Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe mitzuteilen, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung Punkt 7 der Tagesordnung abgesetzt werden soll.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksachen 9/1757, 9/1783 Es liegen zwei Dringliche Fragen der Abgeordneten Frau Renger vor. Zur Beantwortung begrüße ich den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Dr. Corterier. Ich rufe die Dringliche Frage 1 der Abgeordneten Frau Renger auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob humanitäre Hilfe in den zerstörten Gebieten des Libanon möglich ist, oder wird humanitären Organisationen nicht die Erlaubnis gegeben, in den betroffenen Gebieten zu operieren, und gilt das auch für Hilfsangebote der Europäischen Gemeinschaft?
Nach Kenntnis der Bundesregierung leistet das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ({0}) umfangreiche humanitäre Hilfe im Libanon. Nach letzten Nachrichten sind 57 Angehörige des IKRK dort tätig, zum größten Teil im medizinischen Bereich. Darüber hinaus leisten UNICEF und UNIFIL humanitäre Hilfe.
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die israelische Regierung bisher keinen anderen Hilfsorganisationen die Möglichkeit eröffnet, im Libanon tätig zu werden.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am Dienstag dieser Woche den Ministerrat davon informiert, daß bereits in drei Fällen Hilfslieferungen der Europäischen Gemeinschaften, die über das Rote Kreuz in den Libanon gehen sollten, von der israelischen Regierung zurückgewiesen worden sind. Daraufhin hat der Ministerrat den Präsidenten des Rates beauftragt, bei der israelischen Regierung zu demarchieren mit dem Ziel, eine Einstellung der Behinderung solcher humanitären Hilfsmaßnahmen zu erreichen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Renger.
Herr Staatsminister, welche Möglichkeiten gibt es denn außer der Demarche noch, um in dieser Angelegenheit der Zivilbevölkerung im Libanon zu helfen?
Der Ministerrat hat, wie gesagt, diese Demarche veranlaßt. Wir müssen jetzt die Reaktion der israelischen Regierung abwarten. Auch die Bundesregierung versucht, bilateral in diesem Bereich weiterzukommen. Man kann auf Grund dieser Bemühungen nur hoffen, daß sich die israelische Regierung bald in der Lage sieht, hier eine andere Politik zu verfolgen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Renger.
Ist die Regierung des Libanon bei der Bundesregierung oder bei der Europäischen Gemeinschaft um Hilfe vorstellig geworden?
Der libanesische Botschafter hat dem Auswärtigen Amt den tiefen Dank seiner Regierung für die bisherigen Hilfsmaßnahmen übermittelt und zugleich um weitere Hilfe ersucht. Ihm wurde versichert, daß auch die Bundesregierung von der Notwendigkeit weiterer Hilfe überzeugt sei und sie leisten werde.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Köster.
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung bis gestern bei der israelischen Regierung darum bemüht, die Häfen des Libanon, also den direkten Zugang zum Libanon, für Hilfssendungen zu öffnen?
Ich kann nur noch einmal wiederholen, Herr Abgeordneter: Die Bemühungen sowohl der Europäischen Gemeinschaft als auch der Bundesregierung sind im Gange. Ich kann nur hoffen, daß bald ein Erfolg, gerade auch was diesen konkreten Fall angeht, den Sie ansprechen, möglich sein wird.
({0})
Sie haben gefragt; wie der Minister antwortet, ist seine Sache. Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voigt.
Herr Staatsminister, Sie haben eben selber darauf hingewiesen, daß sich die Bundesregierung ihrerseits auch um humanitäre Hilfe für den Libanon bemüht. Treffen nun Pressemeldungen vom heutigen Tag zu, daß sich das Notärztekomitee beim Auswärtigen Amt um Unterstützung von Hilfslieferungen in den Libanon bemüht hat, daß es entsprechende Schreiben, z. B. vom 11. Juni 1982, an das Auswärtige Amt gibt und daß bisher keine Bereitschaft des Auswärtigen Amtes besteht, in dieser Frage neben dem Roten Kreuz und eventuell anderen Organisationen auch das Notärztekomitee im Hinblick auf Hilfslieferungen in den Libanon zu unterstützen?
Herr Abgeordneter, mir liegen diese Pressemeldungen noch nicht vor. Ich werden Ihrem Hinweis gerne nachgehen.
Ich darf aber mitteilen, daß uns das IKRK, das zunächst eine Bereitstellung weiterer Ärzte offensichtlich für notwendig gehalten hatte, inzwischen mitgeteilt hat, daß es einen solchen Einsatz nicht mehr für erforderlich halte.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, ob Hilfsorganisationen die Arbeit in den Teilen ermöglicht werden kann, die von Israel nicht widerrechtlich besetzt worden sind?
Ich muß dieser Frage nachgehen; ich kann sie im Moment nicht beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Minister, da Sie auf eine Zusatzfrage der Kollegin Renger gesagt haben, die Bundesregierung hoffe, daß die israelische Regierung bald in der Lage sein werde, den Libanon für Hilfsaktionen zu öffnen, möchte ich Sie fragen: Ist diese Antwort so zu verstehen, daß die israelische Regierung nicht selber darüber entscheiden kann, oder ist es nicht vielmehr so, daß die israelische Regierung in eigener „souveräner" Zuständigkeit - als eine kriegführende Macht im Libanon - in ihrem Machtbereich den Zugang für zivile Hilfsgüter öffnen kann, und wie hat die Bundesregierung bis gestern darauf hingewirkt, die augenblickliche Zugangssperre durch die israelische Regierung zu beenden, um zivile Hilfe zu ermöglichen?
Ich glaube, aus dem, was ich bisher ausgeführt habe, geht hervor, daß wir genau davon ausgehen, daß die israelische Regierung diese Möglichkeit hat. Ich kann nur noch einmal sagen: Gemeinsam mit unseren Partnern der Europäischen Gemeinschaft, aber auch bilateral versuchen wir, in dieser Frage weiterzukommen.
Herr Kollege Böhm, bitte sehr.
Herr Staatsminister, sind Sie jetzt bereit, die Frage des Kollegen Köster zu beantworten, die da lautete: Hat sich die Bundesregierung bis gestern direkt an die israelische Regierung mit dem Ziel gewandt, die Häfen des Libanon für Hilfslieferungen zu öffnen?
Ich kann Ihnen hier nicht konkret über die Details dieser Kontakte berichten. Ich kann nur wiederholen, daß wir generell mit dem Ziel einer Öffnung der Grenzen tätig sind und weiterhin tätig bleiben werden, um diese Hilfslieferungen zu ermöglichen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Dringliche Frage 2 der Frau Kollegin Renger auf:
In welchem Umfang leistet die Bundesregierung humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen im Libanon?
Die Bundesregierung hat aus Mitteln der humanitären Hilfe des Auswärtigen Amtes bisher 3 Millionen DM zur Verfügung gestellt, um die Maßnahmen des IKRK - Zuwendungen von insgesamt DM 2,5 Millionen - und von UNICEF zu unterstützen. Im Rahmen der Maßnahmen des IKRK ist das DRK mit einem Ärzteteam vertreten.
Durch Maßnahmen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der FAO ist sichergestellt, daß der von der FAO ermittelte Bedarf an Getreide gedeckt ist. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat ferner 3 000 Tonnen Getreide zur Verfügung gestellt.
Die Bundesregierung begrüßt die Empfehlung des Unterausschusses „Humanitäre Hilfe" des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, weitere Mittel für humanitäre Hilfe im Libanon zur Verfügung zu stellen, da das ihren eigenen Intentionen entspricht. Sie hofft insbesondere, daß die israelische Regierung privaten Hilfsorganisationen aus der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme ihrer Tätigkeit im Libanon gestattet, und wird deren Hilfsprogramme im Rahmen des ihr Möglichen unterstützen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Renger.
Herr Staatsminister, gibt es hinsichtlich der vorgesehenen materiellen und personellen Hilfsmaßnahmen Haushaltsschwierigkeiten?
Mir sind solche Schwierigkeiten bisher nicht bekanntgeworden.
Eine zweite Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Wird die Bundesregierung dem Wunsch des Unterausschusses für humanitäre Hilfe entsprechen und alle Hilfsorganisationen zu einer Konferenz zusammenrufen, um die Hilfsmaßnahmen zu koordinieren?
Ich glaube, daß das ein sehr nützlicher Vorschlag ist. Ich werde das gerne aufgreifen und versuchen, dem Rechnung zu tragen.
Herr Kollege Czaja zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind im Haushaltstittel für humanitäre Hilfe noch genügend Mittel vorhanden, oder müssen Sie außer- oder überplanmäßige Mittel beantragen bzw. haben Sie solche schon beantragt?
Herr Abgeordneter, ich muß an das anknüpfen, was ich bereits auf eine entsprechende Frage der Frau Abgeordneten Renger geantwortet habe. Mir sind die haushaltsmäßigen Schwierigkeiten, die hier offenbar oder möglicherweise bestehen, im Moment nicht bekannt. Wir müssen dem gemeinsam nachgehen.
Herr Kollege Neumann, bitte.
Herr Staatsminister, sind Ihnen die Umstände bekannt, unter denen palästinensische Gefangene bei den Israelis untergebracht sind, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, diesen Gefangenen zu helfen, soweit es notwendig ist?
Mir liegen dazu keine Informationen vor, Herr Abgeordneter.
Frau Kollegin Schuchardt zu einer Zusatzfrage.
Ich möchte die zweite Frage mit der ersten verknüpfen. Sie haben gesagt, daß die Bundesregierung 3 Millionen DM und im übrigen auch eine zusätzliche Getreidelieferung bereitgestellt hat. Wo befinden sich die Hilfsgüter des Internationalen Roten Kreuzes zur Zeit? Besteht nicht ein unmittelbarer Zusammenhang dazwischen, daß man Hilfsgüter einerseits bereitstellt, andererseits aber auch dafür Sorge trägt, daß sie dort ankommen, wohin sie gelangen sollen, und nicht in Zypern landen, wie es offenbar jetzt der Fall ist?
Dieser Zusammenhang besteht selbstverständlich. Deswegen bemühen wir uns ja auch so intensiv, eine Änderung der Haltung der israelischen Regierung zu erreichen.
Wo die Hilfsgüter der Europäischen Gemeinschaft sich zur Zeit befinden, kann ich Ihnen nicht sagen. Die Kommission hat uns nur generell darüber informiert, daß es diese Zurückweisung gegeben hat.
Herr Kollege Köster zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, darauf zu verzichten, daß Hilfsorganisationen ein detailliertes Programm vorlegen, bevor die Bundesregierung ihnen Mittel zuteilt, insbesondere wenn der Botschafter eines solchen Landes - so steht es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" -, seine Exzellenz al Khalil, gesagt hat, es fehle an allem?
Herr Abgeordneter, ich muß diese Frage erst im Rahmen der Bundesregierung klären. Ich kann sie hier im Moment nicht beantworten. Ich möchte aber darauf verweisen, daß der libanesische Botschafter ausdrücklich den Dank seiner Regierung für die bisherigen Hilfsmaßnahmen übermittelt hat und natürlich um weitere substantielle Hilfe gebeten hat. Wir werden dem aber auch im Rahmen des Möglichen nachkommen.
Herr Kollege Gansel zu einer Frage.
Herr Staatsminister, wird es möglich sein, daß die Bundesregierung diese Probleme so rechtzeitig klärt - auch wenn für das Parlament möglicherweise bis morgens um 8 Uhr dazu keine Zeit gewesen ist -, daß wenigstens der betroffenen Zivilbevölkerung im Libanon rechtzeitig Hilfe geleistet werden kann?
Ich kann nur noch einmal sagen: Unsere Bemühungen sind sehr intensiv. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat seinen Präsidenten beauftragt, nachdrücklich zu demarchieren. Darin muß j a wohl auch der zeitliche Faktor enthalten sein; man möchte also keine weitere Zeit verlieren.
Herr Kollege Voigt zu einer Frage? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, es hat in der letzten Zeit Pressemeldungen darüber gegeben, daß Hilfslieferungen von israelischer Seite im israelischen Fernsehen benutzt worden sind, um die Position der Israelis auch politisch zu unterstreichen. Kann die Bundesregierung gewährleisten, daß Hilfslieferungen, die von der Bundesregierung mit unterstützt werden oder von der Bundesrepublik ausgehen, nicht für politische Propaganda mißbraucht werden?
Mir sind diese Informationen nicht bekannt. Ich müßte sie erst einmal nachprüfen, um daraus möglicherweise Konsequenzen ziehen zu können.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht. Damit sind die beiden Dringlichen Fragen beantwortet.
Wir kommen nun zu den übrigen Fragen, die gestellt sind. Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Staatssekretär Gallus.
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Wir kommen zu Frage 64 des Herrn Abgeordneten Feile. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? - Der Abgeordnete ist nicht anwesend.
Dann rufe ich die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Kann die Bundesregierung die Feststellung im EG-Sitzungsdokument 1-95/82 ({0}) bestätigen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Gerichte mehrfach festgestellt haben, daß die Käfighaltung als Tierquälerei zu betrachten ist und folglich strafbar sein kann - diese Aussage deckt sich mit der Stellungnahme von Professor Sambraus anläßlich der öffentlichen Anhörung am 12. und 13. Mai 1982 in Bonn -, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus?
Herr Kollege, der Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments hat in seinen Richtlinien zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutz der Legehennen in Käfigbatterien u. a. erwähnt, daß in der Bundesrepublik Deutschland Gerichte mehrfach festgestellt hätten, die Käfighaltung sei als Tierquälerei zu betrachten und könne folglich strafbar sein. Die Bundesregierung hat bei Beantwortung parlamentarischer Anfragen wiederholt darauf hingewiesen, daß keine der bisher bekanntgewordenen Gerichtsentscheidungen die Feststellung enthält, die Käfighaltung von Legehennen sei generell mit dem Tierschutzgesetz nicht vereinbar und daher verboten. Die gerichtlichen Entscheidungen beziehen sich nur auf die Frage, ob der einzelne Tierhalter gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes verstoßen hat, nicht aber darauf, ob ein Haltungssystem als solches tierschutzwidrig ist.
Die Bundesregierung stimmt der Auffassung des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz in seiner Stellungnahme für das Europäische Parlament zu, daß in Anbetracht der getätigten Investitionen und unter Berücksichtigung der Produktionskosten ein Verbot von Legehennebatterien zumindest zur Zeit unrealistisch ist.
Verhaltenswissenschaftler haben festgestellt, daß die derzeit übliche Käfighaltung der Legehennen mit Mängeln in ethologischer Hinsicht behaftet ist. Jedoch müssen noch Haltungssysteme gefunden werden, mit denen bestehende hygienische, ethologische und wirtschaftliche Probleme gleichermaßen gelöst werden können. Die EG-Kommission versucht, durch ein breit angelegtes Forschungsprojekt, an dem auch deutsche Wissenschaftler beteiligt sind, einer Lösung der Probleme näherzukommen. Erste Ergebnisse werden für 1984 erwartet.
Die Bundesregierung unterstützt als ersten Schritt zu einer Verbesserung der Situation für die Tiere und zur Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der deutschen Geflügelwirtschaft eine EG-einheitliche Festsetzung von Mindestnormen durch eine Richtlinie. Bei den Beratungen zu dieser Richtlinie hat sich die Bundesregierung insbesondere für eine Vergrößerung der jeder Henne zur Verfügung stehenden Käfigfläche eingesetzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Stutzer.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen: Hätten die Feststellungen der Verhaltensforscher wie z. B. des Professor Sambraus nicht schon längst zu einer Umstellung des Tierhaltungssystems führen müssen, und zwar nicht nur, wie Sie sagen, bei uns, sondern im gesamten EG-Bereich, wenn man nämlich den anerkannten tierschutzrechtlichen Leidensbegriff zugrunde legt, wie es das Oberlandesgericht Frankfurt in seiner Entscheidung vom 12. April 1979 getan hat?
Herr Kollege, zunächst zu der Feststellung in der Frankfurter Gerichtsentscheidung: Ich habe hier bereits darauf hingewiesen, daß das Gericht das Haltungssystem als solches nicht in Frage gestellt hat. Ich habe gesagt, die gerichtlichen Entscheidungen beziehen sich nur auf die Frage, ob der einzelne Tierhalter gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes verstoßen hat.
Was das Haltungssystem für Legehennen anbetrifft, so hat die Bundesregierung als erste auf die EG-Kommission eingewirkt, eine EG-einheitliche Regelung zu finden. Ich glaube nicht, daß es derzeit möglich sein wird, die Käfige EG-weit zu verbieten. Demzufolge hat sich die Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, zunächst einmal eine Verbesserung dadurch herbeizuführen, daß, wie ich ausgeführt habe, eine größere Mindestfläche je Henne vorgeschrieben wird. Die Entscheidung hierüber - nämlich ob wir 500 oder 550 cm2 pro Henne bekommen - steht kurz bevor. Sie ist noch nicht endgültig getroffen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Stutzer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es nach der bereits erwähnten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt beim Leidensbegriff des § 17 des Tierschutzgesetzes nicht auf klinisch erfaßbare Tatbestände der Human- oder Veterinärmedizin ankommt, sondern auf die dem Tier auferzwungenen Entbehrungen, und schließen Sie es aus, daß eine EG-Richtlinie, in der der Leidensbegriff nicht so gesehen wird, gegen unsere Verfassung verstoßen könnte?
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß das gegen die Verfassung verstößt. Im übrigen bin ich nicht befugt, hier festzustellen, was gegen die Verfassung verstößt und was nicht. Das müßte das Bundesverfassungsgericht feststellen. Da müßte aber erst einmal jemand in dieser Richtung klagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist eine andere Haltungsform in der EG nicht durchsetzbar. Ist es dann nicht besser, die Aktivitäten der Bundesregierung dahin zu lenken, einen größeren Lebensraum je Henne in den Käfigen zu erreichen, und sehe ich es
richtig, daß ich nur dann, wenn dies durchsetzbar ist, einen Teilerfolg erzielt habe? Anderenfalls würde sich die Produktion wohl in andere Länder verlagern.
Herr Kollege, genau darauf hat sich die Bundesregierung eingestellt, nämlich dafür zu sorgen, daß EG-einheitlich in Zukunft den Legehennen in den Käfigen mehr Lebensraum als bisher in der EWG üblich bereitgestellt wird.
Aber es hat, wie gesagt, sehr lange gedauert, bis diese Richtlinie zum Abschluß gebracht werden konnte. Sie ist bis jetzt noch nicht verabschiedet; wir stehen aber kurz davor.
Herr Conradi zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Haus bestätigen, daß die von Ihnen genannte Fläche für das einzelne Huhn der Fläche entspricht, die dieser gefaltete DIN-A4-Bogen bedeckt, den ich Ihnen hier zeige?
Herr Kollege, ich kann Ihnen bestätigen, daß es, wenn die EG-Kommission in der Richtlinie 550 Quadratzentimeter festlegt, dann auch 550 Quadratzentimeter sind und nicht mehr.
({0})
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.
Für die Fragen 8, 9 und 10 haben die Fragesteller, die Abgeordneten Kroll-Schlüter und Lambinus, schriftliche Beantwortung erbeten; dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann rufe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Corterier erschienen.
Die Frage 11 wird auf Bitten des Fragestellers, der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}), schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf und bitte um Beantwortung:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere im Hinblick auf die Unterdrückung der Kurden?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, wie auch einige andere Fragen, die die Türkei betreffen, haben einen gemeinsamen Kern: Wie ist es um den Schutz der Menschenrechte in der Türkei bestellt? Wie ist die Lage der Kurden in der Türkei?
Mehrere Kollegen beziehen sich auf einen Hungerstreik, der seit dem 24. Mai durchgeführt wurde und den Verhältnissen in der Türkei galt. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen; ich werde mich bei Antworten auf spätere Fragen zum Teil auf diese jetzt etwas ausführlichere Antwort beziehen.
Ich habe großen Respekt vor dem Engagement von Menschen, die durch einen Hungerstreik die Achtung der Menschenrechte durchsetzen wollen. Ihnen möchte ich sagen, daß ihre Sorgen auch die Sorgen der Bundesregierung sind und daß die Bundesregierung in einem ständigen Dialog mit der Führung der Türkei in der Frage der Menschenrechte steht. Sie ist sich durchaus bewußt, daß, was immer sie unternimmt, den Menschen in der Türkei zugute kommen muß. Sie hat die Erfahrung gemacht, daß gerade in den von sieben Abgeordneten angesprochenen Fragen Fortschritte durch intensives Gespräch auf Regierungsebene zu erreichen sind. Es hat allerdings in den letzten Monaten auch erhebliche Rückschläge gegeben; ich denke etwa an die Verfolgung von Bülent Ecevit.
Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung jedem auch nur einigermaßen begründeten Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen nachgeht. Die türkische Regierung hat uns versichert, daß jede Frage, die bezüglich der Menschenrechte in der Türkei an sie gerichtet wird, auch beantwortet wird. Pauschale Vorwürfe und Behauptungen der Hungerstreikenden machen es der Bundesregierung jedoch nicht leicht, solchen Anschuldigungen nachzugehen. Dadurch kann im übrigen auch der Eindruck entstehen, daß es bei dem Hungerstreik zumindest einigen auch um etwas anderes gehen könnte, nämlich nur die Diskreditierung eines Bündnispartners der Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundesregierung ist jedenfalls bereit, konkrete und präzise Behauptungen aufzugreifen und ihnen nachzugehen. Sie hat zuletzt im Gespräch des Bundesministers des Auswärtigen mit dem türkischen Außenminister am 19. Mai und in dem des Bundeskanzlers mit dem türkischen Ministerpräsidenten am Rande des NATO-Gipfels am 9. Juni die Frage der Menschenrechte in der Türkei, aber auch des Zeitplans für die Rückkehr des Landes zur Demokratie erörtert.
Lassen Sie mich jetzt etwas zur Lage der Minderheiten in der Türkei anfügen. Klagen über die Behandlung der Minderheiten in der Türkei haben uns schon vor der Machtübernahme durch die Militärs immer wieder beschäftigt.
Was die Christen angeht, so ist bekannt, daß ihre Lage in der Türkei oft schwierig ist. Es gibt regional de facto Diskriminierungen im administrativen Be- reich, insbesondere was die Chancengleichheit im Erziehungswesen und im Zugang zu öffentlichen Ämtern angeht. Die Lage der Christen hat sich aber - dazu gibt es verschiedene Aussagen aus deren Bereich - seit der Machtübernahme der Militärs eher verbessert. Sie fühlen sich sicherer vor Übergriffen, namentlich auch aus der kurdischen Bevölkerung. Dazu hat z. B. der Seelsorger der arabischsprachigen orthodoxen Christen, Pfarrer Sergios Barbé, festgestellt - ich zitiere -, mit der heutigen Militär6558
regierung lebe es sich als Christ viel friedlicher in der Türkei.
Nun eine Bemerkung zur Lage der Kurden. Die Kurdenfrage ist nicht erst seit der Machtübernahme der Militärs ein besonders brisantes Thema türkischer Innenpolitik. Auch unter demokratischen Regierungen tauchten Meldungen über Verfolgungen und Benachteiligungen kurdischer Türken immer wieder auf; denn seitdem Atatürk 1923 die moderne Türkei gründete, sind Zentralismus und Nationalismus Grundprinzipien der türkischen Staatsauffassung. Das bedeutet auch, daß es für Minderheiten keine besonderen Rechte gibt und daß jede Autonomie-, erst recht jede separatistische Bestrebung seither strafrechtlich verfolgt wird. Diese Staatsauffassung ist auf dem Hintergrund des vorausgegangenen allmählichen Zerfalls des Osmanischen Reiches seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu sehen, eines Zerfalls, der auf nationalistische, zum Teil auch vom Ausland gesteuerte Bestrebungen zurückging.
Nach allem, was wir wissen, werden Kurden unter der Voraussetzung, daß sie sich als türkische Staatsbürger bekennen, nicht diskriminiert. Es wird auch niemand von staatlichen Organen verfolgt, weil er sich öffentlich als Kurde bekennt. Uns ist allerdings eine Ausnahme bekannt, nämlich der Fall des früheren Ministers der Regierung Ecevit, Elci, der zu einer Gefängnisstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurde, weil er sich öffentlich zum Kurdentum bekannt hatte.
Im Osten und Südosten der Türkei, den Hauptsiedlungsgebieten der Kurden, wird so gut wie ausschließlich Kurdisch gesprochen; in den Überlandbussen werden gelegentlich Tonbänder mit kurdischen Liedern abgespielt. Notverordnungsähnliche Regelungen aus den 20er Jahren, die den Gebrauch der kurdischen Sprache und kurdische Publikationen verboten hatten, werden von türkischer Seite nicht mehr durchgesetzt. Allerdings ist Türkisch die offizielle Amts- und Schulsprache. Kurdisch darf an türkischen Schulen und Universitäten nicht gelehrt und auch nicht als Unterrichtssprache benutzt werden. Auch ist die Einfuhr sämtlicher im Ausland veröffentlichten Drucksachen, Schallplatten, Tonbänder u. ä. in kurdischer Sprache bereits 1967 durch das Dekret des Ministerrates verboten worden. Den Kurden wurden also auch vor dem 12. September 1980 Minderheitsrechte vorenthalten.
Nach allem, was wir weiter wissen, hat sich unter der Militärherrschaft geändert, daß gegen kurdische Gewalttäter, auch gegen solche, die einen Kurdenstaat mit Gewalt durchzusetzen versuchen, in Übereinstimmung mit dem türkischen Strafrecht, wie es bereits vor der Übernahme der Macht durch die Militärs galt, mehr als bisher vorgegangen wird.
Eine Bestätigung der Behauptungen, daß die türkische Regierung ihre Ermittlungen gegen kurdische Angeklagte nicht nach den Prinzipien des Rechtsstaats durchführt, liegt der Bundesregierung nicht vor. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der Prozeß in Diyabakir öffentlich ist.
Ich muß jedoch auch darauf aufmerksam machen, daß unseren Informationsmöglichkeiten hinsichtlich der Situation der Kurden konkrete Grenzen gesetzt sind. Die Bundesregierung hat keine diplomatische oder konsularische Vertretung im Osten der Türkei. Ankara ist fast 1 000 km von Diyabakir, einem Großstadtzentrum der Kurden, entfernt.
Die türkische Militärregierung hat übrigens schon seit einiger Zeit auch in den überwiegend von Kurden bewohnten Provinzen Bitlis, Mus, Bingöl, Tunceli, Hazig und Malatya - im Unterschied zu Ankara und Istanbul - die Sperrstunden abgeschafft. Das läßt immerhin darauf schließen, daß in diesen Gebieten nicht mit besonderen Unruhen gerechnet wird.
Das war eine sehr umfängliche generelle Antwort zur Situation in der Türkei. Ich denke, das wird helfen, die Zusatzfragen etwas zu präzisieren.
Zu einer Zusatzfrage der Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, darf ich dem ersten Teil Ihrer umfänglichen Antwort entnehmen, daß Sie der Behauptung der Hungerstreikenden, die Repression, die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei habe zugenommen, nicht zustimmen, sondern tatsächlich der Meinung sind, es handele sich um einzelne Rückschläge?
So möchte ich meine Antwort nicht interpretiert wissen. Die Behauptung der Hungerstreikenden ist eben eine sehr pauschale Behauptung, die in dieser Form natürlich kaum nachprüfbar ist. Wir müßten dann, wie ich glaube, sehr viel konkreter einzelnen Fällen und Entwicklungen nachgehen. Ich habe darauf hingewiesen, daß es aus unserer Sicht gewisse Verbesserungen gibt. Ich werde das nachher noch im einzelnen darzulegen haben. Ich darf aber schon jetzt darauf hinweisen, daß dazu mit Sicherheit die Verkürzung der 90-Tage-Frist auf 45 Tage zu rechnen ist, also der Frist, in der jemand festgehalten werden kann, ohne einem Richter vorgeführt zu werden. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, daß es deutliche Rückschläge gibt wie etwa - und das ist ein Symbol für die Demokraten auch außerhalb der Türkei - die Verfolgung des früheren Ministerpräsidenten Bülent Ecevit.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Darf ich noch einmal zum Komplex der Lage der christlichen Minderheiten, der Aramäer oder auch der Syrisch-Orthodoxen, fragen, ob Ihrer Antwort entnommen werden kann, daß zwar die Repression von Nachbarn abgenommen habe, daß aber nach wie vor die volle Entfaltung der kulturellen Aktivitäten dieser Gruppen nicht gewährleistet ist? Diese Gruppen sind ja auch sprachlich unterschiedlich von ihrer Umgebung.
Ich glaube, diese Frage kann man ohne weiteres mit Ja beantworten.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pohlmeier.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, ihre entwicklungspolitischen Aktivitäten stärker nach Ostanatolien, also in die von Kurden besiedelten Gebiete zu lenken?
Ich werde in der Beantwortung einer nachfolgenden Frage näher auf die entwicklungspolitischen Aktivitäten eingehen. Ich glaube, daß das in jedem Fall eine Angelegenheit ist, die man sich ernsthaft überlegen muß. Es gibt aber auch jetzt schon Aktivitäten - ich werde darauf noch näher eingehen - gerade im Osten der Türkei.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Waltemathe.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß das Auswärtige Amt der Meinung ist, wie es in einem Brief mitgeteilt hat, daß das türkische Militärregime die erste türkische Regierung ist, die nachdrücklich gegen die seit je bestehende Folterpraxis gegenüber Inhaftierten einschreitet, und auf welche Tatsachen gründet sich diese Beurteilung?
Die Folter ist in der Türkei leider eine traditionelle Praxis. Darauf ist z. B. die Delegation des Deutschen Bundestages, die im letzten Jahr die Türkei besucht hat und der auch ich angehört habe, etwa von Bülent Ecevit hingewiesen worden. Herr Ecevit hat uns damals auch gesagt, daß er selber sich bemüht habe, etwas gegen diese Praxis zu tun, daß er aber nicht sehr weit gekommen sei.
Ich glaube, es ist tatsächlich richtig, wenn man sagt, daß ein so umfassendes und nachdrückliches Vorgehen gegen die Folter, wie wir es im Moment haben, tatsächlich eine neue Entwicklung ist, daß eben doch eine große Zahl von Verfahren anhängig gemacht worden ist - sie gehen in die Hunderte - und daß es bereits eine nicht unbeträchtliche Zahl von Aburteilungen gibt. Das ist eine positive Entwicklung, wobei man natürlich die weitere Frage hinzufügen müßte, ob sich nicht allein durch die Tatsache, daß es jetzt sehr viel mehr Gefangene gibt als vorher unter der Demokratie, auch die Zahl der Folterfälle erhöht. Das muß man natürlich im Zusammenhang sehen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Minister, wären Sie auf Grund dieser Logik bereit, darüber nachzudenken, ob man vielleicht die Zahl der Folterfälle dadurch senken könnte, daß man Gefangene entläßt?
Das ist selbstverständlich eine Sache, über die wir ständig nachdenken, Herr Abgeordneter. Ich hatte eben bereits Gelegenheit, auf die Frage der Festhaltung ohne Vorführung beim Richter hinzuweisen. Das ist eine besonders wichtige Frage. Dadurch, daß gerade auch durch die Bemühungen von Bundesregierung und Bundestag - der Bundestag hatte in seiner Entschließung vom Juni vergangenen Jahres auf diese Frage besonders abgehoben - diese Frist erst einmal auf die Hälfte verkürzt worden ist, ist automatisch auch die Zahl der Gefangenen geringer geworden.
Im übrigen müssen wir der türkischen Regierung tatsächlich immer wieder sagen, daß, wenn sie selber feststellt, daß sie im Kampf gegen den Terrorismus große Fortschritte gemacht habe, daß dann wohl auch Anlaß sein müßte, die Zahl der Festgehaltenen drastisch zu senken.
Herr Kollege Neumann zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie die Behauptung, daß die Vorwürfe und Behauptungen der Hungerstreikenden zu pauschal und deshalb schwer nachprüfbar sind, unter Berücksichtigung der Tatsache aufrechterhalten, daß ich Ihnen bereits vor 14 Tagen eine Reihe von Namen von Türken genannt habe, die angeblich in dem Militärgefängnis ermordet worden sein sollen?
Jedem Einzelfall, den wir mit genügend Daten und Details zur Verfügung gestellt bekommen, werden wir gern nachgehen. Was die Toten in dem Gefängnis in Diyabakir angeht, so gibt es natürlich sehr widersprüchliche Aussagen, und zwar der türkischen Regierung auf der einen und der Hungerstreikenden auf der anderen Seite. Wir müssen versuchen, hier gemeinsam zu einer Klärung zu kommen.
Herr Kollege Duve zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben den Bündnispartner Türkei angesprochen: Gibt es von den demokratischen Partnern dieses Bündnisses eine gemeinsame Aktion oder Überlegungen zu einer gemeinsamen Aktion, und sind Ihnen ähnliche Demarchen, wie die Bundesregierung sie anscheinend gegenüber der Türkei unternimmt, bezüglich der anderen Bündnispartner, insbesondere bezüglich der Vereinigten Staaten bekannt?
Was die anderen Bündnispartner angeht, so möchte ich vor allem auf das verweisen, was die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, die zum weitaus größten Teil auch gleichzeitig Mitglieder des Nordatlantischen Bündnisses sind, gegenüber der Türkei ständig tun. Das bewegt sich auf der gleichen Linie wie die Bemühungen der Bundesregierung. Ich darf etwa an die Reise des Ratspräsidenten, des belgischen Außenministers Tindemans, in die Türkei in diesem Jahr erinnern.
Die amerikanische Haltung ist teilweise etwas anders. Wir Europäer sind nun einmal näher an der Türkei dran. Wir verfolgen die Entwicklung mit größerer Intensität. Wichtig scheint mir auch zu sein, daß die großen demokratischen Parteien der Bundesrepublik traditionelle Bindungen zu Bruderparteien in der Türkei haben, so daß sie auch von daher das Geschehen dort viel intensiver verfolgen und somit über detaillierte Informationen ihrer türkischen Freunde über die politische Entwicklung in der Türkei verfügen. Aber soweit ich das übersehen kann, hat auch die amerikanische Regierung bei ihren letzten Kontakten mit der türkischen Regierung - ich denke vor allem an die Gespräche, die Außenminister Haig geführt hat - durchaus ähnliche Gesichtspunkte aufgeworfen, wie wir das getan haben.
Herr Kollege Duve, Sie können keine Anschlußfrage mehr stellen. Zu jeder Frage kann nur eine gestellt werden. Aber es gibt noch genug Türkenfragen.
Herr Kollege Voigt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin erwähnt, daß die türkische Regierung zugesagt hat, alle Einzelfälle zu überprüfen, wenn ihr Namen übergeben werden und eine Überprüfung im Einzelfall möglich ist. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß eine Delegation des Deutschen Bundestages in der Türkei war, der u. a. die drei hier anwesenden Abgeordneten Corterier, Voigt und Schuchardt angehörten, und daß ich das Vergnügen oder die Aufgabe - so muß man in diesem Fall wohl besser sagen - hatte, im Namen der Delegation eine umfangreiche Liste mit Namen zu übergeben, und daß uns dort die gleiche Zusage gemacht worden ist, daß aber bis zum heutigen Tag in bezug auf den allergrößten Teil der Fälle keine Auskunft im Einzelfall gegeben worden ist und keine Antwort erfolgt ist?
Herr Abgeordneter, die Zusage der türkischen Regierung liegt vor. Über die Qualität der Antworten kann man aber mit Sicherheit streiten. Wir haben uns ja damals bemüht, ausführlichere, detailliertere Antworten zu erhalten. Diese Bemühungen müssen wir fortsetzen; denn sonst würde natürlich die Zusage der türkischen Regierung entwertet.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Schuchardt.
Herr Staatsminister, Sie haben das 45-Tage-Gesetz erwähnt, nach dem jemand spätestens nach 45 Tagen dem Richtervorgeführt werden muß. Es ist ihnen aber doch bekannt, daß diese Menschen während dieser 45 Tage - früher waren es 90 Tage - spurlos verschwunden waren. Sie hatten keinen Anspruch darauf, Verwandte zu empfangen, sie hatten keinen Anspruch, sich eine anwaltliche Vertretung zu nehmen. Ist es unter diesem Gesichtspunkt nicht verständlich, wenn die Hungersteikenden zwar Namen über verschwundene Personen haben, aber keine Auskunft darüber geben können, wohin sie verschwunden sind, und ist dies nicht die Folge dieses von der Militärjunta verabschiedeten Gesetzes, das die Menschen für 45 Tage - früher für 90 Tage - völlig schutzlos ausliefert?
Frau Abgeordnete, ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, daß eine solche Regelung mit einer solch langen Frist höchst bedenklich ist, daß sie auf jeden Fall unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten nicht akzeptabel ist, weil sie schwersten Mißbräuchen, wie Sie sie erwähnt haben, Tür und Tor öffnet. Deswegen müssen wir uns auch weiterhin darum bemühen, daß diese Frist überhaupt abgeschafft oder mindestens weiter erheblich verkürzt wird, weil das die beste Garantie dafür wäre, daß solche Fälle, wie Sie sie genannt haben, nicht mehr vorkommen.
({0})
Herr Kollege Pohlmeier, Sie haben zu dieser Frage schon eine Zusatzfrage gestellt, und Sie dürfen zu jeder Frage nur eine Zusatzfrage stellen. Wenn Sie noch eine Türkenfrage haben, haben Sie später noch Gelegenheit, diese zu stellen.
Zur Frage 12 noch eine Zusatzfrage, Kollege Conradi.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei im Widerspruch zu den Grundsätzen des Bündnisses stehen und geeignet sind, das Ansehen des Bündnisses nicht nur in unserem Land herabzusetzen?
Ich teile diese Auffassung. Deswegen müssen wir uns darum bemühen, daß wir so schnell wie möglich eine durchgreifende Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei erreichen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Ehmke.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung der Regierung in Ankara hinreichend deutlich vor Augen geführt, daß bei einer Fortführung ihrer augenblicklichen Politik in dieser Frage nach den hier im Bundestag gemeinsam gefaßten Beschlüssen eine Fortsetzung der deutschen Hilfe für die Türkei in Frage gestellt ist?
Das haben wir mehrfach getan, Herr Abgeordneter. Vor allem haben wir immer wieder darauf hingewiesen, daß wir dann keine Zustimmung dieses Hauses für eine Fortsetzung der Hilfe erreichen können.
Werden noch Zusatzfragen zur Frage 12 gestellt? - Dann rufe ich die Frage 13 des Herrn Abgordneten Thüsing auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung zur Situation christlicher Minderheiten in der Türkei, insbesondere über die der Aramäer?
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Es sind eine Reihe von Fragen zu den Verhältnissen in der Türkei gestellt, und ich bitte, bei den Zusatzfragen darauf zu achten, sich konkret an die gestellte Frage zu halten; denn sonst verschwimmt der Inhalt der einzelnen Fragen ineinander.
Herr Abgeordneter, zu dieser Frage habe ich das Wesentliche bereits in meiner Antwort auf die Frage 12, die Sie gestellt hatten, ausgeführt. Ich verweise zusätzlich auf die Antwort des Staatssekretärs von Staden vom 6. Juli 1981, Bundestagsdrucksache 9/650 vom 10. Juli 1981, auf vier schriftliche Fragen des Kollegen Dr. Klein.
Staatssekretär von Staden führte darin im wesentlichen aus, es gebe keine systematische Verfolgung der Christen durch türkische Regierungen, jedoch regional Diskriminierung tatsächlicher Art. Mit der Abwanderung der orthodoxen Griechen im Gefolge der Türkisierung der Türkei unter Atatürk habe eine Auszehrung der christlichen Gemeinden begonnen, die noch heute anhalte und die Widerstandskraft der christlichen Gemeinden in einer fast ausschließlich moslemischen Umwelt mindere. Die Lage der christlichen Minderheiten habe sich seit dem 12. September 1980 gebessert. Die laizistische Militärregierung sei bestrebt, die christlichen Mitbürger vor Übergriffen zu schützen.
Ich möchte gerade unter Berücksichtigung Ihrer ersten Frage, Herr Abgeordneter, darauf hinweisen, daß nach allem was der Bundesregierung über die Lage der Aramäer in der Türkei bekannt ist, diese Minderheit unter Übergriffen der Kurden zu leiden hatte und noch zu leiden hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, sind Ihnen die Beurteilungen der schwedischen und der holländischen sowie auch der belgischen Regierung in dieser Frage bekannt, die auf Grund der Informationen und der Aussagen der Verfolgten entschieden haben, daß in der Tat eine systematische Verfolgung vorliegt, und deshalb in den Asylrechtsfragen entsprechend verfahren sind?
Unsere Bewertung dieser Informationen, die uns vorliegen, ist von Ihrer Bewertung etwas unterschiedlich, Herr Abgeordneter. In diesen Informationen wird über einzelne Verfolgungen berichtet; aber wir schätzen dies nicht so ein, daß es sich um eine systematische, durchgehende Verfolgung der christlichen Minderheiten handelt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, sich die Beurteilungen der angesprochenen Regierung einmal anzusehen und sie unter Umständen in die eigene Wertung der Lage der christlichen Minderheit einfließen zu lassen?
Dazu bin ich bereit.
({0})
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Welche Informationen aus erster Hand besitzt die Bundesregierung über die Lage der Kurden in der Türkei?
Herr Abgeordneter, ich möchte zur Antwort auf meine Antwort auf die Frage 12 des Kollegen Thüsing verweisen.
Wünschen Sie das Wort zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, da Sie in Ihrer längeren Antwort ausgeführt haben, daß die Bundesregierung über nicht besonders gute Möglichkeiten der Information aus erster Hand über die Lage der Kurden verfügt, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, durch Entsendung einer Delegation oder durch besondere Reiseaufträge an die Angehörigen unserer Botschaft oder unseres Konsulats in der Türkei ihren Informationsstand über die Situation in den kurdischen Gebieten zu verbessern.
Herr Abgeordneter, zunächst einmal möchte ich darauf verweisen, daß, was die Prozesse betrifft, die im Moment anhängig sind, eine Beobachtung möglich ist. Wenn ich über Schwierigkeiten der Information gesprochen habe, dann eben über die Vorgänge in den kurdischen Gebieten ganz allgemein. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Kurdenfrage natürlich eine sehr sensitive Frage für die türkische Regierung ist, die in der ganzen Geschichte der neueren Türkei eine sehr schwierige Rolle gespielt hat. Es wäre also zunächst einmal zu prüfen, inwieweit die türkische Regierung derartigen Ansinnen entgegenzukommen bereit ist. Aber die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, gerade auch mit dem Bundestag und seinen zuständigen Ausschüssen alle Möglichkeiten zu prüfen, wie man eventuell gemeinsam - ich denke auch an die Erfahrungen, die wir mit der Bundestagsdelegation im letzten Jahr gemacht haben - zu einer besseren Information kommen kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Da ich, Herr Staatsminister, gar nicht nach den augenblicklichen Prozessen gefragt habe, sondern nach der allgemein unglücklichen Lage des kurdischen Volkes in der Türkei, in die ich auch die Verfolgungsmaßnahme einbeziehen möchte, denen dieses Volk ausgesetzt ist, ausgesetzt war in Syrien, im Irak, im Iran - ein j a wirklich unglückseliges Volk, das millionenfaches Leid erlitten hat, zu welchem Staatsgebiet es auch immer geschlagen worden ist -, wäre die Bundesregierung bereit, sich durch eine Delegation in den verschiedenen Ländern darüber zu informieren, wie die tatsächliche Lage dieses unglücklichen Volkes ist?
Herr Abgeordneter, wir müssen hier realistisch sein. Ich will das, was Sie
eben über das Unglück des kurdischen Volkes gesagt haben, überhaupt nicht in Abrede stellen. Wenn ich mir jedoch die Liste der Staaten, die Sie genannt haben, ansehe, dann müssen wir doch erhebliche Zweifel haben, ob es überhaupt möglich sein wird, in einem der genannten Staaten zu derartigen Informationen durch eine Delegation zu gelangen, wie Sie es hier vorschlagen. Aber ich will nichts ausschließen. Wir müssen uns das dann gemeinsam ansehen. Aber die Zweifel, was derartige Möglichkeiten angeht, sind sehr groß.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voigt.
Herr Staatsminister, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß die Informationen der Bundesregierung über die schulische und kulturelle Lage und Rechte der Kurden in der Türkei unzureichend sind. Hat die Bundesregierung Informationen darüber, wie die Lage der Kurden in der Bundesrepublik Deutschland ist?
Ich vertrete hier das Auswärtige Amt, Herr Kollege Voigt, und muß im Moment mit der Antwort passen. Ich muß der Frage nachgehen.
({0})
Herr Kollege Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, kann denn nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Lage der Kurden in der Türkei nach dem derzeitigen Stand als günstiger angesehen werden als in den Nachbarländern Irak und Iran, oder ist sie gleich ungünstig oder noch ungünstiger?
Herr Kollege, es ist sehr schwer, solche Abwägungen anzustellen. Da gibt es ein ständiges Auf und Ab. Mal gibt es bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Minderheit und den Regierungen der jeweiligen eben hier genannten Länder, mal ist die Situation etwas entspannter, es geht sogar so weit, daß zeitweise Vertreter der kurdischen Minderheiten an Regierungen beteiligt sind. Es ist also sehr schwer, hier ein solche vergleichende Bewertung abzugeben.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Kann die Bundesregierung widerlegen, daß die Wirtschafts- und Militärhilfe der Bundesregierung an die Türkei einer starken Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Minderheit Vorschub leistet?
Die Bundesregierung weiß, daß ihre Wirtschaftshilfe auch den Minderheiten in der Türkei zugute kommt und daß ihre Verteidigungshilfe ausschließlich der Stärkung der Defensivkraft des NATO-Verteidigungsbündnisses dient.
Unsere Warenhilfe an die Türkei trägt zur Konsolidierung der Wirtschaftslage und zur Schaffung von
Arbeitsplätzen bei. Unsere Projekthilfe ist zunehmend auf die Energieversorgung der Türkei gerichtet. Sie kommt auch dem Osten und damit den dort lebenden Minderheiten, also auch den Kurden in der Türkei, zugute. Das Großvorhaben Keban, daß außer einem Wasserkraftwerk auch einen Staudamm und Bewässerungssysteme einschließt, ist seit den 70er Jahren in Betrieb, das Kraftwerk Elbistan im Bau. Die Projekte dienen der Entwicklung der Klein- und Mittelindustrie in Ostanatolien, aber auch der Agrarproduktion.
Die Verteidigungshilfe, die die Bundesrepublik Deutschland der Türkei leistet, dient ausschließlich dazu, die Türkei in den Stand zu setzen, ihren Pflichten als Bündnispartner nachzukommen. Diese Zweckbestimmung ist in dem Verteidigungshilfeabkommen mit der Türkei eindeutig festgelegt. Die Bundesregierung hat keinerlei Anhaltspunkte für eine anderweitige Verwendung der Hilfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Wieweit, Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung kontrollieren, daß die durch die Militärhilfe gelieferten Waffen und Rüstungsgüter nur zu Zwecken der Landesverteidigung im Rahmen der NATO benutzt werden, aber nicht als Instrumente des Militärregimes zur Unterdrückung von Opposition im eigenen Lande?
Zunächst einmal dadurch, daß wir ganz eindeutige vertragliche Abmachungen treffen. Dann ist es bei einem Großteil dessen, was da geliefert wird, von seiner Natur her kaum denkbar, daß es zur Repressionsmaßnahmen benutzt wird. Aber natürlich gibt es bei einem großen Land wie der Türkei und bei einer großen Armee wie der türkischen in dieser Hinsicht Grenzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, verbindet sich mit der Wirtschafts- und Militärhilfe nach wie vor die Erwartung, die der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr vor dem Bundestag und auch vor den Ausschüssen des Bundestages, die damit befaßt sind, dargelegt hat, daß diese Hilfe mit Instrument zur Rückkehr zur Demokratie und zur Beachtung der Menschenrechte sein soll?
So ist es.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Dann rufe ich die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Oostergetelo auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob in der Türkei politische Massenprozesse, u. a. gegen Kurden, geführt werden, in denen in großer Zahl für die Angeklagten Todesstrafen von der Staatsanwaltschaft gefordert werden?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß in der Türkei Massenprozesse
geführt werden, in denen die Staatsanwaltschaft entsprechend türkischer Rechtstradition die Höchststrafe für die Angeklagten gefordert hat. Diese Ankündigungen, die von der Staatsanwaltschaft zu Beginn der Prozesse gemacht werden und über die die Presse zu berichten pflegt, sind nicht zu verwechseln mit den formellen Strafanträgen der Staatsanwaltschaft, die in der Türkei wie bei uns erst am Ende der Hauptverhandlung gestellt werden. Erst recht weichen sie oft von den tatsächlichen Urteilen der Gerichte ab.
Was die Prozesse gegen Kurden angeht, so ist darauf zu verweisen, daß es sich nach türkischer Rechtsauffassung nicht um politische Prozesse handelt. Separatistische Bestrebungen werden nach dem türkischen Strafgesetzbuch mit Todesstrafe bedroht.
Der Bundesregierung ist mit der vorhin erwähnten Ausnahme keine Entscheidung bekannt, mit der Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu Strafen oder gar zum Tode verurteilt worden wären.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, gibt es Absprachen mit den mit uns befreundeten Regierungen, um gemeinsam Druck auf den Verbündeten Türkei auszuüben, was die Menschenrechtsverletzungen im allgemeinen anbetrifft?
So ist es. - Wir gehen in dieser Frage - ich hatte vorhin schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen - gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft vor.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß wir gerade in den Fragen der Menschenrechte bei den mit uns verbündeten Nationen einen strengeren Maßstab anlegen sollten und von daher hier ein Druck auch seitens der Bundesregierung notwendig bleibt?
Ich teile diese Auffassung. Die Türkei hat j a durch ihre Mitgliedschaft in der NATO, durch ihre Mitgliedschaft im Europarat und durch ihre Assoziation mit der Europäischen Gemeinschaft in dieser Hinsicht auch konkrete Verpflichtungen übernommen, so daß wir auf dieser Basis das Recht haben, ihre Einhaltung anzumahnen.
Weitere Zusatzfragen zu Frage 16 werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Besuch einer Kommission der internationalen Juristenorganisation zur Beobachtung der politischen Massenprozesse in der Türkei ihre Unterstützung zu gewähren?
Die Bundesregierung macht darauf aufmerksam, daß die Beobachtung der
Strafprozesse in der Türkei möglich ist. Von dieser Möglichkeit wird auch Gebrauch gemacht.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege?
Nein, keine Zusatzfrage.
Keine Zusatzfrage. Auch sonst wird keine Zusatzfrage gewünscht.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Waltemathe auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, ihren von Bundesminister Genscher angekündigten Bericht über die Menschenrechtssituation in der Türkei den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages vorzulegen?
Die Bundesregierung wird entsprechend der Resolution des Deutschen Bundestages vom 5. Juni 1981 in diesem Jahr den Bericht über die Lage in der Türkei vorlegen. Der genaue Zeitpunkt ist Gegenstand eines Meinungsaustausches zwischen dem Bundestagspräsidenten und der Bundesregierung.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Waltemathe.
Herr Staatsminister, da Sie vorhin auf eine andere Zusatzfrage meines Kollegen Thüsing geantwortet haben, daß die Türkei nach Ihren Beobachtungen Waffenhilfe und andere Hilfe nicht gegen das eigene Volk, sondern zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit verwendet, frage ich: Kann man daraus schließen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß in der Türkei die Menschenrechte um so mehr gewährleistet würden, je mehr Waffen wir liefern?
Herr Abgeordneter, das können Sie daraus nicht schließen. Ich würde Sie aber trotz unserer schweren gemeinsamen Besorgnisse, die wir, was die Türkei angeht, in Sachen Demokratie und Menschenrechte haben, bitten, sich auch einmal unsere Sicherheitslage im Bündnis anzusehen und dabei auch nicht zu vernachlässigen, wie sich die Sicherheitslage an der Südflanke des Bündnisses mit den schweren Unruheherden und den schweren Gefährdungen darstellt, die es gerade in dieser Region gibt. Ich glaube, wenn man das tut, kann man nicht bezweifeln, daß es sehr wichtig ist, daß die Türkei ihren Verteidigungsauftrag im Rahmen des Bündnisses erfüllen kann, und daß dazu die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
Wenn wir diese Notwendigkeit sehen, dann hindert dies uns aber in gar keiner Weise, dem, was wir in Sachen Menschenrechte und Demokratie zu fordern haben, auch in Zukunft nachzugehen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Kollege Waltemathe.
Herr Staatsminister, da Sie zu Recht davon ausgegangen sind, daß meine ursprünglich gestellte, schriftlich vorliegende Frage auf der Entschließung des Bundestages vom 5. Juni
1981 beruht, mit der die Bundesregierung j a aufgefordert worden ist, in diesem Jahr einen Bericht vorzulegen - ich gebe zu, daß dieses Jahr bis zum 31. Dezember dauert -, möchte ich Sie auf dem Hintergrund Ihrer Antwort, wonach auch die sicherheitspolitische Lage in Betracht gezogen werden muß, fragen, ob nicht die Bundesregierung selber daran interessiert sein muß, möglichst bald einen Bericht, wie ihn der Bundestag gefordert hat, vorzulegen.
Die Bundesregierung wird in jedem Fall ihrer Verpflichtung zur Vorlage des Berichts noch in diesem Jahr nachkommen. Im übrigen ist ja ein Zusammenhang zwischen einer möglichen Fortsetzung der Hilfe und der Vorlage dieses Berichts zu sehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Pohlmeier.
Herr Staatsminister, die Bundesregierung hat innerhalb dieses Jahres bereits mehrfach zugesagt, diesen Bericht im Auswärtigen Ausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erstatten. Warum haben Sie diese Berichterstattung mehrfach verschoben?
Herr Abgeordneter, wir sind ja nur verpflichtet, innerhalb dieses Jahres den Bericht vorzulegen. Insofern kann man, glaube ich, der Bundesregierung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie den ihr am geeignetesten erscheinenden Zeitpunkt wählt, wobei es ja, wie ich vorhin gesagt habe, mit dem Präsidium des Bundestages zur Zeit einen Meinungsaustausch darüber gibt, welches dieser Zeitpunkt sein könnte.
Im übrigen hat es natürlich teilweise widersprüchliche Entwicklungen in der Türkei gegeben, gerade wenn ich an die Frage der Menschenrechte denke. Ich hatte vorhin darauf hinweisen können, daß es gewisse Fortschritte gegeben hat. Ich werde das gleich im Detail noch näher vortragen können.
Ich habe aber auch auf Rückschläge hingewiesen. Ich darf noch einmal den Fall Ecevit erwähnen, der das besonders deutlich macht. Ich könnte auch die vielen Ausreiseverbote gerade für frühere Parlamentskollegen von uns nennen.
Das sind doch Dinge, die uns keineswegs gleichgültig lassen können. Hier geht es doch darum, möglichst viel Klarheit für diesen Bericht zu bekommen, damit sich auf dieser Basis der Bundestag und seine Ausschüsse ein Urteil bilden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort an den Kollegen Waltemathe entnehmen, daß es die Bundesregierung ganz allgemein für nützlich, j a sogar für notwendig hält, bei Staaten wie zum Beispiel der Türkei, mit denen uns enge politische Verflechtungen verbinden, Verletzungen von Menschenrechten in einer umfassenden Dokumentation vorzulegen?
Wir haben gegenüber dem Deutschen Bundestag konkrete Verpflichtungen auf der Basis dieser Resolution übernommen. In dieser Resolution sind die Komplexe, die für uns besonders wichtig sind, angesprochen. Auf dieser Basis werden wir uns äußern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Herr Staatsminister, ist einer der Gründe, weshalb der für Februar angekündigte Bericht des Bundesaußenministers über die Türkei bis jetzt nicht abgegeben worden ist, die Tatsache, daß der Bericht über die Menschenrechtssituation in der Türkei zu der Folge führte, die wir in der Resolution vom 5. Juni angedeutet haben?
So weit möchte ich nicht gehen. Aber ich möchte noch einmal wiederholen: Es hat widersprüchliche Entwicklungen gegeben. Wir haben uns große Mühe gegeben, der türkischen Regierung deutlich zu machen, was wir auf der Basis dieser Resolution einfach erwarten müssen. Wir haben sie gebeten, einen Beitrag dazu zu leisten, daß wir im Bundestag die nötigen Mehrheiten für eine Fortsetzung der Hilfe bekommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voigt.
Herr Staatsminister, Sie haben auf einen Meinungsaustausch über den Zeitpunkt, zu dem gegebenenfalls dieser Bericht vor dem Plenum des Bundestags erstattet werden kann, zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundestagspräsidenten hingewiesen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß, zumindest soweit es die SPD-Fraktion dieses Hauses betrifft, das Interesse an einer Diskussion in den zuständigen Ausschüsses und an einem Bericht unmittelbar nach der Sommerpause im Plenum besteht?
Der entsprechende Brief des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, liegt mir vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Barzel.
Könnte es sein, Herr Staatsminister, daß es auch widersprüchliche Entwicklungen innerhalb der Bonner Koalition gegeben hat und das Nichterstatten dieses Berichts als Voraussetzung für das Nichtauszahlen der Mittel benutzt wird?
({0})
Herr Kollege Barzel, ich glaube, Sie machen es sich mit dieser Frage etwas zu einfach. Um das, was Sie hier andeuten, zu widerlegen, bitte ich Sie, sich die Entwicklung bei unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft anzusehen. Sie müssen sehen, daß sich bisher auch die Europäische Gemeinschaft insgesamt nicht entschließen konnte, ihre Zusammenarbeit mit der Türkei im Rahmen der Assoziation durch ein neues Finanzprotokoll fortzusetzen. Es gibt führende
christdemokratische Politiker wie etwa den belgischen Außenminister Tindemans, den amtierenden Ratspräsidenten, der selbst im Auftrag des Rats in der Türkei war, aber auch die italienische Regierung, die denselben Standpunkt wie wir haben. Wenn es hier ein Zögern gibt, dann wegen der unklaren Entwicklung in der Türkei.
({0})
Herr Kollege Barzel, Sie haben nur eine Zusatzfrage zu der gestellten Frage. Es gibt aber noch genügend Fragen zu der Türkei.
({0})
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Waltemathe auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Türkei sich auf dem Weg zur Wiederherstellung der Demokratie befindet und daß die Menschenrechtssituation in der Türkei sich verbessert hat?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, wird sich in einem Monat genauer beantworten lassen, wenn in der Türkei der Verfassungsausschuß seine Arbeit beendet und dem Plenum der beratenden Versammlung den Entwurf einer neuen Verfassung vorgelegt hat.
Die Regierung in Ankara hat der Bundesregierung zugesichert - zuletzt der türkische Ministerpräsident dem Bundeskanzler am 9. Juni 1982, davor der türkische Außenminister dem Bundesminister des Auswärtigen am 19. Mai 1982 -, daß der Zeitplan zur Redemokratisierung der Türkei, wie er am 30. Dezember 1981 vom Vorsitzenden des nationalen Sicherheitsrates der Türkei angekündigt worden war, eingehalten wird. Danach ist im November 1982 mit dem Referendum über die neue türkische Verfassung zu rechnen und im Herbst 1983, spätestens im Frühjahr 1984 mit allgemeinen, demokratischen Wahlen.
Die Bundesregierung sieht eine Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte in der Türkei darin, daß die Frist von 90 auf 45 Tage verkürzt wurde, binnen deren ein Verhafteter seinem gesetzlichen Richter vorgeführt werden muß. Sie sieht sie weiter darin, daß die türkische Regierung ihre Zusicherung, allen Foltervorwürfen nachzugehen, offenbar einhält. Und sie sieht sie im Beschluß des obersten Militärgerichts in Ankara, Geständnisse von Angeschuldigten, die in der Generaldirektion für Sicherheit und ihren Dienststellen abgegeben worden sind, nicht zum Nachteil der Angeklagten zu verwenden.
Die Bundesregierung hält die erreichten Fortschritte jedoch keineswegs für ausreichend. Symptomatisch für die großen Schwierigkeiten, die es in der Frage der Menschenrechte in der Türkei nach wie vor gibt, ist die andauernde Verfolgung von Bülent Ecevit.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Waltemathe.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bisher so verfahren - oder wird sie künftig so verfahren -, daß die Informationen über Menschenrechtsverletzungen, denen sie selbstverständlich auch über ihre eigenen Kanäle nachgeht, an die UNO-Menschenrechtskommission weiterleitet?
Bisher ist das nicht der Fall.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Waltemathe.
Ist die Bundesregierung für den Fall, daß sich die niederländische Regierung entschließen sollte, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Türkei Anklage wegen Menschenrechtsverletzung zu erheben, bereit, sich einer solchen Klage anzuschließen?
Wir haben bisher nicht die Absicht, uns einer solchen Klage anzuschließen, weil wir der Meinung sind, daß wir auf Grund unserer politischen Kontakte eine bessere Möglichkeit haben, in Sachen Menschenrechte weiterzukommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Pohlmeier.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung eine Verbesserung der Menschenrechtssituation unter anderem auch darin, daß die türkische Regierung offenbar darangeht, Verletzungen der Menschenrechte durch die Untersuchungsbeamten bei Verhören strafrechtlich verfolgen zu lassen, und in welchem Umfang ist das nach Ihrer Kenntnis geschehen?
Ich habe ja schon vorhin darauf hingewiesen, daß das eine positive Entwicklung ist, die wir registrieren. Wir haben eine Reihe von türkischen Pressemeldungen vorliegen. Danach sind bis zum 28. April dieses Jahres 453 Foltervorwürfe untersucht worden. In 125 Fällen wurden die Untersuchungen eingestellt. Bis jetzt hat es 9 Verurteilungen gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, mir zuzustimmen, daß die Individualbeschwerde bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen für Kurden, die sich in ihren Menschenrechten verletzt fühlen, durchaus ein Mittel ist, das vor die Menschenrechtskommission zu bringen?
Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Haase.
Herr Staatsminister, sehen Sie Möglichkeiten - wenn ja: welche -, die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung zu ermuntern, möglichst schnell zu einer Verfassung zu kommen, die die demokratischen Verhältnisse in der Türkei wiederherstellen?
Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir an einem sehr raschen Abschluß der Arbeiten dieser Versammlung interessiert sind.
Es hat verschiedene Kontakte gegeben, vor allem mit dem Präsidenten dieser Versammlung. Bundesaußenminister Genscher hat unter anderem mit ihm gesprochen. Nach allem, was wir wissen - ich möchte auf das verweisen, was ich eben gesagt habe -, sollen die Arbeiten der Versammlung in Kürze zu Ende gehen. Es ist ja geplant, bereits im Herbst in der Türkei das Referendum über die Verfassung durchzuführen.
Herr Immer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß laut Meldung des WDR eine Rechtsanwaltsgruppe aus der Bundesrepublik festgestellt hat, daß von etwa 2000 Rechtsanwälten in Ankara lediglich 20 noch bereit sind, in solchen politischen Prozessen die Verteidigung zu übernehmen, weil sie sonst erheblichem Druck ausgesetzt werden?
Mir ist diese Meldung bisher nicht bekannt. Ich werde ihr gerne nachgehen.
Kollege Conradi zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß mindestens zwei Verwaltungsgerichte, nämlich Berlin und Wiesbaden, und Amnesty International die positive Einschätzung der Menschenrechtssituation in der Türkei, wie sie aus dem Gutachten des Auswärtigen Amtes in Asylfragen hervorgeht, nicht teilen? Und sind Sie bereit, die Gutachtenpraxis des Auswärtigen Amtes in Sachen Menschenrechtsverletzungen einer Überprüfung zu unterziehen?
Herr Abgeordneter, die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes in diesen Verfahren werden nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben. Aber selbstverständlich müssen wir laufend die Entwicklung verfolgen und im Lichte neuer Informationen möglicherweise auch eine Überprüfung anstellen.
Herr Kollege Stercken zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann die türkische Regierung davon ausgehen, daß die von der Bundesregierung vertretenen Prinzipien Grundsätze sind, die auf alle Völker, auf alle Regierungen, auf alle Staaten Anwendung finden?
Herr Abgeordneter, ich möchte mich einer so allgemeinen Formulierung nicht ohne weiteres anschließen, sondern auf das verweisen, was ich schon vorhin auszuführen Gelegenheit hatte, nämlich daß die Türkei ja hier in einer anderen Lage als andere Völker und andere Regierungen ist. Sie ist nämlich Mitglied der Nordatlantischen Allianz mit den besonderen Verpflichtungen, die sich daraus ergeben.
({0})
Sie ist Mitglied des Europarates mit den besonderen Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, und sie steht in einem sehr engen Assoziationsverhältnis mit der Europäischen Gemeinschaft, und auch daraus ergeben sich Verpflichtungen. Deswegen ist hier eine besondere Lage gegeben.
({1})
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Neumann ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung die Behauptung bekannt, wonach in der Türkei ({1}) Massaker, Hinrichtungen und Folterungen geschehen sein sollen, und daß zur Aufdeckung geschehener und Verhinderung weiterer Verbrechen seit dem 24. Mai 1982 ein bundesweiter unbefristeter Hungerstreik von Türken, Kurden und Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage kann ich mit Ja beantworten. Ich verweise im übrigen auf meine Antwort auf die Frage Nummer 12 des Kollegen Thüsing.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann?
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, den darin gemachten Vorwürfen und Behauptungen der Hungerstreikenden nachzugeben?
Ja, das habe ich ja vorhin bereits ausgeführt. Nur ist es natürlich wichtig, daß die Vorwürfe dann auch wirklich so konkret wie möglich uns mitgeteilt werden - mit allen Daten und Fakten, die überhaupt verfügbar sind -, damit wir sie nachprüfen können, damit wir sie gegebenenfalls in den Dialog, den wir mit der türkischen Regierung haben, einführen können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Neumann.
Herr Staatsminister, ich will hier nicht Fragen wiederholen, aber würden Sie mir zugestehen, daß es sehr schwierig ist, für behauptete Ermordungen in Militärgefängnissen Daten und Einzelheiten in der Form zu erbringen, wie sie offensichtlich von Ihnen verlangt werden?
Herr Abgeordneter, dem kann ich nur zustimmen. Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig für die Bundesregierung, im
Umgang mit einer souveränen Regierung wie der türkischen Regierung auf Grund von ungeprüften Angaben, die möglicherweise falsch sind tätig zu werden. Wir sind hier also in einem Dilemma.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Neumann ({0}) auf:
Sind der Bundesregierung die Forderungen der Hungerstreikenden, Aufklärung über die Ermordung mehrerer politischer Gefangener in den Militärgefängnissen Diyabakir und Alemdag/Istanbul, Entsendung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Massaker und Menschenrechtsverletzungen, Beobachtung der politischen Massenprozesse in der Türkei und Türkei-Kurdistans, bekannt, und ist sie bereit, schnell - vor allem wegen der dringendsten Forderung nach Entsendung einer unabhängigen Kommission - diese zu unterstützen und deswegen mit der türkischen Regierung zu verhandeln?
Der Bundesregierung sind die Forderungen der Hungerstreikenden bekannt. Die Bundesregierung ist, wie ich bereits ausgeführt habe und wie ich es eben wiederholt habe, bereit, konkreten und substantiierten Vorwürfen nachzugehen. Sie ist auch bereit, sich bezüglich der Art und Weise, wie dies geschehen soll, mit dem Bundestag abzustimmen. Dabei werden die Grenzen zu berücksichtigen sein, die das geltende türkische Recht setzt, das schon vor dem 12. September 1980 nur den nächsten Angehörigen und den Anwälten der Häftlinge gestattete, diese in den Gefängnissen aufzusuchen.
Wir haben gute Erfahrungen mit der Entsendung einer Bundestagsdelegation gemacht, die im März 1981 in die Türkei reiste. Ihr Wunsch, türkische Gefängnisse zu besuchen, scheiterte aber auch schon damals an der geschilderten Rechtslage.
Eine Zusatzfrage, Frau Schuchardt, bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß das Internationale Komitee des Roten Kreuzes die in Polen inhaftierten Gefangenen aufsuchen darf, und hat man die NATO-Tagung dazu benutzt, zu erreichen, daß auch die türkische Regierung sich zu dieser Maßnahme entscheiden könnte, nämlich das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in ihren Gefängnissen zu tolerieren, um damit möglicherweise international ein Zeichen zu setzen, daß man bereit ist, die Nachweise zu bringen, daß man sich bemüht, Menschenrechte nicht zu verletzen?
({0})
Ich habe Sie, Frau Abgeordnete, bereits darauf hingewiesen, daß es anläßlich der NATO-Tagung bilaterale Gespräche des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers gegeben hat. In beiden Gesprächen ist die Menschenrechslage in der Türkei erörtert worden. Der konkrete Vorschlag, den Sie soeben machen, ist nach meinen Informationen nicht Gegenstand dieser Gespräche gewesen. Aber wir müssen uns darüber unterhalten, inwieweit er vielleicht in den Dialog mit der türkischen Regierung eingeführt werden könnte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, da sowohl in der Frage des Abgeordneten Neumann als auch in der vorhin gestellten Frage des Abgeordneten Oostergetelo Nr. 17 ausdrücklich nach der Unterstützung der internationalen Juristenorganisation oder einer unabhängigen Kommission gefragt war, darf ich fragen: Sind Sie bereit, soweit es in der Macht der Regierung steht, diese Unterstützung auch durch unsere Botschaft und Konsulate zu gewähren?
Herr Abgeordneter, ich habe die Bereitschaft der Bundesregierung erklärt, über mögliche Formen einer solchen Information und eines Einwirkens auf die türkische Regierung gemeinsam nachzudenken. Wenn wir uns dann auf eine Form verständigen, wird es sicherlich an der nötigen Unterstützung nicht fehlen.
Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß j a bereits im letzten Jahr, als es ähnliche Demonstrationen und Hungerstreiks gab, die Konsequenz die gewesen ist, daß wir uns entschlossen haben, eine Bundestagsdelegation zu entsenden, die selbstverständlich alle notwendige Unterstützung durch die Bundesregierung bekommen hat. Es wäre also, glaube ich, gut, auch noch einmal über eine solche Möglichkeit nachzudenken.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, daß seit dem 24. Mai d. J. 338 türkische, kurdische und deutsche Arbeitnehmer in 24 Städten Westeuropas, davon in 14 deutschen Städten, einen Hungerstreik gegen Hinrichtungen, Folterungen und Massaker in der Türkei durchführen, und wie hat sie darauf reagiert?
Die Antwort auf Ihre Frage, Herr Abgeordneter, habe ich bereits durch meine Antworten auf die Fragen Nr. 12 des Abgeordneten Thüsing und Nr. 20 des Abgeordneten Neumann gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Herr Staatsminister, in Beantwortung der vorigen Frage hatten Sie gesagt, daß man gute Erfahrungen mit der Delegation gemacht habe, die seinerzeit auf Grund des Hungerstreiks in die Türkei gefahren ist. Worin bestanden diese besonders guten Erfahrungen?
Die bestanden vor allem darin, daß sich diese Delegation sehr intensiv informieren konnte und daß auf der Basis des Berichts, den diese Delegation gegeben hat, dann der gesamte Bundestag seine Politik in der Türkei6568
Frage in der bekannten Resolution vom Juni vergangenen Jahres formuliert hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Herr Staatsminister, da Sie soeben sagten, man sollte eventuell wieder an den Gedanken einer solchen Delegation herangehen, darf ich fragen: Würden Sie einer solchen Delegation dann nicht raten, vielleicht etwas offensiver und selbständiger in der Türkei aufzutreten, als es nach meinen Informationen bei der letzten Delegation der Fall war?
({0})
Herr Abgeordneter, ich muß mich, glaube ich, jetzt doch sehr zurückhalten. Ich kann als Mitglied der Bundesregierung dem Hohen Hause wohl kaum so weitgehende Empfehlungen geben. Ich glaube, Sie müßten dann eben auf der Basis der Erfahrungen, die die letzte Delegation gemacht hat, überlegen, wie Sie es besser machen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voigt.
Herr Staatsminister, würden Sie mir vielleicht zubilligen, daß ich auf Grund einer anderen Funktion und deshalb etwas unbefangener folgende Frage stellen kann: Würden Sie mir zustimmen, daß bei dem offiziellen Charakter einer solchen Bundestagsdelegation der damit verbundene Vorteil offizieller Kontakte gleichzeitig mit dem Nachteil erkauft werden muß, daß man eben auch an die überwiegend offiziell vermittelten Kontakte und Informationsmöglichkeiten gebunden ist?
Dem muß ich zustimmen und würde außerdem zu bedenken geben, ob eine Delegation, die nicht aus Abgeordneten zusammengesetzt wäre, überhaupt die Erlaubnis bekäme, das Land zu besuchen, und über ausreichende Informationsmöglichkeiten verfügen würde.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Forderungen der Hungerstreikenden nach einer internationalen Delegation der UNO-Menschenrechtskommission in die Türkei zu unterstützen, und welche Schritte wird sie gegebenenfalls unternehmen, um dies zu erreichen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Die Bundesregierung ist bereit - wie ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen möchte -, allen konkreten und substantiierten Fällen von Menschenrechtsverletzungen nachzugehen und sie mit der türkischen Regierung aufzugreifen.
Im übrigen verweise ich auf meine Antwort auf die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Neumann ({0}).
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Herr Staatsminister, ich hatte in meiner schriftlichen Frage auch danach gefragt, ob Sie bereit sind, die Forderung nach Entsendung einer Delegation der UNO-Menschenrechtskommission in die Türkei zu unterstützen. Sind Sie dazu bereit?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihre Frage so konkret im Augenblick nicht beantworten. Ich kann nur anbieten, gemeinsam darüber nachzudenken, welches die beste Form ist.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe dann die Frage 24 der Frau Abgeordneten Schuchardt auf.
Inwieweit wurde das NATO-Treffen am 10. Juni 1982 genutzt, den NATO-Partner Türkei zur Einhaltung der Menschenrechte und Wiederherstellung der Demokratie zu verpflichten?
Die Bundesregierung hat die Anwesenheit des türkischen Ministerpräsidenten und des türkischen Außenministers beim Nato-Gipfeltreffen am 10. Juni in Bonn auch dazu benutzt, in bilateralen Gesprächen des Bundeskanzlers bzw. des Bundesaußenministers Fragen der Menschenrechte und der Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei zu behandeln.
Die türkische Republik hat im übrigen die Verpflichtung zur Gewährleistung der Demokratie und der Menschenrechte bereits mit ihrem Beitritt zum Nordatlantikvertrag am 18. Februar 1952 übernommen. Die gegenwärtige türkische Militärregierung hat das Nato-Gipfeltreffen ihrerseits zum Anlaß genommen, ihre Entschlossenheit zu bekräftigen, diesen Verpflichtungen nachzukommen.
Keine Zusatzfrage. - Frau Kollegin Schuchardt, bitte, entschuldigen Sie.
Ist die Nato-Tagung zum Anlaß genommen worden, der Türkei klarzumachen, daß die Sicherheit der Südostflanke der Nato nicht durch militärische Mittel, sondern zuallererst wohl durch die Sicherung der Menschenrechte erreicht werden kann?
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Frau Abgeordnete, mir ist nicht bekannt, daß auf der Nato-Tagung selbst gegenüber der Türkei in diesem Sinne argumentiert worden wäre. Ich kann nur noch einmal sagen, daß in den bilateralen Kontakten, die wir gehabt haben, der Türkei gegenüber auf die überragende Bedeutung der Menschenrechte hingewiesen worden ist.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Schuchardt.
Herr Staatsminister, wie bringt es ein solcher Kreis fertig,
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sich im Rahmen der Tagesordnung über das Militärregime in Polen zu unterhalten, nicht zugleich aber auch über ein Militärregime, das am selben Tisch sitzt?
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Frau Abgeordnete, wir müssen ja immer überlegen, welches die beste Möglichkeit ist, im Sinne eines gemeinsamen Anliegens weiterzukommen. Ich nehme an, daß die Aufnahme eines solchen formellen Punktes in die Tagesordnung, selbst wenn sie möglich gewesen wäre, von der türkischen Regierung als ein An-den-Pranger-Stellen empfunden worden wäre
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und wohl kaum zu einer positiven Reaktion in dem von uns gewünschten Sinne geführt hätte. Deshalb scheinen mir die bilateralen Kontakte, die es am Rande des Treffens gegeben hat, wichtiger und besser zu sein im Sinne unseres Anliegens.
Ich kann dabei natürlich nur über die Kontakte berichten, die die Bundesregierung gehabt hat; ich weiß nicht, welches der Inhalt der Gespräche der anderen Regierungen gewesen ist. Ich gehe aber davon aus, daß auch andere Regierungen von Nato-Staaten - so wie ich deren Einstellung kenne - in ähnlichem Sinne argumentiert haben, wie wir es getan haben.
Herr Kollege Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß die Einhaltung der Menschenrechte und die Wiederherstellung der Demokratie Grundlage der Verteidigungsanstrengungen des Bündnisses sein müssen, und sehen Sie hier wirklich einen unmittelbaren Zusammenhang auch mit unserer Militärhilfe an die Türkei?
Herr Abgeordneter, diese Grundlage ergibt sich ja aus der Präambel des Nato-Vertrages; insofern kann es keinen Zweifel geben. Wir versuchen, sowohl in der Frage der Menschenrechte als auch der Rückkehr der Türkei zur Demokratie voranzukommen. Wir müssen aber gleichzeitig versuchen, die Verteidigungskraft der Türkei - ich habe vorhin auf diese Notwendigkeiten hingewiesen - nicht zu vernachlässigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohlmeier zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, in der Diskussion um die Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei wird stets in erster Linie auf den Zeitpunkt abgehoben. Stimmen Sie der Auffassung zu, daß wichtiger als der Zeitpunkt der Rückkehr der
Türkei zur Demokratie die innere Qualität der neuen Verfassung und die nachfolgende Stabilität der Staatsform in der Türkei sind?
Natürlich kommt es sehr auf die Qualität dieser Verfassung an, darauf, daß, wie uns von türkischer Seite zugesichert worden ist, dort die Menschenrechte verankert werden, darauf, daß es eine wirklich demokratische Verfassung sein wird.
Auf der anderen Seite dürfen wir uns aber, glaube ich, nicht darauf einlassen, daß ein zu langer Zeitraum bis zur Wiederherstellung der Demokratie verstreicht. Wir haben bei anderen Militärputschen und anderen Militärregimen erlebt, daß es Zusicherungen gegeben hat, die dann aber sehr schnell auf die lange Bank geschoben worden sind, wodurch eine Rückkehr zur Demokratie entweder gar nicht oder erst nach sehr langen Jahren ermöglicht worden ist. Deswegen ist, so denke ich, auch der Zeitraum wichtig, und es gibt ja konkrete Festlegungen der türkischen Regierung selber über den Zeitraum, den sie im Auge hat. Ich meine, daran sollten wir sie messen.
Meine Damen und Herren, darf ich die Fragestunde einen Augenblick unterbrechen. Auf der Diplomatentribüne hat eine Gästedelegation beider Häuser des Indischen Parlaments unter Führung S. E. des Präsidenten des Unterhauses der Republik Indien, Herrn Bal Ram Jakhar, Platz genommen.
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Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Sie im Namen des Deutschen Bundestages sehr herzlich zu begrüßen. Wir freuen uns darüber, daß Sie in unser Land gekommen sind. Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt in der Bundesrepublik und freuen uns ganz besonders darüber, daß Sie auch Berlin einen Besuch abstatten werden.
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Wir fahren in der Fragestunde fort. Zu einer Zusatzfrage der Kollege Schwarz.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die in der Frage von Frau Kollegin Schuchardt zum Ausdruck gekommene Auffassung, daß Polen und die Türkei mit gleichen Maßstäben gemessen werden müssen?
Herr Abgeordneter, wir müssen natürlich immer versuchen, die Prinzipien, für die wir eintreten, auch überall durchzusetzen und gleichermaßen zu vertreten.
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Ich habe aber vorhin bereits darauf hingewiesen, daß wir gegenüber der Türkei wegen der Verpflichtungen, die sie als Mitglied des westlichen Bündnisses und auch in bezug auf Europa hat, besonders weitgehende Ansprüche vertreten müssen.
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Eine Zusatzfrage des Kollegen Schwarz.
Das heißt, Sie meinen, daß wir mit unseren Freunden in der Türkei härter als mit der Militärregierung in Polen umgehen müssen?
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Ich glaube, mit Freunden muß man eine besonders offene Sprache sprechen.
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Vor allem müssen wir darauf achten, daß die Werte, für die das westliche Bündnis eintritt, nicht durch die Politik eines Mitgliedslandes in Zweifel gezogen werden können.
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Es muß klar sein, daß wir alle gemeinsam diese Werte hochhalten.
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Zu einer Zusatzfrage der Kollege Lattmann.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung ein Fall bekannt, in dem ein potentieller Angreifer durch das bloße Vorhandensein der Verwirklichung von Menschenrechten von seinen Aggressionen abgehalten worden ist?
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Ich glaube, daß man nicht durch eine solche Fragestellung die Bedeutung der Menschenrechte relativieren sollte.
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Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Marx.
Herr Kollege Corterier, haben Sie auf Grund der Besprechungen während der NATO-Sitzung hier - auch der Randbesprechungen, von denen Sie gesprochen haben - den Eindruck, daß wir das Vertrauen in die Zusagen, die die gegenwärtige türkische Regierung hinsichtlich der einzelnen Abläufe eines Redemokratisierungsprozesses gegeben hat, aufrechterhalten dürfen?
Herr Abgeordneter, es hat gerade anläßlich der Beratungen des Bonner Gipfels und bei den bilateralen Kontakten während dieses Gipfels erneute Zusicherungen der türkischen Seite gegeben. Es ist uns vor allem gesagt worden, daß die Arbeiten an der neuen Verfassung sehr weit gediehen seien. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß man jetzt in verhältnismäßig kurzer Frist das Referendum erwarten kann. Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich die türkische Seite an diese Zusagen hält und daß damit in allernächster Zeit wichtige Schritte in Richtung auf die Wiederherstellung der Demokratie getan werden. Wichtig wäre aber auch, daß wir in Sachen Menschenrechte größere Fortschritte machen, als das noch in den letzten Monaten der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, weitere Zusatzfragen zu der gestellten Frage werden nicht gewünscht.
Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hennig ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragestunde ist beendet.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zum Weltwirtschaftsgipfel,
zum Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland,
zum NATO-Gipfel sowie zur Europapolitik
Zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weltpolitischen Entwicklungen und internationalen Ereignisse der zurückliegenden Wochen geben Anlaß zu einer außenpolitischen Erklärung der Bundesregierung. Es ist zu berichten vom sogenannten Gipfeltreffen der wichtigsten westlichen Industriestaaten in Versailles, vom Gipfeltreffen der Nordatlantischen Allianz in Bonn, vom Besuch des amerikanischen Präsidenten hier bei uns und von der Zweiten UNO-Sondergeneralversammlung über Abrüstung.
All dies fällt in eine Zeit, in der an vielen Orten der Welt Konflikte zu blutigen Kriegen eskalieren. Nicht nur im Falkland/Malvinen-Konflikt haben Soldaten ihr Leben gelassen, nicht nur im Libanon sind schwere Opfer - auch in der Zivilbevölkerung - zu beklagen, auch in Afghanistan, in Kambodscha, im südwestlichen Afrika und an der Grenze von Iran und Irak sterben täglich Menschen. Alle diese mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikte können durchaus den Weltfrieden gefährden. Wir sind uns dessen bewußt.
Es kommt zu diesen Bedrohungen hinzu, daß die Volkswirtschaften der ganzen Welt, aber eben auch der westlichen Industrieländer, sich weiterhin unter dem Druck einer schweren Krise befinden. Dies ist eine allgemeine Anpassungskrise. Sie betrifft die Versorgung von Hunderten Millionen Menschen in den Ländern des Ostens schwer, sie betrifft besonders schwer Abermillionen von Menschen in den Entwicklungsländern, die in ihrer Existenz bedroht sind.
Wirtschaftliche und soziale Spannungen können - so die geschichtliche Erfahrung - in Friedensgefährdungen einmünden. Oder mit den Worten der „Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen" - es gilt die Einsicht:
Die Geschichte hat uns gelehrt, daß Kriege Hunger nach sich ziehen. Aber weniger bewußt ist
uns, daß Massenarmut ihrerseits zum Krieg
führen kann. Wo Hunger herrscht, kann Frieden nicht Bestand haben.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen soll die Regierungserklärung nicht nur über die genannten internationalen Treffen Bericht erstatten, sondern sie soll auch der Selbstprüfung deutscher Politik im internationalen Zusammenhang dienen.
Ich will mit Versailles beginnen und mit der wirtschaftlichen Lage. Trotz der andauernden weltwirtschaftlichen Wachstumsschwäche, von der ein Land mit so besonders hoher außenwirtschaftlicher Abhängigkeit wie die Bundesrepublik unvermeidlich betroffen wird, ist es bisher gelungen, die Bundesrepublik im internationalen Vergleich in einer Spitzenposition zu halten. Besonders deutlicher Beleg für die volkswirtschaftliche Stärke unseres Landes ist die immer stärkere Stellung der Deutschen Mark. Dies hat die abermalige Anpassung der Wechselkurse im europäischen Währungssystem vom vorletzten Wochenende erneut bestätigt.
Wer sich darin gefällt, die Lage und die Aussichten der deutschen Wirtschaft schwarz in schwarz zu malen, der müßte erstmal erklären, wieso andere Wirtschaftsrezepte in anderen, uns vergleichbaren Industriestaaten überall - mit Ausnahme Japans - zu wesentlich unerfreulicheren Ergebnissen geführt haben und führen.
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Tatsache ist, daß die D-Mark gegenüber allen westlichen Währungen mit Ausnahme des amerikanischen Dollars fortlaufend an Wert gewonnen hat. Man kann mit einem gewissen Stolz auf diese Entwicklung hinweisen, denn die Ausnahme des Dollars rührt allein daher, daß die Dollar-Währung durch eine exorbitante Zinshöhe in den Vereinigten Staaten und für den Dollar - nebenbei: die höchsten Zinsen seit dem amerikanischen Bürgerkrieg - international überbewertet ist. Das weiß auch jeder hier im Haus.
Der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik ist es gelungen, ein derart extremes Ausschlagen des Zinspendels zu vermeiden. Dies ist in Versailles sehr anerkannt worden. Ich bin durchaus damit zufrieden, daß es gerade deshalb weltweites Vertrauen in die wirtschaftliche Kraft und die wirtschaftspolitische Stabilität unseres Landes gibt. Gerade dieses Vertrauen kommt in den Aufwertungseffekten der D-Mark zum Ausdruck. Übrigens ist die D-Mark auch gegenüber dem Dollar, der seiner Zinshöhe wegen - Zinsen von 15, 16 % - zu hoch bewertet ist, 40 % höherbewertet als zu Beginn des vorigen Jahrzehnts.
Es hat sich mit der abermaligen Anpassung der Wechselkurse im europäischen Währungssystem ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit bewährt. Man sollte das nicht übersehen, wenn gegenwärtig die Europäische Gemeinschaft zunehmend durch ihre Probleme Schlagzeilen macht: Da gibt es die Stahlkrise, die Notwendigkeit einer Agrarreform, den Fischereistreit und Ansätze zum Protektionismus der Europäischen Gemeinschaft innerhalb des Gemeinsamen Marktes wie nach außen. Die Begrenzung der finanziellen Möglichkeiten wird von allen Mitgliedstaaten empfunden; viele klagen über ungleiche Lastenverteilung. Vor dem Hintergrund einer kritischen Weltwirtschaftslage wird der Ausgleich zwischen den vielfältigen widersprüchlichen nationalen, regionalen und sektoralen Interessen immer schwieriger.
Wir bleiben uns unserer Verantwortung gegenüber der Europäischen Gemeinschaft bewußt, gerade weil wir den gemeinsamen Nutzen des Gemeinsamen Marktes und der Gemeinschaft insgesamt hoch veranschlagen. Aus diesem Grund ist die Bundesrepublik Deutschland mit Abstand der größte Zahler der Gemeinschaft; wir werden dies auch in Zukunft bleiben. - Wie bitte?
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- Ja. Herr Lenz sagt: Das ist auch logisch, weil es uns wirtschaftlich so viel besser geht als den anderen.
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Also wenigstens, Herr Lenz, ab und zu doch einmal eine nationale Gemeinsamkeit.
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- Herr Lenz, wir waren im letzten Jahr, 1981, mit einer Nettoleistung an die Gemeinschaft in der Höhe von 6,5 Milliarden DM sogar der einzige Zahler der Gemeinschaft. Alle anderen haben herausbekommen. Wir Deutschen haben allein eingezahlt.
Deshalb wird eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb der EG im Interesse des künftigen Zusammenhalts der Gemeinschaft unumgänglich.
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Es ist außerdem auf die Dauer nicht zu verantworten, daß der Bundeshaushalt jedes Jahr netto an die Europäische Gemeinschaft von zehn Industriestaaten mit hohem Lebensstandard - d. h. an die übrigen neun - mehr Geld zahlt, als wir insgesamt an Entwicklungshilfe an die 77 Staaten der Dritten Welt - in Wirklichkeit sind es 100 Staaten - überweisen können.
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Diese Entwicklungsländer sind Staaten mit sehr niedrigem Lebensstandard.
Agrarpreise, Ermäßigung des britischen Finanzbeitrages, Handelssanktionen, dies alles waren schwierige Belastungsproben der letzten Wochen. Natürlich wünschten wir uns die Gemeinschaft fester und entschlossener. Wenn es aber den Mitgliedstaaten bisher trotzdem immer wieder gelungen ist, die komplizierten Fragen zu lösen, auf die ich hinwies, manche nur nach langen Schwierigkeiten und manche sicherlich nicht für immer gelöst, so deshalb, weil alle Mitglieder die Überzeugung teilten, daß es sich lohnt, den Zusammenhalt zu wahren, auch unter Hintanstellen eigener Interessen. Alle
müssen nationale Egoismen zurückdrängen, die in den Hauptstädten auf die Parlamente, auf die Regierungen drücken und sie in Versuchung und in Pression bringen.
Wir müssen ebenso die politische Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für Europa wahren und stärken, wenn wir unsere gemeinsamen europäischen Interessen in der Welt wirksam vertreten wollen. Was dies bedeutet, haben wir in diesen Wochen im Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien erfahren. Aus Solidarität mit unserem Bündnisgenossen Großbritannien haben wir uns zu Maßnahmen entschlossen, die uns wirklich nicht leichtgefallen sind. Wir haben sie vor einigen Tagen mit Zustimmung der Briten aufgehoben, weil die veränderte Lage dies im gemeinsamen europäischen Interesse draußen in der Welt erforderlich gemacht hat.
Das Ergebnis des Treffens in Versailles liegt vor allem darin, daß man in der Tat nationalegoistischen negativ wirkenden Weichenstellungen widerstanden hat. Die Beteiligten waren sich darüber einig, daß eine Abkapselung, eine Abschottung der nationalen Volkswirtschaften, daß Protektionismus oder Abwertungswettlauf, daß dies alles die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise zu einer großen Weltdepression aufschaukeln könnte. Eine Politik des Rückzugs auf enge, angeblich nationale Interessen wäre für die Gesamtheit der Volkswirtschaften tödlich und in der Folge auch für die politische Stabilität in allen Ländern höchst gefährlich.
Es sind in Versailles keine Patentrezepte für die Welt ausgetauscht worden; denn die gibt es nicht. Wohl aber gab es einen fruchtbaren Meinungsaustausch, auch offene Kritik in einem freundschaftlichen Gespräch. Für mich ist der eine Satz in der gemeinsamen Erklärung von Versailles, schlicht und unscheinbar, wie er aussieht, zentral. Er lautet, daß „jedes Land auf die Auswirkungen seiner wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die anderen achtet". Jeder soll bei dem, was er wirtschaftspolitisch tut, die Konsequenzen bedenken, die für die anderen Länder durch sein Handeln entstehen. Es ist mindestens ebenso wichtig wie die andere Aussage, daß wir „in Zusammenarbeit die Entwicklung der Welt vorantreiben wollen".
Es bestand Übereinstimmung in Versailles, daß die Höhe der Zinsen einen der wichtigsten Faktoren in der weltweiten Blockade des wirtschaftlichen Wachstums und damit der Beschäftigung darstellt. Für diese Zinshöhe ist das Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika eine der entscheidenden Ursachen. Auch Präsident Reagan hat dies in Versailles freimütig eingeräumt. Wir alle erleben seit Monaten das andauernde öffentliche Ringen um eine Herabsetzung des allseits als sehr viel zu hoch beurteilten Defizits im amerikanischen Bundeshaushalt, der am 1. Oktober in Kraft treten soll. Es ist übrigens - das will ich in Klammern sagen - auch kein Drama, wenn in Bonn seit 9 Tagen um einen Haushalt gerungen wird, der erst am 1. Januar 1983 in Kraft treten soll.
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Wenn ein gemeinsamer Weg aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gefunden werden soll, kommt es also entscheidend darauf an, daß alle wirtschaftlich führenden Länder durch die Gestaltung ihrer eigenen Wirtschaftspolitik die für sie geltenden jeweils besonderen nationalen Ursachen beseitigen, die sich bei den internationalen Ursachen der Krise in der Wirkung addieren oder mit ihnen kumulieren. Es kann also der Beitrag zur wirksamen Gesundung von Land zu Land durchaus verschieden sein. Aber jedes Land muß seinen Beitrag leisten, um der internationalen Herausforderung Nummer 1, der Arbeitslosigkeit, zu begegnen.
Eines der wichtigen Themen in Versailles waren übrigens die West-Ost-Kreditbeziehungen. Es bestand Übereinstimmung, daß diese nach dem Grundsatz gegenseitigen Vorteils ausgerichtet werden und auch begrenzt sein sollen, dies aber im Sinne kaufmännischer Klugheit, oder, wie es dort heißt, im Sinne von „commercial prudence". Die Begrenzung und Kontrollen für die Ausfuhr strategischer Güter sollen verbessert werden. Sie erinnern sich in diesem Zusammenhang an das Stichwort „COCOM". Wir haben diesen politischen Leitlinien für die Gestaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen West und Ost zugestimmt. Wir konnten das um so eher tun, als diese Grundsätze das Handeln der Bundesrepublik Deutschland schon seit je bestimmt hatten.
Was es aber nicht geben sollte und was es nach Versailles mit uns auch nicht geben wird, das ist ein Handelskrieg mit der Sowjetunion.
({7})
Denn damit könnte eine neue Epoche des Kalten Krieges eingeläutet werden.
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- Wenn Sie ihn auch nicht wollen, haben wir schon ein zweites Stück nationaler Gemeinsamkeit heute morgen, Herr Mertes.
({9})
Es ist in diesem Zusammenhang die Analyse des kanadischen Premierministers Pierre Trudeau bemerkenswert, die er in seiner Rede hier im Bundestag, von diesem Pult aus sprechend, vorgetragen hat. Die Sowjetunion könne und werde mit ihren gewiß nicht unerheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten fertigwerden. Sie würde auf eine Politik verschärfter wirtschaftlicher Konfrontation wahrscheinlich nur mit verstärkter Konfrontation auf dem Rüstungsgebiet reagieren und mit Konzentration ihrer Anstrengungen auf dem Rüstungsgebiet. So Trudeau.
Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern hat die Bundesregierung mit Besorgnis und Bedauern die jüngste Entscheidung der amerikanischen Regierung zur Kenntnis genommen, das sowjetisch-europäische Erdgas-Röhren-Geschäft durch Verbot des Exports von wichtigen Komponenten und Verbot der Nutzung bereits erteilter Lizenzen und bereits ausgelieferter Teile oder KomponenBundeskanzler Schmidt
ten den Bau der geplanten Erdgasleitung zu behindern.
({10})
Der Rat der Außenminister, der EG-Rat, hat vorgestern dazu unter anderem die folgenden Feststellungen getroffen:
Diese Aktion, die ohne irgendeine Konsultation mit der Gemeinschaft unternommen wurde, schließt eine extra-territoriale Ausdehnung der amerikanischen Rechtsetzungsbefugnis ein, die unter den Umständen den Prinzipien des Völkerrechts widerspricht, für die Gemeinschaft unannehmbar ist und voraussichtlich nicht von den Gerichten in der EG anerkannt wird.
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Dies eine Stellungnahme der Außenminister der Gemeinschaft. Ich möchte dieser gemeinsamen Stellungnahme drei Bemerkungen hinzufügen.
Die kritische Haltung der amerikanischen Regierung dem Geschäft gegenüber war den europoäischen Regierungen natürlich bekannt. Sie ist auch bei den Begegnungen der letzten Wochen, über die ich hier spreche, erörtert worden. Von einer Absicht, das amerikanische Embargo zu erweitern, war bei diesen Erörterungen nicht die Rede.
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Wir halten ebenso wie unsere europäischen Partner an diesem Geschäft fest. Wir tun dies, weil es der notwendigen Diversifizierung der Risiken unserer Energieversorgung dient. Und wir haben sichergestellt, daß durch dieses Geschäft keine einseitigen Abhängigkeiten für unsere Volkswirtschaft entstehen. Wir werden und wir müssen auch vertragstreu bleiben. Wir haben zu keinem Zeitpunkt unseren amerikanischen Freunden über diese Haltung irgendeinen Zweifel gelassen.
({13})
Schließlich werden wir jetzt gemeinsam mit unseren europäischen Partnern mit der amerikanischen Regierung sprechen müssen, um sicherzustellen, daß aus dieser amerikanischen Entscheidung kein Schaden für die Zukunft der von allen Seiten gewünschten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika erwächst. Das gilt insbesondere für die Ausdehnung des territorialen Geltungsbereichs amerikanischer Entscheidungen. Ich gehe davon aus, daß auch die amerikanische Regierung daran interessiert ist und bleibt, daß das Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen Unternehmungen unserer Volkswirtschaften in Amerika, in Europa und das Vertrauen in die internationale Arbeitsteilung nicht beschädigt werden.
Die Lage der Dritten Welt war in Versailles im Zusammenhang mit der Weltwirtschaft ein weiteres zentrales Thema.
Eine langfristige Sicherung des Friedens verlangt danach, daß alle, West und Ost und Nord und Süd, Mitverantwortung, Teilverantwortung für ein funktionstüchtiges Weltwirtschaftssystem übernehmen.
Es wäre verhängnisvoll, zu glauben, daß politische Stabilität in der Dritten Welt allein oder auch nur vornehmlich durch militärische Mittel sichergestellt werden könnte, durch Rüstung und Rüstungsimporte und Rüstungsexporte. Frieden wird es nur dann geben, wenn nachhaltig und mit wachsendem Erfolg versucht wird, auch die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen zu beheben, die in der Dritten Welt den Frieden gefährden.
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Ich habe es deshalb sehr begrüßt, daß sich alle Teilnehmer am Versailler Gipfel dafür ausgesprochen haben, den Nord-Süd-Dialog unter dem Dach der Vereinten Nationen fortzusetzen und dazu in naher Zukunft die sogenannten globalen Verhandlungen, meist in den Zeitungen englisch zitiert, die „global negotations", zu eröffnen. Der Entschließungsentwurf der Gruppe der 77 - das ist die Gruppe der Entwicklungsländer; in Wirklichkeit sind es mehr als 77 Staaten - wird eine brauchbare Ausgangsgrundlage für die bevorstehenden Konsultationen sein.
Versailles hat also gezeigt, daß die in Ottawa bekundete, ein halbes Jahr später in Cancún gezeigte Bereitschaft der sieben Industrienationen zum Dialog mit den Staaten des Südens Ausdruck einer stetigen, einer langfristig gemeinten Politik ist. Die Bundesregierung fühlt sich durch dieses in Versailles erzielte Einvernehmen in ihrer Politik gegenüber der Dritten Welt bestätigt und gefestigt.
Ich sagte schon, daß viele Länder - und das gilt insbesondere für Länder und Völker der Dritten Welt - gegenwärtig unter blutigen Auseinandersetzungen leiden, zum Teil im Innern, zum Teil von außen. Mit Erschütterung und mit großer Sorge beobachten wir den Krieg im Libanon. Tausende von Toten und Verletzten, großes Leid sind seine bisherigen Folgen. Rasche humanitäre Hilfe, die wir gemeinsam mit anderen leisten, soll dazu beitragen, unmittelbares Leid ein wenig zu lindern. Vor allem aber kommt es darauf an, die Spirale von Tod und Gewalt zu unterbrechen. Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft haben wir deshalb an die Parteien appelliert, die Entschließungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu befolgen und fremder Einmischung im Libanon rasch ein Ende zu setzen.
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Ein souveräner, unabhängiger Libanon wäre zugleich die beste Garantie für die Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen der Nachbarstaaten.
Meine Rede vor den Vereinten Nationen - zum zweitenmal vor einer Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung - habe ich genutzt, um die Elemente unserer Vorstellung von einer globalen Friedensordnung herauszustellen. Ich habe dabei den Gewaltverzicht, eines der Herzstücke unserer Politik, das Herzstück der Charta der Vereinten Nationen, in den Mittelpunkt gestellt.
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Unser Plädoyer für eine realistische und realisierbare Politik des Friedens ist in New York durchaus mit weiter Zustimmung aufgenommen und verstanden worden.
Die deutschen Initiativen für weltweite Vertrauensbildung, für größere Durchsichtigkeit der militärischen Haushaltsausgaben und unsere Unterstützung für Verhandlungen über ein umfassendes Verbot chemischer Waffen sind als wertvolle Beiträge für eine weltweite Politik der Rüstungsbegrenzung gewürdigt worden.
Ich hatte Gelegenheit, am Rande der Sondergeneralversammlung zwei wichtige Gespräche zu führen, eines davon mit dem neuen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herrn Perez de Cuellar. Ich darf sagen, daß ich von dem Verantwortungsgefühl und der großen politischen Erfahrung beeindruckt war, mit denen der neue UNO-Generalsekretär sein Amt ausübt. Beides wird bei der Lösung schwerer Konflikte - ob gegenwärtig im Nahen Osten, im Mittleren Osten oder im Südatlantik - dringend benötigt werden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen wird unsere nachdrückliche Unterstützung erfahren.
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Im Gespräch mit dem polnischen Außenminister Czyrek habe ich meine Sorge darüber ausgedrückt, daß das Kriegsrecht in Polen fortbesteht, daß weiterhin Menschen interniert sind und daß der Dialog zwischen den patriotischen Kräften des Landes noch immer nicht von der Stelle kommt. Der Westen kann sein Verhältnis zu Polen nicht normalisieren, wenn es in Polen selber nicht zu einer Normalisierung kommt.
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Im übrigen wissen die Polen, daß gerade die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland größten Anteil am Schicksal des polnischen Volkes nehmen und daß sie vielhunderttausendfach individuell durch Pakete helfen. Dies wird für die zukünftige Gestaltung der Beziehungen der Deutschen zu den polnischen Nachbarn sicherlich nicht ohne Wirkung bleiben.
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Ich habe vor der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen auf die politische Verantwortung und die moralische Pflicht hingewiesen, die den um den Frieden bemühten Politikern aus der Sehnsucht ihrer Völker nach Frieden erwachsen. Diese Sehnsucht hat in den vergangenen Wochen in vielen Ländern ihren sichtbaren Ausdruck gefunden: in Bonn, in Rom, in London, in New York, wo am Tage zuvor 600 000 Menschen im Central Park zusammengekommen waren, j a, selbst unter den bedrükkenden Umständen kommunistischer Einparteiherrschaft in Europa. Überall drücken die Menschen ihre Sehnsucht nach dem Frieden aus, und man muß die moralische Substanz der Friedensbewegung wahrnehmen, auch wenn es zu den Reden, die dort gehalten werden, vielerlei kritische Fragen zu stellen gibt.
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Von dem Willen, den Frieden sicherer zu machen, war das Treffen der Nordatlantischen Allianz hier in Bonn bestimmt. Dieses Treffen in Bonn hat kein Signal der Konfrontation gesetzt. Ich sage es mit den Worten des Kollegen Genscher:
Hier hat sich nicht ein Bündnis versammelt, das waffenklirrend sein Wort machte zu der internationalen Entwicklung, sondern das sich als eine Kraft des Friedens in der Welt bewährt und das die Hand ausstreckt zur Sowjetunion.
({21})
Gemeinsam waren die Partner der Überzeugung, daß die umfassende Herausforderung, welche die Sowjetunion mit einer Politik der Hochrüstung aus übersteigertem Sicherheitsbedürfnis stellt, nur mit einer gemeinsamen Politik beantwortet werden kann. Diese Politik muß ebenfalls auf Kontinuität und Langfristigkeit angelegt sein.
Die Elemente dieser Politik sind in der Bonner Erklärung, in dem in ihr enthaltenen Programm „Frieden in Freiheit" klar und für jedermann verständlich enthalten. Die Texte sind dem Hause bekannt. Vielleicht darf ich den Gehalt dieser Botschaft in sechs Punkten zusammenfassen.
Erstens. Ziel des Bündnisses ist es, Krieg zu vermeiden, zu verhindern. Es heißt in der Bonner Erklärung dazu:
Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Es geht uns um ausreichende Sicherheit, nicht um Überlegenheit. Das heißt, daß durch ausreichende Verteidigungsfähigkeit ein ungefähres Gleichgewicht der militärischen Kräfte gewährleistet werden muß. Damit es aber stabil wird und stabil bleibt, muß Gleichgewicht durch ausgehandelte Verträge festgestellt und gesichert werden.
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Zweitens. Wir streben an, das Kräftegleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau herzustellen und vertraglich zu sichern. Präsident Reagan hat durch seine Vorschläge im November vergangenen Jahres und im Mai dieses Jahres dafür gesorgt, daß das Bündnis hier in Bonn gemeinsame konkrete westliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsvorschläge beinahe für das gesamte Waffenspektrum hat vorlegen können. Diese Vorschläge bieten die Möglichkeit, zur substantiellen Reduzierung bei interkontinentalstrategischen Waffen, bei eurostrategischen Waffen mittlerer Reichweite und auch zur substantiellen Reduzierung bei konventionellen Streitkräften zu gelangen.
Wir haben diese Vorschläge begrüßt. Wir waren an ihrer Vorbereitung aktiv beteiligt. Sie entsprechen unserer Politik. Das gilt auch für die Ankündigung des Willens, das SALT-II-Abkommen einzuhalten. Wir haben uns stets und ohne Unterbrechung dafür eingesetzt.
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Verhandlungen zwecks vertraglich vereinbarter Rüstungsbegrenzung und Abrüstung bleiben untrennBundeskanzler Schmidt
bar Bestandteil der Sicherheitspolitik des Bündnisses und der Bundesregierung.
Drittens. Es geht uns um substantielle, ausgewogene West-Ost-Beziehungen mit dem Ziel einer wirklichen Entspannung. Bestandteil dieser Politik ist auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten, die nach unseren Interessen auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage vernünftig gehandhabt werden soll.
Der vierte Punkt der Bonner Ergebnisse war, daß die Mitglieder des Bündnisses bestätigt haben, daß für sie der Kampf gegen die Unterentwicklung in der Welt und die Respektierung echter Blockfreiheit ein wesentliches Element bei der Sicherung von Frieden und Stabilität ist.
Fünftens. Wirtschaftliche und soziale Stabilität in unseren eigenen Ländern gehört notwendig zur Sicherheitspolitik.
Sechstens. Für uns Deutsche ist die klar erklärte Zustimmung des Bündnisses zu unserer Politik gegenüber der DDR besonders wichtig. Sie soll dazu beitragen, den Frieden in Europa zu sichern.
Diese Bonner Erklärung enthält keine neue militärische Strategie; hier wurde auch keine neue Politik formuliert. Vielmehr aktualisiert und bewahrt sie die Politik des Bündnisses, wie sie seit dem HarmelBericht verfolgt wurde. Das Bündnis bleibt auf diesem Kurs. Seine Politik der Festigkeit und der Verhandlungsbereitschaft bleibt berechenbar, auch für den Osten.
Wir haben uns unermüdlich für diese Stetigkeit, diese Kontinuität der Bündnispolitik eingesetzt. Ja, in den engen und häufigen Konsultationen mit unseren Verbündeten in den vergangenen anderthalb Jahren haben wir oft darum gerungen und bisweilen auch heftig darum ringen müssen.
Es war auch nicht neu, daß wir uns durch die forcierte Aufrüstung der Sowjetunion mit SS-20-Raketen zu je drei Sprengköpfen sehr ernst bedroht fühlen, daß wir das Gleichgewicht der Kräfte dadurch gestört sehen und daß es durch Vereinbarungen auf einem niedrigeren Niveau, das wir erstreben, wiederhergestellt werden muß. Im übrigen stehen wir mit dieser Überzeugung auch nicht allein. Unsere Partner in Europa stimmen darin mit uns überein. Präsident Mitterrand hat z. B. wiederholt das große Interesse betont, das sein Land und seine Regierung an Verhandlungen und am Kräftegleichgewicht in der Welt haben. Er hat immer wieder daran festgehalten, zuletzt in einer bedeutsamen öffentlichen Rede am 14. Mai 1982 in Hamburg.
Vielleicht darf ich hier einfügen, daß ich die in Gang gekommene internationale Strategiedebatte, an der sich hervorragende Amerikaner und Europäer beteiligen - dankenswerterweise auch mehrere Kollegen aus allen Fraktionen des Bundestages - und die ja nicht nur militärische, sondern auch Politik- und vor allem Abrüstungsverhandlungsstrategie einschließt, für gut und für nützlich halte. Niemand soll erwarten, daß die politischen Konsequenzen aus dieser Debatte in wenigen Monaten gezogen werden können. Das bedarf alles noch sehr der Vertiefung. Auch hier hat niemand Patentrezepte.
Ich denke, viele von uns erinnern sich an die Erfahrung, daß es seit dem Erscheinen von Maxwell Taylors Buch „Die ungewisse Trompete" Ende der 50er Jahre ungefähr ein Jahrzehnt gedauert hat, bis unser Bündnis daraus eine neue militärische und eine neue politische Strategie - flexible response und Harmel-Bericht - entwickelt hat. Das muß diesmal nicht auch zehn Jahre dauern. Aber ich warne davor zu glauben, man könne das in wenigen Wochen erledigen, sei es dadurch, daß man sagt, es müsse alles so bleiben, wie es war - dazu neigen einige -, oder daß man sagt, es müsse alles ganz anders werden - dazu neigen andere -.
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- Nein, ich schaue in alle drei Richtungen, Herr Mertes.
Wichtig für die Gegenwart ist, daß seit November vergangenen Jahres der Dialog zwischen den beiden Weltmächten wieder in Gang gekommen ist. Endlich laufen die Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder. Neben die Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenraketen treten ab nächster Woche die Verhandlungen über die interkontinentalstrategischen Raketen: START. Ich setze Hoffnung auch auf einen neuen Anstoß für die Wiener Verhandlungen über die Verringerung konventioneller Streitkräfte. Ich bin schließlich nicht ohne Optimismus in bezug auf die Fortsetzung der Madrider Helsinki-Folgekonferenz, die ja in eine allgemeine europäische Abrüstungskonferenz einmünden soll. All dies hängt damit zusammen, daß die Führungen der beiden Großmächte, daß beide Seiten gesehen haben, daß man über Abrüstung unabhängig vom ideologischen und ethischen Grundwertekonflikt, der nicht auszuräumen ist, verhandeln muß.
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Es ist ermutigend, daß Reagan und Breschnew sich in diesem Jahre treffen wollen. Wir hatten uns gegenüber beiden Weltmächten häufig genug für ein solches Treffen verwendet. Ich selbst habe nie einen Zweifel gehabt - ich habe das an dieser Stelle wohl auch ein- oder zweimal ausgedrückt -, daß Präsident Reagan seine Äußerung wahrmachen würde, die er Herrn Genscher und mir gegenüber schon vor seiner Amtseinführung gemacht hatte, nämlich: Er wolle sich hinsetzen und mit den Russen verhandeln, verhandeln und noch einmal verhandeln. Ich vertraue und ich rechne fest auf ernsthafte und verantwortungsvolle Verhandlungsführung der Vereinigten Staaten von Amerika.
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Dieses Vertrauen ist verstärkt worden durch die beiden wichtigen Reden, die Präsident Reagan als Gast in unserem Lande gehalten hat. Die Gespräche, die der Präsident mit den europäischen Regierungen insgesamt geführt hat, haben Mißverständnisse zwischen Westeuropa und den USA ausräumen können.
Ich bin sicher, daß Ronald Reagan bei seinem Besuch deutlich gespürt hat, an welchen geographischen Rahmenbedingungen, an welchen politischen und geistigen Rahmenbedingungen - so auch an der Teilung als Rahmenbedingung - sich unser besonderes deutsches Bemühen um gute Nachbarschaft mit dem Osten orientiert.
Die wichtigste dieser Rahmenbedingungen, diejenige, die unser Gefühl am allermeisten betrifft, unsere tiefsitzende Emotion, hat Reagan bei seinem Besuch in Berlin kennenlernen können. Ich spreche von der Teilung des Landes, von der Teilung des deutschen Volkes und der daraus entstandenen besonderen Verpflichtungen beider deutscher Staaten zur Sicherung des Friedens in Europa. Für Reagans Erneuerung der amerikanischen Berlin-Garantie waren nicht nur die Berliner dankbar, sondern wir alle.
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Die Bundesregierung hat immer wieder - so auch in der Regierungserklärung vom November 1980 - zum Ausdruck gebracht, daß sie einer stetigen Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten im Interesse von Frieden und Sicherheit in Europa und zum Wohle der Menschen in beiden deutschen Staaten ein hohes Gewicht beimißt. Es sind die Ansätze für Verbesserungen im Verhältnis zur DDR aus dem Treffen am Werbellinsee bisher nicht ausgeschöpft. Von Normalität sind wir weit entfernt. Aber weil wir große Schritte nicht erzwingen können, dürfen wir doch unserer Landsleute in der DDR wegen auf kleine Schritte nicht verzichten.
({28})
Wir haben uns davon leiten lassen, daß eine noch stärkere Rückführung des Swing den beiderseitigen Interessen an der Weiterentwicklung des innerdeutschen Handels nicht gerecht würde, des Handels, von dem besonders die Beschäftigung der Arbeitnehmer in Berlin erheblichen Nutzen hat. Wir haben auch die Erleichterung für die Menschen berücksichtigt, die bei den jüngsten Verhandlungen erreicht wurden. Sie kommen zumal den Berlinern und denjenigen unserer Mitbürger zugute, die aus der DDR zu uns gekommen sind. Ich will aber feststellen: Es bleibt für die Bundesregierung von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Deutsche Demokratische Republik den drastischen Rückgang des Reiseverkehrs durch eine substantielle Korrektur der Mindestumtauschsätze beseitigt, die sie im Oktober 1980 verdoppelt hat.
({29})
Die Bundesregierung kann den Gesamtzusammenhang der Beziehungen als Maßstab nicht aufgeben.
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- Herr Mertes, wer nur nach sogenannter Härte ruft, ohne eine schlüssige politische Alternative anzubieten, der bleibt ein unzureichender Ratgeber.
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Wie in vielen Ländern der Welt, so haben auch bei uns während des Bonner Gipfels und während des Besuches von Präsident Reagan Demonstranten auf der Straße ihrer Sehnsucht nach Frieden Ausdruck gegeben. In einem Punkt gibt es hier keinen Zweifel. Von jenen kriminellen Gewalttätern, die in Berlin den 11. Juni als Anlaß für gewalttätige Ausschreitungen mißbraucht haben, trennt uns hier alles.
({32})
Die AL in Berlin muß sich entscheiden, ob sie nun auf seiten der Gewalt oder ob sie auf seiten der Demokratie stehen will.
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Unsere Demokratie und unser Grundgesetz geben jedermann das Recht zur eigenen Meinung und zur Demonstration der eigenen Meinung. Wir sind stolz darauf. Aber dieses Recht zur Demonstration der eigenen Meinung hat nicht mit irgendeinem angemaßten Recht auf Gewalt oder einem angemaßten Recht, andere an ihrer Meinungsäußerung zu hindern, zu tun.
({34})
Es gibt kein Recht auf Gewalt, weder gegenüber dem Nachbarn noch gegenüber dem Nachbarstaat, auch nicht gegenüber seinem Regierungschef oder gegenüber seinem Botschafter.
Aber mit den friedlichen Demonstranten, die gewaltlos ihre Sehnsucht nach einer Welt ohne Krieg, ohne Kriegsdrohung manifestieren, haben wir im Ziel vieles gemeinsam. Gemeinsam ist uns die Sorge um den Grundwert Frieden. Gemeinsam ist uns der Wille zu einer stabilen Ordnung des Friedens, in der sich die Freiheiten der Menschen entfalten können.
Über den Weg dahin gibt es unterschiedliche Meinungen. Nicht jeder Vorschlag, den die Hoffnung der Jungen auf die Transparente schreibt, kann vor der Erfahrung der Älteren standhalten. Aber eines ist sicher: Wir verstehen die jungen und alten Menschen, die der Schrecken vor einer heillosen Überrüstung gepackt hat und die den Overkill nach Megatonnen nicht begreifen wollen oder können.
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Da drüben auf der anderen Seite des Rheins haben nicht nur idealistisch gestimmte Pazifisten demonstriert; dort wurde auch die Frage an die Fähigkeit der politisch Verantwortlichen gerichtet, welchen Weg wir denn aus dem Teufelskreis von Vorrüstung und Nachrüstung zu weisen vermögen.
Wer heute verantwortlich Friedenspolitik zu führen hat, muß sich der Gefahr bewußt sein, daß die Geduld dieser Menschen zu erschöpfen droht. Manche von ihnen meinen, sie könnten Sicherheit durch einseitige Abrüstung erreichen. Doch gerade weil man ihre Sehnsucht nach Frieden mitempfindet und ernst nimmt, darf man gerade diesen Weg der einBundeskanzler Schmidt
seitigen Abrüstung nicht beschreiten. Denn ebenso wie die einseitige Aufhäufung von Waffen, so destabilisiert auch die einseitige Vernichtung von Waffen das Verhältnis gegenseitiger Sicherheit beider Seiten zueinander. Der eine rüstet hoch, und der andere geht auf Null. Das ist im Effekt dasselbe für die politische Destabilisierung der Welt und die Destabilisierung Europas.
({36})
Ich selbst habe mich aus dieser Einsicht seit einem Vierteljahrhundert - hier im Bundestag, in Büchern und in Aufsätzen, in Vorträgen, auch im Ausland - immer wieder für ein vertraglich festgeschriebenes Gleichgewicht eingesetzt. Ich habe die Schrecken des Zweiten Weltkriegs von Anfang bis Ende als Soldat miterlebt. Mich hat das Erlebnis von Überfall und Krieg gezwungen, meine Arbeit dem Sicherheitsproblem zuzuwenden. Mich hat die Frage nach dem Krieg und nach dem Frieden seither nicht mehr losgelassen. Sie hat mich auf den Weg der vertraglich vereinbarten Sicherheit, das heißt auf den Weg der Sicherheitspartnerschaft, der Vertragspartnerschaft geführt.
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Dem gleichen Ziel vertraglich abgesicherter Bremsung der Rüstungsdynamik auf beiden Seiten und schließlich der vertraglich vereinbarten Umkehrung der Rüstungsspirale dient die Politik der Bundesregierung, die sie mit Hartnäckigkeit, mit Beharrlichkeit, mit Grundsatztreue verfolgt. Diese Politik war das Gesetz, nach dem alle Regierungen der sozialliberalen Koalition seit fast 13 Jahren gehandelt haben. Zu diesem Zweck haben wir unseren Einfluß im Bündnis und in der Gemeinschaft unserer Partner und Freunde geltend gemacht, zu diesem Zweck haben wir die Politik der Aussöhnung, der vertraglichen Stabilisierung unseres Verhältnisses zu den Nachbarn und des gegenseitigen Gewaltverzichts betrieben.
Für diese Politik sind die sozialliberalen Regierungsparteien und die von ihnen getragenen Regierungen in diesem Hause wieder und wieder angegriffen worden. Heute versuchen einige, sich an diese Politik anzuhängen, die sie vorher an jedem wichtigen, an jedem entscheidenden Punkt bekämpft haben oder bestenfalls mit Zurückhaltung haben passieren lassen.
Aber die nachträgliche Versicherung, geltende Verträge müßten eingehalten werden,
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ändert nichts daran, Herr Kollege, daß die Friedenspolitik, die mit unseren Verträgen - mit dem Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen, mit dem UNO- Beitritt - eingeleitet worden ist, nur von demjenigen kontinuierlich und verläßlich weitergeführt werden kann, der diese Politik entworfen und innerlich voll akzeptiert hat ({39})
der sie innerlich voll akzeptiert hat!
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In einer Welt, in der sich gegenwärtig an vielen Stellen die Kriege mehren, müssen wir hartnäckig auf Gewaltverzicht, auf Ausgleich, auf Verhandlungsbereitschaft, auf vertraglich vereinbarter Abrüstung bestehen.
In einer Welt, deren wirtschaftliche Krise alle Staaten erreicht hat, müssen wir alle unsere Kräfte anstrengen; ohne wirtschaftliche Stabilität und ohne den sozialen Frieden nach innen können wir unseren Beitrag zum Frieden draußen in der Welt nicht leisten.
Für diese doppelte Friedenspolitik steht die Bundesregierung ein, und sie wird sich in ihrem Kurs nicht beirren lassen.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Kollegen der SPD -
Herr Abgeordneter Dr. Kohl, darf ich Sie unterbrechen! Wer nicht die Absicht hat, diesem Redebeitrag beizuwohnen, möge bitte den Saal verlassen.
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Meine Damen und Herren, das entspricht wohl jener Ankündigung vor 13 Jahren: Wir werden mehr Demokratie wagen.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die erste Gelegenheit seit der großen Debatte über die Lage der deutschen Politik aus Anlaß der Haushaltsberatungen am 19. und 20. Januar, zu den außenpolitischen Problemen, zum Standort unserer Bundesrepublik Deutschland in einer immer schwieriger gewordenen Weltlage Position zu beziehen.
Herr Bundeskanzler, wir haben Ihre Regierungserklärung sehr aufmerksam angehört; sie war ja schon seit Tagen als eine große außenpolitische Erfolgsbilanz angekündigt worden. In Wahrheit war sie zum einen die Bilanz einer Regierung, die offenkundig die Führung verloren hat,
({1})
und zum anderen ein Selbstgespräch des Regierungschefs, der sich vor allem selbst Mut zugesprochen hat.
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Herr Bundeskanzler, ich habe dafür viel Sympathie und auch viel Verständnis, denn wer spricht Ihnen in diesen Tagen noch Mut zu?
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Wenn Sie im Schlußkapitel Ihrer Rede - zwar nicht so direkt ausgedrückt, aber für die, die kundige Thebaner sind, gerade noch verständlich - die Mahnung an die Koalitionspartner gerichtet haben, so ist das auch notwendig.
Nun ist dies heute nicht unser Thema,
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und, meine Damen und Herren, mir fällt dazu auch gar nichts Neues mehr ein.
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- Es ist j a sehr symptomatisch,
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daß Sie Ihr eigenes Tun auch noch beklatschen.
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Wenn Sie Tonart und Sprache des Umgangs der Koalitionspartner miteinander vergleichen, kann ich nur noch einmal sagen, im Sinne der Sprache des Hohen Hauses fällt uns dazu nichts mehr ein.
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Meine Damen und Herren, was war die Ausgangsposition vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Versailles und vor der NATO-Konferenz in Bonn? Die NATO befand und befindet sich in einer Krise ihres Denkens, der Strategie und des Vertrauens. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind weiterhin Belastungen ausgesetzt. Das Verhältnis der Deutschen zu ihren Nachbarn bedarf der Klärung und vor allem des Vertrauens. Die freie Weltwirtschaft ist - hier stimme ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, voll und ganz zu - durch immer mehr Protektionismus gefährdet, und mit diesem Mehr an Protektionismus ist die Stellung der Bundesrepublik Deutschland als eine der großen Exporteure von hochentwickelter Technik gefährdet. Die nationalen Wirtschaften sind von Krisen gezeichnet, und das Schicksal von 30 Millionen Arbeitslosen stand auch im Hintergrund des pompösen Wirtschaftsgipfels in Versailles. Die Beziehungen des Westens zur Sowjetunion sind kontrovers geblieben. Wir erleben in diesen Tagen einmal mehr, daß sich das westliche Bündnis weder in der Analyse sowjetischer Politik noch in den Schlußfolgerungen und schon gar nicht im gemeinsamen Handeln einig ist.
Vor diesem Sachverhalt müssen wir uns die Frage stellen: Was ist das wirkliche Ergebnis dieser Gipfelgespräche? Herr Bundeskanzler, gemessen an den deutschen Interessen, gemessen an der Staatsraison der Bundesrepublik nimmt sich das Ergebnis von Versailles und Bonn auf dem Papier, in den zahlreichen Reden und Dokumenten durchaus gut aus. Gemessen am Notwendigen, gemessen an den erforderlichen Taten, ist der Anteil Ihrer Regierung nicht mehr als eine bescheidene Anzahlung. Ob Sie künftige Raten noch zahlen können, daran haben wir erhebliche Zweifel.
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Sie sprachen in Ihrem Schlußkapitel so viel von der Gemeinsamkeit der Koalition. Sie haben den amerikanischen Präsidenten in guter Weise angesprochen und gewürdigt wegen seines Besuchs in Berlin und auch hier. Herr Bundeskanzler, ich verweise Sie aber in diesem Zusamenhang auf den Brief von 59 Kollegen Ihrer Fraktion an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Dieser Brief ist ein einziger politischer Affront gegenüber unserem engsten, wichtigsten Verbündeten.
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Es ist wahr: Diese 59 Kollegen - insofern muß ich eine öffentliche Erklärung von mir, die einige Tage zurückliegt, korrigieren - haben im letzten Jahr auch einen Brief an Generalsekretär Breschnew gerichtet. Sie haben den Besuch Breschnews als „ein Zeichen des Willens" gewertet, „die Politik der Verständigung fortzusetzen". Sie haben in diesem Brief den sowjetischen Vorschlag für ein Moratorium beim Aufstellen der Mittelstreckenraketen „positiv begrüßt", obwohl doch Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, Sie und der Bundesaußenminister und das gesamte Bündnis diesen Vorschlag entschieden abgelehnt haben. Sie brauchen doch nicht zu uns zu sprechen. Sie müssen zu Ihrer Fraktion sprechen, wenn Sie zu diesem Thema reden.
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Herr Bundeskanzler, auch das ist bemerkenswert: Ihre 59 Kollegen haben Herrn Breschnew in der Bundesrepublik „willkommen" geheißen, aber es findet sich in dem Schreiben an den amerikanischen Präsidenten kein einziges Wort des Willkommens für den wichtigsten Mann der freien Welt.
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An der Friedensdemonstration anläßlich des Breschnew-Besuchs haben sich keine Sozialdemokraten beteiligt. An der Demonstration anläßlich des NATO-Gipfels haben sich viele Sozialdemokraten beteiligt, obwohl dort - dazu hätte ich gern ein Wort von Ihnen gehört, Herr Bundeskanzler - doch ganz aberwitzige Parolen verkündet wurden, beispielsweise die Parole, die NATO bereite aktiv einen Krieg vor, verbunden mit der doch ziemlich ungeheuerlichen Androhung, man werde die Bundesrepublik unregierbar machen, wenn man sich den Forderungen der dortigen Veranstalter nicht unterwerfe.
Herr Bundeskanzler, wir sind uns einig, daß der Wille, die Kraft, die Fähigkeit und vor allem natürlich die Möglichkeit zu einer friedlichen Demonstration von freien Bürgern in einem freien Land zum Selbstverständnis freiheitlicher Demokratie gehört. Aber es gibt zwischen Demonstrationen mit friedlichen Mitteln, gewaltsamen Reden und dem, was zu gewaltsamen Taten führt, Übergangssituationen. Wenn hier vor Hunderttausenden behauptet wird, die NATO bereite aktiv einen Krieg vor, so ist das
eine Verhetzung unseres Volkes, die gänzlich unerträglich ist.
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Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, mit einem schon erstaunlichen Maß an Opportunismus hier so pauschal Verständnis gegenüber diesen Demonstrationen bekunden, hätte ich gern gehört - und mit mir sehr viele in der Bundesrepublik Deutschland -, daß Sie sich ganz entschieden gegen solche Äußerungen zur Wehr setzen,
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zumal Sie doch die Gelegenheit genutzt haben, eine andere Demonstration negativ zu bewerten, für die Sie sich als Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland eigentlich hätten bedanken müssen.
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Es ist Ihre Sache, wie Sie unsere Demonstration in München und in Bonn am 5. Juni bezeichnen, ob als überflüssig oder nicht. Wenn Sie wirklich am Gesamtinteresse des Landes interessiert sind, müßten Sie auch als Sozialdemokrat fähig sein, zuzugeben, daß die anderen eine gute Sache gemacht haben und daß Ihre Partei gegenwärtig leider überhaupt nicht fähig ist, an so etwas zu denken. Das ist doch die Situation.
({16})
Wir haben heute Ihren Bericht gehört, Herr Bundeskanzler. Sie wollen jetzt sozusagen einen Erfolg in die leere Scheune einfahren. Die Ergebnisse haben Sie sehr positiv gewürdigt. Aber zur Würdigung deutscher Sozialdemokraten gehört auch die Würdigung Ihres politischen Freundes Egon Bahr, der nicht irgendwo, sondern im Parteiorgan der SPD, im „Vorwärts", dieser Konferenz bescheinigt hat, sie sei „ohne glaubwürdige Perspektive". Was gilt denn nun eigentlich, Herr Bundeskanzler?
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- Ich glaube, Ihr Einwand ist richtig, Herr Kollege Barzel: Wie immer die wirtschaftliche Lage des „Vorwärts" ist, er wird länger bestehen, als die Amtszeit dieser Regierung währt. Ich glaube, das war ein berechtigter Einwand.
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Herr Bundeskanzler, das Vorstandsmitglied Ihrer Partei Herr Lafontaine erklärte zu den amerikanischen Abrüstungsvorschlägen, die Sie gerade hier gewürdigt haben - er ist doch auch aus der gleichen SPD -, „nur noch Dumme" würden auf den „alten Trick" hereinfallen.
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- Nein, ich muß schon sagen: Ich muß den Bundeskanzler gegen diese Art der persönlichen Verunglimpfung durch Herrn Lafontaine in Schutz nehmen.
({20})
Das ist der Umgangsstil der deutschen Sozialdemokraten, aber nicht unser Stil des Umgangs mit dem Kanzler.
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Die Bundesregierung, Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler - deswegen ist die Debatte in der SPD auch so aus dem Ruder gelaufen -, ist bis heute die Definition der deutschen Sicherheit schuldig geblieben. Die Frage der Sicherheit unseres Landes ist die Kernfrage der Staatsräson, der politischen Kultur, und sie ist die Kernfrage des Bündnisses. In diesem Atlantischen Bündnis fanden wir in 30 Jahren unsere Sicherheit, und ich bin sicher: Wenn es nach der großen Mehrheit unserer Mitbürger geht, wird das auch in Zukunft so sein. In diesem Bündnis ist die Sicherheit garantiert.
({22})
Herr Bundeskanzler, ich versichere Ihnen: Für eine mit Augenmaß geführte Sicherheitspolitik haben Sie im deutschen Volk und in diesem Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit; daß Sie sie noch in Ihrer eigenen Partei haben, wage ich füglich zu bezweifeln.
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Genau das führt zu den Zweideutigkeiten und Zweifeln im Bündnis, und es erlaubt vor allem nicht, die deutschen Interessen - wie es in diesen Zeiten notwendig wäre - im Bündnis wirksam zu vertreten.
Sie haben soeben Vergangenheitsbewältigung betrieben. Herr Bundeskanzler, ein klares Wort dazu: Wir, die CDU/CSU, haben seit 1949 in der Verantwortung in verschiedensten Bundesregierungen wie auch in der anderen, besonderen Verantwortung als Opposition alle wesentlichen Positionen zur Verteidigung von Frieden und Freiheit unseres Landes mitgetragen.
({24})
Herr Bundeskanzler, im Ringen um den besten Weg für Frieden und Freiheit lassen wir uns von niemandem überbieten.
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Wir werden selbstverständlich auch in Zukunft, ob in der Opposition oder in der Regierung, unseren Beitrag für Frieden und Freiheit unseres Landes leisten.
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Die wirklich gravierenden, schädigenden Angriffe gegen die Friedens- und Sicherheitspolitik des westlichen Bündnisses in der Bundesrepublik kommen doch vor allem aus den Reihen Ihrer eigenen Partei. Die deutschen Sozialdemokraten müssen sich heute die Frage stellen lassen, wie es auf Grund ihrer inneren Zerrissenheit noch mit ihrer Fähigkeit zu einer wirklichen Friedenspolitik, die den Interessen der großen Mehrheit unseres Volkes entspricht, bestellt ist.
Es ist wahr, Herr Bundeskanzler, in Europa und in der Bundesrepublik geht Angst um. Es ist die Angst
vor dem Krieg, es ist die Angst um die wirtschaftliche Zukunft. Es ist vor allem auch die Angst um die politische Kultur unseres Landes, die Angst vor Gewalt, vor Führungslosigkeit und die Angst vor der Unsicherheit.
({27})
- Meine Damen und Herren, wenn wir über Angst reden: Sie sind doch die politischen Geschäftemacher mit der Angst in der deutschen Bevölkerung!
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Sie haben doch kontinuierlich, bei den Wahlen 1980 in Nordrhein-Westfalen, bei den Bundestagswahlen 1980, bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und jetzt wieder bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, ihr böses Geschäft mit der Angst unserer Bürger betrieben.
({29})
- Wenn Sie schon diesen Zwischenruf machen, dann erwarte ich, daß der Kollege Brandt oder der Bundeskanzler einmal zu jener Anzeige Position beziehen, die Ihre Unterschrift trägt, die Sie jetzt im Hamburger Wahlkampf veröffentlicht haben, die eine einzige Verleumdung der Union und ihres Spitzenkandidaten in Hamburg war.
({30})
Herr Bundeskanzler, da Sie soeben ganz zu Recht - wir sind gerade beim Aufräumen - vom Zusammenhang zwischen dem inneren und dem äußeren Frieden gesprochen haben, wiederhole ich es: Wer seinen Beitrag zum inneren Frieden nicht leistet, kann dem äußeren Frieden des Landes nicht dienen.
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Wer um seines parteipolitischen Überlebens willen immer neue Gräben im Land aufreißt, dient nicht dem Frieden. Sie dienen mit dieser Politik nicht dem Frieden.
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- Wir sind ein freies Land und ein freies Parlament. Jeder kann hier auch äußerlich das demonstrieren, was er demonstrieren möchte, auch der Bundeskanzler.
Ich sprach von der Angst um die wirtschaftliche Zukunft, von der Angst um die Arbeitsplätze und auch von der Angst um die Grundlagen, die 30 Jahre lang die Sicherheit unseres Landes im Bündnis mit der freien Welt garantiert haben. Die Sorge um den Modus vivendi mit dem hochgerüsteten Nachbarn im Osten paart sich für viele mit der neuen Frage nach dem Ort der Deutschen in Europa. Äquidistanz zu Washington und Moskau wird offiziös angedeutet, so als ob für die Deutschen Angst und Hoffnung nach Ost und West jemals gleichmäßig verteilt wären. Wir haben doch die Erfahrung gemacht, wer uns in kritischen Zeiten zur Seite stand. Wir haben nicht vergessen, daß vor 30 Jahren George Marshall in Harvard seine Rede zur Begründung des Marshallplans gehalten hat. Wir haben nicht vergessen, wer uns in Berlin und anderswo geholfen hat. Es gibt keine Äquidistanz im Verhältnis zu Moskau und Washington.
({33})
Mißtrauen gegen Substanz und Formen amerikanischer Politik gerät in gefährliche Mode, und Ihre Regierung hat das mit gefördert. Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, haben vor ein paar Monaten auf dem SPD-Parteitag in München gegen den amerikanischen Neokonservatismus unter der Flagge des Reaganismus gewettert.
({34})
- Ja, da klatschen Sie. Aber anschließend hat er doch die Beschwichtiger nach Washington geschickt, um dort wieder gut Wetter zu machen. Das Problem ist doch auch in dieser Frage, daß sich die größere Partei der Koalition, die SPD, immer weiter von den wirklichen Sorgen und Nöten des Landes entfernt hat.
({35})
Das liegt doch daran, daß mit Ihrer Zweideutigkeit, mit Ihrem ideologischen Opportunismus, mit Ihrer Sehnsucht nach neuen deutschen Sonderwegen, mit dem Verlust an Staatsraison und mit der mangelnden Fähigkeit zur Realpolitik die Risiken gewachsen sind. Es ist doch wahr, daß sich Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, vor allem mit sich selbst und ihrer eigenen Auszehrung beschäftigen muß. Sie verwalten die Krise der Innen- und der Außenpolitik. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({36})
Wer die Bilanz dieser Tage zieht, in denen sich die dpa-Meldungen über den Zustand der Koalition aneinanderreihen, der weiß nur noch eins: Geblieben ist bei Ihnen in der Sozialdemokratie der unbedingte Wille, um jeden Preis an der Macht zu bleiben. Das ist die Perspektive, von der Sie ausgehen.
({37})
Was wir uns gewünscht hätten - auch heute in Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler -, ist das, was Ihr Freund und Kollege, der französische Premierminister Pierre Mauroy auf dem NATO-Gipfel zum Ausdruck gebracht hat. Er sagte: „Die westliche Welt muß das Vertrauen in die Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen." Er sagte: „In der europäischen Meinung muß der Glauben an die Wirksamkeit der nuklearen Sicherung durch die Vereinigten Staaten gefestigt werden." Er sagte: „Die Europäer müssen davon überzeugt werden, daß die Mittelstreckenkernwaffen nicht da sein werden, um einen begrenzten nuklearen Krieg in Europa zu führen, sondern im Gegenteil, um dem Gegner verständlich zu machen, daß ein solcher begrenzter Krieg unmöglich ist." Er sagte weiter: „Gegen den einseitigen Charakter dieser Kampagne, die die Verteidigungspolitik in Europa und in Amerika in Frage stellt, muß etwas unternommen werden." Er sagte als letztes - Herr Bundeskanzler, hören Sie gut zu; das sagte Ihr Freund Mauroy -: „Wir müssen im Klartext zu unserer Öffentlichkeit sprechen, ihr sagen, welches die Ziele sind und wodurch die VerteidiDr. Kohl
gungsanstrengung unseres Landes legitimiert wird." Das sind Worte, Formulierungen und Forderungen, die wir gerne auch von Ihnen an dieser Stelle gehört hätten.
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Herr Bundeskanzler, Sie wissen, der französische Premier hat recht. Die Auseinandersetzung um unsere Sicherheit muß zuerst im eigenen Lande, mit unseren eigenen Mitbürgern, in der Überzeugungsarbeit mit unseren eigenen Kindern geführt werden. Wir müssen im eigenen Lande - in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung - dafür Unterstützung gewinnen. Sie kann aber nicht gewonnen werden, wenn sich die Regierung seit Jahren nur noch von Krise zu Krise schleppt und die Regierungsparteien die richtigen Erklärungen - heute war vieles wieder richtig in Ihrer Erklärung - unterlaufen. Unsere Mitbürger wollen wissen: Wo stehen wir? Wo liegen unsere wirklichen Interessen? Nicht das Prinzip der Entspannung ist tot; die übertriebenen Hoffnungen sind es, die sich daran knüpften,
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und die Illusion, man müsse nur daran glauben, dann werde die Wirklichkeit sich fügen.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Beispiele - und hier war heute früh ein erstaunlicher Akt der Beschönigung zu erleben - liegen auf dem Tisch. Wir haben noch alle Ihre Ankündigung im Ohr, Herr Bundeskanzler, als Sie hier im Dezember anläßlich Ihrer Gespräche mit Generalsekretär Honecker erklärten, vieles werde sich im Verlauf dieses Jahres zum Positiven fügen. Gemeint war doch offenkundig, wenn ich noch denken kann, das Jahr 1982. Erwartungen haben Sie geweckt. Politisch-psychologische Gesamtzusammenhänge wurden konstruiert. Vorleistungen wurden erbracht, wie die halbjährige Verlängerung der Swing-Vereinbarung. Jetzt müssen wir feststellen: Den großen Worten sind äußerst unbefriedigende Ergebnisse gefolgt.
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Vieles, was vor einem halben Jahr noch gelten sollte, wird heute mühsam vernebelt. Man spekuliert auf die Vergeßlichkeit der Bürger. Mit einem Wort: Die finanzielle Mauer, die zu der anderen schlimmen Mauer mit Schießscharten und Stacheldraht getreten ist, ist für die Menschen in Deutschland nicht kleiner geworden. Eines werden wir doch wohl noch tun dürfen, Herr Bundeskanzler: Sie nach sechs Monaten an Ihre eigenen Worte erinnern. Wir sind ja im Umgang mit Ihnen schon ganz bescheiden geworden. Aber nach sechs Monaten wird man doch wenigstens sagen dürfen: Das alles hatten Sie angekündigt! Deswegen dürfen Sie doch die nicht beschimpfen, die Sie wenigstens nach sechs Monaten noch ernst nehmen mit dem, was Sie gesagt haben.
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Es ist überhaupt so eine Sache, wie Sie in Ihrer Amtszeit mit unserer Muttersprache umgehen, mit unseren Worten, wie sie so umformuliert werden.
Ich habe immer noch nicht begriffen, aber das ist - -({42})
- Das ist mir ganz klar, Herr Kollege, daß Sie alles begreifen. Das ist ein altes sozialistisches Postulat, und Giovanni Guareschi hat schon einmal einen Genossen dargestellt, der alles begriff, weil er im Parteivorstand war. Sie kennen das alle. Dazu brauche ich nichts zu sagen.
({43})
Aber ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn Sie, der Sie ja offensichtlich alles wissen, mir und anderen und vor allem dem 18- oder 19jährigen Wehrpflichtigen, der j a sagt zur Bundeswehr und seiner Pflicht, einmal den Unterschied zwischen „Entspannung" und „wirklicher Entspannung" klarmachen könnten. Ob Sie bei dem nicht doch den Verdacht erwekken, daß Sie zwar Worte verwenden, aber die Inhalte ganz anders interpretieren?
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Wir machen uns doch in diesem besonders schwierigen und besonders anfälligen Bereich völlig unglaubwürdig, auch für die Diskussion untereinander, wenn wir so die Worthülsen hin- und herschieben. Das ist doch eine Farce. Wenn wir „Entspannung" meinen, brauchen wir doch keine „wirkliche Entspannung".
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Noch immer, meine Damen und Herren, bleibt die Einsicht, daß in einer Welt, die dazu verdammt bleibt, unter der Drohung ihrer Selbstzerstörung zu leben, Sicherheit nicht im Alleingang zu finden ist. Alte imperiale und hegemoniale Sicherheitsinstinkte täuschen, wie gerade das Beispiel der Sowjetunion zeigt, wo Hochrüstung und wirtschaftliche Dauerkrise einander bedingen. Realpolitik, meine Damen und Herren, muß letzten Endes darin bestehen, die überall drohenden Gegensätze und offenen Konflikte kontrollierbar zu halten und gemeinsam unter dem Imperativ des Überlebens zu handeln. Es mag darin sogar für die Zukunft die Chance von mehr Vernunft liegen. Dies ist, glaube ich, eine unserer Hoffnungen, an deren Verwirklichung wir gemeinsam arbeiten müssen.
Für die Gegenwart aber, meine Damen und Herren, heißt das, daß es keine Sicherheit mehr gibt, die nicht letzten Endes auf dem Selbstinteresse der Weltmächte beruht, d. h. auf ihrer Verständigung. Die Drohung eines gemeinsamen Unterganges muß heute einen Stillstand der Mächtekonflikte erzwingen. Dies ist für uns alle zu einer Frage des Überlebens geworden - in einem Augenblick, in dem wir wissen, daß sich die Technik der Waffenentwicklung der Kontrolle der Politik zu entziehen droht.
Meine Damen und Herren, die Werte- und Kulturkrise, die heute so viele, nicht zuletzt in der jungen Generation, als Entfremdung leidend empfinden, hat die Kluft zwischen Technik und Vernunft zum Inhalt. Sie zu überbrücken erfordert eine Verbindung von Staatskunst und praktischer Ethik.
Das gilt für die Bundesrepublik Deutschland und überall in der Welt. Wir - und hier stimme ich Ihrem persönlichen Bekenntnis zu, Herr Bundeskanzler -, die Deutschen, haben in diesem Jahrhundert nach zwei Kriegen und all dem Elend, das über unser Volk gekommen ist, viel Erfahrung einzubringen. Das Lebensinteresse und die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland müssen vor allem aus diesem Punkt bestimmt werden. Wer auf tiefe Verständigung im Sinne christlicher Nächstenliebe hofft, nimmt vielleicht seine Chance wahr, enttäuscht zu werden; wer aber die Formel des Oberlebens sucht, die auf einen dauerhaften Frieden hinarbeitet, auf einen Frieden, der auf übergreifenden Lebensinteressen von Ost und West und auf dem Verzicht von Hegemonie- und Weltherrschaftszielen ruht, der muß den Satz hinnehmen, daß es die Teilung der nuklearen Apokalypse war, die bisher ihren Ausbruch verhindert hat. Meine Damen und Herren, so bitter das klingen mag, einfacher wird diese Lektion leider nicht gegeben. Wer sie einfacher gibt, der täuscht die Menschen und vielleicht auch sich selbst. Auch das müssen wir manchem Gutwilligen sagen, der da demonstriert.
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Wer unseren Wunsch nach Frieden nicht teilt, der müßte blind sein gegenüber allen Erfahrungen der deutschen Geschichte und allen Gefahren der Zukunft. Wer diesen Wunsch aber mit einem beinahe vernunftlosen Radikalismus verfolgt, wer, meine Damen und Herren, die Gesinnungsethik an Stelle der Verantwortungsethik zum Maßstab der Politik machen will, der wird in die tragische Lage geraten, daß er das, was er gerade erhalten will, zerstören wird.
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Wer nach der geschichtlichen Erfahrung unserer Generation die Logik des Gleichgewichts absichtlich oder unabsichtlich ignoriert, macht die Welt nicht sicherer; denn dieselben Bedingungen des bewaffneten Gleichgewichts, die in Europa mehr als 30 Jahre hindurch einen wenigstens leidlichen Friedenszustand erhielten, würden, wenn sie entfielen, eine Prämie auf Übermacht und Angriffswillen setzen.
Meine Damen und Herren, auch wenn viele davon träumen - und es ist ein schöner Traum, das gebe ich zu -, der neue Mensch, die neue Ethik sind nicht in Sicht. Was bleibt, sind die Hilfsmittel der Politik, die Hoffnungen auf die Staatskunst. Die Flucht in die einfachen, in die großen Welterklärungen, für die Sie Ihre Sympathie bekundet haben, in die Gesinnungsethik derjenigen, die Frieden ohne Waffen wollen, enthält auch die größeren Gefahren. Dort, wo Ungleichgewicht entsteht, wo sich ein Machtvakuum auftut und die Disziplin der Realpolitik endet, beginnt nicht das Reich Gottes auf Erden, dort wächst praktisch täglich die Gefahr des Krieges.
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Wir können, wie es Bismarck einst formuliert hat, unsere Uhren voranstellen. Er sagte zu Recht: Davon geht die Zeit nicht schneller. Das bedeutet für uns heute: Wir können die Unfriedlichkeit der Welt nicht durch unsere Wünsche verändern, sondern nur durch Augenmaß in der Politik und ein klares Begreifen unserer Lage und unserer Interessen als Deutsche, als Europäer, die an dem moralischen Widerspruch leiden, daß das Gleichgewicht des Schrekkens mehr bewirkt und den Frieden in Wahrheit effektiver sichert als die Friedenssehnsucht der Völker.
({49})
Entspannung, meine Damen und Herren, muß, wenn dieses Wort einen Sinn haben soll, Maß am Gegner nehmen, an jenem Gegner, der Afghanistan mit Krieg überzogen hat mit den Folgen, daß dort weit über 500 000 Menschen in zwei Jahren ihr Leben verloren haben; muß Maß nehmen an einem Gegner, der zehn Jahre westliche Zurückhaltung durch einen ungeheuren militärischen Aufbau honorierte, den er den eigenen Völkern unter Entbehrungen abpreßte; muß Maß nehmen an einem Gegner, der heute in Ost-Mitteleuropa ein Kriegspotential bereithält, das schon durch sein bloßes Vorhandensein die Politik und die Ängste der Menschen beeinflußt und das in Wahrheit doch alle östliche Friedensrhetorik dementiert.
Wir, die Bürger des freien Teils unseres Vaterlandes, müssen den Führern der Sowjetunion dies immer wieder sagen, weil sie den Westen und sich selbst unter immer schärferen Zugzwang stellen und dabei immer höhere Risiken eingehen.
Meine Damen und Herren, zur Aufrüstung gehört nur einer; zur Entspannung gehören immer mindestens zwei. Der Westen hat zehn Jahre lang Vorleistungen erbracht. In dieser Zeit hat die Sowjetunion gerüstet und gerüstet. Eine Entspannung aber, die zu sowjetischen Bedingungen zu haben ist, wäre keine Entspannung, sie wäre Diktat und damit Vorstufe zur Unterwerfung und zum Verlust unserer freiheitlichen Lebensform.
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Entspannung als Position der Hoffnung muß nüchtern betrieben werden, zu klaren Geschäftsbedingungen, als fortlaufender Prozeß in ständiger Anstrengung und ohne rasche innenpolitisch, wahltaktisch auswertbare Aussicht auf einen dauerhaften, schnell erreichbaren, stabilen Zustand.
Bevor wieder mehr Sicherheit in die Welt einkehrt, steht uns eine Phase der Ungewißheit und vor allem der geistig-moralischen Anstrengungen bevor. Deshalb wäre es besser und entspräche der Verantwortung einer Regierung mehr, anstatt unerfüllbare Hoffnungen zu wecken, von Kontrolle der Konflikte und Aufbau übergreifender Vernunft zu sprechen. Herr Bundeskanzler, das muß jene Vernunft sein, die aus der Einsicht kommt, daß Ost und West nur gemeinsam überleben werden oder gar nicht.
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Für uns heißt das, daß drei wichtige Elemente zusammentreffen.
Erstens. Die NATO, die durch ihre bloße Existenz die Weltlage in Europa stabilisierte, wird auch im eigenen Lande nicht mehr als Bedingung des Friedens hinreichend wahrgenommen. Wir haben alle zu wenig dazu getan, daß vor allem die junge Generation
die NATO begreift als eine Ideengemeinschaft und dann erst als ein Verteidigungsbündnis,
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daß sich hier Völker mit gleichen Vorstellungen von Bürgerfreiheiten, Verfassungsordnungen, Menschenrechten zusammengeschlossen haben. Gerade unser zögerliches Handeln hat es der Sowjetunion gestattet, dieses Bündnis zu denunzieren als ein Hindernis des Friedens. Viele - viel zu viele für meinen Geschmack - auch im eigenen Land reden diesen sowjetischen Desinformationsartisten einfach nach.
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Zweitens. Es gibt heute weltweit ein Erschrecken vor dem Selbstzerstörungspotential der technischen Zivilisation, das am stärksten zum Ausdruck kommt in der Vision einer durch Nuklearkriege zerstörten Welt. Und doch, meine Damen und Herren, müssen wir begreifen, daß es die Rechnung sicherer Selbstzerstörung war, die bisher den atomaren Krieg in Mitteleuropa und Gott sei Dank auch den konventionellen Krieg verhindert hat.
Solange wir den Weltzustand dauerhaften Friedens nicht herstellen können - und nichts spricht dafür, daß unsere Generation dies noch erleben wird -, müssen wir das Kalkül des Schreckens und die Hoffnung auf die menschliche Einheit miteinander verbinden. Die große Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, Mündigkeit angesichts des Schreckens, Kaltblütigkeit angesichts der Bedrohung, Vertrauen zu erzeugen angesichts der Feindschaft, die im Wesen der kommunistischen, der Sowjetideologie liegt.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist für uns, die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, nicht möglich aus einer Position der Distanz, der Kälte, des Mißtrauens zu unseren Freunden in Europa und vor allem in den Vereinigten Staaten. Die deutschen Interessen sind nur aus einer Position der Sicherheit und der Wertebindung zu vertreten, aus der unsere Bundesrepublik aus den Erfahrungen der Nazizeit nach dem Krieg entstand. Außenpolitik und Staatsräson müssen übereinstimmen.
({54})
Drittens. Die herkömmliche sowjetische Übermacht im konventionellen Truppenbereich, die die Sowjetunion als Erbschaft der Zaren übernommen hat, wurde immer weiter heraufgeschraubt. Man muß auch das einmal aussprechen, weil wir das in der Debatte über die nuklearen Gefahren fast nicht mehr sagen: Auch der Einsatz dieser konventionellen Mittel wäre für uns in Mitteleuropa tödlich. Darüber darf es keine Illusion geben.
({55})
Die Rote Armee hat auf Weisung des Kreml östlich unserer Grenzen ein Militärpotential aufgebaut, das sie zum Hebel der Politik machen will und machen wird, wenn die Gegenmaßnahmen der NATO ausbleiben.
({56})
Was die Lage gegenwärtig - Sie sprachen davon, Herr Bundeskanzler - militärisch ganz besonders bedrohlich macht und auch politisch instabilisiert, ist das Potential der über 700 auf Europa gerichteten SS-20-Sprengköpfe. Auch hier verbindet sich militärischer Druck mit politischer Einwirkung. Der Schrecken, der von diesen Raketen ausgeht, soll politische Reaktionen der Angst bei uns erzeugen. Das ist gewollt; das ist das Ziel dieser Politik.
({57})
Jetzt bietet die Sowjetunion das Einfrieren dieses Rüstungsstands an. Militärisch heißt das: Sie hat alle Vorteile. Politisch würde sie weiterhin den Westen und die Bundesrepublik bedrohen.
Die Kombination von konventioneller Übermacht und eurostrategischen Kernwaffen enthält für die sowjetische Führung immer wieder die Versuchung zu dem politischen Kalkül, die Deutschen aus der NATO herauszubrechen durch Angst, durch Drohungen, durch Versprechungen und Hoffnungen und damit das Kernstück der NATO in Kontinentaleuropa zu zerstören. Die SS-20 erlauben es, eine Bedrohung auf Europa zu richten, die zunächst keine Bedrohung der Amerikaner wäre. Das soll ein politischer Hebel sein, und in Krisenzeiten kann daraus ein Keil werden.
Unsere Mitbürger, die voll Angst auf diese Schrekkensbilder atomarer Kriege schauen, müssen begreifen - und wir müssen darum kämpfen, daß sie es begreifen -, daß die sowjetische Rüstung einen Doppelcharakter hat: einen militärisch-technischen und einen politisch-psychologischen.
({58})
Der politische Charakter der sowjetischen Rüstung ist im Grunde der gefährlichere, weil er bei minimalem Risiko der Führung der Sowjetunion die Gegenseite in Angst und Schrecken versetzen und zum tributpflichtigen Vorfeld machen soll.
({59})
Es war die Sowjetunion, die durch ihre Überrüstung den Westen in eine Zwangslage versetzt hat; eine Zwangslage, die wir nicht wollten und auch in Zukunft nicht wollen. Wir stehen vor einer militärisch-politischen Doppelstrategie. Das Tragische daran ist, daß selbst die beschwichtigenden Reden der Sowjetführer doppeldeutig sind; gemünzt auf westliche Friedensbewegungen genauso wie auf westliche Staatskanzleien.
Es gibt öffentlich geäußerte Gedanken aus dem Kreml, die zu Hoffnungen auf ihre Einsicht ermutigen. Aber man muß jetzt von den Worten zu den Taten kommen. Diese Taten sehen so aus, daß die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan abzieht;
({60})
daß sie ihren osteuropäischen Verbündeten - wir
denken dabei voller Sympathie an die Polen - das
Recht einräumt, ihre eigenen Wege selbst zu bestimmen;
({61})
daß die Unterdrückung der eigenen Bürgerrechtsbewegungen aufhört; daß sie ein Signal setzt, beispielsweise die Verbannung Sacharows aufhebt;
({62})
daß sie die westlichen Verhandlungsangebote zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ernsthaft aufgreift.
Präsident Reagan sagte in seiner eindrucksvollen Rede hier bei uns im Bundestag, das „vornehmste Ziel" der diplomatischen Arbeit, die das westliche Bündnis leiste, sei die Aufgabe, den Gegner „auf den Pfad des Friedens zu bringen". Der erste Mann der westlichen Führungsmacht, der Präsident der Vereinigten Staaten - wir sind ihm dankbar dafür -, hat in den letzten Wochen und Monaten viel getan, um diese Aufgabe lösen zu helfen. Mit seinen Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle hat Präsident Reagan vor der Welt klargestellt, daß die Politik des Bündnisses eine Friedenspolitik ist. Er hat der Sowjetunion ein breit angelegtes Programm zum Abbau von Spannungen unterbreitet, vielleicht das weitestgehende Verhandlungsangebot, das die Amerikaner gegenüber der Sowjetunion in diesen Jahrzehnten jemals gemacht haben.
Es ist nun an der Sowjetunion, die ausgestreckte Hand des amerikanischen Präsidenten zu ergreifen. Wenn die Sowjetunion diese Hand ergreift, könnte sich, wie Präsident Reagan in Berlin sagte, die Tür zu einer Konferenz über Abrüstung in Europa öffnen. Aber nur der feste, unbezweifelbare Wille aller Bündnispartner der Vereinigten Staaten, die Initiativen des Präsidenten zu stützen, kann die Machthaber im Kreml dazu bringen, auf diese Initiativen einzugehen.
Wir alle wissen, daß es für Europa und die Welt bedeutsam ist, wenn der amerikanisch-sowjetische Dialog über Abrüstung und Rüstungskontrolle erfolglos verlaufen sollte. Wir können uns nur wünschen, Herr Bundeskanzler - ich wünsche das nicht zuletzt und auch Ihnen und Ihrer Regierung -, daß wir in diesem Hause nicht in die Lage kommen, in den nächsten 15 Monaten darüber abstimmen zu müssen, ob der Nachrüstungsbeschluß in Kraft treten muß; denn ich bin voller Zweifel, Herr Bundeskanzler, ob Sie in dieser Frage in Ihrer eigenen Partei noch mehrheitsfähig sind.
({63})
Die Politik der Sowjetunion ist klar, und wir müssen uns darauf einstellen. Sie verfolgt das Ziel der Isolierung der Bundesrepublik, der Auflösung der NATO und im Verfolg dieser Politik die Quasi-Kapitulation des Westens: aus Schwäche, aus mangelnder Überzeugung, aus wirtschaftlicher Krise und vor allem aus dem Wertezerfall.
Für viele, die dem Friedensgedanken ehrlich ergeben sind - und auf deren Wort sollten wir hören -, und für manche andere, die es vorgeben, scheint damit ein Endzustand erreicht. Ist das aber wirklich ein Endzustand? Kann eine Macht wie die Sowjetunion, die vor jedem freien Gedanken zurückschreckt, vor jeder freien Gewerkschaft, vor jeder nationalen Regung, vor jedem selbstverständlichen Gefühl eigener Religiosität, die all diese Äußerungen der Menschlichkeit und der Freiheit als tödliche Bedrohung fürchtet, kann eine solche Macht wirklich Frieden bieten? Die Hoffnung auf den ewigen Frieden, eine der ganz großen Menschheitsideen, ist ferner gerückt denn je. Die Macht, die verantwortlich ist für das Archipel Gulag, kann Frieden nur denken - das ist doch die Erfahrung der Geschichte - als Ende aller Bewegungen der Freiheit und der Menschenwürde.
({64})
Die Chance des Friedens auch für uns liegt darin, daß die Sowjetunion ihre großen Ressourcen auf die Werke des Friedens wendet, daß sie ihren Völkern jenen Wohlstand schafft und jene Würde erlaubt, die in ihrer Doktrin seit 60 Jahren vergeblich verheißen wird. Eine Sowjetunion, die ein verfehltes, verkrustetes, doktrinäres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem menschenfreundlicher gestalten würde, dadurch auch berechenbarer würde, die die eigene innere Friedlosigkeit überwindet, eine solche Sowjetunion wäre in der Tat ein Hoffnungsfaktor der Welt.
({65})
Wir in der Bundesrepublik sollten durchaus bereit sein, solche Prozesse zu unterstützen. Noch ist es nicht so weit. Die Gegenwart ist ganz anders. Gerade eine krisengeschüttelte Sowjetunion neigt dazu, instinkthaft aus der Geschichte Rußlands und zwanghaft aus ihrer Ideologie zuviel auf militärische Karten zu setzen. Das ist eine der Tragödien für die Völker in Ost- und Mitteleuropa, und - ich sage es noch einmal - es setzt den Westen und uns unter einen Handlungszwang, den wir gar nicht wünschen. Solange sich die sowjetische Führung weigert, das Postulat der wechselseitigen Abschreckung bei den Ost-West-Verhandlungen als Verständigungsgrundlage zu akzeptieren, sondern darauf besteht, die eigene Sicherheit durch Überlegenheit, durch die Fähigkeit zu siegreicher Kriegführung zu gewährleisten, gibt es keine Sicherheitspartnerschaft, Herr Bundeskanzler, mit der Sowjetunion, sondern eine Sicherheitsgegnerschaft.
({66})
Sicherheitspartnerschaft ist in hohem Maße erwünscht, aber man kann sie nicht herbeireden. Dazu sind konkrete Taten der Sowjetunion notwendig.
Die deutschen Interessen sind mit dem Bündnis, mit der westeuropäischen Gemeinschaft und mit einer freien Weltwirtschaft essentiell verbunden. Hier läßt es sich nicht nach allen Seiten offen herumdoktern. Hier müssen wir Stellung beziehen, Partei nehmen für die westliche Wertewelt, für unsere Lebensform.
({67})
Auch in Ihrer heutigen Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, ist die Malaise Ihrer Regierung wieder deutlich geworden, jene Malaise, die darauf beruht, daß die Kluft zwischen der HandDr. Kohl
lungsfähigkeit der Regierung und der Sorge der Menschen nicht mehr geschlossen werden kann. Die Lebens- und Zukunftsfragen unseres Landes als eines wichtigen integralen Bestandteils des Westens können im Krisenreparaturbetrieb des Kanzleramtes nicht mehr gelöst werden.
({68})
Ich sage es noch einmal: die Staatsräson der Bundesrepublik muß zur Einheit von Innen- und Außenpolitik führen. Dies kann nur in einer ganz unzweideutigen Anbindung und Einbindung in den Westen geschehen. Ihre Regierung steht in Gefahr, Herr Bundeskanzler, die Grundregeln von Bündnissen zu vergessen: Die Richtung läßt sich nur von innen und nicht von außen bestimmen. Unsere Bundesrepublik ist nur so stabil und nur so berechenbar und erhält bloß so lange Vertrauen, wie sie Kernbestandteil des westlichen Bündnissystems im Wirtschaftlichen und im Militärischen ist. Alles andere würde zu einer tiefen Krise der Bundesrepublik, zu einer inneren Spaltung führen. Die Bundesrepublik, die ein Teil dieses Gleichgewichtes ist, kann sich nicht irgendwo dazwischenstellen und abwarten, oder sie zahlt mit dem Preis ihrer freiheitlichen Existenz.
({69})
Da wir unsere Geschichte, da wir die Geographie, da wir die Weltlage kennen, erinnern wir uns an diesen Grundsatz der Staatsräson.
In der äußeren Sicherheit muß die Kombination von Vorwärtsverteidigung und Drohung mit der flexiblen nuklearen Antwort neu durchdacht und dem modernen Erkenntnisstand angepaßt werden.
({70})
Die Aufgabe des westlichen Bündnisses ist es, die Glaubwürdigkeit der Abschreckung zu erhöhen. Gleichzeitig müssen wir auch unsere amerikanischen Verbündeten daran erinnern, daß die meisten Westeuropäer und vor allem auch die jungen Deutschen die allgemeine Wehrpflicht tragen, aber die USA durch den Verzicht darauf in ihren eigenen konventionellen Möglichkeiten eingeengt bleiben. Meine Damen und Herren, im Blick auf Bundeswehr und Wehrpflicht muß eben wieder klar und deutlich werden, daß den Bürgerrechten auch Bürgerpflichten gegenüberstehen und daß die Wehrpflicht zu ihrem Kern gehört.
({71})
Die militärische Sicherheitsdoktrin ist eng verbunden mit der Handhabung des außenwirtschaftlichen Instrumentariums. Die Ostexportinteressen unserer Industrie sind natürlich wichtig. Und es ist wichtig, gemeinsame Interessen mit der Sowjetunion und mit den anderen Staatshandelsländern auszuweiten und anzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, am allerwichtigsten ist es, diese Handelspolitik, diese Kreditpolitik im Rahmen des Westens, im Rahmen des Bündnisses abzustimmen.
({72})
Alleingänge, Wettläufe, nationale Egoismen sind zu
vermeiden; diese stärken den Westen nicht, sondern
entzweien ihn. Handelsbeziehungen zum Osten sind ihrer Natur nach weder gut noch schlecht, aber sie haben mehrere Dimensionen. Wo es um die Dimension strategischer Güter geht, sollte der Westen nach Lenins viel zitiertem Wort nicht den Strick liefern, an dem er hängen soll, und schon gar nicht auf Kredit.
({73})
Es gibt nationale Interessen, die mehr wiegen - ich hoffe, hier stimmen wir doch überein - als die Exportziffern notleidender Branchen.
({74})
Zwischen den führenden Industrienationen ist nichts so wichtig - ich habe hier oft darüber gesprochen - wie die Abstimmung der Ziele. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Lebensform nur gemeinsam bewahren oder gemeinsam verspielen. Über die Mittel muß jedes Land bis zu einem gewissen Grad allein entscheiden. Das hat die Bundesrepublik für sich in Anspruch genommen. Das haben andere für sich in Anspruch genommen. Voraussetzung dafür bleiben aber die gegenseitige Unterrichtung und Abstimmung.
In diesem Zusammenhang bedauert die CDU/ CSU-Fraktion, daß nach unseren Informationen die jüngste Entscheidung der amerikanischen Regierung zum Erdgas-Röhren-Geschäft offenkundig ohne die notwendige Konsultation erfolgt ist, obwohl damit in geltende Vertragsrechte der Bündnispartner eingegriffen worden ist. Aber, Herr Bundeskanzler, zusammen mit dem Bedauern hierüber bringe ich auch mein Bedauern darüber zum Ausdruck, wie Sie heute dieses Ereignis kommentiert haben. Es kann doch keine Rede davon sein, daß jemand in Amerika eine neue Epoche des Kalten Krieges einleiten will; das ist doch absurd.
({75})
Es kann doch gar keine Rede davon sein, daß ein neuer Handelskrieg vom Zaun gebrochen wird. Ich finde - das gilt für die Amerikaner und gilt für uns, gilt aber auch für Sie persönlich -, man sollte im Bündnis wieder zu einer alten Lebenserfahrung zurückkommen: mehr miteinander und weniger übereinander reden. Ich glaube, das ist das, was notwendig ist.
({76})
Meine Damen und Herren, Wirtschaftsgipfel - wir haben auch darüber heute einiges gehört - haben seit Rambouillet im Herbst 1975 eine lange Tradition. Die äußeren Erscheinungen dieser Gipfel sind immer pompöser geworden, wobei ich hier doch ironisch anfügen möchte, es ist offensichtlich ziemlich gleichgültig, welche parteipolitische Herkunft die Gipfelgastgeber haben; das Pompöse liegt in der Natur der Sache. Je geringer der Inhalt der Beschlüsse, um so pompöser das Auftreten bei solchen Gelegenheiten.
(Beifall bei der CDU/CSU - Conradi ({77})
- Herr Kollege, ich nehme an, da Sie sonst die Kargheit vertreten, daß Sie wenigstens an diesem Punkt zustimmen.
Meine Damen und Herren, diese Art von Gipfeln soll Einigkeit, Geschlossenheit und Entschlossenheit im politischen Handeln der teilnehmenden Staats- und Regierungschefs demonstrieren. So war es auch in Versailles, wo die Staats- und Regierungschefs gemeinsam im Abschlußkommunique den Willen zur Gemeinsamkeit vorgetragen haben. Ich zitiere: Man stimmt darin überein, daß Wachstum und Beschäftigung verstärkt werden müssen. Ja, Herr Bundeskanzler, deswegen hätten Sie nicht nach Versailles fahren müssen.
({78})
Das hören Sie in diesem Hause von uns seit vielen Jahren, und Sie haben Probleme, dieses Credo Ihrer eigenen Partei nahezubringen. Überlegen Sie einmal, wie Sie dieses Credo und die Münchener Beschlüsse der SPD in Übereinstimmung bringen wollen.
Auf dem Weltwirtschaftsgipfel wurde mehr an Konflikten deutlich, als die Gemeinsamkeit der Abschlußerklärungen erkennen läßt. Den wohlklingenden Bekundungen in Versailles sind ja auch sofort nationale Maßnahmen gefolgt, die diesen Versprechungen diametral entgegenstehen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben zu Protokoll gegeben - sozusagen zu Protokoll der Geschichte -, daß die Haushaltsdefizite nicht weiter ausgebaut werden dürfen.
({79})
Nun, man wird doch wenigstens noch innerhalb eines Monats daran erinnern dürfen, daß Sie gestern hier doch wieder das genaue Gegenteil mit der Einbringung des Nachtragshaushalts betrieben haben.
({80})
Jeder von uns weiß, daß gerade eine freie moderne Volkswirtschaft in der Form der Sozialen Marktwirtschaft vom Vertrauen lebt. Wie können Sie denn in diesen Zeiten erwarten, daß die Unternehmer Vertrauen in Ihre Politik haben, wenn Sie in Versailles so kluge Sätze unterschreiben, hier aber so falsche Beschlüsse fassen - und zwar binnen vier Wochen?
({81})
Sie haben sich in Versailles zu einer Politik größerer Währungsstabilität bekannt. Ich kann nur bravo rufen. Kaum aber waren Sie zurück, mußte der hochempfindliche Seismograph des europäischen Währungssystems empfindlich reguliert werden. Das ist doch, meine Damen und Herren - ich richte das jetzt gar nicht primär als Vorwurf an Sie -, die Quittung für die wirtschaftlichen und politischen Unterschiede zwischen den Ländern der Gemeinschaft, die schon vor sieben Jahren eingeebnet werden sollten.
Sie haben sich in Versailles nachdrüclich zur Stärkung eines offenen und unbehinderten Welthandels bekannt; wir unterstützen Sie dabei. Aber kaum waren Sie zurück, haben wir die Nachricht aus Amerika bekommen, über die ich gerade gesprochen habe.
Ich glaube, Herr Bundeskanzler, Gipfeltreffen dieser Art - wir bejahen sie; sie sind notwendig - können nur erfolgreich sein und nur dann einen Sinn haben, wenn die Manifestationen, die dort getroffen werden, wirklich für alle - das gilt nicht nur für uns, sondern ich sage: für alle - zur Richtschnur nationaler Politik werden. Versailles ist dafür kein gutes Beispiel.
({82})
Kein Land ist mehr als wir auf den freien Welthandel angewiesen; kein Land hat ein größeres Interesse an der Sicherung der Europäischen Gemeinschaft als wir. Es ist alles wahr, Herr Bundeskanzler, was Sie vorhin über die Daten, soweit sie das Geld betreffen, im Blick auf die Europäische Gemeinschaft gesagt haben. Aber die Art und Weise, in der Sie hier ganz deutlich mit einem negativen Soupçon den Weg nach Europa begleiten, wird Europa bei seinem Weiterbau nicht helfen; diese Art und Weise hat auch gar nichts zu tun mit dem Genscher-ColomboPlan, der ja auch eine neue emotionale Welle zugunsten Europas fordert.
({83})
Meine Damen und Herren, wir brauchen Europa mehr als andere, weil wir ein geteiltes Land sind und weil die deutsche Politik nach Osten vor allem auch im Blick auf die Zweiteilung unseres Vaterlandes dieses europäische Widerlager braucht. Wir wissen, daß noch Entscheidendes zu tun ist.
Das Wichtigste, meine Damen und Herren, ist und bleibt für uns jene geistig-moralische Herausforderung, von der ich sprach: das ist die Fundierung des Bündnisses auf eine gemeinsame Wertordnung. Es ist Mode geworden - und Ihre Regierung hat ja viel Geld für eine eigene Studie ausgegeben, ich denke an die SINUS-Studie, um zu diesem Punkt, nicht gerade sehr aufbauend, tätig zu werden -, Begriffen wie „Freiheit" und „Verantwortung", „Pflicht" und „Vaterland" mit der Frage zu begegnen, wem das nütze.
Meine Damen und Herren, ein technokratischer Regierungsstil, ein Regierungschef, der die geistige Führung verweigert, eine Regierung und ein Regierungsprogramm, das offensichtlich die moralische Komponente der Politik nicht mehr zur Kenntnis nehmen will, eine solche Politik muß vorhandene Krisenelemente zur Kluft erweitern.
({84})
Die Frage heißt - sie wird uns täglich von vielen im In- und Ausland gestellt -: Wo steht die Bundesrepublik, wohin treibt die Bundesrepublik?
({85})
Die Frage ist für uns nicht zunächst - obwohl sie das auch ist - militärisch und wirtschaftlich gestellt; sie drückt Unruhe, sie drückt Besorgnis, ja, manchmal auch Angst bezüglich der Maßstäbe, der Ziele und der Werte aus, die die deutsche Politik bestimmen müssen.
Meine Damen und Herren, diese Unruhe geht nicht nur durch die Hauptstädte des Westens, sie greift auch tief in die Substanz unseres eigenen Landes ein, in das gemeinsame Bewußtsein von Staat und Gemeinwesen. Die Standortbestimmung für die Bundesrepublik Deuschland im Westen haben wir vor über 30 Jahren entschieden. Daran wird nichts geändert, und daran ist nichts zu ändern.
({86})
Das, meine Damen und Herren, war militärisch und wirtschaftlich gedacht, aber auch und vor allem aufbauend auf der Wertordnung einer freien Welt, und ohne diese Wertordnung wäre das deutsche Haus, die Bundesrepublik Deutschland, auf Sand gebaut. Das ist die Herausforderung unserer Generation, und von der richtigen Antwort hängen der Friede und die Freiheit unseres Landes ab.
({87})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Abgeordneter Brandt, darf ich Sie bitten, noch einen Augenblick zu warten.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die an dieser Aussprache nicht weiter teilnehmen wollen, darf ich bitten, den Saal zu verlassen.
({0}) Bitte, Herr Abgeordneter Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es ja ein bißchen schade, Herr Kollege Kohl, daß es uns in einer so schwierigen, ja, ernsten internationalen Lage nicht in höherem Maße gelingt, Gesichtspunkte innenpolitischer Taktik einer Partei von außenpolitischen Interessen des Staates zu trennen.
({0})
Ich glaube, da haben wir alle miteinander - ich sage das nach dem, was wir eben gehört haben - noch einiges hinzuzufügen. Die Opposition würde sich wirklich nichts vergeben, wenn sie hier unbeschadet aller sonstigen Kritik würdigte, daß die Bundesregierung bei den Konferenzen in Versaille und in Bonn die Interessen dieses Staates wirksam und erfolgreich vertreten hat. Ich finde, man sollte das anerkennen und daran nicht herumnörgeln.
({1})
Uns Sozialdemokraten liegt daran, dem Bundeskanzler ausdrücklich zu danken
({2})
für die informative, sachliche und deshalb hilfreiche Regierungserklärung, die er hier heute morgen abgegeben hat.
({3})
Um gleich einen Punkt aufzugreifen, den der Herr Kollege Kohl eben im letzten Teil seiner Rede behandelt hat: Ich hätte vermutet - aber ich habe mich geirrt -, daß der Führer der Opposition kritischere Worte wegen der wirtschaftlich, politisch und rechtlich dubiosen amerikanischen Maßnahmen in der Frage des Erdgasgeschäfts gefunden hätte,
({4})
eines Geschäfts, das ja, wie der Bundeskanzler zu Recht gesagt hat, nicht etwa Abhängigkeiten begründen, sondern anderen möglichen Abhängigkeiten entgegenwirken soll. Statt dessen klingt das dann doch so, lieber Herr Kohl, als ob die Regierung des eigenen Landes, als ob die Bundesregierung, der Alleingänge vorgeworfen werden - ich komme darauf gleich -, schuld habe.
({5})
Wir, meine Fraktion und ich, sagen deshalb, die Bundesregierung hat recht in dieser Frage. Der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister, der Bundeswirtschaftsminister, der Bundesfinanzminister haben recht und verdienen deshalb unsere Unterstützung.
({6})
Herr Kollege Kohl, Sie sind gerade mit den Äußerungen zu diesem Gegenstand erneut in der Gefahr, sich in einen deutlichen Gegensatz zu dem zu begeben, was als gemeinsame europäische Haltung formuliert worden ist. Das ist doch wohl kein Alleingang, wenn die Bundesrepublik gemeinsam mit ihren westeuropäischen Partnern ihre Interessen wahrnimmt, zumal auf einem Gebiet, auf dem man als nicht mit unmittelbarer Regierungsverantwortung Betrauter glaubte, daß wichtige Klärungen durch die Texte von Versailles und Bonn getroffen worden seien.
({7})
Die europäischen Partner halten wie die Bundesrepublik, Herr Kollege, das amerikanische Embargo für das Gegenteil einer vernünftigen Entscheidung. In Washington wäre man wirklich gut beraten, nicht gering zu schätzen, was selbstbewußte Europäer als Gesichtspunkte nicht nur ihrer Interessen, sondern auch ihrer Souveränität ins Feld führen. Im übrigen gehe ich davon aus: der Bau der Rohrleitungen wird verzögert, doch nach allem, was ich sehen kann, nicht verhindert werden.
({8})
Meine Damen und Herren, durch diesen aktuellen Vorgang und durch anderes, womit sich der Kollege Kohl eben befaßt hat, verstärkt sich der Eindruck, ins Gewicht fallende Teile der Unionsparteien, der CDU und der CSU, seien geneigt, jeweils regierenden Partnern in Washington in jedem Fall erst ein6588
mal Beifall zu spenden und ihnen mehr Gehör zu schenken als der Regierung des eigenen Landes.
({9})
Wenn man aber dem immer erst vorweg zustimmt, was aus den USA kommt, dann kann man keinen europäischen Kurs steuern.
({10})
Hier ist der Widerspruch, nachdem der Kollege Kohl im europapolitischen Teil von der Notwendigkeit - ich komme darauf gleich aus meiner Sicht zurück - stärkeren, nicht nur verbalen europäischen Handelns, Zusammenwirkens gesprochen hat. Man ist, wenn man die europäische Gemeinsamkeit in diesem innerwestlichen Verhältnis nicht hoch genug ansiedelt, zudem in der Schwierigkeit, im Frühsommer 1982 den erheblichen Korrekturen einer Politik zuzustimmen, der man im Jahre 1981, verbunden mit erheblichen Vorwürfen an die eigene Regierung, ebenso pauschal wie bemüht applaudiert hatte.
Unsere Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat jedoch die Pflicht, nicht einfach nachzusagen, was vom ohne Zweifel stärkeren Partner, führenden Partner, wenn man so will, des westlichen Bündnisses vorgegeben wird, sondern in angemessener Form unsere europäischen und unsere deutschen Interessen geltend zu machen und sie mit den Erwägungen und Interessen des amerikanischen Hauptverbündeten auf einen Nenner zu bringen, nicht aber jeder Art von amerikanischer Vorentscheidung zuzustimmen. Das kann ich nicht für vernünftig halten.
({11})
- Herr Kollege Mertes, wenn wir festgeschrieben hätten, was im vorigen Jahr aus Washington gesagt wurde, dann hätten wir heute nicht die relativ vernünftigen Texte von Versailles und von der Bonner NATO-Tagung auf dem Tisch liegen
({12})
und könnten sie nicht mit unseren unterschiedlichen Noten bedenken.
Ich finde übrigens, daß sich Herr Kollege Kohl auch nichts vergeben hätte, wenn er das aufgegriffen hätte, was der Bundeskanzler heute vormittag in Verbindung mit Versailles über die Lage der deutschen Volkswirtschaft und der Deutschen Mark dargelegt hat, denn unsere Mitbürger müßten das kennen, um nicht zu ganz falschen Gesamturteilen zu kommen.
Im übrigen gibt es ja manches, wo man gar nicht so weit auseinander ist, Herr Kohl. Das gilt auch für das, was Sie zum Pompösen gesagt haben. Das begegnet einem ja zumal in Gesprächen mit jungen Leuten, von denen viele einen erheblichen Gegensatz zwischen der Pracht von Versailles und der Tatsache empfinden, daß Millionen Menschen in den dort vertretenen Staaten arbeitslos sind.
({13})
Natürlich fragen uns auch manche, die sich in die Vorgänge hineindenken: Was bedeutet heutzutage - das gilt ja nicht nur bei der NATO - eine Konferenz auf hoher Ebene, wenn sie dann feststellen: diskutiert wird da gar nichts; beraten wird da gar nicht? - Allerdings kann es auch - wie im konkreten Fall - eine große Bedeutung haben, daß das, was fleißige Mitarbeiter in der 12. oder 13. Fassung auf einen Nenner gebracht haben, wenn man so will, abgesegnet wird. Das ist ja das, womit wir uns zu befassen haben. Das ist allerdings ein gewichtiges Dokument.
Der NATO-Gipfel hat zusätzlich zu den gemeinsamen Sicherheitsvorkehrungen des Bündnisses und ihnen gleichgewichtig zugeordnet wesentliche Positionen des Entspannungswillens und der Verhandlungsbereitschaft der westlichen Verbündeten bekräftigt und fortgeschrieben. Dies gilt besonders für die Formel vom Gleichgewicht auf möglichst niedriger Ebene, in der sowohl die Absage an militärische Überlegenheit als auch ein Bekenntnis zur Abrüstung enthalten ist.
({14})
Die Erkenntnis, meine verehrten Kollegen, daß Entspannung als zweiter Grundpfeiler des Bündnisses zu gelten hat, ist bekräftigt worden. Dies ist ja seit der Entscheidung über den Harmel-Bericht im Jahre 1967 - der eine oder andere von uns war damals daran beteiligt - Bestandteil der NATO-Aufgabenstellung.
Herr Kollege Kohl, jetzt würde ich nicht, wie Sie es vorhin getan haben, ohne den Zusammenhang klarzumachen, gegen die Amerikaner, gegen „genuine détente" - wirkliche Entspannung, wenn man es so ins Deutsche übersetzen will - polemisieren. Das ist doch auf Wunsch und Drängen der amerikanischen Partner in das Kommuniqué hineingekommen.
({15})
Wir haben nie etwas anderes als wirkliche Entspannung angestrebt. Alles andere wäre doch verrückt.
({16})
Das wäre doch jenseits aller politischen Wirklichkeit.
Nach der Zustimmung des amerikanischen Präsidenten - dies bleibt allerdings gewichtig - könnten wir einige leidige und verwirrende Diskussionen des letzten Jahres über Charakter und Aufgaben des Nordatlantischen Bündnisses als erledigt gelten lassen.
Herr Abgeordneter Brandt, sind Sie mit einer Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes einverstanden?
Bitte, Herr Kollege Mertes.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Kollege Brandt, da Sie früher immer gesagt haben, es gebe zur Entspannung keine Alternative, frage ich Sie:
Dr. Mertes ({0})
Stimmen Sie mit mir darin überein, daß das Bündnis jetzt zu Recht festgestellt hat, daß es zu echter Entspannung eben die Alternative einer scheinbaren, einer unechten Entspannung gibt?
Ich halte das für eine Sophisterei.
({0})
- Ich komme gleich auf den Punkt zurück, Herr Kollege Mertes, wenn ich versuche, woran mir heute vormittag sehr liegt, das, womit wir es im Augenblick zu tun haben, in die Politik der hinter uns und der vor uns liegenden Jahre einzuordnen.
Ich freue mich - ich will das ausdrücklich sagen
- über diese wiedergewonnene Übereinstimmung, was die Bündnisaufgaben angeht. Für uns Deutsche ist nämlich - so wie die Welt aussieht - die atlantische Partnerschaft weiterhin lebenswichtig. Ich glaube, daß konkrete Friedenspolitik, politisch und moralisch gesehen, Herr Kollege Kohl, auch die beste transatlantische Klammer darstellt.
({1})
Wichtig erscheint mir wie dem Bundeskanzler, daß das deutsch-deutsche Verhältnis, das Verhältnis zwischen den beiden staatlich organisierten Einheiten auf deutschem Boden, und unsere Bemühungen um Entspannung und Ausgleich auf diesem Feld von der NATO ausdrücklich begrüßt und bestärkt worden sind.
({2})
Beide Teile unseres Volkes erwarten vom eigenen Staat und bei allen Unterschieden in gewisser Hinsicht doch auch von der Führung des anderen Staates, der Verantwortung gerecht zu werden, die sich aus unserer geographischen Lage und aus dem ganz besonderen Interesse dieses gespaltenen deutschen Volkes ergeben; denn unser Volk in beiden deutschen Staaten wäre im Fall einer militärischen Konfrontation wahrscheinlich sogar als erstes dem Untergang preisgegeben.
({3})
Ich bin mit meinen Freunden an der Seite derer, die dies nicht verdrängen möchten, sondern die hieraus eine gesteigerte Empfindsamkeit und Verpflichtung ableiten.
({4})
- Das war ja nicht polemisch.
Ich meine, man sollte die Gipfeltreffen der letzten Zeit, über die der Bundeskanzler berichtete, in einen größeren Zusammenhang stellen. Das Datum rechtfertigt dies, mehr noch die Sache. Vor fast exakt zehn Jahren sind nach heftigen Auseinandersetzungen in diesem Hause die Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR sowie der Volksrepublik Polen in Kraft getreten.
({5})
- Da bemerkt der Kollege, wo heute Polen stehe, als ob er insinuieren wolle, daß der deutsch-polnische Vertrag etwas mit der heutigen polnischen Tragödie zu tun hätte. Das ist doch unglaublich.
({6})
Zugleich unterzeichneten damals die Außenminister von Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten das Schlußprotokoll des Berlin-Abkommens. Damit wurden auch das Transitabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR sowie die Vereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und der DDR wirksam.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit gern sagen, daß uns trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller in diesem Augenblick unerfüllt bleibenden Erwartungen daran liegt, ausdrücklich und nachdrücklich dem zuzustimmen, was der Bundeskanzler aus der konkreten Situation heraus heute früh über unser Verhältnis zur DDR gesagt hat.
({7})
So möchten wir, Herr Kollege Zwischenrufer, ohne Vergleich im übrigen auch nachdrücklich das unterstreichen, was der Bundeskanzler hier heute früh dem Bundestag über die polnische Situation gesagt hat.
Damals vor zehn Jahren war ein langes Suchen und ein zähes Ringen um einen Modus vivendi mit Osteuropa, um ein vernünftiges und friedliches Verhältnis unseres in den Westen eingebetteten Landes auch zum Osten zu einem gewissen Abschluß gekommen. Darum hatten wir Sozialdemokraten uns bemüht, bevor wir in der Bundesregierung waren, als wir Ende 1966 unmittelbaren Einfluß auf die Arbeit der Bundesregierung zu nehmen begannen, und verstärkt natürlich mit Beginn der sozialliberalen Koalition ab Herbst 1969. Wir müssen uns an die andere Lage erinnern, in der sich damals andere gegenüber dem Osten befanden. Von wegen Alleingänge! Einen Nachholbedarf gab es für die Bundesrepublik Deutschland, die von der Interessenlage her eigentlich stärker berührt war als die anderen.
Und so öffneten jene Verträge auch für Deutschland den Prozeß einer gewissen Normalisierung und des Abbaus von Spannungen, den Prozeß, der unser Land aus der Gefahr der Sackgasse herausbrachte und, nebenbei gesagt, ihm auch zu verstärktem internationalen Ansehen verhalf, den Prozeß, der manche Erleichterungen für die Menschen brachte, wenn wir mit dem vergleichen, was war, den Prozeß, der Berlin sicherte und seinen Bewohnern die Verbindungen zu Verwandten und Freunden wiedergab, die sie viele Jahre nicht hatten sehen dürfen, den Prozeß, der die deutsch-deutschen staatlichen Beziehungen überhaupt erst zu einem geordneten Verhältnis machte und der vor allem dazu beigetragen hat - nehmen Sie es insgesamt als geschichtlichen Prozeß -, den Frieden in Deutschland und für Europa etwas sicherer zu machen. Das steht unter dem Strich.
({8})
Dies alles ist jetzt aus meiner Sicht nicht nur historische Rückschau, sondern es gehört zur heutigen Wirklichkeit. Denn diese Regierung, für die der Bundeskanzler hier spricht, hat fortgeführt, was vor 12 und mehr Jahren begonnen wurde, übrigens getragen von denselben politischen Kräften, von derselben Koalition, die sich heute gemeinsam der Kritik aus den Reihen der Union ausgesetzt sieht.
({9})
Ich füge hinzu: Nur die Fortsetzung dieser Politik,
({10})
Herr Kollege Barzel, gibt der Sicherheit und der Entspannung in Europa in dem von mir beschriebenen Sinne eine Chance - und das heißt, den Deutschen auch die Chance, die sie brauchen.
({11})
Man kann sagen, daß wir seinerzeit in einer uns aufgezwungenen Lage als Frontstaat in hohem Maße Objekt der Nachkriegsentwicklung waren
({12})
und als Faktor des Ausgleichs, als Mitagierende im Prozeß des Ausgleichs zu einem weltweit geachteten Partner geworden sind. Das sollten wir bleiben wollen. Dazu muß die Kontinuität der Politik gesichert werden.
Ein Rückfall in veraltete Positionen
({13})
würde uns nur zu leicht in die außenpolitische Isolierung führen, würde neuen Druck auf uns ziehen, zusätzliche Risiken für die Sicherheit auf uns lenken.
Deutschland hat über seine unmittelbaren eigenen Interessen hinaus eine Verantwortung dafür, daß um Entspannung - wie immer man sie in Kommuniqués zusätzlich qualifizieren mag - weiter gerungen werden kann. Wir haben erfahren, daß der Abbau von Spannungen nicht automatisch zu Abrüstung führt, sondern daß dazu große eigene zusätzliche Anstrengungen nötig sind. Doch ohne daß eine Politik aktiver Friedenssicherung fortgesetzt würde, gerieten wir ohne jeden Zweifel in den Sprudel verschärfter Spannungen. Nicht nur die Stationierung neuer Raketen hier und auf der anderen Seite ist dann so gut wie sicher, in unserer Mitte und in der Mitte der Deutschen im anderen Staat. Dies macht gegenwärtig unsere besondere Verantwortung aus.
Die Konferenz der NATO auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs in Bonn hat bekräftigt, daß aktive Friedenspolitik die Grundlage des Bündnisses bleiben soll. Ich glaube nicht, verehrte Kollegen der Union, daß dieser Kurs heute so klar wäre, wenn nicht der Bundeskanzler die Politik seiner Regierung, gemeinsam mit dem Außenminister, mit Maß und Beharrlichkeit in die Waagschale gelegt hätte.
({14})
Und ebenso befürchte ich, daß vieles ungünstiger wäre, wenn jene das Mitsagen gehabt hätten, die Entspannung eigentlich immer als bloße Illusion hinstellen mochten und von denen manche, wenn ich mich an die Texte erinnere, die neuen Raketen am liebsten schon aufgestellt hätten, statt sie zum Gegenstand ernster Verhandlungen zu machen.
({15})
Dies handelt ohne Zweifel von der Verantwortung eines jeden von uns in diesem Hause, namentlich all derer, die in den Deutschen Bundestag gewählt wurden, weil sie versprachen, die Fortsetzung dieser Politik zu garantieren,
({16})
die die sozialliberale Koalition über mehr als zwölf Jahre hinweg, auch unter zuweilen widrigen Umständen, entwickelt und betrieben hat.
({17})
Meine Damen und Herren, nichts macht die Notwendigkeit kontinuierlicher Friedenspolitik und effektiver Abrüstung deutlicher als die Schatten, die sich in jüngster Zeit auf die Friedenshoffnungen der Menschen gelegt haben.
({18})
Zum tödlichen Risiko weltweiter Hochrüstung kommt, worauf hier heute früh in der Regierungserklärung deutlich hingewiesen wurde, die sich verstärkende Gefahr, die von tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzungen ausgeht. An mehreren Stellen der Welt herrscht heute Krieg, während wir hier und anderswo darüber sprechen, was aus dem Frieden werden soll.
In der Welt - wenn ich es richtig sehe - wächst die Neigung, Konflikte, begrenzte, wie man meint, mit militärischen Mitteln zu lösen und nicht einmal mehr als einer sogenannten Ultima ratio, also weil man meint, daß einem nichts anderes übrigbleibe, sondern als einem bequemen Instrument, von dessen Handhabung man sich durch Vermittlungsbemühungen gar nicht erst abhalten lassen möchte. Im Klartext: Es wächst die Neigung rückständiger und instabiler Regierungen, von ihren Schwierigkeiten durch militärische Abenteuer abzulenken.
({19})
Dabei gewöhnt man sich und muß sich dann gewöhnen, so bitter das ist, an Meldungen über Tausende und Zehntausende von Toten.
Der Bundeskanzler hat uns heute früh mit Recht die Liste von Afghanistan bis zu dem Irak-IranKonflikt, der sich im Fastenmonat, wie angekündigt wurde, vermutlich noch steigern wird, vorgestellt.
Man könnte die von ihm aufgestellte Liste noch durch Zentralamerika und da zumal durch El Salvador ergänzen. Ich kann vielleicht Diplomatie eher beiseite lassen als der, der unmittelbare Regierungsverantwortung trägt, und sage deshalb: Der blutig-idiotische Konflikt um die Falkland-Inseln - ich habe gesagt: der blutig-idiotische Konflikt um die Falkland-Inseln ({20})
hat jetzt, wenn ich es richtig sehe, eine siegreiche Unterbrechung gefunden.
Aber was nun? Nachdem der Rausch vorbei ist, wird der Scherbenhaufen deutlich. Ich habe nichts dagegen, daß eine schuldbeladene Militärjunta, auch auf Grund dessen, was sie innenpolitisch und in bezug auf die Verschwundenen auf ihrem Schuldkonto hat, in Schwierigkeiten gerät.
({21})
Jedoch sind die Beziehungen Großbritanniens, aber auch der Europäischen Gemeinschaft, also für uns mit, zu beträchtlichen Teilen Lateinamerikas erheblich belastet.
Ich möchte ausdrücklich unser Einverständnis damit erklären, daß die EG-Sanktionen beendet worden sind, wie es der Herr Bundeskanzler uns mitgeteilt hat.
({22})
Ich denke, wir möchten alle unsere durchweg guten Beziehungen zu Lateinamerika nicht unnötig belastet sehen, sondern wir wollen sie ausbauen. Und dem argentinischen Volk wünschen wir eine Zukunft im Namen nicht angeblicher Demokratie, sondern tatsächlicher Menschlichkeit.
({23})
Viele von uns sind zu gleicher Zeit entsetzt, wo es um den Libanon geht. Ich sage in aller Offenheit: Historische Schuld, die ich trage - wie alle in unserem Volk oder diejenigen, die für unser Volk sprechen -, trägt man wohl nicht dadurch ab, daß man zu ernsten Fehlern oder neuem Blutvergießen seinen Mund hält.
({24})
Deshalb wage ich die Frage: Was werden die Israelis wohl von einem Pyrrhussieg im Libanon haben?
Ich hätte in diesen Tagen, nämlich Ende dieser Woche in Paris an einer Konferenz teilnehmen sollen, auf der man über Friedensvorschläge für den Nahen Osten sprechen wollte. Jene Konferenz ist abgesagt worden; denn es rast der Krieg. Doch es wird sich erneut zeigen: einmal, daß eine Friedensordnung im Nahen Osten ohne Israels garantierte Existenz nicht denkbar ist,
({25})
zum anderen, daß Israel nicht sicher leben können
wird, wenn es nicht auch seinen Teil dazu beiträgt,
daß alle Völker in der Region ein Lebensrecht haben und es ausüben können.
({26})
Ich verstehe die israelischen Sicherheitsinteressen, die sich auf die nördliche Grenze beziehen. Ich verstehe nicht, daß dazu eine solche Invasion stattfinden mußte. Ich verstehe die Sorge vieler um den Libanon, der zum Spielball unterschiedlicher, von außen einwirkender Machtgruppen geworden ist. Deshalb ergibt die Forderung nach territorialer Integrität für den Libanon, wenn ich es recht sehe, nur einen Sinn, wenn damit der Abzug aller fremden Truppen verbunden ist. Ich verstehe gut, daß man sich gegen terroristische Anschläge zu schützen sucht. Vernichtungsschläge gegen die Organisation der Palästinenser und ihrer Führer würden - von prinzipiellen Erwägungen abgesehen - den auszuhandelnden Ausgleich auf quälende Weise hinausschieben, nicht aber überflüssig machen.
Ich sagte, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Neigung zum Krieg wächst in der Welt. Sie greift wie eine Seuche um sich. Die Völker der Welt stehen vor der zusätzlichen Frage, wie sie sich dagegen wappnen. Die Sondergeneralversammlung - man sollte sie nicht überschätzen - kann einen Beitrag bieten, vor allen Dingen dann, wenn konkrete Vereinbarungen folgen.
Die Unabhängige Kommission für Fragen der Abrüstung und Sicherheit unter dem Vorsitz meines schwedischen Freundes Olof Palme hat mit gutem Grund vorgeschlagen - ({27})
- Herr Kollege Mertes, Sie sagen, der Bundeskanzler habe sie nicht erwähnt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die von Ihnen sonst so gern zitierte Regierung der Vereinigten Staaten gesagt hat, daß sie sich mit den Vorschlägen dieser Kommission sehr ernsthaft auseinandersetzen werde. Ich bin ganz sicher, daß das auch die Bundesregierung tun wird.
({28})
Ich wollte sagen: Die Palme-Kommission hat mit gutem Grund und auch unter Rückbesinnung auf das, was die UN 1944/45 einmal haben werden sollen, vorgeschlagen, die Rechte des Generalsekretärs der UN zu stärken und z. B. eine Vereinbarung der ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats anzustreben, in Konfliktfällen, vor allem in der Dritten Welt, auf parteiische Vetos zu verzichten.
Doch, meine Kolleginnen und Kollegen, vergessen wir nicht: Der wirksamste Schritt gegen die grassierende Unsicherheit in der Welt wäre natürlich die Fähigkeit der Großmächte, sich auf Abrüstung und dann gewiß auch auf mehr zu einigen. An ihrem Verhalten hängt sehr viel, im Guten wie im Bösen. Die Toten in so vielen anderen Ländern gehen auch die Menschen in jenen Staaten an, die in Frieden leben, deren Regierungen aber zu einem nicht geringen Teil die Elemente einer wechselseitigen totalen Vernichtung mit konstruiert haben.
Weltweiter Gewaltverzicht - ich nehme das Wort des Bundeskanzlers neu auf - und Abrüstung haben erst eine Chance, wenn West und Ost im eigenen und im wechselseitigen Interesse dazu kommen, den Wahnsinn aus den internationalen Beziehungen auszuschalten; denn darum geht es: den Wahnsinn auszuschalten, nicht irgendwelche kleinen Rüstungsmaßnahmen.
({29})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Kollege Brandt, ich habe Sie auch brieflich und öffentlich um Antwort auf das gebeten, was ich Sie jetzt erneut frage: Warum erklären Sie nicht - wie namhafte Vertreter der Bundesregierung -, daß es bei Gewaltverzichtsverträgen darauf ankommt, daß sie eingehalten werden? Warum sagen gerade Sie nicht, daß die Sowjetunion den Gewaltverzichtsvertrag von 1970 nicht eingehalten hat?
Herr Kollege Mertes, man kann nicht in jeder Rede alles durchbuchstabieren. Wenn ich von Gewaltverzicht spreche, können Sie sicher sein, daß ich damit die Verpflichtung, der sich alle unterwerfen müssen, verbinde, einen solchen Gewaltverzicht einzuhalten. Nur: Darauf basiert unsere Gewaltverzichtspolitik seit Jahr und Tag.
({0})
Das zwingt zur Frage nach der Rolle Europas im allgemeinen und in der Europäischen Gemeinschaft im besonderen. Ich begrüße es, daß der Bundeskanzler sich heute früh auch zur Gemeinschaft geäußert und festgestellt hat: Diese Gemeinschaft bedeutet für uns einen Stabilitätsfaktor. Das ist so. Dabei ist „Stabilitätsfaktor" nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gemeint, wenn dies auch noch nicht in hinreichendem Maße verwirklicht ist.
Leider hat die ursprünglich für morgen vorgesehene Europadebatte auf Wunsch der Kollegen der Union bis zum Herbst verschoben werden müssen.
({1})
Ich bedaure das. Die Europäische Gemeinschaft - darin stimmen doch wohl alle Fraktionen dieses Hauses überein - ist für die Bundesrepublik ohne vernünftige Alternative. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft hat unserem Land nicht nur gestärktes ökonomisches, sondern auch erhöhtes politisches Gewicht verliehen. Seien wir deshalb vorsichtig mit dem Gerede von der Bundesrepublik als dem Zahlmeister Europas.
({2})
- Verehrter Herr Kollege Kohl, wir gehen ja hier heute morgen höflich miteinander um. Das ist auch gut. Sie kennen doch den englischen Ausdruck „to whom it may concern": wen es jeweils angeht.
({3})
Ich wiederhole: Seien wir vorsichtig mit dem Gerede, das auch in der Presse immer wieder einmal auftaucht, von der Bundesrepublik als dem Zahlmeister Europas.
({4})
Wir alle müssen uns darüber im klaren sein, in welch erheblichem Umfang wir als Mitgliedsstaat mit dem größten Industriesektor
({5})
- das sind wir zweifellos in der EG - von der wirtschaftlichen Integration profitiert haben und profitieren.
({6})
Immerhin geht inzwischen die Hälfte aller Exporte in die Länder der EG. Keine noch so guten nationalen Maßnahmen könnten so viele Arbeitsplätze schaffen, wie durch den Verfall der Gemeinschaft vernichtet würden.
({7})
Die Bundesrepublik Deutschland hat deshalb ein vitales nationales Interesse an einer starken und demokratisch legitimierten Europäischen Gemeinschaft.
({8})
Wir Sozialdemokraten bekennen uns - wenn wir es gemeinsam tun, um so besser - aus Tradition und aus Verantwortung zu Europa. Wir wollen, wenn es irgend geht, daß die nächsten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 1984 nicht in ein Votum gegen Europa umschlagen.
({9})
Die Entscheidungsfähigkeit und die Legitimation der Gemeinschaftsorgane müssen verbessert werden.
({10})
Dazu hat das Europäische Parlament wichtige Vorschläge gemacht. Der Antrag, den die Fraktionen der SPD und der FDP für die morgen zunächst vorgesehene Sitzung vorbereitet haben, greift Wesentliches von dem auf, was hierzu im Europäischen Parlament entwickelt worden ist.
Zum anderen bedarf es aber auch der Weiterentwicklung und Vertiefung der europäischen Integration. Es bedarf erkennbarer Fortschritte in den Bereichen, in denen nationale Lösungsansätze nun einmal zu kurz greifen.
Aber ich sage noch einmal: Bei der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben wird der Gesichtspunkt der Ausgewogenheit, der natürlich wichtig und an
den erinnert worden ist, nicht zu kurz kommen dürfen. Belastungen und Vorteile aus dem Gemeinschaftshaushalt müssen dabei in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Mitgliedstaates stehen.
In einer weiteren Perspektive stellt sich die Frage - ich will das einmal auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, offen aussprechen -, ob mit den Ideen und den institutionellen Ansätzen der 50er Jahre noch eine vernünftige europäische Politik für die 80er Jahre gestaltet werden kann. Die Frage stellt sich doch: ob es nicht neuer Integrationsansätze bedarf, die über wirtschaftliche Verflechtung und über die Koordinierung der Auswärtigen Ämter hinaus reichen. Denn seien wir ehrlich: Was man heute Europäische Politische Zusammenarbeit nennt - ich begrüße das -, ist natürlich im Kern zunächst nur - wenn man „nur" sagen dürfte - Koordinierung der Auswärtigen Ämter.
Ich denke, auf dem Wege dahin oder zu dem hin, was ich eben nur angetippt habe, haben wir uns mehr außenpolitische Gemeinsamkeit in Europa und dabei auch die Fähigkeit Europas zu wünschen, sich nicht nur interkontinentalen Problemen zuzuwenden, sondern - lassen Sie mich das einmal offen sagen - auch Probleme vor der eigenen Haustür zu behandeln wie das nun immer noch drückende Zypern-Problem. Das darf nicht einfach daniederliegen, sondern muß kontinuierlich und auch mit einem gewissen Nachdruck einer Lösung zugeführt werden.
Immerhin, die Dialogbereitschaft der Großmächte und somit die Chancen für den Beginn eines Abrüstungsprozesses scheinen sich gegenwärtig gegenüber dem vorigen Jahr wieder verbessert zu haben. Da sind zunächst die Verhandlungen, die seit November vergangenen Jahres über die Mittelstreckenwaffen in Genf stattfinden. Hier ist allerdings immer sofort hinzuzufügen, daß die Zeit drängt und wie sehr die Zeit drängt. Aus guten Gründen hat die internationale Parteiengemeinschaft, zu der die SPD gehört, also die Sozialistische Internationale, an die Großmächte appelliert, ein Ergebnis vor Ende 1983 zustande zu bringen. Hoffnung und Klimaverbesserung, die durch die Aufnahme der Verhandlungen eingetreten sind, müßten sich in einen weitaus schlimmeren Rückschlag verwandeln, wenn die Verhandlungen ergebnislos blieben.
Wir alle wissen, daß der Genfer Verhandlungsprozeß mit Fristen verbunden ist. Ich will und brauche das jetzt nicht weiter auszumalen. Ich will lediglich folgendes sagen. Herr Kollege Kohl, Sie haben in einem Teil Ihrer Rede freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit dem Münchner Parteitag meiner Partei Ende April zugewandt.
({11})
Ich nehme an, Sie haben sich nicht nur mit den Presseberichten, sondern mit tatsächlich gefaßten Beschlüssen auseinandergesetzt. Wenn Sie das getan haben, müßten Sie mir zugeben - was immer Sie sonst von der SPD halten -, daß das eine Partei ist,
die sich das Leben in solchen Fragen nicht leicht macht, die ringt,
({12})
aber dann nach einer gründlichen, sachlichen Debatte Beschlüsse faßt. Die Beschlüsse hat sie gefaßt, und die gelten.
({13})
Ich darf hinzufügen: keiner wird ernsthaft bestreiten können, daß sich die deutsche Sozialdemokratie gegenüber der westlichen Ausgangsbasis der Genfer Gespräche loyal verhalten hat. Ausschlaggebend war für uns die klare Absicht, die Verhandlungsposition der NATO nicht zu schwächen, ebenso natürlich aber die Erwartung an den amerikanischen Hauptverbündeten, die Verhandlungen mit allem notwendigen Ernst und aller möglichen Einigungsbereitschaft zu führen.
Wenn ich von einer Verbesserung der Dialogbereitschaft der Weltmächte spreche, dann denke ich nicht zuletzt an die Ankündigung Präsident Reagans, der nun in der nächsten Woche die Verhandlungen über strategische Waffen folgen. Ich denke an das, was der Bundeskanzler heute früh über ein mögliches Treffen der beiden Ersten - Reagan und Breschnew - gesagt hat und über Chancen in Wien bei MBFR und in Madrid bei der Weiterführung des Helsinki-Folgetreffens. Ich denke auch an Stillstandmaßnahmen wie z. B. das Einstellen von Atomwaffentests, das einem Verhandlungsprozeß ohne Zweifel dienlich sein würde.
Nun hat der Kollege Kohl hier am Begriff des Gleichgewichts herumgemacht.
({14})
Das Bekenntnis zum Gleichgewicht, was immer sich hinter diesem Begriff bei manchen, die ihn verwenden, verbirgt, schließt - das hat auch der Präsident der Vereinigten Staaten deutlich gemacht, nicht zu Beginn seiner Amtszeit, sondern etwas später - den Verzicht darauf ein, strategisch nutzbare waffentechnische Überlegenheit gewinnen zu wollen. Denn eine solche zeitweilige - vermutlich immer nur zeitweilige - Überlegenheit müßte die Bemühungen um effektive Abrüstung blockieren. Das Bekenntnis zum Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau schließt das strategische Konzept eines begrenzten Atomkrieges natürlich aus. Ich selbst meine, daß Atomkriege schlichtweg nicht begrenzbar sind; hoffentlich wird nicht erst durch die Praxis erwiesen werden müssen, ob dieser Satz stimmt oder nicht.
({15})
Ich will hier ausdrücklich begrüßen, was der Bundeskanzler zur Sicherheitspartnerschaft vor den Vereinten Nationen gesagt hat. Sehen Sie, Herr Kollege Kohl, wenn es über alle sachlichen und ideologischen Gegensätze zwischen den Mächten dieser Welt hinweg - zumal den großen Mächten - eine für sie wachsende gemeinsame Gefahr gibt, dann darf man die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich hieraus die Definition gemeinsamer Interessen ableiten lassen würde. Das kann dann zu dem hinführen, was der Bundeskanzler und andere „Sicherheitspartner6594
Schaft" nennen und was insoweit über die bloßen Gleichgewichtsvorstellungen hinausführt. Ich begrüße, was der Bundeskanzler gesagt hat, daß man, ohne sich unter einen Zeitdruck zu begeben, für die internationale Strategiedebatte offen sein muß. Ich bringe auch hier noch einmal den Palme-Bericht in Erinnerung.
Hier ist noch das Wort von der Sehnsucht nach deutschen Eigenwegen gefallen, Herr Kollege Kohl. Ich bekräftige für mich, daß ich in diesen Zusammenhängen - und das geht mir nicht allein so -, daß ich in den Ost-West-Zusammenhängen von deutschen Lebensinteressen spreche,
({16})
- dann ist es ja gut, wenn wir das klären können -, von unserem Interesse daran, daß unsere Überlebenschancen steigen. Zu diesen gehört auch - natürlich auch -, alles daran zu setzen, zu vermeiden, daß auf unserem Boden, in unserer Mitte neue Massenvernichtungswaffen stationiert werden. Wenn ich von deutschen Lebensinteressen spreche, Herr Kollege Kohl, so füge ich sofort hinzu: diese Interessen sind insofern keine besonderen deutschen, als wir sie weder über die anderer Völker stellen noch daraus einen abgekoppelten besonderen Weg - politisch oder militärisch - ableiten.
Das Leben unserer Völker ist gleichermaßen gefährdet, in der Champagne und in Sussex im Prinzip kaum anders als in der Pfalz.
Ich begrüße, daß wir uns weiter offenhalten für das, was sich in Friedensbewegungen tut, übrigens auch jenseits des Atlantiks, auch in der DDR, jenseits des Atlantiks so, daß der Vorgänger von Präsident Reagan neulich gesagt hat, er habe den Eindruck, die amerikanische Friedensbewegung übe Einfluß auf politische Entscheidungen in Washington aus. Ich gebe nur dessen Argument wieder, wie ich es nachgelesen habe. Ich glaube, was sich hier tut, trägt - bei allen Unebenheiten - sein Teil dazu bei, Mißverständnisse über eine mögliche Entfremdung zwischen Deutschen und Amerikanern aus der Welt zu schaffen.
Über den Druck, den besorgt demonstrierende Menschen auf Regierungen ausüben, will ich hier nicht spekulieren. Die Partei, für die ich spreche, fühlt sich nicht gedrückt; denn ihr ist es seit langem um den Frieden ebenso ernst wie den Menschen, die in diesen Monaten zu Kundgebungen strömen.
Die Zeit macht es mir nicht möglich, auf den Teil der Ausführungen des Bundeskanzlers einzugehen, der von Versailles in Verbindung mit Nord-Süd handelt. Ich halte dies für den vielleicht mit interessantesten Teil des Versailler Kommuniqués, weil die dort versammelten Vertreter der großen Industriestaaten sagen: Jawohl, wir akzeptieren im Prinzip den prozeduralen Vorschlag der Entwicklungsländer, den Nord-Süd-Dialog unter dem Dach der Vereinten Nationen fortzusetzen und die „globalen Verhandlungen" zu eröffnen; weil sie die Frage einer Reform der internationalen Finanzierungsinstitutionen als Thema akzeptieren, weil sie auch sagen, die Weltbanktochter, die unter dem Namen IDA günstige Kredite, billige Kredite vergibt, darf nicht verkommen. Hier sind vor allem die USA gefordert, sowohl bei der IDA wie bei der Internationalen Energie-Agentur, auf die man sich im Prinzip im vorigen Jahr in Cancún/Mexiko schon mal verständigt hatte. Man kann das jetzt nicht ausmalen. Man ist zu diesem Thema ohnehin immer noch in der Gefahr, vor tauben Ohren zu predigen. Das mag sich durch die Fußballweltmeisterschaften ein bißchen ändern; denn viele Bürger erfahren jedenfalls in diesen Tagen, daß die sogenannten Exoten ganz gut Fußball spielen können.
({17})
Dies als kleine Erwägung zu einem sich hier vielleicht vollziehenden Bewußtseinswandel.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir haben es bei dem, was wir hier summieren, mit einer Leistung der sozialliberalen Koalition in diesen Jahren zu tun, von der im Grunde nichts abzustreichen ist, sondern es gilt gerade, gestützt auf die Erfahrungen, die wir miteinander hinter uns haben, den Weg in die Zukunft klar zu halten, damit Deutschland berechenbar bleibe und sein Ansehen in der Welt weiter gemehrt werde. Da kann man dann nicht plötzlich weglaufen wollen von all dem Gerede etwa des bayerischen Ministerpräsidenten, der den zweiten Teil, den Verhandlungsteil des Brüsseler NATO-Beschlusses, für den Geburtsfehler dieses Beschlusses hielt.
({18})
Da kann man nicht einfach weglaufen von dem Gerede, man müsse erst aufrüsten, um dann abrüsten zu können, oder daß es gar nicht so dumm wäre, den Geltungsbereich der NATO auszudehnen und deutsche Soldaten gegebenenfalls auch an den Persischen Golf zu schicken.
({19})
Nein, wir bleiben bei dem Kurs der Bundesregierung, auch dort, wo er Selbstbeherrschung bedeutet, Selbstbeherrschung der deutschen Politik.
({20})
Ich habe vor einigen Monaten hier mit starker innerer Zustimmung gehört, was der Kollege Mischnick zu diesen Themen gesagt hat. Er hat gesagt, daß an erster Stelle für uns immer gestanden habe - und weiterhin stehen muß, sage ich - die gemeinsame Sicherung unserer auf Verständigung und Frieden ausgerichteten Politik. Ich habe das ebenso klar von anderen Kollegen aus den Reihen unseres Koalitionspartners gehört, auf Ost-West bezogen, auf Nord-Süd nicht weniger.
Ich meine, daß wir auf dem Weg, den der Bundeskanzler heute vormittag hier beschrieben hat, miteinander noch eine Menge zu tun haben werden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({21})
Ich erteile dem Abgeordneten Ronneburger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Kohl hat gegen Ende seiner Ausführungen eine Frage wiedergegeben, von der er hat erkennen lassen, daß es offenbar auch seine eigene Frage sei. Diese Frage lautete: Wo steht denn eigentlich die Bundesrepublik?
Ich stelle dazu fest, meine Damen und Herren, daß offenbar der Präsident der Vereinigten Staaten und daß unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO über die Antwort auf diese Frage weitaus besser informiert sind als der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag.
({0})
Denn, Herr Kollege Dr. Kohl, in den Reden, in der Bonner Erklärung, kommt dieser Zweifel, den Sie mit Ihrer Frage auszudrücken versucht haben, überhaupt nicht zur Geltung;
({1})
im Gegenteil, wer dem Präsidenten der Vereinigten Staaten aufmerksam zugehört hat, der hätte unschwer feststellen können, daß sich der Präsident über die Haltung und Stellung der Bundesrepublik im Bündnis durchaus im klaren ist.
({2})
Deswegen sage ich, daß wir, die FDP-Fraktion dieses Hohen Hauses, mit Befriedigung auf die Ereignisse zurückblicken, von denen heute in der Regierungserklärung die Rede war.
Darüber hinaus glaube ich aber sagen zu können, daß dieses Gefühl der Befriedigung für alle Deutschen gelten muß - und ich meine ausdrücklich nicht nur die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, sondern ich meine auch diejenigen, die von uns getrennt auf der anderen Seite jener unheilvollen Grenze leben.
({3})
Es ist ein Gefühl der Befriedigung im Sinne einer Weiterentwicklung und Bestätigung unserer Politik, mit der wir uns seit vielen Jahren um das Schicksal auch jener Menschen bemühen, mit der wir uns um eine gesamtdeutsche Entwicklung bemühen, die im Interesse aller deutschen Menschen liegen muß. Aber das Gefühl der Befriedigung und der Ausdruck eines gesunden Selbstbewußtseins, meine Damen und Herren, werden vor allen Dingen dadurch genährt, daß einerseits die Ereignisse von Versailles und Bonn eine Bestätigung der Friedenspolitik darstellen, die die sozialliberale Koalition von ihrem Beginn an betrieben hat, und das andererseits in der Bonner Erklärung - wenn man sie sich einmal vor Augen führt - eine ausdrückliche Bestätigung und Bekräftigung der Aussagen des Harmel-Berichts vom Dezember 1967 vorgenommen worden ist.
Ich will aus einem bestimmten Grund mit einem Zitat sowohl aus dem Harmel-Bericht als auch aus der Bonner Erklärung aufzuzeigen versuchen, was ich damit meine. Es heißt im Harmel-Bericht unter der Nr. 7:
Als souveräne Staaten sind die Bündnispartner nicht gehalten, ihre Politik kollektiven Entscheidungen zu unterwerfen. Die Allianz bildet ein wirksames Forum und Zentrum für den Austausch von Informationen und Auffassungen. Auf diese Weise kann jeder der Bündnispartner seine Politik auf Grund eingehender Kenntnis der Probleme und Ziele der anderen festlegen.
Ergänzend dazu ein Zitat aus der Bonner Erklärung, in der es heißt:
Unsere Solidarität steht keineswegs im Gegensatz zu dem Recht eines jeden unserer Staaten, seine Politik und seine innere Entwicklung selbst zu bestimmen, und ermöglicht ein hohes Maß an Vielfalt. Darin liegt unsere Stärke. Wir sind eine Partnerschaft von Gleichen, in der niemand herrscht oder beherrscht wird.
So weit diese beiden Zitate.
Ich meine, daß diese beiden Punkte nicht ohne einen Hinweis auf die Initiative des Bundesaußenministers für eine Intensivierung von Konsultationen und für den Ausgleich von Meinungen, Auffassungen und Zielen zitiert werden können.
Weiter meine ich, daß diese beiden Zitate nicht nur das Verhältnis der Partner in der NATO zueinander darstellen - dies ist außerordentlich wichtig -, sondern auch noch etwas ganz anderes aussagen, und deswegen stehen diese beiden Zitate am Anfang meiner Überlegungen.
Erstens. Der Unterschied zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO kann überhaupt nicht deutlicher dargelegt werden als durch den Hinweis darauf, daß die NATO ein freiwilliger, ein gewollter, ein durchgehaltener Zusammenschluß demokratischer Staaten zur Verteidigung gemeinsamer Werte ist und daß es sich bei ihr eben nicht um eine Militärallianz wie den Warschauer Pakt handelt, der von einer Führungsmacht regiert wird, dessen Politik von einer Stelle aus festgelegt wird und dessen Partnerregierungen sich keineswegs auf die demokratische Zustimmung ihrer Bevölkerung zu diesem Pakt berufen können.
Aber gerade dann, wenn es um die Frage der Verteidigung gemeinsamer Werte geht, muß ich zwei Zusatzbemerkungen machen. Die erste ist die Aufforderung an unseren Bündnispartner Türkei, unverzüglich, d. h. ohne Zögern, zu jenen Rechten und Werten zurückzukehren, die den Grundbestandteil der NATO-Allianz ausmachen.
({4})
Die zweite Bemerkung ist der Ausdruck meiner Freude darüber, daß während der zurückliegenden NATO-Tagung Spanien in diese Gemeinschaft der Demokratien eingetreten ist und daß Spanien auch mit großem Selbstbewußtsein darauf blicken kann, daß es innerhalb eines halben Jahres die parlamen6596
tarische Zustimmung aller Bündnispartner zu seinem Beitritt bekommen hat, womit die Gruppe der Demokratien in der Welt um dieses Land vergrößert und dadurch in ihrer Substanz verbessert worden ist.
({5})
Zweitens. Der andere Grund, aus dem ich diese Zitate an den Anfang gestellt habe, ist aber der, daß ich meinem Bedauern über die jüngsten Embargobeschlüsse der Vereinigten Staaten von Amerika Ausdruck geben möchte. Ich zitiere noch einmal aus der Bonner Erklärung, in der die Rede davon ist, daß „unsere Ziele und Interessen jederzeit durch freie und enge Konsultationen in Übereinstimmung zu bringen" sind. Ich glaube, es wäre gut gewesen, wenn diese Konsultationen tatsächlich stattgefunden hätten, und es wäre gut, wenn wir uns, wie es in den Papieren von Versailles und Bonn zu erkennen ist, darüber einig wären, daß auch die Wirtschaftspolitik, daß auch wirtschaftliche Verbindungen zwischen den Blöcken ein Mittel der Friedenspolitik sein können und daß offenbar auch die Vereinigten Staaten von Amerika dieser Ansicht sind; sonst wäre die Tatsache ihrer Weizenexporte in die Sowjetunion eigentlich kaum erklärbar.
({6})
Meine Damen und Herren, ich will mit dieser einzigen, aber notwendigen kritischen Bemerkung das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu uns, zu Europa, in keiner Weise belasten, aber ich meine, es gehört zu dem, was ich eingangs zitiert habe, daß das offene und faire Gespräch möglich sein muß, und es gehört zu meinen persönlichen Erfahrungen, daß unsere Gesprächtspartner jenseits des Atlantik auch keineswegs darauf warten, daß wir nach drüben kommen, um ihnen zu sagen: Alles, was ihr macht, ist auch in unserem Sinne okay. - Vielmehr sind sie bereit, auch ein selbstbewußtes Vertreten eigener Standpunkte, eigener Interessen, eigener Sorgen zu akzeptieren, und sie sind bereit, in einem solchen Gespräch zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Es scheint mir notwendig zu sein, daß wir dies in allen Punkten beachten, in denen wir mit unseren Partner, auch und gerade mit den Vereinigten Staaten, im Gespräch sind.
Der zweite Grund für einen positiven Rückblick liegt für mich in zwei weiteren Zitaten. Ein Zitat aus dem Harmel-Bericht, wo es heißt:
Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar.
Dies wird in der Bonner Erklärung bestätigt, indem es heißt:
Unser Ziel ist es, substantielle und ausgewogene Ost-West-Beziehungen mit dem Ziel einer wirklichen Entspannung zu entwickeln.
Damit wir jetzt nicht in eine fruchtlose Debatte darüber geraten, was denn wohl wirkliche oder was denn überhaupt Entspannung sei, zitiere ich eine andere Stelle, Herr Kollege Mertes, aus der Bonner Erklärung, in der genau beschrieben wird, was man
unter Entspannung zu verstehen hat. Es heißt hier in einem anderen Punkt:
Unser Ziel ist es, Krieg zu verhindern und unter Wahrung der Demokratie die Grundlagen für dauerhaften Frieden zu schaffen.
Und es heißt weiter:
Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Dies wurde auch in der Regierungserklärung heute schon zitiert:
Wir respektieren die Souveränität, Gleichheit, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrheit aller Staaten.
Meine Damen und Herren: „Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden" - so sagt die NATO -, „es sei denn zur Abwehr eines Angriffs." Dies ist mehr, als je aus Moskau vergleichbar gesagt worden ist.
({7})
Es ist mehr, als Gromyko kürzlich in der Sondervollversammlung für Abrüstung in New York erklärt hat.
({8})
„Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden:" Dies ist ein Wort der NATO, das ihre innere Stärke, aber auch die Grundtendenz ihrer Politik in unvergleichlicher Weise darstellt.
Die Sowjetunion sollte daran gemahnt werden, nun alles das auch aufzunehmen, was ihr von westlicher Seite angeboten wird, und in den Verhandlungen zu einer gemeinsamen Lösung bereit zu sein; denn es ist ja wohl nicht übersehbar, daß sich auch die Politik der Administration in Washington in den eineinhalb Jahren, die hinter uns liegen, weiterentwickelt hat und daß wir mit Befriedigung feststellen können, daß erstens die speziellen Sorgen, die spezielle Sicht der Dinge und Zielsetzungen der europäischen Partner in dieser Politik immer stärkere Beachtung finden, und daß zweitens innerhalb der Administration ganz offenbar die Grundlinien dieser heute hier angesprochenen Politik nunmehr in folgendem bestehen: in dem Verzicht auf Überlegenheit, in der Bereitschaft zum Ausgleich, im Streben nach Rüstungsabbau - also nicht nur nach einer Begrenzung auf einem einmal erreichten Niveau -, in der Einbeziehung der konventionellen Waffen in dieses Verhandlungskonzept, in der Bereitschaft zur vollen Anwendung von SALT II, in der Bereitschaft zum Abbau auch eigener Waffensysteme und nicht zuletzt wohl auch in dem Angebot von Verhandlungen und Gesprächen auch auf höchster Ebene. Das bedeutet einen Verzicht auf jene früher einmal geäußerte Verbindung, daß zunächst die Sowjetunion andere Vorleistungen erbringen müsse, ehe man mit ihr über Abrüstung sprechen könne.
Dies ist die Situation, in der wir uns befinden. Ich füge hinzu: Zu dieser Konzeption der NATO, die damit beschrieben ist, gehört auch der Doppelbeschluß als politisches Mittel zum Abbau von Rüstung und
- ich wiederhole noch einmal - nicht zur Begrenzung auf dem Niveau, das die sowjetische Rüstung zur Zeit erreicht hat.
({9})
Zu diesem Doppelbeschluß, dies muß ich allerdings hinzufügen, gehört dann mit voller Gleichberechtigung und gleicher Bedeutung auch der Verhandlungsteil. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich, wenn ich das so sage, damit dem bayerischen Ministerpräsidenten ausdrücklich widerspreche, der diesen Teil des NATO-Beschlusses als überflüssig bezeichnet hat und damit gezeigt hat,
({10})
wie wenig er bereit ist, auf die Argumente einzugehen, die von anderen auch in der Öffentlichkeit als Ausdruck ihrer Sorge gebraucht werden.
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Wörner.
Herr Kollege Ronneburger, wie oft wollen Sie hier eigentlich noch dieses Märchen erzählen, nachdem vor diesem Hause hinreichend klargestellt ist, in welchem Zusammenhang und mit welchem Sinn diese Äußerung gefallen ist?
Herr Kollege Wörner, mir ist eine solche Klarstellung nicht bekannt. Sollte sie in dieser Weise erfolgt sein, bin ich bereit, die Äußerung, die ich heute hier gemacht habe, zu korrigieren. Diese Bereitschaft erkläre ich ausdrücklich.
({0})
Meine Informationen gehen bisher dahin, daß eine solche Äußerung gefallen ist.
({1})
- Gut, sie mag unvollständig sein, Herr Mertes, ich werde bereit sein, zu korrigieren, wenn mir dies deutlich gemacht wird.
({2})
Ich sage noch einmal: Die Sowjetunion sollte sich fragen, was denn dies eigentlich alles heißt, was wir an Verhandlungsangeboten auf den Tisch gelegt haben. Sie sollte sich auch einmal sehr sorgfältig selbst danach fragen, wo ihre wirklichen Interessen eigentlich liegen. Sie sollte aber auch mehr als in der Vergangenheit - dies sage ich mit Absicht - an die Dritte Welt denken, und sie sollte sich fragen, ob es eigentlich ihrer Aufgabe in der Welt entspricht und ob sie ihrer Verantwortung gerecht wird, wenn sie in einem so geringen Maße, wie sie es bisher - außer
Rüstungslieferungen - getan hat, die Probleme des Nord-Süd-Konflikts zu lösen bereit ist. Sie sollte unsere Angebote annehmen, denn eines scheint mir sicher zu sein - hier stimme ich mit jenen überein, die in Demonstrationen der Friedensbewegung ihrer Sorge um die Erhaltung des Friedens Ausdruck geben -: Heute kann j a wohl eine moralische Grundlegung der Politik nur Verzicht auf die Anwendung von Waffen heißen, wie es die NATO ihrerseits ausgesprochen hat. Aber es muß klar sein, daß dies auch eine Komponente im Nord-Süd-Konflikt ist, nämlich die Bereitschaft der industrialisierten Staaten, die heute noch für Rüstung verwandten Mittel zukünftig zum Ausgleich massiver Ungerechtigkeit, zur Beendigung von Not und Hunger zu verwenden.
({3})
Es gibt so viele ungelöste Probleme auf dieser Welt, daß wir uns eine solche Verschwendung von Ressourcen jeder Art nicht mehr leisten können und daß wir uns darüber klar sein müssen, daß auch Spannungen im Nord-Süd-Konflikt eine Gefährdung des Friedens darstellen.
({4})
Darüber hinaus aber scheint es mir in jedem Land erforderlich zu sein, daß nicht die Mittel in einem Rüstungswettlauf vertan werden, mit deren Hilfe man sich selbst, den eigenen Staat und das eigene Bündnis nicht nur verteidigungsfähig, sondern auch verteidigungswürdig zu erhalten oder zu machen in der Lage wäre. Fragen sozialer Gerechtigkeit, Fragen der Durchsetzung von Grundrechten - übrigens auch östlich der Grenze, die unser Land und die Welt in zwei Teile teilt -, Not und Elend im Gefolge gewaltsamer Auseinandersetzungen: Dies alles sollte alle Mächte dieser Welt dazu bringen, eine andere Verwendung der Mittel, der Ressourcen, der Intelligenz, der finanziellen Mittel anzustreben.
In diesem Bereich gehört auch - dies sage ich in Übereinstimmung mit dem Bundesaußenminister - die Frage eines restriktiven Rüstungsexports und der Schaffung von mehr Durchsichtigkeit bei Rüstungsexporten in der Welt. Damit kann verhindert werden, daß die Hilfe, die der Dritten Welt zuteil werden sollte, unter Umständen nur in ihrer Aufrüstung besteht.
({5})
In diesem Gesamtzusammenhang warne ich aber alle diejenigen - ich habe soeben auf Demonstranten hingewiesen -, die etwa Äußerungen aus Washington mit größerem Mißtrauen begegnen als denen aus Moskau.
({6})
- Sie brauchen mich auf diesen Zusammenhang, Herr Kollege, nicht hinzuweisen. Es muß ja wohl klar sein, daß wir Partner der freien Welt sind und daß wir damit Partei in einer Auseinandersetzung und in einer Konkurrenz verschiedener politischer und Gesellschaftssysteme sind. Wir stehen auf der
einen Seite und können nicht etwa zwischen den Mächten einen Platz finden.
({7})
Denn wenn wir die Grenze überwinden wollen, die heute unser Land und die Welt teilt, dann können wir das nur als zuverlässige und als zuverlässig angesehene Partner unseres Bündnisses erreichen.
Damit komme ich mit einigen wenigen Sätzen auf die besonderen Probleme unseres geteilten Landes und ihre Berücksichtigung im Bündnis. Es ließe sich wiederum aus dem Harmel-Bericht zitieren, es läßt sich aber auch aus der Bonner Erklärung zitieren, was in diesem Zusammenhang gesagt worden ist und gesagt werden mußte und was deutlich macht, daß wir in dieser Frage nicht etwa allein stehen. Es heißt unter Ziffer 6 in einem Satz: „Der fortgesetzte Erfolg der Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, ist für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung."
({8})
- Ich verzichte aus Zeitgründen auf ein längeres Zitat, was durchaus angebracht wäre, Herr Kollege Mertes. Wir haben uns neulich an anderer Stelle und vor anderen Mikrophonen über das damit anstehende Problem bereits einmal unterhalten.
({9})
- Herr Kollege, ich hätte Ihrem Fraktionsvorsitzenden ohnehin die Frage zu stellen, ob er eigentlich in der Lage ist, die Ergebnisse dieser Konferenzen, die Kommuniqués und Erklärungen, als Mißerfolg der Bundesregierung zu kritisieren, ohne daß er gleichzeitig unsere Partner mit kritisiert. Dies frage ich auch Sie an dieser Stelle.
({10})
Wie im Harmel-Bericht wird der deutschen Frage auch bei unseren Partnern ganz große Bedeutung beigemessen.
({11})
Daher ist darauf hinzuweisen, daß in einem so diffizilen Verhältnis zweier Staaten in einer Nation in der Vergangenheit nur eine Politik der kleinen Schritte möglich war und sicherlich auch noch auf einige Zeit nur möglich sein wird. Ich warne aber jeden davor, der in dieser Frage, die in den jüngsten Tagen entschieden worden ist, auf Härte, auf Abgrenzung setzt, das Schicksal der Deutschen aus dem Auge zu verlieren, die auf der anderen Seite der Grenze in dem anderen deutschen Staat leben.
({12})
Jede Beeinträchtigung des Ost-West-Verhältnisses in diesem Sinne wird zu ihren Lasten gehen, und dies möge jeder bedenken, der das kritisiert, was in den letzten Tagen ausgehandelt und im Sinne einer
Verbesserung der menschlichen Bedingungen festgelegt worden ist.
Deutschlandpolitik ist im übrigen in diesem so beschriebenen Sinne offenbar nicht mehr nur eine nationale Aufgabe, nicht nur ein nationales Anliegen. Es ist nicht nur Auftrag des Grundgesetzes, sondern es ist unser politischer Wille, Deutschlandpolitik auch als eine Politik der Friedenssicherung in Europa und damit in der Welt zu betreiben.
({13})
Den Abbau von Spannungen sollten die beiden deutschen Staaten mit ihrem jeweiligen Einfluß, wie groß er auch immer sein mag, in jeweils ihrem Bündnis zu leisten versuchen. Ich glaube, daß Deutschlandpolitik in diesem Sinne mehr als ein restauratives Denken in der Frage der Wiederherstellung von Zuständen ist, die es geschichtlich einmal gegeben hat.
Damit komme ich zu einem Punkt, der nicht nur die Solidarität im Bündnis, sondern unser unmittelbares Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika betrifft. Ich hätte mir gewünscht, daß in der Rede des Oppositionsführers heute etwas von einer Korrektur der Kritik an der Entwicklung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses sichtbar geworden wäre. Eine solche Korrektur wäre nach den Ereignissen von Versailles und vor allen Dingen von Bonn angebracht gewesen. Nach dem Besuch des Präsidenten konnte man eigentlich nicht mehr so reden, wie man vorher geglaubt hatte, es tun zu können.
({14})
Denn ich meine, daß wir dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht nur für seinen Besuch hier im Hause und in Berlin und für das, was er dort gesagt hat, zu danken haben; ich meine, wir sollten uns darüber hinaus klar sein, daß wir Deutschen den Vereinigten Staaten auch schon in der Vergangenheit viel zu danken haben. Aber dies gilt ja wohl nicht zuletzt für die von Präsident Reagan erneut bestätigte Bereitschaft, in unserer schwierigen Situation eines geteilten Landes an unserer Seite zu stehen.
({15})
Das davon ausgehende Gefühl der Sicherheit, das davon aber auch ausgehende Gefühl einer Hoffnung darauf, daß das, was wir deutschlandpolitisch tun, nicht vergebens ist, ist für mich Anlaß genug für eine dankbare Würdigung für den Präsidenten der Vereinigten Staaten, seine Anwesenheit hier, seine Äußerungen.
({16})
Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung, die im November 1980 am Beginn der Legislaturperiode abgegeben wurde, heißt es an einer Stelle:
... wir haben erfahren, was Partnerschaft ist und daß wir uns auf unsere Freunde in der Welt verlassen können.
Die Ereignisse von Versailles und Bonn haben diese
Aussage ebenso bestätigt, wie die Grundkonzeptionen
unserer Außen- und Sicherheits- und Deutschlandpolitik, wie sie ebenfalls in dieser Regierungserklärung niedergelegt worden sind. Ich empfehle, einmal jene Regierungserklärung in diesen Punkten nachzulesen. Ich empfehle darüber hinaus - ich sage das in aller Bescheidenheit als Vertreter meiner Fraktion -, einmal nachzulesen, was meine Partei als Programm zu diesen Punkten für die Bundestagswahl 1980 dem Wähler vorgestellt hat. Jeder, der das tut, meine Damen und Herren, wird unschwer feststellen, daß es eine nahtlose Übereinstimmung zwischen diesem Konzept meiner Partei, der Bundesregierung und dem gibt, was in den jüngsten Ereignissen einen deutlichen Ausdruck gefunden hat.
({17})
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß nicht nur die Kritik der Opposition einer Korrektur bedarf, sondern auch manche Sorgen jener Demonstranten der Friedensbewegung. Ebenso bedürfen jene Punkte einer Korrektur, wo das Eintreten für Abrüstung in Ost und West angesprochen wird. Diese Bewegung ist nicht oder jedenfalls in der weit überwiegenden Mehrzahl nicht eine antiamerikanische Demonstration. Das sollte man im Lichte der Bonner Erklärung und der Äußerungen und Angebote des Präsidenten der Vereinigten Staaten überprüfen. Es ist fast überflüssig, sich hier noch einmal von den gewaltsamen Demonstranten in Berlin ausdrücklich zu distanzieren. Ich glaube aber, wenn der Oppositionsführer heute morgen zu jenen Demonstrationen und zu der Friedensbewegung insgesamt zu einer politischen Haltung gefunden hätte, wie sie der Außenminister der Vereinigten Staaten auf eine Frage nach den gegen ihn gerichteten Demonstrationen in Berlin gezeigt hat, dann wären wir in der Zusammenarbeit mit jenen Bewegungen ein ganzes Stück weiter.
({18})
Haig, meine Damen und Herren, hat damals, als er gefragt wurde: „Wie beurteilen Sie diese Demonstrationen?", mit dem lapidaren, aber eindrucksvollen Satz geantwortet: „Deswegen sind wir j a hier: damit solche Demonstrationen stattfinden können." Ich kann einer solchen Äußerung meine Hochachtung nicht versagen.
({19})
- Ich glaube, daß es gut wäre, wenn wir alle uns ein wenig von jener Haltung zu eigen machten, die Haig an jener Stelle gezeigt hat.
({20})
Herr Dr. Kohl hat heute von einer pauschal positiven Beurteilung der Demonstranten durch die Regierungserklärung gesprochen. Ich habe das in der Regierungserklärung nicht finden können,
({21})
sondern ich habe sehr deutliche Distanz sowohl zu gewaltsamen Demonstrationen wie auch zu einzelnen Äußerungen auf Plakaten und in Reden gefunden. Deswegen glaube ich, wir sollten schon ernstnehmen, was manche Leute in unserem Land und in anderen Ländern umtreibt, aber wir sollten genauso bereit sein, sehr deutlich an der Linie festzuhalten, die sich in den vergangenen Jahren als Grundlinie unserer Politik bewährt hat und die auch weltweit Anerkennung findet.
Ich wehre mich gegen eine Überschätzung unseres eigenen Einflusses. Aber ich glaube, die Ereignisse, von denen wir heute sprechen, geben doch wohl Veranlassung, eine Politik konsequent fortzusetzen, sie nicht neu zu konzipieren, die wir in den vergangenen Jahren betrieben haben, die zuverlässig und berechenbar unsere Stellung, auch im westlichen Bündnis, gezeigt hat.
Und damit sich die Damen und Herren von der Opposition auch darüber im klaren sind, in welcher Weise wir nicht etwa erst heute, sondern schon in der Vergangenheit diese unsere Politik definiert haben. Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat aus einer Rede des Bundesaußenministers, die er am 1. Mai 1980, also ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, gehalten hat. Dieses Zitat lautet:
Es ist wichtig, zu sehen, was Entspannungspolitik leisten kann und was nicht. Sie verspricht nicht, die fundamentalen Gegensätze in den Wertvorstellungen zwischen West und Ost aus der Welt zu schaffen. Entspannungspolitik verspricht keine heile Welt. Sie verspricht nicht einmal einen gradlinigen, von Rückschlägen freien Fortschritt. Sie ist kein Ersatz für den Willen zu eigener Verteidigung. Sie setzt vielmehr diesen voraus.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es wäre gut, wenn wir in dem Sinne Außen-, Deutschland-, Sicherheitspolitik auch weiterhin betrieben, in der deutlichen Übereinstimmung mit unseren Partnern in Europa und der Welt, wie wir sie in den letzten Wochen eindrucksvoll vor Augen geführt bekommen haben. - Ich danke Ihnen.
({22})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Die Sitzung wird bis 14 Uhr unterbrochen.
({0})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Die Debatte wird fortgesetzt. Als erster Redner hat Herr Kollege Dr. Dregger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Rede des Kollegen Brandt, auf die heute noch keiner von uns antworten konnte, möchte ich wenigstens zwei Anmerkungen machen. Herr Kollege Brandt, ich sage das in absentia Ihrerseits; aber Sie können es nachlesen.
Die erste Anmerkung: Die Eigenständigkeit der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, die es selbstverständlich auch gegenüber den USA geben muß, kann nicht in erster Linie dadurch begründet werden, daß wir die deutschen und europäischen Interessen potenziert und deutlich von den amerikanischen abgrenzen. Es liegt in unserem wohlverstandenen Interesse, möglichst viele spezifisch deutsche und europäische Anliegen in die Politik des Bündnisses, dessen Führungsmacht die USA sind, einzubringen. Das geht besser in einem Klima des Vertrauens, um das sich die Kanzler der Union immer mit Erfolg bemüht haben, als in einem Klima zänkischen Mißtrauens, zu dem auch prominente Sozialdemokraten beigetragen haben. Ich habe den Eindruck, daß davon auch die Rede des Kollegen Brandt heute morgen nicht frei gewesen ist.
({0})
Auch ich bin entsetzt, daß der Kanzler und der Außenminister auf den Konferenzen in Versailles und in Bonn nichts von der Absicht der Amerikaner erfahren haben, das Embargo zu verschärfen.
({1})
Bei guten Beziehungen und in einem Klima des Vertrauens sollten solche Pannen eher zu vermeiden sein.
({2})
Die zweite Anmerkung bezieht sich auf die Aussagen des Kollegen Brandt zum Libanon. Er hat einiges Richtige gesagt, z. B. daß es für den Frieden im Libanon notwendig ist, daß alle ausländischen Truppen abziehen, also nicht nur die israelischen, sondern auch die syrischen, die aus einer Friedenstruppe zu einer Besatzungsarmee geworden sind, und vor allem auch die Truppen der PLO, die vom Libanon aus Terrorangriffe auf Israel durchführen.
({3})
Ich hoffe, mich mit Herrn Kollegen Brandt und der SPD in Übereinstimmung zu befinden, wenn ich sage: Gäbe es diese syrische Besatzungsarmee und diese PLO-Truppen im Libanon nicht, die von dort aus Terrorangriffe auf Israel durchführen, dann hätte es sicherlich keinen israelischen Einmarsch im Libanon gegeben.
Meine Damen und Herren, ich finde es nicht gut, wenn wir aus der im Vergleich zu Israel größeren Sicherheit unseres Landes heraus mit allzu großem moralischen Pathos, dem eine allzu geringe Kenntnis der Tatsachen entspricht, moralische Urteile in alle Welt verteilen.
({4})
Ich glaube, das ist keine gute Politik für den Frieden und keine gute Politik für unser Land. Es ist doch gewiß nicht so, daß die schlimme Lage im Libanon erst durch den israelischen Einmarsch herbeigeführt worden wäre. Die schlimme Lage im Libanon besteht, seitdem 500 000 Palästinenser in bewaffneten Lagern unter der Anführung der PLO dieses fragile
Gleichgewicht eines Staates der Maroniten, der Sunniten, der Schiiten und der Drusen durcheinandergebracht haben.
Ich möchte einige Bemerkungen zur Friedenspolitik machen, die j a nicht erst seit Gründung der sozialliberalen Koalition - diesen Eindruck versuchte der Bundeskanzler heute morgen zu erwecken -,
({5})
sondern schon seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mittelpunkt der deutschen Politik steht. Daß die NATO-Strategie ihrer Zielsetzung nach keine Kriegsführungs-, sondern eine Kriegsverhinderungsstrategie ist, eine Abschreckungsstrategie, die nicht darauf ausgeht, einen Sieg zu erringen, sondern den Krieg zu vermeiden, wird teilweise nicht begriffen. Zum Teil wird diese Strategie bewußt mißverstanden. Zum Teil werden Argumente sinnverfälscht und mißverständlich wiedergegeben, um dann als kleine Münze in die innenpolitische Auseinandersetzung eingebracht zu werden.
({6})
Meine Damen und Herren, das schadet dem Zusammenhalt in unserem Volk, das beeinträchtigt die Motivation unserer Wehrpflichtigen, und das gefährdet auch den Erfolg unserer Friedenspolitik, in deren Rahmen ja die Abschreckungsstrategie nur ein Teil ist.
Die einzige Sinngebung der NATO-Strategie, den Frieden zu bewahren und die Freiheit zu erhalten, ist in der Bonner Erklärung der Staats- und Regierungschefs erneut hervorgehoben worden. Aus deutscher Sicht möchte ich dazu zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Auf Grund ihrer geographischen Lage wären die Deutschen, also wir alle, mehr als alle anderen Völker von einem europäischen Krieg betroffen. Unser Land wäre Hauptkriegsschauplatz.
Zweitens. Die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und andere Völker, die weiter entfernt von der Teilungsgrenze des Jahres 1945 leben, werden in ihrer Existenz nur durch den atomaren Raketenkrieg bedroht. Unser Volk wird auch von dem nichtatomaren Krieg in seiner Existenz bedroht. Auch wenn ein nichtatomarer Krieg stattfände, würde unser Land vollständig zerstört.
Es liegt daher nicht in unserem deutschen Interesse, nur die Gefahr des atomaren Kriegs zu beschwören
({7})
und darüber die Gefahr des nichtatomaren Kriegs, der gerade uns bedroht, zu verdrängen.
({8})
Nach 1945 hat es leider nicht weniger Kriege gegeben als vor 1945. Aber überall dort, wo ein potentieller Angreifer mit dem atomaren Gegenschlag rechnen mußte, wurde der Krieg vermieden. Im Falkland-Krieg hatte keine der beiden Seiten mit einem
atomaren Gegenschlag zu rechnen, und deshalb war dieser Krieg möglich.
Die atomaren Waffen sind die ersten Waffen in der Weltgeschichte, die nicht nur die Soldaten und die Völker bedrohen, sondern auch die Machthaber, die diese Waffen einsetzen. Wenn man es auch wegen der Schrecklichkeit des Instruments nicht gern ausspricht, so muß man um der Klärung des Tatbestands willen doch sagen, daß insofern - allerdings nur insofern - die atomaren Waffen auch eine friedenserhaltende Wirkung haben.
({9})
Meine Damen und Herren, es ist gewiß schlimm, daß es nach wie vor der Abschreckung bedarf, um Kriege zu verhindern, zumal Abschreckung versagen kann. Deshalb muß die Abschreckung durch eine Zusammenarbeit mit dem möglichen Gegner ergänzt werden, wo immer es geht. Langfristiges Ziel der Politik muß es sein, durch Zusammenarbeit schließlich Abschreckung überflüssig zu machen. Das setzt allerdings den Verzicht eines jeden auf Herrschaft über den anderen voraus, auch den Verzicht auf Weltherrschaft, auch den Verzicht auf Weltrevolution, die ja nichts anderes ist als Weltherrschaft in ideologischer Umkleidung.
({10})
Solange eine solche politische Kultur zwischen den Staaten und Mächtegruppen der Erde nicht besteht, solange immer noch expansive Ziele mit expansiver Politik verfolgt werden, solange daher auf Abschreckung nicht verzichtet werden kann, so lange gefährden wir den Frieden, wenn wir einen potentiellen Angreifer vom Risiko des atomaren Gegenschlages freistellten.
({11})
Diese Überlegung liegt der Strategie der NATO zugrunde, die - ich wiederhole es - keine Kriegsführungs-, sondern eine Kriegsverhinderungsstrategie ist und die dem europäischen Kontinent die längste Friedensperiode seiner Geschichte geschenkt hat. Diese NATO-Strategie ist innerhalb des Regierungslagers zur Zeit höchst umstritten, so sehr umstritten, daß innerhalb und außerhalb unseres Landes Zweifel an ihrer Gültigkeit und Wirksamkeit entstanden sind, Zweifel aber auch an der Verläßlichkeit der Deutschen und an der Kalkulierbarkeit der deutschen Politik.
Herr Kollege Dr. Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Ja, gerne.
Herr Dregger, stimmen Sie mit der folgenden Äußerung zur flexible response überein?
Von wem?
Den Verfasser nenne ich am Schluß. Die Äußerung hat folgenden Wortlaut:
Für die Europäer bedeuten die neue Lage und die darauf gegründeten Theorien von der „flexible response" und der „escalation" ... einen Rückschritt ... So stehen die Europäer heute vor der schmerzlichen Erkenntnis, daß der amerikanische Verbündete sie zwar nicht im Stich lassen will, daß er aber den europäischen Raum nicht mehr als mit dem amerikanischen Raum identisch und gleichwertig behandelt. Konsequenz: Der Schirm der amerikanischen nuklearen Garantie für Westeuropa wurde zwar nicht zugeklappt, er ist aber löchrig geworden.
So Dregger im „Rheinischen Merkur" vor einigen Jahren.
Wir haben ein Gutachten von vier prominenten Amerikanern gelesen. Diese Amerikaner haben geraten, in jedem Fall auf den Erstschlag zu verzichten, was man aus amerikanischer Sicht vielleicht verstehen kann;
({0})
denn das einzige, was Amerika bedroht, ist der atomare Raketenkrieg. Ich bin sehr glücklich, daß vier deutsche - zwei prominente Mitglieder des Hauses, der amtierende Präsident und der Kollege Mertes, und zwei andere Sachverständige - die deutschen Interessen sehr überzeugend zur Geltung gebracht haben.
({1})
- Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was Sie zitiert haben, und dem, was ich ausgeführt habe.
({2})
Meine Damen und Herren, die Unterstützung für die offizielle Sicherheitspolitik unseres Landes, die die Regierung im eigenen Lager nicht findet, erhält sie von der Opposition, die auch in dieser Frage völlig einig ist. Wir sind überzeugt: Wenn der sozialdemokratische Verteidigungsminister kürzlich den Verzicht auf den atomaren Erstschlag im Falle eines Angriffs auf unser Land ausdrücklich abgelehnt hat, dann gewiß nicht, weil er sich und uns alle einem atomaren Tod aussetzen möchte. Vielmehr möchte er nicht nur den atomaren Krieg, sondern jeden Krieg verhindern. Wir sind überzeugt: Herr Apel ist weder todessüchtig noch kriegslüstern. Das sind wir auch nicht.
Die Paradoxie der jetzigen Situation liegt nicht nur darin, daß sich die Bundesregierung in ihrer offiziellen Sicherheitspolitik nur noch auf die Opposition voll verlassen kann, nicht mehr auf die sie tragenden Parteien, zumindest nicht auf die größere. Eine zweite Paradoxie kommt hinzu, und diese trägt geradezu makabre Züge. Statt daß sich der Bundeskanzler für die Unterstützung durch die Opposition bedankt, macht er auch noch den Versuch, Scheingegensätze zwischen sich und uns dort aufzubauen, wo sie nicht bestehen, wobei Angstmache zu Wahlkampfzwecken das einzige Motiv ist.
({3})
Im Hamburger Wahlkampf unterzeichnete ausgerechnet der Bundeskanzler gemeinsam mit dem Vorsitzenden der SPD, Brandt, eine Anzeige, auf die der Unions-Vorsitzende Kohl heute morgen schon hingewiesen hat. In dieser Anzeige hieß es wörtlich - ich zitiere -:
Wir haben in den letzten Jahren für Frieden und Entspannung gekämpft. CDU und CSU haben sich dieser Politik mit allen Mitteln entgegengestemmt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Dies gilt auch für den Herrn Kiep, der in extremen Situationen deutsche Soldaten im Südatlantik und im Mittelatlantik einsetzen will.
({4})
Diese Formulierung hob nicht auf unterschiedliche Einschätzungen strategischer oder taktischer Einzelfragen ab. Sie wollte vielmehr die Union zum Friedensfeind und unseren früheren Kollegen Kiep zum Abenteurer stempeln.
({5})
Der Bundeskanzler ist durch seinen Amtseid verpflichtet, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.
({6})
Ein Bundeskanzler, der, wenn auch nur zu Wahlkampfzwecken, den Eindruck zu erwecken versucht, die demokratische Repräsentanz der Hälfte des deutschen Volkes lehne Friedenspolitik ab und sei darauf aus, deutsche Soldaten im Süd- oder Mittelatlantik zum Einsatz zu bringen, mehrt nicht den Nutzen des deutschen Volkes.
({7})
Ein solcher Bundeskanzler schadet durch einen solchen Mißgriff dem deutschen Volk und dem Frieden.
({8})
Wenn es einen Bereich gibt, in dem Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition im Interesse des Friedens und im Interesse des deutschen Volkes geboten ist, dann ist es der Bereich der Friedenspolitik. Diese Gemeinsamkeit in den Grundzielen besteht auch. Das hat der Herr Außenminister dankenswerterweise immer hervorgehoben. Er hat sich an der Hetzkampagne seines Koalitionspartners nie beteiligt, was ich anerkennen möchte, obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte. Aber diesen Kontrast muß man hervorheben.
Um allen ausgerechnet durch den Bundeskanzler geweckten Zweifeln im In- und Ausland entgegenzutreten, erkläre ich folgendes. Erstens. Alle Deutschen, von einigen pathologischen Fällen vielleicht abgesehen, und alle demokratischen Parteien wollen Frieden und Abrüstung.
({9})
Zweitens. Die Bundesregierung - wenn auch nicht
das gesamte Regierungslager - und die gesamte
Union wollen in Übereinstimmung mit der Atlantischen Allianz zur Sicherung des Friedens militärisches Gleichgewicht auf dem niedrigsten Niveau, das in Verhandlungen mit der Sowjetunion erreicht werden kann.
({10})
Drittens. Regierung und Opposition wollen Zusammenarbeit auch mit der Sowjetunion und den kommunistischen Ländern auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Nutzen. Wir, die Union, wollen fortentwickeln, was der erste Bundeskanzler dieser Republik, Konrad Adenauer, eingeleitet hat.
({11})
Wer diese Gemeinsamkeit der Deutschen und ihrer demokratischen Parteien in den Grundzielen der Außen- und Sicherheitspolitik leugnet, wer die auf den Frieden gerichteten Motive und Überlegungen des anderen in Zweifel zieht, der verleumdet den anderen, der schadet den deutschen Interessen und der gefährdet den inneren und äußeren Frieden unseres Landes.
({12})
Nur wenn wir die tatsächlich vorhandene Gemeinsamkeit in den Grundzielen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht in Zweifel ziehen, kann über die Frage, wie wir im Rahmen der Kriegsverhinderungsstrategie der NATO unseren deutschen Beitrag zu leisten haben und wie wir die dabei zu wahrenden deutschen Interessen einbringen können, rational diskutiert werden. Darüber rational zu diskutieren, ist doch wohl die Aufgabe deutscher freigewählter Parlamentarier, die Verantwortung für dieses Land tragen.
Das Interview des Kollegen Kiep im „Spiegel", auf das die Erklärung des Bundeskanzlers und des SPD- Vorsitzenden im Hamburger Wahlkampf anspielte, betrifft die Frage, was der Schutz der Lebenslinien des Westens zum Persischen Golf und um Afrika herum für unser Land bedeutet sowie ob und wie wir zu dieser westlichen Schutzaufgabe beitragen müssen. Die Antwort auf die erste Frage ist klar. Für unser kleines, import- und exportabhängiges, energie-
und rohstoffarmes Land ist der Schutz dieser Lebenslinien eine Existenzfrage, weit mehr als z. B. für die USA, die in ihrem eigenen Land über viel mehr Ressourcen verfügen als wir in unserem. Ferner ist niemand in diesem Hause daran interessiert, daß wir selbst an dieser westlichen Schutzaufgabe beteiligt werden. Wenn es andere für uns tun, um so besser. Das Bonner Dokument vom 10. Juni geht auf diesen Problemkreis ein und sieht dazu ausdrücklich Konsultationen der NATO-Partner vor.
Meine Damen und Herren, mir geht es nicht um die Erörterung dieses Themas, das nicht im Mittelpunkt unserer Verteidigungspolitik steht, zumal inzwischen die USA und andere Verbündete Maßnahmen zum Schutze dieser Lebenslinien ergriffen haben. Mir geht es um die Frage, wie deutsche Parlamentarier miteinander umgehen, wenn es um den Frieden und die Freiheit unseres Volkes geht.
Deshalb frage ich noch einmal: Hat parlamentarische Demokratie überhaupt noch einen Sinn, wenn deutsche Parlamentarier über Fragen, die Verhandlungsgegenstand unserer Allianz sind, nicht mehr diskutieren können, ohne daß der Totschlaghammer der Friedensfeindschaft und des Abenteurertums geschwungen wird?
({13})
Ist Politik wirklich ein Geschäft, das auch bei Behandlung eines so sensiblen und existentiellen Themas notwendigerweise aus Gekeife, Infamie und Unanständigkeit bestehen muß?
({14})
Wollen wir, Herr Ehmke, in Kauf nehmen, daß sich durch ein solches Verhalten selbst des Bundeskanzlers insbesondere junge Menschen mit Ekel von unserem demokratischen System abwenden? Da der nächste SPD-Wahlkämpfer, selbst wenn er nicht die Dachlatte bereitstellt, nach seinen Ankündigungen doch immerhin die Ärmel hochkrempelt, um sich genauso schlecht zu benehmen wie seine Genossen in Hamburg, möchte ich dieser Frage eine persönliche Bemerkung anfügen dürfen.
Politik ist ja nicht nur eine abstrakte und theoretische Angelegenheit.
({15})
- Dann ziehen Sie die Konsequenzen, wenn das für Sie nicht neu ist. Es geht j a gerade bei dieser Frage ganz konkret um unser eigenes Schicksal, um das Schicksal unserer Angehörigen und unserer Mitbürger. Wir alle sind j a irgendwie von dem gezeichnet, was wir selbst erlebt haben. Ich gehöre der Generation derer an, die den letzten Krieg erleiden mußten. Was ich sage, könnten Millionen unserer Mitbürger in gleicher Weise sagen, und sie werden empfinden wie ich, wenn ich es sage. Ich wurde z. B. - wie viele andere - viermal verwundet, davon zweimal schwer. Mein eigener Bruder blieb als Achtzehnjähriger an der Front vermißt. Ich mußte mit ansehen, wie nicht wenige meiner Kameraden und Freunde neben mir schrecklich verwundet wurden und sterben mußten. Kann sich jemand vorstellen, daß man das in seinem Leben vergessen kann?
Wichtiger noch ist der Blick auf die Zukunft. Einer meiner Söhne dient zur Zeit bei der Bundeswehr. Auch das sage ich nur beispielhaft für Hunderttausende unserer Mitbürger. Der andere Sohn wird ihm folgen. Ich bejahe das, nicht damit sie das Schicksal meiner Generation erleiden, nicht damit sie sterben, nicht um Krieg zu führen, sondern um den Krieg zu verhindern.
({16})
Die Stadt, in der ich lebe, für die ich 14 Jahre lang als Oberbürgermeister gearbeitet habe, die ich mit meinen Mitbürgern wieder aufgebaut habe, liegt nur 20 km von der Grenze des sowjetischen Imperiums entfernt, und zwar dort, wo ein - besonders zartfühlender - amerikanischer Spielzeughersteller den atomaren Erstschlag einer künftigen Auseinandersetzung vorgesehen hat. Meine Damen und Herren, gehört nicht die Kälte einer Hundeschnauze dazu - meine Damen und Herren von der SPD, Sie spreche ich besonders an, allerdings nicht alle; ich spreche Sie aber wegen einiger Ihrer Kollegen an -, wenn jemand unterstellt, er liebe den Frieden mehr als ich oder seine Partei mache Friedenspolitik und die meinige nicht?
Ich jedenfalls kann es nicht akzeptieren, daß sich eine neue Bewegung „Friedensbewegung" nennt und damit alle diejenigen aus dem Friedenslager ausschließt, die an ihren Märschen nicht teilnehmen.
({17})
Wir nehmen doch nur deshalb nicht teil, weil zu befürchten ist, daß die Machthaber in Moskau dies genauso mißverstehen, wie Hitler die Friedensmärsche in Großbritannien und Frankreich vor dem letzten Weltkrieg mißverstanden hat.
({18})
Ich kann auch nicht akzeptieren, daß der Bundeskanzler und manche seiner prominenten Parteifreunde uns Christlichen Demokraten das unterstellen, was ihnen von der sogenannten Friedensbewegung immer zu Unrecht unterstellt wird. Lassen wir doch diesen Unsinn und diese Infamie. Das deutsche Volk hat es nicht verdient, von Politikern vertreten zu werden, die so kleinkariert und gewissenlos sind, mit der Urangst des Menschen vor dem Tode Schindluder zu treiben, und die das deutsche Volk in ein Friedenslager und ein anderes teilen.
Der Bundeskanzler würde sich selbst und unserem Volk einen Dienst erweisen, wenn er von dem Fehlgriff der Hamburger Wahlkampfanzeige abrükken würde. Ich meine sogar, daß sein Amtseid ihn dazu verpflichtet.
({19})
Ich jedenfalls möchte feststellen: Alle Deutschen lieben den Frieden, aber auch die Freiheit. Beides gehört zusammen. Frieden - so hat ein großer Papst gesagt - ist das Werk der Gerechtigkeit: opus justitiae pax. Ich möchte in der Sprache unserer heutigen Zeit hinzufügen: Friede - das ist die Verwirklichung der Menschenrechte, zu denen unaufgebbar das Recht des Menschen, jedes einzelnen Menschen, auf Freiheit gehört.
({20})
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es begrüßt, daß der NATO- Gipfel diesmal in Bonn stattgefunden hat, und wir haben es besonders begrüßt, daß hier in Bonn Spanien als neues Mitglied in die NATO aufgenommen worden ist. Die Ergebnisse des Bonner Treffens und der, so möchte ich sagen, das Bündnis stärkende Erfolg, der in Bonn erreicht worden ist, waren keineswegs selbstverständlich. Es war ein weiter Weg von amerikanischen Wahlkampfparolen der militärischen Überlegenheiten, des Die-Sowjets-an-dieWand-Rüstens, bis zu jener bemerkenswerten Rede
von Präsident Reagan vom 9. Mai im Eureka-College mit den Leitlinien des militärischen Gleichgewichts statt Überlegenheit, der Abrüstung statt nur der Rüstungskontrolle und dem ausdrücklichen Bekenntnis zum Dialog mit der Sowjetunion. Für den deutschen und den europäischen Beitrag zu dieser Entwicklung in Amerika schulden wir Bundeskanzler Helmut Schmidt und der Bundesregierung vielfachen Dank.
({0})
Die NATO hat in Bonn ihre Sicherheitspolitik bestätigt, die Anstrengungen zur Aufrechterhaltung eines militärischen Gleichgewichts mit Entspannungsbemühungen verbindet, wie es zum erstenmal im Jahre 1967 im Harmel-Bericht niedergelegt worden war. Die bemerkenswerte Rede - auf die der Bundeskanzler schon eingegangen ist -, die der kanadische Premierminister bei Eröffnung der NATO- Tagung hier in diesem Raum gehalten hat, zeigt, daß der Wille zum Festhalten an dieser Kombination von Gleichgewicht und Entspannung nicht nur diesseits des Atlantiks beheimatet ist.
Herr Kollege Dregger, ich verstehe, daß Sie vor dem hessischen Wahlkampf hier eine solche Rede halten;
({1})
aber sie traf nicht den Streit zwischen uns. Ich weiß nicht, wie oft hier schon gesagt worden ist - vom Außenminister, vom Bundeskanzler, ja, von zwei Bundeskanzlern -, daß natürlich niemand den Friedenswillen der Union bestreitet. Ich bestreite übrigens niemandem in der Welt - in Ost und West - den Friedenswillen, denn wer nicht für den Frieden ist, der muß ja wahnsinnig sein.
({2})
Unser Streit ist doch ein ganz anderer, und das wollen wir nun doch nicht mit allgemeinen Erklärungen verdecken. Es ist nämlich der Streit über den Weg, über die Frage, ob man eher durch eine Politik der Stärke, wie Sie sie in den 60er Jahren betrieben haben und mit der Sie voll Schiffbruch erlitten haben,
({3})
oder durch diese von der NATO
({4})
bestätigte Kombination von Gleichgewicht und Entspannung dieses Ziel erreicht.
({5})
- Einen Augenblick, Herr Mertes; darf ich erst einmal den Gedanken zu Ende führen.
Sehen Sie, ich verstehe ja, daß Sie jetzt aus innenpolitischen Gründen hier manches aufholen wollen, und ich würde es begrüßen, wenn wir uns in der Sache einig würden.
({6})
Aber wenn ich mir dann etwa die Dokumentation ansehe, die der Kollege Hans-Jürgen Wischnewski zu der Frage vorgelegt hat,
({7})
wo wir einer Meinung sind und wo wir nicht einer Meinung sind, dann sage ich Ihnen - ({8})
- Ich komme noch auf Sie und auf den Vergleich mit dem, was Sie heute gesagt haben, zurück!
Herr Dregger, ich bin der Meinung, wir sollten das nicht zudecken, sondern diese Frage erörtern.
({9})
- Darf ich dies auch noch zu Ende führen, weil Sie dann vielleicht noch heftiger fragen werden. - Herr Dregger, wollen wir doch einmal eine praktische Probe machen. Ich halte folgendes für nachdenkenswert: Wie wären denn die letzten anderthalb Jahre im Bündnis verlaufen, wenn die Konservativen, wenn die Unionsparteien an der Regierung gewesen wären?
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich hatte gerade darum gebeten, diesen Gedanken noch zu Ende führen zu können;
({0})
Herr Kollege Mertes, das ist keine Unhöflichkeit.
Ganz abgesehen davon, daß unser Einfluß dann geringer gewesen wäre, weil das internationale Gewicht des Kollegen Kohl, verglichen mit dem Gewicht des Bundeskanzlers, viel kleiner ist,
({1})
habe ich tiefe Zweifel - ({2})
- Ich nehme an, die Zwischenrufe richten sich dagegen, daß ich unterstellt habe, daß Herr Kohl dann Kanzler gewesen wäre, aber ich gehe einmal davon aus.
({3})
Herr Kollege Mertes, ich habe erhebliche Zweifel, in welchem Sinne Sie unseren Einfluß geltend gemacht hätten, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Sehen Sie, als wir am Anfang Äußerungen aus Washington entgegengetreten sind, die wenig ausgeglichen, die zum Teil geradezu unverständlich waren, ist es ja nicht so gewesen, daß wir für diese Stellungnahme gegen eine solche harte und, wie wir meinDr. Ehmke
ten, unbedachte Linie Ihre Unterstützung bekommen hätten. Im Gegenteil, Sie haben sogar versucht - gewissermaßen nach dem Motto „Mit Reagan zurück zur Politik der Stärke" -, unser Bestehen auf Entspannung als etwas darzustellen, was das Bündnis gefährdet.
({4})
Ich könnte auch viele andere zitieren, aber da er hier gerade gesprochen hat, zitiere ich den Kollegen Dregger. Herr Dregger, Sie haben noch vor einem Jahr gesagt: Endlich kommen wir weg vom leeren Pathos zu mehr politischer und militärischer Kraft.
- Sie haben die Bundesregierung dafür kritisiert, daß sie den amerikanischen Präsidenten zu Verhandlungen drängt.
({5})
Das ist doch der Punkt!
({6})
- Ich kann es Ihnen gern zur Verfügung stellen; ich kann es Ihnen auch vorlesen.
({7})
- Nein, Herr Dregger, ich höre nicht auf, nur weil es Ihnen nicht gefällt! Sie müssen schon einmal zuhören. Ich beziehe mich auf das Interview von Ihnen am 12. April 1981 im Deutschlandfunk: „Ich halte es nicht für sehr gut, daß die deutsche Bundesregierung nun in dieser Weise die amerikanische Administration drängt, sofort mit diesen Verhandlungen zu beginnen."
({8})
- Ja, bitte sehr!
Ich könnte aber auch sehr viele andere Beispiele nennen; Herr Strauß ist darin natürlich immer noch eine Nummer besser.
({9})
Darum sage ich, dies ist der eigentliche Punkt, und ich sage Ihnen zu ihm meine Meinung: Es war ein Glück, daß die sozialliberale Koalition trotz Afghanistan und trotz Polen und trotz Hochrüstung an dieser Politik gegenüber allem Druck diesseits und jenseits des Atlantiks festgehalten hat,
({10})
weil nämlich die Politik der Stärke von Ihnen schon einmal probiert worden, aber gescheitert ist.
({11})
Entschuldigen Sie, Herr Mertes, daß ich Sie so lange habe warten lassen!
Herr Kollege Ehmke, halten Sie folgenden Satz in einer Anzeige Ihrer Partei in Hamburg mit der Unterschrift von Willy Brandt und Helmut Schmidt für anständig, der sagt „Wir haben in den letzten Jahren für Frieden und Entspannung gekämpft, CDU und CSU haben sich dieser Politik mit allen Mitteln entgegengestemmt",
({0})
was sagen Sie zu der Tatsache, daß nun heute die Bundesregierung öffentlich und auch im Auswärtigen Ausschuß erklärt: „Wir betrachten es als einen besonderen Erfolg, daß in der Bonner Erklärung wieder von Frieden in Freiheit die Rede ist" und daß die Bundesregierung darauf hinweist, daß es sehr wichtig ist, daß die Bonner Erklärung von „echter Entspannung" spricht, und geben Sie mir zu, daß wir als CDU/CSU immer nur darauf hingewiesen haben, es komme darauf an, Frieden in Freiheit zu wollen und echte Entspannung zu wollen, nicht aber eine Entspannung, bei der die eine Seite spannt und hier gesponnen wird?
({1})
Herr Kollege Mertes, ich bin der Meinung, wir sollten wirklich nach so langer Zeit dem anderen weder den Friedens- noch den Freiheitswillen absprechen.
({0}) - Ja, Kollegen, Sie hören nicht zu.
({1})
- Nein, Sie können nicht unterscheiden zwischen Ziel und Mittel. Hier hat immer nur ein Streit stattgefunden, auf welchem Wege man dieses Ziel erreicht. Sie haben von mir weder hier noch draußen etwas anderes gehört. Und da Sie mich fragen: Ich habe im Hamburger Wahlkampf in einer öffentlichen Wahlveranstaltung erklärt, ich hielte die Formulierung nicht für glücklich, weil generell von Frieden gesprochen wird und nicht nur von einer bestimmten Politik. Über diese Politik kann man in guten Treuen verschiedener Meinung sein. Wir können nicht für unsere in Anspruch nehmen, sie allein sei richtig. Wir sind allerdings der Meinung, die Erfahrung hat gezeigt, wir haben etwas erreicht. Sie haben mit der Politik der Stärke dagegen nichts erreicht.
({2})
- Sie haben nichts erreicht. Das Ergebnis der Politik der Stärke war, daß die Sowjetunion eine nukleare Weltmacht wurde und die DDR ein Staat. Darum sage ich: Ich freue mich, wenn Sie herüberkommen, aber ich wehre mich gegen ein Vertuschungsmanöver, im wesentlichen innenpolitisch angelegt, als ob es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten mehr gibt, weil wir alle für den Frieden sind. Wir sind auch alle gegen die Sünde und haben trotzdem sehr verschiedene Vorstellungen über diesen Gegenstand.
({3})
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dregger?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, haben Sie die Güte, auch die Sätze zur Kenntnis zu nehmen, die vor dem von Ihnen zitierten Satz in meinem Interview enthalten waren? Sie lauten:
Entscheidend ist allein die Frage: Wann und wie kann man aussichtsreiche Verhandlungen mit der Sowjetunion beginnen? Es entspricht allen geschichtlichen Erfahrungen, daß Verhandlungen dann nicht aussichtsreich sind, wenn die eine Seite völlig überlegen ist und die andere Seite nicht einmal begonnen hat, diese Unterlegenheit auszugleichen. Deswegen habe ich großes Verständnis für die amerikanische Administration, die, nicht zu früh und nicht übers Knie brechend, die Verhandlungen mit der Sowjetunion beginnen möchte, sondern erst einmal im eigenen Bereich eine Ordnung herbeiführen möchte und diese Nachrüstung auf den Weg bringen müßte.
Dann kommt das, was Sie zitiert haben, und ich stelle zu meiner großen Befriedigung fest, daß es genauso verlaufen ist, daß nämlich die Nachrüstung auf den Weg gebracht worden ist - ({0})
Herr Kollege Dregger, Sie können keine Rede mehr halten, sondern nur eine Frage stellen.
Herr Kollege Dregger, es ist ja wohl kein Zweifel, daß ohne das Zureden und die Überzeugungsarbeit der europäischen Regierungen, voran der Bonner Regierung, im November 1981 nicht mit den Verhandlungen in Genf begonnen worden wäre.
({0})
- Nein, Herr Barzel, im Augenblick nicht. ({1})
- Nein, nicht.
Ich sage Ihnen, ich bin in diesen Jahren oft genug in Amerika gewesen, um beurteilen zu können, was in diesen Jahren erreicht worden ist, ausgehend von den Wahlkampfparolen, die mich zum Teil erschreckt haben.
Ich sage Ihnen noch etwas zu dem, was der Herr Kollege Kohl gesagt hat. Uns liegt die Freundschaft mit Amerika so sehr am Herzen wie Ihnen, aber gerade darum sind wir der Meinung, daß wir unsere eigenen Ansichten und unsere eigenen Interessen offen und mit Nachdruck vertreten müssen. Freundschaft verträgt keine Anbiederung.
({2})
Wir sollten nicht meinen, wenn Washington irgend etwas sagt, müßten wir folgen. Wir sollten der Versuchung widerstehen, der Sie nicht widerstehen, Äußerungen aus Washington gegen die eigene Regierung zu wenden. Ich halte das nicht für gut.
Da ich für Offenheit bin, will ich auch noch einmal sagen, wie enttäuscht meine Fraktion darüber ist, daß der amerikanische Präsident nach den Gipfeltreffen in Versailles und Bonn nun dem innerparteilichen Druck zur Boykottierung des sowjetischeuropäischen Erdgasgeschäfts nachgegeben hat.
({3})
Er schwächt damit wieder das durch seine Europareise zweifellos gestärkte Vertrauen in die Berechenbarkeit der amerikanischen Politik. Ich halte diesen Boykott auch sonst für lehrreich, weil er zeigt, daß eine sogenannte Politik der sogenannten Stärke, wenn man sie denn verwirklicht, in Realität dazu führt, daß nicht die Sowjetunion, sondern die Allianz geschwächt wird; denn genau dies tut dieser Boykott. Ich kann nur hoffen, daß dieser Schatten, der über den Erfolg der Reise des amerikanischen Präsidenten gefallen ist, wieder weggenommen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es ohne langwierige Irritationen abgeht, wenn es bei ihm bliebe.
({4})
Fortschritte, Herr Kollege Kohl, hat es auf der NATO-Tagung wirklich gegeben, nicht nur auf dem Papier. Ich bin der Meinung, daß die Allianz durch die Beratungen hier gestärkt worden ist, und zwar in zweierlei Weise.
Einmal hat die NATO Themen in die gemeinsame Politik einbezogen, die bisher nicht einbezogen waren. Der Bundeskanzler hat besonders die ausdrückliche Anerkennung der Allianz für die Bemühungen der Bundesrepublik zur Aufrechterhaltung der ruhigen Lage in und um Berlin und für die Verbesserung der Verhältnisse zwischen den beiden deutschen Staaten hervorgehoben. Ich nenne dann die Stellungnahme zu Fragen von Entwicklungen, die außerhalb des NATO-Gebiets stattfinden, aber die Interessen der NATO berühren. Ich nenne die Betonung der notwendigen Partnerschaft mit der Dritten Welt, verbunden mit der Einigung von Versailles über die Eröffnung der Globalverhandlungen und mit der Anerkennung der Bedeutung der Blockfreiheit für die internationale Stabilität. Ich nenne den gemeinsamen Willen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die ausdrückliche Betonung, welche Rolle wirtschaftliche und soziale Stabilität für die Sicherheit unserer Länder spielen.
Der Erfolg des Treffens lag sodann in der Abrundung der Rüstungskontrollpolitik der Vereinigten Staaten und des Westens. Präsident Reagan hat einen Zusammenhang zwischen den demnächst beginnenden START-Verhandlungen - über interkontinentale Waffen -, den Genfer Verhandlungen über eurostrategische Waffen und den Wiener MBFR-Verhandlungen hergestellt. Darüber hinaus sind in vielfacher Form - der Bundeskanzler vor den Vereinten Nationen, NATO-Dokument, der amerikanische Präsident in seiner „Berliner Initiative" - mehrere Initiativen zur Vertrauensbildung ergriffen worden, die ja auch Gegenstand der Abrüstungskonferenz für Europa sein soll, auf die wir uns hoffentlich in Madrid einigen werden.
Für den Bereich der chemischen Waffen hat die NATO ihren Willen bekräftigt, die Verhandlungen im Genfer Abrüstungsausschuß mit dem Ziel eines vollständigen Verbots chemischer Waffen fortzusetzen. Da der sowjetische Staatschef in seinem Brief an die Sondergeneralversammlung und der sowjetische Außenminister in seiner Rede vor der UNO ebenfalls für ein vollständiges Verbot chemischer Waffen und die Vernichtung aller Vorräte eingetreten sind - die sowjetische Seite hat zu dieser Frage einen interessanten Entwurf eingebracht -, hoffe ich, daß die Verhandlungen über chemische Waffen in Genf nun neue Impulse erhalten.
Wir sind uns dabei völlig darüber klar, daß eine der zentralen Fragen der Rüstungskontrolle, nämlich die Frage der Verifizierung, der Überwachung, bei den chemischen Waffen besonders kompliziert ist. Wir begrüßen daher, daß der Bundeskanzler in seiner Rede vor der Sondergeneralversammlung eine zweite Arbeitstagung über dieses Thema in der Bundesrepublik angekündigt hat.
Nun muß ich in diese Freude über den Erfolg, über die gefundene größere Geschlossenheit der Allianz aber einige Wermutstropfen gießen. Wir dürfen darüber, daß Rüstungskontrollverhandlungen, Abrüstungsverhandlungen zwischen den beiden Großmächten in großer Breite wieder aufgenommen worden sind, nicht vergessen, daß wir in manchen Punkten jetzt nur wieder da sind, wo wir vor zwei Jahren schon einmal waren. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Fortschritte, die wir auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gemacht haben, historisch gesehen zwar nicht unbedeutend sind, gemessen an den Problemen und an den Gefahren, vor denen wir stehen, aber sicher nicht als Durchbruch bezeichnet werden können. Wir dürfen nicht vergessen, daß manche Verhandlungen - wie die Verhandlungen in Wien - nun schon seit Jahren geführt werden, ohne auch nur zu einem ersten Ergebnis zu führen, und wir dürfen nicht vergessen, daß in den Verhandlungen, die jetzt beginnen, die Ausgangspositionen der beiden Seiten weit voneinander entfernt sind. Das heißt: Trotz allem, was wir geschafft haben, ist die Gefahr, daß uns die Zeit und die technologische Entwicklung davonlaufen, nicht gebannt.
({5})
Für meine Fraktion möchte ich daher den eindrucksvollen New Yorker Appell des Bundeskanzlers an die Nuklearmächte unterstreichen, endlich ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung zu erfüllen. Diese Verpflichtung ergibt sich u. a. aus dem Nichtverbreitungsvertrag, den wir auch darum mit unterschrieben haben.
({6})
Ich unterstreiche auch die Bemerkung des Bundeskanzlers, daß zu dieser Verpflichtung unserer Meinung nach auch ein vollständiges Teststopp-Abkommen gehört.
({7})
Wir selbst aber müssen, nachdem die Großmächte nun endlich wieder am Verhandlungstisch sitzen, alles in unseren Kräften Stehende tun, Herr Dregger, um diese Verhandlungen nun auch zu einem für Europa zufriedenstellenden Erfolg zu führen. Wenn ich „wir" sage, meine ich die Regierung, das Parlament im Ganzen, alle Parteien, die öffentliche Meinung und nicht zuletzt die Friedensbewegung. Die Friedensbewegung kann ihre Ernsthaftigkeit dadurch unterstreichen, daß sie nun mit uns auf ein Verhandlungsergebnis drängt und nicht meint, sie brauche nur bei dem gemeinsamen Nein-Nenner zum Doppelbeschluß zu bleiben, der nicht weiterhilft. Für mich ist es eine wesentliche Frage, wie sich die Friedensbewegung zu den Verhandlungen stellen wird.
Da die Zeit drängt, müssen wir auf zügigen Verhandlungen und baldigen Ergebnissen bestehen. Experten können über diese Fragen noch jahrelang reden, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Es gibt nämlich für diese Frage keine technischen, sondern nur politische Lösungen.
({8})
Für solche politischen Lösungen braucht man zwar auch Expertenwissen und auch Zeit, aber vor allem braucht man für sie auf beiden Seiten den Willen, den Irrsinn des Wettrüstens endlich zu beenden.
({9})
Was die START-Verhandlungen betrifft, so hat der sowjetische Außenminister vor der UNO polemische Klage darüber geführt, daß sich die amerikanischen Vorschläge in einer einseitigen, die amerikanischen Interessen begünstigenden Weise auf landgestützte Interkontinental-Raketen konzentrieren. In der Tat liegen hier die großen Sorgen der Vereinigten Staaten. Aber niemand hindert die Sowjetunion daran, sich in ihrer Ausgangsposition auf die Probleme zu konzentrieren, durch die sie sich belastet fühlt. Nur muß man dann auf beiden Seiten von den Ausgangspositionen her aufeinander zugehen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Ich bin der Meinung, dabei sollte für beide Seiten die Erkenntnis Richtschnur sein, daß sicherheitspolitische Stabilität nicht durch weiteren Ausbau von Erstschlagskapazitäten, sondern nur durch gesicherte Zweitschlagskapazitäten zu finden sein wird.
({10})
- Es ist in der Theorie unbestritten, Herr Kollege Mertes. Nur laufen die Rüstungen beider Seiten anders.
Das gleiche gilt für die Verhandlungen in Genf über eurostrategische Systeme, die jetzt mit den START-Verhandlungen verzahnt werden können, dadurch aber nicht verzögert werden dürfen. Nur in diesem Gesamtzusammenhang von START und Genf kann auch entschieden werden, in welcher Weise die französischen und britischen Nuklearwaffen, über die die Vereinigten Staaten nicht verhandeln können, berücksichtigt werden. Daß sie berücksichtigt werden müssen, liegt unserer Meinung nach auf der Hand; denn, liebe Kollegen, wäre es umgekehrt, hätten nicht zwei westeuropäische, sondern zwei osteuropäische Staaten eigene Atomwaffen, dann würden wir selbstverständlich ebenfalls darauf bestehen, daß diese Waffen nicht aus der Ge6608
Samtrechnung herausgelassen werden. Im Gesamtzusammenhang strategischer und eurostrategischer Waffen läßt sich auch leichter ein Gesamtgleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau erreichen.
Ich glaube ferner, daß es wichtig ist, schon jetzt die spätere Einbeziehung von Systemen mittlerer, aber nicht eurostrategischer Reichweite und die Einbeziehung von Flugzeugen in die Verhandlungen zu vereinbaren. Die Sozialdemokraten haben vorgeschlagen, für die Aufstellung von Systemen mittlerer Reichweite während der Verhandlungen in Genf ein Stationierungs-Moratorium zu vereinbaren
({11})
- also einer Reichweite unter 1 000 km, wie immer man sie bezeichnet, unterhalb der Reichweite der SS- 20 und dem, was sonst verhandelt wird -, weil wir fürchten, daß sonst eine Vereinbarung auf eurostrategischer Ebene auf der Ebene unterhalb dieser Reichweite unterlaufen werden könnte. Die Tatsache, daß die Sowjetunion vor der Einführung von SS- 21-, SS-22- und SS-23-Raketen in ihre Truppenverbände steht, zeigt, daß dieses Thema hochaktuell ist.
Da der sowjetische Außenminister die sowjetische Raketenrüstung im europäischen Bereich, in dem die Sowjetunion durch diese Rüstung eine eindeutige Überlegenheit erreicht hat, in seiner Rede vor der Sondergeneralversammlung eher zu bagatellisieren versucht hat, möchte ich hier als unsere Meinung noch einmal betonen, daß wir in dieser europäischen Raketenrüstung der Sowjets eine geradezu plakative Mißachtung europäischer Sicherheitsinteressen sehen.
Der sowjetische Staatschef hat gegenüber der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen den Verzicht der Sowjetunion auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen erklärt. Diese Erklärung ist vom Westen angesichts der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion verständlicherweise recht reserviert aufgenommen worden. Aber schon die Zustimmung, die diese Erklärung in der Sondergeneralversammlung gefunden hat, scheint mir zu zeigen, daß wir es uns mit der Ablehnung nicht so leicht machen dürfen.
Ich nehme an, daß die Sowjetunion die Feststellung des Bundeskanzlers teilt, daß die Schwelle zwischen Frieden und Krieg noch wichtiger ist als die Schwelle zwischen konventionellem und nuklearem Krieg. Die NATO hat als Verteidigungsbündnis stets feierlich erklärt, daß sie nie zuerst zu den Waffen greifen werde, sondern nur, wenn sie angegriffen wird. Da die Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts in einer Deklaration vom 15. Mai 1980 einen weltweiten Vertrag über die Nichtanwendung von Gewalt vorgeschlagen haben, sollten dem Abschluß eines Nichtangriffpakts zwischen NATO und Warschauer Pakt keine grundsätzlichen Hindernisse entgegenstehen. Jedenfalls bin ich der Meinung, wir sollten auf die Erklärung des Warschauer Pakts zurückgreifen und die Möglichkeit eines solchen Vertrages sondieren.
({12})
Im Rahmen eines solchen Abkommens verlöre die Frage des Verzichts auf einen Ersteinsatz von Nuklearwaffen an Bedeutung, würde aber als eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme nicht gegenstandslos werden.
({13})
In den westlichen Ländern ist darüber eine Debatte in Gang gekommen. - Übrigens darf ich korrigieren, Herr Kollege Dregger. Auch die vier amerikanischen Kollegen - McNamara und die drei anderen - haben nicht „Verzicht" gesagt, sondern „Prüfung". Sie sind der Meinung, es sei möglich, aber Prüfung müsse sein. Sie haben keineswegs „aus der la main" gesagt: Verzichtet auf den Ersteinsatz!
Auch das Papier, das die „Viererbande" unter Mitwirkung unseres verehrten Vizepräsidenten erstellt hat, nimmt diese Frage insofern auf, als es sagt: Selbst wenn man das nicht kann, bleibt doch die Frage, ob nicht jedenfalls auf einen frühen Ersteinsatz verzichtet werden kann. Alle sind sich einig - wir haben uns nur noch nicht darüber unterhalten, was es kostet; das wird dann noch sehr schwierig -, daß eine Stärkung der konventionellen Kräfte, so wie es auch das NATO-Dokument fordert, wünschenswert wäre.
Dabei geht es aber in der ganzen westlichen Debatte, Herr Kollege Dregger, immer nur um die Frage des Nichtersteinsatzes von Gefechtsfeldwaffen. Man muß da sehr sorgfältig trennen. Diese Frage muß mit der Frage zusammen gesehen werden: Ist es möglich, ein konventionelles Gleichgewicht durch konventionelle Anstrengungen auf unserer Seite plus Rüstungskontrollzugeständnissen der Sowjets zu erreichen, die das ihre dazu tun müssen? Der Gedanke des Zusammenhangs von nuklearen Gefechtsfeldwaffen und Panzerverbänden z. B. ist ja auch schon - in Form der Option III - in die MBFR-Verhandlungen eingeführt worden.
Ich möchte zu diesen Fragen hier nur folgendes sagen. Die Bundesregierung und die NATO haben recht, an der geltenden Strategie festzuhalten, bevor nicht eine bessere Strategie überzeugend ausgearbeitet worden ist. Ich sage aber andererseits auch - und bin sehr dankbar für die entsprechende Äußerung des Bundeskanzlers heute morgen -, daß sich Bundesregierung und NATO der Debatte einschließlich der Debatte über die Vorschläge der PalmeKommission nicht entziehen können. Die Bereitschaft unserer Bürger, die persönlichen und finanziellen Lasten unserer Sicherheitspolitik zu tragen, setzt einen möglichst breiten Konsens über die Grundlage der Sicherheitspolitik voraus - ein Gedanke, den auch Ihr Kollege Biedenkopf wiederholt unterstrichen hat. Ein solcher Konsens kann nur in einer breiten Strategiediskussion gebildet werden. Und seien wir ehrlich: Daß die Diskussion so breit in Gang gekommen ist und die Friedensbewegung solche Dimensionen angenommen hat, liegt auch daran - Herr Kollege Dregger, ich sage das durchaus
selbstkritisch -, daß viele bohrende Fragen zu lange offiziell unbeantwortet geblieben sind.
({14})
Daher bin ich der Meinung, wir sollten uns dieser Diskussion stellen, ohne Ergebnisse vorwegzunehmen. Daß auch bei Ihnen glücklicherweise diskutiert wird, zeigt die Kontroverse, die der Kollege Wörner mit seinem verehrten CSU-Kollegen Zimmermann gehabt hat. Ich hoffe jedoch, daß er sich davon nicht entmutigen läßt; denn er hat zusammen mit dem Kollegen Würzbach ein sehr vernünftiges Papier zu diesen Fragen vorgelegt.
({15})
- Ja, ich halte das für einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion. Man muß ja nicht der gleichen Meinung sein. Ich halte das für einen guten Beitrag des Kollegen Wörner.
Während die Allianz in Bonn noch über ihre gemeinsame Politik beriet, hat die Zuspitzung der Konflikte im Libanon und auf den Falkland/Malvinen-Inseln gezeigt, daß Kriegsgefahr nicht nur zwischen den beiden großen Blöcken liegt und daß auch der moderne konventionelle Krieg so grausam ist, daß die Notwendigkeit eines weltweiten Gewaltverzichts auch durch begrenzte konventionelle Kriege drastisch unterstrichen wird. Zu den beiden Konflikten hat Willy Brandt das Notwendige bereits gesagt.
Diese Konflikte und viele andere Konflikte zeigen einmal mehr: Der Frieden in der Welt ist trotz aller unserer Bemühungen nach wie vor vielfach bedroht.
({16})
- Ja, ich würde Ihnen zustimmen: trotz aller Bemühungen nicht sicherer geworden, zumal wir auch das Wettrüsten nicht beendet haben.
Den Frieden zu erhalten, bedarf es mehr als bürokratischer Routine und eines politischen business as usual. Wir haben eine Menge erreicht. Das Wichtigste liegt noch vor uns. Der eigentliche Durchbruch ist nicht gelungen, und wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich sage es noch mal, auch den beiden Großmächten: Die Europäer müssen auf zügigen Verhandlungen mit dem Ziel eines Durchbruchs in der Abrüstungsfrage bestehen.
({17})
Die Sicherheits- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition ist seit über zwölf Jahren ein wesentlicher und weltweit anerkannter deutscher Beitrag zum Friedens- und Entspannungsprozeß. Ein Fortfall dieser Politik würde die europäische und die Weltpolitik - Herr Kollege Dregger, da bin ich anderer Meinung als Sie - beeinflussen, und zwar in sehr negativem Sinne.
({18})
Diese Politik darf daher auch nicht durch innenpolitische Denkspiele oder Schachzüge gefährdet werden. Gerade angesichts der heute die Menschheit bedrohenden nuklearen Gefahren haben wir alle
Grund, des schönen Wortes von Kurt Schumacher eingedenk zu sein, daß man mit den Mitteln der kleinen Schlauheit keine große Politik machen kann. - Schönen Dank.
({19})
Herr Kollege Ehmke, ich habe auf diesem Stuhl keine Möglichkeit, mich zur Sache zu äußern. Aber wie ich Sie kenne, haben Sie die Bemerkung von der „Viererbande", in die Sie mich eingeschlossen haben, mit aller respektvollen Hochachtung, zu der Sie fähig sind, gemacht.
({0})
Als nächster Redner hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Anlaß dazu, in der Erklärung des NATO-Gipfels hier in Bonn eine Bestätigung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik durch die Alliierten zu erkennen. Wir begrüßen insbesondere die Feststellung:
Unser Ziel ist es, Krieg zu verhindern und unter Wahrung der Demokratie die Grundlagen für dauerhaften Frieden zu schaffen. Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Das ist die Botschaft des Friedens, die von dieser NATO-Konferenz an die Völker Europas und die Völker der Welt, vor allem aber an die Verantwortlichen im Warschauer Pakt ausgeht.
Der NATO-Gipfel hat aber außerdem festgestellt - und das ist eine Botschaft an die Deutschen, die Regierungen in Deutschland -:
Der fortgesetzte Erfolg der Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, ist für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung.
Meine Damen und Herren, damit unterstreichen unsere Verbündeten, daß sie Deutschlandpolitik, daß sie jedes Bemühen der Deutschen um Annäherung, um Verbesserung des Verhältnisses im geteilten Deutschland als einen Teil europäischer Friedenspolitik betrachten.
({0})
Damit wird aufgeräumt mit jenen Vorstellungen, die da meinen, daß ein Bemühen der Bundesregierung um eine engere Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen, mit der Regierung in der DDR von unseren Verbündeten verdächtigt werden könnte als ein Abfall vom Bündnis, als Unzuverlässigkeit des deutschen Bündnispartners. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschlandpolitik als europäische Friedensaufgabe bedeutet auch die Unterstreichung der besonderen Verantwortung der Bundesregierung und der Regierung der DDR für die Lage in Europa, für die Stabilität in Europa und für Entspannung in Europa.
Deshalb leisten wir mit unseren Bemühungen, mit denen wir uns Schritt für Schritt um Verständigung mit der Regierung der DDR bemühen, nicht nur Wichtiges für die Bürger bei uns und in der DDR, sondern wir leisten damit auch Wichtiges für Stabilität und Entspannung in Europa.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehören wie alle anderen europäischen Staaten mit Ausnahme Albaniens, gehören wie die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada zu den Unterzeichnerstaaten der Schlußakte von Helsinki. Wir sind der Überzeugung, daß die DDR und wir aufgerufen sind, uns gemeinsam das Ziel zu setzen, daß wir bei der Durchführung der gegenseitigen Verpflichtungen aus dieser Schlußakte den jeweils höchsten Standard in Europa erreichen. Das ist eine Leistung, die wir für die Deutschen in beiden Teilen, aber auch für die Lage in Europa erbringen können.
Ich bin nicht sicher, ob sich die Führung der DDR bei jeder ihrer Entscheidungen der Tatsache bewußt ist, daß das Verhältnis zwischen Ost und West, daß die Qualität der Entspannung, daß die Qualität der Durchführung der Verpflichtungen aus der Schlußakte von Helsinki nicht zuerst bestimmt werden aus dem Verhältnis Dänemarks zu Polen, Österreichs zu Ungarn, Frankreichs zu Rumänien, sondern daß diese Qualität des Ost-West-Verhältnisses in Europa zuallererst durch den Stand der deutsch-deutschen Beziehungen und die Durchführung der Bestimmungen hier bei uns im geteilten Land bestimmt wird.
({1})
Daraus ergibt sich die besondere Verantwortung der Bundesregierung und der Regierung der DDR. Daraus ergibt sich für die Bundesregierung die Notwendigkeit, mit langem Atem, Zähigkeit und Geduld, darauf hinzuweisen und hinzuwirken, daß wir diese Fortschritte erreichen.
Der Bundeskanzler hat heute in der Regierungserklärung noch einmal zum Ausdruck gebracht, daß es für die Bundesregierung von ausschlaggebender Bedeutung bleibt, daß die DDR den drastischen Rückgang des Reiseverkehrs durch eine substantielle Korrektur der Mindestumtauschsätze beseitigt, daß die Bundesregierung den Maßstab des Gesamtzusammenhangs der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nicht aufgeben kann und nicht aufgeben will. Wenn wir das feststellen, so bedeutet das zugleich die Aufforderung an die Führung der DDR, daß sie von sich aus die Beiträge leistet, auf die die Bürger in West und Ost - aber ich glaube, noch mehr unsere Mitbürger in der DDR selbst - so sehnlich warten.
Auch wir müssen uns hier bei uns, meine Damen und Herren, immer bewußt sein, daß kein Bereich unserer Politik, kein Bereich der Politik der Bundesregierung, kein Bereich der Politik der Parteien des Deutschen Bundestages von unseren Mitbürgern in der DDR mit solcher Aufmerksamkeit betrachtet wird wie das Bemühen um Friedenssicherung in Europa und die Behandlung des Verhältnisses zur DDR. Sehr viel Hoffnung, sehr viel Erwartung wird von unseren Mitbürgern in der DDR in unser geduldiges Bemühen um Verbesserung dieser Beziehungen gesetzt, weil sie sich davon für sich selbst, für ihre Lebensverhältnisse ein Stück Fortschritt erhoffen, auch unter den Verhältnissen einer kommunistischen Regierung in der DDR. Ich glaube, daß wir uns dieser Verantwortung bei jeder unserer Entscheidungen immer bewußt sein müssen. Meine Damen und Herren, wir dürfen durch die Art, wie wir Politik machen, die Hoffnungen, die dort in uns gesetzt werden, auf gar keinen Fall enttäuschen.
({2})
Dieser NATO-Gipfel hier in Bonn brachte mit seiner Bestätigung der Politik der Bundesregierung und der verbündeten Regierungen zugleich noch einmal die Bestätigung des Willens des westlichen Bündnisses zu Frieden und Freiheit, zu Sicherheit durch Verhandlung, Abrüstung und den Willen zum Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstung.
So erklärt es sich, daß wir bei diesem Gipfeltreffen noch einmal das breit angelegte Verhandlungsangebot des Westens erläutert haben, ein Verhandlungsangebot, das praktisch alle Bereiche der militärischen Konfrontation zwischen West und Ost umfaßt, ein Abrüstungsangebot, das mit dem Willen der Regierung der Vereinigten Staaten beginnt, in Verhandlungen mit der Sowjetunion die interkontinentalen strategischen Waffen nicht nur - wie bei den zurückliegenden SALT-Verhandlungen - nach oben zu begrenzen, sondern mit einer Begrenzung zugleich eine Herabsetzung dieses menschheitsbedrohenden Vernichtungspotentials zu erreichen. Das verdient unsere Unterstützung.
({3})
Wir können nur hoffen, daß die jetzt beginnenden Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu eben diesem von uns allen ja gewünschten Ergebnis führen. Herabsetzung, ja, wenn möglich, Beseitigung von atomaren Waffen muß das Ziel westlicher Sicherheitspolitik sein und bleiben.
({4})
Darin, meine Damen und Herren, liegt die große Bedeutung des westlichen Verhandlungsangebots für die Verhandlungen über die landgestützten Mittelstreckenwaffen, daß hier nicht in erster Linie eine Begrenzung nach oben gefordert wird, sondern daß der Westen sagt: Wir sind bereit, auf die Stationierung der hier noch nicht stationierten Mittelstrekkenraketen zu verzichten, wenn die Sowjetunion bereit ist, ihre Raketen, die Europa bedrohen, auf ihrer Seite zu beseitigen.
({5})
Das steht hinter der Null-Option des Westens. Hier wird der Versuch unternommen, zum ersten Mal einen sich anbahnenden Rüstungswettlauf zu durchbrechen, indem eine bestimmte lebensbedrohende Waffenart geächtet wird.
Deshalb ist es von so zentraler Bedeutung, daß wir auf der westlichen Seite diese Null-Option, das Angebot auf Verzicht auf diese Waffen, nicht selbst dadurch unglaubwürdig machen, daß der Eindruck entsteht - und damit die Verhandlungsposition geschwächt wird -, wir würden auf jeden Fall verzichten, ohne Rücksicht darauf, ob die Sowjetunion ihre uns bedrohenden Mittelstreckenraketen beseitigt.
({6})
Meine Damen und Herren, es ist heute zu Recht von verschiedenen Rednern darauf hingewiesen worden - der Bundeskanzler hat das ja eindrucksvoll vor der Sondergeneralversammlung für Abrüstungsfragen der Vereinten Nationen getan -, wie sehr Angst die Bürger nicht nur in Europa, sondern überall in der Welt bedrückt, Angst vor der Ungewißheit über die Fähigkeit der Politik, in einem atomaren Zeitalter den Frieden wirklich bewahren zu können. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen, eben dieser Angst zu begegnen, durch die Glaubwürdigkeit unserer Politik, aber auch durch die Notwendigkeit, aufzuzeigen, wo die wirklichen Gründe dieser Angst liegen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, in der Diskussion, die augenblicklich über den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses geführt wird, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die Menschen in Westeuropa nicht durch amerikanische Mittelstreckenraketen bedroht werden, die es noch gar nicht gibt, sondern daß sie durch sowjetische Raketen bedroht werden, die heute schon auf uns gerichtet sind.
({7})
Es ist wichtig, daß wir erkennen: Allein der Gewaltverzicht, und zwar der umfassende Gewaltverzicht, ist in der Lage, den Frieden zu bewahren. Der sowjetische Außenminister hat vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen noch einmal erläutert, seine Regierung sei bereit, auf den Ersteinsatz von atomaren Waffen zu verzichten. Da konnte ich nur sagen: Das ist lobenswert, aber es ist nicht ausreichend. Gewaltverzicht heißt Verzicht auf den Einsatz jeglicher militärischer Waffen;
({8})
denn der Verzicht auf atomare Waffen allein vermag einem Volk nicht den Frieden zu bewahren. Das erlebt doch gerade das kleine afghanische Volk, das einen Krieg mit konventionellen Waffen auf seinem Boden erdulden muß.
({9})
Ich möchte unser Volk in Mitteleuropa auch vor dem Irrtum bewahren, daß ein atomarer Krieg allein etwas Schreckliches sei. Er ist unvorstellbar schrecklich. Aber als einer, der die letzten Phasen des Zweiten Weltkrieges miterlebt hat, sage ich Ihnen: So schrecklich dieser Zweite Weltkrieg war, die Perfektion der nichtatomaren Vernichtungswaffen ist heute so groß, daß es tausendmal schrecklicher wäre, mit den heutigen konventionellen Waffen einen Krieg zu führen, als das im Zweiten Weltkrieg der Fall war.
({10})
Deshalb ist es so wichtig, daß wir jede Art des Krieges unmöglich machen.
Die Politik des westlichen Bündnisses, seine Existenz in Europa, sein Bemühen um Gleichgewicht, seine Fähigkeit zur Abschreckung haben ganz gewiß dazu beigetragen, daß in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg, wo es so viele und schreckliche Kriege überall in der Welt gegeben hat, jedenfalls in Europa der Frieden bewahrt werden konnte.
Nun muß es darum gehen, daß wir den Versuch unternehmen, aus einem Frieden durch Abschrekkung, oder um es besser zu sagen: aus einem Zustand des Nichtkrieges durch Abschreckung in Europa einen Zustand des Friedens durch Vertrauen werden zu lassen.
({11})
Das steht ja als Grundphilosophie hinter der Vertragspolitik der Bundesregierung, für die ein wesentliches Motiv im Gewaltverzicht liegt.
Nun ist es nicht ausreichend, das zweiseitig zu regeln, sondern was hinzukommen mußte, war, daß sich die Staaten Europas auf eine Politik verpflichteten, die zunehmend Vertrauen in Europa schaffen kann. Das ist für uns das Motiv gewesen, warum wir 1975 die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet haben: um Vertrauen zu schaffen, und zwar durch eine stärkere Durchsetzung von elementaren Grundrechten der Menschen überall in Europa. Dabei wußten wir, daß mit der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki durch die kommunistischen Staaten aus kommunistischen Diktaturen noch keine freiheitlichen demokratischen Grundordnungen werden. Aber wir haben heute die Möglichkeit - ohne daß wir uns mit Recht entgegenhalten lassen müssen, wir wollten uns in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen -, auf der Grundlage der Schlußakte mit den Staaten Osteuropas auch über diese Fragen zu sprechen, und zwar nicht nur über Ausreisen, sondern auch über das Schicksal einzelner Menschen, auch solcher, die nicht unserer Staats- oder Volkszugehörigkeit sind.
Aber die Schlußakte von Helsinki enthält ja weit mehr als den für uns Deutsche im geteilten Land besonders wichtigen und aktuellen Teil der menschlichen Beziehungen, der humanitären Fragen. Sie enthält etwas über die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Da ist es nun einmal so, daß wir in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit natürlich in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft einen wichtigen ökonomischen Tatbestand sehen, etwas, was wichtig ist zum beiderseitigen Vorteil durch Warenaustausch, durch Handel, auch durch gemeinsame Projekte, aber vor dem Hintergrund eines geteilten Europas, das sich nicht nur durch verschiedene Staats- und Gesellschaftsordnungen voneinander unterscheidet, sondern auch durch die Zuordnung der verschiedenen Staaten zu verschiedenen Bündnissystemen. Vor diesem Hintergrund kommt den wirtschaftlichen Beziehungen auch eine stabilisierende Rolle zu.
Deshalb sind wir als Bundesrepublik Deutschland der Meinung, daß wir mit den wirtschaftlichen Beziehungen und ihrer Aufrechterhaltung auch einen
Beitrag zur Stabilisierung des West-Ost-Verhältnisses leisten können. Das ist auch die Grundphilosophie auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Versailles geblieben: bei ökonomischer Gleichwertigkeit der Beziehungen Fortsetzung dieser wirtschaftlichen Beziehungen, natürlich unter Ausschluß solcher Lieferungen - das war schon immer so -, die geeignet sein können, die strategischen Interessen der verbündeten Staaten zu beeinträchtigen. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Aber wir haben dort Wert darauf gelegt, und wir werden in den Gesprächen, die wir mit den Partnern in den Vereinigten Staaten zu führen haben, auch darauf Wert legen, zu sagen, daß gerade wir hier in Europa an der Erhaltung der stabilisierenden Rolle des West-OstVerhältnisses durch wirtschaftliche Beziehungen interessiert sein müssen und daß wir der Meinung sind, daß auch gemeinsame ökonomische Interessen ein wichtiger Schutzwall gegen einen Pendelausschlag in den internationalen Beziehungen sind, der sich zu unserem Nachteil auswirken könnte.
({12})
Wenn wir sagen, daß wir das Erdgas-Röhren-Geschäft durchführen, dann ist das für uns auch ein Beitrag zur Bestätigung unserer Vertragstreue mit allen unseren Wirtschaftspartnern. So haben wir das übrigens auch vor einigen Jahren bei unserem Geschäft mit Brasilien gehalten, wo es auch darum ging, die damalige amerikanische Regierung zu überzeugen.
({13})
- Herr Kollege Lenz, man wird unter Bündnispartnern über diese Frage zu sprechen haben.
Ich möchte als einer, der sich für die Durchführung dieses Geschäftes einsetzt, aber davor warnen, aus der unterschiedlichen Betrachtung dieses Geschäfts durch die europäischen Regierungen und die Regierung der Vereinigten Staaten den Schluß zu ziehen, als sei die Haltung zu diesem Geschäft gegenwärtig der zentrale Punkt der europäisch-amerikanischen Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, bei aller Bedeutung dieses Geschäfts, die transatlantische Partnerschaft ist weit mehr; das muß im Vordergrund stehen, auch wenn wir mit der Haltung der Amerikaner zu diesem Geschäft nicht einverstanden sind.
({14})
- Zunächst einmal spreche ich normalerweise nicht die Adresse einzelner, Herr Kollege Barzel. Sie wissen, daß der Bundespressechef immer für die ganze Bundesregierung spricht,
({15})
wie auch jedes Regierungsmitglied immer für die ganze Regierung spricht. - Jeder hat doch damit seine Erfahrung. Ich gehe ja davon aus, daß auch der Kollege Dr. Kohl immer für die ganze CDU/CSU sprechen kann.
({16})
Das ist ja das Problem bei allen politischen Erklärungen. Das beginnt mit Abrüstungsvorschlägen. Da gibt es solche und solche. Andere haben mit etwas anderem Erfahrungen gemacht. Wenn ich z. B. den Kollegen Dr. Ehmke ansehe: Was ist der Unterschied zwischen einem Interview und einem Hintergrundgespräch?
({17})
Meine Damen und Herren, wichtig ist immer der Inhalt dessen, was gesagt ist, und dessen, was gewollt ist.
({18})
- Ich habe Sie leider nicht verstehen können, Herr Kollege. Vielleicht können Sie Ihren Zwischenruf, damit wir alle daran teilnehmen können, in die Form einer Frage kleiden, die zu beantworten ich mich jetzt schon bereit erkläre.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Außenminister, ist Ihnen möglicherweise - auf Ihre rhetorische Frage an den Kollegen Ehmke hin - bekannt, daß manche Gesprächspartner bei Hintergrundgesprächen das auszudrücken pflegen, was sie wirklich denken, während sie bei Interviews nur das sagen, wovon sie wollen, daß es auch gelesen wird?
({0})
Herr Kollege, ich habe dem Herrn Kollegen Professor Ehmke ja keine rhetorische Frage gestellt, sondern eine eher versöhnende Antwort gegeben.
({0})
Er braucht das im Moment, er braucht das.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie sind, auch wenn Sie dem Parlament schon länger angehören - Herr Kollege Kohl, vielleicht darf ich das auch Ihnen sagen -, soeben Zeuge einer Art Uraufführung geworden. Zum erstenmal hat ein Mitglied einer Regierung - insofern meinen wir das ernst, wenn wir saBundesminister Genscher
gen, wir wollen mit der Demokratie erst richtig anfangen ({2})
ein Mitglied des Parlaments zu einer Frage aufgefordert. Das war ganz neu. So was habe ich früher nie erlebt.
({3})
- Herr Dr. Kohl, in unserem Parteiprogramm stehen nur wirklich wichtige Sachen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kehren wir zu den sehr ernsten Fragen zurück, die hier in Bonn bei dem NATO-Gipfel behandelt worden sind! Ich habe davon gesprochen, daß die westliche Verhandlungsposition bekräftigt wurde für die Reduzierung der interkontinentalen strategischen Waffen auf amerikanischer und sowjetischer Seite, ferner, daß noch einmal der Wille des westlichen Bündnisses zum Verzicht auf die Stationierung landgestützter westlicher Raketen unterstrichen wurde, wenn die Sowjetunion bereit ist, ihre auf ihrer Seite gegen Westeuropa gerichteten Raketen zu beseitigen. Wir haben auch noch einmal zum Ausdruck gebracht, daß wir eine europäische Abrüstungskonferenz wollen und daß wir hoffen, daß sie bei der Wiederaufnahme der KSZE-Folgekonferenz in Madrid eingesetzt werden kann, weil wir es für notwendig halten, daß vertrauensbildende Maßnahmen vom Atlantik bis zum Ural vereinbart werden.
Zu diesen vertrauensbildenden Maßnahmen rechnen wir auch das, meine Damen und Herren, was der Bundeskanzler vor der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen als die Grundsätze für Abrüstungsverhandlungen ganz generell unterstrichen hat. Es handelt sich dabei um vier Grundsätze.
Abrüstungsvereinbarungen müssen ausgewogen sein; „ausgewogen" muß heißen: die Sicherheitsinteressen der beiden daran beteiligten Seiten wahrend. Das zeigt schon, daß derjenige, der bei Abrüstungsverhandlungen Erfolg haben will, auch die Fähigkeit haben muß, sich in die Lage des anderen zu versetzen und auch dessen Sicherheitsinteressen zu erkennen.
Zweitens gehört zu diesen Grundsätzen Offenheit, Transparenz. Je mehr öffentlich darüber gesagt wird, je mehr Rüstungsanstrengungen der einen oder der anderen Seite öffentlich behandelt werden, desto mehr dient das der Vertrauensbildung. Von daher gesehen sind unsere offenen, unsere freiheitlichen, unsere demokratischen Systeme des Westens ein Stück Vertrauensbildung gegenüber dem Osten. In dieser Hinsicht hat der Osten mit seiner Geheimnistuerei gerade in Fragen der militärischen Anstrengungen ganz eindeutig einen erheblichen Nachholbedarf.
({5})
Meine Damen und Herren, nehmen Sie als Beispiel die Diskussion in unserem eigenen Land über die Frage der Nachrüstung, eine über lange Zeit mit Höhen und Tiefen intensiver und weniger intensiv geführte Diskussion. Das hat etwas damit zu tun, daß wir in unserem Lande die Bürger von der Notwendigkeit von Rüstungsanstrengungen zu überzeugen haben; es hat aber die Nebenwirkung, daß derjenige, den es angeht - und das sind die Staaten im Osten -, sich niemals durch eine neue rüstungs-
und sicherheitspolitische Entscheidung bei uns überrascht fühlen kann.
Wie anders vollziehen sich vorbereitende Vorgänge dieser Art im Osten! Deshalb ist es so wichtig, daß wir es zu einer zentralen Forderung unserer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik machen, daß die kommunistischen Staaten endlich mit derselben Offenheit über ihre Rüstungsanstrengungen berichten wie wir über unsere Verteidigungsanstrengungen.
({6})
Wir gehören zu den Ländern, die in dem bei den Vereinten Nationen vorhandenen Register die Aufwendungen angeben, die sie für ihre Sicherheit, für ihre Verteidigung erbringen. Dazu gehört der größte Teil unserer Partnerstaaten im westlichen Bündnis, die Vereinigten Staaten eingeschlossen. Dazu gehört auch eine große Zahl von blockfreien Ländern. Aber nicht ein einziger Staat des Warschauer Pakts hat bis heute seine entsprechenden Aufwendungen bei diesem Register der Vereinten Nationen angemeldet.
({7})
Hieran muß immer wieder neu appelliert werden, weil das für uns ein Stück Vertrauensbildung ist. Wir wollen doch Mißtrauen abbauen. Wir wollen doch Mißtrauen nicht künstlich erzeugen, sondern es abbauen.
Deshalb geht unsere nächste Forderung dahin, nicht nur Rüstungskontrollvereinbarungen abzuschließen, sondern auch bereit zu sein, die Einhaltung dieser Rüstungskontrollvereinbarungen an Ort und Stelle nachprüfen zu lassen. Das ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen.
({8})
- Verehrter Herr Kollege, woran es immer liegen mag, unsere Aufgabe ist es, nicht nachzulassen, weil ich davon überzeugt bin, daß viele Konfrontationen der Vergangenheit durch Mißtrauen, durch mangelnde Berechenbarkeit verursacht worden sind. Deshalb müssen wir hier im Herzen Europas auf Offenheit, auf Nachprüfbarkeit, auf Vertrauensbildung drängen, damit nicht neues Mißtrauen zu einer Eskalation der Rüstungen hier in Zentraleuropa und zwischen Ost und West führt.
({9})
Da möchte ich an etwas anknüpfen, was der Herr Kollege Dr. Dregger, aus seiner Erfahrung als Soldat
im letzten Krieg sprechend, hier gesagt hat. Ich bin ja ein paar Jahre jünger als er, aber immer noch alt genug, um als 18jähriger am Schluß des Krieges als Soldat teilgenommen zu haben. Ich glaube, auch wenn wir uns von der Vorstellung, man könne Erfahrungen vererben, freimachen - und wir wissen auch aus dem privaten Leben, daß dieses Vererben sehr schwer ist -, muß das, was wir in uns mittragen, dennoch für unsere Kinder und Enkel nicht gänzlich verloren sein. Dann nämlich, wenn wir bei jeder Entscheidung, die wir treffen, in dem Bewußtsein handeln, daß es neben zahllosen wichtigen Aufgaben, die wir alle als Politiker uns in unserem Arbeitsbereich vorgenommen haben, eine wirklich historische Aufgabe für diese Generation, die den Krieg noch bewußt miterlebt hat, gibt, ist klar, daß diese Aufgabe darin besteht, daß wir alles tun, um unseren Kindern und Enkeln die Schrecken des Krieges, die wir in der eigenen Jugend haben ertragen müssen, zu ersparen.
({10})
Wenn wir in diesem Bewußtsein handeln, haben wir auch das Gesetz der Friedenspolitik, unter dem wir alle angetreten sind, richtig verstanden.
({11}) Und dann können wir danach handeln.
Wir wissen, daß wir als Deutsche dies natürlich ganz stark initiativ tun müssen, weil wir ein geteiltes Land sind, aber auch weil wir eine geschichtliche Verantwortung tragen. Wir wissen dabei, daß wir viel mehr bewirken können, wenn wir dies nicht allein tun, sondern es zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft tun. Deshalb bin ich besonders dankbar dafür, daß der Herr Kollege Brandt heute noch einmal auf die Bedeutung der europäischen Einigung hingewiesen hat
({12})
und daß er in einer Zeit, in der wirklich die Gefahr besteht, daß ein bißchen zu zahlmeisterlich abgerechnet wird, - ({13})
- Herr Kollege Kohl, Sie müssen es doch ertragen,
({14})
daß ich etwas Richtiges sage, dem Sie auch noch zustimmen können.
({15})
Er hat also in einer Zeit, in der manchmal zu zahlmeisterlich gerechnet wird, das Bewußtsein dafür wieder gestärkt, daß diese Bundesrepublik Deutschland ihr Verhältnis nicht nur nach den unbestreitbar hohen Zahlungen, die sie in die Europäische Gemeinschaft einzubringen hat, bestimmen darf, sondern eben auch erkennen muß, daß wir als ein exportorientiertes Land und als das größte Industrieland innerhalb der Gemeinschaft von dieser Europäischen Gemeinschaft einen ganz enormen handelspolitischen Vorteil haben.
({16})
Aber selbst das, meine Damen und Herren, wird bei weitem nicht dem gerecht, was Europa für uns bedeutet. Wenn es nicht die handelspolitischen Vorteile gäbe und wenn es auch nicht das gäbe, was wir an sonstigen Formen der internen Zusammenarbeit haben, wäre ich doch deshalb ein leidenschaftlicher Europäer, weil wir als Deutsche außenpolitisch durch die Möglichkeit der Mitwirkung in der Europäischen Gemeinschaft - wenn ich es einmal im Jargon der Finanzleute sagen darf - der Hauptnettoempfänger sind. Wie wollten wir unsere deutsche Sache eigentlich voranbringen, wenn wir nicht unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft hätten?
({17})
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenz?
Bitte sehr.
Herr Bundesaußenminister, stimmen Sie mir nach dem, was Sie eben gesagt haben, darin zu, daß der Vergleich der Aufwendungen für die EG mit denen für die Entwicklungshilfe, den der Herr Bundeskanzler heute morgen angestellt hat, der Sache nicht gerecht wurde?
Herr Kollege, da müßten Sie der Ordnung halber hinzufügen, daß die Bundesrepublik Deutschland ja auf dem Feld der Entwicklungshilfe nicht nur bilateral auftritt, sondern daß sie als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft auch ganz wesentliche Beiträge erbringt. Wir müssen das also in einem Gesamtzusammenhang sehen.
Herr Kollege Lenz möchte eine zweite Frage stellen, Herr Minister.
Bitte sehr.
Herr Bundesaußenminister, würden Sie mir darin beipflichten, daß Ihre Antwort die Richtigkeit meiner Frage noch verstärkt, nämlich daß der Vergleich zwischen den Aufwendungen für die Europäische Gemeinschaft und für die Entwicklungshilfe absolut unsachgemäß war?
Nein, Herr Kollege, das kann überhaupt nicht der Sinn meiner Antwort gewesen sein.
({0})
Herr Kollege Lenz, der Hinweis auf unsere Aufwendungen für die Entwicklungshilfe muß genauso zulässig sein wie der Hinweis auf das, was wir nach EuBundesminister Genscher
ropa zahlen, um mit Europa gemeinsam handeln zu können.
({1})
- Der Bundeskanzler hat das doch nicht gegeneinander ausgespielt. Herr Kollege, Sie müssen es wirklich ertragen können, daß der Bundeskanzler auf zwei wesentliche Etatposten auswärtiger Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland in einer Zeit hinweist, in der wir uns alle ja wirklich schwertun, die internen Etatposten einigermaßen zu bereinigen. - Bitte schön!
({2})
- Ohne dem Herrn Kollegen Lenz ein Monopol einräumen zu wollen.
Herr Bundesaußenminister, gehe ich richtig in meiner Erinnerung, daß der Herr Bundeskanzler heute morgen gesagt hat, es sei unerträglich - dem Sinne nach -, daß wir für die Europäische Gemeinschaft, für reiche Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mehr aufwenden als für die 77 Entwicklungsländer, und wollen Sie das noch einmal zu Ihrer Antwort in Bezug setzen?
({0})
Herr Kollege, so hat das der Bundeskanzler weder gesagt noch gemeint, wie Sie auch aus seiner Reaktion soeben haben erkennen können.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte das Bewußtsein der Bürger in unserem Lande dafür stärken, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft durch ihr gemeinsames außenpolitisches Handeln das Gewicht Europas, die Möglichkeit der Wahrnehmung der europäischen Interessen international, aber auch im westlichen Bündnis erhöhen, und daß deshalb die europäische Einigung für uns Deutsche geradezu eine historische Verpflichtung sein muß.
Damit komme ich an den Ausgangspunkt meiner Ausführungen, wo ich darauf hingewiesen habe, daß nicht nur wir selbst, sondern das ganze westliche Bündnis deutsch-deutsche Politik als eine europäische Friedensaufgabe betrachtet. Europa als europäische Friedensaufgabe, das muß vornehmlich das Ziel deutscher Politik sein. Wenn wir dabei Unterstützung finden, macht uns das stärker, auch bei der Wahrnehmung unserer nationalen Interessen. Deshalb war es auch notwendig, daß die Bundesregierung mit ihrer Initiative für eine europäische Union einen neuen Anstoß für die europäische Diskussion gegeben hat.
Wir haben in der letzten Sitzung des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft die erhoffte Verständigung über diese europäische Akte als einen weiteren Schritt zur europäischen Union noch nicht erreichen können. Ich habe dort meinen Kollegen gesagt: wenn wir das heute nicht schaffen, werden wir die Diskussion fortsetzen, aber ich verspreche Ihnen eines: Das Europäische Parlament wird sich berichten lassen über den Stand der Diskussion im Ministerrat. Dann wird es sich mein italienischer Kollege Colombo nicht nehmen lassen, vor das Europäische Parlament zu treten, und ich selbst werde es mir nicht nehmen lassen, vor dem Europäischen Parlament auf jeden Fall die Politik der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Stärkung der europäischen Zusammenarbeit darzulegen.
Das sage ich nicht nur, um eine Sache, die mir am Herzen liegt, voranzubringen. Ich sage es auch deshalb, weil wir dafür sorgen müssen - das müssen wir auch als Parlamentarier des Deutschen Bundestages -, daß die europäische Sache aus der Anonymität der Ministerräte herausgenommen wird und dorthin gebracht wird, wo sie hingehört: in das Europäische Parlament.
({1})
In zwei Jahren werden wir den Wahlkampf für die zweite Direktwahl zum Europäischen Parlament haben. Meine Damen und Herren, wenn wir diese zwei Jahre nicht noch nutzen, auch wenn wir selbst zu einem ganz überwiegenden Teil j a nicht dem Europäischen Parlament angehören, um diesem Europäischen Parlament den Standort im Bewußtsein der Menschen zu geben, der ihm als direkt gewählten Parlament zukommt, dann fürchte ich, daß eine ganz geringe Wahlbeteiligung bei dieser Wahl als eine Europaresignation der europäischen Bürger mißverstanden werden könnte. Das müssen wir verhindern, denn Europa ist unser Schicksal und Europa als Friedensaufgabe unsere Verpflichtung.
Das tun wir mit der konsequenten Fortsetzung unserer auf Gleichgewicht, auf eigene notwendige Verteidigungsanstrengungen, auf Bemühen um Zusammenarbeit und Entspannung, auf Rüstungskontrolle und Abrüstung gerichtete Politik. Ich bin überzeugt, daß wir dabei handeln mit der Politik der Bundesregierung, wie sie hier auch bei dem NATO-Gipfel von den Verbündeten einschränkungslos bestätigt und unterstützt wurde, und daß wir dabei in Übereinstimmung mit der ganz großen Mehrheit unseres Volkes handeln. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir am Ende vor allem danach bewertet werden, ob wir es in einer kritischen weltpolitischen Lage, in der wir als Bundesrepublik Deutschland durch die wirtschaftlichen Leistungen unseres Landes, durch die Festigkeit unseres demokratischen Systems, durch unsere Beiträge zur Sicherheit mit gewonnenem und gestärktem internationalen Gewicht vermocht haben, unsere Beiträge zur Sicherung des Friedens zu leisten. Die Bundesregierung ist zu dieser Politik entschlossen. - Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile dem Abgeordneten Graf Stauffenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gerade die letzten Passagen in den Ausführungen des
Herrn Außenministers zeigen, wie dringend wichtig es ist, daß wir uns in diesem Hohen Haus einen ganzen Tag lang einmal Zeit für eine intensive Europadebatte nehmen. Es ist Zeit, eine Bilanz zu ziehen, und ich höre die Worte des Herrn Außenministers gern, aber sie müssen natürlich auf den Hintergrund der Realitäten projiziert werden. Die Realitäten sehen aber leider nicht so ermutigend aus, wie dies am Ende klang.
Herr Außenminister, Sie sagten: Wichtiger ist immer der Inhalt. - Das ist natürlich richtig. Das gilt nicht nur für die Frage bei Interviews oder Hintergrundgesprächen, das gilt auch für die Abschlußkommuniqués und die Verlautbarungen von Versailles und Bonn. Wenn man nur diese Kommuniqués liest, könnte man ja ganz zufrieden sein und eine insgesamt positive Bilanz ziehen, aber nun hat sich von Anfang an gezeigt - die letzten Tage haben es bestätigt -, daß zwischen dem Ton der gemeinsamen Verlautbarungen und dem Bild der Gipfelwirklichkeit beträchtliche Unterschiede bestehen. Das zeigt sich nicht erst seit dem letzten Wochenende, seit dem ganzen Wirbel um das Gasgeschäft.
Mit Kommuniqués, Herr Außenminister, hat es ja immer so etwas auf sich. Ihre Aufgabe und ihre Zweck ist es ja, gute Eindrücke zu vermitteln, gerade dort, wo man ohne so eine amtlich beredte Hilfestellung Schwierigkeiten hat, eine positive Bewertung zu finden. Wenn man sich das in Erinnerung ruft, dann eröffnen die Abschlußerklärungen von Versailles und Bonn ebenso wie die europäische Wirklichkeit von heute eine ganze Reihe von Problemen und Fragen und auch von ganz aktuellen Sorgen.
Ich habe mich eigentlich gewundert, daß der Herr Bundeskanzler aus dem Versailler Kommuniqué ausgerechnet eine Passage herausgegriffen und behandelt hat, nämlich die über die wirtschaftlichen Beziehungen zum Ostblock. Tut man mal so die äußere Form weg, Herr Bundesminister Genscher, dann ist gerade diese Passage so dürftig, so mager, so dünn, daß es kaum vorstellbar ist, daß irgend jemand dagegen verstoßen kann.
({0})
Noch weniger ist es vorstellbar, woher Herr Bölling und andere die Chuzpe nehmen, einen solchen Verstoß ausgerechnet dem amerikanischen Präsidenten anhängen zu wollen. Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern das ist, Herr Bundesminister, unverantwortliche Irreführung der Öffentlichkeit.
({1})
In dem Abschlußkommuniqué von Versailles werden hinter hölzern-umständlichen Formulierungen nur mangelhaft die gründlichen Meinungsunterschiede der Regierungen versteckt.
({2})
Da zeigt sich, übrigens in der bemerkenswert hilflosen deutschen amtlichen Übersetzung noch deutlicher als im Original, daß es da Teilnehmer gab, die trotz Afghanistan, trotz Polen und trotz aller europäischen Beteuerungen verbindliche Aussagen überhaupt vermeiden wollten,
({3})
was die „Prawda" dann in der ihr eigenen Sprache zur Anmerkung veranlaßt hat: „Schmidt hat dem amerikanischen Druck widerstanden". Was der Herr Bundeskanzler heute vormittag über den sogenannten Handelskrieg gesagt hat, bestätigt inhaltlich, nicht der Form nach, sogar die „Prawda".
Meine Damen und Herren, selbst die dünnen Formelkompromisse haben offenbar hier die Bundesregierung noch überfordert. Es ist schon fast eine Zumutung, wenn man liest, was das Kommuniqué zu dem Thema Wirtschaft und Kredite an den Osten sagt. Ich mute es Ihnen dennoch zu und zitiere - mit Ihrer Erlaubnis -: Drittens sind wir unter Berücksichtigung der bestehenden wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen übereingekommen, Finanzbeziehungen mit der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten vorsichtig zu handhaben, um sicherzustellen, daß sie auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis gestaltet werden, einschließlich der Notwendigkeit, aus Gründen der kommerziellen Vernunft auch zu einer Begrenzung der Exportkredite zu kommen. Das ist schon eine starke Aussage.
Die bundesdeutsche Umsetzung dieser nicht eben bestechenden Programmaussage erfolgte dann umgehend. Die Bundesregierung stellt zunächst der Presse die Antwort auf eine Große Anfrage der CDU/CSU vor, die dann einige Tage später, wie in unserem Parlamentsverständnis offenbar üblich, auch die Abgeordneten und die Fragesteller erreicht. In der Antwort heißt es zu diesem Thema:
In der Frage der Kreditbeziehungen zur Sowjetunion stehen wir in einem intensiven Meinungsaustausch mit anderen Haupthandelspartnern der Sowjetunion, insbesondere den Vereinigten Staaten. Die Bundesregierung hat Verständnis für die Forderung, daß besondere Begünstigungen der Sowjetunion durch Einräumung konzessionärer Bedingungen, z. B. Zinssubventionen, abgebaut werden müssen.
Das ist nun schon eine unheimlich starke Aussage, voll Aktionismus und Aktivität. Man tauscht Meinungen aus und hat Verständnis. Dürftiger geht es kaum mehr, sollte man meinen, aber es geht:
Nach Versailles informiert die Bundesregierung die Öffentlichkeit, daß man den Swing verlängert hat, jene Kreditlinie von 850 Millionen DM, die Herrn Honecker nichts, den deutschen Steuerzahler aber jährlich rund 100 Millionen DM kostet. Wenn Sie von den Arbeitsplätzen in Berlin sprechen, dann möchte ich die Frage stellen, ob diese 100 Millionen DM in den Arbeitsplätzen in Berlin nicht besser als bei Herrn Honecker investiert wären.
({4})
Von der Herabsetzung des Zwangsumtausches, den die SED als ihren Nachruf zur Bundestagswahl 1980 drastisch heraufgesetzt hat, ist nicht mehr die Rede. Wer erinnert sich denn heute noch an die marGraf Stauffenberg
kigen Worte des Bundeskanzlers, der sagte: „Das werden wir nicht hinnehmen"?
Natürlich werfen wir dem Bundeskanzler nicht vor, er habe mit der nahezu bedingungslosen Swing-Verlängerung gegen das Versailler Schlußkommuniqué verstoßen. Das geht ja gar nicht - ich habe es vorhin gesagt - bei den Gummiformulierungen. Übrigens steht da nur etwa von „UdSSR und osteuropäischen Staaten" drin. Er kann sich ja darauf berufen, daß die DDR in Mitteleuropa liegt.
Das bringt uns jetzt zu den Turbulenzen - von denen war heute schon viel die Rede - über das Erdgasgeschäft. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dazu bitte zwei Anmerkungen machen.
Es ist nicht meine Aufgabe und kann es auch nicht sein, hier etwa die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten zu verteidigen. Ich muß aber fragen: Was um alles in der Welt bringt denn den Herrn Bölling oder andere dazu zu erklären, die Entscheidung sei überraschend und aus heiterem Himmel gekommen? Das stimmt doch einfach nicht.
({5})
Seit Monaten haben amerikanische Gesprächspartner hier wie drüben überhaupt keine Gelegenheit ausgelassen, ihre Meinung und ihre Ablehnung zum Ausdruck zu bringen. Ich bin sicher, daß das auch die Bundesregierung gehört hat; denn die hat j a sicherlich nicht schlechtere Informationsquellen als wir, vorausgesetzt, daß sie nicht nur selber geredet, sondern ab und zu auch zugehört hat.
({6})
Noch kurz vor oder während des Versailler Gipfels hat der Finanzminister der Vereinigten Staaten, Regan, öffentlich erklärt, daß der Präsident eine Entscheidung treffen werde, und zwar nach dem Gipfel und nachdem er die sechs anderen Chefs angehört habe.
({7})
Bundeskanzler Schmidt hatte wenige Tage vorher - laut Zeitungsbericht vom 28. Mai - zu dem gleichen Thema erklärt:
Dies ist keine Frage, die im Bündnis zu erörtern ist ...
({8})
Da haben wir unsere Meinung, haben einen Vertrag gebilligt, den unsere Unternehmen mit sowjetischen Behörden geschlossen haben. Das wird hier nicht erörtert werden. Und wenn jemand darüber reden will, dann werden wir höflich zuhören. Unsere Meinung steht fest,
so der Bundeskanzler,
und sie wird auch nicht mehr wanken.
Das war am 27. Mai. Und drei Wochen später war der Herr Bundeskanzler überrascht.
({9})
- Richtig, Gequake hat er gesagt, und jetzt ist er überrascht, Herr Kollege Barzel.
({10})
Er ist nicht überrascht worden, der Herr Bundeskanzler - was viel schlimmer ist -, er hat das gewußt, aber er hat die Öffentlichkeit und vor allem die betroffenen Firmen über Monate falsch informiert, und zwar sowohl über die politischen Grundlagen des Geschäfts wie über die ungeklärten internationalen Risiken.
({11})
Meine Damen und Herren, damals waren es markige Worte, und heute stehen die Firmen im Wasser, und der Bundeskanzler mimt Überraschung.
({12})
Zweite Anmerkung. Die jetzt beklagte Erdgasentscheidung des Präsidenten steht doch gar nicht für sich. Wir sollten uns dagegen wehren, sie so einfach isoliert da stehen zu lassen. Sie steht im Umfeld ergebnisloser, hartnäckiger, aber enttäuschender Versuche, die unzulänglichen Verhaltensweisen des Westens im West-Ost-Handel zu korrigieren und diese Verhaltensweisen wirkungsvoller, glaubwürdiger, beständiger auszurichten. Seit Monaten blockieren, Herr Minister Genscher, westeuropäische Regierungen diese Bemühungen. Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern: Der Bundeskanzler will ebenso wie Präsident Mitterrand auch hier keine Bewegung. Business as usual, trotz Afghanistan, trotz Polen, trotz SS20. Ich habe Verständnis, daß unsere amerikanischen Freunde das so nicht akzeptieren wollen.
({13})
Dabei lehrt uns die Erfahrung bitter genug, wie unzulänglich das Instrumentarium der COCOM-Listen ist, selbst wenn man sich immer wieder zur Treue verpflichtet, und wie löchrig, wie fragwürdig das Prinzip der Embargopolitik im Krisenfall ist.
Herr Kollege Stauffenberg, erlauben Sie ein Zwischenfrage des Kollegen Voigt ({0})?
Herr Präsident, mit Rücksicht auf die Kollegen, die sich für später noch angemeldet haben, möchte ich bitten, von Fragen Abstand zu nehmen.
Keine Zwischenfragen, bitte sehr.
Die Erfahrung lehrt uns, wie fragwürdig, wie gefährlich der Osthandel auf der Grundlage von Westkrediten geworden ist. Das Beispiel Polens zeigt, wie schnell der Gläubiger von der Schwäche des nicht mehr recht zahlungsfähigen Schuldners abhängig werden kann. Und die ganze Erfahrung der letzten Jahre mit den Ostkrediten zeigt auch, meine Damen und Herren, daß diese
Kredite nicht der Entspannung, keiner Entspannung gedient haben.
({0})
Im Gegenteil - Herr Minister, da bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung -, die Politik der lockeren Ostkredite, der überhöhten Ostkredite hat den kommunistischen Regimen die Qual der Wahl erspart, sich entscheiden zu müssen zwischen den ehrgeizigen Projekten ihrer Hochrüstung einerseits und dem unabweisbaren Bedürfnis ihrer Bevölkerung und dem zivilen Bedarf andererseits.
({1})
Wir sind weiß Gott nicht gegen Osthandel - und das brauchen wir nicht erst nachzuweisen -, im Gegenteil. Aber vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrungen und der enttäuschten Hoffnungen müssen wir darauf bestehen: Braucht der Osten und will der Osten westliche Erzeugnisse, westliche Produkte, westliches Wissen, dann soll er dafür zahlen, und zwar redlich zahlen, und nicht der deutsche Steuerzahler, nicht der deutsche Arbeitnehmer und nicht der deutsche Sparer. Hier, meine ich, ist der Ansatzpunkt.
({2})
Allein bei Polen schlagen nun die Zahlungen für Bundesgarantien - und da ist noch nicht der politische Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden DM aus dem Jahre 1980, dem Regime Gierek nachgeworfen, dabei - im nächsten Bundeshaushalt mit mehr als anderthalb Milliarden DM zu Buch, ganz zu schweigen von den Verlusten bei Banken und Industriefirmen.
Da, meine Damen und Herren, werden unendlich viele Arbeitsplätze bei uns gefährdet. Daraus ergeben sich zusätzliche Belastungen des ohnehin schon überforderten Kreditmarktes - einschließlich der Belastung des Zinsgefüges -, weil der ordentliche Rückfluß der ausgeliehenen Gelder ausbleibt. Der Kreditbedarf des Bundes erhöht sich zusätzlich; die geschädigten Firmen werden an Substanz verlieren und damit an ihrer Fähigkeit, Arbeitsplätze neu zu schaffen oder zu sichern.
Hier gemeinsam mit den Amerikanern anzusetzen wäre vor dem Gipfel und während des Gipfels ein konstruktiver Beitrag im Bündnis gewesen, statt so jämmerliche Kommuniqué-Formulierungen zu finden, wie sie Versailles zu dem Thema geboten hat.
({3})
Das wäre konstruktiver gewesen, als vorher markige Worte und nachträglich Überraschung zu verbreiten.
Der Bundeskanzler hat viel mehr hingenommen als den Zwangsumtausch. Und, meine Damen und Herren von der SPD, er wird auch noch mehr hinnehmen. Dafür werden Sie sorgen - nicht alle, aber viele in Ihren Reihen. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig angesichts der Verfassung der Koalition und auch der Fraktion der SPD.
Angesichts dieser Umstände scheint die Einladung des NATO-Gipfels nach Bonn und auch die Einladung an den amerikanischen Präsidenten geradezu als ein Akt beachtlicher Tapferkeit und Risikobereitschaft für diese Bundesregierung gewesen zu sein. Das Wagnis hat sich gelohnt. Und wir sind dafür redlich dankbar.
Aber diese Veranstaltungen haben unseren Besuchern auch die Möglichkeit vermittelt, sich von uns, den Deutschen, ein unmittelbares und eigenes Bild nach all den Diskussionen, Irritationen, Mißverständnissen und Mißlichkeiten in der deutsch-amerikanischen, atlantischen Verständigung zu machen. Ich bin ziemlich sicher, daß viele unserer ausländischen Gäste, Politiker wie Journalisten, diese Gelegenheit genutzt haben.
Und ich bin sicher, daß sich beispielsweise während der bemerkenswerten Rede des amerikanischen Präsidenten hier von dieser Stelle oben von der Galerie ein noch viel besseres und viel, viel eindrücklicheres Bild von der Realität dieses Hohen Hauses dargeboten hat als für uns unten, Parterre. Natürlich, meine verehrten Kollegen, ist es eines jeden eigene Sache, ob und wann er Beifall spenden will oder nicht. Natürlich kann, Gott sei Dank, bei uns jeder selbst entscheiden, wann er welche Briefe schreiben, unterschreiben will, offen oder nicht offen. Natürlich kann bei uns jedermann für sich politische Einäugigkeit zum moralischen Leitprinzip erheben. Es geht dann um so leichter, wenn man darauf bauen darf, daß der Kritisierte oder gar Beschimpfte einen im Ernstfall verteidigen wird und einen deswegen vor dem Ernstfall verschont. Aber natürlich ist das eine wie das andere, Beifall wie Beifallsverweigerung, eine Art von Demonstration, als solche gedacht und als solche verstanden, auch dort oben auf den Galerien an dem Tag der Rede des Präsidenten.
({4})
Aber, meine verehrten Kollegen von der SPD, einige Tage später, am 17. Juni, am Tag der deutschen Einheit, sprach hier an der gleichen Stelle Professor Weichmann, ein Sozialdemokrat. Er sagte - ich darf ihn hier noch einmal in Erinnerung rufen -:
Eine Mauer, Selbstschußanlagen und Stacheldraht trennen die beiden Deutschland. Die Generation, die drüben in dieser Zeit heranwuchs, hat nie die Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf demokratische Wahlen gekannt.
Professor Weichmann fuhr fort - Sie werden sich daran erinnern -:
Diese geschichtliche Tatsache ist, wie die jüngsten Ereignisse wieder zeigen, nicht dahin zu deuten, daß das Recht auf Freiheit etwa verjährt wäre.
An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll „lebhaften Beifall bei allen Fraktionen".
Aber, verehrte Kollegen von der SPD, ich muß Ihnen schon sagen: Mich fröstelte, als ich sah, daß sich selbst bei diesem Satz in Teilen Ihrer Fraktion und Ihrer Partei jenes Bild der negativen Demonstration
der Beifallsverweigerung wiederholte wie bei Präsident Reagan. Da wurde deutlich, wie es um Ihre Partei, Ihre Fraktion und die Koalition wirklich bestellt ist.
Sicher erklärt sich das Schweigen, das man unter Ihren Reihen gefunden hat, nicht daraus, daß die Kollegen an der Richtigkeit dessen gezweifelt hätten, was ihr Parteifreund hier gesagt hat. Ihnen hat nicht gepaßt, daß er es gesagt hat, ebenso wie es vielen von Ihnen nicht gepaßt hat, was der amerikanische Präsident beispielsweise über die Natur des sowjetischen Systems, über das Ausmaß und die Auswirkung kommunistischer Zielsetzung - sprich: Bedrohungen - gesagt hat. Das ergibt dann das eigentliche Dilemma dieser Regierung und dieses Bundeskanzlers.
Sie stützen sich auf eine numerische Mehrheit. Herr Dr. Kohl hat das heute vormittag schon angesprochen.
({5})
- Das paßt Ihnen nicht; das weiß ich. Aber das macht nichts. Sie müssen es sich dennoch anhören.
({6})
Sie stützen sich auf eine numerische Mehrheit, von der wachsende Teile in der gegenwärtigen Weltlage nicht mehr den bedrohlichen Konflikt zwischen Unfreiheit und Freiheit sehen oder auch nur den Konflikt zwischen westlicher Friedenssehnsucht und östlicher weltrevolutionärer Expansionsentschlossenheit.
Innerhalb der SPD gibt es immer mehr Kollegen, die die gegenwärtige Lage als unversöhnlichen Konflikt zwischen Wahrheit und Entspannung, zwischen Wirklichkeit und Wunsch diagnostiziert haben. Da ergreifen sie klar Partei für den Wunsch und die Visionen. Und wo die Wahrheit, die Realität, der Vision entgegensteht, muß die Wahrheit, die Realität, weichen, weil entspannungsfeindlich.
({7})
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Ihre Antwort auf die Bündnisstrategie des Gleichgewichts, des Realismus, der „flexible response" zur Sicherung des Friedens ist dann die Kaninchenstrategie vor der Schlange. Vielleicht müßte man besser sagen: Es ist die Kuckucksneststrategie, d. h. es wird so lange gefüttert, bis der Bankert erst die eigenen Kinder und dann einen selber aus dem Nest schmeißt.
({8})
Meine Damen und Herren, wenn es in den vergangenen Monaten zu Irritationen, Skepsis, Fragen und Kritik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen gekommen ist, dann war darin nichts Überraschendes, nichts Plötzliches und schon gar nichts Unvorhersehbares. Es handelte sich auch nicht um bloß vorrübergehende Wetterstörungen.
Die tatsächlichen, die wirklichen Ursachen liegen tiefer. Sie reichen zurück in die Entstehungszeit westlicher Entspannungspolitik. Aber offenbar wird erst jetzt deutlich und sichtbar, daß es von allem Anfang an unüberbrückbare Gegensätze, Herr Ehmke, zwischen der Entspannungsphilosophie des Westens, besonders der Amerikaner, und der Entspannungsdoktrin der SPD, insbesondere der Kollegen Bahr und Brandt gegeben hat.
Für die westlichen Partner war Detente - Entspannung - immer die Stabilisierung des Gleichgewichts. Für die Vordenker der SPD, die ich genannt habe, war und ist Entspannung dagegen Wandel durch Annäherung und damit Überwindung des Status quo und Überwindung des Gleichgewichts, und zwar gesellschaftspolitisch ebenso wie sicherheitspolitisch. Vielleicht, meine Damen und Herren, hat es deswegen so lange gedauert, bis das hochgekommen ist und sich zu Zweifeln, Fragen und Kritik formuliert hat, weil sich unsere angelsächsischen Partner einfach nicht vorzustellen vermögen, daß irgendein Deutscher, welcher politischen Ausrichtung auch immer, bereit sein könnte, Wesenelemente der Freiheit seines Volks zur Disposition eines Ausgleichs mit dem Osten zu stellen.
({9})
Angesichts solcher Zustände in der Koalition, Herr Kollege Ehmke, braucht es niemanden zu wundern, daß in dieser Regierung nichts mehr geht. Ohne die Linken in Ihrer eigenen Fraktion kann der Bundeskanzler nicht amtieren, aber mit ihnen kann er nicht regieren.
({10})
Wissen Sie, vor ein paar Wochen hatte der Bundeskanzler gegenüber seinen Genossen noch deftig vom Leder gezogen. Er hat gesagt: „Wer sich an AntiReagan-Demonstrationen beteiligt, fliegt raus!" Würde das heute noch gelten, müßte die SPD auf „Lufthansa" oder - wahrscheinlich besser - „Paninternational" umschulen, um den Bedarf zu dekken.
Aber derartige Sprüche sind ja längst vergessen, sie interessieren auch längst nicht mehr. Heute scheinen Publizistik wie Öffentlichkeit vollauf mit der Frage beschäftigt - selbstverständlich neben Fußball -, wann der Kanzler das eigene Flugticket lösen läßt. Aber selbst da rührt sich vermutlich gar nicht so schnell etwas, meine lieben Kollegen von der CDU/CSU. Zwischen Hamburg gestern und Hessen morgen ist die Regierung schon, so scheint es, zu schwach geworden, um sich zu verabschieden,
({11})
zu schwach, um zu stürzen; denn selbst Abschiednehmen und Stürzen verlangen Bewegung, und zu der ist sie ja gar nicht mehr fähig.
({12})
Verehrter Herr Minister Genscher, der Rigor hat diese Bundesregierung offenbar im Sitzen erwischt, und das Gestänge des Grundgesetzes hindert sie am Umfallen. Diese Zustände kann sich vielleicht die SPD leisten - ich glaube: nicht die FDP -, aber auf
keinen Fall kann sich das unser Land, unser Volk leisten. Das Interesse unseres Landes und unseres Volkes an Sicherheit und Freiheit kann sich das nicht leisten.
({13})
Der Frieden unserer Tage, Herr Kollege Ehmke, wird nicht gesichert durch solche sicherlich sehr interessanten Überlegungen, wie Sie sie hier angestellt haben, die immer sehr lehrreich sind. Der Frieden unserer Tage wird nicht gesichert durch erstarrtes Nichtstun, durch Stillehalten, nicht durch allgemeines Reflektieren, nicht durch passive Obstruktion im Bündnis dort, wo etwas getan werden kann - wie etwa in der Erneuerung der Verhaltensmaximen im Ost-West/West-Ost-Handel -, sondern der Frieden wird nur dann gesichert, wenn Handlungsfähigkeit vorhanden ist.
Friedenssicherung braucht Entschlossenheit, braucht Handlungsbereitschaft. Da, verehrter Herr Minister Genscher, fehlt es bei dieser Regierung halt furchtbar weit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dregger hat vorhin von der Infamie gesprochen. Daran habe ich mich erinnert, als ich den Vorredner eben gehört habe.
({0})
Wir haben eine sehr interessante Debatte gehabt,
({1})
nämlich in dem Gedankenaustausch zwischen dem, was Herr Dregger gesagt hat, und dem, was der Bundesaußenminister danach gesagt hat.
Herr Dregger hat darauf hingewiesen, daß wir im Falle eines Konflikts in der Bundesregierung Deutschland der Hauptkriegsschauplatz wären. Das ist unbestreibar; keine Meinungsverschiedenheit darüber.
Herr Dregger und Herr Genscher haben darauf hingewiesen, wie gefährlich und zerstörerisch ein konventioneller Krieg mit den modernen Waffen heute wäre. Dieser Hinweis ist nachgerade fast eine Modeangelegenheit. Er stimmt dennoch; denn es ist ohne Zweifel so, daß ein moderner konventioneller Krieg heute in fünf Wochen mindestens soviel zerstören könnte, wie im Zweiten Weltkrieg in fünf Jahren zerstört worden ist. Das ist sehr viel. Aber es ist anders als beim atomaren Krieg nicht das Ende. Deshalb gibt es trotz der Schrecken eines konventionellen Krieges natürlich den qualitativen Unterschied zum Atomkrieg.
Dabei ist unübersehbar, daß wir in Europa, in Amerika eine Diskussion über die Frage haben, ob die heute gültige Strategie der Abschreckung auf Dauer noch taugt. Da bin ich nun in einem Punkte ganz zufrieden; denn inzwischen hat sich herausgestellt, daß diese Diskussion quer durch die Fraktionen geht. Man kann eben sagen, daß wirkliche Mängel die NATO-Strategie zunehmend unglaubwürdig machen, man kann eben sagen, wie es der Kollege Wörner getan hat, daß es unerträglich sei, wenn die NATO sehr früh Atomwaffen einsetzen müsse. Das schwächt die Möglichkeit der wirksamen Verteidigung, das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Abschreckung, weil die Abschreckung unter diesen Umständen immer mehr zu einer Selbstabschrekkung verwandelt wird. Das ist wirklich eine Gefahr. Die Tatsache, daß das in Ihren Reihen gesagt wird, versachlicht eigentlich die Diskussion bzw. sollte sie versachlichen.
Der Kollege Möllemann hat in anderem Zuammenhang etwas Ähnliches gesagt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß wir eine atomwaffenfreie Zone in Europa ins Auge fassen müßten. Ich bin auf Grund ähnlicher Überlegungen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: daß wir in Europa eine Zone ins Auge fassen müssen, in der es für Staaten keine Atomwaffen gibt, die nicht darüber verfügen, und zwar unter der Voraussetzung, daß es möglich ist, eine Vereinbarung über das konventionelle Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt zu erzielen.
In diesem Zusammenhang muß ich ähnlich wie der Bundesaußenminister etwas über die Erklärung der Sowjetunion vor den Vereinten Nationen sagen, auf den Erstschlag oder auf den ersten Gebrauch von Atomwaffen
({2})
- ja, auf den ersten Gebrauch - zu verzichten.
({3})
Zunächst einmal bin ich der Auffassung, daß das eine vertrauensbildende Maßnahme sein kann. Das hat Ihr Kollege, der niederländische Ministerpräsident van Agt, genauso erklärt, ohne daß er deshalb von der CDU/CSU eines Dolchstoßes bezichtigt worden wäre. Aber es ist gar keine Frage: Man darf ein solches Angebot nicht als Trick abtun, wie Sie es getan haben. Man muß dieses Angebot der Sowjetunion nämlich der Erklärung der NATO gegenüberstellen - so wie es der Bundesaußenminister getan hat -, daß von unserer Seite Waffen niemals zuerst eingesetzt werden. Man muß das eine also genauso ernst nehmen wie das andere und muß es durch den Hinweis ergänzen, daß ein Angebot zu Verhandlungen über ein ausgewogenes konventionelles Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt fehlt. Dieses Verhandlungsangebot muß von der Sowjetunion angemahnt werden. Solange das nicht der Fall ist, werden wir in der NATO nicht in der Lage sein, einseitig eine Veränderung unserer Strategie ins Auge zu fassen.
Es ist völlig klar - der Bundeskanzler hat heute morgen darauf hingewiesen -, daß wir an der alten Strategie festhalten müssen, solange wir keine neue vereinbart haben. Aber das bringt uns nicht aus der Lage heraus, nicht über neue Strategien und Veränderungen nachzudenken. Wir haben das in der Palme-Kommission getan, die heute morgen schon einBahr
mal erwähnt worden ist, und sind zu dem Ergebnis gekommen, einen atomwaffenfreien Streifen in Mitteleuropa vorzuschlagen, 150 km tief auf beiden Seiten, der von Gefechtsfeld-Atomwaffen frei sein sollte. Dies ist interessanterweise sowohl von dem sowjetischen Vertreter wie von der amerikanischen Regierung mit einem Fragezeichen versehen worden. Beide Nuklearmächte und Supermächte haben dafür dieselben Argumente benutzt. Beide haben gesagt: im Spannungsfall könnte es leicht sein, die Waffen wieder zurückzubringen, und: es sei schwer zu verhandeln, schwer zu verifizieren und sei deshalb militärisch nur bedingt sinnvoll. Beide haben mir gesagt, daß es vielleicht sinnvoller wäre, darüber hinauszugehen und bestimmte Waffenarten schlechthin unter einen Bann zu tun. Diese Kritik der beiden Supermächte kann man ja akzeptieren. Dem Manne kann sozusagen geholfen werden. Man kann ja einen Schritt weiter gehen und bestimmte Waffenarten überhaupt wegnehmen.
({4})
Jedenfalls darf nichts unter Quarantäne oder Tabu gestellt werden, was in dieser Diskussion sinnvoll sein könnte und uns weiterbringen könnte.
- Aber es gibt, Herr Kollege Mertes, in dieser Beziehung jedenfalls keinen Unterschied zwischen dem Bundeskanzler und mir,
({5})
der sogar in New York mit Recht darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Ungeduld der Menschen in unserem Lande wächst: über die Diplomaten, über die Denker, über die Politiker, die immer noch so viel Zeit brauchen, ohne wirklich zu erreichen, was sie sich vorgenommen haben.
({6})
- Da ich leider nur eine begrenzte Zeit habe, werden wir unsere persönlichen Unterhaltungen vielleicht außerhalb des Plenums fortsetzen.
({7})
Aber in diesem Zusammenhang gibt es natürlich den Punkt, daß es schwierig ist, sich zu fragen: wo eigentlich gibt es den Ansatz, den bisher nur mit begrenztem Erfolg gemachten Versuch der Rüstungskontrolle und Abrüstung etwas zu verbessern? Wir sind in der Kommission darauf gekommen, dies unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Sicherheit zu sehen. Damit komme ich auf den Eingang meiner kurzen Bemerkungen zurück. Es ist unbestreitbar, daß jeder Mensch Sicherheit haben will, Sicherheit vor dem Gegner. Es ist klar, daß man sicher ist, wenn man stark ist. Und man ist noch sicherer, wenn man stärker ist. Am sichersten ist man, wenn man dem Gegner auf den Kopf haute. Der Gegner dachte immer genauso. Der Rest ist bekannt, es ist die Geschichte der Kriege.
({8}) Heute in der Situation der gegenseitig gesicherten Zerstörung durch weittragende Atomraketen ist es nicht mehr möglich zu siegen. Die Hoffnung auf Sieg ist ausgelöscht.
({9})
Dies ist die Grundlage der Erkenntnis, daß man Sicherheit nicht mehr vor dem Gegner, sondern nur noch mit dem Gegner bekommt.
({10})
Es gibt nur noch gemeinsame Sicherheit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Wenn Sie die Uhr anhalten?
Bitte.
Herr Kollege Bahr, zwar gibt es die Sicherheit mit dem Gegner im kollektiven Sicherheitssystem der Vereinten Nationen, glauben Sie aber nicht, daß es daneben auch noch die abwehrende Sicherheit eines Bündnisses geben muß gegenüber einem Gegner, der nicht den Krieg will, der aber unterhalb der Schwelle des Krieges einen politischen Sieg erringen will?
Herr Kollege Mertes, es ist sehr nett, daß Sie mir durch Ihre Frage den Übergang zu dem nächsten Gedankengang erleichtert haben, zu dem ich ohnehin kommen wollte. Es ist natürlich klar - ich habe das vorhin gesagt -: solange es keine neue Strategie gibt, muß es die alte geben. Aber der Punkt ist, daß das Denken in einer Doktrin der gemeinsamen Sicherheit in der Lage sein muß, die bisherige, die augenblicklich gültige Doktrin der Abschreckung eines Tages zu ersetzen. Das ist der Kernpunkt.
({0})
- Entschuldigung! Herr Dregger hat vorhin interessanterweise formuliert, die Abschreckung muß ergänzt werden durch Zusammenarbeit. Ich halte dies für einen Übergang zu einem Prinzip der gemeinsamen Sicherheit. Aber ich bin ganz zufrieden, daß er in seiner Formulierung jedenfalls die Doktrin der Abschreckung nicht als ein unantastbares Tabu bezeichnet hat.
Der Bundesaußenminister hat vorhin formuliert: der Frieden durch Abschreckung muß hingeführt werden zu einem Frieden durch Vertrauen. Meine Damen und Herren, wenn wir uns darin einig sind, dann ist die Diskussion über neue Strategien und die Zielvorstellung, die Doktrin der Abschreckung durch eine Doktrin der gemeinsamen Sicherheit zu ersetzen, ein großes Stück weiter, und dann wäre dieser heutige Nachmittag für die Diskussion über die künftigen Strategien ein großer Gewinn für unser Land.
({1})
Dabei möchte ich folgendes hinzufügen. Gemeinsame Sicherheit heißt nicht nur gemeinsam mit dem Gegner, sondern bedeutet natürlich auch, daß wir Si6622
cherheit nur in den bestehenden Bündnissen und mit den Bündnissen bekommen können. Niemand kann aussteigen; ein einzelner vielleicht, ein Volk sicher nicht. Das heißt, es gibt für uns in der Bundesrepublik Deutschland, dort, wo wir sind, Sicherheit nur im Bündnis und mit dem Bündnis, nicht außerhalb, mit Amerika und nicht ohne Amerika. Dies muß man hinzufügen; denn wir werden nur alle gemeinsam überleben, oder es wird keiner überleben.
({2})
Wir werden diese Diskussion nicht zuletzt deshalb zu führen haben, weil die Annehmbarkeit der bisherigen Strategie immer stärker in Frage gestellt wird und weil es natürlich, was immer man im einzelnen gegen die Formulierungen des Kollegen Biedenkopf sagen kann, im Prinzip richtig ist - er hat da den richtigen Punkt erwischt -, daß man die Annehmbarkeit der gegenwärtigen Strategie durch die Bevölkerung, d. h. einer Strategie, die Selbstvernichtung voraussetzt, nicht immer voraussetzen darf.
({3})
Wir werden also diese Strategiedebatte in der Unbefangenheit und in der Sicherheit führen, die uns das Bündnis gibt.
Meine Damen und Herren, es gibt einige, die das Prinzip der gemeinsamen Sicherheit nicht mehr generell ablehnen.
({4})
Ich habe mit großem Interesse festgestellt, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin z. B. darauf hingewiesen hat, daß es nicht mehr um Sicherheit gegen andere gehe, sondern nur noch um Sicherheit mit ihnen zusammen. Das ist eine Formulierung, die der, die ich gerade gebraucht habe, sehr nahe ist. Ich wäre dankbar, wenn die Opposition ihre Bekundungen der grundsätzlichen Einmütigkeit oder Unterstützung der Position der Bundesregierung gerade auf diesen Punkt der Sicherheitspartnerschaft, die der Bundeskanzler in New York unterstrichen hat und mit der er einen Gedanken aufgenommen hat, den er ebenfalls in New York vor vier Jahren ausgesprochen hat, ausdehnen würde, damit nämlich die Unterstützung der Bundesregierung nicht nur verbal ist, sondern gerade in den schwierigen und interessanten Punkten gegeben wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte.
Herr Kollege Bahr, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das Konzept gemeinsamer Sicherheit von der CDU/ CSU-Fraktion selbstverständlich bejaht wird. Das hat Konrad Adenauer schon im Jahre 1955 in Moskau gesagt. Besteht aber das Problem nicht darin, daß es neben der abstrakten Gefahr des nuklearen Krieges die Gefahr der politischen Zielvorstellungen der Sowjetunion gibt? Neben der gemeinsamen Sicherheit muß es eben diese abwehrende Sicherheit gegenüber einer Macht geben, die im Frieden unterhalb der Schwelle des Krieges einen politischen Sieg erringen will. Wollen Sie jetzt bitte diese erneut gestellte Frage einmal beantworten?
Herr Kollege Mertes, in diesem Punkte sind wir sehr unterschiedlicher Auffassung, denn wenn Sie - ähnlich wie der Kollege Dregger vorhin - darauf hinweisen, daß man mit der Sowjetunion erst dann darüber reden kann, wenn sie den Verzicht auf die Weltrevolution ausspricht,
({0})
dann werden Sie sehr lange warten müssen. Wir haben unabhängig von ideologischen Unterschieden bei Weiterbestehen der ideologischen Unterschiede die Pflicht, die Sicherung des Friedens unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Sicherheit zu verfolgen. Trotz Afghanistan, trotz der Situation in Polen ist es im übrigen notwendig, Rüstungskontrollverhandlungen durchzuführen;
({1})
sie allein werden aber nicht ausreichen.
({2}) Sie allein werden nicht ausreichen!
({3})
Wenn ich Sie aber schon mit meiner Formulierung nicht überzeuge, vielleicht sind Sie dann eher geneigt, dem Papst erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, Herr Kollege Mertes - und nicht dem Kollegen Wörner -,
({4})
der die Politiker ermutigt hat weiterzugehen, und zwar hin zu einer Brüderlichkeit der Partner: Schafft immer größere waffenfreie Zonen, verzichtet darauf, legitime und sogar geistige Werte - Herr Dregger! - für Interessenkonflikte zu benutzen; sie werden dadurch entwürdigt und machen die Auseinandersetzung nur unerbittlicher.
({5})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es im deutschen Interesse liegt, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, damit die Kräfte der Vernunft, die Kräfte des Friedens, die Kräfte der Verständigung, die Politik der Verhandlungen und die Politik der Sicherheitspartnerschaft gestärkt werden. Dies kann diese Koalition.
({6})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meines Kollegen Grafen Stauffenberg veranlassen mich zu einer kurzen Replik. Sie haben zu der Frage des Erdgas-Röhren-Geschäfts, die wir gestern im Ausschuß schon sehr intensiv und kontrovers diskutiert haben, in etwa gesagt - wenn ich mich recht erinnere -, der Bundeskanzler und der WirtschaftsminiSchäfer ({0})
ster, der jetzt gerade anwesend ist - Sie haben ihn zwar etwas davon ausgenommen, aber das wird doch wohl zu implizieren sein -, hätten die deutsche Industrie, die deutschen Firmen längere Zeit hinweg über das getäuscht, was jetzt eingetreten ist. Graf Stauffenberg, ich glaube, auch für den Bundeswirtschaftsminister sprechen zu können, wenn ich diese Behauptung hier zurückweise, denn diese Behauptung vereinfacht die Situation nach meiner Meinung doch sehr.
Ich weiß, daß Politiker der CDU/CSU - auch das haben wir gestern im Ausschuß bereits diskutiert - in Washington zu dem gleichen Ergebnis gekommen waren wie der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister, daß dieses Geschäft trotz erheblicher Bedenken der amerikanischen Regierung zu machen sei und daß so weitgehende Maßnahmen, wie sie jetzt getroffen wurden und wie Sie sie hier zu Recht kritisiert haben - ich teile die Kritik mit Ihnen nach Versailles -, nicht eintreten würden.
Mich wundert nur - und ich darf mich da aus der gestrigen Ausschußsitzung wiederholen - folgendes. Ich möchte einen Journalisten zitieren, der mich dieser Tage gefragt hat: Was ist eigentlich mit der CDU los? Die geht in dieser Frage auf Tauchstation.
({1})
Meine Damen und Herren, wir hätten gern einmal von Ihnen gewußt, ob Sie nun wirklich nicht auch an die deutschen Firmen denken und ob Sie diese Diskussion ständig nur unter dem Gesichtspunkt führen, es könnten neue Turbulenzen im europäisch-amerikanischen Verhältnis auftreten, wobei Sie vielleicht die nationalen Interessen etwas in den Hintergrund rücken.
({2})
- Herr Kollege Dr. Barzel, ich darf hier zumindest noch einmal die Frage aufwerfen, ob es nicht tatsächlich bei Ihnen gewisse Widersprüche zwischen dem, was Herr Biedenkopf öffentlich erklärt hat, und dem, was hier heute erklärt worden ist, gibt.
Sie wollen doch nach dem Verlauf der heutigen Debatte nicht etwa irgend jemandem in diesem Saal unterstellen, daß uns das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht heilig wäre. Wir haben wirklich gemeinsam so viele Maßnahmen, wie wir es noch verbessern können, überlegt, z. B. - wie Sie sich erinnern können - vor einigen Wochen vor leerem Haus bezüglich der kulturellen Beziehungen, und ich glaube, es gibt hier niemanden, dem daran nicht liegt.
Wer aber Amerika kennt, wer die amerikanische Presse verfolgt, Herr Mertes, und wer ein bißchen über die Diskussionen in Amerika Bescheid weiß, der sollte doch nicht Angst davor haben, daß sich solche Diskussionen - mit Positionen, die vom Kurs des einen oder des anderen Sicherheitsberaters abweichen - auch hier abspielen. Mir scheint, daraus sollten Sie hier doch nicht eine deutsch-amerikanische Krise machen wollen.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist, insbesondere von Herrn Dr. Kohl, viel über die moralische Bedeutung des Atlantischen Bündnisses gesprochen worden. Er hat heute von der „moralischen Größe", auf die es ankommt, gesprochen. Er hat, wenn ich es recht verstanden habe, gesagt, es seien „die Werte des Westens", ohne die „das deutsche Haus auf Sand gebaut sei".
Nun, das alles ist sicher richtig. Ich würde zwar vielleicht in der Diktion etwas weniger hochgestochen, aber vom Inhalt her dasselbe sagen wollen. Nur, meine Damen und Herren, wenn wir alle miteinander auf dieser moralischen Größe bestehen, verstehe ich nicht, daß dieses Haus in die Sommerpause geht und einen derzeit tobenden Konflikt, an dem die Sowjetunion mit Sicherheit nicht die Schuld trägt, derart am Rande dieser Debatte behandelt, das nämlich, was sich zur Zeit, zur Stunde, im Libanon abspielt.
({4}) Wer heute mittag die Nachrichten gehört hat
({5})
und erfahren hat, daß Israel die humanitäre Hilfe, die die Europäische Gemeinschaft und auch dieser Deutsche Bundestag angeboten haben, verweigert, daß es keine Ärzteteams einreisen läßt, der darf doch hier wohl zumindest einmal die Frage stellen, ob Sie das alles noch unter dem Gesichtspunkt der Moral, für die wir alle einstehen, subsumieren wollen.
({6})
Ich sage Ihnen: Die Moral darf nicht doppeldeutig werden.
({7})
Wir dürfen uns hier auch nicht den Vorwurf machen lassen, daß wir nur deshalb, weil es sich um einen Staat handelt, der sich als westlich bezeichnet, diesen von der Kritik ausnehmen.
({8})
Es wird zunehmend schwierig - Herr Kollege Dregger, Sie haben, auf das eingehend, was Herr Brandt gesagt hat, dazu auch einige Bemerkungen gemacht -, jungen Leuten klarzumachen, was es mit dieser Moral eigentlich auf sich hat, wenn man diesen Konflikt so an den Rand drängt.
Es ist uns, worauf ich stolz bin, gelungen, daß wir hier einen gemeinsamen Afghanistan-Antrag aller drei Fraktionen verabschieden konnten. Wir haben uns geeinigt, es gab einen sehr guten Kompromiß. Graf Stauffenberg, Sie waren dabei.
Im Anschluß daran haben wir - ich hatte die Ehre, auch dabei Berichterstatter zu sein - eine genauso gute Einigung zu einem Libanon-Antrag erreicht.
({9})
Den Afghanistan-Antrag haben wir verabschiedet.
Ich muß hier aber die Frage stellen, wieso wir heute
den Libanon-Antrag nicht verabschieden können.
Schäfer ({10})
Weil es an Mut gefehlt hat - ich brauche das im einzelnen nicht zu erläutern -, in dieser schwierigen Lage ein klares Wort zu sprechen! Warum? Weil hier niemand wagt, auch Kritik an dem Staat zu üben, der mitverantwortlich ist - ich betone: nicht allein verantwortlich - an der Entwicklung, die es im Libanon gibt.
({11})
Meine Damen und Herren, wir werden als Parlament zunehmend unglaubwürdiger, wenn wir uns vor solchen Konflikten drücken und zum wiederholten Male ausschließlich auf das Sicherheitsbedürfnis unseres Staates abheben, auf die Konfrontation mit der Sowjetunion abheben, aber gleichzeitig vergessen, daß Konflikte, wie sie sich im Nahen Osten abspielen, nicht durch europäische Zurückhaltung gelöst werden.
({12})
Meine Damen und Herren, ich halte es für einigermaßen abenteuerlich, was uns hier so alles zugemutet worden ist. Ich muß das hier einmal in aller Deutlichkeit sagen. Der Bundesaußenminister war in Jerusalem wenige Tage vor dem Einmarsch der Israelis. Ich hatte die Ehre, als außenpolitischer Sprecher meiner Partei einige Wochen vorher dort gewesen zu sein. Wir sind auf das Problem Libanon zu sprechen gekommen, denn es wurde uns dort bereits bedeutet, daß die israelische Regierung eine solche Aktion plane. In allen Gesprächen, die wir geführt haben, ist uns gesagt worden, das sei erfunden, das sei abwegig. Wir sind also - ich muß das hier ganz deutlich sagen - belogen worden.
Meine Damen und Herren, es herrscht zur Zeit kein Waffenstillstand, wie das behauptet wird. Wer das Deutsche Fernsehen gestern abend sah, wer heute danach fragt, der erfährt: Es wird weiter ununterbrochen nach Beirut hineingeschossen. Meine Damen und Herren, über die Palästinenser kann man sehr geteilter Meinung sein, zumindest über die PLO, aber wenn diese letzten Opfer des Nationalsozialismus hier überhaupt keine Beachtung finden und Herr Dregger hier heute sagt, die Palästinenser - Sie haben gesagt: die bewaffnete PLO - müßten aus dem Libanon hinaus, dann teile ich zwar Ihre Meinung. Ich bin einverstanden: alle fremden Truppen. Nur stellt sich dann doch die Frage: Wohin? Es stellt sich auch die Frage, wieso die Palästinenser bis heute im Libanon sind. Doch nicht deshalb, weil sie ausschließlich Terrorangriffe geplant haben, sondern weil ihnen bis zur Stunde alles verweigert worden ist, und zwar nicht nur von Israel, sondern auch von arabischen Staaten - ich weiß das, ich sage das ganz deutlich: auch von einigen arabischen Staaten.
({13})
Ich finde, es kommt darauf an, daß wir aufhören, gewisse propagandistische Töne zu übernehmen und im Grunde das Gefühl zu haben, es handle sich, wenn wir von Palästinensern sprechen, dabei um Terroristen. Das ist einfach nicht mehr erträglich, das ist aber der Ton, der hier in der Bundesrepublik ständig angeschlagen wird.
({14})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ich gestatte Herrn Mertes wie immer eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Schäfer, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß alle ethnischen und religiösen Gruppen des Libanon nicht nur die Anwesenheit der Palästinenser, sondern vor allem die Terroraktionen der PLO im Inneren des Landes und nach außen als ein unerträgliches Problem empfinden, und warum richten Sie nicht Ihren ersten und hauptsächlichen Vorwurf an die PLO, sondern an Israel?
Herr Kollege Mertes, ich empfinde die Anwesenheit fremder Truppen oder auch fremder ethnischer Gruppen, wenn Sie so wollen - der Unterschied ist bei Palästinensern sehr schwer zu machen; das ist ein Gebiet, das geographisch fast zusammengehört -, natürlich ebenso wie viele Libanesen als nicht sinnvoll. Nur werden Ihnen alle Libanesen auch sagen: Was ist eigentlich seitens des Westens, seitens der amerikanischen Außenpolitik, seitens der Europäer unternommen worden, ein Lösung für die Palästinenser zu finden, daß sie diesen Staat endlich in Frieden verlassen können? Es ist eben nichts getan worden, was ausreicht. Es ist doch die Folge dieser Invasion der Israelis, Herr Kollege Mertes, daß endlich etwas getan werden muß, daß man dieses Problem nicht weiter vor sich herschiebt und ausklammert und nur auf Terroraktionen zu sprechen kommt.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Ich will die Frage von Herrn Reddemann auch gern noch zulassen. Es ist ja gut, daß sich hier noch eine Debatte entwickelt. Es war fast ein bißchen eintönig geworden. - Bitte schön!
Bitte, Herr Reddemann.
Herr Kollege Schäfer, ist Ihnen nicht klar, daß die Weigerung der PLO-Führung, die Existenz Israels anzuerkennen, mit dazu geführt hat, daß die Verhandlungen in den letzten Jahren nicht weitergekommen sind?
Es ist mir sehr wohl klar, daß die PLO keine einseitigen Zugeständnisse machen kann, wenn dem palästinensischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird. Ich halte dieses erst für möglich, Herr Kollege Reddemann, wenn am Ende von Verhandlungen beide Teile zu dem Ergebnis kommen, daß die PLO auf der
Schäfer ({0})
einen Seite die Existenz Israels anerkennen muß, aber auf der anderen Seite auch Israel die Existenz der Palästinenser und deren Rechte. Das ist ein Prozeß, der seine Zeit dauert und der zu diesem Ergebnis kommen muß. Einseitige Zugeständnisse auf die Gefahr hin, daß Israel auch danach noch erklärt: „Mich interessiert die Zukunft der Palästinenser nicht", können Sie vermutlich auch den Palästinensern nicht zumuten.
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- Ich möchte nicht auf eine zweite Zwischenfrage eingehen.
Meine Damen und Herren, ich wollte hier keine ausgesprochene Nahost-Debatte entfesseln. Es ging mir nur darum, einige Momente herauszustellen, die mir bei dieser Debatte heute gefehlt haben. Mir ging es darum, daß dieses Parlament nicht in die Sommerpause geht, ohne zum Fall Libanon etwas gesagt zu haben, obwohl ein einvernehmlicher Antrag vorlag. Er ist aus Angst verschoben worden und - das sage ich Ihnen ganz offen - aus Gründen, die Sie alle kennen: Im Zusammenhang mit dem Staat Israel und der Führung des Staates Israel erliegt man immer wieder der schrecklichen Verwechslung, es handele sich um „die Juden". Ich glaube, das ist nicht richtig. Daran kranken wir. Deshalb sind wir nicht in der Lage, Handlungen der Regierung Begin, wenn es darauf ankommt, moralisch genauso zu verurteilen wie wir das mit Handlungen anderer Regierungen zu Recht tun. Hier dürfen wir keine Ausnahme machen, und hier kommt es jetzt darauf an, daß sich Israel endlich auch an das hält, was die internationale Völkergemeinschaft tut.
Wir zahlen Israel erhebliche Summen. Meine Damen und Herren, es kann nicht angehen, daß die Verwüstungen, die durch die Invasion Israels im Libanon hervorgerufen worden sind, am Ende wieder von den Europäern bezahlt werden, die zerstörten Waffen von den Amerikanern ersetzt werden. Es besteht der Eindruck, als könnten einzelne Staaten in der Welt tun, was sie wollen, ohne daß die Reaktionen erfolgen, die wir hier gegenüber anderen Aggressionen - etwa in Afghanistan - immer wieder an den Tag legen. Ich meine, wir sind es uns schuldig, hier konsequent zu bleiben.
({2})
Ich finde, das, was sich im Libanon abspielt, ist so schrecklich, daß man - auch wenn man über die Motive verschiedener Meinung sein kann - hier nicht einfach schweigen darf. Ich halte das nicht mehr für richtig.
Das hat auch nichts damit zu tun - ich darf das noch einmal ausdrücklich sagen -, daß man hier eine Abneigung gegenüber Israel hätte oder den arabischen Staaten einen Vorzug einräumen würde. Auch dies wird ja sehr schnell unterstellt. Ich sage Ihnen: Das Existenzrecht Israels steht für uns alle nicht in Frage, aber wir können daraus nicht den Schluß ziehen, man könne nach der vor 20 Jahren in Israel gehegten Befürchtung, ins Meer geworfen zu werden, umgekehrt zulassen, daß andere ins Meer getrieben werden.
({3})
- Ich sage Ihnen: Ich kann nur hoffen, Herr Reddemann, daß Beirut nicht genommen wird und daß es hier nicht zu einer grauenvollen Weiterentwicklung dessen kommt, wovor gestern schon Herr Peres die Regierung Begin warnte. Wir dürfen das wiederholen, denn ich glaube, es können sich Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland ergeben, die nicht im Interesse unseres beiderseitigen Verhältnisses liegen können.
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Ich sage Ihnen das in aller Offenheit, und ich halte es für sehr bedenklich, daß zum erstenmal auf dem Boden der Bundesrepublik Demonstrationen gegen den israelischen Botschafter erfolgt sind, weil unsere Jugend diese Moral nicht mehr ganz nachvollziehen kann. Gestatten Sie mir, daß ich das hier sehr deutlich sage.
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- Es bleibt uns zu wenig Zeit, Herr Mertes, um die Ursachen des Nahostkonfliktes etwas intensiver zu erörtern. Es ist sicher unser aller Anliegen, das hier einmal in einer großen und umfangreichen Debatte zu tun. Ich bedaure, daß uns so wenig Zeit zur Verfügung steht. - Ich sehe, auch meine Redezeit ist zu Ende.
Ich darf zum Schluß vielleicht noch sagen - ich habe das hier schon vor 14 Tagen gesagt -: Wir sollten bei all den Debatten über Abrüstung und über das Sicherheitsproblem, zu dem wir heute sehr viel gehört haben, nicht die eminent wachsende Gefahr „kleiner Konflikte" außer acht lassen, die scheinbar nicht so wichtig sind, die aber zunehmend bedrohliche Ausmaße annehmen und den ganz großen Weltkonflikt hervorrufen können.
({6})
Deshalb müssen wir auch an die Verantwortung der Führer solcher kleiner Staaten appellieren, ihren nationalen Egoismus und ihr „Frieden für Galiläa", wenn ich das sagen darf, nicht zu einem Krieg für die Welt werden zu lassen. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäfer, ich glaube, über zwei Dinge sind wir uns hier alle einig: einmal darüber, daß das, was im Libanon den Menschen passiert, eine ganz schreckliche Sache ist und daß wir alles unternehmen müssen, um das Sterben dort zu beenden, soweit wir dazu beitragen können; zum anderen - ich glaube, darüber gibt es auch keine Meinungsverschiedenheit -, daß es unser Hauptinteresse sein muß - das war das Ziel des Antrags der CDU/CSU schon im letzten
Jahr -, einen unabhängigen demokratischen Staat Libanon wiederherzustellen, diesem Volk die Möglichkeit zu geben, sich wieder in Frieden darzustellen.
({0})
Herr Schäfer, an einem anderen Punkt kann ich Ihnen nicht folgen; das muß ich Ihnen ganz offen sagen. Die Einseitigkeit, die Sie anderen unterstellen, haben Sie soeben auch selbst gezeigt.
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Wir dürfen nicht vergessen, wer dieses blühende Land, in dem über Jahrhunderte Christen und Moslems friedlich zusammengelebt haben, zerschlagen hat. Das darf man doch Israel nicht anlasten!
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Ein Zweites. Sie sind ein Mann, der zu differenzieren vermag. Nicht die Anwesenheit der Palästinenser im Libanon ist das Problem, sondern das Problem ist, daß die PLO den Libanon als Operationsbasis für ihre Aktionen gegen Israel ausgebaut hat. Das ist das Problem.
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Ich wollte diese Akzente nur einmal zurechtrükken.
Das führt mich aber zu der entscheidenden Frage, um die sich alle unsere politischen Anstrengungen und Überlegungen drehen: Wie machen wir unsere Welt freier, wie machen wir sie friedlicher, und wie machen wir sie sicherer? Das ist in erster Linie keine militärische Frage, das ist in erster Linie eine politische Frage. Diese Welt ist nicht unfriedlich, weil es Waffen gibt, sondern weil es Mächte gibt, die andere unterdrücken, entrechten und sich dieser Waffen dazu bedienen.
({4})
Nicht die Waffen sind es, die uns bedrohen, was in der Diskussion immer und immer wieder verwechselt wird. Sagen wir es doch konkret: Es ist die hinter diesen Waffen stehende Machtpolitik der Sowjetunion, die auf Gewalt setzt, während wir auf Gewalt verzichtet haben.
({5})
Deswegen finde ich es wieder einmal gelinde gesagt, irreführend, wenn der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Aufrüstung der Sowjetunion nur auf ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis zurückführt. Wenn es das nur wäre! Zur gleichen Zeit unterschreiben der Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister in der NATO Mal um Mal Kommuniqués, in denen nachgewiesen wird, daß die Aufrüstung, die Hochrüstung der Sowjetunion jedes Sicherheitsbedürfnis um ein Weites übersteigt. Hinter dieser Hochrüstung steht nicht nur das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion, sondern dahinter steht ein expansives Machtstreben, und das haben Völker in dieser Welt bis zum heutigen Tag zu spüren bekommen, auch unser Volk.
({6})
Das Schlüsselproblem des Friedens ist nicht das Problem der Waffen.
({7})
Das Schlüsselproblem des Friedens ist die Frage, ob es uns gelingt, eine politische Ordnung in Europa und der Welt zu finden, die den friedlichen Wandel ermöglicht, also nicht den Status quo festigt. Es kommt darauf an, eine Friedensordnung, d. h. eine Ordnung friedlicher Konfliktschlichtung, aufzubauen und die Sowjetunion auf diese Ordnung festzulegen. Hier - ich sage es noch einmal - liegt das Schlüsselproblem zum Frieden. Davon ist nach meiner Meinung in dieser Debatte viel zu wenig geredet worden. Wir werden die Sowjetunion auf eine solche Friedensordnung auf die Dauer nur dann festlegen können, wenn der Westen all seine Möglichkeiten, seine politischen, finanziellen, wirtschaftlichen und technologischen Mittel zusammenfaßt und der Sowjetunion deutlich macht, daß wir unsere Leistung und unsere Hilfe an den Ostblock mit einem verantwortlichen und konfliktbegrenzenden Verhalten des Ostblocks und der Sowjetunion verknüpfen, daß die Sowjetunion wählen muß, ob sie die Hilfe des Westens will, die wir ihr anbieten, die wir wollen, die wir geben wollen, daß sie aber nicht fortfahren kann, auf der einen Seite Konfrontation mit uns zu betreiben, gegen uns aufzurüsten und sich auf der anderen Seite dafür von uns auch noch bezahlen zu lassen.
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Eine solche Friedensordnung muß sich u. a. auf die Anerkennung der wechselseitigen Sicherheitsbedürfnisse gründen. Und auch das wird kaum noch angesprochen. Die Sowjetunion hat das legitime Sicherheitsinteresse des Westens bis zum heutigen Tag nicht wirklich anerkannt. Was noch schlimmer ist: Der Westen hat der Sowjetunion eine solche Anerkennung auch gar nicht abgenötigt. Seien wir doch einmal ehrlich: Er hat ihr damit den grundlegenden Zielkonflikt erspart, zwischen ihrer Machtexpansion und den Vorzügen der Kooperation mit dem Westen wählen zu müssen.
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Zu einer solchen Friedensordnung, Herr Bahr - - Wo ist er denn, nicht mehr da?
({10})
- Ist ja nicht schlimm; ich wollte ihn nur direkt ansprechen. - Also: Zu einer solchen Friedensordnung gehört nicht die Aufgabe unterschiedlicher ideologischer Auffassungen, meine Damen und Herren von der SPD, aber es gehört der Verzicht auf Machtausbreitung auf Kosten anderer dazu und der Verzicht, den Ost-West-Konflikt auf das Nord-SüdVerhältnis zu übertragen, wie das die Sowjetunion bis zum heutigen Tag macht.
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Dann sage ich noch eines: Zu einer solchen Friedensordnung gehört die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts auch für das ganze deutsche Volk. Ohne eine Lösung der deutschen Frage im Sinn von Einheit und Freiheit ist eine dauerhafte europäische Friedensordnung schlichtweg nicht möglich.
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Eine solche Friedensordnung darf nicht auf Illusionen aufgebaut werden; sie muß auf den Wirklichkeiten unserer Zeit aufgebaut werden. Dazu gehören zwei Grundtatsachen - zwei Grundtatsachen, die noch auf lange Zeit das Schicksal der Welt bestimmen werden. Erstens: Ost und West bleiben ideologisch und politisch Rivalen. Daran kann auch eine Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit, die wir wollen, nichts ändern. Zweitens: Das nukleare Zeitalter zwingt Ost und West zur Koexistenz. Rhetorische Kreuzzüge können daran ebenfalls nichts ändern.
Darum haben Politiker des Westens eine zweifache Verantwortung. Sie müssen der sowjetischen Expansionspolitik widerstehen, und sie müssen sich gleichzeitig der Risiken einer globalen Konfrontation bewußt sein. Darum muß jeder verantwortliche westliche Politiker auf lange Sicht sowohl Elemente der Kooperation wie solche der Konfrontation einbeziehen. Abschreckung und Koexistenz, Eindämmung und Spannungsabbau bleiben Aufgaben einer realistischen Friedenspolitik. Frieden bedeutet nicht - und Reagan hat darauf zu Recht hingewiesen -, daß es in dieser Welt keine Konflikte mehr gibt; Frieden bedeutet lediglich die Fähigkeit, Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen. Gerade weil diese Rivalität auch in einer Friedensordnung bestehen bleibt, ist es so ungeheuer wichtig - wir dürfen vor dieser Aufgabe nicht versagen -, weit aktiver, weit offensiver - ich meine das geistig, moralisch, politisch - die Grundwerte der Demokratie und der Freiheit in diese Auseinandersetzung der Ideologien, in diesen Konflikt einzubringen und in der Rivalität auf unserer Seite mit diesen Werten zu arbeiten, die doch allen Werten einer Diktatur überlegen sind.
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Wir brauchen - das scheint mir unbestreitbar zu sein - die Festlegung gemeinsamer Ziele, und zwar eben nicht nur gemeinsamer Formeln. Wenn ich auf den Bonner Gipfel zurückkommen darf: Die gemeinsamen Formeln sind da gefunden. Es sind Formeln, denen wir zustimmen können. Aber es zeigt sich doch - Graf Stauffenberg hat das deutlich gemacht -, daß offensichtlich die amerikanische Regierung und die Bundesregierung oder die Europäer hinter diesen Formeln eben doch noch verschiedene Politik zu erkennen vermögen und auch betreiben. Also müssen wir doch versuchen, Herr Genscher, nicht wie die Katze um den heißen Brei um diese verschiedenen Auffassungen von Politik im Ost-West-Verhältnis herumzugehen. Ich sage das nur deswegen an Ihre Adresse, weil Sie hier sind. Der Bundeskanzler ist nicht hier. An sich geht es an seine Adresse.
Es genügt nicht, wenn man weiß, diese Frage offen zu lassen, schöne Formeln zu finden und sich nach Hause zu begeben, um anschließend wieder einen neuen Krach zu erleben, sondern man muß dann die Dinge angehen und versuchen, wirklich eine gemeinsame Auffassung zu finden und das Problem anzusprechen. Lieber hinter verschlossenen Türen kurze Momente der Auseinandersetzung und dann Einigkeit, als das, was wir in dieser Stunde wieder einmal erleben müssen!
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Ich sage zweitens: Wir brauchen eine größere Bandbreite von politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und technologischen Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten. Technologietransfer, Handel, die Finanzierung von wirtschaftlichen Projekten sind Bereiche, in denen die Sowjetunion weiterhin, ja, sogar noch stärker als bisher, auf eine Zusammenarbeit mit dem Westen angewiesen ist. Das ist doch unsere größte Stärke. Wenn überhaupt, dann ist hier das Instrument, mit dem wir auf die Sowjetunion einwirken können. Wie töricht, daß der Westen dieses Instrument bis jetzt nicht geschlossen und entschlossen genutzt hat!
Da kann man doch nicht von „Wirtschaftskrieg" reden. Es geht doch nicht um einen Wirtschaftskrieg. Wer will denn einen Wirtschaftskrieg? Am allerwenigsten wir von der CDU/CSU. Ich darf doch einmal in aller Zaghaftigkeit darauf hinweisen, daß der Osthandel unter Adenauer, unter einer CDU/ CSU-Regierung, begonnen wurde. Wir sind nicht dagegen, wir sind dafür - auf der Basis von Leistung und Gegenleistung.
({15})
Allerdings muß eines klar sein: Wer unsere Hilfe will, der muß durch sein Verhalten dazu beitragen, daß diese Hilfe im Kontext einer Friedensordnung, die diese Welt so dringend beansprucht und braucht, sinnvoll sein kann.
({16})
Und deswegen müssen wir der Sowjetunion deutlich machen, daß sich Kooperation für sie lohnt und Konfrontation für sie Nachteile bringt.
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Um nichts anderes geht es. Und darum hat der Kollege Mertes recht, wenn er immer und immer wieder fordert, daß sich der Westen nun auch im Bereich der Wirtschaft eine Strategie der flexiblen Reaktion zulegen müsse. Darum geht es.
({18})
Man kann auch nicht grundsätzlich sagen, Herr Bundesaußenminister, der Handel stabilisiere. Das kann er, ja; aber er muß es nicht. Im letzten Jahrzehnt haben wir mit dem Ostblock kräftig Handel getrieben. Im letzten Jahrzehnt hat der Ostblock über 80 Milliarden Dollar - das sind über 160 Milliarden DM - Hilfe aus dem Westen erhalten. Und jetzt frage ist Sie: Hat deswegen seine Aufrüstung nachgelassen? Hat deswegen seine Konfrontation
uns gegenüber nachgelassen? Hat deswegen seine Machtexpansion nachgelassen? ({19})
Deswegen kann man nicht so einfach sagen: Stabilisierung durch Handel. - Das kann sein; aber das muß nicht sein.
Vor allen Dingen eines muß denen drüben klar sein: Wenn sie sich nicht verantwortlich verhalten, dann kriegen sie eben weniger oder, wenn es sein muß, auch einmal gar nichts.
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Wären Sie nach diesem Prinzip mit der DDR umgegangen, dann hätten wir mit der DDR nicht einen Handelskrieg angefangen, sondern, garantiere ich Ihnen, wir hätten wahrscheinlich die Konzessionen, nach denen Sie jetzt noch vergeblich Ausschau halten.
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Eine Bemerkung kann ich mir auch nicht versagen, weil der Bundeskanzler den Herrn Trudeau zitiert hat. Ich hatte das schon hier gehört, er hatte es ja von diesem Pult aus gesagt. Es ist nicht die Zeit, mich ausführlich mit seiner These zu beschäftigen, aber eines lassen Sie mich eben doch feststellen: Es kann nicht Aufgabe des Steuerzahlers in der Bundesrepublik Deutschland sein, auch nicht Aufgabe der Arbeiter in der Bunderepublik Deutschland, schließlich und endlich mit ihren Steuergroschen die Folgen einer bankrotten kommunistischen Wirtschaftspolitik zu bezahlen.
({22})
Und wenn wir selbst von der Türkei, Herr Bundesaußenminister, mit Recht als Voraussetzung für Wirtschaftshilfe bestimmte wirtschaftliche Reformen erwarten, dann müssen wir das auch von den Ostblockstaaten erwarten. Sonst hieße das, Geld in einen Eimer ohne Boden zu schütten.
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Der Bundeskanzler hat dann den Eindruck zu erwecken versucht, als ob es zur Politik der Bundesregierung nur eine Alternative gebe - Konfrontation. Und das ist schlichtweg falsch, weil im Extrem diskutiert. - Ich sage noch einmal: Die Alternative zu der gegenwärtigen Politik heißt nicht Konfrontation, sie heißt nicht Wirtschaftskrieg, sie heißt nicht Kalter Krieg.
Unsere Politik, die Politik der CDU/CSU, die Politik aktiver Friedenssicherung gründet sich auf vier Pfeiler: einmal auf das aktive Eintreten für Freiheit und Menschenrechte, zum zweiten auf Kriegsverhinderung durch Abschreckung sowie auf die Erhaltung der Sicherheit durch Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit, zum dritten auf das leidenschaftliche Bemühen um wechselseitige und kontrollierte Rüstungsbegrenzung und Abrüstung. - Aber bitte, wirkliche Abrüstung! Einfrieren der Rüstungspotentiale ist uns nicht genug. Wir müssen herunter von den Rüstungspotentialen, und zwar kontrolliert und auf beiden Seiten. Viertens schließlich - ({24})
- Wenn Sie sich so aufregen, dann deswegen, weil Ihnen damit Ihre populäre, für Ihre Zwecke zurechtgeschneiderte These aus der Hand geschlagen wird, eine Regierung der CDU/CSU bedeute Kalten Krieg oder Konfrontation mit dem Osten. Ich kann nur sagen: Eine Regierung der CDU/CSU bedeutet konsequente Sicherung des Friedens und der Freiheit der Menschen in unserem Land, bedeutet Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, allerdings - im Unterschied zu Ihnen - auf der Basis von Leistung und Gegenleistung. Das und nichts anderes ist Politik der CDU/CSU.
({25})
Meine verbleibende Zeit möchte ich nutzen, um mich mit Herrn Bahr und seinem Begriff der Sicherheitspartnerschaft auseinanderzusetzen. Es ist dies an sich ein faszinierender Gedanke; da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es ist eine Zielvorstellung. Ich kann nur sagen: Wer hätte etwas dagegen, wenn sich Ost und West als Partner der Sicherheit verstehen würden?
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- Ja, es ist eine Zielvorstellung.
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Ich sage noch einmal: Es wäre schön, wenn es dahin kommen könnte.
Sicher muß man etwas dafür tun. Man muß darüber reden, was man dafür tun muß. Nur ist es mit dieser Formel so wie mit allen Formeln von Herrn Bahr. Sie hat vor allen Dingen zwei Gefahren in sich. Sie schafft Verwirrung. Wenn Sie im Augenblick das Verhältnis zu den USA, zu unseren Bündnispartnern mit Sicherheitspartnerschaft umschreiben und das Verhältnis zur Sowjetunion ebenfalls mit Sicherheitspartnerschaft umschreiben, dann wecken Sie draußen eben die Vorstellung von jener Gleichsetzung, gegen die wir von der CDU/CSU so sehr angehen. Der Unterschied ist ganz simpel: Die USA schützen unsere Freiheit, und die Sowjetunion bedroht sie.
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Darum können wir nicht jetzt Sicherheitspartnerschaft mit beiden praktizieren. Um das gleich vorwegzunehmen: Das liegt nicht an uns.
Der Bundeskanzler hat von dem Unmut der Menschen geredet. Ich verstehe den Unmut. Ich war bei jener Demonstration zugegen. Ich habe bis morgens um drei Uhr mit den jungen Leuten auf der Straße hier in Bonn diskutiert und bei ihnen viel Ungeduld festgestellt. Verständlicherweise richtet sich diese Ungeduld gegen uns, die demokratischen Politiker. Wenn allerdings der Bundeskanzler der BundesreDr. Wörner
publik Deutschland dies so aufnimmt, wie er es getan hat, dann bestärkt er diese jungen Menschen in ihren Illusionen und ihren Irrungen. Denn es liegt nicht an uns, den demokratischen Politikern, wenn es noch nicht zur Abrüstung gekommen ist. Da müssen sie sich schon an die wenden, die bis zum heutigen Tag jeder kontrollierten gegenseitigen Abrüstung im Wege stehen und die militärische Gewalt anwenden, während wir auf sie verzichtet haben. An deren Adresse muß der Vorwurf gehen.
({29})
Auch die Formel „Wandel durch Annäherung" beinhaltet eine Zielvorstellung, der man als solcher wahrscheinlich kaum widersprechen kann. aber sie erweckt bei den Menschen draußen den Eindruck, es wäre schon soweit. Wenn Sie auch von Sicherheitspartnerschaft so reden, als gäbe es sie schon - Herr Bahr sagt ja schon heute, damit müsse man das Konzept der Abschreckung ersetzen -, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wieder einmal die Bereitschaft insonderheit bei jungen Menschen nachläßt, in der Bundeswehr zu dienen und damit ihren Beitrag zur Kriegsverhinderung durch Abschreckung zu leisten. Das wird die Konsequenz sein.
({30})
Daß wir den Nuklearkrieg verhindern wollen, daß wir mehr wollen, nämlich daß wir jeden Krieg verhindern wollen, hat Herr Genscher, glaube ich, so eindeutig und, wie ich sagen möchte, so gut formuliert, daß man dem nichts hinzuzufügen braucht.
Ich möchte mich abschließend mit dem Vorschlag der Schaffung atomwaffenfreier Zonen beschäftigen. Alle Vorschläge für atomwaffenfreie Zonen in Europa, auch der Vorschlag von Palme und seiner Kommission, sind nicht geeignet, die Schrecken eines Atomkrieges zu vermindern oder gar zu bannen.
Außerdem haben sie alle eine Schwäche: Sie machen den konventionellen Krieg wahrscheinlicher und bringen daher nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.
({31})
Glauben Sie, die Amerikaner hätten die Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki geworfen, wenn sie gewußt hätten, daß die Japaner auch eine Atombombe haben und diese dann vielleicht auf San Francisco, New York oder Washington werfen?
Das heißt, atomwaffenfreie Zonen sind keine Garantie dafür, daß Atomwaffen in diesen Zonen nicht eingesetzt werden. Im Gegenteil, sie sind geradezu eine Prämie, wenn es zu einem Konflikt kommt, dort Nuklearwaffen einzusetzen. Deswegen gibt es, wenn man mehr Sicherheit will, nur den einen Weg, und den müssen wir konsequent weiter beschreiten: beiderseitige Abrüstung auf allen Ebenen - nuklear und konventionell - zu einer gleichen Sicherheit auf möglichst niedrigem Niveau.
Das ist das Ziel, dem auch wir von der CDU/CSU uns verschrieben haben. Daran gibt es nichts zu rütteln. Wir sind es, die die Abrüstungspositionen des
Westens am geschlossensten auch in diesem Hause vertreten.
({32})
Ich füge noch hinzu: Es genügt allerdings nicht, nur an den äußeren Dingen etwas zu ändern. Meine herzliche Bitte an die Bundesregierung lautet: Reden Sie weniger von der Angst. Machen Sie den Menschen in unserem Land endlich mehr Mut durch eine konsequente Politik.
Wenn Adenauer so viel über Angst philosophiert hätte, wäre dieser Staat nicht mehr friedlich und nicht mehr frei. Deswegen kann ich nur sagen: Nicht durch das Reden über Angst, sondern durch das Betreiben einer Politik, die den Menschen die Angst nimmt, erwachsen mehr Sicherheit und Stabilität für die Bundesrepublik Deutschland.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Wörner nun so einseitig den Scheinwerfer der Betrachtung nach Osten gerichtet hat, möchte ich den Scheinwerfer etwas auf diese Seite des Globus und auf uns zurück-schwenken. Seit der von der „New York Times" treffend so bezeichneten „geschickten Theaterinszenierung" des Reagan-Besuchs sind knapp zwei Wochen vergangen. In diesem Spektakel spielte das Bühnenbild mit der Jubelfeier in diesem Hause keine geringe Rolle. 21mal Applaus aller Fraktionen hat US- Außenminister Haig zur späteren innenpolitischen Wahlkampfverwendung genüßlich registriert.
({0})
Gefeiert wurde der Wandel des Herrn Reagan vom Saulus zum Paulus. Die geflissentliche Anbiederung bundesrepublikanischer Volksverteter wurde dabei nur noch von den liebedienerischen Hofschranzen der Medien übertroffen.
({1})
Nur weil sich Herr Reagan auf Anraten seiner Public-Relations-Berater vorübergehend seiner gewohnt kriegerischen Sprache enthielt, weil er nicht mehr in unbefangener Offenheit die Führer der Sowjetunion als „gottlose Betrüger" und „Terroristen" anredete, wurde er über Nacht zum Friedenskämpfer hochstilisiert.
Nur weil der Bundeskanzler vorübergehend in der Friedensbewegung nicht mehr „zwielichtige Gestalten" ausmacht, die uns dem Krieg näherbringen, wenn sich ihre Forderungen durchsetzen, wird er zum Freund der Friedensbewegung ernannt.
Man tut ihm damit aber Unrecht; denn der Bundeskanzler hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß er in Verteidigungsfragen seine Politik des vorauseilenden Gehorsams im Dienst der USA um kei6630
nen Deut ändern, sie bestenfalls psychologisch geschickter verkaufen will.
({2})
- Es ist schon makaber zu sehen, Herr Mertes, wie dieselben neunmalklugen Realpolitiker, die uns anderthalb Jahre lang angesichts der kriegerischen Töne von jenseits des Ozeans davor gewarnt haben, Worte mit konkreter Politik zu verwechseln, uns heute plötzlich bloß gefällige Reden schon als Realpolitik verkaufen wollen. Das ist interessant.
Es ist ja wohl so: Wer zum Jubeln entschlossen ist, kann nicht mehr hinhören, und wer nicht hören will, muß fühlen. Denn wenn Sie genau hingehört hätten, was Herr Reagan in London erzählt hat und was er Ihnen hier von der Plexiglasscheibe vorgelesen hat, wären Sie heute nicht von dieser großen Betroffenheit von der ich überall lese, oder von der Besorgnis und dem Bedauern, wie sie heute in der Regierungserklärung zu hören waren, übermannt. Dann hätten Sie gemerkt, daß sich hinter den Dichterworten, hinter „geistig-kultureller Gemeinsamkeit" und hinter den mißglückten Metaphern - wie etwa der des unversehrten Kölner Doms in der völlig zertrümmerten Stadt Köln - die unveränderten Eckwerte Reaganscher Außenpolitik unmißverständlich wiederholt haben, nämlich daß erstens die Sowjetunion dem Westen militärisch überlegen ist - das ist ja auch Ihre Meinung - und diese Überlegenheit ständig ausbaut; daß zweitens die USA und die NATO auch weiterhin auf Kosten der sozialen Sicherung ihrer Bürger verstärkt aufrüsten müssen; daß drittens mit der Sowjetunion überhaupt nur nach „wiedergewonnener" militärischer Überlegenheit zielgerichtet verhandelt werden kann, also erst dann, wenn die USA das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte verwirklicht haben; daß sich viertens die Sowjetunion jeglicher Aktivität außerhalb ihrer Grenzen zu enthalten habe, wenn es überhaupt zu Verhandlungsergebnissen kommen soll - dies ist eine Wohlverhaltensbedingung, die auch von unserem Außenminister seit den NATO-Ministerratstagungen in Rom im Mai 1981 und in Brüssel im Dezember 1981 ständig propagiert wird.
Vor allem aber müßte fünftens - das scheint mir das Wichtigste zu sein - verstärkt ein ökonomischer und technologischer Krieg des auf diesen Gebieten überlegenen Westens gegen den Osten geführt werden; denn der Handelskrieg muß ja nicht erst beginnen, er ist schon längst im Gange.
Sie alle haben diese Ankündigungen j a beklatscht. Aber heute, zwei Wochen später, hat Sie der Katzenjammer gepackt, weil einigen aufzugehen scheint, wie wörtlich es Herr Reagan meinte, als er in diesem Haus sagte:
Die Küsten Europas sind unsere Küsten.
({3})
Die Grenzen Europas sind unsere Grenzen.
Hier konnte sich auch Herr Ministerpräsident Rau vor Begeisterung nicht lassen. Heute ist er empört. Jetzt kritisiert auch Herr Biedenkopf die Entscheidung der US-Regierung, das Embargo im ErdgasRöhren-Geschäft auch auf deutsche Tochterfirmen auszudehnen. Er sagt, es gehe nicht an, daß die US- Regierung ihre Souveränität auf diese Weise auf die Bundesrepublik ausdehne. Endlich scheint es nämlich auch einigen von Ihnen zu dämmern, daß die US-Regierung die Bundesrepublik als besetztes Land betrachtet und auch so behandelt.
Verständnis für diese Politik scheinen, wenn ich richtig hingehört habe, heute nur Herr Kollege Stauffenberg und Herr Wörner zu haben.
Die EG, der BDI, Graf Lambsdorff, das Management und die Betriebsräte von Krupp, Mannesmann und AEG, die Bundesregierung sind sich doch heute darin einig, daß diese Strafaktion, daß der Handelskrieg der USA mit der Absicht des Todrüstens der Sowjetunion völkerrechtswidrig sind - so habe ich es gehört -, daß diese Maßnahmen die deutsche Wirtschaft schädigen, Tausende auf Jahre für sicher gehaltene Arbeitsplätze gefährden, also schon jetzt unannehmbare Opfer von der Zivilbevölkerung fordern. Ich kann verstehen, daß kein Arbeiter im Ruhrgebiet seinen Arbeitsplatz verlieren will, nur weil sich Herr Reagan innenpolitisch profilieren möchte.
Trotzdem reagieren die Japaner immer noch radikaler, selbstbewußter und souveräner als die auf bedingungslose Integration in die „westliche Partei" so stolze Bundesregierung, die, wie ich heute morgen gehört habe, darüber irgendwann einmal mit den Amerikanern sprechen will.
Jetzt stehen alle, die sich so enthusiastisch an dem großangelegten Täuschungsmanöver des Wahlkämpfers Reagan aktiv oder passiv beteiligt haben, als betrogene Betrüger da. Im Klartext: Was zwischen Versailles und Embargo-Verschärfung passiert ist, ist doch - mit einem klaren deutschen Wort ausgedrückt - Betrug, ist das Hintergehen eines Bündnispartners. Der „Stern" hat einen Teil dieses Dilemmas vorige Woche so zusammengefaßt:
Fünf Tage lang haben die CDU, die NATO, die Friedensbewegung und der amerikanische Präsident ihren Willen bekundet, den dritten Weltkrieg zu verhindern. In diesen fünf Tagen starben 190 000 Kinder weltweit an den Folgen des Hungers. In diesen fünf Tagen wurden für 18 Milliarden Mark Waffen hergestellt und Rüstungsgüter ... begann Israel den fünften Nahostkrieg, tobte eine Luftschlacht über dem Libanon, starben 110 Menschen in El Salvador und eine unbekannte Zahl von Menschen auf den Falklands, in Afghanistan, in Guatemala, auf den Philippinen, im Tschad, in Kambodscha und im Irak.
Der dritte Weltkrieg hat längst begonnen, an dem Tag, als der Zweite aufhörte.
({4})
Für mich wird es Zeit, daß der Bundeskanzler Klarheit über das aktuelle Verhältnis der Bundesregierung zu den USA schafft, besonders nach seinem letzten Interview in „Newsweek". Ist denn nun die Sowjetunion militärisch überlegen, oder ist sie es
nicht? Glaubt das der Präsident der USA wirklich, oder ist es nur ein Vorwand für weitere Aufrüstung? Glaubt dies der Bundeskanzler selbst, oder dient ein solches Bedrohungsszenario lediglich der leichteren Durchsetzung weiterer Zugeständnisse an die Aufrüstungspolitik der USA? Und - das fragen sich ja viele Menschen heute in der Bundesrepublik - wieweit ist eigentlich die Souveränität der Bundesrepublik durch weiterhin verlängertes Besatzungsrecht der USA und anderer Alliierten eingeschränkt?
({5})
- Die „Basler Zeitung", Herr Mertes - und das ist kein linksverdächtiges Blatt -, sieht die Bundesregierung - so wörtlich - „politisch durch den Meinungsumschwung des Präsidenten der befreundeten Supermacht behandelt wie eine Bananenrepublik". Das gleiche hat auch die „Welt der Arbeit" heute geschrieben. Ich muß sagen, diese allgemeine Ernüchterung angesichts der US-amerikanischen Eskalation im technologischen und ökonomischen Krieg gegen die Sowjetunion macht ja Nachdenken möglich, und zwar Nachdenken über politische Alternativen zur doktrinär verfestigten Sicherheitspolitik, auf die sich offenbar hier alle etablierten Parteien geeinigt haben. Vielleicht besteht jetzt mehr Aussicht für die Verbreitung der Einsicht, daß nur eine weltweite wirtschaftliche, industrielle, kommerzielle Zusammenarbeit zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, auch in fairer Partnerschaft, diesen Globus davor bewahren kann, sich entweder allmählich zu vergiften und damit unbewohnbar zu werden oder schon vorher in die Luft gesprengt zu werden. Das heißt, daß eben nicht Konfrontation, sondern nur Kooperation gemeinsame Sicherheit, wie das Herr Kollege Bahr richtig sagt, und Hoffnung auf Überleben stifen kann.
({6})
Das Gas-Röhren-Geschäft - darin gehe ich dieses Mal mit Rodenstock und anderen einig - ist ein erster winziger Schritt in die richtige Richtung. Es ist richtig, daran festzuhalten. Aber im Gegensatz zum Bundeskanzler meine ich, daß weitere Schritte auch kalkulierte einseitige Vorleistungen beinhalten müssen, wie sie heute selbst „Pax Christi" fordert, Herr Kollege Klein; lesen Sie das einmal nach.
({7})
In dieser Erkenntnis waren wir vor Jahren schon einmal weiter, weiter als heute der Bundeskanzler und viele von Ihnen. Denn am 24. Mai 1978 hat der ehemalige Staatssekretär im Bundespräsidialamt, Paul Frank, vor der Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft beispielsweise folgendes ausgeführt:
Kompromiß und Vorleistung müssen zur Grundhaltung der Diplomatie werden. Wenn die militärische Gefährdung der Industriestaaten in Ost und West so groß ist, wie wir meinen, so gewinnen Begriffe wie Kompromiß und Vorleistung im diplomatischen Handeln ein völlig neues Gewicht, j a eine neue Qualität .. .
Der Begriff Vorleistung unterliegt immer noch der abwertenden, geradezu diffamierenden Qualifizierung.
- Diese haben Sie übrigens während der Debatte über die Entspannungspolitik Anfang der 70er Jahre eingeführt, wie ich hinzufüge. Aber vor allem die Großmächte sollten sich mit der Vorleistung als einem diplomatischen Mittel unter bestimmten Umständen befreunden.
({8})
So zum Beispiel in der Abrüstung ...
Es wäre erfolgversprechend, die Großmächte würden bei jenen Waffensystemen, in denen sie überlegen sind, einseitige Reduzierung vornehmen. Freilich in der klar formulierten und präzise befristeten Erwartung, daß die jeweils andere Großmacht dort Schritte folgen läßt, wo sie überlegen ist ... Eine solche Politik des gegenseitigen Beispiels ist natürlich mit Risiken verbunden. Diese sind aber gering im Vergleich zu den Risiken, die mit der entlosen Fortsetzung der Rüstungseskalation verbunden sind.
Das sagte Frank schon 1978.
Ich muß den Kollegen Bahr daran erinnern, daß er sich diesen Gedanken damals ausdrücklich angeschlossen hat, als er im „Vorwärts" 1978 schrieb:
Ich finde, diese Überlegungen stimmen mit den Erfordernissen unserer Zeit, den Interessen unseres Landes, den Anregungen des Bundeskanzlers, den Traditionen unserer Partei überein.
Willy Brandt hatte ja früher - 1976 - auch schon einmal in dieser Richtung Schritte unternommen, als er hier im Hause symbolische Truppenreduzierungen vorschlug, um Bewegung in die MBFR-Gespräche zu bringen. Allerdings hat er damals vorzeitig, nämlich zurückweichend vor der hysterischen Reaktion der Rechten hier im Hause, auf die Weiterverfolgung dieses Gedankens verzichtet. Die Sowjetunion hat in diesen Tagen, wie der Kollege Bahr auch richtig gesagt hat, eine Vorleistung erbracht, als sie in der UNO ihren verbindlichen Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen erklärte. Eine angemessene und vernünftige Reaktion des Westens darauf hat es bisher nicht gegeben. Das meine ich auch im Gegensatz zu dem Kollegen Ronneburger, der alte Papiere zitiert hat. Statt dessen will die Supermacht des Westens die Aufgabe amerikanischer Politik offensichtlich weiterhin so verstehen, wie sie der US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger in einem „Spiegel"-Interview im Herbst 1981 gekennzeichnet hat, nämlich sicherzustellen, „daß dieses sowjetische Imperium, wenn es denn auf Grund seiner eigenen Widersprüche zusammenbricht, das mit einem Winseln tut und nicht mit einem großen Knall." - Das ist wohl einer von den unausgeglichenen Aussprüchen, von denen der Kollege Ehmke gesprochen hat.
Statt dessen verschärft der US-Präsident die Handelssanktionen gegen die Sowjetunion, verhängt
Strafzölle auf Stahlimporte aus Westeuropa, Südafrika und Brasilien und will darüber hinaus in dieser Woche noch seine Ankündigung wahrmachen, einen Exportkreditkrieg anzuzetteln, wenn sich die OECD nicht zu einem Kodex nach amerikanischen Vorstellungen bereit findet. Auch die rigorose Hochzinspolitik, die den Dollar inzwischen wieder auf 2,50 DM hochgetrieben hat, gehört in diese Kette von Knebelungen, die eine deutsche Zeitung erst vorgestern völlig zu Recht als „blanken Imperialismus" bezeichnet hat.
Mit schönen fruchtlosen Reden über Abrüstung und Rüstungskontrolle vor der UNO ist es nicht mehr getan. Die Bundesregierung muß sich entscheiden, ob sie in der Politik zur Erhaltung des Friedens, dem einzigen Feld, das ihre Existenz noch rechtfertigt, von ihrer gescheiterten, US-abhängigen „Sicherheitspolitik" abrücken will und bereit ist, neue, zukunftsgerichtete Initiativen für eine europäische Alternative zu ergreifen, etwa in Richtung einer atomwaffenfreien Zone; aber dann nicht so, wie ich heute aus der Debatte mitbekommen habe, daß Sie alle einen Schwenk zu „Konventionalisten" hin machen wollen, um dem nuklearen Dilemma zu entgehen, womöglich schon als erste Stufe einer neuen konventionellen Aufrüstung. Das scheint mir nicht der richtige Weg zu sein.
Ich schließe damit, daß ich frage: Soll denn weiterhin für viele in diesem Hause das Wort des Satirikers Lea gelten: „Unter Blinden wird auch der Einäugige blind"?
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß es dankbar zu schätzen, daß ich jetzt durch die Generosität des Kollegen Mertes, der mir den Vortritt gelassen hat, das Vergnügen habe zu sprechen. So komme ich in die Lage, nach dem Kollegen Hansen zu sprechen. Herr Kollege, ich glaube, mit der Trillerpfeife können Sie sich besser artikulieren.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe die Absicht, kritisch mit der Regierung und zu konkreten Punkten, gestützt auf Fakten, hier zu sprechen.
({1})
- Ganz konkret, Herr Kollege Ehmke, nicht so professoral weitschweifig und auch nicht so polemisch wie Sie, es sei denn, Sie wollen es gerne haben.
({2})
- Das können Sie immer haben.
Erster Punkt. Unser Vorsitzender hat heute morgen in gehöriger Form den Bundeskanzler und den Parteivorsitzenden der SPD gebeten, sich von diesem Hamburger Aufruf, den ich hier nicht wiederholen möchte, zu distanzieren. Die beiden Herren haben das nicht getan. Sie haben im Gegenteil diesen Kurs hier, wenn auch etwas vornehmer, fortgesetzt. Der Kanzler hat gesagt, die Verträge seien nur in den Händen derer richtig, die sie auch im Herzen gewollt haben.
({3})
- „Sehr wahr", Herr Ehmke; es kommt gleich die Antwort. - Der frühere Bundeskanzler und Parteivorsitzende hat ähnliches gesagt. Mich stört dieser Aufruf von Hamburg gar nicht mehr. Ich war gerade in Hamburg, als er ausgeteilt wurde. Meine Freunde waren etwas erregt. Ich sagte: Das nehmen wir sofort auf. Zu den Wählern habe ich gesagt: Guckt euch dies alle genau an, vor allem ihr, die ihr uns noch nicht gewählt habt. Dies ist so unwahr und unhanseatisch; schon deshalb werden die nicht gewählt. - Machen Sie es in Hessen von mir aus noch einmal. Dann schmeißen Sie gleich das Geld zum Fenster hinaus. Uns stört das nicht mehr. Dies glaubt keine Katze in Deutschland, meine Damen und meine Herren.
({4}) Außerdem ist es hochgradig albern.
Wissen Sie, es gab eine Zeit, da haben Sozialdemokraten in öffentlichen Kolloquien und in Podiumsdiskussionen immer dann, wenn sie nicht weiter wußten, gesagt: Aber die CSU hat doch gegen das Grundgesetz gestimmt! Dann hat man eben regelmäßig geantwortet, daß erstens damals die Formel ganz anders lautete und daß zweitens doch niemand den Beitrag Bayerns zur soliden Bundesrepublik Deutschland bestreiten könne.
Und dann gab es in meiner Partei ein paar alberne Freunde, die in bestimmten Diskussionen immer gesagt haben: Aber die von der SPD haben doch gegen die NATO gestimmt. Dann habe ich gesagt: Das ist alles wahr, aber es ist albern, sich darauf zu stützen, denn die sitzen jetzt schon viel zu lange in der Regierung und sind doch aus der NATO nicht herausgegangen. Sie benutzen das als Instrument.
Genauso albern ist es, uns vorzuhalten, daß wir gegen eine Politik gekämpft haben, die gegen uns rechtswirksam zustande gekommen ist. Wir werden das gleichwohl als Instrumente benutzen, und es ist doch einfach albern und unter Niveau, solche Geschichten hier überhaupt noch anzubringen, meine Damen und Herren.
({5})
Der Kollege Brandt hat mich wegen des verschärften US-Embargos angeguckt; die Kollegen Stauffenberg und Wörner haben dazu gesprochen. Ich kann es mir deshalb schenken, darauf weiter einzugehen. Ich möchte nur zwei Sätze dazu sagen, und zwar wegen der Ausführungen des Kollegen Schäfer, den ich leider nicht mehr sehe und der uns auch „angezapft" hat.
Ich wünsche in alle Himmelsrichtungen mit aller Deutlichkeit zu sagen: Die Bundesrepublik Deutschland wird allein von der Bundesregierung regiert, deren Kanzler von diesem Bundestag gewählt wird.
Es ist nicht akzeptabel, es dieser Bundesregierung zu erschweren, vertragstreu zu sein.
Wenn dann auf Versailles Bezug genommen wird - dieser Hinweis zieht natürlich nicht. Genauso unakzeptabel ist der Hinweis auf die Völkerrechtswidrigkeit, das Öl-ins-Feuer-Gießen durch den Regierungssprecher. Hier spricht man von Völkerrechtsverletzungen und will vor den Gerichtshof gehen. Wie schwierig war es, dieser Regierung auch nur einen Satz darüber zu entlocken, daß unser eigener Vertrag mit Moskau über Gewaltverzicht wegen des Einbruchs in Afghanistan gebrochen worden war.
({6})
Was Versailles angeht, meine Damen und Herren, so kann ich doch eine Bemerkung nicht unterdrükken. Wenn man sich einmal die Mühe macht festzustellen - nur an Hand der Veröffentlichungen des Bundespresseamtes; mehr braucht man dazu gar nicht -, was das eigentlich für eine Konferenz war, und sich dann einmal ansieht, wie diese Konferenz in den sieben verschiedenen Ländern innenpolitisch verkauft worden ist, kommt man zu dem Ergebnis, daß es sieben verschiedene Konferenzen gewesen sein müssen, die nur den Vorteil hatten, am selben Ort stattzufinden.
({7})
Wenn man sich dann sagt: Das kann doch gar nicht sein; guck doch einmal in die Papiere, vielleicht hast du dir das beim erstenmal nicht genau genug angesehen - die Papiere erlauben alles! Die Papiere erlauben das, was die USA machen; die Papiere erlauben auch einen hohen Milliarden-Kredit von deutscher oder anderer Seite. Das ist Gummi. Ich möchte deshalb - nur aus persönlicher Sicht und nicht für meine Fraktion - sagen: Wenn schon solche Veranstaltungen stattfinden, dann sollten sie vielleicht eine Nummer kleiner und etwas seltener sein. Wenn sich statt dessen vielleicht die Bankgouverneure etwas häufiger treffen würden, vielleicht auch die Finanzminister und die Verteidigungsminister, dann läge das möglicherweise im gemeinsamen Interesse.
({8})
Billiger wäre es bestimmt, meine Damen und Herren, und vielleicht auch ertragreicher.
Auf den dritten Punkt einzugehen, Herr Kollege Bahr, kann ich mir eigentlich schenken, weil Herr Wörner dazu gesprochen hat. Aber ich wende mich einmal an den Außenminister, sofern er die Güte hat, mit eine halbe Sekunde lang seine Aufmerksamkeit zu schenken.
In Ihrer Koalition, verehrter Herr Außenminister, werden Sie sich um die Frage der atomwaffenfreien Zone kümmern müssen. Sie haben sie in der Antwort auf unsere Große Anfrage - darüber spreche ich heute nicht - mit bemerkenswerter Klarheit abgelehnt. Sie haben das gut begründet. Es kommt nämlich nicht darauf an, daß hier keine Atomwaffen stehen, sondern darauf, daß keine in dieses Gebiet fallen. Das ist in dieser Antwort alles klar nachzulesen, meine Damen und Herren. Die Kollegen Bahr und Möllemann sehen das jedoch anders. Sie werden Aufklärungsarbeit diesseits der Koalitionsgrenze zu leisten haben. Der Präsident Reagan hat das hier neulich anders gemeint; aber ich glaube, so ist das wohl zu verstehen.
({9})
Herr Kollege Bahr, wir haben früher einmal - - Er ist auch nicht hier; das sind Debatten, das sind Debatten!
({10})
- Das finde ich gut. Sie nehmen also entgegen, was ich ihm zu sagen habe? Bahr und Ehmke noch enger aneinander? Das ist gut.
({11})
Meine Damen und Herren, der Kollege Bahr hat hier dargetan, es gehe nicht um Sicherheit voreinander, sondern um Sicherheit miteinander. Nur das könne es geben. Das ist nicht wahr. Als Wunsch ist das zu begrüßen; Kollege Wörner hat das ausgeführt. Wer will das nicht? Ich will es, wir wollen es, jeder will es. Kollege Wörner hat das ausgezeichnet dargestellt. Nur, die Realität ist anders. Die paar Hunderttausend dort drüben in Beuel haben die Sicherheit gehabt, zu demonstrieren, in Freiheit ihre Meinung zu sagen. Diese Sicherheit war aber nicht dadurch gewährleistet, daß es einen Vertrag darüber gegeben hätte - es gibt nämlich keinen derartigen Vertrag -, sondern weil die Abschreckung glaubhaft funktioniert hat. Deshalb müssen wir schon die Abschreckung wählen, bevor wir das andere vielleicht erreichen.
({12})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich nun wenigen Gedanken, die heute vorzutragen ich die Absicht hatte, zuwenden, weil hier heute früh und auch durch den Bundesaußenminister mit Blick auf die Lage der Koalition - das kann jeder verstehen
- ein bißchen versucht worden ist zu bilanzieren. Aus meiner Sicht ist die Bilanz eine andere.
Die erste unerläßliche Voraussetzung gerade für deutsche Außenpolitik ist Verläßlichkeit. Dazu gehört die Treue zum einmal gegebenen Wort. Herr Bundeskanzler - er ist nicht da -, Herr Bundesaußenminister, ich muß Ihnen vorwerfen, daß die Bundesregierung den mühsam wiederhergestellten Ruf der Zuverlässigkeit, der Beständigkeit und der Berechenbarkeit des deutschen Wortes nachhaltig geschädigt hat.
({13})
Ich will dies in drei Punkten belegen, weil ich hier nichts sage, ohne es zu beweisen.
Erstens. Die Bundesregierung hat sich noch vor der letzten Bundestagswahl dazu durchgerungen, dem Bau und dem Export eines deutschen U-Bootes für Chile zuzustimmen. Damals machte sich der Koalitionspartner FDP sehr stark: Das gegebene Wort wird eingehalten. So war es - nicht nur auf den Gängen, sondern auch in den Beratungsstuben
- zu hören. Dann gab es Widerstand von der anderen, der sozialistischen Seite, aus dem Ja wurde ein
Vielleicht, aus dem Vielleicht wurde ein Nein. Meine Damen und Herren, wer soll sich da in Zukunft in solchen Fragen überhaupt noch an uns wenden? Machen Sie das einmal im Geschäftsleben, machen Sie das einmal in Ihrem Wahlkreis! Von zu Hause will ich hier gar nicht reden.
({14})
Zweitens. Bei den Saudis hat man Erwartungen bezüglich der Lieferung eines deutschen Panzers entstehen lassen. Ich will mich dazu in der Sache gar nicht äußern, aber man hat die Erwartungen entstehen lassen. Ich erinnere mich noch daran, wie der Bundeskanzler im vorigen Frühjahr mit großem Getöse hinfuhr und mit noch größerem Getöse zurückkam: gigantische Geschäfte, neue, beste Freunde! Die Realität heißt: Seit einem Jahr ist der Sitz des saudischen Botschafters hier verwaist, und dies nicht deshalb, weil die keinen Prinzen hätten, der gern hier leben würde. Das ist eine politische Demonstration. Die Situation wird sich bald verändern, aber das geht jetzt über ein Jahr! Und die Israelis? Wir haben uns da zwischen die Stühle gesetzt. Über den Libanon brauche ich nicht zu sprechen; dazu ist das gesagt worden, was notwendig ist.
Das dritte in bezug auf das „Wort halten" ist nun eigentlich noch schlimmer. Da haben der Kanzler und der französische Präsident in aller Form beschlossen und verkündet: Wir bauen einen deutschfranzösischen Panzer. Als jemand, der in diesem Hause, und nicht erst seit gestern, tätig ist und der hier die Türen und auch die Klinken kennt, muß ich wirklich sagen, ich hab eine nachhaltige, energische Bemühung der Bundesregierung, dieses Ja in ein Ja der Mehrheit umzusetzen, hier nicht zu erkennen vermocht, um es sehr vorsichtig zu sagen.
({15})
- Bitte? Es ist doch nicht zum Ja gekommen. Der Kanzler hat es versprochen, und es gilt nicht. Ein Nein ist die Realität!
({16})
Wie fühlt man sich als Bundesaußenminister in einer solchen Situation, in der Situation, zwischen zwei Wahrheiten jonglieren zu müssen, Herr Kollege Genscher? Sicherlich nicht sehr angenehm.
({17})
- Meine Damen und Herren, „nicht sehr angenehm" ist doch höflich. Das kann man anders darstellen!
Meine Damen und Herren, zur Bilanz: Nicht wir von der Opposition, sondern der Bundeskanzler selbst erklärte Anfang März nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 4. März, die außenpolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland sei „prekärer" geworden. Ich verzichte darauf, dieses Wort zu übersetzen. Ich frage den Bundeskanzler: Was ist verantwortungsloser, so die Angst schürend daherzureden oder die Verantwortung dafür zu haben, daß eine solche Situation entstanden ist oder nicht verhindert worden ist? Ich fürchte, es passen Ihnen beide Schuhe.
Im Westen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, fragte man sich - und tut es nun wieder -: Was ist mit den Deutschen los? Ich werde darauf zu sprechen kommen, Herr Kollege Ehmke, aber erst möchte ich mich, weil wir gefragt worden sind, wie wir es mit dem NATO-Kommuniqué halten, diesem Punkt zuwenden. Wir finden es gut - zwar gibt es darin Doppeldeutigkeiten, wie Trudeau gesagt hat, aber nicht alles kann man der Bundesregierung anlasten; nur das was sie trifft -, allerdings mit einer Ausnahme, und die betrifft die Bundesregierung. Es geht um folgenden Satz, dem wir - schon der Wahrheit wegen - auf gar keinen Fall zustimmen können:
Der fortgesetzte Erfolg der Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, ist für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung.
Der fortgesetzte Erfolg! So steht es im „Bulletin" vom 15. Juni.
Zwei Tage später: im „Bulletin" eine Rede des zuständigen Bundesministers Franke vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland, also vor Leuten, die davon etwas verstehen. Ich zitiere wieder nur einen Satz:
Wenn es richtig ist, daß wir in den siebziger Jahren Fortschritte in Richtung Normalisierung gemacht haben, dann kann von weiteren Fortschritten so lange nicht gesprochen werden, wie der Reise- und Besuchsverkehr nicht wieder steigt.
Zwei Wahrheiten, für jeden eine, meine Damen und Herren.
({18})
Ich frage Sie: Was hat denn die Bundesregierung, um sich dieses Lobes erfreuen zu können, mit den Hunderten Millionen D-Mark für die Autobahn Hamburg-Berlin erreicht? Ist irgend etwas in Sachen Freizügigkeit und Menschlichkeit hin und her verbessert worden?
({19})
Ich frage Sie: Was haben Sie erreicht mit der praktischen Fortgewährung des Swing für 1982 und 1983?
({20})
- Fragen Sie mal die Berliner! Ich weiß, was die Berliner denken. Lieber, verehrter Kollege, dies ist umsonst. Die DDR war nie in einer Lage wie in dieser. Wenn wir den Kredit jetzt gesenkt hätten, wenigstens jetzt gleich auf 600 Millionen - ich bin ja gar nicht maßlos in dieser Frage -, dann wäre die Kreditwürdigkeit der DDR, der das Wasser doch am Halse steht wie den Polen, in der ganzen Welt bestritten worden. Niemals hatten wir eine so starke Verhandlungsposition, und niemals haben wir weniger als ein Bonbon von Güstrow dafür bekommen.
({21})
Hier ist doch etwas zu fragen. Hier wird doch irgend
etwas verborgen. Warum kriegen wir eine Statistik
über den Handelsverkehr zwischen den beiden deutDr. Barzel
schen Staaten, und warum verweigert man uns, obwohl der Bundesbank die Daten vorliegen, die Veröffentlichung der Statistik über die Leistungs- und die Zahlungsbilanz? Was wird uns da verweigert? Das würde ich doch gerne einmal wissen, verehrte Damen und Herren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Entschuldigen Sie, ich hatte Sie so links außen heute nicht eingeordnet.
({0})
Ich darf zwei Fragen stellen. Die eine: Ist Ihnen bekannt, daß das mit dem Sofort-auf600-Gehen relativ gegenstandslos ist, weil über diese Summe hinaus der Swing durchschnittlich gar nicht in Anspruch genommen worden ist?
Zweitens. Herr Kollege Barzel, selbst unter Berücksichtigung der sicher vorhandenen Enttäuschung im deutsch-deutschen Verhältnis, sind Sie wirklich der Meinung, wenn Sie auf Ihre eigenen Erfolge, als Sie über dieses Ressort verfügt haben, zurücksehen, daß es so schlecht ist, was in Zeiten der sozialliberalen Koalition im deutsch-deutschen Verhältnis erreicht worden ist?
Herr Kollege Ehmke, ich bin nicht rechthaberisch genug, über meine eigene Amtszeit zu votieren. Das machen andere, und da brauche ich mich nicht zu verstecken.
({0})
Was die Bundesbank und die 600 Millionen betrifft, so frage ich zurück, Herr Kollege Ehmke: Warum hat eigentlich die Bundesbank, als sie Ihnen diese merkwürdige Überweisung aus dem Bankgewinn zum Ausgleich des Haushalts machte, 731 Millionen Komma sowieso abgezogen? Das war nämlich dieser Betrag, den sie für ungewiß und politisch strittig hielt. Das ist etwas über 600. Das sind die Fakten, Kollege Ehmke. Ich denke, wir kennen uns beide in den Fakten aus, wenn wir dazu sprechen.
Ich möchte gerne noch etwas in die Debatte einführen. Wenn wir das schon offensichtlich so mit Erfolg erörtern, dann muß man das ja fortsetzen. Das mit der Erhöhung des Zwangsumtausches durch die DDR haben wir schon einmal gehabt. Damals ist es der Regierung gelungen, das zum Teil zu reparieren. Nachdem das gelungen war, hatten wir einen markigen Kanzler; es war schon der gegenwärtige. Der kam hierher und sagte am 30. Januar 1975 laut Protokoll:
daß wir im Wiederholungsfall bei etwaigen einseitigen Maßnahmen der DDR, die gegen Geist oder Buchstaben getroffener Übereinkünfte verstoßen, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könnten, auch nicht nach einer etwaigen Reparatur. Unsere Sorge ist dabei nicht nur, wie die DDR als unser Vertragspartner eingeschätzt werden muß, sondern unsere Sorge gilt auch dem Fortgang der Entspannung in Europa.
Es geht dann lang weiter; kurz zusammengefaßt: dies sei nur möglich, wenn die DDR ein verläßlicher Vertragspartner sei.
Nun haben Sie es zum zweitenmal gemacht und keine Reparatur gemacht. Die Einschätzung der DDR als Vertragspartner ist offenkundig. Und was macht die Regierung?
({1})
- Sie geht zur Tagesordnung über. Warum, meine Damen und Herren? Hier muß einmal Aufklärung gegeben werden, genau wie bei den Statistiken. Warum?
Wir haben heute aus dem Mund des Kollegen Brandt gehört, wie gefährlich die Stationierung von Waffen sei. Ich habe das auch nicht gern. Aber Herr Wörner hat doch recht, nicht die Waffen sind gefährlich, sondern die Politik, die sie zum Auslösen bringen könnte.
({2})
Was ist denn mit der Bundesregierung los? Die evangelische Kirche in der DDR findet den Mut und die Zivilcourage, überall vor dem zu warnen und zu mahnen, was sie die „Militarisierung des öffentlichen Lebens" drüben nennt. Das ist eine Gefahr. Wenn man Friedenspolitik betreibt, kann man die Realität in der DDR doch nicht ausklammern. Dann muß man davon sprechen. Dann muß man junge Menschen nicht nur so aufnehmen, wie das hier in einigen Reden - ich habe gar nichts dagegen - geschehen ist, sondern man muß eben auch dieser jungen Menschen wegen von der Realität drüben sprechen, von der Gefahr, von dem Gewissensdruck in der Frage der Jugendweihe und all diesen Dingen. Meine Damen und Herren, die wissen doch selbst, warum sie das machen. Das sind doch verantwortliche Leute, die Kirchenmänner drüben. Die würden das doch nicht öffentlich sagen, wenn das irgend etwas stört.
Die Bundesregierung spricht im Zusammenhang von Außenpolitik gerne von Mäßigung, von Gleichgewicht und Ausgewogenheit. Trotzdem ist der Eindruck entstanden, daß man draußen fragte: Was ist mit den Deutschen los? Wo stehen die noch? - Ich bin dem einmal nachgegangen; ich habe j a die Möglichkeiten dazu. Da gibt es eine ganze Liste. Kein einzelner der Punkte dieser Liste verwirrt irgend jemanden im Westen, nur das Viele zugleich.
Da fiel vielen Beobachtern aus manchen Himmelsrichtungen auf daß es im Oktober 1979 einen Leitantrag der SPD für ihren damaligen Parteitag gab, in dem von der „zentralen Bedeutung des Verhältnisses zur Sowjetunion" die Rede war. So „Zentrales" war nach Westen nicht zu hören.
Da mußte der Bundeskanzler die schon abgesetzte Fernsehrede zu Weihnachten 1979 berichtigen, weil die „friedliebende Sowjetunion" nun nach Afghanistan nicht mehr bestätigt werden konnte; das fiel den Beobachtern auch auf.
({3})
Dann merkte man im Jahre 1980 kritisch an, wie wenig, ja, eigentlich wie verhalten, fast peinlich
diese Koalition des 25. Jubiläums der Westverträge gedachte, die uns immerhin konkret Frieden und Freunde und Wohlfahrt und Souveränität gebracht haben, und - mit wie lauten Getöse des 10. Jahrestages des Moskauer Vertrages gedacht wurde.
Dann: Rühmt man sich als Deutscher draußen, etwa: Wir sind doch so furchtbar solidarisch. Wir sind nicht zur Moskauer Olympiade gefahren. - Das stimmt, antwortet man, aber sind nicht vorher euer Kanzler und euer Außenminister gegen die Quarantäne des Westens nach Moskau zu spektakulären Gesprächen gefahren, die den Moskauern viel mehr wert waren als die Teilnahme einer deutschen Delegation, die vielleicht auch noch Medaillen gewonnen hätten, meine Damen und meine Herren?
({4})
Dann kommen die öffentlichen Erklärungen von dieser Seite des Hauses; die Behauptung, die Partei Adenauers sei nicht friedensfähig; der Kampf innerhalb der Koalition um die Nachrüstung. Das verwirrt im Westen; das verwirrt übrigens auch im Osten, denn es gab dort falsche Hoffnungen.
Im Spätherbst 1981 kam Breschnew wieder nach Bonn; schon wieder. Meine Damen und Herren, westliche Besucher haben uns gefragt: Ist das noch Besuch, wenn der so oft kommt? - Der Kanzler sei „Dolmetscher", hieß es, und wir im Westen haben gedacht, er sei Partei und Partner. Das verwirrt doch
- kein einzelner Schritt, aber das alles.
Und dann gleich hinterher zum Werbellinsee, engagiert, gerade vor der Verhängung des Kriegsrechts in Polen.
({5})
- Herr Kollege Wehner, dieser Zwischenruf von Ihnen ist die Steigerung, denn es zeigt, daß ich im Punkt bin.
({6})
- Ja, ich weiß es ganz genau. Jetzt kommt das, was unter Würde ist,
({7})
nämlich daß der Kanzler in Güstrow sagt - Herr Kollege Wehner, da kommt der Satz, den nun keiner mehr im Westen verstehen kann -, Herr Honecker sei so bestürzt gewesen wie er, daß das notwendig sei. Das „bestürzt", das verzeiht jeder, aber „notwendig"! Kriegsrecht in Polen gegen Polen „notwendig"! Das hat das Faß zum Überlaufen gebracht, meine Damen und Herren.
({8})
Es geht leider weiter, Herr Kollege Wehner. Dann kam der Vize-Außenminister Rakowski nach Bonn. Als er kam, wußte ich nicht, was ich heute weiß, nämlich daß er damals auch in anderen westlichen Hauptstädten angeklopft hatte. Die hatten aber gesagt: Sie sind uns willkommen, wenn einer von uns Herrn Walesa besuchen darf. - Herr Rakowski war nur in Bonn ...
Dann kam die Erklärung des Regierungssprechers vom 30. Dezember, die Sowjetunion sei kein Anstifter der Vorgänge in Polen. Da hat man nicht mehr nur die Köpfe geschüttelt, da hat man Sachen gesagt, die ich hier im Hause gar nicht wiederholen möchte.
Als der Kanzler am 2. Januar in der „New York Times" sagte, in Jalta sei Europa eben verteilt worden, hat das Leuten einen Schock gegeben, die sich bis dahin im Westen geweigert hatten, alle diese Punkte der Liste zu einer einzigen Erkenntnis zusammenzuführen; denn es hieße doch, mit doppeltem Boden zu arbeiten, in Jalta den Großmächten die Teilung und im Deutschland-Vertrag den Deutschen die Einheit zu versprechen. Dies hat ungeheuer gewirkt, und der Bundeskanzler selbst wird sich bei diesen Leuten davon nicht mehr erholen können.
Dann kam, Herr Kollege Wehner, Ihr Parteitag.
({9})
- Nun lassen Sie mich das doch alles hier erst einmal ausführen, auch wenn Ihnen das nicht paßt. Ich sagte das schon.
({10})
Dann kam Ihr SPD-Parteitag, Herr Kollege Löffler.
({11})
Da haben Sie im April 1981 ohne sichtbaren Widerstand des Kanzlers aus der verbindlichen Zusage zur Nachrüstung eine offene Option gemacht. Der Beschluß der NATO und des Bundestags heißt: Wir werden nachrüsten, wenn die Sowjetunion nicht bis dann und dann ihre Vor- und Überrüstung wegnimmt. Der Beschluß des SPD-Parteitags heißt: Wir werden prüfen, ob wir nachrüsten werden. Das sind zwei Welten, meine Damen, meine Herren.
Da braucht sich keiner mehr zu wundern, und diesen Sprung im Glas wird keine PR-Aktion und nicht einmal der Charme der Kollegin Frau Hamm-Brücher wieder wegnehmen. Das wird nur eine neue Politik machen können, eine Politik der Verläßlichkeit, nicht des Vielleicht und nicht des Dazwischen, sondern eine Politik, die versucht, unsere Interessen, die wir haben - ich habe das vorhin an einem Punkt sehr deutlich gesagt -, nicht zwischen den Blöcken, sondern im Westen deutlich zu machen; denn unser Gewicht in Moskau, in Ost-Berlin und in Prag ist so stark, wie es im Bündnis und in der Gemeinschaft ist.
({12})
Wenn der Bundeskanzler hier wäre, hätte ich ihn an unsere Debatte vom 24. Januar 1979 erinnert, wo ich ihn nach Bismarcks Schaukelpolitik gefragt habe, die vielleicht sein Vorbild sei, worauf er ausweichend geantwortet hat. Ich will auch all die anderen Zitate aus seinem Munde nicht nennen, auch nicht das, was Kissinger im ersten Band der Memoiren über diese Politik und im zweiten Band über den
Kollegen Brandt sagt, sondern ich möchte ein Zitat hier einbringen, das mich wirklich beschäftigt, und irgend jemand wird es dem Kanzler nahebringen, daß er dies wenigstens liest.
({13})
- Herr Kollege Löffler, ich bin die ganze Zeit dabei zu denken, zunächst kritisch und analytisch. Wenn man gegen eine Regierung und gegen eine Koalition auftritt, wird man j a erst mal denken dürfen, was die falsch machen. Was wir richtig machen, haben Herr Kollege Kohl, Herr Wörner, Herr Stauffenberg und Herr Dregger in einer eindrucksvollen Weise vorgetragen, und ich habe es oft genug gesagt. Sie werden mich nicht von meinem Faden abhalten.
({14})
Ich möchte zitieren, was der Kanzler in Tutzing gesagt hat. Jedermann weiß, daß ich ihn nicht als Watschenmann oder Pappkameraden aufbaue. Als ich am 26. Januar 1982 Pressetexte las, habe ich das nicht geglaubt und dem Kanzleramt gesagt: Gebt mir bitte einmal einen verbindlichen Text. Das dauerte ein paar Wochen, und dann kam er. Da liest man - ich zitiere nur einen einzigen Satz -: „Sicherheitspartnerschaft kann im Gegenüber nicht ausschließlich den Feind sehen, sondern sie muß den Mitmenschen erkennen, der derselben Gefahr ausgesetzt ist wie ich."
Herrn Breschnew als Mitmenschen - einverstanden. Herrn Breschnew als Gegenüber - nicht einverstanden. Was er unserem Volk an Teilung, an Schießen, an Drohen, an Vergewaltigung von Freiheit, an Unterwanderung hier antut, läßt mich ihn nicht ein Gegenüber nennen.
({15})
Wodurch aber - das ist das Entscheidende - sind die Menschen in Moskau derselben Gefahr ausgesetzt wie ich? Das stimmt einfach nicht. Der Westen hat weder den Willen noch die Fähigkeit zu einem Angriffskrieg. Wir haben aus dem NATO-Kommuniqué gerade erst gelernt: Er wird nicht den ersten Schuß abgeben. Das ist doch hier oft zitiert worden. Wie können dann beide die gleiche Gefahr haben?
({16})
Wie kann der Bundeskanzler das total Ungleiche hier gleichsetzen?
({17})
Das, meine Damen und Herren, zeigt natürlich, daß wir wieder an dem Punkt der Gleichsetzung
({18})
- da Sie aufstehen, darf ich es scherzhaft sagen - von Räuber und Gendarm angelangt sind.
({19})
- Bitte, wie war das, Herr Löffler? Sie wollten aufstehen? Ich höre Ihnen so gerne zu, wie Sie wissen,
nicht nur, wenn wir da reden, sondern natürlich auch so.
Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Bitte, Herr Abgeordneter Löffler.
Herr Kollege Barzel, würden Sie mir zugeben, daß es eine gemeinsame Gefahr gibt, daß nämlich die hochkomplizierten Waffensysteme in Ost und West eventuell aus der Kontrolle derjenigen geraten können, die sie eigentlich beherrschen sollen?
Ich möchte es nuancieren. Die können sich nicht selbständig machen. Das müssen immer Menschen sein.
({0})
Daß Menschen aus der Kontrolle geraten können, will ich Ihnen gerne zugeben.
({1})
- Eine Sekunde! Wir haben in der Demokratie doch einen anderen Kontrollmechanismus als in der Diktatur, und dann ist es eben doch wieder nicht die gleiche Gefahr.
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte gerne, da das rote Licht aufleuchtet, noch folgendes sagen: Auch wir hätten natürlich lieber einen Frieden mit Einheit und Freiheit, gesichert durch Abrüstung - wirklichen Frieden. Aber die Bedingung für den Frieden in der Welt, wie sie ist, heißt für uns Abschreckung und Zusammenarbeit. Herr Dregger hat dazu gesprochen.
Nachdem mich Herr Löffler angezapft hat und Herr Dregger eindrucksvoll für die Kriegsgeneration einen Satz gesagt hat, möchte ich am Schluß einen hinzufügen. Wir haben erfahren: Krieg ist nur möglich, wo Volksverhetzung möglich ist, und Volksverhetzung ist nur möglich, wo man Grenzen zumachen kann; man darf nicht reisen, nichts von draußen empfangen, und dann immer feste drauf mit Volksverhetzung. Deshalb ist Frieden am besten da gesichert, wo man Grenzen aufmacht für Menschen, Informationen und Meinungen. Dies ist Friedenssicherung. Von dieser Wirklichkeit des Friedens sind wir weit entfernt. Das sollten wir als erstes in Deutschland von dem anderen Staat verlangen: Wenn wir die Zumutung der Teilung und der Realität eines anderen Staates ertragen müssen, da müssen die die Zumutung ertragen, daß wir Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen im ganzen Deutschland weiter verwirklichen wollen. Diesen Willen hätte ich gerne auch von Ihnen entwickelt gesehen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Debatten hier verfolge, frage ich mich häufig: Warum ist der eine in seinem Diskussionsbeitrag sanfter, als er eigentlich ist, und warum ist der andere wilder und schärfer, als er eigentlich ist? Warum Herr Dregger heute sanfter war, weiß ich; warum Herr Barzel so war, wie er heute war, das frage ich mich.
({0})
Aber nachdem ich den stürmischen Beifall aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion gehört habe, weiß ich, das ist der Ausdruck der wahren Stimmungslage innerhalb dieser Fraktion.
({1})
Damit kommen wir gleichzeitig zur Beantwortung der Frage, die Herr Barzel mit zur Diskussion gestellt hat, nämlich zur Frage, warum wir weiter daran festhalten, Sie nicht nur an Ihr Abstimmungsverhalten zu erinnern, sondern auch an Ihre politische Kampagne gegen die Ostverträge. Wenn es wirklich so wäre, daß Sie damals dagegen gewesen sind und heute Ihre Auffassung in der Konzeption geändert haben, dann würde das wirklich nur noch einen historischen Erinnerungswert haben. Aber das ist nicht so.
Die Art und Weise, wie Sie heute Ihre Politik machen, ist Ausdruck dafür, daß Sie nach wie vor die gleiche Konzeption verfolgen und bei Ihnen die gleiche Grundstimmung herrscht - siehe eben die Art und Weise der Reaktion -, wie sie am Anfang der Kontroverse über die Friedens- und Entspannungspolitik nach 1969 stand.
({2})
- Ich meine Friedenspolitik, Herr Stauffenberg, und das unterscheidet uns eben.
({3})
Ich nenne die Ostpolitik, die wir nach 1969 betrieben haben, Friedenspolitik und daß Sie sie nicht Friedenspolitik nennen, unterscheidet uns eben. Darauf will ich gerade aufmerksam machen.
({4})
- Da unterscheiden wir uns. Und weil wir uns in der Konzeption unterscheiden,
({5})
gibt es auch jetzt eine ähnliche Situation.
({6}) Seit den letzten zwei, drei Jahren drängen wir auf Rüstungskontrollverhandlungen. Sie haben sich dagegen gewehrt, daß wir drängen. Bei dem Doppelbeschluß waren Sie skeptisch gegenüber dem zweiten Teil des Doppelbeschlusses.
({7})
Später haben Sie gesagt, Sie würden ihn mittragen. In der Phase, als wir in Richtung auf Rüstungskontrollverhandlungen drängten, haben Sie gesagt, wir sollten das nicht gegenüber den Amerikanern machen. Heute wollen Sie die Ergebnisse, den Beginn der Verhandlungen, sozusagen mitsanktionieren und mit dabeigewesen sein - wie Sie später auch bei der Ostpolitik jetzt dabeigewesen sein wollen.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren
({8})
versuchen, den Inhalt der Rüstungskontrollverhandlungen, bei den MBFR-Verhandlungen bei den START-Verhandlungen, bei den INF-Verhandlungen, zu beeinflussen, die innerwestliche Position und natürlich auch die Ost-West-Position, dann höre ich schon die Stimmen, die von Ihrer Seite sagen werden, indem wir versuchten, das zu beeinflussen, würden wir wieder eine gemeinsame westliche Position aufweichen, spielten wieder die Handlanger der Sowjetunion. Aber wenn nachher als Ergebnis unseres Prozesses Rüstungskontrollvereinbarungen dastehen, dann sind Sie wieder da und wollen dabeigewesen sein.
({9})
Es ist eben die Grundanlage unserer Kontroverse, daß Sie nach wie vor nicht verstanden haben, wie man mit dem Osten und insbesondere mit der Sowjetunion in einer Weise umgeht, die einerseits in der Position fest ist und andererseits Kompromisse ermöglicht. Dafür haben Sie noch kein Konzept. Deshalb auch Ihre Schwierigkeiten im Umgang mit dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Sie haben nämlich in der Sache noch kein Konzept der gemeinsamen Sicherheit.
({10})
Ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit setzt voraus, daß man sich auch den Kopf der anderen mit zerbricht und nicht nur eigene Sicherheitsinteressen formuliert. Man muß vielmehr versuchen, auch die Sicherheitsinteressen der anderen Seite zu verstehen.
({11})
Sie verstehen sie nicht; denn wenn Sie hier in der Debatte Breschnew, was immer man gegen ihn haben mag, mit Hitler vergleichen, dann ist das glatt ein Mißverständnis der Situation in bezug auf die Friedensfrage.
({12})
Voigt ({13})
- Lassen Sie mich bitte diesen Gedanken zu Ende führen, weil ich annehme, daß Sie dem auch widersprechen werden.
Denn die Abschreckung funktioniert nur, weil wir drüben auf der anderen Seite Leute haben, die rational reagieren. Hätten wir auf der anderen Seite Leute wie Hitler oder wie Khomeini, dann würde die Abschreckung nicht funktionieren; denn auch die Abschreckung setzt das rationale Kalkül und das rationale Handeln auf beiden Seiten voraus. Insofern hat die Abschreckung die Rationalität der Sowjetunion und auch des Warschauer Paktes zur Voraussetzung - eine Verhaltensweise, eine Einstellung, die ich weder bei Khomeini noch bei Hitler voraussetzen konnte. Diese Rationalität positiv zu wenden, indem man einsieht, daß man sich nicht wechselseitig vernichten will, aber sich eigentlich auch nicht wechselseitig überwinden kann, wollen wir zur gemeinsamen Sicherheit hinwenden. - Das, glaube ich, haben Sie noch nicht verstanden.
Noch weiter: Mehrere Redner von Ihnen haben heute gesagt, Waffen bedrohten den Frieden nicht, nur Politiker, nur Menschen. Ich glaube, Sie irren. Das ist ein ganz, ganz tiefer Konflikt zwischen uns. Ich hoffe, daß Sie dort lernen. In dieser Frage, sage ich - und ich glaube, daß ich das sowohl für die FDP wie auch SPD sagen kann -, stehen wir den Sorgen der Friedensbewegung näher als Ihnen.
({14})
Ist es nicht so, daß wir bereits Schwierigkeiten haben, unsere friedlichen Technologien als Menschen zu kontrollieren? Ist es nicht so, daß Menschen häufig nicht durchschauen, welche Folgen sie anrichten, wenn sie friedliche Technologien entwickeln? Ich spreche noch gar nicht von Anwenden.
({15})
Ist es nicht häufig so, daß viele Wissenschaftler beklagen, daß nicht nur Politiker, sondern sogar Techniker und Wissenschaftler nicht mehr die Kontrolle über das haben, was sie entwickeln? - Und dann sagen Sie, Sie hätten die Sorge nicht vor dem Entwikkelten, der Waffe, sondern nur vor dem Menschen! Sind Sie so sicher, daß Menschen die Kontrolle über diese Waffen haben, ja, haben können, daß unsere politischen Strukturen und technologische Entwicklung und Forschung geeignet sind, über diese neuen Waffen tatsächlich Kontrolle auszuüben? Müssen wir nicht ganz andere politische Strukturen - Ost-West-Kommunikation, aber auch weltweite Strukturen - entwickeln, um mit dem, was von uns als Vernichtungspotential hervorgebracht worden ist, fertig zu werden?
({16})
Ich glaube, das, was von Waffen selber droht, ist ernst zu nehmen und nicht nur das, was von Politikern droht.
Aber auch wenn man sagt, Waffen bedrohten den Frieden nicht, sondern nur die Politiker, dann muß man dabei auch sehen, daß man, wenn man solche neuen Waffen wie die Atomwaffen hat, ein anderes Verhältnis dazu haben muß, wie man im Ost-WestVerhältnis zwischen denen umgehen muß, die die
Waffen gemeinsam haben. Dabei ergibt sich eine andere Beziehung zum Verhältnis von Frieden und Freiheit.
Ich hänge an der Freiheit derjenigen in Osteuropa. Ich betrachte es häufig mit ganz großer Bitterkeit, wie wenig ich helfen kann. Es ist doch eine blanke Illusion und wäre unverantwortlich, zu versprechen, daß ich ihnen mit allen Mitteln helfen könnte. Die Androhung von Gewalt und ihre Anwendung scheiden im Ost-West-Verhältnis doch auch nach Ihrer Meinung aus. Wenn das so ist, dann kann ich den Menschen doch nur unterhalb der Mittel der Androhung und Anwendung von Gewalt helfen.
Jede Rhetorik, die mehr verspricht, denen zu helfen, ist doch eine unverantwortliche Rhetorik, weil sie dort Hoffnung weckt, welche nachher diejenigen bezahlen müssen, denen wir sozusagen zu helfen versprochen haben, obwohl wir es nicht einlösen können.
({17})
Diese Rhetorik haben wir auch 1953 gehabt. Damals haben die dort drüben mehr bezahlen müssen als wir hier. 1956 sind Versprechungen gemacht worden, die nicht wir, sondern die Menschen in Ungarn haben bezahlen müssen. So war es auch 1968.
Ich bitte doch - da waren Sie, Herr Barzel, doch einer, der sehr zu Vorsicht mahnte -, zu bedenken, daß wir auch gegenüber der Entwicklung in Polen nicht mehr mit Rhetorik versprechen, als wir real helfen können. Das ist nicht ein Nachgeben gegenüber dem Prinzip, gegenüber der Hoffnung, gegenüber dem Wirken für die Freiheit, sondern es ist das Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Menschen, die dort leben.
({18})
Wenn man aus innerparlamentarischen Gründen, aus Gründen der Auseinandersetzung zwischen den Parteien - weil man sagt: ihr tut nicht genug für die Freiheit; und das will man gegen die SPD oder die FDP wenden -, aus solchen taktischen Gründen sozusagen nach außen hin mehr verspricht oder angibt oder zu mehr ermutigt, dann hielte ich das für unverantwortlich. Ich meine, man sollte darauf verzichten.
Zu allen Vorschlägen für eine atomwaffenfreie Zone sagen Sie nein.
({19})
Zu allen Vorschlägen!
({20})
- Herr Mertes, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie sagen, das Bündnis sage auch nein. Ich sage aber: Damit endet mein Denken nicht. Es gab auch innerhalb der Bündnisdiskussion früherer Jahre die Entwicklung zu neuen Strategien. Ich akzeptiere die jetzige als jetzt gültig. Aber ich akzeptiere nicht, daß nicht weitergedacht werden darf und muß.
({21})
Voigt ({22})
- Das unterscheidet uns wieder. Da komme ich an den Ausgangspunkt meines Diskussionsbeitrages.
({23})
- Sie denken auch. Aber Sie haben immer erst Angst vor dem Neuen. Wenn man hier etwas Neues zur Diskussion stellt, dann sehen Sie darin gleich einen Verrat gegenüber der NATO.
Ich sehe es als eine Verpflichtung an, auch über die Frage der atomwaffenfreien Zone nachzudenken und sich dabei zu prüfen, ob das dazu führt, daß mehr Freiheit und mehr Frieden mit weniger Rüstung gewährleistet wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Kollege Voigt, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß es einen großen Unterschied ausmacht, ob eine Fraktion des Deutschen Bundestages oder eine Bundesregierung zu einer im Bündnis fest vereinbarten Position steht, oder über künftige Möglichkeiten nachdenkt? Nachdenken - ja, aber ständig neue Positionen einnehmen, die die Position der Bundesregierung und des Bündnisses schwächen - nein; denn das ist etwas anderes als Nachdenken, das ist Zerstören.
({0})
Wir stehen zu der jetzigen Strategie. Sie ist jetzt gültig, Herr Kollege Mertes. Aber wenn man etwas verändern und überprüfen will, kann man in einer Demokratie nicht darauf verzichten, das auch öffentlich zu tun. Wenn man einen öffentlichen Konsens über Strategien herstellen will, muß man das auch tun, indem man sich mit den Argumenten pro und contra auseinandersetzt. Indem Sie jetzt wieder den Verdacht aussprechen, daß man dort etwas unterminiert, fahren Sie genau auf dieser Schiene, die ich eben angeprangert habe.
({0})
Ich frage mich wirklich, ob nicht eine atomwaffenfreie Zone unmittelbar an der Grenze, gefechtsfeldwaffenfrei, nicht auch militärisch eine gewisse Logik hat, weil wir doch in der ersten Phase gar nicht daran interessiert sind und weil es eigentlich gar nicht glaubwürdig ist, nukleare Gefechtsfeldwaffen einzusetzen. Diese müßten sehr früh eingesetzt werden. Damit würde der Krieg sehr schnell zu einem Nuklearkrieg eskalieren. Das kann weder unser Vorhaben sein, noch kann dies glaubwürdig sein.
Deshalb sollte man sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Ich sehe durchaus die Bedenken. Ich bin gegebenenfalls sehr wohl für eine Umrüstung. Herr Wörner hat das vor kurzem in einem Privatgespräch richtig zur Kenntnis genommen, daß ich dann, wenn es darum geht, aus solchen Gründen zu einer konventionellen Aufrüstung zu schreiten, d. h. indirekt mit der Kritik an atomaren Waffen zu beginnen und bei einer realen Steigerung von 3 bis 4 %, entsprechend der Aussage von Weinberger, als Konsequenz zu enden, skeptisch und ablehnend bin. Ich sage das ganz offen.
({1})
Ich möchte nicht eine nuklearwaffenkritische Diskussion damit instrumentalisiert sehen, daß man aus diesem Grund bei einer Steigerung des Verteidigungshaushalts landet. Ich glaube übrigens, daß dies auch innenpolitisch nicht durchsetzbar wäre. Wenn man die Schwierigkeiten sieht, die wir zur Zeit mit dem Haushalt haben, muß man sagen, daß dies auch nicht verantwortbar wäre.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Dr. Barzel hat danach gefragt, was mit den Deutschen los ist. Es ist was mit ihnen los. Es ist dieses los, daß sich zur gleichen Zeit, da in manchen westlichen Fernsehanstalten noch Filme gezeigt werden, in denen Deutsche militaristisch sind oder in denen Leute mit deutschem Akzent meistens grausam sind, diese Deutschen verändern. Die Friedensbewegung ist eine Realität, über die in der westlichen Öffentlichkeit diskutiert wird, während in den Fernsehanstalten noch ein anderes Bild von den Deutschen gezeigt wird.
Dies ist eine Veränderung zum Positiven. Deutsche haben meiner Meinung nach - das ist meine Hoffnung - aus ihrer Geschichte gelernt; hoffentlich nicht, indem sie geschichtslos geworden sind. Sie haben daraus gelernt - das hoffe ich; ich sage das als Hoffnung -, daß sie versuchen, eine neue Identität zu gewinnen. Diese neue Identität ist nicht eine Identität gegen das NATO-Bündnis, sie ist nicht eine Identität gegen Europa, sondern sie ist eine Identität, indem sie nach Wegen suchen, mit möglichst wenig Waffen zum Frieden beizutragen.
Es ist eine Identität, bei der sie versuchen, sich mit ihren Nachbarn zu versöhnen und zu verständigen. Es ist eine Identität, bei der sie im eigenen Land versuchen, die Demokratie zu stabilisieren, bei der sie manchmal in anderen Ländern mit ein bißchen elitärem und selbstgerechtem Habitus für Demokratie eintreten. Es ist eine Identität, die uns vielleicht Schwierigkeiten macht, die mir aber, wenn sie, wie gesagt, nicht mit zuviel Hochmut, zuviel Selbstgerechtigkeit verbunden ist, wenn sie nicht mit Geschichtslosigkeit verbunden ist, auch Hoffnung macht.
Über diese neue Identität diskutieren die Leute draußen, über sie diskutieren auch wir hier. Aber wir sollten sie nicht als Zerfall von etwas Altem ansehen, sondern in diesem Fall ist der Zerfall der alten Identität der Deutschen eine Hoffnung für unsere zukünftige Identität.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Kollegen Karsten Voigt, mit dem ich in allen möglichen Kreisen und Gremien in Ruhe und Sachlichkeit disDr. Mertes ({0})
kutiere, eben nicht mehr wiedererkannt. Heute hat hier der reine Polemiker gestanden, der uns in die schwarze, in die böse Ecke stellen wollte. Das paßt nicht zu Ihnen, Herr Kollege Voigt. Schade!
({1})
Meine Damen und Herren, da ich nur einige Bemerkungen machen möchte, fasse ich mich ganz kurz. Zunächst ein Punkt, der mir am Herzen liegt. Der Kollege Brandt hat heute morgen zu Recht darauf hingewiesen, daß man Zypern nicht vergessen dürfe. Da ich dort einmal Vertreter der Bundesrepublik Deutschland gewesen bin, liegt mir dieses Anliegen auch persönlich am Herzen. Wir haben von unserer Fraktion aus einen Antrag für Zypern gestellt, nämlich: die Bundesregierung möge Bemühungen unterstützen, die humanitären Probleme aus der Gesamtlösung dieses schwierigen Problems herauszunehmen. Seit 1974 wird darauf gewartet. Wir wollen die Rückkehr von 50 000 Menschen in die Stadt Famagusta. Wir wollen eine Besuchsmöglichkeit zwischen beiden Teilen der Insel.
Nun zu dem, was uns heute so beschäftigt hat. Ich finde, die Situation ist gekennzeichnet durch Doppeldeutigkeit, durch doppelte Sprache und durch doppelte Zunge im Lager der Regierung, im Lager der Koalition.
({2})
Was meine ich damit? Wenn man mit dem Bundeskanzler im kleinen Kreise zusammensitzt, auch mit Ausländern, dann sagt er: Es ist nicht die CDU/CSU, über die ich mich in der Sicherheits- und Außenpolitik beschweren kann; sie ist sehr kooperativ, sagt er dann. Tritt er aber vor den Deutschen Bundestag oder vor Wahlversammlungen, dann stellt er uns als diejenigen hin, die zerstörerisch in die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hineinwirken.
Der Bundesaußenminister sollte einmal diejenigen Themen der deutschen Sicherheits- und Abrüstungspolitik aufstellen, bei denen er seit vielen Jahren uneingeschränkt, ohne Wenn und Aber, die Unterstützung der CDU/CSU hat; nicht weil wir an einen Fetisch des Konsensus glauben, sondern weil wir das aus staatspolitischer Verantwortung tun. Daneben sollte der Bundesaußenminister einmal die Liste derjenigen wesentlichen Punkte aufstellen, bei denen ihm laufend aus der SPD die Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Das ist doch die groteske Situation.
Wenn Sie heute mit ausländischen Politikern aus dem Bündnisbereich sprechen, hören Sie: Die formulierte Politik dieser Bundesregierung, dieses Herrn Schmidt und dieses Herrn Genscher, ist okay. Aber was uns ständig Sorge macht, ist der Druck, der von innen her auf den Bundeskanzler und auch auf den Außenminister ausgeübt wird und der darauf abzielt, diese Politik in der Substanz, in dem, worauf es ankommt, zu verändern. Das ist die Schwierigkeit, vor der auch unsere Verbündeten stehen. Sie hat unsere Außenpolitik heute so unberechenbar und so unklar gemacht.
({3})
Ich bitte Sie, Herr Bundesaußenminister, stellen Sie einmal die lange Liste jener Punkte auf, bei denen wir diese Kooperation seit Jahren nachweislich zeigen, bei denen Ihnen jedoch - sicherlich aus Überzeugung und nicht ohne schlechte subjektive Gründe - von der SPD Schwierigkeiten gemacht werden. Es ist doch eine absurde Situation, daß in den entscheidenden Fragen der deutschen Außenpolitik die stärkste Regierungspartei ständig die substantielle Opposition gegen die Regierung ist. Das ist eine Perversion auch des Gedankens der Koalition. Das ist eine groteske Situation. Alle unsere Verbündeten empfinden das so.
Das zweite: Der Bundeskanzler weicht, weil dem so ist, dann in die Vergangenheit aus. Dazu hat der Kollege Barzel eben das Notwendige gesagt. Ich halte es für eines Demokraten absolut unwürdig, anders als wie folgt zu sprechen - so habe ich es immer gesagt -: Die SPD hat ihre Sicht der nationalen Interessen, ihre Sicht der Friedenssicherung in den 50er Jahren ins Feld geführt, um seriös nach bestem Wissen und Gewissen gegen die Westverträge zu argumentieren und zu kämpfen. Nachdem das vorbei war, hat sie nicht aus Reue, sondern aus Realismus sich auf den Boden der Tatsachen gestellt und mit diesen Verträgen bis heute Politik gemacht. Das war ein normaler demokratischer Vorgang. Ich bekunde heute noch meinen Respekt vor Männern wie Kurt Schumacher und Carlo Schmid, nach deren Namen heute die Straßen um den Bundestag herum benannt sind, weil sie damals diese Positionen als Opposition artikuliert und sich hinterher als Demokraten auf die rechtens zustande gekommenen Verträge berufen haben.
Das nehmen wir auch für die FDP in Anspruch, die - wenigstens zum größten Teil - 1957 gegen den Beitritt in die Europäischen Gemeinschaften war.
Und das nehmen wir für uns in Anspruch. Wenn wir in den 70er Jahren nicht unsere Sicht der Friedenssicherung und unsere Sicht der Interessen des deutschen Volkes artikuliert hätten, wären die Argumente in die falschen Hände geraten, nämlich in undemokratische Hände. Es ist ein Verdienst der CDU/ CSU, daß sie die Fragen der Sicherung der Freiheit und der Sicherung der Interessen unserer Nation sowie die realistische Sicht des Friedens in diesem Hause so deutlich artikuliert hat.
Nachdem aber diese Verträge geschlossen waren, haben wir gesagt: pacta sunt servanda, sie sind einzuhalten, sie sind politisch zu nutzen. Nur - lieber Herr Kollege Löffler, Sie sagen ja auch, wir hätten uns mit diesen Verträgen innerlich noch nicht abgefunden -, diese Verträge sind leider doppeldeutig. Es gibt einen Witz von Radio Eriwan, der lautet: Trifft es zu, daß die Schlußakte von Helsinki dem Frieden dient? Im Prinzip j a, heißt die Antwort, aber der Kampf um die richtige Auslegung in Belgrad und Madrid wird Formen annehmen, daß kein Stein mehr auf dem anderen bleibt.
({4})
Ich hoffe, daß es nicht so sein wird. Aber das ist doch
das Problem mit diesen Verträgen, daß sie doppel6642
Dr. Mertes ({5})
deutig sind, daß die Sowjetunion unter Entspannung - ({6})
- Entschuldigen Sie bitte: Adenauer hat immer gesagt: eindeutige Vertragstreue und deshalb eindeutige Vertragsinhalte. Dieses Prinzip haben Herr Brandt und Herr Bahr über Bord geworfen. Sie haben den Aberglauben an die verwandelnde Kraft von Formelkompromissen und müßten heute erkennen, daß die Sowjetunion unter Entspannung, unter den Verträgen, unter der Schlußakte etwas vollkommen anderes versteht als der Westen.
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- Nein! Das ist höchst aktuell. Weshalb denn dieser ständige Interpretationskampf in Belgrad und jetzt in Madrid?
Deshalb treten wir für folgende Position ein - hören Sie bitte zu, Herr Kollege Löffler -: wir vertreten die Position, die die Bundesregierung als die verbindliche Auslegung des Westens und der Bundesregierung hinstellt. Aber da müssen wir sie natürlich beim Worte nehmen. Wir müssen doch als Opposition an das erinnern, was uns zugesagt worden ist. Herr Brandt und auch Herr Scheel haben von diesem Pult aus gesagt: Der Gewaltverzicht der Sowjetunion im Moskauer Vertrag wird den Frieden sicherer machen, der Moskauer Vertrag bringt uns einen Sicherheitszuwachs. Ja, dann müßten doch die Herren Bahr und Brandt heute immer wieder sagen: Dieser Vertrag, den wir mit Mühe ausgehandelt haben, ist von der Sowjetunion gebrochen worden. Genau das tun sie nicht.
Statt dessen setzt Herr Bahr die Taktik fort, einer klaren Position der Bundesregierung und des westlichen Bündnisses immer wieder etwas entgegenzusetzen, was objektiv gegen die Interessen des westlichen Bündnisses ist. Wenn jetzt Herr Gromyko bei den Vereinten Nationen bekannt gibt, was Breschnew gefordert hat, nämlich den Nichtersteinsatz von Kernwaffen - da sagt Herr Kollege Bahr: Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme, eine erfreuliche Vorleistung der Sowjetunion; aber der Bundeskanzler sagt in New York das genaue Gegenteil, und der Außenminister hier noch einmal das genaue Gegenteil. Das ist doch, bildlich gesprochen, ein Dolch in den Rücken der Position der Bundesregierung in einer wichtigen Sache. Das ist doch das Problem, mit dem wir uns herumschlagen. Wir stehen aus Überzeugung in diesen Fragen als Opposition - nicht weil wir Konsens für einen Fetisch halten, sondern weil wir in diesen Grundfragen Übereinstimmung wollen - bei der Bundesregierung. Aus Ihren eigenen Reihen aber werden immer wieder namhafte Leute auftreten, die diese Politik kaputtmachen. Diese Doppelzüngigkeit ist das, was das Streben nach gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik so schwer macht. Damals wurde gesagt: „Modus vivendi", die Verträge seien ein Modus vivendi, die alle grundlegenden Fragen offen halten und nur praktische Regelungen bewirken. Mir hat neulich jemand gesagt: Wissen Sie, was ein Modus vivendi ist? Ein „Modus vivendi", das war eine Politik des „Modus wie-wenn-die" Sowjets ihre Politik geändert hätten, „wie-wenn-die"!
({8})
Ich möchte mich noch einmal mit einem Gedanken auseinandersetzen, weil er sehr wichtig ist, den der Kollege Voigt eben hier geäußert hat. Ich möchte noch einmal sagen: es gibt trotz der kollateralen Kausalitäten letzten Endes keinen in sich selbsttätigen Rüstungswettlauf. Der Rüstungswettlauf ist das Symtom eines politischen Einflußwettlaufes, den die Sowjetunion erklärtermaßen will und den sie - möglichst unter den Bedingungen des Friedens - gewinnen will. Schon Clausewitz hat gesagt: Der Eroberer kommt am liebsten im Frieden in unser Land. Ich werde nicht vergessen, daß der Kollege Bahr meiner zweimaligen Frage heute hier ausgewichen ist, nämlich meiner Frage: Sind wir nicht - neben dem allgemeinen Risiko des Krieges - auch bedroht durch die politischen Zielvorstellungen der Sowjetunion, die diesseits des Risikos eines nuklearen Krieges ihren Einflußbereich ausdehnen will, die uns hier gefügig machen will, um dann politische Kontrolle über Westeuropa auszuüben? Die Sowjets wollen nicht Krieg, wollen nicht Selbstzerstörung -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Wenn ich meinen Gedanken zu Ende führen darf, Herr Kollege Voigt, gerne.
Die Sowjetunion will sicherlich keinen Krieg, allein schon aus Überlebensinteresse. Außerdem: Sie hat Wüsten im Norden, im Osten, im Süden. Sie möchte Deutschland und Europa nicht als Wüste politisch gewinnen. Ich unterstelle der Sowjetunion ein sehr hohes Maß an Rationalität. Ich halte auch nichts von dem Gerede: Was wird sein, wenn einmal der gute Breschnew tot ist? Harry Hopkins hat Roosevelt in Jalta gesagt: Herr Präsident, Sie müssen diesem guten Joe Stalin nachgeben, an dem haben wir was, das ist ein Mann, der des Vertrauens würdig ist; nur wie schrecklich, wenn der mal tot sein wird, dieser vertrauenswürdige Stalin. Ich glaube, daß die sowjetische Politik sehr berechenbar ist und daß auch die Nachfolger Breschnews in dieser Frage sehr rational sein werden.
Dies ist auch die Schwierigkeit in der Diskussion mit vielen jungen Menschen in der Welt: Sie sagen, es gibt das Risiko der nuklearen Selbstvernichtung. Das ist eine richtige Feststellung. Wir bejahen die Legitimität dieser Sorge oder, wenn Sie wollen, dieser Angst. Wir müssen uns gegen dieses Risiko wenden. Auch wenn es klein ist, muß schon die Tatsache seiner Existenz für einen verantwortlichen Menschen Grund genug sein, sich dagegen zu wehren.
Aber es gibt neben diesem Risiko die Bedrohung durch die politischen Zielvorstellungen der Sowjetunion. Hier kommt nun die Frucht der 70er Jahre zutage. Wenn Sie mit jungen Menschen über dieses
Dr. Mertes ({0})
Thema sprechen, dann sagen sie: Herr Mertes, ich fühle mich nicht durch die Sowjetunion bedroht, ich fühle mich bedroht durch die Waffen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Es ist objektiv - und das sagen einem auch Kollegen Ihrer Fraktion, Herr Kollege Voigt - eine Tatsache, daß „Entspannung" bei vielen Menschen insofern als eine Droge gewirkt hat, als sie sich nicht mehr darüber klar sind - und das wissen Sie genau so gut wie ich; Sie ringen j a da auch mit jungen Menschen darum, daß es neben dieser Bedrohung eben diese zweite Bedrohung gibt; und sie nehmen für sich in Anspruch, die Berechtigung dieser unserer Sorge zu bestreiten.
Weil es diese beiden Bedrohungen gibt, muß es zwei Sicherheitspartnerschaften geben. Adenauer hat am 9. September 1955 selber gesagt: „Wann immer die Bedingungen erfüllt sein werden, unter denen ein Sicherheitssystem zu schaffen ist, das die Kluft zwischen Ost und West überbrückt, die Bundesrepublik Deutschland wird ihre Mitwirkung daran nicht versagen."
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Wir sagen ja zum Sicherheitssystem der UNO, das sich im Weltsicherheitsrat der UNO verkörpert. Aber neben diesem weltweiten Konzept von Sicherheit gibt es die abwehrende Sicherheit gegenüber der Sowjetunion, d. h. ihren politischen Zielen und den Machtpotentialen, die ihr zur Verfügung stehen. Es ist unmöglich - da wiederhole ich das, was der Kollege Wörner gesagt hat -, mit demselben Wort unser Verhältnis zu den uns schützenden Vereinigten Staaten zu belegen wie das Verhältnis zu der uns bedrohenden Sowjetunion. Das ist semantische Irreführung, das ist semantischer Neutralismus.
Herr Abgeordneter, verzeihen Sie, ich darf nur fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage des Kollegen zuzulassen?
Herr Kollege Voigt, j a, bitte schön.
Ich bin natürlich stehen geblieben; denn Herr Dr. Mertes sagt selber, daß man in Abrüstungsfragen standfest und ausdauernd bleiben soll. Das wollte ich dann hier auch praktizieren.
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Ich bitte um Verständnis und Entschuldigung, daß ich Sie so lange habe warten lassen.
Wir haben vorhin schon einen kontroversen Disput gehabt über die Frage der Waffen. Ich möchte jetzt eine weitere Kontroverse durch eine Zwischenfrage vertiefen. Sie sagen, daß der Rüstungswettlauf ausschließlich von dem Macht- und Systemwettlauf oder -wettbewerb herrührt. Spricht nicht diese Aussage allen Erkenntnissen Hohn, daß Rüstungsentscheidungen - nicht nur in den USA; wir haben j a Erkenntnisse über alle westlichen Länder - auch bedingt sind durch innergesellschaftliche Konflikte? Auch Verteidigungshaushalte sind Ergebnisse von solchen innergesellschaftlichen Prozessen und nicht nur Ergebnis des Ost-West-Wettbewerbs. Wenn wir das für den Westen feststellen, spricht nicht einiges dafür, daß neben dem Wettlauf von Ost und West um den Macht- und Einflußbereich auch innergesellschaftliche Ursachen für den Rüstungswettlauf eine Rolle spielen könnten, Herr Dr. Mertes?
Herr Kollege Voigt, ich kann Ihnen noch eine zusätzliche Argumentation liefern. Es gibt natürlich auch den technologischen Rüstungswettlauf, weil sich das Militärwesen nicht aus dem allgemeinen ökonomischen und technischen Fortschritt herauslösen kann. Dennoch bleibe ich dabei.
Ich denke an etwas, was uns der Bundeskanzler im Auswärtigen Ausschuß vorgetragen hat. Er hat gezeigt, wie in den letzten 20 Jahren die Sowjetunion ihren indirekten Einfluß und ihre Macht expandierte. Er hat in London zu Recht darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion aufgerüstet hat, und zwar nicht, weil sie den Krieg will - ich sage es noch einmal -, sondern weil sie eine dynamische, eine expansive Politik betreibt: wegen ihres unersättlichen Sicherheitsbegriffes und weil sie für sich in Anspruch nimmt, einen Prozeß fördern zu müssen, der die Welt kommunistisch macht.
Meine Damen und Herren, ich bitte nur um eines: die Sowjetunion ernst zu nehmen. Wir unterscheiden uns von Ihnen, Herr Kollege Voigt, nicht dadurch, daß wir feindseliger zur Sowjetunion sind, sondern wir unterscheiden uns dadurch, daß wir mit ihr reden, aber realistischer wissen, womit wir es bei ihren Zielvorstellungen zu tun haben. Wir reden mit Leuten, für die die Prinzipien der Leninschen Außenpolitik absolut klarliegen und verbindlich sind. Aber diese Prinzipien sind nun einmal expansiver und offensiver Natur. Ich gebe hier nicht eine spezifische Position der CDU/CSU wieder, sondern die des westlichen Bündnisses.
Wenn sich in dieser Diskussion - und das ist das Vergiftende - nun der Pharisäismus breit macht, wenn bei Ihnen oder in der Friedensbewegung Leute sagen: „Ich danke dir, o Gott, daß ich nicht bin wie dieser Raketenkanzler Schmidt", wissen Sie dann, worauf das zurückzuführen ist? Darauf, daß Sie selbst, auch Helmut Schmidt, diesen moralischen Pharisäismus in den 70er Jahren in diesem Hause hier eingeführt haben:
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„O Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie diese CDU/CSU, die gegen Entspannung und gegen Frieden ist." Ich möchte hier einmal von einem einzigen Kollegen der SPD eine Würdigung unserer rationalen und gravierenden Argumente gegen die Ostverträge und gegen die Schlußakte von Helsinki hören.
({1})
Ich möchte ein einziges Mal von ihm auch öffentlich die Bestätigung bekommen, daß unsere Ankündigung wahr wurde, die Sowjetunion werde in ihrer Gefährlichkeit künftig nicht mehr so erkannt. Ich
Dr. Mertes ({2})
möchte eine einzige Anerkennung hören, daß unsere These stimmt: Wir leisteten Irrevokables, während die andere Seite Rückrufbares geleistet hat; wir müssen jetzt immer wieder neu bezahlen, nachdem wie schon einmal den großen Preis 1970/71 gezahlt haben.
Ich komme zum Ende, meine Damen und Herren. Wir bejahen die drei Texte des Nato-Gipfels in Bonn. Hier stören uns nur die beiden Worte „fortgesetzte Erfolge", sonst nichts. Sie sind irgendwo albern. Ich habe das Gefühl - damit knüpfe ich an das an, was Herr Barzel eben gesagt hat -, daß nach dem Bonbon von Güstrow das Bonbon des Westens für den Bundeskanzler gegeben wurde, auf das er Wert legte. Das Gleichgewicht der Kamellen ist jetzt also wiederhergestellt. Es ist einfach nicht wahr, daß es hier „fortgesetzte Erfolge" gegeben hat.
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Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bin schon beim Schluß, Herr Präsident! - Die Lage der Bundesrepublik Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, daß die Bundesregierung in ihren offiziellen Texten sehr klare Positionen formuliert und auch in den internationalen Verhandlungen, die sich mit Abrüstung und Sicherheit befassen, vertritt. Aber sie ist weiter auch dadurch gekennzeichnet, daß bei unseren Verbündeten immer wieder Fragezeichen angebracht werden, weil die Koalitionsparteien - vor allen Dingen die SPD - diese klaren Positionen in Frage stellen. Diese groteske Absurdität in der deutschen Außenpolitik und in der deutschen Demokratie muß ein Ende nehmen um der notwendigen Klarheit und Berechenbarkeit unseres Landes in allen Fragen der Friedenssicherung willen, die für uns alle so schicksalschwer sind. - Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe kurz auf unsere Tagesordnung geschaut und dabei gemerkt, daß es heute um den Weltwirtschaftsgipfel geht. Ich hätte das nach dieser Garde von Rednern aus dem bedeutenden Auswärtigen Ausschuß nicht vermutet. Ich erlaube mir deshalb als einziges Mitglied des Wirtschaftsausschusses des größten Exportlandes der Erde, einige wenige Bemerkungen aus meiner Sicht zu dem zu machen, was Herr Stauffenberg, Herr Kohl, Herr Barzel und Herr Wörner hierzu gesagt haben, denn ich nehme an, daß gerade heute viele Arbeitnehmer der AEG ihren Blick auf diese Debatte richten werden.
({0})
Viele auswärtige Wirtschaftspartner werden verfolgen, wie die Bundesrepublik in ihrer künftigen Handelspolitik verfährt, und viele deutsche Unternehmen werden sich fragen, wie diese Art von Eingriffen in privatwirtschaftliche Vertragsbeziehungen bewertet wird.
Meine Damen und Herren, als sich Herr Kohl über diesen Weltwirtschaftsgipfel, über seine Ergebnisse und über die Koordination so lustig machte, habe ich mir einmal plastisch vorgestellt, wie er in Versailles oder anderswo Herrn Mitterrand, Frau Thatcher und Herrn Reagan ganz konkrete Ergebnisse wirtschaftspolitischer Art abpreßt, wie er sie richtig hart „herausverhandelt" und damit deutsche Interessen wahrt.
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Diese Art von Provinzialität des größten Exportlandes der westlichen Erde halte ich persönlich für gefährlich.
Herr Kohl fuhr dann fort: Kaum seien der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister wieder zu Hause gewesen, habe sich der empfindliche Seismograph, nämlich die Währung, bewegt. Meine Damen und Herren, eine Aufwertung der deutschen Währung ist ja nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche unserer wirtschaftlichen Verfassung; das sollte Herr Kohl meines Erachtens zur Kenntnis nehmen.
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Die Anpassung der deutschen Währung zeigt doch, daß verschiedene andere Länder - mit absoluter Mehrheit regierte sozialistische und konservative Länder - ihre Hausaufgaben wirtschaftspolitischer Art und währungspolitischer Art weniger gut gemacht haben. Es ist eine Tatsache, meine Damen und Herren, daß das größte Land im westlichen Lager, die Vereinigten Staaten von Amerika, seinen Etat erst gestern abgeschlossen hat - das Haushaltsjahr beginnt dort übrigens schon am 1. Oktober, also ein viertel Jahr früher als bei uns; deshalb ist diese Hektik der Haushaltsberatung gar nicht verständlich; wir können uns Zeit lassen für eine ordentliche Etatberatung - und daß der Etat dieses Landes, meine Damen und Herren, mit einem Rekorddefizit von 110 Milliarden Dollar abschließt. Das ist der Ausdruck überall existierender wirtschaftlicher Probleme.
Lassen Sie mich zum zentralen Punkt der amerikanischen Maßnahmen kommen. Im Kommuniqué von Versailles steht - ich zitiere -, „über ... Einzelanstrengungen hinaus" sind die Länder „bereit", ihre „Kräfte zu vereinen, wenn jedes Land auf die Auswirkung seiner politischen Maßnahmen auf die anderen achtet". Später heißt es: „Ein Anwachsen des Welthandels in all seinen Aspekten" wird angestrebt; das bedeutet natürlich auch: in all seinen regionalen Aspekten.
Meine Damen und Herren, hier handelt es sich ja nicht um eine bilaterale, nur die Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland betreffende Frage, sondern um eine westeuropäische Frage. Italienische, englische, französische und deutsche Firmen werden von dieser Maßnahme ganz stark getroffen. Es ist das erste Mal, daß durch eine US-Regierung
Auswirkungen auf die Kooperation zwischen Privatfirmen auf anderem Gebiet ausgehen.
Meine Damen und Herren, hier wäre es im nationalen Interesse, wie Herr Kohl es betont hat, notwendig, daß die Opposition sich erklärt. Geht man dem nach, ist das Ergebnis enttäuschend. Ich habe mir die Mühe gemacht, nachzuforschen, und habe bisher fünf verschiedene Aussagen der CDU zu diesem zentralen Punkt „US-Embargo" gefunden.
Herr Biedenkopf eröffnete den Reigen und sprach vorgestern darüber. Ich zitiere die „Rheinische Post" vom 22. Juni 1982:
Energisch sprach sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende gegen die Ausweitung des US- Embargos für Lieferungen im europäisch-sowjetischen Erdgas-Röhren-Geschäft aus.
Er könne die Einbeziehung deutscher Tochtergesellschaften amerikanischer Unternehmen in das Embargo nicht billigen, weil damit die amerikanische Regierung ihre Souveränität auf Deutschland erstreckt.
Soweit Herr Biedenkopf; Herr Kiep hat sich ähnlich geäußert.
Herr Kohl hat lediglich bedauert, daß wir vorher nicht konsultiert wurden.
Viel weiter ist Herr Stauffenberg gegangen. Er sagt, dieses deutschsowjetische Gasgeschäft müsse von den deutschen Sparern und den deutschen Steuerzahlern mitbezahlt werden.
({3})
- So habe ich Sie verstanden, Herr Stauffenberg.
({4})
- Haben Sie das allein auf den Polen-Handel bezogen? Ich bin ja an einer Richtigstellung interessiert.
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- Es war also nicht so? Das ist ja ein Fortschritt. Ich hätte mir sonst erlaubt, darauf hinzuweisen, daß wir ja ein Außenhandelssystem haben, bei dem Verträge zwischen Banken und Privatfirmen geschlossen werden, daß staatliche Hermes-Bürgschaften gewährt werden und daß wir bisher keinen Anlaß hatten, über unsere Hermes-Bürgschaften vom Haushalt her zuzuzahlen.
Herr Wörner hat die Reihe fortgesetzt. Er hat davon gesprochen, alles müsse auf Leistung und Gegenleistung beruhen. Er hat davon gesprochen, daß man - ich übersetze es jetzt in meine Worte - den Hahn eben je nach politischem Verhalten des Handelspartners auf- und zudrehen müßte.
Ich bitte Sie wirklich herzlich, einmal in BadenWürttemberg in kleinen und mittleren Firmen mit einem Exportanteil von 60 bis 70 % nachzufragen, wie es sich auf diese Firmen auswirkt,
({6})
wenn je nach politischer Grundhaltung gesagt wird: heute mehr, nächstes Jahr weniger. Es sind langfristige Beziehungen, die diese kleinen und mittleren Firmen aufbauen, und sie haben den Vertrauensschutz, daß wir von der Politik her Handelspolitik nicht als politischen Hebel mißbrauchen.
({7})
Ebenfalls enttäuscht war ich, als Sie die Handelspolitik mit der Sowjetunion unmittelbar mit einer direkten Wirtschaftshilfe für die Türkei verglichen haben. Meine Damen und Herren, ich sehe einen fundamentalen Unterschied, ob wir einen langfristigen Handelsvertrag zwischen Privatfirmen aushandeln oder wegen NATO- und anderer Bündnisinteressen einem befreundeten Staat direkte Wirtschaftshilfe zukommen lassen. Das sind doch wesentliche Unterschiede!
({8})
- Das zeigt, daß Sie nicht bereit sind, diesen zentralen Unterschied in unserem marktwirtschaftlichen System zu sehen. In dem einen Fall kommt es zwischen Privatfirmen und Privatbanken - allerdings unter Absicherung des Staates - zu Handelsbeziehungen,
({9})
und in dem anderen Fall gewähren wir mit öffentlichen Mitteln aus unseren Haushalten direkte Wirtschaftshilfe mit bestimmten Auflagen.
({10})
- Ja, wobei ich auch bei der Polen-Diskussion hinzufügen möchte: Wer die jetzige Lage in Polen so sieht, daß wir die Wirtschaftshilfen und die Kredithilfen möglichst schnell zurückschrauben sollten, der hat natürlich mit der direkten Auswirkung auf die polnische Bevölkerung wenig im Sinn.
({11})
- Herr Stauffenberg, das Problem für unsere deutschen Firmen ist, daß deutsche private Firmen verhandeln müssen mit staatlichen Stellen.
({12})
- Ja, die Konsequenz ist, daß Sie, wenn Sie den Handel politisieren, unseren Privatfirmen und Privatbanken direkte Auflagen für ihre Verhandlungen mit staatlichen sowjetischen Stellen machen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg?
Ja, gerne.
Herr Kollege Haussmann, wenn Sie hier die säuberliche Trennung zwischen dem Handel einerseits und der Politik andererseits so stark vertreten und vor Mißbrauch warnen, möchte ich Sie fragen: Sind Sie der Meinung, daß die Gewährung der 1,2 Milliarden - nach Wunsch der Bundesregierung sollten es 1,5 Milliarden sein -, die im Jahre 1980 noch zur Stabilisierungshilfe für das Regime Gierek lockergemacht worden sind, von den deutschen Kreditinstituten ohne politischen Druck der Regierung zustande gekommen wäre und daß dies wirklich rein handelspolitische Entscheidungen gewesen sind und nicht politische Entscheidungen?
({0})
Ich würde Ihnen zugeben, daß es in einem Abstimmungsprozeß zwischen großen deutschen Firmen und der Regierung unter Beteiligung wesentlicher Außenhandelspolitiker - ich nenne nur Herrn Kiep - aus nationalen Interessen
- vor allem aus energiepolitischen Interessen - gewünscht war, diesen Handel zu machen. Nur: Zu sagen, die Bundesregierung würde diese Sache mit Haushaltsmitteln mitfinanzieren, trifft nicht den Kern.
({0})
- Ich bedaure sehr. Ich bin gern bereit, die Diskussion mit Ihnen fortzusetzen, aber meine Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte mir im Interesse der deutschen Firmen, unserer Wirtschaftsbeziehungen wünschen, daß die Bundesregierung nicht nur bedauert, sondern daß sie beginnt, in einer europäischen Abstimmung ihre Interessen wahrzunehmen und daß sie mit der amerikanischen Regierung direkt verhandelt, damit wir für die großen Probleme, die die AEG für sich schon hat, eine Lösungsmöglichkeit sehen und daß darüber hinaus Klarheit darüber herrscht, was die politischen Rahmenbedingungen sind, denn es geht nicht nur um unseren Osthandel.
({1})
Auch viele Länder der Dritten Welt, deren politische Regime uns nicht angenehm sind, mit denen wir Wirtschaftsbeziehungen haben, werden darauf achten, ob Handel unter politischen Gesichtspunkten fortgeführt wird oder nicht.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu der Erklärung der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1776 vor. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute morgen in seiner Regierungserklärung festgestellt:
Die Polen wissen, daß gerade die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland größten Anteil am Schicksal des polnischen Volkes nehmen und daß sie vielhunderttausendfach individuell durch Pakete helfen. Dies wird für die künftige Gestaltung unserer Beziehungen zu unseren polnischen Nachbarn nicht ohne Wirkung bleiben.
Meine Damen und Herren, ganz zweifelsohne kann man diesen Satz nur bestätigen.
Nur: Wir müssen leider feststellen, daß diese Entwicklung, die wir dort haben - wir hatten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 3 Millionen Geschenkpakete gegenüber etwas mehr als 500 000 Paketen im Vorjahr - nur möglich war, weil wir, der Deutsche Bundestag, dafür eine Initialzündung gegeben haben, indem wir die Portofreiheit für diese Geschenkpakete hier durchgesetzt haben, im Gegensatz zu der zunächst vorhandenen Absicht der Bundesregierung.
Trotz der Erkenntnis, die aus der Regierungserklärung spricht, hat leider in der vergangenen Woche die Bundesregierung erneut beschlossen, daß diese Hilfsmaßnahmen über den 30. Juni 1982 hinaus nicht fortgeführt werden sollen. Deswegen sieht sich die CDU/CSU-Fraktion veranlaßt, den vom Präsidenten genannten Antrag mit dem Ziel einzubringen, sicherzustellen, daß die portofreie Beförderung von Hilfspaketen nach Polen durch die Deutsche Bundespost über den 30. Juni 1982 bis zum 31. Dezember 1982 verlängert wird.
Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich fragen: Was hat sich denn seit unserer Beschlußfassung im Februar geändert? Das Kriegsrecht gilt nach wie vor. Wir haben noch immer Inhaftierte zu Tausenden in Polen. Die Not der Menschen in Polen ist nach wie vor groß. Wenn wir daneben sehen, wassich an menschlichen Beziehungen aufgetan hat, was sich an Briefverbindungen aufgetan hat,
({0})
was sich an individueller Hilfe hat gestalten lassen, dann müssen wir doch klar erkennen, daß wir hier einen Weg eingeschlagen haben, den es weiter zu beschreiten gilt.
Mit gutem Grund hat dieser Bundestag in der vergangenen Woche einen Beschluß gefaßt, in dem dazu aufgerufen wurde, Lech Walesa endlich wieder aus seiner Haft zu entlassen.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten hier nicht nur mit Worten umgehen, sondern wir sollten auch mit der Tat der Weiterführung dieser Hilfsaktion bekennen, daß wir zur Bevölkerung in Polen
stehen und die Hilfsbereitschaft des deutschen Volkes weiterhin fördern wollen.
Wie sieht die Realität für die Deutschen im Moment aus? Ab 1. Juli tritt eine Portoerhöhung ein, die z. B. bei einem Paket mit einem Inhalt im Werte von etwa 50 DM, das 15 kg wiegt, eine Steigerung um etwa 60 % ausmacht. Das heißt: auf einen Preis von etwa 50 DM kommen Portokosten von 30 DM. Ich muß doch hier nicht extra ausführen, was das an Reaktion zur Folge haben wird. Müssen nicht manche den Eindruck haben, seitens der Bundesregierung würden die Dinge heute anders eingeschätzt?
Meine Damen und Herren, um ein Wort zur Geschäftsordnung zu sagen: Es wäre schlimm, wenn Sie diesen an die Bundesregierung gerichteten Entschließungsantrag etwa auf den geschäftsordnungsmäßigen Weg der Behandlung in den Ausschüssen verweisen würden. Die Aktion würde nächste Woche auslaufen. Wir haben vorher in den Ausschüssen keine Gelegenheit, noch einmal sachgemäß darüber zu beraten.
Ich appelliere an alle Fraktionen dieses Hauses, sich dem Entschließungsantrag der CDU/CSU anzuschließen und es zu ermöglichen, daß für Hilfspakete nach Polen weiterhin Portofrei gewährt wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir seinerzeit diesen Antrag der CDU/ CSU-Fraktion im Haushaltsausschuß beraten haben, kamen von allen Seiten - auch aus den Reihen der CDU/CSU - Bedenken auf, daß es sich hier um einen Präzedenzfall handeln würde, der auch in anderen Bereichen Anwendung finden könnte.
Wie Sie sind wir froh darüber, daß die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland in größerem Maße von der Möglichkeit der solidarischen Unterstützung der polnischen Bevölkerung Gebrauch gemacht hat, als wir alle es seinerzeit angenommen hatten. Anstelle der von uns zunächst angenommenen 2 Millionen Pakete in diesem Zeitraum kommen wir auf etwa über 3,5 Millionen Pakete bis zum 30. Juni dieses Jahres.
Die Bundesregierung ist seinerzeit auch aufgefordert worden, mit der DDR und mit der Regierung in Polen Verhandlungen darüber zu führen, ob nicht auch die DDR und Polen auf ihren Anteil an den Paketgebühren verzichten sollte. Mir ist gesagt worden, daß uns von beiden Seiten eine negative Antwort erteilt worden ist.
Wenn wir Ihrem Antrag folgen würden, würden die im Nachtragshaushalt außerhalb des Bereichs der Entwicklungshilfe im Einzelplan 05 - Humanitäre Hilfe - veranschlagten rund 65 Millionen DM nicht ausreichen, sondern wir würden dann auf einen Betrag von rund 150 Millionen DM kommen, mit der Wahrscheinlichkeit, daß im Dezember von Ihnen ein Antrag käme, die Maßnahme zu verlängern.
Die Bürger in unserem Lande sollten allerdings nicht aufhören, ihren Beitrag zur Hilfe für die polnische Bevölkerung zu leisten. Sie können sich hierbei der karitativen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland bedienen.
Einen anderen Punkt muß man natürlich hierbei auch noch sehen. Die Opposition hat sich gerade in dieser Woche entschieden, im Zusammenhang mit Art. 115 des Grundgesetzes Verfassungsklage zu erheben. Sie müssen sehen, daß das, was Sie hier fordern, genau den konsumtiven Bereich des Bundeshaushalts betrifft.
Wir lehnen diesen Antrag der Opposition ab.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann gar keine Frage sein - ich glaube, das sollte man zu Anfang betonen -, daß die individuellen Kontakte zwischen denen, die hier Pakete packen und wegschicken, und den Empfängern bei der Verständigung der beiden Völker eine ganz wichtige Rolle gespielt haben. Als diese Entscheidung damals fiel, hat niemand von denen, die Pakete packten und sie wegschickten, den Staat in dieser Frage in Anspruch nehmen wollen. Es war eine freie Entscheidung, Pakete zu schicken und selbstverständlich die Gebühren zu übernehmen.
Ich habe mich damals gefragt, was dieser Akt aus humanitären Gründen eigentlich soll. Dies ist das Wegnehmen von Freiwilligkeit, nicht das Stärken von Freiwilligkeit gewesen.
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- Ich möchte das weiterführen. Für uns war damals - jedenfalls für diejenigen, die über den Tag hinaus dachten - klar, daß es irgendwann nach dem Termin zu einem Knick kommen würde, weil sich dann inzwischen das Anspruchsdenken auf Paketgebühren durchgesetzt hat und man jetzt plötzlich sagt: Eigentlich will ich jetzt nicht mehr.
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- Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören, und deswegen sage ich es trotzdem.
Jetzt möchte ich Ihnen einige Zahlen nennen, um deutlich zu machen, in welcher Größenordnung sich dies befindet. Wir haben im Haushalt des Auswärtigen Amts einen Titel - Herr Esters hat darauf hingewiesen -, der „Humanitäre Hilfe" heißt und 45 Millionen DM jährlich umfaßt. Aus diesem Titel in Höhe von 45 Millionen DM soll die Not im Libanon, die Not der Afghanistanflüchtlinge in Pakistan, die Not der Flüchtlinge in Somalia gelindert werden. Seinerzeit hat sich der Haushaltsausschuß mit Zustimmung der Union nicht in der Lage gesehen, diesen Titel so, wie es der Auswärtige Ausschuß gewünscht hatte, zu erhöhen, weil kein Geld da war. Kurze Zeit später kam diese verhältnismäßig schnelle Entscheidung über die Paketgebühren zustande. Wer hatte damals schon den Mut, etwas da6648
gegen zu sagen? Was macht nun die Paketgebühr gegenüber diesen 45 Millionen DM zur weltweiten Notlinderung aus? Das sind 65 Millionen DM.
Der Unterausschuß für humanitäre Hilfe hat die Hilfsorganisationen eingeladen, die in Polen tätig sind. Wir konnten uns überzeugen, welch ungeheuer effektive Arbeit diese Hilfsorganisationen in Polen leisten. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß wir alles tun müssen, um die Arbeit dieser Hilfsorganisationen zu verlängern. Was ich jetzt sage, mag möglicherweise die Haushälter auch nicht beglücken; aber ich meine, wir sollten dies eher als diese Paketgebühren ins Auge fassen.
Die Hilfsorganisationen befürchten - genau wie die Hilfsorganisationen das befürchten, die für die Afghanistanflüchtlinge arbeiten -, daß nach einer gewissen Zeit nach dem Ereignis die Spendenbereitschaft sinkt, die Not aber keineswegs. Dann ist es von entscheidender Bedeutung, daß man bei der Stange bleiben kann. Dann, wenn die private Hilfsbereitschaft eben einfach deswegen nachläßt, weil das Ereignis nicht mehr so aktuell ist, sind die Organisationen durch öffentliche Mittel weiter in die Lage zu versetzen, hier effektiv tätig zu werden.
Ich meine, wenn man diese ganze Frage „Polen" unter humanitären Gesichtspunkten betrachtet, dann sollten wir die deutsche Bevölkerung bitten, das weiter zu tun, was sie bisher getan hat, wo sie den Staat gar nicht gebeten hatte, ihr zu helfen,
({2})
nämlich Pakete zu packen und die Gebühren auch zu zahlen. Wir sollten gleichzeitig sagen, daß es hierfür einen Grund gibt: Die Mittel, die für die wichtigen Hilfsmaßnahmen in Polen notwendig sind, können über die Organisationen, die dort tätig sind, effektiver ausgegeben werden.
({3})
Ich hoffe, daß man bei den Spendern - den Einzelspendern und den Paketepackern - dieses Verständnis voraussetzen kann, denn sonst hätten sie sich da gar nicht engagiert. - Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag ab. Wer zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Punkt 7 wurde von der Tagesordnung abgesetzt. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1982
({0}) - Drucksache 9/1576 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({1})
- Drucksachen 9/1752, 9/1773
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warnke Dr. Mitzscherling
({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wunder sind selten, Überraschungen aber gibt es gelegentlich.
({0})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen fortzuführen.
Der vorliegende ERP- Wirtschaftsplan hat uns eine Überraschung bereitet. Mit einem Nettofördervolumen von 3,2 Milliarden DM hat ihn die Bundesregierung uns zugeleitet. Satte 50 % sind bei den Beratungen draufgelegt worden. Das klingt gut.
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Die Bundesregierung hat etwas durchs Hintertürchen hereingereicht. Es gibt jedoch, Herr Kollege Beckmann, ein altes römisches Sprichwort, das lautet: Timeo Danaos et dona ferentes - man muß die Danaer fürchten, selbst wenn sie Geschenke bringen. Und wir haben gelernt, daß wir die Geschenke der Bundesregierung etwas näher zu betrachten haben.
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Eine knappe halbe Milliarde DM hat die Bundesregierung im Nachtragshaushalt zur Verfügung gestellt. Damit sollen 1,6 Milliarden DM zusätzlich finanziert werden. Der Bund hätte sich die halbe Milliarde sparen können. Eine ganze Milliarde ist aus ERP bereits abgeflossen, nämlich als verlorener Zuschuß zum Bundesunternehmen DIAG, das wegen notorischem Mißmanagement in Schwierigkeiten geraten war.
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- Wenn man das Aufsicht nennen kann, was hier zu diesen massiven Kapitalabflüssen geführt hat. Das Doppelte der heutigen Aufstockung hätten wir finanzieren können, wäre bei DIAG ordentlich gewirtschaftet worden, wäre die Aufsichtspflicht - wie der Bundesrechnungshof beanstandet hat - richtig ausgeübt worden.
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- Herr Kollege Beckmann, es wird Sie interessieren - Sie waren damals noch nicht bei uns, aber wir freuen uns sehr, daß wir jetzt um Ihre PersönlichDr. Warnke
keit bereichert worden sind -, daß es der damalige Bundeswirtschaftsminister Friderichs war, auf den diese Zuschußgewährung in Höhe von 1 Milliarde DM zurückgeht. - Sollte dieser Herr Friderichs jetzt wieder an die Bundesregierung mit der Bitte um irgendwelche Hilfen zur Sanierung von notleidend gewordenen Großunternehmen herantreten, dann sollten wir ihn daran erinnern, wie das mit der DIAG gelaufen ist. Der Staat muß heraus aus den Unternehmen und nicht hinein in die Unternehmen.
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British Leyland, französische und italienische Staatskonzerne sind uns mahnende Beispiele.
Auch ERP, das noch so manche Beteiligung hält, sollte ernst machen mit seinen eigenen Richtlinien, die vorsehen, daß solche Beteiligungen übergangsweise gehalten werden können, aber nach fünf oder zehn Jahren abzustoßen sind. Ein Fall ist genug. Unternehmen gehören nicht in Bundeshand.
So begrüßenswert 1,6 Milliarden DM zusätzlich sind, meine Damen und Herren, so merkwürdig ist ihre Finanzierung. Da kommt wieder ein wenig das Danaer-Geschenk zum Vorschein. Gut 600 Millionen DM sind zusätzlich im Baransatz dieses vorliegenden ERP-Wirtschaftsplanes zur Ausgabe aufgenommen worden, aber die erste Tranche der Finanzierungsmittel für diese 600 Millionen DM wird erst im nächsten Jahr überwiesen. Vorfinanzierung, Zwischenfinanzierung, sagt man uns, wenn wir etwas nachbohren. Sehr solide klingt das alles nicht.
Noch viel gewichtiger erscheinen uns die ungewissen Zukunftsaussichten von ERP im allgemeinen. Es gibt beunruhigende Zeichen. In der ursprünglichen Vorlage des ERP-Wirtschaftsplanes 1982, Herr Kollege Mitzscherling, hatten wir eine immerhin auch schon ganz ansehnliche Steigerung von fast 20 %. Die ging Hand in Hand mit einer Senkung des Fördervolumens. Also 600 Millionen DM mehr Ausgaben und 50 Millionen DM weniger Leistung, da stimmt doch irgend etwas nicht.
Hohe Zinskosten bei der Aufnahme von Kapitalmarktmitteln - ERP ist kräftig an den Kapitalmarkt gegangen -, hohe Verpflichtungsermächtigungen aus früheren Jahren haben die Minderung des Leistungsvolumens der ursprünglichen Vorlage bewirkt. Nur die nicht wiederholbare, einmalige Zuführung von Zusatzmitteln in diesem Jahr ermöglicht eine Steigerungsrate.
Wir aber wollen wissen: Wie geht es nun in der Zukunft weiter? Die Projektionen, die uns das Wirtschaftsministerium vorgelegt hat, Herr Staatssekretär Grüner, sind unbefriedigend. Sie gehen davon aus, daß bei Sinken des Kapitalmarktzinses die ERP-Zinsen nicht entsprechend gesenkt werden. Das ist unrealistisch, und in der kurzen Zeit zwischen der Vorlage dieser Projektion und dieser Beratung hier im Hohen Hause hat das Bundeswirtschaftsministerium seiner eigenen Projektion schon zuwidergehandelt und die Senkung des Kapitalmarktzinses bei ERP nachvollzogen. Das ist also keine Beratungsgrundlage. Außerdem sind die jetzt zusätzlich eingeführten 1,6 Milliarden DM in der
Projektion in gar keiner Weise berücksichtigt worden.
Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Haushalt der Stimme enthalten. Wir wollen nicht, daß in der Undurchschaubarkeit von Zinsbelastungen und von Verpflichtungsermächtigungen ERP eines Tages seine Leistungsfähigkeit verliert. Wir dokumentieren mit dieser Stimmenthaltung unseren Willen, uns mit solcher Undurchschaubarkeit nicht abzufinden. Wenn ERP schon keine mittelfristige Finanzplanung besitzt, dann müssen uns wenigstens Projektionen vorgelegt werden, die verschiedene Belastungsalternativen, verschiedene Möglichkeiten der Verschuldung und von Verpflichtungsermächtigungen aufzeigen und uns so in die Lage versetzen, die Konsequenzen unseres Handelns richtig einzuschätzen. ERP muß nicht auch noch den Weg der Überschuldung gehen, den der Bundeshaushalt in den letzten Jahren gegangen ist.
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Gerade die ständige Zinsanpassung ist Voraussetzung wirksamer Hilfe für den Mittelstand. Diese Hilfe für den Mittelstand bleibt neben der Berlin-Förderung, dem Umweltschutz und der Exportförderung für die Union Schwerpunkt der ERP-Maßnahmen. Wir haben wohl bemerkt, daß die Aufstockungen jetzt durch die zusätzlichen Mittel auf den Anteil der Mittelstandsförderung am gesamten ERP- Haushalt nicht ohne Auswirkung geblieben sind. Absolut sind die Beträge für den Mittelstand zwar gewachsen, aber relativ ist der Mittelstandsanteil am ERP-Haushalt, der bei Einbringen der ursprünglichen Vorlage noch bei knapp zwei Dritteln gelegen hat, auf nur noch gut die Hälfte zurückgegangen. Wir sind schon der Meinung, daß unsere Marschroute mittelfristig sein sollte, diese Zwei-Drittel-Relation der ERP-Forderung für den Mittelstand wiederherzustellen.
Mittelstandsförderung sollte nach unserer Meinung insbesondere nach drei Kriterien erfolgen. Einmal ist an einem mittelfristigen, mindestens zehn Jahre umfassenden Ausleihungszeitraum zu denken. Zweitens müßten in diesem Zeitraum feste Zinsen gewährleistet sein. Drittens müßten die Zinsen deutlich niedriger liegen als am Kapitalmarkt. Wir warnen deshalb vor der in der Projektion eingeschlagenen Linie, Kapitalmarktzinssenkungen nicht weiterzugeben. Die Erfahrungen zu Beginn dieses Jahres haben gezeigt, daß ERP bei hohem Zinsniveau am Markt nicht angenommen worden ist. Seit der Zinssenkung haben sich bezüglich des Mittelstandsprogramms die Antragseingänge bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau vervierfacht. Dies zeigt, wie wichtig eine zusätzliche Zinsförderung ist.
Wir sollten die zusätzliche Liquidität, die durch die jetzt vorhandene Aufstockung des ERP zur Verfügung gestellt wird, auch dazu nutzen, einmal die Höchstgrenzen der Kredite zu überprüfen. Sie liegen heute bei 200 000 DM. Das ist in Anbetracht der Entwicklung der letzten Jahre zu niedrig. Es ist sicher angebracht, eine Aufstockung auf 300 000 DM vorzunehmen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums aus der Unterabteilung ERP danken, aber auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die mit der Durchführung eines Teils des Programms betraut ist, ebenso der Lastenausgleichsbank.
Meine Damen und Herren, erst die Ergänzung der nie ausreichenden ERP-Mittel durch die M-Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat die volle Nutzbarkeit unserer Bemühungen für den Mittelstand zum Tragen gebracht.
Ich höre mit Freude, daß bei der Lastenausgleichsbank nun das Kreditprogramm zur Förderung der Existenzgründung munter läuft und befriedigend angenommen wird. Dagegen ist das Eigenkapitalzusatzprogramm, das die Bundesregierung gegen unseren Rat und gegen unsere Alternativvorschläge zu echter mittelständischer Kapitalbildung durchgesetzt hat, notleidend geworden, und statt der vorgesehenen 300 Millionen DM werden nur 100 Millionen DM in Anspruch genommen.
Meine Damen und Herren, da haben wir das Dilemma von ERP in der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Lage. Wir können eine noch so gute Kreditförderung bereitstellen; wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wird diese Kreditförderung nicht greifen.
Heute abend berät das Bundeskabinett über den Haushalt 1983, ganz oder teilweise. - Das haben wir daran gemerkt, Herr Staatssekretär Grüner, daß der Wirtschaftsausschuß von Minister Lambsdorff ausgeladen worden ist, der heute abend eigentlich einmal sein Gastgeber sein wollte. - Ich nehme an, daß die Beratungen im Kabinett nicht gerade bei Sektlaune vor sich gehen werden.
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Die Eckwerte 1983 erweisen sich als besonders ekkig, und zwar, wie ich sagen möchte, aus gutem Grund. Sie sind es wirklich. Wenn dieses gewaltige ERP-Fördervolumen von fast 5 Milliarden DM sinnvoll angelegt werden soll, dann brauchen wir auch eine darauf abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet gerade für Handel, Handwerk, Kleingewerbe, für die mittelständische Industrie keine zusätzlichen Abgabenbelastungen, sondern es muß eine Wirtschaftspolitik betrieben werden, die die Investitionskraft durch eine verstärkte Eigenkapitalbildung fördert.
Daß wir bald wieder eine Regierung haben, die so etwas unserem Mittelstand ermöglicht, das möchte ich hier abschließend als meine Hoffnung zum Ausdruck bringen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der heute zur zweiten und dritten Beratung anstehende Entwurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes ist während der Ausschußberatungen erheblich verändert worden. Das ist zutreffend, Herr Warnke. In seiner ursprünglichen Form hatte er etwa dasselbe Fördervolumen wie 1981. Dann einen Rückgang des Nettofördervolumens anzunehmen, wenn dieses bei einer Summe von 4,8 Milliarden DM um 15 Millionen DM sinkt, würde ich als etwas zu weitgehend bezeichnen.
Nun wäre dieser Plan sicherlich in seiner alten Form ebenso nützlich und hilfreich gewesen. Wir hätten ihn unisono wie in früheren Jahren als ein bewährtes Instrument zur Führung und Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und als unentbehrlich für die Berliner Wirtschaft abgesegnet.
Die nunmehr vorliegende Fassung ist aber von neuer Qualität.
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Mit der Gemeinschaftsinitiative wird das ERP-Zusagevolumen um rund 50 % auf mehr als 4,8 Milliarden DM aufgestockt. Dies ist auf Grund der konjunkturellen Lage auch nötig.
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Allerdings scheint die Lage immer noch besser zu sein als das Klima. Das Klima ist heute nicht zuletzt auch deshalb schlecht, weil das ständige Gerede über unsere angeblich falsche Wirtschaftspolitik und die fehlende Wirkung staatlicher Maßnahmen die wirtschaftlichen Erwartungen negativ beeinflußt. Wer Erwartungen zerstört, falsche Tabus aufbaut und die psychologische Komponente negiert, trägt zur Klimaverschlechterung bei. Auch Sie haben dazu einen Beitrag geleistet, Herr Warnke.
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In dieser Situation fällt eine optimistisch klingende Stimme auf, nämlich die der Bundesbank. Das ist doch überraschend. Der neue Lagebericht der Bundesbank spricht davon, daß erstens der letzthin starke Anstieg der Auslandsnachfrage nachgelassen hat, aber die Binnennachfrage nicht weiter gesunken ist. Die Bundesbank spricht zweitens davon, daß seit Jahresbeginn die Lagerbestände - vor allem bei Fertigwaren - zugenommen haben. Die Bundesbank spricht drittens davon, daß die verbesserte Kostensituation der Unternehmer wieder steigende Erträge erwarten läßt.
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Bei relativ stabilen Preisen, bei nachhaltigen Verbesserungen der Leistungsbilanz und deshalb niedrigeren Kreditzinsen ist nach Meinung der Bundesbank in der Wirtschaft ein Konsolidierungsprozeß in Gang gekommen. Die Wirtschaft stagniere zwar weiter, doch die Grundbedingungen für das Wachstum hätten sich gebessert, Herr Warnke. So zu lesen im „Handelsblatt" von gestern.
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Zu dieser vorsichtig optimistischen Zwischenbilanz kommt die Bundesbank sicherlich auch deshalb, weil die sozialliberale Koalition in letzter Zeit vielfältige kurz- und mittelfristig wirksame MaßDr. Mitzscherling
nahmen zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen beschlossen hat. Hierzu zählen selbstverständlich auch die maßvollen Lohnabschlüsse unserer Gewerkschaften, die den Kostendruck der Unternehmen deutlich vermindert haben.
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Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich hierdurch zweifellos verbessert.
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Aber noch stagniert die Produktion, hält die Investitionsschwäche an, und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sie ist viel zu hoch.
Auch sind die Schritte der Bundesbank, die sie zur weiteren Ausnutzung des Zinssenkungsspielraumes gerade eingeleitet hatte, erneut gebremst worden; denn die unverständliche und in Extremen gefangene amerikanische Geld- und Finanzpolitik hat über steigende Dollarzinsen auch unsere Zinsen wieder nach oben getrieben. Das paßt nicht in unsere binnenwirtschaftliche Landschaft. Wir brauchen niedrigere Zinsen, damit wieder mehr investiert wird, und zwar in Sachkapital.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Warnke?
Bitte sehr.
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Herr Kollege Mitzscherling, da Sie der amerikanischen Politik Unverständlichkeit bescheinigen, frage ich Sie: Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß sicherlich hohe amerikanische Defizite vorhanden sind, daß aber jemand, der als Regierungspartei in Deutschland mit so hohen Defiziten im Glashaus sitzt, doch besser nicht mit Steinen auf die amerikanische Politik werfen sollte?
({0})
Herr Kollege Warnke, wir haben heute einen Bericht des Bundeskanzlers über den Weltwirtschaftsgipfel gehört. Ich glaube, wesentlicher Bestandteil der dortigen Absprache war unter anderem, daß die amerikanische Regierung interveniert, wenn es zu weiteren Schwankungen des Dollars gegenüber der D-Mark kommt. Die Amerikaner haben zugesichert, daß sie auch ihre Haushaltspolitik stärker ausgleichen wollen. Offensichtlich ist die Einschätzung der amerikanischen Wirtschaft über die Aussage ihrer eigenen Regierung nicht so positiv, so daß sich derartige Schwankungen ergeben und die Zinssätze in Amerika entsprechend hoch gehen. Daraus Parallelen zur Bundesrepublik ziehen zu wollen, zu den Bemühungen um Konsolidierung des Haushalts - Sie haben ja vorhin davon gesprochen -, verbietet sich, glaube ich; denn Sie wissen genau, daß derartige Konsolidierungsbemühungen von der Bundesregierung ausdrücklich mit Vorgaben begründet und akzeptiert worden sind und auch durchgeführt werden. Was wir heute machen, ist doch das schwierige Geschäft, eine Umstrukturierung des Haushalts zu erreichen, die mittelfristig wirkt. Das geht nicht von heute auf morgen, das dauert Zeit.
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Niedrigere Zinsen sind vor allem für die kleinen und mittleren Betriebe mit ihrer relativ geringen Kapitalausstattung wichtig. Ich glaube, in dieser Einschätzung unterscheiden wir uns kaum. Wenn die Bundesregierung die Aufstockung des ERP-Sonderprogramms für kleine und mittlere Unternehmen immerhin um 600 Millionen DM - davon 250 Millionen DM für Existenzgründungen - vorschlägt, dann ist das erstens wirtschaftspolitisch richtig und zweitens ein klares Bekenntnis der Bundesregierung: welche bedeutende Rolle sie nämlich den kleinen und mittleren Unternehmen in unserer Volkswirtschaft hinsichtlich der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sowie der Erhaltung unserer Wettbewerbsfähigkeit zuweist.
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Wir Sozialdemokraten unterstützen dieses Bekenntnis zum Mittelstand ausdrücklich. Es entspricht im übrigen auch unserem Godesberger Programm.
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- Das Programm gilt, und daß es gilt, beweisen wir täglich durch unsere Politik.
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Auch die Münchener Beschlüsse, die von Ihnen so oft zitiert werden, enthalten mittelstandsfreundliche Komponenten, ob Sie das nun glauben oder nicht. Ich empfehle Ihnen, sich diese Beschlüsse doch einmal anzusehen.
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Wir haben die Bundesregierung zu vielen Entscheidungen aufgefordert, mit denen den kleinen und mittleren Unternehmen geholfen wird. Sie hat diese Entscheidungen auch getroffen.
({5})
Das ist doch nicht zu negieren. Was ist denn die Verbesserung der Abschreibungserleichterungen, was ist denn die Verlängerung des Verlustrücktrages?
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Was ist die Ausweitung des Programms der Kreditanstalt für Wiederaufbau? Das können Sie doch nicht einfach vom Tisch fegen. Das sind doch Entscheidungen, die in diesem Raume getroffen worden sind und die das Parlament bejaht hat. Schließlich ist auch die Verschärfung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in diesem Zusammenhang zu nennen.
Um so weniger, meine Damen und Herren von der Opposition, verstehe ich - und ich bedaure es ausdrücklich -, daß Sie sich bisher nicht bereitfinden
konnten und das auch durch die Rede von Herrn Warnke wieder bekräftigt haben, dieser mittelstandsfreundlichen Aufstockung der ERP-Mittel zuzustimmen. Wer die Klagen des Mittelstandes über die drückend hohen Zinsen ernst nimmt, der muß die Bereitstellung zinsbegünstigter Kredite begrüßen. Ich glaube nicht, daß die Selbständigen und Mittelständler Ihre ablehnenden Gründe, die Sie hier zur Aufstockung genannt haben, Herr Warnke, verstehen werden. Aber das ist Ihr Problem. Sie verweigern Ihre Zustimmung im wesentlichen mit formalen Einwänden. Ökonomische Einwände vermag ich nicht zu erkennen. Es sei denn, man interpretiert Ihre Formulierung im Ausschußbericht entsprechend, das Aufstockungsprogramm komme nach Ansicht der Opposition weitgehend erst im nächsten Jahr zum Tragen. Aber was ist das für eine Begründung?
Lassen Sie mich für die SPD folgendes feststellen. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung bereit war, durch Übernahme der Forderungen des ERP-Sondervermögens an die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Weltbankgruppe in Höhe von zusammen 468 Millionen DM in den Bundeshaushalt eine für das ERP-Sondervermögen kostenneutrale Finanzierung des Aufstockungsprogrammes sicherzustellen.
({7})
Wir stimmen mit Ihnen, Herr Warnke, und mit unserem Koalitionspartner natürlich darin überein, daß die Erhaltung dieses wertvollen Instruments der Wirtschaftspolitik, des ERP-Sondervermögens, einen pfleglichen Umgang mit ihm erfordert.
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- Sicherlich zwingt dies auch zu einer Beschränkung der Kreditaufnahme durch das ERP-Vermögen. Wo hier die Grenzen sind, Herr Schulze, das werden wir feststellen müssen. Wir wehren uns nur dagegen, daß immer wieder der Eindruck erweckt wird, als redeten wir einer unverantwortlichen Verschuldung des ERP-Sondervermögens das Wort.
({9})
Was wir wollen, ist eine volle Ausschöpfung der ERP-Mittel zur Verbesserung der konjunkturellen Lage.
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Deshalb ist die SPD auch für eine möglichst rasche Verabschiedung dieses ERP-Wirtschaftsplanes 1982, weil die im Ausschuß beschlossenen Veränderungen sofortige Kreditzusagen nach Inkrafttreten des Nachtragshaushaltes ermöglichen. Deshalb ist jede Verzögerung schädlich. Unabhängig hiervon sollte die Bundesregierung - da sind wir einer Meinung - alsbald die mittelfristigen Auswirkungen der zu verabschiedenden Beschlüsse in einer aktualisierten Finanzprojektion vorlegen.
Lassen Sie mich bitte darauf hinweisen, daß wir mit dem ERP-Programm eine erhebliche Aufstokkung der für Umweltschutz vorgesehenen Mittel vornehmen, und zwar von ursprünglich 500 Millionen auf nunmehr 1,5 Milliarden DM.
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Diese Mittel stehen für Investitionen in den Bereichen der Abwasserreinigung, der Kläranlagen, der Reinhaltung der Luft sowie der Abfallwirtschaft zur Verfügung. Wir machen damit deutlich, daß wir es ernst meinen mit der Forderung, wirtschaftliches Wachstum und Umweltschutz miteinander zu verbinden. Die Vereinbarkeit beschäftigungswirksamer Investitionen und verbesserter ökologischer Bedingungen wird damit unterstrichen.
({12})
Wir betrachten dies als einen ersten großen Schritt auf dem Wege zu einem stärker qualitativ orientierten Wachstum,
({13})
das wir anstreben. Deshalb möchten wir der Bundesregierung für diese deutliche Markierung ausdrücklich danken.
({14})
Meine Damen und Herren, dieses Finanzierungsangebot für mehr Umweltschutz richtet sich sicherlich vor allem an die Gemeinden. Es richtet sich erstmals auch an Berlin. Wir fordern die Kommunen, fordern den Senat von Berlin auf, dieses Angebot auch anzunehmen.
Die Erhaltung und Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Berlins mit Hilfe der ERP- Sondermittel ist nach wie vor ein Hauptanliegen aller Seiten in diesem Hause. Deshalb sah die Regierungsvorlage für 1982 ein Nettoförderungsvolumen von abermals über 560 Millionen DM für Berlin vor. Das ist fast ein Fünftel des ursprünglichen Gesamtkreditvolumens. Durch Vorlage vernünftiger und förderungsfähiger Konzepte erhält der Berliner Senat nun die Chance, an den in Kapitel 1 des Gesetzes bereitgestellten und erheblich aufgestockten Kreditmitteln zu partizipieren und den auf Berlin entfallenden Förderungsanteil im Interesse der wirtschaftlichen Stabilisierung der Stadt und der Beseitigung der in Berlin überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit noch zu erhöhen.
Die SPD stimmt dem Gesetzentwurf zu. Das Zusatzprogramm wird positiv wirken für kleine und mittlere Betriebe, beim Ausbau des Umweltschutzes und hoffentlich auch in Berlin.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn wir heute über das ERP-Wirtschaftsplangesetz 1982 diskutieren, dann sollte dies nach meiner Auffassung nicht geschehen, ohne der Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen, daß hinter den Buchstaben ERP eines der bedeutendsten und erfolgreichsten WirtschaftsproBeckmann
gramme der neueren Geschichte steht: das European Recovery Program, in der Öffentlichkeit eher mit dem Namen seines Initiators, des ehemaligen amerikanischen Außenministers George C. Marshall, verbunden. In einer Zeit, in der das deutschamerikanische Verhältnis manchem in neuem Lichte erscheint, sollten wir uns daran erinnern. Das ERP- und seine Folgeprogramme haben in das vom Krieg zerstörte freie Deutschland und nach Berlin notwendige Wirtschafts- und Lebensgüter gebracht, die sich das devisenarme Deutschland in jener Zeit sonst nicht hätte erlauben können. Von welch großer Bedeutung vor mehr als 30 Jahren diese amerikanische Hilfe für Existenz und Entwicklung unseres Landes gewesen ist, haben zahlreiche Redner, insbesondere auch der Bundesminister für Wirtschaft, noch vor wenigen Tagen anläßlich der Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen der deutschen Marshallstiftung mit Recht hervorgehoben. Ich möchte dies gern zum Anlaß nehmen, zu sagen, daß der Marshallplan und seine historischen Auswirkungen auf den Wiederaufbau und den Zusammenschluß Westeuropas und die Verwirklichung der atlantischen Partnerschaft im Bewußtsein der öffentlichen Meinung unseres Landes einen besonders hohen Rang verdienen.
({0})
Die Tatsache, daß die Wirtschaftsplangesetze über das ERP-Sondervermögen in der Vergangenheit stets einstimmig von den Parteien dieses Hohen Hauses verabschiedet worden sind, ist ein Zeichen der Gemeinsamkeit, die gerade in der Hitze des politischen Tagesgeschäfts, Herr Kollege Warnke, hervorgehoben werden muß. Auch die Zuschüsse für die DIAG, Herr Warnke, sind mit Zustimmung der Opposition beschlossen worden. Ich möchte das noch einmal in Erinnerung rufen angesichts Ihrer Bemerkung, die wir hier haben hören müssen. Ich meine also, daß wir diese Gemeinsamkeit auch in Zukunft zur Pflege und Erhaltung des ERP-Sondervermögens beibehalten sollten. Deswegen bedauern wir es schon sehr, daß die CDU/CSU-Fraktion offensichtlich im Vollzuge einer ziemlich durchsichtigen Strategie diesmal nicht zustimmen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke?
Ich bitte darum.
Herr Kollege Beckmann, ist Ihnen bekannt, daß das Malheur mit der DIAG damit begonnen hat, daß der nicht unbeträchtliche Betrag von immerhin 300 Millionen DM als Zuschuß hinter dem Rücken und ohne Wissen des Parlaments gewährt worden ist?
Herr Kollege Dr. Warnke, die historischen Zusammenhänge und die geschichtliche Entwicklung des ERP-Sondervermögens sowie der Bundesbeteiligungen sind uns allen natürlich bestens bekannt. Wir haben die Probleme ja mit gemeinsamer Hilfe sowohl der Opposition als auch der Koalition zu überwinden versucht. Ich habe darauf hingewiesen, daß auch die Opposition seinerzeit dem ihre Zustimmung nicht versagt hat, was ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen möchte.
Ich bin allerdings der Auffassung, daß der Redner der Opposition hinsichtlich der aus seiner Sicht mangelhaften Zielprojektionen für die Finanzierung hier im Grunde einen Pappkameraden aufgebaut hat, den abzuschießen ihm nicht gelungen ist.
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Die Bundesregierung hat uns in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren ständig über die Finanzprojektionen zum ERP-Sondervermögen informiert. Ich muß Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Warnke, und in Erinnerung rufen, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister Ihnen noch am 17. Juli 1981, nachdem Sie in der letzten Debatte in diesem Hause über das ERP-Sondervermögen bereits ähnliche Bemerkungen gemacht hatten, geschrieben hat, welche Informationen Ihnen - im einzelnen detailliert dargelegt - in dieser Angelegenheit an die Hand gegeben worden sind.
({1})
Ich finde es allmählich doch ein bißchen langweilig, daß Sie in jeder Debatte über dieses Thema - da begrüßt man dann von Jahr zu Jahr immer wieder einen alten Bekannten - dieses Argument hervorholen. Ich muß Ihnen allerdings zugute halten, daß ich diese Ihre Einlassungen als eine verzeihliche Pflichtübung werte.
Meine Damen und Herren, das ERP-Sondervermögen und die zur ergänzenden Finanzierung der Förderungsprogramme in beschränktem Maße aufzunehmenden Kredite haben seit Bestehen dieses Programms ihrem revolvierenden Charakter entsprechend eine Gesamtleistung von immerhin über 50 Milliarden DM erbracht. Einen besonders hohen Anteil machen dabei die Leistungen für den mittelständischen Bereich, für kleine und mittlere Unternehmen des Handels, des Gewerbes und der Gastronomie aus. Diese Politik der Hilfe bei der Errichtung, Erweiterung, Rationalisierung und Umstellung von Betrieben wird auch mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf fortgesetzt.
({2})
In ihr drückt sich die Kontinuität unserer Politik, der Politik dieser Koalition zur Entlastung und Förderung des Mittelstands aus. Es ist eine Politik, die all die Vorwürfe der Opposition widerlegt, die Bundesregierung habe sich nicht entschieden genug für die Belange des Mittelstandes eingesetzt.
({3})
Verehrte Kolleginnen und meine Herren Kollegen, lassen Sie mich deshalb noch einmal kurz - um auch dem entgegenzutreten, was der verehrte Redner der Opposition hier vorgetragen hat - die Bilanz der Leistungen der sozialliberalen Koalition in diesem Bereich anführen. Herr Kollege Dr. Mitzscherling war ja schon so aufmerksam, einige ganz entscheidende Punkte zu nennen. Ich kann die Liste eigentlich nur ergänzen. Es beginnt schon mit der Öffnung der Rentenversicherung für die Selbständi6654
gen im Jahre 1972 und der Erweiterung im Jahre 1975 und setzt sich fort über die Beseitigung der 3 %igen Ergänzungsabgabe im Jahre 1975, den 1976 eingeführten Verlustrücktrag - Sie haben darauf hingewiesen - und seine Ausdehnung auf zwei Jahre, wie sie kürzlich in 1982 vorgenommen worden ist; es geht weiter bis zur Erhöhung der Freibeträge für Gewerbeertrag und Gewerbekapital unter gleichzeitiger Umwandlung der Freigrenzen in einen Freibetrag. Das reicht weiter von der Erhöhung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen über die Novellierung des Kartellgesetzes - bei der wir allerdings gern eine etwas mittelstandsfreundlichere Haltung der Opposition gesehen hätten, Herr Kollege Warnke! -,
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über die Abschaffung der Lohnsummensteuer schließlich bis zur Aufstockung des ERP-Existenzgründungsprogramms. Dies kann bei der Fülle unserer mittelstandspolitischen Aktivitäten nur eine kurze und unvollständige Aufzählung sein, die Ausdruck einer Mittelstandspolitik ist, deren tatsächliche Leistungen auch von Ihnen, von der Opposition, hier nicht wegdiskutiert werden können.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Warnke? - Es liegt in Ihrem Ermessen, ob Sie die Frage zulassen.
Bitte, Herr Kollege Warnke.
Herr Kollege Beckmann, können Sie uns angesichts dieser Fülle von mittelstandspolitischen Wohltaten die Undankbarkeit des Mittelstandes gegenüber der Koalition erklären, die in dessen Verhalten bei den letzten Wahlen sichtbar wurde?
Herr Kollege Dr. Warnke, ich bin Ihnen für diese Frage ausgesprochen dankbar, denn nach all diesen vom Bundesgesetzgeber getroffenen Maßnahmen hat sich die Anerkennung im Wahlergebnis für die Freie Demokratische Partei am 5. Oktober 1980 niedergeschlagen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will diese Liste der Leistungen im Mittelstandsbereich - von der Gewährung der Investitionszulage, die wir erst kürzlich besprochen haben, über die Erhöhung der Abschreibungssätze und die Novellierung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bis zur Lockerung des Mietrechts - jetzt gar nicht mehr ausweiten. All diese Maßnahmen zeigen letztendlich, daß wir uns nicht von dem eingeschlagenen Weg zur Konsolidierung und Sicherung des Mittelstandes abbringen lassen.
Hiervon gibt auch der vorliegende Entwurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes Zeugnis. Die Schwerpunkte liegen wiederum bei den Finanzierungshilfen zur Leistungssteigerung kleinerer und mittlerer Unternehmen, und wir als Freie Demokraten begrüßen ausdrücklich, daß die Mittel des ursprünglichen Planentwurfs durch die Gemeinschaftsinitiative um 1,6 Milliarden DM aufgestockt worden sind. Wir begrüßen das, weil hierdurch in besonderem Maße die Konzentrierung der Mittel auf die mittelständische Wirtschaft betont wird, und das entspricht ja letztlich - das ist erfreulich - auch den Forderungen aller drei Fraktionen.
({1})
Lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit bitte ich sehr um Verständnis dafür, daß ich meine Ausführungen jetzt weiterführen möchte.
Hervorheben möchte ich, daß allein der Bareinsatz für die Förderung der Leistungssteigerung von Mittelstandsbetrieben in diesem Plan mehr als 50 % ausmachen wird. Wir wissen, daß die mittelständischen Unternehmen von der Schwäche unserer Konjunktur naturgemäß besonders betroffen sind, und wollen dies durch eine vorrangige Förderung berücksichtigen.
Der Herr Kollege Dr. Mitzscherling hat einen, wie wir glauben, ganz wichtigen Bereich noch einmal hervorgehoben. Es handelt sich um die erheblich aufgestockten Mittel zur Verbesserung des Umweltschutzes. Gerade in einer Zeit, in der unsere Bürger, insbesondere die junge Generation, ihr Augenmerk verstärkt und, wie ich meine, auch zu Recht auf Umweltschutz und Ressourcenschonung legen, kommt dieser Politik ganz besondere Bedeutung zu.
({0})
Deswegen sollten wir auch hervorheben, daß das Fördervolumen des ERP-Plans im Umweltschutzbereich inzwischen die bemerkenswerte Höhe von mehr als 1,5 Milliarden DM erreicht hat.
({1})
Allein für Abwasserreinigung erhöht sich der Ansatz von 425 auf 965 Millionen, bei der Reinhaltung der Luft erhöht er sich von 55 Millionen auf sage und schreibe 265 Millionen, in der Abfallwirtschaft erhöht er sich von 45 auf 280 Millionen DM. Wir hoffen nur, daß die Gemeinden willens und in der Lage sind, diese Mittel in Anspruch zu nehmen.
({2})
Die Zahlen, die ich hier vorgetragen habe, beweisen, daß Fragen und Probleme des Umweltschutzes von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien nicht nur in ihren verbalen Äußerungen, sondern auch in der Umsetzung von Absichtserklärungen in praktische Politik ernstgenommen werden.
({3})
Für uns Freie Demokraten jedenfalls ist auch die
verstärkte Förderung des Umweltschutzes durch die
Fördermaßnahmen dieses Programms ein weiterer Schritt auf dem langen und beschwerlichen Weg zur Lösung eines Grundproblems unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal hervorheben: Wir Freien Demokraten werden wie bisher auch zukünftig unsere Politik der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und der freiberuflich Tätigen fortsetzen, Benachteiligungen in diesem Bereich ausgleichen und die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes sichern. Wie ich eingangs festgestellt habe, ist dies durch unsere Politik und ihre Umsetzung durch die liberalen Wirtschaftsminister in weit höherem Maße als in der gesamten Geschichte unseres Landes seit Einführung der sozialverpflichteten Marktwirtschaft geschehen.
({4})
Bei dieser Politik werden wir Freien Demokraten bleiben.
({5})
Der Entwurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 1982 ist Ausdruck und Dokumentation unseres diesbezüglichen Willens. Meine Fraktion wird daher der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses gern zustimmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -({0})
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland
- Drucksache 9/1572 - Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1})
- Drucksache 9/1777 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitt ({2}) Link
({3})
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Auch sonst wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin
- Drucksache 9/1640 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({4})
- Drucksache 9/1780 Berichterstatter:
Abgeordnete Wartenberg ({5}) Schulze ({6})
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg als Berichterstatter wegen einer redaktionellen Änderung gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur um das Wort gebeten, um eine redaktionelle Berichtigung einzubringen:
In Art. 1 Nr. 2 ist in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe o) ({0}) „§ 6 Abs. 2" zu streichen.
In Art. 2 § 3 ({1}) ist in Abs. 1 b letzter Satz die Verweisung „Absatz 2 Satz 3" durch die Verweisung „Absatz 1 a Satz 3" und in Abs. 2 Satz 2 die Verweisung „Absatz 3" durch die Verweisung „Absatz 1 b" zu ersetzen.
({2})
Wartenberg ({3})
Diese redaktionelle Änderung ist notwendig geworden. Wir haben erst gestern im Ausschuß die Beschlußempfehlung verabschiedet, und es war wenig Zeit, den Bericht zu verfassen. Dadurch hat sich die Verwaltung hier in einem Punkt in der Numerierung geirrt.
({4})
Ich bitte Sie, dem Gesetz mit diesen redaktionellen Änderungen zuzustimmen.
({5})
Ich gehe davon aus, daß das Haus diese Änderungen im Einzelfalle mitverfolgt hat. Ich bitte aber trotzdem, die Änderungen hier oben noch schriftlich einzureichen.
Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 5 und 7 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter vorgetragenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? ({0})
Die Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Die Abgeordneten Hansen und Niegel haben nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur abschließenden Abstimmung zu Protokoll gegeben.*
({1})
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. ({2})
Gegenstimmen? - Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? - Das Gesetz ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, auf morgen, Freitag, den 25. Juni 1982, 9.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.