Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Abgeordnete des Deutschen Bundestages! Nach parlamentarischem Brauch übt das an Jahren älteste Mitglied des Deutschen Bundestages den Vorsitz in der ersten Sitzung aus, bis das Parlament den Präsidenten des Bundestages gewählt hat. Sie kennen mich; mein Geburtstag ist der 11. Juli 1906. Ich habe Sie zu fragen, ob unter den Abgeordneten ein älteres Mitglied anwesend ist. - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne nun die erste Sitzung des Deutschen Bundestages in der 9. Wahlperiode. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen für diese 9. Wahlperiode übernommen werden - und ich bitte Sie, das aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen -: die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die am 1. Oktober 1980 in Kraft getreten ist, mit den sie ergänzenden Beschlüssen und Vereinbarungen, die Geschäftsordnungen für den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes sowie für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes und für das verkürzte Gesetzgebungsverfahren nach Art. 115 d des Grundgesetzes; außerdem Beschlüsse betreffend Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, erstmalig beschlossen am 16. März 1973. Ich frage, ob sich hiergegen Widerspruch erhebt. - Das ist nicht der Fall; dann ist das so beschlossen.
Ich erlaube mir, meine Damen und Herren, den Kolleginnen und den Kollegen zu danken, die mit Geduld und Beharrlichkeit das Inkrafttreten der Geschäftsordnung zum 1. Oktober vorbereitet und möglich gemacht haben. Es ist eine harte Arbeit gewesen.
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Nach § 1 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung ernenne ich die folgenden 14 Mitglieder des Bundestages nach Absprache mit den Fraktionen zu vorläufigen Schriftführern: Frau Benedix-Engler, Frau Pack und Frau Traupe sowie die Herren Amling, Biehle, Collet, Hartmann, Merker, Pensky, Dr. Unland, Dr. Vohrer, Waltemathe, Werner und Würtz. Ich bitte die Abgeordneten Frau Traupe und Herrn Biehle, neben mir Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, der Alterspräsident des 9. Deutschen Bundestages ist in der Reihe der
Alterspräsidenten seit dem Bestehen dieses Bundesparlaments der erste, dessen Geburtsdatum nach 1900 liegt. Es sei mir als einem der drei Mitglieder des gegenwärtigen Bundesparlaments, die von Anfang an und ohne Unterbrechung diesem Parlament angehören, erlaubt, die Alterspräsidenten, die wir erlebt haben, in Erinnerung zu bringen:
Paul Löbe, Alterspräsident des 1. Bundestages,
Frau Lüders, Alterspräsidentin des 2. und des 3. Bundestages,
Robert Pferdmenges, Alterspräsident des 4. Bundestages,
Konrad Adenauer, Alterspräsident des 5. Bundestages,
William Borm, Alterspräsident des 6. Bundestages,
Ludwig Erhard, Alterspräsident des 7. und des 8. Bundestages.
Für mich, der ich hier in der Eigenschaft des Alterspräsidenten des 9. Bundestages die Ehre habe, zu Ihnen zu sprechen, ist es eine Ehrenpflicht, an diese Vorgänger zu erinnern, die in der Geschichte dieses Parlaments eine prägende Rolle verkörpert haben. Ich verneige mich im Gedenken vor diesen Persönlichkeiten, die - jede auf ihre Weise - unserem Volke gedient, in ihrem Leben streckenweise Schweres ertragen und das Schwerste zum Wohle unseres gemeinsamen Volkes zu überwinden beigetragen haben.
Meine Damen und Herren, es steht mir nicht zu, jede einzelne dieser Persönlichkeiten nach ihren politischen Standorten und Besonderheiten zu bewerten. Woran mir liegt, ist, auf diese Weise daran zu erinnern, daß parteipolitische Gegensätzlichkeiten sowie die Zugehörigkeit sei es zur Regierungs-, sei es zur Oppositionsseite des jeweiligen Parlaments nicht allein die Maßstäbe für gegen- und wechselseitige Wertschätzung sind.
Wenn ich als derzeitiger Alterspräsident es mir erlaube, Sätze aus den Ansprachen der Vorgänger in Erinnerung zu bringen, dann möchte ich damit auch zum Nachdenken über das beitragen, was in unserer parlamentarischen Demokratie von erfahrenen und verdienten Frauen und Männern beim Beginn einer
Alterspräsident Wehner
Wahlperiode aus ihren Erfahrungen den Parlamentariern und den Mitbürgerinnen und Mitbürgern gesagt worden ist.
Der verehrungswürdige Alterspräsident des 1. Bundestages, Paul Löbe, geprägt durch die langjährigen Erfahrungen des - wenn ich es so sagen darf
- klassischen Präsidenten des alten Deutschen Reichstages, hat in seiner Rede gesagt:
Mein letzter Appell gilt den Abgeordneten dieses Hauses selbst. Hinter uns liegt ein erbitterter Wahlkampf, dessen Formen oft das erträgliche Maß weit überschritten.
Das Sitzungsprotokoll verzeichnet hier: „Sehr wahr! rechts".
({1}) Paul Löbe fuhr fort:
Mit der Fortsetzung dieser Ausbrüche ist dem deutschen Volke nicht gedient.
Das Sitzungsprotokoll verzeichnet hier: „Sehr richtig! rechts".
({2}) Paul Löbe fuhr fort:
Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat. Wollen wir vor der deutschen Geschichte bestehen, dann müssen wir uns, ob in Koalition oder Opposition, so weit zusammenfinden, daß Ersprießliches für unser Volk daraus erwächst,
- das Protokoll vermerkt: „lebhafter Beifall" damit wir uns auch die Achtung für unser deutsches Volk in der Welt draußen zurückgewinnen. - Meine Damen und Herren,
- sagte er lassen Sie uns die Arbeit mit diesem Vorsatz beginnen!
Hier verzeichnet das Sitzungsprotokoll: „Anhaltender lebhafter Beifall".
In dieser Rede vom 7. September 1949 hat der damalige Alterspräsident Paul Löbe u. a. auch gesagt:
Ich begrüße ferner alle auf unseren Tribünen, die als einfache Staatsbürger oder als Inhaber hoher Ämter sich in ihrem Geschick mit uns verbunden fühlen und deshalb hierhergekommen sind.
Ich begrüße auch die Vertreter der Presse, füge daran aber die Bitte, ihre Berichterstattung und ihre Kritik nicht in Sensationen und Zwischenfällen zu suchen,
({3})
- im Sitzungsprotokoll ist die Zwischenrufanmerkung verzeichnet: „sehr gut!" ({4})
sondern die praktische Arbeit des Bundestags zu würdigen.
Hier steht im Sitzungsprotokoll: „Lebhafter Beifall".
Die verehrungswürdige Alterspräsidentin Frau Marie Elisabeth Lüders hat in ihrer Rede am 6. Oktober 1953 u. a. gesagt:
Aber, ich sagte es schon, Gesetze allein tun es nicht, sondern die persönliche Haltung jedes einzelnen in der Familie, in den Organisationen und, meine Damen und Herren, auch hier in diesem Hohen Hause ist letztlich entscheidend. Der Wahlkampf liegt hinter uns; die sachliche Arbeit beginnt. Schlagworte und Parolen haben ihren Wert und ihre Anziehungskraft verloren; Erfahrung, Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten und der Wille zu Duldsamkeit müssen an ihre Stelle treten und sollen sich bewähren. Ohne sie ist die Durchführung der uns gestellten Aufgaben unmöglich.
Und noch ein kurzes Wort zur Presse. Gestern fand sich in einer großen Tageszeitung eine Betrachtung mit der Überschrift „Start für den neuen Bundestag". Das Wort „Start"
- das betonte sie bedeutet, daß man zu einem Wettlauf angetreten ist. Meine Damen und Herren, treten wir diesen Wettlauf an, um gute Gedanken und nicht um laute Worte, treten wir ihn an mit der Gesinnung der Loyalität auch gegenüber dem eventuellen Verlierer. Seien wir uns bewußt, daß die Presse mit ermunterndem Zuruf und ebenso mit ernster Kritik unsere Arbeit fördern kann und wir dafür dankbar sein müssen. Die Presse aber bedenke auch, daß sie mit willkürlich auf die Rennbahn gelegten Hindernissen nicht nur den einzelnen Läufer, nicht nur das ganze Team, sondern in unserem Fall ganz Deutschland zu Fall bringen kann.
Das sagte Frau Lüders in ihrer Rede im Jahre 1953.
Am 15. Oktober 1957, als sie ein weiteres Mal in der Eigenschaft der Alterspräsidentin zu den Abgeordneten der 3. Wahlperiode gesprochen hat, hat sie gesagt:
Wir waren uns schon lange darüber einig, daß die gemeinsame Arbeit auf keinem Gebiet von so entscheidender Bedeutung ist wie in der Außenpolitik, von der auch die Möglichkeit zur Wiedervereinigung in hohem Maße abhängig ist. Wir haben uns alle in der Hitze des Gefechtes in Wort und Schrift, in Überbild und Überschall im Lautsprecher auseinandermanövriert. Machen wir doch alle einen Strich unter die sehr gefährliche Verwechslung der Begriffe
- sie setzt sie in Anführungszeichen „Gegner" und „Feind". Halten wir auf allen Gebieten Maß - nicht nur in dem Hohen Hause -, damit nicht verletzender Übermut im Bewußtsein des Monopols der Macht auf der einen und verbitternder Groll auf der anderen Seite Deutschlands Leben noch schwerer macht, als es - denken wir nur an Mittel- und Ostdeutschland! - sowieso schon ist. Nur auf der
Alterspräsident Wehner
Grundlage des inneren Friedens im politischen und menschlichen Bereich, nur mit dem Willen zur Toleranz kann es uns gelingen, auch den äußeren Frieden zu erhalten, Brücken zu schlagen, über die wir unser aller höchstes Ziel, die Wiedervereinigung, erreichen können.
Sie fuhr fort:
Meine Damen und Herren! Deutschland und Frankreich haben schon einmal durch ihre Staatsmänner Stresemann und Briand in Genf den ersten bedeutsamen Schritt zur Sicherung des Friedens durch Verständigung getan. Wir erinnern uns an die Hoffnungen, die von der ganzen Welt an jene Stunde geknüpft worden sind. Wir haben es aber auch mit Schaudern erlebt, wie der gotteslästerliche Übermut eines verbrecherischen Systems alles wieder niedergerissen und Millionen in den Abgrund gestürzt hat. Und wieder ist uns eine neue Hoffnung erstanden! Wir haben zusammen mit Frankreich der Welt abermals ein Beispiel dafür gegeben, daß es möglich ist, jahrzehnte-, nein jahrhundertealte Mißhelligkeiten, Vorurteile, Leidenschaften, nationales Prestigestreben und viele nur allzu bittere Erfahrungen zu überwinden und mit Verständnis auch für den anderen zu einer Verständigung zu kommen. Meine Damen und Herren, das war doch nur möglich durch den guten Willen auf beiden Seiten, auch die geistigen und gefühlsmäßigen Trümmer zum Nutzen aller endlich abzutragen. Sollte das nicht, meine Damen und Herren, auch unter uns Deutschen selber möglich sein?
Am 17. Oktober 1961 hat der Alterspräsident Robert Pferdmenges den Abgeordneten der 4. Wahlperiode eindringlich dargelegt:
In tiefernster Zeit tritt der neue Bundestag zusammen... Die Weltmächte sind hoch aufgerüstet, nuklear bewaffnet, ihr Prestige ist engagiert; der Grat, auf dem wir zwischen Krieg und Frieden wandeln, ist schmal. Wir, die Bundesrepublik, sind zu schwach, um uns aus eigenen Kräften zu verteidigen - wir stehen und fallen mit unseren Verbündeten im Westen, letzten Endes mit der Macht der Vereinigten Staaten. Den Vereinigten Staaten von Amerika verdanken wir es, daß ihre beispiellose großmütige Hilfe uns nach dem Kriege vor dem Verhungern bewahrt hat - ihnen danken wir in erster Linie, daß wir noch in Frieden und Freiheit leben. Dankbar gedenken wir auch unserer europäischen Partner, mit denen uns zu unserer großen Befriedigung ein festes Band des Zusammengehens und der Freundschaft verbindet.
Meine Damen und Herren! Vergessen wir nicht, was wir der Welt angetan haben - vergessen wir nicht das Dritte Reich.
. Aber, wie dem auch sei, Machthaber des deutschen Volkes haben die Welt ins Elend und Chaos gestürzt. Wir haben deshalb auch kein moralisches Recht, „empört" zu sein - den Ausdruck fand ich in einigen Zeitungen -, als die
Welt von Opfern sprach, die von uns zu bringen seien.
Wir konnten erschüttert, enttäuscht, tief enttäuscht sein, aber nicht empört. Es ist so schwer, menschlich schwer, eigene Interessen zu vertreten, wenn man sich selbst so schuldig weiß, wie wir es tun. Aber eines wird die Welt nicht tun und kann sie nicht tun: von uns zu verlangen, daß wir mit unserem Willen, mit der Freiheit eines Teiles unseres Volkes bezahlen.
Das Sitzungsprotokoll verzeichnet „allseitigen Beifall".
Am 19. Oktober 1965 eröffnete zum ersten Mal der langjährige Bundeskanzler Konrad Adenauer in der Eigenschaft des Alterspräsidenten die erste Sitzung der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestages und betonte in seiner Rede:
Sie wissen, daß nach Art. 38 des Grundgesetzes jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes ist. Wir werden aller menschlichen Voraussicht nach während der nächsten vier Jahre schweren Zeiten entgegengehen. Ich hoffe und bin davon überzeugt, daß sich dann alle Mitglieder dieses Hauses, dieser Gemeinschaft, ihrer Verpflichtungen bewußt sind.
Das Sitzungsprotokoll verzeichnet „Beifall bei der CDU/CSU und der FDP".
Am 20. Oktober 1969 hat Alterspräsident William Borm die Sitzung des Bundestages der 6. Wahlperiode mit dem Hinweis eröffnet, daß zum vierten Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestages ein Abgeordneter aus Berlin die Ehre hat, die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments zu eröffnen. In seiner Rede hat er vermerkt, daß dieser Tatsache eine, so wörtlich, gewisse symbolische Bedeutung innewohnen kann.
Er hat betont:
Ich will an dieser Stelle nicht den fatalen „Frontstadt"-Mythos erneut beschwören; dennoch will ich in aller Deutlichkeit und sehr scharf zum Ausdruck bringen, daß nach dem Willen aller Berliner im freien Teil dieser Stadt wir unverbrüchlich dem Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland angehören.
Das Sitzungsprotokoll vermerkt „Beifall".
({5}) Für uns
- so fuhr William Borm fort gibt es dazu keine Alternative. Wir Berliner Abgeordneten nehmen vollberechtigt unseren Platz im Bundestag ein, wo nicht die unausweichliche Einsicht in politische Notwendigkeiten gewisse Einschränkungen erfordert. Wir hoffen, daß der Ausgleich zwischen Ost und West in absehbarer Zeit die volle Integration ermöglichen wird. Daß bis dahin durch die unveränderte Übernahme der Gesetze, welche von diesem Hohen Hause beschlossen worden sind, Berlin im politischen Geschehen dem System
Alterspräsident Wehner
der Bundesrepublik angeglichen ist, sichert die Zusammengehörigkeit.
Unseren Verbündeten - das muß auch hier gesagt werden - betonte Borm danken wir Berliner, daß infolge ihres Schutzes und ihrer tatkräftigen Hilfe bis heute, und zwar 25 Jahre, weder durch die nackte Gewalt noch durch Drohung mit ihr noch durch die Mittel raffinierten Nervenkriegs das freie Berlin dem totalitären System der geographischen Umwelt hat botmäßig gemacht werden können.
Dieser überzeugende äußere Schutz hätte naturgemäß wirkungslos bleiben müssen, wenn nicht die Bundesrepublik ihrerseits getreu der von ihr übernommenen Verpflichtung durch wirtschaftliche, finanzielle, kulturelle und soziale großzügige Hilfe das materielle und geistige Leben in der Hauptstadt der Deutschen gesichert hätte. Sie wird es auch weiterhin tun.
Dieser Erfolg darf uns dennoch nicht zu der Annahme verleiten, daß die aufgezwungene und spannungsgeladene Situation ein statischer Endzustand sein könne. Angesichts der Kräfteverteilung und der Waffensysteme in der Welt können auch antagonistische Positionen heute nicht mehr durch Gewalt geklärt werden, sondern - als klare Alternative zur gegenseitigen Vernichtung - nur durch geduldige Versuche der Annäherung. Das ist schon ein dornenreicher Weg, und nur allzu leicht bringt er den Vorwurf ein, daß er in immer neue Sackgassen führen müsse. Hier mag die Erfahrung eines langen Lebens eine gewisse hilfreiche Parallele bieten. In meiner Jugend ging das Wort um von der „Erbfeindschaft" zwischen dem Deutschen Reich und seinem Nachbarn Frankreich. Nichts mehr ist davon geblieben als für die Älteren eine verblassende, aber immer noch lehrreiche Erinnerung und für die Jungen das Unverständnis dafür, daß es jemals so etwas habe geben können. Da liegt doch sicherlich der Schluß nahe, daß, was im Westen möglich war, im Osten nicht unbedingt ausgeschlossen werden kann.
({6})
Am 13. Dezember 1972 hat der Alterspräsident Ludwig Erhard den Abgeordneten für die 7. Wahlperiode gesagt:
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich wie alle großen, bewährten, wirklich freiheitlichen Demokratien der Welt eine parlamentarische Verfassung gegeben, in der sich der Wille des Volkes durch die Wahl seiner Repräsentanten und in der Folge durch deren Ausübung eines freien Mandats manifestiert. Unser Volk will sich durch das Parlament selbst bestimmen und will nicht von selbsternannten Kadern beherrscht oder dem Diktat von Räten unterworfen sein .. .
Bei der Eröffnung des Bundestages haben
meine Vorgänger in diesem Amt den Gedanken
von der Einheit der deutschen Nation nicht etwa
nur als Erinnerungsposten, sondern als Mahnung und Aufruf angesprochen. Auch ich möchte das tun. Durch alle Wandlungen der auswärtigen und innerdeutschen Politik hindurch bleibt der Gedanke der Einheit unseres Volkes und unserer Nation die unverlierbare Grundlage unseres Handelns, die Erfüllung unseres Verfassungsauftrages und letzte Sinngebung unseres Staates.
({7})
So Ludwig Erhard bei der Eröffnung der 7. Wahlperiode.
Zur Eröffnung der 8. Wahlperiode am 14. Dezember 1976 hat der verehrte Kollege
Was das Ansehen und die Würde des Bundestages anbelangt, sollte dieser mit Selbstverständlichkeit und Selbstbewußtsein keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß ihm der erste Rang im Staate gebührt. Er ist das Organ, das, vom Volke erkoren, den in freier Wahl ermittelten Volkswillen zu vertreten, ihn aber auch überzeugend zu demonstrieren hat. Alle Mitglieder des Hauses haben die Pflicht, sich in ihrer Haltung und Gesinnung dieses hohen Anspruchs würdig zu erweisen. Bedenken Sie, daß sich vor jetzt nahezu 30 Jahren alle Fraktionen des Deutschen Bundestages selbst im Widerstreit der Parteien vor die gemeinsame Aufgabe gestellt sahen, aus der geschichtlichen Tragödie unseres Volkes die Lehre zu ziehen, daß es einer neuen und geläuterten Wirtschafts- und Sozialordnung bedarf, um nicht nur in materieller, sondern auch in geistig-sittlicher Beziehung unsere gültige Demokratie in uns selbst lebendig sein zu lassen und dazu auch noch nach außen vor der Welt glaubhaft zu machen.
Desgleichen will es mir wenig sinnvoll erscheinen, sich an diesem Ort vor den Bürgern über Verdienste und Versagen zu zerstreiten; denn über Wert oder Unwert der von uns geleisteten Arbeit entscheidet zuletzt das Volk.
Wenn wir uns auch nach dem totalen Zusammenbruch in heftigen Debatten um den besten Weg der deutschen Politik mit großem Ernst auseinandersetzen, so sollten wir älteren Abgeordneten uns so wenig vollbrachter Taten rühmen, wie es jüngeren Kollegen schlecht anstünde, sich so zu gebärden, als ob künftig sie allein, unbeschwert von deutscher Vergangenheit, eine neue deutsche Welt zu errichten berufen wären.
So weit Ludwig Erhard.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über", lautet ein deutsches Sprichwort. Mein Herz ist voll. Aber ich wollte Ihnen zu Beginn der 9. Wahlperiode in Erinnerung an Kolleginnen und Kollegen, die in den Jahren seit dem Bestehen unseres Parlaments als Alterspräsidenten ihre Mahnungen und Aufmunterungen ans Herz gelegt haben, deutlich machen, daß
Alterspräsident Wehner
es bei allen politischen Gegensätzen vieles gibt, das uns allen gemeinsam ist und das wir hüten und pflegen sollen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung. Die Praxis, die Wahl des Präsidenten mit dem Namensaufruf der Abgeordneten zu verbinden, ist schon wiederholt bei den ersten Zusammenkünften des jeweils neu gewählten Parlaments geübt worden. Ich habe den Eindruck, Sie sind damit einverstanden. Jedenfalls hörte ich keinen Widerspruch. Ich habe zwar Gemurmel gehört; aber das war j a nicht dem zugedacht.
Ich rufe also den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Wahl des Präsidenten
verbunden mit Namensaufruf
und Feststellung der Beschlußfähigkeit
Gibt es einen Vorschlag? - Herr Dr. Kohl hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU schlage ich den bisherigen Präsidenten des Deutschen Bundestages, unseren Kollegen Richard Stücklen, zur Wiederwahl für das Amt des Präsidenten des Deutschen Bundestages vor.
({0})
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall.
Nun bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für unvermeidliche Hinweise zum Wahlverfahren. Nach § 2 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung - Sie haben die Geschäftsordnung - wird der Präsident mit verdeckten Stimmzetteln gewählt. Das bedeutet gemäß § 49 der Geschäftsordnung: es wird geheim gewählt. Die für die Wahl allein gültige weiße Stimmkarte bekommen Sie nach Aufruf Ihres Namens von den Schriftführern vor Betreten der hier vorn rechts und links aufgestellten Wahlzellen. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in der Wahlzelle ankreuzen und müssen ebenfalls noch in der Wahlzelle Ihre Stimmkarte in den Wahlumschlag legen. Die Schriftführer müssen jeden zurückweisen, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlzelle gekennzeichnet oder in den Wahlumschlag gelegt hat. In diesem Fall kann die Wahl allerdings vorschriftsmäßig wiederholt werden.
Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne geben, bitte ich Sie, dem Schriftführer Ihren Namen zu nennen. Ich merke an: Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei Ja oder bei Nein; wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf der Stimmkarte. Ungültig sind Stimmen, die auf nichtamtlichen Stimmkarten abgegeben wurden, sowie solche Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Abschließend weise ich Sie noch darauf hin, daß die Kennzeichnung Ihres Namens in der Namensliste durch den Schriftführer an der Wahlurne als
Nachweis für die Beteiligung an dieser Wahl gilt und die Eintragung in die Anwesenheitsliste ersetzt.
Meine Damen und Herren, ich bitte die Schriftführer, jetzt die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die beiden Schriftführer zu meiner Rechten und zu meiner Linken - das hat aber nun nichts mit den politischen Richtungen zu tun - werden jetzt die Namen der 519 Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Ich bitte Sie, sofern Sie dafür Interesse haben - es könnte ja sein -, dies an Hand der Ihnen vorliegenden Mitgliederliste zu verfolgen und sich rechtzeitig zur Entgegennahme einer Stimmkarte nach hier vorn zu begeben. Wenn die Schriftführer ihre Plätze eingenommen haben - das scheint mir der Fall zu sein -, eröffne ich die Wahl. Ich bitte mit dem Aufruf der Namen zu beginnen.
({0})
Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Der Namensaufruf ist beendet.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten abgegeben? - Das ist offenbar der Fall. Ich schließe die Wahlhandlung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Für die Dauer dieser Auszählung unterbreche ich die Sitzung auf 30 Minuten. Ich bitte Sie, sich an diese Zeit zu halten.
({1})
Meine Damen und Herren, die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt. Abgegeben worden sind 515 Stimmen. Ich stelle fest, daß der Bundestag damit beschlußfähig ist. Von den abgegebenen 515 Stimmen waren 514 gültig. Es haben mit Ja gestimmt 463 Abgeordnete,
({0})
mit Nein 38 Abgeordnete. Der Stimme enthalten haben sich 13 Abgeordnete. Eine Stimme war ungültig.
Ich stelle fest, daß der Abgeordnete Richard Stücklen die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Hauses erhalten hat und damit erneut zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt worden ist.
Ich frage Sie, Herr Kollege Stücklen: Nehmen Sie die Wahl an?
Herr Alterspräsident, ich nehme die Wahl an.
({0})
Herr Präsident, ich will die Glückwünsche des ganzen Deutschen Bundestages zum Ausdruck bringen. Was mich betrifft, so wünsche ich Ihnen Glück und Gelingen für das Ihnen schon vertraute Amt.
Alterspräsident Wehner
Ich bitte den Herrn Präsidenten, sein Amt zu übernehmen, und bedanke mich bei den übrigen Damen und Herren für ihre Geduld.
({0})
Punkt 3 der Tagesordnung:
Amtsübernahme durch den Präsidenten
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben mich soeben erneut zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Ich danke Ihnen für das mir damit ausgesprochene Vertrauen. Ich sehe in der Wiederwahl eine Bestätigung meines Bemühens, dieses Amt gerecht und unparteiisch auszuüben. Dies wird auch in der 9. Wahlperiode mein Bestreben sein. Ich bitte Sie alle um vertrauensvolle Zusammenarbeit und Mitarbeit.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Herr Professor Karl Carstens, Platz genommen. Ich sehe darin ein Zeichen der Wertschätzung und der Achtung vor dem frei gewählten Parlament der Bundesrepublik Deutschland. Ich begrüße ihn sehr herzlich.
({0})
Erlauben Sie mir nun zunächst ein Wort des Dankes an Sie, sehr geehrter Herr Kollege Wehner, für die Konstituierung dieses 9. Deutschen Bundestages und die Durchführung des Wahlaktes.
({1})
Ich bedanke mich auch für die Glückwünsche, die Sie mir zu dieser Wahl entgegengebracht haben.
Seit vielen Jahren wirken Sie an der Spitze Ihrer Fraktion und nehmen mit beispielhafter parlamentarischer Pflichtauffassung an der Arbeit des Plenums teil.
({2})
Wie der Beifall des Hauses zeigt, sind Ihre Worte, die Sie als Alterspräsident soeben zur Eröffnung unserer Sitzung an uns gerichtet haben, mit großer Aufmerksamkeit und mit großer Zustimmung aufgenommen worden.
Wenn ich heute von meinem Platze aus in die Runde sehe, sehe ich viele altvertraute Mitglieder des Hauses und sehe auch eine große Zahl von Mitgliedern, die zum erstenmal ihren Sitz im Deutschen Bundestag eingenommen haben. Sie alle, die alten und die neuen Abgeordneten, heiße ich recht herzlich willkommen. Ich wünsche Ihnen allen ein gutes Beginnen!
Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an unsere vom Berliner Abgeordnetenhaus gewählten Kolleginnen und Kollegen. Ich verbinde damit meine Grüße an alle Bürgerinnen und Bürger Berlins.
({3})
Sie werden von den jüngsten Maßnahmen der DDR-Regierung, die durch finanzielle Auflagen die Pflege der menschlichen Bande und Kontakte zwischen hüben und drüben so unerträglich erschweren, in besonderem Maße betroffen. Deshalb möchte ich diese Stunde erneut zum Anlaß nehmen, unsere enge Verbundenheit mit dieser Stadt und ihren Bürgern zum Ausdruck zu bringen und unsere Solidarität mit allen Deutschen zu bekunden.
({4})
Lassen Sie mich nun einige Punkte ansprechen, die mir für unsere künftige Arbeit hier im Hause besonders am Herzen liegen.
Der erste Punkt betrifft die Frage, wie wir unser Verhältnis zueinander in unserer täglichen parlamentarischen Arbeit gestalten wollen. Der Wahl zum 9. Deutschen Bundestag gingen Wochen harter Auseinandersetzungen voraus. Dabei ist auch manches verletzende Wort gesprochen und geschrieben worden. Es ist eine Atmosphäre entstanden, die unsere parlamentarische Arbeit und den menschlichen Umgang untereinander während der ganzen 9. Wahlperiode belasten könnte, wenn sie nicht bereinigt würde. Es ist meine Auffassung, daß es auch zu den Aufgaben des Parlamentspräsidenten gehört, einen Beitrag zur Versachlichung der parlamentarischen Auseinandersetzung zu leisten. Deshalb erlaube ich mir, um konkret zu werden, dazu die folgende Feststellung. Es gibt in diesem Hause keine Fraktion und keine Partei, die bereit war und bereit wäre, Vollstrecker der Politik einer ausländischen Macht zu sein oder einer ausländischen Macht hörig zu sein.
({5})
Ebenso gibt es unter den Fraktionen oder Parteien dieses Hauses und deren führenden Persönlichkeiten keine, die nicht friedenswillig und friedensfähig wäre.
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Wenn das ganze Haus mit dieser Feststellung übereinstimmen könnte, wäre der entscheidende Schlußstrich unter den Wahlkampf gezogen und die Grundlage für eine konstruktive, natürlich auch kritische Zusammenarbeit geschaffen.
Auch aus der Verantwortung gegenüber dem Staatsbürger, insbesondere dem jungen Staatsbürger, müssen diese Beschuldigungen aus der Welt geschafft werden.
Lassen Sie mich ergänzend einen Satz aus meinem Wahlaufruf am Vorabend der Bundestagswahl wiederholen. Ich habe darin gesagt:
Sicher ist die Politik eine ernste Angelegenheit. Sie muß auch ernsthaft betrieben werden; aber nirgends steht geschrieben, daß die politische Auseinandersetzung mit tierischem Ernst geführt werden muß. Mehr Menschlichkeit und auch ein Schuß Humor ist für uns alle dringend vonnöten.
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Wir stehen am Anfang einer neuen Wahlperiode, in der diesem Parlament schwerwiegende Entscheidungen für die Sicherung der Zukunft unseres Volkes und zur Erhaltung des Friedens in Freiheit abverlangt werden. Alle Mitbürgerinnen und Mitbürger erwarten, daß sich der Deutsche Bundestag diePräsident Stücklen
ser Verantwortung fähig und würdig erweist. Dazu gehört natürlich, daß die unterschiedlichen Auffassungen mit Klarheit und auch mit Leidenschaft vertreten werden. Die Konfrontation, die Gegenüberstellung abweichender Meinungen, ist in einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbar. Doch ebenso gehört auch die Achtung vor der Meinung des anderen zu den Tugenden, die es verdienen, gepflegt und erhalten zu werden. Es ist eine alte Lebenserfahrung, daß der eine nicht immer recht und der andere nicht immer unrecht hat. Das gilt für die Regierung, für die Koalition und selbstverständlich auch für die Opposition. Wenn wir in unserer parlamentarischen Demokratie nicht die Fähigkeit haben, aufeinander zuzugehen, die Meinung des anderen abzuwägen und zu prüfen, so geben wir ein entscheidendes Stück einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie auf.
Wer sich noch an die 1. und 2. Wahlperiode erinnern kann, wird mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß sie sich u. a. dadurch auszeichneten, daß die Mitglieder des Hauses in dieser Zeit nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch noch im Plenum bei zweiten und dritten Lesungen zu Kompromissen bereit waren. Sollte das nicht auch in Zukunft wieder einmal möglich sein? Ich möchte alle Fraktionen des Hauses bitten, diese Überlegungen freundlich und, wenn es geht, positiv zu prüfen.
Ich möchte dieser Bitte eine Randbemerkung zu unserer Gesetzgebungsarbeit anfügen. Wir alle haben gerade in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, daß das Parlament nicht unbedingt gelobt wird, weil es viele Gesetze verabschiedet hat. Im Gegenteil: Der Staatsbürger würde es als Wohltat empfinden, wenn sich der Bundestag in der Gesetzgebung eine gewisse Zurückhaltung auferlegte.
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Aber ganz besonders lebhaft würde es der Staatsbürger begrüßen, wenn die Gesetze in einer Sprache abgefaßt wären, die er auch ohne Hinzuziehung von Spezialisten verstehen würde.
({9})
In dieser Stunde des Wiederbeginns liegt mir daran, auch noch einmal an die Hoffnungen und Erwartungen zu erinnern, die in der Debatte ausgesprochen wurden, als wir kurz vor Ende der 8. Legislaturperiode unsere neue Geschäftsordnung verabschiedeten. In diese Geschäftsordnung sind die Erfahrungen vieler Jahre unseres parlamentarischen Lebens eingegangen. Dabei war eines unserer Hauptziele, die Arbeit im Plenum zu verbessern. Vor allem soll die lebendige Auseinandersetzung gefördert werden. Das ist ein Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn wir alle daran mitarbeiten. Dazu sind in der damaligen Debatte einige konkrete Vorschläge gemacht worden, an die ich erinnern möchte.
Wir haben gesagt, daß wir mehr Kurzdebatten haben wollen, in denen die kurze, präzise Rede die Regel sein soll. Dabei soll der Dialog zwischen Redner und Vorredner begünstigt werden. Ferner wurde angeregt, häufiger als in der Vergangenheit Aktuelle Stunden anzusetzen, in denen es um aktuelle Fragen und Probleme geht, zu denen die Arbeitskreise
und Ausschüsse noch keine Stellungnahmen und Vorlagen erarbeitet haben. Daran knüpft sich auch die Hoffnung, daß die Plenardebatte mehr Ursprünglichkeit und Aktualität gewinnt. Wenn mehr und kürzere Debatten stattfinden, gibt es auch häufiger Gelegenheit, die jüngeren Abgeordneten im Plenum zu Wort kommen zu lassen. Auch das war eine in der Aussprache zum Ausdruck gebrachte Erwartung.
Das alles sind zunächst nur Hoffnungen, Erwartungen, Anregungen. Doch die neue Geschäftsordnung gibt uns die Möglichkeit, sie in die Tat umzusetzen. Deshalb lassen Sie uns versuchen, unsere parlamentarische Arbeit im Plenum in diesem Sinne zu gestalten.
Zum Schluß sei mir noch ein Wort zur Verbindung von Parlament und Öffentlichkeit gestattet.
Der Deutsche Bundestag hat immer großen Wert darauf gelegt, im Bewußtsein der Offentlichkeit präsent zu sein. Parlament und Offentlichkeit gehören zusammen. Deshalb erfüllt es mich auch mit Genugtuung, daß wir hinsichtlich der Freiheit der parlamentarischen Berichterstattung und der Übertragungen unserer Debatten durch Rundfunk und Fernsehen zur Spitzengruppe aller Parlamente in der Welt gehören.
Es dient der Demokratie, wenn die Bürger Gelegenheit haben, den Verlauf der parlamentarischen Auseinandersetzung unmittelbar zu verfolgen. Wir wissen und müssen es in Kauf nehmen, daß dabei gelegentlich auch ungünstige Eindrücke entstehen. Nicht jeder Zuschauer berücksichtigt beim Anblick eines schwach besetzten Hauses, daß ein großer Teil der parlamentarischen Arbeit außerhalb des Plenums geleistet wird. Deshalb sollte unser aller Bemühen darauf gerichtet sein, dem vorzubeugen und irrigen Vorstellungen von der Arbeit des Parlaments und seiner Mitglieder entgegenzuwirken.
Alle diejenigen aber, die unsere Arbeit mit kritischer Aufmerksamkeit verfolgen, bitte ich, auch in bezug auf die Parlamentsarbeit zu bedenken, daß die Abgeordneten j a auch nur Menschen sind. Ich habe schon einmal, vor eineinhalb Jahren, auf die zeitliche Belastung hingewiesen, die sich aus den politischen Verpflichtungen hier im Hause, außerhalb des Hauses und im Wahlkreis für uns alle und für unsere Familien ergeben. Besonders von unseren Familien werden große Opfer verlangt. Ich habe die Idee aufgegriffen, einmal im Monat für die Mandatsträger ein zusammenhängendes freies Wochenende einzuführen, das die Mitglieder des Hauses ihren Familien und sich selbst widmen können.
({10})
Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben dazu schriftlich ihre grundsätzliche Zustimmung gegeben. Das Jahr 1981 bietet sich in besonderer Weise zur Verwirklichung dieses Vorschlags an, da es von Bundes- und Landtagswahlen frei ist. Unsere Familien würden uns dies danken, und für uns Abgeordnete wäre es gut, wenn wir wenigstens einmal im Monat dem Bibelwort gerecht würden: „Sechs Tage
Präsident Stücklen
sollst du arbeiten, aber am siebten Tage sollst du ruhen."
({11})
Ich werde mir erlauben, die im Bundestag vertretenen Parteien zu einem Gespräch einzuladen, mit dem Ziel, ein politikfreies Wochenende im Monat herbeizuführen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier als Ihr neuer Präsident für die 9. Wahlperiode gesprochen, als eines von drei Mitgliedern, die dem Deutschen Bundestag von der ersten Stunde an angehören. Sollte das eine oder das andere, was ich gesagt habe, wie eine Belehrung geklungen haben, so lag das nicht in meiner Absicht. Vielmehr wollte ich aus meiner Erfahrung und aus meiner Überzeugung heraus sprechen und Ihnen sagen, was mich heute zum Beginn unserer gemeinsamen Arbeit für das Wohl unseres Volkes und der uns anvertrauten parlamentarischen Demokratie bewegt.
Ich schließe in der Hoffnung, daß wir die Kraft haben, unseren schweren Verpflichtungen gerecht zu werden, daß wir vor Gott, den Menschen und der Geschichte bestehen können. Beginnen wir in diesem Geiste unsere Arbeit! .
({12})
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Wahl der Stellvertreter des Präsidenten
Die Fraktionen haben sich dahin gehend verständigt, daß - wie in den vorhergehenden Wahlperioden - vier Stellvertreter des Präsidenten gewählt werden sollen.
Für die Wahl zum Vizepräsidenten sind die folgenden Wahlvorschläge gemacht worden: von der Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Renger, und der Abgeordnete Leber, von der Fraktion der CDU/CSU der Abgeordnete von Weizsäcker, von der Fraktion der FDP der Abgeordnete Wurbs. Werden darüber hinaus weitere Vorschläge gemacht? - Dies scheint nicht der Fall zu sein.
Nach § 2 unserer Geschäftsordnung sind auch die Stellvertreter des Präsidenten mit verdeckten Stimmzetteln zu wählen. Interfraktionell ist jedoch verabredet worden, in Abweichung von der Geschäftsordnung über die vier Vorschläge gemeinsam durch Handzeichen abzustimmen. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Damit ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Wahl. Wer die vier vorgeschlagenen Abgeordneten als Vizepräsidenten des Bundestages wählen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die vier Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Bundestages sind somit einstimmig gewählt.
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Ich frage Sie, Frau Abgeordnete Renger: Nehmen Sie die Wahl an?
Ich nehme die Wahl an, Herr Präsident.
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Herr Abgeordneter Leber, nehmen Sie die Wahl an?
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
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Herr Abgeordneter von Weizsäcker, nehmen Sie die Wahl an?
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
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Herr Abgeordneter Wurbs, nehmen Sie die Wahl an?
Ich nehme die Wahl an.
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Die Damen und Herren Vizepräsidenten haben die Wahl angenommen. Ich darf ihnen im Namen des ganzen Hauses die herzlichsten Glückwünsche für eine erfolgreiche Arbeit im Präsidium und im Deutschen Bundestag aussprechen.
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Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages zur Wahl des Bundeskanzlers auf morgen, 11 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.