Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/1982

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 9/1948 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung. Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Hennig und die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Scheer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Soell auf: Sind der Bundesregierung die Gründe bekannt, die die Behörden der CSSR veranlaßten, dem in Wien ansässigen Korrespondenten der Rhein-Neckar-Zeitung ({0}), Raymund Hörhager, am 17. August d. J. die Einreise in die ČSSR zu verweigern? Bitte, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, die Bundesregierung hat nach Bekanntwerden der Weigerung der Regierung der CSSR, Herrn Raymund Hörhager am 17. August 1982 zu einer etwa siebenstündigen Exkursion in die CSSR einreisen zu lassen, das tschechoslowakische Außenministerium um Erläuterung des Sachverhalts gebeten. Sie erhielt daraufhin die Auskunft, Herr Hörhager sei in der ČSSR zur Zeit unerwünscht. Die Gründe hierfür lägen „in seinem Verhalten". Es ist zu vermuten, daß hiermit auf die Berichterstattung des Korrespondenten über die ČSSR angespielt wurde.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß zur gleichen Zeit Vertreter anderer deutscher Zeitungen ungehindert einreisen konnten?

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Ja, Herr Kollege, das ist der Regierung bekannt. Während der letzten 12 Monate sind alle Anträge deutscher Journalisten - außer diesem einen - auf Erteilung von Sichtvermerken für die Einreise in die CSSR im Ergebnis positiv beschieden worden.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Soell auf: Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um künftig eine faire Behandlung von Journalisten der Bundesrepublik Deutschland durch Behörden der ČSSR zu sichern? Bitte, Frau Staatsminister.

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Die Bundesregierung hat in dem vorliegenden Fall wie in allen anderen Fällen der Behinderung der Tätigkeit deutscher Journalisten in der ČSSR die tschechoslowakische Regierung um Rücknahme der diskriminierenden Maßnahmen ersucht. Sie hat dabei auch auf Ministerebene, zuletzt im Gespräch zwischen Bundesminister Genscher und dem tschechoslowakischen Außenminister Chnoupek im Dezember 1981, deutlich gemacht, daß diese im Widerspruch zu bilateralen deutsch-tschechoslowakischen Abmachungen und zur Schlußakte von Helsinki stehen. Die Bundesregierung wird erforderlichenfalls auch in Zukunft bilateral oder im multilateralen Rahmen darauf hinwirken, daß deutschen Journalisten die ungehinderte Ausübung ihres Berufes ermöglicht wird.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gibt es Gespräche oder Verhandlungen zwischen Bonn und Prag über Mindestbedingungen für die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten, ober hält die Bundesregierung dies nicht für notwendig?

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Da außer in dem einen genannten Fall bisher keine Visa verweigert wurden, haben wir darüber bisher noch keine Gespräche geführt. Falls sich solche Fälle wiederholen sollten, werden wir dies auch im Rahmen der Madrider Nachfolgekonferenz einmal zur Sprache bringen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Czaja auf: Ist die Bundesregierung bei präziser Übersetzung der Erklärung von Versailles der Auffassung, dort sei für den Osthandel Vernunft bei der „Gewährung von Ostkrediten" ({0}) beschlossen worden, oder ist die Übersetzung der Dokumentation des „EuropaArchivs" von „limitation" mit „Begrenzung der Ausfuhrkredite" richtig, und in welcher Nummer der Bonner Erklärung vom 10. Juni 1982 sind - worauf die Bundesregierung in der Antwort auf Frage 5 in Drucksache 9/1939 verweist - „Finanzbeziehungen zu den Staaten des Warschauer Paktes auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage" beschlossen worden? Bitte, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege Czaja, da Sie sich in Ihrer Frage 5 vom August 1982 ausdrücklich auf die Bonner Erklärung des NATO-Gipfels vom 10. Juni 1982 bezogen hatten, war die Bundesregierung in ihrer Antwort in erster Linie auf dieses Dokument eingegangen und hatte nur ergänzend auf die Schlußerklärung des Wirtschaftsgipfels von Versailles verwiesen. Das Zitat, nach dem Sie fragen, findet sich in Ziffer 5 ({0}) der Bonner Erklärung. Hinsichtlich der Aussage der Schlußerklärung des Versailler Wirtschaftsgipfels schließlich gibt es keine Meinungsverschiedenheiten über die Übersetzung des Wortes „limitation" mit „Begrenzung".

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung also der Auffassung, daß für OstWest-Wirtschaftsbeziehungen Ziffer 5 ({0}) der Bonner NATO-Erklärung gilt, wonach politische und Sicherheitsinteressen der NATO entscheidend sind, es also keinen entpolitisierten Osthandel gibt, genauso-wenig wie es einen entpolitisierten Westhandel des Ostens gibt, oder ist sie der Meinung, daß bei den für den Osthandel gewährten Ausfuhrbürgschaften vor allem Risikoüberlegungen entscheidend sein sollen?

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Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Erklärung auf der NATO-Gipfelkonferenz eine Verdeutlichung der Versailler Gipfelerklärung ist. Den Wortlaut können Sie der Ziffer 5 ({0}) entnehmen. Ich lese den entscheidenden Passus vor. Da heißt es: Wir verpflichten uns, die Finanzbeziehungen zu den Staaten des Warschauer Paktes auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage zu gestalten, einschließlich kommerzieller Vernunft auch bei der Gewährung von Exportkrediten. Das ist doch klar und eindeutig.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, abgesehen davon, daß alle Übersetzer - auch das Europa-Archiv - „limitation" nicht mit „Gewährung", sondern mit „Begrenzung" von Ausfuhrkrediten übersetzen, frage ich Sie, ob bei „nuanciertem wirtschaftlichen Vorgehen in Einklang mit den politischen Interessen der NATO, wie es in der Erklärung des Versailler Gipfels ebenfalls heißt, bei Bürgschaften für Ostkredite auch auf Gegenleistungen des Ostblocks zugunsten stabiler Verhältnisse in Europa durch Überwindung der Schranken in Europa und auch der deutschen Teilung im Sinne des HarmelBerichts und der Ziffer 6 des Bonner NATO-Gipfels zu achten ist?

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Herr Kollege, soweit ich den Kern Ihrer Frage verstanden habe, möchte ich noch einmal verdeutlichen, daß es sich hier um zwei Erklärungen und um zwei in Nuancen unterschiedliche Texte handelt. Um hier nicht zu lange Textvergleiche vornehmen zu müssen, bitte ich Sie, doch noch einmal die einschlägige Erklärung des Wirtschaftsgipfels von Versailles in Punkt 3 und dann auch die Ziffer 5 ({0}), die ich vorhin schon vorgelesen habe, nachzulesen. Wenn Sie beide Texte vergleichen, dann werden Sie leicht feststellen können, daß die Erklärung des Bonner NATO-Gipfels eine Verdeutlichung des Textes von Versailles darstellt. Ich stehe Ihnen hier zur Amtshilfe sehr gerne zur Verfügung.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Czaja auf: Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Rahmen des Internationalen Privatrechts bei Auslandslieferverträgen und Lizenzvergabe ins Ausland Rechtswirkungen, die sich aus dem Außenwirtschaftsgesetz ergeben, mit dem Völkerrecht vereinbar sind und daß der „Vertrauenskodex für Tochtergesellschaften und Vertretungen in Südafrika" ebenso wie z. B. Auflagen im Zusammenhang mit der deutschen Hilfe zur Erstellung von Kernkraftwerken im Ausland und Auslandslieferverträge, die die Anwendung deutschen Rechts vereinbaren, „extraterritoriale Rechtswirkungen" haben? Bitte sehr, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, darf ich mir zunächst vier Vorbemerkungen zu Ihrer Fragestellung erlauben, damit ich den Text, den Wortlaut Ihrer Fragestellung dann auch richtig interpretieren kann. Sie sprechen in Ihrer Anfrage vom „internationalen Privatrecht". Es geht aber bei den von Ihnen angeschnittenen Fragen nicht um internationales Privatrecht, sondern um Völkerrecht. Die Hoheitsbereiche von Staaten werden durch das Völkerrecht und nicht durch das Privatrecht abgegrenzt. „Extraterritorialität" ist ein völkerrechtlicher Begriff. Die nächste Vorbemerkung: Sie sprechen von einem Vertrauenskodex für Tochtergesellschaften. Ich gehe davon aus, daß Sie damit den Verhaltenskodex meinen. ({0}) - Das ist also auch schon geklärt. Dann zum Begriff der Extraterritorialität, den Sie verwenden: Dies ist ein neutraler und faktischer Begriff; er enthält keinerlei Wertung. Ihre Frage scheint zu unterstellen, daß jedwede extraterritoriale Rechtswirkung völkerrechtswidrig sei. Dies ist nicht der Fall. Zum Verhaltenskodex selber: Der Verhaltenskodex hat nichts mit dem Außenwirtschaftsgesetz zu tun. Er ist insbesondere nicht etwa auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes ergangen, sondern er trägt - damit komme ich zur Beantwortung Ihrer Frage - den Charakter einer Empfehlung. Hier sind, wie wir alle wissen, die Regierungen auf die freiwillige Mitarbeit der Wirtschaft angewiesen. Die Frage einer extraterritorialen Rechtswirkung stellt sich also nicht, kann sich gar nicht stellen. Was den Vollzug des Außenwirtschaftsgesetzes angeht, so achtet die Bundesregierung selbstverständlich immer darauf, daß sämtliche auf seiner Grundlage ergehenden Maßnahmen mit dem Völkerrecht im Einklang stehen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, da ich nach privatrechtlichen Verträgen und nicht nach Verträgen zwischen Völkerrechtssubjekten gefragt habe - die in diesem Zusammenhang auch gar nicht zur Debatte stehen -, frage ich Sie noch einmal: Ergaben sich nicht bisher aus dem deutschen Außenwirtschaftsgesetz und seinem reichlichen Instrumentarium selbst bei Privatverträgen zulässige Wirkungen nach außen, z. B. im Fall der Sanktionen gegenüber Rhodesien, bei den Vorgängen im Iran, bei den Tochtergesellschaften in Südafrika, bei Nichteinhaltung der Empfehlungen des Verhaltenskodexes und bei Verträgen über Kernkraftwerke in Südamerika?

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Herr Kollege, bei Lieferverträgen handelt es sich immer um Verträge, bei denen wir die völkerrechtlichen Bestimmungen beachten. Wenn in Verträgen über Kernkraftwerke auf die Nichtweitergabevereinbarung abgehoben wird - Non-proliferation-Verträge -, ist das durchaus mit unseren internationalen Verpflichtungen vereinbar.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß Auswirkungen von Privatverträgen auf Dritte von der Bundesregierung nicht als völkerrechtswidrig angesehen werden, auch wenn sie extraterritoriale Rechtswirkungen haben, und wäre die Bundesregierung beispielsweise bereit, der EG für den Handel mit den Ostblockstaaten ähnliche Bestimmungen zu empfehlen, wie sie der Verhaltenskodex für die deutschen Töchter in Südafrika enthält?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich muß leider noch einmal auf den ersten Teil meines Bemühens zurückkommen, Ihnen den Sachverhalt auseinanderzudividieren. Sie vergleichen - wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen - immer Äpfel mit Birnen. ({0}) Ich empfehle Ihnen - ich lade Sie herzlich zu einer Tasse Kaffee ein -, sich mit unserem Völkerrechtsspezialisten zu unterhalten. Ihm gelingt es vielleicht besser als mir, Ihnen diesen sehr komplizierten Sachverhalt auseinanderzudividieren. Es sind wirklich ganz unterschiedliche Sachverhalte, ob man einen Verhaltenskodex als Empfehlung herausgibt oder ob man gemäß unserem Außenwirtschaftsgesetz völkerrechtliche Bestimmungen anwendet. Dieser Unterschied ist so groß, daß dieser Zusammenhang nach Ansicht unserer Völkerrechtsgelehrten im Auswärtigen Amt nicht konstruiert werden kann.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Engelsberger auf: Ist das Erdgasröhrengeschäft überhaupt noch moralisch zu verantworten, nachdem Pressemeldungen zufolge Recherchen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt am Main ergeben haben, daß für die Baumaßnahmen Strafgefangene aus dem Archipel GULag, d. h. insbesondere auch politische Häftlinge, zum Einsatz kommen, und müssen diese Arbeitsplätze nicht mit denen von KZ-Insassen während der Hitler-Diktatur verglichen werden? Bitte, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, die Bundesregierung, die sich immer für die Achtung der Menschenrechte sowohl im KSZE-Prozeß als auch bilateral in allen Teilen der Welt einsetzt, nimmt Pressemeldungen über den angeblichen Einsatz von Strafgefangenen, darunter auch politischen Häftlingen, beim Bau der Erdgasleitung Sibirien-Westeuropa sehr ernst. Sie hat sofort Anstrengungen unternommen, die Meldungen im Rahmen der ihr gegebenen Möglichkeiten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Trotz ihrer Bemühungen ist es ihr bisher nicht gelungen, den Beweis für die Richtigkeit der Meldungen oder den Gegenbeweis zu erbringen. Solange nicht eindeutig feststeht, ob die vorgenannten Meldungen zutreffen, hält die Bundesregierung eine Äußerung zu den moralischen Aspekten des Geschäftes, auf die Sie abheben, nicht für zweckmäßig.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage, bitte.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist Ihnen die Sendung des „ZDF-Magazins" von gestern abend bekannt, wonach es etwa 100 Zeugen für den Einsatz von Zwangsarbeitern und politischen Gefangenen beim Bau der Erdgas-Pipeline gibt, und ist der Bundesregierung der Bericht des Rußlanddeutschen Andreas Ebel in der „Welt" vom 28. August 1982 über den Einsatz von Strafgefangenen und politischen Gefangenen beim Bau der Pipeline sowie ein Bericht in der „Welt" vom 31. August 1982 mit der Überschrift „Wie Stalins Nachfolger Strafgefangene zum Bau der Pipeline einsetzen" bekannt, wo unter Hinweis auf eine eindrucksvolle Dokumentation der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt eine Reihe von Zeugenaussagen aufgeführt sind, -

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Verzeihung, Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zur Frage zu kommen.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin bei der Frage, Herr Präsident. Ist das der Bundesregierung bekannt, und werden diese Tatsachen nicht als ein hinreichender Beweis für den Einsatz von Zwangsarbeitern beim Bau der Pipeline angesehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die von Ihnen angesprochene Fernsehsendung habe ich nicht gesehen. Die Dokumentation der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte liegt uns seit Ende August vor. Sie wird geprüft. Ich darf hinzufügen, daß die Bundesregierung die Botschaft in Moskau mehrfach eingeschaltet hat. Wir haben versucht, Informationen mit befreundeten Staaten, darunter den USA, auszutauschen. Wir haben in Moskau akkreditierte deutsche Journalisten befragt, die auf Einladung der sowjetischen Regierung an einer Informationsreise entlang einer Teilstrecke der Erdgasleitung südöstlich von Moskau teilgenommen haben. Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, daß ein deutscher Journalist, ein sehr qualifizierter deutscher Journalist, nach dieser Reise erklärt hat, seiner Einschätzung zufolge könnten nur gut qualifizierte Arbeiter beschäftigt werden. Einen Einsatz von Zwangsarbeitern unmittelbar beim Bau der Leitung habe er nicht feststellen können und könne er sich nicht vorstellen. Auch die amerikanische Seite - vielleicht ist das doch ein sehr gewichtiges Argument - verfügt, jedenfalls zur Zeit, über keinerlei schlüssige Ergebnisse in dieser Frage. Ich möchte noch einmal betonen, Herr Kollege Engelsberger: Die Bundesregierung nimmt diesen Sachverhalt sehr, sehr ernst. Wir müssen aber natürlich, wenn wir den Beweis führen wollen, Tatsachen in der Hand haben, die uns bis zur Stunde nicht vorliegen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß die Diktaturen im Osten westlichen Journalisten jeweils nur die Stellen von Baustellen zugänglich machen, wo der Einsatz von Zwangsarbeitern nicht erkennbar ist, und ist die Bundesregierung bereit für den Fall, daß bewiesen werden kann, daß Zwangsarbeiter und politische Gefangene beim Bau dieser Erdgaspipeline eingesetzt werden, den Erdgas-Vertrag sofort zu kündigen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß ich auf hypothetische Fragen von so gravierender Bedeutung keine Antwort geben kann. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Berichte aus der Dokumentation der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte eben nicht auf die Montage der Rohre, das Schweißen und derartige Arbeiten beziehen, die in der Tat nur von qualifizierten Facharbeitern ausgeführt werden können, sondern auf den Erdaushub und andere grobe Arbeiten, die bei der Vorbereitung und bei Beginn des Baus anfallen, und hat die Bundesregierung solche Strekken geprüft, an denen diese Arbeiten verrichtet werden, um den Wahrheitsgehalt herauszufinden?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann nur noch einmal wiederholen, wie ernst wir sowohl die Dokumentation als auch die Meldungen nehmen und daß wir in engem Kontakt mit befreundeten Staaten stehen, insbesondere mit den USA, und daß bisher eben keine schlüssigen Beweise für diesen Sachverhalt vorliegen.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen; sonst sehe ich nicht, wer sich noch meldet. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, auf wen haben Sie sich bezogen, als Sie zum Ausdruck brachten, daß die „amerikanische Seite" diese Stellung beziehe?

Not found (Gast)

Auf die Auskünfte, die wir in dieser Sache von amerikanischer Regierungsseite eingezogen haben.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Die Fragen 58 des Abgeordneten Lowack, 59 und 60 des Abgeordneten Schartz ({0}) und 32 des Abgeordneten Hupka aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 9 Uhr. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Meine Damen und Herren, im Einvernehmen mit den Betroffenen werden wir die Liste derer, die in den Parlamentsferien Geburtstag gehabt haben, dem Protokoll als Anlage beifügen. Ich beglückwünsche alle, die Geburtstag gehabt haben, recht herzlich. ({0}) Bevor wir mit der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren, darf ich eine Parlamentsdelegation aus der Republik Südafrika recht herzlich auf der Diplomatentribüne begrüßen. Ich wünsche ihr einen recht angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Präsident Stücklen Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Bericht zur Lage der Nation Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich zunächst den freundlichen Geburtstagsglückwünschen an all die nicht namentlich genannten Kolleginnen und Kollegen an. ({0}) Sodann zum eigentlichen Thema: Seit dem letzten Bericht zur Lage der Nation im April des vorigen Jahres sind die Spannungen im West-Ost-Verhältnis größer geworden. Infolgedessen ist auch die Schwierigkeit größer geworden, im Schatten solcher Spannungen Deutschlandpolitik zu betreiben. Die SED und die politische Führung der DDR machen große Anstrengungen, ihr Ansehen und ihre politischen Auffassungen hier bei uns, beim westdeutschen Publikum, zu fördern. Dieses Ansehen hat durch die Verdoppelung der Mindestumtauschsätze sehr schwer gelitten. Die Bundesregierung fordert eine substantielle Korrektur. ({1}) Im übrigen wäre - wenn wir uns einmal in die Rolle der kommunistischen Propagandisten versetzen - das Minimum dessen, was sie aus ihrem eigenen Interesse tun müßten, die Herabsetzung auf das alte Maß wenigstens für Rentner, für sozial schwache Schichten und für Jugendliche. ({2}) Die Ost-Berliner Führung weiß, daß wir die Herabsetzung auf das alte Maß für alle wünschen. Im übrigen wäre dies auch gar keine finanzielle Einbuße für die DDR, denn es würden viel mehr Menschen reisen als heute. Wenn drüben bisher ein solcher Entschluß immer noch nicht gefallen ist, so handelt es sich wahrscheinlich um das Motiv, die Kontaktflächen zwischen beiden Teilen des deutschen Volkes einzuschränken; und ich will bürokratische Rechthaberei als Motiv dabei auch nicht ausschließen. Beides gilt auch für gegenwärtige Behinderungen im Reiseverkehr, z. B. solcher Mitbürger, die früher einmal legal die DDR verlassen hatten. Trotz dieser Belastungen ist es im letzten Jahr gelungen, die deutsch-deutschen Beziehungen und die Lage in und um Berlin in einem ruhigen Fahrwasser zu halten. Meine Zusammenkunft mit Generalsekretär Honecker diente dazu, durch direkten Dialog füreinander verständlicher zu werden und sich gemeinsam der Verantwortung für den Frieden zu stellen. Die deutschen Mitbürger in beiden Staaten erwarteten dabei von uns, daß die Regierungen auf der Basis der abgeschlossenen Verträge und der Schlußakte von Helsinki Beziehungen zueinander unterhalten und vertiefen. Solche Begegnungen sollten nach Überzeugung der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen stattfinden. Sie sollten zum normalen Umgang der beiden deutschen Staaten miteinander werden. Deshalb ist die Bundesregierung auch weiterhin daran interessiert, daß der vereinbarte Gegenbesuch von Herrn Honecker in der Bundesrepublik stattfindet. Über den Termin gab es und gibt es keine Absprachen. Soll dieser Gegenbesuch - was wir wünschen - fruchtbar werden, so muß dazu allerdings das politische Klima der Gesamtbeziehungen zwischen den beiden Staaten in Ordnung sein. Der Bundespräsident und ich haben Herrn Honecker kürzlich zum 70. Geburtstag gratuliert. Dies ist gewiß ein Datum, an dem man zurückblickt. Herr Honecker stammt aus dem Saarland und denkt wohl bisweilen daran - ähnlich wie Herbert Wehner oder Wolfgang Mischnick an ihre sächsische Heimat denken oder Rainer Barzel an Ostpreußen. Deutsche Schicksale ähneln einander. Ich will auch nicht vergessen, daß Herr Honecker zehn Jahre seines Lebens als Gegner der nationalsozialistischen Machthaber im Zuchthaus Brandenburg verloren hat. Von jener deutschen Generation, die das hat ertragen müssen, sind nicht mehr allzu viele unter den Lebenden. Kurt Schumacher ist schon 30 Jahre tot. Wir halten an der Forderung fest, daß Deutsche mit Deutschen reden können. Wir halten daran fest, daß die Hoffnung der Bürger beider deutschen Staaten auf mehr Begegnung und Nähe nicht enttäuscht werden darf. Denn über alles Trennende hinweg ist das Gemeinsame und der Wille zur Gemeinsamkeit lebendig geblieben. Ich habe in diesem Sommer im Urlaub den Ratzeburger Dom besucht. Ratzeburg gehört auch heute noch zum Sprengel des Mecklenburgischen Landesbischofs in Schwerin, zu demselben Sprengel, zu dem auch Güstrow gehört. Beide Dome entstammen der norddeutschen Backsteingotik, die von Schleswig bis ins Baltikum Zeugnis von der gewachsenen Einheit deutscher und europäischer Kultur ablegt. Mich hat dieses doppelte Erlebnis - erst Güstrow in der Deutschen Demokratischen Republik, dann Ratzeburg diesseits der Grenze - innerlich sehr bewegt, auch die Gespräche mit den Menschen in diesen beiden Kirchen. Und so gibt es Millionen Deutsche auf beiden Seiten, die tiefbewegt sind davon, daß sie nicht zueinander können, obgleich sie doch zueinander gehören wollen. ({3}) Wenn es richtig ist - und es ist ja richtig -, daß sowohl der Staatsratsvorsitzende der DDR als auch der Bundeskanzler sagen, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen, dann gehört dazu, daß nicht nur die beiden Regierungschefs miteinander reden, sondern daß die Deutschen insgesamt miteinander in Kontakt bleiben. ({4}) Dies gilt ebenso für den Frieden Europas und für alle Bürger Europas; es gilt für die Polen, die Ungarn, die Tschechen, aber ebenso für Skandinavier, für Österreicher, für Griechen usw.: Wer mit seinem Nachbarn nicht reden und ihm nicht zuhören will, der gefährdet seine eigene Fähigkeit, Frieden mit dem Nachbarn zu halten. ({5}) Und noch viel mehr gilt dies - aus noch vielen anderen Gründen - für Deutsche und Deutsche. Ich unterstreiche die Auffassung des Kollegen Genscher, daß beide deutsche Staaten ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Bündnissystemen wesentliche Beiträge zur Friedens- und Abrüstungsdiskussion leisten können und sollten. Die Sorge um den Frieden ist allerdings keine deutsche Besonderheit. In vielen Ländern der Welt breiten sich Angst und Sorge über die Bedrohungen des Friedens aus. Das Verlangen nach Abrüstung und die Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt finden gerade in diesem Jahr überall vielfältigen Ausdruck. Wir teilen alle diese Sehnsucht. Deshalb bleibt Sicherheit durch ein vertraglich vereinbartes militärisches Gleichgewicht auf niedrigerer Rüstungsebene ein Hauptelement der Friedenspolitik der Bundesregierung. Waffen allein sichern den Frieden nicht auf Dauer, ja sie können nicht einmal allein die Sicherheit auf Dauer verläßlich garantieren. Sicherheit ist nicht einfach das Ergebnis mathematischer Gleichungen. Frieden beruht auf Offenheit und Vertrauen, auf Gespräch, auf Verhandlungen. Wer sich vertragen will, der braucht Verträge! ({6}) Ohne Verträge, insbesondere zur Abrüstung, gibt es keine Sicherheit auf Dauer zwischen West und Ost. Nach langem Widerspruch und langer Debatte hier im Bundestag hat die Bundesrepublik den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen ratifiziert, ist ihm beigetreten. Wir Deutschen haben endgültig darauf verzichtet, über atomare Waffen zu verfügen. Wir halten uns an unsere vertragliche Pflicht. Um so mehr ist die Bundesregierung gerechtfertigt, wenn sie im Namen Deutschlands immer wieder verlangt, daß auch die atomaren Mächte endlich ihren Teil des Vertrages erfüllen. ({7}) Mit innerer Leidenschaft wiederhole ich meinen zweimal vor den Vereinten Nationen ausgesprochenen Appell an die nuklearen Supermächte: Ihr habt euch in dem gleichen Vertrag zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Haltet diese Verpflichtung ein! ({8}) Für die Bundesrepublik als jenes Land, auf das sich die Mehrzahl der neuen sowjetischen Mittelstreckenraketen richtet, sind die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenwaffen in Genf von besonderer Wichtigkeit. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zum Zustandekommen und auch zum Verhandlungsziel dieser Konferenz geleistet. Ich bin überzeugt, daß beide Seiten in Genf mit Ernst verhandeln. Denn auch sie selbst müssen ja große Sorgen haben. Diese Verhandlungen sind erst durch den sogenannten NATO-Doppelbeschluß ermöglicht worden, der die Antwort des Nordatlantischen Bündnisses auf die sowjetische SS-20-Aufrüstung darstellt. Durch diesen Beschluß wird übrigens zum ersten Male eben nicht auf die Vorrüstung der einen Seite automatisch mit Nachrüsten der anderen Seite reagiert. Der Kern dieser Entscheidung liegt vielmehr in dem Vorschlag, gemeinsam vereinbart zu verringern. Er sieht für das Erreichen solcher Vereinbarung eine Frist von vier Jahren vor. Die Vereinbarung soll Gleichgewicht schaffen durch Abrüstung - nicht durch Aufrüstung. ({9}) Die Bundesregierung wird sich weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, daß die Genfer Verhandlungen vor Ende des nächsten Jahres zu einem Ergebnis kommen. Die wirksamste Möglichkeit dafür sehen wir in einer engen Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Aus unserem Festhalten an einem vertraglich gesicherten Gleichgewicht ergibt sich, daß wir auch künftig einseitige Abrüstung der eigenen Seite für ebenso destabilisierend halten wie einseitige Aufrüstung der anderen Seite. Ich füge hinzu: Vertraglicher Verzicht auf eigene Gewaltanwendung bedeutet nicht, auf Widerstand gegen fremde Gewalt zu verzichten, wenn sie die eigene Menschenwürde, das eigene Menschenrecht verletzt. Das bedeutet es nicht! Wir wissen aus Ungarn, aus der CSSR, aus Afghanistan, aus dem Libanon, aus Falkland, aus dem südlichen Afrika: Immer wieder setzen Staaten Gewalt gegen andere Völker ein. Wir erkennen daraus die tatsächlichen Gefahren, in denen wir leben und gegen die man sich sichern muß. Über die militärische Strategie des Nordatlantischen Bündnisses hat in der Öffentlichkeit Nordamerikas und Europas ein heftiger Diskussionsprozeß eingesetzt. Menschen in Nordamerika, in Europa, in beiden Teilen Deutschlands - überall -, die sich für den Frieden engagieren, verlangen Antworten auf ihre drängenden Fragen. Deren Ängste hat der Wiener Kardinal König so gekennzeichnet: Nach einer atomaren Totalvernichtung werde es niemanden mehr geben, der klagen und neu beginnen könne. Er fuhr fort: Wir sitzen auf einem Pulverfaß. Wir haben Angst, aber wir schaufeln immer noch mehr Pulver in dieses Faß hinein. Wir reden von Sicherheit, aber wir meinen unsere Sicherheit. Wir reden von Abrüstung und meinen die Abrüstung der anderen. Aber die Sicherheit ist immer auch die Sicherheit des anderen, und die Abrüstung ist immer auch unsere eigene Abrüstung. ({10}) Soweit Kardinal König, den ich seit Jahren kenne und sehr verehre. ({11}) - Ich finde es erstaunlich, daß es Zwischenrufe gibt, wenn jemand von dem Respekt für eine andere Person spricht. ({12}) Ich füge dem, was Kardinal König sagt, einen anderen Gedanken hinzu: Unsere Soldaten sollen nicht Krieg führen, sondern sie sollen einem Nachbarn für den Fall, daß er unfriedliche Gedanken hegen sollte, zeigen: Wir können uns wehren; du nähmest ein hohes Risiko auf dich, wenn du uns mit Gewalt angreifen wolltest oder mit Gewalt oder Drohungen dein eigenes politisches System uns aufzwingen wolltest. ({13}) Dies ist das Konzept der Abschreckung. Nun ist auch gegenseitige Abschreckung in der Geschichte nichts Neues. Neu aber ist die unerhörte Zerstörungskraft nuklearer Abschreckungswaffen. Neu ist, daß diese Zerstörungskraft ausreicht, die Menschen des jeweiligen Gegners nicht nur einmal zu vernichten. Neu ist, daß sie die ganze Menschheit auslöschen kann. Ich habe zu diesem Dilemma vor wenigen Tagen, gemeinsam mit Herrn Dr. Kohl auf dem Katholikentag sprechend, gefragt: Soll ein Christ zum Zwecke der Abschreckung auch den Einsatz von atomaren Waffen androhen, wenn er doch weiß oder wenigstens ahnt, daß er das tatsächliche Abschießen dieser Waffen sittlich nicht würde verantworten können? Ich habe die andere Frage hinzugefügt: Und sind es eigentlich nur wir, die Christen, die dieses Dilemma auf sich lasten fühlen? Muß nicht der atheistische sowjetische Generalsekretär, müssen nicht seine Kollegen im Politbüro ähnliche tiefgreifende Zweifel haben? Wir Deutschen an der Nahtstelle zwischen beiden Pakten werden zu diesen Fragen mehr als andere gedrängt. Deshalb nehme ich die Diskussion über Stand und Entwicklungsmöglichkeiten der westlichen Strategie sehr ernst. Ich nehme ernst, was jüngst Herr Kollege Bahr und andere dazu gesagt haben. Ich nehme auch ernst, was jüngst Herr Kollege Biedenkopf öffentlich dazu angemerkt hat. Ich wünschte, alle würden diese Erwägungen - auch die Opposition die Erwägung von Herrn Biedenkopf - in gleicher Weise wichtig nehmen. Ich teile Biedenkopfs Auffassung, wenn er sagt: Das Interesse an der Erhaltung des Lebens auf der Erde und der Menschheit haben alle Menschen gemeinsam. Die nukleare Gefahr hat die Menschen und ihre Völker zu einer Überlebenspartnerschaft verbunden. ({14}) Ich füge hinzu: Der Wille zum Überleben reicht allein nicht hin, um uns Schutz vor militärischer Bedrohung zu garantieren, sondern wir brauchen dazu Vereinbarungen zur Rüstungsreduzierung - und nicht bloß für nukleare Waffen. Vereinbarte Sicherheit ist aber nur durch Verhandlungen zu erreichen. Der Oberbefehlshaber der NATO in Europa hat dies kürzlich folgendermaßen formuliert: Der einzige Weg für die Zukunft einer Welt, wie wir sie wollen, führt meiner Überzeugung nach an den Verhandlungstisch. Wir müssen über Abrüstung und Rüstungskontrolle verhandeln, über alle Arten von Streitkräften und Waffen. Dies ist der einzige Weg, um den Rüstungswettlauf auf beiden Seiten zu stoppen. General Rodgers hat damit erkennbar gemacht: Auch die Soldaten beteiligen sich daran, jene Aufgabe zu erfüllen, die der Papst in einem Grußwort an den Katholikentag so formuliert hat: Wenn die Weltsituation angesichts totalitärer Ideologien und eines erschreckenden Rüstungswettlaufs immer bedrohlichere Formen annimmt, sollt Ihr Euch an Eurem jeweiligen Platz um politisch verantwortliche Wege der friedlichen Konfliktlösung bemühen. Unser politisches Eintreten für Sicherheit und Frieden stützt sich auf eine gesunde und funktionsfähige Atlantische Allianz. Wir selbst tragen zu dem Bündnis mit 500 000 gut ausgebildeten und gut motivierten Soldaten bei. Wir sind vorbereitet, im Verteidigungsfall diese Zahl mehr als zu verdoppeln. Gleichzeitig sind auf unserem Territorium Soldaten aus sechs befreundeten Nationen des Bündnisses stationiert. Dies sind Tatsachen, die wir manchen unserer Verbündeten und deren öffentlicher Meinung von Zeit zu Zeit durchaus in Erinnerung rufen dürfen. Auch ich habe das jüngst in Kalifornien getan. Der amerikanische Oberkommandierende in Europa weiß, daß am ersten Tag eines Konflikts die Europäer 90 % seiner Landstreitkräfte und drei Viertel seiner See- und Luftstreitkräfte stellen würden. An diesen Grundtatsachen ändern auch vorübergehende Meinungsverschiedenheiten in einer - ich zitiere die Bonner Erklärung vom NATO-Gipfel -„Partnerschaft von Gleichen, in der niemand herrscht oder beherrscht wird", nichts. Schon vor Jahrzehnten - ich glaube, es ist 20 Jahre her - hat Henry Kissinger sein Buch über das europäischamerikanische Verhältnis unter der Überschrift „The troubled partnership" - Die gestörte Partnerschaft - veröffentlicht. Und sein Landsmann Robert Osgood hat ebenfalls vor 20 Jahren sein Buch „The entangled alliance" - Das verworrene Bündnis - geschrieben. Ich zitiere diese beiden Bücher, 20 Jahre alt, um zu zeigen: Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Bündnisses sind weiß Gott nichts Neues, sondern etwas Normales. Aber sie dürfen nicht zur Dauerbelastung werden. Präsident Ronald Reagan hat dafür die Formel benutzt, mit der ich auf meiner Amerikareise jüngst einige Dinge in die richtige Perspektive und Größenordnung rücken wollte: Wir haben beide von Strei6748 tigkeiten innerhalb der Familie gesprochen; und sie können innerhalb der Familie beigelegt werden, wie in jeder anderen Familie auch. Wie zutreffend diese Kennzeichnung ist, habe ich im Juli in den Tagen intensiver Gespräche gemerkt, die ich mit einem alten Freund, dem neuen Außenminister der Vereinigten Staaten, George Shultz, geführt habe. Es sind dabei alle Fragen des amerikanisch-europäischen, des amerikanisch-deutschen Verhältnisses angesprochen worden, natürlich auch die Frage des amerikanischen Embargos im Zusammenhang mit dem europäisch-sowjetischen ErdgasRöhren-Geschäft, ebenso aber auch unser deutsches Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten im allgemeinen und zur DDR im besonderen. In allen diesen Fragen ist übrigens deutlich, wie groß die Übereinstimmung auch zwischen den europäischen Allianzmitgliedern ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders die vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit herausstellen, die unser Verhältnis zu Frankreich und zu Präsident Mitterrand auszeichnet. ({15}) Diese Zusammenarbeit hat ihr Gewicht auch auf dem Felde der Europäischen Gemeinschaft. Die ist gegenwärtig nicht in einem guten Zustand. Viele Mitglieder setzen ihre Hoffnungen auf die deutsche EG-Präsidentschaft - wir wechseln ja alle sechs Monate -, die am 1. Januar beginnen wird. Sie erinnern sich, daß unter der letzten deutschen Präsidentschaft das Europäische Währungssystem geschaffen wurde, das sich inzwischen im Zeichen tiefgreifender Unruhe auf den Devisenmärkten und schnell fluktuierender Wechselkurse sehr bewährt hat. Europäische und atlantische Zusammenarbeit ist auch nötig, um das KSZE-Folgetreffen von Madrid, das Anfang November wieder beginnen soll, zu einem Erfolg zu führen. Dieser Prozeß bleibt für die Bundesregierung ein wesentliches Instrument zur Gestaltung der West-Ost-Beziehungen und zu mehr Abrüstung und Sicherheit in Europa. Wenn wir heute eine Zwischenbilanz dieses Prozesses ziehen wollten, so kämen wir trotz Enttäuschungen, trotz der Ereignisse in Polen, die wir gerade in diesen Tagen wieder mit tiefer innerer Besorgnis verfolgen, zu einem positiven Zwischenergebnis. Ohne die Schlußakte von Helsinki wären die Verbindungen zwischen West und Ost schwächer. Die Menschen in Europa haben erfahrbaren Nutzen aus diesem Vertragswerk gezogen, wenngleich keineswegs das Ausmaß ihrer Hoffnungen erfüllt ist. Ich will zwei Beispiele nennen: Seit 1975, seit Helsinki, konnten aus Polen - innerhalb dieser sechs Jahre seither - über 225 000 Deutsche, beinahe eine Viertelmillion, in die Bundesrepublik ausreisen. In den sechs Jahren davor waren es 68 000 Menschen gewesen. ({16}) Zum anderen: Der Weltbund der Lutherischen Kirchen hat Nachrichten über lutherische Gemeinden weit weg im Osten, im sowjetischen Kasachstan, veröffentlicht. Daraus geht hervor, daß diese Gemeinden trotz der fortbestehenden schweren Sorgen, die sie haben, seit 1975 deutliche Verbesserungen ihrer Lage sehen, die sie ausdrücklich auf Helsinki zurückführen. Aber der Helsinki-Prozeß ist gefährdet. Im Bereich der Menschenrechte, der menschlichen Kontakte, der Informationen drohen Rückschritte; dazu gehören auch die empfindlichen Einschränkungen im Fernsprechverkehr für private Bürger in der Sowjetunion. Aber wir können uns dagegen auf die Schlußakte berufen, die uns auch das Recht gibt, von der polnischen Regierung die Aufhebung des Kriegsrechts, die Freilassung der Inhaftierten, die Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Dialogs zu verlangen. ({17}) Jede langfristige Politik rechnet mit Rückschlägen. Deshalb können nur das zähe Festhalten an unseren politischen Zielen, nur geduldiger Mut und das Vertrauen in die Vernunft aller Beteiligten unserem Kontinent eine friedliche Zukunft geben - unserem Kontinent, damit auch den Bürgern in beiden deutschen Staaten. Jeder weiß: Friedenspolitik hat auch eine NordSüd-Dimension. Viele der Kriege der Dritten Welt sind kaum auf den Ost-West-Gegensatz, sondern vielmehr auf andere Gegensätze, auf andere Nöte zurückzuführen. Wir Deutschen haben begriffen, daß auch die Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Ursachen dieser Konflikte ein Teil umfassender Friedenspolitik sein muß. Wir haben deshalb unsere Entwicklungshilfe und die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt verstärkt. Wir treten deshalb für den Gewaltverzicht auch in anderen Kontinenten ein, der ein Kernstück des modernen Völkerrechts der Charta der Vereinten Nationen ist. ({18}) Deshalb respektieren wir nicht nur die Blockfreiheit der Staaten der Dritten Welt, sondern wir suchen geradezu durch unsere Entwicklungspolitik diese Blockfreiheit aktiv zu fördern und zu sichern. Denn wir erkennen in der Blockfreiheit einen wichtigen Stabilitätsfaktor für die Welt und damit einen Beitrag zum Weltfrieden. ({19}) Bei alledem hüten wir uns vor Selbstüberschätzung. Wir sind keine Weltmacht; wir wollen das auch nicht sein. Aber wir tragen unseren Teil mit Beharrlichkeit und mit dem ganzen Gewicht, das wir in der internationalen Staatengemeinschaft inzwischen bekommen haben. Natürlich hat die politische Krise der Welt, die wir durchmachen, auch Einfluß auf die deutsch-deutschen Beziehungen. Sie erhöht Barrieren, die man schon meinte schrittweise abtragen zu können. Dennoch bleibt es dabei: Die Menschen in beiden StaaBundeskanzler Schmidt ten haben trotz der ihnen auferlegten Teilung nicht aufgehört, sich als eine Nation zu empfinden. ({20}) Die Deutschen auf beiden Seiten haben zwar verstanden, daß sie auf eine heute nicht absehbare Dauer in zwei voneinander unabhängigen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und mit unterschiedlichen Grundwerten leben müssen. Spätestens seit dem Bau der Mauer in Berlin sind die Hoffnungen auf eine baldige Überwindung der Teilung zunichte geworden. Aber seither hat sich die Einsicht vertieft, daß Änderungen in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland zum Nutzen der Bürger angestrebt werden müssen und daß dies nur durch Verhandlungen, nur durch Dialog geschehen kann. Ich will noch einmal unterstreichen und hier Herrn Dr. Kohl ausdrücklich zustimmen, der am 13. August aus Anlaß der Wiederkehr des Tages des Mauerbaus geschrieben hat: „Wenn der Wille zur Einheit in unserem Volke erhalten bleibt, werden Mauer und Stacheldraht auf die Dauer keinen Bestand haben." ({21}) Zu dieser Dauerhaftigkeit des Willens hat sozialliberale Politik beigetragen. Der Grundlagenvertrag hat die unterschiedlichen Positionen in Grundfragen nicht regeln können. Aber er macht es möglich, praktische Probleme zu lösen. Er muß stetig mit Leben erfüllt werden. Denn er macht es möglich, auf vernünftige Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten hinzuarbeiten, die für die Menschen auch praktisch erfahrbar sind. Diese deutsch-deutsche Politik liegt zugleich im Interesse des europäischen Friedens. Herr Genscher hatte recht: „Deutschlandpolitik als europäische Friedensaufgabe bedeutet auch die Unterstreichung der besonderen Verantwortung der Bundesregierung und der Regierung der DDR für die Lage in Europa, für die Stabilität in Europa und für die Entspannung in Europa." Und Willy Brandt hat dem damals mit Recht hinzugefügt, daß beide Teile unseres Volkes vom jeweils eigenen Staat erwarten - und „... in gewisser Hinsicht doch auch von der Führung des anderen Staates -, der Verantwortung gerecht zu werden, die sich ... aus dem ganz besonderen Interesse dieses gespaltenen Volkes ergibt." ({22}) Dieses Haus weiß, daß diese Politik die Unterstützung unserer Verbündeten findet. Ich weise das Haus auf die Bonner Erklärung vom 10. Juni hin, worin es heißt: „Der fortgesetzte Erfolg der Bemühung der Bundesrepublik Deutschland, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, ist für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung." - So von allen unseren Verbündeten vor wenigen Wochen hier in Bonn gemeinsam formuliert. Deshalb haben wir auch die Konsultationsgespräche mit der DDR über Fragen der Rüstungskontrolle und Abrüstung aufgenommen, und wir werden sie Ende des Monats fortsetzen. Beide deutschen Staaten müssen sich so verhalten, daß von ihrem Verhältnis zueinander keine zusätzlichen Belastungen für das Ost-West-Verhältnis ausgehen. Aber sie sollten dabei noch nicht stehenbleiben. Beide Staaten sollten außerdem ihren Einfluß in ihrem jeweiligen Bündnis dazu nutzen, den Frieden in Europa sicherer zu machen. Dabei wissen wir: Beide Staaten gehören verschiedenen Bündnissen an und können aus ihnen nicht herausgelöst werden. Und was uns angeht: Wir brauchen das Bündnis mit unseren amerikanischen und europäischen Freunden, und wir werden es auch in Zukunft pflegen. Die längerfristigen Beziehungen zwischen der DDR und uns hängen natürlich auch von der inneren Entwicklung in der DDR und in ihrer Staatspartei, der SED, ab. Die SED stellt sich in ihrer Propaganda nach außen als monolithischer Block dar. Aber hinter der vorgegebenen Linientreue ist Bewegung, gibt es Kontroversen, gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Zukunftsperspektiven, gibt es Zweifel am kommunistischen Fortschrittsglauben, und Generationsprobleme sind nicht ausgeschlossen. Auch in der Führung der SED gibt es „Tauben" und „Falken", gibt es Leute, die mehr abgrenzen, und gibt es Leute, die eher kooperieren wollen. Diese inneren Entwicklungen können durch unser Verhalten durchaus beeinflußt werden. Ich hoffe, daß es auch in der SED Gegner der Sperranlagen an der Grenze gibt, die immer noch weiter perfektioniert werden und schwerste Verletzungen und Todesfälle verursachen. ({23}) Ich hoffe, es gibt auch innerhalb der SED Menschen, die die politische Strafjustiz der DDR wesentlich einschränken und humanisieren wollen. Für Berlin hat sich die Vertragspolitik bewährt. Das Viermächte-Abkommen hat in gut elf Jahren erfolgreich gewirkt. Entspannungspolitik und Konfliktbewältigung haben sich gerade für Berlin positiv ausgewirkt. Die Bundesrepublik wird in ihrem Engagement nicht nachlassen, die Lebensfähigkeit Berlins zu stärken, ({24}) auch dann nicht, wenn es geboten ist, knapper werdende Mittel noch wirksamer einzusetzen. Mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn von Weizsäcker, besteht eine gute Zusammenarbeit. Wir stimmen darin überein, daß es in wichtigen Fragen der Deutschland- und Berlinpolitik auch künftig auf den Gleichklang zwischen Senat und Bundesregierung ankommt. So wollen wir es auch halten. Das gilt auch für die besonderen wirtschaftlichen Sorgen, die Berlin gegenwärtig betreffen. ({25}) Nicht nur Berlin, nicht nur das ganze Deutschland, sondern alle Länder der Welt stecken gegenwärtig in einer Wirtschaftskrise. Die Ursachen dafür liegen vor allem in den beiden Ölpreisexplosionen im Zusammenhang mit der schon vorher weit fortgeschritten gewesenen Weltinflation. Die erste Ölpreisexplosion von 1973/74 haben wir relativ schnell überwunden. Aber nach der zweiten Ölpreisexplo6750 sion von 1979 dauert die Rezession in allen Staaten inzwischen länger als alle Konjunktureinbrüche der Nachkriegszeit. Wir haben das so nicht kommen gesehen. Wir haben es jedenfalls nicht mit einer klassischen Konjunkturkrise im Sinne früherer nationalökonomischer Theorie zu tun. Vielmehr müssen alle Länder ihre Wirtschaftsstrukturen an die veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen und an die tiefgreifenden Umwälzungen der letzten Jahre anpassen. Die Bundesrepublik, unsere Wirtschaft verkauft fast 30 % der Güter und Dienstleistungen, die wir produzieren, an das Ausland - fast ein Drittel. Wir sind deshalb von der Wirtschaftskrise in anderen Staaten natürlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Jedes zweite Auto, das bei uns hergestellt wird, muß auf den Auslandsmärkten verkauft werden. Von zehn Werkzeugmaschinen, die in Hannover und überall in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden, müssen sieben im Ausland verkauft werden, und zwar mit Gewinn, nicht mit Verlust. Unsere Wirtschaft spürt also unmittelbar die Auswirkungen, wenn andere Länder gezwungen sind, ihre Einfuhren zu drosseln, weil sie sich zu hoch verschuldet haben, weil sie ihre Einfuhren nicht mehr finanzieren können. Das gilt für Länder Lateinamerikas - z. B. Mexiko - ebenso wie für die Länder des Ostblocks. Für die Bundesrepublik und für unsere Arbeitnehmer ist es deshalb von vitalem Interesse, daß die internationalen Kreditmärkte funktionstüchtig bleiben. Ich stimme Herrn Mischnick zu, der vor wenigen Tagen gesagt hat: Es gilt, in stürmischer Zeit die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Stabilität zu sichern. Diese Aufgabe ist durch die weltweiten Krisenerscheinungen schwerer denn je geworden - wie jedermann weiß: für alle Industriestaaten. ({26}) Dabei ist aber die Ausgangsbasis unseres. Landes für die Bewältigung dieser Schwierigkeiten besser als in den meisten anderen Ländern. Wir haben die ganzen Jahre einen beachtlichen Stabilitätsvorsprung gegenüber dem Ausland behauptet und werden das auch künftig tun. In der Bundesrepublik sind heute die Verbraucherpreise nur um rund 5 höher als vor einem Jahr, in Belgien um 10 %, in Frankreich um über 13 %, in Italien um über 15 % usw. Was die Arbeitslosigkeit angeht, so stehen wir auch dort relativ besser da als die meisten anderen Industrieländer - ich nehme Japan aus. Bei uns sind gegenwärtig 6,5 % aller Erwerbspersonen arbeitslos, in Frankreich über 8 %, in England 12 %, in Italien über 10 %, in den Vereinigten Staaten sind fast 10 % aller Erwerbspersonen arbeitslos. Aber daß es uns relativ besser geht als anderen Industrieländern, ist kein großer Trost. Im Gegenteil: Die Tatsache, daß weltweit erheblich höhere Arbeitslosigkeit herrscht, hat inzwischen zu einer erschreckenden Ausweitung des Protektionismus geführt. Viele Regierungen der Welt erschweren - zum Teil offen und zum Teil versteckt - die Einfuhr von Gütern aus anderen Ländern in ihre Volkswirtschaften. Wir tun das nicht; denn in der heutigen Situation bleiben die Bereitschaft zu internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit und die Bereitschaft zu gegenseitiger Rücksichtnahme notwendiger denn jemals. Sie ist stärker gefährdet als in den vergangenen Jahrzehnten. ({27}) Einer der Hauptgründe für die zu geringe Bau- und Investitionstätigkeit in der Welt und damit für die zu geringe Beschäftigung in der Welt ist das für eine Weltrezession unerhört hohe Zinsniveau. Es ist begründet einmal in den rasch gestiegenen, zum Teil immer noch steigenden Haushaltsdefiziten wichtiger Industrie- und Entwicklungsländer und in deren unerhörten Zahlungsbilanzdefiziten - von Polen bis Mexiko. Die Kreditanforderungen an die internationalen Finanzmärkte und an die Banken in der Welt sind zu groß. Deshalb steuern viele Zentralbanken der Welt mit restriktiver Geldpolitik dagegen. Dies dient natürlich nicht der Überwindung der Beschäftigungskrise. Als im August in Amerika die Zinsen sanken, sind sogleich auch bei uns in Europa - auch hier in Deutschland - die Zinsen gesunken - ein Zeichen für das große Gewicht des wichtigsten Finanzmarkts der Welt in New York. Kaum eine Volkswirtschaft kann sich davon völlig abhängen, auch wir nicht. Wenngleich unsere Zinsen in den letzten Jahren dank unserer Politik immer weit unterhalb der Zinsen in den Vereinigten Staaten oder in der anderen Welt lagen und liegen, so sind auch unsere Zinsen dennoch immer noch viel zu hoch für eine dynamische Investitionsfinanzierung. ({28}) Das knappe Geld und die hohen Zinsen dämpfen die Preisentwicklung. Das ist gut. Aber sie dämpfen auch die Gesamtnachfrage. Das ist unerwünscht. Aus allen diesen Gründen muß die Welt als Ganzes sich so verhalten, daß die Defizitländer die Ursachen ihrer Defizite eindämmen und daß die Oberschußländer importieren. Ihre Nachfrage wird gebraucht; sie dürfen nicht dazu beitragen, die Zinsen hochzutreiben oder hochzuhalten. Unsere deutsche Zahlungsbilanz ist inzwischen wieder gesund. Deshalb hat man anfangs dieser Woche bei der Tagung von Weltwährungsfonds und Weltbank in Toronto abermals - wie schon zu Zeiten der Lokomotiv-Theorie - auf Deutschland und auf Japan die Hoffnungen gesetzt. Wir haben in der Tat die Chance, erneut als eine der ersten Volkswirtschaften wieder nach oben zu fahren; aber sicher ist das nicht. ({29}) Es kommt hinzu, daß die politische Weltkrise zu einer ständigen Bedrohung des internationalen Handels und des internationalen Kapitalverkehrs geworden ist. Und leider ist auch die Neigung geBundeskanzler Schmidt wachsen, politische Konflikte mit wirtschaftlichen Sanktionen auszutragen. Das kostet Arbeitsplätze. ({30}) Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft solchen Entwicklungen beharrlich entgegensetzen. Unsere Bemühungen um gute und sichere Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der westlichen Welt, mit den Entwicklungsländern, aber auch mit den kommunistischen Staatshandelsländern sind ein wichtiger Teil auch unserer Beschäftigungspolitik. Natürlich wirkt sich die weltwirtschaftliche Krise auch auf die kommunistischen Staaten aus, auch auf die DDR. Rohstoffknappheit, Energieprobleme, Zahlungsbilanzprobleme kennen keine ideologischen Grenzen. Die DDR hat auf ihre schwierige Zahlungsbilanzsituation mit großen Exportanstrengungen und mit Importdrosselung reagiert. Dies hat auch Konsequenzen für ihre eigene Produktion. Es wirkt sich in einigen Bereichen schon fühlbar auf die Versorgung der Bürger der DDR aus. In vielen Staatshandelsländern schafft die Versorgung der Bürger mit wichtigen Konsumgütern inzwischen erhebliche und wachsende Probleme. Sie schafft Schlangen vor den Läden. Bei uns dagegen geht es im Kern um die Fragen der Beschäftigung und sodann darum, ob wir etwas mehr oder weniger materiellen Wohlstand produzieren und verteilen können. Aber wir können bei alledem nicht erwarten, daß sich die Arbeitslosigkeit allein durch einen neuen Wirtschaftsaufschwung auf ein erträgliches Maß verringern würde. Die Lage am Arbeitsmarkt wird noch weit in die 80er Jahre hinein dadurch verschärft, daß geburtenstarke Jahrgänge ins Erwerbsleben eintreten, während relativ schmale Jahrgänge, oben an der Spitze der Alterspyramide, ins Rentenalter kommen und aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden. Es ist zur Überwindung der Arbeitslosigkeit unumgänglich, daß ein größerer Teil unseres Bruttosozialprodukts für investive Zwecke verwendet wird und daß der Anteil der Konsumausgaben entsprechend eingeschränkt wird. Dies muß dann übrigens auch verbunden werden mit einer neuen Initiative zur stärkeren Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Daran wird gearbeitet. ({31}) Wenn gestern der Bundesverband der Deutschen Industrie eine, wie er es nennt, Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Gemeinden zur Erholung der öffentlichen Finanzen, zur Steigerung der öffentlichen Investitionen vorgeschlagen hat, so ist das in die richtige Richtung gedacht. Von 1970 bis heute, meine Damen und Herren, ist der Anteil der Investitionen an unserem Bruttosozialprodukt, an allem, was wir schaffen und leisten, von damals 26 % auf weniger als 22 % heute gesunken. Dabei sind die öffentlichen Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden noch stärker gesunken als diese Durchschnittszahl. In derselben Zeit sind jedoch umgekehrt die Anteile der gesamten öffentlichen und privaten Sozialleistungen am Bruttosozialprodukt von 26 % damals auf 31 % heute erheblich angestiegen. Es handelt sich um soziale Ausgaben, die wesentlich zur sozialen Stabilität in unserer Gesellschaft beigetragen haben und die außerdem zu einer wichtigen Grundlage für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geworden sind. Aber die unzureichende wirtschaftliche Entwicklung insgesamt zwingt uns, das dynamische Wachstum der konsumtiven Ausgabenblöcke zu begrenzen, damit mehr Spielraum für Investitionen entsteht, damit neue und dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen werden und damit infolgedessen das soziale Netz sicher bleibt. Nun ist die in diesen 12 Jahren, 13 Jahren eingetretene Verbesserung der materiellen Lage der Arbeitnehmer und der Rentner deutlich erkennbar. Zum Beispiel ist der tariflich bezahlte Urlaub für den Durchschnitt der Arbeitnehmer von 22 Werktagen im Jahr 1969 auf 32 Werktage im letzten Jahr angestiegen. Zum Beispiel haben die realen Einkommen der aktiven Beschäftigten in diesem Zeitraum im Durchschnitt um fast 30 % zugenommen. Aber die Renteneinkommen im gleichen Zeitraum sind real sogar um 43 % gestiegen. Daß diese Schere so nicht beliebig fortgesetzt weiter geöffnet werden kann, machen die folgenden Zahlen deutlich. Vor 20 Jahren, im Jahr 1960, hatten 100 Arbeiter und Angestellte für 38 Rentner mitzuarbeiten. Heute sind es über 60 Rentner, und es wird vermutet, daß im Jahre 2000 - das ist nur noch 18 Jahre hin - auf 100 aktive Arbeitnehmer, die verdienen und produzieren und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, sogar über 70 Rentner kommen werden. Es werden hier also langfristig strukturelle Probleme sichtbar, die schon mittelfristig gelöst werden müssen. Wir bereiten uns darauf vor. ({32}) Auch wenn die wirtschaftliche Lage unseres Landes gegenwärtig, ich sagte es, im internationalen Vergleich nahezu auf allen Feldern erkennen läßt, daß wir mit der Anpassung unserer Wirtschaftsstruktur bisher sehr erfolgreich fortschreiten, z. B. etwa in der Abkoppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum, so bleibt unsere Lage dennoch auch und gerade strukturell sehr schwierig. Wir brauchen für die Zukunft noch stärker Investitionen zur Energieeinsparung. Wir brauchen Fernwärme, wir brauchen Umweltschutzinvestitionen, wir brauchen wasserwirtschaftliche Zukunftsvorsorge. Wir brauchen vor allem anderen privatwirtschaftliche Investitionen in Leistungs- und Produktionskapazitäten für moderne, für neue Produkte, welche die anderen Volkswirtschaften so noch nicht liefern können. Denn wir können wegen unserer hohen Löhne, unserer hohen Sozialleistungen - sie gehören zu den höchsten der Welt - und wegen der damit verbundenen hohen Lohnkosten und hohen Lohnnebenkosten, wir können mit unseren Produkten nicht billiger sein als viele andere Staaten der Welt. Infolgedessen müssen wir dann aber mit unseren Pro6752 dukten schneller sein, moderner sein, besser anbieten als jene. Darin liegt unsere Zukunft. ({33}) Natürlich können die allermeisten privaten wie öffentlichen Investitionen nicht bar bezahlt werden. Sie bedürfen zu erheblichen Teilen der Kreditfinanzierung. Das ist bei der Stadt so, das ist bei der Industrieunternehmung so, beim Handwerker so. Das ist auch bei der Privatfamilie so. Wer ein Reiheneigenheim kaufen oder bauen will, der braucht einen Hypothekenkredit; der kann das nicht bar auf den Tisch legen. Das ist selbstverständlich. Allerdings: Kreditausweitung zum Zwecke der Finanzierung von nicht gedeckten Betriebskosten, dies wäre kein generelles Heilmittel, bei der Kommune ebensowenig wie in der Industrie. ({34}) Deshalb sollen große Kredite und Bürgschaften zur Finanzierung von Betriebskosten, die ungedeckt geblieben sind, die große Ausnahme bleiben. Das spektakulärste Beispiel dafür ist gegenwärtig die AEG, deren Krise auch Auswirkungen auf zigtausende kleinerer und mittlerer Unternehmungen hat. Ich halte diesen Fall allerdings nicht für symptomatisch für die deutsche Wirtschaft. Zwei andere Großunternehmen der gleichen Branche zeigen, daß es sich bei AEG um in diesem Unternehmen langjährig gemachte Fehler des Managements und übrigens auch um ein Versagen des Aufsichtsrats in all diesen Jahren gehandelt hat. ({35}) Einige der heute dort Arbeitenden haben die Probleme von ihren Vorgängern geerbt; aber die Vertreter der Banken in diesem Organ Aufsichtsrat arbeiten dort schon viele, viele Jahre, und sie tragen erhebliche Verantwortung. Die Banken tragen auch erhebliche Verantwortung für die Zukunft. ({36}) Die Bundesregierung will mit ihren beiden Bürgschaftsbereitstellungen dazu helfen, eine durchgreifende, dauerhafte Gesundung der AEG zu erreichen. Sie erwartet, daß sich daran auch die betreffenden Bundesländer beteiligen, was die Fabriken in ihren Bereichen angeht. ({37}) Voraussetzung dafür ist aber, daß auch die Hauptbeteiligten zu Opfern bereit sind. Die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister werden sich jedenfalls nicht von den Banken Vorschriften machen lassen, die für die Vorgeschichte der Kalamitäten hohe Mitverantwortung tragen. ({38}) Wir haben besondere Probleme im Stahlbereich und, zum Teil davon ausgelöst, auch im Kohlebereich. Mit der Verabschiedung des Stahlprogramms im letzten Sommer hat die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt, den notwendigen Umstrukturierungsprozeß in dieser Branche unter bestimmten, im Stahlinvestitionszulagengesetz festgelegten Voraussetzungen zu flankieren. Es liegt nun an den Unternehmen, alle zwischen ihnen selbst immer noch offenen Fragen im Zusammenhang mit ihren Förderanträgen endlich und rasch zu klären, damit die Bundesregierung bei der Notifizierung am 30. September 1982 der EG-Kommission ein erstes Votum wirklich auch abgeben kann. Es sind nicht wir, die die Zeit verbraucht haben. Zur Kohlepolitik der Bundesregierung möchte ich sagen: Die Grundsätze der 3. Fortschreibung des Energieprogramms gelten unverändert. Die Kohle hat Vorrang bei der Stromerzeugung. Die Bundesregierung wird darauf achten, daß die Elektrizitätswirtschaft ihre Verpflichtungen zur steigenden Abnahme von Kraftwerkskohle aus dem Verstromungsvertrag, dem sogenannten Jahrhundertvertrag, erfüllen wird. ({39}) Ich sprach schon davon, daß die strukturellen und konjunkturellen Schwierigkeiten naturgemäß Berlin in seiner exponierten Lage besonders treffen. Deshalb ist die Bundesregierung zusammen mit dem Berliner Senat dabei, die Arbeit an der in Aussicht genommenen Änderung des Berlinförderungsgesetzes so schnell wie möglich abzuschließen, um strukturelle Fehlentwicklungen der Berlinförderung in den letzten Jahren zu korrigieren. Ich werde gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister im Laufe des Herbstes führende Vertreter der Unternehmenswirtschaft, der Gewerkschaften zu diesem Thema, aber auch zu anderen Berlin betreffenden Themen nach Berlin einladen. Meine Damen und Herren, ich sehe zu den Grundlinien unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik keine vernünftige Alternative. Ich sehe sie nicht im Ausland, etwa dort, wo mit unterschiedlichen Rezepten experimentiert worden ist. Sie sind fehlgeschlagen. Wir sind nicht dem Trugschluß aufgesessen, daß sich alle Probleme von selber lösen, wenn nur der Staat seine Aktivitäten einschränkt oder sich zurückzieht. ({40}) Die Folge wäre nach allen Erfahrungen im Ausland eine noch höhere Arbeitslosigkeit. Wir sind aber ebensowenig jenen Beispielen gefolgt, wo Staaten einfach durch eine allgemeine große Nachfragebelebung ihre Lage verbessern wollten. Die Folgen waren zuerst inflationistische Entwicklungen und danach mehr Arbeitslosigkeit. ({41}) Wir werden unsere Wirtschaftspolitik des mittleren Weges fortsetzen, denn es hat sich gezeigt, daß wir mit dieser Politik die Auswirkungen der Weltrezession insgesamt besser überstanden haben als die meisten anderen westlichen Länder, ganz zu schweigen von den Ländern im Osten; die will ich gar nicht als Vergleichsbeispiele heranziehen. Wir wissen, daß wir durch eine bloße Aufblähung der Nachfrage die Strukturprobleme unserer Volkswirtschaft nicht lösen können. Wohl aber müssen wir eine Schrumpfung der allgemeinen Nachfrage verhindern, weil sonst ein sich selbst verstärkender allgemeiner Schrumpfungsprozeß einsetzen würde. ({42}) Wir waren nicht und wir sind nicht bereit, jede neue wirtschaftspolitische Mode mitzumachen und jede neue Theorie an unserer Wirtschaft und an unseren Arbeitsplätzen auszuprobieren. ({43}) Aber wir müssen in den öffentlichen Haushalten Schritt für Schritt mehr Mittel im konsumtiven Bereich freimachen und statt dessen für Investitionen einsetzen. Die ersten großen Schritte sind mit dem Haushalt 1982, mit der Gemeinschaftsinitiative dieses Frühjahrs sowie mit dem Haushalt 1983 und den begleitenden Gesetzentwürfen, die hier morgen eingebracht werden, ({44}) unternommen worden, und wir halten an all diesen Dingen fest, meine Damen und Herren! ({45}) Eines will ich noch deutlich hinzufügen: Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft und damit der wirtschaftlichen Aussichten auch für uns ist gegenwärtig groß, und es spricht vieles dafür, daß die bisherigen Prognosen für dieses Jahr und auch für das kommende Jahr herabgesetzt werden müssen. Das Bundeskabinett hat deshalb gestern auf meinen Vorschlag hin den Sachverständigenrat gebeten, bis Mitte Oktober ein Sondergutachten zur wirtschaftlichen Lage vorzulegen. ({46}) - Wie bitte? ({47}) - Ich weiß, was ich sage! ({48}) Die Bundesregierung wird, wenn das Gutachten vorliegt, alsbald dazu Stellung nehmen, Schlußfolgerungen daraus ziehen und sich der rechtzeitigen Diskussion über zusätzliche Anpassungen nicht entziehen. Morgen bringen SPD und FDP gemeinsam jenes Bündel von Gesetzentwürfen in den Bundestag ein, das nicht nur unsere Zielsetzungen klarmacht, sondern sie auch gesetzestechnisch - in den Instrumenten - konkretisiert. Die Frage bleibt: Was eigentlich schlägt die CDU und was eigentlich schlägt die CSU vor? ({49}) Auf der einen Seite ist es Ihre Taktik, überall zu vermeiden, zu sagen, was Sie wirklich wollen; auf der anderen Seite - ({50}) - Ja, Sie wollen ran, das habe ich verstanden. Aber was Sie dann machen wollen, wissen Sie nicht! ({51}) Auf der anderen Seite setzen Sie im Bundesrat Ihre Mehrheit dafür ein, eine sozial ausgewogene Politik zu blockieren. ({52}) So, Herr Kohl, wird man nicht regierungsfähig. ({53}) Einerseits behauptet Herr Geißler, Ihr Generalsekretär, daß die Arbeitnehmer und sozial Schwachen „noch nie so benachteiligt worden sind, wie in den letzten 13 Jahren". ({54}) - Ja, die ihm zustimmen, müssen mir aber sagen, warum dann andererseits Ihr Professor Biedenkopf, unser früherer Kollege, das Gegenteil schreibt, nämlich: „Die materiellen Bedingungen der Mehrheit der Bevölkerung haben sich im Laufe der letzten 15 Jahre deutlich verbessert." ({55}) Einerseits lehnen Herr Kohl und Herr Strauß den Haushalt insgesamt ab und behaupten, er sei unausgewogen und nicht sozial genug - so haben Sie dem Deutschen Gewerkschaftsbund gesagt -, aber andererseits fordert die Opposition weitere Einschnitte in Leistungsgesetze, also jene, die den Beziehern der kleinen Einkommen besonders zugute-kommen. ({56}) Sie machen nach jeder Seite hin freundliche Bemerkungen, Herr Dr. Kohl, aber Sie sagen niemandem, was Sie wirklich denken, vielleicht denken Sie gar nicht. ({57}) - Auf die Zwischenrufe hin will ich das belegen. ({58}) Es gab vor sieben Tagen eine Fernsehdiskussion mit Herrn Dr. Kohl. Mehrere Journalisten hatten die Gelegenheit, Herrn Dr. Kohl eine Reihe von Fragen zu stellen. Die erste Frage richtete sich auf das konstruktive Mißtrauensvotum. Darauf antwortete Herr Dr. Kohl: Für mich und meine politischen Freunde kommt keine politische Lösung in Frage, in der nicht vor einer solchen Entscheidung ganz klar ist, wie es auch politisch in der Sache weitergeht. ({59}) - Ich habe an der Antwort auch nichts zu beanstanden. Ich finde nur die Frage, die dann kam, konsequent. Die nächste Frage lautete, logisch anschließend, wie denn nun sein Kontrastprogramm zur Koalition aussähe. Da antwortet Herr Kohl: Die Sozialdemokraten haben ... Verluste hingenommen. Die FDP ist beispielsweise in Hamburg ... nicht ins Parlament gekommen, und es ist eine neue politische Kraft, eine neue Bewegung, die Grünen, aufgetreten. Auf die Frage nach dem Kontrastprogramm! ({60}) Auf die erneute Frage nach den konkreten Vorstellungen, wo Sie, Herr Dr. Kohl, die Schwachstellen des Haushalts sähen, sagen Sie: Ja, das fängt mit den Zahlen an. ({61}) Die Zahlen stimmen nicht. Und jeder von uns weiß, daß wir einen neuen Anfang setzen müssen. ({62}) Auf die abermalige Frage eines dritten oder vierten Journalisten in derselben Fernsehsendung - die Aufzeichnung, aus der ich hier vorlese, liegt jedem Abgeordneten vor -, ob dies nicht die Stunde sei, in der die Opposition präzise zeigen solle, wo was zu streichen sei und wie ein Haushalt Ihrer Auffassung nach auszusehen habe, weichen Sie zum drittenmal jeder Antwort aus. Bitte, stellen Sie doch endlich klar, was Sie wirklich beabsichtigen. Ich war vorhin etwas zu scharf, es tut mir leid, ({63}) aber Sie müssen klarstellen, was Sie beabsichtigen. ({64}) Sie haben jüngst dem Deutschen Gewerkschaftsbund zugestimmt und haben Ernst Breit gesagt, Sie seien auch für mehr soziale Gerechtigkeit, mehr als die Bundesregierung. Aber bitte, dann müssen Sie doch sagen, auf welchem Wege und zu wessen Lasten - zu wessen Lasten! -, sonst bliebe es doch eine Versprechung ohne Inhalt. Natürlich, wenn es auf der Welt knapp wird, verstärken sich die sozialen Spannungen in den Ländern. Überall ist das so. In Demokratien mit freien Gewerkschaften forden dann die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer ihre Rechte ein. Deren stärkstes Mittel ist der Streik. Drüben in der DDR darf nicht gestreikt werden; in Polen darf nicht gestreikt werden. In Ländern der kommunistischen Gesellschaftsordnung gibt es keine unabhängige Gewerkschaft, die für die Interessen derjenigen kämpft, die am meisten unter Druck geraten. Bei uns machen die unabhängigen, freien Gewerkschaften von ihren Rechten Gebrauch, und das ist auch gut so. Es gibt gegenwärtig Kritik der Gewerkschaften an der Wirtschafts- und Finanz- und Sozialpolitik der sozialliberalen Koalition. Ich nehme diese Kritik ernst. Was sagt diese Kritik? DGB und Gewerkschaften treten in einer kritischen Lage für mehr Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung ein. Dies wird auf meinen Widerspruch gewiß nicht stoßen. ({65}) Gleichzeitig fordern sie zweitens zu massiver Kreditaufnahme durch den Staat zum Zwecke anschließender Investition dieser Finanzmittel auf. Hier allerdings müssen sich Gewerkschaften und DGB Gegenargumente gefallen lassen. Ich habe sie vorhin vorgetragen. Zur dritten Forderung nach einer Arbeitsmarktabgabe werde ich noch ein Wort sagen. Wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaften insgesamt ihre Verantwortung wahrnehmen, dann habe ich davor hohen Respekt. ({66}) Umgekehrt bitte ich um Verständnis dafür, daß es die Verantwortung der Bundesregierung und des Parlaments ist, das Interesse des Gemeinwohls über die Interessen aller Gruppen zu stellen. Übrigens erleben wir ja gegenwärtig außerdem, daß sich nahezu alle Interessenvertretungen - gerade auch die Interessenvertretung derjenigen, die wirtschaftlich stark sind - fordernd und protestierend zu Wort melden: der Bundesverband der Deutschen Industrie, Bundesvereinigung der Arbeitgeber, die Ärzte, die Landwirte usw. Die Regierung und die Parteien werden Kraft brauchen, um dem Druck der Interessenverbände zu widerstehen, ({67}) um der Gerechtigkeit willen und im Interesse des Gemeinwohls. Aber nicht nur die Gewerkschaften und nicht allein die Geschäftsführer der Interessenverbände sind unruhig - vor allem sind größere Teile unserer jungen Generation unruhig. Es schien jahrelang hindurch festzustehen, daß sich das politische Leben in der Bundesrepublik auf CDU und CSU, FDP und Sozialdemokratie konzentrierte. Die im Bundestag vertretenen Parteien waren in der Lage, alle wichtigen gesellschaftlichen Strömungen in sich aufzunehmen und hier darzustellen. Dies hat sich geändert. Viele, insbesondere junge Menschen, suchen nach Alternativen zu den traditionellen Parteien, zu unserer Art, Politik zu machen. Das hängt unter anderem damit zusammen, daß viele Menschen das Gefühl haben, die hier im Bundestag vertretenen Parteien seien nicht mehr recht imstande, auf drängende Probleme rechtzeitig zu reagieren. Als Sammelbecken solcher jungen Menschen, die nach einer Orientierung suchen, haben sich nun in einigen Bundesländern die Grünen oder Alternativen und Grünen zu einer dritten oder vierten oder fünften Kraft gemausert. Von einer neuen Partei kann da noch nicht gesprochen werden. Die inhaltliBundeskanzler Schmidt chen Konturen dieser Bewegung sind sehr unklar. Teilweise hängen sie konservativen, auch sozial restriktiven Vorstellungen an - etwa was Kürzungen im Sozial- oder Bildungsbereich angeht -, andererseits wollen einige die Sozialdemokraten links überholen; zum Teil verbreiten sie auch kommunistische Agitation. In einem unserer Landtage hat einer ihrer gewählten Wortführer letzte Woche die böse Behauptung aufgestellt, die CDU, aber auch Teile der SPD kalkulierten einen Krieg als Konsequenz ihrer Politik ein usf. Vieles paßt bei den Grünen nicht unter den gleichen Hut. In der Frage der Anwendung von Gewalt bekennen sie sich einerseits zu Frieden und Gewaltlosigkeit, andererseits befürworten sie im Innern des eigenen Staats gewalttätige Durchsetzung der eigenen politischen Interessen. Was die rechtsstaatliche Ordnung angeht, nützen sie einerseits alle Mittel, die der Rechtsstaat zur Verfügung hat, andererseits legitimieren sie rechtswidriges Vorgehen. Einerseits drängen sie in die kommunalen und Landesparlamente, auf der anderen Seite sehen sie in den Parlamenten nur Hemmschuhe für das, was Fundamentalopposition genannt wird, oder für ihre basisdemokratischen Vorstellungen. Auf all diesen Gebieten muß also innerhalb dieser Bewegung noch ein grundsätzlicher Gärungs- und Klärungsprozeß stattfinden. Keiner kann heute recht vorhersehen, zu welchem Ergebnis das führen wird. Eines bleibt richtig: Die Grünen haben eine Reihe von richtigen Fragen gestellt, auf drängende Probleme hingewiesen, auch wenn ihre Antworten auf schwierige Fragen meist allzu einfach sind. Es wäre im Sinne des Gärungsprozesses, des Klärungsprozesses falsch, wenn man sie dort, wo der Wähler sie in Parlamente entsandt hat, von vornherein ausgrenzen wollte. ({68}) Denn es stecken auch viel Sehnsucht und viel jugendlicher Idealismus in dieser Bewegung. ({69}) Ich möchte an dieser Stelle, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen einfügen, bei denen ich nicht beanspruche, für die Bundesregierung als ganze zu reden. Sondern ich berufe mich bei diesen Anmerkungen zur innenpolitischen Lage auf die Rechte, die das Grundgesetz dem Bundeskanzler einräumt. Ich sehe, CDU und CSU streben ungeduldig die Regierungsmacht an. Ich wiederhole: Ein alternatives Konzept haben Sie dafür bisher nicht vorgelegt. Herr Kohl lobt die konservative Wirtschaftspolitik, er lobt meine Kollegin Frau Thatcher, er lobt Präsident Reagan, aber deren viel höheren Arbeitslosigkeitsraten und Inflationsraten und Zinssätze und deren Steuererhöhungen lehnen Sie ab. Herr Strauß lehnt alles ab. Er steht immer noch bei der totalen Verweigerungsstrategie von Sonthofen. Die Ministerpräsidenten Späth und Weizsäcker, Albrecht und Stoltenberg von der CDU spüren und wissen von ihrer Mitverantwortung für das Ganze, aber sie haben sich noch nicht durchgesetzt. ({70}) Gestern wollten die Bundestagsfraktion und der Oppositionsführer schon im Vorwege den ganzen Haushalt ablehnen, aber sie setzen anders als z. B. die Opposition in den Vereinigten Staaten keine eigenen wirtschafts- und sozialpolitischen, keine eigenen haushaltspolitischen Konzepte dagegen. ({71}) Sie wollen zwar die Regierungsmacht - das ist weiß Gott legitim -, aber ohne plausibel zu sagen, zu welchem Zweck. Regierungsmacht und Verantwortung gehören zusammen. Das Wort „Verantwortung" hängt mit dem Wort „antworten" zusammen, d. h. auf Fragen antworten. ({72}) Sie müssen konkrete Antworten auf die Frage nach Ihren konkreten Absichten geben. Offenbar gibt es auch bei der FDP den einen oder anderen Kollegen, der einen solchen Wechsel in einer ungewissen Zukunft erhofft. Die Zeitungen berichten seit Wochen darüber. Es handelt sich meist um doppeldeutige Äußerungen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls erstreben keinen Wechsel, ich auch nicht. Ich hantiere auch nicht mit einem sogenannten Minderheitenkabinett. ({73}) Ich sehe weder in der Deutschland- noch in der Außen- noch in der Sicherheitspolitik eine Regierung Kohl oder Kohl/Strauß, die dem öffentlichen Wohl der Nation besser dienen könnte. Ich sehe sie nicht in der Umweltschutzpolitik, nicht in der Rechtspolitik, nicht in Fragen der inneren Sicherheit, nicht in der Bildungspolitik, nicht in Sachen Kriegsdienstverweigerung und sogenannter Gewissensüberprüfung. ({74}) Ich sehe nicht, daß sie dem öffentlichen Wohl besser dienen würden hinsichtlich der inneren Liberalität unseres Staates insgesamt. ({75}) Die Sozialdemokraten wissen: Wir stellen innerhalb der sozialliberalen Koalition zwar die Mehrheit, aber wir stellen nicht die Mehrheit des Bundestages, erst recht nicht die des Bundesrates. Wenn sich im Bundestag eine andere Mehrheit für eine andere Politik finden sollte: Bitte sehr, dafür hält das Grundgesetz den Art. 67 bereit. ({76}) Machen Sie von Art. 67 Gebrauch! Bringen Sie den Antrag auf ein konstruktives Mißtrauensvotum ein, Herr Dr. Kohl! Lassen Sie uns nächste Woche darüber abstimmen! ({77}) - Und wenn darüber auf Ihrer Seite gelächelt wird, dann muß ich sagen: Prüfen Sie selber, ob Sie andere Absichten haben als diese. Aber die Bürger im Lande ({78}) haben mit Recht genug davon, ({79}) daß ewig geredet wird, genug von den Finessen und Gerüchten, ({80}) wie sie jeden Abend im Fernsehen präsentiert werden. Die Bürger haben Anspruch auf Klarheit, Herr Dr. Kohl! ({81}) Innere Stabilität ({82}) und eindeutige Handlungsfähigkeit nach außen ({83}) sind in der doppelten Krise der Welt unverzichtbar. Wer nach einem konstruktiven Mißtrauensvotum, das Sie eben belächelt haben, worauf aber doch allein Ihre ganze Hoffnung beruht ({84}) - auf das Thema Neuwahlen komme ich gleich! -, ({85}) wer nach einem konstruktiven Mißtrauensvotum Kanzler wird oder bleibt, der hat das Recht, über Art. 68 nach einer Vertrauensfrage - wenn der Bundespräsident es so will - die Auflösung des Bundestages und Neuwahlen herbeizuführen. Ich brauche gegenwärtig kein erneutes Vertrauensvotum. ({86}) Die Wählerinnen und Wähler haben der sozialliberalen Koalition und der Bundestag daraufhin mir ein vierjähriges Mandat gegeben. Das Vertrauensvotum im Februar 1982 entsprach diesem Auftrag. Wenn Sie aber, Herr Dr. Kohl, in geheimer Wahl vom Bundestag zum Nachfolger gewählt werden sollten, ({87}) so müßten Sie allerdings Neuwahlen erzwingen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens: Weil ein Bundeskanzler nicht nur grundgesetzliche Legalität braucht, sondern auch - über jede verschleierte Vorbereitung eines konstruktiven Mißtrauensantrags hinaus - die geschichtliche Legitimität, die nur der Wähler ihm geben kann; ({88}) und zweitens: weil Sie dem Volke vorher sagen müssen, was Sie tatsächlich anders machen wollen, ({89}) vom Kindergeld bis zur Ergänzungsabgabe, vom Verteidigungshaushalt bis zur Deutschlandpolitik und vom Umweltschutz bis zur Abrüstung, über das ganze Feld, was Sie wirklich anders machen wollen. ({90}) Wenn Ihnen die Wähler des Landes eine Mehrheit verschafften, so könnten wir darüber zwar nicht froh sein, aber selbstverständlich hätten wir uns vor dem Urteil der Wähler zu verneigen. ({91}) Es könnte trotzdem sein, daß einige Ihrer potentiellen Mißtrauensvotumspartner statt dessen Neuwahlen umgehen wollen ({92}) aus mir durchaus verständlichen Gründen. ({93}) Auch derjenige, der das Risiko des Wechsels zu einer anderen Politik auf sich nehmen wollte, benötigte dafür Legitimität. ({94}) Wir achten die Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten. ({95}) Höchster Maßstab der Gewissensprüfung müssen aber die Achtung vor dem Votum der Wähler, die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems und das Ansehen der politischen Parteien sein. So hat Walter Scheel heute vor zehn Jahren hier an diesem Pult gesagt. ({96}) Und er hat hinzugefügt: Wer hat denn jemals einen Volksvertreter daran gehindert, seinem Gewissen zu folgen und sein Mandat in die Hände der Wähler ... zurückzulegen? ({97}) Hüten wir uns davor, große Worte zu strapazieren, wenn es um ganz handfeste Dinge geht. ({98}) Man kann nicht, sage ich, weder Sozialdemokraten noch Freie Demokraten, davonlaufen, wenn die Zeitläufte schwierig sind. Das kann man nicht. ({99}) Ich habe bisher, in über acht Jahren, von der Richtlinienkompetenz nach Art. 65 des Grundgesetzes keinen Gebrauch gemacht. Ich habe es vielmehr immer als meine Pflicht angesehen, große Anstrengungen auf das Zustandebringen von vernünftigen, praktisch brauchbaren, beiden Seiten gleichermaßen zumutbaren Kompromissen zu verwenden. Insofern waren die Richtlinien der Politik immer gemeinsam erarbeitet. Aber sobald sie dann vom Bundeskanzler festgestellt sind, gilt für sie der Art. 65 des Grundgesetzes. Dem kann man sich nur durch Ausscheiden aus der Bundesregierung entziehen. Und der Bundeskanzler weiß, daß man reisende Leute nicht aufhalten soll: ({100}) Wir haben bisher unser Land gemeinsam sehr viel besser durch die politische und wirtschaftliche Doppelkrise der Welt gesteuert als viele andere. Das können wir auch in Zukunft gemeinsam tun. ({101}) Dabei ist kein Koalitionspartner jemals majorisiert worden. Das kann auch in Zukunft niemals anders sein. ({102}) Daß man in der Regierung Fehler machen kann, daß man sogar Schuld auf sich laden kann, das weiß ich wohl. Bei diesem Satz steht mir in den 13 Jahren der sozialliberalen Koalition nichts deutlicher vor Augen als die zermürbenden langen Wochen täglicher Entscheidungsnotwendigkeiten, täglicher Ungewißheiten über die Werteabwägungen, Zweckmäßigkeiten und Schuld, die wir damals während der Entführung von Dr. Schleyer und von dem „Landshut"-Flugzeug heute vor fast genau fünf Jahren zu tragen hatten. Ich bin heute noch dankbar, daß alle vier Bundestagsparteien diese Last über Wochen gemeinsam getragen haben. Aber auch in weniger dramatischen, in weniger tragischen Situationen muß eine Regierung anderen immer wieder etwas zumuten. Demokratie bedeutet Zumutung, hat Hans Heigert jüngst geschrieben. Er hat recht. Aber natürlich gibt es auch Grenzen des Zumutbaren, auch für uns Sozialdemokraten, auch für mich. ({103}) Erstens. Eine prinzipiell deflationistische Finanzpolitik ist uns nicht zuzumuten, ({104}) und zwar weil sie im eigenen Lande, aber auch international alle nur noch in tiefere Rezession treiben würde. Wir müssen und wir wollen in den öffentlichen Haushalten den Rahmen aller unserer Möglichkeiten ausschöpfen, damit die Zinsen weiter sinken können - gewiß! -; aber wir wollen nicht die allgemeine Nachfrage und die Volkswirtschaft und das soziale Netz kaputtsparen. ({105}) Das schafft keine Arbeitsplätze. Das führt zur Schrumpfung. Zweitens. Für Sozialdemokraten ist eine bloße Hinnahme von struktureller Arbeitslosigkeit unzumutbar. ({106}) Wenn und soweit die wirtschaftlichen Daten der Welt oder Deutschlands sich im Herbst weiterhin verschlechtern sollten, was leider anzunehmen ist, so werden wir über die Notwendigkeit zusätzlicher Schritte nachzudenken und zu entscheiden haben. Das gilt für den Bund, das gilt für die Gemeinden und die Städte, und das gilt auch für die Länder. Drittens. Nur begrenzt kann dafür zusätzlich Kredit in Anspruch genommen werden. Zum anderen Teil bedürfte es in einem solchen Fall der zusätzlichen Ausgabenumstrukturierung in den öffentlichen Haushalten, und zum dritten Teil wird wohl 1983 infolge der weltweiten Hochzinsen ein deutlich höherer Bundesbankgewinn zur Verfügung stehen, als gegenwärtig veranschlagt ist. ({107}) - Lieber Freund, das steht im Gesetz und das seit über 25 Jahren. Sie haben bisher keinen Antrag eingebracht, dieses Gesetz zu ändern. ({108}) Viertens. Bei alledem muß die soziale Gerechtigkeit gewahrt werden. Es gibt 22 Millionen Arbeitnehmer und 12 Millionen Rentner und Pensionäre. Sie werden durch ihre kleinen Verzichte insgesamt sehr viel mehr Finanzmittel freisetzen als die 1,2 Millionen privater Haushalte, die im Monat ein Einkommen von mehr als 10 000 DM haben. Unter den letzteren sind viele Selbständige, Freiberufler, leitende Angestellte, hochverdienende Manager usw. Diese sollten aber jeder einzeln, so denken wir, sehr viel höhere Opfer tragen als die Rentner, die zukünftig - schrittweise zunehmend - die Hälfte der Beiträge für ihre eigene Krankenversicherung aufbringen müssen. ({109}) Wer dagegen als angeblich familienfeindlich ablehnt, daß der einkommensteuerliche Splittingvorteil von Ehepaaren auf 10 000 DM pro Jahr begrenzt wird, d. h., daß Ehepaare oberhalb von 100 000 DM jährlichen Einkommens nur noch 10 000 DM und nicht mehr wie heute bis zu 15 000 DM Steuervorteil genießen, Herr Dr. Kohl, dient wirklich nur den finanziellen Interessen der Einkommensoberschich6758 ten und tarnt dies bloß mit dem Verfassungsgrundsatz des Schutzes der Familie. ({110}) Ich teile hierzu weitgehend die Meinung der Frau Kollegin Matthäus-Maier. ({111}) - Ja, sie hat sich sehr luzide dazu geäußert. Im übrigen fängt der Schutz der Familie nicht bei 100 000 DM Jahreseinkommen an, sondern beginnt bei der Familie des unverschuldet Arbeitslosen, der weder 10 000 DM noch 15 000 DM Steuervorteil hat. ({112}) Herr Dr. Kohl, gerade auch für den von Ihnen erhofften Fall Ihrer Kanzlerschaft fordere ich die Opposition auf, in diesem Punkte eindeutig Farbe zu bekennen. ({113}) Fünftens. Die Sozialdemokraten sind unter der Voraussetzung sozialer Ausgeglichenheit und Symmetrie bereit, über langfristige Veränderungen im sozialen Netz als Folge der geänderten gesamtgesellschaftlichen, gesamtwirtschaftlichen Strukturen nachzudenken. Wer aber meint, es müßten über die morgen einzubringenden Gesetzentwürfe hinaus den Mißbrauchsmöglichkeiten im sozialen Sicherungsnetz zusätzliche Riegel vorgeschoben werden, sollte dazu konkrete Gesetzgebungsvorschläge machen. Aber er müßte dann, denke ich, ebenso bereit sein, zusätzliche Schritte zur Beseitigung von noch bestehenden Mißbrauchsmöglichkeiten zu tun, z. B. im Geschäftsbereich einiger freier Berufe, im Einkommensteuerrecht im allgemeinen, im Steuerrecht der Landwirtschaft, im Gesellschaftsrecht und so fort. ({114}) Er dürfte auch keine zusätzlichen Abstriche bei den Sozialleistungen verlangen, solange er jede zusätzliche Belastung der Höherverdienenden ablehnt. ({115}) Hierfür ist seitens der Gewerkschaften das Instrument einer allgemeinen Arbeitsmarktabgabe vorgeschlagen worden. Die Bundesregierung hält dies für verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft. Die im Grundgesetz vorgesehene Ergänzungsabgabe dagegen ist 1968 bis 1974 für die Einkommensteuer und 1976 für die Körperschaftsteuer in ähnlicher Form mit Erfolg praktiziert worden. Sie hat damals den von den Kollegen Schiller und Strauß gemeinsam herbeigeführten Boom von 1969/70 in keiner Weise behindert. Im Gegenteil, sie hat zur Finanzierung des Anstiegs staatlicher Investitionen und Beschäftigung beigetragen. Ich habe die Anregung des Kollegen Hölscher dazu in den letzten Tagen mit Interesse gelesen. Ich wiederhole vor dem Hause meine schon mehrfach bekundete Sympathie für eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe zu Lasten der besser gestellten Einkommensteuerpflichtigen - zeitlich befristet! -, und zwar sage ich das wohlgemerkt für den Fall, daß insgesamt zusätzliche Schritte zur Lösung der Haushalts- und der Beschäftigungsprobleme notwendig würden. Natürlich würde darüber und über alle zusätzlichen Schritte insgesamt sorgfältig zu reden sein. Aber Sie, Herr Dr. Kohl, sollten uns klar sagen, ob Sie die Ergänzungsabgabe nur heute ablehnen oder ob Sie sie für den Fall Ihrer Kanzlerschaft dann doch im Köcher behalten wollen. ({116}) Ich klebe nach 13 Jahren Regierungsarbeit nicht an meinem Stuhl. Aber ich bin gegen eine Kanzlerschaft des Kollegen Kohl, weil ich unser Land weder außen- noch sicherheits-, weder finanz- und wirtschafts- noch sozialpolitisch einer bisher profillosen anderen Mehrheit anvertrauen möchte. ({117}) Einige werden gestern im konservativen Londoner „Daily Telegraph" gewiß den Leitartikel gelesen haben, in dem für den Fall von Herrn Kohls Kanzlerschaft vorausgesagt wird, er würde praktisch sehr ähnliche Politiken verfolgen wie die sozialliberale Koalition, aber sie mit weniger Erfahrung handhaben. ({118}) Wer nun trotz alledem wechseln will - das ist legitim -, soll das offen und ehrlich sagen. ({119}) Danach sollten dann allerdings die Bundestagswählerinnen und -wähler nicht übergangen werden. Übrigens denke ich dabei nicht an falsche Parallelen, nicht an 1930 oder 1932. Wenn mich neulich jemand mit dem Reichskanzler von Papen, dem späteren Vizekanzler Hitlers, verglichen hat, so war das eine doppelte Geschmacklosigkeit. Weder darf mich einer mit dem Steigbügelhalter Hitlers in Verbindung bringen noch ist es erlaubt - wenn auch nur unausgesprochen -, den möglichen Nachfolger Dr. Kohl mit Hitler in Verbindung zu bringen. ({120}) - Ich teile Ihre Empörung, und ich habe mich mit dieser Bemerkung zum Sprecher des ganzen Hauses gemacht. ({121}) - Ich fürchte, Sie haben mich akustisch nicht richtig verstanden; die Zwischenrufe müssen auf einem Mißverständnis beruhen. Ich habe Herrn Dr. Kohl genau wie mich vor solchen unerhörten Parallelen in Schutz genommen. ({122}) Wir Sozialdemokraten hatten jüngst Anlaß, des vor 30 Jahren verstorbenen Kurt Schumachers zu gedenken. Sein Vorbild zeigt jedem, daß man vor der Verantwortung nicht davonlaufen darf. ({123}) Ich denke nicht an Rücktritt. Das versichere ich auch all jenen, die mir in den letzten Tagen besorgte Briefe geschrieben haben, auch aus anderen Parteien. ({124}) Wenn eine geschichtliche Epoche in der Entwicklung unseres Staats abgebrochen werden soll, dann bitte mit offenem Visier und mit einem klaren Willensentscheid derjenigen, die das wollen, mit einer Begründung, die vor der Geschichte unseres Staats Bestand hat, und nicht mit nebensächlichen, kunstvollen Argumenten. ({125}) Ich bin überzeugt es ist keineswegs notwendig, hier etwas abzubrechen. Im Gegenteil: Erst letzte Woche habe ich gespürt, wie wir auf mehreren wichtigen Feldern im Kabinett ohne große Mühe zur Übereinstimmung gekommen sind. Das galt insbesondere für vielschichtige Umweltschutzprobleme. Aber dies war deshalb möglich, weil es einen Bestand an prinzipieller Gemeinsamkeit gibt, weil es einen Bestand an prinzipieller Übereinstimmung auf vielen Feldern gibt. ({126}) Ich bin zuversichtlich, daß wir in einer großen gemeinsamen Anstrengung auch die uns gegenwärtig bedrängenden Probleme gemeinsam lösen können. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands blickt nächstes Jahr auf 120 Jahre ihrer Geschichte zurück. Wir sind stolz auf das, was unsere Partei in vier Generationen zur Entfaltung von Freiheit und Gerechtigkeit in Deutschland hat beitragen dürfen. Wir sind stolz auch auf die gegenwärtige sozialliberale Koalition und auf den inneren Wandel, den sie in unserem Lande ausgelöst hat. ({127}) Wir sind ebenso stolz auf das gemeinsam mit der Freien Demokratischen Partei zustande gebrachte Ansehen, das die Bundesrepublik heute in Europa und in der Welt genießt. ({128}) Wir sind stolz darauf, ein von Ost und West anerkannter Faktor des Friedens zu sein. Und das muß auch so bleiben! ({129}) Wir sind stolz darauf, daß wir in unserem Land einen sozialen Frieden in einer Weise haben festigen können, wie das in der ganzen industriellen Welt sehr selten und in der kommunistischen Welt völlig undenkbar ist. ({130}) Viele von uns - ich gehöre dazu - sind zugleich Mitglied unserer Partei und Mitglied unserer Gewerkschaft. Die Gewerkschaften haben nicht nur zur Aufbauleistung nach dem Krieg, sondern auch zur Entfaltung von innerem Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit nach innen und nach außen Entscheidendes beigetragen. Auch darauf sind wir stolz. ({131}) Wir werden niemandem erlauben, Keile zwischen die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und die Sozialdemokratie zu treiben, die geschichtlich aus ein und derselben Wurzel stammen und die auch in Zukunft zusammenhalten wollen. ({132}) Das gilt in der schwierigen Zeit heute, es gilt auch für morgen. Wenn der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ernst Breit, vorgestern auf einem Gewerkschaftstag gesagt hat: „Die Gewerkschaften wollen nicht nur mitbestimmen, sondern auch mitverantworten. ({133}) Ein solches Angebot ist in wirtschaftlich und damit auch in einer für jedes Unternehmen sehr schwierigen Zeit keine Selbstverständlichkeit", wenn er ferner gesagt hat: „Die Gewerkschaften stehlen sich nicht davon, wenn es gilt, der Folgen der Wirtschaftskrise Herr zu werden" - und er hat dabei insbesondere auf die Unternehmen und Betriebe Bezug genommen -, dann weiß ich, daß dies aus innerer Überzeugung der Menschen kommt, die er zu vertreten hat. ({134}) Ich habe Vertrauen zum Verantwortungswillen der Gewerkschaften in Deutschland. Sie haben ihn bewiesen und werden ihn auch wieder beweisen. Dies alles habe ich in meiner Verantwortung als Bundeskanzler gesagt. Ich knüpfe zum Schluß bei den Gedanken an, die ich im Namen der Bundesregierung vorgetragen habe. Wir Deutschen haben mehr Nachbarn als irgendeine andere Nation Europas, j a der ganzen Welt. Im Grunde macht es die geopolitische Lage im Zentrum dieses relativ kleinen Kontinents dem deutschen Volke schwieriger als fast jedem anderen, mit allen seinen Nachbarn in Frieden zu leben. Besonders in den letzten 100 Jahren sind die Deutschen mehrfach aus dem Zentrum Europas hervorgebrochen und haben Kriege auf den Territorien der Nachbarn geführt. Das furchtbarste Beispiel war Hitlers Krieg, der nach Frankreich und Polen, tief nach Rußland hinein, nach Norwegen, Finnland, Italien, Nordafrika, überallhin Verwüstung getragen hat. Aber auch umgekehrt sind Nachbarn Deutschlands über Jahrhunderte immer wieder in unser Land eingefallen. Wenn man Geographie und Geschichte betrachtet, so war durch die Jahrhunderte Friedlosigkeit deutsches Schicksal. Mit dieser Geschichte hat die Bundesrepublik gebrochen. Sie will sie nicht auslöschen - das kann sie nicht -, aber sie hat einen neuen Anfang genommen. Konrad Adenauer hat mit den Verträgen mit dem Westen diesen Anfang gemacht. Aus dem sogenannten Erbfeind Frankreich ist, nachdem es - wie dann andere Nachbarn in West, Nord und Süd - uns die Hand zur Versöhnung gereicht hat, ein Freund und ein enger Bündnispartner geworden. Die sozialliberale Koalition hat mit ihrer Vertrags- und Aussöhnungspolitik gegenüber den östlichen Nachbarn die zweite Säule, die notwendige Ergänzung zu friedlicher Nachbarschaft nach allen Himmelsrichtungen geschaffen. Inzwischen haben wir Deutschen alle verstanden, daß es unsere Aufgabe ist, den Frieden zu wahren in Richtung auf alle Nachbarn. Wir haben inzwischen unsere inneren Konsequenzen gezogen. Ich bin sehr dankbar, daß sich diese grundsätzliche Orientierung in der Seele unseres Volkes durchgesetzt hat. Die Hunderttausende von Paketen, die Monat für Monat aus persönlicher, privater Initiative nach Polen geschickt werden, zeigen, daß wir trotz des Elends der Vertreibung aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern, Westpreußen begriffen haben: Nur die Aussöhnung, nur eine Politik der guten Nachbarschaft, nur eine Politik, die auch im Gegner den Mitmenschen sieht, nur sie dient dem Frieden. Und die Polen haben gemerkt, daß diese Politik eben nicht nur von den Regierenden in Bonn betrieben wird, sondern daß dahinter das ganze breite deutsche Volk steht. ({135}) Wir erwarten auch von unseren Partnern im Bündnis, von unseren Freunden im Westen, daß sie verstehen, wie wichtig uns Deutschen nach unserer ganzen Geschichte der Friede und die gute Nachbarschaft mit allen unseren Nachbarn ist. Die deutsche Friedenspolitik nach innen wie nach außen muß vor der geschichtlichen Erfahrung unseres Volkes bestehen können. Das ist eine schwere Aufgabe. Die Friedenswilligkeit, die ehrliche Friedenswilligkeit allein ist dafür noch nicht genug. Man muß handeln und verhandeln und Verträge schließen, erst recht zwischen den beiden deutschen Staaten. Wir können diese Politik des Friedenswillens und des Friedenshandelns um so leichter verfolgen - wir alle hier in Bonn -, als wir den deutschen Staat aufgebaut haben, der moralisch, der demokratisch und der auch wirtschaftlich bei weitem der stärkere von beiden ist. Wir sind gefestigter in vielerlei Beziehung als die DDR. Wir haben deshalb auch die Kraft, manches zu ertragen und trotzdem nicht nachzulassen, Fäden neu zu knüpfen und zu stärken. Wir meinen es j a ernst mit dem, was in der Präambel des Grundgesetzes steht. Wir werden aber diesem Gebot in der Präambel nur dann gerecht, wenn wir die politischen und menschlichen Voraussetzungen für den Zusammenhalt der Nation nicht verkommen lassen, auch wenn auf der anderen Seite manche den Zusammenhang mutwillig auflösen wollen. Anders als auf dem Wege, der beharrlich den Kompromiß sucht, weil er den Frieden will, anders ist die Präambel des Grundgesetzes nicht zu verwirklichen. ({136}) Unserer Politik geht es um die schrittweise Verbesserung, um die mögliche Veränderung auf das wünschbare Ziel hin. Das gilt für die deutsch-deutsche Politik, das gilt für die Friedenspolitik im WestOst-Zusammenhang, im Nord-Süd-Zusammenhang, und es gilt auch für die Politik des inneren Friedens. Solche Politik besteht aus vielen kleinen Schritten aufeinander zu, aus einer Kette von Kompromissen. Ich weiß, daß sie deshalb in den Verdacht des prinzipienlosen Durchwurstelns, wie einige sagen, geraten kann. Ich weiß das. Gerade gegenwärtig erhalten wieder einige Propheten der angeblich großen einfachen Lösungen Zulauf, die uns mit einem Schlage von allen Problemen befreien. Was wir machen, gilt als pragmatisch, und „pragmatisch" wird dann als Schimpfwort gemeint. Diese Verachtung entspringt einem Mißverständnis. Politisches Handeln ergibt sich nicht schon ohne weiteres aus Moral, Ethik oder Theologie. Politisches pragmatisches Handeln bedeutet die vernunftgemäße Nutzung von Mitteln zu einem moralisch gerechtfertigten Ziel, und die Mittel dürfen auch nicht unmoralisch sein. Das heißt: Politischer Pragmatismus vergißt über dem Tagesgeschäft nicht das Ziel, und er versäumt über dem Ziel und dem Reden über das Ziel auch nicht, das heute und jeden Tag tatsächlich Mögliche zu verwirklichen. ({137}) Ich denke oft, daß Politik insgesamt die Anwendung feststehender sittlicher Grundsätze auf sehr wechselhafte Situationen sein muß. Deshalb darf es auch kein pragmatisches, kein praktisches Handeln ohne die Pflicht, ohne die Bindung an sittliche Grundsätze und Grundwerte geben. Zugleich gilt, daß dieses Handeln den Frieden innerhalb einer Gesellschaft und zwischen den Staaten ermöglicht, weil es den Kompromiß will. Zugleich entspricht dieses Handeln dem Wesen der Demokratie, weil es von der Vielfalt der Wertorientierungen ausgeht. Diese Politik stiftet Frieden, weil sie im Kompromiß auch den Nutzen des anderen anerkennt und sogar sucht. ({138}) Das ist das Gegenteil von Opportunismus. Opportunist ist derjenige, der andere über die Notwendigkeiten, die Schwierigkeiten oder die Konsequenzen des Kompromisses hinwegtäuscht. Ich habe mich dieser Bindung an die Pflicht, dieser Auffassung von Politik in der sittlichen Pflicht immer zu stellen gesucht und will mich dem gerade auch in schwieriger Zeit nicht entziehen. Unsere Politik des Friedens nach innen und außen verspricht, weiterhin erfolgreich zu sein. Wer dies verleugnet, der sitzt einer Mode auf, die jüngst der amerikanische Journalist und Deutschlandkenner John Vinocur bei seinem Abschied aus Bonn so geschildert hat - ich zitiere -: „Ein bißchen Fremdenhaß, ein bißchen Romantik, ein bißchen das Gefühl, Opfer zu sein, und dicke Scheiben des Moralisierens und des Pessimismus: Westdeutschland im Jahre 1982". Kein Zweifel, wir haben eine harte Zeit durchzustehen, und mancher hat Anlaß zur Klage. Arbeitslosigkeit ist mehr als der Verlust von Einkommen. Ein Jugendlicher ohne Lehrstelle oder ohne Ausbildungsplatz hat - weiß Gott! - das Recht zu Kritik. Aber wie steht es mit jenen, die sich ohne persönlichen Grund einer Stimmung des Pessimismus hingeben, die, wie jüngst ein konservativer Schreiber in der „Zeit", Diether Stolze, geschrieben hat, „zu taumeln beginnen, lange bevor ihnen eigentlich schwindelig werden müßte"? Wir Deutschen in der Bundesrepublik sollten uns von unseren Landsleuten in der DDR nicht in der Fähigkeit übertreffen lassen, Sorgen zu ertragen und dennoch unsere seelische Kraft zu behalten. ({139}) Wir haben in der Friedenspolitik Kurs gehalten und Orientierung für andere geben können. Wir haben in der Wirtschaftspolitik Kurs gehalten, und das hat uns weitergebracht als manche Wunderkuren in der Welt. Wir haben den Sozialstaat nicht zum Verschiebebahnhof für wirtschaftliche Probleme werden lassen. Mit dem raschen Abbau des Leistungsbilanzdefizits, der Abschwächung des Preisanstiegs und mit den maßvollen Lohnabschlüssen dieses Jahres sind die Chancen für Zinssenkungen und für neue Investitionen größer geworden. Die beschäftigungswirksamen Maßnahmen, die in diesem Jahr ergriffen wurden, werden ebenfalls Wirkung zeigen. Jeder Ausländer bescheinigt uns, daß wir ökonomisch guten Kurs gehalten haben. ,Noch immer ist unser Lebensstandard einer der höchsten, noch immer sind die Deutschen Weltmeister beim Reisen ins Ausland, und noch immer sind die meisten mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage zufrieden und verlangen eigentlich nicht mehr. Viele sind durchaus bereit, Opfer zu bringen, und die Opfer sind auch notwendig. Auf diese Opferbereitschaft setze ich - und auf das Herz und den klaren Verstand, der in unseren Mitbürgern immer noch stärker ist als Selbstmitleid und Pessimismus. Der englische Journalist Jonathan Carr, der hier in Bonn unter uns ist, hat jüngst in der „Financial Times" über Deutschland geschrieben: Wenn die gegenwärtige Krise vorüber sein wird, werden wir hoffentlich weniger über deutsche Wunder und deutsche Tragödien hören - und mehr über ein mittelgroßes Land, das in ähnlich schwierigen Umständen wie wir Engländer alle die Probleme ganz gut meistert. Meine Damen und Herren, die Anzeichen dafür, daß dies gelingt, mehren sich. Damit wir unsere Probleme meistern, brauchen wir etwas mehr Vertrauen auf die eigene Kraft und etwas mehr Mut in der Gegenwart. Dann ist mir um die Zukunft dieses Landes nicht bange - und auch nicht um die Zukunft der Nation. ({140})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Senegal, die auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat. ({0}) Ich habe die Ehre, Seine Exzellenz den Präsidenten der Nationalversammlung, Herrn Dr. Amadou Cissé Dia, und die Mitglieder der Delegation sehr herzlich zu begrüßen. Ich freue mich darüber, daß Sie der Einladung zum Besuch der Bundesrepublik Deutschland gefolgt sind und daß Sie den Wunsch geäußert haben, auch Berlin zu besuchen. ({1}) Ihre Anwesenheit darf ich zum Anlaß nehmen, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern auch auf parlamentarischer Ebene ausdrücklich zu würdigen. Es ist uns eine besondere Freude, Sie im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Ich möchte Ihnen einen ebenso nützlichen wie angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin wünschen. ({2}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt eine über zweistündige Rede des Herrn Bundeskanzlers gehört, und wenn man genau hinhörte, war das eigentlich weniger ein Bericht zur Lage der Nation als ein Bericht zur Lage Helmut Schmidts. ({0}) Wirklich interessant an dieser langen Erklärung waren doch, Herr Bundeskanzler, eigentlich nur Ihre Äußerungen zu Ihrem Koalitionspartner. ({1}) Ich glaube, es ist nicht meine Sache, darauf näher einzugehen. ({2}) Aber wenn man eine Koalition hat und wenn man die Koalition so beschwört, wie Sie es hier getan haben, gehe ich davon aus, daß Ihr Koalitionspartner vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit heute das dazu sagt, was zu sagen ist. ({3}) Herr Bundeskanzler, das ist schon deswegen notwendig, weil Sie hier von Kontinuität und Legitimität gesprochen haben. Bisher war es in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie in Deutschland nicht üblich, daß eine Regierungserklärung, die eine Erklärung der sie tragenden Parteien ist, im wesentlichen zur Profilierung in der eigenen Partei herhalten mußte. ({4}) Aber in diesen Zeiten, wo j a so vieles nicht mehr der Tradition, der Gegebenheit und im übrigen auch der Würde entspricht, mag das eine Sache sein, die mit Ihnen heimgeht. Sie haben viel von Wahrheit und von Klarheit gesprochen. Sie haben in einer markigen Weise uns und andere aufgefordert, dafür einzutreten. Sie haben dann in einem anderen Teil, dem ich sehr zustimmen kann, uns alle gemeinsam aufgefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen. Nun, Herr Bundeskanzler, es gibt keinen einzigen Regierungschef seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, der so mit dem Begriff „Wahrheit" Schindluder getrieben hat, wie Sie es getan haben. ({5}) Sie haben 1976 vor der Wahl dem Wähler versprochen, die Renten seien in Ordnung. Sie haben dieses Versprechen nach der Wahl gebrochen. ({6}) Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, ohne dieses Versprechen ({7}) wären Sie 1976 nicht ins Kanzleramt zurückgekehrt. ({8}) Sie haben 1980 - ich nehme nur zwei Beispiele heraus ({9}) Ihren Wahlkampf damit bestritten, daß Sie all jene, die für eine seriöse Finanzpolitik und für Wahrheit im Haushalt eingetreten sind, der Panikmache bezichtigten. Sie haben heute einen von uns besonders respektierten Kardinal, den von Wien, zitiert. Sie haben sich dann darüber erregt, daß einige Kollegen darüber überrascht waren. Das ist doch ganz klar, Herr Bundeskanzler, warum die überrascht sind. Sie haben von diesem Pult aus den Kardinal von Köln, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, beschimpft, weil er vor der Wahl Haushaltswahrheit und -ehrlichkeit verlangt hat. ({10}) Mit einem Wort, ({11}) in diesen Jahrzehnten hat niemand vor Wahlen so viel versprochen und nach der Wahl so wenig gehalten, wie Sie dies getan haben. Deswegen verschonen Sie uns bitte mit Appellen zu Wahrhaftigkeit und Klarheit, und gehen Sie endlich mit gutem Beispiel voran! ({12}) Noch etwas in Ihrer Rede muß hier zu Protokoll genommen werden. Sie sprachen von der geschichtlichen Legitimität eines Bundeskanzlers. Sie sollten uns noch etwas mehr dazu sagen; denn ich gehe davon aus, daß das frei gewählte deutsche Parlament, daß die Abgeordneten, die in freier, geheimer und direkter Wahl in dieses Hohe Haus entsandt werden und die dann im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Rechte einen Regierungschef wählen, ob dies Adenauer war, ob dies Erhardt, ob dies Kiesinger, ob das Brandt war oder ob Sie das gewesen sind, immer in der vollen Legitimität standen. Herr Bundeskanzler, ich gehe schon davon aus, daß wir wenigstens noch in dem Punkt übereinstimmen, daß auch zukünftige Abgeordnete des Deutschen Bundestages in voller Legitimität handeln werden. Ich erwähne dies deswegen, weil jetzt, nachdem sich diese Ara dem Ende nähert, offenbar ist, daß die Legende schon gestrickt wird. Da kommen solche Ausdrücke wie „Machtwechsel" wieder; da kommen Begriffe wie „Königsmord". - Meine Damen und Herren, der Wechsel einer Regierung in einer demokratischen Gesellschaft ist die normalste Sache der Welt. ({13}) Es ist ja eine der großen Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie, daß der Wechsel im Amt, daß der Wechsel auch in der politischen Macht- und Amtsausübung in den zivilisierten Formen einer Verfassungsnorm vonstatten geht. Wir können nicht gestatten, daß Sie jetzt, wo Sie am Ende sind, hier im Lande wieder eine Stimmung erzeugen, als sei es etwas Unrechtes, darüber nachzudenken, daß Sie endlich von Ihrem Amt zurücktreten. ({14}) Herr Bundeskanzler, in diesen Reigen paßt dann sehr gut, daß Sie sofort im Anschluß daran wieder zu persönlichen Diffamierungen kommen. Herr Bundeskanzler, uns berührt das seit langem nicht mehr; das, was Sie heute hier wieder auf diesem Feld geboten haben, entlarvt ausschließlich Sie. Es ist schlimm für die Reputation unserer Republik, daß Sie als Kanzler der Bundesrepublik in einer Regierungserklärung so sprechen. Das ist die Realität. ({15}) Dann haben Sie - natürlich auch in der Ihnen eigenen Weise - das Thema einer Verfassungsbestimmung angesprochen: das konstruktive Mißtrauensvotum. - Herr Bundeskanzler, wir wollen doch schlicht und einfach einmal die Realitäten festhalten. ({16}) Gegenwärtig amtiert immer noch Ihre Regierung. Diese Regierung ist j a durchaus in der Lage - wenn das alles stimmen würde, was Sie sagen -, über eine Mehrheit von 43 Abgeordneten im Haus zu verfügen. Es ist Ihre Sache - Sie versuchen das ja von Zeit zu Zeit; wir haben das im Frühsommer bei der Vertrauensfrage erlebt -, dies über einen Appell deutlich zu machen. Es ist eine andere Sache - das ist auch ganz demokratisch, weil es den Grundrechten entspricht -, daß wir und alle anderen im Lande unseren Blick auch darauf richten, was eigentlich die Wähler zu der Entwicklung in diesen zwei Jahren sagen. Herr Bundeskanzler, auch wenn Sie uns noch so beschimpfen, es ist wahr: Ihre Koalition hat längst jedes Vertrauen in der Bevölkerung verloren. ({17}) Wir haben in diesem Jahr drei Regionalwahlen gehabt, und wir werden bald noch zwei andere haben. Wenn ich mir nun die Verlustquote der SPD ansehe - in Schleswig-Holstein 5,9 %, in Niedersachsen 5,7, in Ihrer Heimatstadt, mit der ganzen Propagandaapparatur, die mit dem Amt des Kanzlers verbunden ist, 8,7 % -, dann muß ich sagen: Das sind erdrutschartige Verluste. - Meine Damen und Herren, wenn in diesen Tagen wieder neue demoskopische Umfragen unter die Leute gebracht werden, in denen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands unter 30 % notiert, dann ist es so, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Partei am Ende Ihrer Zeit wieder auf der Ebene angelangt ist, auf der sie 1949 und 1953 angetreten ist. ({18}) Ich finde, wir beide brauchen dann nicht über Vertrauenswürdigkeit zu streiten. Überlassen wir dieses Urteil doch getrost dem Souverän unseres Landes: Das sind die Wahlberechtigten. ({19}) Meine Damen und Herren von der SPD, so wie Sie hier sitzen, es wäre doch ein Graus für Sie, wenn heute gewählt würde. Stellen Sie sich einmal vor, wie viele hier dann überhaupt nicht mehr den Saal betreten könnten! ({20}) Sie können uns doch nicht durch diese bestellten Ovationen über Ihren inneren Zwiespalt hinwegtäuschen. Es ist doch offenbar, wie es bei Ihnen aussieht. ({21}) Herr Bundeskanzler, ich schlage vor - damit will ich Ihnen ganz konkret die Antwort zum Thema Mißtrauensvotum geben -, wir, SPD, CDU/CSU und FDP, warten jetzt gemeinsam ab, was unsere Mitbürger bei den Wahlen in Hessen und Bayern entscheiden werden. Das ist eine interessante Entscheidung von allgemeinem Interesse. ({22}) Dann, Herr Bundeskanzler, setzen wir die Debatte, die wir heute begonnen haben, in aller Ruhe fort. Wir, die CDU/CSU, wollen einen neuen Anfang. Wir wollen eine neue Politik mit einer neuen Mehrheit in diesem Haus. ({23}) Herr Bundeskanzler, damit auch das ganz klar ist: Eine neue Mehrheit heißt für mich, daß vor einer Entscheidung dieser Mehrheit im Bundestag bezüglich der Sache, der Personen und der Inhalte klar ist, wie die Politik aussieht. Das haben Sie aus dem Fernsehinterview auch ganz klar erkannt. ({24}) Die Frage war ja auch gar nicht an mich gerichtet. Sie war an Ihren Nachbarn gerichtet. Das war der eigentliche Grund, warum Sie das Thema angesprochen haben. ({25}) Meine Damen und Herren, mir ist völlig klar, daß das Szenario, das heute von der SPD-Fraktion gestellt wird, auf der einen Seite „Ovation", auf der anderen Seite „Stören" heißt. Wir lassen uns von alledem nicht beeinträchtigen. ({26}) Herr Bundeskanzler, vor zwei Jahren, 1980, haben Sie mitten im Wahlkampf das kühne Wort gesprochen: Wir stehen besser da als im Kaiserreich 1913. ({27}) Daß Sie diese Formulierung 1982 noch aufnehmen, läßt mich fast das Thema der Intelligenzausstattung in den Raum bringen. Aber- ich will es nicht tun; ({28}) der Kanzler hat es schon getan. Sie haben damals in einem Interview gesagt, die SPD/FDP-Koalition stehe „für die nächsten vier Jahre vor einer von anderen nicht erfüllbaren Aufgabe". Jetzt frage ich Sie - heute ist ja Halbzeit -: Was haben Sie denn in diesen zwei Jahren bewältigt? Die Bilanz der zwei Jahre findet sich doch im Politischen wieder, in diesem Einzug, den Sie hier als Sozialdemokrat gemacht haben. Aber ich meine, sie findet sich noch sehr viel mehr in einer Erklärung des Präsidiums der SPD vom 31. August wieder. Ich zitiere wörtlich: Mit gezielten Koalitionsspekulationen hingegen, die seit Wochen in der Absicht genährt wurden, die Bundesregierung zu schwächen, werde dem Ansehen der Bundesre6764 gierung auch im Ausland schwerer Schaden zugefügt. Dies gelte beispielsweise für Äußerungen, wie sie Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff soeben über einen möglichen Koalitionswechsel in Bonn getan habe. Postwendend antwortete die FDP - ich zitiere wieder -: Mit der heutigen Kampfansage an die Regierungsbeschlüsse, die er selber am Verhandlungstisch mit gebilligt hat, hat sich Wehner an die Spitze der Ablehnungsfront gestellt. Die Front richtet sich gegen den Kanzler selbst. Und jetzt kommt wieder der Satz: Die Handlungsfähigkeit und das Ansehen der Regierung nach außen und innen werden auf das schwerste beeinträchtigt. Herr Bundeskanzler, in Ihrer Schlußbemerkung haben Sie um Vertrauen geworben. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, wenn der Bürger liest, daß die SPD der FDP, vor allem dem Bundeswirtschaftsminister, schlicht und einfach vorwirft, daß sie das Ansehen der Republik im Ausland schädige - und wenn umgekehrt die FDP die gleiche Antwort gibt? Glauben Sie wirklich, daß Sie angesichts eines solchen Zustands Ihrer Regierung überhaupt noch das Wort „Vertrauen" in den Mund nehmen können und daß Sie irgendwo in Deutschland glaubwürdig sind? ({29}) Diejenigen, die diese Formulierung „schweren Schaden zugefügt" gewählt haben, kennen doch den Text ihres Amtseids; sie kennen doch ganz genau jene Formulierung, die zum Inhalt hat, daß es Sache der Regierung ist, Schaden vom Land zu wenden. Wie will denn eine Regierung regieren können, wenn die Regierenden einander in aller Öffentlichkeit bescheinigen, daß sie dem Land Schaden zufügen? ({30}) Herr Bundeskanzler, der Vorwurf, der hier im Schoß Ihrer Regierung gegenseitig erhoben wird, ist so ungeheuerlich, daß der Rücktritt doch eigentlich die normalste Reaktion sein müßte, die zu erfolgen hat. ({31}) Seit zwei Jahren schlittert Ihre Regierung von einer Krise in die andere. Das Siechtum der Regierung droht, auf das Land überzugreifen. Es geht nichts mehr, und Lähmung macht sich breit. Niemand weiß mehr, was er erwarten darf und erwarten kann. ({32}) - Sie müssen das schon alles ertragen; denn Sie haben es ja wesentlich eingebrockt, meine Damen und Herren von der SPD! ({33}) Und ich finde, Sie sitzen hier immer noch bequemer als draußen in den Wahlversammlungen in Hessen und Bayern; da geht es ja ganz anders bei Ihnen zu. ({34}) Der Bundesvorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat die Lage Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, vor zwei Tagen ganz richtig charakterisiert. Er sagte: Die deutsche Politik und vor allem die Koalition bieten gegenwärtig ein eher trauriges Bild. Die vielen Manöver und taktischen Spielchen hängen den Menschen im Grund zum Hals heraus. Ich kann nur sagen: Willy Brandt hat völlig recht. Aber das ist doch genau das Problem, das wir haben. Der krisenhaften Entwicklung in der Innen- und in der Wirtschaftspolitik steht eine bedrückende Entwicklung in der Außenpolitik gegenüber. Die Beziehungen zu unserem wichtigsten Bündnispartner, den USA, sind gestört. Das westliche Bündnis steht vor schwierigen Belastungsproben. Der Prozeß der europäischen Einigung stagniert. Beklagenswerterweise häufen sich die Rückfälle in die nationalen Egoismen. Die innerdeutschen Beziehungen gerieten zur Einbahnstraße. Den Leistungen der Bundesrepublik Deutschland stehen keine entsprechenden Leistungen der DDR gegenüber. ({35}) Das trifft auch die Beziehungen zu Osteuropa. Moskau und Ost-Berlin harren der Entwicklung in Bonn. Sie warten darauf, Herr Bundeskanzler, was Sie noch leisten können - oder auch nicht. Es ist Halbzeit. Man darf Rückschau auf das Jahr 1980 halten. Herr Bundeskanzler, es kann doch keine Rede mehr davon sein, daß sich die Bundesrepublik Deutschland - jetzt zitiere ich Sie wörtlich aus dem Wahlkampf 1980 - „wegen ihres Erfolgs" in eine internationale „Führungsrolle" gedrängt sehen könnte. Das war doch damals jener vordergründige Stolz, mit dem Sie durchs Land zogen. Die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland gründet seit 1949 in der Werteordnung und in der Ideengemeinschaft der freien Welt. Sie wird bestimmt durch die Soziale Marktwirtschaft und durch die westliche Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik Deutschland wie für West-Berlin im besonderen. Wer immer an diese grundlegenden Bedingungen unseres Staates rührt, gefährdet die Freiheit und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und den Frieden in Europa. ({36}) Mit der Freundschaft und dem Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika darf deshalb niemand nach seinem Belieben verfahren. Wer Belastungen und Störungen leichtfertig in Kauf nimmt oder bewußt fördert, höhlt ein entscheidendes Fundament unseres freiheitlichen Staates aus. Herr Bundeskanzler, im Konflikt zwischen den Europäern und der Bundesrepublik Deutschland, im besonderen mit den USA, geht es also nicht mehr nur um Erdgas, Röhren oder Stahl. Es geht um moralische und politische Grundpositionen. ({37}) Die negativen Wirkungen dieses Geschäfts auf die europäisch-amerikanischen Beziehungen, auf die deutsch-amerikanische Freundschaft, auf das westliche Bündnis insgesamt haben doch in Wahrheit ein Ausmaß erreicht, das zu Recht die Frage aufwirft, ob die Bedeutung dieses Geschäfts dazu noch in einem annehmbaren Verhältnis steht. ({38}) Ist das alles wirklich nur „Familienstreit"? Geht es in Wirklichkeit nicht vielmehr um die Frage, wie die freie Welt - und damit auch wir - die Beziehungen zur Sowjetunion grundsätzlich gestalten soll? Der Konflikt mit Amerika ist doch das Ergebnis davon, daß es bisher nicht gelungen ist, innerhalb der Allianz eine gemeinsame Analyse der sowjetischen Politik zu erarbeiten und vor allem eine Übereinstimmung in der Bewertung herbeizuführen. Schon gar nicht ist es gelungen, die Politik und die Maßnahmen zu koordinieren und abzustimmen. ({39}) Dabei ist es doch gerade für uns, die Deutschen, die Nachbarn der Sowjetunion, lebenswichtig, ob und wie wir im Bündnis auf die sowjetische Politik nach außen und nach innen reagieren. Können und dürfen wir, so frage ich, eine evolutionäre Entwicklung in Osteuropa und in der Sowjetunion zu mehr Freiheit und Offenheit beeinflussen? Sollen wir wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen, losgelöst von der jeweiligen sowjetischen Politik der Unterdrückung nach innen und der Aggression nach außen, fortführen oder gar ausbauen? Oder müssen wir sie einschränken oder gar einstellen? Ist es wirklich so weit mit uns gekommen, daß die Frage der Menschenrechte überall in der Welt der blanken Opportunität geopfert wird? ({40}) Wir müssen im Westen darüber reden, wie wir zu gemeinsamen Entscheidungen kommen können. Ich habe hier schon in einer Rede 1980 für die Unionsfraktion gefordert, daß man zu der Einrichtung eines ständigen Organs für Konsultationen und gegenseitige Abstimmung in allen Fragen des Ost-West-Handels innerhalb der Staatengemeinschaft des Westens, gemeinsam mit den Japanern, kommen müßte. ({41}) Wäre es rechtzeitig dazu gekommen, hätten wir uns in diesen letzten Jahren und Monaten viel erspart. ({42}) Die Wirksamkeit der Bündnispolitik erhöht sich doch - das ist eine Erfahrung der Geschichte - mit dem Maß der Übereinstimmung. Jetzt frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Was haben Sie denn bei Ihrer USA-Reise getan, um diese Konflikte abzubauen? Als Sie im Juli in die Staaten reisten, wollten Sie - ich zitiere Sie wörtlich - „das allgemein beeinträchtigte Verhältnis zu allen europäischen Partnern" zur Sprache bringen. Kaum waren Sie abgereist, hat Ihnen Ihr Parteifreund Bahr noch die richtige Melodie mit auf den Weg gegeben, indem er nüchtern feststellte, daß die Bilanz der USAußenpolitik einmalig negativ und auf dem Nullpunkt angelangt sei - ein echter Bahr, wie jeder sofort erkennen kann. ({43}) Sie selbst forderten vor Ihrem Abflug in die USA die Amerikaner auf, sie sollten sich „disziplinieren, die Sorgen ihrer europäischen Partner anzuhören und zu überdenken". - Das ist so die richtige Begrüßungsmelodie, wenn man als Gast in ein anderes Land kommt. In Amerika führten Sie dann weiterhin Klage - immer alles öffentlich, natürlich - über den amerikanischen Protektionismus, über die Handelsdefizite der Administration, über zu hohe Zinsen, und wiesen den Amerikanern zunächst einmal forsch die Verantwortung für eine mögliche Weltwirtschaftskrise zu. Ist das Ihre Vorstellung von menschlichem Umgang untereinander, daß derartige öffentliche Zurechtweisungen freundschaftliche Gefühle erzeugen können? Starke Teile Ihrer Partei, bis hinein in die Führungsspitze, betreiben eine Politik, die beweisen soll, daß das Sicherheitsinteresse - und damit die Sicherheitspolitik - der USA immer deutlicher in Widerspruch zu den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik gerate. Aber wer das amerikanische und das deutsche Sicherheitsinteresse für unvereinbar erklärt, zerstört nicht nur das westliche Bündnis, sondern am Ende den Frieden und die Freiheit unseres Landes. ({44}) - Wissen Sie, Herr Kollege Ehmke, wenn Sie den Begriff „Anbiederung" in den Mund nehmen, fragt man sich natürlich, wo Sie sich schon überall angebiedert haben. ({45}) Ich frage mich wirklich: Was geht denn eigentlich in Ihrem Kopf vor, wenn Sie das klare Bekenntnis zur deutsch-amerikanischen Freundschaft als Anbiederung bezeichnen? Freundschaft heißt doch für uns, daß man nicht alles, was der Freund sagt, hinnimmt, sondern daß man versucht, die Interessen abzustimmen. Freundschaft heißt für uns aber vor allem, daß man miteinander und nicht übereinander spricht. ({46})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Kollege Kohl, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Keine Zwischenfrage.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, 1983 wird die deutsche Sicherheitspolitik vor einer entscheidenden Bewährungsprobe stehen. Nach all dem, was wir in diesen Monaten erlebt haben, müs6766 sen wir doch fragen: Werden Sie und wird vor allem Ihre Partei noch zu Ihrem Wort stehen und den NATO-Doppelbeschluß einlösen - vor allem dann, wenn, was wir alle nicht hoffen, die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen über die Abrüstung der sowjetischen Mittelstreckenraketen in Genf nicht erfolgreich verlaufen? Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede in einer ganzen Reihe von Passagen Dinge gesagt, die völlig unsere Zustimmung finden. Unsere Zustimmung findet - wir haben j a am gleichen Ort am gleichen Abend auf dem Katholikentag zu diesem Thema gesprochen - alles, was die Sehnsucht nach dem Frieden in Deutschland ausmacht. Wir sagen klar und deutlich j a zu dem Satz „Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus". Wir sagen ja zu allen Werken des Friedens. Wir sagen ja dazu, daß über 30, 40 Jahre nach den schrecklichen Erfahrungen zwischen Deutschen und Polen hunderttausende Deutsche aufgebrochen sind, um Werke des Friedens und der Nächstenliebe zu tun. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns darauf verständigen könnten, angesichts des zu erwartenden Winters die postalische Hilfe fortzusetzen, die wir im letzten Jahr gewährt haben, und die Pakete nach Polen portofrei zu machen. ({0}) Wir wollen positive Ergebnisse der NATO-Beschlüsse. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie selbst haben sich in diesen Jahren immer wieder gerühmt, daß Sie einer der Väter dieser Beschlüsse sind. Wenn das so ist - ich bezweifle es nicht -, dann müssen Sie und Ihre eigene Partei zu beiden Teilen stehen. Ich frage Sie: Wird die sozialdemokratische Partei - so, wie sie sich heute darstellt; wie sie auf ihrem Parteitag in München im April gesprochen hat - Ihrer Entscheidung im Bundestag folgen und im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen in Genf der Stationierung der Mittelstreckenwaffen in der Bundesrepublik Deutschland zustimmen? Wenn sie dies nicht tut - wird die Sozialdemokratie dann wenigstens der Versuchung widerstehen, eine öffentliche Kampagne anzustrengen, die das deutsche Volk wieder spaltet: in die sogenannten Friedensfreunde einerseits und die Kriegstreiber andererseits? Sie haben sich, ganz zu Recht, gegen die pauschale Beleidigung durch einen Repräsentanten der alternativen Szene verwahrt. Herr Bundeskanzler, es wäre wichtig für uns zu wissen, ob Sie, wo immer Ihr Standort sonst sein wird, auch bereit sind, zu sagen: Die Demokraten in Deutschland wollen alle den Frieden, weil wir die Lektion der Geschichte gelernt haben und Krieg und Gewalt für uns alle kein Mittel der Politik sind. ({1}) Unsere Sorge besteht darin, daß die sowjetische Führung die Entschlossenheit der NATO, den Doppelbeschluß in beiden Teilen zu erfüllen, nicht ernstnehmen könnte und hofft und erwartet, daß ihn eine Mehrheit in der SPD zusammen mit anderen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland - und damit im Bündnis - zu Fall bringen wird. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Herr Kollege Brandt, muß sich dann aber fragen, ob sie mit einer solchen Politik, die j a heute nur wenige Beobachter ausschließen, nicht eine historische Chance für einen substantiellen Rüstungsabbau aus partei- und wahltaktischen Erwägungen heraus verspielen würde, und zwar auf allen vier Ebenen: auf der Ebene der strategischen Waffen in der START-Verhandlungsrunde; im Rahmen von INF über die Reduzierung der nuklearen Mittelstreckenwaffen, in den Wiener MBFR-Gesprächen über die konventionellen Waffen und bei den vertrauensbildenden Maßnahmen in den KSZE-Nachfolgekonferenzen. Diese vier umfassenden Rüstungsbereiche stehen unübersehbar in einem engen sachlichen und politischen Gesamtzusammenhang. Scheitern die Verhandlungen in Genf sind selbstverständlich auch die anderen Verhandlungen gefährdet. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt damit über einen Schlüssel für eine Politik der aktiven Friedenssicherung, für eine realistische Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle, aber. nur solange sie in enger Abstimmung mit den Bündnispartnern in der NATO handelt - und das vor allem wiederum mit unseren Freunden, den Vereinigten Staaten von Amerika. Wer die Sicherheitspolitik des Bündnisses und der USA mit den deutschen Sicherheitsinteressen für unvereinbar erklärt, muß dann aber auch die Frage beantworten, wie er die Lebensfragen und die Existenz und Lebensfähigkeit West-Berlins dauerhaft aufrechterhalten will. Das freie Berlin lebt noch mehr als wir in der Bundesrepublik Deutschland von der Garantie unserer amerikanischen Verbündeten, daß ein Angriff auf West-Berlin zugleich ein Angriff auf die Vereinigten Staaten ist. Wer diesen Zusammenhang auflöst, liefert West-Berlin der Unfreiheit aus. ({2}) Auf die Gefahr hin, daß Herr Ehmke und die Seinen das wiederum als Kriecherei diffamieren, sage ich: Es ist wichtig, daß der amerikanische Präsident diese Formel und Garantie gerade in diesen Monaten in Berlin noch einmal feierlich bekräftigt hat. ({3}) In früheren Debatten zur Lage der Nation haben wir uns überwiegend mit Fragen der Deutschlandpolitik und der inneren Entwicklung der DDR befaßt. Der Debattenstand heute beweist, daß wir wieder zu den entscheidenden Grundlagen jeder Deutschlandpolitik - übrigens vor allem auch jeder Ostpolitik, jeder Entspannungspolitik - zurückkehren müssen: zur Freundschaft mit den Vereinigten Staaten und zur Einbindung in die Atlantische Allianz und in die Europäische Gemeinschaft. Ich will es, weil Sie, Herr Bundeskanzler, fragen: was werden Sie tun? hier noch einmal feierlich sagen: Wer diese Grundlagen in Frage stellt oder gar zerstören will, zerstört auch die Grundlagen für eine wirkliche Entspannungspolitik, für eine Politik des Friedens in Europa. Diese Grundlagen sind - und bleiben - das Fundament der Sicherheit, auf dem wir allen Drohungen, auch denkbaren Erpressungsversuchen der SoDr. Kohl wjetunion oder der DDR widerstehen können. Deswegen ist das deutsch-amerikanische Verhältnis für uns ein zentraler Punkt im Leben unserer Nation. Es ist eine klare Antwort auf eine Ihrer Fragen: Wer uns, die CDU/CSU, unterstützt, weiß, daß wir treue Partner und verläßliche Freunde der Vereinigten Staaten und unserer europäischen Freunde in der Gemeinschaft, im Atlantischen Bündnis bleiben. ({4}) Sie wissen genau, Herr Bundeskanzler, daß Sie diesen gleichen Satz nicht mehr mit der vollen Zustimmung Ihrer eigenen Partei aussprechen können. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. ({5}) Aber auch das ist die Lage der Nation 1982: die wirtschaftliche, die soziale und die finanzielle Situation. Ich will jetzt nicht Ihren Ausflug in die Weltpolitik nachvollziehen, bei dem Sie überall die Statistiken aufgespürt haben, wo die Lage vielleicht noch schlechter ist. Sie sind ja da virtuos. Ich sage es voller Bewunderung. Aus der Statistik erscheint immer das, was nützlich ist. Aber für den arbeitslosen Achtzehnjährigen, der heute mittag in Dortmund auf dem Platz steht, ist es ein geringer Trost, daß in Rom noch mehr arbeitslose Achtzehnjährige auf den Plätzen stehen. ({6}) Herr Bundeskanzler, Sie sind nicht gewählt, um zuerst die Verantwortung für andere Länder zu tragen, sondern Sie sind gewählt in die verantwortliche Position des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, um in unserem Land Verantwortung zu tragen. ({7}) Da Sie bemüht sind - ich respektiere das -, Ihr Bild in der Geschichte festzulegen - vieles in Ihrer Rede heute ist nur so verständlich -, ({8}) gehört in das Bild der Amtszeit Helmut Schmidts die Tatsache, daß wir seit 1950 die höchste Arbeitslosigkeit haben. Es ist die Arbeitslosigkeit, die in Ihrer Amtszeit entstanden ist. Es gehört dazu, daß die Zusammenbrüche von mittelständischen Betrieben Rekordhöhen erreicht haben, bis zum Jahresende werden es über 15 000 sein. Das ist mehr als der Zusammenbruch irgendeines wirtschaftlichen Bereichs. Das ist eine tiefe Veränderung der soziologischen Struktur unseres Volkes. Was hier geschieht, ist zum Teil irreparabel. Es gehört zum Schuldkonto Ihrer Amtszeit, Herr Bundeskanzler. ({9}) Die Staatsverschuldung wächst ungebremst. Sie haben dazu - leider nicht in der Öffentlichkeit, sondern vor Ihrer eigenen Fraktion - ausgezeichnete Ausführungen gemacht. Warum sagen Sie das, was Sie den Damen und Herren Kollegen der SPD zur Staatsverschuldung mit auf den Weg gegeben haben, nicht hier im Bundestag? Es wäre sehr lehrreich für die Gesamtbevölkerung. Es würde im Hinblick auf Wahrhaftigkeit auch ein neues Bild ergeben, daß da einer dazugelernt hat. ({10}) Die Inflationsrate wird auch in diesem Jahr höher sein als angekündigt. Und es ist leider wahr: Das Netz der sozialen Sicherheit - einst Stolz der Bundesrepublik Deutschland - ist zum Zerreißen gespannt. Wichtige innenpolitische Aufgaben wie Umweltschutz, innere Sicherheit, Ausländerfrage bleiben wegen der Lähmungen und der Handlungsunfähigkeit Ihrer Regierung ungelöst. Nicht erfüllte Versprechen, die Ankündigung von Maßnahmen und ihre Rücknahme, lähmende Handlungsunfähigkeit und das, was ich vorhin über den Zustand der Koalition gesagt habe, führen immer mehr dazu, daß die Bürger das Vertrauen in den Staat verlieren. Sie sprachen zu Recht - mit einem ganz berechtigten warmen Grundton in Ihrer Rede - von unseren jungen Mitbürgern. Junge Menschen, Herr Bundeskanzler, erfahren an sich selbst oder an ihrem Freundeskreis, daß der Lohn einer langen Ausbildungszeit unverschuldete Arbeitslosigkeit ist. Sie erfahren auch das Gefühl - und das ist noch schlimmer -, nicht gebraucht zu werden. Alte Mitbürger fühlen sich nach einem langen, pflichterfüllten Leben betrogen, weil ihnen jahrelang ständig wachsender Wohlstand im Alter versprochen wurde. Jetzt sorgen sie sich um ihre Altersversorgung. Sie haben vorhin die große Tradition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beschworen, die ich respektiere. In Ihrer Amtszeit, Herr stellvertretender Vorsitzender der SPD, ist die Angst um Arbeitsplätze und Zukunft über die Arbeitnehmer gekommen. Selbständige resignieren, weil sie feststellen, daß die Wirtschafts- und Steuerpolitik Ihrer Regierung die Leistung und das unternehmerische Risiko bestrafen. Das alles, Herr Bundeskanzler, gehört zu dieser Bilanz. Viele machen sich Sorgen. Sie tun es auch, weil mit der Verunsicherung dieser Bürger, mit der drohenden Resignation ganzer Gruppen ein bösartiger Zustand ins Land kommt. Die Krise beginnt, sich selbst zu ernähren. Wenn diese Sorge um die wirtschaftliche Zukunft nicht bald beendet wird, werden wir wenig private Initiative haben. Ohne diese private Initiative ist unsere Volkswirtschaft nicht lebensfähig. Sie haben es hier gesagt; ich kann dem zustimmen. Deswegen erträgt das Land nicht länger eine bloße Krisenverwaltung. Wir müssen das Vertrauen, das verloren ist, wieder neu aufbauen. Unsere Aufgabe ist es - jetzt komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage -, durch klares und entschiedenes Handeln Vertrauen zu schaffen, einen neuen Wirtschaftsaufschwung einzuleiten. Wenn bei zerrütteten Staatsfinanzen weitere Steuererhöhungen und die Steigerung der Neuverschuldung nicht zu verantworten sind, dann müssen wir eben fähig sein, Signale durch wirklich wirksame Einsparungen zu setzen, durch neue Schwerpunkte im Staatshaushalt. Sparen heißt doch nicht Verzicht auf Politik, auf die Gestaltung unserer Zukunft. Man muß sich in dieser Lage etwas einfallen lassen! ({11}) - Ich weiß, daß es schwer ist für einen Sozialisten, auf diesem Feld Einfälle zu haben! ({12}) Sie waren im Ausgeben des Geldes der Mitbürger immer stärker als in einer vernünftigen Zukunftsverwaltung. ({13}) Sparen muß heute heißen, den Mut für zukunftsweisende Strukturveränderungen in den öffentlichen Haushalten aufzubringen. Das Netz der sozialen Sicherheit ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Nachkriegsgeschichte. ({14}) Wir sollten aufhören, darüber zu streiten, wer es geknüpft hat; wir haben es gemeinsam geknüpft, wir haben es gemeinsam geschaffen. Ich hoffe, es gibt auch gar keinen Zweifel darüber, daß wir es auch gemeinsam für die Zukunft erhalten wollen. Aber niemand von uns kann sich der Einsicht verschließen, daß unser bisheriges Wohlstandsniveau angesichts eines verminderten Wirtschaftswachstums ohne Abstriche nicht mehr finanzierbar ist. ({15}) Das heißt doch zunächst einmal, daß wir auch fähig sein müssen, ohne sofort in wilde Diskussionen und Beschimpfungen zu geraten, den offenkundigen Mißbrauch sozialer Leistungen - den gibt es doch - zu unterbinden. Wir müssen darüber hinaus auch prüfen, ob wir Leistungen einschränken müssen - und wo wir bereit sind, Opfer zu bringen. Die CDU/CSU redet seit 1980, seit dem Wahlkampf, über dieses Thema. Sie haben Jahr für Jahr versucht - denken Sie nur an den Bundestagswahlkampf 1980, denken Sie an die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 1980 -, uns mit dem Begriff und der Verleumdung der „sozialen Demontage" daran zu hindern, Vernünftiges zu tun. Nun hat Sie Ihre eigene Propaganda eingeholt. Vor Jahresfrist war alles, was wir im August, September, Oktober 1981 sagten, noch „soziale Demontage". Aber jetzt haben Sie es selbst in Gesetzen formuliert, die morgen hier in die erste Lesung gehen. ({16}) Herr Bundeskanzler, das habe ich schon längst öffentlich gesagt. Warum stellen Sie sich also hierher und sagen theatralisch „Sie müssen Antwort geben!"? ({17}) - Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht abnehmen, die Tageszeitungen zu lesen. Es genügt nicht, wenn Sie den neuen „Vorwärts" für Ihren Kopf halten. Sie müssen schon etwas mehr tun. ({18}) Wir haben nach sorgfältigen Beratungen gesagt - mit „wir" meine ich die beiden Schwesterparteien CDU und CSU, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-geführten Länder -, daß es eine Reihe von Dingen gibt, die für uns nicht akzeptabel sind, weil sie unser Land nur weiter in die Sackgasse treiben. Es sind in diesem Gesetzespaket aber auch andere Maßnahmen enthalten. Es gibt - Herr Bundeskanzler, fairerweise hätten Sie das auch sagen sollen - Dinge, die nicht zustimmungspflichtig sind - auch nicht im Bundesrat -, zu denen wir ja sagen und mit denen wir unseren Mitbürgern Opfer abverlangen. ({19}) Jetzt frage ich Sie: Warum werfen Sie uns das vor, wenn wir schon vor einem Jahr so klug waren und Sie erst 13 Monate später nachkommen? Dann müssen doch Sie rufen „Pater, peccavi!". Da dürfen Sie doch nicht die parlamentarische Opposition angreifen. ({20}) Ich will es auch einmal sagen wegen der Wahrhaftigkeit, Herr Bundeskanzler. Bei der Wahl 1980 hat Ihr damaliges Versprechen eine große Rolle gespielt - weil es ja auch im Psychologischen sehr wirksam war -, daß die Sozialdemokraten im Falle eines Wahlsieges die Forderungen der Gewerkschaften übernehmen und die Wochenarbeitszeit und die Lebensarbeitszeit verkürzen und den Jahresurlaub verlängern. ({21}) - Da klatschen Sie natürlich. In dieser Zeit klatschen Sie bei einer solchen Bemerkung, anstatt sich zu schämen, daß so etwas jemals gesagt worden ist. ({22}) Sie haben natürlich nicht gesagt, daß die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, wenn überhaupt, nur mit einem versicherungsmathematischen Abschlag denkbar ist. Vielmehr mußten die Leute den Eindruck haben: Wählt sozialdemokratisch - und es geht alles so weiter. Obwohl schon die Zeichen auf Sturm standen seit Jahr und Tag! ({23}) Sie haben unseren Mitbürgern einzureden versucht, die Gleichung „Besser leben und weniger leisten" könne aufgehen. Genau das war falsch, und es ist falsch. ({24}) Unsere Mitbürger haben längst begriffen, daß wir aus dieser Misere nur herauskommen, wenn wir alle versuchen, unseren Beitrag zu leisten; wenn wir Opfer bringen - und wenn diese Opfer gerecht auf alle Gruppen verteilt werden. Sie haben hier so die Gewerkschaften apostrophiert. Herr Bundeskanzler, sprechen Sie doch wirklich einmal mit Betriebsräten, mit Leuten, die - -({25}) - Sie werden j a nun nicht sagen wollen, meine Damen und Herren, Sie in der ersten Bank, daß Sie als sozialdemokratische Parteiführer noch Kontakt zu den Betrieben haben. Das glauben Sie doch selber nicht. ({26}) Warum sind Ihnen denn die Facharbeiter in Scharen davongelaufen? Weil sie längst wissen, daß Sie gar nichts mehr mit ihnen im Sinn haben. Das ist doch längst offenbar. ({27}) Wenn Sie mit Betriebsräten sprechen, die wirklich an der Basis Verantwortung tragen, dann werden Sie Männer und Frauen antreffen, die ganz genau sagen: Wir wollen das Netz sozialer Sicherheit erhalten; aber wir wollen nicht, daß Mißbrauch damit getrieben wird; daß die eigentlichen Aussteiger der Gesellschaft sich hier bereichern auf Kosten anderer. Und sie wollen, daß ein Sparkonzept vorgelegt wird, das von falschen Voraussetzungen frei ist; das wirklich wahrhaftig ist - das Wort ist am Platze - und die Opfer als wirklich gerechtfertigt erscheinen läßt. Ich füge hinzu - auch das haben wir schon vor einem Jahr gesagt; Sie wollen doch Antworten, Herr Bundeskanzler -: Dazu gehören Sofortmaßnahmen - denken Sie an unsere Vorschläge zum Thema Subventionen -, die für eine Übergangszeit alle Bürger entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an den erforderlichen Kosten für die Sanierung unserer Wirtschaft beteiligen. ({28}) - Ich weiß nicht, warum Sie auch hier wieder schreien. Wir haben ja nie erklärt, daß wir die Erfinder dieser Sache sind. ({29}) Es waren die Schweizer - auch Ihre Schweizer sozialdemokratischen Kollegen -, die das schon einmal praktiziert haben. Dann prüfen Sie es doch wenigstens einmal vernünftig, bevor Sie Ihren Protest loslassen. ({30}) Wer kraftvolle Maßnahmen ankündigt, aber die notwendigen Entscheidungen entweder gar nicht oder zu spät trifft, der verordnet doch sozusagen behördlicherseits den Attentismus, der dem Lande schadet. So wird heute der positive Impuls der Zinssenkung der Bundesbank zunichte gemacht, weil gleichzeitig Mitglieder der Bundesregierung lautstark darüber diskutieren, ob sie demnächst den Kapitalmarkt mit weiteren Milliardenkrediten zur Deckung neuer Haushaltslöcher für 1983 belasten. Herr Bundeskanzler, wir brauchen einen neuen Anfang gemeinsam mit allen Gruppen und Schichten unserer Bevölkerung. Wir brauchen eine neue Solidarität. Wir brauchen nicht den Sozialneid als ein Hilfsaggregat des Sozialismus. Wir brauchen mehr Miteinander und nicht mehr Gegeneinander. Genau das muß wieder unsere Politik sein. ({31}) Sie haben hier gesagt, daß wir im Haushalt umschichten müssen; daß wir konsumtive Ausgaben zugunsten öffentlicher, auch kommunaler und privater Investitionen zurücknehmen müssen. Ich kann Ihnen nur zurufen: Tun Sie das! Sie sind zum Regieren berufen. Wer auf der Regierungsbank sitzt, hat nicht nur den Vorteil, daß er jederzeit das Wort nehmen kann; er hat vor allem auch den Vorteil, daß er jederzeit handeln kann, und das ist das, was in dieser Stunde gefragt ist. ({32}) Warum bleiben viele Investitionen aus? Das geschieht deswegen, Herr Bundeskanzler, weil die Leute Ihrer Regierung, vor allem Ihrer Partei, nicht mehr trauen. Wie soll denn auch einer auf den wirtschaftlichen Sachverstand der SPD vertrauen, wenn er die Beschlüsse Ihres Bundesparteitages von diesem Jahr zur Kenntnis nimmt? Diese Parteitagsbeschlüsse sind doch Gift für jede Innovationsfähigkeit einer freien Gesellschaft. ({33}) Wenn im Kreise Ihres Koalitionspartners gesagt wird: wir brauchen weniger Staat und mehr Freiheit, mehr Markt und weniger Sozialismus, so ist das eine Einsicht, die wir nur als richtig bezeichnen können. Auch dazu hätte ich gern ein Wort von Ihnen gehört, ob das noch in Ihre Vorstellung hineingehört: mehr private Initiative, mehr persönliche Leistungsbereitschaft. Statt immer mehr Steuern und Abgabenlast brauchen wir doch wieder Ermutigung und Belohnung. Sie fragten: Was kann man tun? Glauben Sie im Ernst, daß wir mit den Gesetzen, die hier im Hause zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vorliegen, wirklich etwas bewegen können, wenn der, der Überstunden macht, korrekt ist, dem Betrieb hilft, den Arbeitsplatz sichern hilft - seine Steuern und Abgaben erhöhen sich dementsprechend -, dafür bestraft wird, während der Schwarzarbeiter den Rebbach macht? Das kann doch niemals funktionieren. ({34}) Herr Bundeskanzler, Sie haben kürzlich in einem Rundumschlag sozusagen die Moral der Bevölkerung angesprochen. Die Moral unserer Mitbürger ist konstant geblieben. Nein, die Gesetze sind unsinniger geworden. Das ist die eigentliche Crux, die die Menschen bewegt. ({35}) Wir müssen diejenigen belohnen und herausfordern, die mehr als andere leisten; die das Wagnis der Selbständigkeit eingehen; die auch heute noch, in diesen Zeiten, Arbeitsplätze schaffen. Anstatt das knapp gewordene Gut Arbeit durch Umverteilung endgültig in die staatliche Mangelverwaltung zu überführen, müssen wir alles tun, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Strukturanpassung unserer Wirtschaft und die internationale Konkurrenzfähigkeit zu fördern. ({36}) - Ich sage Ihnen gleich ganz konkret, wo ich Sie, verehrter Kollege, im Ruhrgebiet gern treffen werde. Wir müssen zum technischen Fortschritt ja sagen, das heißt ein klares Ja zur Notwendigkeit des Baus von Kernkraftwerken - und nicht die Demonstration dagegen, wie das in Ihren Kreisen üblich ist. ({37}) Wir müssen zur Forschungsförderung j a sagen, und zwar nicht durch eine große Bürokratie, die immer weiter wuchert, sondern durch eine Forschungsförderung, die dort wieder mit entscheidet, wo Mittel eingesetzt werden, wo das Augenmaß und die Kenntnisse dafür vorhanden sind. ({38}) Wir müssen mehr Geld in die berufliche Ausbildung der jungen Generation investieren, weil es unsere Pflicht ist, für die nachwachsende Generation zu sorgen. Für uns ist klar: Unser Land hat die wirtschaftliche Zukunft nicht hinter sich. Im Gegenteil, vor uns liegen große Chancen und wichtige Aufgaben. Nach Jahren der Verunsicherung und des Abwartens gibt es in vielen Betrieben und Werkstätten unseres Landes einen großen Investitionsbedarf. In vielen Bereichen der Wirtschaft ist die Modernisierung von Anlagen, Maschinen, Produktionsverfahren seit Jahren überfällig. In zentralen Bereichen sind Zukunftsinvestitionen blockiert. Auch hier ein Beispiel aus der praktischen Arbeit des Hauses in diesen Tagen: Vernünftige Entscheidungen zum Mietrecht werden den seit Jahren fast zum Erliegen gekommenen privaten Mietwohnungsbau neu beleben. Wenn es gelingt, das hohe Zinsniveau weiter zu senken, werden wir auch fähig sein, im Eigenheimbau und in der Bauwirtschaft einen entsprechenden neuen Aufschwung zu erfahren. Es gibt einen gigantischen Investitionsbedarf im öffentlichen Nahverkehrssystem. Sie blockieren mit Ihrem ideologischen Moratorium wichtige Zukunftsinvestitionen. Ich habe soeben die Kernenergie genannt. Ich nenne noch die Kohlekraft und die Medienpolitik. ({39}) - Was heißt „was wollen Sie denn"? Warum haben Sie denn in diesen Jahren nichts getan? Sie hatten doch die Mehrheit. Wieso wollen Sie von uns Entscheidungen, wenn Sie in der Mehrheit nicht fähig waren, diese Entscheidungen zu treffen? ({40}) Die Mikroelektronik ist eine Basisinnovation, die wir viel stärker nutzen können - und die uns auch eine Chance im Bereich des Exports gibt. Wir sind uns ganz darin einig, daß vernünftige Anstöße aus der Umweltpolitik hervorgehen können - daß Umwelttechnologien, d. h. Produkte und Verfahren für wirksamen Umweltschutz, auch ein Zukunftsmarkt im deutschen und im internationalen Bereich sind. Wir haben auch dazu Vorschläge eingebracht. Aber sie paßten Ihnen nicht - und deswegen werden sie nicht zur Kenntnis genommen. Ich glaube, noch lange nicht zu Ende sind die Diskussionen um die Arbeitswelt und die Herausforderung, diese menschlich zu gestalten und zeitgemäße Formen der Arbeitsorganisation, etwa der Teilzeitarbeit, zu finden. Nur kurz möchte ich nachtragen - weil es bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen ja wenig sinnvoll ist, darauf zu hoffen, daß Sie etwas schaffen -, daß Sie seit vielen Jahren in Sachen Vermögensbildung alles versprochen und nichts gehalten haben. ({41}) Die Wahrheit ist, Herr Bundeskanzler: Die Aufgaben sind lösbar. Frühere Generationen standen vor schwierigeren Situationen als die jetzige. Man muß sich nur von ideologischen Verblendungen freimachen und wieder mit Vernunft und Sachgerechtigkeit, aber auch mit Mut, an die Aufgaben herangehen. Damit bin ich bei dem Teil, von dem ich glaube, daß er noch wichtiger als das Ökonomische ist. Meine Damen und Herren, alles, was der Staat, was eine handlungsfähige Regierung in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik besser machen kann, wird wirkungslos bleiben, wenn es nicht gelingt, auch im Denken und Handeln unserer Mitbürger - und natürlich auch bei uns selbst - eine Wende, eine grundsätzliche Neubesinnung einzuleiten. Allein mit Geld, mit Gesetzen, mit Behördenfleiß ist die jetzige Krise nicht zu überwinden. Ich behaupte, daß die Krise, in der wir uns befinden, trotz der beachtlichen und schweren materiellen Probleme auch, ja zum größten Teil eine geistig-moralische Krise ist. Wenn wir diese Herausforderung begreifen, können wir auch die materiellen Gegebenheiten wieder in Ordnung bringen. Diese geistig-moralische Krise ist das Resultat einer seit über einem Jahrzehnt betriebenen Verunsicherung, einer Verunsicherung im Verhältnis zu unserer Geschichte, zu vielen grundlegenden ethischen Werten und sozialen Tugenden, zu Staat und Recht, und letztlich auch einer Verunsicherung in unserem nationalen Selbstverständnis. Ich sage deutlich: Das ist keine parteipolitische Frage. Von diesem Pult aus hat vor ein paar Monaten Herbert Weichmann die geistige Verfassung unseres Landes in seiner großen Rede am 17. Juni, an der Summe seiner langen Lebenserfahrung gemessen, dargelegt. Er sagte: Bisher gültige, ja als unabdingbar angesehene Richtpunkte menschlichen Verhaltens in der sozialen Gemeinschaft sind in den Abfalleimer der Geschichte geraten. Religion, Autorität, Familienbildung, Respekt vor dem Alter, also Dinge im persönlichen Umgang, oder nationalstaatliches Bewußtsein, Kenntnis und Wahrung eines kulturellen Erbes oder geschichtliches Bewußtsein als Ingredienz unseres Daseins sind weitgehend als Leitmotive oder Bewußtseinsinhalte verdrängt und verkümmert. Er setzte hinzu: Mit der Anspruchsinflation, mit dem reinen Wohlstandsdenken ist eine Gesellschaft entstanden, der vielfach moralische Fundamente fehlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen doch sehen, daß es kein großer Zufall ist, daß in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik die Zahl derjenigen abgenommen hat, die erklären, sie seien stolz darauf, ein Deutscher zu sein - und daß gleichzeitig die Zahl derjenigen, die auswandern wollen, und auch die Zahl derjenigen gewachsen ist, die sagen, sie seien nicht bereit, das Land notfalls zu verteidigen. Es ist wichtig für uns, zu wissen, daß es diesen für die Existenzfähigkeit unseres Staates so entscheidenden inneren Zusammenhang zwischen Nationalgefühl im besten Sinne des Wortes und Verteidigungsbereitschaft tatsächlich gibt. Ich will noch einmal Herbert Weichmann zitieren, weil er in einem prägnanten Satz gezeigt hat, wie aus Klagen und Anklagen Herausforderung entsteht - und wie aus ihr auch die Kraft zu einer geistig-moralischen Neubesinnung wachsen kann. Er sagte: Was die Menschen jenseits der Mauer - drüben in der DDR sehen, ist der materielle Wohlstand, ist die Freiheit zu meckern, aber sie begegnen viel zuwenig der ideellen Kraft einer verantwortlich gestalteten Freiheit, die bewußt der Humanitas dienen will. Welche Bilder und welche Empfindungen mögen wohl die Menschen in der DDR bewegen, wenn sie angesichts der täglichen Nachrichten vom Kriegsrecht in Polen erfahren, daß einer hierzulande in der Bundesrepublik Deutschland auf einem SPD-Bundesparteitag frenetischen Jubel erntet, wenn er unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als „FDGO" und als „Panzerfaust des Staates" diffamiert. Es darf uns doch nicht gleichgültig sein, was unsere Landsleute jenseits von Mauer und Stacheldraht von uns denken, von unserem Gebrauch von Freiheit und Wohlstand und von unserem Umgang mit Rechten und Pflichten, von unserem Verhältnis zum demokratischen Staat und zum geistig-kulturellen Erbe der Nation. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn wir beachten und beobachten, wie die Machthaber der SED ganz bewußt die deutsche Geschichte parteiisch vereinnahmen: den Geist Preußens; Friedrich den Großen; den Freiherrn vom Stein; Scharnhorst und Clausewitz; die Nachfolge und Pflege deutscher Kulturtradition, Gottlieb Fichte ebenso wie Thomas Münzer und im nächsten Jahr ganz gewiß Martin Luther; ja selbst den Widerstand gegen Hitler in der Persönlichkeit des Grafen Stauffenberg. Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch fragen: Sollten wir uns in der Bundesrepublik Deutschland damit abfinden, daß uns allein die finsteren, unbestreitbar schrecklichen Kapitel deutscher Geschichte - Auschwitz und Treblinka, Kriegsschulden und die Pflicht der Wiedergutmachung und vieles andere mehr - zugeschoben werden? Sollten wir uns von der besten Geistestradition Preußens selbst lossagen, weil ein Mitglied Ihres Parteivorstandes, Herr Bundeskanzler, nicht irgendeiner, sondern ein Mitglied des Bundesvorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, preußische Tugenden wie Disziplin, Ordentlichkeit und Fleiß abqualifiziert, indem er erklärt, damit könne man auch noch ein KZ betreiben? Wohin sind wir geraten, wenn so etwas möglich ist und nach wenigen Wochen vergessen wird? Es ist doch genau diese einäugige, engstirnige Betrachtungsweise, mit der in unserem Land schon seit Jahren grundlegende Werte, Tugenden, Institutionen diffamiert werden, z. B. elterliche Autorität; Mut zur Erziehung in der Familie und in der Schule; der Leistungsgedanke; das Prinzip des Wettbewerbs; die notwendige Förderung einer Elite; die menschliche Solidarität in der Berufsausbildung im Betrieb; vor allem aber auch das Bekenntnis zu unserem Staat, zur deutschen Nation, zu unserer Geschichte und zur Bereitschaft, dieses Erbe zu verteidigen. Es wäre doch gänzlich absurd, all dies preiszugeben, nur deshalb, weil auch drüben die Machthaber der SED jetzt Familienpolitik betreiben, Leistung und Pflichterfüllung fordern und alle Anstrengungen unternehmen, um sich als Erben und Vollstrecker der deutschen Geschichte darzustellen. Wir im freien Teil unseres Vaterlandes haben keinen Grund, Berührungsängste auftreten zu lassen, sondern wir sollten ganz selbstbewußt in diesen geschichtlichen Wettbewerb eintreten. ({42}) Wir haben hier schon bei verschiedenen Gelegenheiten darüber debattiert, ob geistige Führung, ob die jetzt notwendige Mobilisierung der geistig-moralischen Kräfte unseres Volkes auch Aufgabe der Politik ist. Ich war immer der Auffassung, daß die Politik einen wichtigen Beitrag zu leisten hat, der allerdings überzeugender wirken würde, wenn das, was in Reden und Programmen gefordert und gesagt wird, auch in der praktischen Politik tatsächlich, Herr Bundeskanzler, vertreten würde. Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen. Wir alle sagen: Dieser Staat ist es wert, verteidigt zu werden. Wir sprechen von der staatsbürgerlichen Pflicht der jungen Männer, im Wehrdienst einen Beitrag zur Verteidigung des Landes zu leisten. Aber dann muß diese Pflicht auch eingefordert werden - und zwar von allen. Der Staat darf doch nicht länger zulassen, daß die einen dienen und die anderen verdienen. Das ist ein Jargonausdruck aus der jungen Generation. ({43}) Wir brauchen uns doch nicht zu wundern, daß der Appell an staatsbürgerliches Pflichtbewußtsein bei immer weniger jungen Leuten auf Überzeugung stößt, wenn es dem Staat nicht gelingt, ein Mindestmaß an Wehrgerechtigkeit herzustellen, und wenn er Verhältnisse zuläßt, unter denen sich diejenigen als die Dummen vorkommen, die ihre Pflicht tun. Ich nenne die Zahlen, die aus dem Verteidigungsministerium kommen: Im Durchschnitt der letzten Jahrgänge leisteten 53 % Wehrdienst; 10 % sind anerkannte Wehrdienstverweigerer, von denen zur Zeit ungefähr 7 % tatsächlich Ersatzdienst leisten. Weitere 10 % sind aus gesetzlichen und administrativen Gründen vom Wehrdienst ausgenommen. 27 % werden aus gesundheitlichen Gründen nicht herangezogen. Wenn ich Wehrdienst und Ersatzdienst zusammenzähle, dann heißt das in Wahrheit, daß 60 % tatsächlich einen Dienst leisten und die anderen nicht. Das ist doch die Frage, die uns in Schülerdiskussionen gestellt wird. Sie lautet: Was ist das für ein Staat? - Hier kann sich niemand von uns drücken. Es ist letztlich auch keine Frage an Regierung und Opposition - es ist eine Frage an die moralische Statur unseres Staates, ob die einen dienen und die anderen verdienen. ({44}) Dieses Beispiel steht stellvertretend für viele andere. Ich habe von der Schwarzarbeit gesprochen, vom Krankfeiern, von der Ausbeutung der sozialen Sicherungssysteme im Steuer- und im Subventionsrecht. Man kann nicht nur von dem reden, der krankfeiert; man muß auch den Ausbeuter im Steuerrecht dazunehmen. Da haben wir gar keine Probleme. Wir sind auf keinem Auge blind. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({45}) Mit einem Wort: Es ist in viel zu großen und in viel zu vielen Bereichen leider so, daß die Redlichen, die Anständigen - dieses Wort verwenden wir ja schon kaum mehr - die Zeche für eine immer größer werdende Gruppe der Cleveren zahlen, die sich scheinbar mit vollem Einverständnis des Staates Vorteile verschaffen. Ellenbogenmentalität finden wir heutzutage weit weniger in der Leistungsgesellschaft als im Versorgungsstaat bei der Ausbeutung der Solidarität von Mitbürgern. Ich will noch ein Weiteres erwähnen. Hans Matthöfer hat darauf hingewiesen; ich zitiere ihn gerne. Er sagte vor ein paar Monaten: Eine weithin noch zu wenig betrachtete, aber gerade in unserer gegenwärtigen Lage vielleicht fatale Folge von Sozialsystemen, die immer mehr Menschen erfassen, ist, daß sie vielleicht diese Menschen davon abhalten, ihre eigenen Kräfte so zur Entfaltung zu bringen, wie es ihnen eigentlich möglich wäre. Das sind Worte, die wir rundherum unterschreiben. ({46}) Aber, meine Damen und Herren, es wäre ein fundamentaler Irrtum zu glauben, hier könnten wir durch schärfere staatliche Kontrolle Abhilfe schaffen. Wir brauchen nicht mehr Bürokratie und nicht mehr staatliche Vormundschaft, sondern weniger. Wir brauchen nicht den allgegenwärtigen Versorgungsstaat, sondern einen Staat, der der eigenen Leistung ihren Lohn läßt, anstatt sie zu bestrafen. Dann können wir unseren Bürgern auch zumuten, daß sie einen Teil der heute kollektiv versicherten Lebensrisiken wieder selbst tragen. Das schafft in Wahrheit mehr Gerechtigkeit, einen besseren sozialen Ausgleich als das Zwei-Klassen-Recht der heutigen sozialen Besitzstände. ({47}) Noch etwas gehört in diesen Bereich. Anstatt sich ausschließlich um jene Randgruppen zu bemühen, die damit drohen, aus der Gesellschaft auszusteigen, sollten wir uns auch einmal mehr um jene kümmern, die nicht damit drohen und die nicht aussteigen. ({48}) Es ist doch gerade diese Gruppe, die gar nichts anderes will, als sich ein ganz normales Leben aufzubauen. Bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, einem Ausbildungsplatz, einer preiswerten Wohnung für eine junge Familie mit Kindern bleiben sie ganz allein. Sozialpolitik nach Kassenlage und nur für diejenigen, deren soziale Besitzstände bereits anerkannt sind, schafft sozialen Unfrieden. Ich will es auch hier an einem Beispiel sagen. Sie wollen doch Vorschläge, Herr Bundeskanzler. Wir können Punkt für Punkt gemeinsam abhaken. Der Kündigungsschutz für den gutverdienenden Fehlbeleger einer Sozialwohnung weist der jungen oder der kinderreichen Familie, die die Wohnung dringend braucht, eben die Tür. Das ist die Realität der Bundesrepublik Deutschland. ({49}) Moralappelle von Politikern bleiben ganz ungehört, solange die Bürger den Eindruck haben, sie würden nur deshalb zur Selbstdisziplin aufgerufen, weil Politiker die Folgen ihres Handelns nicht mehr unter Kontrolle halten können. Auch dafür gibt es ein Beispiel. Auch dafür haben Sie weder heute noch in Ihrer gesamten Amtszeit eine Antwort gegeben. Ich spreche jetzt zum Ausländerthema. Wir alle sind in Sorge und warnen vor einer sich im Land verbreitenden Fremdenfeindlichkeit. Aber das, was sich hier zu entwickeln droht, hat doch, abgesehen von den Thesen einiger rechtsradikaler Trittbrettfahrer, in Wahrheit mit Nationalismus und Chauvinismus gar nichts zu tun. Es ist doch bei vielen Mitbürgern die beinahe verzweifelte Reaktion auf eine besonders in Ballungszentren unerträglich gewordene Konfliktsituation. Solange wir bei den ganz konkreten Problemen, in der Schule, bei der Ghettobildung in manchen Stadtteilen und vor allem bei der Begrenzung des Ausländerzuzugs, keine wirksamen Maßnahmen beschließen, werden die Spannungen noch weiter wachsen. Wer in diesem Zusammenhang von Toleranz und Integration redet, ohne daß er gleichzeitig etwas zur Lösung des Problems tut, hat keine Ahnung davon, wie blaß solche Begriffe in der spannungsgeladenen Wirklichkeit einer Stadt wie Frankfurt, einer Stadt wie Berlin oder meiner Heimatstadt Ludwigshafen sein können. Lassen Sie mich ein letztes Beispiel, das mich besonders betroffen hat und betrifft - auch wegen meines politischen Werdegangs -, dafür anführen, was Politik und Politiker zu einer geistig-moralischen Neubesinnung beitragen können. Wir alle sehen mit Sorge, wie die Zahl junger Leute wächst, die sich verweigern; die resignieren; die einen Standpunkt des „Ohne mich" einnehmen. Natürlich bemühen wir uns um sie. Die Kirchen bemühen sich, die Gewerkschaften und viele andere auch. Ich glaube, wir kämen diesen jungen Mitbürgern wesentlich näher, wenn wir uns mehr mit ihren tatsächlichen, den subjektiven, ganz persönlichen Lebensperspektiven auseinandersetzten, etwa mit der Lebensperspektive eines Lehramtsstudenten, der den Signalen einer Bildungspolitik gefolgt ist, die dem Reformeifer viel zu spät das Halt geblasen hat. ({50}) - Verehrte Frau Kollegin, ich habe eingangs gesagt: Ich spreche jetzt auch an meine eigene Adresse. Ich wiederhole das. Ich sage das jetzt auch als langjähriger Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes. Das ist keine parteipolitische Frage. Denn wer wirklich helfen will, kann das nicht mit einem parteipolitischen Brett vor dem Hirn. ({51}) 1980 strebten 255 000 Studenten, Referendare und Lehramtsbewerber den Beruf des Lehrers an, aber es gab zu diesem Zeitpunkt insgesamt nur 45 000 Lehrer, die älter als 55 Jahre waren. Nimmt man hinzu, daß die Zahl der Schüler bis zum Jahre 1990 um fast 3,5 Millionen gegenüber 1980 abnehmen wird, dann ergibt sich daraus zwangsweise, daß viele Zehntausende nicht den gewünschten Lebensberuf als Lehrer finden werden. Es darf doch nicht dabei bleiben, daß wir diese Tatsachen kennen und nichts geschieht, um die Katastrophe abzuwehren. ({52}) Wenn es uns nicht gelingt, diesen jungen Mitbürgern eine andere, eine erfolgversprechende Lebensperspektive zu eröffnen, dann dürfen wir uns doch nicht darüber wundern, wenn von solchen enttäuschten Mitbürgern depressive Stimmung statt Optimismus ins Land getragen wird. ({53}) Für mich ergeben sich aus alldem - das sind Antworten, Herr Bundeskanzler - drei Schlußfolgerungen. Erstens. Die Krise unseres Landes in der Finanz-und der Wirtschafts- und Sozialpolitik kann überwunden werden. Die Bürger und die Wirtschaft unseres Landes warten auf ein Zeichen, das die Wende zur Vernunft einleitet. Verläßliche Politik kann neues Vertrauen in unsere Zukunft herstellen. Solide Haushaltsführung, konsequente Politik der Sozialen Marktwirtschaft, Einsparungen, die einfach notwendig sind, Opfer im Leistungs- und Subventionsbereich nach dem Maßstab der Gerechtigkeit müssen die Voraussetzungen schaffen. Zweitens. Notwendig ist eine Mobilisierung der geistig-moralischen Kraft unseres Volkes. Geistigpolitische Führung erfordert dabei mehr als Appelle und Reden: auch das ganz persönliche Beispiel. Die Politik muß die praktische Verwirklichung ihrer Ziele wieder deutlicher und überzeugender mit den Wertaussagen unserer Verfassung und mit den geistig-moralischen Grundlagen unseres Gemeinwesens in Einklang bringen. Drittens. Der Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit unseres Volkes zu vollenden, wird über schwierige Zeiten hinweg nur dann zu erfüllen sein, wenn wir uns alle in die Kontinuität unserer ganzen Geschichte stellen. Nur so werden wir erreichen, daß auch in unseren Kindern und Enkeln jenseits und diesseits der Mauer ein Gefühl der Verbundenheit, ja des Stolzes erhalten bleibt, als Deutsche gemeinsam Erben unserer politischen Geschichte und unserer kulturellen Tradition zu sein. Diesem Auftrag wollen wir uns stellen: die Christlich-Soziale und die Christlich Demokratische Union und unsere gemeinsame Fraktion im Deutschen Bundestag. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen, ob in Opposition oder in der Regierungsverantwortung, weil es unsere Pflicht und unser Dienst gegenüber unserem Vaterland ist. ({54})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende der CDU - Herr Kollege Kohl wird das nicht falsch verstehen - wirkt auf manche Nachdenkliche wie ein schlau kalkulierender Vorsitzender einer ansonsten wartenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung. ({0}) Sie bieten Wechsel auf die Zukunft an - warum auch nicht! -; aber es reicht nicht zu klaren Antworten auf viele der Fragen, die Menschen im Land, gerade junge Menschen beantwortet haben wollen. In der Fernsehdiskussion heute vor acht Tagen, Herr Kollege Kohl, haben Sie in einem Satz dreimal das Wort „konkret" untergebracht. Heute bestand die eigentliche Konkretisierung in dem Hinweis: Jetzt sollen erst mal Wahlen in Hessen und in Bayern stattfinden, und dann wollen wir weitersehen. Sie stehen hier nicht in der Tradition von Konrad Adenauer. Der hat bei Landtagswahlen seinerzeit gesagt: Die Sozis können sagen, was sie wollen; ich halte mich an den Auftrag der letzten Bundestagswahl. So war das damals. ({1}) Daß nicht nur ich das Ausbleiben präziser Antworten als unzureichend empfinde, entnehme ich beispielsweise der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung", einer Zeitung, die ihren Ruf gewiß nicht der Nähe zur Sozialdemokratie verdankt. Deren Leitartikler schrieb vor kurzem, am 23. August, über eine Rede des Oppositionsführers im Bundestag auf dem Jahreskongreß der Christlich-Sozialen Arbeitnehmer in Kiel. Ich weiß nicht, ob Senator Blüm dabei war. Zitat des Leitartiklers: Das Erfrischende an Helmut Kohl ist sein ungebrochener Optimismus, und dessen Wirkung darf nicht unterschätzt werden. Es werde schon alles gut, wenn seine Partei unter seiner Führung erst mal die Zügel in der Hand habe. Das war, auf eine vereinfachte Formel gebracht, der Hauptinhalt seiner Regierungsbotschaft. Die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung" schreibt weiter: Ein anderer hätte für diese Aussage zwar nicht bald zwei Stunden gebraucht, aber wenn Helmut Kohl schon einmal Grundsätzliches vorträgt, dann soll es auch schon gern allgemein sein. ({2}) Ich weiß nicht, meine Kollegen von der Union, ob dieser Artikel auch von der Vertrautheit des Verfassers mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten beeinflußt ist. Aber er bringt es in aller Ironie doch auf den Punkt: ({3}) Mit der Primitivformel, Herr Kollege Kohl, ein Regierungswechsel garantiere schon den Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik, mag die CDU/ CSU zwar Verbandsspitzen dort, wo man sich Wirtschaft nennt, animieren, eine Antwort auf die besorgten Fragen vieler Arbeitnehmer im Lande nach der Zukunft ihrer Arbeitsplätze und von Mittelständlern nach der Zukunft ihrer Existenzen, und zwar im Zeichen uns aufgezwungener struktureller Veränderungen, kann das doch, verehrter Herr Kollege Kohl, im Ernst nicht sein. ({4}) Kaum anders verhält es sich mit der anderen großen Sorge in unserer Gesellschaft, der Frage an uns, die die Menschen auch bewegt, zumal die jungen, wie wir wieder in Verbindung mit dem Düsseldorfer Katholikentag, ähnlich dem Evangelischen Kirchentag des vergangenen Jahres, in den Bereichen der beiden großen Kirchen, aber gewiß nicht nur dort, gespürt haben: Wie wollt Ihr mit immer mehr, immer besseren, immer tödlicheren Waffen den Frieden sichern? Mir haben diese beiden Kirchentage erneut deutlich gezeigt, daß es doch einfach nicht wahr ist, wenn so getan wird, es brauche um die Entspannungs- und um die Friedenspolitik in diesem Hause und in der deutschen Politik nicht mehr gerungen zu werden. ({5}) Das zu behaupten wäre ein Irrtum, wenn nicht eine Irreführung. Aber an wen sollen sich die Fragenden denn eigentlich halten, wenn sie sich an die Unionsparteien wenden wollen? An die Herren Strauß und Dregger oder an Herrn Biedenkopf und Herrn Geißler, die immerhin aus ihrer Sicht die Frage nach dem Sinn hinter den nuklearen Rüstungen der Weltmächte angesprochen haben, ohne freilich auf viel mehr als ein gesammeltes Schweigen, wenn nicht offene Ablehnung bei Kollegen zumal der CSU zu stoßen? ({6}) Meine Damen und Herren, wenn in diesen Wochen - und keiner von uns kann das doch in Wirklichkeit verschweigen - eine Welle des Unbehagens unser Land überspült, so muß dies natürlich in besonderem Maße diejenigen bewegen, die sich dem Bundeskanzler verbunden fühlen und die - wie die sozialdemokratischen Mitglieder dieses Hauses - zu jener Mehrheit gehören, die als eindeutiges Ergebnis der letzten Bundestagswahl bestätigt worden ist. ({7}) Wir können die Ursachen für das, was ich anspreche, gewiß nicht nur bei anderen suchen. Wir müssen gewiß die eigene Lage kritisch überprüfen, und wir sind dazu bereit. Sicher bleibt es zutreffend, daß viele Bürger geneigt sind - bei uns wohl noch mehr als in anderen Ländern -, den Regierenden und den sie tragenden Parteien auch Dinge anzulasten, auf die diese keinen oder nur geringen Einfluß haben, Dinge, die von außen auf uns einwirken - das würde Ihnen nicht anders gehen als uns -, wie zumal die Weltwirtschaftskrise und der damit nur zeitlich zusammenfallende Strukturwandel in weiten Teilen unserer Wirtschaft. Es gibt auch keinen Zweifel daran, daß die Union - so habe ich es heute wieder empfunden - ihre Aufgabe seit Jahr und Tag eher polemisch als konstruktiv wahrnimmt, ({8}) gewiß mit Abstufungen und auch jetzt wieder bei Herrn Strauß, der in dieser Debatte nicht dabei ist, zugespitzter als bei einigen Kollegen in anderen Regionen. Ich wiederhole und unterstreiche jedoch: Wir Sozialdemokraten wissen, daß wir uns selbst zu fragen haben, inwieweit Zweifel, Unsicherheiten, Vertrauenseinbußen, jawohl: Vertrauenseinbußen auf das - ich wiederhole es, Kollege Kohl - eher traurige Bild zurückzuführen sind, das die Koalition und damit auch die Koalitionsregierung der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit geboten hat, nicht erst in den letzten Wochen, sondern nach meinem Verständnis schon seit dem Sommer vorigen Jahres. ({9}) Gewiß, man hat sich immer wieder zu vernünftigen Kompromissen zusammenraufen können und wir stehen zu diesen Kompromissen. Aber durch die begleitenden Geräusche unterschiedlicher Art ist in der Öffentlichkeit - ich wiederhole: nicht erst in diesem Sommer - ein zunehmend verwirrendes Bild entstanden. In dieser für uns ganz gewiß nicht einfachen Lage will ich dreierlei sagen. Erstens. Die deutschen Sozialdemokraten stehen hinter dem Bundeskanzler, ohne Wenn und Aber ({10}) und genau bis zu dem Punkt, an dem ihm, wenn auch gegen den Wählerauftrag von 1980, durch die Mehrheit dieses Hauses in der durch das Grundgesetz festgesetzten Form das Vertrauen entzogen würde. ({11}) Zweitens. Wir Sozialdemokraten stehen zum Wählerauftrag von 1980 und erwarten, daß er nicht zerredet, sondern daß er eingelöst wird, sachlich eindeutig und politisch zuverlässig. ({12}) Wir bitten unsere Kollegen von der Freien Demokratischen Partei, sich dazu ebenso eindeutig zu äußern. ({13}) Drittens. Den Kollegen von den Unionsparteien möchte ich sagen, sie sollten sich - ich sage dies gerade auch nach der Rede des Kollegen Kohl - endlich mehr zu Inhalten äußern, statt sich in windigen Konstruktionen zu verlieren. Es ist z. B. nicht seriös, Herr Kollege Kohl, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes an einem Tag gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen und am nächsten Tag zu mauern, wenn es konkret um die für ihn, für die Gewerkschaften und die Mehrheit unseres Volkes springenden Punkte in der Sozial-, in der Wirtschafts- und in der Finanzpolitik geht. ({14}) Die sozialliberale Koalition, die Sie erneut angegriffen haben, hat - mag sie mit ihren gegenwärtigen Problemen fertig werden oder nicht - in den 13 Jahren ihres Bestehens ein wichtiges, man kann sagen, weltweit anerkanntes Kapitel deutscher Außenpolitik geschrieben. Lieber Herr Kohl, muß ich diejenigen in diesem Hause, die damals schon dabei waren, noch einmal daran erinnern, worum es eigentlich ging? Wir hatten uns doch vorgenommen, in der Großen Koalition dafür zu sorgen, daß die deutsche Außenpolitik auf zwei Beine gestellt würde. Dies ließ sich dann wegen der Zerklüftung auch damals in der Union nicht durchführen. Damals mußte mein Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers, Herr Kiesinger, von dieser Stelle aus den anderen deutschen Staat diesem Haus als „Phänomen" vorführen. Das Verhältnis zum „Phänomen" brachte uns am Ende der Großen Koalition ins „Kambodschieren" hinein. Das heißt, wir waren nicht fähig, selbst zu bestimmen, wo wir die Interessen dieses Staates wirksam zu vertreten hätten. ({15}) Dann sind wir darangegangen - fest verankert im westlichen Bündnis -, unsere Vertragspolitik zu entwickeln: bilateral, Viermächteabkommen - stark mitbeeinflußt -, Helsinki, das eine Grundlage und eine Hoffnung für viele Menschen - der Bundeskanzler hat ein Beispiel dafür aus Kasachstan erwähnt - in der Welt bleibt. Nun hat Herr Kollege Kohl bei anderen Gelegenheiten - neulich auch im Fernsehen - gesagt: Natürlich gehe ich davon aus, daß es den alten Grundsatz gibt, der lautet „Pacta sunt servanda". Das wäre j a auch noch schöner! Auf deutsch heißt das j a: Geschlossene Verträge darf man nicht brechen, sondern muß man einhalten. Aber das ändert doch nichts daran, daß wir aus der Union immer wieder Stimmen hören, die formale Zustimmung mit Ablehnung in der Sache verbinden. ({16}) Deshalb muß klarbleiben und wieder klargemacht werden, worum es in dieser lebenswichtigen Frage geht. Die Außen- und Sicherheitspolitik bleibt die Schicksalsfrage dieses Volkes; die geographische Lage ist nun einmal so. Von dem, was in Deutschland geschieht, wird - so oder so - für Europa erneut viel abhängen. Wir haben nicht verhindern können, daß das Wettrüsten nach den Verträgen und manchem, was sich damit verband, weitergegangen ist. Wir haben nicht verhindern können, daß in anderen Teilen der Welt militärische Konflikte - nicht nur aus Ost-West-Gründen, wie der Bundeskanzler sagt - entstanden sind. Dies wäre, geschichtlich gesehen, die nächste Phase gemeinsamer Verantwortung von Sozialdemokraten und Freien Demokraten: das nicht liegenzulassen, sondern gemeinsam neu anzupacken, ({17}) weil es nur knapp begonnen hat und gegen soviel Widerstände in der Welt vorangetragen werden müßte. Dieses Drücken auf die, die es angeht, daß von Abrüstung nicht nur geredet wird, sondern Rüstungen in gemeinsamem Interesse nach unten gedrückt werden, will auch die große Mehrheit, wollen wir im Grunde alle. ({18}) Ich habe - auch heute nicht - keine neuen Konzepte, die aus der CDU oder der CSU entwickelt worden sind, zur Verminderung der sich aus dem Wettrüsten ergebenden - übrigens auch ökonomischen - Belastungen und Gefahren gehört. Die Opposition drängt zur Macht, und das ist legitim. Aber ich kann nicht erkennen, daß sie zur Verwirklichung zukunftweisender Politik drängt. ({19}) Sie, die Union, ruft die FDP zur Hilfe, aber, wenn man genau hinhört, nicht zur Gemeinsamkeit jener Außenpolitik, die wir gemeinsam entwickelt und getragen haben ({20}) und die von der CDU/CSU immer wieder angegriffen worden ist. Man sieht also gerade hier, daß es der Opposition mehr um Macht als um Inhalte der Politik geht. Verehrter Herr Kollege Kohl, Sie haben heute - wenn auch etwas vorsichtiger als bei anderen Gelegenheiten - noch einmal das Schreckgespenst des Antiamerikanismus durch den Saal geschickt. Dabei wissen Sie in Wirklichkeit doch ganz genau, daß dieses Land, auf die Westpolitik bezogen, auf die Ostpolitik, auf die Nord-Süd-Politik bezogen, auf das Bündnis, auf die Zusammenarbeit und auf die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten lebenswichtig, unersetzbar angewiesen ist. Aber was heißt denn „Freundschaft mit den Vereinigten Staaten"? Ich sage ja und begrüße es, wenn Präsident Reagan einen Vorschlag macht, von dem ich hoffe, daß er dem Frieden im Nahen Osten näherführen kann; ich begrüße das. ({21}) Aber ich muß doch auch sehen, daß die amerikanischen Gewerkschaften hart gegen die Wirtschaftspolitik Reagans angehen. Ist das, was die sagen, nicht Amerika? Sollen unsere amerikanischen Freunde in den Gewerkschaften nicht mehr unsere Freunde sein? Sind die Demokraten und die anderen, die auf Abkehr von dem einseitigen Rüstungsdenken dringen, nicht Amerika, ({22}) da sie im Repräsentantenhaus doch auch in dieser Frage die Hälfte darstellen? Nein, so kann man mit den Dingen nicht umgehen. Freundschaft jawohl, aber gerade Freunde dürfen einander nicht nach dem Munde reden, sondern müssen, wenn es um Interessen geht, ihre Meinung sagen. ({23}) Ich füge auch in aller Offenheit hinzu: Unsinn bleibt auch dann Unsinn, wenn er aus Washington kommen sollte. ({24}) Da ich von den Konflikten in anderen Teilen der Welt gesprochen habe, will ich eine Bemerkung zu einem Thema hinzufügen, das heute vormittag noch nicht erörtert worden ist. Ich weiß, wie sehr die Landsleute neben dem Falkland- und all dem anderen Elend - Persischer Golf und, was weiß ich, wo - das verfolgt haben, was im Libanon vor sich gegangen ist. Ich hoffe, daß nicht nur der Reagan-Vorschlag, sondern auch die Erörterungen der arabischen Gipfelkonferenz in Fes dazu beitragen, einer dauerhaften Friedensregelung im Nahen Osten endlich näher zu kommen - für alle Staaten und alle Völker der Region, also auch, wie es die Regierung gesagt hat, für die Palästinenser. ({25}) Aber ich möchte unsere Landsleute in diesem Zusammenhang herzlich und dringend bitten, für zweifellos vorhandene Übersteigerungen und, wie ich meine, manche Fehlentscheidung der israelischen Regierung nicht die Juden in ihrer Gesamtheit - sei es in Israel oder anderswo - haftbar zu machen. ({26}) Ich sehe mit großer Sorge, daß hieraus eine Art Antisemitismus wieder an Boden gewinnen könnte, an dem in den letzten Jahren ja schon manche - von uns gemeinsam abgelehnte - Kreise dran gewesen sind. Wir entgehen der Verantwortung für Auschwitz nicht dadurch, daß wir auf Beirut zeigen. ({27}) Wir entgehen der weiter wirkenden Verantwortung für das, was während des Dritten Reiches über das eigene Volk und die Welt gekommen ist - und gerade über die Menschen jüdischer Herkunft - nicht dadurch, daß wir es gegen Kriegsopfer im Nahen Osten aufrechnen. ({28}) Freilich, sage ich, dürfen wir uns auch nicht daran hindern lassen, jüdische Freunde freimütig darauf hinzuweisen, wie schwer es unsereinem durch Mitglieder der israelischen Regierung gemacht wird, nicht so deutlich zu werden, wie es der ehrwürdige Nahum Goldmann kurz vor seinem Tode geworden ist. Zur Wirtschaftspolitik ist erneut manches dargelegt - nicht alles kontrovers -, manches gegenübergestellt worden. Ich darf vielleicht noch ein Wort zur Deutschlandpolitik sagen, weil sie doch ursprünglich im Mittelpunkt des Berichts zur Lage der Nation zu stehen hat. Ich finde, der Bundeskanzler hat das aus unserer Sicht Notwendige ohne Täuschungen und ohne Selbsttäuschungen gesagt. Er hat den Rahmen gesteckt, in dem die nächsten Schritte getan werden sollten, um die mühsame Aufgabe zu erfüllen. Welches ist die Aufgabe? Die deutsche Nation unter den Bedingungen der staatlichen Teilung zusammenzuhalten und nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Die Grundbilanz auf diesem Gebiet weist aus, daß nach der Sprachlosigkeit und Nichtpolitik früherer Jahre Sozialdemokraten und Freie Demokraten gemeinsam seit 1969 das, was möglich war, in Gang gebracht haben. Ich sage, gestützt auf die beschworene 120jährige Geschichte meiner Partei und auf Grund eigener Erfahrungen: Mir braucht man den Kommunismus nicht zu erklären. Ich habe keine Schwierigkeiten beim Unterscheiden zwischen demokratischem Sozialismus und totalitären HerrschaftsforBrandt men. Ich zögere nicht, auch regierende Kommunisten auszulachen, wenn sie vorgeben oder einem weismachen wollen, sie verträten das überlegene System. Von dieser Position aus äußere ich mich unbefangen, aber nicht feindselig. Wir haben die Deutschlandpolitik in dieser Koalition aus den Fesseln eines sterilen „anti" gelöst. Wir mußten die Realitäten im geteilten Deutschland zur Kenntnis nehmen, ohne sie gutzuheißen, damit die Not der staatlichen Teilung nicht noch vergrößert würde. Wir müssen an diese Fragen herangehen, wohl wissend, daß z. B. wegen der polnischen Tragödie und auch aus anderen Gründen immer wieder Rückschläge eintreten können. Aber der Kurs bleibt richtig; er bleibt auch europäisch richtig. Ich möchte der Bundesregierung die Prüfung der Frage empfehlen dürfen - um ein paar Anregungen zu geben -, wie hochrangig die Bundesrepublik Deutschland im kommenden Jahr zur Feier des 500. Geburtstags von Martin Luther in Wittenberg vertreten sein sollte. Ich sage es nicht konkreter, weil man den Bundespräsidenten nicht unnötig ins Gerede bringen soll. ({29}) Zweitens möchte ich entgegen ganz anderen Vorschlägen anregen, mit der DDR eine Vereinbarung über regelmäßige Konsultationen auf hoher Ebene zu treffen, damit der Nutzen solcher Gipfelgespräche nicht durch den Erwartungsdruck des Außergewöhnlichen geschmälert wird. ({30}) Ferner müssen - dieses Thema wurde heute morgen auch vom Bundeskanzler erwähnt - bei allen Gegensätzen die beiden Staaten im Zusammenhang mit der Rüstungsproblematik versuchen, sich so gut wie möglich aufeinander abzustimmen, aber dann nicht nur oberflächlich und dann nicht nur so läppisch und kümmerlich, wie es etwa die Opposition mit dem Palme-Bericht gemacht hat, der in der Diskussion anderer Länder eine sehr wichtige Rolle spielt. Ich sage drittens: Ich möchte mit meinen politischen Freunden prüfen, ob und unter welchen Umständen mehr als bisher auch Gespräche auf nichtstaatlicher Ebene über beiderseits interessierende Fragen sinnvoll sind und deshalb geführt werden sollten. Jedenfalls: Unsere Deutschlandpolitik ist noch ziemlich am Anfang eines leider langen Wegs. Wir werden ihn weiter zu gehen haben. Ich kenne keine anderen realistischen Vorschläge; ich habe auch heute keine gehört. ({31}) Ich stimme dem Bundeskanzler darin zu und sage es gern in Gegenwart des Regierenden Bürgermeisters: Wir haben jetzt nicht nur allgemein, sondern sehr konkret neu nach Berlin zu schauen. Mir zeigen nämlich die Ziffern, daß seit Beginn des letzten Jahres nahezu 20 000 Arbeitsplätze allein im produzierenden Gewerbe verlorengegangen sind. Bis zum Ende des Jahres 1982 werden es wohl 25 000 sein. Darin sind die Folgen der Arbeitsplatzverluste bei der AEG - mindestens 2 600, wenn ich es richtig sehe - noch nicht eingerechnet. Nun ist ja die AEG-Krise insgesamt wohl keine Folge von exzellentem Management. Sie ist außerdem deutlich ein Zeichen des Strukturwandels, eines tiefen Strukturwandels. Die Wirtschaft wird diesen Strukturwandel durchstehen müssen. Der Staat kann flankierend dabei helfen. Darin sind wir uns vermutlich im Prinzip einig. Ich will auch nicht, da ich die AEG schon erwähnt habe, darin herumrühren, daß für ein paar Milliarden verbratener Pensionsrückstellungen jetzt Zehntausende von Betrieben mit einer Art Ergänzungsabgabe antreten müssen. Das sei den Pensionären herzlich gegönnt; aber es wirft natürlich Fragen bezüglich mancher Leute ideologische Scheuklappen auf. ({32}) In Berlin nimmt die Entwicklung in Verbindung mit der AEG bedrohliche Formen an. Ich bin sicher, daß die Verantwortlichen in der Stadt die Dinge nicht treiben lassen werden. Die Berlin-Förderung bedarf, worauf schon seit einigen Jahren hingewiesen worden ist, auch aus gewerkschaftlicher Sicht, nicht nur kosmetischer Korrekturen. Die Berliner SPD-Fraktion mit ihrem Vorsitzenden, unserem Freund Hans-Joachim Vogel, hat eine Arbeitsplatzsicherungs- und Beteiligungsgesellschaft konzipiert, um, wie sie meint, ein Stück Entscheidungsmacht über wirtschaftliche Entwicklungen in die Stadt zurückzuholen. Ich finde, das sollte man sorgfältig prüfen. Für die Sozialdemokraten, für alle im Deutschen Bundestag, will ich hinzufügen: wir stehen zu unserer Verantwortung für Berlin, auch wenn es diesmal nicht allein um Gesten geht und um Reden, die wir hier halten. Aber wir sind uns sicher einig, daß es die zusätzliche eigenständige Berliner Verantwortung gibt, auch die Verantwortung für rechtzeitig entwikkelte, einfallsreiche und erfolgversprechende Vorschläge, die aus dieser Krise herausführen. ({33}) Es wäre gut, wenn wir über das hinaus, was zur Wirtschaftspolitik dieses Landes bisher gesagt worden ist, noch stärker die Fähigkeit entwickelten, die wirklich bedeutenden Alternativen herauszuarbeiten. Von den bald zwei Millionen Arbeitslosen ist gesprochen worden. Die Frage ist: Wie reagiert die Gesellschaft, wie reagiert der Staat? Da gibt es nun eine konservative Antwort, und die heißt mehr oder weniger unverblümt: Die Arbeitslosigkeit ist eine unvermeidliche Folge der Wirtschaftskrise, und wenn die Wirtschaft wieder auf Touren kommt, dann wird sich das schon von selbst regeln. Inzwischen - so heißt die konservative Antwort im Kern - müssen die hohen direkten und indirekten Kosten der Arbeitslosigkeit durch den Abbau des Sozialstaats finanziert werden. Also: Begegnung der Krise über6778 wiegend zu Lasten der breiten Schichten. Einige werden noch deutlicher und lassen die ganze Sonthofener Strategie wieder deutlich werden. ({34}) Da gibt es eine andere Antwort, wie wir Sozialdemokraten weithin in Übereinstimmung mit unseren Freunden in den Gewerkschaften die Dinge sehen, wie wir sie sehen und wie wir, wenn es geht und so weit unser Einfluß reicht, in der Regierungsarbeit, ich sage es ganz offen, noch stärker möchten erkennen können. Diese unsere Sicht der Dinge lautet: Nein, wir wollen Massenarbeitslosigkeit nicht einfach als eine automatische Folge einer Weltwirtschaftskrise hinnehmen. ({35}) Wir wissen, daß wir sie nicht wegzaubern können. Aber wir wissen, daß man gegen sie angehen muß, weil es eine gesellschaftliche Verantwortung gibt. Der Staat Bundesrepublik Deutschland, meine Kollegen, an dem wir alle miteinander, jeder auf seine Weise, gebaut haben - zu dem paßt nicht, daß so viele Menschen stempeln gehen müssen. ({36}) Man soll sich auch nicht der Wahrheit verschließen, daß Arbeitslosigkeit einfach unwirtschaftlich ist. Über 25 Milliarden DM müssen allein in diesem Jahr von denen, die in Arbeit stehen, dafür aufgebracht werden, daß andere nicht arbeiten können, von denen es die meisten doch gern möchten. Übrigens, Herr Kohl, wenn Sie im Fernsehgespräch und heute wieder gesagt haben, es komme auf die Leistung an, dann berücksichtigen Sie doch bitte die Hunderttausende, die liebend gern leisten möchten, wenn sie nur in einen Arbeitsplatz hineinkämen. ({37}) Ich rede jetzt gar nicht von dem Ausfall sonst zu schaffender Werte. Deshalb werden wir gegenhalten müssen, werden unsere Vorschläge weiter entwickeln. Dann haben wir die beiden Antworten. Sie bilden in gewisser Hinsicht grundsätzlich gegensätzliche Alternativen für unser Land, über die entschieden werden muß, auch wenn in der realen Politik, wie ich wohl weiß, nur Annäherungswerte zu erzielen sind. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die Sozialdemokratische Partei werden alles ihr Mögliche dafür tun, diese Alternative klar zu halten, was immer für Seitenprobleme noch geregelt werden müssen. Der Bundeskanzler hat bestätigt - das ist gut -, daß er für die aktive Beschäftigungspolitik ist. Es ist nicht nur gut, sondern dabei wollen wir ihm helfen. Wie wir Sozialdemokraten der Richtung nach die Arbeitslosigkeit bremsen, zurückdrängen wollen, bekämpfen wollen, darauf gibt unser Münchener Parteitag von Ende April seine Antwort. Ich berufe mich hier ausdrücklich auf den Tenor, auf den Geist dieser Beschlüsse. ({38}) Es ist ein Appell, der lautet: Liebe Mitbürger, an die 2 Millionen Kolleginnen und Kollegen sind ohne Beschäftigung; die Arbeitslosigkeit hat Ursachen - ich sage es noch einmal -, die wir gewiß nur begrenzt beeinflussen können; aber das Mögliche müssen wir tun, um der negativen Folgen für unser Volk und seiner Menschen Herr zu werden. ({39}) Gegen die weltwirtschaftlichen Einflüsse setzen wir z. B. den gemeinsamen Willen vieler, mit Energie sorgsamer umzugehen, und das hat schon erfreuliche Ergebnisse gebracht. Die Regierung hilft bei der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die neue Exporterfolge errungen hat. Den Strukturwandel auf Grund von Sättigungen, auch auf Grund veränderter Aufgaben im Weltmarkt kann die Wirtschaft nur selbst leisten, aber wir können ihr helfen, wie es hier gesagt worden ist, durch vorausschauende und gezielte Strukturpolitik und durch Technologieförderung. Es bleiben immer noch die Arbeitslosen. ({40}) Die Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer und Steuerzahler muß, wie die Dinge sind, realökonomisch für ihren Lebensunterhalt aufkommen, bis sie wieder Beschäftigung gefunden haben. Deshalb können wir nicht warten und uns auf ein Wunder verlassen, sondern müssen aktive Politik zur Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützen. Beides ist nur zum Teil aus vorgesehenen Haushaltsmitteln möglich. Da müssen dann alle, die eine gute Arbeit haben, mithelfen, die Besserverdienenden mehr als andere. Darüber, verehrte Kollegen und liebe Mitbürger, wird sich niemand recht freuen können. Aber dieser Kurs ist nötig, um diejenigen, die draußen stehen, wieder an den gemeinsamen Tisch hereinzuholen. ({41}) Nur ein wieder erreichtes Annähern an die Vollbeschäftigung sichert unsere wirtschaftliche und auch unsere soziale Stabilität. Da kann, wie die Mehrheiten nun gegenwärtig auch sein mögen, ein Modell wie die Ergänzungsabgabe nicht auf die Dauer einfach zu einem Tabu erklärt werden. ({42}) Ich stelle zu meiner angenehmen Überraschung aus den Meldungen fest, daß der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht heute früh in einem Interview für die „Westfälische Rundschau", die auch mir bekannt ist, gesagt hat, daß er auch eine Diskussion über eine Ergänzungsabgabe nicht ausschließe. Das hört sich anders als das an, was wir sonst schon gehört haben. Ich sage auch ganz offen, daß in richtiger Dosierung der Vorschlag des damaligen Finanzministers Hans Matthöfer aus dem vorigen Jahr noch einmal ernsthaft geprüft werden sollte. ({43}) Dies ist der Geist der Münchener Beschlüsse, und gegen alle wüste Polemik meine ich nach wie vor, daß er nicht nur den Interessen, sondern auch der Einstellung unseres Volkes in seiner großen Mehrheit entspricht. Nun ist es unbestreitbar, daß wir es schwer gehabt haben, uns unserem freidemokratischen Koalitionspartner hinreichend verständlich zu machen. Einen Haushaltskompromiß haben wir immerhin zustandegebracht, und zu dem stehen wir. ({44}) Mir bleibt von der Sache her unverständlich, von der Taktik her dubios, wie man ausgerechnet den soliden hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner, der dort auf der Bundesratsbank sitzt, mit - wie ich es gelesen habe - sozialistischen Marterinstrumenten identifizieren und damit in Verruf bringen will. ({45}) - Das war - ich sage es ganz offen - nicht überzeugender als das Zauberkünstlerargument, Herr Dregger müsse in Wiesbaden Ministerpräsident werden, damit es Helmut Schmidt in Bonn besser gehe. ({46}) Graf Lambsdorff hat vor einigen Tagen kritisch angemerkt, daß ich mich erneut auf die Beschlüsse des Münchener Parteitages berufen hätte. Ja, verehrter Wirtschaftsminister, was denken Sie denn, was eine sozialdemokratische Partei sei ({47}) und welche Pflichten einem Parteivorsitzenden aufgetragen seien? ({48}) Der Parteivorsitzende kann doch nicht meinen, seine Parteitagsbeschlüsse seien dazu da, daß er sie alsbald in den Papierkorb befördere. Das kann doch nicht gehen, zumal solche Beschlüsse eingehend beraten und mit breiter Mehrheit gefaßt worden sind. Verehrter Graf Lambsdorff, Sie sollten es sich bitte mit einigen anderen Kollegen - ({49}) - Graf Lambsdorff hört sicher, was ich ihm zu sagen habe. ({50}) Graf Lambsdorff, Sie wie andere Kollegen sollten es sich nicht zu leicht machen, wie ich es an einigen Stellen empfunden habe. Ich erinnere Sie übrigens daran, daß die Freien Demokraten es waren, die sich 1977 - es ist erst fünf Jahre her - in einem sorgfältig formulierten Text zur staatlichen Gesamtverantwortung bekannt haben, wozu wir voll j a sagen können. Ich zitiere einmal: Wenn nunmehr Wachstumsraten im bisherigen Ausmaß unwahrscheinlich sind, wächst die Gefahr, daß das quantitative Expansionsdenken umschlägt in Tendenzen quantitativer Einschränkung. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse vieler Bürger würden unter Hinweis auf angebliche Sachzwänge notfalls zwangsweise eingeschränkt. Eine solche Politik würde zwar Opfer für alle propagieren, die tatsächlichen Auswirkungen würden jedoch zu einer Vertiefung der sozialen Ungleichheit und somit zu einer sozialen Polarisierung führen. ({51}) Ich halte all das weiter für sehr bedenkenswert, was in der Perspektivkommission unter der Federführung von Herrn Baum formuliert worden ist, ({52}) damals noch unter Beteiligung des Bundesministers Friderichs; und beiden kann man nicht extreme Sozialismus-Neigungen nachsagen. ({53}) Eines will ich noch hinzufügen, damit man nicht nur Texte liest, die einem, manchmal verballhornt, auf den Tisch gelegt werden, wenn man ein vielbeschäftigter Minister oder sonstwas ist. ({54}) Ich will einmal sagen: Unser Münchener Beschluß von 1982 ist, was das Instrumentarium angeht und was die zentrale Rolle des Marktes angeht, liberaler - wenn Sie diesen Ausdruck jetzt verwenden wollen - als ein Parteitagsbeschluß, den wir zur Wirtschaftspolitik in Hamburg 1977 gefaßt haben. Damals hat das die Zusammenarbeit nicht gestört. Wenn es das heute tut, muß eine andere als die vorgegebene Sache dahinterstecken. ({55}) Wenn ich mir die öffentlichen Äußerungen mancher Kollegen zu diesem Thema während der letzten Monate vor Augen halte, muß ich leider feststellen: Sie verwenden mehr Kraft darauf, sich mit verballhornt dargebrachten sozialdemokratischen Beschlüssen auseinanderzusetzen, als darauf, mit uns und anderen zusammen daran zu arbeiten, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. ({56}) Es bleibt bei den Orientierungspunkten: aktive Beschäftigungspolitik, ({57}) möglichst gerechte Verteilung der Lasten. Ich muß noch ein Wort zur Arbeitszeit sagen. Herr Kollege Kohl, das, was Sie hier heute gesagt haben, haben Sie auch öffentlich gesagt. ({58}) Sie haben sich abweisend konservativ - ich sage: eigentlich vorgestrig - geäußert. Ich habe vorgestern abend mit dem Vorsitzenden der NGG, Herrn Döding, der auf diesem Gebiet Gedanken entwickelt hat, und mit einem christlichen Gewerkschaftsführer aus einem unserer Nachbarländer zusammengesessen. Letzterer hat zwar auch gesagt, er möchte mich darin bestärken, Sozialist zu bleiben; es war ganz nett, daß er das in diese Formel gebracht hat. ({59}) Aber, Herr Kollege Kohl, in der Frage, die Sie hier angesprochen haben, war er unserer und nicht Ihrer Meinung: natürlich nicht Arbeitszeitpolitik als Anternative zu aktiver Wirtschaftspolitik, aber auch nicht Wochenarbeitszeit und Lebensarbeitszeit gegeneinanderstellen! Bei der Wochenarbeitszeit - da können Sie sagen, was Sie wollen - wird es dabei bleiben, daß technischer Fortschritt in Form verkürzter Wochenarbeitszeiten über die Jahre weitergegeben werden muß. Das ist doch logisch. Bei der Lebensarbeitszeit lohnt es, über die Modelle von Günter Döding, über die Tarifrente und über die Vorschläge der IG Chemie ernsthaft nachzudenken, statt von vornherein zu mauern und zu sagen: Da ist überhaupt nichts drin. ({60}) Machen wir uns nichts vor, hier geht es um die materiellen Grundprinzipien unserer sozialen Demokratie. Diese Grundprinzipien wird man mit den Stimmen von Sozialdemokraten nicht brechen können. Ich hätte gerne noch, aber die Zeit läuft mir weg ({61}) ich weiß nicht, wie gnädig der Präsident sein wird -, dargetan, vielleicht ergibt sich dazu aber auch noch eine andere Gelegenheit, was wir eigentlich auf dem Gebiet der inneren Politik in Gang gesetzt haben - von vielen nicht hinreichend registriert - und noch vor uns haben. Wir haben doch etwas in Gang gebracht zum Schutz der natürlichen Umwelt. ({62}) Das wird noch wichtiger durch den sauren Regen. In München haben wir unser Zehn-Jahres-Programm für das Wiedersaubermachen der Gewässer in der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es gibt eine Basis, wo es um die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst geht, wo es um den Datenschutz geht, wo die Datenschutzbeauftragten nicht dem Mammon zum Opfer fallen dürfen. Da geht es dann auch um die Ausländerpolitik, wo mit starken Worten nichts gelöst ist. Aber bestimmte Politik, jawohl! Manches ist zu lange treiben gelassen worden. Nun hat Herr Professor Biedenkopf im Sommerloch eine frische Parole ausgegraben, nämlich die von der neuen, wie er meint, konservativen Mehrheit. Andere, die gegenwärtig von der Demoskopie weniger begünstigt werden als die CDU/CSU ({63}) und die insoweit immer noch gerne mit den Sozialdemokraten oder neuerdings sogar gerne mit den Grünen tauschen würden, ({64}) haben sich von dieser semantischen Übung hinreißen lassen. In Hessen, wenn ich es recht verstehe, soll daraus sogar Politik gemacht werden. Man ist fast geneigt, vom Versuch eines neokonservativen Bündnisses in Wiesbaden zu sprechen, was jedenfalls berechtigt wäre, wenn man zu jener Kategorie auch diejenigen rechnete, die aus Angst vor der eigenen Zukunft geneigt sind, zurück in die Vergangenheit zu marschieren. ({65}) Es ist nicht zu übersehen, meine Damen und Herren, daß die CDU/CSU in diesen Wochen demoskopisch blendend erscheint. Das sei neidlos gesagt. Die Union hat übrigens der Meinungsforschung immer schon einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt. Ihre jeweiligen Spitzenkandidaten wissen davon auch ein Lied zu singen. ({66}) Es ist deshalb nicht überraschend, daß sie jetzt aus ihrer demoskopischen Hausse Kapital zu schlagen versuchen. Sie sollten aber, verehrte Kollegen von der Union, den Zeitgeist nicht unterschätzen. Zur Zeit zehren Sie mehr vom Verdruß der Bürger und von der offensichtlichen Formschwäche anderer als von der eigenen politischen Überzeugungsstärke. ({67}) Nebenbei gesagt, so ist es j a auch nicht, als ob die Demoskopie allein unsere Entscheidungen bestimmen könnte. Dann könnten wir die Bundesregierung abschaffen und von Bonn in ein Büro in Allensbach verlegen. Das ist auch nicht der Sinn der Demokratie. Tatsache ist für mich: es gibt keine festgefügte konservative Mehrheit in Deutschland. Was es gibt, das ist vor allem ({68}) eine deutliche Mehrheit unter den Bürgern, die mancher Bonner Mätzchen und Koalitionsspekulationen überdrüssig sind. ({69}) Wir haben sie auch satt; mir hängen sie auch zum Halse heraus. ({70}) Und was es außerdem gibt: das ist die Mehrheit für die sozialliberale Koalition bei der letzten Bundestagswahl. Aber es ist richtig, daß diese sich zu zersplittern droht. Wir Sozialdemokraten haben dennoch nicht lokkergelassen. Ich denke, wir sind dennoch nicht geneigt, uns beirren zu lassen. Wir sagen unseren Freunden, daß es Kleinmut und Resignation zu verscheuchen gilt, um die uns erwartenden Herausforderungen gut zu bestehen. Wir wollen uns beim Wort nehmen lassen, daß Opfer erforderlich sind, aber nicht einseitig vergeben werden dürfen. Wir werden mit verstärkter Energie daran arbeiten, daß in der Wählerschaft dieses Volkes wieder zusammenfindet, was in Wirklichkeit zusammengehört. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({71})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird eine Mittagspause eingelegt. Die Sitzung wird bis 14 Uhr unterbrochen. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Die unterbrochene Beratung wird wieder aufgenommen. Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 7, Bericht zur Lage der Nation, fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, Herr Präsident, daß der Aufruf als Abgeordneter eher geschäftsordnungsmäßige als andere Gründe hat. ({0}) Undankbar bin ich dafür nicht. Er gibt mir die Freiheit, das zu sagen, was ich aus meiner persönlichen Verantwortung - über die Regierung hinaus - zum Ausdruck zu bringen habe. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bericht zur Lage der Nation muß sich mit den Problemen der Deutschen in West und Ost, in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, befassen. Die Lage unserer Nation wird durch die Lage in Europa bestimmt. Das zu erkennen, ist heute wichtiger denn je. Deshalb ist Deutschlandpolitik europäische Friedenspolitik. Die grundlegenden Fragen unserer Zeit werden in dem Teil Deutschlands, in dem das uneingeschränkt möglich ist, nicht zufällig und am intensivsten diskutiert. An der Spitze steht die Sorge um die Sicherung des Friedens. Ein geteiltes Land an der Schnittlinie zwischen den freiheitlichen und den sozialistischen Staaten, an der Berührungslinie zwischen den Paktsystemen muß für die Gefahren der Aufrüstung, für die Gefahren der Spannungssteigerung und für die Gefahr eines atomaren Vernichtungskrieges besonders empfindsam sein. Diese Empfindlichkeit für alle Fragen, die mit dem Frieden zusammenhängen, wird durch die geschichtliche Erfahrung des eigenen Volkes verstärkt, die durch zwei Weltkriege und durch das Maß deutscher Verantwortung für diese Kriege und in diesen Kriegen geprägt ist. Die Entwicklung der deutschen Außenpolitik hat vom Tage der Gründung der Bundesrepublik Deutschland an dieser Verantwortung Rechnung getragen. Sie war immer Friedenspolitik. Die Westintegration war für uns mehr als die Teilnahme an einem Bündnissystem und an einer wirtschaftlichen Gemeinschaft. Sie war zuallererst der erneute und diesmal endgültige, dauerhafte Eintritt in die Gemeinschaft der westlichen Demokratien. Die Vertragspolitik mit dem Osten war die Konsequenz aus einer geschichtlichen Entwicklung, die mit Vernunft und mit Verantwortung nur einen Weg zuließ, nämlich den des Gewaltverzichts, der endgültigen Abkehr von dem für Europa so verhängnisvollen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, von Unrecht und Gegenunrecht. Die Ausdehnung der Politik der Partnerschaft und gleichberechtigten Zusammenarbeit und Respektierung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker auf die jungen Staaten der Dritten Welt ist schließlich die dritte große Komponente der deutschen Nachkriegsaußenpolitik, die wie die anderen Elemente von dem Willen zur Friedenssicherung und zur Zusammenarbeit getragen ist. Wenn wir das alles feststellen, müssen wir dennoch erkennen: Unbewältigt ist bis zur Stunde die große Aufgabe der Abrüstung und der Rüstungskontrolle. ({2}) Diese Aufgabe stellt sich für Europa unter der dramatischen Fragestellung: Wie kann der Nichtkrieg durch Abschreckung zu einem Frieden durch Vertrauen werden? Hier werden die europäische Dimension unseres deutschen Schicksals und angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen West und Ost die atlantische Dimension unserer Sicherheit deutlich. Nicht minder zwangsläufig ist das Engagement in unserem Land für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir gehören zu den hochindustrialisierten und gleichzeitig dichtbevölkerten Gebieten dieser Welt. Die Integration in die Weltwirtschaft beeinflußt maßgeblich unser wirtschaftliches Geschehen. Deshalb müssen wir den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als eine Überlebensaufgabe erkennen. Deshalb ist für uns die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe unserer Zeit. ({3}) Diese Ziele, die für uns Friedenspolitik nach innen und außen und Freiheitspolitik sind, bestimmen unser Handeln in Parlament und Regierung. Frieden und Freiheit, Überleben der Menschheit, menschenwürdig leben, frei leben: das sind die Maßstäbe, an denen wir ständig selbst unsere Politik messen und an denen wir uns messen lassen müssen. 33 Jahre nach ihrer Gründung hat die Bundesrepublik Deutschland einen neuen Grad der Beteiligung an weltpolitischen Fragen erhalten. Unsere Verantwortung für die Erhaltung des Friedens ist damit genauso gestiegen wie der erwartete Beitrag zur Lösung europäischer und internationaler Fragen. Das erfordert von uns zuallererst Zusammenwirken mit unseren Partnern und Verbündeten. Eine unserer zentralen Aufgaben ist die aktive Mitgestaltung des Verhältnisses zwischen West und Ost, an dessen fruchtbarer Weiterentwicklung besonders in Europa gerade wir Deutschen ein elementares nationales Interesse haben. Das war der Grund, warum wir in der Schlußakte von Helsinki ein zentrales Dokument unserer Politik in Europa gesehen haben und sehen. ({4}) Am 25. Juli 1975 habe ich vor dem Hohen Haus erklärt: Niemand, so finden wir, hat mehr Anlaß als wir, Entspannung und Zusammenarbeit über die Grenzen und Blöcke hinweg zu fördern. Hier ... liegt die spezifische deutsche Beziehung zu der Konferenz, zu ihren Zielen und zu ihren Möglichkeiten. Ich glaube, daß niemand mehr als wir seine nationale Pflicht versäumen würde, wollte er zögern, auch nur die geringste Chance für eine Entwicklung zu nutzen, die schließlich auch das Schicksal der geteilten Nation erleichtern könnte. Wir kennen die Rückschläge. Wir wissen, was in Afghanistan geschehen ist und geschieht. Wir sehen die Entwicklung in Polen. Und dennoch glauben wir, daß wir ungeachtet dieser Entwicklung noch Fortschritte im West-Ost-Verhältnis gemacht haben. Wir dürfen nicht gering einschätzen - und hier kommen wir an die Überlebensfrage in Europa -, daß angesichts einer Weltsituation, die durch zahlreiche Spannungen und kriegerische Konflikte gekennzeichnet ist, zwischen West und Ost, zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion mehr Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen verhandelt werden als jemals zuvor zur gleichen Zeit. Die Bundesregierung hat am Zustandekommen dieser Verhandlungen maßgeblichen Anteil. ({5}) Die Frage, ob ein belastetes Verhältnis zwischen West und Ost Abrüstungsverhandlungen überhaupt möglich macht, ist in der einzig verantwortbaren Weise beantwortet worden: Sie sind nicht nur möglich, sie sind dringend notwendig. Der Westen hat dem Warschauer Pakt das breitestangelegte Abrüstungs- und Rüstungskontrollangebot der Nachkriegsgeschichte unterbreitet. In den im Frühjahr 1982 begonnenen START-Verhandlungen schlagen die Vereinigten Staaten der Sowjetunion erhebliche Verminderungen bei den beiderseitigen interkontinentalen Nuklearwaffen vor. In den seit November 1981 laufenden Verhandlungen über Kernwaffen mittlerer Reichweite geht es um den Verzicht auf alle landgestützten amerikanischen und sowjetischen nuklearen Mittelstreckensysteme. Es gilt, bei diesen Verhandlungen zugleich die Gefahr zu bannen, daß durch den Ausbau von Nuklearwaffen kürzerer Reichweite die Verhandlungen über Mittelstreckenraketen unterlaufen werden. Diese Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen, meine Damen und Herren, sind für uns deshalb von so entscheidender Bedeutung, weil es ja unser zentrales Ziel ist, durch ein positives Verhandlungsergebnis die vorgesehene Stationierung doch noch überflüssig machen zu können. Aber das liegt nicht in unserer Hand; ({6}) es liegt in der Hand der Sowjetunion, ({7}) ob sie bereit ist, auf die schon stationierten SS-20-Raketen doch noch zu verzichten. Und allen denjenigen, die Kritik an die Adresse der westlichen Verhandlungsführung richten, ({8}) die j a auf deutschen Vorschlag den beiderseitigen Verzicht vorgesehen hat, möchte ich sagen: Ich fühle mich nicht bedroht durch westliche Raketen, ({9}) die noch nicht stationiert sind; ich fühle mich bedroht durch sowjetische Raketen, die heute schon auf uns gerichtet sind. ({10}) Sie durch Verhandlungen zu beseitigen, das ist das zentrale Ziel unserer Abrüstungspolitik in diesem Bereich. Dann wollen wir schließlich bei den Verhandlungen über beiderseitige und ausgewogene Truppenverminderungen in Mitteleuropa mit unserem neuen umfassenden Vorschlag erreichen, daß sich Ost und West auf einen kollektiven Höchststand von 700 000 Mann bei den Landstreitkräften und 200 000 bei den Luftstreitkräften auf jeder Seite einigen können. Und schließlich muß es angesichts der dann dennoch außerhalb des Reduzierungsraums bestehenden sowjetischen konventionellen Überlegenheit gerade das Ziel der Mitteleuropäer sein, daß auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Madrid eine europäische Abrüstungskonferenz eingesetzt werden kann, die durch vertrauensbildende Maßnahmen die Gefahr eines Überraschungsangriffes mindert. Ziel aller dieser Angebote des Westens an die Sowjetunion ist es, das Wettrüsten zu beenden und ein militärisches Gleichgewicht zwischen West und Ost auf einem möglichst niedrigen Niveau herzustellen. Das Bündnis setzt diese Politik trotz aller Enttäuschungen fort. Dabei gehen wir von den folgenden Grundsätzen aus. Abrüstungsverhandlungen können nur erfolgreich sein, wenn sie die Sicherheit aller Beteiligten verbessern, also ausgewogen sind. Oder, um es anders auszudrücken: Man muß das SiGenscher cherheitsbedürfnis des anderen genauso erkennen können wie das eigene. ({11}) Wer in Abrüstungsverhandlungen einseitige Vorteile erlangen oder, wo vorhanden, festschreiben will, der bringt diese Verhandlungen letztlich in die Sackgasse. Militärische Kräfteverhältnisse - das ist unsere nächste Forderung - müssen offengelegt werden, damit Mißtrauen abgebaut wird. Informationen über eigene Truppenstärken und Rüstungen sind das beste Mittel, die eigenen Absichten nicht ins Zwielicht geraten zu lassen. ({12}) Meine Damen und Herren, wer nichts zu verbergen hat, kann mit Kontrollen an Ort und Stelle einverstanden sein. Wer sie verweigert, setzt sich dem Verdacht aus, er wolle etwas verbergen. ({13}) Nicht nur alle westlichen, auch die blockfreien und auch die östlichen Staaten sollten endlich nach dem Berichtssystem der Vereinten Nationen über ihre Verteidigungshaushalte berichten. Wirkliche Abrüstung läßt sich eben nur bei gegenseitigem Vertrauen erreichen. Deshalb sehen wir - ich wiederhole es - in vertrauensbildenden Maßnahmen eine so wichtige Aufgabe. Der Erfolg solcher Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen hängt ganz wesentlich davon ab, wie geschlossen unser Bündnis in diese Verhandlungen hineingeht, wie eng die Konsultationen sind, die insbesondere bei den schon erwähnten Verhandlungen über die Mittelstreckenwaffen stattfinden. ({14}) Gerade zu diesem Thema möchte ich sagen: Nie zuvor sind Verhandlungen dieser Art so intensiv, so umfassend zwischen den Bündnispartnern beraten worden. Nie zuvor waren diese Konsultationen enger und vertrauensvoller. Das bedeutet nicht, daß es zwischen Europäern und Amerikanern nun in allen Fragen der Sicherheitspolitik, der internationalen Politik stets und überall die gleiche Auffassung geben müßte. Wir sind freie und souveräne Staaten. Das ist einer der Unterschiede unseres Bündnissystems zum Warschauer Pakt. Diese Freiheit und Souveränität zu verteidigen, haben wir uns zusammengeschlossen. Wir sind eine Gemeinschaft der Werte und deshalb eine Schicksalsgemeinschaft. In einem solchen Bündnis muß man seine Gegensätze austragen können. Aber man darf dabei nie vergessen, wer der Freund und der Verbündete ist und wer es nicht ist. ({15}) Es bleibt dabei: In unserem westlichen Bündnis kann niemand dem anderen seinen Willen aufzwingen, nicht die Europäer den Amerikanern und nicht umgekehrt. Da gibt es keine Befehlsempfänger. Das kann immer nur das Ergebnis einer offenen Diskussion sein. Der amerikanische Präsident hat kürzlich so formuliert: Ein Bündnis wie das unsere kann nur auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Diskussion unserer Meinungsverschiedenheiten funktionieren. Das können wir uneingeschränkt bejahen. Meine Damen und Herren, zu dieser Diskussion gehört, daß wir uns dieses Grundtatbestandes der Gemeinsamkeit demokratischer Überzeugungen und des Grundtatbestandes der Schicksalsgemeinschaft von Demokratien bewußt bleiben. Wenn gelegentlich in der Diskussion über die internationalen Probleme über die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gesprochen wird, als seien beide sozusagen uns gleich nahe oder gleich weit entfernt, so wollen wir, was die Funktion dieser beiden Weltmächte angeht, eines niemals vergessen: Amerikanische Truppen stehen in Europa auch deshalb, damit es hier freie Gewerkschaften geben kann, sowjetische Soldaten stehen in Polen auch deshalb, damit es dort keine freien Gewerkschaften geben kann. ({16}) Das ist der Unterschied. Deshalb bleibt es dabei: Antiamerikanismus lockert die Bande, an die unsere Sicherheit und unsere Freiheit geknüpft sind. Unser Gewicht in der internationalen Politik wird auch durch die Qualität unserer Beziehungen zu unserem engsten und größten Verbündeten bestimmt; das gilt besonders auch gegenüber der Sowjetunion. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur der transatlantische Dialog ist für unsere Zukunft in Sicherheit bedeutsam. Was wir ebenso brauchen, ist eine engere außenpolitische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten. Das muß der erste Schritt für das große Ziel sein, das wir doch alle haben müssen, nämlich eine dauerhafte europäische Friedensordnung zu schaffen, in der Staaten unterschiedlicher politischer Ordnungen ohne Angst voreinander miteinander leben können. Manche Europäer beklagen die unzureichende Berücksichtigung unserer Interessen. Ich finde: Schließen wir uns zusammen; es wird uns leichter fallen, unsere Interessen durchzusetzen. Stärkung unserer Europäischen Gemeinschaft - das ist der wichtigste Faktor, um Europa zu der Kraft werden zu lassen, die es in der Welt darstellen muß: zu der Kraft des Friedens. In allen Ländern Europas wächst heute eine Generation heran, die verlangt, daß wir den Blick auf die Zukunft richten und nach neuen Wegen suchen, um die Sicherheit der Völker durch Ausgleich und Verzahnung der Interessen und nicht in dem Streben nach Überlegenheit und ideologischer Missionierung zu gewährleisten. Hier entsteht ein neuer Ausdruck europäischer Identität, der Handeln von allen Seiten erwartet. Es geht in Wahrheit um die Wiedergeburt Europas als Kraft des Friedens, und das macht vor den ideologischen Grenzen nicht halt. Der Wille zum Frieden ist in den Herzen und Gedanken der Menschen in West und Ost genauso zu Hause. Wenn wir den Frieden wollen, dann müssen wir auch dieses Engagement überall wollen. Einseitig handelt nicht nur, wer einseitig Abrüstung des Westens fordert. Einseitig handelt genauso, wer Friedensengagement in der DDR lobt, dasselbe Engagement bei uns aber verunglimpft. ({17}) Wir sollten ehrliches Engagement für den Frieden in seinen Motiven auch dann nicht diffamieren, wenn wir die Argumente ganz und gar nicht teilen können. Europa, das der Menschheit in der Vergangenheit große Leistungen erbracht hat, bekommt heute noch einmal eine große Chance und Aufgabe als Kraft des Friedens. Wir müssen dafür sorgen, daß die Nachkriegszeit nicht zu einer Episode europäischer Politik, sondern der Beginn einer neuen Friedensepoche für ganz Europa wird. In dieser Aufgabe haben wir Deutschen eine besondere Verantwortung. Beide deutsche Staaten tragen eine unbestreitbare Verantwortung für die Erhaltung und Sicherung des Friedens. Von deutschem Boden sollen keine Kriege mehr ausgehen - keine heißen, aber auch keine kalten. ({18}) Abgrenzung erschwert Verständigung und friedliche Zusammenarbeit. Sie fördert Spannungen und baut sie nicht ab. Der Ehrgeiz auf beiden Seiten muß sein, bei der Erfüllung der in der Schlußakte von Helsinki niedergelegten Absichtserklärungen voranzugehen. Beide deutsche Staaten dürfen sich in ihrem Willen zum Frieden, zu einem vernünftigen, den Erfordernissen des atomaren Zeitalters entsprechenden Umgang miteinander von niemandem übertreffen lassen. Man darf nicht übersehen: Der Zustand der deutsch-deutschen Beziehungen ist mehr als nur ein Gradmesser des Ost-West-Verhältnisses. Er beeinflußt dieses Verhältnis nachhaltig - im positiven und im negativen. Hier liegt die europäische Verantwortung der beiden deutschen Staaten, eine Verantwortung, die in ihren Auswirkungen weit über das hinausreicht, was sie für Deutschland und die Deutschen bewirken könnte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über die Lage der Industriegesellschaften sprechen, lohnt es sich, auf Dürrenmatt zu sehen. Bei ihm können wir lesen: Die Abenteuer der alten Art wird sich die Menschheit immer weniger leisten können. Von den Fahrten auf den Mond wird sie enttäuscht heimkehren. Es gilt, die neuen Abenteuer zu finden. Es sind dies jene des Geistes. Die Politik wird im günstigsten Falle sozial gesicherte Räume errichten. Sie zu erhellen, wird die Sache des einzelnen sein, sonst wird die Erde zu einem Gefängnis. Er fährt fort: Von der Politik haben wir Vernunft, von dem einzelnen haben wir Liebe zu fordern. Es ist Sache der Politik, dafür zu sorgen, daß aus der Chance einzelner die Chance der einzelnen, aller einzelnen, wird. Die Chance der einzelnen zu schaffen, Vernunft und Humanität zu verwirklichen, ist unsere Aufgabe. Das sage ich als Liberaler: Wo andere an die Bürokratie, die Organisation, an die Systeme glauben, vertrauen wir, bauen wir auf den Menschen. Systeme sind nicht kreativ. Kreativ sind die Menschen, wann man sie nur kreativ sein läßt. ({19}) Nur eine freie Gesellschaftsordnung, die diese Kreativität zur Entfaltung kommen läßt, ist dynamisch. Nur sie kann durch ihre Veränderungsfähigkeit die Zukunft bewältigen. Wir messen Fortschritt qualitativ an seiner Wirkung auf den Menschen und für den Menschen. Wir haben die Aufgabe, den Weg zu zeigen, der zu wirklichem Fortschritt führt. Auch angesichts der selbstzerstörerischen Wirkung eines wertfreien, wissenschaftlich-technischen Fortschrittsdenkens führt es nicht weiter, den Weg zurück zur heilen Gartenlaubenwelt zu versprechen. Sie gibt es nicht und sie kann es nicht geben. Unsere Aufgabe ist es, die technischen Möglichkeiten durch Vernunft und Verantwortung zu beherrschen. Wir wissen, daß der nicht beherrschte technische Fortschritt mehr Zerstörung, mehr Vernichtung alles Menschlichen und Natürlichen bedeutet. Wir müssen leider heute feststellen: Nicht der Weg von der Brutalität zur Humanität kennzeichnet den Weg des moralisch nicht beherrschten Fortschritts, sondern der Weg von der Steinschleuder zur Megabombe. Vielleicht liegt hier einer der Gründe für das Unbehagen vieler vornehmlich junger Menschen nicht nur in unserem Lande. Wenn wir die ökonomischen Probleme in unserem Lande beherrschen wollen, so müssen wir uns als erstes bewußt sein, daß wir für den notwendigen weltwirtschaftlich bedingten ökonomischen Korrektur- und Anpassungsprozeß ganz gewiß die günstigsten Voraussetzungen überhaupt haben. Wir müssen nur die vorhandenen Voraussetzungen nutzen wollen, und das ist nach unserer Überzeugung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur mit marktwirtschaftlicher Politik möglich. ({20}) Meine Damen und Herren, da geht es nicht um einen Streit wirtschaftlicher Theorien. Es geht in Wahrheit um eine Bewährungsprobe unserer freiheitlichen Gesellschaft. Es geht um die Frage, ob diese freiheitliche Gesellschaft in der Lage ist, das Recht der Menschen auf Selbstverwirklichung durch Arbeit zu erfüllen oder nicht. ({21}) Für uns Liberale ist die Überwindung der Arbeitslosigkeit weit mehr als ein ökonomischer Prozeß, weit mehr als eine Diskussion, eine kalte Betrachtungsweise nach Art einer Laborentscheidung zwischen mehreren ehrgeizigen ökonomischen Theorien. Für uns ist es ein zentrales Ziel, dem Arbeitsuchenden Arbeit anzubieten, um ihm seine persönliche Unabhängigkeit und seine soziale Sicherheit zu geben. Für uns ist die Überwindung der Beschäftigungsprobleme in unserem Land eben nicht nur eine quantitative Frage, sondern eine auf jeden einzelnen Arbeitssuchenden in seinen Persönlichkeitsrechten, in seiner Individualität bezogene Freiheitsaufgabe, die wir nur im Geist freiheitlicher Politik lösbar sehen. ({22}) Wir sind gewiß: Wir können es schaffen. Wir werden uns von diesen Auffassungen auch leiten lassen, wenn es darum geht und wenn Anlaß besteht, eine Korrektur an den Daten vorzunehmen, die dem Haushaltsentwurf 1983 zugrunde liegen. Die Diskussion darüber darf und sollte nicht - das ist hier ausgetragen worden - ohne Vorliegen verläßlicher Daten und schon gar nicht leichtfertig geführt werden. Sonst untergräbt man das Vertrauen in die Solidität der staatlichen Finanzpolitik. Ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen. Diese psychologische Grundwahrheit darf man niemals außer acht lassen. ({23}) Finanzpolitische Solidität heißt für die wirtschaftliche Entwicklung: Die Spielräume für Zinssenkungen werden wesentlich vom Finanzgebaren der öffentlichen Hände, d. h. von der Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch sie, bestimmt. ({24}) Weitere Zinssenkungen aber können einen durch nichts ersetzbaren Wachstumsimpuls geben. Eine Kritik an der Bundesbank, so, als säße diese am Hebel der Zinsentwicklung und brauche nur nach oben oder nach unten zu drücken, ist gänzlich unangebracht. ({25}) Das gleiche gilt übrigens von dem Versuch, die Zinshöhe bei uns ausschließlich mit der Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu erklären. ({26}) Was hausgemacht ist, kann auch nur zu Hause beseitigt werden. ({27}) Nur wenn wir größte Zurückhaltung gegenüber einer Erhöhung der Verschuldung üben, nur wenn wir nicht weitere Konsolidierungsschritte durch Ausgabenkürzung von vornherein ausschließen, werden wir die Spielräume gewinnen, die eine auf Investitionsförderung gerichtete Haushaltspolitik braucht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere wirtschaftlichen Probleme, von denen wir wissen, daß es sie anderswo noch stärker gibt - aber wir haben ja hier Politik zu machen -, ({28}) betreffen Politikbereiche in den verschiedensten Teilen unserer Gesellschaft. Zum Beispiel ist es notwendig, den Zusammenhang zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem noch schärfer herauszuarbeiten ({29}) und so zu gestalten, daß eine Qualifizierungsoffensive in Gang kommt. Wir werden unsere Märkte draußen nur behaupten und wir werden neue nur gewinnen, wenn wir auch Menschen haben, die Produkte entwickeln und herstellen können, die in Qualität und technologischem Standard an der Spitze liegen. ({30}) Wir dürfen nicht Rationalisierung und Automatisierung einfach auf uns zukommen lassen. Je mehr wir rationalisieren - das ist ganz unausweichlich -, desto mehr muß an anderer Stelle neu erforscht und entwickelt werden. Wir müssen die Arbeitnehmer auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung in die Lage versetzen, mit der ungeheuren Dynamik unseres Strukturwandels fertigzuwerden. Es gilt auch, die Wachstumschancen von Investitionen in die Umwelt stärker zu erkennen und zu nutzen. Da kann man übrigens von den Japanern auch in diesem Bereich einiges lernen. Es ist z. B. auch notwendig, über die Rolle des einzelnen am Arbeitsplatz nachzudenken, über die direkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg ihres Unternehmens und über die Gestaltung ihrer Lebensarbeitszeit. Probleme über Probleme, Fragestellungen über Fragestellungen. Trotzdem möchte ich - veranlaßt durch eine Frage, die ich gestern in einer Wahlversammlung bekam und die mich in ihrer Kälte und Unmenschlichkeit zutiefst getroffen hat - eines hinzusagen. Was immer wir an Beschäftigungsproblemen und Arbeitsmarktproblemen haben, treten wir gemeinsam, alle die hier in diesem Parlament sitzen, denen entgegen, die jetzt den untauglichen Versuch machen, zur Ausländerhatz zu blasen und die Gastarbeiter zur Ursache unserer Probleme zu machen. ({31}) Hier sind wir alle gefordert, die Reife unserer Demokratie, die Humanität unseres Denkens und unsere Fähigkeit zum Frieden nach innen und außen unter Beweis zu stellen. ({32}) Die veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben vor allem unser Sozialsystem einer großen Belastungsprobe ausgesetzt. Die herausfordernde Frage lautet: wie können wir bei geringeren Wachstumsraten auch in Zukunft Freiheit und sozialen Frieden sicherstellen? Wir wissen, eine freie Gesellschaft verdient ihren Namen nicht ohne ausreichenden sozialen Schutz gegenüber den mannigfaltigen Wechselfällen des Lebens. Niemand, der in unserem Staat in Not gerät, darf alleingelassen werden. Aber gerade weil wir diese Zusage einhalten wollen, ist unser in Zeiten stetigen und kräftigen Wachstums so großzügig ausgebautes System der sozialen Sicherung auf dem Prüfstand. Gerade jetzt muß es sich bewähren, seine Funktionsfähigkeit be6786 weisen. Wie aber soll ein System auf Dauer funktionieren können, das auf drei- bis vierprozentiges stetiges jährliches Wachstum und auf niedrige Arbeitslosenzahlen angelegt ist? Wenn wir unser Sozialsystem auf Dauer wetterfest machen wollen, müssen wir mit Reformen am System selbst beginnen. Nicht Abbau, sondern Umbau der sozialen Sicherung muß die Devise sein. ({33}) Wir müssen vor allem dort mit Reformen ansetzen, wo ein halbstaatliches Gießkannensystem, finanziert von Zwangsversicherten, das verkümmern läßt, was für eine freie Gesellschaft unverzichtbar ist, nämlich Selbstverantwortung, Selbstbeteiligung, Solidarität und Bürgernähe. ({34}) Dann möchte ich eines ganz klar sagen. Leere Kassen sind nicht die Stunde des Endes der Reformen. Leere Kassen muß man als Chance, als Freiheitschance nützen. Leere Kassen müssen die Stunde freiheitlicher Reformen sein, aber auf gar keinen Fall die Stunde der Nivellierung, auch nicht der geringeren Anerkennung von Leistung und Leistungsbereitschaft. Nur die Leistung der heute Arbeitenden schafft den Arbeitsplatz für die anderen. ({35}) Wenn ich von dieser Leistung und Leistungsbereitschaft und ihrer Förderung rede, ohne die der Arbeitsplatz für die, die ihn suchen, nicht geschaffen werden kann - das gehört auch zur Solidarität in einer Gesellschaft -, dann beziehe ich ganz ausdrücklich, auch wenn sie ein höheres Einkommen haben sollten, die selbständigen Existenzen in Handel, Handwerk, Gewerbe und freien Berufen mit ein. Die tragen nämlich heute in der Hauptsache unsere wirtschaftliche Tätigkeit und übrigens auch die Ausbildung unserer jungen Menschen. ({36}) Hüten wir uns davor, die eine Gruppe gegen die andere aufzubringen! Wir haben Gräben genug in dieser Welt! ({37}) Viele Menschen haben längst erkannt, welche Bedeutung für eine freie und soziale Gesellschaft Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Dezentralisierung haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, von Anbeginn in der heutigen Debatte hat die Zusammenarbeit von Freien Demokraten und Sozialdemokraten in der Koalition eine Rolle gespielt. Darüber darf man sich nicht beklagen; denn hierzulande redet man j a schon sehr lange lieber über die Organisation der Macht als über den Zweck, für den politische Macht ausgeübt werden soll. ({38}) Wir Freien Demokraten, die wir zur Verwirklichung unserer Ziele immer auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen sind, haben klare Prinzipien, aus denen wir unser Verhalten in der Regierungskoalition ableiten. Das erste Prinzip heißt: Verläßlichkeit in der Sache. Was vereinbart ist, muß gelten. Kompromisse müssen ertragen werden, auch wenn die Abstriche am und die Widersprüche zum eigenen Programm schmerzhaft empfunden werden. Die FDP hat nun bei 13 Regierungsjahren mit der SPD ihre Zuverlässigkeit niemals in Zweifel geraten lassen, wenn es um die Verwirklichung einer gemeinsam vereinbarten Politik ging. Das zweite Prinzip heißt: vertrauens- und verständnisvoller Umgang miteinander. Man ist in einer Koalition, aber man ist eine eigenständige Partei mit eigenen Zielen. Das dritte Prinzip heißt: Sachbezogenheit. Viertens müssen wir sagen: Eine Koalition braucht Einigungswillen und Einigungsfähigkeit. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich selber zu korrigieren. Man könnte auch sagen: Dazu gehört Reformbereitschaft. Wenn nämlich die politischen Strukturen den gesellschaftlichen Wandel nicht mehr erfassen, wenn sie erstarren in sich selbst genügender und beinahe selbstvergessener Geschäftigkeit, ohne eine Perspektive, dann kommen Kräfte von außerhalb, die die Strukturen aufbrechen. Die kritische Reflektion über das eigene Handeln ist unverzichtbar. Was gestern richtig war, muß heute nicht unbedingt noch immer richtig sein. Wenn wir uns nicht selber korrigieren, kommen andere herbei, die vielleicht nicht mehr nur Reformen wollen. Die Bewältigung - das muß offen ausgesprochen werden - der ökonomischen und finanziellen Probleme führt auch in einer Koalition an die gesellschaftspolitischen Grundlagen und Grundauffassungen der handelnden Parteien. Ihre Konturen müssen in einer Zeit grundsätzlichen Entscheidungsbedarfs zwangsläufig deutlicher werden. Das ist durch meinen Brief vom 20. August 1981 in gleicher Weise wie durch die Beschlüsse des Münchener Parteitages der SPD im April 1982 geschehen. Dieser Brief hat nicht, wie Herr Kollege Brandt in einer Rede gemeint hat, Probleme für die Koalition geschaffen, sondern war der Versuch, die Koalition zu befähigen, Probleme, die von außen an uns herankommen, in freiheitlichem Geist zu lösen. ({39}) Parteien, die die Regierung gemeinsam tragen, haben sich auch in einer solchen Zeit und angesichts solcher Probleme ihrer gemeinsamen Verantwortung zu stellen. Sie werden, gerade wenn sie zusammen Regierungsverantwortung tragen, die demokratische Pflicht zum Kompromiß in besonderer Weise erfüllen müssen. Beide Regierungsparteien, FDP und SPD, haben sich dieser Verantwortung im Laufe der letzten 12 Monate gewachsen gezeigt. Wir haben auf beiden Seiten gezeigt, wie sehr wir uns auch in die Pflicht zu nehmen wissen. Die Grenze muß dort liegen, wo man sich gegenseitig überfordert, ja wo einer von beiden oder gar beide in die Gefahr geraten, ihre Identität zu verlieren. Identitätsverlust demokratischer Parteien kann zu Substanzverlusten in der parlamentarischen Demokratie führen. Wir sehen vor diesem Hintergrund das Verhältnis der Sozialdemokraten zu den Gewerkschaften, wobei gerade in dieser Phase deutlich wird, daß eine Einheitsgewerkschaft auch bei voller Würdigung gewachsener Bindungen ein geordnetes Verhältnis zu allen demokratischen Parteien haben muß. ({40}) Unser Verhältnis zu den deutschen Gewerkschaften wird dabei nicht nur von ihrer Bedeutung bestimmt, die sie als wichtige Kräfte unserer pluralistischen Gesellschaft einnehmen; wir sehen in den deutschen Gewerkschaften unverzichtbare Garanten unserer freiheitlichen Ordnung. Die Diskussionen der letzten Monate sind oft sehr vordergründig, gelegentlich wohl auch spielerisch geführt worden. Das führt ab von der Grundfrage, über die hier zu sprechen ist. Es geht um die Verantwortung der Regierenden, es geht um die Handlungsfähigkeit der Regierung, um die Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen, um die Durchsetzung getroffener Entscheidungen. Es geht - ich wiederhole es - um aufrichtigen Einigungswillen, und es geht um Aufrichtigkeit auch dort, wo Einigung nicht oder nicht mehr möglich ist. Auch in einer solchen Lage werden wir uns allein von der Politik leiten lassen, die wir für unser Land für notwendig halten. Wenn ich von der ungeteilten Unterstützung der gemeinsamen Politik durch Parteien in einer Koalition spreche, so umfaßt das alle politischen Bereiche, und dazu gehört die Außen- und Sicherheitspolitik. Sie wissen, Herr Bundeskanzler, da haben sie keine Probleme mit unserer Fraktion. Die Probleme liegen überhaupt nicht zwischen uns und Ihnen - nicht nur in diesem Bereich. Zur ungeteilten Unterstützung gehört, daß Regierungsparteien, wenn sie in den Ländern Verantwortung tragen, im Bundesrat mittun und nicht zum Hemmschuh werden. Man muß es offen aussprechen: Der Haushalt 1983 wird zu einer Bewährungsprobe unserer Regierungskoalition werden. Aber bevor er das wird, ist zunächt die Handlungs- und Konsensfähigkeit in jeder der beiden Parteien gefragt, wenn wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen und den sozialen Frieden zu erhalten, wenn wir die Gefahr abwenden wollen, daß wir durch den bequemen Ausweg in die Verschuldung die Lasten unserer Zeit auf die Schultern unserer Kinder und Enkel abwälzen. Nichts kann uns entbinden von unserer Verantwortung vor der nachwachsenden Generation. ({41}) Wir haben bei der Einhaltung der vereinbarten Inhalte der Regierungserklärung mit Verläßlichkeit zu handeln. Wir haben auch bei den vor uns stehenden wahrlich nicht leichten Beratungen vertrauensvoll und verständnisvoll miteinander umzugehen. Wir haben um die Sache zu ringen, um den Haushalt, um die Politik, die er ausdrückt. Das ist weit mehr als der technokratische Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben. Das ist die Entscheidung zwischen solider Finanzpolitik oder Flucht in die Verschuldung. Es ist die Entscheidung zwischen der Anregung von Investitionen und Verbrauch oder Entmutigung und Behinderung. Es ist die Entscheidung zwischen Selbstverantwortung und Subsidiarität auf der einen und immer stärkerer Inanspruchnahme durch Abgaben und Steuern auf der anderen Seite. ({42}) Es ist letztlich die Beantwortung der Frage, die für Liberale die Kernfrage ist: Erweitert eine Entscheidung die Freiheit oder schränkt eine Entscheidung die Freiheit ein? Hier stehen wir in der Tradition des deutschen Liberalismus, der sich bei allen Anfechtungen, bei allen Irrwegen, bei allen Fehlern und Fehlentscheidungen in Deutschland immer wieder als die unverzichtbare Kraft der Freiheit erwiesen und bewährt hat. Hier liegen die Beiträge der Freien Demokratischen Partei für die deutsche Nachkriegsdemokratie. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie seien stolz auf die sozialliberale Koalition und auf den inneren Wandel, den sie in unserem Lande ausgelöst hat. Wir sind darauf auch stolz. ({43}) Wir bekennen uns zu jeder der gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Wir bekennen uns auch zu denjenigen, die sich im nachhinein als korrekturbedürftig erweisen. Wir sind wie Sie, Herr Bundeskanzler, stolz auf das gemeinsam mit der SPD zustande gebrachte Ansehen, das die Bundesrepublik Deutschland heute in Europa und in der Welt genießt. Wenn wir aber unseren Anteil an der deutschen Nachkriegsgeschichte würdigen, dann sind wir genauso stolz darauf, daß wir in der Koalition mit der CDU/CSU in diesem Lande nach dem Zweiten Weltkrieg die Soziale Marktwirtschaft durchgesetzt haben, die Wirtschaftsordnung, die uns die wirtschaftliche Position gegeben hat, die uns heute befähigt, die weltweiten Probleme besser als alle anderen konkurrierenden Staaten zu lösen. ({44}) Das werden wir nicht verspielen, und für diese Politik steht, getragen vom Vertrauen aller seiner Freunde, mein Kollege Otto Graf Lambsdorff. ({45}) Wir sind auch stolz darauf, daß wir in der Koalition mit der CDU/CSU unsere Mitgliedschaft im westlichen Bündnis durchgesetzt haben, der wir noch heute Frieden und Freiheit verdanken und mit der wir die Grundlage für die Vertragspolitik legten, die wir dann mit den Sozialdemokraten verwirklicht haben. So ist unsere Partei Träger der großen außenpolitischen und gesellschaftspolitischen Grundentscheidungen in unserem Lande und Garant ihrer Beständigkeit. Von diesen Grundentscheidungen lassen wir uns nichts abhandeln. Wir sind stolz auf das, was wir zum Ausbau des freiheitlichen Rechtsstaates geleistet haben, von der freiheitlichen Gestaltung des Grundgesetzes bis hin zu unserem Kampf gegen Notstandsgesetze dort, wo sie den liberalen Gehalt unseres Grundgesetzes anzutasten drohten. ({46}) Wir handeln als Partei, die, wenn es darauf ankommt, in der Verantwortung für die Freiheit und in der Treue zu sich selbst ihre Aufgabe erfüllt. Zu diesen Aufgaben gehört auch, daß wir in diesem Lande dazu beitragen, daß nicht neue Gräben aufgerissen werden, sondern daß Konfrontation abgebaut wird. Zu unseren Aufgaben gehören diese Grundentscheidungen. Zur Bewahrung dieser Grundentscheidungen gehört die Durchführung des Wahlprogramms von 1980. Diesem Wählerauftrag fühlen wir uns verpflichtet, und nach diesem Wählerauftrag handeln wir. Wir entziehen uns nicht unserer Verantwortung, wir stellen uns dieser Verantwortung - auch dort, wo wir nicht nur Wohlgefallen ernten. Das gilt zuallererst - das möchte ich in dieser Stunde sagen - für meinen Freund Wolfgang Mischnick, das gilt genauso für meine Freunde Otto Graf Lambsdorff, Josef Ertl und Gerhart Baum; ich beziehe Walter Scheel ausdrücklich ein. Diese Freie Demokratische Partei macht es anderen, aber auch sich selbst nicht leicht, aber wenn es um die Grundlagen unserer Politik und um ihre Durchsetzung geht, dann stehen wir zusammen. Da soll sich keiner falschen Hoffnungen hingeben. Liberalität und Solidarität sind bei uns keine Gegensätze. ({47}) Erlauben Sie mir ein persönliches Wort dazu. Bei allem, was ich tue, lasse ich mich leiten von meiner Verantwortung als Mitglied der Bundesregierung, als Mitglied des Deutschen Bundestages und als Vorsitzender meiner Partei und von meiner persönlichen Verbundenheit und Verehrung für den Mann, den ich für den größten der Liberalen nach dem Zweiten Weltkrieg halte, für unseren großen Thomas Dehler. Pflichterfüllung, das bedeutet für mich: zu handeln - auch in der Verantwortung für diejenigen, die in dem anderen Teil unseres Vaterlandes leben, in dem ich geboren wurde und wo meine Heimat liegt. Sie sind mit umfaßt, wenn ich bei jeder Entscheidung danach strebe, was ich mit dem Eid versprochen habe: den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. - Ich danke Ihnen. ({48})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin. Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers - insbesondere in dem zweiten Teil seiner Rede - habe ich mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Es steht mir in meiner Funktion nicht zu, dies hier zu kommentieren. Vielleicht darf ich hinzufügen, daß ich an der Stelle, an die ich gestellt bin, mit Koalitionen auch keine Erfahrung habe. ({1}) Ich darf mich für die Gelegenheit bedanken, von Berlin aus einen Beitrag zur Debatte über die Lage der Nation zu leisten. Sie, Herr Bundeskanzler, haben ebenso wie die anderen Redner auf die äußere und innere Lage Berlins Bezug genommen. Das ist gut und notwendig und ich danke allen dafür. In der Tat, die Lage Berlins ist wesentlicher Bestandteil des ganzen Themas, das heute zur Debatte steht. Damit sind die gegenwärtige Lage und die Zukunftsperspektiven der Deutschen in der geteilten und abgetrennten Stadt gemeint. Weiter ist Berlin als Seismograph der Ost-West-Beziehungen gemeint. Es wäre ein Irrtum zu glauben, diese Rolle sei vorbei. Schließlich und vor allem aber ist Berlin der zentrale Orientierungspunkt für die offene deutsche Frage, für die Lage der Nation im Ganzen. ({2})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Regierender Bürgermeister, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, entweder die Plätze einzunehmen oder den Saal zu verlassen und die Ruhe im Raum wiederherzustellen. ({0}) Bitte fahren Sie fort! Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({1}): Wenngleich die Unruhe verständlich ist, danke ich Ihnen, Herr Präsident. Erlauben Sie mir, zuerst etwas zu diesem letzten Aspekt, zu dem Kernstück des heutigen Themas, zu sagen und später auf Berlin zurückzukommen. Ich tue es zunächst mit einem etwas größeren Abstand von unserer Tagesperspektive, als dies im allgemeinen und als es bisher auch in dieser Debatte geschehen ist. Die Lage der Nation - das ist primär die Frage nach dem Bewußtsein und den Zielen der Deutschen selbst, der Deutschen in Ost und West. Aber es ist auch die Frage nach dem Einfluß und den Zielen der Außenwelt auf uns Deutsche, die wir in der Mitte Europas leben. Zu keiner Zeit konnte sich das Bewußtsein der Deutschen von ihrer Identität und ihrer natürlichen Entwicklung so vollziehen wie bei der Mehrzahl der anderen europäischen Völker. Denn mehr als die anderen sind und bleiben wir von nahen und fernen Nachbarn und Mächten umgeben. Sie alle haben ein vitales Interesse daran, welche politische Gestalt die Mitte Europas annimmt. Kenntnis und Verständnis der Geschichte sind deshalb für uns eine reale politische Lebensnotwendigkeit. Denn sie lehren uns: Es ist unsere geographische Lage der kontinentalen Mitte, die unsere Entwicklung stets entscheidend geprägt hat und sie weiter bestimmen wird. Die Frage nach der deutschen Identität und nach der deutschen Nation hat uns auf dieser Welt noch nie allein gehört. Der Einfluß der Mächte von außen hat allzuoft und allzulange Ohnmacht in der Mitte, Ohnmacht bei den Deutschen erzeugt. Zwei Anläufe hat das 20. Jahrhundert gebracht, zwei Anläufe der Deutschen, um aus diesem Einfluß der Mächte auf die Mitte des Kontinents auszubrechen: Das Kaiserreich strebte an seinem Ende nach Vormacht, und Hitler suchte eine Weltmachtrolle für die Deutschen. Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({2}) Als Ergebnis stand am Ende der beiden Weltkriege die Teilung. Die Mächte, die heute auf Europas Mitte einwirken, sind nicht mehr das europäische Konzert des 19. Jahrhunderts, vielmehr sind es die beiden führenden Weltmächte mit ihren Systemen und Bündnissen. Sie sind es, die den maßgeblichen Einfluß gewonnen haben. Begonnen hat es als eine gemeinsame Kontrollfunktion verbündeter Sieger über die zukünftige Gestalt Deutschlands und Zentraleuropas. Die Frage einer permanenten Teilung Deutschlands war unter den Siegern offen. Dann aber hat sich der Charakter der Dauerabgrenzung zwischen den beiden Machtbereichen mitten in Deutschland eingestellt. Er schwankt zwischen Konfrontation und Kooperation. Er läßt bis heute nicht erkennen, wie die Folgen dieser Abgrenzung, nämlich die Teilung Europas, Deutschlands und der Stadt Berlin, je überwunden werden sollen. Aber das alles hat an der Lage von uns Deutschen in der Mitte Europas gar nichts geändert. Die beiden bisherigen Lehren unseres Jahrhunderts, also das Scheitern der Ausbruchversuche aus dem Einfluß der Mächte und als Ergebnis die Teilung, widersprechen der geopolitischen Natur der Dinge. Denn die Mitte ist keine Grenze; auf die Dauer eignet sie sich dafür nicht. ({3}) Unsere Phantasie reicht zwar nicht aus, uns die Machtkonstellation auszumalen, die eine neue europäische Architektur ohne alte, überlebte Staatengebilde hervorbringt und die die Grenze überwindet, die durch die Mitte verläuft. Die Teilung ist also, geschichtlich gesehen, mehr als eine Momentaufnahme. Aber wer sie zum Dauerzustand erklärt, hat die geschichtliche Wahrheit wahrscheinlich nicht auf seiner Seite. Die Mitte des Kontinents taugt auf die Dauer für ein Großreich ebenso wenig wie für eine Grenze. Der Einfluß von außen und die Ziele, die von außen bei uns verfolgt werden, führen ebenso wie unsere eigenen Vorstellungen zu immer neuen Entwicklungen. Das Wahrscheinliche für die Mitte ist der Wandel, ist die Veränderung. Die bisherigen Antworten, die uns das 20. Jahrhundert auf die Gestalt Zentraleuropas gegeben hat, sind nicht die endgültigen und nicht die letzten. Historisch gesehen, werden sie nicht von Bestand sein. Als ich auf dem Wege hierher jemanden traf und ihm sagte, wir würden hier im Deutschen Bundestag über die Lage der deutschen Nation diskutieren, da lautete seine Antwort: Eure Sorgen möchte ich haben! Die meisten Deutschen - und da machen die Politiker keine Ausnahme - sind mit drängenden Tagesfragen beschäftigt, mit wenig Bezügen zu diesen Grundgedanken nach den langfristigen Entwicklungen der deutschen Nation: am wenigsten in Westdeutschland, stärker in Berlin, auf eigene Weise am stärksten in der DDR. Unsere Sorgen sind geprägt von Arbeitslosigkeit und sozialer Sicherung. Wir denken an Koalitionen und Bündnispolitik. Wir denken an den Wettbewerb der Systeme zwischen Ost und West. Vor allem denken wir auch an Fragen des Friedens. Unsere Aufgabe heute aber ist es zu prüfen, wie wir mit unseren vordringlichen Tagesthemen bewußt oder unbewußt auf die langfristige historische Entwicklung einwirken. Denn ich meine, wir haben allen Grund, nicht die Augen so lange zuzuhalten, bis wir plötzlich aufwachen und erstaunt feststellen, in welche Richtung inzwischen die offene deutsche Frage abgewandert ist, ohne daß wir es gemerkt haben und ohne daß wir wissen, durch wen. Blicken wir zunächst in die DDR! Für sie hatten die 70er Jahre ambivalente Folgen. Einerseits war es für die DDR-Führung natürlich positiv, das Ziel erreicht zu haben, um das es ihr vor allem ging, nämlich die internationale Anerkennung, die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, die Präsenz der Botschafter vor allem aus dem Westen. Auf der anderen Seite ist das für die DDR nicht alles leicht zu verkraften. Es gibt zwei deutsche Staaten, aber zwei Staaten deutscher Nationalität. Es sind keine fremdnationalen Staaten. Sie haben besondere Beziehungen, auch wenn dies im Einzelfall strittig ist. Die gemeinsame nationale Frage der beiden ist in den Verträgen nicht gelöst. Aber sie ist angesprochen. Die vielen West-Ost-Besucher und die Berichterstattung von Westkorrespondenten aus der und in der DDR tun ihre Wirkung. Besondere Beziehungen zum westdeutschen Staat widersprechen einerseits der offiziellen Doktrin; andererseits bringen sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politisch bedeutsame Ansatzpunkte. Sie nützen gelegentlich, um nicht in alles und jedes uniform einbezogen zu werden, was der Warschauer Pakt so mit sich bringt. Hauptaufgabe der SED ist es, ihre Stabilität im Rahmen des umfassenden Machtanspruchs der Parteiführung zu sichern. Dazu gehört aus ihrer Sicht, die Anziehungskraft des anderen deutschen Staates einzuschränken, aber mit der eigenen Bevölkerung ein Mindestmaß an Übereinstimmung zu finden. Dieser Bevölkerung sollen Felder für die Identifizierung mit der DDR als dem eigenen Staat geboten werden. Für das letzte gibt es vor allem drei Ansatzpunkte. Einer davon ist die wirtschaftliche Tüchtigkeit der DDR im Vergleich zu den eigenen Bundesgenossen. Dies hat der SED Fortschritte, aber auch Schwierigkeiten gebracht. Denn gerade der wirtschaftliche Vergleich läßt sich nicht auf die Richtung nach Osten beschränken. Wer den Lebensstandard betont, löst neue Begehrlichkeiten in westlicher Richtung, d. h. in Richtung auf den anderen deutschen Staat, aus. Man denke nur an die Probleme der SED mit den Westgeldkonten. Ein zweites Feld sind die Beziehungen zu den Kirchen, vor allem zur evangelischen Kirche. Sie sind die einzigen großen gesellschaftlichen Organisationen in der DDR mit eigener landesweiter Infrastruktur, ohne kommunistisch zu sein. Dies ist ein wichtiges und empfindliches Gebiet. Da gibt es Öffnungen und Rückschläge, Zusammenarbeit und Mißtrauen. Ständiger Konfliktherd zwi6790 Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({4}) schen Kirche und staatlicher Führung ist die Erziehung. Wie kann man denn gleichzeitig zum Frieden erziehen - was dem Auftrag der Kirche entspricht - und Feindbilder vorbereiten, wie es die Parteiideologie verlangt? Allzu groß ist der Widerspruch, einerseits westliche Gruppen des „Frieden schaffen ohne Waffen" zu unterstützen, gleichzeitig zu Hause zu sagen, der Friede müsse bewaffnet sein. „Schwerter zu Pflugscharen", das ist zum Symbol eines Konflikts geworden, dessen Entwicklung wir ernst nehmen müssen, wenngleich wir wissen, daß niemand versuchen sollte, ihn von hier aus zu mißbrauchen. Wir haben und wir suchen keinen Einfluß auf ihn. Die Aufgaben der Kirchen in der DDR könnten von unseren Ratschlägen mehr Schaden nehmen als Nutzen ziehen. Ein dritter, besonders interessanter Punkt ist die Öffnung in Richtung auf Geist, Kultur und Geschichte. Noch Anfang der 70er Jahre hatte die SED die DDR als die sozialistische Nation deklariert und eine gemeinsame deutsche Nationalität geleugnet. Zur Abgrenzung gegen uns und zur Verankerung der Deutschen in der DDR hatte dies aber nicht die beabsichtigte Wirkung. Bereits 1974 sprach die SED- Führung daher von einem Doppelbegriff, nämlich Staatsbürgerschaft der DDR und deutsche Nationalität. Die Versuche, das Wort „deutsch" aus Überschriften und Texten auszusondern, traten wieder in den Hintergrund. Statt dessen wurden Geist, Kultur und Geschichte zu einem neuen Feld für die Legitimierung der DDR und die Identifizierung der eigenen Bevölkerung. Bemerkenswert sind die jüngsten Anstrengungen der DDR, die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zu fördern. Aus der zunächst recht platten ideologischen Klasseninterpretation der Geschichte ist inzwischen etwas mehr geworden. Neben Thomas Münzer und Karl Marx sind Martin Luther, Friedrich der Große, von Honecker selbst so bezeichnet, und nicht nur die preußischen Reformer, sondern auch die Königin Luise getreten. Die Geschichtsschreibung der DDR beschränkt sich nicht mehr auf die Geschichte der DDR und auf die von ihr als progressiv diagnostizierten Vorgänge in der Vergangenheit, vielmehr schließt sie, wie ein führender DDR-Historiker es formuliert, die ganze deutsche Geschichte seit der Entstehung des deutschen Volkes als ethnischer Einheit mit ein. Der SED dient die Debatte um die deutsche Geschichte als Fortsetzung der geistigen Auseinandersetzung um die Frage nach der deutschen Nation. Es findet eine Aneignung der deutschen Nationalgeschichte statt, ein Anspruch auf die ganze deutsche Geschichte, beinahe ein Alleinvertretungsanspruch. Dahinter steht das Bewußtsein, daß es sich um Politik handelt, wenn es um die Geschichte geht. Wer die Geschichte hat, hat möglicherweise auch die Zukunft. Bei uns gibt es Leute, die darauf einfach nur mit Erschrecken reagieren. Warum eigentlich? Gewiß, die Geschichte wird drüben als ein unverzichtbares Reservoir für die Legitimierung der DDR benutzt und der eigenen Bevölkerung zur Verankerung ihres Bewußtseins in der DDR angeboten. Aber ich meine, es wäre kurzsichtig, zu glauben, dies alles diene nur der Abgrenzung gegen uns und dies alles werde in diesem Sinne auch erfolgreich sein. Was zunächst die Abgrenzung betrifft: Hierzu muß man die Entwicklung im Warschauer Pakt im Ganzen im Auge haben. Auch dort, nicht nur in der Atlantischen Gemeinschaft, gibt es Schwierigkeiten. Die dortige Führungsmacht hat ihre blockinternen Grundsätze, auf deren Einhaltung sie bedacht ist. Aber auch sie kommt nicht darum herum, zuzulassen, daß sich alle Volksdemokratien im Rahmen des Möglichen um nationale Identität bemühen. Das ist noch keine echte Pluralisierung. Auch verläuft die Entwicklung mit höchst wechselndem Erfolg. Aber sie ist ein wichtiger, für uns relevanter Faktor. Bekannt sind die Schwierigkeiten der SED im Vergleich zu den Schwesterparteien. Sie hat für die DDR die nationale Alternative, nämlich uns, die Bundesrepublik Deutschland, ständig vor Augen. Dennoch sind nicht nur wir die Gemeinten, wenn nationale Identität ein Gegenstand der Anstrengung in der DDR wird. Auch innerhalb des Paktes will man als DDR gegenüber den Partnern unterscheidungsfähig sein. Sodann: Wer sich wirklich ernsthaft auf die Geschichte einläßt, den führt sie, ob er es will oder nicht, Schritt für Schritt von der Oberfläche zu den tieferen Wurzeln. Je mehr die geistige, die kulturelle und die historische Beschäftigung sozusagen amtlich freigegeben und mit Material angereichert wird, desto mehr entfaltet sie ihr Eigenleben. Im Zuge der Vorbereitung auf das Luther-Jahr 1983 häufen sich jetzt die Tagungen und Publikationen. In diesen Tagen ist gerade eine Biographie für junge Leute in der DDR über Martin Luther erschienen. Der Titel lautet: „Martin Luther - Reformator und Rebell - Seine Leistung als führender Ideologe der frühbürgerlichen Revolution". - Luther hält nun einmal Überraschungen für jeden bereit, der sich mit ihm befaßt. Die SED-Interpretation, insbesondere von Luthers sprachlichem, kulturellem und sozialem Einfluß, wird manchen Widerspruch auslösen; langweilig ist sie jedoch nicht. Luther hat im übrigen nicht nur Spaltungen nach sich gezogen. Vielmehr hat er im Zeichen der Sprache auch zusammengeführt, und das wird hier nicht verborgen bleiben. Im übrigen: Welchen Grund haben wir im Westen, die Beschäftigung mit Tradition und Geschichte, wie sie drüben stattfindet, geringzuachten? Gerade weil Themen und Materialien dieser Art drüben bis vor kurzem der öffentlichen Erörterung unzugänglich waren, kann man heute, da die Tabuisierung zurückgeht, nun eine sehr intensive Beschäftigung der Menschen mit diesen Fragen feststellen, ja eine stärkere und intensivere Beschäftigung als bei vielen Menschen in unserem Teil Deutschlands. Also: Nicht erschrecken, sondern lernen und sich stellen, die Herausforderung annehmen! ({5}) Bei aller Zurückhaltung, die wir wahren müssen, wenn wir ein Urteil über das fällen wollen, was die Menschen in der DDR in ihrem Inneren bewegt - Zurückhaltung, weil die Information nicht flächenRegierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({6}) deckend ist und weil es natürlich unterschiedliche Meinungen drüben gibt -, darf man sagen: Die Menschen drüben haben manchmal eine klarere Vorstellung von ihrer Identität als manch einer bei uns. Sie fühlen sich - zumal die Mehrheit, die nie etwas anderes erlebt hat - als DDR-Bürger. Sie fühlen sich aber als DDR-Bürger und als Deutsche. Daß sie Deutsche sind, empfinden sie als etwas ganz Natürliches. Dies geht über ihre Staatsbürgerschaft hinaus, auch wenn sie diese mehr rechtliche Charakterisierung ihrer Existenz nicht diskreditiert sehen wollen. In ihrem Verhältnis zu uns gehen sie natürlich davon aus, daß wir wie sie Deutsche sind. Das heißt vor allem: Wenn jemand bei uns meint, wir seien die Deutschen, im Gegensatz zu ihnen, dann allerdings tritt er ihnen zu nahe. „Deutschland gegen DDR", wie es zuweilen im Sport und anderwärts hieß, das ist ein wahres Unding. ({7}) Belehrung brauchen sie von unserer Seite wahrlich nicht. Wo sie erfolgt, wirkt sie oft umgekehrt als beabsichtigt. Die DDR-Bürger sind aber natürlich lebhaft an uns interessiert. Wie bekannt, ist der Einfluß der Medien drüben stark. Man kann sogar hören, das Bild über uns sei dort positiver, wo unser Fernsehen nicht hinreicht. Die Frage, ob dies mehr an uns oder mehr an unserem Fernsehen liegt, lasse ich offen. ({8}) Unsere Schwierigkeiten, wie man sie drüben sieht, unser materieller Egoismus, unser Leben in der Gegenwart auf Kosten der Zukunft - das alles wird drüben kritisch registriert. Das heißt aber nicht, daß die Distanz zu uns wächst. Vielmehr wünscht man sich uns, wie Reinhard Henkys das ausdrückt, als eine Bereicherung des eigenen Deutschseins. Man möchte, daß wir gut sind und kräftig und Ansehen haben. Eines jedenfalls läßt sich kaum übersehen: Wir sind im Leben der Menschen in der DDR mehr gegenwärtig als umgekehrt. An einem Tag wie heute darf nicht verschwiegen werden, daß es zu den Problemen der innerdeutschen Beziehungen im menschlichen wie auch im politischen Sinne gehört: Es können zwar mehr Menschen von West nach Ost Besuchsreisen machen als umgekehrt, aber die Aufmerksamkeit, die geistige Auseinandersetzung und die Erwartung in Richtung auf den anderen Teil sind zumeist stärker von Ost nach West. Wir haben allen Grund, daraus zu lernen und gleichzuziehen. ({9}) Was die innerdeutschen Beziehungen im engeren politischen Sinn betrifft, so ist die derzeitige Lage belastet. Zwar gibt es Verhandlungsgegenstände - die Bundesregierung hat sie in ihrem Lagebericht genannt; die Themen sind wichtig, uns in Berlin liegt an ihnen; ich nenne nur Gewässerschutz, Erdgas, S-Bahn und andere mehr -, aber es fehlt zur Zeit eine langfristige Perspektive für die Gespräche. Es ist auch nicht vorstellbar, wie wir sie erreichen, wenn nicht eingehalten wird, was verabredet war. ({10}) Die Erhöhung und Erweiterung des Mindestumtausches im Reise- und Besuchsverkehr ist abredewidrig. Sie bedarf der Rücknahme, ({11}) wenn es für die Menschen glaubwürdig sein soll, daß auch der DDR an Entspannung gelegen ist. Auch gemeinsame friedenspolitische Aktionen, wie die DDR sie immer wieder fordert, bedürfen zunächst ihrer Fundierung im Respekt vor den Menschenrechten; denn diese sind Bestandteil des Friedens. ({12}) In dieser Lage gilt es, die Dinge zwischen den beiden deutschen Staaten beim Namen zu nennen. Es geht nicht darum, wie ich meine, Hin- und Herreisen zu unterlassen oder Reisen von Politikern zu unterbinden; gegenseitiger Sprechboykott nützt niemandem. Wichtig vielmehr ist, sich zu treffen und dann aber auch ernsthaft und verantwortlich miteinander zu reden. Dabei haben wir einerseits unsere Grundüberzeugungen nicht aus Gründen atmosphärischer Rücksicht zu verschweigen. Auch ist es, was die wechselseitigen Verhandlungen betrifft, nicht gut, den Mund zunächst recht voll zu nehmen, ohne im entscheidenden Moment dazu zu stehen. Jeder, der die Verhandlungen dieses Jahres erlebt hat, weiß, wovon die Rede ist. ({13}) Auf der anderen Seite aber gilt es, ernsthaft aufeinander zu hören. Jede der beiden Seiten hat nicht nur ihre Ziele, sondern auch ihre Schwierigkeiten. Das letzte Jahrzehnt ist an beiden Seiten nicht spurlos vorübergegangen. Es gibt auch im Charakter unserer amtlichen Beziehungen untereinander Veränderungen. Die Beziehungen unter uns sind anders als die, die jeder von uns mit Dritten hat. Es gibt Momente, in denen sich zeigt, daß dies im beiderseitigen Interesse liegt. Jeder hat es in seinem täglichen Lebensbereich und in seinem nachbarlichen Umkreis mit Problemen zu tun, die diesen Schluß rechtfertigen. Deshalb geht es darum, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, klar zu sprechen und behutsam zu sein. In unserem Teil Deutschlands stehen - ich sagte es schon - neben Arbeitslosigkeit und Haushaltssorgen Fragen der Allianz und der Sicherheitspolitik im Vordergrund. Täglich berichten die Zeitungen von den Schwierigkeiten im Bündnis. Die Vereinigten Staaten denken immer stärker an die globalen Sicherheitsinteressen. Briten diskutieren über Schwächen in ihrer Navy, und schon schreibt die „Times": Zuviel Truppen am Rhein. Die Meinungsverschiedenheiten des Bündnisses über die Ostpolitik sind damit eng verbunden. Dabei geraten strittige Positionen oft in unhaltbare Extreme. Niemand wird die Sowjetunion mit einem Embargo in die Knie zwingen. Richard Nixon bekennt sich, wie ich glaube, ganz mit Recht zu der Überzeu6792 Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({14}) gung, daß ökonomischer Druck von außen für sich allein die Repression im Innern eher wachsen läßt, als sie zu verkleinern. ({15}) Eine Diktatur, so meint Nixon, wird durch äußere Konfrontation eher gestärkt als geschwächt. Umgekehrt aber wird Zusammenarbeit auf der ganzen Linie auch das Sowjet-System nicht in seinen Grundzügen ändern. Aber es ist und bleibt eine Illusion, zu glauben, wir könnten auf dem Gebiet der Sicherheit, d. h. in Richtung Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, Verhandlungserfolge mit der Sowjetunion erzielen, wenn alle anderen Gebiete, an denen sie vital interessiert ist, aus den Beziehungen eliminiert bleiben. ({16}) Maßgeblich für unsere Ostpolitik muß die untrennbare Doppelorientierung nach dem HarmelPlan bleiben, d. h. die konzeptionelle Verbindung von Verteidigungsbereitschaft und Entspannung. Wir werden nicht müde werden, das aus Berlin immer wieder zu betonen. Der sowjetischen Vorstellung von der friedlichen Koexistenz als der wirksamsten Form des internationalen Klassenkampfes gilt es unser Harmel-Konzept entgegenzustellen. Danach bedeutet Entspannung nicht automatisch mehr Friede oder gar Bequemlichkeit für uns im Westen, sondern die friedliche Auseinandersetzung zwischen den Systemen, und zwar im Sinne eines Wandels, wie wir ihn anstreben. Aber auch wir Deutsche haben die Diskussionsgrundlage im Bündnis nicht immer geradezu erleichtert. Allzu viele bei uns haben sich dem Versuch verschrieben, den konzeptionellen Zusammenhang von Verteidigungsbereitschaft und Entspannung aufzulösen. Allzu viele meinen, wir müßten das heutige Verteidigungskonzept des Bündnisses, vor allem das der Amerikaner, in Zweifel ziehen, und folglich müßten wir mit der Entspannung allein in die Zukunft marschieren. ({17}) Wie sollen die Amerikaner das anders verstehen als so, daß der eine die Kohlen aus dem Keller holt, damit sich der andere am Ofen daran wärmen kann? ({18}) Wir alle nehmen ernst, was innerhalb und außerhalb von Friedensbewegungen und Kirchentagen an Sorgen zur Sicherheit im atomarischen Zeitalter zum Ausdruck kommt. Die gegenseitige Abschrekkung sichert den Frieden, indem sie die Vernichtung dessen anzudrohen vermag, was sie schützen soll, nämlich Leben überhaupt. Wirksam ist die Abschreckung nur, wenn sie fähig ist, diese Drohung wahr zu machen. Aber ausführen kann sie die Drohung nur um den Preis der Selbstvernichtung. Wir alle wissen ganz gut: Wirklich verarbeitet und akzeptiert haben die meisten Menschen dieses paradoxe Denksystem als solches nicht. Aber sie haben sich an die Erfahrung gewöhnt, daß die gegenseitige Abschreckung bisher tatsächlich funktioniert. Es ist sehr leicht, die Paradoxie zu verdammen. Ungleich schwerer ist es, ein anderes wirkungsvolles Mittel zur Sicherung des Friedens zu schaffen, es sei denn einen Frieden der gesicherten Unterwerfung. ({19}) Ich will diese Thematik hier nicht weiter vertiefen. Aber wir müssen sie auch in Beziehung zur Lage der Nation sehen; denn darüber gibt es keinen Zweifel: Die Friedensdiskussion hat neue Bewegung auch in die offene deutsche Frage gebracht. Es ist ja erstaunlich, wie schnell die Argumentationen manchmal wechseln. Da hieß vor kurzem: Frieden ist die Priorität Nr. 1. Ihre Bedingung ist die Verteidigungsbereitschaft. Diese erfordert das Gleichgewicht. Das Gleichgewicht hält die Teilung aufrecht. Also ist Teilung Bedingung des Friedens. Heute hört man: Die Teilung ist Folge des Gleichgewichts, welches zu immer neuen Rüstungsspiralen führt. Diese gefährden den Frieden. Wem es um den Frieden geht, der muß sich gegen sie und folglich am Ende auch gegen die Teilung wenden. „Die deutsche Einheit kommt bestimmt" - so heißt das Buch von Wolfgang Venohr mit einer Reihe von Beiträgen von Autoren von rechts bis links. Sie alle stellen aus sicherheitspolitischen Gründen die deutsche Frage neu. Wo ist denn - so fragen sie - die Gleichgewichts- und Friedensfunktion der deutschen Spaltung? ({20}) Die Grün-Alternativen, bisher auf Fragen der Ökologie, des staatlichen Gewaltmonopols und anderer innerer Themen konzentriert, beginnen, sich unter dem Aspekt des Friedens erstmals der deutschen Frage systematischer anzunehmen. Sie bekennen sich dazu, daß Frieden in Europa mit den deutschen Zuständen - und damit ist die Teilung unter Einfluß der Mächte gemeint - unvereinbar sei. Sie bekennen sich zur grundsätzlichen Bedeutung der deutschen Frage. Der Begründungszwang in der Sicherheitspolitik hat zugenommen. Das ist heilsam. Es ist ihr nicht gut bekommen, daß sie allzulange Vorbehaltsgut „kosmischer" Geheimhaltung blieb. Jede Anstrengung, Sicherheit nicht auf höherem, sondern auf niedrigerem Rüstungsniveau zu suchen, ist ebenso notwendig, wie jede neue Einsicht in die deutsche Frage willkommen ist. Nur: Es hilft natürlich niemandem, gewachsene Verwicklungen und Schwierigkeiten mit einer illusionistischen Leugnung der Realität zu überspringen. Es ist z. B. Illusion zu glauben, einseitige Abrüstungsvorleistungen führten automatisch zu mehr Sicherheit. Auch darf die Individualethik mit der Sozialethik nicht ständig in einen Topf geworfen werden. Dem Recht des einzelnen auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen steht die Pflicht der politischen Führung gegenüber, für den Schutz des Landes und der Freiheit seiner Bürger zu sorgen. Antworten auf die offene deutsche Frage werden noch lange auf sich warten lassen. Der Warschauer Pakt wird die DDR aus seinem Bündnis nicht einfach nur deshalb entlassen, weil die Alternativen bei Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({21}) uns sich davon eine friedensverstärkende Wirkung versprechen. ({22}) Aber die Diskussion zeigt, wie lebendig die deutsche Frage ist. Die deutsche Lage konzentriert sich im Brennpunkt Berlin. Berlin ist Mitte und Grenze. Mitte, das bedeutet Anziehung. Dies führt zu erwünschtem, manchmal auch zu unerwünschtem Zuzug und Einfluß. Zugleich bedeutet sie die Chance zur friedlichen Entwicklung. Grenze dagegen bedeutet - wenn sie zu ist - Ausdünnung. Abgeschlossene Grenzregionen sind immer von Auszehrung bedroht. Beides, die Gefahren und die Chancen, betrifft nicht nur die Berliner, sondern alle Deutschen. Deshalb melden wir uns aus Berlin hier zu Wort. Es geht nicht um Lokalpolitik. Unsere inneren Probleme sind dem Bundestag bekannt. Er hat mit ihnen zu tun. Entscheidend ist unsere soziale und wirtschaftliche Lebensfähigkeit. Die Arbeitslosigkeit stellt uns vor die größte Bewährungsprobe. Statistisch liegt sie in Berlin 1 % über dem Bundesdurchschnitt. Es gibt Bundesländer mit höheren Quoten. Aber dieses Bild ist gänzlich trügerisch; denn das Kernstück der Beschäftigung in Berlin, das verarbeitende Gewerbe - also Industrie und verarbeitendes Handwerk -, hat in den letzten elf Jahren um 35% abgenommen. Diese Zahl ist die entscheidende. Sie ist ohne Beispiel und ohne Parallele im gesamten Bundesgebiet. Nur durch eine weit überproportionale Zunahme der Beschäftigung im öffentlichen Dienst konnte ein gewisser Ausgleich erzielt werden. Es ist keineswegs so, daß in Berlin Betriebe quasi automatisch unrentabel werden und deshalb Stillegungen und Abwanderungen nach sich ziehen. Vielmehr sind zu viele Entscheidungszentren abgewandert. ({23}) Zurück bleiben allzuoft nur die sogenannten verlängerten Werkbänke. Die Maßnahmen der fernen Hauptverwaltungen haben den Berliner Arbeitsmarkt immer wieder einseitig und nachhaltig belastet. Hier Abhilfe zu schaffen ist eine Frage der Lebensfähigkeit. Wir Berliner sind uns der Aufgabe voll bewußt, von uns aus alles in unseren Kräften Stehende zu tun, was wir selbst für die Lebensfähigkeit beitragen können. Dies geschieht u. a. durch unsere Initiative zur Reform der Berlin-Förderung, durch einen Sparhaushalt mit gesteigerten investiven Anteilen, nachfragewirksam am Arbeitsmarkt, durch 4 000 zusätzliche Ausbildungsplätze - eine Maßnahme ohne Parallele im Bundesgebiet -, durch Anpassung der Tarife für öffentliche Leistungen, so unpopulär dies auch ist, durch ein Strukturprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen, durch eine arbeitsplatzwirksame Verbindung der hochleistungsfähigen Berliner Forschung mit der Wirtschaft. Aber Berlin bleibt auf Verständnis, Unterstützung und Zusammenarbeit dringend angewiesen. Dies gilt für die Bundesregierung ebenso wie für den Bundesgesetzgeber. Ich bin dankbar für die Bereitschaft des Bundeskanzlers zur Berliner Herbstkonferenz mit Sozialpartnern und Leitungen großer privater und öffentlicher Unternehmen. Unsere Anstrengungen für die Berliner Wirtschaft wären auf Sand gebaut, insbesondere unsere Anstrengungen für die kleineren und mittleren Betriebe, wenn nicht bei den großen Unternehmen, den privaten und den Bundesunternehmen, eine Wende in der Einstellung Berlin gegenüber eintritt. ({24}) Die AEG mit allem, was sie uns in den letzten 20 Jahren beschert hat, ist dafür ein warnendes Beispiel. Ich will auf die Einzelheiten der Auseinandersetzung über die AEG hier nicht eingehen. Wir haben gestern im Abgeordnetenhaus darüber eine vierstündige Aussprache gehabt. Den Bundestag bitte ich, sich bei seinen Entscheidungen über Berlin-Hilfe und Berlin-Förderung der tiefgehenden Strukturprobleme bewußt zu bleiben, die eine zur Auszehrung tendierende, eine isolierte, eine eingeschlossene Grenzlage laufend hervorbringt. Unsere Rahmenbedingungen bedürfen immer wieder der gemeinsamen Anstrengungen. Wir brauchen sie so, wie auch das leistungsfähigste Schiff die Schleuse braucht, um vorgegebene Höhenunterschiede zu überwinden. Wer glaubt, man könne Berlin allein nach kaufmännischen Gesichtspunkten rentabel machen, der hat die Lage Berlins so wenig erkannt wie seine politische Funktion für Deutschland im ganzen. ({25}) Aber Berlin ist nicht nur Problem, Berlin ist auch Chance und Signal. Dies gilt für die Herausforderungen, vor denen wir im Innern der Stadt stehen. Ich kann dies nicht vertiefen, sondern nur andeuten. Es gilt etwa für die konfliktreichen und dennoch hoffnungsvollen Auseinandersetzungen zwischen alten und jungen Mitbürgern, für das langsame Zusammenwachsen mit den Ausländern, das wir unseren eigenen humanen Prinzipien absolut schuldig sind und das nur gelingen kann, wenn die Zahl der Ausländer nicht weiter wächst, sowie für neue Wege, wenn Produktivitätsfortschritt ohne Wachstum nachhaltig das Angebot an Arbeitsplätzen drosselt. Vor allem aber ist es die Rolle Berlins in der Deutschlandpolitik und in den Ost-West-Beziehungen. Berlin ist der Platz, der die deutsche Geschichte dieses Jahrhunderts nicht in ein Museum verbannen kann, sondern sie bis auf den heutigen Tag mitten auf seinen Straßen zeigt. Die Mauer ist ihr deutlichster Ausdruck. Aber sie ist nicht ihr Endpunkt. Die Deutschen in der DDR wissen es sehr gut, daß viel Deutschlandpolitik der Lebensfähigkeit und der Sicherheit Berlins dient. ({26}) Regierender Bürgermeister Dr. von Weizsäcker ({27}) Aber Sie wissen sehr gut, daß es nicht nur dieser dient. Mittelbar und unmittelbar kommen die Bindungen Berlins an den Bund auch den Deutschen in der DDR zugute. Sie haben ein Interesse an der Lebensfähigkeit Berlins, die Menschen in der DDR, weil sie mit ihrer eigenen zu tun hat. Die Erfahrung der Deutschen drüben ist es, daß viele Westdeutsche die DDR nicht besuchen würden, wenn es Berlin nicht gäbe. Ohne Berlin hätten die Westdeutschen nur einen Bruchteil ihrer Kenntnisse und ihres Bewußtseins vom Leben der Menschen in der DDR, von ihren Fragen und Hoffnungen. Die Existenz Berlins mindert die menschliche, die kulturelle und die wirtschaftliche Abgrenzung zwischen den beiden deutschen Teilen. Das ist nicht unser Verdienst in Berlin. Aber es ist unsere Aufgabe, die wir für alle Deutschen wahrnehmen. Nirgends ist der untrennbare Zusammenhang von innerer Lebensfähigkeit und äußerer Existenz so stark wie bei uns in Berlin. Wir Berliner suchen weder Krisen noch Heldenrollen. Die innere Kraft, die wir unter den erschwerten Bedingungen unserer Lage für unsere Aufgabe brauchen, gewinnen wir aus der Perspektive für die Zukunft. Deshalb bringen wir als Berliner zur Lage der Nation ein, was wir im geteilten Berlin empfinden und was wir im anderen Teil der Stadt und im anderen Teil Deutschlands erleben. Den Weg in die Zukunft kennt niemand. Um so weniger wollen wir als Berliner unsere Rolle anmaßend verstehen. Aber es ist unsere Aufgabe, Gewissen zu sein für die offene deutsche Frage, für die Zusammengehörigkeit der Deutschen; denn in der historischen Dimension wird die Teilung keinen Bestand haben. Die Menschen, die in der Mitte leben, sind zur Trennung nicht geschaffen. Ihr Wille, die Teilung Europas, Deutschlands und Berlins in Frieden und im Dienste des Friedens zu überwinden, ist stärker. Die Mitte kann auf die Dauer nicht Grenze bleiben. ({28})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann. ({0})

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Meine Aufgabe ist es natürlich nicht, Herr Löffler, hier eine Berlin-Rede zu halten, wie sie der Regierende Bürgermeister gehalten hat, ({0}) eine Rede aus der Sicht von Berlin. Meine Aufgabe sehe ich vielmehr darin, zu der bisherigen Debatte ein paar Worte zu sagen und hier den Standpunkt meiner Partei darzulegen. Das werden Sie mir nicht verargen. ({1}) Heute vormittag und auch heute nachmittag sind interessante Reden gehalten worden. Der FDP-Vorsitzende hat viel Beifall von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekommen. Er hat da Beifall bekommen, wo die Auffassungen der Union und der FDP beinahe nahtlos aufeinanderpassen. Der FDP-Vorsitzende und Außenminister weiß, daß die Nachrüstung, wenn sie notwendig werden sollte, was wir alle nicht hoffen, zu effektuieren ist, und zwar seit dem Doppelbeschluß, dem diese Bundesregierung zugestimmt hat ({2}) - dieser Bundeskanzler, dieser Außenminister haben unterschrieben, nicht die Oppositionsfraktion -, so ist das nur mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und nicht mit dem heutigen Koalitionspartner zu machen. Bei diesem Koalitionspartner gibt es dafür keine Mehrheit mehr. ({3}) Der Bundesaußenminister und FDP-Vorsitzende hat auch Beifall von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekommen, als er ein klares Ja zur Marktwirtschaft sprach und als er hier ein klares Ja zu Leistung und Leistungsbereitschaft darlegte. Besonders interessant war es, die Forderungen des FDP-Vorsitzenden an den Haushalt 1983 zu erfahren, die er hier - ich brauche es nicht zu wiederholen - plakativ dargestellt hat, wo ich vergeblich nach einer einzigen Gemeinsamkeit mit der SPD- Fraktion gesucht habe. Nichts von diesen Forderungen hat auf das gepaßt, was die SPD-Fraktion beim Haushalt 1983 will. Aber es wird Sache des FDP-Vorsitzenden und seiner Fraktion sein, darzutun und uns erfahren zu lassen, wie lange die Bundesrepublik mit solchen Unvereinbarkeiten noch regiert werden kann. ({4}) Deswegen, Herr Bundeskanzler, beeindrucken uns Ihre Ausrufezeichen hinter dem Art. 67 überhaupt nicht. Es ist nicht das Gebot der Stunde, den Art. 67 hier zum Gegenstand einer Abstimmung im Hause zu machen. Im übrigen gibt es da auch noch den Art. 68, nach dem der Bundeskanzler jederzeit feststellen kann, ob das Vertrauen noch vorhanden ist. Die letzte Vertrauensabstimmung, auf die sich der Bundeskanzler berufen hat, war im Februar dieses Jahres. Normalerweise würde man zum Abstand zwischen Februar und September sagen: Das ist ja noch nicht so lange her, nur sieben Monate. Doch bei dieser Bundesregierung sind sieben Monate eine ungeheuer lange Zeitspanne. Das ist der Unterschied. Der Herr Bundeskanzler hat dem Oppositionsführer Dr. Kohl vorgeworfen, es mangele der Union an Programmatik, wir würden nicht sagen, was wir wollten. Nun, der Bundeskanzler hat heute die längDr. Zimmermann ste Regierungserklärung abgegeben, an die ich - und ich bin 25 Jahre in diesem Hause - mich erinnere. Noch keine Regierungserklärung hat über zwei Stunden gedauert; die heutige war die längste, die er jemals abgegeben hat. ({5}) Er hat in dieser Regierungserklärung nicht mit einem Wort Konzepte für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für den Haushalt 1983 oder für die Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt. Nichts dergleichen hat er vorgelegt, nichts! ({6}) - Meine verehrten Herren von der SPD, wir haben Ihnen mit großer Deutlichkeit gesagt, daß wir einen Haushalt nur dann zu beraten bereit sind, wenn die Zahlen stimmen. Richten Sie erst die Zahlen, legen Sie redliche Zahlen vor, dann können Sie von uns Antworten bezüglich dieser Zahlen erwarten, vorher nicht! ({7}) Der SPD-Vorsitzende war hübsch anzuhören und noch hübscher anzusehen; es gelang nicht einmal unseren gesammelten Zwischenrufen, ihn von der Blickrichtung auf seine eigene Fraktion auch nur für Sekunden abzulenken. Ich fragte mich eigentlich: Was sucht er denn bei der SPD-Fraktion? Rückhalt, Zustimmung, oder war das überhaupt keine Rede an den Deutschen Bundestag, nur eine Rede an die eigene Fraktion? Die hätte eigentlich auch im Fraktionssaal der SPD gehalten werden können. ({8}) Der SPD-Vorsitzende Brandt hat das Wort von der „Sonthofener Strategie" gebraucht. Meine Damen und Herren, die Rede, die Strauß damals gehalten hat, war eine Vorausschau, ({9}) wie es unter einer SPD-Regierung gehen würde, ein großes Gemälde, in die Zukunft gerichtet; und da kann ich nur sagen, ({10}) Strauß hat jeden Tag mehr recht bekommen, und er hat damals wohl selber nicht geglaubt, daß er so rasch recht behalten würde. ({11}) Wie er recht behalten hat und wie er recht bekommen wird, werden - Herr Wehner, ob es Ihnen paßt oder nicht - die nächsten Zwischenergebnisse zeigen, nicht die demoskopischen, an die Sie ja nicht recht glauben wollen, was ich bei der Lage der Demoskopie auch wirklich verstehe, sondern die wirklichen Ergebnisse am Sonntag in 14 Tagen in Hessen und am Sonntag in vier Wochen in Bayern. Da können Sie dann erfahren, wie die Regierenden in der Bundesrepublik Deutschland heute in zwei großen deutschen Bundesländern beurteilt werden, ohne auf die Demoskopie abheben zu müssen. ({12}) Nein, meine Damen und Herren, die Hauptursache für die krisenhafte Zuspitzung der Lage in der Bundesrepublik Deutschland ist die vernichtende Bilanz in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Denn eine Hiobsbotschaft folgt der anderen: immer bedrohlichere Arbeitslosigkeit, Rekordhöhen bei Unternehmenszusammenbrüchen, sinkende Realeinkommen, fast unverändert hohe Inflationsraten, fehlende Ausbildungsplätze, immer neue Rekordmarken staatlicher Schuldenpolitik. Das sind die Auswirkungen der schwersten Krise von Wirtschaft und öffentlichen Finanzen in der Geschichte dieser Republik. Ja, gibt es denn eigentlich niemandem zu denken, daß wir heute Zahlen wie am Beginn der 50er Jahre haben, als in der Bundesrepublik Deutschland mühsam, Schritt für Schritt, der Wiederaufstieg begann, daß wir in der Arbeitslosigkeit heute bei den Zahlen von vor über 30 Jahren angekommen sind? Das ist doch nicht über Nacht hereingebrochen, das ist doch kein Ereignis, das die Amerikaner oder der „böse Präsident Reagan" befohlen oder herbeigeführt oder herbeigeredet haben! Das ist doch im Sinne des Wortes hausgemacht! Der Spitzenreiter Bundesrepublik Deutschland hat sich längst von seiner Führungsrolle verabschiedet und ist ins Mittelfeld gerückt. Fragen Sie doch einmal, warum die Japaner heute 2,4% Arbeitslose haben und wir 7,4 %. Nicht 6 1/2, wie der Bundeskanzler sagte, sondern 7,4 % ist die richtige Zahl. ({13}) In dieser Situation ist die Regierung unseres Landes durch unüberbrückbare Gegensätze zwischen den Koalitionsparteien gelähmt, verhindert die Selbstblockade der Regierung notwendige politische Entscheidungen. Die Zahl derer schwindet, die noch glauben, daß diese Regierung mit den Problemen fertig wird. Meine Damen und Herren, solange diese Regierung an den Regierungssesseln klebt, muß sie sich - das ist das Schicksal einer Regierung - die Ergebnisse und die Folgen dieser Politik zuschreiben lassen, muß sie sich an den Versprechungen messen lassen, die sie gemacht, und an den Ergebnissen, die sie erzielt hat. Mißt man die Kluft zwischen den Ansprüchen, die die Bundesregierung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre an ihre Reformpolitik stellte, und dem, was erreicht wurde, so erscheint sie, wie Renate Merklein in der „Spiegel"-Serie über die ökonomischen Verhältnisse in der Bundesrepublik richtig bemerkt, „fast tragikomisch groß", die Kluft zwischen den Erwartungen und der heutigen Realität. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 24. November 1980 den Satz gesagt: „Wir sind nicht Objekt der Geschichte, wir sind handlungsfähig." In Wahrheit war seit 1949 keine Bundesregierung so in Regungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit erstarrt wie diese. In der gleichen Regierungserklärung vom November 1980 behauptet der Bundeskanzler noch: „Unsere Wirtschaft ist gesund. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit ist ungebrochen." Welch unglaubliche Fehleinschätzung und welche Selbstüberschätzung sprachen aus diesem Wort! Das AEG-Debakel hat vor aller Augen deutlich gemacht, daß die Grundlagen des Wohlstandes brüchig geworden sind. Der Nachkriegsrekord an Konkursen und Vergleichen hat die letzten Illusionen zerstört. Es besteht kein Zweifel, daß die deutsche Wirtschaft an internationaler Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat. In vielen Bereichen hat sie führende Positionen verloren. In jenen Bereichen, wo sie Positionen hat behaupten können, ist das zu Lasten des Eigenkapitals, der Rendite und oft zu Lasten der Substanz gegangen. Die Ursachen der Entwicklung sind bekannt: hohe Lohnkosten, hochgetriebene Lohnnebenkosten, der harte Zugriff des Fiskus durch eine hohe und vor allem ertragsunabhängige Unternehmensbesteuerung, die jahrelang verfehlte Energiepolitik, eine einseitige Forschungspolitik und nicht zuletzt die technologie- und wachstumsfeindliche Ideologie tonangebender Gruppen innerhalb der Regierungskoalition. Das alles hat dazu beigetragen, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu untergraben. Die letzten Illusionen stürzen jetzt zusammen. Der Weg in die Krise war kein Naturereignis, er war voraussehbar. ({14}) Mit beinahe geschichtlicher Zwangsläufigkeit hat sich der Niedergang von soliden Staatsfinanzen und florierender Wirtschaft, von Vollbeschäftigung und Preisstabilität im Jahre 1969 über die hemmungslose Reformpolitik einer Regierung Brandt und über die folgenschwere Schuldenpolitik der Regierung Schmidt bis zum heutigen Tag, da wir vor Massenarbeitslosigkeit und zerrütteten Staatsfinanzen stehen, verfolgen lassen. Einsichtige haben früh vor diesem Weg gewarnt. Sie gehörten nicht nur der Opposition an. Vergeblich haben die großen Männer der SPD, die Eifinanzminister Möller und Schiller, auf die Folgen abenteuerlicher Reformpolitik der Regierung Brandt hingewiesen. Schiller hat seinen Rücktritt mit den Worten gerechtfertigt: „Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt: Nach uns die Sintflut! Die Regierung hat die Pflicht, über den Tellerrand des Wahltermins hinauszublikken und dem Volk rechtzeitig zu sagen, was zu leisten und was zu fordern ist." Möllers und Schillers Warnungen sind in den Wind geschlagen worden. Ihnen ging es nicht anders als denen aus der Opposition, obwohl sie nicht der Opposition angehörten, sondern zwei bedeutende SPD-Finanzminister waren. Katastrophal waren Entwicklung und Auswirkungen dieser Politik besonders am Arbeitsmarkt. Man braucht nicht schwarzzusehen: Es gibt niemanden, der nicht in diesem Winter 2 Millionen Arbeitslose oder mehr erwartet. Meine Damen und Herren, es ist natürlich unübersehbar, daß das Selbstverständnis einer Partei wie der SPD, die sich seit ihrem Bestehen als Garant für Vollbeschäftigung angesehen hat, erschüttert sein muß, und zwar darüber, daß sich die von ihr maßgebend getragene Regierung als nicht fähig erwiesen hat, diese Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Es muß auch frustrieren, daß alle Versuche, Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme von Staats wegen zur Abhilfe einzusetzen, sich letztlich als unwirksam erwiesen haben. Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze nimmt die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich eine Schlußposition ein. ({15}) In Japan, in Österreich, in Norwegen, in Schweden und in der Schweiz ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt wesentlich günstiger - Japan hat eine Quote von 2,4 %, das sagte ich schon, gegenüber 7,4 % -, aber auch in den Ländern mit höherer Arbeitslosigkeit als bei uns - in den USA, in Frankreich, England und Italien - ist die Arbeitslosenzahl im Jahresverlauf längst nicht so dramatisch gestiegen wie bei uns. In Frankreich und in den USA stieg sie um 20 %, in England um 23 %, in Italien um 17 % und bei uns um 48,9 %, fast um 50 %. ({16}) Der rasante Zuwachs ist es, der uns im Vergleich mit dem Ausland alarmieren muß. Auch ein weiteres Nachlassen des Preisanstiegs ist in dieser Regierungserklärung angekündigt worden. Doch noch nie hatten wir in einer Rezession einen so hohen Inflationssockel. Der Staat hat sich wieder als Preistreiber betätigt. Durch ständige Erhöhungen von Verbrauchsteuern sowie durch administrative Preissteigerungen wie bei der Bundespost hat er die Entwicklung angeheizt. Inzwischen wachsen die Einsichten auch im Regierungslager, so wenn SPD-Geschäftsführer Glotz im „Vorwärts" bekennt, die SPD und die Bundesregierung hätten die Krise mitverursacht, sie hätten Fehler begangen. Das ist der bisher deutlichste Vorwurf gegen die Bundesregierung und den Bundeskanzler aus den eigenen Reihen. Es ist das Schicksal der SPD, daß sie in diesen Jahren der Wahrheit aus dem Wege gegangen ist, bis sie jetzt darüber stolpert. Dann kommt auch dieses Eingeständnis zu spät. Eines macht das Eingeständnis des Bundesgeschäftsführers Glotz jedoch deutlich: daß der Bundeskanzler Schmidt als Krisenmanager auch nach dem Urteil aus den eigenen Reihen die Krise nicht gemeistert, sondern eher verschärft hat. Aber man kann auch nicht sagen, daß ihn seine Partei in diesen Jahren geradezu ermuntert hat, das Richtige zu tun. ({17}) Nein, unter Helmut Schmidt sind von 1975 bis 1980 jährlich durchschnittlich rund 25 Milliarden DM neue Schulden aufgenommen worden. Die 37 Milliarden DM Neuverschuldung des Bundes im Jahre 1981 sind Nachkriegsrekord. Im laufenden Haushaltsjahr weisen die Planzahlen auf eine Marke von 34 Milliarden DM, und das ist nicht das Ende, da Finanzlöcher in einer Größenordnung von 10 bis 12 Milliarden DM ungedeckt sind. Das Haushaltsdefizit beläuft sich somit im laufenden Jahr auf voraussichtlich 45 Milliarden DM. Franz Josef Strauß hat 1974, also vor acht Jahren, beim Kanzlerwechsel eine weitere Prophezeihung aufgestellt. Er sagte damals wörtlich: Nach dem Kanzler, - er meinte Willy Brandt der unser Volk mit einer abenteuerlichen Reformpolitik beglückt hat und der Inflationskanzler geworden ist, haben wir als Verwalter seines Nachlasses einen Nachfolger, der keinen anderen Ausweg mehr sieht, als Schuldenkanzler zu werden. Das war vor acht Jahren. Nein, mit dem Bundeshaushalt des kommenden Jahres geraten die Bundesfinanzen völlig aus den Fugen. Darüber muß man sich im klaren sein. Der Haushaltstorso besteht zum großen Teil aus höchst fragwürdigen Kompromissen. Neue Steuer- und Abgabenerhöhungen von 6 Milliarden DM jährlich, ein erneuter Griff in die Rentenkasse, wiederum 10 Milliarden DM aus der Kasse der Bundesbank und trotzdem eine höhere Neuverschuldung als geplant, sinkende Investitionsausgaben - wenn man sie um die Preissteigerungen bereinigt - und eine erschreckend angestiegene Zinslast sind die wesentlichen Elemente des Haushalts, die nicht geeignet sind, Beschäftigung zu sichern oder Wachstum zu fördern. Den Arbeitnehmern verbleiben von den nominalen Lohnzuwächsen, die nicht einmal als Ausgleich für die Preissteigerungen reichen, nach einer Analyse des Ifo-Instituts in diesem Jahr von 1 DM im Durchschnitt 39,6 Pf, während 60,4 Pf an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen abzuführen sind. Seit den Bundestagswahlen vor zwei Jahren sind die Abgaben um 16 Milliarden DM, bezogen auf ein einziges Jahr, erhöht worden, und weitere 6 Milliarden DM kommen im Haushaltsjahr 1983 hinzu. Das zur Bilanz zum Haushalt. Ich sagte: Legen Sie bitte in der nächsten Woche aktualisierte Zahlen vor, sonst hat eine Debatte keinen Sinn. Die Debatte hat sich heute mit Recht der Lage im ganzen Deutschland gewidmet. Aber auch eine Bilanz des deutsch-deutschen Verhältnisses verdeutlicht eine falsche Politik. Das Treffen des Bundeskanzlers mit Honecker im Dezember 1981 zählt zu den hervorstechenden Fehlschlägen der Deutschlandpolitik. Ich verstehe eigentlich auch nicht, warum der Bundeskanzler heute an die Häftlingszeit von Honecker erinnert hat, wo gerade gestern im Innerdeutschen Ausschuß ein Hearing stattfand, bei dem DDR-Häftlinge die grausame Wahrheit sagen mußten, wie es heute in den Gefängnissen dieses Landes aussieht, dessen Chef Honecker ist. ({18}) Nach der willkürlichen Heraufsetzung des Mindestumtausches wenige Tage nach der Bundestagswahl hatte man sich von diesem Besuch ein anderes Ergebnis gewünscht. Die Bilder von Güstrow sind übrigens wohl jedem, der damals das Fernsehen gesehen hat, in einer unauslöschlichen Erinnerung, die Bilder, die den Zwangsstaat von seiner schlimmsten Seite zeigten, die zeigten, wie jeder wirkliche Kontakt mit dem deutschen Regierungschef verhindert wurde, von dem Gespräch in der Kirche abgesehen, bei dem er über einen Bischof nicht weit hinausgekommen sein wird. Er konnte jedenfalls mit der wirklichen Bevölkerung keinen Kontakt haben. Nein, es ist nichts geschehen, es gibt in dieser Zusammenarbeit keinen konstruktiven Geist. Der Meinungsaustausch über die Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten hat nichts erbracht. Die dringlichen Fragen des Umweltschutzes und des Gewässerschutzes haben nicht einmal zum Austausch von Informationen geführt. Die Berufung auf alle Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki klingen wie Hohn, insbesondere wenn man das in der Zwischenzeit neu erlassene DDR-Grenzgesetz berücksichtigt. Dabei war der Mißerfolg dieser Reise vorhersehbar. Der Bundeskanzler hatte bei seinem Besuch die Verlängerung des zinslosen Überziehungskredits im innerdeutschen Handel bis zum 1. Juli dieses Jahres zugestanden; danach sollte der Kredit auf die vereinbarte Höhe von 200 Millionen DM zurückgeführt werden. Aber alles, was seither durch die Bundesregierung geschah, war so angelegt, daß die andere Seite wissen konnte: Die machen mit dem Swing nichts, da können wir jede Maßnahme ergreifen, da können wir jede Frechheit begehen, da können wir jede Grenzzurückweisung vornehmen, ob es sich um den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes oder einen Fraktionsvorsitzenden handelt; die Bundesregierung wird darauf nicht reagieren. So war es. ({19}) Nein, so kann man mit dem anderen Teil Deutschlands nicht umgehen, wenn man deutsch-deutsche Politik machen will. Selbst der sozialdemokratische „Vorwärts" hat diese Politik der Bundesregierung kritisiert. Er schrieb hierzu am 24. Juni 1982 - ich zitiere wörtlich -: Die Bundesregierung hat es hier an Umsicht, auch Weitsicht fehlen lassen, hat einesteils über Monate Hoffnungen geweckt und andererseits mit Gegenmaßnahmen gedroht, die am Ende nicht eingelöst wurden. In Ost-Berlin könnten sich dadurch diejenigen bestätigt sehen, die jene Bonner Ankündigungen nicht ernst nahmen. So das Zitat im SPD-Hausblatt „Vorwärts". Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch die Außen- und Sicherheitspolitik ist leider nach wie vor von Entspannungsillusionen und falschen Leitbildern über das Verhältnis zwischen Ost und West geprägt. In völliger Fehleinschätzung der Lage haben führende SPD-Politiker wie Brandt und Bahr, aber auch Bundeskanzler Schmidt mit dem Konzept einer Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion einen falschen Begriff gewählt und den gefährlichen Verdacht einer Schaukelpolitik heraufbeschworen. Mit dem Gegner eigener Politik kann ich Verträge schließen, muß es vielleicht tun, kann ich verhandeln, alles tun. Nur, eine Partnerschaft kann ich nicht eingehen. Die ist nur etwas für Freunde. ({20}) Der Münchener Parteitag der SPD hat deutlich gemacht, wo diese große Partei heute in der Sicherheitspolitik steht. Ich sagte es schon: Der Bundeskanzler geht nach meiner Auffassung, wenn ich ihn richtig verstehe, selbst davon aus, daß die Nachrüstung in der SPD, unabhängig vom Ausgang der Genfer Verhandlungen, keine Mehrheit mehr finden wird. Es werden Schuldzuweisungen zu Lasten der USA gesammelt. ({21}) Kollege Ehmke kam nach Mitteilung des Bonner „General-Anzeiger" zum 1. September von seinen Gesprächen aus Moskau mit der Überzeugung zurück, die USA hätten sich bei den Verhandlungen im Unterschied zu den Sowjets - so stand es wörtlich dort - „überhaupt nicht bewegt". Kritik an der amerikanischen Politik, besonders der Sicherheitspolitik, ist schon längst der kleinste gemeinsame Nenner der ansonsten recht gegensätzlichen Flügel innerhalb der SPD. Das kommt in den Beschlüssen des SPD-Parteitags deutlich zum Ausdruck. Für uns sind die unabdingbare Voraussetzung unserer Sicherheit die Partnerschaft im Bündnis und die Freundschaft mit den USA. ({22}) Die aktive Friedenssicherung des Bündnisses auf der Basis angemessener Verteidigung muß mit einer Politik substantieller Rüstungskontrolle einhergehen, wie sie im Doppelbeschluß der NATO, in den westlichen Vorschlägen für die Mittelstreckenwaffen-Verhandlungen, in dem Vorschlag zur substantiellen Reduzierung strategischer Waffen und im Truppenabbau für Europa zum Ausdruck kommt. Wir alle hoffen, daß die Verhandlungen der Großmächte zum Erfolg führen. Aber Voraussetzung dafür, daß dieser Doppelbeschluß im zweiten Teil nicht durchgeführt werden muß, ist doch selbstverständlich, daß die Sowjetunion überzeugt ist und bleibt, daß der Westen entschlossen ist, nachzurüsten, wenn sie ihre Vorrüstung nicht beseitigt. ({23}) Die diesjährige Debatte über die Lage der Nation wird auch durch die monatelangen Diffamierungen und Schuldzuweisungen gekennzeichnet, die die Koalitionspartner gegenseitig vorgenommen haben. Herbert Wehner hat im Juni die drei W-Begriffe „Wende, Wackeln, Wechsel" in die Diskussion über den Partner FDP eingeführt; der Kollege Möllemann gibt die Stimmung im Land zutreffend wieder, wenn er feststellt: „Die Volksmeinung gibt keinen Pfifferling mehr für die Koalition." Der Bundeskanzler wirft der FDP wegen ihrer Entscheidung in Hessen Wackelei vor. Für den Kollegen Brandt ist die FDP eine Umfallerpartei. Es entspricht offenbar sozialistischem Demokratieverständnis, daß sich die FDP gefälligst auf die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die SPD zu beschränken habe. Wenn sie sich wie in Hessen verweigert, dann ist die FDP für den Kollegen Wehner nur noch die „sogenannte Freie Demokratische Partei". ({24}) Kollege Josef Ertl sagte erst vorgestern, wenn das mit diesem Hickhack in Bonn so weiterginge, wäre es zum großen Schaden unseres Volkes, und dann: Je eher, desto besser! ({25}) Die Sachauseinandersetzung ist seit langem gegenseitigen Verdächtigungen und Beschuldigungen gewichen. Während der SPD-Vorsitzende Brandt dem Grafen Lambsdorff vorwirft, daß seine Diskussionsbeiträge dem Ansehen der Republik auch im Ausland schweren Schaden zugefügt hätten, rügt FDP-Sprecher Schmülling den Fraktionsvorsitzenden Wehner, daß er mit den von ihm angestrebten Korrekturen an den Haushaltsbeschlüssen die Handlungsfähigkeit und das Ansehen der Regierung nach innen und außen auf das schwerste beeinträchtige. ({26}) Der SPD-Vorsitzende Brandt, der bereits bei einem früheren Regierungswechsel die Drohung des „Holzens" ausgesprochen hatte, stellt auch diesmal sein Demokratieverständnis offen zur Schau, wenn er laut „Frankfurter Neue Presse" vom 30. August erklärt, ein „abgekartetes, rechtslastiges, windiges Bündnis" versuche, die Koalition zum Einsturz zu bringen. ({27}) Einer der sozialdemokratischen Vordenker, Johano Strasser, bringt es auf einen Nenner. Er sagt: Nach dem Zweck des Regierens scheint keiner mehr zu fragen. Nur der Machterhalt ist wichtig. Ihm werden alle Prinzipien geopfert. ({28}) Meine Damen und Herren, das ist der Kern des Trauerspiels. Der heutige Zustand der Bundesregierung geht auf Kosten der Substanz des Staates. Die Menschen verlieren das Vertrauen zur Seriosität des ganzen demokratischen Systems. Die dadurch erzeugte Verdrossenheit äußert sich in Wahlenthaltung, gerade bei der SPD, und in Protest-Stimmen für die Grünen. ({29}) Nein, die Stimmungslage deutet auf Umbruch hin. Und eine Regierung, die ihre Handlungsfähigkeit verloren hat und die unfähig zur Lösung der drängenden politischen Probleme ist, muß zwar nach der Verfassung nicht gehen, aber sie hat das ihr übertragene Mandat verwirkt. ({30}) Dem Bundeskanzler möchte ich einen letzten Satz sagen. Der Weg vom Politiker zum Staatsmann ist lang. Der Weg zurück vom Staatsmann zum bloßen Politiker des Machterhalts ist kurz. Der Bundeskanzler wäre gut beraten, auch in seinem eigenen Interesse, wenn er diesen Weg verkürzte. ({31})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, wir sollten den Kollegen von Weizsäcker und Zimmermann für das deutschland- und außenpolitische Kontrastprogramm, das sie in der letzten Stunde geboten haben, sehr dankbar sein. ({0}) Man kann sich schon richtig die Handlungsfähigkeit einer Regierung mit den beiden vorstellen. ({1}) Ich möchte dem Regierenden Bürgermeister von Berlin sehr herzlich zu seiner Rede gratulieren, nicht nur, weil ich in großen Teilen mit ihr in Obereinstimmung stehe, sondern weil ich auch bezüglich der Teile, wo ich nicht mit ihr in Übereinstimmung stehe, der Meinung bin, daß diese Art zu diskutieren uns allen gut bekommt. Ich weiß, daß der Bundesminister für innerdeutsche Angelegenheiten auf die deutschland- und berlinpolitischen Aspekte noch eingehen wird. Ich will aber für die Sozialdemokraten schon hier sagen, daß wir die Meinung des Regierenden Bürgermeisters über Berlin als geschichtliche Mitte Deutschlands teilen und dies unter anderem darin zum Ausdruck bringen werden, daß wir im nächsten Frühjahr zum 50. Jahrestag der Verabschiedung des verhängsnisvollen Ermächtigungsgesetzes zu einer großen Kundgebung vor dem Reichstag in Berlin zusammenkommen werden. Wenn ich zunächst zum Vormittag zurückkomme, so bitte ich, mir das nachzusehen. Ich habe das Gefühl, daß der Herr Bundeskanzler heute vormittag sehr klar Fragen gestellt hat und die Antworten darauf nicht ganz so klar ausgefallen sind wie die Fragen. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß der Kollege Zimmermann eben in seiner Rede Herrn Genscher sogar für die Meinung der CSU hätte in Anspruch nehmen können. ({2}) Vielleicht kann der Kollege Mischnick da noch größere Klarheit bringen. Ich will gern dabei helfen. Ich glaube, wir haben eine Übereinstimmung mit der Opposition - ich sage das nicht leicht -, daß es eine Diskrepanz gibt zwischen der schwierigen Lage, in der sich unser Land wirtschaftspolitisch und außenpolitisch befindet, und dem Zustand, in dem sich die Regierungskoalition in den letzten Monaten gezeigt hat. Da muß man Herrn Kohl recht geben, auch wenn es weh tut. Herr Kohl, ich ärgere mich darüber noch viel mehr, weil nämlich dieser Zustand die CDU/CSU in den Umfragen und Wahlen hochschwemmt, Sie mich aber auch heute nicht davon überzeugt haben - zumal alle Vorschläge ausblieben -, daß Sie es irgendwie besser machen würden. Diese Debatte soll helfen - das war der Sinn, wie der Kanzler die Debatte angelegt hat -, aus der unguten Situation herauszukommen. Ich sage zunächst ein kurzes Wort zur Wirtschaftspolitik: Eines der Dinge, die wir uns alle sagen müssen, ist: Wir reden sehr lange von einer „Rezession", während es in Wirklichkeit um eine Weltwirtschaftskrise geht. Wir haben Ende dieses Jahres über 10 Millionen Arbeitslose in der EG, über 30 Millionen in den OECD-Ländern. Den labilen Zustand des Währungs- und Finanzsystems der Welt hat Kollege Lahnstein nach der Konferenz in Toronto geschildert. Der Bundeskanzler hat heute deutlicher als sonst gesagt: Diese Wirtschaftskrise bleibt eine Wirtschaftskrise, obwohl die Bundesrepublik bisher besser durch sie gekommen ist als andere Länder. Aber richtig bleibt auch: wir sind besser durchgekommen. Herr Kollege Genscher, ich bin der Meinung: daß wir besser durchgekommen sind, das ist gewissermaßen die Hegelsche List der Vernunft in der sozialliberalen Koalition. ({3}) - Ich könnte natürlich auch sagen: Es ist die große Führungsleistung von Kanzler und Vizekanzler. ({4}) - Herr Kohl, nur kein Neid! - Diese beiden Parteien haben miteinander und gegeneinander dafür gesorgt, daß keiner auf die Idee kommen konnte, seine Meinung als Patentrezept durchzusetzen. Darum haben wir anders als in England und Amerika weder Reagan- noch Thatcher-Politik gemacht noch Brüningsche Sparpolitik wiederholt. Was uns Sozialdemokraten betrifft, sind wir nicht verleitet worden zu meinen, je größer die Programme seien, desto größer sei auf die Dauer der Effekt. Uns ist auch klar - heute ist es von allen gesagt worden -, sicher muß man in dieser geänderten wirtschaftlichen Situation abnehmenden Wachstums die Sozialsysteme langfristig anpassen. Was der Bundeskanzler heute dazu gesagt hat, liegt klar auf dieser Linie. Er hat von einer „mittleren Linie" gesprochen. Das Problem ist, diese mittlere Linie trotz aller Schwierigkeiten zu halten. Ich bin der Meinung, daß diese „mittlere Linie", die der Bundeskanzler heute noch einmal nachgezeichnet hat, sehr viel dichter bei den FDP-Beschlüssen liegt als manche dogmatische Äußerung einzelner FDP-Leute in den letzten Wochen. Herr Kollege Genscher, ich komme auf das zurück, was Sie über individuelle Kreativität gesagt haben; darüber gibt es ja keinen Streit. Ich darf aber daran erinnern, was in Ihrem Freiburger Programm steht: Der Kapitalismus hat ... auch zu gesellschaftlicher Ungerechtigkeit geführt. Die liberale Reform des Kapitalismus erstrebt die Aufhebung der Ungleichgewichte des Vorteils und der Ballung wirtschaftlicher Macht, die aus der Akkumulation von Geld und Besitz und der Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen folgen. Eine Konzentration, die leider immer weiter geht. Sie haben weiter gesagt, darum bedürfe es einer Bestimmung der gebotenen Grenzen der Verfügungsmacht über Eigentum durch Gesetz. Wo die Verfügungsgewalt über Eigentum an Produktionsmitteln zu Herrschaft über Menschen führt, ist ihre demokratische Kontrolle durch Mitbestimmung geboten. Schließlich heißt es kritisch zur heutigen Wirtschaftsentwicklung, die bisher von uns nur in Teilen, nicht im Kern revidiert ist: Heute konzentriert sich der Zuwachs an Produktivkapital aus Gewinnen in den Händen weniger Kapitalbesitzer. Das ist gesellschaftspolitisch gefährlich, sozial ungerecht und mit den liberalen Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen und nach optimalen Bedingungen für die persönliche Selbstentfaltung nicht vereinbar. Ich glaube, darum muß man Ihrem Satz von der individuellen Kreativität, die in unserem Lande Platz haben soll, hinzufügen, daß dazu eine gesellschaftspolitische Anstrengung nörig ist, da individuelle Kreativität nicht etwa wie ein Naturereignis über uns kommt. Es ist lange gekämpft worden, bis man überhaupt Gesellschaftssysteme hatte, in denen das einigermaßen möglich ist. ({5}) Nun gebe ich den Kollegen von der CDU und auch manchen von der FDP darin recht: Solche gesellschaftspolitischen Anstrengungen können auch ganz falsch sein. Wenn ich z. B. daran denke, wie unsinnig die EG-Agrarordnung ist und wieviel Milliarden sie uns kostet, dann würde ich das für einen falschen Weg halten. ({6}) Aber Sie werden mir recht geben, Herr Kollege Genscher: Auch Ihr FDP-Kabinettskollege Ertl denkt nicht daran, auf diesem Gebiet zur Marktwirtschaft zurückzukehren, sondern allenfalls ein vernünftigeres Regulierungssystem zu schaffen. ({7}) Darum bin ich der Meinung: Es könnte hier noch mehr Klarheit geschaffen werden. ({8}) Natürlich ist es fast unvermeidbar - aber es ist eingrenzbar -, daß von Hessen soviel Unklarheit ausgeht. Denn da, Herr Kollege Mischnick, ist es nun so, daß viele Wähler, auch FDP-Wähler, vor der Schwierigkeit stehen - Holger Börner mußte leider weg; darum lassen Sie mich das sagen -, zu verstehen, warum heute nicht mehr wahr sein soll, was im Juni noch wahr war, und warum FDP-Kollegen heute über die Koalition mit der SPD, die zwölf Jahre lang gut gearbeitet hat, schlecht reden und - umgekehrt - hinsichtlich ihrer Einschätzung von Herrn Dregger das Gegenteil dessen sagen, was sie noch vor drei Monaten gesagt haben. Das dient ihrer Glaubwürdigkeit nicht. Es ist auch nicht gut, wenn der Eindruck entsteht, jemand verstünde unter Demokratie, er habe ein Dauerabonnement auf Regierungsbeteiligung. Sie müssen auch verstehen, daß nicht alle genau zu unterscheiden wissen, was da mit hessischen und was da mit Bundeszungen gesagt wird. Hinsichtlich der Aufforderung des Herrn Bundeskanzlers, daß der, der aus der Bonner Koalition heraus wolle, das hier klar sagen solle, kann ich feststellen, daß das offenbar niemand will; jedenfalls ist das hier nicht gesagt worden. Die umgekehrte Aussage, daß man die Koalition in dieser Situation trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen müsse und nicht davonlaufen dürfe, könnte nach meinem Wunsch noch etwas klarer ausfallen. ({9}) Ich frage mich, ob wir uns nicht auch darüber einigen können - auch mit der Opposition -, daß der Streit um Steuern nicht ideologisch aufgebauscht werden darf. Jeder weiß, welche Grenzen der Belastung mit Steuern - in der Bundesrepublik ist es mehr die Soziallastquote als die Steuerquote, um die es geht - gesetzt sind. Aber andererseits ist es nicht wahr, daß jedes Beschränken des Ehegattensplittings oder jeder Ergänzungsabgabe die Investitionen trifft, weil wir ja - leider, Herr Kollege Lambsdorff - die Situation haben, daß Leute, die Geld haben, dann, wenn sie noch mehr Geld haben, keineswegs in die Investitionen gehen, sondern das Geld in Finanzfonds und dgl. anlegen - in Amerika, in England wie bei uns. Sie wissen besser als ich, wieviel Milliarden allein z. B. die deutsche Versicherungswirtschaft auf diese Weise anlegt, statt zu investieren. Man darf daher nicht so tun, als ob jede Steuerbelastung der Höherverdienenden automatisch ein Minus an Investitionen bedeute. Die Entwicklungen in Amerika und England zeigen das Gegenteil. ({10}) Festhalten müssen wir - da sind wir mit Graf Lambsdorff und auch mit Staatssekretär Schlecht wohl einer Meinung -, daß bei den Sozialleistungen natürlich nicht nur der Abbau des Leistungsniveaus, sondern auch die Auswirkung dieses Abbaus auf die Nachfrage gesehen werden muß. Wenn ich das gesellschaftspolitisch sehe, ({11}) dann muß ich als Sozialdemokrat noch eins hinzusetzen: ({12}) Wenn man mit Unternehmern in anderen Ländern spricht, stellt man fest, daß die sich gern solche Gewerkschaften, wie wir sie haben, malen würden. Suchen Sie einmal Gewerkschaften mit den Lohnabschlüssen, die die IG-Metall und auch die Gewerkschaft ÖTV in diesem Jahr herbeigeführt haben! ({13}) Nun sagt man oft - ich höre das immer von den Ökonomen -, Wirtschaft sei zu 50 % eine Frage der Psychologie. Aber doch bitte auch der Psychologie von Arbeitnehmern! ({14}) Man darf Gewerkschaften gegenüber, die bei abnehmenden Reallöhnen und bei Kürzungen sozialer Leistungen unter dem Druck ihrer Leute stehen, nicht so tun, als ob dies alles weiter aufeinander kommen könnte. Vielmehr muß man verstehen, daß das im Ganzen gesehen werden muß. Man muß auch aufpassen, daß bei den notwendigen Kürzungen soziale Gerechtigkeit waltet, und man darf außerdem keine Fehler machen. Es ist nicht gut - das sage ich selbstkritisch, aber ich bitte CDU/CSU und FDP, sich dem anzuschließen -, über Haushaltsstreichungen kurzfristig Korrekturen vorzunehmen. Seien wir doch ehrlich: Wir alle stehen doch mit dem, was wir etwa beim Zusatztaschengeld beschlossen haben, nicht gut da. Es hat wenig Zweck, sich hinterher dafür gegenseitig Verantwortung zuzuschieben. Da haben wir etwas gemacht, was falsch war. Das mußten wir nach wenigen Monaten korrigieren. Im Zusammenhang mit den Behinderten war es genauso. Das zeigt: Das ist die falsche Methode des Umbaus des Sozialsystems. ({15}) Wir müssen da auch bei den 5 DM Kostenbeteiligung, über die wir j a im einzelnen noch reden werden, aufpassen, Herr Kollege Mischnick: Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen, so daß wir nach vier Wochen wieder sagen müssen, das war falsch. Das würde keinem nützen. Ich habe übrigens mit Freude zur Kenntnis genommen, daß zwischen meinem Kollegen Eugen Glombig und dem FDP-Kollegen Schmidt ({16}) ein Meinungsaustausch über die Frage der Weiterentwicklung des Sozialsystems in diesem Sinne stattgefunden hat. Ich bin der Meinung, das zeigt noch einmal, daß gerade die Dialektik dieser Koalition, die neben der außergewöhnlichen Qualität unserer Gewerkschaften der Hauptgrund dafür war, daß wir bisher besser als andere durch die Schwierigkeiten gekommen sind, daß gerade sie geeignet ist, auch den richtigen Weg in die Zukunft zu finden. Ich glaube schließlich auch, daß die CDU/CSU so weit von alledem nicht entfernt sein kann. Herr Kollege Kohl, Sie haben heute etwas zur Arbeitszeitverkürzung gesagt, was ich wirklich für falsch halte. Ihre Kollegen haben das auf dem Katholikentag sehr viel besser gemacht. ({17}) - Die Frage der Arbeitszeitverkürzung nur zu sehen unter Kostengesichtspunkten und nicht auch zu sehen unter dem Gesichtspunkt der Verteilung von weniger werdender Arbeit. ({18}) - Wenn ich Sie mißverstanden habe, um so besser. ({19}) - Sie haben gesagt, der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung könne nicht gefolgt werden, während Ihre Kollegen auf dem Katholikentag in Übereinstimmung mit der päpstlichen Enzyklika „Laborem exercens" eingehend dargelegt haben, warum auch das ein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist. ({20}) - Aber Herr Kohl, nicht so vom hohen Roß! Ich mache das doch auch nicht mit Ihnen. Wir werden vielleicht eine Gelegenheit finden, das noch einmal im einzelnen zu diskutieren. Wenn wir von der Koalition uns jetzt fragen - Opposition also ausgeschlossen -, was hätten wir anders machen müssen, glaube ich, müssen wir eines eingestehen - das hat allerdings die Opposition und auch die Wissenschaft geteilt -: Wir haben ganz sicher eine zu positive Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung zugrunde gelegt. Ich sagte vorhin schon: Das zeigt sich schon in dem Gebrauch des verniedlichenden Wortes „Rezession" - bei über 30 Millionen Arbeitslosen in der westlichen Welt! Es hat keinen Zweck, diese Krise mit 1929 zu vergleichen. Die Dinge liegen ganz anders. Der Bundeskanzler hat aber zu Recht gesagt, daß es auch nicht nur um einen konjunkturellen Vorgang geht. Das Ganze ist längerfristig zu sehen. Es wäre auch gut, wenn wir von dem Glauben an technokratische Daten wegkämen. Wir sollten uns eine Bandbreite von Prognosen nehmen und unser eigenes politisches Urteil fällen. Dafür habe ich früher schon einmal ohne Erfolg gekämpft. Wir haben uns z. B. im Juni dieses Jahres auf 3 % Wachstum im Jahr 1983 verlassen. Eigentlich hat keiner derjenigen so recht daran geglaubt, die diese Zahl zugrunde gelegt haben. Aber die Daten waren eben so. ({21}) - Ich unterstelle niemandem, daß er das wollte; das fände ich nicht fair. Ich verstehe sogar, wenn Finanz- und Wirtschaftsminister sagen - ich habe das oft gehört -: Man darf nicht die pessimistische Prognose nehmen; das verunsichert die Wirtschaft. Ich sage aber: In den letzten zweieinhalb Jahren ist die Wirtschaft einschließlich der Arbeitnehmer durch optimistische Prognosen verunsichert worden, die durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt wurden. Wir sollten uns das mit dem Festhalten und den punktuellen Daten überlegen; Sie übrigens auch. Insgesamt jedenfalls brauchen wir in der Situation mehr Handlungsfähigkeit. Darum auch von mir für die SPD-Fraktion die herzliche Bitte an den Koalitionspartner, mit dem aufzuhören, was Handlungsfähigkeit einschränkt. Herr Kollege Genscher, wenn ich jetzt noch für einen Augenblick zur Außenpolitik komme, so will ich zunächst einmal sagen, daß wir mit dem übereinstimmen, was Sie gesagt haben. Das ist nicht neu; das tun wir seit vielen Jahren. ({22}) - Ja, wir tun es. - Aber ich sage Ihnen auch, Herr Kollege Genscher: Um so mehr schmerzt es mich, im Ausland, in Ost und West, nun schon seit Monaten von den Regierungen und anderen zu hören - unsere Opposition kritisiert das mit Recht; das geht in Ordnung -: Es ist zwar interessant, was ihr sagt, aber wie lange regiert ihr eigentlich noch - drei Tage, drei Wochen, drei Monate? ({23}) Darum sage ich, man muß auch das unter außenpolitischen Gesichtspunkten sehen. Gerade die Partei, die den Außenminister stellt, muß bei Übereinstimmung in diesen Fragen Wert darauf legen, daß die Handlungsfähigkeit der Regierung nicht in Frage gestellt wird. ({24}) Lassen Sie mich nun, Herr Kollege Kohl, zu dem Punkt „Verhältnis zu Amerika" kommen. Wir haben eine große Enttäuschung erlebt; das muß man sagen. Wir hatten gehofft, daß durch die Reise des amerikanischen Präsidenten durch Europa einschließlich der großartigen Rede, die er hier in diesem Hause gehalten hat, wieder der Schulterschluß in der Allianz erreicht sei. Wir haben dann erlebt, daß der Präsident wieder nach Hause fuhr und von seinem eigenen rechten Flügel in die Zange genommen wurde, er sei mit den Europäern nicht hart genug gewesen, und daraufhin kamen völlig überraschend die Erdgas-Sanktionen. In dieser Frage des Erdgas-Röhren-Geschäfts sind sich in Europa die Unternehmer, die Arbeitnehmer und alle Regierungen einig. Ich verstehe nicht, Herr Kohl, warum Sie in einer Zeit, in der die konservative britische Regierung Gegenorder gegen die amerikanischen Maßnahmen trifft, den Bundeskanzler kritisieren, wenn er den Amerikanern sagt: So geht das nicht. Der amerikanische Außenminister ist da weniger empfindlich. Ich sehe gerade, daß Herr Shultz in einem Interview gesagt hat: „Niemand unterstützt die westliche Allianz so entschlossen wie der Bundeskanzler; niemand versteht mehr als er von den Problemen der Wirtschaft bei uns und in der übrigen Welt." ({25}) - Herr Schwarz, wenn Sie sich über den amerikanischen Außenminister lustig machen wollen, sagen Sie es ihm selbst. Ich nehme ihn ernst in diesem Urteil. ({26}) Sehen Sie, Herr Kollege Kohl, darum habe ich vorhin gesagt: Es hat keinen Zweck, sich anzubiedern. Wir sind hier wirklich in einem Konflikt. Der muß, wie Kollege Brandt gesagt hat, unter Freunden ausgetragen werden. Sie haben nun einen Zwischenruf gemacht, den ich neulich schon schriftlich bei Herrn Wörner sah. Sie wissen: ich bin ziemlich hartgesotten. Aber ich denke doch darüber nach, wenn Herr Wörner, wenn ich aus Moskau zurückkomme, sagt: Der war in Moskau, der hat sich da lieb Kind gemacht! Sie können das von mir aus sagen. Ich komme gleich zu dieser Moskaureise zurück. ({27}) - Sie haben gesagt: „Wo Sie sich überall anbiedern." Da habe ich angenommen, Sie wollten den WörnerZwischenruf aufgreifen. Wenn Sie das nicht wollten, bin ich Ihnen dankbar. Gut, in Ordnung, dann bleibe ich bei Wörner. Darüber sind wir uns doch einig: Man kann nicht diejenigen, die mit den Sowjets reden, als Liebediener der Sowjets darstellen und dann noch ernstgenommen werden wollen, wenn man sagt, man wolle ernsthaft Verhandlungen. Man kann nämlich nicht miteinander verhandeln, ohne ernsthaft miteinander zu reden. ({28}) - Nein, aber ich sage Ihnen: Sie dürfen von einer gemeinsamen europäischen Kritik, die durch alle Länder geht, die über alle Parteispektren geht, hier nicht sagen, das sei Amerikafeindlichkeit, und Sie dürfen den Bundeskanzler nicht schelten, wenn er den Amerikanern gegenüber unsere Bedenken gegen ihre Sanktionspolitik vorbringt. ({29}) Wir halten nämlich diese Sanktionspolitik im Grundsatz für falsch. Es ist ja nicht so, daß Handel und Austausch ein Nullsummenspiel sind. Kein Unternehmer macht ein Geschäft, wenn er selbst nichts davon hat. Es hat auch keinen Zweck, den Freihandel zu beschwören, aber die Hälfte der Welt davon auszunehmen. Auf dem Energiesektor gibt es beachtenswerte amerikanische Studien, die sagen: Es ist falsch, den Sowjets die Kooperation zu verweigern und sie auf den Weltmarkt zu zwingen - was die osteuropäischen Länder bereits in zunehmendem Maße tun müssen, weil sie heute schon nicht mehr genügend Öl von der Sowjetunion erhalten - und dann auch noch die internationalen Konflikte anzuheizen. Und zu den politischen Nebeneffekten: Die Konservativen in Deutschland hatten Angst im Zusammenhang mit der Öffnung gegenüber dem Osten durch die Entspannungspolitik. Sie meinten, die würden uns anstecken, die kommunistische Gefahr würde größer. Wer hat sich denn angesteckt? Wir doch nicht mit unseren 0,4 % DKP-Stimmen, die keiner erst nimmt! ({30}) Sondern die Sowjetunion ist dieses Risiko eingegangen. Es hat damals keine Dissidenten gegeben, es hat damals nicht die Bewegungsfreiheit der osteuropäischen Staaten gegeben. Sie wissen so gut wie ich, daß, wenn man heute mit Wirtschaftsleuten oder Politikern im Ostblock redet - mit Herrn Kadar oder wem auch immer -, gesagt wird: Um Gottes willen, nachdem wir uns auf eine gewisse Öffnung dem Westen gegenüber eingelassen haben, enttäuscht nicht die europäischen Hoffnungen der osteuropäischen Völker, indem ihr in der Krise den Laden dichtmacht, was ja eine Aufforderung ist, zur Selbstisolierung und Autarkie zurückzukehren! ({31}) Im übrigen sehe ich - in Übereinstimmung mit dem hiesigen amerikanischen Botschafter in der Bewertung der Sache - die amerikanische Politik aus folgendem Grund nicht ein: Die Weltwirtschaftskrise, die auf beide Seiten wirkt - denen drüben geht es j a nicht besser als uns -, hat sowieso zu einem erheblichen Rückgang - mit Ausnahme des innerdeutschen Handels, aus naheliegenden Gründen, aber aus gleichen Ursachen - des Außenhandels geführt. 1981 kamen 2,9 % unserer Importe aus der Sowjetunion - 2,9 %, und da wird von „Abhängigkeit" geredet! -, und 2,2 % unserer Exporte gingen dorthin. Das zeigt übrigens: 1981 ist gegenüber der Sowjetunion, aber auch gegenüber vielen anderen Ostblockländern unsere Handelsbilanz negativ geworden, weil die ihrerseits ihre Importe aus Mangel an harter Währung beschränken. Das läuft also ohnehin in diese Richtung, was soll da der ideologische Streit? Wir müssen über COCOM reden. Ich halte COCOM und dessen Einhaltung für ein wichtiges Thema. Wir sollten auch bei dem bleiben, was in der Versailler Erklärung gesagt worden ist, nämlich: Kredite nur zu vernünftigen Bedingungen. Wir haben ja nicht Zinsen subventioniert. Auf die Hermes-Bürgschaften wollen sie genausowenig verzichten wie wir. Da sind wir einverstanden. Aber im übrigen muß nun bald mit den Sanktionen Schluß sein. Ich verstehe, daß das schwierig ist für die amerikanische Seite, nachdem sie das gemacht hat. Ich bin auch bereit, alles zu tun, zu helfen, davon wegzukommen. Aber ich muß den amerikanischen Freunden ganz ehrlich sagen: es ist sehr schwer, davon wegzukommen, wenn gleichzeitig die Ordres an französische, italienische, englische und deutsche Firmen ergehen - deutsche noch nicht, kommt wohl noch - und wir Gegenordres geben müssen. Das bleibt doch nicht ohne Einfluß auf die Öffentlichkeit! Das muß man sich auch überlegen. Aber wir sollten sicher alles tun, nicht von unserer Seite noch Prestigehürden aufzubauen, wie man die Sache aus der Welt bringt. Damit komme ich zu Fragen, die der Kollege Weizsäcker, aber auch der Kollege Genscher angesprochen hat. Ich glaube, daß man auch auf dem Gebiet der Rüstung und der Abrüstung in kritischer Freundschaft sagen muß - wir werden j a auch kritisiert für manches -, daß manches Hin und Her in Washington der Allianz nicht dienlich war. Es ist auch kein Vorwurf, aber eine Tatsache: der Außenministerwechsel kostet uns noch einmal ein halbes Jahr Zeit, zumal der Außenminister nun - glücklicherweise mit Erfolg, und wir wünschen, daß das so bleibt - sich zunächst einmal vor allen Dingen der Nahostfragen annehmen mußte. Es kann auch nicht bestritten werden, daß manche Äußerungen aus Washington, besonders aus dem Pentagon, nicht geeignet sind, der Allianz zu nützen, sondern eher, die öffentliche Meinung in Westeuropa durcheinanderzubringen. Wenn man z. B. wie Herr Weinstein das neulich in der FAZ getan hat, wegen der sehr schlechten Präsentierung der military guidance Kritik übt, dann können wir das wohl genauso klar sagen. Solche unüberlegten amerikanischen Sprüche nagen mehr am europäischen Vertrauen zu Amerika als die ganze sowjetische Propaganda, die so gut gar nicht ist. ({32}) Es gilt, Herr Kollege Genscher, Handlungsfähigkeit zu erhalten, um die gemeinsame und von Ihnen als Außenminister entscheidend mitgeformte Politik fortzusetzen, eine Politik, die wir auch nach Afghanistan und Polen durchgehalten haben und weiter durchhalten müssen, obwohl ich keinen Zweifel habe, daß Afghanistan und Polen jahrelang noch in krisenähnlichen Zuständen sein werden. Für beides gibt es keine schnellen Lösungen. Schließlich darf ich auf die INF-Verhandlungen kommen, weil der Kollege Barzel mir einen diesbezüglichen Zuruf gemacht hat und der Kollege Mertes und Kollege Zimmermann das auch angesprochen haben. Ich bitte herzlich - Opposition eingeschlossen -, uns hier nicht auseinanderzureden. Wir sind dorthin gegangen nach Beratung, und die Amerikaner haben mit unserer vollen Zustimmung die Null-Lösung vorgeschlagen. Das ist die beste Lösung, die wir kriegen können; die wollen wir kriegen. ({33}) - Das ist klar. Keine verbalen Tricks! Was ist die Situation? Wir haben die Null-Lösung vorgeschlagen, die Sowjets haben ihre Lösung vorgeschlagen und haben sie bis jetzt in zwei Punkten ergänzt. Einmal haben sie selbst korrigiert, daß wir natürlich nicht nur über SS 20 westlich des Urals reden können, sondern - insofern sind sie unserer Forderung nachgekommen - über alle SS 20, die Westeuropa erreichen können. Das zweite ist, sie haben sich bereit erklärt, auch über Raketen geringerer Reichweite zu verhandeln. Ich muß sagen, daß dies zwar begrüßenswert ist, nach meiner festen Überzeugung aber vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden muß, daß die Sowjetarmee die SS 21, 22 und 23 in ihre Verbände einführt. Das heißt, hier kriegen wir, wie vorausgesagt, ein zusätzliches Problem, und das Verhandlungsangebot der Sowjets - das meines Erachtens aber nicht ausreicht - will das jedenfalls einbeziehen. Jetzt geht es um folgende Frage, Herr Kollege Genscher. Sie haben da niemanden beim Namen genannt; aber ich beziehe das einmal auf mich, damit ich eine Antwort geben kann. Ich habe der sowjetischen Seite nach vielen, vielen Stunden zum Teil auch technischer Diskussionen gesagt: Ihre Position, wie sie jetzt steht, ist so einseitig, daß auf dieser Position für den Westen kein Abschluß möglich ist. Zweitens habe ich auf die Frage, was passiert, wenn alles so bleibt, gesagt: Wenn alles so bleibt, wie es ist, werden die europäischen NATO-Länder nach meinem Urteil mit der Stationierung amerikanischer Waffensysteme beginnen. Da kommt es nicht auf ein halbes Jahr an. Man sollte sich nicht dadurch irritieren lassen, daß das vielleicht ein bißchen länger dauert. Ich komme zum entscheidenden Punkt: Ich sehe jetzt - und da wäre ich für eine Stellungnahme dankbar -, daß von der CDU/CSU unter Inanspruchnahme des Bundesaußenministers in einem Papier, das der Kollege Wörner vorgelegt hat, aber auch in Presseerklärungen gesagt wird, daß die CDU/CSU der Meinung sei, die westliche Position in Genf sei: Null-Lösung oder gar nichts. Das wäre eine völlig neue Situation. Denn wir haben gesagt: Wir werden da verhandeln. Jede Seite weiß, daß sie da nicht ihre Ideallösung bekommt. Und es ist klar: Wenn wir die Sowjets von ihrer einseitigen Position wegbewegen wollen, dann müssen wir uns überlegen, wie das möglich ist. Sonst verharren beide Großmächte in ihren Ausgangspositionen. Das wären keine Verhandlungen, wie sie im Doppelbeschluß stehen. Ich hoffe, wir sind darüber einig, um so mehr, als darüber nicht nur in Bonn auf unserem sicherheitspolitischen Seminar mit den Amerikanern gesprochen worden ist, sondern auch der Kanzler mit dem amerikanischen Außenminister darüber gesprochen hat.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, könnten Sie uns einmal sagen, wer nach Ihrer Auffassung zuständigerweise im Bündnis im Herbst 1983 darüber befinden wird, ob die Ergebnisse der Genfer INF-Verhandlungen genügen, um die vom Bündnis beschlossene Nachrüstung zu unterlassen, oder ob die Verhandlungsergebnisse nicht genügen, so daß es zur beschlossenen Modernisierung kommen kann? Ich habe den Eindruck, die SPD nimmt diese Richterrolle für sich in Anspruch.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege Mertes, darüber muß natürlich von den im Bündnis vereinten Regierungen beschlossen werden. Nur können Sie weder das Parlament noch die öffentliche Meinung noch die Parteien daran hindern, dazu ihre Meinung zu sagen. ({0}) Im übrigen, Herr Kollege Mertes, habe ich eine herzliche Bitte. Verstehen Sie sie vor dem Hintergrund, daß Sie dabei waren, als uns die amerikanischen Kollegen erklärt haben, was das Problem sei, daß man sich zwischen mehreren möglichen Wegen entscheiden müsse. Das sollten wir hier nicht im einzelnen erörtern; das sind auch taktische Fragen. Ich verstehe auch, daß vor den Novemberwahlen in Amerika nichts passiert. Aber meine herzliche Bitte, so berechtigt Ihre Frage ist: Lassen Sie uns bitte bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsam alle Kraft darauf konzentrieren, in Genf etwas zu erreichen, ({1}) statt jetzt unsere Diskussion und unsere Kraft darauf zu konzentrieren, was denn passieren würde, wenn es schiefgeht! Ich bin der Meinung, die Sache ist noch nicht vorbei, und ich will Ihnen auch ein Beispiel dafür geben, Herr Kollege Mertes. ({2}) - Darf ich dies jetzt erst zu Ende führen? Es wird etwas länger. ({3}) Wir haben einen Streit, der zu meiner Sorge teilweise z. B. auch vom Kollegen Würzbach etwas propagandistisch behandelt worden ist, andererseits aber nach meinem Eindruck bei uns bedenklicherweise eher als Bagatelle abgetan wird. Es geht darum, daß die amerikanische Seite sagt, nach der Verkündung des Stationierungsstopps durch den sowjetischen Generalsekretär in seiner Rede vor dem Konsomolzenkongreß seien weitere SS 20-Launcher-Stellungen gebaut worden. Von Richard Burt ist sogar gesagt worden, es seien auch zusätzliche Raketen installiert worden, was noch zwei verschiedene Dinge sind. Ich habe diese Sache sehr eingehend mit sowjetischen Spezialisten umd mit der politischen Führung dort erörtert. Die Auskunft ist: nein. Die Auskunft ist auch: Es ist nach der Rede auch nichts mehr zu Ende gebaut worden. Ich darf herzlich bitten, diesen Widerspruch nicht auf ein Niveau zu heben, auf dem man - wenn auch nicht offiziell - von der einen oder anderen Seite dann sagt, daß sie lüge. Denn hier geht es nicht um ein paar Stellungen und ein paar Raketen, sondern hier geht es um eine Kernfrage von Rüstungskontrolle, was nämlich verifizierbar ist und was nicht verifizierbar ist. Im übrigen hat mich, bevor ich in Moskau war, die amerikanische Seite bezüglich dessen, was ihre Position dazu ist, genauestens „gebrieft"; ich habe mich da vorher sorfältig unterrichtet. Auf Grund dessen, was ich in Washington und in Moskau gehört habe, ist meine Meinung, Herr Außenminister und Herr Bundeskanzler, die: Die Geschichte muß an den Verhandlungstisch in Genf. Denn wie kann man dann, wenn man 15 zusätzliche Raketen, deren Existenz behauptet wurde, nicht verifizieren kann, diejenigen verifizieren, die abgezogen werden sollen, bzw. diejenigen, über deren Zahl man sich einigt? Das ist eine Grundsatzfrage, um die man in einem Vertrag gar nicht herumkommt. Dazu gehört auch etwas, was man der sowjetischen Seite noch einmal sagen muß. Ich habe Respekt davor - ich mache daraus keinen Hehl, auch wenn Sie mich deswegen angreifen sollten - wie sich die sowjetische Seite im letzten Jahr in der Offenlegung militärischer Daten bewegt hat. ({4}) SALT II ist noch allein auf der Grundlage amerikanischer Geheimdienstzahlen zustande gekommen; es gab keine sowjetischen Angaben. Die Sowjets haben die Angaben nur hingenommen oder bestätigt, woraus man dann schließen kann: sie sind richtig, oder jedenfalls ist das, was sie haben, nicht weniger. Wenn sich jetzt ergeben sollte, daß das, was bei SALT II möglich gewesen ist, nicht mehr geht, steht die sowjetische Führung - darüber muß sie sich klar sein - in Genf vor einer großen Debatte über neue Verifizierungsmethoden. „Kooperative" Methoden der Verifizierung sind übrigens schon im SALT-II-Vertrag ins Auge gefaßt worden. Die Sowjetunion darf auch nicht deswegen, weil diese militärische Offenheit einem System wie dem ihren Schwierigkeiten macht, diese Forderung als Bösartigkeit des Westens ansehen. Hier geht es um eine zentrale Frage der Kontrolle, und da muß auch sie ihre Zahlen nennen. Die Sowjetunion muß endlich auch ihre SS 20-Zahlen nennen! Es ist doch lächerlich, daß die Großmächte ihre Gebiete gegenseitig mit vielen Satelliten überfliegen und daß jetzt plötzlich ein Streit darüber entsteht, wie viele Raketen vorhanden sind. Der Streit muß auf den Verhandlungstisch. Ich habe übrigens Grund zu der Annahme, daß der Streit beigelegt werden kann. Meine herzliche Bitte ist daher erstens, diesen Streit nicht propagandistisch zu behandeln; dazu wird er nach meinem Eindruck auch von der sowjetischen Seite viel zu sorgfältig und ernst behandelt. Zweitens müssen wir sehen, daß dies nicht irgendeine kleine Arabeske am Rande der großen Fragen ist; es betrifft vielmehr die Hauptfrage der Verifizierung. Da müssen die Sowjets aufpassen, daß sie nicht eine Verifizierungsdebatte angehängt bekommen, die noch viel weiter geht als die, die die Amerikaner bereits - zu Recht- angefangen haben. Und die Amerikaner müssen aufpassen, daß sie nicht eine Debatte darüber bekommen, ob denn ihre übrigen Zahlen dann überhaupt zutreffend sind, eine Debatte, die entstehen könnte, wenn sich jetzt beim Streit über diese 15 Raketen herausstellen würde, daß die Satellitenaufklärung nicht mehr ausreicht. Hier steht eine Menge auf dem Spiel, daher muß das an den Verhandlungstisch.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes? - Bitte.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, die Auffassung, die Sie zur Verifizierung und zur Offenlegung vertreten haben, teile ich, aber ich möchte Sie fragen: Halten Sie es für richtig, wenn namhafte Mitglieder dieses Hauses in der Pose des Schiedsrichters sozusagen Noten über die Verhandlungsführung in Genf verteilen, wobei immer wieder der Eindruck erweckt wird, als ob die Vereinigten Staaten von Amerika entweder nicht flexibel genug oder nicht schnell genug oder nicht einmal in gutem Glauben handelten? Halten Sie das für bündnisloyal?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nichts dergleichen gesagt und bitte darum, nichts dergleichen in meine Äußerungen hineinzulegen. Ich halte es aber für bündnisloyal, daß die Europäer ihre europäischen Sicherheitsinteressen als Teil der Allianzinteressen mit Nachdruck vertreten. ({0}) Darin hat auch die Friedensbewegung recht: Man muß diese Interessen mit Nachdruck vertreten. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß ich diese Reaktionen, die ich heute von Herrn Kohl gegenüber dem Kanzler und jetzt von Ihnen mir gegenüber erlebt habe, bei den amerikanischen Freunden überhaupt nicht erlebe, selbst wenn die in bezug auf Einzelheiten mir gegenüber kritisch sind. Vielmehr unterrichten sie mich und sagen, es ist interessant, wenn du diese Gespräche in Moskau führen kannst. Ich habe mich in Washington schon wiedergemeldet; ich komme auf diese Fragen zurück. Die Amerikaner sagen: Das wird interessant, wenn wir das jetzt weiter diskutieren. Es hat also keinen Zweck, wenn Sie hinsichtlich der Art, in der wir uns zu Fragen der Allianz äußern, empfindlicher sind als die Amerikaner selbst. ({1}) Ich komme zum Schluß und darf noch einmal sehr herzlich an die Koalition appellieren, und zwar an beide Seiten; ich sage nicht, daß das nur die eine Seite betrifft. Es müssen auch aus außenpolitischen Gründen - und ich glaube, Herr Kollege Mischnick, darüber kann es doch gar keinen Streit geben - der Streit, die Ungewißheit, das Gerede in der Koalition aufhören. Das sind wir zunächst einmal der Koalition schuldig, das sind wir aber auch dem Lande schuldig. Der Bundeskanzler hat völlig recht: Wir dürfen nicht in einer so gefährlichen internationalen Situation draußen auch nur den Anschein erwekken, als wären wir in dem, was wir zu tun haben, in der Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen, nicht mehr oder nicht mehr voll handlungsfähig. - Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hans-Dietrich Genscher hat in einer umfassenden, klaren und auch für jeden, der hören wollte, nachzuvollziehenden Form die Position der Freien Demokraten in ihrer Programmatik dargestellt. Ich kann mir deshalb ersparen, dies in den Grundsatzfragen nachzuvollziehen oder zu ergänzen. Herr Kollege Ehmke hat soeben die Bitte ausgesprochen, daß man um unserer außenpolitischen Reputation und Handlungsfähigkeit willen Zweifel ausräumt, wenn sie entstanden sind. Ich bin mit ihm völlig einer Meinung. Ich wäre dankbar, wenn gar kein Zweifel erst gesät wird wie im „Vorwärts" vom 9. September, also heute, wo es heißt: Er - der Bundesaußenminister ist weder ein guter noch ein schlechter Außenminister; er ist ein Nicht-Außenminister. Ich habe mit besonderer Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß sie persönlich genauso wie der Herr Bundeskanzler die effektive Rolle des Bundesaußenministers hier und, wie ich glaube, quer durch das Haus gewürdigt haben. ({0}) Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, wenn entweder Sie selbst so im „Vorwärts" kritisiert werden oder klargestellt wird, was hier falsch dargestellt ist. ({1}) Sie können davon ausgehen, Herr Kollege Ehmke, daß wir die Grundlinie der Außenpolitik, die wir gemeinsam verfolgt haben, die auch in den Fragen der Verhandlung über den Doppelbeschluß für uns eine entscheidende Bedeutung haben, so weiterverfolgen werden wir bisher. Ich teile Ihre Meinung, daß es notwendig ist, dafür Sorge zu tragen, daß wir unser ganzes Streben, unser ganzes Handeln darauf richten, daß unser Ziel, die Null-Option, erreicht wird und wir nicht zu diesem Zeitpunkt über das reden, was möglicherweise möglich wäre, wenn Wenn nicht wäre oder wenn Wenn doch wäre. Das wäre eine falsche Politik. ({2}) Wir sind allerdings auch der Meinung, daß kein Zweifel daran bestehen kann, daß der Doppelbeschluß eben ein Doppelbeschluß ist. Darüber waren wir uns j a bisher auch einig. Nachdem ich zu den außenpolitischen Fragen ein paar Bemerkungen gemacht habe, will ich gleich weiter zu den Fragen, die Sie, Herr Kollege Ehmke, gestellt haben, und den Bemerkungen, die Sie gemacht haben, meinerseits einiges anfügen. Sie haben gesagt, der Herr Bundeskanzler habe Fragen gerichtet, die nicht oder noch nicht richtig, nicht genügend beantwortet seien. Es waren ja Fragen in verschiedene Richtung. Wer die Rede von Hans-Dietrich Genscher aufmerksam gehört hat, der kann nicht überhört haben, daß er gesagt hat: Wir Freien Demokraten stehen zu dem, was wir in der Regierung vereinbart haben, wir stehen auch zu dem, was wir heute möglicherweise als falsch betrachten; wir sind allerdings auch der Meinung, daß da, wo Mängel entstanden sind, sie ausgeräumt und in Ordnung gebracht werden müssen. Auch dazu stehen wir. ({3}) Wir werden keinen Schritt davon abgehen. Ich will in anderem Zusammenhang dazu noch ein paar Bemerkungen machen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir in der Wirtschaftspolitik natürlich unser Freiburger Programm, breit angelegt auf die Mängel, die in einem, wie es dort heißt, kapitalistischen System entstehen können, nicht aus dem Auge verlieren. Wir werden gerade das in bezug auf die mittelständische Politik nie als eine zweitrangige Frage ansehen, sondern als eine gewichtige Frage. Deshalb können wir nur hoffen, daß die schwierigen Probleme bei der Konzentration wirtschaftlicher Macht in einigen Bereichen, wo beispielsweise die Gewerkschaften entscheidende Bedeutung haben, so gelöst werden, daß sich auch dort die Probleme der Konzentration der Macht nicht auf Dauer negativ auswirken. Ich will hier gleichzeitig an das anknüpfen, was Sie zu den Gewerkschaften gesagt haben. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Hans-Dietrich Genscher hat auch in dieser Richtung deutlich gemacht, wie unsere Grundauffassungen sind, welche hervorragende Aufgabe die Gewerkschaften in unserem Staat erfüllt haben. Das schließt nicht aus, daß man sich in Einzelfragen auseinandersetzen muß. Ich verhehle nicht, daß eine solche Einzelfrage, die mich jetzt bewegt, ist, wie man beispielsweise unter einen Hut bringen will, daß man - wie gestern geschehen - dagegen demonstriert, daß wir bei den Beamten eine dreimonatige Verzögerung der Gehaltserhöhung vorgenommen haben, gleichzeitig aber von einer Arbeitsmarkt- oder einer anderen Abgabe spricht, die doppelt so hoch ist wie die Verzögerung um ein Vierteljahr. ({4}) Diesen Widerspruch möchte ich persönlich auch gern aufgeklärt haben, um - so oder so - wirklich zur Sache Stellung nehmen zu können. Herr Kollege Ehmke, ich hätte ja nichts zu den hessischen Wahlen gesagt, ich hätte auch das überhört, was der Kollege Brandt gesagt hat; aber nachdem Sie schon wieder davon sprachen, bleibt es mir natürlich nicht erspart - ich füge hinzu: ich tue es jetzt gern -, etwas dazu zu sagen. Daß Sie ausgerechnet davon sprachen, es gehe den Freien Demokraten nur um die Machterhaltung, nachdem die SPD 36 Jahre an der Macht ist, scheint mir dann doch etwas Ähnlichkeit mit einem Eigentor zu haben, das Sie geschossen haben. ({5}) Natürlich weiß ich, daß für viele in Ihren Reihen nicht nur in Hessen, sondern auch hier - die hessische Entscheidung bis heute nicht verständlich ist. ({6}) - Natürlich hat es Diskussionen gegeben; das haben wir doch nie verschwiegen. Herr Kollege Brandt hat davon gesprochen, daß es doch wenig sinnvoll sei, wenn die FDP antrete, Dregger zu wählen, um Schmidt damit zu unterstützen. Ich glaube, es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, daß es in Hessen doch gar nicht um die Frage geht, ob Dregger Ministerpräsident wird oder nicht wird. Es geht ausschließlich um die Frage, ob er die absolute Mehrheit bekommt oder ob er nicht die absolute Mehrheit bekommt. Sie sollten - das ist meine herzliche Bitte! - endlich einsehen lernen, daß eben keine Mehrheit in Hessen für die Koalition von Sozialdemokraten und Liberalen mehr vorhanden sein wird. Das ist ein Tatbestand, den eine Partei, die in diesem Land regierungsfähige Mehrheiten für sinnvoll und notwendig hält, auch bei ihren eigenen Entscheidungen mit berücksichtigen muß. Das hat nichts mit Machterhalt oder Streben nach Macht zu tun. Jede politische Partei in der Bundesrepublik Deutschland muß, wenn sie zu Wahlen antritt, das Ziel haben, ihre Auffassung in einer Regierung durchzusetzen. Das Ziel kann nicht von vornherein Opposition sein, wie es bei den Alternativen oder Grünen der Fall ist. Das sind dann Aussteiger, und Aussteiger haben wir genug in unserem Lande; die wollen wir nicht vermehren. ({7}) Deshalb warne ich davor, dann, wenn man selbst in eine Position gerät, in der man möglicherweise die Macht verliert, den anderen, die zu einer Koalition bereit sind, Machterhaltungsdrang vorzuwerfen. Umgekehrt richte ich aber eine Mahnung auch an diejenigen, die aus der Opposition hier in Bonn an die Macht wollen - was ihr legitimes Anliegen ist -, den anderen Machterhaltung vorzuwerfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Diskussion nützen wir dieser parlamentarischen Demokratie nicht, sondern wir arbeiten genau denen in die Hände, die nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. ({8}) Es ist gefragt worden, wieso nach so langer Zeit eine Veränderung in Hessen eintritt; Holger Börner sei doch kein Sozialist par excellence. Das hat auch kein Mensch bei uns behauptet. ({9}) - Nicht nur innerhalb von zwei Monaten. Sehen Sie, Herr Kollege Ehmke, 1976 befand sich Ihre Partei in Hessen in einer sehr, sehr schwierigen Situation. In dieser schwierigen Situation haben wir als Koalitionspartner dazu gestanden, und wir haben alles mit durchgestanden. Ich finde es deshalb sehr deplaciert, wenn nun ausgerechnet Holger Börner 1982 am Ende einer Legislaturperiode von Untreue spricht. Wir hätten 1976, wenn wir damals nur an uns selbst gedacht hätten, eine andere Entscheidung treffen können. Wir haben sie aber um der gemeinsamen Politik willen nicht getroffen. Dies bitte ich nicht zu vergessen. Ich sage Ihnen auch in aller Offenheit, daß bei allen Entscheidungen, mögen sie in einem Land oder im Bund noch so schwer sein, für mich immer die Maxime gilt: Nicht nur die Entscheidung vom heutigen Tag, sondern auch die Entscheidung von morgen oder übermorgen müssen untereinander konsensfähig sein, und der Konsens darf nicht auf ewig verschüttet sein. Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat davon gesprochen, der Wählerauftrag von 1980 habe uns - damit hat er recht - zu einer gemeinsamen Koalition und zu einem gemeinsamen Regierungsprogramm geführt. Dieses Regierungsprogramm liegt vor. Zu ihm stehen wir. Wir werden mit unserer Fraktion zur Durchsetzung dieses Regierungsprogramms wie bisher so auch in Zukunft beitragen. ({10}) Wir denken nicht daran, uns aus der Verantwortung zu stehlen. Zu diesem Regierungsprogramm gehören aber auch schwierige und manchmal sehr komplizierte Entscheidungen, die nicht überall mit gleicher Begeisterung getragen werden. ({11}) - Völlig richtig! - Ich wäre sehr froh, wenn sehr schnell das beendet würde, was wir in diesem Haus oft gemeinsam beklagt haben: daß Kollegen der Union hier anders sprachen als draußen. In Hessen muß ich leider erleben, daß die Kollegen der SPD die gemeinsamen Beschlüsse, die wir hier gefaßt haben, nicht verteidigen, sondern dies uns überlassen. Wir werden daraus keine falschen Schlußfolgerungen ziehen. Wir wundern uns dann allerdings nicht, wenn zwischen Entscheidungsbereitschaft hier und Zustimmung der Basis dazu ein Unterschied besteht, wenn man hier und draußen unterschiedlich argumentiert. Das bitte ich sich in aller Ruhe zu durchdenken. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt ein paar Bemerkungen machen, die meine ganz persönliche Meinung sind. Solches ist heute schon mehrfach geschehen. Ich spreche jetzt also nicht für meine Fraktion. Das ist an Sie gerichtet, Herr Bundeskanzler; denn Sie sprachen davon, daß man, wenn man Art. 67 des Grundgesetzes in Anspruch nehme, auch den Weg zu Neuwahlen gehen müsse. Ich wiederhole jetzt ausdrücklich: Ich spreche nicht für die Freie Demokratische Partei, ich spreche als einer der Abgeordneten, die hier über Jahrzehnte tätig sind. ({12}) - Ich wäre dankbar, wenn Sie in diesem Augenblick die sonst übliche und auch verständliche Polemik ein bißchen zurückstellen würden. ({13}) Ich möchte nämlich daran erinnern, daß die Verfasser unseres Grundgesetzes die Frage der Neuwahl aus gutem Grund gerade nicht an die Spitze, sondern an das Ende aller Überlegungen - wenn es vielleicht keine Überlegungsmöglichkeiten mehr gibt - gestellt haben. Ich darf daran erinnern, daß Sozialdemokraten und Freie Demokraten z. B. in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1956 in einer Legislaturperiode eine Entscheidung, weil sie sie für politisch notwendig hielten, getroffen haben, ohne daß anschließend Neuwahlen stattfanden. ({14}) Ich darf daran erinnern, daß im Jahr 1966 aus einer anderen politischen Situation heraus, wo auch wir Freie Demokraten Fehler gemacht haben, eine Große Koalition entstand, ohne daß damit automatisch Neuwahlen verbunden waren. Das zeigt, daß bei all diesen Entscheidungen der Grundsatz, den die Verfasser des Grundgesetzes im Auge hatten, beachtet worden ist: Bevor man das Mittel der vorzeitigen Auflösung eines Bundestages anwendet, müssen alle Möglichkeiten einer regierungsfähigen Mehrheit ausgeschöpft sein. Nun wird gesagt, das könnte im Widerspruch zum Wählerauftrag sein. Natürlich hat der Wähler 1965 den Kanzler Erhard und den Vizekanzler Mende durch seine Wahl unterstützt - und es kam dann ein Kanzler Kiesinger mit einem Vizekanzler Brandt. Ich habe das nicht als eine Verfälschung des Wählerauftrags angesehen, weil man aus einer veränderten Sachkonstellation zu einer Entscheidung gekommen ist. Meine herzliche Bitte ist, zu überlegen, ob es, wenn das, was an sachlichen Notwendigkeiten zur Entscheidung steht, mit dem Hinweis auf Neuwahlen versehen wird, von einem großen Teil der Wähler eben nicht als Bereitschaft, den Wähler anzuhören, angesehen wird, sondern als eine Flucht zum Wähler betrachtet wird, weil man selbst Entscheidungen scheut. Dies könnte auch negative Wirkungen in unserer Demokratie haben. ({15}) Ich wiederhole: Ich habe hier meine ganz persönlichen Gedanken - die noch sehr viel weiter gehen könnten - kurz geäußert, weil niemand darauf eingegangen ist und ich einfach nicht stehen lassen will, daß darin eine Automatik sei. ({16}) Das hindert mich nicht daran - nunmehr glaube ich, wieder voll im Namen meiner Fraktion zu sprechen -, das, was als Auftrag mit der Politik, die wir dem Wähler angeboten haben und die wir jetzt umsetzen wollen, verbunden ist, mit aller Kraft weiter zu verfolgen. Wir denken nicht daran, von dieser Politik abzugehen, und werden Sie, Herr Bundeskanzler, dabei unterstützen. ({17}) Ich wäre froh, wenn die Vereinbarungen, die wir getroffen haben, dann, wenn sie hier zur Abstimmung stehen, die gleiche Geschlossenheit auf beiden Koalitionsseiten finden würden, wie wir sie bei den Vereinbarungen gehabt haben. ({18}) Und deshalb wird es in den nächsten Wochen darum gehen, dies sachlich zu beraten. Herr Kollege Kohl, ich verstehe natürlich, daß eine Opposition nicht scharf darauf sein kann, die Arbeit der Regierung zu erledigen - dafür habe ich volles Verständnis -, und daß sie auch nicht scharf darauf sein kann, Pfeile auf sich zu richten, die sie gern auf andere gerichtet sieht. Nur, wenn unter den Gesetzentwürfen Forderungen, Vorschläge und Entwicklungen angesprochen werden, die von der Opposition selber für notwendig gehalten werden, dann scheint es mir nicht zu viel verlangt zu sein, daß dann zumindest sachlich geprüft wird, ob man dem zustimmen kann ({19}) - ich habe ja gar nicht gesagt, daß Sie es nicht gesagt haben! - oder ob man es verändert, verbessert haben will. Wenn sich durchsetzt, was die Ministerpräsidenten Stoltenberg und Späth gesagt haben, dann kann man Hoffnung haben, daß manche Dinge über die Bühne kommen. Wenn sich durchsetzt, was der bayerische Ministerpräsident gesagt hat, dann muß man befürchten, daß zwar verbal die Bereitschaft da war, in der Entscheidung aber eine andere Situation im Bundesrat eintritt. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, glauben Sie nicht, daß es an der Zeit wäre, sich jetzt einfach mit den Beschlüssen, die die CDU/CSU-Parteiführungen, die CDU/CSU-geführten Länder und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dem von Ihnen angesprochenen Bereich getroffen haben und die genau das bestätigen, was Sie als Forderung an uns richten, zu befassen und zuzugeben, daß es nicht wahr ist, daß es Unterschiede zwischen diesem und jenem Ministerpräsidenten oder zwischen der Fraktion und Ministerpräsidenten gibt? Wir wollen doch - um das in Form einer zweiten Frage nochmals zu sagen - einig sein, daß wir uns hier über die Sache und nicht über Feindbilder unterhalten. ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kohl, ich habe das mit Interesse zur Kenntnis genommen. Es wird sich j a bei den einzelnen Entscheidungen erweisen. Warum ich diese Frage gestellt habe, will ich Ihnen gern sagen. Ich habe noch die Beschlüsse der CDU zu den Fragen der Wehrdienstverweigerung und der Ersatzdienstleistung im Ohr oder, besser gesagt - weil ich es ja nachgelesen habe -, im Auge; und ich habe noch das im Ohr, was hier gesagt wurde, wie das Schicksal vom positiven Beschluß Ihres Parteitags bis zu dem Nichtbeschluß bisher in diesem Haus gewesen ist. Und deshalb meine kritische Frage. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Mischnick?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich, bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da Sie einen neuen Sachverhalt in die Debatte eingeführt haben: ({0}) sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es genau über die soeben angesprochene Frage neue Gespräche gibt und daß aus der von Ihnen gemachten Äußerung niemand schließen kann, daß diese Gespräche möglicherweise erfolgreich sind? Sie wissen das doch gar nicht.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, Herr Kollege Kohl, weil ich das weiß und weil ich am Montag mit Frau Bundesministerin Fuchs darüber gesprochen habe und sie in Aussicht gestellt hat, schnellstens mit Ihnen über diese Fragen zu sprechen, bin ich sehr froh darüber, daß Sie von sich aus gesagt haben, Sie wüßten das Ergebnis noch gar nicht. Dies läßt mich hoffen, daß wir vielleicht schon in den nächsten 14 Tagen - wobei ich skeptisch bin, ob das vor der bayerischen Wahl möglich ist - in dieser Frage vorankommen, damit wir endlich in diesem Hause zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist noch einmal sowohl vom Bundeskanzler wie auch vom Kollegen Brandt, deutlichgemacht worden, daß die Sozialdemokraten eine Ergänzungabgabe für richtig und wichtig hielten. Ich verstehe sehr wohl, . welche psychologische Wirkung darinsteckt, aber ich kenne die wirtschafts- und finanzpolitischen Einwände nur zu gut. Und da muß ich, müssen wir abwägen, ob das, was als psychologischer Erfolg möglich wäre, das überwiegt, was an negativen wirtschafts- und finanzpolitischen Folgen möglich wäre, oder umgekehrt. Dabei sind wir bisher zu dem Ergebnis gekommen, daß die negativen Folgen größer wären. Und deshalb hat es darüber bis zur Stunde keine Vereinbarung gegeben. Ich persönlich, füge ich hinzu, bin nach wie vor der Meinung, daß dieser Weg nicht der richtige Weg wäre. Ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten der Haushaltsdebatte einlassen - das werden wir in der nächsten Woche zu tun haben -, ich will nur noch eine Frage aufgreifen, die sowohl von Kollegen der SPD wie auch von Ihnen, Herr Kohl, angesprochen worden ist, nämlich, ob in bestimmten Bereichen, auch in der Sozialpolitik, auch in der Rentenpolitik, Veränderungen vorgenommen werden sollten. Ich wäre sehr froh, wenn wir nie wieder in eine Situation kämen wie im Jahre 1976, wo im Wahlkampf quer Beet 10 % versprochen worden waren, obwohl jeder, der darüber nachgedacht hatte, hatte wissen müssen, daß das nicht durchzuhalten sein würde. Und daran leiden wir heute noch. ({1}) Wenn daraus endlich von allen Seiten Lehren gezogen würden, wäre ich dafür herzlich dankbar. Der Herr Regierende Bürgermeister von Weizsäkker - er ist nicht mehr hier - hat eine Rede gehalten, die es wert wäre, hier als Thema für sich diskutiert zu werden. Ich kann mich dem Urteil des Kollegen Ehmke nur anschließen. Ich will deshalb nicht auf Detailfragen eingehen, sondern nur einen Punkt erwähnen, den er zum Ausdruck gebracht hat: Mit einem Embargo kann man die Sowjetunion nicht in die Knie zwingen. Dies ist eine sehr richtige und sehr wichtige Erkenntnis. Er hat einen zweiten Satz gesagt, den ich auch nicht überhört habe, nämlich, man solle dies doch möglichst gemeinsam bei Fragen ähnlicher Art so zu behandeln versuchen. Es wäre gut, wenn wir gerade in den Fragen der Politik zwischen den beiden deutschen Staaten aus der Situation herauskämen, daß immer wieder einmal von dem einen oder dem anderen versucht wird, spektakulär Schlagzeilen zu bekommen, obwohl man in der Sache damit nicht ein Schrittchen weiterkommt. Ich hoffe, daß uns das möglich sein wird. Ich wünsche dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, daß die Zustimmung zu dem, was er hier gesagt hat, auch aus seinen eigenen Reihen so einhellig kommt. ({2}) Herr Kollege Zimmermann, Sie haben hier deutlich gemacht, daß viele Dinge, die Hans-Dietrich Genscher gesagt hat, auch von der Union mit Beifall bedacht worden sind. Das ist bei vielen Grundsatzfragen auch gar nicht verwunderlich; denn es gibt eben Punkte, wo zwischen den Unionsparteien und uns eine größere Übereinstimmung herrscht als zwischen uns und den Sozialdemokraten. Dafür gibt es andere Punkte, wo in den Grundsatzfragen eine größere Übereinstimmung zwischen den Sozialdemokarten und den Freien Demokraten herrscht. Es gibt auch Punkte, wo zwischen Ihnen und den Sozialdemokraten größere Übereinstimmung herrscht und bei uns die Meinungen anders sind. Das ist in einem parlamentarischen System nun einmal so. Ich kann nur hoffen, daß alle, die Beifall geklatscht haben, dann, wenn es um die Umsetzung geht, nicht vergessen haben, welche Punkte sie hier beklatscht haben. Ich fürchte, daß dann, wenn es darum geht, Konsequenzen zu ziehen - ({3}) - Mit der Akustik allein hängt das nicht zusammen, Herr Kollege Zimmermann. Manchmal habe ich nämlich das Gefühl: Es wird zwar aufgenommen im Ohr, aber nicht verarbeitet. Das ist die Sorge, die ich oft bei solchen Reaktionen habe. ({4}) Nun ist gesagt worden, diese Regierung sei bewegungsunfähig; es komme nichts mehr zustande. Ich beklage genauso wie viele andere, welches Bild in der Öffentlichkeit entstanden ist. Aber: Wir haben Beschlüsse gefaßt. Sie liegen dem Parlament vor. Sie werden in den nächsten Tagen beraten. Wir werden sie verabschieden. Dabei wird sich zeigen, daß wir eben nicht in Regungslosigkeit erstarrt sind, sondern uns bemühen, Entscheidungen zu treffen. Eines versichere ich Ihnen allerdings: Mögen die Reizvokabeln, auch aus den Reihen des Koalitionspartners, noch so groß sein, ich werde auf sie nicht eingehen, weil ich der Meinung bin, der Wähler, der Bürger will nicht Reizvokabeln hören, sondern er will sachpolitische Entscheidungen. Wir stehen zu der Pflicht, die wir übernommen haben. Wir werden unsere Pflicht erfüllen, nicht um der Partei willen, sondern um dieses Staates und damit um der Menschen in diesem Staate willen. - Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Behauptung beginnen, die manche von Ihnen vermutlich bezweifeln werden, da sie einer verbreiteten Stimmung widerspricht. Dennoch behaupte ich: Das innerdeutsche Verhältnis ist heute, im Herbst 1982 relativ, ja eigentlich erstaunlich gut. Es ist jedenfalls bei weitem besser, als es der internationalen Lage nach sein könnte, vor allem besser auch, als es in unseren Medien oftmals dargestellt wird. ({0}) Daß das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten von der Eintrübung, der Anspannung der allgemeinen Ost-West-Beziehungen im letzten Jahr verschont geblieben ist, kommt nicht von selbst. Dazu bedurfte und bedarf es einer klugen und maßvollen auswärtigen Politik ebenso wie einer innerdeutschen Politik, die ihre Ziele geduldig, zäh und unverdrossen gegenüber der DDR verfolgt. Wer die Dinge auch nur einigermaßen objektiv betrachtet, wird heute feststellen müssen, daß das Treffen am Werbellinsee im Dezember vergangenen Jahres sich gelohnt hat. Die Substanz dieser Begegnung lag in dem gegenseitigen Versprechen, die Auswirkungen der internationalen Verschlechterung auf das gegenseitige Verhältnis soweit wie möglich begrenzt zu halten. Das ist bisher in der Tat gelungen. Dabei bleibe ich auch, wenn an dieser Stelle das Thema „Mindestumtausch" eingewendet wird. In der Tat, dieser einseitige Eingriff der DDR vom Herbst 1980 in den Reiseverkehr von hier nach dort, von West nach Ost, konnte bislang nicht repariert werden. Ohne Frage wurde dadurch das Verhältnis der beiderseitigen Interessen im Zusammenhang der gegenseitigen Beziehungen empfindlich gestört. Richtig ist aber auch, daß gerade auf dem Feld des Reiseverkehrs, und zwar in beiden Richtungen, seit Werbellin doch einiges Bemerkenswerte im Sinne unserer Wünsche und Interessen geschehen ist. Das bedeutet noch lange nicht, daß damit das Thema Mindestumtausch vom Tisch ist. ({1}) Ein ganzes Jahrzehnt lang haben wir - auch von diesem Platz aus - immer wieder beklagt, daß viel zu wenige DDR-Bürger vor dem Rentenalter zu uns zu Besuch kommen dürfen. Ich habe auch mit Interesse gelesen, daß, wie Sie, Herr Dr. Kohl, kürzlich schrieben, eine CDU/CSU, wenn sie dazu in die Lage versetzt würde, mit der DDR über die Herabsetzung des Reisealters für DDR-Bewohner „vorrangig" verhandeln würde. Abgesehen davon, daß zu solchen Verhandlungen natürlich zwei gehören: Lautstark angekündigtes Verhandelnwollen allein genügt nicht. Vorausgehen muß erst einmal eine Einigung mit der anderen Seite über den Verhandlungsgegenstand. Abgesehen also davon: Seit einem halben Jahr kommen in der Tat monatlich etwa 1 000 jüngere DDR-Bürger mehr zu Familienanlässen in die Bundesrepublik als im Vorjahr, zusätzlich zu den im Monatsdurchschnitt etwa 130 000 Reisen von DDR- Bürgern im Rentenalter. Das sind immerhin beachtliche Zahlen. Es genügt nicht, in den Zeitungen die Tatsachen nur kritisch zu beleuchten, sondern diese Zahlen sprechen eine klare Sprache. Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Zunahme der Reisen in dringenden Familienangelegenheiten. Ich habe den Eindruck, daß diese zwar begrenzte, aber eben doch sichtbare Verbesserung bei uns so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen wird. Und doch ist sie eine erstaunliche Tatsache, wenn man gleichzeitig das internationale Umfeld bedenkt und sich vor Augen führt, welche Bedeutung das Thema Westreisen im Verhältnis zwischen Führung und Bürger in der DDR nun einmal hat. Und wer bei uns etwa glaubt, die Größenordnung, in der sich das Ganze einstweilen immer noch abspielt, mit einer geringschätzigen Handbewegung abtun zu können, dem sage ich: Solche Arroganz ist völlig fehl am Platze. Sie enthüllt nur, wie fern der Betreffende den tatsächlichen Problemen und Schwierigkeiten immer noch ist, wie wenig Mühe er sich gibt, sie zu durchdringen, um die Dinge wenigstens schrittweise zu erleichtern und zu verbessern. Mit kaum weniger Geringschätzung wird über die ab 1. Juli wirksame Regelung für Flüchtlinge aus der DDR hinweggegangen. Die DDR hat - mit Ausnahme der Fahnenflüchtigen - allen Bürgern, die sie im letzten Jahrzehnt ohne behördliche Genehmigung verlassen haben, die DDR-Staatsbürgerschaft formell aberkannt und sie „wegen des ungenehmigten Verlassens der DDR", so heißt die offizielle Formel, außer Strafverfolgung gesetzt. Das bedeutet u. a. auch: Sie können nun wie andere Bundesbürger Besuchsreisen in die DDR beantragen. Solche Anträge werden nach unseren derzeitigen Erkenntnissen in der Mehrzahl inzwischen bewilligt. Betroffen ist ein Personenkreis von etwa 40 000 bis 50 000 Mitbürgern; die Zahl der mittelbar Betroffenen ist sogar noch weit höher. Meine Damen und Herren, nur wer willens und fähig ist, sich in die Nöte dieser Mitbürger einzufühlen, wird dieses Zugeständnis der DDR richtig würdigen können. Nicht selten trifft man bei sozusagen eingesessenen Bundesbürgern auf bares Unverständnis. Sie können oder wollen nicht begreifen, wieso ehemalige DDR-Bürger, kaum haben sie die DDR verlassen, besuchsweise schon wieder dahin zurückstreben. Dabei ist das so schwer gar nicht zu begreifen. Diese Menschen befinden sich in einer schwierigen Lebensphase. Als Erwachsene haben sie den schwerwiegenden Entschluß gefaßt, ihren gewohnten Lebenskreis zu verlassen, ihre ganzen persönlichen Lebensverhältnisse sozusagen von Grund auf umzustülpen. Ein Ortswechsel von Leipzig nach Hannover ist eben einem Umzug von Stuttgart nach Hannover nicht vergleichbar. Bei aller Erleichterung, die sie empfinden mögen, hier zu sein: Die Eingewöhnung ist für viele von ihnen schwierig und braucht Jahre. Viele leiden anfänglich unter Einsamkeit; denn sie haben ja Angehörige und vertraute Freunde in der DDR zurückgelassen. Sie haben schlichtweg Heimweh nach den Menschen, mit denen sie aufgewachsen sind, und nach dem Ort, in dem sie geboren sind, auch wenn sie dort vielleicht Schweres erlebt haben. Jedenfalls finde ich es sehr verständlich, wenn sie die Heimat, die Verwandten und alte Freunde bald wiedersehen möchten. Deshalb ist ein herzliches Wort des Mitfreuens und der Genugtuung, daß die meisten von ihnen - so sie es wollen - das wieder können, angebrachter, als verständnislos darüber hinwegzugehen oder es bei bloßem Lamentieren über die gestiegene Zahl der Einreiseverweigerungen bewenden zu lassen. Natürlich sind wir gegen Einreiseverweigerungen für bestimmte Personengruppen. Es trifft auch zu: Die Zahl ist gestiegen. Im Jahre 1981 waren es insgesamt 1 688 Fälle, von Januar einschließlich Juli dieses Jahres sind es immerhin schon 1 362 gewesen, so daß die Zahl am Jahresende sicherlich höher sein wird. Gestiegen ist sie deswegen, weil neuerdings in vermehrtem Maße Personen die Einreise beantragen, die es zuvor überhaupt nicht versucht haben, weil sie ganz bestimmt mit Ablehnung rechnen mußten. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß und warum die DDR-Bürger, die erst vor kurzem die DDR verlassen haben und jetzt als frischgebackene Bundesbürger in ihrer alten Umgebung wieder erscheinen, von den offiziellen Stellen nicht eben gern dort gesehen werden. Um so beachtenswerter ist es, daß die DDR sich dennoch dazu durchgerungen hat, von ihrer generellen Abweisung dieses Personenkreises abzugehen und etlichen die besuchsweise Einreise zu erlauben. Einige Verbesserungen gibt es für West-Berliner. Sie liegen auf der Linie von Wünschen, wie sie der Berliner Senat vorgetragen hat: Verlängerung der Tagesaufenthalte bis 2 Uhr nachts, Zulassung des neuen Übergangs im Berliner Norden für Fußgänger, die die Grenze im Linienbusverkehr passieren. Schon seit Monaten brauchen sich West-Berliner Besucher in Berlin ({2}) und in der DDR polizeilich nur noch dann zu melden, wenn sie länger als zwei volle Tage bleiben wollen. Ebenfalls im Frühjahr ist bereits - das gilt für alle Arten von Reiseverkehr in die DDR - die Freigrenze für die Mitnahme von Geschenken verdoppelt worden. Nehmen wir die Anschlußregelung im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr hinzu, die sicherstellt, daß gerade weniger Bemittelte weiterhin Geld von DDR-Konten im Verhältnis 1:1 transferieren können, nehmen wir weiterhin die Fortschritte bei den Verhandlungen über Gewässerschutz um Berlin und an der Werra hinzu, ferner die nach Frist und Umfang insgesamt befriedigende Familienzusammenführung und schließlich die Verabredung über die beiden Kulturausstellungen, deren eine - nämlich die Ausstellung aus der Bundesrepublik - am nächsten Montag in Ost-Berlin eröffnet wird, nimmt man das alles zusammen, so wird auch der Skeptiker sagen müssen, daß seit Dezember 1981 wieder eine Verschiebung zugunsten der Interessen eingetreten ist, die wir gegenüber der DDR auf dem Herzen haben. Meine Damen und Herren, wir mögen alle meinen, daß es viel zuwenig sei, aber es geht doch darum, festzustellen, daß sich etwas bewegt und daß man nicht immer sagt: Da geschieht doch gar nichts. ({3}) Welche Vorstellung haben Sie eigentlich von der Katastrophe, die über unser Land und unser Volk mit dem Zweiten Weltkrieg und dem „Tausendjährigen Reich" gebracht wurde? Darin Bewegungen für die Menschen auszulösen, das ist Politik. Politik ist die Kunst des Möglichen und nicht nur des Wünschbaren. Es genügen nicht nur lautstarke Worte, sondern es geht darum, beharrlich immer wieder daran zu bleiben, auch wenn es nur ganz geringe Veränderungen im menschlichen Bereich sind. Wir sagen doch alle, daß wir darum Politik betreiben. ({4}) Hier liegen die konkreten Ergebnisse vor, und immer werden sie gerade von Ihnen aus der Opposition in ihrer Bedeutung gemindert. ({5}) - Ohne Vorleistungen? Was sollen denn diese Worte? Hier geht es um eine reale Situation, ({6}) die auch nicht geändert wird, wenn Sie das so werten oder beklagen. Wir müssen uns mit denen beschäftigen, die die Macht haben, die Dinge zu verändern. Meinen Sie, daß sich die Leute da drüben auch im geringsten davon beeindrucken lassen, wenn Sie sich hier hinstellen und Forderungen erheben oder wenn solche Veranstaltungen durchgeführt werden, wie sie gestern abend im Fernsehen vorgeführt wurden? ({7}) Wir ermöglichen Tausenden von Menschen die Aussiedlung aus der DDR hierher. Das geschieht auf einer anderen Ebene. Mancher mag stolz darauf sein, daß er das System dort immer wieder anklagend beschreibt. Das brauchen Sie uns nicht zu sagen. Sie können uns gar nicht übertreffen in der Verteidigung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, wie wir sie hier haben. ({8}) Unterlassen Sie bitte diese Art der Wertung des Bemühens! Wir fühlen uns in besonderer Weise verpflichtet. ({9}) - Meine Herren, wie ich mit der DDR rede, das ist meine Sache. ({10}) Das Ergebnis, meine Damen und Herren, liegt in Zahlen vor. Ich bekomme ja nicht umsonst auch von Ihnen zahlreiche Dankschreiben für die Erfolge, die ich durch die Art erziele, wie ich mit den Leuten umgehe. ({11}) Das erreichen wir nicht, weil Sie meinen, hier den strammen Max markieren zu müssen, sondern das ist nun einmal so. ({12}) Meine Damen und Herren, diese Verschiebung ist nicht von selbst gekommen. Sie wurde nicht zuletzt ermöglicht durch die am Werbellinsee verabredete Verlängerung der alten Swing-Regelung um ein halbes Jahr, die ja bekanntlich durch eine Neuregelung ersetzt wurde. Kern der Neuregelung ist eine modifizierte Fortführung dieses zinslosen Überziehungskredits im innerdeutschen Handel auf die Dauer von dreieinhalb Jahren. Die Situation erlaubt es uns nicht, den Kredit auf der früheren Höhe zu halten. Die Verminderung setzt jedoch nicht sofort ein, sondern erst nach einem halben Jahr, und dann auch nicht mit einem Schlag, sondern über zwei Zwischenstufen. Zu dieser maßvollen Art der Herabsetzung sah sich die Bundesregierung veranlaßt, erstens weil sie den innerdeutschen Handel, an Kontinuität interessiert, nicht verunsichern und nicht destabilisieren wollte, und weil es zweitens, wie oben dargelegt, seit dem Treffen am Werbellinsee Verbesserungen. im Sinne unserer Wünsche und Interessen gegeben hat, wenn auch nicht in bezug auf den Mindestumtausch. Im übrigen darf ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit unterstreichen, daß der innerdeutsche Handel, der Austausch von Waren und Dienstleistungen mit der DDR, ein wesentliches politisches Anliegen der Bundesrepublik Deutschland darstellt, und zwar sowohl aus nationalen als auch aus berlinpolitischen Gründen. Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß das, was ich jetzt sagen werde, bei vielen in der Opposition ebenso wie in den Medien auf Zurückweisung stoßen wird. Dennoch möchte ich mich einmal über die Art beklagen dürfen, wie die Deutschlandpolitik mittlerweile wieder in unserer Öffentlichkeit stattfindet; zwischendurch war es einmal besser. Wer die Zeitungen aufschlägt, Radio hört oder fernsieht, wird feststellen, daß Meldungen aus dem innerdeutschen Bereich an sich ausgiebig verbreitet werden. Ich bin aber der Meinung, daß derjenige sich täuschte, der aus diesem hohen Meldungsaufkommen auf einen hohen Informationsstand des Publikums schlösse. ({13}) Jedenfalls machen wir, meine Mitarbeiter und ich, immer wieder die Erfahrung, daß eher ein Mißverhältnis besteht zwischen der öffentlichen Prominenz des Themas und dem Grad an Aufgeschlossenheit und Aufmerksamkeit, die ihm ernstlich zugewendet wird. Ich will mir jede Spekulation über die Gründe dafür versagen. Nicht aber möchte ich zwei Beispiele, die aus den letzten Wochen noch in frischer Erinnerung sind, mit dem Mantel der Barmherzigkeit zudecken. Ich meine zum einen die Meldung, die DDR stehe offenbar kurz davor, zur gemäßigten Kleinschreibung überzugehen, und zum anderen die Meldung, wonach die DDR plane, die ganze, rund 1 350 km lange Grenze nach dem Vorbild von Berlin zu vermauern. Das stand hier in allen Medien und wurde tagelang verbreitet. Beide Themen brachen nach einigen Tagen zusammen, man ist versucht zu sagen: nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hatten, will sagen: nachdem sie genügend Entrüstung produziert hatten. Wer sich erst einmal kräftig entrüstet hat, braucht seine Zeit - das kennt jeder an sich selbst -, um wieder zu Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit zurückzufinden. ({14}) Ich kann es mir erlauben, das zu sagen, weil ich ja schließlich auch ein Mensch mit entsprechendem Temperament und entsprechender Mentalität bin und auch meine eigenen Erfahrungen habe. Deshalb erlaube ich mir dieses Wort der Kritik auch an anderen. Ich jedenfalls glaube: Die offenkundig stets wache Bereitschaft, sich über die DDR zu empören und damit bestehende Meinungen zu bestätigen, dient allzu vielen als bequeme Ausrede, als scheinbare Rechtfertigung dafür, dem ganzen Thema ein tieferes und eingehenderes Interesse zu verweigern. Wir sollten in der Tat die Veränderungen in der Wirklichkeit ernster zur Kenntnis nehmen. Das würde jedem in seinem engsten Bereich auch Probleme lösen helfen, die den Menschen berühren und nicht politische Rechthaberei allein betreffen. Hier liegt meines Erachtens auch eine Verantwortung der Politiker, namentlich derjenigen, welche die Opposition bilden. Es mag für manchen eine Versuchung sein, auf Kosten der DDR Punkte für sich zu sammeln. Aber dieser Versuchung nachzugeben wäre mehr als kurzsichtig, weil über kurz oder lang die Deutschlandpolitik darunter leiden müßte. Deshalb möchte ich wiederholen, was ich vor fünf Jahren schon einmal Grund hatte zu betonen: Die Menschen in unserem Lande müssen ihr Augenmaß, ihre Fähigkeit zur Unterscheidung, zu Besonnenheit und zur klugen Mäßigung auch in den Fragen behalten, die das geteilte Deutschland für die Politik aufwirft. Damit habe ich mit anderen Worten eigentlich das gesagt, um was vorhin auch der Regierende Bürgermeister von Berlin gebeten hatte: daß man maßvoll die Problematik sehen sollte. Ich glaube, Herr von Weizsäcker, ich habe das nicht mißdeutet, als ich sagte, daß es in der Tat sinnvoll ist, maßvoll an die Dinge heranzugehen, aber dennoch mit Energie und Zähigkeit unser gemeinsames Anliegen zu verfolgen und immer wieder darauf zu dringen, daß es zu Veränderungen und zu Verbesserungen kommt und damit auch zur Sicherung der Lebensbedingungen Berlins und überhaupt der Weiterentwicklung in unserem gemeinsamen Interesse. ({15}) Mäßigung und Besonnenheit in bezug auf das nationale Problem wird neuerdings von verschiedenen Seiten aufs Korn genommen. Wer zur Mäßigung und Besonnenheit auffordert, Herr Kollege Jäger, wird verdächtigt, er lasse es an Eifer und Leidenschaft für die nationale Sache fehlen. Statt dessen wird z. B. „kalte Entschlossenheit" verlangt. Derartiges nennt sich neuerdings gern „neuer Patriotismus". Sieht man genauer hin, stellt man bald fest, daß sich dahinter manch ordinärer alter Nationalismus verbirgt, mal mit Schlagseite nach rechts, mal mit Schlagseite nach links außen. ({16}) Die einen träumen davon, den nationalen Machtstaat wiederherzustellen, und es würde ihnen nichts ausmachen, wenn dabei unsere junge parlamentarische Demokratie den Bach hinunterginge. Andere spielen mit dem Gedanken, den eigenen Ambitionen auf grundlegende Umwälzung den nationalen Treibsand unterzuschnallen, um auf diese Weise an das Ziel ihrer Wünsche befördert zu werden. Beide Richtungen bemühen sich um die große Menge vor allem jugendlicher Idealisten. Ihnen soll eingeredet werden, Europa, ja die Menschheit bedürfe bei Strafe des Weltunterganges der Wiederherstellung des deutschen Nationalstaates. Was aber, wenn Europa diese Einsicht verweigert? Was sollen, was werden diese enttäuschten Idealisten dann tun? Das nach meiner Meinung Wichtigste ist, die geschichtlichen Erfahrungen der letzten 100 Jahre an die jüngeren Generationen unseres Volkes weiterzugeben. Wir dürfen das Lehrstück unserer jüngsten nationalen Vergangenheit nicht verdrängen, sondern müssen es im Gegenteil bewußt und gegenwärtig halten. Anders können wir die Teilung weder seelisch aushalten noch praktisch bewältigen. Manch einer dünkt sich heute ungeheuer objektiv und fortschrittlich, wenn er die Schuld für die deutsche Teilung zu gleichen Teilen auf die beiden Großmächte USA und Sowjetunion ablädt, die Teilung gleichsam mit einer Verschwörung der Supermächte gegen die Deutschen erklärt. Das ist nicht die geschichtliche Wahrheit. Diese Klitterung ist schädlich. Denn sie führt geradewegs in die neutralistische Irre, wohin sie j a will. Die eigentliche Ursache für die Aufteilung Europas und die Teilung Deutschlands war eben doch Hitlers Eroberungskrieg im Osten Europas mit der Folge, daß die siegreiche Sowjetunion Grund und Gelegenheit fand, ihre Sicherheits- und Einflußzonen bis nach Deutschland hinein vorzuschieben. Vor diesem Faktum stehen wir seit 1945. Alles, was folgte und uns bis heute beschwert, läßt sich daraus ableiten. Ein zweites! Als älterer Deutscher, der sein Leben lang Sozialdemokrat war, bestehe ich auf der Unauflöslichkeit des Zusammenhanges von Nation und Demokratie. Aus der geschichtlichen Erfahrung leben bedeutet j a nicht, das Überkommene, auch die überkommenen Irrtümer, einfach fortzusetzen. Bei Katastrophen wie der, die wir erlebt haben, erscheint es eher angebracht, sich von alten Fehlern und Irrtümern entschlossen abzukehren. Solches ist auch bei uns in der Bundesrepublik geschehen. Die Anhörung vor dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen vom Oktober 1981 hat uns darüber einiges mitgeteilt. Wenn etwa der Bundeskanzler vor einigen Jahren hier als gemeinsame Überzeugung festhielt, daß Nationalstaatlichkeit, wenn ohne Freiheit und Demokratie, noch keinen Wert an sich darstellt, dann war das eine solche Lehre aus der Geschichte unserers Nationalstaates, wo leider Nation und Demokratie keine natürlichen Geschwister waren. Das soll, das darf uns nicht mehr passieren. Wir alle, Politiker aller demokratische Parteien, sind aufgefordert, nationalistischen Schwärmereien und Irrlehren entgegenzutreten. Menschen- und Grundrechte sind wichtiger als die bloße Versammlung unter einer einheitlichen Staatsgewalt. Ohne Bindung an die universalen Werte Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung kann die nationale Parole nur in Unglück und Verderben führen. Wir Älteren haben es erlebt. Nur der ist in meinen Augen ein wahrer deutscher Patriot, der gewillt ist, in die Verantwortung für das einzutreten, was in unserem deutschen Namen angerichtet wurde. ({17}) Dieser Verantwortung hat sich diese Bundesregierung, getragen von der Koalition der sozialen und der liberalen Demokraten, von Anfang an gestellt und jederzeit verpflichtet gefühlt. Diese Verantwortung war und ist ein wesentliches Fundament ihrer gemeinsamen Arbeit, und die hat zu Erfolgen und Ergebnissen geführt. - Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lorenz.

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Franke, wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß man Träumern, Nationalisten oder Schwärmern in der jüngeren Generation entgegenhalten muß, daß die deutsche Spaltung zunächst und in erster Linie auf den Hitlerischen Eroberungswahnsinn, die Nazibarbarei und den durch Hitler verlorenen Krieg zurückgeht. Selbstverständlich muß man auch hinzufügen, daß die durch diesen verlorenen Krieg in Europa entstandene Machtkonstellation die Sowjetunion in die Lage versetzt hat, einen Zustand herbeizuführen, der zur Spaltung Deutschlands führt, und daß sie bis heute durch ihre Machtpolitik die Deutschen beharrlich daran hindert, ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben. ({0}) Sicher wird es enttäuschte Idealisten und Menschen geben, die versuchen, die deutsche Vergangenheit zu verdrängen. Aber es ist ja auch außerordentlich schwer, jungen Menschen im Jahre 37 nach Kriegsende zu erklären, warum sich heute jeder Stamm und jedes Volk in der Welt wie selbstverständlich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, die Deutschen aber nach so langer Zeit ihr Selbstbestimmungsrecht nicht wahrnehmen können. Es ist eine Lehre aus der jüngsten deutschen Vergangenheit, daß wenigstens eine Aufgabe für alle Demokraten aus jener Zeit übrigbleibt, sich nämlich mit aller Kraft dagegen zu wenden, daß sich in unserem Land und im deutschen Volk wieder einmal ein menschenverachtendes Regime etablieren kann, das Terror ausübt, das die Menschenrechte nicht respektiert. ({1}) Wir müssen - das ist unsere feste Überzeugung - daher immer wieder darauf hinweisen, daß im anderen Teil Deutschlands, veranlaßt durch sowjetische Bajonette, ein solches Regime heute noch die Herrschaft über das Volk ausübt, ohne daß das Volk die Möglichkeit hat, durch freie Wahlen zu bestimmen, wer es regieren soll. Das ist natürlich auch immer wieder eine Grundlage für unsere Beurteilung des Verhältnisses zur DDR. Herr Bundesminister, Sie haben schon sehr richtig vermutet, daß wir mit Ihnen in der Beurteilung nicht übereinstimmen. Sie sagen, das innerdeutsche Verhältnis sei sogar relativ gut. ({2}) Lassen Sie mich ganz ehrlich sagen: Wir halten es für außerordentlich schlecht. ({3}) Der Herr Bundeskanzler hat neulich irgendwo in einem Interview gesagt, die Beziehungen seien nicht nennenswert. Egon Bahr hat früher sogar einmal gesagt, zwar seien die Beziehungen schlecht, aber besser schlechte Beziehungen als gar keine Beziehungen. Auf jeden Fall finde ich es - das muß ich sagen, Herr Bundesminister - nicht redlich, wenn Sie nun hinsichtlich der heutigen Lage in der DDR auf die Tatsache Bezug nehmen, daß wir vor 37 Jahren den Krieg verloren haben und daß Deutschland gespalten worden ist. ({4}) Inzwischen ist doch nun wirklich einiges geschehen, vor allem einiges geschehen, was Sie sich selbst immer wieder zugute halten und was Sie selbst als eine vernünftige und zukunftsweisende deutsche Politik rühmen. ({5}) Wir haben Ostverträge, wir haben den Grundlagenvertrag mit der DDR, der nach Ihrer politischen Auffassung einen großen Schritt vorwärts bedeuten sollte, in dem vereinbart worden ist, daß gutnachbarliche Beziehungen hergestellt werden sollen und daß es von der Geltung des Vertrages an für die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands immer besser werden sollte. Das ist doch der Sinn dieses Vertrages und übrigens auch der schriftliche Inhalt. Von da aus muß man doch den Zustand des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten in Deutschland heute ehrlicherweise beurteilen, und der ist, von da aus gesehen, eben schlecht, Herr Bundesminister. Denn wir waren zu einem gewissen Teil ja schon viel weiter, als wir heute sind; es hat leider in den letzten Jahren erhebliche Rückschritte gegeben, und das können wir nicht einfach übersehen. ({6}) Ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie die Presse oder überhaupt die Medien da kritisieren, wo sie falsche Meldungen verbreiten. Das ist natürlich nicht zu billigen. Jeder, der so etwas tut, nicht nur die Presse, muß sich vorhalten lassen, daß er damit zur Täuschung der Öffentlichkeit beiträgt und seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Da aber, wo die Medien informieren - was in einem demokratischen Staat mit einer freien Presse schließlich ihre Pflicht ist -, wo sie auch über die Zustände in der DDR, die wir für falsch und schädlich halten, informieren, tun die Medien nur ihre Pflicht. An dieser Pflichterfüllung können wir sie natürlich nicht hindern, und wir dürfen sie daran auch nicht hindern; denn natürlich hat das deutsche Volk das Recht, bei der Beurteilung der Situation im geteilten Deutschland von den wirklichen Verhältnissen auszugehen ({7}) und nicht ein geschöntes Bild als Grundlage der Beurteilung zu bekommen. ({8}) Wir werden - lassen Sie mich das sagen - unsere Beschlüsse, unsere Forderungen, unsere Vorstellungen niemals von einem falschen Bild aus entwickeln, und wir werden schon gar nicht „kalte Entschlossenheit" an die Stelle von warmem Mitgefühl für unsere Landsleute drüben und an die Stelle von einem heißen Herzen für das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands setzen. Nun haben Sie, Herr Bundesminister, aber auch noch gesagt, das Treffen vom Werbellinsee habe sich gelohnt. ({9}) Nun: Vor einem Dreivierteljahr ist der Herr Bundeskanzler voller Optimismus vom Werbellinsee zurückgekommen. Es hieß, diese innerdeutsche Begegnung werde Früchte tragen, man habe die begründete Hoffnung auf greifbare Ergebnisse zugunsten der Menschen. Das erste und einzige greifbare Ergebnis war die einseitige Verlängerung der Swing-Regelung, und im übrigen vertraute man auf den sogenannten Geist vom Werbellinsee. Aber ich finde, dieser Geist hat sich inzwischen immer mehr zu einem Phantom entwickelt; jedenfalls verflüchtigt er sich zusehends. ({10}) Nun fragen wir doch: Wo sind denn eigentlich die entscheidenden Fortschritte, die dem politischen Rang des Treffens angemessen sind? Es gibt keine! Nicht einmal die innerdeutsche Geschäftsgrundlage ist auch nur ansatzweise repariert worden. Leider stehen j a überhaupt Reparaturarbeiten im Vordergrund der Diskussion: Zwangsumtausch, Reiseverkehr, Journalisten-Schikanen; das ist schon schlimm genug. Das zeigt eben, welche Rückschritte wir im Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland hinter uns haben. ({11}) Andere schwerwiegende Belastungen des gegenseitigen Verhältnisses geraten dadurch allzu leicht aus dem Blickfeld. Natürlich ist es die Aufgabe dieses Parlaments - und es ist vor allem die Aufgabe der Opposition -, auf solche Zustände hinzuweisen und immer wieder zu sagen, wo in Deutschland unmenschliche Verhältnisse herrschen. Die unmenschlichen Sperranlagen z. B. mitten in Deutschland finden doch heute nur dann noch kurzfristige Aufmerksamkeit, wenn wieder ein Mensch zu Tode gekommen oder schwer verletzt worden ist. Es ist kein Fortschritt erkennbar, um diese grausame Grenze wenigstens gewaltfrei zu machen. Lassen Sie mich deshalb auch heute wieder sagen: Solange Mauer, Schießbefehl und Tötungsautomaten zwischen uns und der DDR stehen, kann doch wohl von wirklicher guter Nachbarschaft zwischen uns überhaupt keine Rede sein. ({12}) Unternimmt die Bundesregierung eigentlich etwas, um von der DDR ihr Versprechen aus Art. 2 des Grundlagenvertrages einzufordern, was die Wahrung der Menschenrechte betrifft? Diese Anliegen und Probleme dürfen nicht in Vergessenheit geraten, nur weil die SED immer neue Belastungen schafft, mit denen man sich dann beschäftigen muß. Nun gibt es schon fast zwei Jahre den erhöhten Zwangsumtausch. Er hat zu dem beklagenswerten, von der SED allerdings gewollten Ergebnis geführt, daß der innerdeutsche Reiseverkehr in seinem Volumen halbiert wurde. Darüber hinaus wird der Reiseverkehr immer noch durch mancherlei Schikanen wie durch eine systematische Zurückweisungspraxis belastet, die inzwischen Dauerereignis geworden ist. Ich habe j a Verständnis dafür, daß Verhandlungen mit der DDR ein mühseliges Geschäft sind und daß die Opposition in der Demokratie eine andere Rolle hat als die Regierung, die verhandeln muß, daß wir manches deutlicher aussprechen können als ein Mitglied der Regierung. Trotzdem muß ich hier sagen: Geben Sie nicht dem Versuch nach, kleine, marginale Erfolge überzubewerten, um damit die wirklichen Rückschritte nicht deutlich werden zu lassen! ({13}) Wer hat denn am meisten von einer solchen Art der Politik? Doch dieses Regime der SED da drüben in der DDR, das dann offenbar nicht mehr so gedrängt wird, die Verhältnisse so zu verändern, wie es erforderlich wäre. ({14}) All diese Maßnahmen richten sich - und das leider mit Erfolg - gegen menschliche Kontakte im geteilten Deutschland. Das Verhalten der SED-Führung - das müssen wir immer wieder sagen - verstößt nicht nur gegen die einschlägigen Prinzipien und Zusagen der KSZE-Schlußakte, sondern auch gegen die innerdeutschen Verträge und Vereinbarungen. Vor allem ist die zentrale Zielsetzung dieser Vertragspolitik, die Förderung menschlicher Begegnungen im Kernbereich bedroht. Gegenüber diesen bedrohlichen Rückschritten nehmen sich eben die marginalen Zugeständnisse bescheiden aus. Natürlich sind sie für sich genommen nützlich und zu begrüßen. Aber sie können diese Rückschritte eben in keiner Weise ausgleichen, und schon gar nicht sind sie geeignet, die negative Bilanz in eine erfolgreiche Regierungspolitik umzumünzen. Wir sind der Auffassung, daß diese sparsamen Gesten der DDR-Führung vor allem nicht den schweren Mißerfolg verdecken können, den die Bundesregierung in der zentralen Frage des Zwangsumtausches erlitten hat. Diesen Mißerfolg - Herr Bundesminister, lassen Sie mich das offen sagen - hat sich die Bundesregierung selber zuzuschreiben. Denn sie hat den unentschuldbaren Fehler begangen, das von ihr selbst hergestellte faktische Junktim zwischen einer Swing-Regelung und der Rücknahme der Zwangsumtauscherhöhung leichtfertig aufzugeben. ({15}) Herr Honecker hat dadurch bekommen, woran er zur Zeit am meisten interessiert ist, nämlich die praktisch unveränderte Fortsetzung des Swing, sogar gleich für drei Jahre, ohne dafür substantielle Zugeständnisse machen zu müssen. Das Zurückweichen der Bundesregierung hat der SED-Führung damit einen kosten- und folgenlosen Abgrenzungssieg beschert; denn jetzt hat die SED einen Status quo minus in den innerdeutschen Beziehungen erreicht, nämlich einen halbierten Besucherverkehr bei unverminderten Einnahmen. Insofern hat das Experiment vom Werbellinsee zunächst überhaupt keinen Erfolg gehabt. ({16}) Meine Damen und Herren, alle Verantwortlichen sind aufgerufen, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um diese festgefahrene Politik wieder flottzumachen. Ich glaube nicht ernsthaft, daß Sie nicht mit uns der Auffassung sind, daß die innerdeutschen Beziehungen besorgniserregend und zu verbessern sind. Auch der Wunsch, sie wieder im Sinne einer Senkung des Zwangsumtausches zu verbessern, wird wohl von uns allen geteilt. Nach unserer Auffassung besteht auch Einigkeit über eine wesentliche inhaltliche Zielsetzung der Deutschlandpolitik. Auf einen kurzen Nenner gebracht lautet sie: die nationale Einheit wahren, die Folgen der Teilung - solange sie andauert - für die Menschen in Deutschland erträglicher machen und damit zugleich einen Beitrag zum Abbau der Spannungen leisten. Daß es gleichwohl Meinungsunterschiede zwischen Regierung und Opposition in Sachen Deutschlandpolitik gibt, ist natürlich wohlbekannt. Aber dabei geht es heute weniger um inhaltliche Differenzen als um methodische Fragen, z. B. um die richtige Einschätzung der DDR-Führung, um die richtige Verhandlungstaktik, um die Vertragsgestaltung, um Prioritäten. Von der zutreffenden Antwort auf diese methodischen Fragen hängt in der Tat viel ab. Aber ich meine doch, daß man auch hier zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen kann, wenn man den Willen dazu hat. Wir haben doch alle höchst gemischte Erfahrungen mit einem Jahrzehnt innerdeutscher Vertragspolitik, und wer heute so tut, als könnte man mit den Vorstellungen von 1972 1982 innerdeutsche Politik betreiben, der macht sich doch wohl selber etwas vor. Mit unserer Großen Anfrage zu einer umfassenden Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik vom Mai des vergangenen Jahres haben wir die Initiative ergriffen, um zu einem möglichst breiten Konsens in der Deutschlandpolitik zu gelangen. Zugleich haben wir der Bundesregierung damals unsere volle Unterstützung im Rahmen gemeinschaftlichen Handelns angeboten. Ebenso haben wir im Oktober 1981 gesagt, daß wir den Willen zu mehr Gemeinsamkeit haben. Ich habe in meiner damaligen Rede zahlreiche Felder der Deutschlandpolitik angesprochen, die für ein abgestimmtes Handeln von Regierung und Opposition in Betracht kommen, und habe ganz konkret zehn Bereiche genannt. Wir haben die Bundesregierung darüber hinaus aufgefordert, auch jene Möglichkeiten zu nutzen, die in der Rollenverteilung von Regierung und Opposition liegen, und dabei zugesagt, daß wir den uns möglichen Beitrag leisten. Ich muß leider feststellen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung es bisher vorgezogen hat, unsere ausgestreckte Hand zu ignorieren. Welche Motive die dafür Verantwortlichen auch haben mögen: Wir können das nur bedauern. Jedenfalls sind die Ergebnisse Ihrer Politik weit hinter den von Ihnen selbst verkündeten Erwartungen zurückgeblieben. Für die Zukunft muß gelten: Vorleistungen, Nachgiebigkeit am falschen Platz und Vertrauensseligkeit sind die falschen Rezepte im Umgang mit der DDR. ({17}) Die Realitäten besagen, daß die DDR zur Zeit an gutnachbarlicher Kooperation zum Wohle der Menschen nicht interessiert ist - sofern sie es je wirklich war -, sondern daß sie eindeutig ihrer Abgrenzungsstrategie unter Mißachtung humanitärer Anliegen den Vorrang gibt. Damit verläßt sie bewußt die Geschäftsgrundlage des Grundlagenvertrages. In dieser Situation hat es keinen Sinn, eine heile Entspannungswelt zu beschwören.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Lorenz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Bitte schön, Herr Abgeordneter Löffler, Sie haben das Wort.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lorenz, unterstellt, Ihre Behauptung, die DDR-Führung sei nicht an mitmenschlichen Beziehungen und an Entspannung interessiert, ist richtig: Würden Sie dann für uns die Konsequenz ziehen, daß wir nun alle Bemühungen im Hinblick auf Entspannung und auf die Schaffung mitmenschlicher Beziehungen einstellen sollten, wenn Sie Ihr Rezept von Leistung und Vorleistungen buchhalterisch genau durchführen wollen?

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Kollege Löffler, Entspannung ist leider aber auch keine einseitige Angelegenheit. ({0}) Entspannung kann es doch nur geben, wenn beide Seiten daran mitwirken. Wenn sich eine Seite entspannungswidrig verhält, dann nützt der beste Wille der einen Seite nichts, dann gibt es eben praktisch keine Entspannung. ({1}) - Ich meine, im Verhältnis von zwei Staaten oder Verhandlungspartnern wird doch immer ein Interessenausgleich gefordert sein, wenn man überhaupt zu vernünftigen Vereinbarungen kommen will. Wir sind eben der Meinung, daß unser Interesse an menschlichen Kontakten und menschlichen Erleichterungen in die Verhandlungen mit der DDR nicht genügend eingebracht worden ist. Ich sage: Die SED hat zur Zeit kein Interesse an menschlichen Erleichterungen. Wir müssen ihr aber sagen, daß sie, wenn sie ihre Interessen von uns berücksichtigt sehen möchte - soweit wir dazu in der Lage sind -, dann auch unsere Interessen - nämlich an menschlichen Kontakten und an menschlichen Erleichterungen - befriedigen muß. Notwendig ist also eine Politik, die der anderen Seite deutlich macht, daß ein entspannungsfeindliches Verhalten unangenehme Konsequenzen für sie hat und daß ein entspannungskonformes Verhalten für sie Vorteile mit sich bringt. Um eine solche Politik erfolgreich durchführen zu können, muß man eben ein Instrumentarium von Einwirkungsmöglichkeiten bereitstellen, die geeignet sind, die eigene politische Argumentation wirksam zu unterstützen. Diese Einwirkungsmöglichkeiten gibt es sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Bereich. Ich habe mich in einer Rede vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland dazu ausführlich erklärt. Ich kann und will das jetzt nicht alles wiederholen, sondern möchte nur auf einige Schlußfolgerungen hinweisen. Erstens. Es ist notwendig, der SED deutlich zu machen, daß unsere Politik sehr wohl Aternativen kennt, wenn die gemeinsame Geschäftsgrundlage verlassen und der Versuch unternommen wird, den Status quo unter Beibehaltung aller Vorteile auf einen Status quo minus zurückzuwerfen. ({2}) Zweitens. Der SED muß praktisch vor Augen geführt werden, daß sie Nachteile hinnehmen muß, wenn sie Spannungen und Belastungen produziert, und daß es für sie von Vorteil ist, wenn sie die Spannungsursachen abbaut und sich kooperationsbereit zeigt. ({3}) Drittens ist es erforderlich, ohne Vorbehalte zu prüfen, welche Einwirkungsmöglichkeiten als politische Steuerungsinstrumente verfügbar sind, um die SED zu einem entspannungskonformen Verhalten zu veranlassen. Dabei kann es nicht nur um die Gewährung von Vorteilen gehen - auch das ist natürlich möglich -, sondern es muß auch der Entzug von Vorteilen ernsthaft geprüft werden. ({4}) Ich bin überzeugt, daß uns die hier genannten Prinzipien, wenn sie beachtet werden, eine größere politische Handlungsfähigkeit und -freiheit gegenüber der DDR ermöglichen. Fortschritte in unserem Verhältnis werden wir der SED nicht abschmeicheln, sondern man muß sie mit Festigkeit und durch konsequente Nutzung der Einwirkungsmöglichkeiten herbeiführen. Ich habe vorhin für meine Fraktion bedauert, daß die Bundesregierung unser Angebot auf Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik nicht aufgegriffen hat, obwohl es für die deutsche Sache nur von Nutzen sein könnte. Um so erfreulicher wirkt daher ein Beitrag vom August dieses Jahres, den Bundesaußenminister Genscher in seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender der FDP unter der Überschrift „Deutschdeutsche Beziehungen als europäische Friedenspolitik" veröffentlicht hat.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lorenz, da wir beide das auf diese Weise jetzt nicht ausdiskutieren können, möchte ich Sie fragen: Wären Sie bereit, mit dem Protokoll Ihrer Rede bewaffnet, mit mir in die DDR zu fahren und dort Gespräche mit Menschen zu führen, die einer sehr wichtigen gesellschaftlichen Gruppe in der DDR angehören und die, so könnte ich mir vorstellen, eine ganz andere Auffassung als Sie haben? Wir beide können ja so einen Ausflug einmal machen.

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Löffler, ich bin dazu bereit. ({0}) Allerdings habe ich etwas anderes gemeint, nämlich die Art, wie die Bundesregierung offiziell mit der DDR verhandeln sollte. ({1}) Aber ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir das schon gemacht haben. ({2}) Die Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik der CDU/ CSU-Fraktion beispielsweise hat mit führenden Funktionären der Staatspartei drüben, z. B. mit Angehörigen des Rates des Bezirks Dresden, solche Gespräche geführt. ({3}) Ich bin gerne bereit, das zu tun. Wir haben da keinerlei Berührungsangst. Das könnte aber allenfalls ein flankierender Beitrag zu dem sein, was die Bundesregierung nach meiner Meinung tun müßte. Ich darf auf den Beitrag des Bundesaußenministers Genscher zurückkommen. Es handelt sich dabei um die Fortführung eines ähnlichen Artikels, den er bereits im August des vergangenen Jahres publiziert hat. Schon die damaligen Ausführungen entsprachen weitgehend unserer Auffassung. Beide Papiere können gut und gerne als Beitrag zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik dienen. - Ich darf einmal fragen, Herr Präsident, ob dieses Zeichen bedeutet, daß meine Redezeit zu Ende ist.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Das bedeutet, Herr Kollege, daß die für Sie gemeldete Redezeit abgelaufen ist und daß ich Sie bitten muß, zum Schluß zu kommen.

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedauere das außerordentlich. Mir ist nicht mitgeteilt worden, daß hier überhaupt eine Redezeitbeschränkung besteht. Der Herr Präsident hat das vor Eintritt in die Debatte auch nicht gesagt. Gestatten Sie mir, Herr Präsident, daß ich noch einen Gesichtspunkt vortrage?

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Kollege Lorenz, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen. Die Fraktion der CDU/CSU, der Sie angehören, teilt mir mit, daß Ihre Redezeit von seiten der Fraktion um fünf Minuten verlängert wird. ({0})

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Kollege Löffler, das finde ich auch. Sie sehen, wie großzügig unsere Fraktion ist. Gestatten Sie mir wenigstens noch ein Wort zu dem Antrag, den die Fraktion der CDU/CSU eingebracht hat und den wir Ihrer Annahme empfehlen. Berlin braucht, um seine Schwungkraft, seine Ausstrahlung und seine Identität zu behalten, die Freiheit zu dynamischer Weiterentwicklung, und zwar in engem Verbund mit dem Westen. Die Auffassung, das Viermächteabkommen habe Berlin dazu verurteilt, in einem gegebenen Zustand zu verharren, ist ein fatales Mißverständnis. Ein nicht weniger großes Mißverständnis ist die verbreitete Auffassung, das Viermächteabkommen habe Berlin zu einer ganz normalen Stadt gemacht, die keine besondere politische Aufmerksamkeit mehr brauche. Denn die Insellage Berlins, der Standortnachteil und die psychologische Situation der Stadt haben sich ja durch das Abkommen keineswegs verändert. Veränderungen zeigen sich demgegenüber beim früher selbstverständlichen Engagement für Berlin. Es hat hier und dort leider deutlich nachgelassen. Darf ich am Rand bemerken: Das gilt leider auch für ausländische Staatsbesucher ({0}) und reicht bis zum Verzicht auf einen Besuch im Westteil der Stadt. Wir können das nur bedauern. ({1}) Bezeichnend hierfür sind die Diskussionen über angeblich oder wirklich geplante Sparaktionen der Bundesregierung bei der Berlin-Hilfe und den Flugpreissubventionen. In letzter Zeit häufen sich die Anzeichen für mangelndes politisches Verständnis für die besondere Lage Berlins. Sie sind ein Warnsignal, den politischen Stellenwert Berlins nicht verfallen zu lassen. ({2}) Das Berlin-Problem kann mit dem Viermächteabkommen nicht zu den Akten gelegt sein. Berlin bleibt weiterhin eine nationale Aufgabe und braucht auch künftig die Solidarität und das Engagement aller Verantwortlichen. ({3})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren über den Bericht zur Lage der Nation, Herr Kollege Lorenz. Diese Nation ist ja wohl nicht nur ein geographischer Begriff. Von ihm aus fragen wir nicht nur nach Deutschlandpolitik, sondern wir fragen nach den Menschen, die dieser Nation angehören. Von daher, Herr Kollege Lorenz, habe ich eine Ihrer Fragen nicht verstanden, nämlich die Frage, wem diese Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition eigentlich dient. Sie haben selbst die Antwort gegeben und gesagt: Diesem Regime drüben. Ich sage Ihnen etwas völlig anderes. Diese Politik dient den Menschen im anderen Teil Deutschlands. ({0}) Haben wir - dies frage ich nicht nur den Kollegen Lorenz, sondern uns alle - eigentlich schon einmal einen kommunistischen Staat als Beispiel erlebt, der im Fall wirtschaftlicher Schwierigkeiten sein Regime und die Art und Weise, in der er die Menschen, die in diesem Staat leben, beherrscht, geändert oder gelockert hat? Nein. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in einem kommunistischen Staat haben immer nur dazu geführt, daß sich die alltägliche Lebenssituation der Menschen verschlechtert hat. ({1}) Das ist es, was die Beantwortung dieser Frage „Wem dienen wir denn eigentlich?" und die gesamte Deutschlandpolitik so außerordentlich diffizil macht. Ich erwähne dies am Anfang meiner Ausführungen, Herr Kollege Lorenz, weil ich meine, daß wir hier an einem ganz wichtigen Punkt sind. Einheit der Nation ist eine Frage, die uns immer wieder umtreibt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat zu Recht von den geschichtlichen Grundlagen dieser Einheit gesprochen. Ich habe das mit großer Aufmerksamkeit gehört, Herr von Weizsäkker, weil ich genau wie Sie bemerkt habe, daß die Geschichtswissenschaft der DDR einen erheblichen Umschwung vollzogen hat und daß im Gegensatz zu den ersten Ansätzen auf einmal die gesamte deutsche Geschichte einbezogen wird. Aber vielleicht haben wir uns auf den gleichen Aufsatz des DDR-Historikers Professor Schmidt bezogen, in dem dieser zwar von der Gesamteinbeziehung der deutschen Geschichte, lückenlos, spricht, aber gleichzeitig an einer anderen Stelle die historische Wissenschaft als „Geschichtspropaganda" - so wörtlich - bezeichnet. Das heißt, auch diese Form der Behandlung der Geschichte durch die DDR wird in den Dienst des politischen Regimes, seiner Erhaltung und - nach Möglichkeit - seiner Verankerung in der Bevölkerung der DDR gestellt. Ich bin völlig davon überzeugt, daß es schwer ist, einem jungen Menschen heute klarzumachen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der DDR noch nicht verwirklicht ist. Aber ich glaube, daß es noch eine ganz andere Schwierigkeit gibt, Herr von Weizsäcker, nämlich die offene deutsche Frage auch für jene Generation offenzuhalten, die jetzt in die Verantwortung hineinwächst und die noch nie einen einheitlichen deutschen Staat aus eigener Erfahrung kennengelernt hat. Hier geht es natürlich einmal um die geschichtlichen Grundlagen, die dieser Generation vermittelt werden müssen. Der Innerdeutsche Ausschuß - ich brauche das seinen Mitgliedern nicht zu sagen - hat sich um diese Fragen intensiv gekümmert und bemüht sich um eine Zusammenarbeit auch mit der Kultusministerkonferenz, so schwierig das von der anderen Seite, also von der KMK her, aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gründen auch sein mag. Der Erlaß der Kultusministerkonferenz zur Behandlung der deutschen Frage im Unterricht hat leider noch nicht den Erfolg gehabt, den wir alle ihm gewünscht hätten. Aber die DDR versucht, durch die Inanspruchnahme bestimmter Ereignisse und Personen der deutschen Geschichte sozusagen ein Staatsbewußtsein der DDR zu konstruieren. Ich halte einen solchen Versuch für von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil ich davon ausgehe - um es an dem Beispiel, Herr von Weizsäcker, darzulegen, das auch Sie genannt haben, dem Beispiel Luther -, daß an einem solchen Beispiel deutlich wird, daß jede Erwähnung eines geschichtlichen Zusammenhangs in Deutschland, jede Erwähnung einer geschichtlich bedeutenden Person nie eine Begründung für die Teilung unseres Vaterlandes sein kann, sondern immer nur für seinen Zusammenhalt. Luther ist dafür - und Sie haben es selbst gesagt - ein deutliches Beispiel; denn von ihm gehen Wirkungen aus, die heute noch auf beiden Seiten der Grenze erkennbar sind. Dies deutlich zu machen und auch der jungen Generation zu vermitteln, daß hier Gemeinsamkeiten vorhanden sind, die wir nicht leichtfertig über Bord werfen dürfen, ist außerordentlich wichtig. Aber auch eine solche Gemeinsamkeit verliert ihre Bedeutung, wenn es uns nicht gelingt - und jetzt wende ich mich wieder an Sie, Herr Kollege Lorenz -, auch von unserer Seite Gemeinsamkeit zu erreichen, wenn es uns nicht gelingt, in den Menschen, die diese eine deutsche Nation bilden, den Willen zur Zusammengehörigkeit aufrechtzuerhalten. Was wir dazu tun können, meine Damen und Herren, ist, daß wir uns um die tägliche Lebenssituation dieser Menschen bemühen, ({2}) daß wir uns darum bemühen, menschliche Kontakte über die Grenze hinweg, durch die Grenze hindurch möglich zu machen und in einer möglichst großen Zahl stattfinden zu lassen. Hier haben wir eine Aufgabe, die außerordentlich schwer zu erfüllen ist. Ich sage es noch einmal. Denn es ist nicht leicht, abzuwägen zwischen dem, was wir etwa zur Unterstützung des Staates DDR und seines Regimes tun würden, und dem, was wir tun, um die Menschen in ihrer Lebenssituation, in ihrem eigenen Umkreis mit unseren Äußerungen, aber auch mit unserer praktischen Hilfe zu erreichen. Dies voneinander abzugrenzen ist viel schwieriger, als es in so einfachen Formulierungen erscheinen mag, die dann etwa so lauten: Wir müssen entsprechend reagieren; wir müssen mit allen Mitteln - „mit allen Mitteln", so habe ich es kürzlich wieder gehört - durchsetzen, daß Leistung und Gegenleistung ausgeglichen sind. Ich frage Sie aber wirklich, meine Damen und Herren von der Opposition: Die Interessen dieser beiden deutschen Staaten sind im Kern - jedenfalls, wenn wir die Regierung der DDR im Auge haben - gegenläufig. Wir wollen eine Überwindung der gegenwärtig vorhandenen Grenze, von der Sie mit Recht gesagt haben - ich darf Sie frei zitieren -, sie sei perfekt und unmenschlich. Wir wollen, daß diese Grenze durchlässig, daß sie bedeutungslos wird; die DDR - die Regierung jedenfalls - will diese Grenze aufrechterhalten. Sie will sie in alle Zukunft hinein bestehen lassen. Und doch ist diese Grenze in der Art, wie sie von der DDR hier ausgestaltet ist, ein Ausdruck des Scheiterns, der Unfähigkeit eines solchen Regimes, seine demokratische Basis in der eigenen Bevölkerung zu finden. Die Interessen der DDR laufen also in eine ganz andere Richtung. Dies verlangt von uns mehr Initiative; dies verlangt von uns mehr Phantasie; weil wir ändern wollen, weil wir etwas erreichen wollen, während die DDR-Regierung nichts anderes im Auge hat, als den gegenwärtigen Zustand zu versteinern und zu verlängern in alle Zukunft hinein. Kommen Sie mir bitte in diesem Zusammenhang nicht mit der Formulierung „Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung". ({3}) Seien wir uns doch bitte darüber im klaren, daß es hier keine Möglichkeit gibt, Mark gegen Mark oder was auch immer gegeneinander aufzurechnen. ({4}) Vielmehr geht es um die Tatsache, daß eben für uns jeder der Menschen, die drüben leben, ein individuelles Schicksal darstellt und keine Verrechnungseinheit gegen irgendwelche wirtschaftlichen oder sonstigen Leistungen oder Gegenleistungen. ({5}) Dies ist das, was mich bewegt, wenn ich diese Forderungen höre, die ja auch etwa der Vorsitzende der Opposition kürzlich in einer Stellungnahme zum Jahrestag des Mauerbaus geäußert hat. Er hat die Themen genannt, von denen er glaubt, daß über sie vordringlich verhandelt werden müßte. Ich könnte diese Themen hier aufzählen. Dies sind genau die Themen, über die diese Bundesregierung seit Jah6820 ren verhandelt. Ich könnte Ihnen sagen, daß es noch eine ganze Reihe von Themen mehr gibt, über die verhandelt wird.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lorenz?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte sehr, wenn ich eben den Gedanken beenden darf.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ja, selbstverständlich.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dies, glaube ich, ist genau das, was uns bewegen sollte. Wir haben j a im Grunde genommen die Gemeinsamkeit, von der auch Sie gesprochen haben, Herr Lorenz. Nur werden wir uns allerdings noch über Wege und Methoden unterhalten müssen.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Lorenz, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Dr. h. c. Peter Lorenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronneburger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Politik der CDU Gegenleistungen von der DDR letztlich doch nur haben will, um eben für die Menschen im geteilten Deutschland etwas zu erreichen? ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Kollege Lorenz, würden Sie die Antwort bitte am Saalmikrophon entgegennehmen.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Lorenz, natürlich. Nur: Sie haben vorhin gesagt - und dies hat mich sehr beeindruckt -, daß durch das Verhalten der Bundesregierung, das Sie kritisiert haben - angebliche Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung -, die DDR eben nicht mehr in gleicher Weise wie offenbar vor der sozialliberalen Koalition gezwungen sei, in ihren eigenen Maßnahmen solches Entgegenkommen oder solche Bereitschaft zur Gemeinsamkeit von seiten der Bundesrepublik zu erreichen. - Entschuldigen Sie, ich bin jetzt über die Beantwortung Ihrer Frage, Herr Kollege, eigentlich schon hinhaus. Es tut mir leid, daß Sie so lange stehend zuhören. ({0}) Aber die Frage ist doch wohl: Wie hat es denn bis 1969 ausgesehen? Sollen wir jetzt auf Grund der unveränderten und offenbar unveränderbaren Argumente der Opposition noch einmal Zahlen miteinander vergleichen? Eine ganz nüchterne und sehr grob gefaßte Zahl soll dann hier von mir doch gesagt werden: Die Zahl der Besuche aus der Bundesrepublik in die DDR hinein hat sich gegenüber 1969 - auch nach der Erhöhung des Zwangsumtausches - mehr als verdoppelt. Dies sind Zahlen, die wir vielleicht auch einmal im Auge haben sollten. Ich könnte sie durch eine ganze Reihe anderer Zahlen noch ergänzen. Das, was mich an dieser Stelle auch noch bewegt und was in den ganzen Komplex mit hineingehört, ist die Frage, an der wir j a nun wirklich Gemeinsamkeit haben, nämlich der Auftrag des Grundgesetzes, der j a, wie auch der Kollege Hupka in einem Interview für die „Sudetendeutsche Zeitung" am 13. August festgestellt hat, nicht lautet: Wiedervereinigung, der nicht lautet: Wiederherstellung des Deutschen Reiches - in welchen Grenzen auch immer -, sondern der nach der großen Weisheit der Väter des Grundgesetzes schlicht und einfach lautet: die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Dies halte ich für eine ganz wichtige Formulierung, weil dieser Auftrag des Grundgesetzes uns einen sehr viel größeren Spielraum für die Form läßt, in der dieses Ziel eines Tages erreicht werden kann. Der Kollege Hupka teilt nach diesem Artikel mit mir die Sorge, ob es gelingen wird, der nächsten Generation diesen unerledigten Auftrag so weiterzugeben, daß er auch von ihr noch als lebendiger Auftrag empfunden und von ihr angenommen wird. Herr Hupka nennt drei Voraussetzungen, drei Begriffe, die er dafür für entscheidend hält: die Freiheit, das Selbstbestimmungsrecht und Europa. Ich bin bereit, allen drei Positionen zuzustimmen. Aber nach meinen Erfahrungen in den Diskussionen mit der jungen Generation, meine Damen und Herren, gibt es noch einen weiteren Begriff, der hier hinein muß. Ich werde die junge Generation nicht dafür begeistern können, ein deutsches Reich wiederherzustellen, das irgendwann bestanden hat, nur mit der Begründung, es müsse wiederhergestellt werden, weil es dies einmal gegeben habe. Das aber, wofür ich die junge Generation, glaube ich, gewinnen könnte, wäre der Begriff der Verantwortung. Der Bundeskanzler hat heute auch von der Verantwortungsgemeinschaft gesprochen. Der Bundesaußenminister hat mit Recht von der Verantwortung der Deutschen für den Frieden gesprochen. Ich habe mit großer Zustimmung den Außenminister gehört, als er gesagt hat, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen: weder ein heißer noch ein kalter Krieg. ({1})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, der Kollege Jäger ({0}) wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sie Sie damit einverstanden?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich bin damit einverstanden.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Jäger zu einer Zwischenfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronneburger, halten Sie es denn für einen guten Beitrag, um der jungen Generation die Bedeutung der deutschen Einheit nahezubringen, wenn die Bundesregierung zwar sehr häufig vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser spricht, aber vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes heute auch Jäger ({0}) beim zuständigen Bundesminister nicht einmal mit einem einzigen Satz die Rede gewesen ist? ({1})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vom Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, Herr Kollege Jäger, spricht die Bundesregierung im In- und Ausland. Verfolgen Sie die Reden vor der UNO-Vollversammlung! Verfolgen Sie, was von den Vertretern dieser Bundesregierung in internationalen Verhandlungen gesagt wird! Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ist eine der Grundforderungen. Ich komme damit auf das zurück, was ich soeben anzuschneiden versucht habe: den Begriff der Verantwortung. Ich meine hier nicht nur die Verantwortung für den Frieden, nicht nur die gemeinsamen Bemühungen - jeder in seinem Bündnis -, sich für den Frieden einzusetzen, sondern ich meine auch die Verantwortung, die wir im freien Teil Deutschlands dafür empfinden sollten, daß die Freiheitsrechte, die bürgerlichen, politischen und sozialen Rechte, die wir auf unserer Seite mit so großer Selbstverständlichkeit und Gewöhnung in Anspruch nehmen, eines Tages auch den Deutschen zugute kommen, die heute auf der anderen Seite der Grenze unter ganz anderen Verhältnissen leben. ({0}) Ich meine, daß das eine Forderung ist, von der man sagen kann, die junge Generation könnte sich ihrer annehmen. Sie könnte das als eine Forderung an sich selbst empfinden und von daher auch bereit sein, das in Zukunft weiter zu tun, was wir den jungen Menschen vermutlich unerledigt übergeben werden.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauer zu?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte sehr.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Bitte, Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronneburger, finden Sie es glaubwürdig für die junge Generation, wenn zu Beginn dieser neuen Ostpolitik z. B. die Israelis aufgefordert worden sind, besetzte Gebiete zurückzugeben, diese Forderung aber in Moskau und Warschau nicht erhoben worden ist? ({0})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich weiß wirklich nicht, Herr Kollege Sauer, woher Sie die Berechtigung nehmen, diese beiden Vorgänge miteinander zu vergleichen. ({0}) - Nein, nein! Ich könnte mir vorstellen, daß es manche Leute gibt, die große innere Hemmungen haben, eine solche Forderung unsererseits an die Adresse der Israelis zu richten. Dafür gibt es geschichtliche Gründe, die allerdings meine Generation mehr betreffen als die Ihrige. Das gebe ich zu. Aber ich glaube, daß wir uns eigentlich darüber einig sein sollten bei dem Versuch, Realitäten, die wir heute haben, zu ändern, zunächst einmal von diesen Realitäten auszugehen. Ich erkenne diese Realitäten nicht an, weil ich sie für unveränderlich halte. Ich gehöre zu den Illusionisten - so wird der eine oder andere mich vielleicht bezeichnen -, die davon ausgehen, daß die Überwindung der Teilung, die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands kommen wird. Ich bin nicht bereit, dies in alle undenkbare Zukunft zu verschieben; denn dann könnte ich daraus keinen Handlungsauftrag für heute mehr ableiten. ({1}) Gestatten Sie mir bitte noch den einen Satz: Ich glaube, dieses Suchen nach einer gemeinsamen Verantwortung der Deutschen auf beiden Seiten der Grenze und das Suchen nach gemeinsamen deutschen Interessen, die auf beiden Seiten der Grenze wirksam und gültig sind, wird die eigentliche Grundlage dafür sein, eines Tages jenes Ziel zu erreichen, das uns das Grundgesetz aufgibt. Wir können hier keine Politik betreiben, bei der die Bilanzen mit nüchternen Zahlen auf der einen und auf der anderen Seite einander gegenübergestellt werden, sondern es geht um menschliche Schicksale und um den Inhalt dessen, was uns nicht nur das Grundgesetz aufträgt, sondern was, wie ich hoffe, unser aller gemeinsame Überzeugung und gemeinsames Ziel ist. ({2})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als langjähriges Betriebsratsmitglied würde ich in dieser Debatte eigentlich gern berichten wollen aus Betrieben, von der IG Metall, vom Reichsbund, vom VdK, von der Arbeiterwohlfahrt, aber auch von mittelständischen Betrieben. Die Erfahrung, die wir dort in den letzten Tagen der Sommerpause gemacht haben, lautet: Diese SPD/FDP-Politik gibt niemandem mehr Mut für die Zukunft, weder der Arbeitnehmerschaft noch der Wirtschaft. ({0}) Meine Fraktion hat mich jedoch gebeten, ein anderes Problem anzusprechen, das von der Bundesregierung leider seit Jahren heruntergespielt und in großer Interessenlosigkeit beiseite geschoben wird. Der heute zu behandelnde Bericht der Bundesregierung ist vom Parlament einmal als „Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland" eingeführt worden. Der damalige Außenminister Walter Scheel hat am 9. Februar 1972 vor dem Bundesrat, als er dort um die Zustimmung zu den Ost-Verträgen warb, u. a. festgestellt: Erstens. Wir haben mit großer Sorgfalt und mit Nachdruck klargestellt, daß hier nicht auf deutsche Gebiete verzichtet worden ist. - Hören Sie gut zu, Herr Kollege Ronneburger! Sauer ({1}) Zweitens. Wer von „Verzichtsverträgen" spricht, hat den Kern der Verträge nicht erkannt. Drittens. Wir haben keine völkerrechtliche Anerkennung der bestehenden Grenzen ausgesprochen. Viertens. Die Politik der deutschen Einheit kann nicht als aggressive Politik gekennzeichnet werden. Fünftens. Den in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden Deutschen wird auf Grund der Verträge keinesfalls die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Sechstens. Die Bundesregierung erfüllt ihre Fürsorgepflicht gegenüber diesen Deutschen. Wir haben heute zwar einiges zum deutsch-deutschen Verhältnis gehört, Herr Kollege Ronneburger; wo aber war die Stimme des Bundeskanzlers zur kulturellen, menschlichen und nationalen Lage der Deutschen in diesen Oder-Neiße-Gebieten? ({2}) Die Bundesregierung wird uns dazu detailliert antworten müssen, denn die CDU/CSU hat zwei Große Anfragen eingereicht, und die Antwort darauf steht noch aus. ({3}) Aber ich muß Ihnen trotzdem ganz ehrlich sagen: Wenn in dem Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland nicht das ganze Deutschland und alle Deutschen zum Inhalt gemacht werden - verdient dann diese Politik wirklich den Namen „Deutschlandpolitik"?

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Sauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, gern.

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie beklagen, daß sich der Bundeskanzler nicht zur Lage der Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten geäußert habe: Haben Sie in der Regierungserklärung von heute eigentlich überhört, daß der Bundeskanzler sehr eindrucksvolle Zahlen derjenigen Deutschen genannt hat, die die Möglichkeit zur Ausreise aus diesen Gebieten erhalten haben? Das war in den letzten drei Jahren das Dreifache von dem, was in den sechs Jahren vorher an Möglichkeiten bestand. Ich weiß nicht, ob Sie darin nicht auch ein Sich-Sorgen um diese Menschen sehen.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronneburger, ich halte das, was der Bundeskanzler von dieser Stelle aus gesagt hat, für gefährlich; denn er hat die Zahl der Aussiedler pauschaliert, indem er sagte, in den letzten sechs Jahren seien 225 000 Aussiedler herausgekommen. Ich könnte darauf antworten: In den Jahren 1957 und 1958, zur Regierungszeit von Konrad Adenauer, sind viel mehr als in den angesprochenen sechs Jahren herausgekommen, und zwar gegen Getreidelieferungen, ohne Verträge. Und, Herr Ronneburger, unter den Bundeskanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger sind von 1957 bis 1969 rund 360 000 Deutsche ausgesiedelt worden, aber ohne daß wir eine Oder-Neiße-Linie, wie sie Polen wollte, anerkannt hätten, ohne daß wir auf deutsche Rechtssubstanz verzichtet hätten, ohne daß wir auf eine klare Sprache gegenüber Warschau verzichtet hätten. ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Herr Abgeordneter Sauer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Abgeordneter Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will nicht nur darauf hinweisen, daß Sie eben einen Zeitraum von elf Jahren mit einem Zeitraum von sechs Jahren verglichen haben, sondern ich möchte Sie doch fragen, Herr Kollege Sauer, ob Sie die Behauptung aufrechterhalten, die Bundesregierung oder die sozialliberale Koalition habe auf Rechtssubstanz verzichtet.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronneburger, ich habe von dieser Stelle aus am 8. Oktober des vergangenen Jahres der Bundesregierung ausdrücklich dafür gedankt - Sie waren hier anwesend -, daß sie in der Antwort auf unsere umfassende Frage ein klares Deutschlandbild dargelegt hat, nämlich: bis zu einem Friedensvertrag in den Grenzen von 1937. Aber ich frage Sie, und zwar viele Ihrer Kollegen aus der FDP und besonders die Kollegen der SPD, welches Deutschlandbild sie draußen verkaufen, selbst in den Broschüren und Karten dieser Bundesregierung. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe selber dem Herrn Bundeskanzler am 19. Februar 1976, nachdem ich viermal lange Zeit in Schlesien, in Oberschlesien und Danzig gewesen bin, über die Notlage unserer Landsleute berichtet und ihn um Hilfe gebeten, insbesondere weil er j a den damaligen Chef der polnischen kommunistischen Partei, Herrn Gierek, als seinen persönlichen Freund bezeichnet hatte. Der Herr Bundeskanzler hat sich für heute nachmittag wohl wegen Krankheit entschuldigt, aber ich hätte ihn gern gefragt: Was hat sich denn wirklich durch die neue Ostpolitik für die deutsche Bevölkerung in den Oder-Neisse-Gebieten, für die der Bundeskanzler und die Bundesregierung die Sorge- und Schutzpflicht haben, geändert? Sind in Warschau wirklich die kulturellen Rechte dieser Deutschen überhaupt einmal deutlich zur Sprache gebracht worden - nachdem in unserem Haushalt so große Summen für Kreditschäden gezahlt werden, die durch die polnische Wirtschaft entstanden sind? Dürfen denn unsere Verwandten, also meine Cousins und Cousinen endlich deutsche Vornamen tragen, oder werden sie weiterhin zwangspolonisiert? Dürfen denn unsere Landsleute in der Kirche einmal nach 37 Jahren Okkupation ein deutsches Lied Sauer ({1}) singen, ein deutsches Gebet zum Herrgott sprechen? ({2}) - Ja, das ist schrecklich, Herr Wehner! Ich habe daran teilgenommen, als mein Patenonkel dort drüben, der aus Köln stammte, beerdigt worden ist. Weil der Pfarrer uns als Deutscher in einer deutschen Gemeinde ein paar Worte des Trostes in deutscher Sprache gehalten hat, ist er gleich anschließend verhaftet worden. Nur mit dem Hinweis, daß er uns wohl in Englisch oder Französisch ein paar Worte des Trostes hätte sagen können, haben wir ihn dann wieder herausgeholt. Wir sollten diese Dinge beim Namen nennen, wie es unseren Landsleuten drüben wirklich geht. ({3}) Wir verlangen doch nicht mehr - ({4}) - Herr Kollege Voigt, ich habe nur 15 Minuten. Lassen Sie mich das bitte ausführen! Wir verlangen doch nicht mehr. Wir haben hier in der Bundesrepublik Deutschland mit Recht - ich begrüße das - polnische Verbände. Wir haben hier die Szgoda, wir haben hier die POLONIA, wir haben die Deutsch-Polnische Gesellschaft, die teilweise auf direktem Wege von Warschau aus finanziert werden. Warum dann nicht auch deutsche Gruppierungen, deutsches Volksgruppenrecht drüben im polnischen Machtbereich? ({5}) Warum beschwören uns denn die Bürgerrechtler Adam Michnik und Jacek Kuron, die in diesen Tagen vor Gericht gestellt werden, oder auch Jan Jozef Lipski, daß wir als freie Bürger nicht nur zu einem Kalten Büfett nach Warschau kommen, sondern dort als freie Bürger die Dinge beim Namen nennen sollten. Sie haben doch gerade uns zugerufen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wörtlich: Fürchtet nicht, eure Stimme würde womöglich der Sache der Entspannung schaden! Keine Entspannung ist möglich, solange Menschenrechte, die ihr Fundament bilden, nicht respektiert werden! Warum überhören wir denn, was Kisieliewski uns zuruft? Er hat doch deutlich die Dummheit, die Nachgiebigkeit und die wahllose Großzügigkeit des Westens kritisiert. Was wir von der Opposition erbitten, ist nur, daß wir in Warschau eine klare Sprache sprechen. ({6}) Ein ganz konkreter Fall, was ich damit meine: Nach dem Kriegsrecht ist als erster Vertreter einer europäischen, überhaupt einer westlichen Regierung ein deutscher - ({7}) - Ach, fragen Sie die Kollegen. Ich bin offiziell mit in Warschau gewesen, Herr Voigt, und habe Klartext gesprochen. ({8}) - Darum haben Sie ja auch den großen „Beifall" der Aussiedler und derjenigen, die aus dem Lande stammen. Nicht wahr?! Nein, ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, wie sich Ihre Kollegen jetzt in Warschau verhalten haben und wo ich mich hätte distanzieren müssen: Nach dem Kriegsrecht war als erster Vertreter einer westlichen Regierung ein deutscher Staatssekretär in Warschau, der Kollege Becker und der Abgeordnete Junghans. Sie haben in ihrem Rundfunkinterview bei Radio Polonia am 9. Juli ständig von „Warschau" gesprochen. Das begrüße ich. Auch ich kann schlecht „Warszawa" aussprechen. Aber daß sie im selben Satz ständig von „Wroclaw" sprechen, wenn sie Breslau meinen, das ist für mich eine nationale Würdelosigkeit, Herr Kollege, von der ich mich distanziert hätte, Herr Voigt! ({9}) Ich könnte Ihnen den „Polnischen Appell an die Deutschen" vorlesen, der von Czeslaw Milosz, von Jozef Mackiewicz und von Leszek Kolakowski unterzeichnet ist. Aus ihm geht hervor, wie gerade diese Polen Politiker aus Ihren Reihen bezeichnen. Ich meine, das, was noch vor wenigen Jahren Willy Brandt als Regierender Bürgermeister in Berlin erklärt hat, nämlich am Tag der Heimat, gilt auch heute noch. Da hat er gesagt: Wo um das Recht, um die Menschenrechte, um Selbstbestimmung und Heimatrecht gekämpft wird, auf solchen Veranstaltungen ist der Friede nicht gefährdet. - Ich meine, das gilt auch heute noch, daß wir diese klare Sprache sprechen. Unsere Fraktion, die CDU/CSU, und mit ihr die große Mehrheit unseres Volkes sind der festen Überzeugung, daß wir dringend wieder eine Bundesregierung benötigen, die Politik in Verantwortung für das ganze Deutschland und zugunsten der Menschenrechte aller Deutschen betreibt. Die CDU/CSU ist bereit, diese Regierungsaufgabe mit Mut und Zivilcourage, demokratisch und juristisch fundiert, in europäischer Zielrichtung zu übernehmen. ({10})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Werner das Wort.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte, die sich eigentlich hier heute in weiten Teilen mehr um die Lage innerhalb der Koalition als um die Lage der deutschen Nation gedreht hat, doch noch einige Überlegungen im Hinblick auf das anfügen, was mit dem Bereich unserer Jugendlichen, aber auch manch älteren Mitbürger in Verbindung mit Wach6824 erhalten des Interesses für Deutschland und für die deutsche Frage zu tun hat. Der Kultusminister von Baden-Württemberg erregte Aufsehen, als er im Hinblick auf den 17. Juni die Schulleiter auf erstaunliche Wissenslücken der Schüler in Verbindung mit diesem Tag und der deutschen Frage aufmerksam machte und nachdrücklich die intensivere Beschäftigung damit in den Schulen forderte. Er schrieb nämlich - ich zitiere -: Der Schule kommt nun die wichtige Aufgabe zu, das Wissen um den 17. Juni und um die deutsche Frage weiterzutragen, um eine spätere Wiedervereinigung im Bewußtsein der heranwachsenden Generation offen zu halten. Wir werden die junge Generation vom Auftrag des Grundgesetzes nur überzeugen können, wenn wir die deutsche Frage im Unterricht und im Schulleben in besonderer Weise berücksichtigen. Dieser mahnende Hinweis auf bildungspolitische Defizite im Bereich der Behandlung der deutschen Frage müßte eigentlich von der Bundesregierung und von allen Kultusministern der Länder geteilt werden, macht er doch auf Mängel aufmerksam, die wir hier im Deutschen Bundestag wiederholt angesprochen haben. Die in der Anhörung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen im vergangenen Jahr zu Wort gekommenen Fachleute haben einmütig und eindringlich die verstärkte allgemeine Beschäftigung mit der deutschen Frage gefordert und vor der Gefahr der wachsenden Geschichtslosigkeit und der Beschlagnahme des Gedankens der nationalen Einheit durch extreme Gruppen zugleich gewarnt. Der Präsident des Gesamtdeutschen Instituts hat gerade in den letzten Tagen die Forderung erhoben, daß sich Wissenschaft und Publizistik verstärkt mit dem Gedanken der deutschen Wiedervereinigung befassen sollen, da dieser Sektor, wie er sagte, in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden sei. ({0}) Weiter betonte er völlig zu Recht, daß das Festhalten am Gedanken der Wiedervereinigung eine Schlüsselfrage sei - Zitat -, „inwieweit in Deutschland noch politisch-moralische Kräfte wirksam sind". Das nationale Bewußtsein unterliegt heute einem Erosionsprozeß, dem endlich Einhalt geboten werden muß. Die Gründe sind verschiedenartig. Die Kluft zwischen dem im Grundgesetz festgelegten Anspruch auf nationale Einheit und der im Augenblick und auf absehbare Zeit fehlenden Aussicht auf Realisierung der Wiedervereinigung ist unübersehbar und läßt manchen resignieren. Aussage der Politiker und Inhalt der konkreten Politik klaffen für viele Mitbürger auseinander. Die in die Entspannungspolitik eingebettete innerdeutsche Vertragspolitik hat sowohl auf Grund der Fehleinschätzung des DDR-Regimes und der überstürzten Durchführung durch die Bundesregierung als auch auf Grund flagranter Verstöße gegen Verträge und Absprachen durch die DDR die hohen Erwartungen gründlich enttäuscht. ({1}) Unter sogenannter Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland verstehen angesichts der Kraft des Faktischen immer mehr Bundesdeutsche die dauernde Inkaufnahme und die offizielle Anerkennung der Teilung Deutschlands und des deutschen Volkes. Für zahlreiche Jugendliche ist die Wiedervereinigung oftmals nicht einmal mehr eine reale Utopie, die es anzustreben gilt, weil diese Jugendlichen eben ohne Bezug zu unseren Landsleuten in Mitteldeutschland aufgewachsen sind und weil sie sich oftmals heute schon völlig mit der Bundesrepublik Deutschland als dem Deutschland identifizieren. Für die junge Generation ist die Existenz zweier deutscher Staaten also der Normalfall und eben kein Ärgernis mehr, wie es dies noch für viele der älteren Generation ist. Viele Jahre hindurch scheute man sich auf Grund des schrecklichen Mißbrauchs durch den Nationalsozialismus, Worte wie „Nation" „Volk" oder „Vaterland" in den Mund zu nehmen. Bundespräsident Scheel hat 1978 hierzu folgendes ausgeführt: Es ist wahr, die Worte Nation, Volk und Vaterland sind fürchterlich mißbraucht worden. Aber darf das ein Grund sein, aus unserer Jugend die Trauer über die Teilung Deutschlands hinauszukritisieren oder die Jugend in Unkenntnis über das zentrale Problem ihres Volkes zu lassen? Will man den Begriff Deutschland denn wirklich den Rechtsextremisten überlassen? Mit allen sich daraus ergebenden möglichen katastrophalen Folgen? Walter Scheel hat recht: Wir müssen den Jugendlichen mehr Kenntnisse über die Teilung Deutschlands, über die tatsächlichen Zustände und Verhältnisse in der DDR, über die Problematik zwischen den deutschen Staaten und über die gemeinsame Geschichte und die gemeinsame Verantwortung vermitteln. ({2}) Kultusminister Mayer-Vorfelder gab, so meine ich, hier ein erfreuliches Beispiel für das stete Bemühen um die Schärfung des Bewußtseins um die nationale Einheit. Wir müssen - dies sage ich ganz nachdrücklich - verhindern, daß rechts- und linksextreme Gruppierungen die vorhandene Unkenntnis für ihre Zwecke und Ziele benutzen, denn dann wären politische Irrationalität und unberechenbare Emotionalität - mit all der damit im Ausland verbundenen Irritation über die Deutschen - die Folgen. Wissensvermittlung und Erziehung dürfen vor dem Hintergrund des Grundgestzes nicht wertneutral sein, und sie dürfen nicht einfach die den Systemen der DDR und der Bundesrepublik DeutschWerner land zugrundeliegenden Wertordnungen als scheinbar gleichartig und wertgleich beschreiben. ({3}) Es muß in Schule und Öffentlichkeit einsichtig gemacht werden, daß das Selbstbestimmungsrecht die Grundlage für die Wiedervereinigung ist; daß die Verwirklichung der Freiheitsrechte allen Deutschen zusteht; daß die Gerechtigkeit und die Menschenrechte Voraussetzung und Inhalt jeder endgültigen Ordnung in Europa sein müssen; daß deshalb die europäische Frage noch offen ist, weil die deutsche Frage offen ist. Weil in Europa eben noch nicht überall das Recht, sondern jenseits des Eisernen Vorhangs die Macht die staatliche Ordnung prägt. Ein Friedensvertrag kann und darf daher nicht bestehende Macht verfestigen, sondern muß uns Deutschen, aber auch den Polen und den anderen Völkern Recht und Gerechtigkeit bringen. Was müssen wir konkret tun? Wir müssen in unseren Bildungsanstalten, in den Institutionen und in den Medien die deutsche Frage direkter, deutlicher erlebbar machen, und wir dürfen eben nicht damit fortfahren, nur trockenes Bücherwissen zu vermitteln. Hierbei kommt der Bundesregierung die Aufgabe der geistigen Führung zu, ({4}) die leider vom Bundeskanzler, wie wir alle hier erlebt haben, pauschal zurückgewiesen wurde. ({5}) Das Grundgesetz gibt zuvörderst der Bundesregierung den Auftrag, alles zu unternehmen, um das Wissen um die nationale Einheit und den Gedanken der Wiedervereinigung zu fördern. Bei aller Respektierung der Kulturhoheit der Länder hat sie, die Bundesregierung, hier, so meine ich, eine Art Führungsauftrag. Sie sollte daher gegenüber den Bundesländern z. B. auf eine tatsächlich einheitliche Handhabung der KMK-Beschlüsse zur deutschen Frage und auch zur Grenzdarstellung drängen. Sie sollte ein gesteigertes Interesse daran haben, daß in der Erwachsenenbildung, in der Lehreraus- und -fortbildung, aber auch an den deutschen Hochschulen die deutsche Frage noch häufiger behandelt wird; und, Herr Minister, ich sage bewußt „noch häufiger", weil ich weiß, daß da schon einiges geschehen ist. Sie sollte hier den Ländern jede mögliche Hilfe anbieten und ihrerseits mehr Mittel für Klassen- und Studienfahrten an die Zonengrenze, nach Berlin und in die DDR zur Verfügung stellen. Schüler und Lehrer bestätigen j a, daß gerade eine Reise in die DDR besonders geeignet ist, bleibendes Interesse an der deutschen Frage zu wecken. Und sie bestätigen im übrigen auch - das sollten wir bedenken -, daß die Gesprächspartner in der DDR in der Regel besser über uns und über das gemeinsame geschichtliche Erbe informiert sind als unsere Schüler ({6}) auch wenn selbstverständlich die daraus gezogenen politischen Folgerungen andere sind. Ich möchte auch noch anfügen, Herr Minister, daß wir wünschen und hoffen, daß den laufenden Bemühungen, rasch zu einem Jugendaustauschprogramm zu kommen, möglichst bald ein Erfolg beschieden sein möge. Die Bundesregierung sollte aber auch, so meine ich, in ihrem Auftreten unentwegt deutlich machen, daß durch die Verträge mit der DDR und mit unseren östlichen Nachbarstaaten die deutsche Frage nicht abgeschlossen, sondern weiterhin offen ist. Auch hier entstehen immer wieder Mißverständnisse! Dieser Appell gilt selbstverständlich gleichfalls für die Parteien, für die öffentlichen Institutionen und Medien. Ich meine, man muß es auch hier einmal sagen: den Medien ist dafür zu danken, daß sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten verstärkt aus der DDR und über die DDR berichten. Dieser Dank gilt auch, wenn man sich manches Mal eine umfassendere oder sachlichere Berichterstattung - ich stimme Ihnen hier zu, Herr Ronneburger - wünschen mag. Die Bundesregierung sollte deshalb im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinwirken, daß die Medien noch mehr über die DDR und das Problem der deutschen Einheit berichten. Dieses Hinwirken könnte aber auch - ich gebe den Gedanken einmal zur Erwägung - über einen Gesprächskreis von Parlamentariern und Journalisten ({7}) geschehen, in dem aktuelle und langfristige Fragen der Deutschlandpolitik freimütig diskutiert und erörtert werden könnten. Vielleicht gelänge es dem Fernsehen auch mit Unterstützung der Bundesregierung, für deutsch-deutsche Gesprächsforen über allgemeine und insbesondere politische Fragen Vertreter der DDR bzw. deren Behörden zu gewinnen. Die Bundesregierung und alle, die in unserer Bundesrepublik Deutschland Verantwortung tragen, müssen also alles tun, um den Willen zur nationalen Einheit und das nationale Bewußtsein zu stärken. Besonders bedauerlich finde ich es deshalb in diesem Zusammenhang - das möchte ich anmerken -, wenn z. B. in dem Verband der deutschen Schriftsteller Tendenzen zur deutschen Frage zu dominieren scheinen, die es aus der DDR ausgesiedelten oder ausgebürgerten Schriftstellern nicht mehr möglich machen, weiterhin in diesem Verband zu bleiben. ({8}) Stärken wir in der Bundesrepublik Deutschland das nationale Bewußtsein nicht, dann wird die DDR zweifelsohne in absehbarer Zeit in Anspruch der Deutschen auf Einheit übernehmen - natürlich unter sozialistischem Vorzeichen, wie dies Generalsekretär Honecker bereits getan hat! Die SED darf sich nicht zum Hüter der deutschen Nation auf spielen und die Einheitsdiskussion als Vehikel zur Erlangung eines kommunistischen Gesamtdeutschlands eröffnen! Es sage niemand, die DDR wolle dies gar nicht, denn sie betreibe eine Politik der Abgrenzung. Ich meine, sie betreibt seit Jahr und Tag eine doppelgleisige Politik im Hinblick auf die deutsche Frage, denn auch heute betont sie in allen poli6826 tischen und wissenschaftlichen Organen ungeachtet aller offiziellen Abgrenzungsmaßnahmen, daß die DDR der fortschrittliche Teil des deutschen Volkes als deutscher sozialistischer Staat sei. Sie eignet sich zielstrebig die Wahrung des kulturellen Erbes der Deutschen an. Herr Ronneburger, Sie sprachen davon. Herbert Kremp schrieb einmal zu Recht die mahnenden Worte: Die DDR eignet sich die nationale deutsche Rolle zentimeterweise an. Dem widerspricht, Herr Ronneburger, auch nicht die Diskussion um eine eigene Staatsbürgerschaft. Diese Herausforderung seitens der DDR müssen wir annehmen. Wir müssen unserer Jugend mehr Kenntnisse und Erfahrungen in Verbindung mit der deutschen Frage vermitteln. So werden wir am besten auch der Gefahr eines latenten irrationalen Nationalismus begegnen können! Wir müssen den Bürgern anschaulich machen, daß nicht der materielle Wohlstand für unseren Staat spricht, sondern die Freiheit, das Recht, die Selbstbestimmung, auf die alle Menschen, auch die Bewohner der DDR, einen natürlichen Anspruch haben! Professor Weichmann wies in diesem Raume eindrucksvoll auf das Sendungsbewußtsein hin, das aus einer bewußteren Einschätzung des Gutes der Freiheit und des Rechtes entspringt. Die Menschen in der DDR warten und hoffen darauf! Den geistigen Wettbewerb mit der DDR haben wir doch nicht zu scheuen, wenn wir nur selbstbewußt sind und wissen, wofür wir eintreten. Wir sollten deshalb immer wieder von der DDR die Umsetzung aller in der KSZE-Schlußakte unterzeichneten Willenserklärungen in die Tat verlangen. ({9}) Echter geistiger, offener und friedfertig-politischer Wettbewerb wäre für beide Staaten Bewährung und Chance zugleich! Darauf sollten wir unsere Bürger besser als bisher vorbereiten. Dazu bedarf es der geistigen Führung auch in diesem Bereich, die wir hier haben bisher leider vermissen müssen. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({10})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Ich erteile dem Abgeordneten Büchler das Wort.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Schluß dieser Debatte die Feststellung: Ich glaube, wir alle hätten gut daran getan, wenn wir mit der Rede des Bundesministers Egon Franke abgeschlossen hätten. Was Herr Kollege Lorenz danach gesagt hat, zwingt mich, auch auf die Geschichte der gesamten Deutschlandpolitik noch einzugehen. Mir ist vor allem eines aufgefallen: Sie haben die Punkte, die Herr von Weizsäcker bezüglich bestimmter Bereiche einer zukunftsorientierten Deutschlandpolitik genannt hat, wieder zurückgenommen und auf ihre alte CDU-Politik zurückgeführt, wie wir sie seit Jahr und Tag kennen. Insgesamt ist also festzustellen: In der Deutschlandpolitik nichts Neues von der Opposition. Die Koppelung von Swing und Maßnahmen hat j a schon, wie Sie wissen - ich habe das hier auch wiederholt gesagt -, bei Ihren Regierungen nicht gewirkt. Die Politik von Zuckerbrot und Peitsche, die Sie betreiben wollen, wirkt nicht. Sie vergessen immer wieder, daß dort drüben ein Staat ist und daß dort erwachsene Menschen leben, mit denen man verhandeln muß, wenn man sich einigen will. Herr Ronneburger hat Ihnen dazu auch das Nötige gesagt, so daß ich mich nicht weiter damit aufzuhalten brauche. Das gilt auch für die Ausführungen von Herrn Sauer; nur eine Anmerkung sei mir auch hierzu gestattet. Es war schon gespenstisch, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Sauer. Das muß ich schon sagen. ({0}) - Lesen Sie Ihre Rede doch einmal nach und sehen Sie sich die Realitäten an! Nehmen Sie auch Rücksicht auf das, was das polnische Volk von dem halten würde, was Sie hier heute von sich gegeben haben! Das Anliegen des Kollegen Werner ist auch unser Anliegen. Ich meine, das, was er über Jugendbegegnungen und über die Verhältnisse in unseren Schulen gesagt hat, ist zutreffend. Das ist natürlich in erster Linie an die Länder gerichtet. - Herr Kollege Werner, Sie wissen natürlich ganz genau, daß die Länder leider nicht sehr kooperativ sind. Wir haben oftmals gemeinsam versucht, die Kultusministerkonferenz oder auch einzelne Länderminister davon zu überzeugen, daß man im Unterricht mehr tun muß. Sie kennen die Einwendungen der Länder; ich brauche das nicht näher auszuführen. Ihre anderen kritischen Anmerkungen möchte ich Ihnen hiermit verzeihen. Der deutschlandpolitische Teil im diesjährigen Bericht zur Lage der Nation ist natürlich etwas kürzer ausgefallen als in den Jahren zuvor. Das liegt in der Natur der Sache. Einige andere zentrale Themen, die uns als Deutsche in der Bundesrepublik besonders beschäftigten, sind in den letzten Monaten stärker in den Vordergrund gerückt. Der Bundeskanzler hat sie heute mit Recht ausführlich behandelt. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande wollten bei der diesjährigen Berichterstattung über die Lage der Nation hören, wie es um diese Bundesrepublik steht. Diesem Wunsch ist der Bundeskanzler umfassend nachgekommen. Wenn wir uns jedoch richtig erinnern, dann hatten auch frühere Berichte Schwerpunkte zum Gegenstand, die jeweils aktuell waren. Das hat nichts damit zu tun, daß wir den Stellenwert, den viele dem deutsch-deutschen politischen Geschehen beimessen, nicht hoch genug einschätzten; das ist bestimmt nicht so. Sie wissen alle, daß gerade die deutsch-deutschen Beziehungen bei uns Sozialdemokraten einen hochrangigen Wert haben. Das gilt selbstverständlich auch für die Koalitionsregierung und die Koalitionsparteien insgesamt. Den ersten Bericht zur Lage der Nation hatte 1966 die SPD angeregt. Daran sollten wir uns erinnern, Büchler ({1}) Herr Lorenz; Sie hatten es angesprochen. Daraus wurde ein interfraktioneller Antrag, und Bundeskanzler Kiesinger gab am 14. März 1968 den ersten Bericht. Derselbe Helmut Schmidt, der heute in einer großen Rede ({2}) - daß es eine große Rede war, ist, glaube ich, unumstritten - die Lage der Bundesrepublik und Gesamtdeutschlands dargestellt hat, verlangte damals als Fraktionsvorsitzender, alle Möglichkeiten mit Geduld und Sachkunde auszuschöpfen, den Menschen im anderen Teil Deutschlands wirtschaftlich, politisch und kulturell zu helfen. Das war damals und ist auch heute noch ein Programm, auf das wir uns verständigen sollten. Das sage ich auch als Antwort an Sie, Herr Lorenz. In dem ersten Bericht lagen die Schwerpunkte bei der inneren Lage der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Stellung in der Welt. Das bleibt auch so; denn eine nüchterne Lagebeschreibung ist die Voraussetzung für die Fortsetzung der Deutschland- und Berlinpolitik. Vieles, was früher in diesen Berichten als Folgerungen für das deutsch-deutsche Verhältnis an die Politik gerichtet war, ist heute erfüllt. Die Gewichtungen sind deshalb heute also etwas anders: Erstens. Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt den friedenstiftenden Wert der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition klar und eindeutig betont und in einen Zusammenhang mit den Friedenssehnsüchten unserer Bürger, vor allem der jungen Generation, gestellt hat. Zweitens. Berlin erscheint nicht mehr so sehr als politischer Schwerpunkt des Krisenmanagements, weil es für die Stadt ein gut funktionierendes Abkommen der Vier Mächte gibt und weil unsere Politik dieser Stadt Sicherheit und Freizügigkeit gebracht hat. Berlin erscheint - das darf man nicht verschweigen - heute eher als Gegenstand der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik. Für die Bewältigung der Probleme in Berlin werden wir alle Anstrengungen aufbringen müssen. Wir werden miteinander an der Zukunft Berlins arbeiten müssen. Wir erwarten aber auch, daß wir dafür Vorschläge bekommen. In dieser Situation, wie sie in der Stadt Berlin heute gerade auf dem Arbeitsmarkt gegeben ist, erwarten wir konkrete Vorschläge des Senats von Berlin. Das gilt aber nicht nur für diesen Bereich, sondern natürlich auch für das innere Verkehrssystem Berlins, für das endlich eine Lösung gefunden werden muß. Noch wichtiger ist dies: Wir alle wissen, daß in Berlin eine Umstrukturierung der Arbeitsplätze stattfinden muß. Dazu müssen wir vom Berliner Senat Vorschläge bekommen, die wir dann miteinander überlegen und weiterentwickeln können. Vor allem wir Sozialdemokraten - auch die Bundesregierung hat das wiederholt betont - werden dabei auf jeden Fall hilfreich zur Stelle sein. In diesem Zusammenhang möchte ich der Ordnung halber sagen, daß wir der Überweisung des Antrags Drucksache 9/1959 zustimmen. Ich darf zunächst etwas Grundsätzliches zur historischen Entwicklung der Deutschlandpolitik sagen, wie sie sich heute darstellt, und verdeutlichen, welch langer Weg dazu notwendig war. Bis zum Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierungsverantwortung war die zunehmende Auseinanderentwicklung zwischen 60 Millionen Deutschen auf der einen Seite und 15 Millionen Deutschen auf der anderen Seite normal. Tatsache ist, daß die Kluft zwischen „denen da drüben", wie man sagte, ({3}) und uns im Westen immer größer und tiefer wurde, ob wirtschaftlich, politisch oder kulturell. Die DDR wurde immer häufiger auf schnelle Art abgelehnt, verurteilt und zurückgewiesen. ({4}) Darum hat sich am Ende der 60er Jahre eine neue Politik gebildet, die die verfehlte CDU/CSU-Politik ablösen mußte. ({5}) - Ich werde gleich darauf eingehen. Die gemeinsame Politik der SPD und der FDP hat in der Zeit Ende der 60er Jahre ihre Wurzeln. Schon vor dem Wahltag, dem 28. September 1969, stimmten SPD und FDP in vielen grundsätzlichen Fragen der Deutschlandpolitik überein. Wenn man kein böses Erwachen wollte, mußte man diese konservative Entzweiungspolitik zu beseitigen versuchen. Es ist das unbestreitbare historische Verdienst der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten, dieser Politik der Entzweiung ein Konzept entgegengesetzt zu haben, das wie eine vielschichtige Klammer zwischen Ost und West zum Nutzen von Ost und West wirken sollte. Im Grund war dies revolutionär und - das kann man ruhig zugeben - selbstverständlich mit vielen Geburtswehen verbunden. Neu war, daß man aufeinander zuging und nicht mehr voreinander weglief, also Wandel durch Annäherung betrieb. Dies wurde die große Hoffnung der Deutschen im geteilten Deutschland. Es war die Hoffnung, daß die Verhältnisse in Deutschland erträglicher werden, daß man sich mehr miteinander verträgt und daß ein Prozeß der Normalisierung einsetzt. ({6}) Wir haben deshalb die Ostverträge geschaffen. Wir haben nach dem Viermächteabkommen ein Vertragsnetz erstellt. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Transitabkommen, das den freien und un6828 Büchler ({7}) gehinderten Zugang von und nach Berlin garantiert. Man muß sich das konkret vorstellen. ({8}) 1969, als wir damit anfingen, benutzten 3,6 Millionen Reisende die Transitwege; 1980 - ich nehme nur diese Angabe heraus - waren es über 19 Millionen. Wer damals an der Grenze wohnte, weiß, daß in dieser Zeit stundenlange Wartezeiten keine Seltenheit waren und das Lastkraftwagen oft tagelang an dieser Grenze warten mußten. Dies ist ein Wert an sich. Er wird immer wieder bei all diesen Debatten vergessen, wenn Sie, wie es heute wieder geschehen ist, Herr Kollege Lorenz, Ihre kleinlichen Aufrechnungen machen. Ein nächster wichtiger Schritt zu mehr Normalität und Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten war der Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972. Zwischen damals und heute ist ein gewaltiger Unterschied. Die Zahl der Reisenden ist seitdem auf 3,5 Millionen gestiegen. Im grenznahen Verkehr war damals das Zuwinken alles, was man machen konnte. Wie Sie wissen, können inzwischen Begegnungen in Massen stattfinden. 400 000 Reisende im kleinen Grenzverkehr im Jahr 1980 sind ebenfalls keine Kleinigkeit. Freilich ist es auch für uns unbefriedigend, daß im Jahr 1980 nur 40 000 DDR-Bürger in dringenden Familienangelegenheiten zu uns kommen durften. Aber es sind 40 000 mehr als 1969. Auch das dürfen wir dabei nicht vergessen. Das ist keine Kleinigkeit. ({9}) Schließlich ist es auch keine Kleinigkeit, daß 1,5 Millionen Rentner im Jahr 1980 reisen durften. Die Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes am 13. Oktober 1980 wurde hier wiederholt angesprochen. Sie brachte in den Besucherzahlen unbestritten einen drastischen Einschnitt. Besonders bedrükkend ist diese Maßnahme für die alten Leute und für Familien mit Kindern. In diesen Fällen klettert der Betrag des Zwangsumtausches in eine Höhe, die für viele Familien nicht mehr verkraftbar ist. Dies ist eine Tatsache; dies müssen wir sehen. Hier hat die DDR eine Maßnahme getroffen, die unmenschlich ist und gegen den Gedanken des beiderseitigen Verstehens gerichtet ist. Es ist gar keine Frage, daß sich die DDR hier bewegen muß, daß, wie Helmut Schmidt heute früh gesagt hat, eine substantielle Änderung in dieser Frage notwendig ist. ({10}) An dieser Stelle ein Wort zu Berlin: Wer erinnert sich noch an die Unsicherheit auf den Transitwegen, an die ständigen Behinderungen, an die nahezu totale Insellage der Stadt? Wer erinnert sich noch an das zähe Ringen um Passierscheinregelungen zu bestimmten Feiertagen? Dies ist vorbei. Das ist ein gerade bei den Berliner Bürgern populäres Ergebnis der Ostpolitik. Die Lebensfähigkeit Berlins wurde nachhaltig gestärkt - wie es der Bundeskanzler sagte. Als Appell an alle in diesem Lande, insbesondere an die Unternehmungen, möchte ich sagen, daß wir uns gemeinsam anstrengen müssen, um Berlin zu helfen. Wir haben den Grundlagenvertrag geschlossen. Der ist nun die Grundlage - so, wie es sein Name aussagt - für die zwischenstaatlichen Beziehungen, die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf allen Gebieten des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens. Beide deutsche Staaten wurden Mitglied der Vereinten Nationen. Diese Politik hat natürlich auch den KSZE-Prozeß begünstigt. Im Rahmen dieses neuen Vertragswerkes wurden weitere Abkommen geschlossen, die den Deutschen in beiden deutschen Staaten weiterhelfen. Ich erinnere an das Gesundheitsabkommen vom 25. April 1974, an die Vereinbarungen im Post- und Fernmeldewesen. Wir haben jetzt über tausend Telefonleitungen geschaltet. Jährlich sprechen 46 Millionen Menschen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über das Telefon miteinander. Das ist etwas, was wir nicht hoch genug einschätzen können. Eine Reihe von Vereinbarungen, Verbesserungen des Transit- und Reiseverkehrs wurden in Kraft gesetzt. Sie bezogen sich auf den Autobahnausbau, Wasserstraßen, Eisenbahnstrecken. Es wurden weitere Übergangsstellen eröffnet. Die Grenzkommission hat gute Arbeit geleistet. Es wurden Regelungen bezüglich des Fischfangs, des Umweltschutzes, der Wasserversorgung, des Kohleabbaus und anderer Dinge mehr getroffen. Der innerdeutsche Handel hat zugenommen, zu beiderseitigem Nutzen, wie wir alle wissen und wie Ihnen immer wieder auch eigene Kollegen im Gegensatz zu dem, was Sie hier oft sagen, vorhalten. Herr Kiep hat erst letzthin von Leipzig aus, so meine ich, das Richtige gesagt. ({11}) Ich will nicht weiter aufzählen, ich will nur fragen, angesichts dieser Bilanz ganz ehrlich fragen: Wer hätte 1969 gedacht, daß dies alles erreichbar sein würde? Sie bestimmt nicht. Dies alles - und vielleicht gibt es hier einmal die Möglichkeit, daß Sie sich korrigieren - mußte von dieser Koalitionsregierung gegen den härtesten Widerstand der Opposition durchgesetzt werden. Und wir waren oft nahe daran, nicht mehr regieren zu können. Man muß doch berücksichtigen, welche Kraftanstrengung das gekostet hat. Ihre Alternative ist die gleiche geblieben. Sie besteht im Ruf nach Sanktionen, wenn es Schwierigkeiten gibt. ({12}) Wir haben jetzt in den 80er Jahren, auch mit Blick auf die 90er Jahre, den Primat der Deutschlandpolitik hin zur Sicherung des Friedens verschoben. Wir wissen um den Wert des Treffens am Werbellinsee; denn dort wurde die gemeinsame Verantwortung der beiden deutschen Regierungen für die ErhalBüchler ({13}) tung des Friedens und die Pflicht der Deutschen, eigene Beiträge zur Abrüstung zu leisten, betont. Damit geht eine vollkommene Versachlichung der Deutschlandpolitik einher. Grenzen politischer wie ökonomischer Art werden sichtbar, aber andererseits auch Bewegungsmöglichkeiten oder Bewegungsmomente und Handlungsspielräume auf neuen und bisher unbestellten Feldern der deutschen und der europäischen Zusammenarbeit. Wir Sozialdemokraten sehen die historische Bedeutung des Treffens zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker vom 11. bis 13. Dezember 1981 gerade darin. Neue Entwicklungen tun sich auf diesen Gebieten und durch dieses Treffen auf. Die internationalen Zusammenhänge sind sichtbar geworden. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Herr Minister Egon Franke hat dazu, glaube ich, die richtigen Anmerkungen gemacht. Wer dies, was am Werbellinsee herausgekommen ist, richtig bewertet und das, was in der Zwischenzeit geschehen ist, ({14}) wirklich aufmerksam verfolgt, weiß, daß darin sehr viel Perspektive liegt und dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, weiter zu verhandeln. Man sollte dies wirklich nicht zu gering schätzen. Unsere Deutschlandpolitik wird von zwei Komponenten bestimmt, nämlich davon, daß das, was regelbar ist, zwischen beiden deutschen Staaten auch geregelt wird, und davon, daß Konflikte zwischen beiden deutschen Staaten und auch darüber hinaus europaweit und weltweit verhindert werden sollen. Wir wollen auch dazu beitragen, daß die Menschen in beiden Teilen Deutschlands nicht zwischen den Machtblöcken zerrieben werden. Dafür haben wir immer Opfer gebracht. Ich stelle noch einmal mit Nachdruck fest, daß alle Zugeständnisse und finanzielle Leistungen an die DDR den Menschen in beiden Teilen Deutschlands und vor allem den Menschen drüben geholfen haben und ihnen zugute gekommen sind. Wenn Herr Kohl heute wieder die Rechnung von Leistung und Gegenleistung aufgemacht hat, so ist das Kleinkrämerei und wahrhaftig nicht im Sinne des Erbes von Konrad Adenauer, der uns alle im November 1960 zu mehr Opferbereitschaft in der Deutschlandpolitik aufgefordert hatte. Es geht in den nächsten Jahren darum, daß diese erfolgreiche Politik fortgesetzt wird und daß es der Opposition nicht möglich gemacht wird, den Stand der deutsch-deutschen Beziehungen durch eine andere Politik wieder zurückzudrehen. ({15})

Heinrich Windelen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002525

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu dem Bericht zur Lage der Nation liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1959 vor. Ich frage, ob das Wort zur Begründung des Antrags gewünscht wird. - Dies ist nicht der Fall. Es ist vorgeschlagen, den Entschließungsantrag dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - federführend - und dem Ausschuß für Wirtschaft sowie dem Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dem Überweisungsvorschlag ist damit einstimmig zugestimmt worden. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gemeinsame Information und Beratung der Schiffahrt in der Emsmündung durch Landradar- und Revierfunkanlagen - Drucksache 9/1632 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0}) - Drucksache 9/1811 Berichterstatter: Abgeordneter Merker ({1}) Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. - Dies ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Auch dies ist nicht der Fall. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" - Drucksache 9/823 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) - Drucksache 9/1946 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Warnke ({3}) Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1946, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 9/823 abzulehnen. Können wir sofort über diese Beschlußempfehlung abstimmen, oder wird eine zweite Beratung gewünscht? - Ich lasse über die Beschlußempfehlung abstimmen; denn das Mehrheitsverhältnis hinsichtlich der Beschlußempfehlung dürfte das Vizepräsident Windelen gleiche wie bei der Beratung sein. - Dem wird nicht widersprochen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, nämlich den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/823 abzulehnen, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Gegenstimmen und Stimmenthaltungen der CDU/CSU-Fraktion ist der Antrag im übrigen angenommen. Damit ist der Gesetzentwurf des Bundesrats abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 bis 13 auf: 10. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte - Drucksache 9/1886 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. Oktober 1970 zur gegenseitigen Anerkennung von Inspektionen betreffend die Herstellung pharmazeutischer Produkte ({5}) - Drucksache 9/1901 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Seemannsgesetzes - Drucksache 9/1829 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Straßenverkehrsunfallstatistik ({7}) - Drucksache 9/1910 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({8}) Innenausschuß Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/1886, 9/1901, 9/1829 und 9/1910 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates finden Sie auf der Tagesordnung ausgedruckt. Ich frage Sie, ob Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden sind. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: a) Beratung der Sammelübersicht 40 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 9/1744 - b) Beratung der Sammelübersicht 41 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 9/1782 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 40 und 41 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind damit einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 und 16 auf: 15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({11}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Zukunft des EWG-Eisenbahnnetzes - Drucksachen 9/1515, 9/1838 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst 16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({12}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Bau eines Tunnels unter dem Ärmelkanal - Drucksachen 9/1638, 9/1839 Berichterstatter: Abgeordneter Pauli Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse jetzt über beide Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Verkehr auf den Drucksachen 9/1838 und 9/1839 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlungen sind damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({13}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Vizepräsident Windelen Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1979 - Einzelplan 20 -- Drucksachen 8/3967, 9/1758 Berichterstatter: Abgeordneter Nehm Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/1758 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1981 - Einzelplan 20 -- Drucksache 9/1786 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Punkte 19 und 20 der Tagesordnung auf: 19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({15}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 136/66/ EWG über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette - Drucksachen 9/1506 Nr. 11, 9/1747 Berichterstatter: Abgeordneter Eigen 20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Beschleunigung der Agrarentwicklung in bestimmten Gebieten Griechenlands - Drucksachen 9/1506 Nr. 12, 9/1768 Berichterstatter: Abgeordneter Holsteg Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 9/1747 und 9/1768 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. September 1982, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.