müssen wir auch mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen einsetzen.
({7})
Eine letzte Bemerkung, Herr Kollege Walther, weil ja die soziale Gerechtigkeit beschworen wurde, zu Recht; aber Sie sind die letzten, die die Legitimation haben, das zu beschwören.
({8})
- Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie die letzten sind. - Die größte Einkommensumverteilung, die in den zurückliegenden Jahren unter sogenannter sozialliberaler Regierung stattgefunden hat, ist der Transfer von 100 Milliarden DM Zinsen im Zeitraum von 1975 bis einschließlich 1982 aus dem Bundeshaushalt zu jenen Anlegern, die in der Lage sind, Ihre Bundes- und Staatsobligationen zu erwerben.
Diese Anleger sind weder die Arbeitnehmer noch die Mittelständler in diesem Lande. Hier haben Sie die größte Einkommensumverteilung vorgenommen zu Großanlegern in der Bundesrepublik Deutschland, um das einmal mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
({9})
Sie setzen diese Einkommensumverteilung in den nächsten Jahren fort. Im Haushalt 1983 ist die Summe aus BAföG, Kindergeld, Mutterschaftsgeld, Zuwendungen an die Bundesanstalt für Arbeit wesentlich niedriger als das, was Sie diesen Großanlegern allein an Zinsen zufließen lassen.
({10})
Das ist Ihre soziale Symmetrie und soziale Gerechtigkeit.
({11})
Nein, diese Beispiele haben deutlich gemacht, daß für eine Belebung der Wirtschaft, für Investitionen und für Arbeitsplätze in den vielen mittelständischen Betrieben draußen eine fundamentale Wende in unserer staatlichen Haushalts- und Finanzpolitik notwendig ist. Wir haben heute deutlich zum Ausdruck gebracht, wie diese Wende aussehen soll. Wir haben auch gesagt, wie, wohin und mit welchen Zielen. Sie sind uns die Antwort schuldig geblieben.
({12})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Häfele, ich darf meine Rede mit einem Lob an Sie beginnen. Ich bewundere Sie wirklich. Je öfter ich Sie höre, um so mehr bewundere ich Sie. Wie man mit so vielen Worten nichts sagen kann, das zeugt von einem rednerischen Talent oder von Training, was durchaus Lob verdient.
Sie haben heute morgen beklagt und angeklagt. Sie haben zur Rückkehr und Einsicht aufgerufen. Wir sollten wieder auf den Pfad christdemokratischer Wirtschaftstugenden einschwenken. Offensichtlich verirren Sie sich selber auf dem Mäanderband der Wirtschaftstugenden; denn wenn Sie einmal vergleichen, was Ihre Ministerpräsidentenkollegen machen und was Sie hier fordern, dann müßten Sie zickzack laufen und kämen immer noch nicht da an, wo Sie uns haben möchten. Nach einer EG-Untersuchung haben die von Stoltenberg und Albrecht regierten Bundesländer zur Zeit im Agrarbereich die höchsten Subventionsraten. Sie fordern, alle Subventionen um 5% zu streichen. Übrigens ist Stoltenberg, nebenbei gesagt, pleite. In seinem Land gibt es eine Kreditfinanzierung, die weiß Gott auch einen Gang nach Karlsruhe wert wäre, wenn wir Ihre Maßstäbe anlegen wollten.
({0})
Sollen wir uns bei diesem Wandern auf dem Pfad der Wirtschaftstugenden an Strauß halten, oder sol6952
len wir uns doch mehr an Späth halten, der mit seinen vorschnellen Zusagen über Bürgschafts-Garantien dazu beitragen kann, daß das Gesamtkonzept der AEG-Sanierung unter Umständen gefährdet ist? Oder sollen wir uns an Geißler und Biedenkopf halten, die durchaus ganz andere Meinungen als andere von Ihnen vertreten?
Ich darf den Kollegen Glos bitten, den bösen Satz zurückzunehmen, wir hätten gewollt, daß Unternehmen kaputtgehen. Das kann doch wohl nicht ernstgemeint sein. Wer allerdings bewußt Unternehmen kaputtgemacht hat, kann ich Ihnen sagen. Das war jener Chef vom Wienerwald, der, nur um der Mitbestimmung zu entgehen, mit einem geradezu abenteuerlichen Netz von Verflechtungen dafür gesorgt hat, daß ihm hinterher das Geld gefehlt hat, um überhaupt investieren zu können.
({1})
Wer heute noch in den Wienerwald essen geht, muß vor dem Verhungern sein. Freiwillig geht man da doch gar nicht mehr hin.
Lieber Kollege Zumpfort, wenn Sie sagen, man dürfe den Leistungswillen nicht mit einer Ergänzungsabgabe bestrafen, möchte ich von Ihnen gerne einmal erklärt bekommen, wo denn die Leistung bei AEG war, wo die Leistung beim Wienerwald war, wo die Leistung der Inhaber von Pelikan war, wo die Leistungen von Bauknecht waren und wo sonst alle diese Leistungen waren, die Sie nicht bestrafen wollen. Ich habe das dumpfe Gefühl, obgleich ich mich - -({2})
- Gut, wir können uns auch über die Neue Heimat unterhalten; das beziehen wir alles mit ein, nehmen aber nicht die Leute aus, die - ({3})
- Ich verschweige es überhaupt nicht!
({4})
- Ich habe es eben vergessen, aber jetzt steht es ja im Protokoll, und damit ist es ja in Ordnung für Sie.
Der Kollege Carstens sagt, das Volk sei stocksauer. Stimmt, lieber Kollege Carstens! Die Leute sind stocksauer, beispielsweise wegen der Kürzungen des Zusatztaschengelds in den Altersheimen, wegen der Kürzung von BAföG; sie sind beispielsweise auch darüber sauer, was bei den Mieten auf sie zukommen würde, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen würden.
({5})
Wissen Sie, was Sie machen? Sie gehen in den Vermittlungsausschuß, schieben dort jene Sachen hinein, die Sie hier nicht schaffen, und kleben leider Gottes hinterher diesen „Bouscher" uns an die Wange. Und wir sind noch so dämlich und lassen uns das gefallen, statt uns dagegen draußen zu wehren.
({6})
Wenn das, nämlich Ihre Verantwortlichkeit im Vermittlungsausschuß, einmal klar würde, wäre, glaube ich, eine ganze Menge der Probleme, die wir mit der Vertretung solcher Beschlüsse nach draußen haben, von unseren Schultern genommen, und sie wären dann an der richtigen Haustür nämlich, dort, wohin sie auch gehören.
({7})
Sie sagen weiter, die Leute hätten Angst. Wer redet denn dauernd von „Staatsbankrott"? Das sind doch Sie und nicht wir!
({8})
Wer behauptet denn, daß die Renten nicht sicher sind? Das sind doch Sie und nicht wir!
({9})
Es ist doch eine Sache, die Sie sich selber einmal überlegen müßten, ob man damit fortfahren kann, eine derartige Verängstigung in die Bevölkerung hineinzutragen.
Das Problem der massenhaften Arbeitslosigkeit, die keineswegs verschwiegen werden soll, wird für Sie -({10})
- Daran ist nie die Opposition schuld, aber daran sind auch die Länder schuld.
({11})
- Fragen Sie einmal Stoltenberg, was seine Regionalpolitik Schleswig-Holstein gebracht hat! Das alles wird doch von Ihnen nur als Trittbrett gebraucht, um ungeliebte Dinge - nach dem Motto: Leistung muß sich wieder lohnen, Sozialausgaben müssen gekürzt werden - abschaffen zu können.
Mit einiger Freude habe ich hier vernommen, daß der Kollege Schröder gesagt hat, er denke nicht daran, daß von den sozialen Errungenschaften Abstriche gemacht werden sollten. Ich hoffe, daß er dann auf unserer Seite ist, wenn entsprechende Vorschläge von anderen gemacht werden.
({12})
Die Schuldzuweisungen, die Sie betreiben, entsprechen dem einfachen Strickmuster: Nur die Gewerkschaften sind schuld, weil sie zu hohe Löhne fordern; nur die Regierung ist schuld,
({13})
weil sie zu hohe Reformerwartungen erweckt habe; nur die hohe Besteuerung ist schuld. Dabei habe ich das Gefühl, Sie glauben tatsächlich daran, daß bei uns in der Bundesrepublik nur die Unternehmer - und zwar nur die privaten - für das Wohl und Wehe der Volkswirtschaft verantwortlich sind.
Ich muß Sie wirklich fragen: Woher nehmen Sie eigentlich diesen Optimismus angesichts einer UnFrau Simonis
ternehmenspolitik, die von AEG bis Pelikan diese These aufs schönste widerlegt hat?
({14})
Woher nehmen Sie eigentlich Ihren Optimismus, wenn Sie sich einmal ansehen, mit welcher Chuzpe die Banken versucht haben, ihre ökonomischen Fehler bezüglich der AEG bei uns abzuladen,
({15})
indem sie nämlich auf eine Weise, die nun wirklich erpresserisch war, versucht haben, bei uns auch eine Garantieerklärung des Bundes für Unternehmerfehler abzuholen? Ich denke, da sind wohl erst einmal die Banken an der Reihe. Wir verlassen uns nicht allein auf privatwirtschaftliches Verhalten, sondern glauben, daß für unsere Wirtschaft und ihre Entwicklung durchaus eine Mischung notwendig ist.
({16})
Auch Ihre Berechnungen mit den Lohnkosten stimmen nicht ganz. Die Bundesrepublik hat, international gesehen, die niedrigsten Lohnstückkosten, gemessen - -({17})
- Es stimmt! Ich werde Ihnen den Artikel, aus dem ich das entnehme, gern einmal zuschicken: wir haben die niedrigsten Lohnkosten,
({18})
und insoweit fallen eigentlich alle Argumente, die Sie vorhin gebracht haben, in sich zusammen.
({19})
Lieber Herr Kollege Schröder, Sie haben vorhin gesagt: Reagan mußte seine Politik machen, um die Inflation zu bekämpfen. Nein, die amerikanische Bundesbank muß die Zinsen heraufsetzen, um die Inflation, die von Reagans blankem ManchesterLiberalismus ausgeht, bekämpfen zu können.
({20})
Reagans Politik diente nicht dazu, die Inflation zu bekämpfen. Er hat seine Politik aus dem Wunsch, umverteilen zu können, gemacht.
({21})
Es ging ihm um eine Umverteilung von privatem Konsum zu Verteidigung und von arm zu reich. Wenn Herr Häfele vorhin nach dem Motto „Amerika, du hast es besser" dieses Land gelobt hat, so nehme ich an, Herr Kollege, Sie schlafen im Hyatt und fahren nur in schwarzen Limousinen; sonst kann Ihnen unmöglich entgangen sein, daß im angeblich reichsten Land der Welt Küchen wieder aufgemacht werden müssen, vor denen sich arbeitslose Angestellte, die nicht wieder unterkommen, morgens um 9 Uhr anstellen, um sich mittags um 1 Uhr oder um 2 Uhr eine warme Suppe geben zu lassen.
Dies ist keine Politik, die wir nachmachen wollen. Dieses Rekorddefizit, das Sie übrigens in den Veröffentlichungen der OECD vom 31. Juli dieses Jahres nachlesen können, ist derartig exorbitant ausgefallen,
({22})
daß die volkswirtschaftliche Ableitung der internationalen Zusammenhänge über unsere Zinsen, die der Kollege Schröder gerade abgeliefert hat, für mich ein bißchen überraschend ist.
({23})
- Es stimmt leider nicht. Nehmen Sie sich das „Economic Outlook" Nr. 31 vor, und schauen Sie sich in aller Ruhe die Zahlen an. Die Verschuldung der USA wird von 0,9 % im Jahre 1981 bis auf 4 % im Jahre 1983 steigen. Das ist das Ergebnis dessen, was Reagan macht: Mehrausgaben für Rüstung, Steuersenkung und ein Defizit, das für dieses Jahr auf mindestens 155 Milliarden Dollar geschätzt wird.
({24})
Allein diese lähmenden Auswirkungen, die von dort auf unsere Wirtschaft ausgehen, müßten uns einiges Kopfzerbrechen machen.
({25})
- Ich sage im Moment nichts zum Grafen, weil ich mich seinen Thesen später zuwenden möchte.
Ich denke, wir sollten unsere Politik weniger daran ausrichten, ob wir uns gegenseitig Fehler aus der Vergangenheit vorwerfen können, sondern mehr daran, ob wir nicht doch gemeinschaftlich eine Möglichkeit finden, eines unserer Hauptprobleme nämlich die hohe Arbeitslosigkeit in unserem Lande, zu bekämpfen, und zwar bei gleichzeitiger gerechter Verteilung von Arbeit, Einkommen und sozialer Sicherheit sowie bei einer gleichmäßigen Verteilung der Sparanstrengungen.
Im Gegensatz zum Kollegen Zumpfort denke ich, daß eine Ergänzungsabgabe - damit befinde ich mich, glaube ich, in guter Nachbarschaft zu Herrn Albrecht - etwas ist, was man diskutieren kann und sich nicht gegenseitig um den Kopf schlagen muß.
({26})
Ich verstehe beispielsweise nicht, wie Sie hier aufstehen und sagen können, Sie als Union wollten sparen, aber dann keinen einzigen Vorschlag machen. Wenn wir Vorschläge machen, dann läßt Herr Stoltenberg auf Hochglanzpapier drucken: Bonn tut nicht genug für den Bund. Dann kommt ein veritabler Staatssekretär aus Bayern einschließlich einer ganzen Armee von Abgeordneten an, weil man an einer Stelle 2 Millionen DM gekürzt hat. Dann wird versucht, sozusagen in einem wahren Erpressungsund Würgegriff diese Kürzung wieder rückgängig zu machen.
({27})
Faßt euch doch an die eigene Nase, ehe ihr uns erzählt, was wir besser machen müssen! Ihr drängt
uns doch mit eurer Veröffentlichungspolitik dorthin.
Da habe ich den Kollegen Rose im Auge, der gesagt
hat, ich wollte das Zonenrandgebiet kaputtmachen.
- Nein, wir wollten erreichen, daß staatliche Forstämter in Bayern keine Zonenrandmittel mehr bekommen. Das habt ihr dabei allerdings verschwiegen.
({28})
Ich frage mich wirklich, was das Schattenboxen soll. Ich glaube: Das hat eine ganze Menge damit zu tun, daß Sie wirklich keine anderen Vorschläge zu machen haben, außer hier zu stehen und zu sagen: Wir würden alles besser machen, wenn wir es nur können dürften!
Sie haben mich eben aufgefordert, etwas zum Konzept des Wirtschaftsministers, des Abgeordneten Lambsdorff, zu sagen. Zunächst muß ich sagen: Er hat den Mut, ein Konzept vorzulegen. Er hat als Abgeordneter ein Konzept vorgelegt. Dazu hatte er den Mut.
({29})
- Er hat das Konzept nicht als Regierungsmitglied abgegeben.
({30}) - Fragen Sie ihn doch selber!
({31})
- Wenn dieses gegenseitige Anschreien weitergehen sollte, würde ich Sie bitten, Herr Präsident, mir zu helfen, daß ich in Ruhe reden kann.
Es ist kein unüblicher demokratischer Brauch, daß es Zwischenrufe gibt, gnädige Frau.
({0})
Fragen Sie ihn doch bitte selber, ob er dieses Konzept als der zuständige Wirtschaftsminister oder in seiner Eigenschaft zwar als Kabinettsmitglied, aber doch als Abgeordneter eingebracht hat.
({0})
Ich habe dies hier nicht zu diskutieren, weil es nämlich nicht Gegenstand des vorgelegten Etats 1983 ist, über den wir uns hier eigentlich unterhalten sollten. Aber zwei Fragen möchte ich doch stellen dürfen.
Trifft es eigentlich zu, daß die berechneten Ausfälle an Steuern, die bei einer sofortigen Verwirklichung des gesamten Paketes zu erwarten wären, zwischen 35 und 40 Milliarden DM ausmachen?
({1})
Dann frage ich Sie: Warum können wir das verantworten, während bei der Nettokreditaufnahme sämtliche Tabugrenzen gezogen werden?
Die zweite Frage richtet sich allerdings an Herrn Lambsdorff in seiner Eigenschaft als Kabinettsmitglied und Minister: Stehen Sie zum Regierungsentwurf mit der Kürzung der Gemeinschaftsaufgaben, oder stehen Sie zu dem, was in Ihrem Papier steht, wo Sie zur Rücknahme der Kürzungen auffordern? Dann allerdings frage ich mich, Graf, warum Sie meinen Kollegen Roth so angenommen haben, bei dem Sie blasphemisches Fehlverhalten unterstellt haben, als er sich zu den Krankenhausgeldern äußerte. Im „Spiegel" kann man nachlesen, was Sie dort zu diesem Thema erzählt haben. Sie haben gesagt: Der ist schneller weg als dieses Krankentagegeld. Roth darf genauso wie Sie Sachen kritisieren und Vorschläge machen. Wenn Sie das Recht für sich in Anspruch nehmen, dann darf, glaube ich, auch mein Kollege Roth das machen, ohne daß Sie ihn gleich zum Teufel jagen wollen.
({2})
- Das war - etwas stark von mir interpretiert - ungefähr das, was der Graf gesagt hat.
Darüber hinaus habe ich allerdings einige Fragen an die Opposition, die mich interessieren würden; denn Ihre Bezirksfürsten haben ja - von ungläubigem Staunen bei Herrn Biedenkopf über nachdenkliches Kopfwackeln bei Herrn Stoltenberg bis zum absoluten Nein von Herrn Strauß - unterschiedlich reagiert: Wie wollen Sie den Gemeinden helfen, wenn die Kapitalertragsteuern und die Gewerbesteuern wirklich gesenkt werden sollen? Der letzte Aderlaß hat uns etwas mehr als 750 Millionen DM bei den Gemeinden gekostet. Das sind die größten Investoren bei uns in der Bundesrepublik. Soll der Bund das bezahlen? Werden Sie hinterher, wenn wir das wieder ausgleichen müssen, kommen und die Kreditaufnahme bejammern? Werden Sie den Ländern helfen, wenn denen wieder einmal wegen einer Senkung der Vermögensteuer - falls dies realisiert werden sollte, was ich nicht hoffe - 1,5 Milliarden DM aus den Kassen verschwinden? Auch für die Länder, auch für Schleswig-Holstein gilt Art. 115 des Grundgesetzes. Stoltenberg wäre heute nicht mehr in der Lage, eine müde Mark mehr Kredit aufzunehmen, wenn Sie ihm über Vermögensteuererleichterungen Mittel wegnehmen würden. Dann würde er seinen Haushalt überhaupt nicht über die Runden bekommen.
({3})
Glauben Sie wirklich, daß der soziale Frieden, den wir dank der Umsicht der Gewerkschaften hier bei uns haben erhalten können, nicht eine der Rahmenbedingungen gewesen ist, mit denen wir wirtschaftliches Wachstum in dieser Republik erreicht haben
({4})
und mit denen wir wirtschaftlichen Wohlstand für sehr viele Leute haben erhalten können?
({5})
Wenn Sie dies kaputtmachen wollen, dann legen Sie eine Lunte an ein Pulverfaß; über den Knall hinterher werden Sie sich weiß Gott wundern.
({6})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitz? - Ich mache Sie allerdings darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit bald zu Ende ist.
Es tut mir leid. - Ich darf vielleicht als letzten Satz sagen: Hören wir doch bitte auf, das Prinzip „Pessimismus" in die politische Diskussion einzubeziehen!
({0})
- Das haben Sie gemacht, nicht wir; Sie haben das heute den ganzen Tag gemacht.
({1})
Hören wir doch bitte auf, so zu tun, als ob einer von Ihnen ein Patent- oder Idealrezept hätte! Hören Sie doch bitte auch einmal auf, statt Politik zu betreiben, Journalisten-Artikel vorzulesen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Metz.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Simonis, die Unternehmensbeschimpfung und die Bankenbeschimpfung und die darin enthaltene Systembeschimpfung,
({0})
die ja seit Jahren von der SPD betrieben wird - bis eben hin zu Ihren Ausführungen -, ist einer der ganz wesentlichen Gründe, warum die Koalition und die Regierung am Ende sind.
({1})
- Das kommt alles noch.
Sie haben soeben gesagt, man könne den Privaten eben nicht alles anvertrauen.
({2})
Ich will Ihnen einen Zusammenhang zwischen dem Ausufern der Bürokratie und diesem - wie ich jetzt sage - Vorurteil nennen. Sehen Sie, wenn man das alte sozialistische Vorurteil aus dem vorigen Jahrhundert mit sich herumschleppt, daß eben in einer
Gesellschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland ein auftauchendes Problem von Privaten grundsätzlich nicht im Sinne des Allgemeinwohls, sondern eher vom Staat im Sinne des Allgemeinwohls gelöst werden kann, dann hat das ja ganz konkrete Konsequenzen. Juristisch gesprochen: Dann setzt man beispielsweise als Gesetzgeber stets eine öffentlich-rechtliche Lösung an die Stelle einer möglichen privatrechtlichen Lösung. Was heißt das? Das heißt: immer neue Gesetze, immer neue Verordnungen, immer neue Bürokratie. Das heißt: eine ganz bestimmte Konstellation, in der die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten sich gegenübertreten, nämlich nicht als private potentielle Vertragspartner, sondern grundsätzlich als diejenigen, die von der Obrigkeit etwas wollen, als Menschen, die gegenüber der Obrigkeit als Bittsteller auftreten. Das ist im Ansatz, auch im menschlichen Ansatz nach unserer Meinung völlig falsch.
({3})
Herr Minister Lahnstein, Sie haben heute morgen in Ihrer Rede bedauert, daß die Diskussion, die zur Zeit geführt werde, auch Züge von Wehleidigkeit und von Provinzialität habe. Wenn man sich manche Reaktionen, etwa auf das Papier des Wirtschaftsministers, ansieht, wird man in der Tat nachdenklich, z. B. wenn der SPD-Kollege Egon Lutz meint, hier würde Hand an die Wurzeln der zweiten deutschen Republik gelegt, oder wenn Frau Matthäus-Maier von einer Horrorwirkung auf breite Teile der Bevölkerung spricht. Wenn man die Wahrheit jahrelang verschweigt oder nicht deutlich ausspricht, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen dann schließlich durch die Wahrheit schockiert werden. Das ist doch einer der Punkte.
({4})
Wenn der Staat durch Schuldenpolitik den Bürgern jahrelang die wirklichen, die wahren Kosten seiner Tätigkeit, der staatlichen Tätigkeit verheimlicht, muß es doch eines Tages ein unangenehmes Erwachen geben. Wenn die Politik Erwartungen und Wünsche weckt, ohne den Preis für die Erfüllung dieser Erwartungen und Wünsche zu nennen,
({5})
kann das eine Zeitlang gutgehen. Es kann aber eben nur so lange gutgehen, bis einen die Zukunft in Gestalt von Zinsen und Tilgungen einholt. Das ist mittlerweile der Fall.
({6})
Wäre von seiten der Regierung in der Vergangenheit öfter und eher die volle Wahrheit gesagt worden, dann könnten die Menschen die Wahrheit heute besser ertragen.
({7})
Meine Damen und Herren, wer jahrelang getäuscht worden ist - sei es über Renten, sei es über Staatsfinanzen -, wird, wenn er die Wahrheit erfährt, sauer. Die Wähler - das muß ich Ihnen sagen -, die Ihnen jetzt überall die Quittung geben, reagieren ja nicht
wehleidig oder provinziell. Ich finde, sie reagieren handfest, realistisch und vernünftig.
({8})
Lassen Sie mich ein Wort zur Umverteilung sagen, die in der Debatte immer wieder eine Rolle gespielt hat. Es heißt ja auch, es solle nunmehr eine massive Umverteilung von unten nach oben stattfinden. Ich habe heute in der Presse den schönen Spruch gelesen: „Krieg den Hütten, Frieden den Palästen".
({9})
Mein Kollege Horst Schröder hat schon darauf hingewiesen, wer eigentlich die öffentliche Armut im Lande vergrößert hat und wer die Reichen reicher gemacht hat. Das hat er hier eben anschaulich geschildert.
Krieg den Hütten? 1981 sind an sechs Tagen in jeder Woche des Jahres 50 Unternehmer den Weg zum Konkursrichter gegangen. In diesem Jahr wird es noch schlimmer. Das will ich nun doch einmal sagen: Es scheint nicht in sozialistische Gehirne hineinzugehen, daß eine Überbelastung der Wirtschaft gleichzeitig ein Krieg ist - um in dem Bild zu bleiben -, der gegen die Hütten geführt wird.
({10})
Klassenkampfdenken oder Klassenkampfansätze sind eben völlig unfähig, auch Interessenidentitäten zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern festzustellen. Ohne Unternehmen, ohne Wirtschaftsbetriebe, die Gewinne machen, werden sich die Hütten auf lange Sicht in einem bedauernswerten Zustand finden. Wir sollten aufhören, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegeneinander auszuspielen. Wir sollten sagen, daß sie auch gemeinsame Interessen haben. Das entspricht der Wirklichkeit in der Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Die Koalition und die Regierung sind ja nicht am Ende, weil sie bei Tausenden von einzelnen Haushaltstiteln falsch gerechnet hätten. Das ist nicht das Problem. Insoweit kann der Haushalt 1983 das Problem natürlich auch nicht lösen. Die Regierung ist am Ende, weil vor allem die SPD als Partei völlig unfähig ist, die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen für den Entwurf eines realistischen Haushalts herzustellen. Das ist doch der Punkt.
({12})
Ich will zum Stichwort „Umverteilung" noch eines sagen: Man kann eben auf die Dauer nicht zu Lasten einer kleinen Minderheit, nämlich zugunsten einer großen Mehrheit umverteilen.
({13})
Das wird auch rechnerisch falsch. Weil das so ist, meine Damen und Herren, passiert in Wirklichkeit seit Jahren folgendes: daß diejenigen, zu deren Gunsten seit Jahren angeblich umverteilt wird, in hohem Maße diejenigen sind, die die Kosten dieser Umverteilung selbst tragen. Das, was sie in die eine Tasche kriegen, ist ihnen aus der anderen herausgenommen worden. Diejenigen, die zum Schluß als einzige noch etwas davon haben, sind die Umverteiler, die vielen tausend Umverteiler; das sind zum Schluß die Nutznießer.
({14})
Ja, z. B.
Ihr erster Redner hat - wir haben z. B. nur 15 Minuten Redezeit - allein 17 Minuten - ich habe spaßeshalber einmal auf die Uhr geguckt - über die USA und England gesprochen. Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen nennen, die der Kollege Häfele genannt hat, die wichtig sind: Bei uns wird ein größerer, ein viel größerer Teil des Bruttosozialprodukts durch staatliche Neuverschuldung konsumiert als in den Vereinigten Staaten; Sie müssen das einmal zur Kenntnis nehmen. Bei uns werden eben 38,8 % der gesamten Geldkapitalbildung vom Staat beansprucht, in den Vereinigten Staaten weniger als die Hälfte davon. Das sind doch die wirklichen Vergleichszahlen, die dann auch das realistische Bild wiedergeben. Der übermäßige Kredithunger des Staates bei uns hat die Zinsen getrieben und die Grundlagen zerstört, die Wachstum erst möglich machen. Hier trifft das Stichwort „hausgemacht" in der Tat zu, nicht aber das Stichwort „USA".
({15})
Das, worauf es mir ankommt, ist folgendes: Sie müssen aufhören, über andere zu reden. Wenn ich früher mit einer nicht so guten Klassenarbeit nach Hause gekommen bin, dann hat meinen Vater doch nicht interessiert, ob andere noch schlechter waren. Und so ist das in Tausenden und Millionen von Haushalten auch heute noch.
({16})
Das Bangemachen mit deflatorischer Politik kann nicht ziehen. Wenn Sie sich - Kollege Schröder hat es angedeutet - die Raten in den Haushalten des Reichskanzlers Brüning ansehen, dann wissen Sie, daß man sich kaum einen größeren Unterschied zwischen der damaligen Zeit mit ihren realen Zahlen und der heutigen Zeit vorstellen kann. Wir können alle miteinander überhaupt niemandem - auch uns nicht - den Vorwurf deflatorischer Politik machen. So weit haben wir es nie gebracht, will ich einmal etwas feuilletonistisch sagen.
Meine Damen und Herren, ich will, Herr Minister Lahnstein, noch auf einen weiteren Punkt Ihrer Rede kommen. Sie haben heute morgen zu Beginn Ihrer Rede eine Erfolgsbilanz aufgemacht. Ich will diese Erfolge zunächst einmal gar nicht bestreiten.
({17})
Aber Sie haben nicht hinzugefügt, welchen Preis
diese Erfolgsbilanz hatte - das ist der entscheiMetz
dende Fehler -, nämlich den Preis der Staatsverschuldung. Die Bürger haben ja deswegen so lange keinen entscheidenden, keinen entschiedeneren Widerstand gegen die Staatsverschuldung geleistet, weil sie einer Wohlstandsillusion zum Opfer fallen mußten und weil es in der Vergangenheit eine sogenannte objektive Bedarfsdiskussion gab. Man kann aber über Bedarf nicht diskutieren, ohne die Kosten zu kennen, die mit der Befriedigung des Bedarfs jeweils verbunden sind. Wenn ich beispielsweise Gehaltserhöhungen mit Schulden bezahle, dann ist das eine Wohlstandsillusion, aber kein wirklicher Wohlstand.
({18})
Nur wenn die Bürger wissen, was staatliche Leistungen kosten, sind sie überhaupt in der Lage, als mündige Bürger in einem demokratischen Abstimmungsprozeß darüber zu befinden, ob der Bedarf nun auch verwirklicht werden soll. Das kann man realistisch nur sagen, wenn man die Preise genannt kriegt. Die Preise haben Sie nie genannt; das ist einer der Punkte.
({19})
Lassen Sie mich noch ein Wort zum sozialen Frieden sagen; fast alle Redner haben dieses Stichwort aufgenommen. Es ist richtig: Sozialer Friede ist ein wichtiger Produktionsfaktor, ist ein wichtiges ökonomisches Gut. Aber ich finde, man muß eben sehr genau fragen, was denn alles sozialen Frieden gefährden kann und was wirklich als sozial gerecht und was als sozial ungerecht angesehen werden muß.
({20})
Es gefährdet den sozialen Frieden, es gefährdet die soziale Zufriedenheit auch,
({21})
wenn die Generation der Tätigen, der Handelnden das wachsende Gefühl haben müssen, sie würden zugunsten anderer ausgenutzt. Das ist auch Gefährdung des sozialen Friedens.
({22})
Es gefährdet den sozialen Frieden auch, wenn die gutmütigen Arbeitnehmer mit ansehen müssen, daß die listigen, die cleveren sich auf Kosten der Allgemeinheit durchmogeln können. Auch das gefährdet den sozialen Frieden.
({23})
Es stört auch den sozialen Frieden, wenn der gesetzestreue Bürger, der steuerzahlende Bürger, der nicht schwarz arbeitende, der keine Gewalt anwendende Bürger sich benachteiligt vorkommen muß, weil andere leichter zu Erfolgen kommen.
({24})
Ich will eines für mich ganz deutlich sagen: es gefährdet auch den sozialen Frieden, wenn man in
Kommunen daran ginge, Hausbesetzern niedrigere
Mieten zuzugestehen als den gesetzestreuen Bürgern. Das gehört alles dazu.
({25})
Wenn wir schon von sozialer Gerechtigkeit und von sozialem Frieden reden, sollten wir den Begriff nicht unzulässig einengen.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendem Gefühl, möchte ich eigentlich mehr sagen, Ausdruck geben. Herr Kollege Gärtner hat von Kafka gesprochen, den ich sehr schätze und liebe.
({26})
Diese Debatte wirkt in der Tat etwas unwirklich. Es ist nämlich schon eine merkwürdige Situation, finde ich, einen Haushalt mit wirklich ungeteilter Aufmerksamkeit zu beraten, wenn niemand weiß, ob die Regierung, die den Entwurf zu verantworten hat, die einzelnen Lesungen überlebt.
({27})
So kommen die Mitglieder des Haushaltsausschusses in die Lage, die einzelnen Etattitel zu behandeln, während sich die Regierung, die die Titel verantwortet, längst innerlich verabschiedet hat. Das ist eine unwirkliche, fast surrealistische Situation. Auch insofern würde es wirklich für alle, auch für die Mitglieder des Haushaltsausschusses geradezu befreiend wirken, wenn diese Regierung Bahn machte für bessere Politik. - Vielen Dank.
({28})
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Hoffmann ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe, glaube ich, die Ehre, als letzter zu diesem Tagesordnungspunkt zu sprechen. Ich möchte das ganz kurz in drei Punkten tun. Erstens möchte ich mich mit einigen wenigen Argumenten meiner Vorredner auseinandersetzen, zweitens die Subventionsfrage ansprechen und zum dritten die Entscheidungsgrundlage sozialliberaler Wirtschafts- und Finanzpolitik aus einem etwas anderen Blickwinkel beleuchten, als das, glaube ich, bisher geschehen ist.
Zuerst zu den Vorrednern! Ich möchte mit dem anfangen, was der verehrte Kollege Schröder ({0}) gesagt hat. Es gibt Argumente, die beißen deshalb, weil sie die Wahrheit treffen. Es gibt solche Argumente, die treffen einen irgendwo in ganz bösen Stellen, weil sie halbwahr sind und weil sie die Konsequenzen völlig falsch, ich möchte sogar sagen, wissentlich falsch darstellen. Und ein solches Argument haben Sie gebraucht. Sie haben zu Recht das Argument genommen: Umverteilungswirkung der Zinsen, also Umverteilungsprozeß über Schulden, über Zinsen. Sie haben zu Recht dargestellt: das ist ein Umverteilungsprozeß zu Lasten des Steuerzahlers und zugunsten der Geldkapitalbesitzer. Das ist korrekt so. Es wäre außerdem korrekt, wenn Sie gesagt hätten, daß das natürlich nicht nur für den Bund gilt,
Hoffmann ({1})
sondern für mein Heimatland, das die größte Verschuldung hat, und natürlich auch für SchleswigHolstein gilt, das die zweitgrößte hat. Insofern wäre das ein neutrales Argument. Aber nun haben Sie einen bösen Kniff gemacht. Sie haben gesagt, da seien wir hier alle schuld. Sie haben dabei nicht erwähnt, daß die CDU/CSU genau die Leute, die von diesem Umverteilungsprozeß profitieren, geradezu schont und in den Glaskasten hineinstellt, damit wir genau an diese Frage nicht herankommen. Das nenne ich ein böses Argument.
({2})
- Das stimmt so.
({3})
Und das zweite ist: Sie haben von der Schuld an der Arbeitslosigkeit gesprochen. Nun haben Sie gesagt: Die Regierung ist schuld. Ich sage: Dasselbe Argument würde in dieser Platitüde für sämtliche Landesregierungen gelten. Aber es stimmt auch im Grundsatz so nicht,
({4})
weder für den Bund noch für die Länder. Ich sage Ihnen auch, warum: Weil Sie die Bürger dieses Landes auf eine völlig falsche Demokratietheorie orientieren. Sie tun j a gerade so, als sei der Staat, als sei die Bundesregierung oder als sei das Parlament der einzig bestimmende Wirtschaftsfaktor dieses Landes, und Sie lassen die autonomen Entscheidungen der Unternehmen einfach heraus.
Nun hat meine Kollegin Simonis Ihnen doch schon die Quittung ausgestellt. Was heißt denn hier: schuld an Arbeitslosigkeit, wenn wir sehen, wie beispielsweise im Bereich AEG etwas zusammenbricht? Ist das Schuld der Regierung gewesen? Waren das nicht die Kollegen, die möglicherweise hohe Beiträge - natürlich nur offiziell - an die CDU/ CSU abführen, möglicherweise aus dem Bereich der Banken?
({5})
Waren es vielleicht die, die schuld gewesen sind? Dann sollten Sie hier nicht so unfair sein und sagen: An der Arbeitslosigkeit ist ausschließlich die Regierung schuld. Dann müssen Sie schon ein bißchen präziser sein.
Und das letzte, Herr Kollege Schröder: Sie haben eine ganz gewagte, unter Bankkaufleuten würde ich sagen, sensationelle neue Theorie der Zinsbestimmung geliefert. Wenn es tatsächlich wahr sein sollte, daß die festverzinslichen Wertpapiere ausschlaggebend sind für das Zinsniveau, dann beglückwünsche ich jede Bank, die Sie nicht in ihren Reihen weiß. Das sage ich Ihnen.
({6})
Nun zum Herrn Kollegen Metz. Herr Kollege Metz, Sie haben auch schon wieder eine psychologische Arie, würde ich mal sagen, hier vorgetragen, aber ohne einen einzigen konkreten Punkt zu nennen, was denn nun zu ändern sei. Ich sage nur mal: Wenn Sie hier so vollmundig eine Arie gesungen haben, wie haben Sie sich denn im Parlament verhalten, als es um die Abstimmung über Vulkan und die entsprechenden Subventionen ging? Sie schämen sich nicht, hier vorne hinzugehen und die Arie von Angst und Betrübnis zu blasen, aber genau wissen, daß Sie im konkreten Fall genau der Subventionsmentalität, die Sie beklagen, selber Vorschub leisten
- aus wohlverstandenem regionalpolitischem Interesse.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0})?
Ja, bitte sehr.
Verehrter Herr Kollege, ich muß noch einmal auf Ihre Vorhaltungen dem Kollegen Schröder gegenüber zurückkommen. Wollen Sie bestreiten, daß die exorbitante Höhe der Verzinsung der festverzinslichen Rentenpapiere und die exorbitant niedrige Verzinsung des haftenden Kapitals ein wesentlicher Indikator in der Bundesrepublik dafür sind, daß hier die Geschäfte schief laufen?
Wenn Sie mir genau zugehört hätten, brauchten Sie diese Frage nicht zu stellen.
({0})
- Nein. Dann machen wir doch einmal ein Kolloquium über Zinsbildungsprozesse! Ich verrate Ihnen sicher kein Geheimnis, wenn ich sage, daß ein Faktor die festverzinslichen Papiere sind und daß ein zweiter Faktor beispielsweise resultiert aus der Eigenkapitaldecke und dem, was Sie dort herausnehmen können, und natürlich - wer sollte das bestreiten - spielt auch der gesamte freie Kapitalmarkt und, was Sie überhaupt nicht erwähnt haben, die gesamte Fluktuation zwischen binnenländischem Zinsmarkt und ausländischem Zinsmarkt eine Rolle. Wenn Sie das hier nicht vortragen, dann sagen Sie nur die halbe Wahrheit.
({1})
- Ich habe nur noch zehn Minuten und möchte das ganz kurz weiterführen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, grenzt ja schon - das muß ich wirklich sagen - an
- ich weiß nicht, wie ich das richtig sagen soll - Verblendung ersten Grades. Da stellen Sie sich hin, haben selber im Parlament gefordert, haben im Ausschuß gefordert - und es gibt einige, die Ihre Forderungen aufgegriffen haben -, man sollte im Bereich der Subventionen linear um 5 % kürzen - einige haben gesagt, um 10 %. Wenn ich das ernst nehme,
Hoffmann ({2})
heißt das - ich hole mir nur ein paar wichtige Brokken heraus -: der Zuschuß zur landwirtschaftlichen Alterssicherung wird gekürzt - CDU/CSU-Position -, die Landabgaberente im Agrarbereich wird gekürzt - CDU/CSU-Position -, Gasölverbilligung wird gekürzt - CDU/CSU-Position -, Monopolverwaltung Branntwein, EG-Problem, all das wird von Ihnen dann anschließend gekürzt. Bei den Gemeinschaftsaufgaben haben wir gemeinsam gekürzt bzw. wollen wir, wenn ich das richtig verstehe, jetzt wieder umdrehen; darüber müssen wir uns unterhalten. Vordringliche agrarische und ernährungswirtschaftliche Maßnahmen will die CDU/CSU offensichtlich kürzen. Im Bergbaubereich, Kokskohle: wollen Sie da kürzen? Sagen Sie es doch bitte hier! Ich würde in meinem Bundesland oder, Herr Kollege Schmitz, im Aachener Revier oder beispielsweise im Ruhrpott gern darüber diskutieren, was es wohl heißen würde, wenn die CDU/CSU hingeht und kürzt.
({3})
- Ich bitte vielmals um Entschuldigung; ich habe noch acht Minuten. - Bitte schön, aber kurz!
Herr Abgeordneter Schmitz, bitte.
Herr Kollege, haben Sie denn vergessen, wer letzte Woche den Antrag gestellt hat, 100 Millionen DM von der Kokskohle herunterzunehmen?
Nein, ganz und gar nicht. Das einzige, worauf ich Sie verpflichten möchte, ist, daß Sie nach einem ganzen Tag Diskussion endlich einmal - einer von Ihnen - hier vorne hinkommen, mal „Butter bei die Fische machen" und sagen, wo Sie denn wirklich etwas holen wollen.
({0})
Das ist das einzige, was ich will. Das ist uns bis heute nicht gelungen. Offensichtlich haben wir nicht die pädagogische Fähigkeit,
({1})
Ihnen nahezulegen, daß es nicht nur Arien zu singen gilt, sondern gleichzeitig hier zu erklären, was man sich wirklich konkret als Alternative vorstellt. Das haben Sie nicht gekonnt.
Sie haben bei der Fünf-Prozent-Reduzierung beispielsweise auch zur Sicherung deutscher Energieversorgung, DEMINEX, zu Fernwärmeprojekten, zur Kohleveredelung Stellung zu nehmen. Sie haben bei Forschung und Energie dazu Stellung zu nehmen, ob Sie den kleinen und mittleren Betrieben das kürzen wollen, was wir als Subventionen gewährt haben. Sie müssen dann - da bin ich wieder bei meinem Vorredner - etwas zu den Werfthilfen sagen, Sie müssen etwas zum Schiffsbau sagen und klarstellen, ob Sie das alles entsprechend gekürzt haben wollen. Ihre Antwort war aber immer nur: global ja, im Einzelfall nein. Mehr kommt nicht heraus. Ich sage nur Airbus, Stahlbereich, Saar, Ruhr, Bremen,
Bayern, Frachthilfen, kleine und mittlere Unternehmen, oder ich frage Sie, wie es im Verkehrsbereich aussieht. Ich könnte Ihnen die ganze Latte vorlegen, und bei jeder einzelnen Subvention, die von einer gewissen Bedeutung ist, werden Sie anschließend sagen: Da wollen wir nicht sparen, aber generell wollen wir sparen. Wenn das Ganze hier eine Debatte sein soll, wenn das Reden einen Sinn haben soll, dann müssen Sie doch irgendwann aus Ihrem Häuschen heraus und sagen: An der Stelle wollen wir es, an der Stelle wollen wir es, und dort wollen wir es unter keinen Umständen. Statt dessen haben Sie noch keine einzige konkrete Antwort am ganzen Tag gegeben.
({2})
Nun möchte ich zu meinem letzten Punkt kommen. Dieser Punkt bezieht nicht nur die Kollegen der FDP, nicht nur die Ministerbank, sondern auch all die ein, die ein bestimmtes Papier, über das heute soviel geredet worden ist, begrüßt haben. Es ist ein hohes Verdienst, daß es ein Politiker in der Bundesrepublik fertiggebracht hat, die Aufmerksamkeit auf ein konkretes Papier zu konzentrieren, wenn ich an diesem Papier auch viel zu kritisieren hätte. Denn zumindest konnte ein Unionspolitiker auf Grund dieses konkreten Papiers sagen: Das stimmt in der Grundrichtung. Dann hätten wir endlich etwas, an das wir uns halten können. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür; denn jetzt wissen wir endlich, wo Ihre Grundlinie liegt, und über die können wir uns dann unterhalten.
Ich will das nicht überbewerten: Es ist ein Papier, es ist legitim, wir lesen gern darin. Für mich ist es noch wichtiger, was jeweils Parteien im demokratischen Willensbildungsprozeß als eigene Positionen beschlossen haben. Verehrte Kollegen aus der FDP, die Freiburger Thesen habe ich seinerzeit mit großer Begeisterung gelesen, und ich fand sie im übrigen auch für Sozialdemokraten ausgesprochen reizvoll.
({3})
- Es gibt einige Punkte, bei denen ich nicht in Übereinstimmung bin, beispielsweise in der gesamten Frage der Mitbestimmung und ähnliches mehr, aber darauf komme ich jetzt nicht zu sprechen.
Nun haben Sie Ihre Freiburger Thesen durch die Kieler Thesen weiterentwickelt. Das ist verdienstvoll. Ich stimme nicht mit allem überein; aber ich finde das als Basis für eine konkrete Aushandlung von Kompromissen gut, so daß zwei Partner fair miteinander umgehen können. Dann nehmen Sie beispielsweise den Orientierungsrahmen '85 oder die Münchener Beschlüsse der SPD
({4})
und die Kieler Thesen der FDP, und dann sage ich Ihnen, daß diese Regierung und diese Parlamentsmehrheit eine lange, eine positive Zukunft hat.
({5})
Nun will ich Ihnen kurz belegen, warum das so ist. Erstes Beispiel: In der These 2 des zweiten Ab6960
Hoffmann ({6})
schnitts des Kieler Parteitags wird wirtschaftspolitisch davon ausgegangen, man müsse gleiche Chancen einräumen, das Leistungsprinzip anerkennen und Privilegien beseitigen. In bestimmten Papieren lese ich davon nichts mehr. Diese Punkte sind nicht mehr vorhanden. Da Sie das akzeptiert haben, muß ich Ihnen als CDU oder allen, die sich einer konservativen Wirtschaftspolitik verschreiben, sagen: Wer Vorschläge für das Gesundheitssystem macht und die Leute trifft, die keine Privilegien haben, ohne zu sagen, was beispielsweise mit den Ärzten ist, der soll diese These schnell vergessen.
({7})
Mein zweiter Punkt betrifft die These 7 aus dem zweiten Abschnitt zum Verteilungssystem, das wir haben: man solle mit direkten Geldübertragungen an Kranke, Alte, Bezieher kleiner Einkommen Umverteilungen vornehmen. Nun zitiere ich wörtlich: „Nur so erhalten die Begünstigten ... außer einem höheren Realeinkommen zugleich als mündige Bürger die Freiheit, individuell selbst zu entscheiden, wofür sie es verwenden wollen." Damit bin ich einverstanden, das ist eine gute These. Das heißt aber: Wer von uns verlangt, die mehrjährigen Minderanpassungen der Sozialhilfe zu betreiben, der kann sicher mit dieser vernünftigen liberalen These des Kieler Programms nicht leben.
({8})
In der These 14 des zweiten Abschnitts heißt es: die Marktsteuerung hat ihre Grenzen im Bereich Agrar, Energie, Rohstoff und Wohnungsbau. Damit bin ich einverstanden. Wörtlich heißt es, dort sei „die Marktsteuerung aus sozialpolitischen, außenpolitischen oder gesellschaftspolitischen Gründen ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt". Das ist richtig. Falsch ist es deshalb zu glauben, man könnte eine Position aufstellen, die als zukunftsorientiertes Gesamtkonzept der Wirtschaftspolitik wörtlich folgendes vorschlägt: „Festlegung und Durchsetzung einer überzeugenden marktwirtschaftlichen Politik in allen Bereichen staatlichen Handelns." Wer so etwas verlangt, geht an der Realität der Bundesrepublik meilenweit vorbei.
({9})
These 16 des zweiten Abschnitts: Es müssen - Zitat - „auf begrenzten Gebieten und für einen begrenzten Zeitraum auch direkte staatliche Lenkungsmaßnahmen ergriffen werden". - Richtig. Auch ich bin dafür. Das heißt aber im konkreten Fall, daß wir nicht wie einige von Ihrer Seite und einige andere die Fahne von Privatisierungen bei Bund, Ländern und Gemeinden als Fetisch vor uns hertragen, sondern ruhig nachrechnen und gucken, wo man etwas verändern kann, damit es kostengünstiger wird.
({10})
Zur These 19 des Abschnitts 2: Es geht um wirtschaftliche Beziehungen mit Entwicklungsländern, die „durch Bereitstellung von realen Ressourcen erheblich stärker unterstützt werden sollten als bisher". Wenn man diese These für richtig hält - und ich halte sie für richtig -, müssen sich alle damit
auseinandersetzen, daß das, was man als Welthandelssystem bezeichnet, eben gerade nicht nur einen Ressourcentransfer zugunsten der Stärksten im Sinne einer Liberalisierung entsprechend dem Manchester-Liberalismus beinhalten darf, sondern das fairen Austausch mit der Dritten Welt heißt.
Ich komme zu den Thesen 1 und 6 aus dem dritten Abschnitt. Da sagt die FDP, einseitige Messung materiellen Wohlstands sei unzureichend. Deshalb müsse in die Beschreibung der Qualität des Lebens stärker hinein: höhere Umweltverträglichkeit, sparsamerer Umgang mit Rohstoffen und Energie, Schutz des Verbrauchers, „Förderung und Durchsetzung von menschengerechten Arbeitstechnologien und kooperativen Formen der Arbeitsorganisation". Kolleginnen und Kollegen von der FDP, völlig einverstanden. Wer uns aber ein Denkverbot dahin gehend erteilen will, keine Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes, keine Bekämpfung beruflicher Benachteiligung von Frauen - EG-Anpassung - zu betreiben, keine Fortentwicklung der Produzentenhaftung zu verlangen, und wer eine Diffamierung der beruflichen Rehabilitation betreibt, der muß wissen, daß er mit dieser gutverstandenen FDP-These nicht übereinstimmt.
({11})
Zur These 1 aus dem vierten Abschnitt - damit muß ich leider schon zum Schluß kommen; es reizt mich sehr, die Thesen weiter vorzutragen, aber ich bin leider am Ende meiner Redezeit, es tut mir unendlich leid -:
Dabei werden von der F.D.P.
({12})
- ich sage das doch nur, damit Sie das alle nachlesen können; ich finde es reizvoll, das nachzulesen, was der Koalitionspartner demokratisch beschlossen hat Wege, die dieses Arbeitsmarktproblem im europäischen Rahmen zu lösen suchen, bevorzugt.
Ich bin einverstanden; denn das Arbeitsplatzproblem ist ein europäisches. Nur das heißt: Wer von uns verlangt, EG-Gemeinschaftsregelungen zur Arbeitszeitverkürzung dürften nicht einmal beraten werden, weil dies das Investitionsklima belaste, der - sage ich nur - kann doch nicht ganz dicht sein. Das kann doch nicht wahr sein.
({13})
Hier muß man doch eine europäische Ebene dieses Problems entdecken können.
Zum Schluß: In diesen Thesen wird gesagt, „Vollbeschäftigung braucht stetigen Nachfragezuwachs". Jawohl. Das heißt, weder der einseitig Angebotsorientierte noch der einseitig Nachfrageorientierte weiß einen wirtschaftspolitischen Weg.
Hoffmann ({14})
Deshalb bin ich der Auffassung, daß das, was die Koalition bisher als Basis hat - Ihre Thesen, unser Orientierungsrahmen und die Beschlüsse des Münchener Parteitages -, genug hergibt, um in diesen schwierigen Zeiten eine gute Zukunft zu gestalten. - Danke schön.
({15})
Meine Damen und Herren, zu Punkt 2 der Tagesordnungen liegen für heute keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir fahren morgen früh, 9 Uhr, in den Beratungen zu Punkt 2 der Tagesordnung fort.
Ich rufe jetzt Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 ({0})
- Drucksachen 9/1750, 9/1899 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksachen 9/1965, 9/1967 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Gärtner
Dr. Riedl ({2})
({3})
Meine Damen und Herren, hierzu hat der Herr Berichterstatter um das Wort gebeten. Herr Abgeordneter Esters, bitte.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In Absprache mit den beiden Kollegen Gärtner und Riedl bitte ich, auf Seite 3 des Berichts des Haushaltsausschusses zum Nachtragshaushaltsgesetz folgende Änderung einzuführen: In Abschnitt C, 4. Absatz muß der Satz 5 wie folgt lauten:
Bei den zusätzlichen Stellen im Bereich des Einzelplans 06 erwartet der Ausschuß, daß sich auf Dauer eine Entlastung bei der Zentrale in Zirndorf ergeben wird.
Der darauffolgende Satz wird gestrichen.
Danke schön, Herr Berichterstatter.
Der Ältestenrat schlägt eine Runde zur Aussprache vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitz ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Hoffmann, wir kennen uns ja lange genug. Ich weiß, wie ein gewisser Erregungszustand wirkt. Aber lassen Sie mich einmal ein Beispiel nehmen.
Da ist ein Patient, der eine schleichende Krankheit hat. Er will diese nicht wahrnehmen und versucht immer noch, sie mit homöopathischen Mitteln zu kurieren. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt gerät er in eine Fieberkurve und kann dann nicht mehr klar erkennen, was für ihn nützlich oder nicht nützlich ist. Ich glaube, Sie befinden sich eigentlich in einer doppelten Fieberkurve. Sie sind dabei - und das haben Ihre letzten Ausführungen gezeigt -, noch einmal den Versuch zu unternehmen, etwas zu retten, was eigentlich nicht zu retten ist.
({0})
Man braucht nur draußen vor die Tür zu gehen, um zu erfahren, was da eigentlich los ist. Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Ich will die Erinnerung noch ein bißchen auffrischen, damit das nirgendwo in irgendeiner Form unklar bleibt.
Wir haben die Oppositionsrolle nie dazu benutzt, destruktive Politik zu betreiben.
({1})
Wir haben bereits im Zeitalter der Reformen - daran erinnern Sie sich auch gar nicht gern - darauf hingewiesen, daß Haushaltszuwächse unter Willy Brandt und anderen von mehr als 15 % überhaupt nicht in die Landschaft paßten.
({2})
Das war einfach eine unrealistische Finanzierung. Ursache und Wirkung sollte man nicht verwechseln. Wir haben darauf hingewiesen, daß Ihre Kreditfinanzierung für rein konsumtive Ausgaben mit absoluter Sicherheit an Grenzen stoßen würde. Dies ist mittlerweile in der Tat der Fall. Dann regen Sie sich auf und fragen uns: Was sollen wir da jetzt eigentlich noch tun?
Nun machen Sie doch bitte schön, Opposition, Vorschläge, die unpopulär sind! Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben über große Strecken mitgehalten. Aber halten Sie uns doch nicht für so dumm, daß wir uns all das, was Sie hier erklären, was Sie hier in der letzten Zeit nicht mit uns mitgemacht haben, von Ihnen auch noch aufrechnen lassen. Für so dumm dürfen Sie uns nicht halten.
({3})
Und nun zum Nachtragshaushalt, meine Damen und Herren, der wiederum eine Steigerung von 5,4 Milliarden DM aufweist. Damit steigt der Gesamthaushalt auf rund 246 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme des Stammhaushaltes war nach den ursprünglichen Beratungen im Haushaltsausschuß auf 26,8 Milliarden DM angesetzt. Wir haben schon damals gefragt, ob dies auch realistisch sei. Heute müssen wir feststellen, daß sich die Nettokreditaufnahme für das Jahr 1982 auf 33,9 - also rund 34 - Milliarden DM beläuft.
({4})
Dies bedeutet, daß der ursprüngliche Ansatz der Schuldenaufnahme um mehr als 7 Milliarden DM erhöht wird.
Lassen Sie mich eines feststellen. Herr Bundesfinanzminister, es geht überhaupt nicht um irgend6962
Schmitz ({5})
eine Diskussion, daß Sie einen Nachtrag vorlegen. Das ist die normalste Sache der Welt.
({6})
Darüber reden wir gar nicht. Wir werfen Ihnen lediglich vor, daß Sie einen Nachtrag zu einem Haushalt vorlegen, von dem wir schon gesagt haben, daß er unrealistisch ist. Bereits für 1981 haben wir gesagt, daß die haushaltsmäßige Entwicklung - 1980 erinnert an die Schuldendiskussion - völlig falsch geplant und auch falsch dargestellt worden ist. Im Jahre 1981 legten Sie einen Stammhaushalt mit einer Kreditaufnahme von 27 Milliarden DM vor. Von dieser Größenordnung gingen Sie aus. Das Ist-Ergebnis beträgt allerdings 37,4 Milliarden DM. Herr Kollege Hoffmann, die Erinnerung muß man da noch etwas aufrichten. Auch damals haben Sie die Warnungen der Opposition in den Wind geschlagen. Sie haben nichts berücksichtigt. Insofern gilt der Einwand uns gegenüber, den Sie immer so locker bringen: „Dies war alles unvorhersehbar!" überhaupt nicht und beeindruckt im übrigen niemanden mehr.
({7})
Das, was man Ihnen wirklich vorwerfen muß, ist nicht die Frage, ob eine Milliarde rauf oder runter oder ob Sie ein paar Hunderttausend verschieben oder daß wir hier etwas verändern. Nein, entscheidender Punkt sind die Größenordnungen, in denen Sie sich in den letzten Jahren bewegt haben. Hier muß die Bundesregierung nach und nach eingestehen - heute ist eigentlich der Endzustand erreicht -, daß sie alle Prognosen von vornherein falsch angesetzt hat
({8})
und daß wir - leider Gottes, muß ich dazu sagen, Frau Kollegin - recht behalten haben. Es ist in der Politik ja nicht immer so, daß man sich, wenn man recht behält, darüber freuen muß. Es ist in der Tat so, daß wir es bedauern, daß wir hier recht behalten mußten. Aber der ernsthafte Versuch, sich auf diese Entwicklung durch die deutliche Begrenzung von konsumtiven Ausgaben einzustellen, ist von Ihnen nach meiner und unserer Auffassung überhaupt nie gemacht worden.
Die Gründe, die zur Vorlage des Nachtragshaushaltes in dieser Höhe führen, waren sowohl 1981 wie 1982 bekannt; auf jeden Fall waren sie teilweise bei der Aufstellung, mit Sicherheit jedoch bei der Verabschiedung des Stammhaushalts 1982 bekannt. Die Annahmen, die Sie vorausgesetzt haben, sind nicht eingetroffen. Herr Bundesfinanzminister, das wird Ihnen als ein Bonbon, das man nicht mehr los wird, am Hemd hängenbleiben. Obwohl der Bundesfinanzminister den Haushalt als „stocksolide" bezeichnet hat, garantiere ich Ihnen: Das werden Sie nicht loswerden.
({9})
- Ja, am Stock solide. Vielleicht braucht er diese Krücken noch.
({10})
Unter diesen Voraussetzungen wird es in der Tat wohl ein Geheimnis der Bundesregierung bleiben - für mich ist das in dieser Debatte nur in Grenzbereichen aufgeklärt worden -, daß der Wirtschaftsminister und sein Staatssekretär Schlecht andere Beurteilungen vornehmen, als Sie uns sowohl im Haushaltsausschuß als auch hier vortragen. Das ist schon ein Geheimnis, das eigentlich unerklärbar ist. Vielleicht könnten Sie dazu beitragen, dies aufzuhellen.
Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Verhaltensweisen, bezogen auf diesen Nachtragshaushalt, denen beim Haushalt 1983 gleichen. Was bedeutet es denn, Herr Bundesfinanzminister, wenn wir in der letzten Woche den Antrag vorgelegt haben, diesen Haushalt als unrealistisch zurückzuziehen? Doch nichts anderes, als daß wir Ihnen ein Stück Hilfestellung bieten wollten! Wir wollten Ihnen helfen, zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Sie haben das, wie üblich, mit dem Begriff „Panikmache" abgelehnt, mit „Die Opposition wird ihrer Rolle nicht gerecht" und all dem, was da so kommt. Mit diesen Vorwürfen sind ja mittlerweile einige Leute Weltmeister geworden. Das beeindruckt uns im übrigen auch gar nicht mehr.
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Deswegen prophezeie ich Ihnen, daß uns die Expertenanhörung, die wir im Haushaltsausschuß beantragt haben, in diesen Fragen recht geben wird; leider Gottes, muß man hinzufügen.
Die Opposition, meine ich, hat auch das Recht, zu fragen, wie Sie es mit der Wahrheit halten. Sie kommen ja langsam mit den Zahlen heraus. Diese Zahlen sind eben unbestechlich. Der Nachtragshaushalt wirft im Vorfeld der ganzen Diskussion um den Haushalt 1983 eigentlich mehr Fragen auf, als es Antworten gibt.
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Sie sind davon ausgegangen, Herr Bundesfinanzminister, daß der Haushalt 1982 eigentlich um 4 % steigen würde. Heute kommen Sie - da streiten wir uns nicht um Soll-Soll- oder Ist-Ist-Vergleiche - nahezu an 7 %. Das ist eindeutig zu hoch und, bezogen auf die Last der Gesamtverschuldung des Bundes, nach unserer Auffassung überhaupt nicht vertretbar. Sie setzen die Linie der vergangenen Jahre fort. Es fällt außerordentlich schwer, zu glauben, daß hinter allen Ihren Bemühungen überhaupt noch ein ernsthafter Wille zur Konsolidierung unserer Staatsfinanzen vorhanden ist. Es scheint nach der Methode zu gehen - heute mittag wurde es schon gesagt -: Nach uns die Sintflut!
Was werden Sie eigentlich machen, wenn Sie erfahren, daß die Gesamteinnahmen an Steuern im ersten Halbjahr erheblich gesunken sind? Sie wissen, daß Sie eigentlich vor dem Problem stehen, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, der nahezu überholt ist. Was werden Sie eigentlich tun, wenn sich dies bei
Schmitz ({13})
den Steuereinnahmen so fortsetzt, wenn die Steigerungsrate nicht - wie angenommen - 4,3 % beträgt, sondern die Steuereinnahmen im ersten Halbjahr eine Steigerungsrate von lediglich 2,9 % ausweisen? Das wäre ein Minus von 1,4 %. Dies sind nach unseren Berechnungen mehr als 2 Milliarden DM. Was werden Sie eigentlich antworten, wenn Sie gefragt werden, wie es bei den Verbrauchsteuern aussieht? Das wirkt sich doch aus. Dann müssen Sie doch irgendeine Antwort geben. Oder Sie müssen sagen, wie es bei der Lohn- und Einkommensteuer bzw. bei den Ertragsteuern und der Körperschaftsteuer aussieht,
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wobei ich zugebe, daß es bei der Körperschaftsteuer in der Tat Probleme gibt, die man hier und dort vielleicht anders sehen kann. Das gleiche gilt für die Umsatzsteuer. Was werden Sie tun, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie feststellen, daß Sie die globale Minderausgabe, die Sie mit 900 Millionen DM eingesetzt haben, einfach nicht erwirtschaften können? Hier ist doch die Luft raus; das wissen wir beide doch, darüber brauchen wir uns doch nicht zu streiten! Statt dessen stellen Sie sich hier hin und sagen: „Das ist alles stocksolide."
Wissen Sie, manchmal habe ich den Eindruck - wir sind beide Rheinländer; wir sollten daher ein Stück dessen, was Schönfärberei ist, herauslassen -, daß Sie sich hinstellen und eine Schlacht schlagen, die für viele schon zu einer Geisterschlacht geworden ist.
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Ich habe mich in der Tat gefragt, was den ehemaligen Beamten der EG und jetzigen Finanzminister dazu veranlaßt, hier im Deutschen Bundestag blauäugig Dinge zu verkünden, von denen er jetzt schon weiß, daß sie längst überholt sind. Deswegen müssen wir diese Fragen stellen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen. Wenn Sie mit den Ländern in Verhandlungen über die Frage der Umverteilung der Mehrwertsteuer eintreten, geht es dabei gleichermaßen um Einnahmen wie um Ausgaben. Diese Verhandlungen werden nicht einfach sein.
Dabei stellt sich natürlich auch die Frage nach der Kindergeldmilliarde. Darüber muß geredet werden. Das alles sind Risiken, die diesen Nachtrag belasten.
Deswegen, meine Damen und Herren, sagen wir von der CDU: Solange wir nicht wissen, wie Sie es mit dem ehernen Grundsatz „Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit" halten, ob die Finanzkrise vorhersehbar oder unvorhersehbar war, machen wir ein großes Fragezeichen nicht nur hinter Ihrer Politik, sondern auch hinter diesem Nachtragshaushalt.
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Wenn Sie dann, sofern sich die Sache so entwikkelt, wie ich es gerade dargestellt habe, am Ende des Jahres ankommen - die Kollegen von der SPD und der FDP haben das de facto schon angekündigt und einen zweiten Nachtragshaushalt vorlegen wollen, muß ich Sie fragen: Wie steht es denn eigentlich mit Ihrem Kreditspielraum, Ihrem Kreditrahmen? Den haben Sie doch nahezu ausgeschöpft. Die 3,5 Milliarden DM sind von dieser Regierung sehr schnell verfrühstückt. Ich weiß nicht, ob Sie dann vielleicht erneut von einer Reise nach Saudi-Arabien zurückkommen werden - wobei ich Ihnen gleich empfehlen möchte, die Reisekosten zu sparen; denn die Saudis sind auch nicht mehr so flüssig -, daß Sie sich unter diesen Voraussetzungen hier hinstellen und mit Engelsmiene sagen müssen: „Es geht nicht mehr."
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Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Dieser Nachtragshaushalt wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt.
Lassen Sie mich Ihnen ein Letztes sagen, Herr Bundesfinanzminister. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind, ob Ihnen in dieser auslaufenden Phase bewußt ist, daß Sie nach dem Spott über das Wort „stocksolide" vielleicht noch etwas anderes werden ertragen müssen, nämlich daß man Ihnen sagt - Sie stehen jedenfalls in der großen Gefahr -, ein Finanzminister der Nachträge zu werden.
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Wenn dies die einzige Leistung in dem einen Jahr, seit Sie Finanzminister sind, gewesen ist, war das bitter wenig. Ich gebe zu, Sie haben eine schwere Hypothek übernommen.
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Aber, meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hat Ihnen dies jahrelang gepredigt.
Aus all diesen Gründen lehnen wir den Nachtragshaushalt ab, weil er unsolide ist, weil er mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor knapp drei Monaten haben wir den Nachtragshaushalt für 1982 hier in erster Lesung behandelt und an den Haushaltsausschuß überwiesen. Der Nachtrag war unvermeidlich geworden, weil sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert hatte. Bei der Bundesanstalt in Nürnberg war der Bedarf mit rund 5 Milliarden DM höher, weil wir im Jahresdurchschnitt rund 200 000 Arbeitslose mehr haben werden, als Ende 1981 geschätzt wurde. Für die Arbeitslosenhilfe mußte mehr Geld bereitgestellt werden, als veranschlagt war.
Nach der Ablehnung der vorgezogenen Anhebung der Mehrwertsteuer durch die Mehrheit im Bundesrat mußten Mehrausgaben in Höhe von 237 Millionen DM für die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität bereitgestellt werden.
Die Steuerschätzung vom 9. Juni schließlich ergab ein Minus von 2,1 Milliarden.
Die Opposition ist seit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts im Kabinett nicht müde geworden, immer und immer wieder zu behaupten, sie habe das alles vorausgesehen; man hätte nur auf sie hören sollen, und der Nachtrag wäre vermeidbar gewesen.
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Auch Sie, Kollege Schmitz, haben heute wieder diese rechthaberische Pose eingenommen.
Demgegenüber möchte ich festhalten:
Erstens. Grundlagen für den Haushalt 1982 waren die Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung, wie sie Ende 1981 vorlagen. Die Annahmen der Bundesregierung stützten sich auf den Sachverständigenrat, auf die Bundesbank, auf die Europäische Gemeinschaft, auf die OECD und auf die wissenschaftlichen Forschungsinstitute. Die Annahmen waren also so solide, wie sie es zum seinerzeitigen Zeitpunkt sein konnten.
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Zweitens. Trotz der Sorgfalt, mit der der Haushalt für 1982 aufgestellt worden war, war die Entwicklung ungünstiger, als damals angenommen wurde. Sie war es übrigens nicht nur in unserem Lande, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt.
Drittens. Die nötige Korrektur, die heute zur Beschlußfassung ansteht, ist, gemessen an den Risiken, die auch bei der Verabschiedung des Haushalts 1982 nicht verschwiegen wurden, relativ gering. Sie beträgt rund 2 % des Ausgabenvolumens des Haushalts 1982.
Es wird immer wieder eingewandt, auch die neuen Zahlen seien für den Rest des Jahres mit Risiken behaftet. Das ist auch nicht zu leugnen. Die weltweite Wirtschaftsentwicklung und unsere eigene sind auch von uns nicht mit letzter Sicherheit zu übersehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Lage nach der einen oder der anderen Seite verändert. Wir sind aber bei der Beschlußfassung über den Nachtragshaushalt im Haushaltsausschuß davon ausgegangen, daß wir nach menschlichem Ermessen die Entwicklung einigermaßen solide und zuverlässig vorhersehen. Wir alle, meine Damen und Herren, werden erst dann klüger sein, wenn sich aus der für Mitte November vorgesehenen Steuerschätzung neue Daten ergeben sollten.
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Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt kann heute verabschiedet weden. Er muß heute auch verabschiedet werden.
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Ich möchte noch einmal aufzeigen, wo die Schwerpunkte liegen und warum in den Beratungen im Haushaltsausschuß noch einige Akzente anders gesetzt worden sind.
Da ist zunächst der Mittelbedarf, der sich aus der höheren Arbeitslosenzahl ergibt. Wegen der laufenden Zunahme der Zahl der Empfänger von Arbeitslosenhilfe reichten die für den Nachtragshaushalt vorgesehenen Mittel in Höhe von 900 Millionen DM zunächst nicht aus; sie mußten um 440 Millionen DM erhöht werden.
Auch für die Sprachförderung zur beruflichen Eingliederung von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen reichten die ursprünglich im Entwurf der Bundesregierung vorgesehenen 343,5 Millionen DM nicht aus; hier waren 200 Millionen DM zusätzlich nötig.
Meine Damen und Herren, beim Stichwort „Asylberechtigte" möchte ich darauf hinweisen, daß der Haushaltsausschuß einstimmig 80 zusätzliche Stellen zwecks Beschleunigung der Entscheidung über Asylanträge in Zirndorf beschlossen hat, die nicht zu einer Erhöhung der Personalausgaben führen, weil sie durch Umschichtung an anderer Stelle eingespart werden.
Auch der Mehrbedarf für die Aussiedler ist zum Teil eine Folge der Arbeitsmarktlage. Diese führt dazu, daß die genannten Personengruppen in Ermangelung von Arbeitsplätzen zunächst das Angebot an deutschen Sprachkursen nutzen. Der Mehrbedarf ergibt sich hier, obwohl erhebliche Leistungsbeschränkungen wie die Absenkung des Fördersatzes auf 68 % und eine Verkürzung der Dauer der Maßnahmen auf acht Monate bereits gesetzlich geregelt wurden. Es handelt sich hierbei besonders um die Gruppe der Aussiedler, bei denen der Anteil mit sehr geringen Kenntnissen der deutschen Sprache dauernd wächst. Wie auch bei den Arbeitslosen geht es hierbei um Menschen, die unserer besonderen Solidarität bedürfen.
Solidarität und Hilfe verlangen mit Recht auch die Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz oder Arbeit suchen. Das Jahr 1982 ist für unsere junge Generation besonders kritisch. Aber auch die Jahre bis 1985 sind wegen der geburtenstarken Jahrgänge problematisch.
Ich begrüße es daher sehr, daß die Bundesregierung als Teil der sogenannten Gemeinschaftsinitiative ein auf die Jahre bis 1985 angelegtes Programm zur Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen Jugendlicher beschlossen hat und dafür 400 Millionen DM bereitstellen will.
Schwerpunkte sind der verstärkte Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten auf den von Bund und Ländern vereinbarten Stand - diese Mittel sollen es kleinen und mittleren Unternehmen erleichtern, Ausbildungsplätze anzubieten - und die Aufstockung der Mittel für die Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher um 59 Millionen DM.
Wir haben es im Haushaltsausschuß als Koalition für richtig gehalten, hier nochmals 8 Millionen DM zugunsten des Benachteiligtenprogramms und zu Lasten der Zuschüsse für Investitionen umzuschichten. Das ist uns nicht leichtgefallen. Aber wir wollten mit dieser Entscheidung auf einen aktuellen Engpaß in diesem Herbst reagieren und für rund 2 000 beZander
nachteiligte Jugendliche die Chance zu einer Berufsausbildung eröffnen. Es ist besser, diese Mittel für diesen Zweck jetzt aufzuwenden, damit diese Gruppe ohne Ausbildung nicht die Arbeitslosenzahlen von morgen erhöht.
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Die viel kritisierten und oft gescholtenen Haushaltspolitiker, denke ich, demonstrierten damit erneut, daß sie sehr wohl in der Lage sind, gebotene Prioritäten auch zu setzen.
Meine Damen und Herren, ein zentraler Einwand richtet sich gegen die mit dem Nachtragshaushalt verbundene Erhöhung der Nettokreditaufnahme um rund 7 Milliarden DM und die sich daraus ergebende höhere Schuldenlast. Immerhin, Kollege Schmitz, muß ich darauf hinweisen, daß die Nettokreditaufnahme 1982 einschließlich Nachtragshaushalt um rund 3,5 Milliarden DM unter der Vergleichszahl von 1981 liegt.
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Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß die Kreditfinanzierung zu den wirtschaftspolitischen Instrumenten gehört, die Grundgesetz und Stabilitäts- und Wachstumsgesetz bereithalten und deren Einsatz im Falle einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sogar geboten ist. Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wird j a sicher von niemandem hier bestritten.
Die Kreditfinanzierung im Nachtragshaushalt bedeutet, daß konjunkturbedingte Einnahmeausfälle bei den Steuern und konjunkturbedingte Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit ausgeglichen werden. Damit leistet der Bundeshaushalt einen Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaftsentwicklung und zur Vermeidung einer kumulierenden Abwärtsbewegung.
Es bleibt die Frage, ob die Höhe dieser Summe angesichts der Lage auf dem Kapitalmarkt auch vertretbar ist. 1981 betrug die gesamte Kreditaufnahme 235 Milliarden DM. Davon entfielen 76 Milliarden DM auf den Staat.
Vor diesem Hintergrund stellt ein Betrag von 7 Milliarden DM schon eine relevante Größenordnung dar, die allerdings vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Geldvermögensbildung und der Geldpolitik gesehen werden muß. Ich kann insgesamt vom Volumen her eine Überforderung des Kapitalmarkts nicht erkennen. Auch die Senkung des Diskont- und des Lombardsatzes am 27. August signalisiert, daß im Vergleich zur ersten Lesung des Nachtrags am 23. Juni eine leichte Entspannung eingetreten ist.
Ein ernstes Problem, das hier bereits vom Kollegen Schmitz, aber auch in der Debatte vorher angesprochen wurde, sind auch in meinen Augen die Zinsbelastung künftiger Haushalte und die damit verbundene Umverteilung. Die Zinsausgaben im Bundeshaushalt sind mit 23,2 Milliarden DM veranschlagt und nähern sich der 10 %-Grenze. Der Anstieg der Zinsbelastung stellt zweifellos ein ernstes Problem dar. Diese Verpflichtungen stellen eine Vorwegfestlegung von Haushaltsausgaben und eine
Belastung für die künftige Gestaltung der Finanzpolitik dar. Angesichts der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die sich vor allem in einer Arbeitslosenquote von rund 7 % ausdrückt, muß dies meiner Meinung nach allerdings hingenommen werden. Die Verschuldung ist unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung und im internationalen Vergleich gesehen nicht besorgniserregend überhöht, aber ohne jeden Zweifel ist sie hoch, und wir sehen dies selbstverständlich nicht ohne Bedenken.
Kollege Schmitz, wir haben uns übrigens entgegen dem, was Sie hier wieder gesagt haben, immer dafür ausgesprochen, die öffentlichen Defizite zurückzuführen. Daran halten wir auch fest. Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, bleiben wir aber auch dabei, daß es vertretbar ist, konjunkturell bedingte zusätzliche Ausgaben durch Erhöhung der Kredite des Bundes zu finanzieren.
Die SPD-Fraktion hält daran fest, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wichtiger ist als ihre Finanzierung, aber die Finanzierung ist auch nötig. Darauf haben die Arbeitslosen und ihre Familien einen Anspruch. Unsere familienpolitischen Besorgnisse beginnen auch nicht erst beim Splittingvorteil für die Einkommensgruppen über 100 000 DM pro Jahr.
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Die Familien der Arbeitslosen und die Sorgen in den Familien, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, werden von uns nicht zynisch beiseite geschoben.
Der Nachtragshaushalt finanziert nicht nur die zusätzlichen Mittel für Nürnberg, er enthält wichtige Ansätze, die zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zum Abbau von Arbeitslosigkeit beitragen werden.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau erhält eine Kapitalzufuhr von 140 Millionen DM. Mit den im Haushalt 1982 bereits veranschlagten 160 Millionen DM war sie in der Lage, für 1,3 Milliarden DM zinsgünstige langfristige Kredite für kleinere und mittlere Unternehmen mit einem Investitionsvolumen von insgesamt weit über 3 Milliarden DM bereitzustellen. Bisher wurden mit dem Programm im Jahre 1982 rund 14 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 140 Millionen DM erlauben eine Fortsetzung dieses Programms und damit die Schaffung weiterer 12 000 Arbeitsplätze durch zinsgünstige Kredite. Dabei sind die durch dieses Programm stabilisierten, erhaltenen Arbeitsplätze überhaupt noch nicht einbezogen.
Es ist im übrigen darauf hinzuweisen, daß die Mittel nach Abfluß der tilgungsfreien Jahre zurückfließen und erneut als Kredite bereitstehen. Zusätzliche zinsgünstige Darlehen für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und für Umweltschutzmaßnahmen kann auch das ERP-Sondervermögen jetzt verstärkt gewähren. Auch damit werden Arbeitsplätze geschaffen.
Die erhöhten Ansätze für die Förderung der Berufsausbildung Jugendlicher in Einzelplan 11 und 31 habe ich bereits erwähnt.
Auch im Bausektor mit dem Schwerpunkt Modernisierung und Energieeinsparung werden mehr Mittel im Jahre 1982 bewilligt. Damit wird Arbeit für die Bauwirtschaft geschaffen. Mehr als ein Drittel der 800 Millionen DM, die bis 1985 hierfür vorgesehen sind, können nach Verabschiedung des Nachtragshaushalts noch im laufenden Jahr in Aufträge umgesetzt werden. Damit ist in diesem Jahr ein Auftragsvolumen in Höhe von 0,5 Milliarden DM möglich.
Meine Damen und Herren, auch die schwierige Lage beim Stahl findet Berücksichtigung. 9,25 Millionen DM werden beim Stahlstandorteprogramm zusätzlich bewilligt. Die verzerrte Wettbewerbslage in Europa - bedingt durch die Subventionspraxis in anderen Ländern - hat die Bundesregierung bisher bereits veranlaßt, der Stahlindustrie die Flankierung der Neustrukturierung zuzusagen. Mit der Verpflichtungsermächtigung von 28 Millionen DM für ein Projekt in Dortmund wird diese Zusage auch im Nachtragshaushalt erneut unterstrichen.
Diese Ansätze sind ein bescheidener Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, aber sie sind von Bedeutung für die Sicherung von Beschäftigung und für neue Arbeitsplätze über die Ansätze im ordentlichen Haushalt 1982 hinaus.
Meine Damen und Herren, wir brauchen diesen Beitrag so bald wie möglich. Darum bitte ich Sie, dem Nachtragshaushalt zuzustimmen. - Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich knüpfe gerne an die Vorrede meines Kollegen an. Er sagte, daß konjunkturelle Ereignisse im Nachtragshaushalt durch Kreditaufnahme nachfinanziert werden müßten. Darüber, was konjunkturell und strukturell ist, müssen wir uns in Zukunft wohl noch genauer absprechen. Strukturell ist einiges in dem Nachtragshaushalt darin, wovon ich der Meinung bin, daß man es vorher hätte vermeiden können.
({0})
Wenn man weiß, daß es ein politischer Vorgang ist, wenn die Zahl der Arbeitslosen festgesetzt wird, wenn man beispielsweise 1,6 oder 1,7 Millionen zugrunde legt und dementsprechend einen niedrigeren oder höhereren Betrag einsetzt - so ist es bei den letzten Koalitionsverhandlungen geschehen -, weiß man auch, daß man durch politische Zahlen auch die Schwelle, die man zu überspringen hat, wenn man Einsparungen vornimmt, heruntersetzen kann. Das rächt sich immer beim Nachtragshaushalt. Das ist heute der Fall. Vor diesem Hindergrund müssen wir, wie ich glaube, bei den Haushaltsberatungen 1983 sehr, sehr sorgfältig vorgehen. Eines wollen wir schließlich nicht, nämlich daß sich im Jahre 1983 wiederholt, was wir jetzt im Jahre 1982 zur Kenntnis nehmen müssen und was auch im Jahre 1981 schon
der Fall war: daß die Kreditaufnahme sukzessive, in mehreren Schritten weiter erhöht wird.
({1})
Wir verabschieden den Nachtragshaushalt aber auch deswegen jetzt, weil wir nicht nur jene strukturellen und konjunkturellen Ausgaben nachfinanzieren müssen, sondern auch wollen, daß die im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative beschlossenen Maßnahmen nun endlich angewendet werden können. Voraussetzung dafür ist, daß dieser Nachtragshaushalt beschlossen wird. Wir erhoffen uns dadurch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und eine Tendenzwende in der Stimmung - hin zu mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen. Dies hat mein Vorredner auch dargestellt. Man muß jedoch ganz deutlich sehen, daß die tatsächliche Haushaltslücke am Jahresende sehr wahrscheinlich wieder größer sein wird, als sie jetzt im Nachtrag veranschlagt ist. Dieses ist nicht verwunderlich. Einen Teil haben die Kollegen von der Opposition selber mit zu verantworten, und zwar dann, wenn es z. B. darum geht, in den Verhandlungen zwischen den Ländern den Mehrwertsteueranteil festzulegen und den Finanzausgleich zwischen den Ländern auszuhandeln. Man muß anerkennen, daß der Bund immer mehr Aufgaben übernommen hat und übernehmen mußte, sein Steueranteil aber gleichzeitig gesunken ist. Zur Lösung dieses Problems bedarf es der Mithilfe und der konstruktiven Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
({2})
Ein Risiko darüber hinaus ist natürlich das Problem der Steuereinnahmen. Für den jetzigen Nachtragshaushalt ist die Steuerschätzung vom Juni dieses Jahres die Basis. Im September werden sich die Zahlen ändern. Das ist klar. Das hat der Finanzminister auch in bemerkenswerter Offenheit dargelegt. Er wird es vielleicht gleich noch einmal sagen. Es ist ein vernünftiges Verfahren: jetzt schon festzustellen, daß dann, wenn sich die Daten ändern, wahrscheinlich noch etwas nachfinanziert werden muß.
Es kann auch sein, daß dies im Bereich der Arbeitslosenhilfe notwendig wird. Wir haben uns auf unserer Klausurtagung im Saarland sehr intensiv mit den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit befaßt. Wir haben es dabei mit einem Schätzproblem und mit einer politischen Komponente zu tun. Das Schätzproblem besteht darin, abzuschätzen, wieviel Hilfeempfänger mit welchem Pro-Kopf-Leistungssatz wir in diesem Jahr haben werden. Die politische Komponente besteht darin: Was gibt die Bundesanstalt für Arbeit vor, und was nimmt das Haus - gemeint ist der Arbeitsminister - davon an? Hier gibt es Unterschiede. Ich begrüße es, wenn das Haus - in diesem Fall der Bundesarbeitsminister - den Daumen daraufhält, damit man sorgfältiger und knapper kalkuliert, als es in der Vergangenheit in Nürnberg getan worden ist.
Der Nachtragshaushalt 1982 wirft natürlich ein gravierendes Problem auf: Es ist klar, daß wir die in
Art. 115 des Grundgesetzes gesetzten Grenzen überschreiten.
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Meine Kollgen von der Opposition, Sie wissen aber genausogut wie ich, daß die Investitionsausgaben auch ein Definitionsproblem darstellen. Wenn man weiß, daß im konsumtiven Teil unseres Haushaltes z. B. auch Investitionsausgaben für die Bundeswehr enthalten sind, die einem großen Block ausmachen, weiß man auch, wie relativ die Aussage ist. Nichtsdestotrotz bleibt der Verfassungsanspruch bestehen. Dennoch möchte ich Sie, die Kollegen der Opposition, darauf hinweisen - vielleicht haben viele von Ihnen das noch nicht zur Kenntnis genommen -, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem der Rechtsausschuß den Antrag der Kollegen der CDU/CSU diskutierte, den Nachtragshaushalt aus verfassungsmäßigen Gründen abzulehnen, im Haushaltsausschuß eine Vorlage existierte, mit Ausgaben für den Verteidigungshaushalt, welcher mit den Stimmen aller Fraktionen zugestimmt worden war. Mithin ist also das Problem für viele Kollegen in Ihrer eigenen Partei wohl doch nicht so gravierend, oder das Problembewußtsein ist nicht da; Sie sollten sich das einmal ansehen.
Das eigentliche Problem bei der Verschuldung ist für mich jedoch eines, das auch vom Verein für Socialpolitik aufgeworfen worden ist. Hier darf ich mit Genehmigung des Präsidenten einmal aus einem Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen" von gestern über eine der Veranstaltungen der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik zitieren. Auf dieser Veranstaltung machte der Verfassungsrechtler Professor Dr. Kirchhof
... auf die Grenzen aufmerksam, die das Grundgesetz der Staatsfinanzierung durch Steuern und Kredite setzt. Das demokratische Prinzip der Machtausübung auf Zeit ist laut Kirchhof gefährdet, wenn die Parlamente ihren Nachfolgern unabdingbare Schulden hinterließen, die deren Spielraum einengten. Der „Zugriff auf die Zukunft" für staatliche Kreditaufnahme sei nur gerechtfertigt, wenn damit solche Investitionen finanziert würden, die die Zukunft begünstigten.
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Hier ist in der Tat ein Problem, über das wir gemeinsam nachdenken müssen. An diesem Problem werden, wenn Sie sich die Kreditaufnahme in den Ländern ansehen, auch Sie, verehrte Kollegen der Opposition, nicht vorbeikommen. Die Tatsache, daß wir mit der Kreditaufnahme und der nachfolgenden Zinslast im Einzelplan 32, Bundesschuld, so hoch liegen, daß die Manövriermasse im Bundeshaushalt immer geringer wird, beleuchtet, daß dieses Problem zu Recht auch beim Bundeshaushalt angesprochen werden kann.
Im Nachtragshaushalt gibt es einen neuen Posten, den Sie vorher in der Vorlage nie gesehen haben. Wir haben dort 200 Millionen DM beim Alpha-Jet eingespart, die auf Grund von Änderungen hinsichtlich der Währungsparitäten nicht benötigt worden sind. Ich halte das für gerechtfertigt - wir haben
das in der Koalition übereinstimmend gemacht -, weil wir glauben, daß solche Beträge dann, wenn sie nicht abfließen, nicht im Ressort als Sparbüchse verbleiben dürfen, sondern dort eingesetzt werden müssen, wo es sinnvoll ist, nämlich bei der Senkung der globalen Minderausgabe; so ist es auch geschehen.
Im Einzelplan 14 ist ein Vorschlag entsprechend der Regierungsvorlage, den wir zwar angenommen haben, der mich aber sehr bedenklich stimmt. Es geht um die Kürzung um 100 Millionen DM bei den Ausgaben für Benzin zugunsten der Beschaffung bei Flugzeugen. Nicht die Tatsache, daß bei Flugzeugen zusätzliche Mittel benötigt werden, ist das Problem, sondern die Tatsache, wie mit dem Titel Benzin umgegangen wird. Beim Haushalt 1981 mußten wir, als die Sperre von 10 % vom Finanzminister ausgebracht wurde, erleben, daß danach von Teilen der Bundeswehr die Behauptung gezielt in Umlauf ge- bracht worden ist, die Bundeswehr sei nicht mehr einsatzfähig. Dieses stimmte, wie wir im nachhinein festgestellt hatten, nicht. Dennoch haben wir auf Grund des öffentlichen Druckes damals im Nachtragshaushalt Gelder nachbewilligt. Hier müssen wir nun erleben, daß im Nachtragshaushalt Gelder aus diesem Titel freigesetzt werden. Das bringt mich zu der Überzeugung, daß dies ein Manövriertitel des Hauses ist. Wir sollten uns beim Haushalt 1983 sehr wohl ansehen, ob die zusätzlichen 20 %, die dort für Benzin gefordert werden, wirklich berechtigt sind.
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Ein letzter Punkt, den ich gern ansprechen möchte, ist der Punkt Personal: Wir als Haushälter haben unseren alten Grundsatz wahrgemacht, daß wir neues Personal nur unter der Voraussetzung bewilligen, daß es aus dem eigenen Fleisch geschnitten wird. So sind 80 neue Stellen zur Bewältigung der Asylproblematik aus dem Personalbestand des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes und des Innenministeriums geschnitten worden. Ich halte diese Lösung für beispielhaft. Sie sollte auch bei zukünftigen Maßnahmen beschlossen werden.
Zusätzlich dazu haben wir § 20 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes 1982 so geändert, daß es den Forschungsinstituten ermöglicht wird, 15 % der Stellen, die wir mit einem kw-Vermerk versehen hatten, nach horizontaler und vertikaler Methode umzusetzen. Das heißt, wir haben dort eine Flexibilität geschaffen, in einem Bereich, der nicht streng bürokratisch aufgebaut ist, in dem eine Flexibilität aus systemimmanenten Gründen da sein muß. Das beleuchtet auch, daß wir im Haushaltsausschuß nicht nur sture Köpfe sind, sondern daß wir durchaus in der Lage sind, dort, wo es berechtigt ist, von einmal gefaßten Beschlüssen abzugehen. Dies soll auch ein Indiz dafür sein, daß wir im Haushaltsausschuß die Wünsche der Kollegen in anderen Ausschüssen, aber auch die Wünsche der Bürger aufnehmen und umsetzen.
Abschließend möchte ich feststellen, meine Fraktion stimmt dem Nachschlagshaushalt zu. Sie wünscht sich jedoch, daß im Jahre 1983 ein Nachtragshaushalt nicht zu sein braucht.
Dr. Zumpfort Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten Schmitz ({0}) und Riedl haben vor einigen Tagen in einer Pressekonferenz einiges zum weiteren Verfahren beim Nachtrag ausgesagt. Ein ganz finsteres Scenario ist da aufgebaut worden, das dann am 11. November zum Sturz der Regierung führen müsse.
({1})
Als ich Sie gehört habe, Herr Schmitz ({2}), habe ich mich in rheinischer Verbundenheit daran erinnert, daß am 11. November Karnevalsanfang ist. Sie haben da heute schon ein bißchen vorgegriffen. Das kann ich Ihnen nun nicht ganz ersparen.
Zunächst einmal: Wie ist das mit dem „Finanzminister der Nachträge"? Es kann ja nie schaden, in die Archive zu gucken. Der von uns allen - jedenfalls von mir - verehrte Finanzminister Schäffer, der war der Meister der Nachträge. Der hatte nämlich 1951 einen, 1952 einen, 1955 drei, 1956 vier - ich weiß nicht, ob er 1957 noch Finanzminister war - Nachtragshaushalte vorgelegt. Insgesamt komme ich für die Zeiten, in denen wir noch nicht in der Großen Koalition zusammen waren, zwischen 1951 und 1964, auf immerhin 16 Nachträge.
({3})
Der ja doch zumindest von Ihnen verehrte Finanzminister Franz Josef Strauß hat dann am 30. Dezember 1966 auch noch einen eingebracht. Zwischen 1966 und 1975 hatten wir Ruhe. Dann hatten wir in der Tat 1975 einen, 1978 einen, 1979 zwei, 1980 und 1982.
({4})
- Das hat doch damit nichts zu tun. Die Vorgänger haben doch nicht Geld zurückgegeben. Womit hat das zu tun? Ganz einfach, Herr Schmitz: Wenn die wirtschaftlichen Zeiten undurchsichtig und schwierig werden, dann ist ja wohl gerade der Nachtrag die vom Haushaltsrecht gebotene Antwort auf sich im Jahresverlauf verändernde Daten.
({5})
Nun haben Sie eben gesagt, ich hätte das so wie ein Bonbon am Mantel oder am Hemde: „stocksolide". Das bezog sich nicht auf den Nachtrag, sondern auf den Entwurf 1983. Aber Sie haben ja die Generaldebatte eh fortgesetzt. Noch einmal langsam und zum Mitschreiben: Dieses Wort „stocksolide" hat sich auf einen einzigen Tatbestand bezogen - wie Sie leicht nachlesen können im Protokoll der Bundespressekonferenz vom 1. Juli -, nämlich darauf, daß aus der damals gegebenen Datenlage die Konsequenzen für den Haushaltsentwurf 1983 in der Tat stocksolide gezogen worden sind.
({6})
Hier darf ich mit einem einzigen Wort auf die Generaldebatte zurückkommen. Ich darf mich im übrigen, was den Nachtrag angeht, für die faire Behandlung im Haushaltsausschuß durch alle Fraktionen herzlich bedanken. Herr Carstens, ich habe Sie heute nicht wiedererkannt. Aber das ist nun mal eine Temperamentssache. Nur: Sie haben an einem Punkt mir vorgeworfen, ich hätte die Unwahrheit gesagt. Herr Carstens, in Erinnerung an eine langjährige gute Zusammenarbeit: entweder Sie belegen das mit der „Unwahrheit", oder ich würde Sie herzlich bitten, das zurückzunehmen. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.
({7})
Ich habe weder im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf 1983 noch mit dem Nachtrag irgendwo an einem Punkt bewußt die Unwahrheit gesagt.
Herrn Schmitz muß ich bitten, was den Nachtrag angeht, dann den Bundestag komplett zu informieren, wie Herr Zander dies getan hat. Er besteht ja aus zwei Blöcken. Der eine Block ist Anpassung an die veränderte wirtschaftliche Entwicklung nach dem in der Bundeshaushaltsordnung dafür vorgesehenen Verfahren. Er besteht zweitens aus der Umsetzung der Gemeinschaftsinitiative - Mehrausgaben, die nicht nur sinnvoll sind, sondern die wir an anderer Stelle ja auch eingespart haben. Die Rechnung geht sogar ziemlich genau auf. Wir haben mit dem Nachtrag nicht nur passiv nachvollzogen, sondern wir haben uns schon bemüht, auch präzise zu gestalten.
Einschließlich Nachtrag, Herr Schmitz - und jetzt bin ich wieder bei unserer rheinischen Verbundenheit -, sagen Sie dann: Ich will mich nicht streiten, Soll-Soll oder Ist-Ist; also sagen wir: 7 %. - Die Nichtkenner müssen wissen: 7 % sind genau die Rate, mit der die Opposition im Haushaltsausschuß immer hausieren gegangen ist, nur daß sie nicht zutreffend ist. Also, die zutreffende Rate ist nicht 7, sondern 5,6%. Wir können es j a nicht nach Art einer Radiostation machen, die der eine oder andere hier kennt, die ich aber nicht zitieren will.
Sie kennen die Mehrbelastungen aus dem Nachtrag 1982, die sich aus der Zahl der Arbeitslosen ergeben. Das war der Hauptbrocken, das ist der Hauptpunkt. Wir haben versucht, im Haushaltsausschuß die Zahlen fortzuschreiben, um ein sicheres Bild zu gewinnen. Ich hoffe, daß wir mit dem, was wir eingesetzt haben, bis zum Jahresende hinkommen können. Ich will Ihnen gleich dazu sagen, daß wir nicht ganz sicher sein können.
Als zweiten großen Faktor haben wir Steuermindereinnahmen, die sich aus der Steuerschätzung im Juni ergeben.
Im wesentlichen bedingen diese beiden Faktoren
- die anderen Positionen heben sich gegenseitig auf
- also die zusätzliche Nettokreditaufnahme, von der hier gesprochen worden ist. Ich will die Maßnahmen nicht noch einmal im einzelnen aufführen; das hat Fred Zander nun wirklich eindrucksvoll getan.
Letzte Frage, Herr Schmitz: Bestehen weiterhin Risiken? Sie fragen: Was werden Sie denn tun, wenn ...? Ich sage Ihnen ganz offen: Es bestehen
weiterhin Risiken. Ich weiß nicht genau, wie der EG-Haushalt abgerechnet wird. Das kann ich jetzt auch gar nicht wissen. Ich frage zurück: Wie würden Sie denn reagieren? Ich weiß heute nicht genau - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen -: Wie verhält sich der Körperschaftsteuerzahler zwischen jetzt und Jahresende? Das kann ich auch gar nicht wissen.
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Ich frage Sie zurück: Wie würden Sie denn darauf reagieren? Sie fragen: Was werden Sie tun, wenn andere Steuern ...? Kann j a sein, daß bei der Mehrwertsteuer das Aufkommen weit unten bleibt, insbesondere deshalb, weil wir nach wie vor einen relativ hohen Ausfuhrüberschuß haben.
Ich gebe Ihnen zu: Es gibt auf der Einnahmenseite verbleibende Restrisiken. Es gibt auf der anderen Seite möglicherweise auch noch kleinere positive Korrekturmöglichkeiten. Alles das, Herr Schmitz, werden wir Ihnen, sobald wir es kennen, im Haushaltsausschuß vortragen und dann in die durch die Bundeshaushaltsordnung vorgesehene Form bringen. Deswegen wiederhole ich das, was ich im Haushaltsausschuß auf eine Frage von Herrn Carstens gesagt habe: Wir werden dies dann, wenn es notwendig sein sollte, miteinander in Form eines zweiten Nachtragshaushalts tun, und zwar nach Kalendern, die es uns erlauben, mit dem Problem der Kreditermächtigung und auch dem Abschluß vor Jahresende ordentlich fertig zu werden.
Ich will diese Risiken überhaupt nicht herunterspielen, würde Sie allerdings erneut bitten, nicht den Eindruck zu vermitteln, als sei der Nachtrag in sich schon etwas Unsolides. Er ist es nicht. Er ist die vorgegebene Form, mit noch nicht abschätzbaren Risiken fertig zu werden.
Ich will ein verbleibendes Risiko nennen, das sich möglicherweise bis dahin aber für 1982 aufgeklärt haben wird, nämlich die Frage der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern. Bis dahin mag vielleicht ein Zwischenergebnis da sein. Auch das werden wir dann einarbeiten müssen. Dadurch könnte sich - ich will es vorsichtig sagen - die Nettokreditaufnahme zum Jahresabschluß noch einmal
etwas höher stellen. Ich glaube nicht, daß die Beträge noch sehr wesentlich sein werden. Aber es gibt keinen anderen Weg, damit fertig zu werden.
Niemand wird von mir verlangen wollen, daß ich ein Umsatzsteuerverteilungsergebnis zugunsten der Bundesländer beim Bund durch zusätzliche Kürzungen im Sozialbereich beantworte oder ein Ähnliches tue, wenn die EG-Zahlen etwas anders ausfallen, oder etwas Ähnliches tue, beispielsweise im Einzelplan 14 streiche, wenn sich im Körperschaftsteuerverhalten, im Ist-Verhalten, Korrekturen nach unten ergeben. Es geht da nicht anders. Es ist auch ordentlich, es ist auch solide so. Deswegen darf ich Sie bitten, diesem Nachtrag zuzustimmen. - Schönen Dank, Frau Präsidentin.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über das Nachtragshaushaltsgesetz 1982 auf Drucksache 9/1965. Ich lasse zuerst über die Nachträge zu dem Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 auf dieser Drucksache abstimmen. Wer dem Nachtragshaushalt zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist mit Mehrheit so beschlossen.
Ich komme jetzt zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 ({0}), ebenfalls auf Drucksache 9/1965, und rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer diesem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Nachtragshaushaltsgesetz 1982 ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Wir sind damit am Ende der heutigen Beratungen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. September 1982, 8.30 Uhr ein. Wir werden mit der Fragestunde beginnen.
Die Sitzung ist geschlossen.