Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet,
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/33 Die Fragen werden in der folgenden Reihenfolge aufgerufen: zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen und danach die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich rufe zuerst Frage 64 des Abgeordneten Hansen auf:
Welche neuen Verpflichtungen ist die Bundesregierung seit dem Militärputsch vertraglich gegenüber der Türkei eingegangen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Präsident! Am 17. November 1980 wurde in Ankara der Vertrag über die Rüstungssonderhilfe unterzeichnet, die im Mai 1980 vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gebilligt und mit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts 1980 haushaltsrechtlich gesichert worden war. Bis auf eine Erhöhung der Einzahlung des deutschen Beitrages zu dem Kreditsonderfonds für türkische Arbeitnehmergesellschaften in Höhe von 1,7 Millionen DM ist die Bundesregierung seit dem 12. September 1980 keine neuen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Türkei eingegangen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, bezieht sich das auch auf Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre, und, wenn j a, hat die Bundesregierung vor, mit solchen weiteren voraussichtlichen Zahlungen gewisse Auflagen zu verbinden?
Herr Kollege, es bezieht sich auch auf Verpflichtungserrnächtigungen, soweit es im Rahmen Ihrer Frage um neue vertragliche Bindungen gegenüber der Türkei geht.
Eine weitere Zusatzfrage? -- Bitte.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, ob die Bundesregierung vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Präambel des NATO-Vertrages die Absicht hat, bei zukünftigen Zahlungen an die Türkei Auflagen zu machen, die zum Ziel haben, die von der Militärjunta selbst angekündigte Wiederherstellung der Demokratie zu beschleunigen, und, wenn nein, welche anderen geeigneten Schritte, die die Bundesrepublik Deutschland unternehmen könnte, um die Wiederherstellung der Demokratie in dem NATO-Partnerstaat Türkei zu sichern, halten Sie für möglich?
Herr Kollege, ich meine, wenn man die Entwicklung der Anwendung von Gewalt in der Türkei betrachtet, kann man feststellen, daß die Zahl der Gewaltanschläge in den letzten Monaten nicht unerheblich zurückgegangen ist. Die Bundesregierung hofft, daß auf dem Wege der Sicherung des inneren Friedens in der Türkei dann der Schritt getan werden kann, von dem, wie Sie mit Recht sagen, auch die türkische Regierung spricht: der Übergang zu demokratischen Verfahren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Meinike.
Herr Staatsminister, darf ich Sie unter Hinweis darauf, daß Sie von Verpflichtungen sprachen, die nach dem 12. September 1980 nicht mehr eingegangen wurden, fragen, welche Zahlungen in Millionenhöhe denn nach dem 12. September 1980 auf Grund früherer Verpflichtungen an die Türkei geleistet worden sind?
Herr Kollege, da bin ich im Augenblick wirklich überfragt, weil sich die Fragestellung ausdrücklich auf neue Verpflichtungen erstreckt hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Coppik.
Herr Staatsminister, beziehen Sie, wenn Sie davon sprechen, in den letzten Monaten sei die Zahl der Gewaltanschläge in der Türkei zurückgegangen, in diese Rechnung auch die Gewaltanschläge mit ein, die seitens der derzeitigen Regierung in der Türkei begangen werden?
Herr Kollege, wir haben im vorausgegangenen Deutschen Bundestag zu diesem Thema einmal eine Frage gehabt, und schon damals habe ich darauf hingewiesen, daß uns von türkischer Seite zugesichert wurde -- und dies geschah jetzt, am 6. Dezember 1980, erneut -, daß man alle Vorfälle der rechtlosen Anwendung von Gewalt, die angezeigt werden, von seiten der türkischen Regierung verfolgen wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Corterier.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß türkische Parlamentarier von allen demokratischen Parteien, die in den letzten Wochen an Sitzungen des Europarates und der Nordatlantischen Versammlung teilgenommen haben, in diesen Gremien mit großem Nachdruck dafür plädiert haben, die gegenwärtige türkische Regierung wenigstens für eine Übergangszeit zu unterstützen?
Herr Kollege, das ist mir bekannt.
Ich rufe Frage 65 des Abgeordneten Thüsing auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, auch nach dem Militärputsch die Militärhilfe für die Türkei fortzusetzen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Thüsing, die Antwort lautet: Sicherheitspolitische Erwägungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß im Rahmen der Verpflichtungsermächtigungen vor kurzem der Türkei 600 Millionen DM an Militärhilfe zur Verfügung gestellt wurden?
Herr Kollege, ich kann diese Summe jetzt so nicht bestätigen, weil ich nicht weiß, auf welchen Zeitraum Sie Bezug nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie nicht einen Widerspruch darin, daß die Regierung, als dieses Parlament die Türkeihilfe beschlossen hat, erklärt hat, diese Hilfe diene der Sicherung der Demokratie in der Türkei, nun nach dem Militärputsch, der durch die Hilfe gerade verhindert werden sollte, erklärt, die Hilfe diene der Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei?
Herr Kollege, es gibt auch aus den Parteien der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Äußerungen, die unterstreichen, daß man unter den gegebenen Bedingungen eine solche Hilfe geben sollte. Ich glaube, alle im Deutschen Bundestag vertretenen Partei en haben sieh in entsprechender Weise geäußert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Meinike.
({0})
Herr Staatsminister, darf ich auch unter Hinweis auf die Bundestagssitzung, in der der Nachtragshaushalt 1980 verabschiedet wurde, noch einmal fragen: Darf ich nach dem, was Sie erklärt haben, davon ausgehen, daß die Bundesregierung keine Bedenken hat, daß unsere Gelder auch unter der Obhut eines Militärregimes in der Türkei gut aufgehoben sind und daß unsere Erwartungen erfüllt werden, daß die türkische Regierung endlich den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Einhalt gebieten wird?
Herr Kollege, die Bundesregierung kann im Rahmen ihrer Möglichkeiten nur gemeinsam mit den übrigen Partnern des Bündnisses oder auch der Europäischen Gemeinschaft gegenüber der Regierung der Türkei darauf drängen, daß in der Türkei Fortschritte in Richtung auf die Wiederherstellung der Demokratie gemacht werden. Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß es möglich wäre, von hier aus im einzelnen derartige Schritte gewissermaßen herbeizuführen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Coppik.
Herr Staatsminister, da die Militärhilfe aus sicherheitspolitischen Gründen geleistet wird, frage ich Sie, in welcher Weise die Bundesregierung sicherstellt, daß die von uns gelieferte Militärausrüstung nicht zur Unterdrückung des türkischen Volkes und nicht zur Unterdrückung nationaler Minderheiten, insbesondere des kurdischen Volkes mißbraucht wird.
Herr Kollege, die Militärhilfe ist so ausgestattet und unterliegt derartigen Bedingungen, daß sie sich auf Aufgaben im Rahmen des Bündnisses erstreckt.
Herr Abgeordneter Hansen. Zusatzfrage.
Hansen ({0})- Herr Staatsminister, darf ich aus Ihren bisherigen Antworten zu den gestellten Fragen entnehmen, daß Sie es für prinzipiell unzulässig halten, eine Verbindung herzustellen zwischen der von uns gewährten Militärhilfe an die Türkei und dem von der Bundesregierung doch auch propagierten Ziel, alles zu tun, um demokratische Verhältnisse in der Türkei wieder herzustellen?
Herr Kollege, ich glaube, Sie dürfen diese Schlußfolgerung nicht ziehen. Ich habe hier darauf hingewiesen, daß die BunStaatsminister Dr. von Dohnanyi
desregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, und das heißt auch, im Rahmen des Bündnisses, darauf drängen wird, daß in der Türkei so bald wie möglich wieder demokratische Verfahren eingeführt werden. Aber ich verweise noch einmal auf die Fortschritte, die bei der Bekämpfung von terroristischer Gewalt gemacht wurden.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Gibt es nach Meinung der Bundesregierung Anhaltspunkte, die eine
baldige Rückkehr der Türkei zur Demokratie erwarten lassen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, es gibt ausdrückliche Erklärungen der Militärbehörden in dieser Richtung. Ich habe darauf bereits Bezug genommen. Allerdings ist die Lage weiterhin schwierig.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, werden ihr Optimismus und Ihr Hinweis auf die Erklärungen nicht dadurch erschüttert, daß die ursprünglich von den Militärs genannten Termine nun allesamt zurückgenommen wurden?
Herr Kollege, ich bin nicht sicher, ob alle Termine, wie Sie sagen - ich kann das nicht bestätigen -, zurückgenommen worden sind. Sicher ist, wie ich vorhin ausgeführt habe, daß die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darauf drängen wird, daß demokratische Verfahren in der Türkei wieder eingeführt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Meinike.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie die von Ihnen genannten Erwartungen im Hinblick auf den erst gestern bekanntgewordenen Bericht von amnesty international, nach dem gerade in der Türkei erhebliche Verletzungen der Menschenrechte festzustellen gewesen und keine Verbesserungen eingetreten sind?
Herr Kollege, ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal, wie ich das bereits tat, auf Äußerungen der türkischen Regierung hinsichtlich der Bereitschaft, alle derartigen Vorgänge, soweit sie angezeigt werden, zu verfolgen, und ich verweise ausdrücklich noch einmal auf die Erklärung von Premierminister Admiral a. D. Ulusu, der dies in einer Pressekonferenz am 6. Dezember, also vor wenigen Tagen, noch einmal ausdrücklich unterstrichen hat. Ich will hier folgendes offen sagen. Wenn solche Vorgänge über amnesty international bekannt sind, so sind wir gern bereit, auch zur Verfügung zu stehen, um die Vorgänge weiter zu melden und der türkischen Regierung eine Chance zu geben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen, bitte.
Herr Staatsminister, halten Sie den Hinweis auf die schwierige Lage in der Türkei für eine inhaltlich ausreichende Antwort auf die Frage des Kollegen Thüsing?
Herr Kollege, ich wurde gefragt, ob es Anhaltspunkte gibt. Ich habe darauf hingewiesen, daß es von seiten der türkischen Regierung zahlreiche Erklärungen gibt. Ich habe eine letzte aus dem Dezember noch einmal zitiert. Wir haben keinen Anlaß, anzunehmen, daß diese Erklärungen nicht ernst gemeint sind. Ich habe allerdings darauf hingewiesen, daß der Weg, der hier gegangen wird, offenbar ein schwieriger Weg ist.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat der Bundesaußenminister die Gewährleistung des menschenrechtlichen Mindeststandards für Deutsche unter fremder Herrschaft im Ostblock in bezug auf die Nichtdiskriminierung wegen ihrer nationalen Herkunft sowie bezüglich der Gewährleistung der kulturellen Eigenart ({0}) und der Aus reisefreiheit ({1}) bei der KSZE-Folgekonferenz in Madrid zur Sprache gebracht, oder wird die deutsche Delegation dies tun?
Bitte; Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Antwort lautet: Dies ist vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie mir schriftlich mitteilen, wann und mit welchem Text die Gewährleistung der Pflege kultureller Eigenart Deutscher unter fremder Herrschaft und ihre Ausreisefreiheit zur Sprache gebracht werden?
Das kann ich tun, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, sind die Verbündeten vorher von der Notlage dieser Deutschen eingehend mit Daten informiert worden, nachdem z. B. der amerikanische Vertreter die Ausreiseanliegen anderer nationaler Gruppen, aber nicht die der Deutschen zur Sprache brachte?
Herr Kollege, ich kann das im Augenblick nicht überprüfen, aber wir besprechen alle diese Vorgänge unter den westlichen Teilnehmern der Konferenz. Ich gehe auch davon aus, daß auf diese Zusammenhänge hingewiesen worden ist. Ich kann es Ihnen aber im Augenblick nicht belegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}), bitte.
Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung auch im zweiten Teil des Folgetreffens von Madrid, nachdem für die Implementierungsdebatte nur noch ganz wenige Tage zur Verfügung stehen, konkrete Vorschläge vorzulegen, die der Verbesserung der menschenrechtlichen Situation dieses Personenkreises dienen?
Herr Kollege, die Bundesregierung muß sich natürlich im Rahmen der Madrider Konferenz auf die Möglichkeiten und Fragen konzentrieren, die im Rahmen dieser Konferenz bestehen und die auch auf der Plattform dieser Konferenz eventuell gelöst werden können.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des britischen Außenministers Carrington ({0}), daß „die Ereignisse in Afghanistan, Iran, im Nahen Osten und am Golf die Schwächen der europäischen politischen Kooperation gezeigt hätten", Schwächen „der improvisierten Organisation", weshalb „die politische Kooperation besser organisiert werden müsse", die Europäische Politische Zusammenarbeit „von erfahrenem außenpolitischen Personal" der Mitgliederstaaten unterstützt werden solle und die EG-Außenminister sich bei Krisensituationen binnen 48 Stunden automatisch treffen sollen, falls drei dies für notwendig halten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Europäische Politische Zusammenarbeit ist erfolgreich. Neue Anforderungen machen allerdings ein Überdenken der Mechanismen notwendig. Lord Carrington gab hierzu wichtige Anregungen, über die wir beraten werden.
Zusatzfrage? -Bitte, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung diesen interessanten Vorschlag Carringtons, daß die Europäische Politische Zusammenarbeit durch einen ständigen, wohl an einer Stelle zusammengefaßten Stab von erfahrenen außenpolitischen Beamten der Mitgliedstaaten unterstützt werden sollte und die Außenminister bei weltpolitischen Krisen binnen 48 Stunden zusammentreten sollten?
Herr Kollege, ich wiederhole: Ich halte das für eine wichtige Anregung. Wir werden darüber beraten. Diese Anregung ist auf dem Hintergrund zahlreicher anderer Überlegungen zu sehen, wie man die politische Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft angesichts der bestehenden Rechts- und Vertragslage vertiefen und verbessern kann.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister, gab es in bezug auf den Nahen Osten und am Golf die von Carrington gerügte mangelnde Organisation der europäischen improvisierten politischen Kooperation, wie er sich ausdrückte?
Herr Kollege, wir würden das Urteil so nicht teilen. Aber wenn ein wichtiger Politiker im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft glaubt, daß es damals so war, ist das schon Grund genug, um der Sache nachzugehen.
({0})
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Proteste hat die Bundesregierung gegenüber der sowjetischen Regierung wegen der ständigen Verletzung der KSZE-Schlußakte durch die gegen die russischsprachigen Sendungen der Deutschen Welle seit dem 20. August 1980 eingesetzten Störsender vorgetragen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung hat bereits zwei Tage nach Beginn der Störungen, am 22. August 1980, durch eine Demarche der Deutschen Botschaft beim sowjetischen Außenministerium die Einstellung der Störsendungen gefordert.
Auf der Generalkonferenz der UNESCO in Belgrad hat der Delegierte der Bundesrepublik Deutschland am 22. Oktober 1980 im Zusammenhang mit der Einbringung einer Resolution und im Namen der Bundesregierung und der Delegationen von Portugal, der Schweiz, Großbritanniens, der USA, der Niederlande, Luxemburgs, Frankreichs, Spaniens und Irlands die Störungen der Deutschen Welle, der BBC und der Stimme Amerikas namentlich durch die UdSSR als Maßnahmen verurteilt, die der Meinungs- - und Informationsfreiheit zuwiderlaufen.
Bundesminister Genscher hat in seiner Eröffnungsrede am 13. November 1980 auf dem Madrider Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Rahmen des Rechts auf freien Meinungsaustausch den störungsfreien Empfang von Rundfunksendungen gefordert.
Unser Delegationsleiter auf der Nachfolgekonferenz, Botschafter Kastl, hat am 21. November 1980 auf dem Madrider Treffen die Störungen der Deutschen Welle als Maßnahmen kritisiert, die - ich zitiere - zu „den schwersten Rückschlägen" des KSZE-Prozesses gehören.
Am 28. November 1980 hat unsere Delegation im Arbeitsorgan zu Korb III des Madrider KSZE-Treffens erneut diese Störsendungen als Verletzung der Schlußakte von Helsinki bezeichnet. Sie wird dies in Madrid wiederholen.
Die neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen ihrer politischen Zusammenarbeit werden einen Beschluß des Madrider Treffens fordern, wonach Störsendungen in Zukunft unterbleiben sollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka, bitte.
Herr Staatsminister, kann ich die Proteste, die Sie erwähnt haben, dahin gehend zusammenfassen, daß sie mit den Einlassungen des amerikanischen Außenministers übereinstimmen, der gleich nach Beginn der Störungen im August gesagt hat, daß das eine krasse Mißachtung
der Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki sei?
Herr Kollege, ich glaube, jede Delegation muß dort ihre eigenen Worte wählen. Aber inhaltlich unterscheidet sich das nicht z. B. von der Formulierung „schwerste Rückschläge", wie Herr Botschafter Kastl es ausgedrückt hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie soll überhaupt Korb III der Schlußakte glaubwürdig sein, wenn sich die Sowjetunion durch die wiederaufgenommenen Störungen in so eklatanter Weise nicht an die Bestimmungen der Schlußakte bezüglich des freien Informationsflusses hält?
Das ist der Grund, Herr Kollege, warum die Bundesregierung auf die Einstellung der Störsendungen drängt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, hat die Sowjetunion im Rahmen dieser Erörterungen vielleicht auch Proteste gegen die Sendungen der Radiostation Free Europe und Radio Liberty vorgetragen?
Herr Kollege, man muß unterscheiden. Es geht hier ja um die Störung von Sendungen,
({0})
auf die sich die Frage des Kollegen Hupka bezog. Sendungen von beiden Seiten sollen nach Korb III der Schlußakte die Möglichkeit eröffnen, von der jeweiligen Bevölkerung gehört bzw. gesehen zu werden. Soweit das bewußt gestört wird, wird eben der Zugang zur Information eingeschränkt, der nach der Schlußakte frei sein soll.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Behauptung des Botschafters der Volksrepublik Polen in Münster, daß es sich bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um die „Aufrechterhaltung der juristischen Fiktion von der angeblichen Existenz des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937` handle?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege, dies, nämlich das, was Sie in Ihrer Frage zitieren, ist die Auffassung des polnischen Botschafters, aber nicht die der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage.
Ist es üblich, daß die Botschafter fremder Länder in der Bundesrepublik Deutschland die Gesetzgebung und das höchste Gericht des Gastlandes in der Art und Weise anklagen?
Herr Kollege, ich möchte von dieser Stelle keine Zensuren erteilen. Mir scheint die von Ihnen zitierte Feststellung des polnischen Botschafters ganz im Rahmen dessen zu liegen, was die polnische Seite ihrerseits als Rechtsauffassung immer wieder unterstrichen hat. Ich sehe an der Feststellung des polnischen Botschafters nichts Störendes.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung diese Rede des polnischen Botschafters zum Anlaß genommen, ihm unseren Rechtsstandpunkt für seine Regierung erneut mitzuteilen?
Herr Kollege, das hat sie nicht getan. Denn die Position der Bundesregierung ist unzweifelhaft und bedarf insofern keiner erneuten Unterstreichung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist es denkbar, daß der deutsche Botschafter in Warschau die Rechtsauffassung der Bundesrepublik Deutschland in ähnlicher Weise öffentlich darlegt, wie es der polnische Botschafter hier tut?
Herr Kollege, das kann ich hier im Augenblick nicht beurteilen. Aber wir sind doch stolz darauf, daß man bei uns sagen kann, was man für richtig hält.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Wäre es angesichts der Schwierigkeiten, die sowohl das polnische Volk als auch die dortige Regierung zur Zeit, soweit man das so sagen darf, zu bewältigen hat, richtig, nun auch von bundesdeutscher Seite einen Beitrag zur weiteren Komplizierung der Lage in Polen zu leisten?
Herr Kollege Wehner, ich habe ja - ich unterstreiche das noch einmal - festgestellt, was die Rechtsauffassung der Bundesregierung zu dieser Frage ist. Ich sage noch einmal: Ich sehe nichts Bedenkliches daran, daß sich der polnische Botschafter hinsichtlich seiner Auffassung in der Bundesrepublik Deutschland deutlich geäußert hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, ist es gerade angesichts der Bemühungen der Bundesregierung und aller politischen Kräfte dieses Hauses, Polen in seiner schwierigen Situation zu unterstützen, guter Stil, wenn sich der polnische Botschafter zu einer derartigen Urteilsschelte in der Bundesrepublik Deutschland hinreißen läßt?
({0})
Herr Kollege, ich sage es noch einmal: Ich möchte hier - und von dieser Stelle aus schon überhaupt nicht - Botschaftern anderer Staaten keine Zensuren erteilen. Aber noch einmal, Herr Kollege Jäger: Die beiden Positionen sind bekannt. Ich kann hier, ganz offen gesagt, den Grund für die Aufregung nicht erkennen; denn es handelt sich um bekannte Positionen.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Liegen der Bundesregierung genaue Informationen über die derzeitige Situation in Ei Salvador, auch unter Berücksichtigung der Einschätzung der Kirche vor, und haben bejahendenfalls diese Informationen einen Einfluß auf die diplomatischen der Bundesrepublik Deutschland zu El Salvador und die Bereitstellung von Entwicklungshilfe für El Salvador?Bitte Herr Staatsminister.
Die Lage in El Salvador, Herr Kollege, ist wegen der zunehmenden Gewalttaten unübersichtlich. Derzeit ist der Bundesregierung nicht bekannt, ob die Kirche in El Salvador ihr einmal vorgetragenes Vermittlungsangebot aufrechterhält. Die Bundesregierung hat bereits im Februar dieses Jahres den Botschafter abberufen und das Botschaftspersonal reduziert. Seit dieser Zeit besteht auch keine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mehr.
eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung die Möglichkeit - entsprechend den Äußerungen von UNO-Generalsekretär Waldheim -, die Menschenrechtsverletzungen in El Salvador zu verurteilen, und was tut die Bundesregierung in den UNO--Gremien, um ihren Einfluß geltend zu machen, damit das Morden und die Unterdrükkung der Bevölkerung aufhören?
Herr Kollege, wir haben versucht, angesichts der sehr komplizierten Lage, auf die wir von hier aus nur sehr begrenzt Einfluß nehmen können, viele verschiedene Wege zu gehen. In erster Linie wird in dieser Region, wie Sie wissen, durch die Vereinigten Staaten Einfluß genommen. Ich habe z. B. mit dem in Washington zuständigen Unterstaatssekretär über diese Fragen des längeren gesprochen, und auch andere Kollegen aus der Bundesregierung haben sich immer wieder bemüht, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, im Falle eines durch den Rücktritt von Oberst Majano abzusehenden Zusammenbruchs des Systems die Errichtung eines demokratischen Systems unter Beteiligung der FDR in El Salvador zu unterstützen?
Wir würden uns ein Ende der Gewalttaten und eine demokratische Regierung auf möglichst breiter Grundlage wünschen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen oder nötigenfalls der Behauptung nachgehen, im Bürgerkrieg würden deutsche gepanzerte Fahrzeuge vom Typ „Unimog" eingesetzt, und zugleich die Frage beantworten, wer die Erlaubnis zum Export dieser Fahrzeuge gegeben hat?
Ich will der Sache gerne nachgehen, Herr Kollege. Dieser Sachverhalt ist mir nicht bekannt, aber Sie wissen auf der anderen Seite, daß z. B. gebrauchte Fahrzeuge in der Welt natürlich relativ leicht gekauft werden können. Ich gehe der Sache aber nach; der Sachverhalt war mir bisher nicht bekannt.
Herr Abgeordneter Hansen, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, heißt „keine weitere entwicklungspolitische Zusammenarbeit", daß zur Zeit und in Zukunft auch keine weiteren Mittel der Entwicklungshilfe nach El Salvador fließen?
Ja, das heißt es.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, nachdem Sie die Haltung der Bundesregierung klargelegt und gleichzeitig gesagt haben, daß wir nur bedingten Einfluß haben, besonders aber die Vereinigten Staaten ein wichtiger Adressat, was die Einflußnahme angeht, seien, möchte ich Sie fragen: Können Sie mir hier im Plenum oder, falls dieses nicht möglich ist, vertraulich im Auswärtigen Ausschuß mitteilen, in welcher Weise die Bundesregierung versucht hat, auf Bündnispartner und insbesondere auf die Vereinigten Staaten einzuwirken, damit die Haltung der Bundesrepublik Deutschland mit derjenigen unserer anderen Bündnispartner identisch ist?
Herr Kollege, ich kann das gerne tun. Ich bin gern bereit, Ihnen diesbezüglich einen Brief zu schreiben. Ich will nur unterstreichen, daß wir in der Beurteilung der möglichen Entwicklung in Zentralamerika - nicht nur was Nicaragua anging, sondern auch was El Salvador heute angeht - mit wichtigen Kräften im amerikanischen Parlament, im Senat, im Kongreß nicht übereinstimmen und daß wir auf diese Nichtübereinstimmung auch hingewiesen haben.
Eine Zusatzfage des Abgeordneten Brunner.
Herr Staatsminister, könnten Sie uns einige Einzelheiten über die Sicht der Vereinigten Staaten bezüglich der nächsten Entwicklung in El Salvador vortragen, so wie sie sich aus diesen Konsultationen zwischen der Bundesregierung und den Vereinigten Staaten ergeben haben?
Herr Kollege Brunner, ich glaube nicht, daß dies hier jetzt das geStaatsminister Dr. von Dohnanyi
eignete Forum dafür wäre. Ich bin aber gerne bereit, das an entsprechender Stelle Ihnen oder auch den anderen Kollegen gegenüber nachzuholen, wenn Sie darauf Wert legen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Ruhnau zur Verfügung.
Die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Lampersbach werden auf Grund einer entsprechenden Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung den öffentlichen Personennahverkehr in den ländlichen Räumen zu fördern angesichts der Tatsache, daß durch die vorgesehene Mineralölsteuererhöhung die ländlichen Räume mit ihren weiten Entfernungen in besonderem Maße betroffen werden. obschon gerade die Bevölkerung dort in wachsendem Mahe und mit zunehmender Dringlichkeit auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sein wird?
Herr Präsident, die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß der öffentliche Personennahverkehr eine wichtige gemeinwirtschaftliche Aufgabe erfüllt, da er einen wirksamen Beitrag zur Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität leistet. Eine weitgehende Kooperation der Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr unter Einbeziehung der Verkehrsdienste von Bundesbahn und Bundespost ist notwendig, um den öffentlichen Personennahverkehr auch in den ländlichen Räumen auszubauen und dort die Angebotsqualität zu verbessern.
Im Hohenlohekreis ist nach umfassender Untersuchung der verkehrswirtschaftlichen Verbesserungsmöglichkeiten eine auf die ländlichen Bedürfnisse zugeschnittene Organisationsstruktur für den öffentlichen Personennahverkehr entwickelt worden. Seit 1979 wird dieses Modell in einem Probelauf auf die Akzeptanz bei der Bevölkerung und auf die betriebswirtschaftliche Tragfähigkeit getestet. Der Kostendeckungsgrad liegt zur Zeit bei 80 %
Der Bund gewährt den Ländern aus der Mineralölsteuer Finanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz für die Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Die Hälfte dieser Mittel fließt in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. In der Zeit von 1967 bis heute waren dies 11 Milliarden DM.
Die gesetzlichen Fördertatbestände haben sich im Laufe der Zeit zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs verändert. Heute dient ein wesentlicher Teil gerade der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in den ländlichen Räumen. Ich nenne: die Errichtung zentraler Omnibusbahnhöfe, Umsteigeanlagen, zentraler Werkstätten und Betriebshöfe. Im Jahre 1978 - dafür liegt eine endgültige, geprüfte Abrechnung vor - wurden mit
1 Bundesmitteln in Höhe von 125 Millionen DM Vorhaben dieser Art gefördert.
Im übrigen -- und zusätzlich - hat der öffentliche Personennahverkehr in den ländlichen Räumen auch einen erheblichen Nutzen durch den Ausbau der Kommunalstraßen, der ebenfalls vom Bund über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gefördert wird. Hierfür hat der Bund allein im Jahre 1978 630 Millionen DM bereitgestellt, die insbesondere für den Ausbau von innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen und Zubringerstraßen verwendet worden sind. In strukturschwachen Gebieten ist außerdem der Ausbau sogenannter zwischenörtlicher Straßen 1978 mit einer Summe von 50 Millionen DM gefördert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, welchen Anteil an den Fördermitteln für den öffentlichen Personennahverkehr gedenkt die Bundesregierung den ländlichen Räumen und welchen den Ballungsräumen künftig zuzuweisen?
Diese Frage wird in einem gemeinsamen Bund-Länder-Ausschuß im Einvernehmen mA allen Bundesländern geregelt. Die Programme werden jährlich aufgestellt. Das Programm für das nächste Jahr befindet sich in der Aufstellung. Da wird dann von Jahr zu Jahr über die einzelnen Beträge für die verschiedenen Projekte entschieden und werden die Beträge zugewiesen.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glaubt die Bundesregierung, daß insbesondere in den benachteiligten Gebieten, z. B: im Zonenrandgebiet, die Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs ohne erhebliche Bundeszuschüsse in ausreichendem Maße möglich ist?
Wir leisten heute erhebliche Bundeszuschüsse.
Im übrigen muß ich darauf hinweisen, daß der öffentliche Personennahverkehr keine Aufgabe der Bundesregierung, sondern eine Aufgabe der Kommunen, der Kreise und, allenfalls, der Länder ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer letzten Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die besondere Problematik des Zonenrandes in ihren Überlegungen bisher nicht beachtet hat?
Nein, das können Sie daraus nicht entnehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, welche Mittel aus der Mineralölsteuer nach den Prinzipien des Zonenrandförderungsgesetzes in den letzten Jahren in das Zonenrandgebiet zusätzlich oder vorab geflossen sind?
Ich bitte um Ihr Einverständnis, daß ich die Frage schriftlich beantworte. Die Unterlagen habe ich zur Fragestunde nicht mitgenommen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung angesichts der Situation, wie sie sich aus Ihren Darlegungen und auch aus der Frage des Kollegen Dr. Kunz ergibt, jetzt, nach vielen Jahren, endlich dazu übergehen, die Kilometerpauschale, die heute schon - gerade für den Arbeitnehmer im ländlichen Raum in bezug auf den Weg zu seiner Arbeitsstätte - völlig unzumutbar niedrig ist, den gegebenen Kostenrealitäten anzupassen?
Die Bundesregierung wird diese Frage - wie andere sicher auch - immer im Zusammenhang mit Haushalt und Steuergesetzgebung prüfen und entscheiden. Zur Zeit liegt eine Änderung des bisherigen Standpunktes nicht vor.
Ich rufe Frage 75 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, für den Bau einer Autobahn zwischen Hamburg und Berlin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die sogenannte Nordtrasse zu wählen, und welche gesetzlich vorgesehenen Verfahren ({0}) sind dieser Entscheidung vorausgegangen?
Ich möchte wegen des Sachzusammenhangs die Fragen 75 und 76 gemeinsam beantworten, wenn der Abgeordnete Kuhlwein damit einverstanden ist.
Ja. Dann rufe ich auch Frage 76 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche ökologischen Untersuchungen wurden vor der Festlegung der Trasse angestellt, und inwieweit wurden alternative Trassen in einen ökologischen und ökonomischen Vergleich einbezogen?
Ich möchte die Antwort in drei Punkte gliedern.
Erstens. Die Bundesregierung ist unverändert von der Notwendigkeit einer Autobahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg überzeugt. Diese Verbindung ist besonders für Berlin von großer Bedeutung.
Nach der Vereinbarung mit der Deutschen Demokratischen Republik soll die Baumaßnahme Mitte November 1982 abgenommen werden. Im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen, der jeweils als Anlage dem Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 beigefügt ist, ist daher seit 1971 die Autobahn Hamburg-Berlin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wenn auch mit unterschiedlicher Priorität in den einzelnen Abschnitten - enthalten.
Zweitens. Die sogenannte Nordtrasse der Autobahn Hamburg-Berlin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat sich nach sorgfältiger Abwägung aller Gesichtspunkte ökologischer werkehrlicher, wirtschaftlicher, netzsystematischer und auch deutschlandpolitischer Art als zweckmäßigste Lösung herausgestellt.
Da sich die für den Bau benötigten Flächen zum größten Teil bereits seit langem im Eigentum des Bundes befinden, war ein förmliches Linienbestimmungsverfahren nach § 16 des Fernstraßengesetzes nicht erforderlich. Alternative Trassen wurden von der für die Planung von Bundesfernstraßen in Schleswig-Holstein zuständigen Auftragsverwaltung des Bundes untersucht, wobei u. a. auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt wurden. Bei der Untersuchung der verschiedenen Trassen mußte die sogenannte „Mitteltrasse Süd" als mögliche Alternative entfallen, weil schwerwiegende entscheidungsrelevante Kriterien wie Beeinträchtigung der Agrarstrukturen, Folgemaßnahmen für das vorhandene Straßennetz und die zeitliche Realisierung dem entgegenstanden.
Drittens. Im Einvernehmen mit der schleswig-holsteinischen Straßenbauverwaltung ist beabsichtigt, im Rahmen der Planfeststellungsverfahren die Belange des Umweltschutzes zu berücksichtigen und alles Notwendige an Ausgleichs- und auch Ersatzmaßnahmen zu veranlassen. Die Bundesregierung wird deshalb alles nur Mögliche tun, was für die Schonung von Umwelt und Landschaft notwendig ist.
Bitte, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär. ist der Bundesregierung bekannt, daß der Gutachter der schleswig-holsteinischen Landesregierung, Herr Professor Knauer, sein Gutachten, das Sie ja soeben auch mit zugrunde gelegt oder als Gutachten der Landesregierung akzeptiert haben, nur als „Landschaftsbewertung" bezeichnet und zur endgültigen Abwägung der verschiedenen Trassen zusätzlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung für notwendig gehalten hat, und wie verträgt sich die Tatsache, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung bisher nicht stattgefunden hat, mit dem Rundschreiben des Bundesverkehrsministers vom 18. Juni 1976, in dem bereits bei der Linienbestimmung nach § 16 des Bundesfernstraßengesetzes Gesichtspunkte der Ökologie und der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden sollen?
Wir haben die Frage, in welchem Umfang nun tatsächlich die ökologischen Probleme untersucht wurden und wie die Ergebnisse in den Entscheidungsvorschlag einzugehen haben, mit der schleswig-holsteinischen Auftragsverwaltung verschiedentlich besprochen und in den zurückliegenden Monaten auch sehr intensiv erörtert. Bei der Beurteilung von Gutachten - ich will sie im Wert nicht mindern; aber das bringen GutachStaatssekretär Ruhnau
ten gelegentlich mit sich -- wird man immer verschiedene Bewertungen vornehmen.
Wir sind der Überzeugung, daß bei der Prüfung der Trassenentscheidung alles, was zur Bewertung der ökologischen Probleme untersucht werden mußte, auch untersucht worden ist. Es ist gar nicht zu leugnen, daß der Bau einer Autobahn in diesem Bereich unseres Landes - sei es entlang der Nordtrasse oder weiter südlich - einen Eingriff in Landschaft und Siedlungsstrukturen bedeutet. Die Bewertung der Frage, ob der Eingriff, wenn er nördlicher vorgenommen wird, geringer ist, als wenn er südlich geschieht, wird auch nach meiner eigenen Erfahrung sehr von der jeweiligen Perspektive abhängen. Wir erleben auch an vielen anderen Stellen des Bundesgebietes, daß diejenigen, bei denen die Trasse verlaufen soll, natürlich immer dafür zu gewinnen sind, sie über eine andere Strecke zu führen. Die Auseinandersetzungen um den richtigen Trassenverlauf wären an jeder Stelle in diesem Teil Schleswig-Holsteins wahrscheinlich - man kann das nicht mit 100%iger Sicherheit sagen - die gleichen gewesen. Es kommt darauf an - diesen Standpunkt hat die Bundesregierung auch in den Diskussionen mit allen Beteiligten und Betroffenen immer vertreten --, eine Autobahnverbindung von Hamburg nach Berlin, wenn wir sie haben wollen, im Bundesgebiet richtig anzubinden und alles zu tun, damit die Straßenführung im Gebiet unseres Einflußbereichs so wenig wie möglich in Landschaftsund Siedlungsstrukturen eingreift. Insoweit stehen der Bundesverkehrsminister und die Bundesregierung zu dem Inhalt und dem Sinn des Rundschreibens, das Sie hier zitiert haben.
Bitte, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die von einer Arbeitsgruppe „BAB Alternativtrasse" vorgeschlagene Mitteltrasse Süd bisher von der Straßenbauplanung überhaupt nicht unter ökologischen Gesichtspunkten im Sinne eines ökologischen Vergleichs geprüft worden ist, und hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, daß in einer Stellungnahme dieser Arbeitsgruppe erhebliche Argumente - sowohl ökologische als auch ökonomische - angeführt werden, die für eine andere Trassierung, etwa auf der Mitteltrasse Süd, sprechen?
Der Bundesregierung sind diese Anregungen bekannt. Wir haben die schleswig-holsteinische Straßenbauverwaltung auch frühzeitig ersucht, sich damit auseinanderzusetzen. Die Auftragsverwaltung hat uns informiert, daß sie eine solche Prüfung aller Faktoren vorgenommen hat - natürlich auch vergleichend -, aber zu keiner anderen Empfehlung kommt.
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß eines der Argumente für die Nordtrasse der Gesichtspunkt der zeitlichen Realsierung gewesen sei. Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß sich die Überlegenheit des politischen Systems der Bundesrepublik nicht darin zeigt, genauso schnell wie die DDR Straßenplanungen vollziehen zu können, sondern vielmehr auch darin, wie stark ökologische Bedenken von Bürgern einbezogen werden und die Bürger überhaupt an der Planung beteiligt werden?
Es ist gar keine Frage, daß die ökologische Problematik in die Planung einbezogen werden muß. Das kann man nicht von Zeitabläufen abhängig machen. Es ist auch klar, daß wir uns rechtzeitig um solche Stellungnahmen zu bemühen haben. Wie ich in der Antwort der Bundesregierung, auf die ich mich noch einmal beziehe, schon ausgeführt habe, ist die Tatsache, daß es hier, und zwar auf dieser Trasse, eine Autobahn geben wird, bereits seit 1971 durch Gesetz, also durch den Bundestag, festgestellt worden. Die Diskussion über die sogenannte Mitteltrasse Süd hat aber - ich will jetzt nicht einen Streit über die Anzahl von Monaten vom Zaun brechen - wohl erst in den letzten zwölf Monaten wirklich stattgefunden.
Die letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, trifft meine Vermutung zu, daß die Festlegung der Priorität für Trassen im Bundesfernstraßenausbauplan, die dort durch den Deutschen Bundestag vorgenommen wird, nicht im einzelnen bedeutet, welche Linienführung einer Trasse nachher geschaffen werden soll, und insbesondere nicht ausschließt, daß darüber noch ein Linienbestimmungsverfahren stattfindet?
Nein, das kann man so nicht sagen. Aber die Bundesverwaltung muß wohl davon ausgehen, daß eine Entscheidung des Bundesgesetzgebers über eine Straßenverbindung, wenn damit auch eine konkrete Trassenvorstellung verbunden ist, nur dann nicht vollzogen wird, wenn sich im Laufe der jahrelangen Diskussionen tatsächliche Widerstände dagegen entwickeln und neue Gesichtspunkte auftauchen. Dann können wir dies aber nur ändern, wenn wir, wie das vorgeschrieben ist, vorher in einem Verfahren den Bundesgesetzgeber wieder damit beschäftigen.
Sie sehen das j a an der Struktur des heutigen Bedarfsplanes. Dort gibt es eine Reihe sogenannter, wie die Fachleute sagen, Aufdruckstrecken. Das sind Autobahnverbindungen, für die Linien in der Bedarfsplankarte, die ein Teil des Gesetzes ist, nicht vorgesehen sind, und zwar deswegen, weil man sich über die Trassenführung solcher Verbindungen nicht einig ist. Das sind die A 4 und die Küstenautobahn und noch einige andere. Es ist also nicht unüblich, daß dort, wo es eine öffentliche Diskussion um Autobahnverbindungen und Straßenverbindungen gibt, eine Linie, also ein Strich auf der Karte, nicht vorgesehen werden kann.
In diesem Fall ist das aber so geschehen. Auf der Grundlage dieser Bundestagsbeschlüsse und der Gesetze ist ja auch schon sehr früh ein Stück dieser
Autobahn Hamburg-Berlin - wenn auch nur ein kleines Stück, an dem sogenannten Horner Knoten - gebaut worden. Damals hat auch niemand geschrieben, niemand gefragt, ob das nun eine Vorbestimmung für eine Trasse sei, auf der da eines Tages gebaut werde; ich habe so etwas bei dem Bau damals nie gehört. Der Grund dafür war wohl, daß manche die Erfolge der Deutschlandpolitik der Bundesregierung nicht so ganz ernst nahmen und sich nicht vorstellen konnten, wir würden eines Tages eine Vereinbarung über eine solche Straßenverbindung auch zustande bringen. So sind natürlich - das ist zuzugeben - in einem sehr frühen Stadium - das liegt lange zurück - eine Reihe von Weichen gestellt worden, was mit Sicherheit auch Entscheidungen in dem Bereich der Straßenbauverwaltung und der Körperschaften voraussetzte, die dort mitwirken - also aller Gemeinden und Kreise - und die auch mit allem einverstanden waren; sonst wäre das nicht so reibungslos in die Planfeststellungsverfahren gegangen, wenn die gewählten Organe der Gemeinden und der anderen Körperschaften dort Widerstand geleistet hätten.
Jedenfalls brauchte der Bundesverkehrsminister in keinem Falle von seinem Recht Gebrauch zu machen, den Planfeststellungsbeschluß gegen eine Gemeinde, gegen eine Gebietskörperschaft herbeizuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jansen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß in einem Industriestaat zusammenhängende Natur- und Landschaftsräume, die noch vorhanden sind, von so großer Bedeutung sein müßten, daß man sich trotz aller planerischen und zeitlichen Schwierigkeiten bemühen sollte, erforderliche Trassen in Randbereiche zu legen oder vorhandene Trassen auszubauen, statt immer neue Landschaft aufzufressen?
Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu. Ich kann Ihnen auch versichern, daß es in unserem Hause wohl niemanden gibt, der sich darüber freut, daß Straßen gebaut und vorher Bäume gefällt werden.
Aber Sie haben gesagt: Wir leben in einem Industriestaat. Man kann nicht beides haben. Gelegentlich kommt man an solchen Eingriffen nicht vorbei. Und weil wir an ihnen nicht vorbeikommen, deswegen diskutieren wir alle miteinander, wie wir Lärmschutz gesetzlich regeln, wie wir Landschaftsschutz gesetzlich regeln, wie wir denen, die dafür sprechen, auch Gehör verschaffen. Wir versuchen auch, die mit dem richtigen Gewicht in die Straßenplanung einzuführen.
Bei der Vorbereitung der Bundesfernstraßenplanung in diesem Jahre hat es ausgiebige Kontakte zwischen dem Bundesverkehrsminister und den Landschaftsschutzverbänden gegeben. Manche Bundesländer mußten erst nachdrücklich davon überzeugt werden, daß man mit denen, die für Landschaftsschutz auftreten, wirklich reden muß. In einem langsamen Überzeugungsprozeß ist uns das
auch gelungen. Aber es gibt einige Stellen, da haben Sie nicht viele Alternativen, um nicht zu sagen, fast gar keine Alternativen.
Unsere Haltung in diesem Punkt, Herr Abgeordneter Jansen, können Sie an der Diskussion um die Rothaarautobahn oder um die Autobahn durch den Pfälzer Wald am besten erkennen. Da muß ich sagen: Nicht die Straßenbauer sind es. die das nun mit aller Gewalt wollen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jansen.
Da es mir diesmal um den Sachsenwald geht, möchte ich meine Frage an Sie darauf ausrichten, ob Sie nicht auch glauben, daß die Tatsache, daß Bürger dieses Thema erst in den letzten zwölf Monaten - oder wann auch immer - aufgegriffen haben, damit zusammenhängt, daß Bürger mit Planungsunterlagen und Zielsetzungen der öffentlichen Bürokratie sehr spät befaßt werden, und sind Sie nicht auch der Auffassung, daß das Ministerium eine Unterbrechung der Planung der BAB Hamburg-Berlin durch den Sachsenwald in der Richtung forcieren sollte, die Alternativtrasse mit aller Ernsthaftigkeit zu prüfen, um durch ein solches behördliches Verhalten auch das Demokratiebewußtsein der Bürger zu ,stärken?
Wenn es eine Möglichkeit gäbe, daß bei der Prüfung einer Alternativtrasse wirklich etwas herauskommt, wenn es also ehrlich wäre, es noch einmal zu machen - -. Wir haben das ja verglichen, und wir sind, und zwar alle einschließlich der Gebietskörperschaften - ohne Einschränkung -, zu der Überzeugung gelangt: Wo immer Sie dort Straßen bauen, es ist überall schwierig. Sie haben ja gar nicht viele Alternativen. Sie kennen das Land dort, das Umland von Hamburg, wie ich. Sie haben eine Siedlungsstruktur - über deren Entstehen kann man ebenfalls lange philosophieren; sie ist da -, und Sie haben eine Landschaftsstruktur, die es ja schon schwierig macht. die sogenannte Marschenlinie - die Straße, die etwas südlicher verläuft - zu bauen.
In einer öffentlicnen Diskussion, an der ich stellvertretend für den Bundesverkehrsminister teilgenommen habe, wurde nach sehr kurzer Zeit deutlich, daß nach dem Floriansprinzip alles zu diskutieren ist; aber in dem Augenblick, in dem wir über eine Trasse reden, die weiter südlich verläuft, haben sich schon die ersten, die die Bürgerinitiative dann dort formieren, gemeldet, während die anderen dafür sind, daß dort gebaut wird. Das ist an vielen Stellen so.
Herr Abgeordneter Jansen, ich darf noch einmal versichern: Sie finden bei uns niemanden, der jubelt, wenn es darum geht, in Natur und Landschaft einzugreifen. Aber wenn Sie eine Autobahn von Hamburg nach Berlin haben wollen, müssen Sie irgendeine Entscheidung fällen. Leider sind solche Entscheidungen manchmal damit verbunden, daß Sie es nicht jedem recht machen können. Sie können nicht jedermanns Interessen und Wünsche - die ich alle
für sehr legitim halte; das würde ich niemals bestreiten - zufriedenstellen.
Herr Staatssekretär, ich darf zwischendurch bemerken: Es steht selbstverständlich in Ihrem freien Ermessen, die als notwendig erachteten Antworten zu geben. Nur, wir sind etwas in Zeitdruck. Wenn sich alle Beteiligten kurz fassen würden, so läge das auch im Interesse der Abwicklung der Ihr Ressort betreffenden Fragen. Wir haben noch mehrere Zusatzfragen und drei weitere Fragen, können die Fragestunde zeitlich aber nicht ausdehnen.
Bitte, eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Hinblick darauf, daß diese Autobahn in erster Linie der Verbesserung des Verkehrs von und nach Berlin dient, sichergestellt, daß angesichts der großen Schwierigkeiten, die der Kollege Kuhlwein geschildert hat, die Baufortschritte so sind, daß der Verkehr abgenommen wer- den kann, wenn die DDR mit ihrem Bau an der Zonengrenze angelangt ist?
Soweit sich die Planung heute übersehen läßt, ist das der Fall. Auf jeden Fall wird das Autobahnteilstück zwischen der innerdeutschen Grenze und der Bundesstraße 207 in der Höhe von Gudow fristgemäß fertiggestellt. Das Gelände gehört uns, den Rest haben wir vor einigen Tagen gekauft. Das heißt, es ist, soweit man das über zwei Jahre übersehen kann, sichergestellt, daß hinsichtlich des Überganges und damit auch des Transits keine Schwierigkeiten entstehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Leuschner.
Herr Staatssekretär, welcher zusätzliche Zeitbedarf bis zum Baubeginn würde nach Schätzungen der Bundesregierung entstehen, wenn man sich nach weiteren Prüfungen im Jahre 1981 doch noch für die Mitteltrasse Süd entschiede?
Dies ist die schwierigste Frage, die zu beantworten ist, weil niemand über die rechtlichen Verfahren, die möglich sind, heute eine wirkliche Auskunft geben kann, aber wenn Sie die alten Planfeststellungsbeschlüsse aufheben und neue Planfeststellungsverfahren einleiten, können Sie nach unserer Erfahrung heute, bis Sie dort einen Spaten in die Hand nehmen, wohl mit acht bis zehn Jahren rechnen. Darunter ist heute nicht mehr viel zu machen.
Ich bitte den Präsidenten um Nachsicht, aber dies ist ein schwieriges Thema, weil hier Tausende und Hunderttausende von Bürgern mit ihrer Lebensqualität betroffen werden. Das muß man ernst nehmen. Ich glaube, darin ist auch eine Rechtfertigung eines so langen Verfahrensgangs zu sehen.
Ich rufe die Frage 77 des Abgeordneten Zywietz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Stellungnahme des Deutschen Rates für Landespflege zur Trassenführung der Bundesautobahn zwischen Hamburg und Berlin auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland, der gegen die geplante sogenannte Nordtrasse erhebliche landespflegerische und ökologische Bedenken anmeldet und zusätzliche landschaftsökologische Untersuchungen im Sinne einer Umweltverträglichkeitsprüfung fordert'?
Wenn der Herr Abgeordnete Zywietz einverstanden ist, würde ich die beiden Fragen gerne im Zusammenhang beantworten.
Bitte schön. Dann rufe ich auch die Frage 78 des Abgeordneten Zywietz auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die bisher gegen die Trasse der Berliner Autobahn auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorliegenden kritischen Stellungnahmen von mehr als 60 Naturschutzverbänden und Bürgerinitiativen zum Gegenstand neuer Überlegungen zu machen?
Bei der Beurteilung einer neuen Straßentrasse sind neben den Belangen der Ökologie auch andere Fakten wie die verkehrlichen, wirtschaftlichen und netzsystematischen Probleme zu berücksichtigen. Die Entscheidung zugunsten der Nordtrasse ist nach einer sorgfältigen Abwägung aller Gesichtspunkte und der Beurteilung verschiedener Varianten durch die für die Planung der Bundesfernstraßen in Schleswig-Holstein zuständige Auftragsverwaltung des Bundes vom Bundesminister für Verkehr getroffen worden.
Die Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, die kritischen Stellungnahmen zur Nordtrasse zum Gegenstand neuer Überlegungen zu machen. Sie ist jedoch im Einvernehmen mit der schleswigholsteinischen Straßenbauverwaltung bereit, im Rahmen der Planfeststellungsverfahren alles Notwendige an Ausgleichs- und gegebenenfalls auch Ersatzmaßnahmen zu veranlassen, und steht Vorschlägen zur Schonung von Umwelt und Landschaft immer aufgeschlossen gegenüber.
Bitte, eine Zusatzfrage, Abgeordneter Zywietz.
Herr Staatssekretär, hier und anderswo wird wiederholt darauf hingewiesen, daß eine sorgfältige Abwägung der Entscheidungsfaktoren erfolgt ist. Ist die Bundesregierung bereit, das angesichts der realen Gegebenheiten auch in einer umfassenden Information und Dokumentation der Bevölkerung, den Betroffenen in verständlicher Weise darzulegen? So hilfreich eine solche Fragestunde und andere Interventionen auch sein mögen, so glaube ich doch, daß wir mittlerweile einen Punkt erreicht haben -
Können Sie sich bitte auf eine Frage beschränken, Herr Abgeordneter.
Ich wiederhole: ob die Bundesregierung bereit ist, angesichts der gegebenen Sachsituation eine umfassende Information der Bürger auch mit Hilfe einer Dokumentation über den Verfahrens- und Entscheidungsstand zu geben.
Die Bundesregierung hat veranlaßt, daß die schleswig-holsteinische Straßenbauverwaltung auch schon bisher die Bevölkerung informiert hat. Ich greife Ihre Anregung auf. Wir
werden mit dem heutigen Stand Schleswig-Holstein noch einmal bitten, eine solche Information vorzubereiten und dann über die Gebietskörperschaften zur Verteilung zu bringen.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zywietz? - Dann Herr Abgeordneter Kuhlwein, bitte.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung angesichts der Proteste von über 60 Naturschutzverbänden die Anordnung des sofortigen Vollzugs für ein Teilstück durch das Land Schleswig-Holstein für eine sinnvolle Maßnahme, die geeignet ist, die soziale Akzeptanz dieser Trasse zu fördern und zu unterstützen.
Der sofortige Vollzug ist für diesen fraglichen Abschnitt, über den wir sprachen, angeordnet worden. Das ist der Abschnitt 3, der an den Knotenpunkt Gudow anschließt. Ich denke, dies ist notwendig. Wenn man den Verkehr 1982 abnimmt und ihn auf der Bundesstraße 207 in das schleswig-holsteinische Straßennetz einleitet, sollten wir jedenfalls etwas tun, um die Gemeinde Schwarzenbek von zusätzlichem Durchgangsverkehr zu verschonen. Das könnte dann, soweit ich das sehe, der Fall sein.
Ich rufe Frage 79 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß - orientiert an Kriterien der Umweltbelastung - Material und Menge des im vergangenen Winter verwendeten Streusalzes zu groß war und deshalb in diesem Winter reduziert werden könnte, und wird sie bejahendenfalls entsprechende Maßnahmen hinsichtlich Quantität und Qualität des Streumaterials - z. B. durch Beimischen von Sand - innerhalb ihres Kompetenzbereichs veranlassen?
Im Vergleich zu den früheren Winterperioden war der Streusalzverbrauch im vergangenen Winterhalbjahr wesentlich geringer. Deshalb ist die Bundesregierung auch nicht der Auffassung, daß in der letzten Winterperiode eine außergewöhnlich hohe Umweltbelastung durch Streusalzeinwirkung gegeben gewesen wäre.
Unabhängig davon ist das Bundesverkehrsministerium in Zusammenarbeit mit den Straßenbauverwaltungen der Länder darum bemüht, den Winterdienst auf Bundesfernstraßen umweltschonender zu gestalten, d. h. auch den Streusalzverbrauch erheblich einzuschränken. Zur Erreichen dieses Zieles wurden die zuständigen Minister der Länder nochmals gebeten, Streusalz nur in dem für eine angemessene Verkehrssicherheit erforderlichen Maße einzusetzen, damit Umweltschäden vermieden werden. Darüber hinaus wurde gebeten, auf Straßenstrecken mit untergeordneter Verkehrsbedeutung versuchsweise auf den Einsatz von Streusalz zu verzichten. Im übrigen laufen verschiedene Untersuchungen mit dem Ziel der Einschränkung des Salzverbrauchs.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die umweltfreundliche Haltung der Bundesregierung, frage Sie aber doch noch: Gibt es eine Aufstellung, die zeigt, welche Schäden durch Salz - abgesehen von den anderen Umweltbelangen - beispielsweise an Fahrzeugen entstehen, und wären Sie gegebenenfalls bereit, hinsichtlich untergeordneter Straßen wieder neu in die Überlegung einzutreten, ob für Wagen von Ärzten oder Krankenhäusern oder in anderen sensiblen Bereichen Spikes, bei denen die Schäden eventuell geringer wären, zugelassen werden können?
Die Zulassung von Spikesreifen hat den zuständigen Bundestagsausschuß wie auch das Plenum selber mehrere Male beschäftigt. Mein Eindruck war - ohne daß ich die ganze Dikussion jetzt präsent hätte -: Am Ende der Diskussion kamen alle zu der Überzeugung, dann, wenn wir hier einige Ausnahmen machen, haben wir aus der Ausnahme bald wieder eine Regel gemacht. Denn bei uns ist ja jede Verwaltungsentscheidung, natürlich auch die Ausnahme, justitiabel, und dann stehen Sie vor diesem Problem. Die Schäden an den Straßen waren so groß, daß alle zu der Überzeugung kamen, dies sollten wir nicht wieder zulassen. Im Übrigen gibt es ja auch, seit vielen Jahrzehnten bewährt, Ketten, und zwar heute Ketten mit neuer Technik, die für die Verkehrssicherheit sehr gut sind.
Was die Untersuchungen angeht, so muß ich sagen, es gibt keine verläßlichen Untersuchungen über Schäden, die durch Streusalz hervorgerufen worden sind. Es gibt auch unterschiedliche Auffassungen über das Ausmaß der Umweltschäden. Wir haben diese Untersuchungen auch nicht auf den spitzen Punkt treiben wollen, sondern sind der Meinung, dann, wenn es im Zweifel auch zu Umweltschäden kommen könnte, müssen wir uns darum bemühen, diese in der Entstehung zu vermeiden. Ich hoffe, daß die Untersuchungen, die wir noch vergeben haben und deren Ergebnis noch nicht vorliegt, uns in die Lage versetzen werden, den Streusalzgebrauch aus Gründen der Verkehrssicherheit weiter herabzusetzen.
Ich kann leider keine weiteren Zusatzfragen zulassen. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet.
Gestern hat der Abgeordnete Dr. Dregger, der für heute beurlaubt ist, seinen 60. Geburtstag gefeiert.
Der Abgeordnete Dr. Ritz hat am 2. Dezember 1980 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag durch Verzicht eingebüßt. Als sein Nachfolger hat am 5. Dezember 1980 der Abgeordnete Dr.-Ing. 0ldenstädt die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. - Ich begrüße Sie als einen uns beVizepräsident Dr. von Weizsäcker
kannten Kollegen sehr herzlich und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Mitarbeit hier im Hause.
({0})
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Wahl der Schriftführer - Drucksache 9/36 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 9/36 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten ({1})
- Drucksache 9/26 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung and Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 Go
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Sinn für Symbolik hat, der wird mit Interesse vermerken, daß der erste Gesetzentwurf der 9. Legislaturperiode den sozialen Problemen der selbständigen Künstler und Publizisten in unserem Lande gewidmet ist. Wir Sozialdemokraten hätten gerne darauf verzichtet. Wenn es nach uns und unseren Koalitionspartnern gegangen wäre, stünde das Künstlersozialversicherungsgesetz, mit der Unterschrift des Herrn Bundespräsidenten versehen, längst im Bundesgesetzblatt und wäre geltendes Recht.
Aber Sie von der Opposition und die von Ihnen beherrschte Mehrheit im Bundesrat haben das anders gewollt. Sie haben mit Ihrer Verweigerungspolitik diesen neuerlichen parlamentarischen Anlauf erzwungen. Sie haben eine längst überfällige gesetzliche Regelung - und mit diesen Vorwürfen müssen Sie leben - um Monate, mindestens um Monate verzögert. Das ist in den Kreisen der Künstler und Publizisten mit Bitterkeit registriert worden. Das ist eine Bitterkeit, die wir verstehen und die wir teilen.
Mit um so größerer Genugtuung erfüllt uns die Gewißheit, daß Sie das Künstlersozialversicherungsgesetz ein weiteres Mal nicht werden torpedieren können. Sie können allenfalls noch einmal die parlamentarische Beratung hinzuschleppen versuchen, verhindern können Sie nichts mehr.
Deshalb meine ich, daß es nun, da der Wahlkampf vorüber ist, eigentlich vernünftiger wäre, Sie würden mit uns gemeinsam diese längst und intensiv beratene Gesetzesvorlage verabschieden. Sie vergeben sich dabei gar nichts, Sie würden aber an Glaubwürdigkeit bei den selbständigen Künstlern und Publizisten in unserem Lande gewinnen, und das, so meine ich, wäre sicher auch für Sie nicht ganz zu verachten.
Ehe ich zu den Einzelheiten des Geseztentwurfs komme, möchte ich an einen Kollegen erinnern, der zwei Legislaturperioden hindurch um ein solches Gesetz gekämpft hat, an unseren früheren Kollegen Dieter Lattmann.
({0})
Er ist zwar aus der parlamentarischen Arbeit ausgeschieden, aber nicht aus der politischen und schon gar nicht aus der gesellschaftspolitischen Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen seines Berufsstandes. Dieter Lattmann sagte am 22. Mai 1980 bei der zweiten Lesung des Künstlersozialversicherungsgesetzes im 8. Deutschen Bundestag - der Herr Präsident wird gestatten, daß ich ihn zitiere -:
Die Künstler erhalten heute, was den Arbeitern ... vor 100 Jahren gegeben wurde. Die Bundesrepublik, der reiche Wirtschaftsstaat, das kulturelle Entwicklungsland, holt gegenüber einer selten gepriesenen, meist vernachlässigten, oft diffamierten Berufsgruppe auf.
Lattmann sagte weiter:
Und denken wir auch daran: Nichts war in den Katastrophen des Jahrhunderts. nach Weltkriegen und Inflationen sicherer als die gesetzliche Sozialversicherung. Sie ist das Sicherste, das dieser Staat in einer unsicheren Welt zu leisten in der Lage ist. Das
- so Lattmann -
soll den Künstlern nicht länger vorenthalten bleiben, denn ihre Arbeit bleibt auf alle Zeiten unsicher genug.
Ich glaube, präziser läßt sich kaum ausdrücken, welche Absichten mit diesem Gesetz verwirklicht werden sollen und verwirklicht werden. Diese Gewißheit haben wir heute.
Die Technik des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs ist schnell erklärt. Alle selbständigen Künstler und Publizisten werden mit diesem Gesetz kranken- und rentenversicherungspflichtig. Sie zahlen wie Arbeitnehmer den an ihren Honoraren bemessenen halben Beitragssatz zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung. Weil selbständige Künstler und Publizisten im Regelfall ein schwankendes Einkommen haben, sind Sonderregelungen im Gesetz vorgesehen, die zu einer Verstetigung des Beitragsaufkommens und damit auch zu einer Verstetigung der späteren Leistungen führen werden.
Die andere Hälfte des Beitragssatzes, also nicht die, die der Künstler zu erbringen hat, wird zu einem Drittel vom Bund, zu zwei Dritteln von den Verwertern von Kunst und Publizistik in einem Umlageverfahren erhoben. Nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand wird diese Umlage - sie heißt Künstlersozialabgabe - 5 % von allen Honoraren nicht über-
) steigen. Die Künstlersozialabgabe wird immer zwei Drittel des Beitragsaufkommens des durch dieses Gesetz erfaßten Personenkreises betragen.
Diese Abgabe wird durch die neu zu gründende Künstlersozialkasse erhoben. Die Clearingstelle führt die Beiträge der Versicherten, die Künstlersozialabgabe und den Bundeszuschuß zusammen und leitet diese an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, in Rentenfragen, und an den zuständigen Krankenversicherungsträger weiter.
Die Vermarkter, Verwerter oder wie Sie es auch immer nennen wollen, können Ausgleichsvereinigungen bilden und die Aufbringung der Mittel für die Künstlersozialabgabe anders regeln, als dies im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Der Bundesminister für Arbeit kann durch die Festsetzung eines differenzierten Erhebtingssatzes unterschiedlichen Verhältnissen in einzelnen Sparten Rechnung tragen. Das Gesetz enthält ferner präzise Bestimmungen für jene Künstler und Publizisten, die sich von der Kranken- und von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen wollen, und es trägt mit sehr klaren Übergangs- und Schlußvorschriften der Tatsache Rechnung, daß wir uns mit diesem Gesetz auf gesetzgeberisches Neuland begeben.
Es hat zudem - auch das sei angemerkt - schon jetzt, lange ehe es in Kraft ist, Wirkung gezeitigt. So haben die Galeristen bereits im Vorgriff auf § 32 des Künstlersozialversicherungsgesetzes eine Ausgleichsvereinigung gegründet.
({1})
Wir registrieren, Herr Cronenberg, mit Dankbarkeit diesen Schritt - wir haben ja auch lange gerungen, um eine solche Ausgleichsvereinigung möglich zu machen -, der ganz gewiß schwierig war, zugleich aber auch gezeigt hat, daß das KSVG - so würden die Beamten es künftig nennen: das Künstlersozialversicherungsgesetz - elastisch genug ist, den verschiedenen Situationen in den einzelnen Sparten der Vermarktung gerecht zu werden. Man kann nur hoffen, daß das Signal, das der Kunsthandel gesetzt hat, Nachahmer in anderen Branchen und Bereichen findet.
Meine Fraktion wird im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung erneut empfehlen, daß die Bundesregierung nach einer angemessenen Zeit über die Erfahrungen mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz Bericht erstattet. Dies erscheint uns schon deshalb selbstverständlich, weil sich nur in der Praxis erweisen kann, welche Veränderungen zu einem umfassenden Schutz der selbständigen Künstler und Publizisten im Krankheitsfall und im Alter eventuell noch nötig sein könnten.
Im übrigen gehen wir davon aus, daß dieser Gesetzentwurf, der haargenau den Erkenntnisstand der 8. Legislaturperiode widerspiegelt, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zügig gelesen, in den mitberatenden Ausschüssen zügig behandelt und im Plenum dieses 9. Deutschen Bundestages in einer sehr nahen Zukunft in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wird - wie ich hoffe, einvernehmlich, denn auch Sie können ja zulernen - und dann bald Gesetzeswirklichkeit wird.
Wir gehen nämlich davon aus, daß die Opposition ihre ideologischen Bedenken und Verkrampftheiten überwindet und sich vorurteilsfrei und sachgerecht am Gesetzgebungsverfahren beteiligt.
({2})
- Sie sehen, meine Kollegen hoffen mit mir. - Wenn Sie dazu bereit und fähig sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dann werden Sie in Zukunft sicher auch von ein paar Schlagworten Abstand nehmen, die in der Vergangenheit Ihre Schau der Dinge verfinstert haben. Sie werden dann nicht mehr behaupten, daß die Sozialversicherungspflicht dem Wesen der Kunst und der Person des Künstlers zuwiderlaufe. Als ob die Kunst nur in Armut und Not gedeihen würde! Der Geheimrat von Goethe - ein Beamter, wenn Sie so wollen - ist der sprechendste Gegenbeweis dafür: Gesichert sein ganzes Leben hindurch und im wackeren Wohlstand hausend, hat er gleichwohl Unvergleichliches und Hinreißendes geschaffen.
({3})
Nein, ein Volk, das sich seiner Dichter und Denker rühmt, hat sich auch um sie zu kümmern
({4})
und dafür Sorge zu tragen, daß sie sich unter zumutbaren Bedingungen einen Freiraum für ihr künstlerisches Wirken schaffen können.
({5})
Etwas von diesem Freiraum schafft dieses Gesetz. Das müßte eigentlich auch Ihnen zu vermitteln sein. Ich bitte darum.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Zink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Wiedereinbringung des Künstlersozialversicherungsgesetzes,
({0})
sie bedauert aber, daß der Gesetzentwurf am heutigen Tage erneut völlig unverändert eingebracht wurde. Trotz gegenteiliger Beteuerungen zu Beginn der Beratungen in der letzten Legislaturperiode haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien bei der Beratung des Künstlersozialversicherungsgesetzes wenig Flexibilität gezeigt.
({1})
Deshalb haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Bundesrat diesem Gesetzgebungsvorhaben nicht zustimmen können.
Dabei geht es überhaupt nicht mehr um das Ob einer Verbesserung der sozialen Situation der Künstler und Publizisten, sondern nur noch um das Wie.
({2})
Hier scheiden sich allerdings die Geister. Die CDU/
CSU hat bei allen Beratungen zum Künstlersozialversicherungsgesetz das Ziel des Gesetzes begrüßt
und sich für eine befriedigende und systemgerechte Einbeziehung der Künstler und Publizisten in das Netz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und für eine Einbeziehung der alten Künstler und Publizisten in die Gesetzesregelung eingesetzt. Es ist festzustellen, daß mit der Bedürftigkeit -- ich sage das auch an den Kollegen Lutz gerichtet -, mit der oft schlechten sozialen Situation der alten Künstler und Publizisten draußen zwar argumentiert wird, daß dieser Personenkreis aber nach dem Regierungsentwurf und damit auch nach der heutigen Vorlage in das Künstlersozialversicherungsgesetz letztlich nicht mit einbezogen ist.
({3})
Wir haben beim Künstlersozialversicherungsgesetz den Tatbestand zu vermerken, daß wir nicht nur hinsichtlich des Ziels des Gesetzentwurfs weitgehend einig sind. Es besteht vielmehr auch Einigkeit über die Kostenaufbringung. Künstler und Publizisten, Vermarkter und Verwerter sowie der Staat sollen jeweils Anteile der Kosten tragen. Es besteht auch Einigkeit, daß eine möglichst wenig bürokratische und wenig kostenaufwendige Bürokratie die bessere soziale Absicherung der Künstler und Publizisten bewirken soll. Angesichts dieser Ausgangssituation müßte auch nach unserer Auffassung eine Einigung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und auch hier in diesem Hause erzielbar sein.
Man muß allerdings seitens der Regierung und der Koalition auch bereit sein, die Argumente der Opposition und gewichtiger Gruppen der Künstler, der Publizisten sowie der Verwerter bei den Beratungen zu berücksichtigen.
({4})
Es genügt nicht -- und damit wende ich mich, verehrter Herr Kollege Schmidt ({5}), an die FDP -, daß man auf Mittelstandstagen die Erhaltung des Prinzips der Wahlfreiheit auch für freiberuflich und selbständig Tätige proklamiert, sondern man muß den „liberalen" Worten bei Beratungen und Abstimmungen auch entsprechende Taten folgen lassen und darf nicht für kollektive Lösungen stimmen.
({6})
Ich hoffe, daß der Bezeichnung des Künstlersozialversicherungsgesetzes durch den ehrenwerten FDP-Sozialpolitiker und Kollegen Schmidt ({7}), es sei ein „einmaliger Schönheitsfehler", eine zumindest teilweise Korrektur, eine Beseitigung dieses „Schönheitsfehlers" während der Beratungen hier folgt.
Auch möchte ich die FDP auf den Widerspruch zwischen ihren ablehnenden Äußerungen zum „Maschinenbeitrag" oder zur „Maschinensteuer" und der Zustimmung zur Einführung einer solchen „Maschinensteuer" für einen Teilbereich des Sozialen Systems hier beim Künstlersozialversicherungsgesetz hinweisen.
({8})
In der sogenannten Deckungsgleichheit zwischen
Beitragsleistenden und Leistungsempfängern, die
die Künstlersozialabgabe zur „Maschinensteuer",
zur Steuer für einen gewissen Zweck schlechthin macht, sieht die CDU/CSU ein gewichtiges Argument gegen das Künstlersozialversicherungsgesetz in der vorliegenden Fassung.
Die Loslösung des sogenannten Arbeitgeberbeitrags von den individuellen Leistungen der Künstler und Publizisten halten wir für systemfremd und letztlich - wie den „Maschinenbeitrag" - für systemverändernd. Angesichts der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz, hier insbesondere zur Definition der Sonderabgabe, dürfte es sicherlich sinnvoll sein, die Künstlersozialabgabe noch einmal zu überprüfen. In der Künstlersozialabgabe, im „Maschinenbeitrag" liegt erheblicher verfassungsrechtlicher Problemstoff, der einer sauberen und umfassenden Durchleuchtung bedarf, soll nicht am Ende des Gesetzgebungsverfahrens das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wieder bemüht werden. Die Künstlersozialabgabe ist eine Steuer, eine Sonderabgabe und kein Beitrag.
({9})
Ein besonderer Zurechnungsgrund ist unseres Erachtens deshalb auch nicht gegeben.
Wir ziehen als CDU/CSU-Fraktion daraus das Fazit, die Künstlersozialabgabe könnte einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Die CDU/CSU hält an ihrer bisherigen Auffassung zum Künstlersozialversicherungsgesetz fest. Wir haben die verwaltungsaufwendige und kostenträchtige Künstlersozialkasse, aber auch die verfassungsrechtlich bedenkliche Künstlersozialabgabe mit guten Gründen abgelehnt. Nach unserer Auffassung ist weder die Künstlersozialkasse noch eine spezielle Künstlersozialabgabe erforderlich. Wir treten für eine individuelle Beitragszahlung der Künstler und ihrer Vermarkter ein und plädieren für eine systemgerechte Einbeziehung der Künstler in das Netz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung.
({10})
Die Künstlersozialkasse ist deswegen unseres Erachtens entbehrlich.
Die spezielle Künstlersozialabgabe ist nach unserem Konzept ebenfalls entbehrlich. Durch eine Ablösung der Künstlersozialabgabe durch einen Quasi-Arbeitgeberbeitrag würde die verfassungsrechtlich bedenkliche Deckungsungleichheit zwischen Leistungsempfängern und finanzierenden Vermarktern oder Verwertern vermieden. Nach dem vorliegenden Entwurf zahlen auch solche Vermarkter und Verwerter, die mit Künstlern und Publizisten Umsätze tätigen, die nie Leistungen aus der Krankenoder Rentenversicherung erhalten. Diese Deckungsungleichheit, die eine verfassungsgerichtliche Überprüfung geradezu provoziert, kann auch nicht mit dem Argument der Solidarität der Künstler und Publizisten weggewischt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Argument aufgreifen, das Sie für den kollektiven Ansatz über eine Künstlersozialabgabe und gegen den
individuellen Ansatz mit Eingliederung der Künstler und Publizisten in das bestehende System vorgebracht haben. Sie behaupten, daß Vermarkter und Verwerter von künstlerischen und publizistischen Produkten, falls sie Sozialversicherungsbeiträge für in der Künstlersozialversicherung versicherte Künstler und Publizisten zahlen müssen, einer solchen Zahlung ausweichen. Sie behaupten, die Vermarkter würden auf Künstler ausweichen, die nicht von der Künstlersozialversicherung erfaßt werden, d. h. die anderweitig versichert sind oder im Ausland leben und für die sie keine Sozialversicherungsbeiträge, sprich: Arbeitgeberbeiträge zahlen müssen. Sie leiten aus dieser Argumentation ab, daß für alle Honorare oder Umsätze - gleich, ob für Versicherte oder Nichtversicherte - eine Künstlersozialabgabe gezahlt werden sollte. Sie argumentieren, daß, wenn man nicht die Künstlersozialabgabe wählt, sozialversicherte Künstler aus dem Markt gedrängt werden.
Zu dieser Argumentation möchte ich für die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion folgendes anmerken.
Erstens. Die Vermarkter und Verwerter haben bei der Sachverständigenanhörung, aber auch in Stellungnahmen deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie bereit sind, für ihre mit ihnen Handel tätigenden Künstler und Publizisten Sozialbeiträge zu zahlen.
Zweitens. Das Gesetz muß eine solche Beitragszahlungspflicht vorsehen, und zwar in einer klaren und eindeutigen Form, die Ausweichreaktionen nicht zuläßt.
Drittens. Man kann und sollte auch nicht eine gesetzliche Regelung einführen, die vom Mißtrauen gegenüber den Vermarktern geprägt ist.
Wir alle stimmen, wie ich glaube, darin überein, daß z. B. im Zusammenhang mit dem Arbeitsförderungsgesetz gegen die Argumentation, das Gesetz werde generell von Arbeitnehmern mißbraucht, Stellung bezogen werden muß. Auch hier muß man davon ausgehen, daß Vermarkter und Verwerter nicht generell versuchen werden, das Gesetz und die daraus resultierende Zahlungspflicht zu umgehen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß sie dem Gesetz Folge leisten werden.
Viertens Eine Ausweichreaktion der Vermarkter und Verwerter ist weit weniger möglich, als allgemein angenommen. Die Argumentation, man werden in Zukunft nur noch mit ausländischen Künstlern arbeiten, ist unseres Erachtens einfach falsch und berücksichtigt nicht die Verhältnisse auf den jeweiligen Märkten. Ein Ausweichen auf nicht versicherte Künstler oder ausländische Künstler ist in der überwiegenden Zahl der Fälle überhaupt nicht möglich.
Das Argument der Wettbewerbsneutralität, die nach Ihrer Auffassung bei unserem individuellen Ansatz der Künstlersozialversicherung nicht gegeben ist, wird in Ihrer Argumentation überbewertet, weil Sie - leider auch die FDP - im Grunde eine kollektive Lösung, eine Künstlersozialkasse und Künstlersozialabgabe und damit indirekt eine Maschinensteuer, einen Maschinenbeitrag wollen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Im Interesse der Künstler und Publizisten, der langfristigen sozialen Sicherung auch der älteren Künstler und Publizisten sollten wir hier im Deutschen Bundestag, insbesondere im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, noch einmal alle Lösungen, auch die individuelle Lösung der CDU/CSU, für dieses Problem eingehend diskutieren.
({11})
Die individuelle Lösung ist nicht nur systemgerecht, führt nicht nur zu befriedigenden Ergebnissen und vermeidet verfassungsrechtliche Überprüfungen, sondern erleichtert auch die Einbeziehung der älteren, tatsächlich bedürftigen Künstler. Die CDU/ CSU hält die individuelle Regelung für die Künstler und Publizisten für den besseren Weg, zumal viele Künstler schon Verbindung zu einer Krankenkasse und auch zur Rentenversicherung haben.
Wir sollten eine Lösung zur Verbesserung der sozialen Situation der Künstler suchen, die der Individualität, der Unabhängigkeit und der Freiheit dieser Berufe entspricht und sie in das bewährte System unserer Kranken- und Rentenversicherung integriert.
Wie eine solche Integration aussehen könnte, hat die CDU/CSU-Fraktion in der 8. Legislaturperiode durch ihre Änderungsanträge zum Künstlersozialversicherungsgesetz der Bundesregierung dargelegt.
Der Kollege Gansel von der SPD - ich habe heute gehört: er ist nicht mehr ordentliches Mitglied bei uns im Ausschuß - hat jüngst in der Fersehsendung „Report", allerdings in einem anderen Zusammenhang, dem der Montan-Mitbestimmung, darauf hingewiesen, daß kein Gesetzentwurf die Ausschußberatungen so verlassen würde, wie er dem Ausschuß zugewiesen worden sei. Im Interesse der Künstler und Publizisten, insbesondere der älteren und bedürftigen unter ihnen, wäre es wünschenswert, wenn diese Aussage auch auf das Künstlersozialversicherungsgesetz Anwendung fände und wir in einigen Monaten gemeinsam eine befriedigende Lösung verabschieden könnten.
Eine erneute Beratung, gleichsam im Hauruckverfahren, hält die CDU/CSU bei aller Dringlichkeit einer Lösung der im Gesetzentwurf enthaltenen Probleme für nicht gerechtfertigt
Im Namen der CDU/CSU muß ich allerdings auch hier klar zum Ausdruck bringen, daß, falls in den Ausschußberatungen keinerlei Änderungen, insbesondere hinsichtlich der Künstlersozialabgabe, erreicht werden können, es der CDU/CSU wohl kaum möglich sein wird, einem solchen Gesetz ihre Zustimmung zu geben. -- Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beiträge der beiden KolCronenberg
legen lassen vermuten, daß diese Debatte mindestens atmosphärisch ruhiger wird als die dritte Lesung.
({0})
- Die dritte Lesung dieses Gesetzes in der 8. Legislaturperiode, Herr Kollege George, um das korrekt zu formulieren.
Das Protokoll verzeichnet nach meinem Beitrag damals die Bemerkung des leider -- und ich meine das sehr ehrlich - nicht mehr anwesenden Kollegen Becker: „Wir sprechen uns wieder!" Er hat mindestens darin recht behalten, daß wir dieses Gesetzesvorhaben hier heute noch einmal zu behandeln haben. Aber er hat auch in Erwartung dieser Entwicklung gesagt: „Wir sprechen uns wieder!" und nicht: „Wir werden wieder miteinander polemisieren", wie das in der dritten Lesung damals war. Insofern freue ich mich auf diese Auseinandersetzung, wenngleich ich den Eindruck habe: dies ist eine Debatte um eine inzwischen alte Sache, und sie wird wohl, Herr Kollege Zink, mit alten Argumenten geführt; denn bei aller Bereitschaft in der Forni ist von Ihnen in der Sache nicht viel Neues vorgetragen worden.
({1})
- Selbstverständlich, Herr Kollege Köhler, werden wir zu untersuchen haben, ob Ihre alten Argumente möglicherweise richtig sind. Und wir werden uns ganz sicher auch ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen.
({2})
[ch möchte in diesem Zusammenhang unsere Bereitschaft zu einer solchen Diskussion zum Ausdruck bringen, aber auch unsere Position noch einmal deutlich darlegen, damit dadurch der Rahmen, in dem diese Diskussion, sinnvollerweise im Ausschuß, stattfinden kann, abgesteckt ist.
Herr Kollege Zink, bevor ich unsere Positionsbeschreibung vornehme, lassen Sie mich noch einmal auf ein Argument, das Sie hier wieder vorgebracht haben und das, wie ich meine, nicht schlüssig ist, eingehen. Sie sagen: Ihr Wunsch, einen individuellen Beitrag für den versicherten Künstler zu erheben, würde - wäre er im Gesetz realisiert - nicht zu Wettbewerbsverzerrungen am Markt führen. Herr Kollege Zink, bei allem Respekt vor den Vermarktern und ihrer Bereitschaft, individuelle Gestaltungen für die Aufbringung ihrer Beiträge zu finden - die Galeristen haben j a durch eine konkrete Rahmenvereinbarung bewiesen, daß es geht -, bleibt die Tatsache bestehen, daß der in der Sozialversicherung versicherte Künstler entweder weniger Honorar bekommt oder teurer verkaufen muß. Dies ist nun einmal das klassische Beispiel einer Wettbewerbsbenachteiligung, die wir - aus guten Gründen, wie ich meine - auch auf diesem Markt für unerträglich halten. Deswegen ist es - bei allem Respekt vor dem Versuch, individuelle Beitragserbringungskonstruktionen zu finden - nicht wahr, daß dadurch keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen würden. Wir haben hier den - wie ich meine, erfolgreichen -- Versuch unternommen, eine Aufbringungsmethode zu finden, die einerseits die Beitragsverpflichtung des Künstlers, und zwar nur desjenigen, für den die Notwendigkeit einer Versicherung besteht, gewährleistet und andererseits eine gerechte Verteilung des Beitragsanteils der Vermarkter - ich bin sehr dankbar dafür, daß der Ausdruck „Quasi-Arbeitgeber" in dieser Debatte nicht gefallen ist - sicherstellt. Diese Lösung ist sinnvoll und richtig, weil sie die Lasten vernünftig verteilt.
Ich möchte unsere Position noch einmal zu beschreiben versuchen, damit klar wird, worum es uns geht und wie der Rahmen, in dem wir diese Diskussion unserer Meinung nach zu führen haben, gesteckt werden sollte.
Die FDP hat - wen wird das überraschen? - besonderen Wert darauf gelegt, daß der soziale Schutz und die persönliche Freiheit der selbständigen Künstler und Publizisten gewährleistet ist. Dem trägt die Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung und Alterssicherung in diesem Gesetz Rechnung. Die vorgesehenen Finanzierungsregelungen entsprechen auch der Systematik unseres Sozialversicherungsrechts.
Der Versicherte zahlt einen einkommensbezogenen Beitragsanteil - wie auch die versicherten Arbeitnehmer --- in Höhe von 50 % des Gesamtbeitrages, der für ihn erbracht wird. Die andere Beitragshälfte wird für den Selbstvermarkter aus Zuschüssen der öffentlichen Hand und für die übrigen Künstler und Publizisten von ihren Vermarktern aufgebracht. Die Vermarkter werden dazu mit einer Künstlersozialabgabe belastet, die dem Beitragsaufkommen der Versicherten entspricht, die nicht Selbstvermarkter sind. Es ist also - um das noch einmal ganz klarzustellen - gewährleistet: Die Abgabe kann nicht höher sein als die Summe der Beiträge der versicherten Künstler.
({3})
Daraus ergibt sich, daß die Künstlersozialabgabe im Gegensatz zu einer an die Stelle des lohnbezogenen Arbeitgeberanteils tretenden Maschinensteuer systemkonform ist, denn es wird parallel zum lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag an die Entgelte der Versicherten angeknüpft, nicht wie bei der Maschinensteuer an Wertschöpfung oder irgendwelche anderen Maßstäbe. Es bleibt bei der hälftigen Finanzierung durch Versicherte und Vermarkter. Die Absicht der Maschinensteuer ist j a u. a., diese Hälftigkeit zu gefährden, mit der weiteren Absicht, den Arbeitgeberanteil nach Bedarf zu erhöhen. Das jetzt gefundene Erhebungssystem gewährleistet, daß keine Parallelen zu der sogenannten Maschinensteuer gezogen werden können. Die Kritik, die Künstlersozialabgabe sei ein Einstieg in die Maschinensteuer, ist nicht nur falsch; sie ist geradezu gefährlich, weil dadurch möglicherweise jemand auf falsche Ideen kommt. Ich bin den Kollegen der SPD ungewöhnlich dankbar, daß sie in der vorigen Wahlperiode in der Debatte über diesen Punkt von dieser Stelle aus ausdrücklich festgestellt haben, daß hier
weder Präjudizierungen vorgenommen werden noch Parallelen ziehbar sind. Sie sollten daher tunlichst darauf verzichten, dieses Argument in dieser Debatte so vorzubringen.
Die von der FDP bei den parlamentarischen Beratungen in der 8. Wahlperiode durchgesetzten Änderungen und Ergänzungen ermöglichen die von Ihnen mit Recht verlangte Individualisierung der Künstlersozialabgabe. Für die einzelnen Sparten der Vermarkter soll der Erhebungssatz für die Künstlersozialabgabe entsprechend dem Beitragsaufkommen der Versicherten der jeweiligen Sparte festgelegt werden. Der Kollege Lutz hat ja daran erinnert, daß die Galeristen hier erfreulicherweise schon eine solche Vereinbarung getroffen haben. Ich kann Ihnen zu Ihrer Information von hier aus mitteilen, daß weitere Sparten in ernsthafte Gespräche über solche Regelungen eingetreten sind.
Lassen Sie mich auch dies festhalten: Innerhalb der spartenspezifischen Regelungen können die Vermarkter in eigener Verantwortung Ausgleichsregelungen treffen. Diese ermöglichen eben, die Belastung des einzelnen Vermarkters auf Grund der Künstlersozialabgabe so festzulegen, als wenn der Vermarkter individuelle Beitragszahlung zu leisten hätte. Das heißt, wir haben alle Forderungen, die Sie aufgestellt haben, in diesem Gesetzentwurf - leider ist ja nochmals ein Gesetzentwurf erforderlich geworden - realisiert.
Deswegen müßte es Ihnen eigentlich ohne Gesichtsverlust möglich sein, der von uns vorgeschlagenen Regelung zuzustimmen.
Auch die für Künstler und Publizisten bereits bestehenden Versorgungseinrichtungen werden in die Neuregelung einbezogen. Das heißt, bestehende Institutionen, die Sinnvolles und Gutes leisten, werden in die gesetzlichen Regelungen einbezogen.
Insgesamt sind also die gefundenen Regelungen systemgerecht, ordnungspolitisch ohne Bedenken und verwaltungsmäßig praktikabel. Sie vermeiden Wettbewerbsnachteile, wie sie mit einer unmittelbaren individuellen Beitragszahlung durch die Vermarkter zu Lasten der nach diesem Gesetz versicherten Künstler und Publizisten verbunden wären. Ich bitte Sie, sich das noch einmal ganz konkret vor Augen zu führen.
({4})
Wenn Sie individuelle durch den jeweiligen Abnehmer gestaltete Beiträge wünschen, dann bedeutet das: Für einen Künstler, aufgeteilt auf möglicherweise mehrere Vermarkter, muß dieser Beitrag ermittelt werden. Das ist mit ungewöhnlich viel Verwaltungsaufwand bei den einzelnen Vermarktern verbunden, weil j a zunächst einmal das Beitragsaufkommen dieses Künstlers dem einzelnen Vermarkter nicht bekannt ist. Wenn Sie dies durch eine Krankenkasse feststellen lassen, wie das von Ihnen einmal vorgeschlagen worden ist, so bedeutet das einen ungeheueren Aufwand für die einzelne nicht informierte Krankenkasse
({5})
bei Vermarktern, die über die ganze Bundesrepublik verteilt sind. Aber wir möchten doch alle, daß die Arbeitsmöglichkeiten des Künstlers nicht etwa durch diese Künstlersozialabgabe beschränkt werden - sozusagen unter dem Motto: Ich vermarkte Sie nicht zusätzlich, weil ich dann noch einen habe, für den ich abzuführen habe. Damit all dieser zusätzliche Bürokratismus nicht entsteht, erscheint es uns geradezu ein Beitrag zu weniger Bürokratie, daß wir hier eine Clearingstelle, ein vernünftiges Inkassobüro eingerichtet haben.
({6})
- Herr Kollege George, auch Ihr Schmunzeln in dieser Angelegenheit ändert nichts an der Richtigkeit dieser meiner Behauptung.
({7})
Denn genau wir haben, wie Sie wissen, peinlichst diesen Fragenkomplex untersucht,
({8})
weil wir natürlich jede Möglichkeit, hier Einsparungen vorzunehmen, ernsthaft untersucht haben.
({9})
Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, daß dieses Inkassobüro
({10})
- j a, peinlichst; unter Pein festgestellt, sozusagen - ein Beitrag zu dem von uns allen gewünschten und verlangten Weniger an Bürokratie ist.
Ich möchte noch einmal deutlich sagen - für diejenigen, die sich neu mit der Materie beschäftigen -, daß dies ein Inkassobüro ist und nicht etwa ein neuer Rentenversicherungsträger. Dies ist ja bei den Kommentaren und Berichten, die über die vergangenen Debatten geschrieben worden sind, leider übersehen worden.
Daß unsere Bereitschaft vorhanden ist, Erfahrungen, die sich aus der Anwendung des Gesetzes ergeben, zu überprüfen und solche Erfahrungen dann auch in die gesetzgeberischen Überlegungen einzubeziehen, das mögen Sie daraus ersehen, daß wir uns alle einig waren, eine Pflicht für die Bundesregierung, über die Ergebnisse des Gesetzes zu berichten, einzuführen.
Ihre Einwände, die Sie bezüglich möglicher verfassungsrechtlicher Bedenken vorgetragen haben, kann ich in einem solchen Kurzbeitrag - einen Tag, nachdem das Urteil zum Ausbildungsförderungsgesetz in Karlsruhe verkündet ist - nicht gewichten. Soweit ich bisher unterrichtet bin, hat das Bundesverfassungsgericht die Ausbildungsabgabe nicht inhaltlich abgelehnt, sondern hat gesagt, daß die Zuweisung bestimmter Verwaltungsaufgaben an die Länder die Zustimmungspflicht bei diesem Gesetz begründeten.
({11})
- Ich möchte das mal vorsichtig so vortragen, Herr
Kollege George. Aber ich sehe - auch nachdem ich
mir heute vormittag das Gesetz noch einmal angeseCronenberg
hen habe - keine vergleichbaren Tatbestände, die eine solche Zustimmungspflicht begründen könnten, weil durch das Gesetz keine Verwaltungsaufgaben den Ländern zugewiesen werden. Aber, wie gesagt, wir haben ganz sicher die Pflicht, diesen Fragenkomplex noch einmal zu untersuchen. Das hat wohl weniger unser Ausschuß denn ein anderer, nämlich der Rechtsausschuß, zu tun.
Abschließend möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die klimatischen Zeichen, die hier durch Sie, Herr Kollege Zink, gesetzt worden sind, die Beratungen im Ausschuß bestimmen werden. Ich würde es auch dankbar begrüßen, wenn sich Ihre Anregungen und Verbesserungsvorschläge auf den hier skizzierten Rahmen begrenzten, weil wir dann nicht mehr die Debatte von gestern zu führen hätten. Innerhalb dieses Rahmens sind wir selbstverständlich bereit, alle Vorschläge einer ernsthaften Überprüfung zu unterziehen. Im Interesse der Künstler hoffe ich sehr, daß wir dann recht bald zur Verabschiedung eines verfassungsrechtlich unbedenklichen Gesetzes kommen. Herzlichen Dank.
({12})
Als nächster hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei ganz kurze Vorbemerkungen!
Erstens. Ich finde, es ist gut, daß auch der 9. Deutsche Bundestag die Gesetzgebungsarbeit wieder mit einem sozialpolitischen Gesetz beginnt.
Zweitens. Herr Kollege Zink, Sie bedauerten, daß dieses Künstlersozialversicherungsgesetz nicht für die älteren Künstler gelte. Ich will darauf antworten: Dies ist nur die halbe Wahrheit, denn dieses Gesetz ist für die älteren Künstler in bezug auf die Krankenversicherung von besonderer Bedeutung.
Drittens. Sie haben sich auf den Kollegen Gansel bezogen und gesagt: Ein Gesetz wird den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung nie wieder so verlassen, wie es reingekommen ist. Das ist richtig. Das gilt auch für dieses Künstlersozialversicherungsgesetz. Nur, wenn Sie dieses Gesetz ein zweites Mal aufgießen, wird es dadurch nicht besser. Das hat man schon zu Hause beim Kaffeekochen kennengelernt.
({0})
Deshalb begrüßt die Bundesregierung, daß die Regierungsfraktionen das Gesetz über die soziale Sicherung von Künstlern und Publizisten heute unverändert neu einbringen. Da die Problematik der unzureichenden sozialen Absicherung von Künstlern und Publizisten dieses Haus schon mehrfach beschäftigte, kann ich mich auf die wesentlichsten Kernpunkte des Gesetzentwurfes beschränken.
Selbständige Künstler und Publizisten sollen, soweit sie nicht schon anderweitig eine Alters- oder Krankenversicherung haben, in die Versicherungspflicht der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung einbezogen werden. Dabei sollen sie wie Arbeitnehmer mit dem halben Beitrag belastet werden. Die andere Hälfte soll von einer Künstlersozialkasse erbracht werden. Diese Künstlersozialkasse erhält ihre Mittel zu einem Drittel durch einen Bundeszuschuß, zu zwei Dritteln durch eine Künstlersozialabgabe. Sie soll von allen Vermarktern von Kunst und Publizistik im Umlageverfahren erhoben werden. Selbst diejenigen, die dagegen früher am stärksten opponierten, nämlich der Kunsthandel, haben inzwischen nicht nur eingesehen, daß auch sie ihren Beitrag leisten sollten, sondern sehr wohl erkannt, daß sie mit diesem Gesetz durchaus leben können.
Wir hören keine Unkenrufe mehr vom Zusammenbruch der Galerien, von einer Abwanderung ins Ausland ist keine Rede mehr; kein Wort auch von der „Verödung der deutschen Kulturlandschaft". Im Gegenteil, die Verbände des Kunsthandels und der bildenden Künstler haben sich ganz einfach zusammengesetzt und sich auf einen Vertrag geeinigt, in dem die Aufbringung der Künstlersozialabgabe durch den Kunsthandel geregelt wird. Sie haben untereinander einen Aufbringungsschlüssel festgelegt, von dem die Betroffenen meinen, daß er ihrer Branche angemessen ist. Mit anderen Worten, sie haben also genau das getan, was im § 32 des Gesetzentwurfes aus eben diesen Gründen vorgesehen ist.
Da die Kunstvermarkter, also die zusammen mit den Künstlern Betroffenen, eine solche Einsicht zeigten - die Künstler und Publizisten sind ohnehin dafür -, ist es wohl nicht unbillig, auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, eine entsprechende Haltung zu erwarten. Sie haben die erneute Chance, durch gemeinsame Anstrengungen für die freien Künstler und Publizisten in der Bundesrepublik Deutschland die längst überfällige soziale Sicherung bei Krankheit und Alter herbeizuführen. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß sie - und ebenso anschließend die Bundesratsmehrheit - diese Chance ergreifen. - Schönen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 9/26 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgesehenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts
- Drucksache 9/27 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Interfraktionell sind für die Aussprache zwei Beiträge bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden - Kurzdebatte mit zwei Runden. Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Marschall.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Beweggründe gab es viele, warum der 8. Deutsche Bundestag die Neuordnung des Betäubungsmittelrechts auf der Grundlage eines Regierungsentwurfs sehr eingehend, zugleich aber auch zügig beraten und schließlich im Juni 1980 verabschiedet hat. So war es wichtig, ein im Laufe von fünf Jahrzehnten durch viele Änderungen unübersichtlich gewordenes Betäubungsmittelgesetz zu straffen und die Vielzahl der Verordnungen zu mindern. Es war ebenso unabweisbar, internationale Suchtstoffübereinkommen in deutsches Recht zu übertragen.
Weitaus drängender aber war, daß angesichts des bedrohlichen Drogenmißbrauchs das geltende Hecht in großen Teilen als überholt und lückenhaft erkannt wurde. Die gründliche Beratung war von der Überlegung bestimmt, daß den Menschen nicht wegen mangelhafter gesetzlicher Regelungen der Weg in die Drogenabhängigkeit leichtgemacht, vor allem aber der Ausweg aus diesem Teufelskreis versperrt werden dürfe.
Dies war wohl auch einer der Gründe, warum der Bundestag nach sachlicher Diskussion dieses Gesetz über alle Fraktionen hinweg einstimmig verabschiedet hat. Um so größer war die Betroffenheit vieler, vom Parlament bis zu den Einrichtungen der Drogenhilfe, die vor dem Hintergrund des Rauschgiftelends Erwartungen in die Neuregelung gesetzt hatten, als die Neuordnung des Betäubungsmittelrechts doch noch an den Hürden des Bundesrats scheiterte.
Die Fraktionen von SPD und FDP bringen mit der Drucksache 9/27 die in gründlichen Parlamentsberatungen erarbeitete, von allen Fraktionen des 8. Bundestages angenommene Neuordnung des Betäubungsmittelrechts nunmehr auf schnellstem Wege ein. Die Begründung des Beratungsergebnisses, die ich mit anderen für die sozialdemokratische Fraktion vor knapp einem halben Jahr hier vorgetragen habe, will ich schon wegen des für dieses Haus anzunehmenden äußerst hohen Alphabetisierungsgrades nicht wiederholen.
({0})
- Alphabetisierungsgrad. ({1})
- Ich nehme an, daß alle in diesem Hause lesen und schreiben können.
Betont werden soll aber, daß die Neuregelung des Verhältnisses von Therapie und Strafe für Rauschgiftabhängige, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, dringender den je ist. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß strafrechtliche Mittel nur ein Teil der gesellschaftlichen Reaktion auf die Drogenabhängigkeit sein können. Ohne Öffnung zu einer wirksamen medizinischen und sozialen Therapie führen Mittel des Strafrechts bei den Rauschgiftopfern nur zu einer unmenschlichen Verwahrung, die weder dem einzelnen noch der Gesellschaft das Problem lösen hilft. Ohne die Bereitschaft des einzelnen Drogenabhängigen - dies ist ein ganz eindringliches Ergebnis der Sachverständigenanhörung am 21. April dieses Jahres - ist andererseits kein Erfolg therapeutischer Bemühungen zu erwarten.
Die aktuelle Situation der Drogenabhängigen im Strafvollzug beschreibt ein bekannter Psychologe u. a. so, daß der Ablauf des Justizvollzugs, geprägt durch Reglementierung von Tagesablauf und Verhaltensspielraum, Reduzierung zwischenmenschlicher Beziehungen, Verhinderung heterosexueller Kontakte, Förderung von Passivität, Versorgungshaltung, Unehrlichkeit und Anpassung, die gleichen unerwünschten Veränderungen des Sozialverhaltens bewirkt oder unterstützt, die auch zur sogenannten Drogenkarriere führen. Im Vollzug lernt der Drogenabhängige häufig, wie offizielle Regeln und ihre Umgehung durch die kriminelle Subkultur selbstverständlich 'nebeneinander existieren, wie zwischenmenschliche Werte gegenüber Macht, Besitz und krimineller Durchsetzungskraft geringer bewertet werden.
Unter derartigen Umständen ist es nicht verwunderlich, wenn der Drogenmißbrauch im Strafvollzug weiter existiert und sogar eine um sich greifende Suchtgefährdung für andere bewirken kann. Hier die notwendige Öffnung zu den vielfältigen Möglichkeiten der Langzeittherapie zu erreichen ist die wichtigste und zugleich dringlichste Aufgabe, die sich den verantwortlichen Politikern stellt. Die neuen §§ 33 bis 36 sind zu diesem Zweck geschaffen worden. Es geht darum, den Abhängigen glaubwürdige Perspektiven einer Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben zu eröffnen. Das geltende Recht versperrt diesen notwendigen Weg zur Motivation der meist jungen Leute in ihrer fast immer als aussichtslos empfundenen Situation. Die Chance des neuen § 33 für den einzelnen, daß die Strafvollstreckung bei einem rauschgiftabhängigen Täter zurückgestellt wird; wenn eine Behandlung der Abhängigkeit gewährleistet ist, erhält so ebenso einen Sinn wie der vorgesehene Widerruf dieser Zurückstellung, wenn die Behandlung nicht stattfindet. Dem gleichen Zweck dienen die Möglichkeiten der Anrechnung des Aufenthalts in staatlich anerkannten Einrichtungen auf die Strafe und der Aussetzung eines Teils der Strafe zur Bewährung, wie der § 34 des Entwurfs sie beschreibt. In die gleiche Richtung zielt auch die Änderung des BundeszentralregiMarschall
stergesetzes in Art. 4 des vorliegenden Entwurfs, die es möglich macht, einen Strafausspruch nicht ins Führungszeugnis aufzunehmen.
Ganz entscheidend ist aber das Angebot des neuen § 35 an die Abhängigen, die noch nicht in die Mühlen der Justiz geraten sind. Das darin vorgesehene Absehen von der Strafverfolgung, wenn sich ein Beschuldigter bereits aus eigener Entscheidung in einer therapeutischen Einrichtung der Behandlung unterzieht, kann und soll eine Vielzahl beklagenswerter Rückfälle in Zukunft vermeiden helfen.
Andererseits erscheinen eine Ausdehnung der Straftatbestände und eine deutliche Verschärfung des Strafrahmens für schwere Rauschgiftkriminalität - vor allem für nicht süchtige Großhändler - geboten. Diese Absicht des Entwurfs entspricht auch dem in den letzten Jahren geschärften Bewußtsein der Öffentlichkeit, was die Verabscheuungswürdigkeit der illegalen Drogenhändler, die eiskalt das Leben von Tausenden ruinieren, betrifft.
({2})
Bei jeder Diskussion über die Änderung des Betäubungsmittelrechts - sei es in Anhörung des Bundestages, sei es in Gesprächen mit Behördenvertretern, mit Mitarbeitern von Einrichtungen der Drogenhilfe und vor allem mit den direkt Betroffenen, den Abhängigen oder ihren Verwandten, Bekannten und Kollegen - wird man immer wieder darauf gestoßen, daß die Paragraphenregelungen über rechtliche und polizeiliche Maßnahmen die Ursachen der Drogenabhängigkeit nicht wirksam berühren und daher als eine mögliche Ergänzung der aufklärenden, vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen zu sehen sind. Jedenfalls ist festzuhalten, daß Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen einer sinnvollen Therapie nicht im Wege stehen dürfen, sondern vielmehr in den Dienst des Weckens und Realisierens der Therapiebereitschaft zu stellen sind.
Die letzten Endes entscheidende Aufgabe stellt sich der gesamten Gesellschaft in vielerlei Gestalt, wenn es um Aufklärung, Vorbeugung und Therapiebemühungen einschließlich einer wirkungsvollen Rehabilitation und Nachsorge geht. Hier sind mit dem in diesem Jahr fortgeschriebenen Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs wichtige Markierungen gesetzt worden. Der 8. Bundestag hat in seiner Entschließung vor einem halben Jahr im Blick auf die Verantwortung des Bundes, der Länder und anderer Einrichtungen, Verbände und Gruppen auf eine Vielzahl von Aufgaben hingewiesen. Inzwischen können insbesondere im Bereich der internationalen Rauschgiftbekämpfung erfolgreiche Initiativen der Bundesregierung vermerkt werden.
Aufgaben vielfältiger Art wird es auch in den kommenden Jahren in allen Bereichen der Gesellschaft geben. Bei vielen, auch bei politischen Mandatsträgern, wird dazu ein Umdenken erforderlich sein, etwa wenn es um neue Standorte von Therapiezentren für Drogenabhängige geht. Ein Fall in Hessen
hat dies erst in den letzten 'ragen deutlich illustriert.
({3})
Für die Abgeordneten des 9. Deutschen Bundestages jedenfalls stellt sich nun die ganz konkrete Aufgabe, so bald wie möglich eine Neuordnung des Betäubungsmittelrechts auf den Weg zu bringen. Es geht dabei mit jedem Monat Verzögerung um Menschenschicksale. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird ihren Beitrag dazu leisten, daß das Betäubungsmittelgesetz am 1. Juli 1981 in Kraft treten kann.
({4})
Als nächster hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode der Neuordnung des Betäubungsmittelrechts zugestimmt. Wir waren in den zügigen Beratungen der zuständigen Ausschüsse zu Kompromissen bereit. Wir waren trotz Ablehnung unserer erheblichen Verbesserungsvorschläge bereit, dem Entwurf die Zustimmung nicht zu versagen um damit ein Signal zu geben, dieses Gesetz möglichst schnell wirksam werden zu lassen. Wir hatten auf eine entsprechende Kompromißbereitschaft der Koalition gehofft, und wir hoffen weiter darauf, denn ohne sinnvolle Kompromisse kann es dieses Gesetz nicht geben. Wir stehen also unter dem Zwang - obwohl es weniger Zwang als Einsicht sein sollte -, vernünftige Kompromisse zu finden, damit auf der Grundlage des Gesetzes gehandelt werden kann. Auch wir stehen also in der Pflicht zu handeln. Dabei lassen wir uns von folgenden Grundsätzen leiten:
Wir möchten einmal, daß die Verherrlichung des Drogenmißbrauchs bestraft wird. Wir sehen nicht ein, warum SPD und FDP dies ablehnen. Fast wöchentlich liest man von irgendeinem aufstrebenden Politiker die Forderung, Alkoholwerbung solle verboten werden. Fragt man die Bundesregierung, ob dies möglich sei, sagt sie nein. Was also nicht möglich ist, will man, aber was möglich ist, will man nicht; denn die Bestrafung der Verherrlichung des Drogenmißbrauchs ist möglich. Wer durch die Verherrlichung anderen Schaden zufügt, wer auf diese Art und Weise die Gesundheit eines anderen verletzt, warum sollte der angesichts der Dramatik des Drogenproblems nicht bestraft werden? Das müßte doch ganz einsichtig sein. Vielleicht kommen wir hier zu einem sinnvollen Kompromiß.
Interessant und faszinierend ist die These „Therapie statt Strafe". Wir haben mehrmals gesagt und haben uns diesbezüglich auch von den Experten in der Anhörung leiten lassen: Auf Strafe kann nicht verzichtet werden. Es ist so, daß die Strafandrohung durchaus ein wichtiger Grund zur Besserung sein kann, daß Strafe durchaus die entscheidende Motivation für den Therapieerfolg sein kann, daß sie Voraussetzung für den Therapieerfolg ist. Deswegen haben wir gesagt: Therapie und Strafe.
Drittens sollte Therapie vor Strafe gehen, sie muß aber einsichtig, muß sinnvoll sein. Es muß ein Ziel erkennbar sein. Es hat keinen Sinn, jemanden nur einige Wochen oder Monate zu behandeln und ihn dann wieder ins Leere des Alltags zu schicken. Gefordert ist eine lebenslange Aufgabe. Er braucht nachhaltige Nachsorge, er braucht einen Arbeitsplatz, er braucht Betreuung, braucht einen Lebenssinn, braucht ein Ziel. Dies scheint mir in diesem Zusammenhang überhaupt das Wichtigste zu sein.
Auch unter diesem Gesichtspunkt möchten wir eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes. Wir wollen handeln, damit die vielen tausend freiwilligen Helfer draußen im Lande handeln können. Wir sollten hier keine Debatte vorübergehen lassen, um den vielen freiwilligen ehrenamtlichen Helfern, den vielen fleißigen, in dieser aufopferungsvollen Arbeit tätigen Männern und Frauen in der Drogenszene, in der Therapie, die dort ohne allzu große staatliche Hilfe tätig sind, ein ausdrückliches Dankeschön zu sagen und sie ermutigen, weiterzumachen.
({0})
Man kann sie aber nur ermutigen, wenn man selbst den Mut zur klaren Entscheidung hat. Deswegen erkläre ich unsere nachhaltige Bereitschaft, durch eine zügige Beratung und Behandlung unseren Beitrag zur schnellstmöglichen Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes zu leisten.
Ich darf noch einen Gedanken anfügen: Drogenmißbrauch ist keine einmalige Erscheinung, ist keine Modeerscheinung, die sich sozusagen von selbst erledigt. Wir haben diese Erscheinung seit fast zwei Jahrzehnten. Wir wollen bekunden, daß sie einmal ausgemerzt werden soll. Dazu sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es sich hier um ein komplexes Thema handelt. Wir müssen jeden Bürger fragen, ob wir nicht auch den einzelnen durch eine ungehemmte Sucht nach Medikamenten verführen. Der Alkohol ist in diesem Zusammenhang anzusprechen.
Medikamentensucht des Älteren, der Eltern oder anderer sind sicherlich oft auch eine Verführung und der erste Schritt. Zumindest tragen sie nicht dazu bei, die Gefährlichkeit der Drogenszene auf zu-zeigen. Dieser Bereich ist komplex zu betrachten, und alle sind aufzufordern, in der Gesellschaftspolitik, in der Justiz, in der Gesundheits- und Familienpolitik, sorgsam zu beobachten, welche Verführungen vor der Drogenszene liegen, die zunächst nichts mit Drogen zu tun haben.
Es ist zu fragen, ob dieser Staat für junge Menschen attraktiv genug ist, ob er genug Herausforderungen formuliert oder ob er nicht ständig dabei ist, sie pädagogisch, therapeutisch zu betreuen. Es ist sehr wichtig, daß dieser Staat auch von jungen Menschen als eine Herausforderung begriffen wird. Wir sehen darin den besten und nachhaltigsten Therapieerfolg; nein, es ist die beste Prophylaxe, die beste Vorbeugung überhaupt, um junge Menschen davor zu gewahren, in die Resignation oder die Drogenszene abzugleiten.
({1})
Insofern sind wir weit darüber hinaus gefordert, insofern sind wir nachhaltig gefordert, und insofern ist es mit einem Gesetz nicht getan. Der erste Schritt sollte zügig getan werden, und dann sind wir gemeinsam aufgerufen, nicht nur zu beobachten, sondern klug, gesellschaftspolitisch, human, auf den ganzen Menschen bezogen, politisch umfassend zu handeln. Unsere Bereitschaft dazu haben wir nachhaltig bekundet und werden unsere Initiativen dazu nachhaltig ergreifen. - Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Wiedereinbringung des Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts sei daran erinnert, daß der uns nun vorliegende Entwurf vor einigen Monaten hier im Bundestag einstimmig verabschiedet worden ist. Damit verbinde ich die Hoffnung, daß uns das dieses Mal wieder gelingt, und zwar in einer verhältnismäßig kurzen Zeit.
Allerdings habe ich Bedenken bekommen, als ich gerade den Kollegen Kroll-Schlüter hörte. Ich möchte deshalb an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, daß die Bedenken der CDU/CSU, die zu Beginn da waren - darauf haben Sie hingewiesen -, dann aber zerstreut werden konnten, so daß auch die CDU/CSU diesem Gesetzentwurf zustimmen konnte, anschließend vom Bundesrat wiederum in die Diskussion eingebracht worden sind, was dann zur Ablehnung dieses Gesetzes durch den Bundesrat führte. Ich wünsche mir, daß wir diese Debatte wieder führen, daß wir aber zu den gleichen Problemlösungen kommen, zu denen Sie sich, meine Damen und Herren, in der letzten Legislaturperiode bereits bereitgefunden hatten.
({0})
Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß auch für uns die schnelle Verabschiedung dieses Gesetzes vorrangig ist, und zwar insbesondere wegen der großen Bedeutung der Regelung bei der Strafverfolgung betäubungsmittelabhängiger Straftäter. Dieses ist aber nur ein Aspekt des gesamten Gesetzes. Ich möchte kurz noch einige andere Aspekte beleuchten.
Erstens bringt dieses Gesetz die notwendige Angleichung deutschen Rechts an internationale Suchtstoffübereinkommen. Dabei möchte ich hier noch einmal daran erinnern, daß auch heute sehr häufig gebrauchte Schlafmittel und Schmerzmittel zu den Betäubungsmitteln gerechnet werden müssen, die zum Teil zum erstenmal hier in den Anlagen zu dem Betäubungsmittelgesetz aufgeführt worden sind. Für einige dieser Stoffe sind in langen Verhandlungen Kompromisse bei der Festsetzung von Freigrenzen erzielt worden. Die sachliche Rechtfertigung dieser Kompromisse und dieser Freigrenzen muß sich bei der Anwendung dieses Gesetzes erst noch zeigen.
Ein Zweites. Wir begrüßen es, daß die Forderungen des Siebenten Abschnittes über betäubungsmittelabhängige Straftäter in der Vorlage enthalten sind. Der Rauschgiftmißbrauch ist in der Bundesrepublik Deutschland eine Herausforderung für die Verantwortung des Staates. Der Staat ist aufgerufen, dazu beizutragen, jungen, gefährdeten Menschen ein endgültiges Scheitern auf ihrem Lebensweg zu ersparen.
Schon der Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vom 24. Juni 1980 weist auf die besonderen Probleme betäubungsmittelabhängiger Straftäter hin. Ich zitiere:
Die Straftatbestände der §§ 28 und 29 ... sehen deshalb gegenüber dem geltenden Recht eine zum Teil wesentliche Erhöhung der Strafrahmen vor. Im Gegensatz, aber nicht im Widerspruch dazu steht das Anliegen, denen auch zu helfen, die auf Grund der eigenen Drogenabhängigkeit straffällig geworden sind. Die Vorschriften des Siebenten Abschnitts des Betäubungsmittelgesetzes sollen der Rehabilitation dieses Personenkreises dienen; sie sehen u. a. vor, auf eine Strafvollstreckung gegenüber kleinen bis mittleren betäubungsmittelabhängigen Straftätern zu verzichten, wenn diese sich einer Behandlung ihrer Abhängigkeit unterzogen haben. Dabei ging der Ausschuß von der Überlegung aus, daß eine Sonderregelung für Drogenabhängige vor allem deshalb berechtigt ist, weil diese zumeist schon in jugendlichem Alter, d. h. zu einer Zeit in die Abhängigkeit geraten, zu der sie die Tragweite ihres Tuns noch nicht zu übersehen und dem Einfluß Dritter nur schwer zu widerstehen vermögen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dies demonstriert sehr deutlich, wie notwendig es ist, auch in diesem Entwurf das Prinzip „Therapie vor Strafvollzug" zur Geltung zu bringen. Nach unserer Auffassung sollte der Entwurf so verabschiedet werden, wie er jetzt eingereicht ist.
Die Möglichkeit der Rehabilitation Drogenabhängiger muß sowohl aus gesundheitspolitischen wie aus gesellschaftspolitischen Gründen Vorrang haben vor der Vollstreckung der Strafe. Allerdings sind auch wir nach wie vor der Meinung, daß geprüft werden sollte, ob und in welchem Umfang ein Zeugnisverweigerungsrecht für in der Drogenberatung tätige Sozialarbeiter möglich ist.
({1})
Es kommt darauf an, daß Drogenabhängige weiterhin Vertrauen zu Drogenberatern haben können; denn dies ist der Einstieg für wirksame Hilfe zum Beginn einer Therapie.
Ein Letztes noch: Schon vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der 8. Legislaturperiode hatten die Bundesländer zugesagt, mehr der notwendigen Therapieplätze zu schaffen. Nun sind sie gefordert, diese Zusage wahrzumachen. Uns erscheint es allerdings auch wünschenswert, daß die Träger der Gesundheitsfürsorge und der Rehabilitation länderübergreifend Absprachen über die Finanzierung
und die Trägerschaft von Therapie- und Rehabilitationseinrichtungen schaffen. Dabei sollte eine Vielfalt der unterschiedlichsten Einrichtungen gewährleistet sein. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts, vor allen Dingen für Drogenabhängige, kann nur gesichert werden, wenn eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen angeboten werden kann.
Zum anderen möchte ich uns alle auffordern, das ernst zu nehmen, was auch meine Vorredner schon gesagt haben: Wir sollten uns bemühen, dieses Gesetz so schnell wie möglich und einvernehmlich zu verabschieden, damit das, was hier angesprochen wird, schnell Realität werden kann, um unserer Verantwortung für gefährdete Jugendliche gerecht zu werden.
({2})
Als nächster hat der Abgeordnete Gnädinger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetzgebungsverfahren für die dringend erforderliche Neufassung des Betäubungsmittelrechts konnte in der vergangenen Wahlperiode des Deutschen Bundestages nicht abgeschlossen werden. Es scheiterte am Widerstand der Mehrheit im Bundesrat. Und, Herr Kroll-Schlüter: Es ist natürlich eine Sache, hier zu sagen, wir seien uns einig, und Beschleunigung sei notwendig. Es ist eine andere Sache, wenn der Bundesrat diese Gesetzgebungsvorhaben dann torpediert und verzögert. Man muß wohl sagen, daß es die gleiche CDU/ CSU ist, die hier in der Opposition ist und im Bundesrat die Mehrheit hat.
({0})
Das Problem, meine Damen und Herren, ist zwischenzeitlich aber nicht kleiner geworden. Der Rückgang der Todesfälle nach Drogengebrauch ist leider nur durch eine gekonntere Verabreichungspraxis zu erklären. Die Zahl der Konsumenten von Drogen ist - wie in der Vergangenheit, so auch in diesem Jahre wieder - gestiegen. Es ist daher zu begrüßen, daß sich der neugewählte Deutsche Bundestag in seiner ersten Sitzung, in der Gesetze beraten werden, mit dem Betäubungsmittelrecht befaßt.
Eine Gesellschaft, als Solidargemeinschaft verstanden, ist auf die Mitwirkung jedes ihrer Mitglieder angewiesen. Der Drogenabhängige aber fällt aus, er leistet keinen Beitrag. Dies stellt nur die eine Seite dar. Die andere Seite sind die menschliche Tragik der Betroffenen selbst und die leidvollen Erfahrungen der um sie oft hilflos bangenden Familienmitglieder. Die Droge ruiniert den Menschen nicht nur körperlich. Der unter Entzugserscheinungen Leidende und nur noch von dem Gedanken nach neuen Drogen Beherrschte verliert die positive Einstellung zu Mitmenschen, zur Arbeit und zur Gemeinschaft.
Die bisherigen Maßnahmen, meine Damen und Herren, hatten nur mäßigen Erfolg. Wir sind jedoch nicht bereit, Drogenkonsum als notwendigen Preis einer Wohlstandsgesellschaft hinzunehmen. Deshalb ist es erforderlich, alle denkbaren Maßnahmen
zu ergreifen, um Ursachen zu beseitigen und Folgen zu heilen. Wir stehen vor einem Problem, das in seiner Dimension jenem des Terrorismus nicht nachsteht.
Anstelle von Betäubungsmitteln kann man auch von Suchtmitteln sprechen. Sucht aber schränkt die Willensfreiheit ein, und die Frage der Verantwortlichkeit für das Tun tritt ebenso auf wie die Frage, was Strafrecht hier überhaupt bewirken kann. Es ist eine Illusion, zu meinen, daß neue Strafbestimmungen allein in der Lage seien, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Aber ich meine auch: Neben einer Vielzahl anderer Maßnahmen kann das Strafrecht hier in der Tat einen Beitrag leisten. Deshalb, meine Damen und Herren, ist dies die Rede vom vernünftigen Einsatz der Strafe. Zum vernünftigen Einsatz des Strafrechts und der Strafdrohung gehört die Unterscheidung zwischen Süchtigen und jenen Händlern, die von einer anderen Sucht, nämlich der Gewinnsucht, befallen sind.
({1})
Fast nirgendwo läßt sich heute leichter Geld verdienen als hier: mit dem Raubbau an der Gesundheit vieler junger Menschen, mit der weiteren Folge von etwa 500 Drogentoten im vergangenen Jahr.
So ist es denn auch eines der wesentlichen Ziele des Entwurfs, bei Dealern und Banden zu einer Strafverschärfung zu kommen, während - im Gegensatz dazu - bei Süchtigen Behandlung und Heilung in den Vordergrund gestellt werden müssen. Gerade für Rauschgifthändler stellt die Erhöhung des Strafrahmens von zehn auf 15 Jahre Freiheitsstrafe eine wirksame Maßnahme dar, die geeignet ist, diesen Täterkreis zu beeindrucken. In diesem Zusammenhang sollte nochmals geprüft werden, ob insbesondere bei verwerflichen Fällen nicht lebenslange Freiheitsstrafe angezeigt ist.
({2})
Aber auch bei den Drogenabhängigen kann der vernünftige Einsatz der Strafe viel bewirken. Ich habe in meiner Praxis als Staatsanwalt in den vergangenen vier Jahren keinen Drogenabhängigen gefunden, der von der Droge aus eigener Kraft losgekommen wäre. Nur eine Langzeittheraphie bietet die Chance der Heilung.
Die Motivation zu einer solchen Therapie ist jedoch oft schwach entwickelt. Der Abhängige muß deshalb vor die Wahl gestellt werden: Strafvollzug oder Therapie. Das geltende Recht ist hier wenig flexibel und auf Umwege und Hilfskonstruktionen angewiesen. Deshalb brauchen wir eine neue Regelung im Bereich von Strafvollzug und Therapie. Fast jeder Konsument ist ein kleiner Händler, der zur Finanzierung seiner Sucht tätig wird. Auch er darf jedoch nicht von den Bemühungen um Heilung ausgeschlossen sein.
Um seine ausreichende Motivation für einen Behandlungsbeginn zu erzeugen, reicht der bestehende Strafrahmen des Grundtatbestandes aus. Auch diese Feststellung gehört zu dem Thema „vernünftiger Einsatz der Strafe". Zum vernünftigen
Einsatz der Strafe gehört aber auch die Aufgabe, Gefährdete vom Griff nach der Droge abzuhalten. Zur Erreichung dieses Zieles ist eine Erhöhung der heutigen Strafdrohung bis zu. drei Jahren Freiheitsstrafe nicht erforderlich.
Im einzelnen ist vorgesehen, der Verfolgungsbehörde die Möglichkeit zu geben, die Strafvollstrekkung bei Freiheitsstrafen unter zwei Jahren zurückzustellen, wenn der Betroffene sich in eine Langzeittherapie begibt. Im Gegensatz zur Bundsratsmehrheit und zur Opposition in diesem Hause halten wir es allerdings für erforderlich, daß die in der Entziehungsanstalt verbrachte Zeit auf die Strafe anzurechnen ist. Es macht nämlich keinen Sinn, den Betroffenen im unklaren über die Anrechnung zu lassen. Seine Motivation, es mit einer Therapie zu versuchen, würde nur geschwächt.
Wir schlagen vor, von der Erhebung einer Anklage dann abzusehen, wenn der Betroffene sich zur Therapie entschließt und diese absolviert. Auch heute wird teilweise schon so verfahren, z. B. bei der Aussetzung des Haftbefehls.
Zu oft aber wird eine Therapie abgebrochen. Dann muß sichergestellt sein, daß die weitere Strafverfolgung und der weitere Strafvollzug die unmittelbare Folge sind. Der Entwurf sieht jedoch auch vor, danach ein zweites und ein drittes und, wenn es notwendig ist, ein viertes Mal den Versuch der Therapie zu wagen. Im Hinblick auf den Therapieunwilligen ist es ein schwacher Trost, daß er durch den Vollzug der Strafe für einige Zeit aus der Szene genommen wird. Wir können ihn nicht sehenden Auges untergehen lassen. Es bleibt die Hoffnung, daß die Möglichkeit, mehrmals einen Anlauf zu einer Therapie zu machen, doch helfen kann. Über Erfolge und Mißerfolg läßt sich heute nichts Abschließendes sagen. Wir Sozialdemokraten sind jedoch davon überzeugt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Was jetzt notwenig ist, sind zwei Dinge: Erstens müssen wir mehr Therapieplätze schaffen, und zweitens brauchen wir eine baldige Verabschiedung dieses Gesetzes. Deshalb lassen Sie uns diese Vorlage zügig beraten. Im Ziel, in den Grundsätzen und in vielen Einzelheiten sind wir uns einig. Wir Sozialdemokraten hoffen, daß es schon in den Ausschüssen unter Beteiligung der Vertreter der Bundesländer gelingen kann, Übereinstimmung in offenen Fragen zu erzielen. Eine nochmalige Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat würde unserem gemeinsamen Anliegen nicht dienen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP läßt weiterhin einige Regelungen vermissen, die der CDU/CSU-Fraktion die Zustimmung erleichtern würden. Wir werden allerdings in den parlamentarischen Beratungen versuchen, die VerSauter ({0})
besserungen durchzusetzen. die ich nachfolgend erläutern werde.
Erstens. Wir sind weiterhin der Ansicht, daß der Strafrahmen für den Grundtatbestand von drei auf fünf Jahre angehoben werden sollte und bei fahrlässiger Begehung entsprechend auf drei Jahre erweitert werden muß. Gerade eine höhere Strafandrohung wird dazu führen, daß die Täter einer wirklich gerechten Strafe zugeführt werden können.
Erfreulicherweise findet sich auch im vorliegenden Entwurf wieder, daß das Strafmaß für besonders schwere Fälle auf 15 Jahre ausgedehnt werden soll. Der Gedanke, der soeben vom Kollegen Gnädinger aufgeworfen worden ist, daß man in besonders verwerflichen Fällen auch die lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht ziehen sollte, wird von uns durchaus mitgetragen.
({1})
- Wir kommen heute noch darauf zu sprechen, daß das vielleicht nicht mehr als 15 Jahre werden.
({2}) Darüber unterhalten wir uns noch.
Das Strafrecht hat in diesem Bereich durchaus eine abschreckende Wirkung. Die Verfolgungsbehörden haben immer wieder beobachtet, daß Händler zumindest den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in andere Staaten verlagern, wenn sie in einem Land besonders entschlossen verfolgt werden und entsprechend hohe Strafen drohen.
Wir sind zum zweiten der Ansicht, daß die öffentliche Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln weiterhin unter Strafe zu stellen ist. Es ist nicht einzusehen, warum beispielsweise - und zu recht - gegen NS-Propaganda mit scharfen Mitteln vorgegangen wird und im Bereich der Drogenverherrlichung so getan wird, als ob hiervon keinerlei Schäden oder Gefahren für die Allgemeinheit oder für den einzelnen ausgehen würden.
({3})
Zum dritten, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegen besondere Probleme
({4})
- Herr Kollege, Sie wissen, daß ich nur zehn Minuten Zeit habe; deshalb machen wir es vielleicht dann, wenn ich früher fertig werde - in der vorgesehenen Sonderregelung für betäubungsmittelabhängige Straftäter, bei der Zurückstellung der Strafvollstrekkung, der Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung und dem Absehen von der Verfolgung. Es besteht durchaus Einigkeit darüber, daß durch eine Sonderregelung - oder besser gesagt: durch eine strafrechtliche Sonderbegünstigung - die Bereitschaft zur Therapie erhöht und die Möglichkeit zu ihrer Aufnahme und Durchführung erweitert werden sollen.
Dies führt jedoch nicht daran vorbei, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß in diesem Hause offensichtlich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten und andersartige Vorstellungen über das Verhältnis von Therapie und Strafe bestehen. Die verkürzte Formel „Therapie statt Strafe" bringt uns nicht weiter.
({5})
- Ich komme noch dazu. Wenn Sie die Zeit haben, mir zuzuhören, dann werden Sie erleben, daß ich dazu noch komme.
({6})
- Gefragt jetzt im Umgang mit der Jugend: Geduld.
Sie mag als Schlagwort durchaus einen entsprechenden Verkaufswert auf dem Markte der politischen Meinungsbildung haben. Sie trägt jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten nur mangelhaft Rechnung. Sie verwirrt, ohne daß sie aufklärt. Und sie verschleiert, ohne daß sie wirklich regelt.
Die richtige Fragestellung muß vielmehr lauten: Wo und inwieweit steht Strafrechtspflege den Zielen der Therapie hinderlich im Wege?
({7})
In diesem Umfang ist durchaus zu erwägen, ob gegebenenfalls die Strafrechtspflege mit ihren berechtigten Zwecken zugunsten des Therapieanliegens zurücktreten kann oder soll. Das Problem kann aber nicht mit einer Gedankenkette gelöst werden, die ich, mit Verlaub, in etwa so beschreiben darf: Mehr als daß der Mann oder die Frau in Therapie gehen, wollen wir doch gar nicht. Die Strafe bewirkt doch bei ihnen ohnehin nichts oder kaum etwas. Therapie ist besser als Strafe. Also kann die Strafe wegfallen.
({8})
Durch eine solche Auffassung verabsolutiert man den Behandlungsgedanken und verkennt, daß die Strafrechtspflege auch dem Schutz der Allgemeinheit und hier insbesondere dem Schutz der gefährdeten jungen Menschen zu dienen hat. An dieser Weichenstellung werden Grundpositionen vom Sinn und von der Notwendigkeit des Strafens berührt.
Wir müssen doch von folgendem ausgehen: Es geht um für ihre Tat verantwortliche oder zumindest beschränkt verantwortliche Täter. Bei ausgeschlossener Schuldfähigkeit wird der Täter gemäß § 20 des Strafgesetzbuches nicht bestraft. Der verantwortliche oder eingeschränkt verantwortliche Täter aber hat, entsprechend dem Gewicht seiner Tat und seiner Schuld, Freiheitsstrafe zu erwarten. Wir können nicht, ohne die Grundlagen des Strafrechts zu verlassen, bei einem verantwortlichen Täter der mittleren bis schweren Kriminalität, der immerhin bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verwirkt hat, von der Verfolgung einzig aus dem Grund absehen, weil er sich in eine Therapie begeben hat. Wo wäre denn der Grund für ein derartiges Privileg, und welche Folgen hätte denn ein derartiges Privileg? Es müßte doch mittel- oder langfristig dazu führen, daß auch in weiteren Bereichen, beispielsweise bei Alkoholabhängigen, ein Vorrang der Therapie vor der Strafe bean308
Sauter ({9})
sprucht wird. Bei der vielfach behaupteten Zunahme psychischer Anfälligkeiten müßte sich hieraus ergeben, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß der Gedanke einer öffentlichen Strafe für zu verantwortendes Unrecht überhaupt in Frage gestellt wird.
({10})
- In diesem Zusammenhang Herr Kollege, tauchen zumindest die Frage und die Vermutung auf, ob nicht manche, die gegenwärtig für Betäubungsmittelabhängige einen Vorrang der Therapie fordern, aus grundsätzlicher Ablehnung eines auf die Feststellbarkeit menschlicher Schuld gegründeten Strafrechts handeln.
({11})
Ein Abgehen von der an sich erforderlichen und begründeten Strafverfolgung kann berechtigterweise nur erwogen werden, wenn die Abwägung ergibt, daß sie um anderer, noch wichtigerer Ziele willen - hier gegebenenfalls gegenüber der Therapie - zurücktreten muß, weil sie diesen höherrangigen Zielen im Wege steht.
Es trifft nun aber gerade nicht zu, daß die Durchführung eines Strafverfahrens stets oder auch nur in der Regel die Therapie wesentlich erschweren oder gar zunichte machen würde. Wir haben uns um diese Frage in zahlreichen Kontakten mit Praktikern aus dem therapeutischen Bereich sowie aus dem Bereich der Strafrechtspflege intensiv gekümmert. Die Durchführung und die Chancen einer Therapie werden durch ein Strafverfahren regelmäßig nicht ernstlich gefährdet.
({12})
Gewisse Belastungen, die durch Vernehmungen oder durch die Hauptverhandlung entstehen können, lassen sich in Grenzen halten. Sie können durch Vorteile für die Motivation des Täters aufgewogen werden, dem die Verantwortung vor Augen geführt wird und der gegebenenfalls unter den Druck einer verhängten, aber nicht vollzogenen Freiheitsstrafe kommt.
Erst nach dem Schuld- und Strafausspruch ist der gesetzgeberische Hebel anzusetzen
({13})
und zu prüfen, ob der Vollzug einer Freiheitsstrafe der Durchführung einer Therapie etwa. im Wege steht.
({14})
Nicht immer ist dies der Fall. Ein teilweiser Vollzug kann auch eine Motivation wecken oder verstärken. Ergibt jedoch die Einzelfallprüfung, daß der Abhängige ernsthaft bereit ist, sich einer Therapie zu unterziehen, so soll ihm diese Möglichkeit gegeben werden. Deshalb bejahen wir im Grundsatz die Regelungen in den §§ 33 und 34, die für solche Fälle die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafverfolgung
bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zum Zwecke der Durchführung einer Therapie mit anschließender Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung schaffen.
Dabei sei allerdings darauf verwiesen, daß die jetzt in § 34 teilweise doch vorgesehene Anrechnung auch bei Abbruch der Therapie so nicht unsere Zustimmung finden kann. § 35, der die Möglichkeit zum Absehen von der Strafverfolgung bei schon begonnener therapeutischer Behandlung schafft, ist aus den oben geschilderten Gründen nach unserer Auffassung ersatzlos zu streichen.
Herr Kollege, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Rücksichtnahme auf Therapie muß die Losung für die weitere Behandlung der Gesetzesvorlage sein. Darauf gründen unsere Vorstellungen. In diesem Rahmen sind unsere Verbesserungsvorschläge angesiedelt. - Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir unternehmen heute den zweiten Anlauf, um den Gesetzentwurf zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts über die Hürden zu bringen. Wir wissen, daß uns die Situation keine Zeit läßt. Es ist bereits darauf hingewiesen worden: 1979 rund 600 Rauschgifttote; für 1980 ein leichter Rückgang absehbar. Aber dies ist keinerlei Grund, uns eine Verschnaufpause zu gönnen. Denn nach Meinung aller Fachleute - auch darauf wurde bereits hingewiesen - haben mittlerweile die Fixer gelernt, das auf dem Markt angebotene reine Heroin sorgfältiger zu dosieren. Wir wissen, daß die überlebenden Süchtigen von 1980 die toten Fixer der nächsten Jahre sein werden. Überhaupt ist davor zu warnen, immer nur an der Zahl der Rauschgifttoten Maß zu nehmen. Denn die Rauschgifttoten sind j a nur die sichtbare, allerdings höchst einprägsame Spitze eines Eisbergs. An der bedrückenden Gesamtsituation hat sich im jetzt auslaufenden Jahr nichts geändert.
Wir alle haben in der vorigen Wahlperiode versucht, uns der Herausforderung durch den Drogenmißbrauch zu stellen. Ich darf vielleicht kurz rekapitulieren.
In der vorigen Wahlperiode lag uns bei der ersten Lesung am 25. Januar 1980 aus dem Haus der Frau Bundesminister Huber ein Entwurf zur Neuordnung und Vereinfachung des Betäubungsmittelrechts vor. Dieser Entwurf war mit der Neufassung einiger Strafbestimmungen angereichert. Dieses notwendige und verdientsvolle Werk wäre Torso geblieben, wenn es uns nicht gelungen wäre, vom Rechtsbereich her einiges einzubringen und damit unseren Willen kundzutun und in die Tat umzusetzen, auch im Bereich des Strafrechts neue Wege zu gehen.
In nur fünf Monaten zu Ende der Wahlperiode ist uns das im auslaufenden Jahr gelungen. Es ist uns gelungen, den Grundgedanken, den man zunächst mit „Therapie statt Strafe" überschrieben hat, in ein wohldurchdachtes, stimmiges strafrechtliches System umzusetzen, das unter dem Leitsatz stehen kann: „Therapie vor Strafvollstreckung und gegebenenfalls vor Bestrafung". Wir haben uns konsequent und schlüssig für eine neue strafrechtliche Strategie der zwei Wege starkgemacht: Härtere Strafen für Rauschgiftproduzenten und -händler großen Stils, auf der anderen Seite Vorrang der Therapie für kleine und mittlere drogenabhängige Straftäter.
Ich wiederhole an dieser Stelle meinen Dank an den Bundesinnenminister, der jenseits seiner geschriebenen Kompetenz in dieser politischen Debatte wesentliche Anstöße gegeben hat. Ich danke auch dem Bundesjustizminister und seinem Haus, in dessen Verantwortung es lag, alle diese guten Gedanken in ein für uns beratungsfähiges und schließlich verabschiedetes System auszuformen. Überhaupt konnte sich keiner der Beteiligten der Faszination dieser großen Aufgabe entziehen. Es ist mehrmals erwähnt worden, aber ich vermerke es nochmals mit Respekt: Es ist unvergessen, daß die Opposition, obwohl wir hier mit der Mehrheit der Koalition ihre Änderungsanträge in zweiter Lesung abgelehnt hatten, in dritter Lesung diesem Gesetzentwurf zugestimmt hat, so daß er als unser aller Werk in die weitere Gesetzgebung hinausging, wo er schließlich an der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat und dem Ende der
) Wahlperiode gescheitert ist.
Ich möchte vor den Einzelberatungen im Ausschuß das Votum des Bundesrats nicht im einzelnen werten. Warum? Mir ist ganz einfach daran gelegen, das, was noch diskussionsfähg ist, zu erhalten, und Türen, wo solche noch offen sind, jetzt nicht mit Donnerhall zuzuschlagen.
Ich bin überhaupt im Gegenteil der Meinung, wir sollten uns vielleicht etwas öfter und etwas frühzeitiger mit den Vertretern des Bundesrats zusammensetzen. Ich halte es nicht für gut, wenn sich Bundestag und Bundesrat immer erst im Vermittlungsausschuß begegnen.
({0})
Die Verfassungslage ermöglicht es mir, hier zu Beginn einer Legislaturperiode die Bitte zu äußern, daß vielleicht gerade bei diesem wichtigen Gesetzentwurf die Landesjustizminister in persona - nicht allein ihre Beauftragten - in den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages kommen und mit uns beraten. Wir sitzen dann Aug' in Aug' gegenüber und können in Rede und Gegenrede unsere Argumente austauschen.
Dann werden wir etwa die Frage klären müssen: Ist es richtig, auch beim Grundtatbestand die Höchststrafe auf fünf statt auf drei Jahre festzusetzen? Ist dies wirklich notwendig, oder beinhaltet es nicht die Gefahr, daß sich unser ganzes Strafensystem in diesem Bereich verschiebt mit der Folge, daß bei drogenabhängigen Tätern der Strafvollzug nicht zurückgestellt werden kann, weil dies eben nur möglich ist, wenn die verhängte Strafe nicht über zwei Jahre hinausgeht?
Weiter wäre dann in einem solchen Gespräch die Frage zu stellen, ob die neue Bestimmung des Absehens von der Verfolgung wirklich die Gefahr beinhaltet, daß das Legalitätsprinzip unserer Strafprozeßordnung ausgehebelt wird, wie ich sinngemäß lesen mußte, oder ob hier nicht richtiger ein Motivationsinstrument im Vordergrund steht, das frühzeitig und freiwillig drogenabhängige Täter in Therapie bringen kann.
({1})
Wir können uns dann, Herr Kollege Kroll-Schlüter, natürlich auch über die Verherrlichung des Mißbrauchs von Drogen unterhalten, wenn dies für Sie so wichtig ist. Wir werden über alle Fragen sprechen. Bei zwei Lesungen habe ich dazu bereits Stellung genommen, so daß ich mir aus Zeitgründen heute ein Eingehen darauf ersparen kann.
Ich komme zum Schluß. Meine Fraktion hat weiterhin die Bitte - Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer hat es bereits angesprochen, und genau dieser Punkt paßt j a hierher -, daß wir uns auch noch einmal über die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts für das Personal unterhalten sollten, das in verantwortlicher Position in der Drogenberatung tätig ist.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode in einem Kraftakt versucht - teilweise mit starken, fast beschwörenden Worten -, den vorliegenden Gesetzentwurf noch über die Runden zu bringen. Das ist uns damals nicht gelungen. Wir sind auch heute nicht resigniert, aber wir sind vielleicht etwas nüchterner geworden. Deswegen möchte ich mit dem schlichten Satz schließen, daß wir alle sicher auch heute unsere von der Situation vorgezeichnete Pflicht kennen.
({2})
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sehr bedauert, daß die Novelle zum Betäubungsmittelrecht in der 8. Legislaturperiode im Einvernehmen mit dem Bundesrat nicht mehr zustande kam. Sie begrüßt um so mehr die Initiative der Koalitionsfraktionen, die das Gesetz heute wieder vorlegen, und die Erklärungen von allen Seiten des Hauses, daß wir mit einer zügigen Beratung rechnen können.
Die Dringlichkeit dieses Gesetzes ist nach wie vor groß. Wir haben in den vergangenen Jahren hier mehrere Drogendebatten geführt, und uns ist immer wieder vor Augen geführt worden, daß wir trotz vielfältiger Anstrengungen - in meinem Hause läuft z. B. schon seit fast zehn Jahren ein Drogenbekämpfungsprogramm mit Schwerpunkten -, trotz der Maßnahmen, die im internationalen Bereich, die bei der Polizei laufen, trotz der Aufklärungsmaßnahmen keine großen Erfolge gehabt haben.
Die Zahl der Drogenabhängigen ist immer noch groß. Wir stellen fest, daß dieses Jahr billiger gewordenes Heroin in großen Mengen in unser Land geströmt ist. Deshalb sind wir genötigt, uns die Instrumente zu verschaffen, mit denen wir, wie wir hoffen, dieser Gefahr doch wenigstens einigen Einhalt - ich drücke mich sehr vorsichtig aus - gebieten können.
Ziele dieses Gesetzes sind neben der Umsetzung der internationalen Suchtstoffübereinkommen unter Einbeziehung von 17 neuen Stoffen vor allen Dingen vier Punkte: verstärkter Schutz der Jugend, Verschärfung der Strafen für die eigentlichen Geschäftemacher, nämlich die Dealer, ein angemessener, vernünftiger Strafrahmen für die kleinen Täter und die Einführung des Grundsatzes „Therapie statt Strafe".
Herr Sauter hat gesagt, mit diesem Grundsatz kämen wir nicht weiter.
({0})
Ich glaube, daß viele abhängige junge Leute damit weiterkommen, wenn wir das Prinzip in der richtigen Weise in die Wirklichkeit umsetzen. Ich mußte mich in diesem Haus ja fragen lassen, weshalb es denn nicht mehr Therapieplätze gebe. Ich muß Ihnen leider sagen: Ich bin nicht für die Betten zuständig, sondern dafür sind die Länder zuständig.
({1})
- Sie brauchen nicht na, na zu rufen. Mein Ressort hat leider kaum Möglichkeiten, auf die Zahl der Betten Einfluß zu nehmen.
({2})
- Die Zuständigkeiten sind in der Verfassung festgeschrieben.
Aber ich habe die Diskrepanz zwischen der hohen Zahl von Abhängigen - dem harten Kern, der ja auf ca. 50 000 beziffert wird - und den vorhandenen Betten auch immer als sehr bedrückend empfunden. Nur, ich muß gleichzeitig sagen, daß manchmal so viel mehr Betten gar nicht erforderlich waren, weil nur 5% der Abhängigen therapiefähig waren und zwar deshalb, weil nur diese 5 % therapiewillig waren bzw. sind. Ich verspreche mir von dem Grundsatz Therapie vor Strafe, den wir nach langer Diskussion in wohlabgewogener Weise in dieser Form eingebracht haben, eine größere Bereitschaft, in die Therapie zu gehen.
Nachdem ich ein Gefängnis aufgesucht und mit jungen Abhängigen gesprochen habe, steht für mich fest: Der Strafvollzug ist kein geeignetes Mittel zur Heilung. Die jungen Leute geraten durch ihre Abhängigkeit in Handlungszwänge, bei denen wir nicht mehr sagen sollten, hier stehe die Schuldzumessung oder die Sühne im Vordergrund. Hier steht die Hilfe im Vordergrund.
({3})
- Sie wissen, daß ich jetzt nicht auf die einzelnen Bestimmungen eingehen kann, die wir j a lange diskutiert haben. Sie wissen auch, daß es nicht darum gehen kann, Straftatbestände zu bagatellisieren. Daran liegt mir überhaupt nicht. Aber mir liegt daran, für die Bewältigung dieses besonderen Problems Formen zu finden, die den jungen Menschen eine Hoffnung geben. Ich habe immer versucht, gegen den Fatalismus in der Drogenszene zu kämpfen; denn die jungen Leute wollten ja gar nicht kommen, um sich therapieren zu lassen. Die Therapie ist übrigens für die Betroffenen eine sehr schwierige und harte Sache. Aber sie kamen eben nicht, weil wir ihnen keine Hoffnung machen konnten.
Wir stellen jetzt fest, daß in den Einrichtungen, die wir als Modelle haben, ein Drittel der Betroffenen nach drei Monaten - so weit werden die meisten begleitet; einige werden auch zwei Jahre begleitet, d. h. man hat mit ihnen während dieser Zeit Kontakt - „trocken" ist. Sie haben also eine große Chance, auf Dauer von ihrer Drogensucht loszukommen. Jedenfalls haben sie sich schon für eine ganze Zeit davon freigemacht.
Was wollen wir denn in erster Linie? Was wollen wir für diese Jugendlichen tun, deren Probleme wir hier oft beredet haben, wie z. B. ein gestörtes Verhältnis zum Elternhaus, Isolierung, Angst vor den Lebenszwängen? In den Gefängnissen ist sicherlich nicht der richtige Ort, ihnen neue Hoffnung auf ein anderes Leben zu machen.
({4})
Ich denke aber, daß wir uns darüber verständigen werden, wie das Gesetz aussehen wird. Ich hatte während der Wochen, in denen der Gesetzentwurf dem Vermittlungsausschuß vorlag, wir aber leider keinen Termin mehr bekommen konnten, das Gefühl, daß wir uns einigen können. Von dieser Hoffnung gehe ich auch heute aus.
Bitte, meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht immer nur die Alarmglocken läuten und über die Drogengefahren reden. Lassen Sie uns auch etwas dafür tun! Das Drogenprogramm der Bundesregierung hat mehrere Elemente. Aber dies ist eines der gewichtigsten davon. Es warten viele Menschen in unserem Lande auf dieses Gesetz.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/27 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Rechtsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit dem Überweisungsvorschlag einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Staatshaftungsgesetzes
- Drucksache 9/25 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß gernäß § 96 GO
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Staat schon nicht vermeiden kann, daß seine Bediensteten Bürgern Schäden zufügen, dann muß der Bürger das Recht auf Ersatz dieser Schäden haben und dieses Recht auch durchsetzen können.
Um diesen Grundsatz, dessen Richtigkeit wohl von niemandem bestritten wird, dreht sich das Gesetzesvorhaben, das die Fraktionen der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten heute wieder einbringen. Es gab zwar schon bisher Regeln zu diesem Punkt - das ist j a bekannt -; nur hat sich deren Wirksamkeit - das wissen wir eben auch - viel zu häufig und in sehr großen Bereichen gerade dieses schwierigen Rechtsgebiets im Gestrüpp der Kompetenzen verloren, im Gestrüpp der gewohnheitsrechtlichen und richterrechtlichen Normen, die schwer durchschaubar waren. Sie sind vor allem häufig gescheitert an der Barriere der Beweislast, die dem Bürger auferlegt wurde, und das gilt auch heute noch.
Hinzu kommt - bei dem geltenden Rechtszustand - auch darüber haben wir schon mehrfach geredet -, daß einige, täglich wieder auftauchende, ganz praktische Probleme einfach nicht ausreichend geregelt waren. Da ist der bekannte Fall der integriert geschalteten technischen Anlage, die versagt und Schaden verursacht. Die Verantwortlichkeit der staatlichen Stellen wird zwar nicht bestritten, aber eine gesetzliche Regelung über die Wiedergutmachung von Schäden gibt es bisher nicht.
Abgrenzungsprobleme zum Privatrecht und Fragen der Verkehrssicherungspflicht traten und treten ebenso auf wie Fragen der Haftung für Schäden bei gleichförmigen, massenhaft auftretenden Handlungen, Bescheiden, Verwaltungsakten in ganz bestimmten Sonderbereichen der öffentlichen Staatstätigkeit.
Alle diese Punkte, meine Damen und Herren, sind schon vor längerer Zeit aufgegriffen worden. Es gab sehr lange Vorarbeiten. Es gab eine hochrangige Kommission beim Bundesjustizministerium. Schließlich gab es vor einigen Jahren Gesetzentwürfe, die hier im Bundestag eingebracht wurden. Dabei handelte es sich um zwei Gesetzentwürfe. Der eine Gesetzentwurf sah eine Grundgesetzänderung für diesen Bereich vor. Der andere Gesetzentwurf wollte die Regelungen, von denen ich sprach, ablösen oder verbessern.
All das war begleitet von der Ermutigung und der Unterstützung aller wissenschaftlichen Lager und auch aller politischen Bereiche. Auch das ist bekannt.
Wir haben hier darüber debattiert, und der Rechtsausschuß hat sehr lange beraten. Er hat Anhörungsverfahren veranstaltet, um noch strittige Fragen zu klären. Es ist zu einem Gesetzesbeschluß gekommen, der längst nicht all das, was wir uns aus praktischer oder wissenschaftlicher Sicht gewünscht hätten, tatsächlich berücksichtigen konnte, der aber von der Kostenseite her, von der Klarheit der Richtlinien, von der Qualität der Sprache und auch von der Kürze des Gesetzes her die Anforderungen durchaus erfüllte, die man heute, wenn man etwas für den Bürger tun will, realistischerweise von ihm erwarten kann.
Der Bundesrat - und jetzt beginnt es eigentlich aktuell zu werden - hat diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Deswegen sind wir heute wieder hier und bringen ihn erneut ein, denn wir meinen, daß er in der Tat für den Bürger in den von mir geschilderten Bereichen gute und nützliche zusätzliche Regelungen bringt. Wir wollen mit der sofortigen Einbringung unterstreichen, daß wir dieses Gesetzgebungsvorhaben für wichtig halten, daß wir es für realisierbar halten und vor allen Dingen alles dazu tun wollen, daß dieses Gesetz so bald wie möglich in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, wir bringen den Gesetzentwurf unverändert wieder ein. Wir tun das ganz bewußt. Ich betone das deshalb, weil wir selbstverständlich an unserem ursprünglichen Plan der Einbeziehung von Tumultschäden gerne festgehalten hätten. Weil wir aber sehen, daß dafür Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat nicht erreichbar sind, haben wir beschlossen, dies jetzt nicht weiter zu verfolgen.
Ich betone auch, daß wir selbstverständlich auf einen anderen Punkt ganz besonders großen Wert gelegt hätten und auch weiterhin legen, nämlich auf die Entscheidung der Frage: Wie erreichen wir es, daß die Streitigkeiten um solche Schadenersatzansprüche insgesamt in einem, für den Bürger möglichst einfachen, durchschaubaren Rechtsweg entschieden werden können?
Ich spreche das Problem der Rechtswegekonzentration an; aber auch dazu brauchen wir eine Grundgesetzänderung, und diese ist wohl im Augenblick, wenn sich hier Standpunkte nicht noch schnell ändern, nicht zu erreichen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir bringen den Gesetzentwurf unverändert ein, obwohl wir selbstverständlich auch die Bedenken des Bundesrates zur Kenntnis genommen haben. Diese Bedenken des Bundesrates sind hauptsächlich an zwei Punkten festzumachen. Einmal wurde gesagt, das Gesetz, das wir hier beschlossen haben, sei zustimmungsbedürftig. Das ist nun eine Frage, in der es zwischen Bundestag und Bundesrat häufig Streit gibt. Ich will darauf nicht näher eingehen. Der Bundesrat war sich dabei seiner Sache auch nicht so sicher; jedenfalls
hat die Mehrheit des Bundesrats auch gesagt, man wolle vorsorglich Einspruch einlegen, auch wenn man primär ablehne.
Zum zweiten hat der Bundesrat mit seiner Mehrheit erklärt, für dieses Gesetzesvorhaben fehle die Bundeskompetenz. Herr Hillermeier, Justizminister in Bayern, hat ausgeführt, für einen Staatshaftungsgesetzentwurf, der die Staatshaftung von ihrer - ich zitiere - zivilrechtlichen Ausgestaltung befreien und in eine unmittelbar öffentlich-rechtliche Haftung des Hoheitsträgers für eigene Pflichtverletzung bei der Ausübung öffentlicher Gewalt umgestalten wolle, reiche die Kompetenz nach Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes nicht aus.
Ich halte diese Rechtsmeinung für falsch. Diese Auffassung wird von einer ganzen Reihe von ernst zu nehmenden Stimmen gestützt. Das fängt bei der Verfassungsrechtsliteratur an und setzt sich in den Diskussionen fort, die wir in diesem Hause gehabt haben. Ich meine mich daran zu erinnern, daß auch die Opposition, zumindest der Herr Kollege Klein, irgendwelche Rügen im Hinblick auf einen Mangel an Bundeskompetenz höchstens für einen Teilbereich ausgesprochen hatte, nämlich für einen ganz engen Ausschnitt der - wenn ich es richtig verstanden habe - Regelungen des Folgenbeseitigungsanspruchs, soweit er sich aus dem Vollzug von Landesrecht ergibt.
Vor allem aber, meine Damen und Herren, halte ich die zitierte Auffassung deshalb für falsch, weil ja unbestritten ist, daß der Begriff des bürgerlichen Rechts im Sinne von Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes keineswegs mit dem Begriff des Zivilrechts oder gar mit dem Inhalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs identisch ist. Er ist, so sagt es auch das Bundesverfassungsgericht, als Zusammenfassung all der Normen zu verstehen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugeordnet werden. Die Wandlungen in der rechtlichen Auffassung und Qualifizierung eines Vorgangs vermögen an der Kompetenzverteilung nichts zu ändern.
Das führt uns dazu, daß wir dann, wenn wir uns in eine Gesamtwürdigung des Staatshaftungskomplexes, wie er heute besteht, hineinbegeben, meines Erachtens unstreitig davon ausgehen können, daß Art. 74 Nr. 1 selbstverständlich als Kompetenzgrundlage ausreicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle, bevor ich zum Schluß komme, die erste Lesung dieses Gesetzentwurfes dazu benutzen, die Kollegen von der Opposition aufzufordern, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir in der uns verbleibenden Zeit im Ausschuß nicht noch die eine oder andere sinnvolle ergänzende oder verbessernde Bestimmung einfügen können. Ich kann Ihnen sagen, wir sind durchaus dazu bereit, gemeinsam mit Ihnen darüber nachzudenken. Lassen Sie uns aber eines mit großer Klarheit sagen: Wir legen Wert auf dieses Gesetz, wir legen Wert darauf, daß diese Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers in absehbarer Zeit durchberaten und verabschiedet werden kann. Ich glaube, die Probleme, auch Probleme einer Veränderung, sind klar ausdiskutiert
worden; sie sind entscheidungsreif. - Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe großes Verständnis dafür, daß die Koalitionsfraktionen diesen Gesetzentwurf, mit dem sie in der letzten Legislaturperiode, genauer: mit dem die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist, erneut einbringen. Nicht ganz so verständlich ist es mir, warum wir angesichts dieser ersten Lesung zum nunmehr dritten Male die annähernd gleichen Argumente zu diesem Gesetzentwurf auszutauschen gehalten sind, zumal uns ja die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfes in nicht allzu ferner Zukunft erneut bevorstehen. Die Wiederholung von Argumenten verändert sie ja nicht in der Qualität. Das gilt für die Argumente aller Seiten.
({0})
Es erscheint mir deshalb müßig, an dieser Stelle erneut in aller Breite das Für und Wider des Gesetzentwurfes zu erörtern. Er ist unverändert. Deshalb gilt, da wir, wie wiederholt auch an dieser Stelle festgestellt worden ist, vor der Wahl das gleiche zu sagen pflegen wie nach der Wahl, nach wie vor das, was wir am 12. Juni hier anläßlich der zweiten Lesung des früheren Regierungsentwurfs vorgetragen haben.
Die haushaltspolitischen Gesichtspunkte, die damals schon vom Haushaltsausschuß des Bundestages und vom Bundesrat gegen eine wirkliche Staatsunrechtshaftung geltend gemacht worden sind - und eine wirkliche Staatsunrechtshaftung wäre ja das eigentliche Ziel einer Reform des Staatshaftungsrechts --, gelten heute mehr denn je und gründen sich auf eine Einsicht, die sicherlich in diesem Hause in den vergangenen Monaten eine breitere Grundlage gewonnen hat.
Diese Bedenken werden übrigens von allen Ländern geteilt und erst recht, nebenbei gesagt, von den Kommunen. Das fällt besonders ins Gewicht, weil die Kosten dieses Gesetzes in erster Linie von den Ländern und von den Kommunen zu tragen sein werden. Ich fürchte, daß diese finanziellen Bedenken nicht überwindbar sind. Ich fühle mich in dieser Auffassung bestärkt, wenn Informationen zutreffen sollten, nach denen man bei der letzten Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler Einvernehmen darüber erzielt hat, bei kostenwirksamen Gesetzen besondere Zurückhaltung an den Tag zu legen - um dieses Einvernehmen meinerseits hier zurückhaltend zu interpretieren. In diesem Zusammenhang ist übrigens ausdrücklich auch das Staatshaftungsgesetz erwähnt worden.
({1})
Ich meine überdies - das ist keine Bemerkung, die ich an Ihre Adresse richte, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, sondern die ich auf eine Reihe von PresDr. Klein ({2})
senotizen der letzten Tage beziehe -, man sollte nicht den Eindruck erwecken, als werde dem Bürger mit diesem Gesetzentwurf überhaupt erstmals die Chance geboten, den Staat für ihm angetanes Unrecht haftbar zu machen. Staatshaftung hat es bisher gegeben und wird es auch in Zukunft geben, auch dann, wenn dieser Entwurf so nicht Gesetz werden sollte.
Ich sagte schon, das Grundanliegen einer wirklichen Staatshaftungsreform, nämlich die Ersetzung der bisherigen Verschuldenshaftung durch eine Unrechtshaftung, ist gegenwärtig - man mag das bedauern, und ich gehöre zu denen, die es bedauern - nicht erfüllbar. Was bleibt, sind Reparaturen in Randbereichen, für die ich nach wie vor wie schon in der vergangenen Legislaturperiode ein minder aufwendiges Verfahren empfehle. Das empfehle ich um so mehr - um auch diese Ungereimtheit hier nicht unter den Tisch fallen zu lassen -, als es etwa bei der Finanzverwaltung auch nach diesem Gesetzentwurf dabei bleiben soll, daß selbst bei grob fahrlässig begangenem Unrecht kein Schadensersatz, nicht einmal Entschädigung, geleistet werden muß, wie es dieses Haus noch vor wenigen Monaten in einer anderen Gesetzesvorlage ausdrücklich beschlossen hat. Auch die Haftung der Post ist und soll nach diesem Gesetz auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen eine Straftat begangen oder der Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden ist.
All das mag vor dem haushaltspolitischen Hintergrund unumgänglich sein, vor dem sich Politik dieser Tage zu entfalten in der Lage ist; aber man kann das, was übrig bleibt, nicht mehr als Staatshaftungsreform im eigentlichen Sinne des Wortes ausgeben. Die Frage ist also auch heute, ob das, was unter den gegebenen Umständen, den von allen Seiten anerkannten finanziellen Bedingungen noch möglich ist, ausreicht, es zu rechtfertigen, das Staatshaftungsrecht auf eine völlig neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Das ist eine Frage der politischen Abwägung, bei der ich gerne einräume, daß man darüber verschiedener Auffassung sein kann. Ich und meine Fraktion sehen jedenfalls keinen Anlaß, darüber heute anders zu urteilen als erst vor sechs Mon aten.
Mir wiegen die Vorzüge dieses Gesetzentwurfs im Verhältnis zu den Nachteilen zu gering. Die Verbesserungen des subjektiven Rechtsschutzes, die er im Vergleich zum geltenden Recht bringt, halten sich in engen Grenzen und werden durch das, was er versagt, obwohl der Bürger es erwarten darf, und außerdem durch die Unklarheiten, die er mit sich bringt, mehr als aufgewogen. Die Aufrechterhaltung des Verschuldensprinzips im Grundsatz - daß es bei Grundrechtseingriffen keine Geltung haben soll, bedeutet im Grunde auch nicht viel mehr als eine Beibehaltung des geltenden Rechts, das eine Haftung im Rahmen des aufopferungsgleichen und des entschädigungsgleichen Eingriffs ohne Verschulden schon bisher kennt - bedeutet den Verzicht auf das wichtigste Anliegen einer Reform. Die Abgrenzung der ohne Verschulden zu entschädigenden Eingriffe von denjenigen, bei denen die Rechtsverletzung schuldhaft sein muß, ist überdies, wie uns die Sachverständigen gesagt haben, verfassungsrechtlich zweifelhaft, kaum praktikabel; denn gesetzlose oder gesetzwidrige Eingriffe sind immer auch Grundrechtseingriffe, fallen also zugleich unter den Abs. 1 wie unter den Abs. 2 des § 2 dieses Gesetzes.
Es bleibt also Unklarheit, Unsicherheit und Unübersichtlichkeit des Staatshaftungsrechts bestehen. Deshalb behält auch Gültigkeit, was ich - wenn ich mir erlauben darf, das hier noch einmal in Ihre Erinnerung zu rufen - am 12. Juni abschließend zum damaligen Gesetzentwurf, der mit dem heutigen inhaltlich identisch ist, gesagt habe:
Die verbleibenden Vorteile des Entwurfs wiegen nicht schwer genug, um das geltende Recht durch eine neue Konzeption, durch eine Vielzahl neuer Vorschriften zu ersetzen. Der Entwurf in seiner vorliegenden Form beseitigt die für den durch staatliches Unrecht geschädigten Bürger gravierendsten Mängel des geltenden Staatshaftungsrechts nicht.
Deshalb sage ich, daran anknüpfend, wie vor mir schon ein anderer Kollege in anderem Zusammenhang: so nicht. - Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der sehr geschätzte Herr Kollege Klein hat soeben erneut - wie schon bei früheren Lesungen dieses Gesetzes - den Versuch gemacht, sich "um die Frage herumzueiern, ob es einem demokratischen Staat nicht wirklich angemessen wäre, seinen Bürgern nicht die Beweislast gegenüber dem Apparat der Bürokratie aufzulasten, sondern diesen Apparat dann haften zu lassen, wenn feststeht, daß er etwas falsch gemacht hat. Wer will denn als Bürger in diesen Apparat eindringen, um Untersuchungen anzustellen - gegen die geschlossene Phalanx der künftig in Anspruch zu Nehmenden? Wer will denn als einzelner Bürger diesen Versuch unternehmen und dabei auch noch obsiegen? So geht das nicht. Und weil es so nicht geht, hat Herr Professor Klein - den ich zu meiner großen Freude soeben am Saalmikrofon sehe - in der Vergangenheit in all den Beratungen zwischen Frau Däubler-Gmelin, Ihnen, Herr Professor Klein, und mir ein bemerkenswertes Maß an Aufgeschlossenheit für die Vorschläge der Bundesregierung erkennen lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Professors Dr. Klein?
Ich bitte darum.
Herr Kollege Kleinert, in voller Dankbarkeit für die Würdigungen, die sie meinen Bemühungen soeben haben angedeihen lassen, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, im Rahmen dieser Ihrer Großzügigkeit auch einzuräumen, daß ich mich weder in früheren Beratungen noch heute gegen die Umkehrung der Beweislast ausgesprochen, wohl aber den Vorschlag gemacht
Dr. Klein ({0})
habe, sie im Rahmen des geltenden Rechts zu realisieren?
Herr Klein, das ist richtig. Sie haben aber an früheren Punkten der Beratung erkennen lassen, daß Sie den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf als einen durchaus vernünftigeren und durchgreifenderen Vorschlag ansehen, und Sie waren mit uns, mit Frau Däubler-Gmelin und im besonderen mit mir - wir haben j a miteinander gesprochen -- der Meinung, daß der Entwurf der Bundesregierung lediglich eine vernünftige Grundlage bildet. Das kann mich im übrigen - wie bei vielen anderen Gesetzen auch - gar nicht verwundern. Denn ich kann schlecht verlangen, daß derjenige, der selber betroffen ist, uns sagt, wie man ihn am besten an den, na: Füßen packen kann. Das kann man schlecht verlangen. Darunter leiden sehr viele Vorhaben in diesem Bereich; ich gucke Karl Liedtke da ganz energisch an.
Dann hatten wir das Vergnügen, von Ihnen zu hören, man müsse weitergehen, das Recht des Bürgers müsse nachhaltiger gestärkt werden. Und dann kommen Sie mit dem etwas - ich will nicht sagen: entlarvenden; dazu kenne ich Sie zu gut - zu sehr bestellt wirkenden -so möchte ich mal sagen - Spruch: Die Koalition und die Bundesregierung sind mit diesem Gesetzentwurf gescheitert. Woran sind sie denn gescheitert? Sie sind gescheitert an zweierlei: erstens an der bereits von allen Vorrednern angesprochenen Angst vor der Hergabe von gebündeltem Baren -das kann ich in dieser Haushaltslage allerseits verstehen - und zweitens an der Idee, man könne einem Beamten einmal auf andere Weise etwas nachweisen als dadurch, daß man versucht, sich als Außenstehender in das Labyrinth der Behörde zu begeben, um herauszufinden, wer einem eigentlich den Schaden zugefügt hat.
Wenn es ein wichtiges demokratisches Anliegen gibt, wenn es ein wichtiges Anliegen für das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat gibt - das habe ich an dieser Stelle ja schon mehrfach erzählt -, dann ist es die Umkehr der Beweislast. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen, Herr Klein, der Meinung, daß wir es gar nicht oft genug erzählen können, damit nämlich die Bevölkerung merkt: Hier handelt es sich um das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat. An dieser Stelle wollen wir eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Bürgers haben; der Bürger soll nicht länger die Beweislast gegenüber dem ohnehin viel mächtigeren Apparat tragen. Wer das nicht mitmacht, hat Demokratie nicht verstanden,
({0})
hat das Verhältnis des Bürgers zum Staat nicht richtig verstanden und zieht einsam durch ländliche Lokale, um sich über Staatsverdrossenheit zu beklagen, weil da überall einer rumsitzt, der einen Prozeß gegen die „Obrigkeit" - so nannte man das früher - verloren hat.
({1})
- In diesem Zusammenhang muß man es mit Recht
auch heute noch so nennen, Herr Erhard. - Der
macht uns dann die Wähler mies und sagt: Diese Leute hier im Bundestag sind doch Teil der Obrigkeit. - Ich bin das krasse Gegenteil von einem Teil der Obrigkeit, ich bin Parlamentarier.
({2})
Ich möchte Sie alle herzlich bitten, in dieser Richtung mitzuziehen. Denn dies ist auch eine Auseinandersetzung, eine der mehreren, dringend notwendigen Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Regierung. Wir bringen das zu oft - ich will der Opposition gern eine Blume überreichen - in Zusammenhang mit der Verpflichtung der Koalitionsfraktionen, ihren von ihnen entsandten Ministern natürlich auch ein gewisses Maß an Loyalität entgegenzubringen. Das heißt aber doch nicht, daß wir uns als Parlament hier total entmachten lassen, indem wir sagen: Wenn die Beamten Angst davor haben, im Einzelfall erwischt zu werden, weil sie nämlich wirkungsvoller erwischt werden, wenn sie nicht einzeln angesprochen werden, dann verzichten wir auf weiteres Überlegen. - Ich habe das in diesem Hause schon einmal gesagt, aber für Leute, die es noch nicht gehört haben, sage ich es noch einmal. - Der Kernpunkt des Gesetzes ist der: Wenn der Staat nach geltendem Recht in Anspruch genommen werden soll, muß nach § 839 BGB der einzelne Beamte in Anspruch genommen werden, und man muß ihm Verschulden nachweisen. Was geschieht dann? Dann rotten sich sämtliche potentiell Betroffenen um ihn zusammen wie die Esel in der Herde und schlagen mit den Hinterhufen nach jedermann, der sich dem Zentrum dieses Kreises nähert.
({3})
Das ist nach geltendem § 839 BGB die Situation.
Diese Situation soll mit diesem neuen Gesetz zum Wohle des Bürgers geändert werden. Herr Klein weiß das genauso gut wie ich, er weiß das alles ganz genauso gut wie ich. Woran ist er gescheitert? Er ist an finanziellen Bedenken der Länder gescheitert. Zu diesen finanziellen Bedenken meine ich folgendes: Das, was hier gemacht werden soll, ist eine fleet in being, eine Flotte in Bereitschaft. um es einmal mehr zu übersetzen.
({4})
Das ist eine Sache, die man nicht anwenden muß, wenn sie erst einmal da ist. Das ist bei uns sehr kostengünstig zu machen, nämlich durch ein Gesetz, und dann ist sie da, die Flotte. Dann werden die Kameraden etwas aufmerksamer sein, als sie sonst vielleicht aufmerksam sind. Deshalb werden die Länder sich irren, wenn sie glauben, daß hier kostenmäßig so furchtbar viel passieren könne. Aber diese Umkehr muß nun einmal sein. Wenn wir als Parlament überhaupt noch in die Verwaltung hineinregieren wollen - „hineinregieren", solche Sprüche sind doch bedauerlicherweise ganz üblich -, dann müssen wir es mit solchen Gesetzen versuchen. Das müssen wir dem Bundesrat so lange sagen, Herr Klein, bis er auch Ihnen die notwendigen Vollmachten gibt, mit uns zusammen das zu tun, was wir alle
für richtig halten, ohne Rücksicht auf etwaige Kosten.
Es ist hier von den Rechtswegen die Rede gewesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Herr Erhard, ich bitte darum.
Hochverehrter Herr Kollege Kleinert, ich möchte Sie folgendes fragen, wobei ich hoffe, Ihre bisherigen Ausführungen richtig verstanden zu haben: Wenn die öffentliche Hand wirklich für den dem Bürger rechtswidrig zugefügten Schaden eintreten soll, wie Sie meinen, warum soll dann die von Ihnen beschriebene Herde der Esel nicht auch in der Lage sein, zu sagen: nach den Umständen hat dieser Beamte die Sorgfalt angewendet, die den Schaden nicht hat vermeiden lassen? So steht es im Gesetz. Also: warum wollen Sie die Entschuldungsmöglichkeit weiterhin aufrechterhalten, wenn Sie den Schaden des Unrechts als zu ersetzen akzeptieren?
Herr Erhard, diese Frage ist noch nützlicher, als es alle Ihre bisherigen Fragen waren.
({0})
Das ist ja gerade der Punkt. Wir haben, um vor den Bundestagswahlen in diesem Punkt ein einvernehmliches Ergebnis vorzeigen zu können, dort gegenüber den Wünschen der Länder nachgegeben, die sich im übrigen wegen der Absonderlichkeit der Zusammensetzung des Bundesrates - was heißt „Absonderlichkeit"?; dies ist von der Verfassung so gewollt -, wegen der von der Verfassung so gewollten Zusammensetzung des Bundesrates
({1})
dagegen gewehrt haben, daß wir eine viel weitergehende Vorschrift hineinschreiben. Wir haben die von Ihnen - mit Recht - beanstandete Fassung gewählt, um die Länder uns vielleicht wohlgeneigt zu machen. Ich bin aber mit Ihnen der Meinung: Mit Hilfe der CDU/CSU im Deutschen Bundestag werden wir dieses wichtige demokratische Anliegen auch gegen die vereinigte Front der Länder durchsetzen können. Dazu bitten wir Sie um Ihre Hilfe.
({2}) Genauso stellen wir uns das vor.
({3})
Das ist der Punkt.
Ich möchte der sehr verehrten Frau Kollegin Däubler-Gmelin nur in einer Kleinigkeit widersprechen. In der Rechtswegefrage haben wir ein für allemal andere Ansichten. Leute, die sich tagtäglich mit der Errechnung von Schäden befassen, die beim Zusammenstoß von Automobilen, bei irgendwelchen sonstigen privatrechtlichen - und hoffentlich auch
bei gewissen wirtschaftsrechtlichen Zusammenstößen - Sachkenntnisse entwickelt haben, wollen wir hier gern einschalten. Wir wollen nicht hergehen und die Verwaltungsgerichte noch zusätzlich belasten, zumal sie auf Grund neuerer Entwicklung ohnehin total überlastet sind. Hier kommen zwei Gründe zusammen.
({4})
Das ist ein Punkt, der uns unterscheidet, und den halte ich hier fest.
Zur Staatshaftung in Sonderbereichen wie dem Finanz- und Postbereich kann ich nur das sagen, was ich eben schon einmal in anderer Form gesagt habe. Ich habe keine Bedenken, hier Sondervermögen mit einzubeziehen, zumal mir der Begriff „Sondervermögen" staatspolitisch, verfassungspolitisch ohnehin sehr wenig und arbeitspolitisch nach den Ereignissen der letzten Wochen noch viel weniger sagt. Ich halte das für eine ganz unglückliche Zwischenkonstruktion. Wir brauchen gar keine Ausnahmen. Auch bei den Finanzen kann man darüber reden.
Bevor ich zum Schluß oder, wie ich besser sagen sollte, zum Vorschluß komme, möchte ich noch sagen: Erwarte sich doch niemand Allheilmittel! Wir haben Zuschriften bekommen, wir haben Zeitungsartikel gelesen. Es gibt Leute, die ungerecht behandelt worden sind und die auch in Zukunft ohne Chance auf Schadenersatz ungerecht behandelt werden, weil das nach dem System eines so großen Gebildes, wie es unser Staat ist, leider nicht vermeidbar ist. Man muß dann nach Billigkeitslösungen an anderer Stelle suchen. Man darf aber nicht versuchen, im Wege des Rechtes und des Gesetzes jeden Fall mit einzubeziehen, weil sonst nur neue Ungleichheiten durch Ungewißheit entstehen würden.
Und nun möchte ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen, meine Damen und Herren:
({5})
Für die Fraktion der Freien Demokraten rede ich gleich noch zum nächsten Tagesordnungspunkt mit, weil der nämlich -
Herr Kollege, das ist Ihr Ernst?
Das ist der nächste Tagesordungspunkt.
Den können Sie aber jetzt nicht mitbehandeln. Das geht beim besten Willen nicht.
Nein.
Frau Präsident, ich mache es ganz anders. Ich erkläre hier nur meinen Verzicht darauf, zum nächsten Tagesordnungspunkt zu reden.
Das ist hervorragend. Kleinert ({0}): Das ist zulässig.
({1})
Den möchte ich allerdings ganz kurz begründen, Frau Präsident.
({2})
Das geht auch nicht. Das tut mir leid.
Den Verzicht begründe ich damit, daß im Gegensatz zu manchen Anfragen, die in den letzten Tagen zu mir gekommen sind, unter dem nächsten Tagesordnungspunkt die Notare nicht etwa neue Einkünfte zu erwarten haben, sondern daß sie als reine Folgewirkung des von uns hoffentlich zu beschließenden Gesetzes über die Staatshaftung in Zukunft mehr bezahlen müssen, nämlich für eine angemessene Versicherung. Das wollte ich Ihnen nur noch sagen. Und dazu brauche ich hinterher nicht noch einmal hierherzugehen. - Danke schön.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn Kollegen Kleinert - weil ich der Nachredner bin - sehr herzlich zu seiner Rede beglückwünschen. Sie war sicher eine der originellsten, die wir bisher im 9. Deutschen Bundestag gehört haben.
({0})
Außerdem möchte ich den Herr Kollegen Kleinert zu der bildhaften Darstellung der Problematik des § 839 BGB beglückwünschen. Ich muß sagen, sie ist selten so anschaulich geschildert worden. Wenn Sie noch ein paar andere Rechtsprobleme in derselben bildhaften Weise würdigten, würde ein solcher Kommentar ein Bestseller werden und wäre nicht so trocken wie die meisten anderen juristischen Darlegungen und Kommentare.
In der Sache selbst möchte ich sehr herzlich dafür danken, daß aus der Mitte des Parlaments der Entwurf eines Staatshaftungsgesetzes in der Fassung der dritten Lesung wieder eingebracht worden ist. Das erleichtert es, die Beratungen sogleich an der Stelle wiederaufzunehmen, an der sie im 8 Bundestag zu Ende gegangen sind.
Es würde die Debatte übermäßig verlängern, wenn ich jetzt auf alle einzelnen hier vorgetragenen Bedenken und Punkte eingehen wollte.
Vielleicht nur noch ein Satz zu der Frage, ob denn der Bund für die Regelung der Materie überhaupt die Zuständigkeit hat. Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat sich dazu schon geäußert. Ich füge nur hinzu: Wenn die Meinung des Bundesrates zutreffend wäre, daß dies nicht mehr bürgerliches Recht sei, dann würde das bedeuten, daß wir hinter den Stand vom 1. Januar 1900 zurückfielen und daß wir an Stelle eines Staatshaftungsgesetzes elf verschiedene Gesetze der Länder und zudem noch ein zwölftes Bundesgesetz brauchten. Gerade die flammenden Warner vor der Normenflut, die sich auch im
Bundesrat gelegentlich finden und zu Wort melden, sollten doch bitte diese schwer erträgliche Konsequenz ihres Standpunktes bedenken.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?
Herrn Professor Klein immer. Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Gestatten Sie mir die Frage: Ist es nicht richtig, den Bundesrat so zu verstehen, daß die Bundeskompetenz nach seiner Auffassung nur dann fehlt, wenn das, was bisher im Bereich des bürgerlichen Rechts durchaus kompetenzgerecht geregelt war und ist, in Zukunft im Rahmen des öffentlichen Rechts geregelt wird, wofür in der Tat eine Bundeskompetenz nicht so ohne weiteres - will ich einmal vorsichtig formulieren - ersichtlich ist?
Herr Kollege Klein, es ist nicht immer ganz leicht, die Beschlüsse des Bundesrates zu interpretieren. Man muß auf unterschiedliche Ausschußempfehlungen zurückgreifen. Ich möchte den Bundesrat aber eigentlich vor dieser Auslegung in Schutz nehmen; denn die Argumentation, die nur lautete: „Weil das Staatshaftungsrecht jetzt nicht mehr im BGB, sondern in einem eigenen Gesetz geregelt wird, verwandelt es sich in seiner Qualität", hielte ich in der Tat für relativ schwach und für ganz und gar nicht überzeugend, weil sich schon heute bürgerliches Recht im Sinne der Verfassungsbestimmung in erheblichem Umfang außerhalb des BGB findet. Aber das wird ja wohl sicherlich durch die Teilnahme von Vertretern des Bundesrats an den Beratungen im Rechtsausschuß noch näher aufzuklären sein.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Dr. Klein.
Darf ich ergänzend noch fragen, Herr Minister: Ist es nicht doch mindestens vertretbar, einen qualitativen Unterschied zwischen einem bürgerlich-rechtlichen Anspruch gegen den Beamten, der lediglich vom Staat kraft der Garantie des Art. 34 des Grundgesetzes übernommen wird, einerseits und einem nach dem neuen Gesetzentwurf unmittelbar gegen den Staat gerichteten Anspruch andererseits anzunehmen und daraus auch kompetenzrechtliche Konsequenzen zu ziehen?
Ich fürchte, Herr Kollege Professor Klein, wenn wir das Thema jetzt noch vertiefen, dann liefern wir ungewollt ein juristisches Kontrastprogramm zu der Rede des Herrn Kollegen Kleinert. Lassen Sie uns das doch bitte im Ausschuß vertiefen. Meine Antwort würde jetzt in einem Satz lauten: Nein, und zwar schon deswegen nicht, weil ja doch auch der heutige Rechtszustand sehr viele Elemente des öffentlichen Rechts enthält. Die Anknüpfung der Haftung an den BeamBundesminister Dr. Vogel
ten ist sicher maßgeblich für die Begründung des Anspruchs, aber die Haftung des Staates ist doch heute schon Bestandteil öffentlich-rechtlicher Regelungen und Normierungen. Ich glaube, wir sollten die Diskussion vielleicht an der Stelle abbrechen.
Ich meine, daß in der Tat das, was der Bundestag in der dritten Lesung zum Gesetzesbeschluß erhoben hat, einen erheblichen Fortschritt darstellt. Ich möchte allen Vorrednern, insbesondere dem Kollegen Kleinert, zustimmen, daß das ein Mehr an Liberalität, daß es ein Mehr an materieller Rechtsstaatlichkeit, j a, ich würde sagen, sogar ein Stück Mehr an Rechtskultur ist. Wahrscheinlich ist die Staatshaftung für den Zustand der Rechtskultur von besonders hohem Stellenwert.
({0})
Ich bin auch sehr optimistisch, meine Damen und Herren der Opposition und meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen insgesamt, daß wir uns vielleicht doch am Ende finden werden, nicht nur mit dem Bundesrat, den zu überzeugen ja schon des öfteren gelungen ist, sondern auch hier in diesem Hause. Denn ungeachtet aller Bedenken gab es ja einmal einen Zeitraum, der, glaube ich, sechs Tage oder eine ganze Woche andauerte, in dem diese Zustimmung vorlag, weil - unter Ihrem Vorantritt, Herr Kollege Klein - auch die Opposition ihre Zustimmung zu einem Kompromiß gegeben hatte, der sich nun in der Tat nicht essentiell von dem unterschied, was neuerdings eingebracht worden ist. Ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Mir ist bis heute nicht völlig klargeworden, weswegen die Zustimmung nach dieser eine Woche währenden Einigkeit wieder zurückgezogen wurde. Aber so schlimm, wie Sie es von dieser Stelle aus geschildert haben, kann doch ein Entwurf, dem Sie wenigstens eine Woche lang Ihr Wohlwollen zugewendet und Ihre Zustimmung gegeben haben, doch nicht gewesen sein.
({1})
Ich habe die Hoffnung, daß wir in den weiteren Verhandlungen - wie bei vielen Gesetzen - auch hier zueinander finden und daß wir dann von Ihnen, Herr Kollege Klein, vielleicht doch in der neuerlichen zweiten und dritten Lesung hören, warum dies alles nicht ganz so schlimm gewesen ist, wie Sie es heute hier, an diesem 11. Dezember, geschildert haben. - Herzlichen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf der Drucksache 9/25 an den Rechtsausschuß - federführend -, an den Innenausschuß - mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung
- Drucksache 9/24 Interfraktionell sind 10-Minuten-Beiträge vereinbart worden. - Eine Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde bezüglich dieses Tagesordnungspunktes gern ebenso verfahren wie der Herr Kollege Kleinert, aber meine fast uneingeschränkte Hochachtung vor den Beschlüssen des Ältestenrates hindern mich daran.
Der von den Fraktionen der SPD und FDP als Koalitionsinitiative eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung der Bundesnotarordnung läßt hoffen, daß im Interesse betroffener Bürger, aber auch der Notare eine schnelle Verabschiedung möglich ist.
Leitbild der uns vorliegenden Novelle ist der Schutz durch Pflichtverletzung eines Notars Geschädigter. Denn bisher ging der betroffene Mandant bei Zahlungsunfähigkeit seines Notars bei Massenschäden in der Regel leer aus, da die Haftsummen aus der Vertrauensschadensversicherung der Notarkammern in diesen Fällen keine Deckung verschafften. Ich verweise insofern auf die bekanntgewordenen Schadenssummen in den Notarhaftungsfällen im Land Nordrhein-Westfalen. Die meisten von uns können sich an den Mann erinnern, der wochenlang vor unserem Haus hier stand. Allein in zwei Fällen soll der unmittelbar eingetretene wirtschaftliche Schaden die Summe von 3 Millionen DM weit übersteigen.
Der Gesetzgeber muß nun sicherstellen, daß der durch ein pflichtwidriges Verhalten eines Notars Geschädigte vollen Ersatz für seinen Schaden erlangen kann. Der Notar nimmt bei der Beurkundung von Rechtsvorgängen Funktionen wahr, die originär zum Aufgabenbereich des Staates gehören. Ich darf davon ausgehen, daß wir uns in der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Betroffenen einig sind, die das Risiko der Zahlungsunfähigkeit ihres Notars bisher allein getragen haben.
Meiner Meinung nach geht der Koalitionsentwurf wie schon der Regierungsentwurf in der 8. Wahlperiode den richtigen Weg. Auch nach der beabsichtigten Neuregelung der Staatshaftung bleibt es bei der persönlichen Haftung des Notars. Denn er ist kein Beamter und soll es nach unserer Auffassung auch nicht werden. Die Zahlungsfähigkeit des Notars im Schadensfall wird daher allein durch seine Vermögensverhältnisse bestimmt. Es gibt keinen Rechtsträger, der für ihn oder mit ihm haftet. Da ein Mandant aber nicht in der Lage ist, die Vermögensverhältnisse eines Notars zu beurteilen bzw. häufig gar nicht die Möglichkeit hat, einen Notar seiner Wahl zu beauftragen, sind z. B. Zahlungen auf Notaranderkonten oft mit erheblichen Unsicherheiten belastet.
Wenn die Bundesnotarkammer zur Reduzierung dieses Risikos in ihren „Allgemeinen Richtlinien für die Berufsausübung der Notare" bestimmt hat, daß eine Haftpflichtversicherung des Notars in angemessener Höhe Standespflicht ist,
({0})
und wenn eine Mindestversicherungssumme von 100 000 DM gefordert wird, so muß festgestellt werden, daß selbst bei kleineren Notariaten oder Notarpraxen diese Summe nicht ausreicht, die im Hinblick auf die heutigen Hausstücks- und Grundstückspreise möglichen Schäden abzudecken.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht wegen der von den Notarkammern zugunsten ihrer Mitglieder, nämlich der Notare, abgeschlossenen Vertrauensschadensversicherungen. Denn die hier vereinbarten Deckungssummen reichen bei vorsätzlicher Verletzung von Amtspflichten bei weitem nicht aus.
Ich will unterstreichen, daß dem versicherungsrechtlichen Ansatz des Entwurfs zuzustimmen ist, und zwar in Übereinstimmung mit den Forderungen der Bundesnotarkammer. Zu Recht aber heißt es in der Begründung des Koalitionsentwurfs:
Während der Beratung wird zu prüfen sein, ob die vorgeschlagenen Mindestversicherungssummen und die Begrenzungen auf Jahreshöchstbeträge einen hinreichenden Schutz der Geschädigten sicherstellen.
Sieht man sich die vorgeschlagenen Mindestversicherungssummen und die Begrenzungen auf Jahreshöchstbeträge genauer an, so fällt ein gravierender Wertungswiderspruch auf. Beruht das pflichtwidrige Verhalten des Notars auf lediglich fahrlässigem Verhalten - wird z. B. eine Formvorschrift entsprechend langjähriger allgemeiner Praxis nicht genügend beachtet, wird dies aber nachträglich von der Rechtsprechung mißbilligt -, so soll der Notar seinen Mandanten zu Lasten der von ihm gehaltenen Berufshaftpflichtversicherung bis zu einem Betrag bis zu 1 Million DM für alle innerhalb eines Jahres verursachten Schäden haften. Übersteigen die verursachten Vermögensschäden diese Deckungssumme, so wird der Ausfall von der Vertrauensschadensversicherung der Notarkammer bis zu weiteren 2 Millionen DM aufgefangen. Schäden aus fahrlässiger Pflichtverletzung sind also in jedem Fall in ihrer Gesamtheit in Höhe von 3 Millionen DM abgedeckt.
Veruntreut jedoch ein Notar Mandantengelder, so steht der Geschädigte wesentlich schlechter. Denn in diesen Fällen vorsätzlicher Schädigung wird der Versicherer der individuellen Berufshaftpflichtversicherung von seiner Leistungsverpflichtung freigestellt. Die Zahlungsfähigkeit des ersatzverpflichteten Notars sichern allein die ergänzenden Versicherungsverträge der jeweiligen Notarkammer. Geschädigte Mandanten wird also in der Regel nur eine Haftungsmasse von 2 Millionen DM für alle Schäden zur Verfügung stehen.
Ich muß gestehen, daß mir diese Differenzierung nicht einleuchtet. Denn aus welchen Gründen soll
der durch strafbares Verhaften eines Notars Geschädigte schlechtergestellt werden als der Mandant, der von seinem Notar nur fahrlässig geschädigt wurde? Gerade in den Fällen strafbarer Handlung wird die Existenzvernichtung des Mandanten oft in Kauf genommen.
Unsere Aufgabe muß es sein, diesen Wertungswiderspruch zu lösen. Das Argument der Begrenzung der Prämienbelastung darf dabei nicht ausschlaggebend sein. Die auf das Einzelnotariat zukommende Prämienbelastung sollte sich jedoch am möglichen Schadensrisiko orientieren. Der Gesetzgeber sollte daher sicherstellen, daß die Finanzierung der Prämien für die Gruppenversicherungsverträge der Notarkammern über die Beiträge zur Kammer die Leistungsfähigkeit der Notare berücksichtigt.
Wir sind in der Pflicht, schnell und wirkungsvoll zu handeln, damit das Vertrauen in die Notarschaft nicht weiter aufs Spiel gesetzt wird. Ich wünsche mir eine zügige Beratung, damit dieses Anderungsgesetz wieder für mehr Rechtssicherheit bei unseren Bürgern sorgt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Langner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Versicherungspflicht für die Berufshaftpflichtschäden der Notare soll mit diesem Entwurf, den wir heute lesen, eine neue gesetzliche Grundlage bekommen. Da gehört an den Anfang, Herr Lambinus, die Frage: Brauchen wir überhaupt ein neues Gesetz?
({0})
Um die Anwort vorwegzunehmen: Sie und Ihre Koalitionspartner, die heute nicht dazu reden wollen, müssen in den Ausschußberatungen doch noch mehr und triftigere Gründe nachschieben, als wir sie aus der Drucksache, aus der Vorläuferdrucksache der vergangenen Wahlperiode und aus Ihrem heutigen Beitrag gehört haben. Denn es kann doch nicht wahr sein, daß am ersten Plenumstag einer neuen Wahlperiode, an dem wir Gesetze lesen, nicht der Satz gelten soll: „Im Zweifel gegen ein Gesetz".
Prüfen wir einmal, wie die Rechtslage im Moment ist. Auch heute haften Notare für ihre Fehler. Schon jetzt sind sie kraft zwingender Standespflicht versichert. Die Rechtmäßigkeit der Versicherungspflicht ist in der Rechtsprechung anerkannt. Dies gilt auch für die Höhe der Versicherung. Die derzeitige Mindeshöhe von 100 000 DM - um Ihren Einwand aufzugreifen - mag zu niedrig sein, und die mit dem Gesetzentwurf angestrebte Höhe von 500 000 DM mag heutigen Verhältnissen angemessen sein. Aber dann muß - deswegen bedaure ich es, daß sich der Kollege Kleinert dazu gar nicht mehr zu Wort melden will - nach meiner Auffassung die Notarkammer in verantwortungsbewußter Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben die Beträge anheDr. Langner
ben - ich hätte das für einen liberalen Standpunkt gehalten Herr Kleinert -,
({1})
wie das für die Vertrauensschadensversicherung dieser Tage offenbar schon geschehen ist.
({2})
- Ich bin sehr dafür!
({3})
Herr Kleinert, ich will gerne ein zweites Argument aufgreifen. Sie haben vorhin den Konnex mit der Staatshaftung hergestellt und gesagt, deswegen brauchten Sie dazu auch nichts mehr zu sagen. Meiner Meinung nach zwingt uns die Neuregelung bei der Staatshaftung in keiner Weise zu einer Neuregelung bei der Notarhaftpflicht. Die Haftung des Notars für Fehler ist alt wie neu eine Berufshaftung sui generis, die sich aus Notarordnung und aus BGB ergibt. Dem Amtscharakter des Notars wird durch die persönliche Versicherungspflicht und die ergänzende Versicherung der Notarkammer für Schäden der Mitglieder ausreichend Rechnung getragen.
Diese kritischen Anmerkungen zur Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit des Gesetzes bedeuten natürlich nicht, daß wir damit irgendeine voreilige Ablehnung Ihrer Initiative ankündigen wollen. Aber es muß doch ganz klar sein, daß die Beweislast der Gesetzesnotwendigkeit bei den Initiatoren liegt. Nach dem, was wir heute gehört haben, haben Sie bisher allenfalls ein „non liquet" geliefert.
Einzelheiten gehören in die Ausschußberatungen, besonders die Verfahrensfragen des Entwurfs, die ja noch andere Problemkreise berühren.
Einen Punkt möchte ich heute aber doch im Plenum noch kurz ansprechen. Daß Bürger durch Notarfehler Vermögensschäden erleiden, ist tief bedauerlich. Die bekanntgewordenen spektakulären Fälle sollten aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß 99 % der Notare in Beratung, Vertragsgestaltung und Beurkundung die privaten Vermögensinteressen ihrer Mandanten schützen und pflegen und nicht in erster Linie schädigen.
({4})
Wenn wir aber schon über eine gesetzliche Neuregelung der Notarversicherung reden sollen, sollte man meiner Ansicht nach - das wäre wiederum ein liberaler Gedanke - auch ein Bonus-Malus-System in Erwägung ziehen, das ähnlich wie bei der Kraftfahrzeughaftpflicht Schadensfreiheitsrabatte und Zusatzprämien vorsieht.
({5})
Der bekannte Einwand, die Schadensfreiheit lasse sich nur vom Zeitpunkt her feststellen - ein Notarfehler wird etwa erst in einem eröffneten Testament entdeckt -, ist meiner Meinung nach nicht unüberwindbar. Versicherungsrechtliche Hindernisse, warum wir nicht an solche Schadensfreiheitsrabatte denken sollen, sehe ich nicht. Warum soll es denn für den Sorgfältigen nicht ein Quentchen Leistungsbelohnung in Gestalt einer verminderten Prämie geben?
Ein Letztes. Versicherungsprämien und Kammerbeiträge sind Kosten. Kostenentwicklungen müssen ihre unmittelbaren Auswirkungen auf Gebührensätze haben. Die Wörter „Kosten: keine" auf dem Vorblatt dieser Gesetzesinitiative sind wieder einmal nur die halbe Wahrheit.
({6})
- Noch nicht einmal die halbe Wahrheit. - Keine Kosten für die Staatskasse - das ist richtig. Aber höherer Versicherungsschutz wird letztlich auch höhere Gebühren erfordern.
Für den Fortgang der Beratungen sagen wir trotz dieser notwendigerweise kritischen Anmerkungen unsere konstruktive Mitarbeit zu. - Schönen Dank.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/24 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 9/22 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In seinem Urteil vom 21. Juni 1977 hat das Bundesverfassungsgericht die Bestrebungen bekräftigt, die Aussetzung eines Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe gesetzlich zu regeln, und darüber hinaus eine solche Regelung für verfassungsrechtlich geboten erklärt.
Es hat hierzu ausgeführt, es gehöre zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs, auch dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten eine Chance zu belassen, wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Insbesondere hat das Verfas320
sungsgericht darauf hingewiesen, daß die bloße Möglichkeit der Begnadigung allein dafür nicht genüge.
Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung bereits im 8. Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, der im Rechtsausschuß bereits behandelt und vom Deutschen Bundestag mehrheitlich beschlossen worden war. Die vom Bundestag beschlossene Regelung war jedoch wegen eines nicht abgeschlossenen Vermittlungsverfahrens nicht in Kraft getreten. Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen entschlossen, den Entwurf eines Neunzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes in der bereits vom Rechtsausschuß beschlossenen Fassung erneut einzubringen.
Es wurde bereits während der vorausgegangenen Beratungen wiederholt darauf hingewiesen, daß durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die bis dahin lebhaft geführte Diskussion, ob die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe gesetzlich geregelt werden sollte, im Sinne der von den Koalitionsfraktionen vertretenen Auffassung ihr Ende gefunden habe. Heute kann es deshalb wie bereits im Jahre 1979 nur noch um die Ausgestaltung der Regelung gehen. Es geht damit nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.
Hier weichen allerdings die Ansichten der Koalitionsfraktionen auf der einen Seite und der Opposition sowie der Bundesratsmehrheit auf der anderen Seite zum Teil voneinander ab. Dies gilt vor allem für die Frage, an welche Mindestverbüßungszeiten eine von den Gerichten zu beschließende Aussetzung geknüpft werden soll. Während der Koalitionsentwurf eine Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren vorsieht, will die Opposition eine Erhöhung dieser Frist auf 20 Jahre. Dabei wird leider immer wieder übersehen, daß Mindestverbüßungszeit und Durchschnittsverbüßungszeit nicht gleichgesetzt werden können; denn im Interesse des Schutzes der .Allgemeinheit kommt eine bedingte Entlassung des Verurteilten jedenfalls solange nicht in Betracht, wie eine Aussetzung des Strafrechts wegen ungünstiger Sozialprognose nicht verantwortet werden kann.
Außerdem ist eine bedingte Entlassung schon nach Ablauf der Mindestverbüßungszeit dann auszuschließen, wenn die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten oder auch die Verteidigung der Rechtsordnung eine weitere Vollstreckung der Strafe gebietet.
Muß die Strafe deshalb in nicht wenigen Fällen über die Mindestverbüßungszeit hinaus vollstreckt werden, so wirkt sich dies zwangsläufig dahin aus, daß die durchschnittlichen Verbüßungszeiten über den Mindestverbüßungszeiten liegen müssen. Eine Heraufsetzung der Mindestverbüßungszeit auf 20 Jahre hätte damit im Durchschnitt eine über 20 Jahren liegende Verbüßungszeit zur Folge.
Gründe, die es rechtfertigen könnten, eine gegenüber der bisherigen Gnadenpraxis restriktivere Lösung zu wählen, wurden bei den bisherigen Beratungen jedenfalls nicht dargetan. Daß eine um zwei, oder drei, oder fünf Jahre erhöhte Mindestverbüßungszeit eine meßbar stärkere Abschreckungswirkung auf potentielle Täter auszuüben vermag, wird wohl kaum nachzuweisen sein. Ich darf nur daran erinnern, daß die Verurteiltenziffern bei Mord und Totschlag in den ersten zwölf Jahren nach der Abschaffung der Todesstrafe durch das Grundgesetz eine stetig abnehmende Tendenz gezeigt haben. Ihr späteres erneutes Ansteigen läßt sich jedenfalls nicht mehr mit der Rechtsänderung des Jahres 1949 in Verbindung bringen.
Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang ebenfalls die Feststellung, daß auch die eingangs erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977 und damit die Erwartung einer gesetzlichen Regelung der Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht etwa zu einem Anstieg der Mordkriminalität geführt haben; im Gegenteil, die polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 1979 sogar einen Rückgang der vollendeten Mord- und Totschlagskriminalität gegenüber dem Vorjahr um 7,8 % aus.
Der oft erhobene Vorwurf, die Regelung des Entwurfs verwische die Grenze zwischen lebenslangen und zeitigen Freiheitsstrafen, trifft nicht zu. Der Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren bei der lebenslangen Freiheitsstrafe würde regelmäßig, etwas vereinfacht gesagt, eine zehnjährige Verbüßungszeit bei der höchsten zeitigen Freiheitsstrafe gegenüberstehen. Der Abstand bleibt damit sichtbar gewahrt. Der Vorschlag der Opposition, die Mindestverbüßungszeit auf 20 Jahre zu erhöhen, erscheint mir nach all dem nicht überzeugend.
Er ist auch mit den internationalen Tendenzen nicht in Einklang zu bringen. Von den westeuropäischen Staaten, die die Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafen gesetzlich geregelt haben, erwähne ich in diesem Zusammenhang Belgien, das eine Mindestverbüßungszeit von 10 Jahren kennt, und Norwegen, dessen Gesetz eine bedingte Entlassung bereits nach 12 Jahren vorsieht, während gnadenweise Entlassungen bereits nach 10 bis 11 Jahren die Regel sind. Ferner nenne ich die Schweiz, Österreich und Luxemburg, deren Gesetze Mindestverbüßungszeiten von 15 Jahren verlangen. In Großbritannien regelt ein Gesetz aus dem Jahre 1967 die bedingte Entlassung durch den britischen Innenminister, ohne Mindestverbüßungszeiten anzugeben. Ein Gesetz aus dem Jahre 1965 erlaubt dort allerdings dem erkennenden Gericht, Mindestfristen zu bestimmen, vor deren Ablauf eine Aussetzung des Strafrestes nicht erfolgen soll. In der Mehrzahl der Fälle dürfte die bedingte Entlassung aber auch hier nach einer Haftzeit von sieben bis zwölf Jahren erfolgen. In Schweden, in Dänemark und in den Niederlanden entscheidet allein der Gnadenträger über die Aussetzung der Strafe. Auch hier dürften längere Haftzeiten als 15 Jahre die Ausnahme bilden.
Grundsätzlich negative Erfahrungen sind aus all den genannten Staaten bisher nicht bekanntgeworden, obwohl gerade die Länder mit den niedrigsten Verbüßungszeiten - das sind Belgien und Norwegen - auf eine langjährige Erfahrung zurückblikken können.
Angesichts dieser Tatsache ist ernsthaft die Frage zu stellen: Sollten wirklich die Deutschen in stärkeLambinus
rem Maße als die Bürger unserer Nachbarstaaten der Abschreckung durch das Gesetz bedürfen?
Sollen wir bei unseren gesetzgeberischen Überlegungen die Entschließungen des Ministerkomitees des Europarates im Rechtsbereich unberücksichtigt lassen, nach denen die Möglichkeiten für eine Entlassung der zu lebenslangen Freiheitsstrafen Verurteilten zu einem weit früheren Zeitpunkt - der Europarat denkt an eine Überprüfung nach 8 his längstens 14 Jahren - geprüft werden sollen?
Wir sollten uns im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens emotionsfreier als bisher um eine von einer breiten Mehrheit getragene Lösung bemühen, um eine Lösung, die zugleich auch den internationalen Bestrebungen im Bereich der langfristigen Freiheitsstrafen Rechnung trägt. - Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf meinem Herrn Vorredner insoweit zustimmen, als ich ebenfalls die Auffassung vertrete, daß man das Thema, das hier zur Erörterung steht, möglichst emotions-frei erörtern sollte.
({0})
Es tut mir an sich schon leid, daß wir darüber nicht so reden können, wie Herr Kleinert von der FDP vorhin gesprochen hat. Das würde mir nämlich wesentlich mehr liegen; ich glaube, diesem Hohen Hause schadet es grundsätzlich überhaupt nicht, wenn hier etwas Heiterkeit hereinkommt.
({1})
Ich darf das als Parlamentsneuling sagen, als der ich hier stehe.
({2})
- Ich kann das im Augenblick nicht beurteilen. Ich darf Ihnen aber jetzt schon sagen: ich werde bei diesem Thema wohl kaum zu Heiterkeitsausbrüchen Anlaß geben können, weil das Thema einfach zu ernst ist. Ich glaube auch, daß wir uns darüber emotionslos unterhalten sollten.
Meine Damen und Herren, das Thema ist für diejenigen, die schon länger im Parlament sind, nicht mehr neu. Hier sind viele Debatten geführt worden. Das Gesetz ist nicht mehr in Kraft getreten; es ist der Diskontinuität zum Opfer gefallen, und wir haben heute wieder die erste Lesung. Der Gesetzentwurf ist derselbe geblieben. Geändert hat sich, daß es nicht mehr ein Regierungsentwurf ist, sondern ein Entwurf von SPD und FDP. Inhaltlich ist es der gleiche Gesetzentwurf. Infolgedessen mögen uns die Damen und Herren von der Koalition bitte nicht böse sein, daß wir natürlich der Meinung sind, daß das Gesetz dieselben Fehler hat, die es auch in der letzten Legislaturperiode gehabt hat. Es ist dieselbe Regierung; auch wenn sich einige Personen geändrte haben mögen, so ist doch wahrscheinlich die Intention dieselbe.
Die Kritik der Opposition an diesem Gesetzentwurf setzt einmal an der sogenannten Mindestzeit zur Strafverbüßung an, bei der die Koalition für 15 Jahre plädiert. Wir sind der Meinung, 15 Jahre können und dürfen grundsätzlich nicht in Betracht kommen, weil sonst eine Gleichschaltung mit den zeitigen Freiheitsstrafen, eine Nivellierung Platz greifen würde. Selbstverständlich, 15 Jahre ist die höchste zeitige Freiheitsstrafe. Eine solche Mindestzeit würde sich durch die Kombination ergeben. Sie würde aber, meine ich, die hier hervorgehobene Abschreckungswirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe im Prinzip außer Kraft setzen. Die lebenslange Freiheitsstrafe muß eine besondere Art der Bestrafung bleiben, da ihr eine besondere Art des Deliktes vorausgeht. Dieses besondere Delikt des Totschlages oder Mordes muß eben auch mit einer besonderen Strafe belegt werden.
Ich glaube nicht, daß wir in diesem Parlament so tun dürfen, als ob die Bevölkerung draußen Verständnis dafür hätte, wenn wir im Endeffekt bei Mördern und Totschlägern über diesen Paragraphen, der hier zur Debatte steht, eine Strafe in derselben Länge zuließen wie bei anderen Tätern, die sich beispielsweise nur Eigentumsdelikte haben zuschulden kommen lassen.
({3})
Ich meine, daß die exemplarische Bestrafung durch eine lebenslange Freiheitsstrafe für Mörder und Totschläger unbedingt erforderlich ist, um die Abschreckungswirkung zu erhalten.
Ich bin auch der Meinung, meine Damen und Herren von der Koalition, daß das gesamte Strafengefüge bei Herabsetzung der Mindestverbüßungsdauer auf 15 Jahre ebenfalls einer Revision unterliegen müßte. Damit müßten zwangsläufig auch die anderen Strafen geringer werden, sie müßten verkürzt werden. Ich glaube, damit würde das bewährte Strafengefüge in unserem Staate ganz erheblich ins Wanken geraten. Deshalb wendet sich die Opposition nach wie vor gegen diese Mindestverbüßungsdauer von nur 15 Jahren und beharrt auf den vorgeschlagenen 20 Jahren.
Meine Damen und Herren, eines darf ich hier gleich sagen, und das gilt für alle Ausführungen, die ich von dieser Stelle mache: Selbstverständlich bin ich und selbstverständlich sind meine Parteifreunde und meine Fraktionsfreunde immer bereit, über Positionen zu sprechen. Wir werden in den Ausschüssen, insbesondere im Rechtsausschuß, diese Fragen besprechen können. Wir haben noch zwei weitere Lesungen vor uns. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, in dem einen oder anderen Punkt Verständnis füreinander zu finden.
Nicht allein die Mindestverbüßungsdauer ist für uns ein Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, sondern vor allem die sogenannte Prognoseklausel. Ich bin davon überzeugt, daß sie nach wie vor mit dem Manko einer zu laschen Prognose behaftet ist. Sie haben eine Formulierung, die man einfach wie322
derholen muß, weil sie, wie ich glaube, fast auf der Zunge zergeht.
Herr Kollege Lambinus, Sie kannten mich nicht. Wir sind vorhin zusammen ins Gebäude gegangen, und Sie sprachen mit einem Kollegen über diese Formulierung. Ich weiß nicht, ob es so intim war, daß man es hier nicht darstellen darf. Sie sprachen ebenfalls über „eine sehr unglückliche Formulierung". Ich fand es gut und gab mich nicht zu erkennen, weil ich dachte, ich könnte es vielleicht heute abend noch gebrauchen.
({4})
Ich teile also insofern Ihre Auffassung sehr wohl, Herr Lambinus. Es heißt nämlich in Ihrem Entwurf zur Prognoseklausel, es könne verantwortet werden, „zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird". Ich bin der Meinung, daß das Wort „Erprobung" in dem Zusammenhang absolut deplaziert ist. Da darf man einfach nicht „Erprobung" sagen.
({5})
Was heißt es denn, eine Erprobung zu verantworten? Da kann ich gleich sagen: Ich möchte einen Versuch versuchen. Das ist fast dasselbe. Das gehört nicht in ein Gesetz. Wenn wir vor Juristen sprechen,
({6})
dann sollte man von Juristen erwarten, daß sie bessere Formulierungen finden.
Was soll denn sein, wenn diese Probe nicht gelingt? Es liegt im Wesen einer Probe, daß sie vielleicht schiefgeht. Wer von Ihnen und wer sonst, welcher Richter, der gezwungen war, eine solche Probe aufs Exempel zu machen, wird sich im Falle einer fehlgeschlagenen Probe vor die Allgemeinheit stellen und vor der Allgemeinheit rechtfertigen, daß hier ein neues Verbrechen geschehen ist, das man vielleicht hätte verhindern können? Wer wird den Opfern dieser Verbrechen erklären, warum diese Probe fehlgeschlagen ist? Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 10. Dezember 1980 verweisen, in der über einen ausgesprochen tragischen Fall berichtet wird. Herr Lambinus, auch hierzu - seien Sie mir nicht böse - kenne ich schon Ihre Meinung, auch wenn Sie es nicht wußten. Es wird aus München über einen Fall eines Begnadigten berichtet, der, wie es leider Gottes öfter vorkommt und wie es sicherlich - das möchte ich konzedieren - durch kein Gesetz und durch keine besondere Sorgfalt, weder eines Ministerpräsidenten noch zukünftig eines Richters, auf die Dauer verhindert werden kann, bereits einmal wegen Raubmordes im Gefängnis gesessen hat, vor zehn Jahren begnadigt wurde und nun wiederum einen Raubmord begangen hat. Das ist selbstverständlich ein tragischer Fall. Aber ich glaube, man muß ihn hier zitieren; denn mit diesem Problem sind wir konfrontiert. Wir wollen zusätzlich zur Gnadenpraxis das auch für den Richter auf eine gesetzliche Ebene stellen und müssen uns darüber im klaren sein, daß wir dieses Problem auch für den Richter auf den Tisch legen müssen. Es handelt sich dann
eventuell um eine Fehlentscheidung, die dem Richter kein Mensch übelnehmen kann - wir sind alle Menschen -, und eines Tages wird er sich damit auseinandersetzen müssen. Man sollte das nicht mit so vagen Formulierungen erfassen wollen: Es kann erwartet werden oder man muß erwarten können, daß die Probe gut geht.
Ich meine, die Mindestformulierung muß mindestens auf der Basis einer Erwartungsklausel liegen. Ich will nicht sagen, daß es eine Sicherstellungsklausel sein muß; denn das kann kein Mensch sicherstellen oder gewährleisten. Aber ich muß es auf Grund vorhandener Fakten erwarten können. Ich muß zumindest davon ausgehen können, daß keine Gründe vorliegen, die diese Erwartung als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Jedenfalls können Sie sich nicht allein mit Ihrer Probe, die Sie meinen verantworten zu können, vor die Öffentlichkeit stellen und auch nicht die Sicherheit in diesem Staat garantieren.
Eine De-facto-Probezeit - das würde es nach dieser Formulierung sein -, wo bei Nicht-Bestehen, etwa wegen eines neuerlichen Mordes, wie hier zum Ausdruck gebracht, die Strafaussetzung einfach zu widerrufen wäre, lehnen wir aus diesen Gründen ab. Es ist unabdingbar, daß bei sorgfältiger Würdigung der Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Lebensverhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß er in Zukunft ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen wird.
Für die CSU- und CDU-Fraktion muß eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe auf einem vernünftigen Kompromiß zwischen dem Resozialisierungsgedanken, dem Sühnegedanken und dem Schutzgedanken unseres Strafrechts beruhen. Meines Erachtens reicht der derzeitige Entwurf für diesen Kompromiß nicht aus. Für den Erfolg des Resozialisierungsversuchs ist nach meiner Empfindung und der Empfindung meiner Fraktionsfreunde eine Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren nicht ausreichend. Ich sage Ihnen noch einmal ganz ehrlich meine persönliche Meinung: Wenn Sie 15 Jahre ansetzen, dann müßten Sie mit gleichem Recht auch noch über die 15 Jahre diskutieren können. Sie könnten dann von mir aus auch noch über 10 oder 5 Jahre diskutieren.
({7})
- Herr Lambinus, lassen Sie mich bitte ausreden, Herr Sauter durfte vorher Ihre Ungeduld etwas bremsen. Wenn Sie der Meinung sind, daß jemand nach 15 Jahren bereits irreparablen Persönlichkeitsschaden genommen haben kann, dann frage ich Sie, mit welcher Begründung Sie das nicht auch schon bei 10 und auch bei 5 Jahren sagen können. Sie beziehen sich nämlich auf die physische und psychische Belastbarkeit eines einzelnen Täters. Dann können Sie die gesamten Mindeststrafen absetzen und sagen: Ich bestrafe jeden so, wie er es gerade noch verträgt. Dann möchte ich aber fragen, woher die abschreckende Wirkung unseres Strafrechts kommen soll.
({8})
Meine Damen und Herren, wenn Sie mit uns insoweit konform gehen und eine 20jährige Mindestverbüßungszeit akzeptieren könnten, würde man hier vielleicht doch zu einem Ergebnis kommen, und zwar möglichst rasch; denn das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Auftrag gegeben, dem wir alle zustimmen.
Natürlich wollen wir den Sühnegedanken, der bei der Mindestverbüßungszeit eine entscheidende Rolle spielt, nicht durch eine Nivellierung der lebenslangen Freiheitsstrafe mit den zeitigen Freiheitsstrafen aufgeben. Vor allem wollen wir nicht den Schutzgedanken unseres Strafrechts durch eine risikoreiche Prognoseklausel belasten, die die innere Sicherheit in unserem Staat in höchstem Maße gefährdet.
Aus diesen Gründen können CDU und CSU der vorgelegten Fassung dieses Entwurfs nicht zustimmen. Wir behalten uns allerdings vor, zu gegebener Zeit einen Änderungsantrag zu stellen, und sind zwischenzeitlich, wie versprochen, bereit, mit uns über alles zumindest reden zu lassen. Welche Ergebnisse dabei herauskommen, wage ich heute noch nicht vorauszusagen. - Ich bedanke mich sehr herzlich.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch zu diesem Gesetzentwurf führen wir heute zum zweitenmal eine erste Lesung durch. Auch hier hat in der letzten Legislaturperiode der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Bundesrat hat eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen unterbreitet; ich beschränke mich hier auf die beiden Hauptpunkte, die letztlich auch im Bundestag strittig geblieben sind. Das ist zum einen die Mindestverbüßungsdauer und zum zweiten die Frage, wie die Sozialprognoseklausel am besten formuliert werden sollte.
Die Bundesregierung ist in ihrem Entwurf von einer Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren ausgegangen.
({0})
Der Deutsche Bundestag hat sich diese 15 Jahre mehrheitlich zu eigen gemacht. Der Bundesrat und die Opposition hier im Hause haben den Vorschlag unterbreitet, auf 20 Jahre zu gehen. Dieser Vorschlag hat uns einigermaßen überrascht. Sie selbst werden sich erinnern: Als die Beratungen seinerzeit begannen, wurden, etwa vom ehemaligen Kollegen Dr. Eyrich, Erklärungen abgegeben, die darauf hindeuteten, daß man in etwa das Mittel zwischen 15 und 20 Jahren anpeilte.
Wenn wir uns hier um die richtige Zahl der Jahre bemühen, dann ist doch wohl jedem klar: Eine einzig richtige Lösung, sowohl dogmatisch wie von der Durchführung in der Paxis her, gibt es ganz einfach nicht. In der Rede des Kollegen Lambinus haben wir ja vorhin gehört, daß auch in den einzelnen Ländern - nehmen wir nur den europäischen Rechtsbereich - die Zeitdauer sehr stark differiert. Mir scheinen
die 15 Jahre so unrichtig nicht gewählt. Denn es gibt immerhin einen Hinweis: daß die Mindestdauer bei der lebenslangen Freiheitsstrafe abgesetzt sein müßte vom Höchstmaß der derzeitigen Freiheitsstrafe. Hier, Herr Kollege Dr. Götz, muß ich nach Ihrem Beitrag zum wiederholten Male von dieser Stelle ausführen: Es trifft nicht zu, daß der vorgelegte Entwurf die Dauer der lebenslangen Freiheitsstrafen auf das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe reduzieren würde. Denn der zu 15 Jahren verurteilte Straftäter muß entlassen werden, es mag die Prognose für ihn so schlecht sein, daß es schlechter überhaupt nicht geht. Er muß nach Ablauf von 15 Jahren entlassen werden, weil seine Strafzeit eben abgelaufen ist, wohingegen der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte nach Ablauf von
15 Jahren, nach vorheriger genauer Prüfung, erstmals überhaupt die Chance bekommt, in den Genuß der Strafaussetzung zu Bewährung zu kommen. Diesen Unterschied hier so einzuebnen, erscheint mir nicht ganz redlich und beachtet nicht den grundlegenden Unterschied, den wir hier vorfinden.
Im übrigen, Herr Kollege, weil Sie erneut 20 Jahre angesprochen haben: Das ist doch völlig übersetzt. Denn - ich habe das ja bereits in der zweiten Lesung in der letzten Legislaturperiode kurz ausgeführt -: Die durchschnittliche Verbüßungsdauer ist heute in der Bundesrepublik nach Umfrage bei den Landesjustizministern 17,8 Jahre. Ginge man jetzt auf eine Mindestverbüßungsdauer von 20 Jahren, was würde passieren? Die Gnade der Ministerpräsidenten der Länder würde das überholen, wofür wir uns hier so viel Arbeit machen.
({1})
Dann könnten wir - dem Bundesverfassungsgericht nur pro forma Rechnung tragend, dem wir im übrigen in seinem Votum nicht folgen würden - uns diese Arbeit hier gleich schenken.
Ich habe von Anfang an die Meinung vertreten, daß viel wichtiger als 14 Jahre, 15 Jahre oder
16 Jahre eine sachgerechte, der Schutzfunktion unserer Rechtsordnung Rechnung tragende und das Vertrauen des Bürgers in diese Rechtsordnung stärkende Prognoseklausel ist. Das ist meines Erachtens das Entscheidene. Denn wer könnte, wessen Vorstellungen nicht allein an Vergeltung orientiert sind, denn etwas dagegen haben, daß der Mörder von ehedem nach früherer oder längerer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt wird, wenn er resozialisiert ist und wenn von ihm keine Gefahr mehr für seine Mitbürger ausgeht? Aber ob er resozialisiert ist, ob noch eine Gefahr von ihm ausgeht, das interessiert die Bürger, das wird diskutiert. Das wird von den Bürgern draußen und von der Rechtsgemeinschaft häufig auch viel differenzierter empfunden und gesehen, als es vielleicht den Anschein haben mag, wenn man die manchmal vordergründigen oder auch abstoßenden Stammtischgespräche verfolgt oder manche Leserbriefe zur Kenntnis nehmen muß.
({2})
Nun: Wenn die Mindestverbüßungsdauer nicht, die Prognoseklausel aber wohl das Kernproblem ist, dann müssen wir uns einmal mit den Vorschlägen
auseinandersetzen, die da gemacht worden sind. Das war ja eine ganze Flut von Vorschlägen, auf die ich hier jetzt nicht mehr alle eingehen kann. Daher beschränke ich mich jetzt einmal auf eine kurze Strukturierung. Da hat die Bundesregierung die für die zeitige Freiheitsstrafe festgeschriebene Prognoseklausel übernommen. Die Opposition und der Bundesrat - Sie haben hier soeben etwas andere Akzente gesetzt, Herr Dr. Götz - verlangen die Gewährleistung. Nun wissen wir: Das ist in der Tat eine zu hohe Schwelle. Wer Gewährleistung verlangt, der garantiert, der - ins Zivilrechtliche übersetzt - bürgt. Wer Verantwortung für Gewährleistung übernimmt, muß in der Konsequenz im Grunde bereit sein, mit so einem Entlassenen - ungeschützt und ohne abgesperrtes Zimmer - unter einem Dach zusammenzuleben. Das ist im Grunde die Konsequenz; sonst kann er die Verantwortung für Gewährleistung - als Sachverständiger und dann später als Richter - überhaupt nicht übernehmen.
Aber wir haben bei all diesen Vorschlägen eine andere Problematik, die ich doch noch einmal deutlich hervorheben will: daß nämlich in allen diesen Prognoseklauseln zwischen den verschiedenen möglichen Delikten, die ein Straftäter nach der Strafentlassung begehen könnte, nicht deutlich unterschieden wird. Ich kenne die Argumentation der Bundesregierung. Ich stimme ihr auch insoweit zu: Wenn die Entlassung eines Lebenslänglichen ansteht, wird sich das Gericht natürlich keine breiten Gedanken darüber machen müssen, ob der Täter vielleicht künftig in der U-Bahn ständig als Schwarzfahrer auftreten könnte. Ganz massiv aber wird das Maß der Verantwortung auf dem entscheidenden Gericht bei der Beurteilung der Frage ruhen, ob ein solcher ehemaliger Täter auch als künftiger Täter etwa bei einem Tötungsdelikt in Frage kommen könnte.
Ich bin trotzdem der Meinung, daß man hier nicht alles in einen Topf werfen sollte und man dies auch in der Formulierung im Gesetzestext selbst entsprechend zum Ausdruck bringen sollte. Insofern ist der Vorschlag des Deutschen Richterbundes interessant, dem sich interessanterweise dann auch der Verband der Strafvollzugsbeamten angeschlossen hat. Ich habe versucht, die dort vorhandenen Mängel etwas zu glätten und meinerseits in der letzten Legislaturperiode einen Vorschlag gemacht, wonach der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden soll, wenn nicht zu befürchten ist, daß die durch die Tat angezeigte Gefährlichkeit fortbesteht, und auch sonst verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
({3})
Nun hatten sich - und ich erinnere mich sehr wohl an diese Besprechung - alle drei Fraktionen dieses Hauses auf diesen Entwurf verständigt.
({4})
- Es ist nicht so gekommen - ich werde gleich darauf zurückkommen, Herr Kollege Hartmann -, weil Sie auf der Mindestverbüßungsdauer von 20 Jahren beharrten und daraufhin die Koalition, als Gesamtheit genommen, nicht mehr bereit war, in jenem anderen Punkt der Prognoseklausel entgegenzukommen.
Nun haben vielleicht auch Sie mit großem Interesse gelesen, was zwei Bürger aus Bonn und Umgebung uns in diesen Tagen geschrieben haben. Sie betreuen seit längerer Zeit einen Lebenslänglichen, der seit 16 Jahren in einer Strafanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen einsitzt. Sie arbeiten mit ihm, sie fördern seine Resozialisierung. Sie haben uns geschrieben, wie sie die Dinge sehen. Am Schluß dieses Briefes findet sich ein interessanter Satz. Dort ist nämlich zu lesen:
Endlich sollte man auch berücksichtigen, daß für die Gefangenen ein Kompromiß zwischen Bundestag und Bundesrat besser ist als ein günstiger Gesetzesvorschlag, der erst in einigen Jahren vielleicht Gesetz wird.
({5})
Ich meine, vielleicht kann uns auch dieser Brief einmal an unsere Aufgabe erinnern, künftig weit stärker als bisher Kompromißmöglichkeiten schon bei der Ausschußberatung auszuschöpfen. Unser Vermittlungsausschuß ist j a ein höchst wichtiges Instrument, eine Einrichtung, auf die überhaupt nicht verzichtet werden kann, die in ihrer Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden kann. Aber kann es richtig sein, daß wir ohne Not und manchmal in einer trotzigen Unbeweglichkeit ein gut Teil der Arbeit, die wir eigentlich selbst leisten könnten, diesem Vermittlungsausschuß aufhalsen?
({6})
- Herr Kollege, ich spreche zu denen, die es angeht.
({7})
- Ich meine ganz sicherlich auch mich selbst, selbstverständlich, Herr Kollege Erhard. Ich meine, wir handeln manchmal nach dem Motto: Der Vermittlungsausschuß wird's schon richten. Wenn er es dann zusammengebracht hat, wird von den Kollegen hinter vorgehaltener Hand über so manche Formulierung gemosert, zu der sie anschließend im Plenum nur noch ja oder nein sagen können. Ich meine, wir sollten auch immer sehen, daß beim soundsovielten Tagesordnungspunkt, wenn Mitternacht heranedämmert ist oder man sich bereits im nächsten Tage befindet, die Leistungsfähigkeit der ehrenwerten Mitglieder des Vermittlungsausschusses auch auf Grenzen stößt. Deswegen, meine ich, sollten wir - und diese Bemerkung halte ich für notwendig zu Beginn einer Legislaturperiode - deutlich sehen, daß wir uns selbst nicht der Verantwortung begeben, sondern viel stärker, als wir dies in der Vergangenheit getan haben, darum ringen sollten, selbst Kompromisse im Ausschuß zustande zu bringen, wo immer es geht.
({8})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/22 an den Rechtsausschuß zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 9/23 Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Linde.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer rechtspolitischen Beratung. Sie hat mancherlei bemerkenswerte Töne gebracht und unter anderem die Erkenntnis, daß die Rechtsordnung ohne ein gewisses Maß von Gemeinsamkeit kaum aufrechtzuerhalten ist.
Herr Kollege Erhard, ich habe nun zu einem Gesetz zu sprechen, wo ich sehr gespannt bin, welche Begründung dagegen von Ihrer Seite wohl vorgebracht werden könnte, weil es hier nicht darum geht, ein Gesetz neu einzuführen oder zu verändern, sondern darum, daß ein Gesetzentwurf zwei Vorschriften unseres Strafgesetzbuches schlicht zur Streichung vorschlägt.
({0})
- Dies haben wir schon zusammen mit dem Kollegen Hartmann hier eingehend diskutiert. Ich freue mich, daß ein neuer Kollege, Herr Dr. Götz, nun auch ein paar andere Argumente in die Diskussion einbringt, Herr Erhard.
({1})
Bloß das, was Sie, Herr Kollege Götz, zum Neunzehnten Strafrechtsänderungsgesetz gesagt haben, ist natürlich eine Argumentation, die Perspektiven eröffnet, wie sie - wenn ich das richtig überschaue
- in der elfjährigen Geschichte der sozialliberalen Koalition eigentlich schon überwunden waren. Ich hoffe, daß wir nicht wieder bei strafrechtlichen Vorstellungen anfangen müssen, die wir etwas zu reformieren - in Gemeinsamkeit - versucht haben.
({2})
Aber nun zu diesem Zwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetz. Ich brauche nicht das zu wiederholen, was im Juni hier von mir, aber auch von anderer Seite, vorgetragen worden ist und was dann im Bundesrat letzten Endes beerdigt wurde. Unsere Überzeugung ist es - und das kommt auch in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck -, daß Eingriffe des Staates mit strafrechtlichen Mitteln eben nur dort wirklich sinnvoll und angezeigt sind, wo der Schutz von Rechtsgütern diesen stärksten hoheitlichen Eingriff erfordert.
({3})
Diese Voraussetzungen sind nach unserer Überzeugung weder bei der Gewaltbefürwortung - § 88 a
- noch bei der Anleitung zur Gewalt - § 130 a - gegeben.
Ich darf an den ausgeschiedenen Kollegen Dürr erinnern, der schon 1976 bei der Einführung von einer gesetzgeberischen Investitionsruine gesprochen hat. Wir sind frei und offen genug - und unsere Rechtsordnung erfordert das auch -, daß wir solche Investitionsruinen dann schließlich ganz zum Einsturz bringen, um unserer Rechtsordnung willen.
Lassen Sie mich noch einmal daran erinnern, daß für uns die Antwort der Bundesregierung vom 17. Januar 1980 auf die Kleine Anfrage über den Erfolg der einzelnen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung maßgebend war. Hier gibt es eine klare und eindeutige Antwort - Herr Kollege Hartmann, wir haben uns mehrfach damit auseinandergesetzt -: § 88 a hat hur wenig gebracht, und § 130 a hat gar nichts gebracht.
({4})
- Es war vielleicht ein Thema mit Variationen - dies gebe ich durchaus zu -,
({5})
aber auch in anderen Ausschüssen, z. B. im Innenausschuß, Herr Erhard, gibt es durchaus die Möglichkeit, daß sich einmal jemand eines Besseren besinnt. Dies müssen nicht immer wir sein, das können auch einmal Sie sein.
({6})
- Vielen Dank, wir sollten vielleicht einmal Buch führen.
Lassen Sie mich kurz die vier Gründe nennen, die für uns maßgebend sind und die auch die weitere Diskussion bestimmen sollten.
Erstens. Strafrechtliche Unwerturteile laufen leer, wenn von 111 eingeleiteten Verfahren innerhalb von vier Jahren nur eines zur Verurteilung führt, nur zehn Hauptverfahren durchgeführt wurden und 100 Ermittlungsverfahren angezettelt worden sind, bei denen es gar nicht zum Hauptverfahren kam.
({7})
Zweitens. Nicht tagespolitische Opportunität, Herr Erhard, sondern die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Liberalität gebieten diese Aufhebung.
Drittens. Politisch ärgerlich - dies haben wir doch alle miteinander erfahren - waren eben die zahlreichen Ermittlungsverfahren, die nicht zu Verurteilungen geführt haben. Dann kommt mein Wort, das Sie, Herr Hartmann, ja damals aufgespießt haben, von dem negativen Symbolcharakter dieser Vorschrift und den Gefahren für die Meinungsfreiheit. Dieser negative Symbolcharakter hat mit diesen Vorschriften das bewirkt, was wir nicht wollen, nämlich mehr Schaden als Nutzen für das Ansehen unseres Strafrechts und das Ansehen unseres Staates.
Viertens. Meinungsfreiheit ist immer die Meinungsfreiheit des Andersdenkenden, auch wenn es schwerfällt, sich daran zu gewöhnen, selbst wenn - ich will dies ganz offen sagen - es hier peinliche Geschmacklosigkeiten oder gefährliche, manchmal auch nur unreife politische Gedanken gibt. Sie lassen sich aber strafrechtlich unseres Erachtens überhaupt nicht einfangen, sondern sie müssen an die Öffentlichkeit getragen werden und politisch oder gar pädagogisch - wie auch immer - beantwortet werden. Aber das Mittel des Strafrechts ist nicht geeignet, diese politische Auseinandersetzung so zu führen, wie der Ernst der geistigen Auseinandersetzung es gebietet.
Daß die Koalition bei den zu streichenden Vorschriften nun dem § 88 a - Befürwortung von Gewalt - noch den § 130 a - Anleitung zur Gewalt - hinzufügt,
({8})
hat, um dies vorwegzunehmen, in keiner Weise etwas mit Salami-Taktik, etwa beim Abbau der Terrorismus-Gesetzgebung, zu tun. Es hat gesetzessystematische und kriminalpolitische Gründe. Ich will das ausführen.
({9})
- Natürlich, bei uns hat jedwede Politik Koalitionsgründe, denn dies ist eine Politik aus einem Guß, die miteinander abgesprochen ist und die auch miteinander durchgeführt wird. - Aber hier überwiegen die gesetzessystematischen und die kriminalpolitischen Gründe.
Lassen Sie mich zunächst einmal daran erinnern - diejenigen, die das beraten haben, wissen das ganz genau; das war ich nämlich gar nicht; das waren Sie mit -, daß ein ganz enger Zusammenhang zwischen § 88 a und § 130 a bestand. Das ist zunächst einmal zusammengefügt und dann wieder getrennt worden.
({10})
Die Trennung von „Befürworten von" und „Anleitung zu Gewalt" ist sehr schwer. Der Bundesgerichtshof hat uns j a auch ins Stammbuch geschrieben, daß der systematische Zusammenhang hier nur sehr schwer zu erkennen ist. Nach Fortfall des § 88 a würde man sich j a überlegen können, ob der § 130 a vielleicht nachzubessern wäre, um ihn dogmatisch
klarer zu fassen. Doch dies verbietet sich kriminalpolitisch, weil § 130 a überhaupt keine praktische Bedeutung erlangt hat. Wenn ich sage „überhaupt", muß ich vorsichtig sein; „überhaupt" heißt: nach der Antwort der Bundesregierung. Da liegt ja ein bißchen Zeit dazwischen. Nach meinen Erkenntnissen gibt es inzwischen ein Urteil des Jugendschöffengerichts in Karlsruhe vom Mai. Dies war, wie ich es empfinde, ein ärgerliches Strafverfahren gegen eine 17jährige Schülerin aus Karlsruhe, die bei sich zu Hause 120 Exemplare einer Schülerkampfschrift namens „Zoff" - Nummer 3, wie hinzugefügt wurde - unter dem Bett aufbewahrte. Sie hatte davon drei Exemplare in Umlauf gebracht, und zwar zwei gar nicht auf eigenes Zutun; ein Exemplar hat sie tatsächlich weitergegeben. Dieses Exemplar ist dann zur Polizei gekommen. Darauf erfolgte eine Hausdurchsuchung mit einer anschließenden Beschlagnahme. Der Inhalt der Zeitschrift war der Klage über Schülerselbstmorde wegen schlechter Noten in Karlsruhe gewidmet. Geschrieben war dieses publizistische Machwerk in dem sattsam bekannten Wortradikalismus. Das Gericht hat erkannt - nur darauf kann ich mich stützen; ich kenne die Zeitschrift selber nicht -, daß in dieser Zeitschrift ein Poster enthalten war, in dem folgende Sätze standen, die dann zur Verurteilung geführt haben:
Macht kaputt, was euch kaputt macht! Nicht trauern und flennen, sondern Schulen verbrennen!
Hinzugefügt war eine konkrete Anleitung zur Herstellung sogenannter Molotowcocktails - Flasche, Benzin rein, Korken drauf und so ähnlich.
({11})
- Ganz genau!
({12})
Ich habe gesagt, ich möchte gern versuchen, rechtsdogmatisch zu begründen, warum § 130 a nicht nötig ist. Zum ersten Teil ist zunächst zu fragen, ob man wirklich strafrechtlich reagieren soll, nicht pädagogisch. Bei der pädagogischen Beurteilung bitte ich die Herren Rechtspolitiker - und das gilt auch für das Jugendschöffengericht -, das Elternhaus dieser jungen Straftäterin und ihre schulischen Schwierigkeiten mit in Rechnung zu stellen. Ich halte das Mittel des Strafrechts hier gegenüber der Pädagogik für nachrangig.
({13})
Aber will man justizpolitisch reagieren, so gibt es für den ersten Teil - Aufforderung zur Gewalttat ({14})
den § 111 des Strafgesetzbuchs, der die öffentliche Aufforderung zu Straftaten unter Strafe stellt. Wozu brauchen wir noch den § 130 a?
Für den zweiten Teil, den Molotowcocktail, gibt es § 53 Abs. 1 Nr. 5 des Waffengesetzes. Den hat das JuDr. Linde
gendschöffengericht Karlsruhe - das ist meine Überzeugung - einfach nicht erkannt. Wenn es ihn erkannt hätte, hätte es urteilen müssen, daß § 53 des Waffengesetzes dem § 130 a StGB als lex specialis vorgeht. Für diese Fälle brauchen wir den § 130 a nicht.
Damit keine Mißverständnisse entstehen, füge ich hinzu: Die Rezepte zum Bombenbasteln sind kriminalpolitisch nicht Leichtzunehmen. Aber für diese hat das Waffengesetz immer gegolten und wird das Waffengesetz immer weiter gelten, solange nicht neue Erkenntnisse vorliegen. Es bedarf also beider. Vorschriften nicht.
Wir sollten den vorliegenden erweiterten Gesetzentwurf im Rechtsausschuß schnell beraten, um uns dann alsbald den rechtspolitisch noch wichtigeren Dingen in der nötigen Gemeinsamkeit zuzuwenden. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zum zweiten Mal das Wort zu nehmen. Herr Dr. Linde, es wäre sehr schön, wenn wir uns alle hier unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesbereinigung ans Werk begeben und zwei Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch streichen könnten. Auch ich habe meinen Wählern Gesetzesbereinigung versprochen. Aber es wäre der falsche Ansatzpunkt, zwei Paragraphen zu streichen, die zwar nach Ihrer Meinung nicht mehr notwendig sind, aber nach unserer Ansicht dringend erforderlich sind, um in unserem Staat den dadurch abgedeckten Teil der inneren Sicherheit aufrechtzuerhalten.
Es ist in diesem Zusammenhang ganz interessant, einmal die Entwicklungsgeschichte dieser beiden Paragraphen - 88 a und 130 a - zu sehen. Ich meine das nicht formal. Wir wissen, daß sie denselben Schicksalsgang hatten wie die Vorschrift, die wir beim Entwurf eines Neunzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes erörtert haben - jedenfalls materiell an Hand der Aussagen, die uns insbesondere von der Bundesregierung in der 8. Wahlperiode geliefert worden sind. Ich habe mir die - fast muß ich sagen - Freude gemacht, die folgenden Zitate zusammenzustellen.
Denn bei dem, was da von Bundesministern der sozialliberalen Koalition in der 8. Wahlperiode gesagt wurde, hätte ich in der 8. Wahlperiode vielleicht gern auf dieser Seite gesessen;
({0})
denn da wurde sehr viel Richtiges gesagt. Warum
das heute allerdings nicht mehr richtig sein soll, ist
mir absolut schleierhaft, da keine neuen Erkenntnisse gesammelt werden konnten.
({1})
- Das mag sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich schon vor zwei Stunden davor gefürchtet hat. Im übrigen weiß er j a hoffentlich noch, was er vor einigen Jahren dazu gesagt hat.
({2})
Aber ich will gar nicht mit Herrn Vogel anfangen, sondern mit der Gesetzesbegründung zu § 88 a, der damals von allen Fraktionen getragen wurde. In der Gesetzesbegründung hieß es damals:
Der Grund der Vorschrift liegt in der Gefährdung der Allgemeinheit durch die Schaffung eines psychischen Klimas, in dem schwere Gewalttaten gedeihen und nachgeahmt werden.
Jetzt der Herr Vogel:
Der Sinn des Gesetzes ist, die Vergiftung der Atmosphäre, die auch in unserem Land durch die Befürwortung von schweren Gewalttaten eingetreten ist, einzudämmen und ihr einen Riegel vorzuschieben. Wir haben die Erfahrung, daß der Befürwortung etwa von Morden an Polizeibeamten und auch von Morden an Politikern dann durch dieses Klima auch die Tat folgt. Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden.
Das ist eine Erkenntnis, die sicherlich nicht nur zeitbezogen gewesen sein kann. Denn das Klima - wann immer es entsteht - muß j a wohl die gleichen Konsequenzen, die gleichen Folgen haben.
Noch am 9. Mai 1979 hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz im Bundestag auf die Frage der Abgeordneten Matthäus-Maier nach den Erkenntnissen der Bundesregierung über die Erfahrungen nach Einführung des § 88 a folgende Antwort gegeben:
Bisher haben sich keine Erkenntnisse ergeben, nach denen die Vorschrift gestrichen werden sollte.
Und:
Bisher liegen keine Erkenntnisse vor, die anders lauten als die, die damals galten, als die Vorschrift eingeführt wurde.
Weiter:
Ich kann nicht sehen, daß die Meinungsfreiheit
- die ja auch hier merkwürdigerweise gar nicht so sehr angesprochen wurde durch diese Vorschrift beeinträchtigt worden sei.
Schließlich - das finde ich ganz wesentlich, und es ist auch ein Grund, weshalb ich mich hier für die Beibehaltung der Vorschrift ausspreche -:
Der Wert einer Vorschrift liegt auch darin, daß
sie eine gewisse Abschreckungswirkung hat.
Von Zeit zu Zeit ist das daran ersichtlich, daß entsprechende Delikte abnehmen.
Ich würde sagen: Sehr richtig, Herr Minister.
Sie, Herr Dr. Linde, führen j a das Abnehmen der Delikte oder das Nichtvorhandensein von Delikten in erster Linie als Argument dafür an, daß man die Vorschrift nicht mehr braucht. Nun, dann müßte man natürlich - es kam vorhin schon mal der Zwischenruf - auch andere Paragraphen abschaffen, z. B. den Paragraphen des Völkermords; denn Gott sei Dank ist Völkermord nicht vorgekommen. Aber keiner von uns hier im Hause wird doch dafür stimmen, daß der Paragraph des Völkermords - und auch noch einige andere Paragraphen bei denen es ebenfalls keine Delikte gab - abgeschafft wird. Also: dieses Argument brauchen wir doch, glaube ich, in diesem Haus nicht zu erörtern.
Außerdem ist mir an dieser Stelle auch unverständlich, weshalb genau zum derzeitigen Zeitpunkt die Frage der Abschaffung des § 88 a diskutiert wird, nämlich zu einem Zeitpunkt, in dem wir sicherlich nicht behaupten können, daß die Situation in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der inneren Sicherheit wesentlich entschärft sei. Noch vor wenigen Wochen: Brandanschlag auf das Kreiswehrersatzamt München. Ich glaube nicht, daß er ein Zeichen dafür war, daß nun die große Beruhigung eingetreten ist. Ich meine - das geht aus der juristischen Praxis wie auch aus den Erfahrungen der Polizei hervor -, daß noch Gewaltakte befürchtet werden müssen. Ich möchte das jetzt hier coram publico nicht ausbreiten. Aber uns sind diese Erfahrungsberichte der Polizei sehr wohl bekannt. Ich meine nicht, daß wir hier leichthin darüber hinweggehen und sagen sollten, es könnten Paragraphen abgeschafft werden; denn diese sind vielleicht geeignet, solche Delikte im Vorfeld zu bekämpfen.
Die nunmehr von der SPD und der FDP vorgetragenen Argumente können insofern die Streichung der Bestimmung meines Erachtens nicht rechtfertigen.
Ich möchte mich zu § 88 a relativ kurzfassen. Denn hier sind ja die Argumente im wesentlichen bereits in der vergangenen Legislaturperiode ausgetauscht worden.
({3})
Die Streichung des § 130 a kommt nun so klamm und heimlich - das Wort möchte ich hier gar nicht in dem Zusammenhang erwähnen, es paßt eigentlich nur - ({4})
- Nein, das ist kein heimlicher Ort. Aber „klamm und heimlich" möchte ich in diesem Zusammenhang nicht bringen. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das Wort auch irgendwie geläufig ist.
§ 130 a wird in diesem Zusammenhang in den neuen Entwurf mit hineingemogelt. Wir haben natürlich schon festgestellt: Wenn da einer behauptet, daß hier koalitionspolitische Gesichtspunkte nicht Vorrang gehabt hätten - das haben sie Gott sei
Dank nicht behauptet -, dann kann ich Ihre Minister und Ihre Sprecher in der 8. Legislaturperiode, meine Herren von der SPD, nicht verstehen, die nämlich genau den 130 a als einen der wichtigsten Paragraphen bezeichnet haben. Das kann doch nicht innerhalb von wenigen Wochen nach der Bundestagswahl anders geworden sein. Ich werde Ihnen Gott sei Dank beweisen können - ({5})
- Herr Linde, ich habe j a nicht Sie zitiert. Ich weiß nicht, welche Bedeutung Sie im letzten Bundestag gehabt haben. Ich habe Sie nicht zitiert, weil ich keine Äußerung von Ihnen gefunden habe.
({6})
Aber ich habe natürlich andere gefunden. Ich darf insbesondere die Bundesregierung - ich will gar keinen Namen nennen - zitieren. Sie hat ebenfalls auf die schon zitierte Anfrage der SPD und der FDP betreffend die Auswirkungen der gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zur Antwort gegeben - das war am 17. Januar 1980, es ist also noch nicht lange her -, daß ihr keine Strafverfahren und Verurteilungen nach § 130 a bekanntgeworden seien. Herr Linde, Sie haben das heute wiederholt. Ich finde es sehr, sehr nachlässig, die Recherchen so zu betreiben, wie das offensichtlich geschehen ist.
Ich habe mir als neuer Abgeordneter die Mühe gemacht, auch zu recherchieren. Ich habe festgestellt, daß nach § 130 a sehr wohl bestraft worden ist, und zwar im Jahr 1979 allein viermal. Ich hoffe, daß ein Vertreter des Justizministeriums anwesend ist. Ich zitiere aus der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes. Ich nehme doch an, daß auch das Justizministerium über diese Verfolgungsstatistik verfügt. Selbst wenn ich Ihrer Argumentation folgen und sagen würde - was ich j a nicht tue -, wenn keine Delikte vorkommen, können wir den Paragraphen abschaffen, käme ich dennoch nicht zur Streichung des § 130 a, weil eben tatsächlich Delikte dieser Art bestraft worden sind. Ich bitte Sie, sich demnächst etwas besser zu informieren, damit solche Dinge nicht noch einmal vorkommen.
({7})
Aber unabhängig von der Zahl der Delikte nach § 130 a hat die Vorschrift ja eine ganz wesentliche präventive Wirkung gehabt. Ich glaube, das ist überhaupt nicht zu leugnen. Diese präventive Wirkung darf nicht unterschätzt werden. Wer die Flut der schriftlichen Erzeugnisse der 60er und 70er Jahre zur Anleitung von Straftaten zur Kenntnis genommen hat, muß jetzt feststellen, daß es wesentlich weniger geworden sind. Ich bezweifle, daß die Produktivität, die Kreativität - oder wie man das sonst nennen mag - dieser „Schriftsteller" - wenn man sie einmal so bezeichnen soll - nachgelassen hat, sondern ich kann mir sehr wohl vorstellen - einen unmittelbaren Beweis dafür wird man selbstverständlich nicht antreten können -, daß der präventive Charakter einer Vorschrift gelegentlich die Wirkung hat - um noch einmal Herrn Bundesjustizminister Vogel zu zitieren -, daß Delikte nicht mehr oder nur
noch in geringer Zahl begangen werden. Die abschreckende Wirkung des § 130a hat eben dazu geführt, daß Delikte dieser Art in größerer Zahl nicht mehr vorgekommen sind. Dann lassen wir diesen Paragraphen doch im Strafgesetzbuch stehen! Seien wir doch froh, wenn es nicht oder kaum zu Bestrafungen gekommen ist, sondern wenn die Täter bereits im Vorfeld ihres Tuns an der Begehung des Delikts gehindert worden sind! Das ist doch die Hauptaufgabe des Strafrechts.
Ich kann dem damaligen rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Emmerlich, beipflichten, der noch am 27. März. 1980 in einer Presseerklärung formuliert hat:
Für eine Streichung des § 130a StGB besteht keine Veranlassung. Es ist und bleibt unerträglich,
- sehr schön, richtig gesagt daß jemand öffentlich in Schrift, Bild und Ton anderen straflos Anleitungen zur Begehung schwerster Straftaten geben darf.
Und dann weiter:
Die bloße Existenz dieser Vorschrift hat dazu geführt, daß es niemand mehr riskiert, öffentliche Anleitungen für die Begehung von schweren Straftaten zu geben.
Ich danke Herrn Emmerlich dafür, daß er auch unsere Auffassung vertritt. Ich hoffe, daß er das auch heute noch tut.
({8})
- Vertritt er sie heute nicht mehr? Das ist sein Problem.
Ich habe den Eindruck - das ist die Erkenntnis, die man aus dieser Debatte mitnehmen muß; ich habe das schon gesagt und darf damit schließen -, daß die SPD, die zunächst einen richtigen Standpunkt eingenommen hat, wahrscheinlich unter dem Druck der koalitionspolitisch notwendigen Vereinbarungen einen Teilbereich unserer inneren Sicherheit geopfert hat. Sie müssen das mit sich abmachen, Sie müssen der Bevölkerung draußen erklären, warum das so geschehen ist. Gott sei Dank ist das nicht unser Problem. Ich kann allerdings für die CDU und CSU erklären, daß wir dieses Spiel Gott sei Dank nicht mitzumachen brauchen.
({9})
- Erstens freue ich mich darüber, Herr Kollege Wehner, daß Sie mir Ihren ersten Zwischenruf gönnen;
({10})
denn man hat mir gesagt, wenn das der Fall sei, habe einer gut gesprochen. Zweitens gebe ich Ihnen zur Antwort: weil ich dieses Wort gerne gebrauche. Ich bin Christ,
({11})
ich glaube an Gott, und ich danke Gott des öfteren.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sir mir dennoch, daß ich feststelle: Die CDU/CSU wird der Streichung dieser Vorschriften nicht zustimmen. Darüber brauchen wir nicht lange mit uns diskutieren zu lassen. Das kann ich Ihnen jetzt schon verbindlich sagen. - Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bergerowski.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ziehen heute die Konsequenz aus einem Erfahrungsbericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Das ist der Ausgangspunkt' der Entscheidung, die mit dem Gesetzentwurf verbunden ist, der heute von den Koalitionsparteien vorgelegt wird. Dieser Bericht hat - das ist ja die letzte Bekundung zu diesem ganzen Themenkreis - bezüglich der Vorschriften in den §§ 88a und 130a dargelegt, daß „nicht nennenswert" etwas ausgerichtet wurde bzw. daß die Vorschrift bei der Bekämpfung der Gewaltkriminalität „keine Bedeutung" erlangt habe.
Dieser Bericht wurde erstattet, nachdem zuvor eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen gelaufen sind. Der Herr Kollege Götz hat auch daraus berichtet. Er hat in der Tat abweichende Positionen dargestellt. Wir meinen, das ist das Ergebnis einer überhaupt erst durch Initiativen und Anstöße - auch durch die Kleine Anfrage - notwendig und möglich gewordenen Untersuchung. Das ist der Aufhänger für uns, zu sagen: Wir sehen jetzt, daß eine Entscheidung möglich ist.
Damit ist eingetreten, was viele schon bei der Einführung der §§ 88 a und 130 a gemeint und befürchtet haben, nämlich daß dies unnütze und auch unwirksame Vorschriften sind. Wenn man, wie ich das als Neuling hier im Hause tun mußte, die Akten nachblättert, spürt man, daß weitverbreitet bei der Fraktion der SPD, vor allem aber bei den Liberalen von vornherein Zweifel und Bedenken gegenüber dem Sinn dieser Vorschriften bestanden.
({0})
Diese Bedenken wurden aber nachher zurückgestellt, und zwar, wie ich meine, weil es damals darum ging - man kann das alles überhaupt nur aus der Situation des Jahres 1974/75 heraus verstehen -, in dieser schwierigen Lage überhaupt gesetzliche Regelungen zu treffen und dabei das Paket der Terroristengesetzgebung so zu schnüren, daß die Liberalität keinen allzu großen Schaden nahm.
Ich finde, daß es eines Gesetzgebers würdig ist, wenn er - ohne daß wir uns heute, so meine ich, groß vorhalten sollten, was wer zu welchem Zeitpunkt gedacht hat - hinsteht und sagt: Wir wollen ein Gesetz das wir irgendwann beschlossen haben, daraufhin überprüfen, ob es so wirksam war, wie wir uns das vorgestellt haben,
({1})
ob das Gesetz das gebracht hat, was wir wollten, ob es heute noch notwendig ist. Gesetze zu überprüfen, ist eigentlich eine ganz noble und von einem Gesetzgeber stets zu beherzigende Aufgabe.
Ich meine, wir sollten das jetzt tun. Es ist unsere Einschätzung - ich habe das zu Beginn schon gesagt -, daß die Erwartungen, die an dieses Gesetz geknüpft wurden, nicht erfüllt wurden und daß die Terrorismusbekämpfung durch dieses Gesetz nicht befördert wurde. Dieses Gesetz hat jedenfalls der Terrorismusbekämpfung nicht über das hinaus gedient, was wir ohnehin schon im Gesetz stehen haben, um solche Fälle, wie wir sie hier diskutieren, überhaupt anzugehen. Ich bin deswegen Herrn Dr. Linde sehr dankbar, daß er einmal detailliert dargestellt hat, wie im konkreten Fall das Zusammenspiel zwischen den §§ 88a und 130a auf der einen Seite und den anderen vielfältigen Gesetzen, die alle dazu dienen, bereits im Vorfeld der Tat Strafbares festzulegen, auf der anderen Seite aussieht. Die Lücke, die der Gesetzgeber ursprünglich angenommen hat und die damals geschlossen werden sollte, ist nach unserer Einschätzung so eigentlich überhaupt nicht vorhanden.
Zum einen kann man das mit der Zahl der Fälle begründen. Dies klang schon an, und ich will es gar nicht wiederholen, weil es in den vorangegangenen Debatten schon getan wurde. Die Zahl der Ermittlungsverfahren, die kleine Zahl der Fälle, wo es zur Erhebung der Anklage kam, und der noch geringere Anteil rechtskräftiger Verurteilungen sind ein Indiz dafür. Es gibt nach meinen Feststellungen - ich habe dies aus einer Information der eigenen Fraktion übernommen - nur dieses eine uns bekannte Karlsruher Urteil. Wenn es anders ist, müssen wir uns einmal damit beschäftigen, soweit es um § 130 a geht.
Ich will noch einmal deutlich sagen, daß die Streichung nicht bedeutet, daß strafwürdige Handlungen im Vorfeld der Anwendung von Gewalt nicht strafbar bleiben. Die große Zahl anderer einschlägiger Vorschriften wurde auch schon bei der Gesetzesfassung berücksichtigt. Damals hat man sehr wohl gesehen, daß es wahrscheinlich eigentlich gar keinen Bedarf gibt.
Aber nicht nur die geringe Zahl der Verurteilungen ist ein Argument, sondern auch die unverhältnismäßig hohe Zahl an Ermittlungsverfahren sowie die ganz beträchtlichen Unklarheiten, die in der Auslegung der Vorschrift aufgetreten sind, und die Beweisschwierigkeiten, die sich bei der Anwendung ergeben haben. Auch dies ist ein Argument für die Streichung. Wir haben j a nun aus den Ermittlungsverfahren jedenfalls eine Information: daß ein Großteil der verdächtig Gewordenen nicht überführt werden kann. Es gibt ja eine kleine Arbeit, die einmal darstellt, wo die Beweisschwierigkeiten wirklich gelegen haben, nämlich etwa darin, daß die ohnehin in einer Subkultur des Verbreitens solcher Mitteilungen Arbeitenden genau zu verdecken wissen, wer denn der Autor einer Schrift ist. All dies sind Vorgänge, die uns zeigen, daß wir dann, wenn wir den Paragraphen bestehen lassen, mit ganz nachhaltigen Beweisschwierigkeiten zu kämpfen haben. Dies sollte man sehen. Von daher ist eigentlich die Umgehung das große Problem.
Die zahlreichen Durchsuchungen insbesondere bei den Buchläden haben nach unserer Einschätzung zu einer Verschlechterung des geistigen Klimas in diesem Lande geführt, sie haben Auswirkungen auf das kulturelle Leben gehabt, sie haben eine ganz erhebliche Verunsicherung bei Journalisten, bei Literaten, aber auch bei Verlagen und bei Händlern zur Folge gehabt. Das hat das bewirkt, was wir eigentlich als anderen Punkt der Auswirkung dieser Gesetzgebung sehen sollten.
Es mag sein, daß wir zu der einen oder der anderen Verurteilung kommen, aber die Folgewirkungen dieses Gesetzes sind so nachhaltig, daß wir abwägen müssen, ob wir denn eigentlich wirklich wollen, daß das geistige Klima in diesem Lande etwa durch auffällige und überzogene Zugriffe auf Buchhandlungen leidet.
({2})
Der Herr Kollege Hartmann hat in einer früheren Rede davon gesprochen, es handele sich hier um eine Demontage des inneren Friedens. Wenn ich das feststellen könnte, würde ich das schon sehr ernst nehmen, aber ich sehe es eben gerade anders. Ich glaube, daß die Auseinandersetzung gerade um diese beiden Paragraphen bei vielen Leuten die Vorstellung verbreitet hat, eine kritische Auseinandersetzung sei nicht mehr möglich, die freie Meinungsäußerung sei behindert. Das mag ja falsch sein; wir brauchen uns noch nicht einmal darauf einzulassen, daß das wirklich so ist. Es ist sicherlich nicht der Fall. Aber es ist auf diese Art und Weise zu dem gekommen, was in diesem Hause schon einmal das Negativsymbol für die Einschränkung der Meinungsfreiheit genannt wurde, und diese Entwicklung hat jedenfalls von uns niemand gewollt.
Ich meine, wenn wir über die Abschaffung der Paragraphen entscheiden, sollten wir an diesen Punkt denken. Wir brauchen ein geistiges Klima für den Dialog mit weiten Teilen unserer Jugend. Wir haben diesen Dialog derzeit nicht nur aus diesen Gründen nicht mehr zustande gebracht. Da gibt es - nicht daß da ein falscher Eindruck entsteht - viele Gründe. Aber auch dies ist einer der Gründe, der uns daran hindert, mit Teilen der Jugend einen vernünftigen Dialog zu führen. Wir haben uns unsere Position hier selbst erschwert.
Diese Demokratie aber lebt davon, daß wir offene und kritische Auseindersetzungen führen können. Wenn es uns gelingt, das Klima durch einen solchen Beschluß, wie wir ihn hier nach Beratungen fassen müssen, wieder zu verbessern, ist das nach meiner Einschätzung ein wesentlicher Beitrag für den inneren Frieden und stärkt diesen inneren Frieden, von dem vorhin die Rede war.
Wir haben die Ansatzpunkte, die ich in meiner Rede gegeneinandergestellt habe, auch gegeneinander abgewogen. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß es heute Gründe genug gibt, die §§ 88 a und 130 a abzuschaffen. Deshalb haben wir heute zusammen mit
der SPD-Fraktion diesen Gesetzentwurf vorgelegt. - Danke schön.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 9/23 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend - zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. August 1963 zur Errichtung der Afrikanischen Entwicklungsbank
- Drucksache 9/20 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0}) Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wünscht die Bundesregierung zur Einbringung das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler ({1}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf darf ich namens der CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir bereit sind, zu diesem Vorhaben positiv Stellung zu nehmen. Dabei leiten uns zuvörderst zwei Überlegungen:
Erstens ist die Afrikanische Entwicklungsbank, um die es hier geht, in dem Kontinent tätig, in dem die größte Anzahl der am wenigsten entwickelten Länder beheimatet ist, also, wenn ich so sagen darf, in dem ärmsten Kontinent, der unserer entwicklungspolitischen Hilfe und Zusammenarbeit in besonderem Maße bedarf. Zum anderen ist unsere positive Haltung von daher begründet, daß es in diesem Institut zu einer konkreten und unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern kommt, was wir für überaus begrüßenswert halten.
({0})
Die Notwendigkeit der verstärkten Hilfe und Zusammenarbeit im afrikanischen Kontinent wird im Jahresbericht der Afrikanischen Entwicklungsbank für 1979 in besonders nachdrücklicher Weise beschrieben. Sie erlauben, daß ich Ihnen das kurz vor Augen führe: Die Lage der meisten afrikanischen Staaten wird nach Kenntnis der Bank gekennzeichnet durch stagnierende, vielfach zurückgehende Industrieproduktion, durch den Niedergang des Bergbausektors und des Transportwesens, durch eine weithin dramatisch verschlechterte Zahlungsbilanzsituation, erhöhte Verschuldung, Einengung des finanziellen Spielraums zur Durchführung von Entwicklungsprogrammen und auch durch die Gefährdung der Nahrungsmittelversorgung.
Natürlich heben sich von diesem allgemein negativen Bild die öl- und gasproduzierenden Staaten Nigeria, Algerien und Libyen ab. Es läßt sich auch nicht übersehen, daß die Länder Tunesien, Kenia, Elfenbeinküste, Malawi, Kamerun und Niger wenigstens in Teilbereichen positive Entwicklungen zu verzeichnen haben. Trotzdem bleibt das erschrekkende Gesamtbild bestehen.
Der Bericht der Bank stellt vor diesem Hintergrund und der kritischen wirtschaftlichen Lage der meisten afrikanischen Länder die gegenwärtigen Entwicklungshilfeleistungen als unzureichend heraus. Ich erlaube mir, besonders darauf hinzuweisen, daß in diesem Zusammenhang festgestellt werden muß, daß die bilaterale und die multilaterale Entwicklungsfinanzierung durch die OPEC-Staaten zwischen 1975 und 1978 einen Rückgang um beinahe 50 % erlebt hat. Diese Tendenz hat auch 1979 noch angehalten.
Aus der geschilderten Situation wird in dem Bericht eine erhöhte Bedeutung und eine gesteigerte Verantwortung der Bankengruppe für die Entwicklung Afrikas abgeleitet. Es gibt für die Tätigkeit der Bank eine Reihe vordringlicher Notwendigkeiten, die identifiziert worden sind, nämlich die Notwendigkeit größerer Flexibilität bei der Festlegung der Darlehenskonditionen, vermehrte Mischfinanzierung herbeizuführen, großzügigere Finanzierung von Landeswährungskosten zu übernehmen, für einen schnelleren Mittelabfluß Sorge zu tragen, eine verbesserte Abstimmung mit bilateralen und multilateralen Gebern herbeizuführen, den Agrarsektor verstärkt zu fördern und technische Hilfe in höherem Maße einzusetzen. Ich denke, dem kann man tendenziell eigentlich nur zustimmen.
Mit dem Beitritt zur Afrikanischen Entwicklungsbank betonen wir unser Interesse an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der afrikanischen Staaten. Ich denke, daß unsere wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu den einzelnen Ländern der Region, aber auch zu der Region Afrika als Ganzer damit gestärkt werden. Damit kommt diesem Beitritt politische und wirtschaftliche Bedeutung von einigem Rang zu.
Schließlich geht es auch um nicht ganz unerhebliche Summen. Im Gesetzentwurf sind die Kosten so beziffert, daß in fünf gleichen Jahresraten - wahrscheinlich ab 1981 - als einzahlbares Grundkapital rund 106 Millionen DM von der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt werden müssen und daß zur Absicherung von Kreditaufnahmen Haftungskapital in Höhe von rund 318 Millionen DM gezeichnet werden muß. Bisher sind die Erfahrungen, was das Haftungskapital solcher Banken angeht, durchaus positiv. Hoffen wir, daß das auch hier so sein wird!
Die Beteiligung, sagte ich, der Bundesrepublik Deutschland an der Afrikanischen Entwicklungsbank verstärkt unsere bilaterale entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas, aber auch die von uns mitgetragenen Maßnahmen anderer internationaler Organisationen. Ich erin332
Dr. Köhler ({1})
nere an den Europäischen Entwicklungsfonds, die Europäische Investitionsbank, die Weltbank und zugehörige weitere Fonds.
Mit diesem Beitritt wird die deutsche Mitgliedschaft am Afrikanischen Entwicklungsfond ergänzt, dem die Bundesrepublik seit 1973 als Gründungsmitglied angehört und zu dem sie bisher Beiträge nach dem Stand des Vorjahres in Höhe von knapp 130 Millionen Dollar geleistet hat. Das uns hier vorliegende Übereinkommen entspricht in seinen wesentlichen Elementen weitgehend dem bewährten Weltbankabkommen. Um den afrikanischen Charakter der Bank zu erhalten, bleiben zwei Drittel der Anteile am Stammkapital in den Händen afrikanischer Staaten; auf alle nicht regionalen Mitglieder entfallen ein Drittel der Anteile des Stammkapitals.
Die Entwicklung der Afrikanischen Entwicklungsbank, die bis Ende .1978 768 Millionen US-Dollar ausgeliehen hatte, war bisher durch die Beschränkung der Mitgliedschaft auf die afrikanischen Staaten und damit durch begrenzte Finanzkraft gekennzeichnet. Die im Vergleich zu den anderen regionalen Entwicklungsbanken, der Asiatischen und der Interamerikanischen Entwicklungsbank, geringe Kapitalausstattung ließ eine volle Entfaltung der Geschäftsmöglichkeiten bisher offenbar nicht zu. Trotzdem hat sich die Afrikanische Entwicklungsbank einen durchaus achtbaren Ruf erwerben können, vor allem auch auf Grund ihrer großen Vertrautheit mit den regionalen Verhältnissen.
An dieser Stelle kann man natürlich zu der Frage kommen, inwieweit eine Bank dieser Art und überhaupt die regionalen Entwicklungsbanken in einem Konkurrenzverhältnis zur Weltbank stehen oder in ein solches geraten können. Tatsächlich ist dies hier und da durchaus der Fall. Ich möchte schon an dieser Stelle der Bundesregierung nahelegen, ihre Einflußposition in den Aufsichtsgremien sowohl der Weltbank als auch der regionalen Entwicklungsbank noch stärker als bisher zu nutzen, um ungute und unnütze Konkurrenzsituationen und Überschneidungen zu vermeiden. Ich fände es ausgesprochen gut, wenn die Bundesregierung über die Richtlinien ihrer Politik auf diesem Gebiet und den Effekt, den sie dabei erzielt, dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit häufiger als bisher Bericht erstatten könnte.
Im übrigen meine ich aber, daß eine solche konkurrierende Situation nicht das Schlechteste ist. Wir wissen auch sehr wohl, daß die Weltbankgruppe durchaus Schwierigkeiten hat, im afrikanischen Kontinent ausreichend gut fundierte Projekte zu finden, so daß sie nicht selten - dann in einer gewissen Konkurrenzsituation zur Interamerikanischen Entwicklungsbank - auf den lateinamerikanischen Subkontinent ausweicht, wo sich offenbar leichter, wenn ich so sagen darf, Umsatz machen läßt. Gerade in diesem Zusammenhang denke ich, daß uns die Verstärkung der Wirkungsmöglichkeiten der Afrikanischen Entwicklungsbank näher an dringend notwendige Projekte in Afrika heranführen könnte,
die trotz manchen guten Willens der Weltbank bisher nicht erreicht werden konnten.
Uns ist sehr wohl bekannt, daß die Afrikanische Entwicklungsbank auch zeitweise unter durchaus ernst zu nehmenden Managementproblemen gelitten hat. Ich hoffe sehr, daß dieser Sektor das besondere Interesse der Bundesregierung findet und daß man alles tut, um solchen Schwächen abzuhelfen.
Für die Eröffnung der Bank ist eine Ratifizierung durch so viele afrikanische Länder notwendig, daß durch diese mindestens 75% der Stimmenanteile aufgebracht werden. Soweit mir bekannt ist, ist nach dem jetzigen Ratifizierungsstand diese Quote noch nicht erreicht. Nach der Ratifikation durch Liberia, Madagaskar und Simbabwe, liegt man - wenn ich recht informiert bin - im Moment bei 37 Staaten und einem Anteil von knapp 63%.
Wir bitten die Bundesregierung, auf diplomatischem Wege nachdrücklich ihren Einfluß geltend zu machen, daß der Ratifizierungsprozeß bei den afrikanischen Staaten beschleunigt wird. Denn angesichts der Schilderung der Gesamtsituation in Afrika, die ich anfangs gab, kann man doch wohl nur sagen, daß jeder Monat, den diese Bank in ihrer neuen Ausstattung eher zur Wirkung kommen kann, von größtem Wert und größter Bedeutung ist. Mir scheint, Einwirkungsmöglichkeiten könnten besonders gegenüber Nigeria und Algerien bestehen; für Libyen wage ich das nicht in gleicher Weise anzunehmen, überlasse das aber gern dem Urteil der zuständigen Stellen der Regierung.
Die Geschäftstätigkeit der Bankengruppe, die da „Afrikanische Entwicklungsbank" heißt, insgesamt ist trotz mancher Einschränkung, die ich gemacht habe, durchaus beachtlich. 1979 hat die Gruppe 520 Millionen Dollar ausgeliehen, und der Zuwachs des Kreditvolumens im Vergleich zum Jahre 1978 lag immerhin bei 22,8 %. 53 % dieser genannten Summen waren Ausleihen der Bank, 43 % Ausleihen des Afrikanischen Entwicklungsfonds, und der Rest entfiel auf den Nigeria Trust Funds, der j a auch zu dieser Gruppe gehört. Zum Größenvergleich darf ich aber anmerken, daß diese Gruppierung damit 1979 nur etwa ein Viertel des Zusagevolumens der Interamerikanischen Entwicklungsbank und nur etwa 40 % des Volumens der Asiatischen Entwicklungsbank hat leisten können.
In einer Reihe von Fällen hat sich die Bankengruppe an Kofinanzierungen, vor allem mit arabischen Fonds und der Weltbank, beteiligt. Ich halte das im Prinzip für begrüßenswert, genauso wie ich den zunehmenden Anteil der Finanzierung von Projekten im ländlichen Raum bei der Bankengruppe für begrüßenswert halte, ebenso den verstärkten Einsatz technischer Hilfe.
Der Agrarsektor erhielt im Jahre 1979 immerhin 41,5 % aller zugesagten Kredite. Drei Jahre vorher waren es nur wenig mehr als 18 %. Das scheint mir tendenziell richtig zu sein. Dieser Anteil ist auch kontinuierlich gestiegen.
Die Bundesregierung wird, wie wir wissen, im Einverständnis mit der Afrikanischen Entwicklungsbank bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in
Dr. Köhler ({2})
einem Briefwechsel eine Reihe von Vorbehalten, vor allem in steuerlicher Hinsicht, machen, die als berechtigt erscheinen.
Dies alles werden wir im Detail im Ausschuß sorgfältig prüfen. Dabei darf ich für meine Fraktion die konstruktive Zusammenarbeit zusagen, die der Sache angemessen ist.
Entsprechend der Zielsetzung der Afrikanischen Entwicklungsbank ist auch in Zukunft mit Aufstokkungen des Stammkapitals zu rechnen. Allerdings ist die Bundesregierung nach Art. 6 des Übereinkommens nicht verpflichtet, sich an den Aufstockungen zu beteiligen. Damit ergibt sich für uns ein gewisser Handlungsspielraum, wobei ich meine, daß wir bei Bewährung und weiterem Erfolg dieser Bank unser Interesse und unsere Aufgeschlossenheit nicht versagen sollten.
Im Namen meiner Fraktion stimme ich dem Überweisungsvorschlag zu. - Ich bedanke mich.
({3})
Als nächster hat der Abgeordnete Bindig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während die Bundesrepublik Deutschland bei der Asiatischen Entwicklungsbank 1966 als Gründungsmitglied beteiligt gewesen ist und der Interamerikanischen Entwicklungsbank seit 1976 angehört, soll der Beitritt zur bereits 1963 errichteten Afrikanischen Entwicklungsbank - lassen Sie mich künftig vielleicht das Kürzel AfEB gebrauchen; das spart Zeit - zusammen mit 20 weiteren nichtregionalen Staaten erst jetzt, 17 Jahre nach der Errichtung der Bank, erfolgen. Die Afrikaner selbst haben diese Bank bisher ausschließlich mit regionalen - also afrikanischen - Staaten als Mitgliedern betrieben. Dabei hat auch die Überlegung eine Rolle gespielt, diese Bank vom Industrieländereinfluß freizuhalten, zumal ja die Regionalbanken in einer Reaktion auf die Weltbank mit ihrem starken US-Einfluß entstanden sind.
Die geringe Kapitalausstattung und die begrenzte Finanzkraft der ausschließlich afrikanischen Mitgliedstaaten haben die Entfaltung der Bank jedoch stark gehemmt. Da die Geschäftstätigkeit und vor allem das Kreditstanding der anderen regionalen Entwicklungsbanken durch die Beteiligung der Industrieländer mit hohen Haftungskapitalanteilen jedoch wesentlich günstiger als in der AfEB verliefen, hat der Gouverneursrat einer Änderung und Erweiterung des Gründungsübereinkommens zugestimmt, wonach jetzt auch nichtregionale Mitglieder, darunter die Bundesrepublik Deutschland, beitreten können. Dadurch wird es der Bank viel besser als bisher möglich werden, innerhalb und vor allem außerhalb Afrikas Mittel zur Finanzierung von wirtschaftlichen Entwicklungsprojekten zu mobilisieren.
Aus der Sicht der afrikanischen Länder wird diese Ausweitung der Möglichkeiten der Bank durch die Notwendigkeit „erkauft", die Bank auch außerafrikanischem Einfluß zu öffnen. In einigen Ländern hat es Widerstand gegen eine solche Öffnung der AfEB gegeben, der bis heute - ich denke an Libyen - nicht ganz ausgeräumt ist.
Das Ratifizierungsverfahren - das haben wir soeben gehört - läuft zur Zeit in den afrikanischen Ländern; wahrscheinlich wird die erforderliche Quote im nächsten Frühjahr erreicht werden.
Die nichtregionalen Staaten werden aber nicht nur die AfEB stärken und ihre Fähigkeit verbessern, in den afrikanischen Mitgliedsländern wirtschaftliche Entwicklungsprojekte zu finanzieren. In bezug auf die Bundesrepublik Deutschland kann man sagen, daß der Beitritt durchaus auch im Interesse der deutschen Wirtschaft liegt, denn die volle Mitgliedschaft erweitert die Möglichkeiten, sich an Lieferungen und Leistungen aus Projekten zu beteiligen, welche die Bank finanziert. Durch die Mitgliedschaft im Afrikanischen Entwicklungsfonds, dem regionalen Äquivalent zum IDA-Fonds der Weltbank, ist die deutsche Wirtschaft schon jetzt an den Ausschreibungen beteiligt. Einem Kapitalanteil von 11,6 % im Entwicklungsfonds steht ein Lieferanteil von 14,6 % gegenüber. Bei den Projekten der Bank hat die deutsche Wirtschaft bereits jetzt einen Lieferanteil von 7,9%. Diese dargelegten Zahlen können sicherlich auch einmal herangezogen werden, wenn über den „Opfergrad" der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gesprochen wird. Hier jedenfalls gibt es eine intensive Interessenverflechtung.
Lassen Sie mich den beabsichtigten Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Bankübereinkommen noch kurz unter dem Aspekt einiger Probleme betrachten, die wir hier öfter - manches Mal auch strittig - diskutiert haben.
Wir haben hier öfter erlebt, daß sich multilaterale Entwicklungszusammenarbeit - auch die AfEB ist eine Form dieses Bereichs - einem allgemeinen Bürokratievorwurf ausgesetzt sieht. Möglichen Bedenken gegen Bürokratismus kann entgegengehalten werden, daß die Entwicklungsbanken eine geschäftsmäßige Rechnung führen und sich ihre Verwaltungskosten aus der Spanne zwischen den Kreditaufnahmezinsen und den Kreditausleihekonditionen verdienen müssen. Die vorliegenden Erfahrungen zeigen, daß die Verwaltungskosten bei der AfEB ca. 3% der jährlichen Kreditzusagen ausmachen.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Bindig, obwohl Sie die Brücke schon fast gebaut haben, darf ich Sie bitten, noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß sich unsere Kritik am Verwaltungsaufwand im multilateralen Bereich ganz überwiegend auf Sonderorganisationen im UN-Bereich, nicht aber auf die internationalen Bankengruppen bezogen hat.
Ich meine aber trotzdem, daß es sehr sinnvoll ist, bestimmte Dinge, die sonst immer abstrakt diskutiert werden, einmal an einem konkre334 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - IO. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
ten Beispiel zu untersuchen und zu überprüfen. Und hier stellt sich die Lage eben anders dar.
({0})
Aus den Erfahrungen mit den beiden anderen regionalen Entwicklungsbanken zeigt sich, daß zur Erzielung einer qualifizierten Projektabwicklung schon einmal in Richtung auf eine gewisse Personalausweitung hingewirkt werden mußte, damit es nicht zu einem Bearbeitungsstau und dem sogenannten Dezember-Fieber in der Verwaltung kam.
Die gezeichneten Stimmrechtsanteile werden die Bundesrepublik Deutschland in die Lage versetzen, bereits in der ersten Wahlperiode einen der sechs nichtregionalen Direktoren zu stellen. Auch in den anderen Personalbereichen ist die Beteiligung nichtafrikanischen Personals ein Bestandteil der vereinbarten Beitrittsregelung. Wie zu erfahren war, wird es dabei allerdings weniger an der Beteiligungsmöglichkeit für deutsche Mitarbeiter mangeln als vielmehr an der deutschen Beteiligungsfähigkeit. Es gilt, qualifizierte Bankfachleute zu finden, die bereit sind, für die in diesen Institutionen erzielbaren Gehälter - selbst wenn mögliche deutsche Ausgleichszahlungen mit berücksichtigt werden - in Abidjan in die Zentrale oder in eine der Filialen einzutreten, um sich in der Bank eine Karriere zu erschließen.
An diesem besonderen Bereich multilateraler Zusammenarbeit kann man sehen, daß die hier wiederholt von der CDU/CSU vorgebrachte Forderung nach einer deutschen Personalbeteiligung in den Institutionen der multilateralen Zusammenarbeit, die möglichst bis auf die Stelle hinter dem Komma genau prozentual mit unseren Finanzbeiträgen übereinstimmen solle, auch Probleme der Personalbereitstellung schaffen kann.
Nun noch einige Ausführungen zu möglichen politischen Einwänden. Ein mögliches politisches Bedenken könnte sein, daß hier ein namhafter Betrag von rund 106 Millionen DM als Einzahlungskapital bei einem Haftungskapital von rund 424 Millionen DM für eine multilaterale Entwicklungsinstitution eingesetzt wird, womit diese Mittel in ihrer Letztverwendung nur noch mittelbarer deutscher Beeinflussung, nämlich einer Beeinflussung gemäß dem deutschen Anteil unterliegen. Könnten diese Mittel nicht besser und effektiver im Bereich der bilateralen Hilfe nach den von uns gewünschten Prioritäten - z. B. im Grundbedarfsbereich - und nach unseren Durchführungsmaßstäben und unter direkter parlamentarischer Kontrollmöglichkeit eingesetzt werden?
Einer solchen Argumentation ist entgegenzuhalten, daß in der Entwicklungsbank die regionalafrikanischen Staaten und die nicht regionalen Staaten auf partnerschaftlicher Ebene in gemeinsamer Verantwortung zusammenarbeiten. Die afrikanischen Staaten haben dabei einen gewichtigen Zweidrittelanteil. Die traditionelle Geber- und Nehmerposition, die, wenn auch nicht gewollt, oft Elemente eines Rangverhältnisses zwischen Ländern enthält, wird zu einem echten wirtschaftlichen Vertragsverhältnis der AfEB mit dem Kreditnehmer umgewandelt. Dieses stärkt die von uns gewollte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas.
Was eventuelle Bedenken hinsichtlich der wünschenswerten Schwerpunktsetzung der Bankenprojekte und der entwicklungspolitischen Vorbereitungs-, Beurteilungs-, Durchführungs- und Auswertungskapazität angeht, so können und müssen wir als Mitglieder der AfEB daran mitwirken, daß die Bank aus sich heraus hohe Qualifikationsmaßstäbe entwickelt und anwendet. Betrachtet man die Geschäftspolitik der Bank in den letzten Jahren, so kann man feststellen, daß es Umschichtungen zu und Schwerpunktsetzungen in auch von uns als wichtig angesehenen Entwicklungssektoren gibt. Es wurden dafür bereits Beispiele genannt. Ähnlich deutlich fällt die entsprechende Umschichtung im afrikanischen Entwicklungsfonds aus.
Ein weiterer möglicher politischer Einwand gegen eine Stärkung der multilateralen afrikanischen Entwicklungszusammenarbeit gegenüber einer feiner steuerbaren bilateralen Hilfe könnte daraus hergeleitet werden, daß die Bank allen afrikanischen Mitgliedsländern ihre Dienste zur Verfügung stellt, auch dann, wenn unter außenpolitischen Gesichts, punkten - z. B. Menschenrechtsgesichtspunkten - eine bilaterale Reserviertheit praktiziert werden könnte. Die AfEB wird eine streng wirtschaftliche und afrikanisch akzentuierte Geschäftspolitik betreiben.
Wer Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit ohne die Absicht der Schaffung von außenpolitischen Einflußzonen betreiben will, wird jedoch einen Wert darin sehen, wenn die Fähigkeit der afrikanischen Länder gestärkt wird, eigene Beiträge zu ihrer Entwicklung zu erbringen. Wenn es der Bank gelingt, im Sinne des in Artikel 1 des Obereinkommens genannten Zweckes zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum sozialen Fortschritt ihrer regionalen Mitglieder als Einzelstaaten und in ihrer Gesamtheit beizutragen, so kann dieses auch die Möglichkeiten gewalttätiger Herrschaft begrenzen und eine Stärkung der Menschenrechtsposition auf dem afrikanischen Kontinent bedeuten.
Aus dem Gesagten können Sie erkennen, daß die SPD-Fraktion mit zustimmender Tendenz in die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs eintreten wird.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Da noch einige Nichtentwicklungspolitiker im Saal sind, möchte ich die damit belohnen, daß ich möglichst wenige Kürzel verwende. Da die Fakten von meinen beiden Vorrednern sehr detailliert geschildert wurden, möchte ich mich darauf beschränken, hier einige kritische Punkte zu beleuchten.
In diesem Sinne sehe ich die Frage, inwieweit der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen über die Afrikanische EntwicklungsDr. Vohrer
bank den entwicklungspolitischen Zielen entspricht. Da läßt sich eindeutig aufzeigen, daß sich in Afrika die größte Zahl der ärmsten Länder dieser Welt befindet. Deshalb ist es richtig, hier auch einen Schwerpunkt in bezug auf die Beteiligungen an Entwicklungsbanken zu legen und aus diesem Grunde diesem Abkommen beizutreten.
Zum zweiten hat sich die Koalition vorgenommen, den Anteil der multinationalen Entwicklungshilfe zu erhöhen. Wir sind jetzt bei einer Größenordnung von 25 % angelangt. Ich glaube, daß der Beitritt - das Volumen des Bankanteils beträgt immerhin über 400 Millionen DM - diesen Anteil der multinationalen Entwicklungshilfe mit erhöhen wird und insofern einen Schritt in die richtige Richtung darstellt.
Aber der eigentliche Schwerpunkt der Überlegungen liegt sicher - wie Herr Köhler angedeutet hat - in dem Spannungsverhältnis zwischen der Afrikanischen Entwicklungsbank, also einer Regionalbank, und der Weltbank. Hier wird sich zeigen, ob die Afrikanische Entwicklungsbank ihr eigentliches Gewicht in Afrika entfalten kann oder ob weiterhin die Weltbank dominiert. Wenn man sich die Ausleihevolumina ansieht, dann ist sicherlich der jetzige Beitrag der Afrikanischen Entwicklungsbank bescheiden. Aber die Öffnung für die Länder, die nicht der Region angehören, bringt wahrscheinlich die notwendige Möglichkeit, am internationalen Kapitalmarkt stärker auftreten zu können, die Bonität zu verbessern und das Volumen der Geschäftstätigkeit in dem Maße auszudehnen, wie dies für den Zweck notwendig ist. Eines bleibt zu hoffen: daß die Qualität der Projekte, die gefördert werden, der derer entspricht, die die Weltbank bisher gefördert hat.
Es wird notwendig sein, daß sich die Afrikanische Entwicklungsbank personell verstärkt und die geographische Nähe, die sie mit ihrem Sitz in Abidjan und mit der einen Zweigstelle in Nairobi hat, sinnvoll nutzt. Wer allerdings sieht, wie schlecht im Moment die Verkehrsverbindungen in Afrika sind - einige der Kollegenwaren in Arusha dabei, wo wir mit Afrikanern zusammensaßen, die oftmals, um von der Westküste zur Ostküste zu gelangen, über Paris oder London geflogen sind -, dem wird bewußt, daß bei der jetzigen Infrastruktur der Bank die geographische Nähe noch nicht als entscheidender Vorteil gegenüber der Weltbank gesehen werden kann. Aber Art. 39 sieht immerhin vor, daß weitere Zweigstellen an anderen Orten errichtet werden können. Ich halte es für notwendig, daß man diese geographische Nähe auch zum Ausdruck bringt, indem eine gewisse Infrastruktur der Bank geschaffen wird, die diesen Vorteil auch wirksam werden läßt. Im Moment ist es eher so, daß die Weltbank von sich behaupten kann, daß sie durch ihre regionalen Niederlassungen einen größeren Kontakt, eine größere Nähe zur Abwicklung ihrer Geschäfte hat, als dies für die Afrikanische Entwicklungsbank gilt.
Die zweite Überlegung, die ja bei der UNCTAD-Vorbereitungskonferenz vor wenigen Tagen in Bonn von dem Generalsekretär vorgetragen wurde, ist der Wunsch, daß man zukünftig gerade in den ärmsten Ländern weg von der Projektförderung und hin
zur Programmförderung kommen will. Auch hier wäre es möglich, daß Regionalbanken mit den Entwicklungsprogrammen der Länder enger vertraut wären, aber es wird auch hier entscheidend darauf ankommen, daß die Bank personell so gut ausgestattet ist, daß sie eng mit den Empfängerländern zusammenarbeiten kann. Wenn es gelingen würde, zur Programmförderung über die Regionalbanken mit einer stärkeren Beachtung der Nebenwirkungen der Entwicklungsprojekte im sozialen, im kulturellen und im ökologischen Bereich zu kommen, dann wäre in der Tat die Zielrichtung einer Programmförderung für die ärmsten Länder über die Regionalbanken effizienter erreichbar, als dies mit der Weltbank im Moment der Fall ist.
Immerhin kommt noch eines dazu: Man hat ja die Regionalbanken aus einer gewissen Skepsis gegenüber der Weltbank geschaffen, wobei ursprünglich in ganz starkem Maße die USA das Sagen hatten. Vielleicht führt es dazu, daß auf Grund der Mehrheitsverhältnisse in den Entscheidungsgremien der Bank ein größeres Vertrauen der Länder zu der Regionalbank aufkommt und daß die Zusammenarbeit innerhalb der Region, also zwischen den afrikanischen Staaten, durch die Afrikanische Entwicklungsbank gefördert wird.
Ein Punkt, auf den wir hier hinweisen sollten, erscheint mir sehr wichtig zu sein. Immer wieder werden wir als Entwicklungspolitiker darauf angesprochen, warum wir auf Lieferbindungen unserer Entwicklungshilfe verzichten. Wenn wir Beiträge zu internationalen Gremien - hier: zu multinationalen Institutionen - leisten, so können wir immerhin darauf hinweisen, daß bislang der Rückfluß, der zur Beschäftigung im Inland geführt hat, größer war als unser Kapitalanteil. Das sollte hier gerade angesichts der jetzigen konjunkturellen Situation nicht ganz verschwiegen werden. Wenn man dann noch sieht, daß neben der öffentlichen Entwicklungshilfe verstärkt auch die Möglichkeit besteht, auf dem deutschen Kapitalmarkt einen Beitrag zur Finanzierung der Bank zu leisten, dann kann man davon ausgehen, daß hier die öffentliche Entwicklungshilfe durch die Aufnahme oder Erweiterung der Kreditmöglichkeiten der Bank doch zu einem erheblichen Multiplikator führt und damit auch positive Beschäftigungswirkungen im Inland zeigen wird.
Ich sehe neben der Bank den Fonds als entscheidendes Instrument der Entwicklungshilfe an. Da die Fonds-Bedingungen denen der Weltbank-Tochter IDA entsprechen - nämlich Zinssatz von 0 %, Laufzeit 50 Jahre bei 10 tilgungsfreien Jahren -, wird ganz deutlich, daß hier neben der eigentlichen Finanzierungsaufgabe auch in starkem Maße ein Instrument der Entwicklungshilfe geschaffen wurde.
Wir gehen deshalb - übrigens genau mit der gleichen Zielrichtung wie die Opposition und der Bundesrat - mit einer positiven Haltung zu dem Beitritt der Bundesregierung in die weiteren Beratungen. Wir würden uns freuen, wenn wir durch zügige Beratung in den Ausschüssen dazu beitragen könnten, daß der Beitritt der Bundesregierung zu der Afrika336
nischen Entwicklungsbank bald vonstatten gehen kann. - Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige kurze Bemerkungen. Afrika ist ein Schwerpunktkontinent unserer Entwicklungspolitik. In der Tat - ich kann das, was Herr Dr. Köhler gesagt hat, nur unterstreichen - ist dort das entwicklungspolitische Engagement besonders dringlich. Auf diesem Kontinent gibt es das mit Abstand niedrigste Pro-Kopf-Einkommen. Afrika hat seit 20 Jahren das niedrigste Wirtschaftswachstum aller Kontinente. Es gibt dort die höchste Analphabeten-quote. In Afrika ist die Lebenserwartung mit Abstand am niedrigsten. Viele afrikanische Länder kämpfen mit großen Füchtlingsproblemen, die zum Teil in der internationalen Öffentlichkeit nicht so zur Kenntnis genommen worden sind wie Flüchtlingsprobleme in anderen Regionen. In Afrika gibt es derzeit über 5 Millionen Flüchtlinge.
Die Ernährungssituation in diesem Kontinent verschlechtert sich laufend. Afrika ist von ständig steigenden Nahrungsmittelimporten abhängig. Solange wir diesen Trend nicht umkehren können, muß man mit dramatischen Entwicklungen auch in den kommenden Jahren rechnen, gerade im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsproblem.
Afrika ist der einzige Kontinent, wo bislang kein Rückgang beim Bevölkerungswachstum zu erkennen ist. Überall sonst gehen die Zahlen zwar langsam, aber deutlich zurück. In Afrika hält das Bevölkerungswachstum unvermindert an. Auch insoweit ist Afrika ein Kontinent, der sich von anderen unterscheidet. Man nehme einmal die Vergleichszahlen zur Hand: Von 1970 bis 1979 gab es eine Steigerung der Einwohner um etwa ein Drittel von 350 Millionen auf 450 Millionen. Das ist der Hintergrund der dramatischen Entwicklung bei der Nahrungsmittelversorgung.
Deswegen wird Afrika Schwerpunktkontinent unserer Entwicklungspolitik bleiben. 38 % unserer Hilfe gehen nach Afrika, obwohl Afrika nur 18 % aller Einwohner der Entwicklungsländer aufweist.
In Afrika wird auch ganz besonders deutlich, daß Entwicklungsprozesse nur langsam ablaufen. Nirgends wird deutlicher als in Afrika, daß Entwicklung auch eigene Konzepte und eigene Anstrengungen erfordert. Auch dies muß man unseren afrikanischen Partnern in aller Offenheit sagen.
Ich darf zu Herrn Dr. Köhler und zur CDU/CSU-Fraktion gerichtet eine Fußnote machen: Bei unserer Entwicklungspolitik in Afrika wird sich zeigen, ob Ihr neuer Stil in der Entwicklungspolitik ernst gemeint ist, ob auch in der Zukunft jede friedliche Kooperation mit Befreiungsbewegungen von Ihnen als Unterstützung von Terroristen denunziert wird, ob auch künftig die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit sich sozialistisch nennenden Ländern als Unterstützung der sowjetischen Politik diffamiert
wird. Ob wir auf eine neue Ebene kommen, Herr Dr. Köhler, wird dann die entscheidende Frage sein.
({0})
Es wird sich zeigen, ob wir einen neuen Stil des Umgangs miteinander finden,
({1})
was ich sehr begrüßen würde. Sie sagen, das hänge auch von mir ab. Nun, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung zur Kooperation gerade auf dem Feld der Entwicklungspolitik bereit ist. Die Aufgabe ist viel zu wichtig, als daß wir sie uns als Feld der Konfrontation aussuchen sollten.
({2})
Eine abschließende Bemerkung, und zwar zur Afrikanischen Entwicklungsbank. Ich kann mir Einzelheiten sparen; sie sind hier zutreffend vorgetragen worden. Ich halte es für besonders bemerkenswert, daß es gelungen ist, auch einige Entwicklungsländer bzw. Schwellenländer zum Beitritt zu bewegen, z. B. Brasilien, Korea, Argentinien, Jugoslawien. Auch ein OPEC-Staat ist beigetreten. Es ist eine sehr gute Entwicklung, wenn die Finanzierung nicht auf die Industriestaaten beschränkt bleibt.
Herr Dr. Köhler, ich unterstreiche Ihre Anmerkung zum Management. Wir haben das Problem sehr wohl im Auge und wollen uns bemühen, zu einer Verbesserung zu kommen. Das ist schon deshalb notwendig, weil es j a eine erhebliche Ausweitung der Geschäftstätigkeit dieser Bank geben wird.
Ich bemerke zum Schluß, daß die Bundesrepublik die Bemühungen der nichtregionalen Staaten, die der Afrikanischen Entwicklungsbank jetzt beitreten, koordiniert hat, daß sie Sprecher dieser Gruppe war und die Verhandlungen maßgeblich geführt hat. Ich danke in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Beamten meines Ministeriums, die diese oft nicht ganz einfache Arbeit geleistet haben.
Ich bedanke mich für die zustimmenden Worte aller drei Bundestagsfraktionen und bitte, dieses Gesetz in den Ausschüssen zügig zu beraten.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/20 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und an den Finanzausschuß sowie zur Beratung gemäß § 96 GO an den Haushaltsausschuß. - Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Protokoll vom 24. Oktober 1979 zu dem AbVizepräsident Leber
kommen vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 9/15
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
Wird zu dieser Einbringung das Wort gewünscht?
- Wie ich sehe, wird keine Wortmeldung gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/15 an den Finanzausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1979
- Drucksache 8/4514
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Wird zu dieser Einbringung das Wort gewünscht?
- Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers für Wirtschaft auf Drucksache 8/4514 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist entsprechend beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) zu den Verordnungen der Bundesregierung
1. Aufhebbare Achtundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
2. Aufhebbare Sechsundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste
- Drucksachen 8/4460, 8/4469, 9/39 -.
Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden?
- Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe diesen Zusatzpunkt auf. Es handelt sich um einen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, von dem das Haus lediglich Kenntnis zu nehmen braucht, sofern keine Anträge gestellt werden. Ich frage: Wird das Wort gewünscht, um Anträge zu stellen oder zur Aussprache? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich stelle fest: Das Haus hat von dem Bericht des Ausschusses Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist Übereinstimmung erzielt worden, daß der Präsident am Schluß der heutigen Sitzung dem Haus mitzuteilen hat, daß die Präsenzpflicht für morgen, Freitag, den 12. Dezember 1980, aufgehoben ist.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Dezember, 12 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.