Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Am 1. März dieses Jahres hat der Herr Abgeordnete Biechele seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihm die herzlichen Glückwünsche des Hauses aus.
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Ich sehe ihn allerdings leider nicht.
Die Vorlage betreffend die Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung vom 23. bis 27. Januar 1978 in Straßburg - Drucksache 8/1513 -, die keiner Beschlußfassung bedarf, soll gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist es so beschlossen.
Die Fraktion der SPD hat für den aus dem Vermittlungsausschuß ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Böhme ({1}) den Abgeordneten Westphal, der bisher stellvertretendes Mitglied war, als ordentliches Mitglied vorgeschlagen. Als stellvertretendes Mitglied für den Abgeordneten Westphal schlägt die SPD-Fraktion den Abgeordneten Rapp ({2}) vor. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Westphal als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Rapp ({3}) als sein Stellvertreter bestimmt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP: Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt - Drucksache 8/1591 - ergänzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Erweiterung der Tagesordnung beschlossen.
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung soll heute morgen zuerst Punkt 3 und danach Punkt 2 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ist das Haus auch damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 1. März 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Röhner, Kiechle, Susset, Schmitz ({4}), Glos, Dr. Meyer zu Bentrup, Engelsberger, Sick, Jäger ({5}), Dr. von Geldern, Ey, Lagershausen, Kroll-Schlüter, Niegel, Gerster ({6}), Berger ({7}), Pieroth, Schartz ({8}), Dr. Lenz ({9}), Baron von Wrangel, Regenspurger, Dr. George, Dr. Jenninger, Neuhaus und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzhilfen aus den Europäischen Ausrithtungsund Garantiefonds Landwirtschaft ({10}) für den landwirtschaftlichen Wegebau und den Forstwegebau im Nichtstaatswald ({11}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1585 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 7. März 1978 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister des Innern die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Gerstein, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, D. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann, Dr. Hüsch,. Dr. Hoffacker, Schmitz ({12}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich der Kohle ({13}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1594 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 7. März 1978 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Pfeffermann, Frau Dr. Walz, Dr. Hüsch, Dr. Hoffacker und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Weltraumforschung und Weltraumtechnik ({14}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1595 verteilt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste
- Drucksache 8/1140 -Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15})
- Drucksache 8/1599
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Klein ({16}) Abgeordneter Dürr
({17})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein ({18}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der ersten Lesung des damals von den Koalitionsfrak6100
Dr. Klein ({0})
tionen eingebrachten Gesetzentwurfs hat der Kollege Dr. Eyrich eine Reihe von Bedenken gegen die damalige Fassung des Entwurfs vorgetragen und Forderungen an diese Bedenken geknüpft.
Sie galten zum einen der Tatsache, daß der Entwurf eine klare Aussage darüber vermissen ließ, wer der Adressat der von der Parlamentarischen Kontrollkommission auszuübenden Kontrolle sein solle. Dies kann nur die Regierung sein. Ihre politische Verantwortung gilt es festzuhalten und ihre Tätigkeit in bezug auf die Nachrichtendienste der Kontrolle zu unterwerfen. Nur in diesem Rahmen und nur unter diesem Aspekt kann die Kontrolle der Dienste Aufgabe einer parlamentarischen Einrichtung sein. Der uns nunmehr vorliegende Entwurf trägt dieser Forderung meiner Fraktion Rechnung, indem er in seinem § 1 zum Ausdruck bringt, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission unterliegt.
Ein zweites grundsätzliches Anliegen ging dahin, klarzustellen, daß es nicht Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission sein kann, eine vorbeugende und begleitende Kontrolle der Sicherheitsdienste auszuüben. Auch diesem Petitum ist nunmehr entsprochen, indem sowohl in § 2 Abs. 2 als auch in § 3 des vorliegenden Entwurfs eindeutig auf die politische Verantwortung der Regierung hingewiesen ist, die durch die der Parlamentarischen Kontrollkommission zu erteilenden Auskünfte unberührt bleibt. Schon die Begründung des Entwurfs hatte diesen Sachverhalt mit dem Satz umschrieben - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Die Parlamentarische Kontrollkommission hat an den Entscheidungen der Exekutive nicht mitzuwirken. Die Verantwortung der Exekutive bleibt unberührt.
Es ist hervorzuheben, daß nach dem übereinstimmenden Verständnis der an der Beratung Beteiligten der Inhalt dieser Sätze nunmehr zum verbindlichen Inhalt des Gesetzes selbst geworden ist.
Schließlich war es ein besonderes Anliegen, den Schutz des Nachrichtenzugangs zu gewährleisten. Die Formulierung des vorliegenden Entwurfs genügt auch dieser Forderung, indem sie in § 2 Abs. 1 die Bundesregierung verpflichtet, der Parlamentarischen Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Dienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu berichten, indem sie in § 2 Abs. 2 Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Kontrollfunktion unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs der politischen Verantwortung der Bundesregierung anheimgibt und schließlich, drittens, in § 5 die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission ausdrücklich für geheim erklärt und die Mitglieder zur Geheimhaltung derjenigen Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Kommission bekanntgeworden sind, eine Vorschrift, die auch für die Zeit nach dem Ausscheiden der Mitglieder aus der Kommission Gültigkeit beansprucht.
Was also auf der Ebene des Gesetzes getan werden kann, um die Beachtung dieser in einem früheren Stadium der Beratungen von meiner Fraktion vorgetragenen Anliegen zu gewährleisten, ist, so meine ich, geschehen. Vieles allerdings wird von der Praxis abhängen, die sich in dieser Parlamentarischen Kontrollkommission entwickelt. Eine demokratisch befriedigende Kontrolle eines so heiklen Bereichs wie des hier in Rede stehenden ist - darüber müssen wir uns, meine ich, Rechenschaft ablegen - nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Löst man das Problem wie weiland Kolumbus das Problem des berühmten Eies, so geht das Objekt eben zu Bruch. Daß dies nicht geschehen dürfe, darüber bestand unter den an der Beratung Beteiligten ein erfreulich hohes Maß an Einigkeit.
Insofern demokratische Kontrolle nach ihrem Begriff Offentlichkeit impliziert, kann sie in bezug auf die Tätigkeit der für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verantwortlichen Dienste jedenfalls nur mit erheblicher Einschränkung stattfinden. Daraus zieht das Gesetz mit der Einrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission die notwendige Konsequenz. Allerdings bleiben die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse unberührt, was praktisch bedeutet, daß sie dann in Tätigkeit treten können und gegebenenfalls müssen, wenn, wie es jüngst geschehen ist, Vorfälle bekannt werden, die eine öffentliche Erörterung bzw. eine auf eine breitere Basis gestellte Kontrolle erforderlich machen.
Ein Organ wie das durch dieses Gesetz zu schaffende wird nur dann erfolgreich arbeiten können, wenn es gelingt, unter seinen Mitgliedern einerseits und andererseits zwischen diesen Mitgliedern und der Regierung ein Mindestmaß an Vertrauen zu etablieren. Das schließt ein, daß die Dienste selbst grundsätzlich auf dem Vertrauen des ganzen Hauses fußen, um ihre für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland unerläßliche Tätigkeit erfolgreich durchführen zu können. Wenn dieses wechselseitige Vertrauensverhältnis besteht, zu dessen Vorhandensein vor allem die Bundesregierung durch eine entsprechennde Politik Entscheidendes beitragen muß, dann kann auch wirksam kontrolliert werden.
Das Gesetz in der Fassung, die es durch die Ausschußberatungen erhalten hat, schafft die Voraussetzungen für eine weiterhin erfolgreiche Tätigkeit der Dienste sowohl als auch für eine in den Grenzen des sachbedingt Möglichen effektive parlamentarische Kontrolle.
Es sollte noch vermerkt werden, daß die Fraktionen des Hauses sich parallel zur Beratung des Gesetzes darüber geeinigt haben, daß diese Parlamentarische Kontrollkommission aus acht Mitgliedern bestehen soll.
In letzter Zeit haben nun bestimmte Vorgänge im Bereich der Dienste die mit Recht kritische Aufmerksamkeit der Offentlichkeit gefunden. Es ist in diesem Zusammenhang der Gedanke erwogen worden, für die Tätigkeit der Dienste neue gesetzliche Grundlagen zu schaffen bzw. vorhandene geDr. Klein ({1})
setzliche Grundlagen zu verbessern. Ich mache keinen Hehl aus meiner persönlichen Auffassung, daß diese Überlegungen einleuchtend erscheinen, und zwar aus folgendem Grund: Die Tätigkeit der Dienste muß nicht nur einer, wenngleich den besonderen Umständen entsprechenden, aber wirksamen Kontrolle unterliegen, sie muß auch rechtsstaatlich einwandfrei sein, wenn sie, was eine notwendige Voraussetzung ihres Erfolges ist, vom Vertrauen der Bevölkerung getragen sein soll. Klare gesetzliche Grundlagen können dazu beitragen, dieses Vertrauen zu schaffen, und sie liefern zugleich die notwendigen Maßstäbe der Kontrolle. Die nunmehr einzurichtende Parlamentarische Kontrollkommission sollte das Forum bieten, auf dem die vorbereitenden Gespräche für solche Regelungen geführt werden. Es ist dies kein Gegenstand, der sich dazu eignet, politische Prestigepositionen aufzubauen. Die demokratischen Kräfte in diesem Staat sollten alle gleichermaßen an einer der besonderen Schwierigkeit der Sache angemessenen und rechtsstaatlich einwandfrfeien Regelung interessiert sein.
Erlauben Sie mir bitte eine abschließende persönliche Bemerkung. Mit diesem Gesetz wird ein neues parlamentarisches Hilfsorgan geschaffen, welches mit bestimmten zusätzlichen, dem Parlament gegenüber der Regierung sonst nicht zustehenden Rechten ausgestattet ist. Dafür gibt es Parallelen in Gestalt des Wehrbeauftragten einerseits und des Petitionsausschusses andererseits. In beiden Fällen wurde eine verfassungsgesetzliche Grundlage für erforderlich gehalten. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß unbeschadet der Unberührtheitsklausel in § 1 Abs. 2 des Gesetzes die Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle der Regierung in bezug auf die Dienste nicht nur de facto in aller Regel Sache der Parlamentarischen Kontrollkommission sein wird, daß dies so ist, ist vielmehr der eigentliche Sinn des Gesetzes. Ich bin deshalb für meine Person der Auffassung, daß es auch zur Schaffung dieser Parlamentarischen Kontrollkommission einer Verfassungsänderung bedürfte, und ich halte es für meine Pflicht, diese meine von der Mehrheit freilich nicht geteilte Auffassung hier zu Protokoll zu geben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nachrichtendienste gehören zu den ungeliebten Kindern der Nation. Sie sind unerwünscht, aber notwendig. Um im Bild zu bleiben: die Unarten des Verfassungsschutzes und die nicht zu bestreitenden Fehlleistungen im MAD in der letzten Zeit haben zu harter Kritik in diesem Hause geführt und ich füge hinzu: zu berechtigter Kritik. Nicht zu verkennen war, daß mit „innerer Wollust" die Gesichter der verantwortlichen Minister zerkratzt wurden - für Taten oder Untaten, die letztlich hinter ihrem Rücken geschahen. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß ich es als eine Fehlleistung des 8. Deutschen Bundestages betrachte, daß bis heute das
Parlament die Kontrolle der Nachrichtendienste nicht übernommen hat. Dem Tadel folgten keine Taten.
Mehrfach ist von den Kollegen Wehner und Mischnick die Wiedereinrichtung des Vertrauensmännergremiums in dieser Legislaturperiode der Opposition angeboten worden. Ebenso mehrfach ist das abgelehnt worden.
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- Das hat nichts mit Sprüchen zu tun. Ich stelle das hier fest.
Um so beachtlicher ist es, daß wir erstmals, solange der Bundestag überhaupt besteht, nun gemeinsam zu einer gesetzlichen Regelung finden. Das war nicht ganz so einfach. Denn dort, wo das Vertrauen weitgehend im Parlament untereinander verlorengegangen ist, schleicht sich das Mißtrauen ersatzweise ein. Dann gilt bei einem Gesetz jedes Wort, und hinter jedem Wort wittert man aus diesem Mißtrauen heraus das Unterlaufen der Bestimmungen oder das Hintergehen durch die zu Kontrollierenden. Das ist so wie Rost bei einem Auto, das frißt von innen nach außen. So war das Ganze ein sehr schwieriger Akt. Ich betone, ich bin froh, daß wir das gemeinsam hinbekommen haben.
Zwei Elemente waren in diesem Gesetz zu vereinbaren. Erstens. Die Kontrollkommission hat die Grundrechte der Bürger vor Übergriffen durch die Geheimdienste zu schützen. Das beinhaltet, daß dieser Kommission keine Mitentscheidung gegeben sein kann und darf. Das bedeutet, daß keine direkte Begleitung operativer Handlungen der Dienste durch die Kontrollkommission erfolgen kann und darf. Das heißt, Mitverantwortung hat die Kommission nicht. Damit ist das Kontrollrecht sauber und rein im Gesetz postuliert. Wir haben das auszudrücken versucht, indem wir hineingeschrieben haben, daß das Informationsrecht der Kommission und die Informationspflicht der Bundesregierung umfassend sind, sowohl über die allgemeine Tätigkeit der Dienste als auch über Fälle von besonderer Bedeutung.
Hinzu kommt, daß diese Kommission die Rechtsgrundlagen, nach denen die Dienste zu arbeiten haben, ständig prüft, daß sie die Aufgaben, die Befugnisse der Dienste ständig beobachtet und setzt und daß sie die Trennung der Dienste untereinander - und nicht das zusammenmischende Arbeiten - sorgfältig beachtet. Schon jetzt ist für mich erkennbar, daß dieses Gesetz die Voraussetzungen schafft, daß aber die Wirksamkeit der Kontrolle ausschließlich von der Qualität der Arbeit dieser Kontrollkommission abhängen wird. Diese Qualität kann gesetzlich nur vorbereitet werden; Wirklichkeit muß sie in der Praxis werden. Die von Journalisten vielfach gestellte Frage, ob Fälle wie Traube oder das Vorzimmer des Verteidigungsministers damit der Vergangenheit angehören, beantworte ich zuversichtlich: Das hoffe ich. Auch in Zukunft wird es nicht auszuschließen sein, daß einzelne in den Diensten sich falsch verhalten. Daß aber ganze
Dienste oder Abteilungen ganzer Dienste nicht streng nach dem Gesetz fahren, halte ich in der Zukunft für unwahrscheinlicher als zur Zeit.
Ein zweites Element gilt es mit dem ersten zu vereinbaren. Die drei Geheimdienste sind Behörden, die den speziellen Auftrag haben, Gefahren für diesen Staat abzuwenden. Die Ziele ihrer Gegner sind ungesetzlich, die Mittel ihrer Gegner sind ungesetzlich, und die technische Ausrüstung in diesem hohen Grade der Anwendbarkeit trägt schon das Kriminelle in sich. Im Innenausschuß haben wir vor gut einem Jahr oder vor zwei Jahren im Verfassungsschutzgesetz den Begriff der nachrichtendienstlichen Mittel und der Genehmigung ihrer Anwendung eingefügt. Es ist uns nicht gelungen, diesen Begriff zu spezifizieren, und so haben wir es in die Verantwortung der zuständigen Minister geben müssen, daß die Anwendung dieser technischen Mittel dort aufhört, wo die Grundrechte des Bürgers beginnen.
Die Arbeit in den Geheimdiensten - das möchte ich zum Schluß in Richtung der Dienste sagen -= ist gefährlich. Wir haben erkannt, daß Personenschutz und Quellenschutz notwendig sind; wir haben auch gesehen, daß die Sicherheit der Anonymität - besonders für die Beschäftigten im BND - gar lebenswichtig sein kann und ist. All das ist im Gesetz berücksichtigt, und diese beiden Elemente haben wir, wie ich hoffe, glücklich miteinander vereint.
Die Kommission wird keine leichte Aufgabe haben in der Doppelfunktion, die Sicherheit des Bürgers vor Übergriffen zu gewährleisten und den Diensten selbst Sicherheit zu geben. Wir stimmen dem Gesetz zu. Den Kollegen, die dort zu arbeiten haben, zolle ich jetzt schon meinen Respekt für diese schwierige Tätigkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Spitzmüller hat bei der ersten Lesung am 10. November 1977 zu Recht bedauert, daß der ursprünglich von allen drei Fraktionen erarbeitete Gesetzentwurf, damals nur auf die Koalitionsfraktionen gestützt, eingebracht werden konnte. Die Hoffnung, schließlich doch noch zu einer Einigung zu kommen, hat nicht getrogen, und dies, ohne Abstriche an der Zielsetzung vorzunehmen oder die geplante Problemlösung zu verwässern.
Unser Ziel war und ist, für den Bereich aller Nachrichtendienste des Bundes ein einheitliches, jetzt gesetzlich fundiertes parlamentarisches Kontrollorgan zu schaffen und durch die Art der personellen Zusammensetzung und der zahlenmäßigen Beschränkung der Mitgliederzahl die Arbeitsfähigkeit der Kommission und die erforderliche Geheimhaltung der Informationen zu gewährleisten.
Gestern wie heute wollen wir eine umfassende Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber der
Kommission, die ihr Kontrollrecht auch auf Antrag eines einzelnen Mitgliedes auszuüben hat, gleich' zeitig aber keine Verwischung der politischen Verantwortung, die weiterhin allein bei der Bundesregierung verbleibt.
Das Parlamentarische Vertrauensmännergremium hat Mängel gezeigt, schon wegen der Vielzahl seiner Mitglieder.
Die Fraktionen des Hauses haben sich jetzt darauf geeinigt, die Kontrollkommission mit acht Mitgliedern im Verhältnis 3 : 3 : 2 zu besetzen, wobei die Fraktionen davon ausgehen, daß ihre Vorsitzenden der Kommission angehören werden.
Die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse - darauf ist bereits hingewiesen worden - bleiben durch die neue Kommission unberührt. Die Rechte des Parlaments werden durch diese Kommission nicht eingeschränkt. Sie werden vielmehr erweitert, weil das Parlament ein zusätzliches Instrument erhält, das dann auch in der Lage sein sollte, nicht nur auf dem Papier Kontrolle auszuüben, sondern hier tatsächlich seine Kontrollfunktion wahrzunehmen.
Nun ist stellenweise in der Formulierung, daß Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Kontrollkommission unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die politische Verantwortung der Bundesregierung bestimmt werden, eine Beschränkung bedenklicher Art des Kontrollrechts gesehen worden. Ich meine, zu Unrecht; denn auch dem ursprünglichen Entwurfstext, wenn auch ungeschrieben, lag bei der Besprechung immer die Auffassung zugrunde, daß der Schutz des Nachrichtenzugangs es erfordere, sowohl im Verhältnis gegenüber den Mitarbeitern der eigenen Dienste als auch im Verhältnis zu Nachrichtendiensten im befreundeten Ausland hier eine aus der Natur der Sache sich ergebende Beschränkung hinzunehmen.
Für das Parlament als einen der Wächter der Grundrechte des Bürgers sind auch weniger die einzelnen Nachrichtenquellen von Bedeutung. Das Parlament wird vor allem interessieren müssen - und dies ist im Gesetz vorgesehen -, informiert zu werden nicht nur über Fälle von besonderer Bedeutung, sondern über die allgemeine Tätigkeit der Nachrichtendienste. Dazu zählen ja nicht nur allgemeine und spezielle Organisationsfragen; dazu zählt nach unserem Verständnis vor allem, informiert zu werden über die technische Weiterentwicklung und Neuentwicklung nachrichtendienstlicher Mittel, diese darauf zu prüfen, inwieweit sie geeignet sind, Rechte der Bürger bei ihrer Anwendung einzuschränken und auch eine Klärung herbeizuführen in dem sehr schwierigen Bereich der technischen Hilfe und der Amtshilfe, der uns schon viel Kopfzerbrechen bereitet hat.
Aufgabe der Kontrollkommission kann und darf es nicht sein, Handlungen oder Unterlassungen der Dienste abzusegnen, gutzuheißen oder sonst irgendwie in die Entscheidungsfreiheit der politisch Verantwortlichen einzugreifen. Die politische Verantwortung trägt allein die Bundesregierung. Diese
Verantwortung kann und darf ihr niemand abnehmen.
Ich meine aber, die Kommission kann den Blick für verantwortliches Handeln schärfen. Wer den Blick für politische Realitäten nicht verloren hat, weiß, daß die Dienste auch in unserem Lande wichtige Aufgaben wahrnehmen, daß auf die Dienste und ihre Tätigkeit nicht verzichtet werden kann. Wir wünschen aber Dienste, die trotz der erforderlichen Geheimhaltung nicht ein isoliertes Eigenleben führen, sondern die eingebunden sind in unseren Staat und die Vertrauen genießen, weil sie versuchen, dieses Vertrauen in ihrer täglichen Arbeit zu rechtfertigen. Auf diesem Weg kann die Parlamentarische Kontrollkommission einen wichtigen Beitrag leisten.
Die FDP-Fraktion wird dem Gesetz zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag wird heute das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschieden. Dieses Gesetz steht am Ende - daran ist in dieser Stunde zu erinnern einer seit Jahren und nicht erst seit Anfang des vergangenen Jahres geführten Diskussion um eine gesetzlich verankerte, institutionalisierte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Ich erinnere nur an den auf Empfehlung des Zweiten Untersuchungsausschusses vom Deutschen Bundestag eingebrachten Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1969, der damals allerdings im Plenum keine Mehrheit gefunden hat.
Die Diskussion ist trotz oder gerade wegen des Scheiterns dieser Vorlage weitergegangen. Die Bundesregierung war, obwohl für sie naturgemäß die Frage der innerexekutiven Kontrolle der Nachrichtendienste im Vordergrund stehen muß, zu jeder Zeit den Überlegungen zur Institutionalisierung der parlamentarischen Kontrolle der Dienste aufgeschlossen. Ich darf verweisen auf die nach der Vorlage des sogenannten Hirsch-Berichts mit den Fraktionen vereinbarten Verbesserungen des Verfahrens im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium. Die Bundesregierung teilt jedoch die zunehmenden Zweifel an der Wirksamkeit dieser Einrichtung, obwohl andererseits noch die Enquete-Kommission - auch daran muß man in dieser Stunde erinnern - in ihrem Schlußbericht im Blick auf das Parlamentarische Vertrauensmännergremium die grundgesetzliche Verankerung eines besonderen Ausschusses des Deutschen Bundestags für Angelegenheiten der Nachrichtendienste nicht für erforderlich erklärt hat.
Wenn der Gesetzgeber nun aus den durch Erfahrungen erhärteten Zweifeln an der Effektivität der bisherigen Parlamentskontrolle durch das sogenannte Vertrauensmännergremium die Konsequenz
zieht und die Kontrolle der Regierung hinsichtlich der ihr unterstehenden drei Dienste des Bundes jetzt durch ein besonderes Organ des Parlaments gesetzlich festzulegen und zu regeln versucht, so kann die Bundesregierung das nur begrüßen. Sie tut dies trotz der Schwierigkeiten, die hier in der Natur der Sache liegen. Die Berichterstatter und Redner haben ja auf einige dieser kritischen Punkte schon hingewiesen.
Probleme solcher Kontrolle ergeben sich ja zum einen im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip aus der Eigenverantwortlichkeit der Regierung im Spannungsverhältnis zum Parlament, zum anderen aber auch aus den Besonderheiten nachrichtendienstlicher Vorgänge, deren Behandlung auf die Erfordernisse der Geheimhaltung Bedacht zu nehmen hat. Beiden Gesichtspunkten trägt der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf voll Rechnung, wie wir dankbar feststellen. Er stellt klar, daß es die Bundesregierung ist, die der Kontrolle des Parlaments unterliegt, nicht der einzelne Nachrichtendienst unmittelbar. Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung und damit die Verantwortlichkeit des Ressortchefs werden nicht verschoben, eine Vermischung von Legislative und Exekutive, die gerade in diesem Bereich verhängnisvoll wäre, findet nicht statt.
Die Ausgestaltung der Berichtspflichten der Bundesregierung und der Unterrichtungsansprüche des Kontrollorgans weisen die parlamentarische Kontrolle eindeutig als eine nachträgliche Kontrolle aus. Gleichwohl - das muß man, glaube ich, auch für die zukünftige Praxis dieses Organs sehen - erlauben diese Regelungen unbeschadet des Gewaltenteilungsprinzips - und das begrüßen wir - tatsächliche Einwirkungen des Parlaments in die exekutive Sphäre; denn sie ermöglichen beispielsweise, daß sich ein Ressortchef vor abschließender Entscheidung in grundsätzlichen Fragen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel zur eigenen Meinungsbildung mit fachkundigen und verantwortlichen Parlamentariern beraten kann, ohne daß dies seine Entscheidungsfreiheit und damit seine eigene Letztverantwortlichkeit einschränken kann.
Die Bundesregierung erwartet deshalb von der mit diesem Gesetz institutionalisierten parlamentarischen Kontrolle hinsichtlich der Tätigkeit der Nachrichtendienste ein Vierfaches: erstens, für das Parlament eine Erweiterung und Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung; eine Erweiterung deshalb, weil das Verfahren der Parlamentarischen Kontrollkommission neben die bereits vorhandenen und weiterbestehenden durchaus vielfältigen sonstigen Kontrollinstrumente tritt wie etwa das parlamentarische Fragerecht, aber auch die Beratung in den zuständigen Parlamentsausschüssen, die Bildung von Untersuchungsausschüssen und die besondere Kontrolle hinsichtlich der Durchführung des Gesetzes zu Art. 10 des Grundgesetzes. Eine Verbesserung tritt insoweit ein, als Art und Umfang der Berichtspflichten einerseits und der Unterrichtungsansprüche andererseits gesetzlich festgelegt werden und damit dem Parlament eine größere Transparenz nachrichtendienstlicher Vorgänge ermöglicht wird.
Zweitens. Für die demokratische Offentlichkeit - dies ist nicht weniger bedeutsam - erwarten wir eine Stärkung des Vertrauens in die recht- und ordnungsmäßige Aufgabenerfüllung der Dienste bei ihrem so schwierigen Geschäft zum Wohle unserer Bürger, und nichts sonst, sowie ein wachsendes Verständnis für die spezifischen Besonderheiten und Schwierigkeiten nachrichtendienstlicher Arbeit.
Drittens. Für die Dienste erwarten wir einen Zuwachs an Unterstützung im Parlament - auch dies begrüßen wir - und in der demokratischen Öffentlichkeit, ohne die sie - das beginnt schon bei der Gewinnung persönlich und fachlich geeigneter Mitarbeiter - ihren Auftrag zum Schutz des Bestandes und der freiheitlichen Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht erfüllen können.
Viertens. Für die Regierung selbst erwarten wir schließlich die Möglichkeit, trotz der notwendig zu wesentlichen Teilen geheim erfolgenden Tätigkeit der Nachrichtendienste diesen Bereich der Exekutive in einem besonderen Verfahren dem Parlament und damit der Kontrolle der Legislative offenzulegen, zugleich aber auch in wichtigen Fragen aus diesem Bereiche mit dem Parlament, unbeschadet der beiderseitigen Verantwortlichkeiten, in einen konstruktiven Dialog einzutreten, der gerade für die schwierige Grenzziehung beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sicherlich nur förderlich sein kann.
Noch ein letztes Wort zum Militärischen Abschirmdienst. Wir meinen, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Gesetzgebungsarbeit im Regelungsbereich der Nachrichtendienste noch nicht abgeschlossen sein kann. Sollte der Gesetzgeber beabsichtigen, die mit diesem Gesetzentwurf nicht zu leistende Festlegung der Aufgaben und Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes nachzuholen, würde sich die Bundesregierung positiv zu einem solchen Vorhaben einstellen.
In der Zwischenzeit wird die Bundesregierung prüfen, ob die bestehenden Richtlinien, die vor allem die Aufgaben des MAD zu anderen Diensten abgrenzen, der Ergänzung bedürfen.
Im übrigen ist es schon heute nicht so, daß der MAD bisher ohne jede gesetzliche Grundlage, ohne Legitimation auch des Parlaments bestanden und gehandelt hat. Ich erinnere daran, daß der MAD mit seiner besonderen nachrichtendienstlichen Aufgabenstellung vom Gesetzgeber in Gesetzen ausdrücklich erwähnt wird, nicht nur im jährlichen Haushaltsgesetz, sondern auch in Gesetzen wie dem zu Art. 10 des Grundgesetzes; wobei der Gesetzgeber offenbar in Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung davon ausgeht, daß dem Militärischen Abschirmdienst gleichlautende Befugnisse zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie dem Verfassungsschutz zustehen - nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Die auf Grund des zu verabschiedenden Gesetzentwurfs zu errichtende Parlamentarische Kontrollkommission wird - dessen bin ich sicher - gerade zur Frage der Notwendigkeit gesetzgeberischer Initiativen hinsichtlich des MAD, wenn sie einige Erfahrungen gesammelt hat, ein gewichtiges Wort zu sagen haben, wie wir überhaupt die Erfahrungen der
Kontrollkommission bei ihrer wichtigen und verantwortungsreichen Aufgabe für alle weiterführenden Überlegungen abwarten sollten. Wenn die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - wovon ich ausgehe - dasselbe Verständnis für die Durchführung der schwierigen Sicherheitsaufgabe der Nachrichtendienste aufbringen, wie es in dankenswerter Weise die Mitglieder der an den Beratungen beteiligten Ausschüsse des Parlaments gezeigt haben, so ist zu erwarten, daß der Rechtsstaatlichkeit ebenso wie der Sicherheit in unserem Land ein guter Dienst erwiesen werden wird.
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Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung.
Ich rufe die §§ 1 bis 7 in der Ausschußfassung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dem Gesetz mit großer Mehrheit zugestimmt.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen.
Es liegt eine weitere Beschlußempfehlung vor. Der Auschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1599, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 2 auf: Bericht zur Lage der Nation.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur aktuellen Situation voranstellen.
Im letzten Vierteljahr des vorigen Jahres hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland ein erfreulich hohes Wirtschaftswachstum. Wenn wir es nach angelsächsischer Berechnungsmethode messen wollten, entsprach es im letzten Vierteljahr wahrscheinlich einer Jahresrate von 6 % real.
Diese Entwicklung ist vor allem auf die günstige Inlandsnachfrage zurückzuführen. In ihr sind die Auswirkungen der expansiven staatlichen Ausgabenpolitik und der Steuersenkungen bereits deut-.
lich spürbar. Aber auch die außerordentlich günstigen Finanzierungsbedingungen - wir haben gegenwärtig das niedrigste Zinsniveau der Nachkriegszeit - spielten hierbei eine wesentliche Rolle.
Der Erfolg dieser Stabilitätspolitik hält an. Die Verbraucherpreisrate liegt im Februar voraussichtlich bei 4- 3,0 % - trotz der Mehrwertsteuererhöhung, die am 1. Januar in Kraft getreten ist. Eine derart niedrige Verbraucherpreisrate haben wir zum letztenmal im März 1970 erlebt.
Diese Entwicklung müßte uns zu wirtschaftlichem Optimismus veranlassen, wenn nicht gleichzeitig die Währungsunruhen der vergangenen Monate auch Besorgnis auslösten. Zweifellos gefährdet das Absinken anderer Währungen die Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft. Jede weitere Verbesserung des D-Mark-Kurses verschärft die Strukturprobleme unserer exportierenden Wirtschaft und unserer exportabhängigen Arbeitsplätze, sei es im Stahl-, im Schiffsbau-, im Luftfahrt- oder selbst im Bergbaubereich.
Es erfüllt uns dabei mit Besorgnis, daß die Aufwertung der Deutschen Mark seit dem Sommer 1977 beträchtlich über jenes Maß hinausgegangen ist, das einem Ausgleich des internationalen Preis- und Kostengefälles, also des Gefälles zwischen Ausland und uns, entsprochen hätte. Ich teile in diesem Zusammenhang ohne jeden Zweifel die Meinung des amerikanischen Präsidenten Carter, der den Dollar gegenwärtig als unterbewertet beurteilt. Auf der anderen Seite findet an den internationalen Börsen in New York, in Tokio, in Zürich, in London - wo immer Sie wünschen - seit Wochen und Monaten eine tägliche Volksabstimmung über unsere Währung statt. Diese tägliche Volksabstimmung hat dazu geführt, daß in der ganzen Welt jeden Tag ein hohes Vertrauen in die deutsche Wirtschaft, in ihre Stabilität und in die deutsche Währung zum Ausdruck gebracht wird.
Der hohe D-Mark-Kurs führt natürlich auch zu dem positiven Ergebnis von Kosteneinsparungen bei uns, soweit wir auf Importe angewiesen sind, vor allen Dingen auf der Rohstoff- und auf der Ölseite. Die tatsächliche, reale Aufwertung unserer Währung drückt aber nun vor allem auf die Erträge und auf die Beschäftigungslage - ich sagte es schon - von exportierenden Unternehmen in Deutschland, von exportierenden Branchen und auch auf Erträge solcher Unternehmen, die auf unseren Inlandsmärkten starker ausländischer Importkonkurrenz ausgesetzt sind. Hier besteht zweifellos eine gewisse Gefahr für die Investitionsneigung, die sich in unserer Wirtschaft - ich sagte es schon - im Laufe oder gegen Ende des letzten Jahres ja deutlich erholt hat. Die Bundesregierung ist gleichwohl zuversichtlich, daß es der amerikanischen Regierung gelingt, das internationale Vertrauen in die amerikanische Währung zu stabilisieren. Ganz gewiß kommt hierbei der Verabschiedung des Energiesparprogramms, das Präsident Carter seinem Parlament vorgelegt hat, durch den amerikanischen Kongreß eine besondere Bedeutung zu.
Andererseits ist die Stabilisierung des Vertrauens in die Entwicklung der Weltwirtschaft keineswegs
nur ein amerikanisches Problem, keineswegs nur eine Aufgabe für die Vereinigten Staaten, sondern eine Aufgabe, an der insbesondere alle Industrieländer mitzuwirken haben. Nur in gemeinsamer Verantwortung kann es gelingen, die Rezession endgültig zu überwinden. Deshalb sind wir ja - insbesondere die Deutsche Bundesbank - an der Verteidigung des 'von Präsident Carter geforderten starken Dollars tatkräftig beteiligt. Wir werden uns auch in Zukunft weiter daran beteiligen.
Ich habe vorhin erwähnt, daß wir im letzten Vierteljahr 1977 - auf Jahresrate umgerechnet und mit amerikanischen oder englischen Maßstäben gemessen - ein Wachstum von 6 % haben erreichen können. Das war natürlich ein sehr gutes Ergebnis. Aber man soll die internationalen Vergleiche auf diesem Felde nicht übertreiben. Die Tatsache, daß einmal das eine Land und ein anderes Mal das andere Land einen Wachstumsvorsprung hat, muß noch nicht viel besagen. Es macht besonders wenig Sinn, wenn - daran angeknüpft - wechselseitige Forderungen gegeneinander gerichtet werden. Das kann zu Mißverständnissen führen. Das ist nicht geeignet, das Klima zu verbessern. Ich hebe das deshalb hervor, weil wir uns in Wirklichkeit in Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika befinden, anders als manche Zeitungen diesseits und jenseits des großen Teiches das beurteilen und auch darstellen.
Die Übereinstimmung, von der ich sprach, bezieht sich z. B. auch auf den entschiedenen Kampf beider Regierungen gegen handelspolitischen Protektionismus. Wir treten beide für einen baldigen erfolgreichen Abschluß der gegenwärtigen GATT-Runde in Genf ein. Die Übereinstimmung bezieht sich z. B. auch auf die internationale Energiepolitik und auf die Energieeinsparpolitik, ohne daß ich das im einzelnen ausführen will. Sie bezieht sich z. B. auch auf die vielen Felder in der Nord-Süd-Politik, auf denen wir in enger Abstimmung mit der Regierung der Vereinigten Staaten vorgehen.
Ich will dem noch eine grundsätzliche Bemerkung hinzufügen: In einigen Berichten der letzten Monate sind leider hier und da - nicht generell geteilt, aber doch wert, daß man hier darauf eingeht und diese Berichte zurückweist - weitgehende Spekulationen über eine angebliche Veränderung unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten angestellt worden. Ich will dazu feststellen: Niemand, der die Bundesrepublik Deutschland wirklich kennt - und sicherlich niemand von uns -, könnte ein solches Urteil teilen, es sei denn, er wollte bewußt Schaden anrichten. Wir treiben im gemeinsamen Interesse eine Politik, die die gegenwärtigen Schwierigkeiten in der Welt gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu überwinden hilft.
Dies geschieht - ich betone das noch einmal - auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Dabei sind wir Deutschen wegen unserer Interessen noch stärker auf den amerikanischen Partner angewiesen, als der amerikanische Partner seiner Interessen wegen auf uns angewiesen ist. Wie anders wäre denn sonst heute morgen ein positives Bild von der Lage der Nation überhaupt möglich geworden?
Das Fundament unserer Freundschaft sind die geschichtlichen, die geistesgeschichtlichen, auch die menschlichen Bindungen, die weitgehende Identität unserer politischen und unserer sozialen Wertvorstellungen. Und an dieser moralischen Grundlage der deutsch-amerikanischen Verbundenheit können nun allerdings vorübergehende Wechselkursverschiebungen nichts ändern. Der deutsch-amerikanische Consensus ist durch Derartiges nicht zu erschüttern.
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Die Bundesregierung sieht - wenn ich auf ein anderes Feld zu sprechen kommen darf - mit besorgter Aufmerksamkeit, daß sich die tarifpolitischen Auseinandersetzungen in diesem Jahr schwieriger gestalten als in den vergangenen Jahren. Dabei richtet sich die Besorgnis nicht so sehr auf die Tatsache von Arbeitskämpfen. Es gibt viele in Deutschland, die schon die Tatsache für unordentlich halten. Sie irren sich. Sie sollten einmal vergleichen, wie geringfügig - nicht nur in den vergangenen Jahren, sondern auch in diesem Jahr - im Verhältnis zu den. Arbeitskämpfen und zu den verlorenen Arbeitstagen in anderen demokratischen Industriegesellschaften die Arbeitskämpfe, Streiks und leider auch Aussperrungen bei uns ins Gewicht fallen. Das alles ist bei uns sehr viel seltener. Die Besorgnis richtet sich mehr auf die Möglichkeit, daß im Verlauf der Auseinandersetzungen in diesem Jahr das auf beiden Seiten bewährte Augenmaß Schaden leiden könnte. Auf dieses Augenmaß kommt es aber gerade wegen der zuvor geschilderten währungspolitischen Turbulenzen der letzten Monate noch mehr an als in den unmittelbar vorangegangenen Jahren.
Zuweilen hat man seine Zweifel, ob das zur Verfügung stehende Instrumentarium von Schlichtungsvereinbarungen oder auch nur der freien Vermittlung in Streitigkeiten in jedem Fall und von allen Beteiligten mit der vollen Ernsthaftigkeit zur Anwendung gebracht wird. Ich will dazu heute nicht mehr sagen; denn ich will nicht in den Verdacht geraten, die Tarifautonomie nicht ernst zu nehmen. Umgekehrt sollte niemand jemanden des Bruches oder der Gefährdung der Tarifautonomie ziehen, der sich aus freien Stücken bereit findet, in laufenden Arbeitskämpfen den streitenden Parteien zu einer gütigen vertraglichen Einigung zu verhelfen.
Ich möchte allerdings dick unterstreichen, daß wir alle darauf achten müssen, daß z. B. etwaige Rollen von Politikern an einem solchen Punkt dann auch enden müssen. Wir dürfen es nicht zulassen - ich halte das für ein. ganz wesentliches Element des bei uns im Grunde sehr stabilen sozialen Friedens und der von ihm auch für unsere innere Sicherheit ausgehenden Komponenten -, daß von Staats wegen in die Tarifautonomie eingegriffen wird.
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Wer die Tarifautonomie angreift, nimmt den Gewerkschaften ihr ureigenes Betätigungsfeld, weitet das Betätigungsfeld des Staates, seiner Verwaltung und seiner Bürokratie aus, drängt die Gewerkschaften aus der Verantwortung, drängt sie auf Nebenfelder ab, drängt sie in die Gefahr, auf Nebenfeldern
Erfolge suchen zu müssen, und öffnet damit möglicherweise - vielleicht ganz ungewollt und unbewußt - Türen und Tore für Ansätze zur Zerstörung der Einheitsgewerkschaft.
Es sind aber gerade die Einheitsgewerkschaft als autonomer Tarifpartner und ebenso der ihr gegenüberstehende autonome Tarifpartner gewesen, die in all diesen Jahrzehnten - bisweilen sicherlich auch einmal über das Ziel hinausschießend, bisweilen sicherlich auch einmal hinter dem Ziel zurückbleibend - in gemeinsamer freier Verantwortung jenen ungewöhnlichen Aufstieg in wirtschaftlicher Hinsicht und im Lebensstandard der Arbeitnehmer und derjenigen Menschen, die von der sozialen Sicherung abhängen, insbesondere der Rentner, die also im Laufe von 30 Jahren - 30 Jahre liegt die Währungsreform heute zurück - den Aufstieg des gesamten Lebensstandards bewirkt haben.
Ich möchte ein Wort auch zu dem Gegenstand sagen dürfen, der gegenwärtig den Innenausschuß des Parlaments beschäftigt. Mir erscheint es schon jetzt erkennbar, daß die föderative Struktur des Polizeiwesens in unserem Bundesstaat bisweilen Fehler noch nicht auf das menschenmögliche und das zu erreichende kleinste Ausmaß begrenzt. Z. B. ist in der Terrorismusbekämpfung seit Jahren in den Innenministerkonferenzen der Länder und des Bundes immer wieder sorgfältig die Frage nach den Nahtstellen, nach den Verbindungsgelenken zwischen den verschiedenen Ebenen des Polizeiwesens - es sind ja nicht nur zwei Ebenen - gestellt worden. Mir scheint, die Frage muß weiterhin sorgfältig bearbeitet und dort, wo Mängel entdeckt werden sollten, funktionssicheren Lösungen zugeführt werden.
Mich haben die zutage getretenen Umstände bei der Behandlung von Hinweisen auf eine Wohnung in Erftstadt tief betroffen.
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Bei der Prüfung der Frage, was oder wer dort möglicherweise versagt hat - die Prüfung muß stattfinden und ist ja im Gange; sie ist, wenn ich das hinzufügen darf, länger als seit gestern im Gange -, darf das Vertrauen der Bürger in ihre Polizei nicht gefährdet werden.
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Die Polizei ist und bleibt auf die Mithilfe der Bürger und auf ihre Hinweise angewiesen.
Ich möchte mich nun den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zuwenden.
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Im fünften Jahr seit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung dieser Beziehungen trotz der gelegentlichen Rückschläge, die wir keineswegs auf die leichte Schulter nehmen - ich komme darauf zurück -, insgesamt als positiv. Wir unterliegen dabei keinem Wunschdenken. Das ist auch früher nicht
der Fall gewesen. Bundeskanzler Brandt wie auch ich und andere Regierungsmitglieder haben in den letzten acht oder achteinhalb Jahren oft die Warnung wiederholt, sich auf künftige Rückschläge einzurichten und sich, sofern sie und wenn sie dann eintreten, von ihnen nicht entmutigen und im Wege nicht beirren zu lassen.
Inzwischen kennen wir alle die Felder, auf denen
genügend gemeinsame Interessen vorhanden sind,
um ein geregeltes Nebeneinander zu erreichen und
- zu einer konkreten Zusammenarbeit zu gelangen. Wir kennen inzwischen auch die Grenzen dieser Möglichkeiten, die Schwierigkeiten und Mühen, die mit jedem - auch mit dem kleinsten - Schritt immer wieder verbunden sind. Nicht alle Hoffnungen sind bisher in Erfüllung gegangen; manche Bemühungen waren langwieriger als erwartet. Aber auch Rückschläge verleiten uns nicht zur Resignation. Denn unser nationales Interesse, die Deutschen im Dialog zu halten, ist stärker und muß immer stärker sein als Stimmungen, gegen die man nun allerdings keineswegs immer gefeit ist. Wir wollen ja den Entspannungsprozeß fördern, und das tun wir in Festigkeit und Gelassenheit. Wir wollen in die Gewohnheiten des Kalten Krieges nicht zurück - und dürfen dahin auch nicht zurückfallen.
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Auf einigen Gebieten hat sich auf der Grundlage von Abkommen eine funktionierende Zusammenarbeit entwickelt. Auf anderen Gebieten gibt es Ansätze dafür. Staatsminister Wischnewski hat im Laufe von Herbst und Winter Sondierungsgespräche mit der DDR geführt, um weitere Verhandlungen vorzubereiten, die inzwischen im Gange sind.
Durch die Schließung des „Spiegel"-Büros in Ost-Berlin Anfang 1978, die hier schon einmal zur Sprache gekommen ist, nach der Veröffentlichung eines sogenannten Manifestes hat die DDR-Führung das Verhältnis zu uns erheblich belastet. Dem CDU-Vorsitzenden Dr. Kohl und anderen Kollegen wurde kurz danach die Einreise nach Ost-Berlin verweigert. Wir haben zu beiden Ereignissen der DDR-Führung unsere Meinung in aller Deutlichkeit gesagt.
In der damaligen Situation, in der die Gefahr einer Konfrontation bestand, haben wir es für richtig gehalten, Herrn Wischnewski zu Gesprächen nach Ost-Berlin zu entsenden. Niemand konnte von diesen Gesprächen erwarten, daß bestimmte Maßnahmen sogleich rückgängig gemacht würden. Die Unterhaltung war dennoch nach der Meinung beider Seiten nützlich, wobei ich hier das Wort „nützlich" verstehen will - oder darum bitten darf, daß es so verstanden wird - als „politisch weiterführend".
Beide Seiten haben bei dieser Gelegenheit grundsätzliche und ebenso aktuelle Fragen besprochen. Dabei sollte und konnte nicht erreicht werden, daß auf der ganzen Linie Einmütigkeit erzielt wird, aber es sollte herausgefunden werden, ob und wie es weitergehen kann, und es wird weitergehen.
Normalisierung bedeutet ja nicht nur den Abschluß von Verträgen, sondern dazu gehört auch die freimütige Erörterung von Interessenkonflikten, von
Mißverständnissen, von Schwierigkeiten. Jenen, die auch diesmal wieder sehr lautstark Sanktionen verlangt und uns - ich zitiere wörtlich - zu äußerster Härte aufgefordert haben, möchte ich zunächst mit einen geschichtlichen Hinweis begegnen. Auch frühere Bundesregierungen haben immer dann, wenn sie in solchen Lagen die Gesamtsituation prüften, sehr schnell feststellen müssen, daß sogenannte Sanktionen sehr zweischneidige Instrumente sind. Ich erinnere daran, daß der Abgeordnete Strauß bereits zur Zeit des Mauerbaus vor einer derartigen Politik, vor Repressalien, gewarnt hat. Das liegt nun anderthalb Jahrzehnte zurück und war lange vor der Einleitung der Vertragspolitik.
Die 'Bundesregierung hat abzuwägen, wieweit in solchen Fällen Sanktionen tatsächlich praktikabel, wieweit sie tatsächlich erfolgversprechend sind, und abzuwägen, ob sie nicht eher die Gefahr mit sich bringen, das Erreichte zu gefährden.
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Wirtschaftliche Maßnahmen schließen wir nicht grundsätzlich aus. Gleichwohl haben wir erkannt, daß sie fast immer als politisches Instrument ungeeignet sind. Sie könnten das politisch ausgewogene Verhältnis zwischen unseren wirtschaftlichen Leistungen und den Leistungen der anderen Seite empfindlich stören.
Gleichwohl sind einige in diesem Hause immer wieder schnell mit dem Vorschlag bei der Hand, z. B. den Swing - das ist der laufende Kredit, den die Bundesbank der DDR seit vielen Jahren im Interesse des innerdeutschen Handels gewährt - zu sperren oder ihn zu reduzieren. In den Ohren manch anderer mag sich das ganz plausibel anhören. Auch hier will ich sagen, daß CDU-geführte Bundesregierungen - und nicht Oppositionsfraktionen, die von der CDU gebildet sind - auf diesem Felde einsichtiger gewesen sind. Bundeskanzler Adenauer z. B. hat sich nicht einmal durch den Bau der Mauer 1961 veranlaßt gesehen, damals etwa den Swing abzubauen oder abzuschaffen.
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Mehr noch, in Zeiten zunehmender Spannungen, z. B. 1968, hat die Bundesregierung der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger den Swing sogar wesentlich erhöht. Man wußte eben, daß der Swing nicht nur eine politische Funktion hat, sondern daß er auch ein unentbehrliches Instrument zur Aufrechterhaltung und zur Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten ist, die ihrerseits wiederum nicht nur einen wirtschaftlichen Selbstzweck, sondern auch einen nationalen Zweck erfüllen.
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Bezeichnenderweise hat es nun in den letzten Monaten trotz dieser Forderung nach Sanktionen bisher aus den Reihen der Opposition keinen konkreten Vorschlag gegeben. Ich habe in der letzten Debatte zu diesem Punkt am 19, Januar den Oppositionsführer gefragt, welche Sanktionen es denn wohl seiner Meinung nach sein könnten oder sein
sollten. Bloße Androhungen sind mir als Reaktion des Ärgers menschlich durchaus verständlich. Bloße Androhungen scheinen mir aber kein verantwortliches politisches Handeln zu sein.
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Die Bundesregierung ist nicht bereit, Verstöße gegen bestehende Vereinbarungen hinzunehmen. Aber wir reagieren auf nervöse Handlungen, auf kleinliche oder schikanöse Handlungen unserer Nachbarn politisch, und wir reagieren darauf nicht emotional. Wir reagieren nach ruhiger, gelassener Abwägung.
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Seit dem Abschluß des Grundlagenvertrages ist es dank unserer Arbeit mehr als 18 000 Menschen bis jetzt ermöglicht worden, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln, allerdings auch erst nach sehr langen Wartezeiten. Dazu kommen große Zahlen ehemaliger Häftlinge, die mit unserer Hilfe ausreisen konnten, wobei das Wort „mit unserer Hilfe" eigentlich heißen müßte: mit Hilfe von Bundesminister Franke, der sich - wie manche seiner Vorgänger vorher - nun inzwischen schon seit acht Jahren persönlich dieses sehr schwierigen Arbeitsgebietes mit großer Diskretion und mit großem Erfolg annimmt.
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Die Zusammenführung getrennter Familien bleibt für uns eine wichtige menschliche Aufgabe, eine humanitäre Aufgabe. Ebenso ist sie ein wichtiges Element der Entspannung schlechthin; denn Entspannung ist nicht abstrakt, sie ist konkret. Nur die den Menschen konkret entlastende Entspannung zählt wirklich.
Wenn ich nun allerdings in einem deutschlandpolitischen Grundsatzpapier der Opposition, nein: der CSU vom letzten Monat lese, die deutsche Frage sei heute mehr denn je als ungelöst anzusehen, dann frage ich mich, was dies wohl bedeutet: Mehr denn je? Historisch ist die Sache ja so, daß die Entstehung der deutschen Frage durch Hitler provoziert worden ist; daß sie von Adenauer und Erhard und so fort nicht hat gelöst werden können, sondern daß sie ungelöst den jeweils nachfolgenden Regierungen hinterlassen wurde. Wir können sie gegenwärtig auch nicht lösen. Aber wir haben die Konsequenzen, die Belastungen aus dieser Frage für Millionen und aber Millionen von Deutschen gewaltig erleichtert, und das werden wir auch in Zukunft tun.
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Gleichwohl gibt nach wie vor Flüchtlinge, die unter Einsatz ihres Lebens die Grenzen überwinden. Wir wissen, daß viele dieser Fluchtversuche gerade auf den Transitwegen nach Berlin scheitern. Nicht wenige scheitern deshalb, weil sogenannte kommerzielle Fluchthelfer oder ganze Organisationen bei solchen Handlungen schwerste, unverantwortliche Risiken eingehen, die oft genug nicht einmal den tatsächlich beteiligten Menschen bewußt sind oder bewußt gemacht werden. Manche solcher Unternehmungen sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Opfer gescheiterter Fluchthilfeaktionen sind meist jahrelang in Haft, ihre Familien auseinandergerissen und natürlich auch ihre beruflichen Existenzen gefährdet oder zerstört.
Die Bundesregierung verurteilt mit Schärfe das Vorgehen der DDR-Behörden gegen Menschen, die in der Regel aus persönlichen Motiven ihren Staat verlassen wollen, ohne daß sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen. Das Recht auf Freizügigkeit des einzelnen Menschen ist nicht nur ein durch unser Grundgesetz garantiertes Grundrecht, sondern es ist auch in den allgemeinen Menschenrechten verankert.
Die Bundesregierung hat aber kein Verständnis dafür, wenn kommerzielle Fluchthelfer aus der Not von Menschen ein Geschäft machen.
({13})
Sie betrachtet gemeinsam mit den drei für Berlin verantwortlichen Schutzmächten diese Vorgänge mit Sorge. Die Bundesregierung hat im Transitabkommen gegenüber der DDR die Verpflichtung übernommen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit ein Mißbrauch der Transitwege verhindert werde. Diese Verpflichtung leitet sich letztlich aus dem Viermächteabkommen ab.
Die Bundesregierung steht zu dieser Verpflichtung. Daraus ergibt sich einerseits, daß die Bundesregierung zu Maßnahmen gegen den Mißbrauch der Transitwege verpflichtet ist. Sie hat entsprechende Maßnahmen getroffen. Andererseits kann die Bundesregierung nur im Rahmen unserer eigenen Verfassungs- und Rechtsordnung tätig werden. Der DDR ist es bekannt, daß in der Bundesrepublik Fluchthilfe nicht strafbar ist und daß sie auch nicht unter Strafe gestellt werden kann. Bei dieser Rechtslage ist entscheidend, daß alle zuständigen Stellen hierzulande die gegebenen rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit der reibungslose Transitverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet nicht durch fragwürdige Praktiken kommerzieller Fluchthelfer ausgehöhlt wird.
({14})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß nicht nur Menschen aus der DDR zu uns kommen, sondern daß jedes Jahr auch über 1 000 Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR übersiedeln. Die meisten haben dafür ihre privaten Gründe; häufig haben sie Freunde oder Verwandte oder Verlobte, mit denen sie zusammenkommen möchten. Manchmal sind es auch persönliche Schwierigkeiten. Selbstverständlich legen wir diesen Menschen keinerlei Hindernisse in den Weg. Jeder hat das Recht, die Bundesrepublik zu verlassen, wenn er in die DDR übersiedeln will. Diese Vorgänge sind allgemein kaum bekannt. Aber ich denke, sie sollten einmal erwähnt werden, denn auch sie gehören zur deutschen Wirklichkeit in diesen Jahren.
Im Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten können wir eine bemerkenswerte, allerdings immer noch unausgewogene Entwicklung feststellen. Reisen von West nach Ost haben inzwischen ein erBundeskanzler Schmidt
hebliches Volumen erreicht. Im letzten Jahr vor dem Inkrafttreten des Verkehrsvertrags, 1971, gab es zweieinhalb Millionen Reisen von Westdeutschen und West-Berlinern in die DDR oder nach Ost-Berlin. Im letzten Jahr waren es acht Millionen Reisen. In diesen Zahlen - dabei richte ich mich besonders auch an die Opposition; acht Millionen Reisen hin und zurück! - dokumentiert sich eine positiv veränderte politische Wirklichkeit.
({15})
Das sind ja mehr als acht Millionen Begegnungen, die bei diesen acht Millionen Reisen zustande kommen. Das kann niemand abstreiten. Diese Veränderung, diese positive Veränderung der politischen Wirklichkeit gehört nun allerdings unerläßlich zur Wahrung des Zusammenhangs der Nation.
({16})
Natürlich haben wir noch sehr viele Verbesserungswünsche. Wir betrachten mit Sorge, daß einzelne Reisende, aber auch bestimmte Kategorien von Reisenden unbegründet zurückgewiesen werden. Im Vergleich mit den Reisen in die DDR sind die Möglichkeiten zu Reisen aus der DDR her zu uns und auch in andere westliche Länder immer noch sehr begrenzt, beklagenswert begrenzt, will ich hinzufügen. Die Zahl der DDR-Bürger, die in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik reisen konnten, beträgt seit Jahren gleichbleibend etwa 40 000 pro Jahr. Wir hatten auf eine allmähliche Steigerung gehofft, und ich bedauere, daß sie inzwischen noch nicht eingetreten ist. Weiterhin werden auch zahlreiche Anträge abgelehnt, meist ohne Begründung. Nur die Rentnerreisen werden großzügig gestattet. Die Zahl der Rentner, die jährlich zu uns in die Bundesrepublik kommen, liegt ziemlich konstant bei 1,3 Millionen Reisen im Jahr.
Der Tourismus zwischen den beiden deutschen Staaten ist trotz einer gewissen Belebung in den letzten Jahren ebenfalls deutlich hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Eigentlich hätte man annehmen sollen, daß die DDR bei der Schönheit ihrer Städte und bei der Schönheit vieler ihrer Landschaften die darin liegenden wirtschaftlichen Möglichkeiten besser erkannt hätte und besser nutzen würde.
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Wir stellen mit Genugtuung fest, daß es in den letzten Jahren gelungen ist, die Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und dem Bundesgebiet weiterhin zu verbessern. Die Grunderneuerung der Autobahn Helmstedt-Berlin ist im Gange. Vorarbeiten zum Ausbau der Strecke zwischen den Kontrollpunkten in Helmstedt-Marienborn, die letztes Jahr verabredet wurden, haben begonnen. Noch in diesem Jahr sollen vereinbarungsgemäß die Verhandlungen über den Bau der Nordautobahn von Berlin nach Hamburg aufgenommen werden, womit dann ein seit Jahrzehnten bestehender Plan zum Nutzen aller auf beiden Seiten endlich der Verwirklichung zugeführt wird.
Im Post- und Fernmeldebereich stehen wir weit besser da, als noch vor wenigen Jahren zu erwarten war. 1977 sind abermals 700 neue Fernsprechleitungen vereinbart worden.
Auch in der Grenzkommission sind in letzter Zeit Fortschritte erzielt worden. Wir rechnen damit, daß die Verhandlungen bald zum Abschluß zu bringen sind. Allerdings gilt das nicht ohne Einschränkung. Es ist bisher nicht gelungen, eine Einigung über den Verlauf der Elbegrenze zu erzielen. Ich bin deshalb der Auffassung, daß diese Frage abgetrennt werden muß, damit es möglich wird, in absehbarer Zeit die übrigen Ergebnisse der Grenzkommission formell festzustellen.
Wenn wir nun das Jahr 1977 und die ersten Wochen dieses Jahres 1978 mit dem davor liegenden Jahr 1976 vergleichen, so darf man heute feststellen, daß die Zahl schwerer Zwischenfälle an der Grenze zur DDR abgenommen hat, und wir begrüßen das. Es wäre verfehlt, dies als Anzeichen dafür zu deuten, daß die Sperranlagen der DDR irgend etwas von ihrem Schrecken eingebüßt hätten. Das Gegenteil ist eher der Fall. Eher ist die Grenze heute noch undurchdringlicher und noch abschrekkender geworden.
({18})
- Zustimmung bei selbstverständlichen Feststellungen muß nicht stören.
({19})
Auf unserer Seite ist durch vielfältige Aufklärung seitens der Bundesregierung das Bewußtsein für die Gefahren geschärft worden, die von diesen Sperranlagen der DDR ausgehen. Es gab 1977 auf seiten unserer Bürger, auf unserer Seite der Grenze weniger Neugierde, weniger Unkenntnis und Gott sei Dank auch weniger Leichtsinn.
Wir haben unsere Meinung über die Unmenschlichkeit dieser Art von Grenze oft genug gesagt. Wir machen davon keinen Abstrich, weil wir wissen, daß mit hitzigen Reden das Problem nicht zu bewältigen ist. Wir haben auch weiterhin keine Möglichkeit, die menschenunwürdige Art der Grenzsicherung durch die DDR zu ändern. Gerade deshalb ist es unsere Pflicht, alles zu versuchen, um die Folgen und Gefährdungen für die Menschen so gering wie möglich zu halten und die Ein- und Ausreisen soweit wie möglich zu erleichtern und für soviel wie möglich Personen überhaupt erst herzustellen.
({20})
Der innerdeutsche Handel hat im vergangenen Jahr erneut zugenommen. Wenn seine Struktur auch dem industriellen Niveau beider Staaten nicht voll gerecht wird, so ist doch sein Umfang beachtlich. Mit seinem Gesamtvolumen von fast 9 Milliarden DM im letzten Jahr hat sich dieses Volumen seit 1970 fast verdoppelt, seit 1968 nahezu verdreifacht. Gegenüber den Verhältnissen in den 50er oder 60er Jahren sind das also bedeutende Fort6110
schritte. Die Zuwachsraten seit Beginn dieses Jahrzehnts entsprechen ungefähr derjenigen unseres Handels mit Frankreich oder unseres Handels mit Osterreich. Sie sind höher als in unserem Handel mit Italien. Allerdings liegt die DDR erst an 13. oder 14. Stelle unserer Handelsstatistik. Unser Handel mit Frankreich z. B. ist siebenmal so groß, der mit Italien ist immerhin mehr als viermal so groß wie der Handel mit der DDR. Wir halten angesichts dieser Vergleiche und auch im einzelnen den innerdeutschen Handel bei allem, was erreicht ist, für weiterhin entwicklungsfähig, ebenso wie wir uns bemühen, den Handel mit den anderen RGW-Staaten auszuweiten. Mit der Volksrepublik Polen z. B. ist gerade in jüngster Zeit, allerdings bei geringerem Handelsvolumen als mit der DDR, eine dynamische Entwicklung in Gang gekommen.
Im nichtkommerziellen, also mit dem Handel nicht zusammenhängenden Zahlungsverkehr zwischen beiden deutschen Staaten ist es bisher nicht möglich gewesen, eine voll befriedigende Lösung für die Uberweisung von Guthaben alter Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik zu erreichen. Wir wissen natürlich, daß die DDR mit erheblichen Devisenschwierigkeiten zu kämpfen hat. Es sollte dennoch möglich sein, für ein humanitäres Problem von begrenzter finanzieller Größenordnung eine praktikable Lösung zu finden. Dazu sollten sich die Verantwortlichen drüben endlich einen Ruck geben.
({21})
Die Bundesregierung bemüht sich seit Jahren auch um Gespräche mit der DDR zur Lösung der uns bedrängenden Umweltprobleme. Dabei geht es in erster Linie darum, die Versalzung von Werra und Weser durch Kaliabwässer aus der DDR zu beenden. Wer es mit gutnachbarlichen Beziehung ernst meint, der muß bereit sein, gemeinsame Probleme auch gemeinsam zu lösen.
Die Begegnungen zwischen Sportlern aus beiden Teilen entwickeln sich auf der Grundlage der zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Deutschen Turn- und Sportbund der DDR geschlossenen Vereinbarungen. Damit ist ein Anfang gemacht. Mit Recht gibt sich der Deutsche Sportbund damit noch nicht zufrieden. Wir wünschen, daß sich Sportler aus den beiden deutschen Staaten noch öfter im Wettstreit miteinander messen können, und zwar nicht nur die Spitzensportler. Der Deutsche Sportbund und die Sportfachverbände sind hier auf dem richtigen Weg. Die Bundesregierung wird diese Bemühungen auch weiterhin unterstützen, soweit die Sportverbände dieses wünschen.
({22})
Meine Damen und Herren, in der Präambel des Grundlagenvertrags haben die beiden deutschen Staaten ihre Absicht bekundet, die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zu schaffen „unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu grundsätzlichen Fragen, darunter der nationalen Frage". Diese Gegensätze, die dort in der Präambel ganz unmißverständlich beim Namen genannt worden sind, bestehen unverändert. Die Bundesregierung hält, wie schon damals festgestellt, unbeirrt an dem Ziele fest, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Der andere deutsche Staat hingegen stellt die Teilung als endgültig hin. Dort versucht die SED, in einem, wie sie meint, „gesetzmäßigen Prozeß der Abgrenzung" Sozialismus sowjetischer Prägung zu verwirklichen. Ihre Sprecher behaupten, daß sich in der DDR eine von den übrigen Deutschen abgetrennte „sozialistische deutsche Nation" entwickelt habe.
({23}) : Sozialistische Apartheid!)
Auf dem letzten Parteitag der SED hat Generalsekretär Erich Honecker zur deutschen Frage gesagt: „Da ist nichts mehr offen; die Geschichte hat längst ihr Wort gesprochen."
Das ist, gelinde gesagt, ein überaus voreiliges Urteil.
({24})
Herr Honecker hat erst kürzlich in einer Rede vor SED-Funktionären, indem er erneut auf die deutsche Situation zu sprechen kam, gesagt: „Zwischen Sozialismus und Kapitalismus kann es und wird es nie irgendwelche Vereinigung geben."
Es ist ja bemerkenswert, daß die politischen Führer der SED immer wieder auf dieses Thema zu sprechen kommen, das doch angeblich für sie längst erledigt sein soll.
({25})
Ich will mich mit diesen Reden im Augenblick nicht näher auseinandersetzen. Es gibt in der Geschichte kein letztes Wort. Aber wohl lehrt ,die Geschichte, daß es Teilungen gegeben hat, Konflikte, ideologische Spaltungen, die für die betroffenen Menschen oder Nationen bitter und schmerzhaft waren, daß sie - wenn auch oft erst nach sehr langen Prozessen - gleichwohl überwunden worden sind.
({26})
Unsere Vertragspolitik - und nur unsere Vertragspolitik - berechtigt uns zu dem Vertrauen, daß sich das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der Deutschen über alle Trennungen hinweg und über alle staatlichen Grenzen hinweg erhalten wird. Die große Mehrheit der deutschen Nation in beiden Staaten hat die Teilung nicht als endgültig akzeptiert. Sie hat sich auch nicht innerlich damit abgefunden.
({27})
Aber ich füge auch hinzu: Die seit 1969 eingetretenen positiven Veränderungen in den Beziehungen der beiden deutschen Staaten haben uns nun allerdings nicht von unserem politischen Ziel weggeBundeskanzler Schmidt
führt. Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben den menschlichen Zusammenhang, den kulturellen Zusammenhang, den wirtschaftlichen Zusammenhang der Nation bewahrt, sie haben neue Ansätze und neue Hoffnungen geschaffen.
Es gilt immer noch, was ich selbst vor zwölf Jahren auf einem Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - das war 1966 in Dortmund - habe sagen dürfen:
Noch ist die Teilung nicht endgültig, und Hoffnung ist eine wesentliche Kraft im menschlichen Leben. Hoffnung muß sich paaren mit dem Mut, mit der Beharrlichkeit, mit der Vernunft und mit der Treue.
So vor zwölf Jahren, und ich denke, so auch heute.
Wenn wir uns einen Augenblick an die Lage in Deutschland in jenen 60er Jahren erinnern: Wie war das denn damals? Sprachlosigkeit zwischen den beiden deutschen Regierungen, schwere Spannungen um den freien Zugang nach Berlin, ständig zunehmende Erschwerungen im Reiseverkehr. Der erst Ende der 60er Jahre begonnene Weg zu einer normalen gutnachbarlichen Zusammenarbeit war schwierig, ist schwierig, bleibt langwierig; kein Feld für rasche, strahlende Erfolge. Aber Schritt für Schritt, in zäher Bemühung ist verwirklicht worden, was den Menschen nützt und ein weiteres Aufeinander-Zugehen ermöglicht.
Millionen von Deutschen hüben und drüben und die Regierungen hüben und drüben sprechen wieder miteinander. Sie telefonieren wieder miteinander. Sie sehen millionenfach jeden Abend dieselben Fernsehprogramme. Ein unaufhörlicher Strom von mündlichen und von gesendeten Nachrichten und Informationen - ({28})
- Ich rede nicht über meine Verdienste, ich rede über den Zusammenhang der Nation, verehrter Herr Kollege.
({29})
Und wenn Sie über den Zusammenhang der Nation hier reden würden, hätten Sie gleich mir die Pflicht, zu begrüßen, daß zu den menschlichen Kontakten auch die Möglichkeit gekommen ist, über die Medien der veröffentlichten Meinung mitzuerleben, was im anderen Teil geschieht.
({30})
So ist ein großer Strom von Nachrichten und Informationen entstanden, der den Menschen ermöglicht, aus eigener Einsicht und auf Grund eigener Information ein Urteil übereinander zu gewinnen. Es ist sicher eine Tatsache, daß die in diesen Gesprächen und Kontakten vermittelte -Wirklichkeit des Lebens hier bei uns von vielen DDR-Bürgern keineswegs ausschließlich als positiv empfunden wird. Es gibt bei den Begegnungen zwischen Ost-und Westdeutschen nicht nur Einmütigkeit, sondern durchaus auch gegenseitiges Unverständnis und Spannungen. Aber gerade die Erfahrung des of- fenen Gesprächs führt auch zu neuen und in die Zukunft weisenden Verbindungen und Gemeinsamkeiten. Trotz mancher Ernüchterung erwächst aus diesen Kontakten neue Ermutigung.
Entscheidend ist das Gefühl fortdauernder Zusammengehörigkeit. Davon lebt der Bestand der Nation. Ohne dieses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit könnte die Chance für spätere Einheit nicht erhalten werden. Es gibt sicherlich bei uns auch Bürger, die den Zusammenhalt der Deutschen nicht so stark empfinden wie die weit überwiegende Mehrheit. Es hängt gewiß damit zusammen, daß sie sich in erster Linie mit dem Staat Bundesrepublik identifizieren, daß ihnen die Existenz des anderen deutschen Staates weniger bewußt ist. Vielleicht sollte man aus solcher Tatsache den Schluß ziehen, daß wir uns noch mehr darum kümmern müssen, das Interesse der jungen Menschen an der Entwicklung auch des anderen deutschen Staates wachzuhalten, übrigens ein Staat, der - wenn auch auf seine sehr eigenartige Weise - doch ebenfalls deutsche Traditionen fortsetzt.
Ich denke dabei nicht so sehr an Reisen zu den historischen Städten wie Weimar, Dresden, Potsdam oder Rostock, auch wenn ich jedermann empfehlen möchte, dorthin zu gehen, sofern er die Gelegenheit dazu hat oder sich schaffen kann, sondern ich denke in erster Linie an Lehrpläne unserer Schulen, unserer Universitäten, an die Programme der vielen anderen Bildungseinrichtungen, die es in unserer Gesellschaft gibt. Ich möchte an alle, die es angeht, die Anregung geben, zu prüfen, was zusätzlich zu dem, was die Medien leisten, innerhalb unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen geschehen könnte, um mehr und genauere Kenntnisse über die Entwicklung in dem anderen deutschen Staat zu vermitteln. Ich wünsche mir dabei Nüchternheit, Realitätssinn und sogar auch kritisches Verständnis für die Zwänge und Schwierigkeiten, denen der andere Staat ausgesetzt ist.
Ich bin in diesem Zusammenhang dankbar - ich denke, ich spreche für alle - für den Beitrag, den die westdeutschen und West-Berliner Korrespondenten, die uns aus der DDR unter schwierigen Arbeitsbedingungen berichten, bereits jetzt und seither dazu leisten.
({31})
Meine Damen und Herren, wir haben nie gesagt und behaupten auch heute nicht, daß die Vertragspolitik der letzten Jahre etwa stufenweise oder gar unmittelbar zur Wiedervereinigung Deutschlands führen würde. Das kann diese Politik nicht leisten. Auch die Politik Adenauers, Erhards oder Kiesingers hat das nicht leisten können. Wenn man lesen muß, was selbst heute noch nach der Erfahrung des Scheiterns jener Politiken in sogenannten deutschlandpolitischen Grundsatzpapieren niedergelegt wird, dann muß man sich fragen, ob denn die Verfasser aus dieser jüngsten deutschen Geschichte nichts entnehmen, nichts lernen wollen. Das sind doch erfolglose Denkkategorien der 50er Jahre geblieben.
Unsere Politik soll - auch wenn die Führung der DDR dies nicht hören mag - dazu beitragen, daß der enge Zusammenhalt der Deutschen nicht verlorengeht. Einigen bei uns mag das als nicht viel erscheinen. Aber in der gegenwärtigen Situation der Welt ist das sehr viel.
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Wer in der heutigen Weltsituation den Eindruck erwecken will, das Deutsche Reich könne wiederhergestellt werden, wer glaubt, jetzt den Zustand Europas verändern zu können oder zu sollen, der allerdings gefährdet den Frieden an der empfindlichsten Stelle, die es in Europa, vielleicht in der ganzen Welt gibt.
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Es ist noch heute richtig, was Bundeskanzler Kiesinger im Juni 1967 hier in diesem Saal gesagt hit. Ich darf zitieren:
Deutschland, ein wiedervereinigtes Deutschland, hat eine kritische Größenordnung. Es ist zu groß, um in der Balance der Kräfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Kräfte um sich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Es ist daher in der Tat nur schwer vorstellbar, daß sich ganz Deutschland bei einer Fortdauer der gegenwärtigen politischen Struktur in Europa der einen oder der anderen Seite ohne weiteres zugesellen könnte. Eben darum kann man das Zusammenwachsen der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen in den Prozeß der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa.
So Bundeskanzler Kiesinger vor zehn Jahren und absolut heute noch zutreffend; ich unterstreiche das.
({34})
Man kann das Zusammenwachsen - ich wiederhole den letzten Satz - „der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen" - nur erkennen - „in den Prozeß der Überwindung des Ost-West-Konflikts ...". Heute möchte ich hinzufügen: Aus denselben Gründen, aus denen Kiesinger dies formulierte, könnte uns auch etwa eine schwere innere Krise in der DDR, auf die offenbar manche gerne spekulieren möchten, besonders in der Opposition, der staatlichen Einheit unseres Volkes keinen Zentimeter näherbringen. Im Gegenteil: Die Führung der DDR würde, gestützt auf die Sowjetunion, jedes Opfer in Kauf nehmen, alle Kosten, alle Nachteile, nur um ihren Bestand zu sichern.
Erwartungen einer krisenhaften inneren Entwicklung in der DDR etwa mit der Folge eines politischen Umschwungs entspringen einer verhängnisvollen Fehleinschätzung der dort bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten und Machtverhältnisse. Niemand sollte die Opfer an Menschenleben vergessen, die eine derartige Fehleinschätzung schon gekostet hat.
({35})
Würde gar die Bundesregierung die innere Destabilisierung der DDR auf diesem Weg zum Ziel ihrer
Politik machen, so würde sie damit noch hinter jene ungeeignete Position zurückweichen, die in den ersten beiden Jahrzehnten die Deutschlandpolitik unseres Staates bestimmt hat. Andererseits sieht die Bundesregierung keinen Grund, die offene, die kritische, die - wenn es sein muß - auch harte Auseinandersetzung über die deutsche Situation zu scheuen. Wo es im Interesse der Klarheit notwendig ist, müssen die Dinge beim Namen genannt werden.
In der DDR werden im Zuge der Entspannungspolitik innere Widersprüche offenkundig werden. Die Auseinandersetzung damit wird der Führung der DDR nicht erspart bleiben. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß im offenen Wettstreit der Systeme solche Widersprüche ausgehalten werden müssen und können. Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, auch sich selbst einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, die sich aus einer offenen Diskussion und dem intensiven Austausch der Informationen und Meinungen ergeben kann.
Die alternative Deutschlandpolitik der CDU scheint mir darin zu bestehen, eine Politik zu treiben, die über eine systematische Schwächung des anderen deutschen Staates den Status quo verändern soll. Eine solche Politik müßte aber - ich wiederhole es - an den tatsächlichen Machtverhältnissen scheitern. Sie geht dann auf Kosten der Menschen.
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- Sicher nicht bewußt! Sondern ich warte ja heute genau wie früher, Herr Kollege Mertes, auf die alternative Deutschlandpolitik der Opposition.
({37})
Bisher gibt es keine verantwortbare Alternative, Herr Kollege,
({38})
zu unserer Politik der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen, der Erleichterung menschlicher Kontakte und der praktischen Zusammenarbeit. Diese Politik allein ist geeignet, ein Auseinanderleben der Deutschen während der Zeit der uns auferlegten Trennung zu verhindern.
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Sie allein erhält die Voraussetzungen dafür aufrecht, daß in einer veränderten Weltsituation eine an unseren nationalen Zielen orientierte Politik überhaupt noch möglich ist und daß eine solche Politik legitim bleibt.
({40})
Ein Wort zu Berlin. Die Existenz Berlins ist gesichert. Das wissen auch die Berliner selbst. Ich stimme dem Regierenden Bürgermeister zu, der in seiner Regierungserklärung gesagt hat: Unsere Stadt halt für jeden, der sich zu ihr bekennt, eine Zukunft bereit, die das Prinzip Hoffnung verwirklicht.
Auch die Osteuropäer können sich der Ausstrahlung Berlins als Zentrum der Kunst und Kultur, der Wissenschaft und der Forschung und seiner Bedeutung als Handels- und Industrieplatz nicht entziehen. Wir freuen uns, daß sich osteuropäische Staaten gerade jetzt wieder an den internationalen Filmfestspielen beteiligt haben, daß sie zu anderen internationalen Veranstaltungen kommen, im Sommer z. B. zu dem bedeutenden Sportereignis der Schwimmweltmeisterschaften in Berlin.
All dies sind Vorgänge, die erst auf der Grundlage des Viermächteabkommens möglich geworden sind. Wir haben seitdem einen gesicherten Transitverkehr. Zwar hatten wir noch vor kurzem im Zusammenhang mit sogenannten Verdachtskontrollen Probleme. Sie scheinen inzwischen überwunden zu sein. Das ist ein Beispiel dafür, daß wir in der Lage sind, in einer für Berlin lebenswichtigen Frage Komplikationen auszuräumen.
Der millionenfache Besucherverkehr in den anderen Teil der Stadt und in die DDR hat die menschlichen Bindungen, die durch den Mauerbau praktisch abgeschnitten worden waren, wieder belebt und neue ermöglicht. Wenn ich zwei Zahlen nennen darf: 1971 waren es 100 000 Menschen; 1977 waren es 31/2 Millionen Menschen.
Sorgen bereiten uns aber Proteste und Polemik der Sowjetunion und der DDR gegen Einrichtungen, Veranstaltungen und Besuche in Berlin, die doch entsprechend den Regelungen des Viermächteabkommens - auch nach den Auffassungen der drei Westmächte, nicht nur nach unserer Auffassung - unter keinem Gesichtspunkt Anlaß zu kritischen Einwendungen geben können.
({41})
Die meisten Proteste richten sich gegen eines der Elemente der Lebensfähigkeit Berlins, nämlich gegen Berlins Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland. Diese Bindungen werden nach dem Viermächteabkommen aufrechterhalten und entwikkelt. Sie bleiben eines der Fundamente der Stadt, obgleich Berlin ({42}), wie es dort heißt „wie bisher kein Bestandteil ({43}) der Bundesrepublik Deutschland ist" und „auch weiterhin nicht von ihr regiert wird", wie es dort heißt.
Wir werden - gemeinsam mit den drei für West-Berlin verantwortlichen Mächten - auch in Zukunft jedem Versuch widerstehen, die seit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland gewachsenen Bindungen umzufunktionieren, als wären es Beziehungen Berlins zu irgendeinem dritten Staat. Wir respektieren andererseits die Beschränkungen, die die Drei Mächte bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Interesse ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten festgelegt haben, Festlegungen, die im Viermächteabkommen ebenfalls bestätigt worden sind.
Das gilt auch für die Einbeziehung Berlins in die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, wie sie bereits bei dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Gründungsverträgen von Rom
vorgesehen war. Die Bundesregierung hatte damals bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden gegenüber ihren Vertragspartnern und mit deren Einverständnis förmlich erklärt, daß die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Europäische Atomgemeinschaft sowie die dazu gehörigen Protokolle und Abkommen auch für das Land Berlin gelten, wie es damals gelautet hat, die Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte - USA, England und Frankreich - in bezug auf Berlin davon aber unberührt bleiben. Wir fordern, daß alle Partner auf dem Boden des Viermächteabkommens bleiben. Nur so können auch die Ziele, die sich die Abkommenspartner gestellt haben, verwirklicht werden; nämlich Spannungen zu beseitigen und Komplikationen zu vermeiden. Ohne Berlin, an Berlin vorbei, ist auch heute keine Entspannung möglich.
({44})
Die Bundesregierung sieht ihre Aufgabe nicht darin, sich an Spekulationen darüber zu beteiligen, wie sich denn die Lage im geteilten Land, wie sich denn die Lage in Mitteleuropa in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Freilich erwarte ich für die nahe Zukunft keine tiefergreifenden Veränderungen, da wir in der voraussehbaren Zeit mit einigen konstanten Faktoren zu rechnen haben.
Erstens. Zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen tiefgreifende ideologische Gegensätze. Niemand kann ernsthaft erwarten, daß diese Gegensätze kurzfristig überwunden werden können. Auch in Zukunft wird also das deutsch-deutsche Verhältnis nicht frei von Spannungen sein können. Politische Annäherung wird sich nur in kleinen Schritten, also nur allmählich, erreichen lassen. Aber diese Distanz im Politischen sollte einer beiderseits vorteilhaften Zusammenarbeit und einer Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen nicht im Wege stehen.
Zweitens. Auf dem Grundgegensatz der beiden deutschen Staaten und der Vier Mächte haben sich im Laufe der Jahrzehnte zwangsläufig unterschiedliche Rechtsauffassungen zu bestimmten Fragen entwickelt - unvermeidlich. Aber dieser Umstand sollte in seiner praktischen Bedeutung von keiner Seite überschätzt oder mit Fleiß hochgespielt werden. Ich erwähne das Staatsangehörigkeitsproblem, das auf Seiten der DDR immer wieder zu gereizten Reaktionen geführt hat. Ich halte dies für ganz unberechtigt. Denn die Bundesrepublik Deutschland hatte bei der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages im Dezember 1972 ausdrücklich erklärt - ich zitiere -: „Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden." Die Meinungsverschiedenheiten sind damals nicht bereinigt worden. Das konnte auch gar nicht geschehen.
Unsere Position hat sich seitdem nicht geändert. Sie steht im Einklang mit dem Völkerrecht, wonach sich die Staatsangehörigkeit nach dem Recht des jeweiligen Staates richtet. Daher sind wir berechtigt, an der deutschen Staatsangehörigkeit festzu6114
halten, wie sie uns durch Grundgesetz und Gesetz vorgegeben ist.
({45})
Das heißt zum Beispiel: Alle Deutschen, woher sie auch kommen, ob aus der Sowjetunion, aus Rumänien, aus südamerikanischen Staaten oder aus der DDR, haben das Recht, in der Bundesrepublik Deutschland zu leben. Diese Haltung wird in der ganzen Welt als etwas Natürliches verstanden. Sie beeinträchtigt nicht die Rechte dritter Staaten. Denn keine Person wird von der Bundesrepublik Deutschland gegen den Willen dieser Person in Anspruch genommen.
Ich bin mir wohl bewußt, daß die DDR vor einigen Jahren ein eigenes Staatsbürgerschaftsgesetz erlassen hat. Ich habe keine Veranlassung, mich zu jenem Gesetz zu äußern. Nur das möchte ich hier klarstellen: Die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne unseres Grundgesetzes und unserer Gesetzgebung ist von jenem Akt der DDR nicht berührt.
({46})
Ich' möchte darauf hinweisen, daß über ihre bilateralen Beziehungen hinaus die beiden deutschen Staaten auch gemeinsame Pflichten haben. Sie existieren ja nicht in einem politischen internationalen Vakuum, sie haben vielmehr ebenso wie Berlin eine starke weltpolitische Faktorbedeutung. Beide deutschen Staaten sind in entgegengesetzte Bündnissysteme integriert. Sie tragen in Anbetracht ihrer geographischen Lage an der Grenzlinie dieser beiden Bündnisse eine besondere Verantwortung für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Von deutschem Boden darf nie wieder ein kriegerischer Konflikt ausgehen.
Gelegenheit, einen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit in Europa zu leisten, bietet sich für beide z. B. bei den Wiener Verhandlungen über beiderseitige und ausgewogene Truppenverminderung. Beide nehmen daran teil. Die Bundesregierung bemüht sich gemeinsam mit unseren Bündnispartnern, in diesen Verhandlungen Fortschritte zu erzielen. Es geht uns darum, in der Mitte Europas auf niedrigerer Ebene als bisher ein ausgewogenes Verhältnis der hier befindlichen konventionellen Streitkräfte auszuhandeln. Eine ausgewogene Reduzierung solcher Streitkräfte würde aus unserer Sicht und aus der Sicht unserer Partner eine wirkungsvolle Ergänzung des Entspannungsprozesses im militärischen Bereich sein. Beide deutschen Staaten müssen an diesem Prozeß aktiven Anteil nehmen. Die Bundesregierung bekennt sich ohne Einschränkung zur Fortsetzung der Entspannungspolitik. Sie kann nirgendwo eine vertretbare Alternative dazu erkennen.
Beide deutschen Staaten haben die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet. Es liegt zu einem guten Teil an diesen beiden deutschen Staaten, daß der für Europa lebensnotwendige Entspannungsprozeß nicht ins Stocken gerät.
Das Belgrader Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat zu unserem Bedauern noch nicht alle die Hoffnungen
erfüllt, die viele Menschen in den Teilnehmerstaaten in dieses Treffen gesetzt haben.
({47})
Beide deutschen Staaten tragen als Unterzeichner der Schlußakte von Helsinki eine Mitverantwortung für die Verwirklichung dieser politischen Absichtserklärungen in allen ihren Teilen. Dazu gehört auch die Verwirklichung der Menschenrechte, zu deren Respektierung sich die Teilnehmer ausdrücklich verpflichtet haben.
Es hieß dazu in der Schlußakte u. a. ganz ausdrücklich - ich darf zitieren -:
Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedankenfreiheit, der Gewissensfreiheit, der Religionsfreiheit und der Überzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten.
So steht es in der Schlußerklärung von Helsinki. Diese Erklärung hatte dem Belgrader Folgetreffen die Aufgabe zugewiesen, die Durchführung ihrer Bestimmungen zu überprüfen und den Fortgang des Prozesses in Europa zu gewährleisten.
Wir haben uns gemeinsam mit zahlreichen anderen Ländern mit Zähigkeit bemüht, in Belgrad ein Abschlußdokument zustande zu bringen, das dieser Aufgabe gerecht wurde. Diese Anstrengungen waren leider nicht erfolgreich. Das Parlament wird diesen Punkt demnächst debattieren. Die Bundesregierung hat sich gestern auf eine Große Anfrage hin zur Beantwortung in Sachen Menschenrechte schlüssig gemacht. Ich will aber schon heute sagen: Die Station Belgrad, die im Augenblick zum Abschluß kommt, ist gleichwohl innerhalb des Entspannungsprozesses nicht als vergeblich anzusehen. Es hat dort eine sehr freimütige, auch gründliche Diskussion über die Durchführung der Schlußakte von Helsinki gegeben. Wir hoffen, daß sich dies auf die weitere Entwicklung in Europa und auf das nächste Treffen 1980 in Madrid fruchtbar auswirken wird.
Übrigens bin ich der Meinung, daß nach gehöriger Vorbereitung persönliche Gespräche der leitenden Politiker der Staaten gute Beiträge zur Fortsetzung des Entspannungsprozesses leisten können und sollten. Mit ihren Partnern geht die Bundesregierung davon aus, daß der Weg zu verstärkter Zusammenarbeit für Sicherheit und Frieden und das Wohl der Menschen in Europa offenbleibt.
Eine andere gemeinsame Verpflichtung der beiden deutschen Staaten ergibt sich aus der Tatsache, daß beide in ihrem wirtschaftlichen Rang innerhalb ihres jeweiligen Bündnissystems aufgerückt sind. Ihre bedeutende wirtschaftliche Kraft sollten die beiden deutschen Staaten aber nicht nur für die Hebung des eigenen Wohlstands .einsetzen. Als hochindustrialisierte Staaten ist ihnen beiden vielmehr auch die Verantwortung auferlegt - beiden, nicht nur uns -, darauf hinzuwirken, daß die bestehende Kluft zwischen den armen und reichen Völkern dieser Welt schrittweise eingeebnet wird.
Rüstungshilfe, gezielte politisch-propagandistische Unterstützung zugunsten einzelner Staaten sind dazu nicht geeignet. Die Entwicklungsländer erwarten vielmehr, daß die Industriestaaten ihnen beim Aufbau ihrer Wirtschaft, bei der Anhebung des Lebensstandards ihrer Völker helfen. Dabei geht es zunächst einmal um die Befriedigung ursprünglicher menschlicher Bedürfnisse, z. B. um die ausreichende Ernährung der Bevölkerung. Zu diesem Zweck erwarten sie u. a. eine Stabilisierung ihrer Einkommen aus der Rohstofferzeugung.
Die Länder der Dritten Welt möchten aber auch eigene Industrien aufbauen. Sie benötigen dazu Investitionshilfen. Sie benötigen die Vermittlung technischer, wissenschaftlicher Kenntnisse, die ihnen nur die hochindustrialisierten Staaten zur Verfügung stellen können.
Unser Staat stellt sich den Staaten der Dritten Welt bei all diesen Bemühungen als Partner zur Verfügung. Er steht ihnen als Partner zur Seite. Solcher partnerschaftlichen Hilfe sollte sich kein Industriestaat entziehen. Auch die DDR sollte einen ihrer industriellen Kraft angemessenen Beitrag leisten und sich am Nord-Süd-Dialog beteiligen.
({48})
- Herr Kollege, einige Ihrer Zwischenrufe erwekken bei mir den Eindruck, als ob Sie die Bundesregierung in Bonn verantwortlich machen wollen für Fehler und Versäumnisse der Regierung in Ost-Berlin.
({49})
- Wenn Sie den Eindruck nicht erzielen wollten, Herr Kollege, dann müßte der dritte oder vierte Zwischenruf aus Ihrem Mund etwas anders formuliert werden.
({50})
- Das ist gar nicht absurd. Lesen Sie im Protokoll die Zwischenrufe Ihrer Seite nach!
({51})
Beide deutschen Staaten unterhalten mit fast allen Ländern der Welt diplomatische Beziehungen. Beide sind Mitglied der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen. Beide sind Vertragspartner zahlreicher internationaler Übereinkommen und Teilnehmer an wichtigen internationalen Konferenzen und Verhandlungen. Es gibt viele Berührungspunkte und viele Möglichkeiten für die beiden deutschen Staaten zu sachlicher Zusammenarbeit über die ideologischen Gegensätze hinweg. Diese Zusammenarbeit sollte sich bewähren in der Verhütung und Entschärfung von Konflikten, beim Ausbau des internationalen Rechtssystems, z. B. beim Seerecht, z. B. bei humanitären Nothilfeaktionen - im Falle von Naturkatastrophen -, z. B. im Umweltschutz.
Wir werden unsere Politik des Interessenausgleichs und der Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen zielstrebig fortsetzen - immer auch eingedenk der Schwierigkeiten -, und unsere Beziehungen zur DDR werden auch für die voraussehbare Zukunft ein besonders schwieriges Feld der Politik bleiben. Wir haben mit Interesse gelesen, was Generalsekretär Honecker am 17. Februar gesagt hat. Es hieß aus seinem Munde:
Es geht jetzt darum, eine erneute Vergiftung des Klimas zu verhindern und die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, um die Verhandlungen auf den verschiedenen Gebieten erfolgreich fortzuführen.
Wir können Herrn Honecker darin zustimmen.
({52})
Es geht uns allerdings nicht nur um eine Verbesserung des Klimas, sondern auch und in erster Linie um konkrete Fortschritte in den Sachfragen. Nur auf diesem Wege wird es uns gelingen, zu erreichen, daß die beiden deutschen Staaten allmählich gelassener und unbefangener miteinander umgehen und daß allmählich ein Zustand selbstverständlicher Normalität erreicht wird, wie er bisher etwa in unserem Verhältnis zur Volksrepublik Polen schon erreicht worden ist.
({53})
Dort gibt es eine breitgefächerte und sich immer mehr vertiefende Zusammenarbeit auf vielen Gebieten, einen lebendigen, beide Seiten befruchtenden Kulturaustausch, normale Kontakte zwischen Wissenschaftlern und vieles mehr.
({54})
Und es gibt dort auch das regelmäßige politische Gespräch auf allen Ebenen, Spitzenbegegnungen eingeschlossen.
Was ich meine, ist dies: Das, was sich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion oder zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen oder in unseren Beziehungen zu Ungarn, Rumänien, zur Tschechoslowakei und zu Bulgarien entwickelt hat, das müßte bei gutem Willen auch zwischen beiden deutschen Staaten möglich sein.
({55})
Schließlich brauchen wir keine Übersetzer, um miteinander zu reden.
({56})
Ich bin z. B. der Auffassung, daß Gespräche zwischen dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und dem Staatsratsvorsitzenden der DDR durchaus normale Vorgänge werden können und werden müssen.
({57})
Ich habe in meiner Amtszeit mehrfach mit Herrn
Honecker gesprochen und mehrfach mit ihm telefo6116
niert, weil mir ein direkter Kontakt nützlich erschien. Diese sehr offen geführten Gespräche habe ich als konstruktiv empfunden. Sie haben mich in meiner Vorstellung bestärkt, daß bei Fortschritten in der Sache, daß bei einem angemessenen politischen Klima und zum richtigen Zeitpunkt ein Besuch des Bundeskanzlers in der Deutschen Demokratischen Republik durchaus sinnvoll sein könnte, wobei ich selbstverständlich davon ausgehe, daß man sich gegenseitig besucht.
Es bleibt für uns dabei: Die deutsch-deutsche Politik muß den Menschen dienen, nicht dem eigenen Profil. Wir wollen, daß die Menschen in den beiden deutschen Staaten so selbstverständlich und so zwanglos miteinander umgehen können, wie das zwischen Bewohnern und Bürgern von Nachbarstaaten in Europa üblich ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat glücklicherweise viele Nachbarn, bei denen dies - die Selbstverständlichkeit und die Zwanglosigkeit - zutrifft. Der Deutsche, der einen unserer Nachbarstaaten besuchen will, setzt sich in sein Auto und fährt zur Grenze, wo er ohne Schwierigkeiten Zutritt erhält, und dasselbe gilt natürlich auch für unsere Nachbarn, die die Bundesrepublik Deutschland besuchen wollen. Genauso muß es eines Tages zwischen den Bewohnern der beiden deutschen Staaten zugehen!
({58})
Für diese Politik brauchen wir einen langen Atem. Aber den haben wir auch. Es gibt Beispiele in der Geschichte anderer Länder, die zeigen, daß auch sehr lange währende Teilungen den Willen zur nationalen Einheit nicht zu ersticken vermögen. Doch auch in unserer eigenen Geschichte können wir Ermutigung finden, nämlich wenn wir uns daran erinnern, daß auch die hoffnungslos erscheinende Zersplitterung und Kleinstaaterei Deutschlands bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die nationale Einigung der Deutschen nicht hat verhindern können.
({59})
In der DDR wird zwar versucht, das Fortbestehen der deutschen Nation, der sich die Bürger beider deutschen Staaten zugehörig fühlen, durch wechselnde erkünstelte Formeln zu leugnen. Aber diese Versuche haben niemanden überzeugen können, und die Formel, die Geschichte habe die deutsche Frage im Sinne einer endgültigen Teilung ein für allemal gelöst, wird - ich deutete schon darauf hin - heute z. B. kaum noch verwandt. Man wird sich auch in Ost-Berlin auf die Dauer der Einsicht nicht verschließen können: Kommunistische Ideologie kann nie ein Ersatz für nationale Identität sein.
({60})
Auch die SED - und das große „D" in ihrem Namen steht doch für „Deutschland" -, auch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, kann nicht von Deutschland weglaufen.
({61})
Unser oberstes Gebot bleibt die Wahrung und Festigung des Friedens. Diesem Ziel hat auch unsere Politik gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik zu dienen. Daran weiterzuarbeiten und das Bewußtsein einer gemeinsamen historischen Identität, einer gemeinsamen politischen und kulturellen Identität, zu stärken, das Bewußtsein der nationalen Identität zu erhalten und zu stärken, wollen wir alles tun, was nötig ist, und wir wollen nichts versäumen, was möglich ist.
({62})
Meine
Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache über den Bericht zur Lage der Nation. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn seines Berichts zur Lage der Nation auf zwei wichtige, uns bewegende Vorgänge hingewiesen; Zunächst einmal ging er auf die Diskussion ein, die gegenwärtig über die offenkundig schlimmen Fehler während der Entführung Hanns Martin Schleyers im Zusammenhang mit den Meldungen aus Erftstadt stattfindet. Herr Bundeskanzler, ich gehe davon aus, ohne irgendwelchen Ermittlungen vorgreifen zu wollen, daß Sie sich ganz persönlich in dieser Sache engagieren und für eine völlige und rückhaltlose Aufklärung dieser Vorgänge eintreten werden.
({0})
Ich sage das, weil in der bei Ihnen häufig üblichen Weise auf der Suche nach den Schuldigen der erste schon genannt wurde: das föderale System. Die hier unmittelbar angesprochenen Bundes- und Landesminister waren in den betreffenden Wochen unentwegt zusammen. Schon rein optisch konnte man sich eine intensivere Zusammenarbeit überhaupt nicht vorstellen. Deswegen möchte ich davor warnen, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern jetzt zunächst zum schuldigen Teil zu erklären, sondern ich bin dafür, daß die Bundesregierung das Notwendige tut, damit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland ohne Ansehen von Personen so rasch wie möglich darüber aufgeklärt werden, wie es wirklich war, wie diese Fehler überhaupt möglich waren.
({1})
Ich füge gleich hinzu: Ich bin sicher, daß wir alle im Bundestag - und ich hoffe, daß die Mitglieder der Bundesregierung darin einig gehen - der Auffassung sind, daß man die Schuld nicht auf untergeordnete Dienststellen oder Beamte abschieben darf.
({2})
Hier muß klar und deutlich auch die politische Verantwortung gesehen werden.
Deswegen appelliere ich an Sie ganz persönlich, Herr Bundeskanzler, weil Sie ja im Zusammenhang mit den Vorgängen von Stammheim ungewöhnlich drastische und scharfe Formulierungen geDr. Kohl
wählt haben. Das, was wir jetzt befürchten müssen - ich will es so formulieren -, übersteigt natürlich in seiner Bedeutung bei weitem das, was in Stammheim ganz gewiß unliebsam und unerfreulich war. Ich gehe auch von der Erwartung aus, da ja die Bundesregierung im Darstellen ihrer Tätigkeit in Dokumentationen Erfahrungen hat, daß sie auch diesen Vorgang der Öffentlichkeit lückenlos dokumentieren wird, damit jeder nachlesen kann, was wirklich war.
({3})
Sie sollten nicht lange zuwarten, denn die Erregung innerhalb der Bundesrepublik, die erregenden Fragen: „Könnte Hanns Martin Schleyer noch leben, hätte er eine Chance gehabt, wenn solche Fehler nicht vorgekommen wären?", diese Fragen müssen beantwortet werden, und zwar im Interesse aller Beteiligten.
({4})
Sie haben einige Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage gemacht, Herr Bundeskanzler. Wir haben hier vor wenigen Tagen eine ausführliche Debatte über dieses Thema gehabt. Deswegen will ich nur einen Teil Ihrer Ausführungen ansprechen, nämlich Ihre Ausführungen zu den jetzt laufenden Streiks, Streikdiskussionen und Urabstimmungen. Sie haben in einem mir nicht ganz verständlichen Satz auf die Gefährdung der Tarifautonomie hingewiesen. Ich wäre Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehr dankbar, wenn Sie dem Hause mitteilen könnten, wer in der Bundesrepublik die Tarifautonomie gefährdet, wer die Absicht hat, etwa die Tarifautonomie abzuschaffen, einzuschränken oder in irgendeiner Form diese wichtige Voraussetzung der lebendigen Verfassung der Bundesrepublik, ja, auch der funktionierenden Sozialen Marktwirtschaft zu gefährden.
Herr Abgeordneter Kohl, Sie gestatten die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Kohl, darf ich aus dieser Ihrer Feststellung, wie Sie sie treffen, entnehmen, daß Sie das nicht decken, was z. B. der Herr Kollege Dollinger hier in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht in bezug auf Tarifautonomie in der Weise gesagt hat, die, so habe ich es verstanden, der Bundeskanzler kritisch betrachtet hat?
Herr Kollege Wehner, es mag sein, daß Sie das so verstanden haben. Wenn Sie aber den Text der Dollingerschen Rede nachlesen - und ich habe sie durchaus genauso wie Sie hoffentlich in Erinnerung -, dann müssen Sie mir zustimmen, daß Herr Dollinger etwas gesagt hat, von dem ich hoffe, daß es auch Ihre Billigung findet, denn er sprach von der Gesamtverantwortung der Tarifpartner. Wer ja sagt zur Tariffreiheit, Tarifhoheit, wer so formuliert - und Sie stimmten mir ja zu -, wie ich es eben tat, kann doch nicht die Gesamtverantwortung der Tarifpartner für das gesamtwirtschaftliche Geschehen der Bundesrepublik Deutschland leugnen wollen.
({0})
Wenn beispielsweise - ich will das ganz offen ansprechen - jetzt eine Diskussion aufkommt, Herr Kollege Wehner, über die Tarifüberlegungen im öffentlichen Dienst, dann ist das ja nicht irgendein Teil der wirtschaftlichen Branchen der Bundesrepublik,
({1})
sondern hier sind Bund, Länder und Gemeinden ganz direkt involviert. Das ist doch unstreitig. Wenn etwa in dieser Runde Führungsfunktionen hinsichtlich der Höhe und der Ausgestaltung der Tarifverträge von der öffentlichen Hand übernommen würden, hat das eine enorme Auswirkung auf das gesamtwirtschaftliche Geschehen. .Das hat Dollinger angesprochen, das habe auch ich immer wieder angesprochen, wobei ich ganz offen auch hier im Bundestag erkläre, daß im öffentlichen Dienst ein bemerkenswerter zusätzlicher Punkt hinzukommt, daß nämlich die Qualität des Arbeitsplatzes, nämlich des sicheren Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, ein sehr eigenes Gewicht in einem Augenblick hat, in dem wir über eine Million Arbeitslose in der Bundesrepublik zählen.
({2})
Herr Kollege Wehner, ich hatte mich eigentlich schon gefreut, als Sie sich zu Wort meldeten, weil ich die Hoffnung hatte, daß Sie die einzige mir bekannte Äußerung, die in die Tarifhoheit eingreift, ansprechen wollten, nämlich die Äußerung des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, des Kollegen des Herrn Bundeskanzlers im Amt des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, Hans Koschnick. Denn Koschnick hat ja in diesem Zusammenhang gesagt, die Unternehmer führten in der aktuellen Lohnauseinandersetzung einen - ich zitiere wörtlich - „nackten, brutalen Klassenkampf von oben".
({3})
Wer so redet - und wer dazu noch Beifall gibt; aber von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet, Herr Kollege -, der verteufelt doch in dieser schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage einmal mehr Unternehmer und Gewinne, der gießt Öl ins lodernde Feuer der lohnpolitischen Auseinandersetzung, der dient nicht dem inneren Frieden der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Herr Bundeskanzler, ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie die Gelegenheit Ihres Eingehens auf diesen Fragenbereich dazu benutzt hätten, deutlich zu sagen, daß Sie mit derartigen Äußerungen, wie sie Herr Koschnick machte, nichts im Sinn haben und daß das in der Tat die Tarifautonomie in der Bundesrepublik gefährdet. Denn jeder weiß doch, daß gerade bei diesen lohnpolitischen Auseinandersetzungen niemand, dem es um die Sicherheit der Arbeitsplätze geht, aus den Augen verlieren darf, daß unsere wichtigsten Probleme in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Wiederherstellung der
Investitionsfähigkeit der Unternehmen, eine einsichtsvolle Tarifpolitik und die Rückkehr zu Wachsturn und Vollbeschäftigung sind.
Dann gibt es noch einen Punkt, wo ich eigentlich - Lage der Nation, Herr Bundeskanzler, das heißt doch auch, sich mit den Grundvoraussetzungen und Prinzipien der Politik zu beschäftigen - von Ihnen gern ein Wort gehört hätte. Ich denke nicht daran, hier in die aktuelle Auseinandersetzung um lohnpolitische Leitlinien im Druck- und Zeitungsgewerbe einzutreten. Ich habe viel Verständnis, wir alle haben angesichts der enormen Umstellungsprozesse im technischen Bereich, im Druckgewerbe, bei den Zeitungen viel Verständnis für die Angst um die sicheren Arbeitsplätze in den Druckhäusern. Aber auch und gerade wenn wir uns von diesem Pult aus in die lohnpolitischen Auseinandersetzungen nicht einmischen wollen, bleibt doch die Feststellung erlaubt, daß ein Bestreiken von Zeitungen nicht ein Vorgang in irgendeinem gewerblichen Bereich ist, sondern daß zutiefst die Meinungsfreiheit, die Meinungsvielfalt und damit eine Grundvoraussetzung der Demokratie angesprochen sind.
({5})
Wenn dies richtig ist, muß die Frage öffentlich gestellt werden - sie muß erlaubt sein -, ob es wirklich nur, ich unterstreiche: nur tarifpolitische Entscheidungen sind, wenn jetzt ganz bestimmte Zeitungen und ganz bestimmte Verlage weiter bestreikt werden. Es drängt sich doch die Frage auf - das wäre schon ein Thema für die Bundesregierung, Herr Bundeskanzler -, ob hier nicht ganz bestimmte Verlage, ganz bestimmte . Zeitungen, die ganz bestimmte Richtungen der Politik, vor allem der Gesellschaftspolitik vertreten, getroffen werden sollen, ob sie gar, weil sie gegen bestimmte systemverändernde Ideologien stehen, von bestimmten Ideologen zum Schweigen gebracht werden sollen. Das ist eine der Grundfragen, vor denen wir in diesen Wochen stehen. Ich erwarte eigentlich, daß aus Ihrem Munde, Herr Bundeskanzler, in diesen Tagen auch dazu ein klärendes Wort über Ihre eigene Position kommt.
({6})
Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Wehner?
Bitte.
Wehner ({0}).: Herr Abgeordneter Dr. Kohl, meinen Sie damit den Süddeutschen Verlag, die „Süddeutsche Zeitung" ?
({1})
Herr Abgeordneter Wehner, ich kann Ihnen jetzt alle Verlage aufzählen. Da finden Sie schon einen inneren Zusammenhang, wie ich vermute.
({0})
Und aus Ihrer Frage und aus Ihrer bewußten Freundlichkeit der Fragestellung entnehme ich, daß Sie
diesen gleichen Zusammenhang sehr wohl kennen.
({1})
Meine Damen und Herren, das eigentliche Thema dieser Debatte „Bericht zur Lage der Nation" ist die Lage im geteilten Deutschland. Herr Bundeskanzler, wer Ihren langen, sehr detaillierten Bericht aufmerksam verfolgt hat,
({2})
wird mir zustimmen - das war ja in jeder Weise zu merken -, daß Sie hier eher widerwillig und verlegen eine unangenehme Pflichtübung absolviert haben. Das ist das erste, was dazu zu sagen ist.
({3})
In allen Fällen, wo Ihnen die Beweise für Ihre Thesen, Ihre Behauptungen fehlen, greifen Sie wie immer in die alte Klamottenkiste mit Unterstellungen und Ausfällen gegen die Opposition. Herr Bundeskanzler, es ist nicht Ihres Amtes, hier Ablenkungsmanöver durchzuführen. Sie haben als Bundeskanzler Rechenschaft zu geben. Das ist der Sinn dieses Berichtes zur Lage der Nation.
({4})
Wenn ich nun diesen Rechenschaftsbericht - ich darf ihn so nennen - mit der Realität vergleiche, dann ist er in der Tat mager. Ihr Bericht beweist doch ähnlich wie das Verhalten in den letzten Monaten, daß es unübersehbar ist, daß die Provokationen durch die SED-Führung zugenommen haben, während Sie und Ihre zuständigen Minister und Mitarbeiter sich in aufgeregter Untätigkeit ergehen. Daß sich die oppositionellen Strömungen in der DDR und in der SED verstärken, wird von der Bundesregierung nicht zur Kenntnis genommen oder in einer gänzlich. unverständlichen Weise heruntergespielt.
Ich will ein Beispiel nennen, das für viele steht und das kaum in der Offentlichkeit beachtet wurde. Vor wenigen Tagen erst wurden positive Ergebnisse von Meinungsumfragen zur Frage der Wiedervereinigung in allen westeuropäischen Ländern veröffentlicht. Wenn Sie die beinahe indignierte - man muß das angesichts des Staatssekretärs im zuständigen Amt so formulieren ({5})
Erklärung des zuständigen Staatssekretärs dazu hören oder lesen, dann kann man nur sagen: Wieweit haben Sie sich eigentlich von der Wirklichkeit des Lebens in der Bundesrepublik und in Europa entfernt?
({6})
Diejenigen, Herr Bundeskanzler, die dann diese Dinge beim Namen nennen, werden in gewohnter Manier von Ihnen als Scharfmacher, als Aufheizer und was weiß ich denunziert.
Max Frisch, von Ihnen, meine Damen und Herren, auf Ihrem letzten Hamburger Parteitag stürmisch gefeiert, Ihr Weggenosse auf manchen Reisen, Herr Bundeskanzler, hat das schöne Wort gesprochen: „Die Lüge beginnt im Verschweigen!" Das, meine
Damen und Herren, ist das Thema, das hier anzusprechen ist. Ihre Deutschlandpolitik, Herr Bundeskanzler, stolpert von Zwischenfall zu Zwischenfall.
({7})
Wenn Ihnen das so abstrakt erscheint, nun, dann erinnern Sie sich doch an die Reise des Herrn Staatsministers Wischnewski nach Ost-Berlin.
({8})
Sie war der Inbegriff der Planlosigkeit und der Erfolglosigkeit.
({9})
Außer Ihnen und Herrn Friedrich von der SPD gibt es sicher keinen in diesem Saal, der darin einen Erfolg erblicken kann. Ich glaube, nicht einmal die Mehrheit des Kabinetts ist dieser Auffassung, und sie muß doch an. sich von Amts wegen dieser Auffassung sein.
Meine Damen und Herren, dies macht die wirkliche Lage deutlich. Es macht deutlich, welch weiten Weg diese Bundesregierung zurückgelegt hat vom Aufbruchspathos Willy Brandts 1969, als noch von der historischen Versöhnung zwischen Ost und West die Rede war, bis hin zur Ankündigung einer Erbfeindschaft zwischen DDR und Bundesrepublik in der Kanzleramtsstudie des Jahres 1976, bis hin - ich sage es noch einmal - zu einer verlegenen routinemäßigen Erledigung des Berichts zur Lage der Nation.
Wer diesen Weg noch einmal nachvollzieht, Herr Bundeskanzler, der versteht das Ausmaß Ihrer Ratlosigkeit in dieser Frage. Die Interpretationskünste, die Sie dabei aufwenden, kann man nur mit dem Psychologenbegriff des Wirklichkeitsverlustes erklären. Das ist die einzige Erklärung, die ich habe. Die Auseinandersetzung um die Deutschlandpolitik der vergangenen Jahre, um Ihre Fehler und Ihre Versäumnisse, um Ihre Unausgewogenheit und Leichtfertigkeit hat die gemeinsam bindenden und verpflichtenden Grundlagen aller Parteien in der Deutschlandpolitik in den Hintergrund gerückt. Ich finde, es ist an der Zeit, den Grundlagen und Prämissen unserer Deutschlandpolitik - ich sage bewußt: unserer Deutschlandpolitik - wieder ihren historischen und angemessenen Rang zu geben.
Ich will jetzt von dem reden, was uns doch gemeinsam bindet. Uns bindet gemeinsam der Auftrag des Grundgesetzes. Den Auftrag unseres Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, hat schon Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung vom 21. Oktober 1949 ganz präzise formuliert, als er sagte:
In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung. Das, was jetzt dort geschieht, wird nicht von der Bevölkerung getragen. Die Bundesrepublik Deutschland stützt sich dagegen auf die Anerkennung durch den frei bekundeten Willen von rund 23 Millionen stimmberechtigter Deutscher.
Uns bindet gemeinsam der Deutschlandvertrag von 1954;
({10})
uns bindet gemeinsam das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 und vom 7. Juli 1975
({11})
und die gemeinsame Entschließung des Deutschen
Bundestages vom 17. Mai 1972 zu den Ostverträgen.
({12})
- Herr Wehner, für mich ist das kein Tabu.
({13})
- Ich weiß nicht, Herr Wehner, warum Sie jenes Stück Weg, das wir doch gemeinsam gingen, jetzt als komisch empfinden. Ich empfinde es als peinlich, daß Sie es als komisch empfinden.
({14})
Meine Damen und Herren, das sind Grundlagen deutscher Politik - ich sage es noch einmal, Herr Wehner -, die uns alle in diesem Hause verpflichten. Sie sollen und sie können und sie dürfen von niemandem in Frage gestellt werden. Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich in Ihrer Politik unmißverständlich auf diesen Grundlagen einrichten, werden Sie uns auf Ihrer Seite finden.
Politik darf sich nicht nur auf die Definition ihrer Grundlagen und Prämissen beschränken, sie bedarf auch der Kunst der Verwirklichung. Deswegen fordern wir nachdrücklich, die gemeinsamen Grundlagen der Deutschlandpolitik aktiv umzusetzen. Das heißt doch, meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit den Verträgen ganz konkret: Wir müssen im Interesse unserer Mitbürger sicherstellen, daß die Verträge nicht nachträglich zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland uminterpretiert werden.
({15})
Wir müssen die Lebensfähigkeit West-Berlins erhalten, und wir müssen die Absichtserklärungen der Verträge endlich politische Wirklichkeit werden lassen und ohne Wenn und Aber auf ihrer Einlösung bestehen.
Dies sind die konkreten Aufgaben. Herr Bundeskanzler, packen Sie diese Aufgaben an, statt um die entscheidenden Punkte herumzureden. Dann finden Sie die Unterstützung des ganzen Hauses.
({16})
Dann habe ich eine herzliche Bitte - ich will es so freundlich formulieren -: Machen Sie doch endlich Schluß damit, immer wieder die Schlachten von gestern zu schlagen. Wir haben gar keinen Grund, gerade nach den Erfahrungen mit Ihrer Politik in
1 den letzten Jahren, unsere Kritik an den von Ihnen geschaffenen Verträgen zurückzunehmen. Aber - und das ist sehr wesentlich - Sie sollten doch endlich damit aufhören - Sie als Bundeskanzler, der das Interesse der ganzen Bundesrepublik Deutschland vertreten muß -, unsere Kritik an Ihrer Politik zum Anlaß oder zum Vorwand zunehmen, um damit unsere Vertragstreue in Frage zu stellen. Sie schaden damit nicht der Opposition, Sie schaden der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Punkt, den ich Ihnen vorwerfe.
({17})
Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Wehner, Verträge sind kein Privateigentum einer Partei, sondern Verträge der Bundesrepublik Deutschland. Diese Ostverträge sind gegen unseren Willen zustande gekommen, aber sie sind rechtskräftig. Wir haben immer wieder erklärt, daß wir selbstverständlich auf der Grundlage dieser Verträge Politik machen müssen.
({18})
Hören Sie also doch damit auf, uns Entspannungsfeindlichkeit vorzuwerfen. Damit. arbeiten Sie doch nur jenen im Bereich des Ostblocks in die Hände, die geradezu darauf warten, Vorwände für ihre strikte Politik der Abgrenzung, um ihre inneren Probleme bewältigen zu können, zu erhalten.
({19})
Ich habe auch den Eindruck, Herr Bundeskanzler, Sie tun das überhaupt nur deshalb, weil Sie Feindbilder brauchen. Sie bauen, um Ihr Versagen in wesentlichen Teilen der deutschen Politik etwas vernebeln zu können, hier wieder solche Pappkameraden - ich sage es einmal so drastisch - auf, die mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun haben.
Ich selbst habe, wie viele meiner Freunde, in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, mit einer großen Zahl der wichtigsten Staats- und Parteiführer im kommunistischen Bereich Mittel- und Osteuropas zu sprechen, ob das Herr Kossygin, Herr Gierek oder Ceausescu, Kadar, Schiwkoff oder Tito war. Alle haben eines gesagt - es ist gar nicht überraschend, daß sie das gleiche sagten; denn es ist vernünftig -, sie seien daran interessiert, mit der ganzen Bundesrepublik Deutschland zusammenzuarbeiten und nicht mit 50 0/o der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Sie glauben doch nicht, Herr Bundeskanzler, daß sich Regierungen dieser Art, die oft genug zu unserem Nachteil beweisen, daß sie eine lange Sicht der Dinge haben, in ihrer Politik von einer Bundesregierung und einem Kanzler abhängig machen, der bei entscheidenden Abstimmungen um eine Stimme Mehrheit beben muß.
({20})
Das Ziel der Verständigung und der Normalisierung der Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn liegt doch im Interesse aller Bürger der Bundesrepublik Deutschland, ist ein Ziel von uns allen und muß zwischen allen Deutschen unbestreitbar bleiben. Das gleiche, Herr Bundeskanzler, gilt für eine Politik der Bemühungen um schrittweise menschliche Erleichterungen. Sie tun heute so, als
sei das Ihre Erfindung. Es war ja zum Teil abenteuerlich, was wir hören mußten. Sie haben es als eine Leistung Ihrer Regierung darstellt, daß die Menschen im anderen Teil Deutschlands unsere Fernsehprogramme sehen können. Herr Bundeskanzler, wir können dieses Thema, angefangen von technischen Umsetzern entlang der Zonengrenze bis zu vielen anderen Dingen, sehr detailliert diskutieren. Bloß, damit haben Sie in der Tat gar nichts zu tun, daß das öffentlich-rechtliche System Gott sei Dank in der Lage ist, sein Programm auch in wichtige Teile der DDR auszustrahlen.
({21})
Konrad Adenauer hat doch demonstriert, daß es allen Demokraten in Deutschland darum geht, menschliche Erleichterungen zu erreichen. Er hat nicht nur davon gesprochen, sondern das auch in die Tat umgesetzt, wenn ich an die Heimführung von Tausenden deutscher Kriegsgefangener erinnern darf. Sie müssen darüber hinaus doch auch wissen, daß etwa der damalige Bundesminister Rainer Barzel einer der ersten war - das war im Frühjahr 1963 -, der die menschenmöglichen Wege, die damals möglichen Wege, aufzeigte und beschritt, um politische Häftlinge aus der DDR freizubekommen. Das ist doch nun wahrlich kein parteipolitisches Programm. Das ist ein Programm selbstverständlicher Menschlichkeit, und das sollten wir uns nicht einseitig als Verdienst anrechnen.
({22})
Ich habe von den gemeinsamen Verpflichtungen und Bindungen gesprochen. Ich will aber auch jene
Punkte deutlich machen, in denen offensichtlich Gemeinsamkeit nicht möglich ist, obwohl ich gerne zugebe, daß einige Ihrer Ausführungen heute durchaus befriedigend waren. Ich stelle fest, daß wir die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ablehnen, daß die Frage der Staatsangehörigkeit kein Gegenstand von Verhandlungen mit der DDR sein kann. Herr Bundeskanzler, das, was Sie heute sagten, findet durchaus unsere Zustimmung. Sorgen Sie bitte nur dafür, daß in Zukunft nicht Mitglieder Ihres eigenen Kabinetts durch ungewöhnlich törichte Äußerungen in der deutschen Offentlichkeit einen völlig anderen Eindruck erwecken.
({23})
Die DDR ist rechtlich für die Bundesrepublik Deutschland nicht Ausland. Die innerdeutsche Grenze bleibt für uns eine staatsrechtliche Grenze besonderer Art. Wir werden jedes Abkommen und jeden Vertrag mit der DDR ablehnen, der diese Rechtsposition in Zweifel zieht.
Wir sind nicht bereit - das ist offensichtlich ein elementarer Dissens zwischen uns -, dem kommunistischen Regime in Ost-Berlin in seiner schwierigen Lage zur Hilfe zu eilen, eine Hilfe, Herr Bundeskanzler, die die - Sie zitieren ja gern internationale Zeitungen; ich darf das dann auch einmal tun - doch ganz gewiß unverdächtige „Neue Zürcher Zeitung" als Stabilitätshilfe der Bundesregierung bezeichnet hat. Wollen Sie wirklich glauben, daß diese Zeitung von Kalten Kriegern beherrscht wird? Das sind nüchterne Leute, die das
Weltgeschehen beobachten. Und das ist der Eindruck, den Ihre Politik im Ausland macht. Dann ist es doch mehr als berechtigt, daß wir über diese Politik miteinander diskutieren. Dabei muß eben die sehr ernste Frage gestellt werden, ob es nicht gerade - ich verwende den Ausdruck - durch eine solche Stabilitätshilfe zu einer Allianz mit dem SED-Regime gegen unsere Mitbürger in der DDR kommt. Wir sollten diesen Punkt ohne Vorurteil und frei von Emotionen diskutieren.
Eine sachliche Analyse der Situation in der DDR und ihrer Entwicklungsperspektiven bleibt die Grundvoraussetzung für die Entscheidung darüber, welche Politik wir, die Bundesrepublik, gegenüber Ost-Berlin verfolgen wollen.
Meine Damen und Herren, wir erleben heute in der DDR einen dynamischen Entwicklungsprozeß. Er dokumentiert sich nicht nur in einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise, die das Regime zwingt, Großimporte westlicher Industrie- und Konsumgüter durchzuführen und die D-Mark als zweite Währung zu dulden. Die nervöse und hektische Reaktion der SED-Führung auf das Manifest einer mutmaßlichen Opposition, die Ausweisung zahlreicher Intellektueller, die Repressalien gegen die Bürgerrechtler von Riesa, um nur einige Beispiele zu nennen, zeugen doch von einem gesellschaftspolitischen Gärungsprozeß, dessen Wirkungen wir bisher nur ahnen können.
Es ist doch unübersehbar: Der Autoritätsverfall des SED-Regimes schreitet voran, und die Westorientierung vieler Bürger in der DDR und ihr ganz besonderer Bezug, ihre persönliche Beziehung zum freien Teil Deutschlands hat eben nicht nachgelassen, sondern ist, wie wir wissen, intensiver geworden.
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Herr Bundeskanzler, die DDR-Gesellschaft ist keine statische Gesellschaft, sowenig wie die Gesellschaft der Bundesrepublik. Sie ist in Bewegung. Erstarrt ist lediglich die SED in ihren Herrschaftsstrukturen, in ihren Lenkungsmethoden. Für uns muß das doch Schlußfolgerungen haben. Das sind insbesondere Schlußfolgerungen, die dann auch Konsequenzen beinhalten. Wir müssen diesen Entwicklungsprozeß in der DDR sorgfältig beobachten und unser Verhalten darauf einstellen.
Ich frage mich: Wer tut das eigentlich? Eine ganz einfache Frage: Wer tut das heute in der Bundesregierung? Tut es Herr Franke in seinem Ministerium, dann sind seine Äußerungen dazu haarsträubend. Tut es jene Gruppe in Ihrem Kanzleramt, die die Studie über die Erbfeindschaft verfaßt hat, so braucht man darüber kein Wort zu verlieren.
Ich frage Sie ernsthaft: Wer tut das heute eigentlich bei Ihnen in der Bundesregierung, diesen unübersehbaren dynamischen Entwicklungsprozeß in der DDR sorgfältig zu beobachten, um darauf vernünftig reagieren zu können?
Wir müssen das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit wachhalten und fördern. Wir müssen unsere eigenen Positionen offenhalten.
Wer wie Sie jetzt, Herr Bundeskanzler - etwas anderes klang nicht aus Ihrer Rede -, zur Unterstützung des Status quo in der DDR bereit ist, wer sich als Krisenhelfer betätigt, wer die Stabilität des gegenwärtigen Regimes - das war doch Ihr Vorwurf an uns - über alles stellt, der betreibt wirklich eine reaktionäre Politik ohne jede Zukunftsperspektiven.
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Entweder können Sie nicht - dann müßten wir die Gründe kennen - oder wollen Sie nicht den Wandel zur Kenntnis nehmen, der sich jetzt im anderen Teil Deutschlands vollzieht. Wer das Manifest - dieser Satz existiert doch - als Provokation bezeichnet, lebt an der Realität in Deutschland vorbei.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind angetreten mit der Politik des „Wandels durch Annäherung". Heute vollzieht sich ein Wandlungsprozeß in der DDR. Aber Sie in der SPD sind hilflos, weil sich dieser Wandel in der DDR an den SED- Machthabern vorbei entwickelt. Sie sollten doch einmal darüber nachdenken, auf welche Seite der Entwicklung sich einige von Ihnen in ihren öffentlichen Äußerungen gestellt haben,
({26})
wenn sie in dieser Form das gegenwärtige Regime abstützen.
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Damit dies - das klang bei Ihnen an, Herr Bundeskanzler - nicht herumgedreht werden kann, muß auch das andere deutlich gesagt werden: Ich rede nicht einer leichtfertigen Einflußnahme auf die innere Entwicklung der DDR das Wort.
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Wir wissen sehr genau, Herr Wehner, wohin dort Entwicklungen führen können, welche Reaktionen bei den kommunistischen Machthabern in Ostberlin und - was viel wichtiger ist - in anderen Teilen der Welt möglich sind.
Aber so richtig dieser Satz ist, kann das doch nicht heißen, daß wir diese Entwicklung in der DDR nicht zur Kenntnis nehmen oder gar gegen sie arbeiten, indem wir das gegenwärtige Regime abstützen. Das ist doch eine völlig andere Frage.
Unsere Aufgabe muß es jetzt sein, über unsere politischen Ziele in der Deutschlandpolitik nicht nur zu sprechen, sondern geistig Einfluß zu nehmen und Zusammengehörigkeit überall dort zu dokumentieren, wo die Chance gegeben ist, daß die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands eines Tages in eine gemeinsame Entwicklung mündet. Deswegen müssen wir öffentlich laut und deutlich darüber sprechen, was die Einheit der Nation, die Freiheit und die Selbstbestimmung und die Menschenrechte ausmacht und daß die Machthaber der SED Tag für Tag gegen die persönlichen Freiheitsrechte und die politischen Grundrechte ihrer Bürger verstoßen, obwohl sie in der UNO-Charta, in der Menschenrechtsdeklaration von 1948, in den Menschenrechtspakten von 1966 und in einer großen Zahl anderer internationaler Vereinbarungen, nicht zuletzt in der KSZE-Schlußakte von Helsinki, niedergelegt sind und mit
Brief und Siegel auch von der DDR-Führung unterfertigt wurden.
Gerade das aus der DDR kommende Manifest zur deutschen Frage hat aufs neue die Wechselwirkung der Diskussion zwischen beiden Teilen Deutschlands deutlich gemacht. Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen zu: Wir haben in manchen Teilen der Bürgerschaft unserer Bundesrepublik einen Nachholbedarf an Beschäftigung mit der deutschen Frage. Aber auch diese Verbesserung ist nur möglich, wenn unsere Mitbürger erkennen, daß die politische Führung - und zwar in allen demokratischen Parteien - dies auch weiterhin für die zentrale Frage und den zentralen Auftrag deutscher Politik hält.
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Diese Diskussion beweist, wo sich das Lager der Reaktion befindet. Die geistige Bewegung, der wirtschaftliche Fortschritt, die Dynamik der kulturellen und der politischen Entwicklung gehen doch von der freien Welt aus, vom freien Europa und den demokratischen und pluralistisch verfaßten Gesellschaften. Die Reaktion, das System der Erstarrung, des bewegungslosen Bürokratismus, der repressiven und der direkten Gewalt finden wir im Ostblock, vor allem in der DDR.
Ich sage es noch einmal: Eingedenk unserer jüngsten Geschichte fordern wir keine leichtfertige oder unüberlegte Einflußnahme auf die innere Entwicklung der DDR. Niemand von uns hat die Geschehnisse, die Toten und die Verurteilten vom 17. Juni, von 1956 und von 1968 vergessen. Wir kennen die Grenzen unserer Möglichkeiten. Sie sind klar bestimmt.
Die Ziele der Freiheit und des Friedens stehen für uns in der besonderen Lage des geteilten Vaterlands vor dem Ziel der Einheit. Wir haben auf die Androhung und die Anwendung von Gewalt verzichtet. Dazu stehen wir.
Wer aber jetzt, wie Sie es tun, Herr Bundeskanzler, die Augen vor den Entwicklungen verschließt und wer jetzt wie Sie Positionen verfestigt, statt sie offenzuhalten, der betreibt nach meiner Überzeugung in der Tat eine Politik des Rückschritts. Sie sind dabei, einen historischen Fehler zu begehen. Wer jetzt - wie Sie - glaubt, das SED-Regime wie einen geschwächten Patienten behandeln zu müssen,
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dem man Stärkungsmittel verabreicht und dessen Nerven geschont werden müssen, begeht einen verhängnisvollen Irrtum.
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Es muß doch klar und deutlich festgestellt werden: Nicht wegen uns 'in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, sondern wegen seiner eigenen Herrschaftsmethoden bleibt das SED-Regime in Angst, wie noch jeder Diktator in der Geschichte in seiner Politik von Angst als entscheidendem Antrieb bestimmt war. Das ist der Teufelskreis, aus dem nie ein Unterdrücker in der Weltgeschichte herausgekommen ist und aus dem man auch keinem Unterdrücker heraushelfen kann.
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Er muß Angst haben, weil er die Menschen unterdrückt, und er unterdrückt die Menschen, weil er Angst haben muß. Was nützt es, wenn die Machthaber in der DDR diese Angst ausgeredet bekommen sollen, wenn sie eine wirkliche Grundangst vor ihrer eigenen Bevölkerung haben müssen, vor dem Freiheitswillen, vor dem Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit, das den Menschen in der DDR niemals verlorengegangen ist, das gerade in der jungen Generation nicht verlorengegangen ist! Ich finde, das ist ein Dokument, das uns anregen soll, über unsere eigene Position in dieser Frage nachzudenken. Von dieser Grundangst kann und darf das SED-Regime nicht befreit werden. Denn das hieße ja, die Unfreiheit der Deutschen unter seiner Herrschaft zu besiegeln.
Lassen Sie mich unsere Meinung in fünf Punkten zusammenfassen.
Erstens. Im Kern der deutschen Frage geht es für uns um die politische Freiheit unseres ganzen Volkes. Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Pflicht gesamtdeutscher Verantwortung, von der sie sich nicht lösen kann. Jede durch freie Wahl .legitimierte deutsche Regierung hat die Pflicht, vor den Völkern der Welt zu garantieren, daß es auch für einen zukünftigen gesamtdeutschen Staat keinen anderen Weg als den der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie gibt.
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Ich nehme an, Herr Kollege Wehner, daß das doch ein Punkt ist, auf den wir uns eigentlich einigen müßten.
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Wenn das so ist, wenn wir aus dieser Bindung an Freiheit und Volkssouveränität die Einheit der Nation praktizieren wollen, dann besitzen wir eine wesentliche Sicherheit: Dieser Wille zur Nation ist eine Tatsache, die von keiner politischen Führung und von keiner Diktatur - auch nicht von einer kommunistischen - verbannt oder gelöscht werden kann. Dieser Wille zur Nation lebt in den Herzen der Menschen, in den Herzen der Menschen vieler Nationen auf dieser Erde, ganz gewiß auch in den Herzen in beiden Teilen Deutschlands.
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Insofern wird und muß der Versuch der Führung der DDR scheitern, den Begriff der Nation mit dem des Klassenkampfes und dem des Sozialismus gleichzuschalten.
({36})
Die sogenannte sozialistische Nation der DDR ist ein Widerspruch in sich. Denn der Klassengedanke und der Nationalgedanke sind unvereinbar. Nur eines von beiden kann das Fundament politischer Ordnungsvorstellungen sein: entweder die Nation oder die Klasse.
Zweitens. Freiheit und Nation sind untrennbar. Dies ist keine neue Erkenntnis, aber es ist an der Zeit, sie wieder deutlicher und auch häufiger auszusprechen. Für uns ist die Forderung, die Sehnsucht nach der Einheit der Nation nicht irgendeine beliebige abstrakte Formel. Sie beschreibt für uns ein wichtiges Stück der Identität unseres Volkes, ein wichtiges Stück der Ortsbestimmung, des Wir-Bewußtseins unserer Mitbürger, sei es in der Bundesrepublik Deutschland, sei es in der DDR. Für unsere Mitbürger in der DDR, meine Damen und Herren, setzt die Forderung nach Einheit der Nation geradezu ein Fanal der Hoffnung. Diese Hoffnung entspringt aus der Erfahrung der deutschen und der europäischen Geschichte, in der die nationalstaatlichen Zielvorstellungen in engem Einklang mit der republikanischen und demokratischen Zielvorstellung standen.
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Herr Kollege Wehner, das sind doch Sätze, die eigentlich auch von Ihrer Seite mit stürmischem Applaus begleitet werden müßten.
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Das ist ja einer der Punkte, in denen auch mit Ihnen ein Gespräch möglich sein sollte.
Der Kollege Brandt ist jetzt leider nicht da. Ich will ihn persönlich ansprechen: Ich teile nicht seine Meinung, daß unser Verständnis von Nation auf den Begriff der Kulturnation beschränkt werden darf, wie er das hier im Bundestag vorgetragen hat. Unser Verständnis von Nation muß unauflöslich mit den Prinzipien der Freiheit und der Demokratie verbunden bleiben. Das ist doch die wichtigste Lehre unserer Geschichte.
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Viele von uns haben in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, nicht nur hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland mit Rentnern, die zu uns kamen, sondern auch drüben - Herr Bundeskanzler, Sie sprachen aus gutem Grund von Weimar -, mit den Menschen zu sprechen, mit Leuten, die einen auf der Straße erkannten und ansprachen. Und ich kann nur über die Erfahrung berichten, daß in all diesen Gesprächen deutlich wurde, daß gerade die Menschen in der DDR den Zusammenhang von nationaler Freiheit und nationaler Identität ganz und gar begriffen haben - vielleicht mehr als mancher in der Bundesrepublik Deutschland, der in der Entwicklung und in der Bequemlichkeit unserer Wohlstandsgesellschaft über diese langfristigen Notwendigkeiten in der Geschichte unseres Volkes nur selten nachdenkt. Die älteren Bürger und die Kriegsgeneration hüben wie drüben, aber vor allem in der DDR, leben noch mit der geschichtlichen Erfahrung der nationalen und staatlichen Einheit.
Die Westorientierung, die Offenheit der Nachkriegsgeneration - gerade der ganz jungen -, die einem auf Schritt und Tritt in der DDR begegnet, ist doch ein Signal in diese Richtung. Und in dem Manifest - ich zitiere es erneut - wird doch nachdrücklich darauf hingewiesen, daß bis in die Kreise der Führungskader der SED- solche Orientierungspunkte im Denken und Handeln bestehen. Lassen Sie mich einmal zynisch sagen: Wenn gelegentlich behauptet wird - ich kann das nicht beurteilen -, daß Teile dieses Manifests vom Staatssicherheitsdienst angereichert seien, dann ist auch das des Nachdenkens wert. Denn das würde doch bedeuten, daß die Sicherheitsorgane der DDR glauben, daß dies ein Thema ist, das die Menschen bewegt. Das ist doch ein zusätzlicher Beweis für die These, die ich hier vertreten habe.
({40})
Herr Bundeskanzler, Sie haben in diesem Zusammenhang von dem Willen der Nation im politischen Alltag und insbesondere in der Auseinandersetzung mit der DDR gesprochen. Ich stimme Ihnen zu. Lassen Sie mich ein konkretes Angebot machen, damit diese Aussprache über die Lage der Nation nicht nur irgendeine Debatte unter vielen Debatten im Bundestag ist! Ich stimme Ihnen zu: Es ist besorgniserregend - ich sage es härter: beschämend -, wie weit die Kenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse, aber auch über die geschichtlichen Gegebenheiten im anderen Teil Deutschlands bei uns gediehen sind. Sie sprachen auch Universitäten und Schulen an. Sie haben oft Besprechungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Regen Sie doch in diesen Gesprächen einmal an - früher haben wir ja Vereinbarungen über Französischuntericht in deutschen Schulen und über andere wichtige pädagogische Fragen getroffen -, daß der Geschichtsunterricht in unseren Schulen unter dem besondern Gesichtspunkt des einen Deutschland, der Identität der deutschen Nation, verstärkt wird!
({41})
Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich das als Parteivorsitzender in einer Art Geschäftsführung ohne Auftrag sagen: Sie dürfen sicher sein, daß meine früheren Amtskollegen, die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-geführten Länder, Ihnen sofort ohne jede weitere Aussprache zustimmen werden. Dazu gehört beispielsweise, daß wir auf dem Schulbuchmarkt der Bundesrepublik Deutschland endlich wieder Schulbücher haben, die diese geschichtlichen Gegebenheiten berücksichtigen und nicht verfälschend darstellen.
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Aber dann müßte natürlich auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Helmut Schmidt die hessischen Rahmenrichtlinien und die inzwischen in der Schublade verschwundenen Rahmenrichtlinien von Nordrhein-Westfalen kassieren.
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- Meine Damen und Herren, wollen Sie da wirklich lachen, wo Sie doch jetzt bei der Abstimmung über die Koop-Schule erlebt haben, was die Bürger über Ihre Schulpolitik wirklich denken!
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Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, wir müssen den Willen haben, die deutsche Nation zu repräsentieren, und zwar deutlich, nachdrücklich und unmißverständlich.
({45})
Aber ich spüre es nicht an der Politik Ihrer Regierung. Willy Brandt hat einmal gesagt, Nation sei, wenn man sich wiedersehe. Ich halte diesen Satz nicht für falsch. Aber er ist eben nur ein Teil der Wahrheit. Die Einheit der deutschen Nation darf nicht eine Sache der Privatinitiative werden. Gewiß gehört auch privates Engagement der Bürger dazu, aber für sich allein ist das viel zu wenig. Sie muß sich als Wille aller in staatlicher Willensbildung und in staatlichem Handeln darstellen.
Drittens. Die Einforderung der Menschenrechte bleibt unverzichtbar. In Ihrer Tour d'horizon waren Sie in diesem Punkt bemerkenswert zurückhaltend. Ich will das aber nicht anrechnen; denn wir werden dazu ja eine Debatte haben. Ich hoffe, daß die Bundesregierung in dieser Debatte dann befriedigend Auskunft gibt.
Im geteilten Deutschland befindet sich die Wertordnung unserer Politik mehr als anderswo auf dem Prüfstand. Deswegen kommt unserem klaren Eintreten für die Menschenrechte eine solche signalhafte Bedeutung zu. Wer soll eigentlich für Menschenrechte in Ost und West überzeugter eintreten als die Deutschen in einem geteilten Land, in einem Land, das, wie Sie es richtig formuliert haben, die Heimsuchungen des Alltags an der Absperrung, an Mauer und Stacheldraht mitten in Deutschland, erfahren muß!
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Bei der Forderung nach Menschenrechten geht es doch nicht um irgendein Privileg des Westens. Es geht um die Proklamation und die Einhaltung menschlichen Grundverständnisses, das überall seine Gültigkeit hat.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist die Solidarität bei der Einforderung von Menschenrechten keine Einmischung in die Politik anderer Staaten.
({47})
Die Forderung nach Freiheit kann nicht an Grenzen haltmachen, wo immer die Grenzen liegen mögen. Ob die Diktaturen faschistischer oder kommunistischer Art sind - Diktatur bleibt Diktatur!
({48})
Viertens. Herr Bundeskanzler, auf Ihre Rede muß hier noch folgendes gesagt werden. Gegenüber einer DDR-Regierung, die ihre Absichten so offensiv vertritt, ist jeder prinzipiell und grundsätzlich unterlegen, der diskret verschweigt, beschönigt, herunterspielt. Wer Grundsätzliches regeln will, muß Klarheit im Grundsätzlichen vermitteln. Sonst wird Entspannung zur Einbahnstraße, und das ist die fatale Folge Ihrer Politik. Denn damit wird sie für die politische Führung der DDR unkalkulierbar. Die Konzeptionslosigkeit der Regierung zwingt es den Machthabern der DDR ja geradezu auf, Positionsverbesserung auf Positionsverbesserung zu suchen, Nadelstiche und Provokationen auf ihre
Wirksamkeit zu testen, die Grenzen der Belastbarkeit in den Beziehungen fortdauernd auszuprobieren. Wie wichtig ein klares und offensiv vertretenes Konzept bei Verhandlungen mit kommunistischen Regierungen ist, hat doch seinerzeit die Diskussion um die Polen-Vereinbarungen ergeben.
Fünftens. Herr Bundeskanzler, auch dies muß noch einmal gesagt werden; denn es fehlte in Ihren Ausführungen: Die Leistungen müssen gegenseitig ausgewogen sein. Verständigung gründet auf der Verläßlichkeit des gegebenen Wortes und auf dem Gleichgewicht der gegenseitigen Leistungen. Ein Partner, der in der Lage ist, seine Interessen einseitig durchzusetzen, wird nur noch in geringem Maße einsehen, daß Rücksichtnahme sinnvoll ist.
Wenn wir das Prinzip der Ausgewogenheit der Leistungen vertreten, dann nicht nur im Rückblick auf die Verträge, sondern auch und gerade im Blick auf zukünftige Verhandlungen und Vereinbarungen: Bei den innerdeutschen Verhandlungen, in der Berlin-Frage, bei der KSZE und in den. MBFR-Verhandlungen: überall dort mehren sich die Anzeichen dafür, daß Fehler der vergangenen Jahre wiederholt werden und daß der Blick auf das Mögliche getrübt ist.
Sie haben uns in diesem Zusammenhang attackiert und hier die Diskussion über den Swing eingeführt. Sie haben Ihr Angebot aus einer der letzten Debatten im Januar zu einem Gespräch über die Möglichkeiten von Gegenmaßnahmen wiederholt. Herr Bundeskanzler, es ist nicht unsere Sache, zu einem solchen Gespräch einzuladen. Sie verschieben hier ganz und gar die Verantwortlichkeit. Sie reden dauernd vom Swing, ohne dem Zuhörer zu sagen, daß die Inhalte, wenn Sie die Zeit vor 15 Jahren mit der Zeit von heute vergleichen, elementar anders sind.
({49})
Im übrigen - ich sage dies noch einmal -, auch wenn Sie das als taktischen Vorteil empfinden und diese Bemerkung fortdauern öffentlich wiederholen: Ich glaube nicht, meine Damen und Herren - ({50})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Anspruch darauf, daß der Bundeskanzler bei dieser Debatte persönlich anwesend ist. Auf mehr haben wir keinen Anspruch; alles andere liegt bei ihm und der Art seiner Vorstellung.
({51})
- Herr Kollege Wehner, ich reagiere genauso, wie der Bundeskanzler mit Sicherheit reagieren würde, wenn ich hier während seiner Ausführungen in einer so demonstrativen Weise auf meinem Platz säße!
({52})
Herr Kollege Wehner, ich habe eben so deutlich geantwortet, weil ich sehr wohl das würdige - lassen Sie mich diesen Einschub hier machen -, was vor kurzem der Herr Bundestagspräsident zu Beginn einer Debatte über den Stil unseres Hauses sagte,
({53})
- Herr Kollege, warten Sie doch erst einmal den Satz ab; sind Sie denn gar nicht mehr fähig zuzuhören? ({54})
und weil ich auch mich selbst, meine Formulierungen und mein Verhalten sehr wohl daraufhin prüfe, ob ich diesem Anspruch gerecht werde.
({55})
Da ich nicht selbstgerecht bin, Herr Kollege Wehner, weiß ich, daß ich diesem Anspruch durchaus in einigen Fällen - wie auch andere in meiner eigenen Fraktion - nicht gerecht geworden bin. Aber gerade dann, wenn ich dies so anspreche - und Sie wissen, warum ich dies gerade heute anspreche -, lege ich Wert darauf, daß andere sich ähnlich zu verhalten versuchen. Das ist es, worauf ich Wert legen muß!
({56})
Meine Damen und Herren, Deutschlandpolitik ist
- ich sage es noch einmal - nicht irgendeine Politik. Deutschlandpolitik geht an den Nerv, berührt die geschichtliche Überlieferung unseres Volkes. Deutschlandpolitik verlangt Geduld, Stehvermögen, Mut - Tugenden, die historische Epochen prägten. Unsere polnischen Nachbarn haben in einer großen Geschichte auch uns gelehrt, welches Durchhaltevermögen möglich und notwendig ist, um das Ziel der nationalen Einheit wieder zu erreichen. Deswegen möchte ich ganz bewußt mit einem Appell an uns alle schließen: Lassen wir die Frage nach dem gemeinsamen Schicksal unseres Volkes nicht zum bloßen Waffenarsenal parteipolitischer Auseinandersetzungen werden.
({57})
- Können Sie nicht mehr ertragen, daß man in einem solchen Ton über ein solches Thema miteinander spricht?
({58})
Erfolge für die Menschen in ganz Deutschland müssen uns alle, alle demokratischen, politischen Parteien, mit Befriedigung erfüllen. Mißerfolge müssen uns alle betroffen machen. Wir stehen gerade auch als Opposition in der Lage des geteilten Vaterlandes doch nicht mit Schadenfreude am Wegesrand, wenn die Dinge nicht gedeihen. Wir wollen mit unserer Kritik, mit unserem Beitrag, mit unseren bohrenden Fragen und mit unserem Nachstoßen unsere Perspektive, unseren Beitrag zur Erfüllung des gemeinsamen Grundgesetzauftrages leisten. Wenn wir nicht über die. Appelle an die Gemeinsamkeit hinaus auch zur Gemeinsamkeit in der politischen Tat kommen, dann werden sich - diese Gefahr besteht - unsere Mitbürger die Antwort auf die Frage nach der deutschen Nation vielleicht irgendwann bei anderen holen, möglicherweise bei solchen, für die die Freiheit nicht die Voraussetzung der einen Nation ist.
({59})
Wir haben uns mit unserer Politik, ob in Regierung oder Opposition, die auf einen langen Atem angelegt ist und die angesichts des weltpolitischen Hintergrundes möglicherweise auf Generationen angelegt sein muß, dem Urteil schon der nächsten Generation zu stellen. Wer nüchtern sieht und darüber nachdenkt, der weiß: Es bleibt noch viel zu tun, für uns alle viel zu tun, wenn wir uns mit gutem Gewissen dem Urteil der kommenden Generationen stellen wollen.
({60})
Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Bemerkung zu der Eingangsbemerkung des Kollegen Kohl machen. Sie haben, Herr Kollege Kohl, Ihre Sorge über die Verhärtung des Klimas zwischen den Tarifpartnern ausgedrückt. Es wäre wirklich verdienstvoll gewesen, wenn Sie heute ein Wort gegen die Mitbestimmungsklage der Unternehmer gesagt hätten,
({0})
die weiß Gott zur Verhärtung des sozialen Klimas in diesem Lande beigetragen hat.
({1})
Zur Lage der Nation haben Sie, Herr Kollege Kohl, auf eine Reihe von Dokumenten und Verträgen abgestellt. Sie haben das Grundgesetz genannt und haben damit offene Türen eingerannt. Wer ist denn gegen das Grundgesetz? Sie haben eine Reihe von Verträgen genannt, zu denen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und ihre Fraktion in diesem Hause stehen und die sie nicht bezweifelt haben. Sie haben allerdings versäumt, eine Reihe von Verträgen zu nennen, auf deren Boden auch Sie sich stellen müssen, denn erst das ergibt die Grundlage unserer Deutschlandpolitik. Zum Beispiel gehören der Grundlagenvertrag und die anderen Verträge genauso zum Gesamtbild Deutschlands wie die Bindungen, die in den 50er Jahren eingegangen wurden.
({2})
Herr Abgeordneter Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Natürlich.
Herr Kollege Bahr, haben Sie nicht gehört, was der Oppositionsführer zur Frage der Vertragstreue hinsichtlich aller Verträge der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat, und haben Sie nicht gehört, daß er die Frage der richtigen Interpretation dieser Verträge angesprochen hat, und haben Sie bemerkt, daß diese Interpretationstexte vom Abgeordneten Wehner als „komisches Ragout" bezeichnet worden sind?
({0})
Herr Kollege Mertes, ich habe nur darauf hingewiesen, daß der Herr Kollege Kohl eine sehr eigenwillige Auswahl getroffen hat, die man polemisch als Ragout bezeichnen kann.
({0})
Er hat später gesagt: Auch andere Verträge werden anerkannt. Es wäre gut gewesen, wenn er sich in seiner Anfangsbemerkung auf alle Verträge bezogen hätte.
({1})
Meine Damen und Herren, der Kollege Kohl hat darauf hingewiesen, daß das Thema, über das wir diskutieren, zu ernst ist, als daß man es parteitaktischen Erwägungen unterwerfen dürfte.
({2})
Ich stimme dem ausdrücklich zu. Ich weiß auch, wie das gemeint ist. Dennoch möchte ich in einem Punkte eine ganz andere Auffassung äußern - und das hat mit Parteitaktik überhaupt nichts zu tun; das hat etwas mit der Sorge um die Lage in diesem Lande zu tun -, weil nämlich das Wort von der Dynamik der Entwicklung in der DDR, das er gesprochen hat, sehr gefährlich sein kann. Wer mit dem Wort „Dynamik" gegen die Situation in der DDR spielt, spielt mit politischem Dynamit.
({3})
Der Prozeß der Entspannung muß - ich hoffe, daß wir uns darin einig sind ({4})
jederzeit unter Kontrolle bleiben, weil sonst die
Grundlagen der Entspannung selbst zerstört werden.
({5})
Bei allem Respekt vor dem, was der Oppositionsführer hier ausgeführt hat, muß ich auch meinerseits ein bißchen zurückgreifen, weil man sagen muß, worauf es ankam, um aus einer Sackgasse herauszukommen, in der wir die Deutschlandpolitik 1969 vorgefunden haben.
({6})
Wenn wir in einer problemgeschüttelten Welt bestehen und unserem Volk wirklich helfen wollen, müssen wir uns der doppelten Aufgabe bewußt sein, an der Sicherung des Friedens als Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken und uns mit unserer getrennt lebenden Nation nicht abdrängen, nicht verheizen und nicht vereisen zu lassen.
Wir können nach den Ausführungen des Oppositionsführers außerdem feststellen - und das freut mich -: Wir sind uns einig, daß es heute mehr Gemeinsamkeitsgefühl in den beiden Teilen Deutschlands gibt. Wenn wir das aber gemeinsam feststellen, muß auch gesagt werden, daß dies doch der Politik dieser Koalition zu verdanken ist.
({7})
Wenn Berlin heute sicherer ist, dann deshalb, weil wir gehandelt und nicht bloß geredet haben.
({8})
Daß wir im März 1978 im Deutschen Bundestag über die nationale Frage so debattieren wie heute, widerlegt doch die Ansicht all jener, die vor fünf Jahren gefürchtet haben, mit dem Grundlagenvertrag sei die deutsche Frage tot. Diese Debatte bestätigt die sozialliberale Koalition in ihrer Auffassung, die sie bei jedem Vertrag seit 1969 unterstrichen hat, nämlich daß die deutsche Frage offenbleibt, also ihre Antwort erst im Verlaufe eines geschichtlichen Prozesses finden wird.
({9})
Den Sprechern der Opposition sollte es zudem nicht so schwerfallen, sich im Abstand der Jahre auch auf den Boden der Regierungserklärung vom Oktober 1969 zu stellen, in der festgestellt wurde, daß „die Fragen, die sich für das deutsche Volk aus dem Zweiten Weltkrieg und aus dem nationalen Verrat durch das Hitlerregime ergeben haben, abschließend nur in einer europäischen Friedensordnung beantwortet werden können." Damals wurde hinzugefügt: „Niemand kann uns jedoch ausreden, daß die Deutschen ein Recht auf Selbstbestimmung haben, wie alle anderen Völker auch." Ich sage das, weil die SPD - und ich bin sicher, auch die Freien Demokraten - ohne Einschränkung auch zu diesem Teil der gemeinsamen Verantwortung für unser Land stehen und ihre Politik seither vor der Verfassung, vor der Geschichte und vor der Nation verantworten können.
Damals wie heute haben wir uns zu fragen, ob wir mit Aussicht auf Erfolg das Thema der Einheit der Nation auf die Tagesordnung der Politik setzen können. Damals wie heute kann die Antwort nur sein, daß es Aufgabe der praktischen Politik in den jetzt vor uns liegenden Jahren ist, die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird. Von dort bis zum heute gegebenen Bericht zur Lage ,der Nation durch
Bundeskanzler Helmut Schmidt spannt sich eine Politik ungebrochener Kontinuität.
({10})
Man sollte annehmen, daß der Streit um den besten Weg ohne ätzende Schärfe und verletzende Verdächtigung geführt werden kann. Aber wenn Herr Zimmermann der SPD Verrat an Deutschland vorwirft, dann benutzt er die Sprache von Goebbels. Alle Demokraten in diesem Hause tragen Verantwortung dafür, daß jener Verbalradikalismus nicht wiederkommt, der seinen Teil zum Scheitern der ersten Republik geleistet hat.
({11})
Diese Debatte wird in einer Zeit geführt, in der wir weltweit erkennen, daß die jungen Staaten der Dritten Welt mit wechselndem Erfolg versuchen, aus verschiedenen Stämmen Nationen zu entwikkeln. Dort ist „Nation" gleichbedeutend mit dem Bewußtsein, zu einer größeren Einheit zu gehören. Sie verlangt eine Loyalität, die über diejenige hinausgeht, die man bisher der engeren eigenen Einheit schuldig war. „Nation" ist deshalb für weite Teile der Dritten Welt ein Fortschritt. Wenn wir „Nation" in Europa zum Maß aller Dinge erklärten, wäre das ein Rückschritt.
({12})
In Europa hat sich die Nation in Abgrenzung zur Nachbarnation entwickelt.
({13}): Aber das will ja niemand mehr!)
Sie erstarkte, indem sie sich gegen andere durchsetzte.
({14})
- Das galt für Amerika niemals. Amerika wurde eine Supernation, und es ist vielleicht kein Zufall, daß die Supernation auch Supermacht wurde. Bei allen Unterschieden ist die Sowjetunion ein Staat, dessen bindendes Element übernational ist.
Es hat wohl auch mit der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung zu tun, daß die Menschheit im Laufe der letzten Generation dabei ist, neue und größere Einheiten ihrer Bindung zu finden. Jedenfalls sehen wir, daß wichtige Höchstleistungen leichter dort erreicht werden, wo eng gezogene nationale Grenzen entweder nicht existieren oder übersprungen werden können. Europa, das die klassische Nation entwickelt hat, darf nicht zu ihrem Gefangenen werden. Wir haben mehr als eine Debatte in diesem Hause erlebt, in der die gemeinsame Sorge ausgedrückt wurde, daß aus verschiedenen Gründen der Zug zum Übernationalen in Westeuropa nachläßt. Wir haben dies als Gefahr erkannt, und zwar alle miteinander.
({15})
Der Streit ging darum, ob es unerlaubte Resignation sei, in Europa die Überwindung der Nation der nächsten Generation zuzuweisen. Aber heute stehen wir vor der Tatsache, daß ein Teil dieses Hauses zu einer Rückbesinnung auf die Nation auffordert, was ja nur dann Sinn ergibt, wenn damit ein neues Besinnen gemeint ist, weil ich nicht unterstelle, daß damit ein Besinnen auf Nationalismus gemeint sei. Hier bedarf es einer Erklärung, damit wir wissen, woran wir sind. Geht .es wirklich darum, daß die Nation das Maß aller Dinge werden soll, oder geht es nur darum, daß einige nach Osten wieder national und nach Westen weiter europäisch sein wollen?
({16})
Manchmal kann man den Eindruck haben, einigen,
die zu wenig an die Nation gedacht haben, ist eingefallen, daß man wieder mehr über sie reden muß.
({17})
Geschichtlich bleibt es meine Auffassung und die meiner politischen Freunde, daß es richtig ist, für Westeuropa, für Gesamteuropa, aber auch global nach größeren Einheiten zu streben und sie auch auf einzelnen Sektoren zu fördern. In dieser Entwicklung müssen die Deutschen das gleiche Recht haben wie die anderen Nationen. In diesen Größenordnungen. wird die Nation ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Faktor sein. Unsere westlichen Partner wollen nicht in einer europäischen Nation aufgehen. Wir auch nicht.
({18})
In Osteuropa sieht man ähnliches. Nur in der weiten Perspektive eines Nebeneinander der Nationen im ganzen Europa hat die deutsche Nation ihre Chance. Das bedeutet: Das Schicksal der deutschen Nation hängt nicht von Konfrontation, sondern von Entspannung ab.
({19})
- Aber sie unterscheidet sich sehr von dem, was Ihre Freunde von der CSU gesagt haben.
({20})
Ich habe mit allergrößtem Vergnügen festgestellt, Herr Kollege Kohl, daß Sie heute nicht ein Wort zur Verteidigung des deutschland-politischen Papiers der CSU gesagt haben.
({21})
Das läßt hoffen.
Ob sich unser Nationalbewußtsein in dieser Zeit erhalten läßt, ob es also trägt, ist eine Frage, die stärker drüben in der DDR als bei uns beantwortet werden wird, denn in der Bedrängnis wird die innere Bindung stärker auf die Probe gestellt als in einer Überflußgesellschaft.
In diesem Zusammenhang sollten wir wenigstens sagen, daß uns die Sorgen der Menschen in der DDR bewußt sind: die Sorgen in den ersten Jahren der Teilung, ob wir sie nicht vergessen hätten, ob wir ihnen nicht den Rücken zudrehten, ob uns der Wohlstand nicht erstickt hätte. Ebenso erinnere ich an die Überzeugung in den frühen 70er Jahren, daß wir das Mögliche tun, daß wir also die Menschen in ihrer staatlichen Ordnung unter den nun einmal gegebenen Umständen respektieren und den vielen einzelnen hier und drüben die Trennung ein wenig erleichtern. Heute hören wir von drüben schließlich die Frage, ob das, was jetzt bei uns geschieht, noch von der 'gleichen inneren Konzentration auf sie und auf das Gemeinsame getragen sei.
Die Menschen drüben haben gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und zwischen den Sätzen zu hören. Es wäre nicht gut, wenn sich der Eindruck oder der Verdacht einstellte, daß Auseinandersetzungen um die Fragen der Nation oder um die Fragen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten überwiegend oder zu einem beträchtlichen Teil Funktionen unseres innenpolitischen Streites sind. Dies sollten wir auch heute berücksichtigen.
Ich bleibe im übrigen Optimist. Eine Generation der Spaltung hat nicht auslöschen können, daß wir die Spaltung als schmerzlich empfinden, wenngleich nicht mehr so viele unter ihr wirklich leiden. Der Eifer, mit dem wir Besonderheiten unseres Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten suchen, ist ein positiver Beweis des Willens zur Nation. Der Eifer, mit dem die DDR die Abgrenzung betreibt, ist ein negativer Beweis des Bewußtseins der Nation. Die andere Linie der DDR, ein gewisser Stolz darauf, daß - wie man dort sagt - der erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden die besten deutschen Traditionen verkörpere und eigentlich das bessere Deutschland sei, zeigt für mich die Unmöglichkeit, der Nation zu entlaufen, selbst wenn man dies will.
({22})
Hier wie dort dokumentiert sich noch in der Verrenkung, wie deutsch beide Staaten sind, noch in der Erbitterung der Auseinandersetzung dokumentieren sich die Besonderheiten des Familienzwistes - und das nach mehr als einer Generation. Die Geschichte ist zu stark, als daß das Gefühl, einer Nation zuzugehören, in einer weiteren Generation in beiden deutschen Staaten verlöschen kann.
Ob die Nation sich erhalten läßt, hängt von vielen Faktoren ab. Einen wichtigen kann man negativ formulieren: Sie wird sich nur dann erhalten lassen, wenn wir sie nicht als oberstes, als äußerstes Kriterium unserer Loyalität empfinden, d. h., wenn es nach unserem Verständnis übergeordnete, supranationale Ordnungen geben wird. Die deutsche Nation für diese Zeit zu bewahren heißt dann nicht, eine Gefahr für andere Nationen zu züchten, sondern einen Reichtum für unsere Nachbarn zu bewahren.
So haben wir seit 1969 die Politik dieser Koalition verstanden und betrieben. So muß sie weitergeführt werden, wenn die Nation zusätzlich nicht unnötig weiter leiden soll.
({23})
Vor noch nicht zwei Jahren hat Franz Josef Strauß für die CSU auf dem deutschlandpolitischen Kongreß der Unionsparteien in Ingolstadt als Kern des deutschen Glaubensbekenntnisses seiner Partei formuliert - ich zitiere -:
Die Wiederbelebung des deutschen Nationalstaates im Herzen Europas kommt für uns nicht in Betracht. Wir stehen nicht für die Wiederbelebung einer europäischen Staatenwelt mit einem Deutschen Reich in der Mitte.
Der Kollege Marx erklärte zum gleichen Zeitpunkt:
Für die CDU ist Europa und der Westen das erste Wort der deutschen Politik. Unser oberstes Interesse ist es, Europa zu bauen.
Insoweit, meine Damen und Herren, haben die beiden Unionsparteien ausgesprochen, was sie schon immer in ihrer praktischen Politik verfolgt hatten. Schon immer seit 1949 rangierte für sie die europäische Einheit vor der deutschen Einheit.
({24})
Es muß hinzugefügt werden, daß diese praktische Politik immer von Kaskaden von Bekenntnissen und Forderungen zur deutschen Einheit begleitet war. Das Etikett war immer in Ordnung; die Praxis entfernte sich vom Etikett.
({25})
Herr Abgeordneter Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) ?
Im Augenblick nicht.
Unvergessen sind die Auseinandersetzungen, in denen der Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, als Nationalist diffamiert wurde, da die SPD vergeblich drängte, Chancen für die Wiederherstellung der deutschen Einheit auszuloten, bevor Integrationsbindungen eingegangen wurden, die ihr eigenes Gewicht haben würden und wahrlich auch bekommen haben.
({0})
Unvergessen sind Jakob Kaiser und Ernst Lemmer mit ihrer Sorge, die damalige Bundesregierung kehre den Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone den Rücken zu, und ihre tiefen - heute kann man doch sagen: berechtigten - Zweifel, ob sich die Erwartungen erfüllen würden, die auf die Theorie des Ost-West-Gefälles gesetzt wurden.
Unvergessen sind jene zahllosen Akte, durch die eine von den Unionsparteien geführte Bundesregierung versuchte, die Existenz der DDR zu leugnen,
Briefe ihrer Regierung zurückzuweisen oder mindestens zu öffnen, abzulichten und dann wieder zurückzuschicken. In Erinnerung bleibt jene Vogel-Strauß-Politik, die auf die Einführung der Transitvisa mit der Empfehlung an den Bürger reagierte, sie sollten sie benutzen, aber hinterher wegschmeißen, und den Bürgern zumutete, die Gebühren aus der eigenen Tasche zu zahlen. Insoweit wurden die Kosten der deutschen Teilung privatisiert, und es wurde vermieden, daß die Ziffern im Bundeshaushalt als Zahlungen an die DDR erscheinen, als Zahlungen, über die man sich jetzt aufregt und die jetzt in der Tat anders sind.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr.
Eine Frage zur angeblichen Vogel-Strauß-Politik: Herr Kollege Bahr, können Sie dem Hause bestätigen, daß bis zur Regierungserklärung von Oktober 1969 alle Parteien dieses Hauses die Erfüllung der sowjetischen Zwei-Staaten-Forderung abgelehnt haben?
Was hat denn das mit dem zu tun, was ich gesagt habe?
({0})
- Ich habe darauf hingewiesen, daß sich die von der CDU/CSU geführte Bundesregierung jahrelang geweigert hat, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, und sich in ihrer praktischen Politik so weit von der Realität entfernt hat, daß die Nation darunter gelitten hat.
({1})
- Im Augenblick nicht.
({2})
In den 18 Jahren, bis der Kanzler der Großen Koalition einen Brief von Herrn Stoph beantwortet hat; haben die Kanzler Adenauer und Erhard wirklich keine Möglichkeit ausgelassen, um nach ihren und unser aller besten Kräften die DDR zu isolieren, ihre Existenz zu leugnen. Sie haben damit nichts anderes erreicht, als daß die DDR dessenungeachtet stärker wurde. Keine Mühe und kein Geld wurden gescheut, und man erreichte zum Schluß doch nicht mehr, als daß da ein roter Teppich verweigert und dort ein Exequatur vorenthalten wurde.
({3})
Herr Kollege Kohl hat heute gesagt, die DDR sei schwächer geworden. Wenn das Ihr Hauptziel ist, dann müßten Sie doch die Bundesregierung zu diesem Erfolg eigentlich beglückwünschen.
({4})
Die beiden Teile der Nation trieben - fast könnte man sagen: natürlich - auseinander, solange die DDR die Parole „Deutsche an einen Tisch" ohne Risiko ausgeben konnte, man würde sie beim Wort nehmen. Wir hätten es in diesem Hause einfacher, um den rechten Weg zu ringen, wenn die .Opposition einmal den Mut hätte, zuzugeben, daß ihre Deutschlandpolitik gescheitert ist, daß sich ihre Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllt haben, weder nach Osten noch nach Westen,
({5})
weder in bezug auf die nationale Einheit noch in bezug auf die europäische Integration.
({6})
- Aber selbstverständlich. Das kann man doch sehen und greifen. Das liegt doch auf dem Tisch. Leugnen Sie die Realitäten doch wenigstens heute nicht!
({7})
Ich kenne den Einwand, daß andere im Osten und im Westen an dem Ergebnis mitgewirkt haben. Ich bin doch nicht so vermessen, das zu übersehen. Aber meine Partei, diese Koalition und diese Bundesregierung können doch dann auch erwarten, daß die Opposition es nicht so billig macht und nicht so tut, als hätten wir die Todesschußanlagen geschaffen, oder uns vorwirft, daß wir nicht die Minen abgeschafft haben, die unter Konrad Adenauer eingebuddelt wurden.
({8})
--- In der Zeit. Was denn sonst?
({9})
- Ich verstehe ja, daß Ihnen das nicht angenehm ist. Aber jetzt kommt der Punkt.
({10})
Man muß diese Debatte führen und sich auch anhören, was einem nicht gefällt.
({11})
Denken Sie an die Mahnung, die Ihr Vorsitzender Ihnen zugerufen hat.
({12})
Übrigens ist damals auch nicht von wirtschaftlichen Sanktionen die Rede gewesen, und Kredite des Interzonenhandels wurden nicht gekündigt - darüber hat der Bundeskanzler gesprochen -,
({13})
übrigens auch nicht nach jenem 17. Juni, an den
wir uns in diesem Jahr schon zum 25. Mal erinnern.
Als Herr Goppel jetzt in Moskau war, habe ich auch nicht gehört, daß er von Kossygin für den Verkauf bayerischer Erzeugnisse ein Bekenntnis zur deutschen Einheit verlangt hat.
({14})
Ich erinnere daran nur, um die Opposition zu fragen, ob sie denn nun alles für falsch hält, was sie damals in dieser Zeit selbst gemacht hat, ob sie bedauert, damals nicht mit wirtschaftlichen Sanktionen geantwortet zu haben, ob die Gemeinsamkeit der demokratischen Parteien,
({15})
Herr Mertes, damals in der gemeinsamen Rücksicht auf die Lage Berlins, heute nicht mehr gelten soll, ob die gemeinsame Position 1971 und 1972 heute von den Unionsparteien aufgegeben wird, wonach es bei aller sonstigen Kritik am Grundlagenvertrag positiv sei, daß der Charakter des innerdeutschen Handels und damit die Vorzugsstellung der DDR gegenüber der Europäischen Gemeinschaft positiv erhalten und festgeschrieben wurde.
({16})
- Darauf sind Sie stolz. Aber jetzt verlangen Sie nach wirtschaftlichen Sanktionen, und nach diesem Widerspruch frage ich doch gerade.
({17})
Aber ich möchte zu jenen Erklärungen der Kollegen Strauß und Marx vor zwei Jahren zurückkommen, die völlig klar und eben auch in Übereinstimmung mit Ihrem praktischen Handeln in den 20 Jahren Ihrer politischen Verantwortung die Frage der Nation in die zweite Reihe gestellt haben, und fragen: Ist das jetzt anders geworden?
Herr Abgeordneter Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Im Augenblick nicht.
({0})
Soll der Nationalstaat zum unmittelbaren Ziel der deutschen Politik gemacht werden? So jedenfalls will es die CSU, die sogar bei innerdeutschen Verhandlungen nur auf solche Vereinbarungen abzielen lassen will, die den Gedanken der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in Freiheit stärken. Ist die Ablehnung einer Wiederbelebung der europäischen Staatenwelt mit einem Deutschen Reich in der Mitte durch Franz Josef Strauß durch dieses deutschlandpolitische Papier der CSU dementiert? Schließt sich die CDU dieser Deutschlandpolitik an? Glaubt man bei der Opposition, daß die Faktoren, die bisher die Wiedervereinigung verhindert haben, schwächer geworden sind? Glaubt man, daß die wenigen, die bei unseren westlichen Freunden für die staatliche Einheit Deutschlands eintreten, stärker geworden sind als früher? Lehnt die Opposition von heute ab, was der Kanzler Kiesinger 1967 zur Lage der Nation gesagt hat? - Ich habe wohl bemerkt, daß das Zitat heute den Beifall bei der Union nicht gefunden hat.
({1})
Will die Opposition die Bundesregierung auffordern, die Römischen Verträge nachträglich unter die Bedingung zu stellen, daß ein gesamtdeutscher Souverän die Gemeinschaft wieder verlassen könne?
({2})
Sollen also nicht nur nach Osten, sondern auch nach Westen nur noch Verträge abgeschlossen werden, die den Gedanken der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in Freiheit stärken?
({3})
Sollen die Herstellung der deutschen Einheit und praktische Schritte dazu zum eigentlichen Kriterium der deutschen Außenpolitik werden? Oder will die Opposition nur darüber reden? Meint sie es so ernst gar nicht?
({4})
- Herr Kollege Kohl, ich wünsche, daß Sie zu all diesen Fragen ein klares nein sagen. Dann sind wir nämlich sehr viel weiter und laufen nicht in die Gefahr eines überspitzten und überhitzten Nationalismus hinein.
({5})
Die Frage ist also, ob zurückgekehrt werden soll zu einer Politik der Deklamation, des Anspruchs, zu
einer Politik der Phrase, die so ernst nicht genommen werden soll. Für das Inland plakativ auf Seite 2 dieses CSU-Dokuments - ich zitiere -:
Die CSU ist entschlossen jedes zulässige und geeignete Mittel einzusetzen, um diesen Vertrag, also die staatliche Einheit, zu erfüllen.
Fürs Ausland wird mit einem kleinen Nebensatz auf Seite 12 gesagt, daß man den Gedanken der Einheit als Endziel jeder deutschen Politik unter keinen Umständen bei Abmachungen schwächen will, „wann immer dieses möglich ist".
({6})
In Ost und in West, im Inland und im Ausland: Sie können sich das aussuchen; je nach Bedarf werden Sie bedient, „wann immer es möglich ist".
({7})
Diese Zweideutigkeit in der nationalen Frage ist eine Gefahr für die Nation.
({8})
Sie alarmiert Gegner im Osten - ({9})
Ich bitte um Verständnis: Wenn Zwischenfragen gestellt werden sollen, bitte ich, die Möglichkeit der Geschäftsordnung zu benutzen, indem sie zu Fragen ans Mikrophon gehen.
({0})
Diese Zweideutigkeit in der nationalen Frage alarmiert Gegner im Osten wie im Westen. Sie weckt unerfüllbare Illusionen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist darüber hinaus geeignet, mögliche Fortschritte durch Mißtrauen anderer zu blockieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Gern.
Herr Kollege Bahr, ist die Zweideutigkeit in die Aussagen zur Deutschlandpolitik nicht gerade durch jenes Wort von Ihnen eingeführt worden, daß die Verhältnisse im Herbst 1972 noch nicht so waren, daß man dem deutschen Volk die volle Wahrheit hätte sagen können?
({0})
Herr Kollege Jäger, ich überlasse es Ihnen, x-mal gestellte und beantwortete falsche Fragen noch einmal zu stellen.
({0})
Mir geht es nur darum, daß die Zweideutigkeiten in dem Dokument der CSU klargestellt werden, und davon lasse ich auch nicht ab.
({1}) Lassen Sie uns über die Nation reden.
({2})
Ich stimme dem Kollegen Kohl zu: Wer die Nation parteitaktisch benutzt, beleidigt die Nation.
({3})
Ich erinnere an die Aussage, daß, wenn es um ein Europa der Nationen geht, die Frage aufkommen muß: Warum nicht auch wir? Als deutschen Gaullisten haben einige Willy Brandt bezeichnet, als er 1964
({4})
eine derartige Frage öffentlich in New York stellte. Die Sorgen Konrad Adenauers, daß seine Landsleute rückfällig werden könnten, wenn es keine unzerreißbaren Bindungen nach Westeuropa gäbe, hallen bis heute nach. Wir alle haben uns zu fragen, wie wir es mit der Nation halten, da die Integration Europas nicht so kommen wird, wie sie in den frühen 50er Jahren geplant war.
({5})
Ich denke, alle unsere Partner in Ost und West können sich darauf verlassen, daß alle demokratischen Parteien dieses Landes mit Entschiedenheit eine Position ablehnen, die Deutschland über alles stellt. Das bedeutet, daß wir nicht nur unsere Verträge halten, sondern daß es im Interesse dieser Nation liegt, daß es nichts Wichtigeres gibt, als den Frieden zu sichern und zu festigen. Ohne Frieden gibt es keine Chance für die Nation. Das Ende des Friedens wäre das Ende der Nation.
({6})
Daß die Deutschen in der Bundesrepublik nicht vergessen, daß sie Teil einer gespaltenen Nation sind, ist nichts Neues. Wen das beunruhigt, dem können wir nicht helfen.
Die CSU hat mit Recht festgestellt, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch für die Deutschen gelten muß, und hat hinzugefügt, daß die Deutschen von den großen kulturellen, von jeher politisch eigenständigen Nationen der Erde die einzigen sind, die in staatlicher Trennung leben müssen. Man hat vergessen, hinzuzufügen, daß die Deutschen mehr als jedes andere Volk aus Eigeninteresse wie aus Verantwortung gegenüber ihren
Nachbarn den Frieden höher stellen als das nationale Ziel.
({7})
Wir haben uns in dieser Koalition klar dazu bekannt, daß wir die Nation dem Frieden unterordnen, und daran wird es auch künftig keinen Zweifel geben - auch nicht an der Respektierung aller Grenzen in Europa und an dem verbindlichen Gewaltverzicht.
({8})
Nun ist u. a. in einem Papier, das der „Spiegel" als Manifest bezeichnet hat, darauf hingewiesen worden, daß auch in der DDR die nationale Frage nicht vergessen ist. Das kann doch aber nur jene wundern, die dem eigenen Kleinmut oder der eigenen Propaganda zum Opfer gefallen sind und der Bundesregierung nicht geglaubt haben, als sie 1973 erläuterte, daß und warum die Formulierung über die nationale Frage im Grundlagenvertrag so schwierig gewesen ist. Die sozialliberale Koalition hatte sich nicht zu wundern, wenn sie über all die Jahre hinweg noch in den negativen Äußerungen und Handlungen der DDR-Regierung den vergeblichen Versuch erkannte, der nationalen Frage zu entfliehen, indem man das Gefühl für eine, wie man es nannte, „sozialistische deutsche Nation" zu wekken suchte.
In den beiden Teilen Deutschlands ist insoweit die Lage gleich: Beide Staaten sind in ihre Verpflichtungen, ihre Bündnisse, ihre gesellschaftlichen Ordnungen eingebunden. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Beide Staaten haben ein lebenswichtiges Interesse an der Erhaltung des Friedens. Beide Staaten haben nur zu gewinnen, wenn sie über sie hinausgreifende Bemühungen um Entspannung unterstützen und selbst Entspannung praktizieren. Es bleibt uns aufgegeben - anders eben, als es im CSU-Papier heißt -, auch als gespaltene Nation Ordnungselement zu sein. Anders hat die Nation keine Aussicht.
({9})
Der Satz aus der Regierungserklärung von 1973 gilt noch immer: Der Friede rangiert vor der Nation. Das ist der Dienst, den das deutsche Volk Europa leistet.
({10})
Meine
Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen des Deutschen Bundestages. Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fahren um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Die Aussprache wird dann um 15.30 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 8/1573 Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Wird die Bundesregierung nach der Verlautbarung des Bundesverkehrsministers vom 21. Februar 1978 nunmehr ihren Strekkenstillegungsplan im Bereich des Güterverkehrs der Deutschen Bundesbahn aufgeben?
Ich gehe davon aus, daß sich der Herr Kollege mit seiner Frage auf den Sozialdemokratischen Pressedienst vom 21. Februar 1978 bezieht. Dort hat der Bundesverkehrsminister in einem Artikel u. a. erklärt:
Der Zugang zum Markt und die Ausrichtung der Transporttechnik machen hier langfristige Dispositionen notwendig. Wer darüber diskutiert, welche Strecken im Bereich des Güterverkehrs eventuell stillzulegen sind, muß in seine Überlegungen die relativ unsichere Entwicklung der Energie sowie die relativ geringe Kostenreduzierung bei Streckenstillegungen einbeziehen.
Die Fraktion der SPD hat den Bundesverkehrsminister mit Schreiben vom 14. Februar dieses Jahres gebeten, grundsätzlich auf die Stillegung dieser 3 000 km Güterverkehrsstrecken zu verzichten und für die dadurch entstehenden zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von 30 bis 50 Millionen DM der Deutschen Bundesbahn einen entsprechenden Ausgleich zu gewähren. Der Bundesverkehrsminister wird diese Anregung sorgfältig prüfen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär Haar, ist aus der Erklärung des Herrn Bundesverkehrsministers und aus Ihrer Beantwortung meiner Frage zu entnehmen, daß die Bundesregierung nunmehr gewillt ist, ihre Pläne, einen Teil des Streckennetzes der Deutschen Bundesbahn stillzulegen, aufzugeben?
Ich habe bereits in der Antwort auf Ihre Anfrage gesagt, daß wir diese Anregung sorgfältig prüfen wollen. Das wollen Sie aus meiner Antwort entnehmen, Herr Kollege.
Noch eine Zusatzfrage.
Darf ich aus Ihrer Antwort, daß Sie diese Anregung der SPD-Fraktion sorgfältig prüfen, schließen, daß Sie dabei auch die bisherigen Anregungen und Vorschläge der CDU/CSU aufgreifen werden, die Strecken nicht in dem vorgesehenen Umfang stillzulegen, und daß Sie zu der Auffassung kommen, daß es falsch gewesen ist, solche Pläne überhaupt in die Welt zu setzen, durch
die für die Eisenbahn, die betroffenen Gebiete und insbesondere für die Wirtschaft auf Grund der Verunsicherung heute schon großer Schaden entstanden ist?
Herr Kollege Dr. Jobst, wir nehmen alle Anregungen, die in den letzten zwei Jahren in diesem Zusammenhang gegeben worden sind, entgegen und prüfen sie auch in der Sache. Das ist auch bisher so geschehen. Aber ich bin darüber überrascht, daß die Tatsache bei Ihnen nicht mehr Anerkennung gefunden hat, daß die Deutsche Bundesbahn vor zweieinhalb Jahren veranlaßt worden ist, ihr vor hundert Jahren geplantes und gebautes Streckennetz einmal betriebswirtschaftlich zu untersuchen - unabhängig von den politischen Aussagen, die die Opposition in der letzten Zeit gemacht hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Braun auf:
Hat die Bundesregierung im Rahmen der Diskussion über die Zusammenlegung von Bahnbus- und Postreisedienst die inzwischen vorgelegten Erfahrungsberichte der vier regionalen Verkehrsgesellschaften ausgewertet, und welche Konsequenzen gedenkt sie aus dieser Auswertung gegebenenfalls zu ziehen?
Ich kann diese Frage mit Ja beantworten. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Zusammenführung der Busdienste von Bahn und Post fortzusetzen. Zur Zeit finden noch Abstimmungsgespräche statt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden die in den Erfahrungsberichten geäußerten Befürchtungen seitens der Bundesregierung geteilt, daß der rechtliche, aber auch der materielle Besitzstand auf die Dauer nicht gehalten werden kann?
Sie können davon ausgehen, daß die Statusfragen der betroffenen Beschäftigten geklärt und ihre Arbeitsplätze gesichert sind und daß bei der Bahn wie bei der Post niemand materiell benachteiligt wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Werden denn die Befürchtungen seitens der Bundesregierung geteilt, daß durch diese Organisationsform die Bedienung des flachen Landes nicht mehr gewährleistet ist?
Das ist nicht der Fall. Sie können davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung aus ihren Verpflichtungen für den öffentlichen Personennahverkehr durch diese Organisationsform nicht zurückziehen will, sondern die Leistungsfähigkeit zu erhöhen beabsichtigt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Braun auf:
Hat die Bundesregierung die Möglichkeit der Zusammenlegung von Bahnbus- und Postreisedienst in einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform geprüft, damit dem betroffenen Personal die Anwendung des Personalvertretungsrechts erhalten bleibt?
Auch diese Frage kann ich mit Ja beantworten. Unabhängig von der Organisationsform regelt sich die Vertretung des Personals nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz oder dem Betriebsverfassungsgesetz.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Ihnen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln bekannt ist, wonach die beiden Busfahrer, die geklagt haben, mit ihrer Ansicht recht bekommen haben, daß diese Organisationsform gegen das Gesetz über das Berufsbeamtentum verstößt. Hat die Bundesregierung gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt?
Haar,. Parl. Staatssekretär: Wir haben Einspruch eingelegt. Sie können davon ausgehen, daß der erste Teil Ihrer Frage trotzdem mit Ja beantwortet werden kann.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei ihren neuerlichen Überlegungen auch den früheren Plan der Bundesregierung unter Bundesverkehrsminister Lauritzen aufgegriffen, die Omnibusverkehre von Bahn und Post in der Weise zusammenzuführen, daß beide unter einer Verwaltung vereinigt werden?
Herr Kollege, Sie wissen, daß das bereits vor einigen Jahren Thema eines Kabinettsbeschlusses war mit dem Auftrag, eine Überleitung des Postreisedienstes auf die Bundesbahn ins Auge zu fassen. Dies waren Ergebnisse von Untersuchungen, die - in ihrem Trend - schon unter früheren Bundesregierungen einschließlich der Großen Koalition angestellt worden waren. Bestimmungen der Haushaltsordnung lassen eine solche Lösung nicht zu. Ein Kostenpooling verstößt nach § 61 Abs. 3 der Haushaltsordnung gegen das Prinzip der Haushaltswahrheit und die Haushaltsklarheit. Das gehört mit zur eigentlichen Problematik.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Frau Hürland auf:
Nach welchen Kriterien hat die Bundesregierung Strecken oder Regionen für die betriebswirtschaftliche Untersuchung im Personen- und/oder Güterverkehr der Deutschen Bundesbahn ausgewählt?
Im Rahmen der Vorgaben des Staatssekretärsarbeitsberichts vom 6. April 1977, der vom Bundeskabinett am 27. April 1977 zur Kenntnis genommen wurde, hat die Deut6134
sehe Bundesbahn die Strecken für die betriebswirtschaftliche Untersuchung nach den Kriterien des Verkehrsaufkommens der Strecke und der Bedeutung der einzelnen Strecken zur Anbindung an Verdichtungsräume unter Bedienung wichtiger Fremdenverkehrsgebiete ausgewählt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dies ist nicht etwa nach dem Zeitraum der Errichtung einer Strecke geschehen? Ich denke z. B. daran, daß im Raum Recklinghausen die Strecke von Buer-Nord nach Haltern nicht mit aufgenommen worden ist, obwohl die Wirtschaftlichkeit auch dort offensichtlich nicht gegeben ist.
Ich kann Einzelfragen, soweit es sich um einzelne Nebenstrecken der Bahn handelt, im Augenblick natürlich nicht beantworten. Aber wenn Sie hierzu von mir eine Vergleichszahl haben möchten, so will ich das gern in meinem Hause prüfen lassen und Ihnen das Ergebnis zuleiten, Frau Kollegin.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 40 der Abgeordneten Frau Hürland auf.
Welche Maßnahmen werden nach der betriebswirtschaftlichen Beurteilung einer Bundesbahnstrecke ergriffen, wenn das Ergebnis von der Frequentierung her überdurchschnittlich im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ist und lediglich durch hohe Personalkosten eine Wirtschaftlichkeit bisher nicht herbeigeführt werden konnte?
Zur Umstellung stehen lediglich vergleichweise verkehrsschwache Strekken an. Allen Untersuchungen liegt ein Kostenbild zugrunde, bei dem die Rationalisierungsmöglichkeiten auch auf dem Kostensektor Betrieb und Personalwesen eingerechnet sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung die Wirtschaftlichkeit vielleicht dadurch herbeiführen, daß die Strecke Dorsten-Borken mit Signalanlagen ausgestattet wird, weil diese Strecke nämlich, gemessen am Bundesdurchschnitt, sehr stark frequentiert ist, und können Sie mir sagen, ob der Busverkehr, der in den frühen Morgenstunden und in den frühen Abendstunden zur Entlastung eingesetzt werden könnte, nicht auch zur Wirtschaftlichkeit dieser Strecke beitragen würde?
Frau Kollegin, diese Fragen richten sich wegen der Zuständigkeiten nach dem Bundesbahngesetz im Grunde an den Vorstand der Deutschen Bundesbahn. Er ist für den Wirtschaftsplan zuständig, d. h. auch für die Entscheidung über Investitionen bei Signalanlagen. Ich will diese Frage gern weiterleiten und Ihnen dazu eine Stellungnahme des Vorstands der Bundesbahn übermitteln lassen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß es eine zusätzlich hohe Belastung der B 224 besonders im Ortskern von Dorsten-Holsterhausen gibt, vor allem zur rush-hour, zu den Zeiten des Berufsverkehrs? Wie will man hier eine Entlastung herbeiführen? Will man das etwa ignorieren oder die bisherige Bundesbahnstrecke in eine Schnellstraße für den Autoverkehr umwandeln?
Frau Kollegin, ich gehe davon aus, daß bei den bevorstehenden Regionalgesprächen alle Probleme, die mit einer Verlagerung von Personenverkehrsleistungen auf die Straße verbunden sind, zur Diskussion stehen. Der Bundesverkehrsminister hat bereits erklärt, daß dann, wenn zusätzliche Investitionen etwa im Straßenbau erforderlich werden, die vorgesehene Maßnahme im Interesse einer gesamtwirtschaftlichen Prüfung zurückgestellt wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Gerster ({0}) auf :
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Schwerbehinderten, die auf Grund einer Beinamputation oder aus vergleichbaren Gründen erheblich gehbehindert sind, für Zonen mit eingeschränktem Halteverbot eine zeitlich begrenzbare Parksondergenehmigung einzuräumen?
Am 31. Juli 1976 hat der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrates eine allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Ausnahmegenehmigungen für Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sowie für Blinde erlassen. Danach kann den Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung u. a. gestattet werden, an Stellen, an denen das eingeschränkte Halteverbot angeordnet ist, bis zu drei Stunden zu parken. Diese Ausnahmegenehmigung gilt für das gesamte Bundesgebiet. Für bestimmte Halteverbotsstrecken können auch längere Parkzeiten regional genehmigt werden. Ihrem Anliegen, Herr Kollege, dürfte damit entsprochen sein.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß seitens einzelner Landesverwaltungen bei der Erteilung dieser Sondergenehmigungen sehr zurückhaltend verfahren wird, und wären Sie bereit, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß entsprechend dem Sinn dieser Vorschrift bei ihrer Anwendung in Zukunft großzügiger Verfahren wird?
Herr Kollege, ich kann den Einzelfall im Augenblick nicht übersehen. Wenn Sie mir Details mitteilen, will ich nach Prüfung der Unterlagen die zuständige Landesregierung auffordern, entsprechend zu verfahren. Dafür liegt eine Verwaltungsvorschrift vor.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Schmitz ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Funktion und Effektivität der Luftverkehrszentrale Eurocontrol, Maastricht, gemessen an der ursprünglich projektierten Aufgabenstellung und der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung, auch im Hinblick auf die dort gegebene unmittelbare Zusammenarbeit von ziviler und militärischer Flugsicherung?
Die Kontrollzentrale Maastricht, die für den oberen Luftraum Norddeutschlands seit 1974 die Flugverkehrskontrolle ausübt, arbeitete bisher zufriedenstellend. Die räumliche Zusammenlegung der zivilen und der militärischen Flugsicherung seit 1975 in Maastricht hat es ermöglicht, daß beiden Organisationen dieselben Daten aus einem System für ihre Kontrollzwecke zur Verfügung stehen und die Koordination zwischen den zivilen und den militärischen Lotsen über das sogenannte EDV-System durchgeführt werden kann. Die Erfahrungen hierbei sind positiv. Das endgültige Planungsziel für die Zentrale würde jedoch erst dann erreicht werden, wenn auch die Niederlande - wie bisher Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik - Zuständigkeiten für den oberen Luftraum an die Zentrale in Maastricht delegieren würden. Das ist auch unser Anliegen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wann dies von seiten der Niederlande geschehen wird?
Sie wissen, Herr Kollege, daß dort inzwischen ein Regierungswechsel stattgefunden hat und daß wir jetzt auch in diesem Fachbereich mit neuen Repräsentanten zu verhandeln haben. Insoweit kann ich noch nicht vom Vorliegen von Erkenntnissen sprechen; idas müssen die weiteren Gespräche ergeben.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir dann mitteilen, welche Erkenntnisse der Bundesregierung darüber vorliegen, warum die Niederlande dies bisher nicht getan haben?
Natürlich ist uns dieser Sachverhalt bekannt. Die Niederlande haben bisher in eigener Zuständigkeit Investitionen, die nach ihrer Auffassung für entsprechende Anlagen auf Jahre hinaus ausreichen, vorgenommen. Folglich muß die niederländische Regierung prüfen, ob sie jene Aufgaben an die Zentrale in Maastricht delegieren will, die andere Länder, darunter auch wir, bereits delegiert haben. Es bedarf im Grunde einer politischen Entscheidung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung selbst an dem Prinzip Eurocontrol festhalten, und wird sie ihrerseits die ihr gegebenen Einflußmöglichkeiten nutzen, damit die Niederländer diese Übertragung der Aufgabe auf Maastricht vornehmen?
Auf Grund eigener Gespräche, die ich nun etwa seit Jahresfrist - auch in meiner Eigenschaft als gegenwärtiger Präsident von Eurocontrol - führe, dürfen Sie sich darauf verlassen, daß die Bundesregierung bemüht ist, in dieser Richtung zu einer Lösung zu kommen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Schmitz ({0}) auf:
Wie sieht die Bundesregierung nach dem gegebenen Sachstand und der absehbaren Entwicklung internationaler Zusammenarbeit im Bereich der Flugsicherung die Zukunft der Organisation Eurocontrol, die Zukunft der Flugsicherung im oberen Luftraum der Bundesrepublik Deutschland und im besonderen die Zukunft der Kontrollzentrale Maastricht?
Eurocontrol soll nach Auslaufen der derzeit gültigen Konvention mit Koordinierungsaufgaben, gemeinsamen Planungsaufgaben, gemeinsamen Erprobungen und Forschungen auf dem Gebiet der Flugsicherung betraut werden. Die Bundesregierung ist in Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern der Organisation bemüht, diesen Aufgabenkatalog für die Organisation möglichst umfangreich zu fassen.
Im oberen süddeutschen Luftraum wird die Bundesanstalt für Flugsicherung auch in Zukunft die Flugverkehrskontrolle ausüben. Die Kontrollzentrale Karlsruhe wird 1983 vollständig in nationale Verantwortung übergehen. Die Kontrollzentrale Maastricht soll nach der Absicht der Bundesregierung auch nach 1983 die Zuständigkeit für den oberen norddeutschen Luftraum beibehalten, wenn sich die Benelux-Staaten an dem Betrieb dieser Zentrale beteiligen. Experten der vier Staaten untersuchen gegenwärtig, unter welchen Voraussetzungen die Zentrale nach 1983 weiterbetrieben werden kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 44, 47 und 48 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in einer Übersichtskarte der Deutschen Bundesbahn über die Elektrifizierung ihres Strekkennetzes mit Stand vom 1. Januar 1978 die Strecken Memmingen-Leutkirch-KiBlegg-Wangen-Hergartz sowie Kißlegg-Aulendorf-Herbertingen und Kempten-Isny nicht mehr enthalten sind, obwohl der Erhalt der ersteren nach Auskunft von Staatssekretär Haar bereits jetzt gesichert ist, während sich die beiden letzteren derzeit noch im Überprüfungsverfahren befinden, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang?
Die jährlich von der Deutschen Bundesbahn herausgegebene Übersichtskarte für die Elektrifizierung ihres Streckennetzes dient ausschließlich der Darstellung derjenigen
Strecken, die von der Deutschen Bundesbahn bereits elektrisch betrieben werden oder sich gerade in Umstellung auf diese Traktionsart befinden. Das sind zur Zeit weniger als 40 % des Streckennetzes.
Aus kartographischen und drucktechnischen Gründen ist es nicht möglich, gleichzeitig auch alle übrigen nicht elektrifizierten Schienenverbindungen auf der nur DIN A 4 großen Karte ohne Beeinträchtigung der Übersichtlichkeit vollständig abzubilden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß dieser Karte im Hinblick auf die zukünftige Behandlung der von mir in meiner Frage besonders erwähnten Strecken keinerlei Bedeutung zukommt?
Keinerlei Bedeutung, davon können Sie ausgehen. Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Die Strecken, auf die Sie in Ihrer Frage Bezug nehmen, nämlich die Strecken Memmingen - Leutkirch - Kißlegg - Wangen - Hergartz sowie Kißlegg - Aulendorf - Herbertingen und Kempten - Isny sind nicht elektrifiziert. Ihre Umstellung auf elektrischen Betrieb ist nach Mitteilung der Bundesbahn auch in absehbarer Zeit noch nicht geplant.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ändert es auch nichts an dieser Ihrer Beurteilung, daß auf der erwähnten Karte nicht nur solche Strecken verzeichnet sind, die entweder schon elektrifiziert, in der Elektrifizierung begriffen oder für die Elektrifizierung vorgesehen sind, sondern auch z. B. die Bodenseebahn oder die Strecke Ulm-Friedrichshafen, so daß beim unbefangenen und nicht besonders bewanderten Betrachter der Eindruck erweckt wird, als sei dies eine vollständige Aufzeichnung sämtlicher noch beibehaltener Strecken?
Ich glaube nicht, daß das die allgemeine Auffassung der Empfänger dieser Karte ist, Herr Kollege. Die Karte wird der Offentlichkeit seit Jahren von der Bundesbahn zugänglich gemacht und jährlich entsprechend fortgeschrieben. Das Grundraster ist seit längerem unverändert.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß nach ihrer Antwort vorn 15. Februar 1978 auf meine schriftliche Anfrage vom 2. Februar 1978 zwar die Disparität zwischen Schienen-und Bustarifen bei der nächsten Tarifänderung ausgeglichen werden soll, daß dabei aber infolge der oft wesentlich längeren Busstrecken auf den Straßen gegenüber den Schienenwegen gleichwohl eine erhebliche Verteuerung des öffentlichen Personennahverkehrs für die Bevölkerung der betroffenen strukturschwachen Gebiete eintreten wird?
Nach den Tarifbestimmungen ist es unumgänglich, für größere Entfernungen auch höhere Fahrpreise zu fordern; doch sind nicht in jedem Falle die Busstrecken länger als die Schienenwege. Es gibt auch umgekehrte Fälle. Es bleibt zu bedenken, daß der Bus nicht nur die Orte an der Schienenstrecke, sondern in vielen Fällen auch Orte abseits der Strecke bedient und somit eine günstigere, ortsnähere Bedienung im Einzugsgebiet vornimmt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, muß ich dieser Ihrer Antwort entnehmen, daß seitens der Bundesregierung nicht beabsichtigt ist, den für zahlreiche Anwohner der bisherigen Bahnstrekken auftretenden Nachteil der verlängerten Strecke und der dadurch erhöhten tatsächlichen Fahrpreise bei der künftigen Tarifgestaltung auszugleichen?
Ich weiß nicht, ob man diese Frage so subjektiv in dieser Weise stellen kann. Sie wissen, daß es auch kürzere Fahrstrecken mit Bussen gibt. Die Folge ist eine automatische Verringerung des Fahrpreises. Die Bahn muß ihre Fahrpreise entsprechend der Streckenlänge berechnen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie die Verhältnisse in unserem ländlichen Raum ja auch kennen: stimmen Sie meiner Feststellung zu, daß es im überwiegenden Teil der gerade durch ländliche Gebiete führenden Strecken so sein wird, daß die künftigen Busstrecken dort, wo es unvermeidlich ist, länger sein werden als die bisherigen Bahnlinien, so daß für die benutzende Bevölkerung im Endeffekt eine Verteuerung herauskommt?
Ich teile diese Auffassung im allgemeinen nicht. Dies kann im Einzelfall eintreten. Es kommt auf die Verästelung des Angebots im öffentlichen Personennahverkehr an. Sie werden mir sicher bestätigen, daß ein Vorteil darin liegt, daß mit der Omnibusbedienung in der Fläche eine weit bessere Bedienung der einzelnen Ortschaften erfolgen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, nachdem wir gerade eine Tarifänderung, und zwar eine Tariferhöhung bei der Bundesbahn hinter uns haben, frage ich: Wann wird die Tarifdisparität beseitigt? Gibt es einen Zeithorizont?
Ich weiß nicht, von welchen Disparitäten Sie jetzt sprechen, die zu beseitigen seien.
({0})
- Sie können davon ausgehen, daß eine solche Angleichung in jedem Falle erfolgt. Darum ist die Bundesregierung bemüht.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es für einen Benutzer dieser Strecken nicht verständlich ist, wenn er bei einem Mischverkehr, d. h. stellenweise Bahnverkehr, stellenweise Busverkehr, bei Benutzung des Busses für die gleiche Strecke eine Mark mehr bezahlen muß, weil die Bahn zu diesem Zeitpunkt nicht fährt? Dies ist bei uns exakt der Fall. Die Leute haben keinen Vorteil, weil sie vom Ort A zum Ort B wollen.
Ich kenne solche Einzelfälle auch aus der Vergangenheit, wo Strecken von Bus und Bahn stark frequentiert werden. Das hängt natürlich auch mit der Entscheidung zusammen, welches Verkehrsmittel zu welchem Zeitpunkt benutzt wird. Wenn Sie mir einen besonders gravierenden Fall mitteilen, will ich ihn gern überprüfen lassen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Stercken auf:
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung dem in der Entwicklung begriffenen grenznahen Flugverkehrshafen Maastricht für den Wirtschaftsraum Aachen und die internationale Zusammenarbeit der Euregio Aachen-Maastricht-Lüttich zu?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Entwicklung des Flughafens Maastricht nur begrenzte regionale Bedeutung hat. Im wesentlichen wird der Anschluß des Wirtschaftsraumes Aachen an den Luftverkehr weiterhin über die günstig zu erreichenden Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn mit ihren weltweiten Verbindungen erfolgen. Von Maastricht aus führen Fluglinien hauptsächlich zu den übrigen niederländischen Zentren und darüber hinaus nach London. Deutsche Luftfahrtunternehmen sind an diesem Verkehr nicht beteiligt.
Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, ist diese Entscheidung gemeinsam mit den Regierungen der Niederlande und Belgiens getroffen worden?
Sie können davon ausgehen, daß laufend auch mit diesen Ländern Abstimmungsgespräche über diese Fragen stattfinden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es infolgedessen andere Planungen, den Ballungsraum der Euregio an ein sich verdichtendes internationales Flugnetz anzuschließen?
Darüber habe ich - das ist eine Zusatzfrage - im Augenblick keine konkreten Unterlagen aus den bisherigen Besprechungen. Ich will das gerne prüfen lassen und Ihnen mitteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, angesichts der starken Wirtschaftsbeziehungen des Raumes Aachen zu den Niederlanden und zu Belgien darf ich fragen: Wäre die Bundesregierung bereit, wenn günstige Frachtversandmöglichkeiten von diesem Flughafen aus bestehen, zu prüfen, ob zur besseren Abwicklung des Güterverkehrs aus dem Raum Aachen zum Flugplatz Maastricht eine Erleichterung in der Zollabfertigung gewährt werden kann?
Das ist eine sehr pauschale Frage. Zum Frachtverkehr kann ich Ihnen folgendes sagen, Herr Kollege: Maastricht hat in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung für den Frachtcharterverkehr, insbesondere in Form der Split-Fracht und des Sammelladungsverkehrs erlangt. Der Anteil von Frachtgut mit Ursprungs- oder Bestimmungsort Bundesrepublik ist auch beachtlich. Statistiken liegen allerdings darüber nicht vor, aber wir werden das gerne prüfen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 50 des Abgeordneten Dr. Stercken auf:
Welche Vorschläge macht die von der niederländischen und der deutschen Regierung in Auftrag gegebene Verkehrsuntersuchung zum Ausbau der Fernstraßen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden für den Grenzbereich zwischen dem Rhein und Aachen?
In der Verkehrsuntersuchung des deutschniederländischen Grenzraumes werden für den Bereich zwischen Rhein und Aachen folgende Vorschläge gemacht:
A 57: Durchgehender Autobahnneubau.
A 61: Neuordnung des Fernstraßennetzes im Einzugsbereich Venlo bedarf im Zusammenhang mit den Planungen für die niederländische A 73 weiterer Untersuchungen.
B 230/A 52: Im unmittelbaren Grenzbereich zunächst zwei Fahrstreifen ausreichend, auf lange Sicht kann jedoch ein weitergehender Ausbau in Betracht kommen.
A 56: Die Untersuchung enthält keine konkrete Aussage, rät aber, den Neubau der A 56 unter regionalen Aspekten nochmals zu untersuchen.
A 54: Eine A 54 ({0}) ist nicht erforderlich.
Das ist das Ergebnis dieser Untersuchung.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da ich annehme, daß Sie diesen Planungen in Ihren Baumaßnahmen zu folgen gedenken, darf ich Sie fragen, welche Prioritäten Sie in diesem Bauprogramm sehen?
Vordringlich ist nur der Vorschlag zur A 57. Dort wird in Übereinstimmung mit den Niederlanden sofort der vierstreifige Autobahnquerschnitt auch im Grenzbereich gebaut. Die Fertigstellung wird bis 1982 erwartet. Die übrigen Vorschläge werden sowohl in der Bundesrepublik als auch in den Niederlanden in die Überlegungen zur Fortschreibung der jeweiligen Mittel- und Langfristplanungen einbezogen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort schließen, daß der dreispurige Ausbau der Autobahn Köln/Aachen, also der A 4, damit in diesem vorrangigen Programm keine Berücksichtigung findet?
Er ist zumindest in dieser Untersuchung nicht als vordringlich erörtert worden. Aber wir haben ja in der gegenseitigen Abstimmung jährliche Zusammenkünfte. Ich will diese Frage gerne noch für die nächsten Abstimmungsgespräche mit aufnehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob auf niederländischer Seite die Planungen bezüglich der Verlängerung der Bundesautobahn zwischen Mönchengladbach und Roermond inzwischen weiter gediehen sind?
Ich kann solche Detailfragen in der Fragestunde nicht beantworten, Herr Kollege. Dafür bitte ich um Verständnis. Ich will -das gerne prüfen lassen und Ihnen mitteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitz.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, inwieweit die Planungen im Straßenbau auf die neuen Entwicklungen in den niederländischen Grenzbereichen auf Grund der neuen Gemeindeordnungen abgestellt werden?
Natürlich spielen auch diese Fragen bei den Abstimmungsgesprächen, die jährlich stattfinden, eine Rolle.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, wie weit sind die Ergebnisse
der deutsch-niederländischen Grenzuntersuchung zwischen den Ministerien der beiden beteiligten Ländern bereits abgestimmt, und sind sie, wenn überhaupt, einverständlich und im Sinne dieser Untersuchungen abgestimmt?
Ja, Herr Kollege, ich habe bereits das Ergebnis der letzten Abstimmung hier in der Beantwortung der Fragen von Herrn Dr. Stercken deutlich gemacht.
- Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann rufe ich die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
In welcher Reihenfolge hält die Bundesregierung den Ausbau von grenzüberschreitenden Autobahnen und Fernverkehrsstraßen im Grenzbereich zwischen dem Rhein und Aachen für vordringlich, und wann wird voraussichtlich gemeinsam mit der Regierung der Niederlande über die Reihenfolge des Ausbaus auf deutscher Seite und die entsprechende Anbindung an das niederländische Verkehrsnetz entschieden?
Zwischen Rhein und Aachen wird als grenzüberschreitende Bundesfernstraße lediglich did A 57 mit Grenzübergang westlich von Goch vordringlich gebaut. In Übereinstimmung mit der Regierung der Niederlande wird angestrebt, die durchgehende Autobahn sofort vierstreifig bis 1982 fertigzustellen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hier gilt auch wieder die Frage, inwieweit die weiter südlich gelegenen Übergänge in Vorbereitung sind, und gerade die Beantwortung der Frage, die Sie vorhin im einzelnen nicht beantworten konnten, hätte eigentlich in diese Antwort hineingehört.
Einen Augenblick, Herr Parlamentarscher Staatssekretär. - Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte eine konkrete Frage. Was soll aufgenommen werden?
Die weiter südlich gelegene Bundesautobahn in der Verlängerung zwischen Mönchengladbach und Roermond.
Ich muß darauf hinweisen, daß die nachgeordnete Landesstraßenbauverwaltung mit den Planungen beauftragt ist. Es kann nicht Sache der Fragestunde sein, Herr Kollege Dr. Hammans, daß wir Einzelheiten solcher Abstimmungsgespräche der Landesstraßenbauverwaltungen hier vortragen, wenn sie nicht ganz konkret erfragt sind.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Sind Veränderungen im bestehenden grenzüberschreitenden Schienenverkehr ({0}) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden im Bereich zwischen Rhein und Aachen zu erwarten, und im besonderen welches Ergebnis lassen die laufenden Verhandlungen über die Reaktivierung der Schienenstrecke Antwerpen-Roermond-Mönchengladbach erwarten?
Im Rahmen der Netzoptimierung wird von der Deutschen Bundesbahn die Verlagerung des Reiseverkehrs der Teilstrecken Gronau - Gronau Grenze und Ihrhove - Weener Grenze angestrebt. Für den Güterverkehr sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Nach den Angaben der Deutschen Bundesbahn werden die Verhandlungen in der internationalen Arbeitsgruppe für die Eisenbahnstrecke Antwerpen-RoermondDalheim-Mönchengladbach fortgeführt. Ein Ergebnis läßt sich heute noch nicht absehen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist zu erwarten, daß in dem Gutachten, das von der Bundesregierung zusammen mit der niederländischen Regierung bei einem Ingenieurbüro in Hannover in Auftrag gegeben wurde und dessen Ergebnis uns seit langem versprochen wurde, u. a. von Ihnen mir Ende Januar - ich habe es bis heute nicht in Händen -, diese Einzelprobleme genauer angesprochen werden und daß wir daraus dann für die. weiteren Planungen auch bessere Einsichten haben werden?
Ich will Ihnen eine derartige ins Detail gehende Prüfung zusichern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitz.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß in der Planung der niederländischen Provinz Limburg in der Ausbaustrecke Aachen-Heerlen das schienengebundene Nahverkehrsmittel Bahn vorgesehen ist? Wenn ja, was will die Bundesregierung tun, wenn dies von holländischer Seite aus angestrebt wird?
Herr Kollege, natürlich sind derartige Vorgänge der Bundesregierung bekannt. Sie stehen aber in keinem direkten Zusammenhang mit den Fragen, die bislang für die Fragestunde eingebracht worden sind. Ich bitte um Verständnis. Fragen zu solchen Vorgängen sollten vorher im Detail gestellt werden, damit wir konkret eine Antwort geben können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade erklärt, daß die Verhandlungen mit der niederländischen Seite über die Reaktivierung der Strecke Antwerpen-Mönchengladbach laufen. Darf ich nach der Einstellung der Deutschen Bundesbahn oder der Bundesregierung zu dieser Reaktivierung fragen?
Das hängt letztlich vom Ergebnis beiderseitiger Untersuchungen auch über die Wirtschaftlichkeit ab, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Hält die Bundesregierung die zum 1. März 1978 in Kraft getretene Aufhebung der Geschwistertarifermäßigung im innerstädtischen Schülerbeförderungsverkehr der Deutschen Bundespost für notwendig, und wenn ja, was rechtfertigt diese Entscheidung?
Am 15. Dezember 1965 hat das Bundeskabinett die Tarifparität des Busverkehrs von Bahn und Post mit dem Schienenpersonenverkehr gefordert. Die schrittweise Annäherung wurde mit der Tarifänderung zum 1. März 1978 vollzogen. Hierbei wurde im Busverkehr von Bahn und Post auch die Geschwisterermäßigung aufgehoben, die im Schienenpersonenverkehr schon zum 1. Mai 1977 weggefallen war.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob dieser Beschluß des Postverwaltungsrates von allen Beteiligten einstimmig gefaßt wurde?
Das muß ich erst aus dem Protokoll feststellen lassen. Ich werde Ihnen das gerne mitteilen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wieviel Mehreinnahmen bringt dies der Bundespost? Gibt es, falls diese Maßnahme nicht mehr aufgehoben werden kann, Überlegungen, in Verhandlungen z. B. mit dem Lande Baden-Württemberg zu erreichen, daß die gleichen Richtlinien übernommen werden wie nach dem Schülerbeförderungsgesetz des Landes?
Herr Kollege, ich darf bei dieser Gelegenheit auch auf die Größenordnungen hinweisen. Bei einer Kostendeckung von nicht einmal 10 % ist eine Rücknahme der Ermäßigung im Schülerverkehr von 62 % auf 50 % bei 10 km und von 76 % auf 73 % bei 50 km - das ist im Grunde die Aufhebung der Disparität - als vertretbar anzusehen, wenn berücksichtigt wird, daß die Belastung aus dem Schülerverkehr weitgehend von den Schulträgern und nicht von den Schülern selbst zu tragen ist. Damit wird gleichzeitig die Anpassung an die Tarifstruktur auch anderer Nahverkehrsunternehmen erreicht. Das gilt übrigens auch für Baden-Württemberg.
Herr Abgeordneter, wollten Sie die absolute Größe des Verlustes haben?
Ja.
Ich habe es mir gedacht. Wollen Sie die Frage dann ergänzen?
Herr Präsident, es ist selbstverständlich, daß wir die absolute Größe feststellen lassen und sie dem Fragesteller mitteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Sind die Ergebnisse der vier Betriebsversuche über die geplanten Regionalgesellschaften so positiv abgesichert, daß ohne weitere Prüfung, insbesondere einer öffentlich-rechtlichen Form der Gesellschaft, diese Neuordnung der Busdienste von Bundespost und Bundesbahn, durchgeführt werden kann?
Die Versuche haben gezeigt, daß die Zusammenfassung von Bahnbusverkehr und Postreisedienst in handelsrechtlich organisierten Regionalgesellschaften einer Busunternehmensgruppe des Bundes die sinnvollste ökonomische und verkehrspolitische Lösung sein wird. Die Interessen der Schiene bleiben gewahrt. Die Gemeinkosten werden gesenkt, und der Bundeshaushalt wird' entlastet. Der soziale Status der bei Bahn und Post im Busdienst Beschäftigten bleibt erhalten.
Alleiniger Eigentümer der Gesellschaften bleiben trotz anderweitiger Behauptungen Bundesbahn und Bundespost. Ein rechtlich und betrieblich praktikables öffentlich-rechtliches Modell einer Neuordnung der Omnibusdienste des Bundes, das den gleichen Zielerreichungsgrad wie das GmbH-Modell erwarten läßt, ist nicht bekannt. Ich habe bereits bei der Beantwortung anderer Fragen vor diesem Hohen Hause im Laufe dieser Fragestunde darauf hingewiesen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie kennen ja die Forderungen der betreffenden Gewerkschaften von Post und Bahn. Ist die Bundesregierung bereit, eventuell alternativ ein solches Modell doch noch zu prüfen?
Herr Kollege, wenn Sie die Beratungen auch unter den Fachleuten der SPD-Bundestagsfraktion verfolgt haben - und davon gehe ich aus -, ist Ihnen bekannt, daß ein öffentlich-rechtlicher Modellversuch deshalb nicht möglich ist, weil dafür gesetzliche Voraussetzungen erforderlich sind, die dann das öffentlich-rechtliche Modell gleich im ganzen gesetzlich regelten. Aber damit wäre der gleiche Effekt nicht erreicht. Das ist inzwischen nachgewiesen und durch wiederholte Fachgespräche auch den Gewerkschaften bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, bedeutet eine handelsrechtliche Regionalgesellschaft nicht auch unterschiedliche Tarife?
Das gibt es bereits heute. Wenn Sie die VÖV-Unternehmungen oder den Bahn- und Postbusverkehr in seiner Entwicklung betrachten, sehen Sie, daß es unterschiedliche Tarife gibt. Uns kommt es darauf an, zu einer möglichst verbesserten Verkehrsbedienung, verbunden mit einer Haushaltsentlastung im ganzen, zu kommen, ohne daß daraus für die Allgemeinheit Nachteile entstehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, uns einmal genau anzugeben, auf Grund welcher Paragraphen ein öffentlich-rechtliches Modell nicht möglich ist?
Die Bundesregierung hat diese Möglichkeiten sorgfältig geprüft. Diese Lösung war - ich darf auch gleich noch kurz auf die Entwicklung eingehen - auch deshalb nicht realisierbar, weil eine Versetzung von 4 000 beamteten Postfahrern - auf der Grundlage des Kabinettsbeschlusses aus dem Jahre 1973 - zur Bundesbahn nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz nur möglich gewesen wäre, wenn annähernd 500 örtliche Personalvertretungen in jedem Einzelfall zugestimmt hätten.
Es ist ausgeschlossen, daß dies gelungen wäre, zumal die Fahrer der Deutschen Bundespost keinerlei Neigung hatten, zur Bundesbahn überzuwechseln oder für sie tätig zu werden.
Andere öffentlich-rechtliche Formen einer Zusammenführung, vor allem die geforderte Omnibusbetriebsgemeinschaft von Bahn und Post, bedeuten in der Praxis den Fortbestand des heutigen Zustands mit einigen, wenn Sie so wollen, Schönheitsreparaturen. Diese Reparaturen stoßen jedoch auf unüberwindliche beamten- und haushaltsrechtliche Hindernisse. Lösungen des Problems auf einer völlig neuen gesetzlichen Grundlage, etwa durch Bildung von Eigenbetrieben des Bundes oder durch Bildung eines neuen Bussondervermögens, erfordern außerordentlich detaillierte Einzelregelungen und verschieben im Grunde die Lösung auf den Nimmerleinstag.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf die in den letzten Wochen angesprochene Thematik „Pooling" hinweisen. Nach § 61 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung ist aus Gründen der Haushaltsklarheit und der Überschaubarkeit eine Zusammenfassung nicht möglich. Das hat der Finanzminister wiederholt bestätigt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär, darf ich aus dem Vorhaben der Bundesregierung, die Busdienste in Regionalverkehrsgesellschaften zusammenzufassen, schließen, daß diese Bundesregierung künftig auch andere Dienstleistungen verstärkt privatisieren wird, weil sie jetzt offensichtlich
der Meinung ist, daß die private Wirtschaft manches billiger als der Staat tun kann?
Ich halte diese Fragestellung, wenn ich das so sagen darf, für eine Verfälschung der Tatsachen. Es geht nicht um eine Privatisierung. Wenn 60 % des Anteils der Bundesbahn und 40 % der Post gehören, kann man in der Fragestellung nicht von einer Privatisierung sprechen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn ({0}).
Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Hinweise auf die Schwierigkeiten einer angemessenen Lösung des Problems richtig, daß Sie damit zum Ausdruck bringen wollen, daß vor einer abschließenden Entscheidung das Für und Wider des jetzigen Erkenntnisstandes der Bundesregierung noch einmal sorgfältiger Prüfung und Diskussion bedarf?
Ich darf darauf hinweisen, daß auf sachlicher, fachlicher Ebene in den letzten zwei Jahren Gespräche mit Repräsentanten der in Frage kommenden zwei Gewerkschaften geführt wurden. Sie können als abgeschlossen betrachtet werden. Selbstverständlich werden noch ins Detail gehende Informationen an alle Beteiligten auch dieses Hohen Hauses erfolgen, und zwar nach Prüfung jener Möglichkeiten und Fragen, die in den letzten Wochen aufgetaucht sind, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, wenn bei den regionalen Busgesellschaften künftig eine Rentabilität erreicht werden soll, ist dies doch nur durch eine geringere Streckenbedienung, durch eine Vernachlässigung der ländlichen Räume sowie durch eine Erhöhung der Tarife und damit eine andere Ausnutzung des Personals möglich, das nicht mehr durch öffentliche Tarife geschützt ist. Wie ich weiß, sind sowohl die Postgewerkschaft als auch der Postverband energisch dagegen, daß diese Dienste überführt werden. Es wäre doch möglich, die Bus- und Bahnbetriebsgemeinschaft so wie bisher weiterzuführen, ohne daß man ein neues System schaffen muß.
Herr Abgeordneter Niegel, Ihre Frage lautet: Ist es möglich, daß die Gesellschaften so weitergeführt werden wie bisher?
({0})
Ich kann den Sinn der Frage nicht verstehen; denn das war ein Kurzreferat, Herr Präsident.
({0})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie brauchen nicht mit den gleichen Waffen zu antworten.
Ich kann nur darauf verweisen, daß sich Herr Kollege Niegel einiger Argumente bedient, die er unter normalen Voraussetzungen nicht vortragen würde. Davon bin ich überzeugt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mahne.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß bei dem Ziel der Bundesregierung - Neuordnung der bundeseigenen Busdienste in einer anderen Organisationsform, aber weiterhin bundeseigener Busdienst - Priorität hat der Gesichtspunkt der Deckung der Verkehrsbedürfnisse und die haushaltsmäßige Entlastung, zu gleicher Zeit aber auch die Sicherung der sozialen und arbeitsmarktrechtlichen Bedingungen der Beschäftigten?
Ich kann das im vollen Umfange bejahen, Herr Kollege. In diesem Zusammenhang darf ich noch darauf hinweisen: Es geht der Bundesregierung darum, die vorhandenen Kapazitäten, die sich heute zum Teil auch in den ländlichen Bereichen gegenseitig Konkurrenz machen, so in Betriebsformen zusammenzufassen, daß keinem der Beteiligten bei dieser Neuorganisation materiell ein Schaden entsteht, sowie in der Nutzung aller Kapazitäten zu einer Verbesserung der Verkehrsbedienung im ganzen und zusätzlich zu einer erwarteten Entlastung des Haushalts zu kommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, weshalb fordert uns die Gewerkschaft im Bereich der OPD Freiburg mit ihrem Vorsitzenden, Herrn Gotterbarm, auf, wir sollten intensiv dafür eintreten, daß dieses Vorhaben nicht durchgeführt werde, oder muß ich davon ausgehen, daß Herr Gotterbarm von Ihnen nicht entsprechend informiert worden war?
Sie können nicht davon ausgehen, daß jede örtliche Gewerkschaftsorganisation von der Bundesregierung informiert wird. Dort, wo wir Informationshilfen zu geben hatten, sie angefordert waren, wo Gespräche gefordert worden sind, sind die entsprechenden Schritte unternommen worden. Wenn diese Unterlagen, die wir allgemein zur Verfügung gestellt haben, von Ihnen für die Beantwortung von Sachfragen gewünscht werden, stelle ich sie gerne zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, uns einmal gütigst zu erklären,
was Sie unter normalen Voraussetzungen - diesen
Ausdruck haben Sie bei der Beantwortung der Frage
des Herrn Kollegen Niegel verwandt - verstehen?
({0})
Herr Kollege Niegel hat im Einverständnis mit dem Herrn Präsidenten ein Referat gehalten und keine Frage gestellt. So war meine Antwort zu verstehen.
({0})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich weiß, daß diese Fragen die Offentlichkeit außerordentlich bewegen, und deshalb die vielen Zusatzfragen der Abgeordneten dieses Hauses.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Problem der Rationalisierung und Zusammenführung dieser Verkehrsdienste seit dem Gutachten des Bundesrechnungshofes aus dem Jahre 1964 aktuell ist, und können Sie dem Hause zusichern, daß in den nächsten 20 Jahren eine Lösung gefunden wird?
Herr Kollege, ich bestätige Ihnen gerne, daß schon unter der Regierung des Herrn Bundeskanzlers Erhard Bemühungen in dieser Richtung entwickelt worden sind. Deswegen bin ich auch über einige Fragen überrascht, die in dem Zusammenhang heute gerade aus Ihrer Fraktion gestellt werden.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß die beiden Gewerkschaften, die in der Hauptsache betroffen sind - die Deutsche Postgewerkschaft und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands -, der Zusammenlegung der Dienste ebenso wie der Zusammenfassung zu Regionalgesellschaften im Prinzip zustimmen und daß es im Augenblick lediglich um die Frage geht - das ist also die einzige Kontroverse, die es noch gibt -, ob das privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich betrieben werden soll?
Herr Kollege, ich kann nach dem, was Pressemitteilungen über öffentliche Veranstaltungen deutlich machen, Ihre Frage nach der Meinung dieser beiden Gewerkschaften im Detail nicht beantworten. Aber es kommt letztlich sicher darauf an, deutlich zu machen, daß soziale Nachteile für die Betroffenen, die von diesen Gewerkschaften vertreten werden, nicht entstehen. Weiterhin sind natürlich auch einige Vorurteile abzubauen und zu Ende zu diskutieren, die mit der Regionalisierung
und damit natürlich auch mit der Betriebs- und Organisationsform zusammenhängen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß beim Minimieren der Verluste die Fläche nicht schlechter als im Moment, sondern, wie es eigentlich nötig wäre, sogar besser bedient werden wird?
Die Bundesregierung hat bei dieser Veränderung der Organisationsform nicht die Absicht, die Fläche schlechter zu bedienen, sondern durch Nutzung aller vorhandenen personellen und betrieblichen Kapazitäten zu einer Verbesserung des Gesamtangebots zu kommen. Sie dürfen davon ausgehen, daß dies unsere Absicht ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Hoffie auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird in der Anlage abgedruckt. Das gilt auch für die Frage 56 des Abgeordneten Hoffie.
Ich rufe Frage 57 der Frau Abgeordneten Erler auf:
Welchen gesamtwirtschaftlichen Nutzen bringt die Anordnung der Deutschen Bundespost, bei Kosteneinsparungen durch Rationalisierungsmaßnahmen von auch nur 1 000 DM einen weiteren Arbeitsplatz einzusparen?
Herr Präsident, wenn die Frau Kollegin einverstanden ist, würde ich beide Fragen gern im Zusammenhang beantworten.
Ja, bitte sehr.
Dann rufe ich auch die Frage 58 der Frau Abgeordneten Erler auf:
Welchen Sinn hat die Anordnung der Deutschen Bundespost, beim Ausscheiden eines Postbusfahrers keine neuen Fahrer mehr einzustellen und die entsprechende Strecke dann zu privatisieren?
Eine derartige Anordnung der Deutschen Bundespost besteht nicht. Auch was Ihre zweite Frage anbelangt, so besteht eine derartige Anordnung in dieser Form nicht. Es ist vielmehr angeordnet, daß beim Ausscheiden von Postomnibusfahrern nach folgender Prioritätenliste zu verfahren ist: 1. Rationalisierung des Betriebs durch Straffung und Zusammenfassung von Leistungen und Angeboten mit dem Ziel, frei werdende Dienstposten ersatzlos einzusparen, 2. Einsatz von in anderen Fachbereichen der Deutschen Bundespost überzähligen Kräften und 3. Vergabe von Fahrleistungen an Unternehmen, die im Auftrag der Deutschen Bundespost den Verkehr durchführen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich werde Ihnen dann die Unterlagen, die ich zu dieser Frage aus meinem Wahlkreis habe, übermitteln.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.
Zur Beantwortung der Frage 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung, für die anderen Fragen Herr Staatssekretär Bölling.
Ich rufe Frage 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Hat Staatsminister Wischnewski - wie in der Presse zitiert - geäußert, „aus diesem oder jenem Grunde mit der CDU/CSU zu stimmen ist immer eine Schweinerei", und wenn ja, welche Auffassung von der verfassungsmäßig festgelegten Gewissensfreiheit des Abgeordneten verbindet Staatsminister Wischnewski mit dieser Äußerung?
Herr Kollege Friedmann, das Zitat trifft nur zum Teil zu. Über die Rede gibt es kein Manuskript. Ich räume aber gern ein, daß ich mit meiner Äußerung über das Ziel hinausgeschossen bin; denn bei sehr vielen Abstimmungen in diesem Hause kann, wie bekannt, Einvernehmen zwischen den Fraktionen erzielt werden. Mit meiner Äußerung habe ich mein Bedauern über das Abstimmungsverhalten von Mitgliedern des Hauses zum Ausdruck gebracht und nicht mehr. Mit der in der Verfassung festgelegten Gewissensfreiheit des Abgeordneten hat dies nichts zu tun.
Für Sie ist vielleicht in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Parteiengerichts der nordhessischen CDU von gestern von besonderem Interesse. In dieser Entscheidung heißt es, wenn es allerdings nicht in eine echte Gewissensentscheidung, sondern lediglich um Zweckmäßigkeitserwägungen gehe, dann müsse von den einzelnen Abgeordneten erwartet werden, daß sie einem vorher von der Fraktion mit Stimmenmehrheit gefaßten Beschluß nicht einfach mißachteten; von den CDU-Abgeordneten . könne dann ein Verhalten erwartet werden, durch das der Fraktion kein vermeidbarer Schaden entstehe. - So das Parteiengericht der CDU zu dieser Frage.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie sagen, die Äußerung treffe nur zum Teil zu. Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Zeitungen und dpa Ihnen Äußerungen in den Mund legen, die Sie gar nicht getan haben?
Ich sage: nur zum Teil. Ich bestreite nicht, daß ein Teil dieses Zitats richtig ist.
({0})
Ich habe vorhin ausdrücklich festgestellt, daß es sich um eine freie Rede handelte, - außerdem um eine sehr temperamentvolle Rede.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, da Schweine unter Zoologen und nicht nur unter ihnen als besonders kluge und saubere Tiere gelten, möchte ich Sie fragen: Wollten Sie mit Ihrem doch wenigstens teilweise richtigen Zitat zum Ausdruck bringen, daß die sogenannten Abweichler Ihrer Fraktion sich besonders klug und sauber verhalten haben?
({0})
Da möchte ich Ihnen sagen: Ich habe keinerlei Urteil über Personen in diesem Zusammenhang gefällt. Dies haben Sie jetzt versucht.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatsminister, da Sie sagen, daß Sie sich, weil es eine sehr freie Rede war, nicht mehr genau an alle Einzelheiten erinnern, aber zugleich sagen, daß Sie sich daran erinnern, daß dieses Zitat nur zum Teil gilt, frage ich Sie: würden Sie bitte dem Haus das Vergnügen machen, mitzuteilen, welcher Teil echt und welcher dazuphantasiert ist?
Ich gehe von der Voraussetzung aus und habe in Erinnerung, daß ich das Wort „immer" nicht gebraucht habe.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, ist es Ihnen, obwohl kein Manuskript vorliegt, möglich, hier zu wiederholen und klarzustellen, was Sie wirklich gesagt haben?
Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß ich keinen Text zur Verfügung habe.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatsminister, könnten Sie, nachdem Sie vorher eine Schiedsentscheidung aus Hessen zitiert haben, dem Haus darlegen, worin Sie den Schaden durch jene Personen sehen, die Sie mit dem Wort „Schweinerei" gekennzeichnet haben?
Ich habe nur ein Beispiel gebracht, welcher Unterschied zwischen Gewissensentscheidungen und solchen Entscheidungen gemacht wird, die nicht als Gewissensentscheidungen zu betrachten sind, wie es das Parteigericht der CDU sieht.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatsminister, darf ich, da Sie hier lediglich eingeräumt haben, das Wort „immer" nicht gesagt zu haben, feststellen, daß Sie ausgeführt haben: „Aus diesem oder jenem Grunde mit der CDU/CSU zu stimmen, ist eine Schweinerei" ?
Ich habe hier vorhin ausdrücklich erklärt, daß ich mit Sicherheit mit dieser Formulierung über das Ziel hinausgeschossen bin, weil es ja erfreulicherweise verhältnismäßig oft vorkommt, daß das Haus gemeinsam stimmt. Deswegen sage ich hier bewußt: Ich bekenne, mit dieser Formulierung über das Ziel hinausgeschossen zu sein.
({0})
Diese Erklärung ist eine abschließende Erklärung. Ich möchte weitere Zusatzfragen dazu jetzt nicht zulassen.
({0})
Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Trifft es zu, daß der erst 43jährige Ministerialdirektor im Bundespresseamt, Dr. Müller, wegen gezielt verbreiteter Indiskretionen in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, falls ja, wird man gegen Dr. Müller Disziplinarmaßnahmen einleiten?
Wie bekannt, antwortet Herr Staatssekretär BöHing.
Herr Präsident, ich bitte, die Antworten auf die Fragen 127 und 128 in einer einzigen Antwort zusammenfassen zu dürfen.
({0})
Ich rufe dann auch die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Ist - falls tatsächlich Indiskretionen verbreitet wurdendadurch irreparabler Schaden entstanden?
Ich habe, Herr Abgeordneter Niegel, dem Herrn Bundespräsidenten die Versetzung des Beamten in den einstweiligen Ruhestand vorgeschlagen,
({0})
weil die Grundlage des Vertrauens, das nach § 36 des Bundesbeamtengesetzes die Umsetzung oder, wie das Bundesverwaltungsgericht einmal gesagt hat, die Transformation von der politischen Ebene in die Verwaltung sichern soll, nicht mehr vorhanden war. Der Herr Bundespräsident hat diesem Vorschlag entsprochen und den Beamten in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die in Personalangelegenheiten gebotene Vertraulichkeit und die auch gegenüber einem Beamten im einstweiligen Ruhestand fortbestehende Fürsorgepflicht des Dienstherrn verbieten es, weiteres mitzuteilen.
Die Frage nach einem - wie Sie es formuliert haben - irreparablen Schaden kann ich verneinen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der sparsamen Presseinformation der letzten Woche war zu entnehmen, daß es sich hier um eine gezielt verbreitete Indiskretion handelt. Trifft es zu, daß Her? Ministerialdirektor Müller deswegen entlassen worden ist, weil es sich bei dieser Indiskretion um ein Umfrageergebnis zuungunsten dieser Regierung handelt?
Herr Abgeordneter Niegel, im Sinne dessen, was ich in meiner Antwort habe gerade sagen können, will ich ergänzend nur hinzufügen, daß ich dem Herrn Bundespräsidenten auch den da und dort angesprochenen Sachverhalt unterbreitet habe, der dann zu seiner Entscheidung geführt hat. Ich möchte noch einmal deutlich machen, daß es sich hier um eine personalrechtliche Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten handelt und daß ich mir aus diesem Grunde in der Auskunft Zurückhaltung auferlegen will.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß der Herr. Bundespräsident aus heiterem Himmel einen der höchsten Beamten der Bundesrepublik., einen Beamten der Besoldungsgruppe B 9, entläßt, ohne daß eine ausreichende Begründung von Ihnen vorliegt und - vor allem - ohne daß eine entsprechende Rückendeckung Ihres obersten Chefs, des Herrn Bundeskanzlers, gegeben ist?
Nein, selbstverständlich nicht, Herr Abgeordneter. § 36 des Bundesbeamtengesetzes verlangt zwar nicht eine Begründung, sagt aber, daß es einen Grund geben muß. So ist natürlich auch in meinem Antrag verfahren worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat das Vertrauensverhältnis zu Herrn Ministerialdirektor Müller noch bestanden, als er im Presseamt - federführend - den Bundestagswahlkampf für die SPD ideologisch und auch materiell maßgebend beeinflußt und dadurch auch die Presseorgane zugunsten dieser Regierung informiert hat?
Herr Abgeordneter, es ist eine Unterstellung, die ich für mein Amt zurückweisen muß, daß der Beamte, zu dem das Vertrauen jetzt nicht mehr gegeben ist, seine Dienstpflichten verletzt und einseitig, wie Sie andeuten oder sogar klar sagen, für eine Partei Propaganda gemacht hat.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es so, daß Indiskretionen, die zum Nachteil der Regierung sind, ein Grund für eine Entlassung sind, daß aber Indiskretionen bezüglich Umfrageergebnissen, die die Bundesregierung im positiven Licht darstellen, kein Grund für eine Entlassung sind?
Herr Abgeordneter, unabhängig von meiner Bemerkung, die ich bereits einmal wiederholt habe, daß ich aus Gründen der Fürsorgepflicht hier keine Details mitteilen will, kann ich Ihnen mit aller Klarheit sagen, daß Umfrageergebnisse, auch wenn sie ungünstig sein sollten - das passiert einer jeden Regierung gelegentlich -, von uns nicht als geheime Kommandosache behandelt werden.
({0})
Die Tatsache, daß darüber berichtet worden ist, daß es eine solche Umfrage gegeben hat - es ist ja eine durchgeführt worden -, hat die Regierung wirklich nicht um den Schlaf gebracht. Denn wir haben mit großer Genugtuung festgestellt, daß die Regierungsumbildung seinerzeit auch in Zeitungen, die Ihrer Partei nahestehen, eine Menge positiver Zensuren bekommen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Affäre Werner Müller heute deswegen so zurückhaltend, weil Herr Müller selbst den Antrag gestellt hat, gegen ihn ein Disziplinarverfahren einzu leiten, und fürchten Sie, daß die in Ihrem Amt zunächst sehr vollmundig abgegebenen Erklärungen in der juristischen Auseinandersetzung nun nicht halten?
Nein, Herr Abgeordneter Reddemann. Denn ich habe in der Offentlichkeit - Sie können sicher sein, daß ich mir die ganz wenigen Äußerungen, die ich zu dem Fall gemacht habe, vorher noch einmal angeguckt habe - ({0})
- Ich kenne keine Äußerungen aus meinem Amt, die irgendwo gedruckt worden sind. Ich weiß nur genau, daß ich vor der Bundespressekonferenz auf Fragen genau in dem Sinne geantwortet habe, Herr Abgeordneter, wie ich das soeben gegenüber dem Herrn Abgeordneten Niegel getan habe.
Herr Abgeordneter Reddemann, Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte.
Ich stelle die Frage: Hat Herr Müller nun das Verfahren gegen sich beantragt oder nicht?
Das trifft zu.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatssekretär, hat der Bürger - auch als Steuerzahler - nicht allen Anlaß zu fragen, warum ein Ministerialdirektor in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird? Das frage ich, da Sie hier eine Auskunft verweigert haben.
Herr Abgeordneter, § 36 des Bundesbeamtengesetzes hat, wie Sie selber wissen, den Sinn, daß der Herr Bundespräsident bei politischen Beamten dann, wenn das Vertrauensverhältnis nicht mehr reparierbar, gestört oder zerstört ist, auf Antrag die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand verfügen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Ist die Annahme richtig, daß der Grund für Ihre Aktion darin liegt, daß Herr Müller eine Umfrage einer Illustrierten unmittelbar zugänglich gemacht hat, bevor der Bundeskanzler sie gesehen hat?
Herr Abgeordneter Hupka, ich habe vorhin schon sagen können, daß auch die in der Presse berichteten Umstände in meinem Antrag an den Herrn Bundespräsidenten dargelegt worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie - unterstellen wir einmal, daß Indiskretionen eine Rolle gespielt haben - dem Hause erklären, wo in der Arbeit des Bundespresseamtes die Grenze zwischen Information und Indiskretion liegt?
Ich kann Ihnen, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg, diese Frage grundsätzlich so beantworten, daß dienstinterne Vorgänge nicht aus dem Amt herausgetragen werden dürfen. Wenn es sich, wie in den Zeitungen besprochen und gedruckt worden ist, um Umfragen handelt, so ist es, denke ich, selbstverständlich, daß solche Vorlagen, die für den Bundeskanzler bestimmt sind, zunächst den Bundeskanzler erreichen - vor ihm noch den Chef des Amtes - und daß es kein normaler Vorgang ist, sondern eben eine Indiskretion, wenn solche Vorgänge, ehe sie die Adressaten erreicht haben, aus dem Hause herausgetragen werden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, darf ich aus dieser Antwort entnehmen, daß in einem solchen konkreten Fall eine Indiskretion vor Unterrichtung des Bundeskanzlers nach Unterricht des Bundeskanzlers zu einer Information wird?
Nein, das wäre sicherlich ein verfehlter Schluß, Herr Abgeordneter. Ich glaube nur, daß es unabhängig davon, was auf einem Regierungspapier steht - das mögen gelegentlich gar nicht sehr spannende Dinge sein -,
({0})
nicht angeht, daß ein hoher Regierungsbeamter ein solches Papier der Offentlichkeit übergibt, ehe es derjenige gesehen hat, für den es gefertigt wird.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Althammer.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß sich der Bundeskanzler gezwungen sah, einen Mann in den Ruhestand zu versetzen, der offenbar eine derartige Blitzkarriere durchlaufen hat, daß er schon im Alter von 43 Jahren Ministerialdirektor wurde
(Zurufe von der CDU/CSU: Mit 340
mit den daraus für den Steuerzahler folgenden Konsequenzen einer langjährigen Pensionierung?
Wenn man den § 36 ansieht, Herr Abgeordneter Althammer, so glaube ich nicht, daß man hier einen politischen oder sonstigen Zusammenhang zu dem Alter eines solchen Beamten knüpfen kann.
({0})
- Ja. Ich vermag nicht einzusehen, welche Rolle das Lebensalter in der Beurteilung der Frage spielt, ob das Vertrauen gegeben oder zerstört ist.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Althammer.
Herr Staatssekretär, Sie würden aber doch zustimmen, wenn ich hier feststelle, daß es sich um eine ganz außergewöhnliche Karriere handelt, wenn jemand im Alter von 43 Jahren - ({0})
- Hier steht „43". - Herr Staatssekretär, Sie könnten vielleicht noch erklären, wie alt der Beamte ist. Aber wie auch immer, werden Sie doch zugestehen, daß er jedenfalls eine Blitzkarriere durchlaufen hat und daß dem doch offenbar ein großer Vertrauensvorschuß zugrunde liegen muß.
Ich habe keinen Anlaß, Herr Abgeordneter, hier Zweifel an der fachlichen Qualifikation des Beamten - mit dem Blick auf seine berufliche Laufbahn - zu äußern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Weitergabe eines durch Steuermittel finanzierten Umfrageergebnisses seitens eines Mitarbeiters eines Amtes, das zur umfassenden Information der Offentlichkeit berufen ist, für eine gezielte Indiskretion?
Herr Abgeordneter Czaja, ich habe bereits ausführen können, daß es nicht um den Inhalt eines Papiers, sondern um ein Prinzip geht, wonach es nicht geduldet werden kann, daß für den Bundeskanzler bestimmte Papiere, ehe er und ich sie gesehen haben, der Offentlichkeit übergeben werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, wurde die Außerdienstsetzung des Ministerialdirektors Müller nur politisch und mit mangelndem Vertrauen oder auch mit konkreten Umständen begründet?
So, Herr Abgeordneter, wie es § 36 des Bundesbeamtengesetzes vorsieht, nämlich mit dem Hinweis darauf, daß das Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben sei.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, nachdem nun feststeht, daß Herr Dr. Müller im Grunde genommen wegen einer Indiskretion und, wie Sie eben so schön sagten, wegen Nichteinhaltung des Prinzips, aus dem Dienst entfernt wurde, möchte ich gern wissen, ob der Bundeskanzler von der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gefertigten Auslandsumfrage, veröffentlicht im
„Spiegel" am 20. Februar, gedruckt im „Spiegel" jedoch mindestens einige Tage, wenn nicht eine Wocher vorher, der Presse zugeleitet am 17. Februar, also zu einer Zeit, als der „Spiegel" bereits im Druck war - für jeden Fachmann nachrechenbar -, ebenfalls vorher gewußt hat und, wenn ja, ob Sie das Prinzip bejahen, daß der „Spiegel" hier erneut vor anderen Presseorganen eine Vorzugsinformation erhalten hat?
({0})
Herr Abgeordneter Wohlrabe, die beiden Vorgänge sind nicht miteinander vergleichbar.
({0})
- Verzeihung, Sie lachen ein wenig zu früh. Diese Umfrage, über die wir schon im vergangenen Jahr gesprochen haben, die mit allen Anlagen auch Ihrer Fraktion zugeleitet worden ist und die ein, so denke ich, für alle Parteien sehr positives Ergebnis gezeitigt hat, - haben wir im Bundespresseamt vorab besprochen. Es gab eine Reihe von Interessenten, auch bei anderen Presseorganen, so daß diese Vorgänge überhaupt nicht miteinander verglichen werden können.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Sie haben die Frage nicht beantwortet. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dem Hause mitteilen würden - ich gehe einmal davon aus, daß der Herr Bundeskanzler vorher davon gewußt hat und damit das Prinzip eingehalten wurde -, welche Presseorgane außer dem „Spiegel" diese Auslandsumfrage vorher zur Veröffentlichung erhalten haben.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, ich kann Ihnen gern die Liste jener Bonner Korrespondenten zuleiten. Ich weiß, daß sich z. B. auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die von dieser Umfrage vorher wußte, dafür interessiert hat und sie von uns bekommen hat. Aber es waren noch einige Blätter mehr.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Zusatzfragen mit der ursprünglich gestellten Frage in unmittelbarem Zusammenhang stehen müssen. Wir sind nicht im englischen Unterhaus. - Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatssekretär, da Ministerialdirektor a. D. Müller jetzt 23 Jahre Pensionsbezüge der Besoldungsgruppe B 9 bekommt, möchte ich Sie fragen: Wieviel Jahre war Ministerialdirektor Müller Beamter des Bundespresseamtes?
Ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht aufs Jahr genau beantworten. Im übrigen ist keineswegs auszuschließen, daß der Beamte zu irgendeinem Zeitpunkt in den öffentlichen Dienst zurückkehrt; das kann man jetzt nicht prinzipiell verneinen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatssekretär, da Sie Ministerialdirektor a. D. Müller Indiskretionen vorgeworfen haben, frage ich: Haben Sie vor der Beantragung der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen ihn erwogen und eingeleitet?
Herr Abgeordneter, es bedarf, um den Antrag nach § 36 zu stellen, nicht des Vorliegens eines Dienstvergehens.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Staatssekretär, dürfen wir nach Ihren bisherigen Ausführungen davon ausgehen, daß Sie Herrn Müller auch dann entlassen hätten, wenn er ein für die Bundesregierung positives Ergebnis weitergegeben hätte?
Ich habe vorhin schon - ich dachte, klar genug - darauf hingewiesen, daß der Inhalt der Umfrage, über die in der Öffentlichkeit berichtet und die ja auch in einer Zeitschrift abgedruckt worden ist, für die Beurteilung hier völlig ohne Relevanz gewesen ist.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben noch eine ganze Reihe von Fragen. Ich möchte darum bitten, daß wir mit den Wortmeldungen, die mir vorliegen, und den Antworten auf die entsprechenden Fragen diese Frage beantwortet sein lassen.
Herr Kollege Dr. Waigel, Sie sind der letzte, der zwei Zusatzfragen hat, wenn Sie das wünschen. - Bitte.
Warum, Herr Staatssekretär, sind Sie noch im Amt, wenn Herr Ministerialdirektor Müller wegen Indiskretionen entlassen wurde?
Herr Abgeordneter Waigel, ich muß darauf hinweisen, daß diese Frage
({0})
Vizepräsident Stücklen
mit Sicherheit nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausgangsfrage steht.
({1})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich rufe Frage 129 der Abgeordneten Frau Simonis auf. - Die Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 130 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Zahl und die Tätigkeit von „DDR-Experten" im Südjemen?
Es ist bekannt, daß die DDR mit der Demokratischen Volksrepublik Jemen enge entwicklungspolitische Beziehungen unterhält. Die genaue Anzahl und der Aufgabenbereich der DDR-Experten entziehen sich der Kenntnis der Bundesregierung. Sie sollen zum überwiegenden Teil im Erziehungs- und Gesundheitswesen sowie in der Landwirtschaft tätig sein. Darüber hinaus ist bekannt, daß der Südjemen mit der DDR auch bei der Ausbildung im Polizeibereich zusammenarbeitet.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, liegen der Bundesregierung Meldungen, wie sie in der europäischen Presse wiedergegeben worden sind, darüber vor, daß Personen aus der DDR mit Inhaftierungslagern im Südjemen, insbesondere mit einem Lager in Lahej und einem anderen Lager in Dhala befaßt sind?
Herr Kollege, die Pressemitteilungen sind bekannt. Erkenntnisse liegen nicht vor. - Im übrigen kann die Bundesregierung ausländische Presseberichte dieser Art dann natürlich hier auch nicht kommentieren.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wird sich die Bundesregierung auf Grund der Meldungen, die der Kollege Graf Stauffenberg eben angesprochen hat, und angesichts der gefährlichen Entwicklung in dieser Ecke der Welt eingehend darüber Gewißheit verschaffen, welchen Umfang und welche Art die Arbeit hat, die Organe der DDR in diesem Lande betreiben?
Herr Kollege, die Bundesregierung war bemüht, sich entsprechend zu informieren. Ich wiederhole: Erkenntnisse liegen nicht vor.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 131 des Abgeordneten Kunz ({0}) auf:
Treffen Behauptungen zu, wonach die Bundesregierung nicht an den Unterlagen des amerikanischen Dokumentationszentrums in Berlin über ehemalige NSDAP-Mitglieder und SS-Leute interessiert sei, da sie ehemalige Nazis decken wolle, die durch die Veröffentlichung bezeichneter Dokumente in eine peinliche Lage gebracht werden könnten?
Herr Präsident, darf ich die Fragen 131 und 132 zusammen beantworten?
({0})
Dann rufe ich zusätzlich Frage 132 des Abgeordneten Kunz ({0}) auf.
Was wird die Bundesregierung verneinendenfalls unternehmen, um dem fälschlichen Eindruck, sie wolle ehemalige Nazis decken, in der Öffentlichkeit nachdrücklich entgegenzutreten?
Die Behauptungen treffen nicht zu. Die Bundesregierung ist ihnen durch eine Erklärung des Bundesjustizministers vom 22. Februar 1978 sofort entgegengetreten. Aus dieser Erklärung ergibt sich deutlich, daß z. B. gerade die Strafvollzugsbehörden ungehinderten Zugang zum Dokumentationszentrum haben.
Bitte, eine Zusatzfrage. Kunz ({0}) ({1}) : Herr Staatsminister, ist Ihnen wie mir aufgefallen, daß die genannten Äußerungen, deren Herkunft klar ist, mit entsprechenden ständigen Veröffentlichungen im kommunistisch beeinflußten Berliner „Extradienst", zuletzt am 24. Februar 1978 - wobei ich gern bereit bin, Ihnen die Unterlagen zur Verfügung zu stellen -, in einem engen Zusammenhang stehen?
Herr Kollege, die Veröffentlichungen aus dem „Extradienst" vom 24. Februar sind mir bekannt. Sie folgen zeitlich auf die Veröffentlichungen, die durch die Sendung des BBC erfolgt sind.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, daß die genannten Äußerungen Teil einer fortgesetzten Aktion von Verunglimpfungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland sind?
Nein, dafür gibt es keine Anhaltspunkte.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatsminister, würden Sie bitte der Offentlichkeit und diesem Hohen Hause die Erkenntnisse der Bundesregierung dahin gehend mitteilen, ob die .Aktien im US-Document Center in Berlin abschließend ausgewertet sind und, wenn dies der Fall ist, daß dementsprechend keinerlei Veranlassung besteht, irgendwelche Mutmaßungen dieser Art anzustellen.
Herr Kollege, ich verweise noch einmal auf die Erklärung des Bundesjustizministers vom 22. Februar, die Ihnen wahrscheinlich auch vorliegt. In dieser Erklärung ist deutlich gesagt, daß der volle Zugriff für die Strafverfolgungsbehörden besteht und daß das Document Center für diese Zwecke auch genutzt worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter van Aerssen.
Herr Staatsminister, da Ihnen sicherlich bekannt ist, daß die Behauptung gestern erneut aufgestellt und von der betreffenden Person bekräftigt worden ist, frage ich Sie, wie die Bundesregierung jetzt reagieren wird.
Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß sie diese Vorwürfe zurückweist. Sie hat auf den Sachverhalt hingewiesen und wird das erneut tun.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 133 des Abgeordneten Rawe auf:
Ist die Bundesregierung sich der Gefahr bewußt, daß Äußerungen, wonach die Bundesregierung nicht an den Unterlagen des amerikanischen Dokumentationszentrums in Berlin über ehemalige NSDAP-Mitglieder und SS-Leute interessiert sei, da sie ehemalige Nazis decken wolle, die durch die Veröffentlichung bezeichneter Dokumente in eine peinliche Lage gebracht werden könnten, durchaus geeignet sind, dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in Großbritannien zu schaden, nachdem sich gerade in jüngster Zeit das deutsche Bild zunehmend positiv entwickelt, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist sich dieser Gefahr bewußt. Die Bundesregierung ist deswegen der falschen Behauptung energisch und sofort entgegengetreten, wie ich in der Beantwortung der Fragen des Kollegen Kunz soeben festgestellt habe.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, was die Bundesregierung in Großbritannien unternommen hat, um dem Versuch entgegenzuwirken, durch diese Äußerungen der Bundesrepublik Deutschland in Großbritannien Schaden zuzufügen?
Herr Kollege, ich habe in dieser Angelegenheit heute morgen in London ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter in London geführt. Der deutsche Botschafter hat seinerseits bereits ein Gespräch mit dem Direktor
der BBC geführt. Wir werden weitere Schritte unternehmen, um Klarheit zu schaffen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, diese Frage hat ja sicherlich auch Auswirkungen auf andere westliche Länder. Wir wissen aus Umfrageergebnissen, daß dort das Deutschlandbild in der letzten Zeit zunehmend positiv ist. Darf ich Sie fragen, was die Bundesregierung konkret zu tun gedenkt, um darauf hinzuwirken, daß das Deutschlandbild künftig durch solche Kampagnen nicht wieder verschlechtert wird?
Die Darstellung der wahren Tatbestände, wie dies durch die Erklärung des Justizministers erfolgt ist.
Eine wetere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatsminister, ist es der Bundesregierung möglich, die westliche Öffentlichkeit über den Inhalt des Document Center aufzuklären, damit nicht weiter der Glaube vorherrscht, dort seien Aktenberge vorhanden, die wirkliche Geheinmnisse enthielten, während es sich in Wirklichkeit zum größten Teil um Karteikarten ohne besondere Bedeutung handelt?
Herr Kollege Reddemann, auch dies ergibt sich aus der Sachdarstellung des Bundesjustizministers vom 22. Februar. Ich bin sicher, daß diese Sachdarstellung entsprechende Verbreitung finden wird.
({0})
- Auch im Ausland, Herr Kollege Reddemann.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Frage 134 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
-Ich rufe die Frage 135 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus den Auslassungen des polnischen Delegationsleiters auf dem KSZEÜberprüfungstreffen, Professor Marian Dobrosielski, am 22. Februar 1978 im Deutschlandfunk, „Wir werden die Menschenrechte voll und ganz bei uns zu erfüllen versuchen und für ihre Erfüllung auch weiterhin kämpfen", angesichts der in den letzten beiden Jahren zunehmenden Familienzerreißung, nachdem Besucher hier geblieben sind und die zurückgebliebenen Familienmitglieder bis jetzt keine Erlaubnis zur Ausreise erhalten haben?
Die Bundesregierung begrüßt die Erklärung von Professor Dobrosielski, daß die Volksrepublik Polen die. Menschenrechte voll und ganz zu erfüllen versuche und für ihre Erfüllung auch weiterhin kämpfen wolle.
Das mit der polnischen Regierung vereinbarte Interventionsverfahren dient der Verwirklichung der Ausreisewünsche der Deutschen in Polen. Im
Rahmen dieses Verfahrens übermittelt die Bundesregierung der polnischen Seite alle Ausreisewünsche, die sie für dringend lösungsbedürftig hält. Persönliche Voraussetzung ist nur, daß der Ausreisewillige, für den sie interveniert, in die Kriterien der „Information" fällt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie die Äußerung von Herrn Professor Dobrosielski positiv beurteilen, frage ich Sie: Gehört dann nicht auf Grund der KSZE-Schlußakte auch das Volksgruppenrecht zur Gewährung der Menschenrechte, von denen hier gesprochen worden ist?
Herr Kollege, ich habe von dieser Stelle aus wiederholt zur Frage des Volksgruppenrechtes Stellung genommen. Ich beziehe mich auf die früher auch Ihnen bereits wiederholt gegebenen Antworten.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben sich auf die „Information" zum Warschauer Vertrag und die darin enthaltenen Kriterien bezogen. Dort heißt es, daß die Familienzusammenführung vorankommen solle. Entspricht es dem Ziel der Familienzusammenführung, wenn jemand als Besucher hierbleibt und keine Chance sieht, daß seine Familienangehörigen die Erlaubnis zur Ausreise erhalten?
Herr Kollege Hupka, Sie wissen, daß in diesen Fällen häufig eine Verletzung polnischen Rechts gegeben ist. Dennoch wird selbstverständlich versucht, durch die notwendige Intervention auch in diesen Fällen die Zusammenführung zu ermöglichen. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß der vorangegangene Sachverhalt dann die Zusammenführung eher erschwert.
Vizepräsident .Stücklen: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Voigt.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß diese Äußerung von Herrn Dobrosielski unabhängig von dem Streit über die Aufnahme des Begriffes Menschenrechte in das jetzige Belgrader Schlußdokument ein Zeichen dafür ist, daß die Diskussion über die Verwirklichung der Menschenrechte auch von den osteuropäischen Staaten fortgesetzt wird und dort auch unilateral Maßnahmen getroffen werden?
Herr Kollege Voigt, es ergibt sich zweifellos, daß auch auf polnischer Seite die Diskussion fortgesetzt werden kann. Es ist aber auch unbestritten, daß auf der Konferenz in Belgrad deutlich geworden ist, daß es Meinungsverschiedenheiten über den Stand der
Verwirklichung und die Fortsetzung der Verwirklichung gibt.
({0})
Der Dialog und die Diskussion werden sicher fortgesetzt. Die Äußerungen von Professor Dobrosielski sind eine Bestätigung dieser Tatsache.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, Sie sprachen soeben von vereinbarten Interventionen. Können Sie dem Hohen Haus sagen, wie die Beantwortung der vereinbarten Interventionen erfolgt, oh in einer Weise, wie sie in den internationalen Beziehungen üblich ist, und mit welchen Fristen die 20 000 oder mehr Interventionen, die bisher erfolgt sind, beantwortet worden sind?
Herr Kollege Czaja, aus meinen Unterlagen kann ich ersehen, daß von den erteilten Ausreisegenehmigungen gut ein Drittel Personen betroffen war, für die interveniert worden war. Daraus geht hervor, daß Interventionsfälle vorrangig erledigt werden, weil ihr Prozentsatz bei den Ausreisewünschen insgesamt wesentlich niedriger ist als ein Drittel.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung auf Grund der Äußerung von Herrn Professor Dobrosielski, die polnische Regierung werde „voll und ganz" die Menschenrechte erfüllen, einen neuen Vorstoß bei der polnischen Regierung zum Zweck der Durchsetzung der Volks-gruppenrechte für die in diesen Gebieten lebenden Deutschen unternehmen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir über die damit verbundenen Fragen in ständigem Dialog mit der Volksrepublik Polen sind. Selbstverständlich werden Äußerungen, die sich auf die Durchsetzung der Menschenrechte richten, auch bei Gesprächen herangezogen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung auf Grund dieser Äußerung von Professor Dobrosielski Anlaß zu der Erwartung und Hoffnung, daß die Volksrepublik Polen, die polnische Regierung, in Zukunft das Menschenrecht der Freizügigkeit auch in solchen Fällen stärker oder ganz berücksichtigen wird, wo es über die Kriterien der deutsch-polnischen Vereinbarungen und der dazugehörigen „Information" hinausgeht?
Herr Kollege Graf Stauffenberg, die Schlußakte von Helsinki zieht in dieser Beziehung keine Grenzen. Die Äußerungen von Professor Dobrosielski beziehen sich auf den Rahmen der Schlußakte. Selbstverständlich hoffen wir, daß die Entwicklung in der Volksrepublik Polen vorangetrieben werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatsminister, da es bei Professor Dobrosielski heißt: „Wir werden die Menschenrechte voll und ganz bei uns zu erfüllen versuchen und für ihre Erfüllung auch weiterhin kämpfen", frage ich: Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, gegen wen oder mit wem Herr Professor Dobrosielski kämpfen muß, um die Menschenrechte durchzusetzen?
Herr Kollege Mertes, ich glaube, daß die Verwirklichung der Menschenrechte ein Kampf aller ist, übrigens auch ein Kampf in unserem Lande. Überall muß um die Menschenrechte gekämpft werden.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung entgegen ihrer Auskunft vom 26. Januar 1978 nicht auf der richtigen Bezeichnung Ost-Berlin oder Berlin ({0}) auf Grund der Bezeichnungen für die geteilte Stadt im Viermächteabkommen über Berlin beharrt, und wenn nein, warum nicht?
Das Viermächteabkommen vom 3. September 1971 enthält keine ausdrückliche Bezeichnung für den Ostsektor Berlins. Die Bezeichnung Ost-Berlin oder Berlin ({0}) kommt im Viermächteabkommen nicht vor. Teil I des Viermächteabkommens bezieht sich auf das „betreffende Gebiet" . Wie sich aus der Präambel ergibt, ist damit das Gebiet gemeint, das in den Vereinbarungen und Beschlüssen der Vier Mächte aus der Kriegs- und Nachkriegszeit genannt ist. Das ist das Gebiet von ganz Berlin. Teil II enthält wiederum Bestimmungen, die die „Westsektoren Berlins" betreffen. Andere Bezeichnungen für Berlin sind im Viermächteabkommen nicht enthalten.
Zusatzfragen? - Bitte.
Herr Staatsminister, da die Westsektoren Berlins ausdrücklich im Viermächteabkommen erwähnt sind, ist es ja doch wohl logisch, daß hier implizite Berlin ({0}) besonders auch gemeint ist und daß man dann nicht nachher einen umfassenderen Namen in von uns unterzeichneten Erklärungen für ganz Berlin wählen darf.
Wir sind, Herr Kollege, für die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens und halten uns deswegen an den Wortlaut, so wie ich ihn soeben hier zitiert habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Gerade weil Sie, Herr Staatsminister sich auf den vollen Wortlaut beziehen: Können Sie mir darin zustimmen, daß es dem Viermächteabkommen logisch immanent ist, daß man dann von Berlin ({0}) oder von Ost-Berlin und nicht von Berlin spricht, wenn man Berlin ({1}) meint?
Herr Kollege Hupka, auf die Frage, die Sie hier noch einmal stellen, hat Ihnen ja mein Kollege Höhmann schriftlich in der Drucksache 8/1437 vom 27. Januar 1978 ausdrücklich geantwortet. Ich will unterstreichen, was Herr Kollege Höhmann damals ausgeführt hat. Er hat gesagt, daß es für uns enscheidend auf die sachlichen Zusammenhänge ankomme und daß für die Bundesregierung die inhaltlichen Beziehungen einen absoluten Vorrang vor Bezeichnungsfragen haben, über die wir keinen Streit herbeiführen wollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatsminister, wenn Sie mit Recht in Zusammenhang mit dem Viermächteabkommen davon gesprochen haben, daß es sich um ein „betreffendes Gebiet" handele, und dabei noch berücksichtigen, daß darin steht, daß andere Verträge nicht berührt werden, können Sie mir dann bestätigen, daß man dann sagen kann, daß die Londoner Verträge nach wie vor Gültigkeit haben, in denen von den „vier Sektoren" die Rede ist?
Herr Kollege, ich darf noch einmal auf den Inhalt der Frage zurückkommen. Hier ist die Fragestellung, ob Berlin mit Berlin ({0}) oder nur als Berlin bezeichnet werden soll. Es ist nicht danach gefragt, ob man von Sektoren spricht. Wir sprechen auch von Berlin, wenn wir den westlichen Teil Berlins meinen, obwohl sich aus dem Viermächteabkommen eine besondere Definition ergibt. Ich will noch einmal an das erinnern, was ich eben Herrn Hupka gesagt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, da Bezeichnungsfragen ja wohl auch Ihrer Auffassung nach eminent politische Fragen sind. Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es für die deutsche Berlin-Politik außerordentlich wichtig ist, der von der DDR in diesem Zusammenhang ständig wiederholten falschen Bezeichnung entgegenzuwir6152
Jäger ({0})
ken und in diesem Sinne dann eben auch eine klare und eindeutige Bezeichnung wie Berlin ({1}) durch die Bundesregierung zu bevorzugen?
Herr Kollege Jäger, es tut mir wirklich leid, aber ich habe gerade zum materiellen Gehalt Ihrer Frage doch dem Kollegen Hupka geantwortet, indem ich noch einmal zitiert habe, was ihm der Kollege Höhmann im Januar schriftlich mitgeteilt hat. Ich will es nicht wiederholen, aber noch einmal unterstreichen, daß es uns angesichts der Klarheit unserer Rechtsposition in erster Linie auf die sachlichen Zusammenhänge ankommt, auf die Möglichkeiten, Verhandlungen zu führen, und nicht den Bezeichnungsfragen einen Vorrang einzuräumen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade die Erfahrung der letzten 30 Jahre auch der Bundesregierung bewiesen haben müßte, daß im Kontakt mit der anderen Seite, der kommunistischen Seite, gerade für diese Seite Bezeichnungsfragen von einem hohen politischen Wert sind, und wir uns in vielen Fällen, indem wir dort nachlässig gehandelt haben, anschließend mit Tatsachen abfinden mußten, obwohl wir vorher geleugnet haben, daß sie für uns rechtliche Wirkungen haben?
Herr Kollege, die Erfahrungen der letzten 30 Jahre, bis zum Jahre 1969 auf jeden Fall, machen wohl deutlich, daß die Fixierung auf und die Uberbetonung von Bezeichnungsfragen uns politisch keinen Schritt vorangebracht hat. In der Tat, erst die Zuwendung zu den Sachfragen nach 1969 hat es erlaubt, in diesem Hause und in den Beziehungen zur DDR Sachfragen zugunsten der Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands zu lösen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Die Fragen 69, 70, 90, 91, 92 und 110 sind zurückgezogen worden. Frage 121 ist nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir fahren in der Aussprache über den Bericht zur Lage der Nation fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Diskussion über die Irrungen in der Terroristenfahndung darf ich für die Freie Demokratische Fraktion feststellen, daß wir eine schnelle Klärung wünschen. Die Bedrückung ist groß, daß hier vielleicht eine Möglichkeit zur Rettung eines Menschenlebens übersehen wurde.
Der Vorgang ist aber auch geeignet, die rechtspolitische Diskussion in unserem Lande zu erschweren. Solange die Schlagkraft der Polizei durch Kompetenzvielfalt und Organisationsmängel reduziert wird, können Änderungen unseres materiellen Rechts dem kritischen Bürger immer weniger plausibel gemacht werden.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat einen ungeschminkten Zustandsbericht der deutschen Wirklichkeit gegeben. Soll und Haben wurden sauber bilanziert. Keine Beschönigungen, keine Beschwichtigungen! Die an den Beginn seiner Ausführungen gestellte Aussage, die Entwicklung der Beziehungen sei insgesamt positiv; ist durch die nüchterne Faktensammlung für jeden unvoreingenommenen Zuhörer eindrucksvoll bestätigt worden.
Allerdings scheint die Opposition an dieser Stelle noch uneinsichtig. Nun darf ein Oppositionsführer voreingenommen sein, ja, er muß es wohl sein. Die Opposition kann härter kritisieren, muß mehr und drängender fordern. Aber den politischen Prozeß wird sie nur dann befördern und mit beeinflussen, wenn sie sich zunächst einmal selbst auf den Boden dieser Politik stellt. Von außen kann man allenfalls an Fassaden arbeiten. Die Deutschlandpolitik braucht aber keine Fassadenkletterer, sondern engagierte Innenarchitekten.
({0})
Meine Damen und Herren, die Opposition ist heute, wie mir scheinen will, noch vor der Tür geblieben. Wenn aber der Hinweis des Oppositionsführers, für gemeinsame Gespräche offen zu sein, gleichzeitig bedeuten könnte, daß die CDU/CSU bereit ist, auf eine gemeinsame Grundlage zu treten, dann könnte damit eine interessante Entwicklung für die Zukunft eingeleitet werden. Ich hoffe, Herrn Kollegen Kohl so richtig verstanden zu haben. Meine Fraktion jedenfalls wäre zu solchen Gesprächen bereit.
Wenn es ein Feld gibt, auf dem Gemeinsamkeit gefordert ist, dann ist es die Deutschlandpolitik. Richten wir den Blick dabei nicht mehr im Zorn zurück auf die Vergangenheit, sondern packen wir die Fragen der Gegenwart und der Zukunft entschlossen gemeinsam an.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr, Herr Kollege Mertes. Ich bitte allerdings, daß ich meine Rede insgesamt nicht durch Zwischendialoge im Interesse der Kollegen verlängere, die nach mir noch reden wollen. Sonst möchte ich Zwischenfragen gern gestatten.
Herr Kollege Hoppe, halten Sie es für hilfreich, wenn nach dem Hinweis auf die Vertragstreue der Opposition und auf die dabei verbindlichen Interpretationstexte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion diese Interpretationstexte als „komisches Ragout" bezeichnet?
4 Hoppe ({0}) : Verehrter Herr Kollege Mertes, ich
habe für meine Fraktion hier zu sprechen. Ich habe für meine Fraktion die Diskussionsbeiträge aufzunehmen und darauf zu antworten. Ich bitte, mir nicht zuzumuten, auch für andere Fraktionen dieses Hauses Auskunft geben zu müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Belgrader KSZE-Folgekonferenz geht heute mit der Unterzeichnung der Schlußdokumente zu Ende. Das Schlußkommuniqué enthält weniger, als der Westen und die Bundesregierung angestrebt haben. Die UdSSR hat durch ihre Weigerung, die Frage der Menschenrechte in diesem Dokument zu behandeln, einen Fortschritt auf dem Weg der Entspannungspolitik zunächst einmal zunichte gemacht. Der multilaterale Entspannungsprozeß ist nach Belgrad zwar nicht unterbrochen, aber doch erheblich gebremst.
Insgesamt gestalten sich die internationalen Rahmenbedingungen für die Entspannungsbemühungen schwieriger. Das schließt nicht die Lösung technischer, organisatorischer und wirtschaftlicher Fragen aus, macht aber essentielle Verbesserungen im Augenblick sehr schwer.
In der Frage der Menschenrechte zeigt sich damit der neuralgische Punkt aller Beziehungen zum Ostblock. Es gibt keine magische Formel zur Lösung dieses Problems. Nach Helsinki tritt den kommunistischen Regierungen der selbstbewußte Bürger mit dem Anspruch auf Rechtsgewährung entgegen. In der DDR bedeutet dies das konkretisierte Verlangen nach mehr Freizügigkeit.
Wir dürfen und wir werden auch nach Belgrad die Kommunisten aus diesem Dilemma nicht entlassen.
({2})
Sie haben nun einmal versprochen, mit uns an der Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz zusammenzuarbeiten, und sie haben ihre Absicht verkündet, zu einer weltoffenen Politik auf dem Gebiet der Information, der Bildung, der Kultur und des Reiseverkehrs zu kommen. An diesen Absichtserklärungen müssen sie sich alle messen lassen.
({3})
Meine Damen und Herren, das Ost-West-Gespräch wird in der Zwischenzeit fortgesetzt und in Madrid 1980 in eine weitere Konferenzrunde einmünden. Wir werden mit Nachdruck darauf zu drängen haben, daß die Sowjetunion bis dahin ihre verhärtete Haltung überprüft und aufgibt.
Ich stelle die Bewertung der Belgrader Konferenz nicht aus Aktualitätsgründen an den Anfang meiner Ausführungen. Für uns war und hat die Deutschlandpolitik stets als ein Teil der Entspannungspolitik gegolten. Deshalb können unsere Bemühungen, im Rahmen unserer Vertragspolitik mehr Freizügigkeit in Deutschland zu schaffen und den nationalen Zusammenhalt zu stärken, nicht losgelöst von den internationalen Entwicklungen gesehen werden. Wir haben die Deutschlandpolitik deshalb immer als
deutschen Beitrag zur Entspannung verstanden, und wir haben uns in enger Abstimmung mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im atlantischen Bündnis an die Durchführung dieser Aufgaben gemacht. Nicht zuletzt auch mit der Garantie der militärischen Absicherung ist dieser Weg für uns gangbar geworden; denn selbstverständlich ist er nicht ohne Risiken.
({4})
Verwunderung muß es deshalb auslösen, wenn die Kollegen von Weizsäcker und Abelein jetzt die Forderung erheben, den deutschlandpolitischen Dialog mehr zu internationalisieren. Gerade auf einer solchen umfassenden Abstimmung und wechselseitigen Beziehung gründet sich die Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Wenn die Opposition das jetzt gleichwohl fordert, ist das, wie ich meine, keine Novität, sondern zeigt allenfalls, daß auch sie später Einsicht fähig ist.
({5})
Die Frage der Freizügigkeit, der Informationsfreiheit, der Garantie der Grund- und Menschenrechte wirkt sich maßgeblich auch und gerade auf die Beziehung zwischen den beiden deutschen Staaten aus und verursacht deshalb sehr oft übergangslose Auf-und Abschwünge in unseren Beziehungen. Gerade das haben wir in den letzten Wochen und Monaten wieder erleben müssen.
Wie ist es um die konkrete Lage der Nation bestellt? Nachdem wir mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages einen mühsamen Anfang gemacht hatten, den innerdeutschen Dialog und die innerdeutschen Beziehungen auf eine vertragliche Grundlage zu stellen, konnte erwartet werden, daß vom Ergebnis der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki und nach der Begegnung des Bundeskanzlers mit dem SED-Generalsekretär am Rande der Konferenz eine stimulierende Wirkung auf den deutsch-deutschen Dialog ausgehen würde. In der Tat hat denn auch der Vertragsabschluß mit der DDR das Klima und den alten Originalton zwischen den beiden deutschen Staaten verändert, wenn auch das Feindbilddenken in der DDR bis heute anhält. Indessen geriet die DDR durch das wachsende Selbstbewußtsein ihrer Bürger in Bedrängnis. Nach klassischer Machart autoritärer Staaten suchte sie das Problem dadurch zu lösen, daß sie andere Mächte für das Dilemma verantwortlich machte.
({6})
- Vielen Dank, Herr Mertes, für die sprachliche Korrektur.
So nahm sie die Arbeit unserer ständigen Vertretung in Ost-Berlin mit dem Vorwurf der unzulässigen Einmischung in innere Angelegenheit unter Beschuß. Dieser wenig erfreuliche Abschnitt der deutsch-deutschen Politik scheint überwunden zu sein. Es wäre gut, wenn festgestellt werden könnte,
daß wir in der Arbeit unserer Vertretung wieder beim Status quo ante angekommen sind.
Viel menschlicher Kummer würde verhindert werden, wenn auch die DDR-Führung durch Rückfragen zur Kenntnis von empörenden Fehlentscheidungen bei Besuchsanträgen in dringenden Familienangelegenheiten gelangen würde. Nämlich auch dann, wenn für den Familienbesuch festgelegte Kriterien erfüllt sind, wird der Besuch nach wie vor häufig rigoros verweigert. Hier muß die DDR Abhilfe schaffen, um das gutnachbarliche Verhältnis wirklich entstehen zu lassen, um das wir bemüht sind.
({7})
Alles in allem gestaltete sich das Jahr 1977 als ein Jahr der Vorbereitung neuer Gesprächsrunden. Die Bundesregierung nahm eine gründliche Aufstellung all derjenigen Fragen und Probleme vor, die zu einem Interessenausgleich mit der DDR drängen. Die nach der Sondierung eingeleiteten Verhandlungen über Verkehrs- und Umweltschutzfragen konnten als Auftakt für eine umfassende deutschdeutsche Gesprächsrunde angesehen werden. Es gibt schließlich noch viele Bereiche, die der Normalisierung bedürfen; auch sollten die noch in der Beratung stehenden Folgeverträge endlich unter Dach und Fach gebracht werden können. Im übrigen bleibt zu wünschen, daß sich im deutsch-deutschen Dialog mehr Kontinuität einstellt und daß wir uns nicht weiter von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde quälend auf den Weg machen müssen.
({8})
Leider brach zum Jahreswechsel ein Temperatursturz über die komplizierten deutsch-deutschen Beziehungen herein. Die Antwort der DDR-Führung auf die Veröffentlichung im „Spiegel" war nicht nur die Schließung des „Spiegel"-Büros in Ost-Berlin, sondern es folgten weitere Willkürakte als Anschlußreaktion.
Es ist müßig, darüber zu meditieren, ob die Tatsache der Veröffentlichung des Manifests ein Ausdruck von Klugheit war. Es ist auch wenig einfallsreich, festzustellen, daß die Bundesregierung und die Parteien der Bundesrepublik Deutschland damit nichts zu tun haben. Spätestens seit der Veröffentlichung haben wir uns damit zu beschäftigen und haben wir damit zu tun; denn die Wirkung dieser Aussage ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen.
({9})
Meine Damen und Herren, die Führung der DDR sah sich durch die Publikation jedenfalls in große Bedrängnis gebracht. Wahrheiten sind für ein autoritäres Regime an sich schon Gift. Aber giftiger als Gift sind veröffentlichte Wahrheiten.
({10})
Die Freien Demokraten nehmen die Überlegungen in der DDR und im Ostblock, die sich in diesem Dokument offenbaren, sehr ernst. Wir tun gut daran, diese Bewegungen im Interesse der Deutschlandpolitik genau zu beobachten. Schließlich kommt es nicht nur darauf an, welche Relevanz diese Vorgänge in der Bevölkerung der DDR haben und welche Auswirkungen sie auf das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander haben. Von Gewicht für die Deutschlandpolitik dürfte vor allen Dingen sein, welche Bedeutung die Sowjetunion dem beimißt.
Die letzten Wochen und Monate haben die Schwierigkeiten und Grenzen einer fruchtbaren Deutschlandpolitik aufgezeigt. Daß es dennoch nicht unmöglich ist, hier voranzukommen, hat die programmatische Rede Honeckers zu erkennen gegeben. Das im „Neuen Deutschland" veröffentlichte Grundsatzreferat ist zwar in erster Linie für den Hausgebrauch gemacht, es dient ganz gewiß zuallererst einmal der moralischen Aufrüstung und Ausrichtung der Parteikader.
Es ist auch nicht ohne Schärfe gegenüber der Bundesrepublik. Dort wird der Bundesrepublik im Verband der NATO - und hier gemeinsam mit den Vereinigten Staaten - eine aggressive Politik vorgeworfen. Sehr überzeugend klingt das alles nicht. Deshalb will ich es hier als ideologische Pflichtübung auf sich beruhen lassen.
Anders, scheint mir, ist jener Teil zu werten, der sich im engeren Sinne mit den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten beschäftigt. Honecker versichert darin, daß die DDR trotz fortbestehender grundsätzlicher Differenzen, die sich aus dem unterschiedlichen Selbstverständnis der beiden deutschen Staaten ergeben, bereit sei, die Beziehungen auszubauen. Wörtlich heißt es zum deutsch-deutschen Verhältnis: „Wir sind bereit, mitzuwirken, um Hürden aus dem Weg zu räumen." Dies ist gewissermaßen die offizielle Antwort auf die Mission von Staatsminister Wischnewski.
Nach Auffassung der FDP war es unumgänglich, das belastende Störpotential vom Tisch zu bekommen, um die Voraussetzungen für eine konstruktive Verhandlungsrunde wiederherzustellen. Mit Gesprächsbereitschaft erreicht man doch mehr als mit Gegenmaßnahmen, was immer die Opposition darunter verstehen mag.
({11})
Meine Damen und Herren, mir scheint, die Intervention der Bundesregierung und die Reaktion der DDR-Führung haben die Aussicht eröffnet, daß wir die Vertragspolitik auf der Basis des Interessenausgleichs weiterführen können. Allerdings wird es im Umgang mit der DDR wohl auch weiterhin schwierig bleiben.
Warnendes Indiz sind die aus Anlaß des Besuchs Honeckers bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland gehaltenen Reden. Der Oberkommandierende der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland - übrigens sichtbarer Ausdruck der auch von der Sowjetunion nicht aufgegebenen Viermächteverantwortung in Gesamtdeutschland -, Armeegeneral Iwanowski, hat dort erklärt, „die sowjetischen Soldaten schützten zuverlässig die sozialistischen Errungenschaften unserer Völker und seien immer bereit, die sofortige Abfuhr
jedem Aggressor zu erteilen". Ein weiteres Mal wolle er erklären, „daß wir die Sicherheit unseres Landes sowie die Sicherheit unserer Verbündeten niemals preisgegeben haben und niemals preisgeben werden". Mit anderen Worten: Iwanowski ließ keinen Zweifel an der Entschlossenheit Moskaus aufkommen. Die Sowjetunion würde also heute wohl nicht anders handeln, als sie es 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR vorexerziert hat.
Honecker hat kaum eine andere Wahl, als das Treuebekenntnis der SED zur Sowjetunion zu unterstreichen und eine Ergebenheitsadresse zu formulieren. Hier wird der geringe Spielraum der SED-Führung in der Deutschlandpolitik sichtbar. Die Sowjetunion bestimmt die Gangart in der Deutschlandpolitik.
So bekommt denn auch die Zurückweisung von Abgeordneten an der Berliner Sektorengrenze ihr politisches Gewicht. Die Handschrift ist einfach nicht zu übersehen.
Der sowjetischen Politik fehlt im Augenblick allerdings die klare Linie. Die von Breschnew praktizierte Westpolitik ist in einen Zickzackkurs geraten. Die Führungsprobleme und die Probleme um den Inhalt der Politik werden offenbar immer drängender. Deshalb bleibt die Politik zunächst im ungewissen. Dies ist auch auf internationaler Ebene spürbar. Der Appell des Präsidenten der Vereinigten Staaten an die Sowjetunion verleiht dem sichtbaren Ausdruck.
Bei den innerdeutschen Beziehungen wird es erst dann einen wirklichen Qualitätssprung geben können, wenn feststeht, daß die kommunistische Führungsmacht ihre Öffnung nach Westen als Beitrag zur Entspannungspolitik unmißverständlich fortsetzen wird. Bis dann wird die Deutschlandpolitik ein mühsames Geschäft bleiben, und wir werden um jeden kleinen Fortschritt ringen müssen. Begeisterung kann sich da schwerlich einstellen. Deutschlandpolitik zu diesen Konditionen vermittelt heute wohl keine große Faszination. Es ist nicht die Zeit, in der man mit Deutschlandpolitik Begeisterung erzeugen kann. Und doch muß die nationale Frage zu jeder Zeit Vorrang haben. Vielleicht wäre das Interesse in diesem Augenblick noch schwächer, wenn es nicht die breite Diskussion über das Manifest gegeben hätte.
({12})
Darüber dürfen wir uns allerdings nicht wundern. Denn die Gegenwart wird von anderen bewegenden Problemen bestimmt. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist stark in den Vordergrund getreten. Vorbelastet durch die hohe Arbeitslosenquote, ist die Sorge um die Sicherheit und Erhaltung der Arbeitsplätze vorrangig. Die angespannte Lage hat sich durch die Verschärfung im Arbeitskampf der Druckindustrie und die Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie zugespitzt. Hinzu kommen jene Belastungen für die Wirtschaft, die sich aus der andauernden Dollarschwäche ergeben. Ein weiteres Thema von hohem Stellenwert liefert die Rentendiskussion. Es ist also verständlich, daß dies die Gemüter erregt und das Denken und Handeln breiter Bevölkerungskreise bestimmt.
Lassen wir uns aber durch die schwerwiegenden Probleme des Tages nicht den Blick für die Wirklichkeit trüben! Schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland noch immer eine Region mit wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Sicherheit. Alle in der Bundesrepublik Verantwortlichen - und dies schließt die Tarifpartner voll ein - sind aufgerufen, den sozialen Frieden zu bewahren, durch den diese imponierende Leistung überhaupt erst möglich geworden ist.
({13})
Meine Damen und Herren, nur wenn wir uns diese Fähigkeit erhalten, sind wir in der Lage, jene Probleme zu lösen, die uns international gestellt werden. Ich verzichte auf eine Wiederholung der vom Bundeskanzler hier einzeln aufgeführten Punkte.
Wir brauchen diese Voraussetzungen aber auch für die uns in der Deutschlandpolitik gestellten Aufgaben. Der Fortgang der Verhandlungen im deutschdeutschen Bereich schien nicht zuletzt durch die exzessiven Verdachtskontrollen auf den Transitwegen gefährdet. Auch bei großzügiger Auslegung des Art. 16 des Transitabkommens war die Praxis der DDR mit den vertraglichen Regelungen nicht in Einklang zu bringen.
({14})
Die seit September 1977 sprunghaft angestiegenen Verdachtskontrollen sind seit dem Besuch von Staatsminister Wischnewski in Ost-Berlin Gott sei Dank drastisch zurückgegangen. Wenn die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Erforderliche tun will, um Mißbräuche der Transitwege zu verhindern, dann wird hier deutlich, daß sie und die Verbündeten alles daran setzen werden, daß die für Berlin lebenswichtige Transitregelung nicht Schaden durch jene nimmt, die unter Verletzung unseres geltenden Strafrechts diese Regelung in Gefahr bringen.
({15})
Und doch, meine Damen und Herren, darf man dabei eines nicht vergessen: Fluchthilfe - auch die kommerzieller Art - ist eine Begleiterscheinung der deutschen Teilung. Kein Deutscher wäre gezwungen, zu diesem Mittel zu greifen, wenn es zwischen den beiden deutschen Staaten Freizügigkeit gäbe.
({16})
Es liegt bei der DDR, die Mißbrauchsklausel zu einem überflüssigen Element der Vertragspolitik
({17})
und zu einer leeren Floskel werden zu lassen, indem sie die Möglichkeiten der legalen Ausreise vergrößert.
({18})
Daß Menschen gezwungen sind, Gut und Geld einzusetzen, um dort zu leben, wo sie nach ihrer freien Entscheidung leben möchten, ist nun einmal eine traurige Tatsache. Insgesamt umschreibt sie einen unwürdigen, die Menschenrechte verletzenden Tatbestand.
({19})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kann Fluchthilfe nur dort bekämpfen, wo sie gegen unsere Rechtsordnung verstößt, d. h. bei Paßvergehen, Urkundsdelikten und anderen Anschlußstraftatbeständen. Die im Grundsatz garantierte Freizügigkeit behält Vorrang.
({20})
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz gilt für alle Deutschen, und Deutsche sind nicht nur die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland und Berlins, sondern auch die Bewohner der DDR.
({21})
Mit diesem Rechtsstandpunkt muß und kann auch die DDR leben. Sie kann ihn auch, meine Damen und Herren, durchaus ertragen. Denn er sagt über die eigene Staatsbürgerschaft der DDR nichts aus. Der DDR kann nicht verwehrt werden, für die auf ihrem Staatsgebiet unter ihrer Staatsgewalt lebende Bevölkerung eine eigene Staatsangehörigkeit zu konstituieren. Die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz gewinnt ohnehin erst dann Bedeutung, wenn sich der Betroffene in den Geltungsbereich des Grundgesetzes begibt oder wenn sich ein Bewohner der DDR außerhalb der DDR auf die deutsche Staatsangehörigkeit beruft. Ohne ein solches Verlangen wird die Bundesregierung keinen Bewohner der DDR gegen seinen Willen als deutschen Staatsbürger in Anspruch nehmen. Dies ist die Praxis der Bundesrepublik Deutschland, dies wird die Praxis bleiben. Die DDR sollte aufhören, Gegenteiliges zu behaupten.
Meine Damen und Herren, in voller Kenntnis unserer verfassungsrechtlichen Lage hat die DDR Vertragsbeziehungen aufgenommen. Deshalb ist es auch völlig unangebracht, wenn sie immer wieder beanstandet, daß die Bundesrepublik Deutschland auf angeblich unhaltbaren Positionen beharre. Dies gilt insbesondere für den unfruchtbaren Streit über die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit diesem offenen Dissens müssen wir nun einmal miteinander auskommen. Und die Beziehungen werden sich nur dann positiv entwickeln, wenn diese klaren unterschiedlichen Positionen respektiert werden.
Die Lage in Berlin hat sich gegenüber der deutschlandpolitischen Aussprache des Bundestages im Mai 1977 nicht wesentlich verändert. Die Situation in der Stadt hat sich nicht verschlechtert, sondern der von mir im Zusammenhang mit der Regierungsumbildung in Berlin erwartete psychologische Umschwung ist tatsächlich eingetreten. Berlin ist dabei, seinen angeschlagenen Ruf wieder aufzupolieren, und das hat zu günstigen Entwicklungen in allen Lebensbereichen geführt. In der Kulturpolitik ist Berlin drauf und dran, seine hervorragende Stellung als europäische Kulturmetropole wieder zu festigen, und auch in der Wirtschaftspolitik ist der dramatische Rückgang industrieller Arbeitsplätze offensichtlich gestoppt. Dennoch bleibt hier noch einiges zu tun.
Das Viermächteabkommen hat zwar die Voraussetzungen entscheidend verbessert, aber die sich
daraus ergebenden Chancen scheinen mir bis heute noch nicht voll genutzt.
({22})
Es ist meine Überzeugung, daß die Arbeitsergebnisse der Allparteien-Arbeitsgruppe beim Herrn Bundespräsidenten zu jener Initialzündung führen werden, mit der endgültig eine Trendwende herbeizuführen ist.
Die Bevölkerung von Berlin kann der Solidarität aller Deutschen gewiß sein. Deshalb soll auch niemand in der Welt daran zweifeln, daß die demokratischen Parteien des Bundestages entschlossen sind, die Lebensfähigkeit der Stadt erfolgreich zu sichern.
({23})
Ohne erkennbaren Ansatz zum Besseren ist allerdings der schon jahrelang schwelende Interpretationsstreit über das Viermächteabkommen. Gerade die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ist nach dem Inkrafttreten des Abkommens eine Aufgabe von hervorragender politischer Bedeutung. Zu diesen Bindungen gehört die Einbeziehung Berlins in völkerrechtliche Übereinkünfte, die von der Bundesrepublik Deutschland geschlossen werden oder denen sie beitritt - dies immer dann, wenn nicht im Einzelfall die Vorbehaltsrechte der drei Westmächte dem entgegenstehen. Nur so kann im übrigen die Rechtseinheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin gewahrt bleiben.
Entgegen den im Zusammenhang mit dem Viermächteabkommen abgegebenen Erklärungen der Sowjetunion, sich der Einbeziehung Berlins in internationale Verträge nicht mehr zu widersetzen, bleibt mit Bedauern festzustellen, daß die sowjetische Regierung nicht von den Versuchen abläßt, das Recht auf Außenvertretung Berlins zu schmälern. Den im Viermächteabkommen bestätigten alliierten Vorbehalt, daß die Westsektoren so wie bisher kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sind, möchte die Sowjetunion nun schon seit langem zu einer zentralen Aussage machen. Für den Bereich der Außenvertretung zieht sie daraus Folgerungen, die den Inhalt des Abkommens geradezu ins Gegenteil verkehren. Die von den Sowjets zugestandene Außenvertretung Berlins durch die Bundesrepublik soll nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein. Die Sowjetunion will auf diese Weise den direkten Kontakt zum Senat von Berlin erzwingen.
Meine Damen und Herren, Moskau hält leider hartnäckig an dem Ziel der Isolierung Berlins fest und versucht nach wie vor, den Standpunkt von der „besonderen politischen Einheit" durchzusetzen. Bei diesen Auslegungskunststückchen tut sich der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin immer wieder besonders hervor. Herr Abrassimow muß aber aufpassen, daß er aus der von ihm so geliebten Position eines Chefkommentators des ViermächteabHoppe
kommens nicht mehr und mehr in die Rolle eines Chefmanipulators hineingerät.
({24})
Wenn sich der Bundestag und die Bundesregierung in der heutigen Debatte erneut zum Inhalt des Viermächteabkommens und zu seinen Zielen bekennen, dann ist es höchste Zeit, daß auch die Sowjetunion jene Brandt/Breschnew-Formel aus dem Jahre 1973 endlich ausfüllt, mit der der Auslegungsstreit beendet werden sollte. Bekommt die Formel von der strikten Einhaltung und der vollen Anwendung nicht bald inhaltliche Konturen und zeigt sich die Sowjetunion auch weiterhin nicht bereit, eingegangene Verpflichtungen ohne Abstriche einzuhalten, sondern bleibt sie bei ihrer machtpolitisch orientierten Strategie, dann werden wir bald um eine Hoffnung ärmer und die Politik um eine leere Worthülse reicher sein.
({25})
Auf dem deutsch-deutschen Verhandlungsfeld hat der Senat von Berlin nur eine sehr eingeengte Kompetenz. Immerhin war im vergangenen Jahr der Abschluß der jahrelangen Verhandlungen über den Ausbau der Spandauer Schleuse zu vermelden. Erfolgsträchtig scheinen auch die Gespräche über die Errichtung eines neuen Güterbahnhofs zu sein. Hiermit ist die Erschließung einer für die Stadtentwicklung bedeutsamen Geländeregion von über 40 ha verbunden.
Unerledigt ist noch die Öffnung des Nordübergangs. Die Zusage für den zusätzlichen Übergang, der eine entscheidende Abkürzung wichtiger Verkehrsverbindungen schaffen würde, harrt noch der Erfüllung. Schließlich würde der Schiffsverkehr durch die Öffnung des Teltowkanals eine wesentliche Erleichterung erfahren.
Die DDR muß hier endlich aufhören, sich in Fragen der Transitstraßen an der Bundesregierung als dem zuständigen Verhandlungspartner vorbeimogeln zu wollen.
({26})
Der Senat von Berlin kann hier nur technische Vorverhandlungen auf Grund einer abgeleiteten Verhandlungskompetenz führen. Es wäre schön, wenn die DDR endlich einlenken würde, damit die Verhandlungen auch auf diesem Gebiet beginnen können.
In der Deutschlandpolitik wird auch künftig jeder Schritt darauf überprüft werden müssen, ob er geeignet ist, den Menschen hüben und drüben zu helfen. Vor allem durch die zahlreichen Begegnungen von Menschen aus beiden Teilen Deutschlands hat der unmenschliche Zustand der Trennung und der Absperrung Erleichterungen erfahren. Entscheidend aber ist, daß auf diese Weise das Zusammengehörigkeitsgefühl einer in zwei Staaten geteilten Nation gestärkt wurde. Von der Kraft und dem Willen, die Einheit der Nation zu bewahren, wird es abhängen, ob die Voraussetzungen für die Wiederherstellung
der staatlichen Einheit erhalten bleiben, wann immer ein solcher Prozeß aktuell wird.
Dabei stellt sich diese Lebensfrage nicht nur dem einen Teilstaat. Bei der Bevölkerung der DDR bin ich da im übrigen gar nicht so besorgt. Für die Bundesrepublik Deutschland scheinen dagegen Zweifel an der Entschiedenheit zum politischen Handeln erlaubt zu sein.
Viel dürfte davon abhängen, wie sich die junge Generation zu dieser Aufgabe stellt. Die Schulen leisten da nur wenig Hilfestellung.
({27})
Es ist nicht gerade ersprießlich, was dazu über den Unterricht in, das muß ich allerdings sagen, fast allen Bundesländern zu sagen ist. Oft, meine Damen und Herren, rächen sich die bei der Lehrerausbildung begangenen Versäumnisse,
({28})
und oft fehlen wirksame Hilfsmittel wie geeignete Sozialkundebücher. Und doch darf sich gerade die staatliche Bildungspolitik dem verfassungsrechtlichen Auftrag nicht entziehen. Die deutschlandpolitische Zielsetzung sollte in den. Lehrplänen schon zu erkennen sein.
({29})
Meine Damen und Herren, für unsere Deutschlandpolitik bleibt weiterhin bestimmend, daß für die Zusammenarbeit und die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 und die im Zusammenhang damit stehenden Dokumente maßgebend sind. Wir sind entschlossen, die Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands auf dieser Grundlage fortzuentwickeln. Wir werden jedenfalls um eine Verbesserung der Beziehungen Schritt für Schritt bemüht bleiben.
Die Verhältnisse sind nicht so, daß sensationelle Fortschritte erwartet werden könnten. Vielmehr bleibt zu befürchten, daß auch das Klein-klein immer wieder Belastungen ausgesetzt sein wird. Unsere Reaktionen auch in schwierigen Situationen dürfen nicht vom Zorn bestimmt sein,
({30})
und wir dürfen keiner kurzlebigen Gefühlswallung nachgeben.
({31})
Meine Damen und Herren, nur dann, wenn wir vernunftmäßig, nach rein sachlicher Nützlichkeit handeln, werden wir unserer nationalen Aufgabe gerecht werden.
({32})
Aber all das wird geflissentlich übersehen, wenn es darum geht, Stimmung zu machen. Dann werden eben doch Strafaktionen gefordert, weil es leicht ist, dafür Beifall und Zustimmung zu erhalten. Schwerer ist es, im geteilten Deutschland angemessene Realpolitik zu betreiben.
Auch die CSU kann es in ihrem Deutschlandpapier nicht lassen, die Androhung von Sanktionen als vermeintliches Wundermittel in ihr Konzept aufzunehmen. Sie will zwar, zumindest in der Theorie, mit der DDR ins Geschäft kommen, quasi ihre Verhandlungsfähigkeit und ihre Solvenz nachweisen, predigt aber die alte Politik des Argwohns und des Mißtrauens.
Dies ist übrigens nicht der einzige Widerspruch in dem Papier. So sehr es zu begrüßen ist, daß hier erstmalig der Versuch unternommen wird, den Grundlagenvertrag ohne die übliche Polemik zu werten, so sehr bleibt die herabsetzende Behandlung der DDR, die auch beharrlich in Anführungszeichen gesetzt wird, hinter diesem partiellen Fortschritt zurück.
({33})
So wirkt manches unausgegoren, und es wird sicher noch eine Zeitlang dauern, bis die CSU den Anschluß an die internationale Entwicklung und die politische Wirklichkeit gefunden hat.
({34})
- Verehrter Herr Kollege Kohl, jetzt sollten Sie gut zuhören!
Einer wenig feinen Methode hat sich nämlich unlängst auch ein CDU-Abgeordneter, der Kollege Jürgen Wohlrabe, bedient,. als er die Antwort der Bundesregierung auf seine Anfrage nach Leistungen der Bundesregierung an die DDR für seine Zwecke so zurechtstutzte, daß mit der Veröffentlichung bei Uninformierten unschwer Neid und Mißgunst geweckt werden konnten. Daß es auch anders geht, haben andere Kollegen seiner Fraktion ihm vorgemacht.
Meine Damen und Herren, bei der Praxis des Kollegen Wohlrabe ist es schon mehr als fragwürdig, daß in seiner Darstellung aus naheliegenden Gründen auf eine Bilanz von Leistung und Gegenleistung verzichtet wird. Sehr viel schlimmer aber scheint mir der Umstand, daß sich derselbe Abgeordnete am 23. Juni 1977 bei der Haushaltsberatung als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zum gleichen Thema im Deutschen Bundestag ganz anders geäußert hat. Damals hat er für die Opposition die Leistungen an die DDR ausdrücklich gebilligt und zum Ruhme der CDU/CSU besonders darauf hingewiesen, daß die Opposition allen Leistungen, die wir mit der DDR vertragsgemäß vereinbart haben, in den Beratungen des Haushaltsausschusses zugestimmt hat. Ein solches Verhalten ist mit parlamentarisch zulässigen Ausdrücken nur schwer zu beschreiben.
({35})
Diese unsaubere Kampfart hätte im Sport längst zur Disqualifikation geführt. Wie Herr Wohlrabe mit seiner persönlichen Glaubwürdigkeit fertig wird und wie er es mit ihr hält, bleibt seine Sache. Hätte sich aber einer meiner Kollegen mit einer vergleichbaren Fehlleistung in die Öffentlichkeit gewagt, so würde
sich meine Fraktion in aller Form davon distanziert haben.
({36})
Ich fasse zusammen. Die politischen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten werden sich unter den gegebenen Bedingungen in absehbarer Zeit kaum grundlegend verbessern. Durch die völlig gegensätzlichen Positionen in der Frage der Einheit der Nation, aber auch durch den tiefgreifenden Dissens in der Menschenrechtsfrage ist der Konflikt vorprogrammiert. Während die Bundesregierung an ihrem Ziel festhält, in Europa auf einen Zustand des Friedens hinzuarbeiten, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, hat sich nach den Erklärungen der Kommunisten in Ost-Berlin das Volk der DDR unwiderruflich für den Sozialismus entschieden und die sogenannte deutsche Frage durch die Entwicklung zweier unabhängiger deutscher Staaten damit ihre endgültige Lösung gefunden. Diese Rechnung wird jedoch nicht aufgehen. Zu wach ist das Bewußtsein über die erzwungene künstliche Teilung in unserem Land.
Der Aufruf der SED-Führung an die DDR-Historiker, mit Blick auf den 30. Jahrestag der DDR im nächsten Jahr neue Anstrengungen zu unternehmen, um bei den DDR-Bürgern ein sozialistisches deutsches Nationalbewußtsein zu entwickeln, wirkt eher wie ein Akt der Verzweiflung und eine gequälte Reaktion auf die Wirklichkeit.
({37})
Lassen Sie uns unbeirrt nach jenen praktischen Ergebnissen in der Politik streben, die die Teilung unseres Landes für die Menschen erträglicher machen. Dazu genügt es nicht, daß wir das Ziel unserer Politik aus Anlaß der Gedenkfeiern zum 17. Juni immer wieder lauthals beschwören und die verlorengegangene Einheit beklagen. Die uns durch die Teilung gestellten Probleme müssen gemeistert werden. Das verlangt Sinn für das politisch Mögliche, aber auch die Bereitschaft zum Kompromiß. Ein nüchterner Sinn für Realpolitik ist dabei unumgänglich. Wir dürfen uns nicht von der auf Ausgleich und Friedenssicherung gerichteten Politik abbringen lassen. Gerade weil die Bewohner der DDR auf den Erfolg dieser Politik hoffen, weil sie an Deutschland glauben, dürfen wir sie nicht im Stich lassen.
({38})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoppe hat in gedämpfter Form Kritik am CSU-Papier zur Deutschlandpolitik geübt. Trotzdem steht seine nüchLemmrich
terne Rede in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem, was Herr Kollege Bahr hier ausgeführt hat.
({0})
Herr Kollege Bahr hat sich eingehend mit diesem Papier befaßt. Er konnte sich allerdings nicht dazu durchringen, von schrägen Vergleichen Abstand zu nehmen. Unser Papier ist nicht zweideutig. Aber augenscheinlich ist er an zweideutiges Denken so gewöhnt,
({1})
nachdem er es wiederholt praktiziert hat, daß er es auch anderen unterstellt. Herr Kollege Bahr ist ja inzwischen in unserem Lande zum Symbol der Zweideutigkeit geworden. Weil die von ihm ausgehandelten Verträge so zweideutig gefaßt sind, haben wir den permanenten Ärger mit der DDR.
({2}) Politiker sollen redlich sein.
({3})
- Herr Wehner, da sind Sie ja ein besonderes Beispiel, das man vorführen kann.
Das ist eine der ersten Forderungen, die die Bürger an uns Politiker stellen. Halten die Ausführungen des Kollegen Bahr, die er am 24. Januar 1973 hier vor dem Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit den Verträgen und der Deutschlandpolitik machte, dieser Forderung stand? Damals sagte er:
Zunächst einmal ist beklagt worden, es habe ein gewisser Zynismus darin gelegen, wenn der Bundeskanzler gesagt habe, es habe an den Wahlen gelegen, daß man vor den Wahlen anders als danach von der DDR als Staat gesprochen habe. Nun, hier muß festgestellt werden: Nach den Wahlen war eine politische Entscheidung gefallen, die es ermöglichte, dem allgemeinen Grundsatz Rechnung zu tragen, daß, wenn möglich, in der Demokratie und in der Politik die Wahrheit gesagt werden soll. Denn die Mehrheiten waren nicht so, daß sie es zugelassen hätten, die Wahrheit zu sagen ...
({4})
So etwas erleben wir ja heute auch in anderen politischen Bereichen aus dem politischen Lager des Herrn Kollegen Bahr.
Die Worte meines Kollegen Franz Josef Strauß über die Belebung des früheren Nationalstaates gelten auch heute noch.
({5})
Sie sind kein Widerspruch hinsichtlich der Forderung nach einer deutschen Nation, die als Staat der Europäischen Gemeinschaft angehört und damit bereit ist, auf herkömmliche Souveränitätsrechte zu verzichten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bahr?
Herr Kollege Bahr, bitte sehr!
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß es eine Diffamierung ist, wenn man ein einseitiges Zitat ständig wiederholt, obwohl inzwischen wiederholt klargestellt worden ist, daß damals auch der Mangel an Mut bei der heutigen Opposition beklagt worden ist, die Wahrheit hinsichtlich ihrer eigenen Überzeugung zu sagen?
({0})
Herr Kollege Bahr, das, was Sie hier gerade sagen, macht doch deutlich, daß Sie wohl andere Maßstäbe in puncto Wahrheit haben, als sie landläufig üblich sind.
({0})
- Nein, Gott sei Dank, so möchte ich sagen, Herr Bahr, unterscheidet Herrn Kollegen Dr. Zimmermann und Sie wesentliches, auch gerade in der Diktion der Wahrheit.
({1})
Wir wissen sehr wohl, Herr Kollege Bahr, was Sie an Verdrehungen, Verleumdungen permanent über die politisch Andersdenkenden loslassen.
({2})
Die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist kein überhitzter Nationalismus, wie der Herr Kollege Bahr meinte sagen zu müssen, sondern sie ist ein ganz normales Menschenrecht.
({3})
Meine verehrten Damen und Herren, wie in Deutschland die Bundesländer mit ihren Eigenarten bestehen, so sollen nach unserer Meinung in einer europäischen Gemeinschaft auch die Staaten mit ihrer Geschichte und ihren Eigenarten weiterhin bestehenbleiben. Wir wollen Vielfalt in der Gemeinsamkeit.
Herr Kollege Bahr hat sich dann auch eingehend mit der früheren Deutschlandpolitik befaßt und hat deutlich gemacht, daß es bei der Ablehnung des Beitrittes der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat durch die SPD unter anderem darum ging, Chancen in puncto deutsche Wiedervereinigung wahrzunehmen. Herr Kollege Bahr stammt ja aus demselben Land, aus dem ich stamme: aus Thüringen. Herr Kollege Bahr, es mag jeder die Ereignisse der Zwangsvereinigung unterschiedlich beurteilen. Man mag all das, was über unsere Landsleute dort gekommen ist, unterschiedlich beurteilen.
({4})
- Herr Friedrich, ich war an Ort und Stelle. Ich würde die Sache etwas differenzierter sehen als Sie. Es gab welche, die massiv dagegen gekämpft haben, und es gab welche, die mit fliegenden Fahnen übergegangen sind.
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- Herr Kollege Friedrich, ich würde Ihnen doch empfehlen, sich etwas eingehender damit zu befassen. Jedenfalls ist der Vorstand der CDU Mitteldeutschlands zweimal von der sowjetischen Besatzungsmacht abgesetzt worden. Auch an das sollte man sich bei dieser Gelegenheit erinnern.
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Nicht nur Andreas Hermes und Dr. Schreiber, sondern ebenso Jakob Kaiser und Ernst Lemmer ging es so. Wenn dem so ist, können Sie solche Zwischenrufe hier nicht machen.
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Vor allen Dingen kann ich Ihnen dann nur das schöne Wort von Friedrich von Schiller entgegenrufen: Vom sichern Bord läßt sich's gut reden.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis 1969 gab es in der Deutschlandpolitik eine weitgehende Gemeinsamkeit. Wenn Sie uns hier vorwerfen, sie habe in eine Sackgasse geführt, dann sind Sie dafür sicherlich nicht weniger verantwortlich als alle anderen hier auch. Wenn Sie jetzt behaupten, erst jetzt sei es möglich, mehr Gemeinsamkeit mit den Bürgern Mitteldeutschlands zu haben, das sei ein Ergebnis Ihrer Politik, so kann ich nur folgendes sagen: Herr Kollege Bahr, Sie müßten doch eigentlich wissen, daß man bis 1957 ziemlich freizügig von Mitteldeutschland zu uns herüberreisen konnte. 1957 konnte man aus der DDR auch zum Skilaufen nach Bayern fahren. Dann kam das Staatsbürgergesetz und damit begann die ganze Reihe der Verschärfungen.
Worum geht es denn bei den sogenannten wirtschaftlichen Sanktionen? Im Jahre 1980 steht das Verhandeln über den Swing an. Es ist ja kein Swing mehr. Es ist eine Kreditvorfinanzierung im Handel mit der DDR. Aber es ist doch vernünftig, wenn diese in das gesamtpolitische Konzept einbezogen wird. Gerade die Kommunisten haben doch Politik immer als eine Ganzheit politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen verstanden. Warum ziehen wir uns dann zurück, da wir doch wissen, welche Bedeutung die wirtschaftlichen Beziehungen gerade für die DDR - und zwar nicht nur für die Bürger, sondern auch für diejenigen, die dort an der Regierung sind - haben? Sie sagen, das sei nicht einmal 1953 in Frage gestellt worden. Hier besteht aber doch ein kleiner Unterschied. Im Jahre 1953 betrug der Swing - damals wurde er sogar noch genutzt - 50 Millionen Mark. 1978 beträgt er 850 Millionen Mark.
Herr Kollege Bahr hat .den Eindruck erweckt, daß es uns nicht um Friedenspolitik gehe. Er versucht
mit Wortspielen den Eindruck zu erwecken, als würde unsere Politik den Frieden gefährden. Die Union hat in diesem Land immer Friedenspolitik betrieben früher ebenso wie jetzt -, und sie wird es auch in Zukunft tun.
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Wir wissen sehr wohl, was Friedenspolitik bedeutet. Das hat auch die Eingliederung der Vertriebenen bedeutet, und zwar mit all den schwierigen politischen Problemen, die mit dem Lastenausgleichsgesetz verbunden waren. Damals haben wir Sie nicht immer an unserer Seite gesehen. Wir betreiben Friedenspolitik. Wir lassen uns von Ihnen nicht in eine Ecke stellen, wobei Sie meinen, daß Sie uns damit schlechtmachen können.
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- Seien Sie ohne Sorge! Wir stellen uns nicht hinein. Das sind ja Ihre Machinationen, mit denen Sie das in unlauterer Weise versuchen.
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Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede deutlich gemacht, daß er diese unmenschliche Grenze ebenso ablehnt wie wir alle. Er hat eine ganze Reihe von schwerwiegenden, uns bedrängenden Problemen aufgeführt. Dann sagt er: Aber das alles mag sein, wie es will; die Entwicklung ist positiv. - Da müssen doch die Herren in Ost-Berlin meinen, es sei alles bestens bestellt, wenn man sagt, am Ende sei doch alles positiv: Stacheldraht, Mauer, Selbstschußgerät, alles, was es hier gibt. Dieser Eindruck muß entstehen, Herr Kollege Wolfram, wenn Sie nüchtern nachdenken. Der Herr Bundeskanzler sagt: Wir wollen die Zusammenarbeit mit der DDR bei der Entschärfung von Konflikten. Dazu können wir nur sagen: Wunderbar! Aber wenn wir erleben, daß die DDR bei der Verschärfung der Konflikte in Angola unmittelbar dabei ist, daß sie in Äthiopien unmittelbar dabei ist, daß sie augenscheinlich das Geld, die harten Devisen, die sie von uns bezieht, dort irgendwie anderweitig wieder ins Spiel bringt, dann frage ich mich: Was soll das? Ist dann all das so positiv, wie es hier dargestellt wird? Alle, die nüchtern denken, bezweifeln dies. Es gibt viele Bereiche in unserer Außen- und Innenpolitik, in denen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Aber gerade im Bereich der Deutschlandpolitik, die im Grunde für uns eine konkrete Politik mit der Zielrichtung auf die Wiedervereinigung des zerrissenen Deutschland sein müßte, ist diese Kluft am schmerzlichsten. Das Auseinanderklaffen von selbst gestelltem Anspruch und desillusionierender Wirklichkeit hat die Deutschlandpolitik der Regierungskoalition in die Sackgasse geführt, vor der wir immer gewarnt haben und von der die Publizistik unseres Landes seit einigen Wochen ständig spricht.
Das gilt für die Bilanz der Verhandlungen über die Folgeverträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der SED-Führung. Die Gespräche drehen sich im Grunde seit fünf Jahren im Kreis, und zwar in einem Kreis, dessen Radius durch eigene Schwäche und durch Härte des Gegenüber immer kleiner geworden ist.
Das gilt für die Situation am Eisernen Vorhang, die noch unmenschlicher geworden ist. Seit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages sind statt 40 km nunmehr fast 300 km an der Grenze mit automatischen Tötungsanlagen versehen. Wo bleibt da der Art. 1 des Grundlagenvertrages, daß alles normal werden soll?
Das gilt auch für Berlin, um das unverändert politisch gekämpft wird. Die Euphorien des regierungsamtlichen Jubels über das Viermächteabkommen sind längst deprimierender Ernüchterung gewichen. Durch vertragswidrige, einseitige und falsche Auslegung von seiten Moskaus und Ost-Berlins ist das Abkommen in Gefahr geraten. Nach Jahren hektischer Ostvertragspolitik der Regierungskoalition stellt sich nun ein erschreckender Mangel an Konzeption, an Zielrichtung und Durchsetzungswillen heraus, die einst hochgesteckten Ziele dieser Politik zu erreichen oder ihnen wenigstens nahezukommen. Es besteht anscheinend nicht einmal der Wille, den ständigen Vertragsbrüchen der Gegenseite wirksam und mit Entschiedenheit entgegenzutreten.
Eine solche Deutschlandpolitik der Bundesregierung hegt den Mißerfolg und trägt zu allem Überfluß noch dazu bei, die Position der SED-Führung dem freien Deutschland gegenüber zu stärken.
Die Deutschlandpolitik der Gegenwart ist durch Einfallslosigkeit gekennzeichnet. Seit dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in die Vereinten Nationen hat es die westdeutsche Seite nahezu peinlich vermieden, das deutsche Problem der gewaltsamen Teilung in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit hineinzutragen. Wir sind der Meinung, daß die bloße Dokumentation des innerdeutschen Dissenses alleine in den alljährlichen Reden der Außenminister vor dem Plenum der Vereinten Nationen einfach zu wenig ist.
Demgegenüber muß man sehen, daß das SED-System mit Unterstützung der Bundesregierung seit 1969 - das ist wesentlich - trotz Schießbefehl und Mauerbau international eine Legitimationsebene erreicht hat, die durch die wahre Natur dieses angeblich so normalen Staates in keiner Weise gerechtfertigt werden kann. Statt großer Worte und Versprechungen in der Öffentlichkeit sollte sich die Bundesregierung der Herausforderung, die seit dem deutschen Beitritt zu den Vereinten Nationen gegeben ist, stellen.
Die menschenrechtlichen Gremien der Vereinten Nationen stellen ein geeignetes Feld für geistige und politische Auseinandersetzungen dar. Ost und West ringen dort um die künftige Einstellung der Dritten Welt zur Frage der Definition der Menschenrechte und ihrer Deutung. Diese Möglichkeit blieb bislang ungenutzt. Die Bundesrepublik Deutschland hat gute Freunde in der Welt - auch außerhalb unseres westlichen Bündnisses -, die bereit wären, international und langfristig bei der Lösung der deutschen Frage mitzuhelfen. Diese Staaten haben nicht nur in der UNO ein gewichtiges Wort. Chancen blieben ungenutzt - zum Schaden unseres Landes.
Die Vorleistungspolitik der Regierungskoalition in Richtung Osten hat sich eben nicht ausgezahlt. Im Gegenteil: Die östliche Seite ist nur begehrlicher und hochmütiger geworden.
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Die Ernüchterung ist auf der Seite derer, die einst auszogen, den Frieden sicherer zu machen, wie sie sagten. Diese Haltung ist schlichtweg, wie man den Eindruck hat, in Defätismus umgeschlagen. Sie reden kaum mehr von den rechtlichen und politischen Grundlagen unseres staatlichen Selbstverständnisses. Sie verschweigen das konkrete Verhältnis der Bundesregierung zum SED-Regime. Sie vernachlässigen in der internationalen Diskussion nicht nur unsere Sicht des Berlin-Problems, sondern legen den Flor des Verschweigens um das Wollen aller Deutschen, das Wollen zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit.
Dazu kann und darf die Opposition nicht schweigen. Deshalb hat in diesen Tagen die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag ein deutschlandpolitisches Grundsatzpapier vorgelegt, das im In-und Ausland erhebliches Interesse und auch Zuspruch gefunden hat. Bei der Kritik aus dem Lager der SPD ist bemerkenswert, daß Herr Kollege Bahr das Papier „entlarvend" nannte. Es führe zum Rückfall in einen sehr kalten Krieg - mindestens, so meinte er.
Entlarvend ist, daß Egon Bahr im Grunde wieder einmal den gleichen Standpunkt bezog wie die Moskauer Propaganda,
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und dies, obwohl unser Grundsatzpapier der Sowjetunion gar nichts will, sondern nur dem Ziel nachstrebt, daß Deutschland wieder so intakt werde, wie auch die Sowjetunion und jedes andere Land intakt bleiben will, obwohl sich also unser Grundsatzpapier getreu unserer Verfassung zu nichts anderem als zur Selbstbestimmung und Wiedervereinigung bekennt und hieraus nur pflichtgemäß die nach dem Karlsruher Grundvertragsurteil gebotenen Konsequenzen zieht.
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Wichtiger als die im Einklang mit Moskau stehende Polemik der SPD - die Ausführungen von Herrn Bahr hat die „Prawda" ja als ein besonderes Indiz aufgeführt - ist das differenzierte, wenn auch kritische Verhalten der FDP, die unserem Papier immerhin Diskussionswürdigkeit und Realismus zubilligt. Maßgebend ist für uns aber das breite, allgemeine Echo, das unsere Aussage zur Deutschlandpolitik gefunden hat.
Wir sind mit unseren Vorstellungen in einer Zeit an die Offentlichkeit getreten, in der der Gedanke der deutschen Wiedervereinigung durch zwei bemerkenswerte Vorgänge im Ausland und bei uns seine politische Aktualität und Brisanz bewiesen hat. Zum einen hat eine Umfrage in westeuropäischen Staaten zur Überraschung weiter Kreise in unserem Land ergeben, daß die Mehrheit der Völ6162
ker in Westeuropa nicht nur Verständnis für den Willen der Deutschen zur Einheit hat, sondern diesen Willen auch als selbstverständlich erachtet. Damit ist endlich einmal den immer wieder in Umlauf gesetzten Thesen und Theorien die Grundlage entzogen, unsere westlichen Freunde stünden einer deutschen Wiedervereinigung mit ablehnender Haltung gegenüber.
Das zweite ist das Manifest der SED-internen kommunistischen Opposition. Es ist ein weiterer Nachweis für das unbeirrte und unbeirrbare gedankliche Festhalten an einer deutschen Nation. Das ist um so bemerkenswerter, als die SED-Propaganda seit Jahren nicht mehr müde wird, den Nationsbegriff dadurch zu pervertieren - das ist wirklich eine törichte Ausgeburt des Klassenwahns -, daß sie den Unsinn einer sozialistischen Nation propagiert.
Was tut die Bundesregierung angesichts dieser beachtlichen Vorgänge? Sie betreibt eine Verschwörung des Schweigens. Sie bagatellisiert, minimalisiert den positiven Inhalt dieser beiden Vorgänge.
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- Herr Kollege Wehner, Sie lesen doch sonst so viel; ist Ihnen das schon wieder entfallen? - Ja, sie widerspricht in unqualifizierter Weise vor aller Offentlichkeit den für unsere nationalen Belange positiven Ansätzen. Wenn sich Regierung und SPD gründlichere Gedanken über die Authentizität des Manifestes gemacht hätten, wenn sie die innere Situation der DDR analysieren würden, müßten sie doch in bezug auf die Beschreibung der Klassengesellschaft der DDR zu der Erkenntnis gelangen: Millionen in Mitteldeutschland denken genauso, und Tausende könnten genauso schreiben, wie das in diesem Papier geschehen ist.
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Woraus resultieren diese totale Fehleinschätzung der wahren Lage, diese abwegige Haltung hinsichtlich unserer nationalen Rechte und Interessen und der erschreckende Mangel an Engagement für die Möglichkeiten Deutschlands und der Deutschen in einer sich offenbar verändernden Welt? Der praktische Wille zur Verständigung mit dem Sowjetkommunismus stand am Anfang der Ostpolitik 1969. Obwohl die andere Seite aber keine Verständigung, sondern nur den kalt kalkulierten Vorteil unter gleichzeitiger Schwächung unserer Position will, steht die Bundesregierung so ratlos da wie heute. Daraus erklärt sich auch das Bild, das sie abgibt. Da diese Regierung aber gut dastehen möchte, ist sie im Grunde so erpreßbar. Das ist die eine Seite des Problems.
Die andere Seite ist der über die De-facto-Anerkennung hinausgehende Wille zur langfristigen Hinnahme der deutschen Teilung. Nun muß auch die Regierungskoalition erkennen, daß beide Ansätze falsch sind, weil die Deutschen hüben und drüben nicht mitziehen, weil sogar die westeuropäischen Völker die Teilung Deutschlands als normal empfinden.
Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition sind einfach von der historischen Entwicklung
überrollt worden, einer Entwicklung, die die geschilderten Elemente der sogenannten neuen Ostpolitik in Frage stellt. Unsere Kritik, daß der Weg einer falsch verstandenen Normalisierung mit dem System, das Grund- und Menschenrechte mißachtet, eines Tages in eine Sackgasse führt, ist heute bestätigt.
Der Mangel an deutschlandpolitischem Engagement der Regierungskoalition resultiert weitgehend aus der Fehleinschätzung auch dessen, was Nation bedeutet. Das haben die Ausführungen des Herrn Kollegen Bahr deutlich gemacht. In unserem Papier heißt es:
Die geschichtlich gewachsenen Nationen sind natürliche Ordnungselemente der Menschheit. Jeder Nation wohnt ein natürliches Bedürfnis nach Erhaltung ihres Bestandes in Freiheit und nach gesicherter Fortentwicklung inne. Politisch wichtigster Ausdruck dieses Bedürfnisses ist der Wille zum eigenen Staat, zur staatlichen Einheit.
Das, meine sehr verherten Damen und Herren, ist kein Nationalismus.
Am 17. Juni des vergangenen Jahres hat mein Kollege Dr. Zimmermann hier festgestellt, daß Nationen nicht geteilt bleiben. Wir Deutschen sind von den großen kulturell und politisch seit jeher eigenständigen Nationen der Erde die einzige Nation, deren Staat gewaltsam geteilt ist. Dieser von unserem Volk weder gewollte noch verursachte Zustand ist ungerecht, unwürdig und angesichts der Mittel, mit denen er aufrechterhalten werden muß, weil er nur so aufrechterhalten werden kann, wie Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl und Tötungsautomaten, auch unerträglich.
Dieser Zustand kann vielleicht schon morgen, mit Sicherheit aber in der Zukunft Krisen in Europa verursachen. Wir haben am 17. Juni auch gesagt, daß für den Fall der Aufgabe des Anspruchs auf Einheit durch den freiheitlichen Teil unseres Landes der andere Teil den Anspruch an sich ziehen könnte. Hierzu sage ich: Es darf, wenn uns das Wohl unseres Landes am Herzen liegt, in der deutschen Geschichte ganz einfach nicht mehr vorkommen, daß sich die vom Ursprung her zusammengehörenden Gedanken der freiheitlichen Demokratie und der nationalen Einheit wieder auseinanderleben und sich dementsprechend, wie schon einmal gehabt, wieder freiheits- und demokratiefeindliche Kräfte als die wahren Gralshüter der Nation und ihrer Lebensrechte aufspielen.
Dieser Gefahr treten die Unionsparteien mit Entschiedenheit entgegen: Gleichzeitig treten wir dem damit verbundenen Trend entgegen, daß die Politik der falsch verstandenen Normalisierung zur staatlich geförderten Gewöhnung an die unhaltbaren, ungerechten und krisenhaften Zustände im Herzen Europas wird.
Die bisherigen menschlichen Erleichterungen sind, gemessen an einem wirklichen Normalzustand des friedlichen Nebeneinanders von Staaten, nicht ausreichend. Bis zur Verwirklichung des Art. 1 des Grundlagenvertrages, in dem das als Forderung
aufgeführt ist, ist es augenscheinlich noch ein be trächtlicher Weg. Wir sind heute schon so weit, daß wir den Konsens über den Dissens von der Bundesregierung als insgesamt positiv vorgesetzt bekommen. Die Antwort der Bundesregierung vom 23. Februar auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ist ein klassisches Beispiel von Schönfärberei.
Vertragsbrüche und Schikanen der SED-Führung und ihrer Vollzugsorgane werden überhaupt nicht erwähnt. All das, was wir hier in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, wird in Formulierungen wie „noch unbefriedigend" und ähnlichen Formulierungen verpackt. Nur zu den Folgevereinbarungen, deren Verhandlungen ausstehen und unterbrochen werden, sind vorsichtige Feststellungen des Scheiterns angemerkt. Zu der Tatsache, daß ausgerechnet die geplanten Abkommen, die den Menschen in Mitteldeutschland direkt zugute gekommen wären, bis heute nicht zustandegekommen sind, äußert sich die Bundesregierung überhaupt nicht. Fürwahr, das ist kein gutes Dokument.
Den propagandistischen Nebelwerfern, die die wahren Ergebnisse der Deutschland- und Ostpolitik zu verschleiern versuchen, setzen wir unser klares Bekenntnis entgegen.
Da wir ein Volk sind, haben uns die Väter des Grundgesetzes den Auftrag auf den Weg gegeben, auch für jene Deutschen zu handeln, denen mitzuwirken versagt ist.
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Dieser Auftrag besteht weiterhin, gleichviel wie gut oder wie schlecht er in den letzten Jahren erfüllt wurde. Wir meinen aber: Er ist heute und in Zukunft aktueller denn je. Wir erleben, daß der Auftrag des Grundgesetzes nunmehr spontan umgekehrt wird: Jene, denen mitzuwirken versagt ist, können nicht durch die schlimmste Unterdrückung daran gehindert werden, mitzudenken.
Wir sehen den Auftrag unserer Verfassung als sittliche Verpflichtung für unsere Politik, die die Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs mit einschließen muß. Im Mittelpunkt der Politik gegenüber der DDR und gegenüber auch der Sowjetunion muß der ungebrochene Wille stehen, für unsere Landsleute Menschenrecht und Selbstbestimmung zu erringen und so auf dem Wege zur Wiedervereinigung voranzukommen.
Die UNO-Menschenrechtskonvention wurde von der DDR und den anderen Ostblockstaaten ratifiziert. Damit hat sich auch die SED-Führung zur Einhaltung und Gewährung von Grund- und Menschenrechten verpflichtet, und zwar zur Gewährung des Rechts auf Freizügigkeit ebenso wie zur Verpflichtung, echte wiederkehrende, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen durchzuführen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist. Die DDR muß ständig, tagtäglich an ihre Unterschrift erinnert werden.
Die Union tritt ebenso für innerdeutsche Verhandlungen ein. Sie müssen dem Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung Rechnung tragen. Sie müssen sicherstellen, daß bereits
geschlossene Verträge voll ausgeschöpft werden und Vertragsbrüche seitens der DDR unterbleiben. Sie müssen über menschliche Erleichterungen wie Reiseerleichterungen und Familienzusammenführung hinausgehen und im weitesten Sinn auf die Verwirklichung der Menschenrechte für die Menschen in Mitteldeutschland hinwirken. Sie müssen die Isolierung der wirtschaftlichen von den politischen Beziehungen aufheben, das heißt, die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile durch die Bundesrepublik Deutschland soll auch von der Vertragstreue der DDR und ihren politischen Zugeständnissen abhängen, die den Menschen drüben wirklich zugute kommen.
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Die Wiedervereinigung unseres geteilten Vaterlandes ist eine geschichtliche Notwendigkeit. Sie bleibt es auch dann, wenn der historische Prozeß lange Zeit in Anspruch nimmt. Sie ist für die dauerhafte Friedenserhaltung in Europa und in der Welt unverzichtbar. Sie kann durch eine falsche Politik erschwert werden, vor allem wenn im Zuge dieser Politik jene Kräfte Stärkung erfahren, die die Aufrechterhaltung der gewaltsamen Teilung Deutschlands wollen. Verhindert werden aber kann sie auf die Dauer nicht.
Wer dies erkennt und unerschrocken und folgerichtig im Sinne der Einheit Deutschlands und der deutschen Nation handelt, dem wird die Zukunft gehören.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten zwei Wochen hat die Opposition eine sehr umfassende deutschlandpolitische Offensive für den heutigen Tag angekündigt. Vor allem hat sie ein neues deutschlandpolitisches Konzept gefordert und auch angekündigt, es einzubringen. Aber vielleicht kommt dies noch im Verlauf des heutigen Tages. Statt dessen gibt es Formulierungen, die dazu verleiten könnten, an den Oppositionsführer anzuschließen, als er Max Frisch zitierte und sagte: „Die Lüge beginnt mit dem Verschweigen." Da gibt es auch eine Opernarie, Herr Kollege Lemmrich: „Die Verleumdung ist ein Lüftchen." Auf Seite 4 Ihres Manuskripts, das ja vorher schon verteilt war, lese ich: Der praktische Wille zur Verständigung mit dem Sowjetkommunismus - nicht mit dem Staat Sowjetunion, sondern mit dem Sowjetkommunismus; das ist ja ein feiner Unterschied für den, der hören kann - stand am Anfang der Ostpolitik 1969. Da diese Regierung gut dastehen möchte, ist sie im Grunde erpreßbar. - Solche Feststellungen sind im Parlament natürlich bereits das Ende der Diskussion.
Soweit es um den Oppositionsführer geht, hat er Altes und Neues gebracht. Darüber wird . zu reden sein.
Friedrich ({0})
Die CDU hat vor dieser Debatte zwei Papiere eingebracht: ein Papier der CDU und ein Papier der CSU. Es ist noch nicht klargeworden, warum dies geschehen ist.
({1})
Es wird also den Fraktionen der Regierungsparteien überlassen bleiben, diesen Unterschied herauszuarbeiten.
Herr Dr. Kohl hat die Vertragstreue betont. Dies wird vor allem an Hand des CSU-Papiers ganz nüchtern zu prüfen sein. Was mir auffällt, Herr Dr. Kohl, ist, daß Sie meinen, Ostpolitik bestehe im Austragen und im Hervorheben des ideologischen Konflikts, und daß Sie daran die Erwartung einer möglichen Wiedervereinigung knüpfen. Wer von Ostpolitik spricht, sollte nicht vergessen, daß Deutschland seine staatliche Einheit vor 100 Jahren durch die Rückendeckung Rußlands gefunden hat. Ich stelle dies nur ganz nüchtern fest. Wer meint, gegen die Sowjetunion, eine der vier Siegermächte, die Wiedervereinigung in der Art zu erreichen, wie Sie heute diskutieren, begibt sich in eine schlimme Selbsttäuschung.
Der Bericht zur Lage der Nation kann nicht von einer fiktiven ganzen deutschen Nation ausgehen, wie sie einmal kommen soll, sondern er soll die deutsche Nation in ihrer gegenwärtigen, in ihrer realen Situation beschreiben, wie sie nun einmal ist. Und nun ist diese deutsche Nation 1978 der mächtigste und eindrucksvollste Torso einer Nation in der heutigen Welt: auseinandergesprengt durch zwei Weltkriege, beide Teile festgehalten von einander sich heftig abstoßenden Magnetfeldern der Weltpolitik. Das ist unsere Lage. Deutschlandpolitik beginnt mit der Einsicht, daß keiner der beiden Staaten für sich allein - auch nicht beide zusammengenommen, wenn sie wollten - die Kraft haben wird, die Bindungen an das westliche oder östliche Magnetfeld der Weltpolitik aufzuheben. Sie wollen dies auch nicht, weder die Bundesrepublik Deutschland noch die Deutsche Demokratische Republik. Damit sind bereits die engen Grenzen sichtbar, die jeder Regierung in beiden deutschen Staaten gezogen sind.
Was. kann also angesichts solcher vorgegebener Bedingungen deutsche Nation sein? Wir begrüßen, daß die Bundesregierung die Lage der Nation von der vorgegebenen Realität aus beurteilt und sich nicht zu verwegenen Spekulationen oder unerfüllbaren Forderungen hinreißen läßt. Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen der Koalition ist eine sehr nüchterne, eine realistische, eine illusionsfreie Politik. Die Lage der Nation verlangt dies. Weil wir die Lage der Nation so nüchtern betrachten, sind wir nicht die schlechteren Parioten. Das deutsche Volk ist ein Volk mit großen Leistungen, nicht nur in Wissenschaft und Wirtschaft, auch in der Kultur, in Philosophie, Literatur und Musik. Deshalb bekennen wir uns zur Nation. Wir haben der Welt als Nation viel gegeben, auf das wir stolz sein können. Aber, auch das muß hinzugefügt werden, in der Politik waren wir unterdurchschnittlich, und kein Volk hat die Fehleinschätzung seiner nationalen Wünsche und die
Fehleinschätzungen seiner nationalen politischen I Führer, die diese Wünsche weckten, so teuer bezahlen müssen wie das deutsche Volk.
Wer nun nicht von Natur blind ist oder absichtlich die Augen für die bedeutendsten Weichenstellungen der deutschen Geschichte verschließt - 1866 Krieg mit Osterreich, 1871 Reichsgründung in Versailles, 1914 und 1919 Ende des Kaiserreichs, 1939 und 1945 die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges -, stellt fest: Immer waren es Krieg, Gewalt und Diktatur, die den Weg der Nation bei der Lösung der deutschen Frage bestimmt haben. So hat Bismarck recht behalten, als er 1849 an seine Frau schrieb: „Die deutsche Frage wird nicht in den Parlamenten, sondern in der Diplomatie und im Felde entschieden, und alles, was wir darüber schwätzen und beschließen, hat nicht mehr Wert als die Mondscheinbetrachtungen eines sentimentalen Jünglings ..." .
Die deutsche Nation, also zusammengefügt durch Gewalt und auseinandergerissen durch Gewalt, das war die politische Wirkung eines nationalen Freiheitsbegriffes, der nur nach draußen gerichtet war. Deutsch war lange, was in diesem Sinne national war, und wer in diesem Sinne national war, der war auch deutsch. So entstand das schlimme Wort „deutschnational". Das war mehr als ein Wort, es hat neue Wörter gezeugt wie „Siegfrieden" 1916, „Schandfrieden" 1919 oder „Revisionspolitik", das Motiv der Deutschnationalen, um Hitler zu unterstützen.
Wir Deutsche sind durch zwei Weltkriege so grausam bestraft worden, daß wir gehalten sind, das Wort „Nation" mit sehr nüchternem Kopf auszusprechen. Deshalb muß die Lösung der nationalen Frage mit Frieden verbunden sein, mit Frieden auch im Innern, mit Freiheit, mit Gerechtigkeit, vor allem aber mit Gewaltverzicht. Damit bin ich bei einer der wichtigsten Fragen dieser Debatte. Gewaltverzicht heißt für uns nicht nur Verzicht auf Lösungen der deutschen Frage durch Krieg oder politische Pression. Als politisches Mittel in der deutschen Frage ist uns auch die Konfliktpolitik des Kalten Krieges ein untaugliches Mittel. Für denjenigen, der dennoch für die Nation handeln will, ist deshalb Vertragspolitik die einzige Möglichkeit. Nach dem Scheitern jener Doktrin, bekannt unter dem Namen „Hallstein-Doktrin", die politisch besagte, eine Entspannung in Europa dürfe es nur nach der Wiedervereinigung geben, bleibt als einziger gewaltfreier Weg nur die Chance einer Vertragspolitik, der, so wie die Machtlage nun einmal ist, die Chance einer nationalen Einheit erst am Ende eines langwierigen Entspannungsprozesses erhoffen läßt.
Was kann nun Vertragspolitik bringen? Die Vertragspolitik der sozialliberalen Koalition war nie so vermessen, vom Grundlagenvertrag mit der DDR die baldige nationale Einheit zu erwarten. Wohl aber erhofften wir für die Menschen der beiden deutschen Staaten weniger Trennung. Dieses Weniger an Trennung ist erreicht, und wir sind der Bundesregierung dankbar. Wir erwarten, ja, wir fordern von ihr, daß ; sie diesen Weg zur verminderten Trennung weiterFriedrich ({2})
geht und daß sie diesen Weg auch in schwierigen Zeiten geduldig, zäh und beharrlich offenhält.
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Daß diese Vertragspolitik mit der DDR kein Ausprobieren anderer Möglichkeiten, kein Ausprobieren für eine begrenzte Zeit sein kann, dies war eine Grundentscheidung der deutsch-deutschen Beziehungen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht, das heute schon mehrmals zitiert worden ist, in der Begründung seines Urteils zum Grundlagenvertrag festgestellt. Das Bundesverfassungsgericht sagte - wenn ich zitieren darf, Herr Präsident -:
Der Grundlagenvertrag ist kein beliebig korrigierbarer Schritt wie viele Schritte in der Politik,. sondern er bildet, wie schon sein Name sagt, die Grundlage für eine auf Dauer angelegte neue Politik. Dementsprechend enthält er weder eine zeitliche Befristung noch eine Kündigungsklausel. Er stellt eine historische Weiche, von der aus das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik neu gestaltet werden soll.
Über den Charakter des Staatswesens DDR und im Zusammenhang mit den Beziehungen sagt das Bundesverfassungsgericht u. a. - ich darf wieder zitieren -:
Die Deutsche Demokratische Republik ist im Sinne des Völkerrechts ein Staat und als solcher Völkerrechtssubjekt. Diese Feststellung ist unabhängig von einer völkerrechtlichen Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik durch die Bundesrepublik Deutschland.
Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus:
Das Besondere dieses Vertrages ist, daß er zwar ein bilateraler Vertrag zwischen zwei Staaten ist, für den die Regeln des Völkerrechts gelten und der die Geltungskraft wie jeder andere völkerrechtliche Vertrag besitzt, aber zwischen zwei Staaten, die Teile eines noch immer existierenden, wenn auch handlungsunfähigen, weil noch nicht reorganisierten umfassenden Staates Gesamtdeutschland mit einem einheitlichen Staatsvolk sind, dessen Grenzen genauer zu bestimmen hier nicht nötig ist.
Soweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danach - und wer sich auf das Bundesverfassungsgericht beruft, kann eben diesen Teil der Urteilsbegründung nicht ausschließen - ist der Charakter der DDR als Völkerrechtssubjekt unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht betont, daß sich die Bundesrepublik Deutschland und die DDR in einem Vertrag, der die Geltung wie jeder andere Völkerrechtsvertrag besitzt, respektieren, daß es sich um eine auf Dauer angelegte neue Politik handelt, ohne zeitliche Befristung, ohne Kündigungsklausel.
In diesem Zusammenhang - und nur in diesem Zusammenhang - muß der Satz des Bundesverfassungsgerichts gesehen werden, daß kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben darf. Denn dieser Satz bedeutet eben nicht, der DDR den Charakter eines souveränen Staates im Sinne des Völkerrechts zu verweigern, im Gegenteil, auch die Respektierung der DDR als Staat ist bindender Teil des zeitlich unbefristeten Grundlagenvertrages. Und wenn Sie sich, Herr Kohl, heute auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen, dann ist auch dieser Teil für Sie bindend.
Dieser Vertrag bindet jede Bundesregierung, jedes Bundesorgan, auch jede Regierung der DDR. Auf diesen Grundlagenvertrag sollte sich politisch nur berufen, wer seine Prinzipien nicht bestreitet. Er ist die Grundlage des einheitlich Ganzen in der Deutschlandpolitik. Wenn Sie in Ihrer Resolution - wenn sie eingebracht werden sollte - laut Ihrer Pressestelle ein einheitlich Ganzes verlangen, dann ist dies der mit der DDR abgeschlossene Grundlagenvertrag als die vertragliche Grundlage der Beziehungen der beiden deutschen Staaten.
Nun ist die Haltung der Opposition zu diesem Vertrag zweideutig. Zwar hat der Oppositionsführer Dr. Kohl heute erneut erklärt - wie schon mehrfach in diesem Hause -, die CDU stehe zu den Verträgen. Doch ist die Glaubwürdigkeit Dr. Kohls durch jüngste Erklärungen aus seiner Fraktion ins Zwielicht geraten. Am 23. Februar dieses Jahres hat in Bonn die Landesgruppe der CSU, die mit der CDU einen Koalitionsvertrag für eine gemeinsame Fraktion hat, ein deutschlandpolitisches Grundsatzpapier vorgelegt. In diesem Papier, in dem sehr unverhüllt die maximalistischen Positionen der 50er Jahre bezogen werden, wird die DDR im Gesamttext so definiert, daß daraus eine völkerrechtliche Diskriminierung des Grundlagenvertrages wird. Die DDR wird nicht als völkerrechtlicher Vertragspartner, sondern als Provisorium - wie es heißt - behandelt. Soweit sie namentlich erwähnt wird, wird sie in Anführungszeichen geschrieben. Meist heißt es „SED-System", „Mitteldeutschland", das abhängig sei von der „russischen Besatzungsmacht". Seit der Veröffentlichung dieses Grundsatzpapiers der CSU kann der Oppositionsführer deshalb nicht mehr glaubwürdig behaupten - er weiß sehr wohl, warum er heute nicht zu diesem Papier hier Stellung genommen hat -, daß die CDU/CSU-Fraktion auf dem Boden der Verträge steht. Aber er kann dies nicht einmal für die CDU voll erklären; denn am 16. Februar bezweifelte der Vorsitzende des Arbeitskreises Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Werner Marx, in einer Fernsehdiskussion - wörtlich -, „ob die DDR überhaupt ein wirklich vertragswürdiger Staat ist".
({4})
Im Grundsatzpapier der CSU steht eine weitere Formulierung
({5}) - Sie können ja nachher sprechen -,
({6})
Friedrich ({7})
die über das deutsch-deutsche Verhältnis hinaus wirken wird, eine Formulierung, die geeignet ist, alles zu vergiften, was an internationalem Vertrauen seit 1945 im Verhältnis zu den Nachbarn geschaffen worden ist. Da heißt es im CSU-Papier, und zwar im Abschnitt „Zur Rechtslage",
Heute interessiert in erster Linie, in welchem rechtlichen Verhältnis die Bundesrepublik Deutschland und das von der SED beherrschte Mitteldeutschland zueinander stehen, wenngleich auch die Frage der Oder-Neiße-Gebiete
- nun kommt es! und solcher Reichsteile, die außerhalb der Grenzen vom 31. 12. 1937 liegen, von großer Wichtigkeit ist.
Was ist nun - diese Frage muß hier gestellt werden, und wir erwarten eine Antwort - mit den „Reichsteilen außerhalb der Grenzen von 1933" gemeint, Herr Kohl, die in einem Atemzug mit den Oder-Neiße-Gebieten genannt werden, vor allem: Welche Reichsteile sind gemeint? Können Sie als Fraktionsvorsitzender darüber Auskunft geben, was die Landesgruppe - ein Teil Ihrer Fraktion - meint, wenn sie in einem Grundsatzpapier, beschlossen in Kreuth, zum erstenmal in diesem Lande die Formulierung einführt „Reichsteile außerhalb der Grenzen von 1937" ? Meinen Sie Westpreußen, meinen Sie Danzig
({8})
oder Elsaß-Lothringen, oder bezeichnen Sie als Reichsteile die von Hitler nach 1937 einverleibten Gebiete, zum Beispiel die der Tschechoslowakei oder Osterreich? Im Interesse der Außenpolitik dieses Landes müssen wir Sie auffordern, hier zu erklären, was Sie mit „Reichsteilen außerhalb der Grenzen von 1937" meinen!
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Ich habe zu diesen Vorgängen eine Feststellung und zwei Fragen. Herr Kohl, wenn Sie der Meinung sind, daß die CDU auf dem Boden der Verträge steht, sind Sie dann hier in der Lage zu erklären, daß die CDU das Papier der CSU-Landesgruppe ablehnt? Zweitens: Sind Sie bereit, über das Papier der CSU-Landesgruppe - Ihres Fraktionskoalitionspartners - in Ihrer Fraktion eine Abstimmung herbeizuführen und das Ergebnis der Offentlichkeit mitzuteilen?
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Sind Sie in der Lage, auch durch Abstimmung Ihrer Fraktion die Formulierung von den „Reichsteilen außerhalb der Grenzen von 1937" vom Tisch zu nehmen? Es ist fast überflüssig, hinzuzufügen, daß vom Geist des deutschlandpolitischen Überdenkens auf dem CDU-Parteitag im März genau vor einem Jahr, der noch einen Mann wie Professor Gasteyer hörte, ih beiden Papieren nichts zu spüren ist. Daß es einen Gegensatz zwischen CDU und CSU gibt, kann jeder feststellen, der das CDU-Papier liest. Jedermann kann nachprüfen, daß die CSU in ihrem Papier auch die Entschließung vom 10. Mai 1972 verlassen hat.
Zur Frage der Vertragswürdigkeit, die Herr Marx im Fernsehen bezweifelte, möchte ich nur eines feststellen. Nach dem Bruch vieler völkerrechtlicher Verträge durch das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1945
({11})
kommt es nicht darauf an, ob die Bundesrepublik Deutschland oder die Deutsche Demokratische Republik vertragswürdig ist, sondern im Interesse der ganzen Nation sollten beide deutschen Staaten den Willen haben zu beweisen, daß beide deutschen Staaten vertragswürdig sind. Dies ist unsere nationale Aufgabe vor der Welt.
({12})
Ich will nicht dem ausweichen, was der deutschlandpolitische Sprecher der Opposition, Professor Abelein, in seinem „Welt"-Interview als „einfallslose Außenpolitik" bezeichnet hat, was ja am ehesten durch genaues Abklopfen dessen geschieht, was Professor Abelein selbst an Neuem eingefallen ist. Herr Kollege Abelein sieht laut „Welt"-Interview vom 28. Februar drei Ebenen der Politik, auf denen man überhaupt operieren kann. Was sind nun diese drei Ebenen? Erstens: „Gespräche mit der DDR und der sowjetischen Hegemonialmacht." So wörtlich Herr Kollege Abelein. „Gespräche mit der DDR" - ein ungeheuer neuer Vorschlag. Ist nun die CDU/ CSU acht Jahre nach den Gesprächen Brandt/Stoph in Erfurt und Kassel wenigstens in der Lage, so wie Brandt vor acht Jahren, präzise die Sachpunkte der von ihr angestrebten Gespräche zu nennen, oder müssen Sie dies erst noch überlegen, so daß wir hier heute darauf warten mußten?
Zur zweiten Operationsebene der Union. Sie besteht aus einem abgewogenen Katalog finanzieller und wirtschaftlicher Sanktionen. Kommen wir zum Punkt. Der innerdeutsche Handel belief sich 1977 auf 8,66 Milliarden Verrechnungsmark, der Handelsbilanzsaldo belief sich auf 525 Millionen Verrechnungseinheiten zugunsten der Bundesrepublik. Sich ,selbst zu bestrafen, das ist eine hervorragende Ausgangsposition, um die DDR zu strafen! In welcher Branche, meinen Sie, sollen nun die Sanktionen beginnen? Legen Sie doch hier den Katalog vor, damit wir darüber diskutieren können! Was kommt zuerst, die Landwirtschaft, der Maschinenbau, die Elektroindustrie, um die wichtigsten Handelsbranchen zu nennen? Wollen Sie bei uns rechtzeitig die betroffenen Firmen informieren, sollen die bei uns von diesen Sanktionen betroffenen Firmen dann Entschädigungen erhalten, und wie beurteilen Sie die Auswirkungen solcher Sanktionen auf den gesamten Osthandel, von dem wir wissen, daß er sich sehr langfristig orientiert? Herr Abelein, wenn Sie nachher über Sanktionen sprechen, dann bitte zur Sache.
Befand sich der bayerische Staatsminister für Wirtschaft, Herr Jaumann, auf der Operationsebene seiner eigenen Partei, der CSU, als er laut „Mainpost" vor zehn Tagen in Moskau erklärte Friedrich ({13})
ich zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Wir wollen Ihnen nicht verkaufen, was wir im Überfluß produzieren. Wir wollen Ihnen liefern, was Sie brauchen.
Das ist auch sehr interessant im Zusammenhang mit dem, was Franz Josef Strauß am 12. April des vergangenen Jahres erklärte. Datum dieses Zitats: der gleiche Tag, an dem Herr Abelein sein Interview in der „Welt" über die Sanktionen veröffentlichte, nämlich der 28. Februar dieses Jahres. Es ist nun die Frage, ob Sie dort - außenpolitisch - mit solchen Karten und hier - innenpolitisch - mit solchen Karten spielen. Ja, ich möchte Ihnen nicht einmal unterstellen, daß Sie das bewußt tun, sondern die Realitäten kommen, wenn Sie mit deutschen Firmen nach Moskau fahren, sehr schnell auf den Tisch, wohin sie in diesem Bundestag leider nie gelangt sind.
({14})
Nun das dritte Operationsfeld des Abgeordneten Professor Abelein. Er sagt wörtlich in der „Welt":
Die Status-quo-Interessen der Weltmächte, auch gewisse Status-quo-Interessen im westlichen Bereich sind nicht die unseren.
Dazu kann ich nur sagen, das ist schlimm, weil mißdeutbar, lebensgefährlich für die Interessen und die Sicherheit West-Berlins.
Kurz: das einzig Glaubwürdige an der neuen deutschlandpolitischen Initiative der CDU/CSU - Sie haben sie angekündigt, und deshalb haben wir das Recht, hier danach zu fragen - ist ihre Oberflächlichkeit, ihre leichtfertige Polemik und ihr innerer Widerspruch.
({15})
Die Union kann das, was sie eine neue deutschlandpolitische Initiative nennt, nicht im einzelnen erklären. Sie kann damit auch nichts bewegen. Da ist nichts, was in der Realität, in der Praxis einen Fortschritt bedeuten würde. Man muß einmal die Handlungskette der Operationsfelder des deutschlandpolitischen Sprechers der Union aneinanderhängen: Gespräche mit der DDR, dann Sanktionen gegen die DDR, Distanzierung von den eigenen Alliierten und als Ergebnis die Wiedervereinigung. So einfach ist das. Dennoch sind wir Ihnen dankbar für das, was Sie eine deutschlandpolitische Initiative nennen, denn es ist der Beweis der Absurdität Ihrer Deutschland- und Ihrer Auslandpolitik.
({16})
Insoweit war dies heute eine wenig ergiebige Diskussion.
Dem Bundeskanzler muß Dank gesagt werden für die Art der Behandlung der deutschen Frage in seinem Bericht,
({17})
dessen ungeschminkte Klarheit der deutschen Realität gerecht geworden ist. Die kühle Sachlichkeit, mit
der der Bundeskanzler hier die deutschen Themen
behandelt hat, ohne Schönfärberei, ohne Vertuschen von Konflikten, erlaubt eine Bilanz des Erreichten. Insgesamt - dies ist für uns das Ergebnis seines Berichtes - ist die hier gegebene Gesamtbilanz besser als der äußere Eindruck der durch einzelne Vorgänge zeitweise belasteten Beziehungen. Deshalb sehen wir in der Gesprächsbereitschaft des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR einen sinnvollen Ansatz zur weiteren Normalisierung. Der Deutsche Bundestag sollte sich von der Fortentwicklung der Beziehungen selbst nicht aussparen, sondern mit der Regierung gemeinsam danach streben, eine konstruktive Rolle bei der Fortentwicklung der Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu übernehmen.
({18})
Zwei Probleme, die in den Beziehungen zur DDR die Öffentlichkeit stark beschäftigen, sollen hier nicht ausgeklammert werden: das Problem der Fluchthelfer und das der Dissidenten.
Die Fluchthelferprozesse in der DDR mit ihren hohen Strafen sind ein schlimmer Teil des deutschen Trauerspiels, auch ein Beweis, daß dieses System nicht das halten kann, was es seinen Bürgern in seiner eigenen Verfassung verspricht. Dies ist vor allem schlimm bei ungelösten Fällen der Familienzusammenführung, wenn Menschen aus Verzweiflung das Risiko einer kommerziellen Fluchthilfe eingehen. Zugleich weiß ich aber aus meinem eigenen Wahlkreis, 'daß es sehr kühle Geschäftsleute gibt, die rechtskräftig, in rechtlicher Übereinstimmung mit guten Sitten, in Gaststätten, in Diskotheken leichtfertige oder labile junge Menschen ausspähen, mit frisierten Autos und großen Geldversprechungen auf Transitwege schicken, selbst aber ohne Risiko den Hauptgewinn einstreichen und so als Maden im Speck des deutschen Elends reich werden, reich werden dürfen, während andere für sie lebenslänglich verurteilt werden.
Uns bleibt hier nur, Schritt um- Schritt - ein anderer Weg bleibt uns nicht -, zäh und geduldig Bedingungen zu schaffen, die manches verbessern. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung alles tut, um ohne große Worte nach außen hin denen zu helfen, die in Not und die in Haft geraten sind. Hier danken wir dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen für die Art, wie er dieses Problem angeht.
({19})
Nun zu den Dissidenten. Wir sehen in der Dissidentenbewegung mehr als den Konflikt des Systems mit unbequemen Intellektuellen. Als politische Idee befindet sich der Kommunismus in ganz Europa in einer Krise der Anpassung an die Strukturen der modernen Industriegesellschaft. Im übrigen wünsche ich mir, daß dieses Haus einmal fähig wird, sehr unbefangen die Anpassungskrisen der gesamten Industriegesellschaften, ganz gleich welcher Systeme, zu diskutieren. Es ist nämlich so, daß manches, was sich bei den kommunistischen Staaten in bestimmten Formen äußert, auch bei uns auftaucht, wenn auch hier bei uns in anderer Form. Ich selbst bin der Meinung, daß diese Entwicklung für den
Friedrich ({20})
Frieden eine Chance sein könnte. Sie ist nicht nur für die kommunistischen Bürokratien, sondern sie ist auch für die Demokratien im Westen eine Herausforderung.
Ich möchte an einem sehr einfachen Beispiel erklären, was ich meine. Im CSU-Papier bezieht man sich auch auf Professor Havemann. Professor Have-mann und Rudolf Bahro, der nach Erscheinen seines Buches „Die Alternative" verhaftet worden ist, begreifen sich auch in ihrer Dissidentenrolle als Kommunisten. Dies muß man also mit erwähnen, wenn man sie hier zitiert. Die letzten Sätze in Bahros Buch lauten:
Der Kommunismus ist nicht nur notwendig; er ist auch möglich. Ob er möglich wird, das muß im Kampf um seine Bedingungen entschieden werden.
So Rudolf Bahro. Wenn ich nun daran denke, wie heute morgen einiges dazu gesagt worden ist, daß diese Regierung doch die Falschen stütze, dann meine ich, daß wir die Auseinandersetzung mit dem, was Dissidenten und Eurokommunisten sind, obwohl das Wort „Eurokommunisten" so vielschillernd ist, daß es eben alles und nichts abdeckt, nicht so führen dürfen, daß wir den kommunistischen Dissidenten, solange er in .der DDR im Gefängnis sitzt, als Märtyrer sehen, sobald er in Italien bei der KPI ist, als Trojanisches Pferd bezeichnen, und ihm in Bayern die Stelle eines Hausmeisters an einer Schule verweigern.
({21})
Das sind tiefe innere Widersprüche. Dann muß man sich eben mit dem Kommunismus auch als ein geistiges Problem der gegenwärtigen europäischen Epoche so auseinandersetzen, wie er als eine politische Bewegung wirksam ist. Nur so kann man die junge Generation von der demokratischen Idee überzeugen, nämlich durch eine wahrhaftige geistige Auseinandersetzung.
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Der Zustand des Entspannungsprozesses zwischen Ost und West bestimmt wesentlich auch die Beziehungen der beiden deutschen Staaten. Dieser Entspannungsprozeß gilt als gefährdet, und er kann von zwei Ebenen der Politik aus gebremst oder angehalten werden. Er kann auch - dies sage ich ganz offen - in einen neuen Kalten Krieg abgleiten. Die eine Ebene sind die internationalen Beziehungen; die andere Ebene sind mögliche innenpolitische Entwicklungen auch in der Bundesrepublik. Auf das Folgetreffen der KSZE in Belgrad haben Bedingungen eingewirkt, die es zulassen, von einer qualitativen Veränderung der internationalen vor allem der Entspannungspolitik zu sprechen. Die neuen Faktoren der Ost-West-Politik, die Weltwirtschaftskrise, gesellschaftliche Veränderungen wie Dissidentenbewegung und Eurokommunismus, die europäische Einigung, die Veränderung in den Vereinigten Staaten durch die Wahl Präsident Carters, neue Waffensysteme, die sowjetische Afrikapolitik - all dies ist nicht unmittelbar aus den Ost-West-Beziehungen in Europa entstanden, sondern wurde oft durch innenpolitische Entwicklungen und Entscheidungen ausgelöst. Diese Veränderungen sind deshalb kein Maßstab dafür, ob es einen Willen gibt, den Entspannungsprozeß in Europa zu ändern oder zu stoppen. Wohl aber erscheinen uns diese Veränderungen so umfassend, daß der Entspannungsprozeß Zeit braucht. - Es hat ja heute ein zwei Minuten langes Klatschen der CDU/CSU-Fraktion gegeben, weil dem Kanzler neben seiner Anwesenheit auch die Pflicht dekretiert worden ist, er habe dem Oppositionsführer mit offenem Mund zu lauschen und nicht schweigend vor sich hinzuarbeiten. Aber Sie haben eben, wenn Sie im Plenum andere anhören als jene, die Sie am Vormittag zwei Minuten beklatschten, auch andere Maßstäbe.
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Deshalb kann das Folgetreffen der KSZE in Belgrad nur eine wichtige Durchgangsstation sein mit dem Ziel, den Entspannungsprozeß zu bewahren und ihn für eine neue, dynamische Dimension offenzuhalten.
Es gibt aber auch eine innenpolitische Gefährdung des Entspannungsprozesses. Die Vertragspolitik und die auf sie begründete Entspannungspolitik war 1969, besonders 1972, aber auch 1976 mit die Ursache dafür, daß die sozialliberale Koalition eine Mehrheit der Wählerstimmen in diesem Lande erhalten hat. Zwischen den innenpolitischen Wahlentscheidungen und der Handlungsfreiheit der Bundesregierung für ihre Vertragspolitik besteht ein enger Zusammenhang. Deshalb ist für die Bewertung der Lage der Nation das Herausbilden neuer politischer Strukturen, aus denen sich weitreichende Veränderungen der politischen Macht ergeben können, von Bedeutung. Oder anders formuliert: Wir sehen durchaus die Vertragspolitik in einer anderen innenpolitischen Konstellation der Bundesrepublik gefährdet.
Eine solche innenpolitische Veränderung mit weitreichenden Folgen für die Außenpolitik ist möglich. 1968 war die Hinwendung zu einer neuen Außenpolitik innenpolitisch begleitet von einer aufwühlenden gesellschaftlichen Bewegung in der jungen Generation. Diese in allen westlichen Industriegesellschaften aufbrechende Gesellschaftskritik, benannt als Neue Linke, unterschied sich in der Bundesrepublik insoweit von anderen Ländern, als die Kritik am gesellschaftlichen System durch die aus der nationalen Zweideutigkeit entstandene Schwierigkeit für die damals junge Generation verstärkt wurde, diesen Staat als in sich geschlossenes Ganzes zu begreifen und als über die Befriedigung materieller Wünsche hinausreichendes Zukunftsideal zu akzeptieren. Deshalb drängte vor zehn Jahren vor allem die junge Generation, die im Kalten Krieg aufgewachsen war, zu einer realitätsbezogenen Entspannungspolitik.
Heute, zehn Jahre nach 1968, hat sich die Neue Linke als Massenbewegung aufgelöst. Ein Rest ging den Weg der politischen Vereinfachung in sektiererische Randgruppen. SPD und FDP haben der Mehrheit der protestierenden jungen Generation eine politische und zugleich demokratische Heimat gegeben.
({24})
Friedrich ({25})
Entspannungspolitik gilt heute in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr als umstritten, auch nicht als gefährdet. Ich selber möchte hier feststellen, daß die tatsächliche Lage sehr wohl anders sein könnte. Was wir heute früh vom Oppositionsführer gehört haben, war eben nur der eine Teil der CDU/ CSU-Fraktion. Der andere, der das Koalitionspapier vor 1976 diktiert hat, dieser andere Teil, vertreten durch Herrn Strauß oder Herrn Zimmermann, hat seine deutschlandpolitische Visitenkarte nicht abgegeben.
({26})
Heute, 1978, zehn Jahre nach 1968, ist eine andere Bewegung wirksam, die unsere politische Struktur zu ändern versucht. Gelingt es ihr - und sie erkennt ihre Chance gerade jetzt -, dann wird die Bundesrepublik verändert werden, und zwar so, wie es sich heute nur wenige vorstellen können. Ich meine die neue Sammlungsbewegung von rechts. Sie kommt nicht von unten, von der Jugend, sondern von oben, ist altabendländisch motiviert, paneuropäisch. Ich sehe sehr wohl, wie die Strukturen sehr zielbewußt bis in die Elternzeitschriften aufgebaut werden, die man als Vater eines Sohnes in Bayern von der Bayerischen Staatsregierung zugeschickt bekommt. Ich nenne diese Bewegung die „neue Rechte". Ihr Motor ist der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß.
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- Ach, Herr Kohl, mit Ihrem ständigen Lachsyndrom können Sie doch Ihre Komplexe gegenüber Herrn Strauß nicht abbauen!
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Eugen Kogon beschrieb 1977 das Ziel von Dr. Strauß so: aus einer reaktionär fortschrittlichen Grundhaltung heraus mit Sinn für wirtschaftliche und machtpolitische Effizienz einen fundierten Rechtsautoritarismus durchzusetzen.
({29})
- Sie sind ja nicht einmal in der Lage, mir zuzuhören - gut, das wissen wir -, aber daß Sie auch nicht fähig sind, einen Mann wie Eugen Kogon, eine der angesehensten geistigen Persönlichkeiten dieser Bundesrepublik, in seiner Meinung wenigstens anzuhören, wenn er im Bundestag zitiert wird, ist doch typisch für den geistigen Zustand der CDU/CSU-Fraktion.
({30})
Um nach Eugen Kogon fortzufahren: Dahinter steht nun bei Strauß die Grundüberzeugung, daß eine undifferenzierte Polarisierung des politischen Lebens die Bundesrepublik in zwei Lager spaltet; eine Polarisierung, die die politische Bühne der Demokratie aufputzt als ein Skandalballett nach dem von
Hugenberg in der Weimarer Republik erprobten Rezept.
({31})
Dies ist die Grundüberzeugung. Insoweit wird alles, was differenziert denkt, zwischen diesen polarisierten großen Gruppen aufgerieben. Jede kleinere Partei - so das Kalkül - müßte von dieser Polarisierungswoge davongeschwemmt werden.
({32})
Ich möchte diesem Kalkül eine kühle Berechtigung nicht absprechen. Der Verlust der Mitte, vor allem der politisch-geistigen Mitte,
({33})
die sich differenziert artikuliert, ist die Vorbedingung für den Erfolg dieses Rezepts. Aus dieser Haltung heraus ist es für Strauß die logische Konsequenz seiner Strategie, daß eine FDP, die sich ihm nicht aufschließt und anschließt, zu verschwinden hat. Deshalb hat sich zunächst der Hauptangriff des CSU-Vorsitzenden gegen die FDP gerichtet.
Wer nicht blind ist gegenüber der Geschichte Deutschlands und der Anfälligkeit seiner politischen Rechtsstrukturen für den rigorosen Führertypus, besonders in kritischen Zeiten, der weiß, daß es für die neue Rechte, für diese rechtskonservative Sammlungsbewegung des CSU-Vorsitzenden Strauß, bei uns durchaus eine Machtchance gibt.
({34})
Wir halten den Höhepunkt dieser Entwicklung noch nicht für erreicht. Aber wenn es eines Beweises für diese Entwicklung bedurft hätte, dann ist es das deutschlandpolitische Grundsatzpapier der Christlich-Sozialen Union, in dem zum erstenmal seit 1945 im deutschnationalen Jargon von „Reichsteilen außerhalb der Grenzen von 1937" gesprochen wird.
({35})
- Ist dies nun so, oder stimmt das nicht? Dann nehmen Sie das vom Tisch, und lassen Sie in Ihrer Fraktion abstimmen, und sagen Sie diesem Lande, ob Sie koalitionsfähig und tragfähig für die Verträge sind.
({36})
Die Lage der Nation ist die, daß die internationalen Krisenfaktoren, die angesichts der unterschiedlichen Systeme der beiden deutschen Staaten natürlich unterschiedliche gesellschaftliche innere Spannungen erzeugen, in beiden deutschen Staaten sehr wohl von politischen Kräften, von reaktionären und orthodoxen Kräften, genutzt werden könnten, um in die totalen Abgrenzungspositionen und Abschottungspraktiken der 50er Jahre zurückzufallen.
Wir Sozialdemokraten sehen darin den falschen Weg. Wir sehen darin einen für unser Land und für
Friedrich ({37})
Europa gefährlichen Weg. Verloren wäre für die Deutschen die Chance, daß am Ende eines europäischen Entspannungsprozesses unser Volk die Möglichkeit hat, unter neuen historischen Bedingungen über die Frage der nationalen Zusammengehörigkeit frei zu entscheiden. Für Europa vertan wäre die Hoffnung, daß der schroffe Gegensatz der unterschiedlichen Systeme schrittweise gemildert werden kann. Die Schlußakte von Helsinki mit der Festschreibung gemeinsamer Prinzipien war Beginn und war Zeichen einer Wandlung. Gegenwärtig ist keine Seite bereit, die Position der anderen zu übernehmen. Wohl aber scheint uns nach wie vor eine politische Evolution des Denkens aus den Gesellschaften heraus erstrebenswert zu sein, eine Evolution, die es Europa eines Tages erlaubt, die Härten auch der ideologischen Verkrampfungen zu mildern. Deshalb sind wir der Meinung, daß die ideologischen Verkrampfungen nicht der Mittelpunkt der Deutschlandpolitik sein dürfen; denn sonst wird es unmöglich, den Menschen zu helfen.
({38})
Das wird ein Prozeß sein, der Mut, der Augenmaß, vor allem aber Geduld erfordert. Eine freie Entscheidung der deutschen Nation wird es, wenn sie je kommen sollte, nur in einem Europa des Friedens geben. Die konsequente Anwendung der Vertragspolitik ist für uns das einzig taugliche Instrument des politischen Handelns auf diesem Weg.
Der Grundvertrag mit der DDR besteht erst fünf Jahre. Dieser Vertrag ist nicht die nationale Gemeinsamkeit, aber er bedeutet für die Deutschen weniger Trennung. Weniger Trennung aber bedeutet mehr Menschlichkeit. Wir halten diesen Weg für richtig. Deshalb danken wir der Bundesregierung für ihre konsequente Vertragspolitik.
({39})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits vor fünf Jahren, anläßlich der zweiten Lesung des Gesetzes zu dem Grundlagenvertrag, hat mein leider zu früh verstorbener Kollege Karl-Hermann Flach Sie davor gewarnt, die Gefechte von gestern mit den Argumenten von vorgestern zu führen. Das war an die Adresse der Opposition gerichtet. Herr Kollege Kohl hat heute diese Wortwahl aufgenommen, als er davon sprach, aufzuhören, die Schlachten von gestern zu schlagen. Nur hat Herr Kohl vielleicht die Fronten verwechselt. Zumindest hat er diese Aussage zu früh getan; denn zu dem Zeitpunkt hatte Herr Lemmrich noch nicht gesprochen.
Herr Kohl sprach auch von Feindbildern und von Pappkameraden. Aber offensichtlich übergehen Sie, Herr Kollege Kohl, geflissentlich die Zwischenrufe, die aus der Gegend zwischen Ihnen und der FDP-Fraktion so häufig kommen, Zwischenrufe Ihrer Kollegen der CSU sowie Zwischenrufe von - ich will jetzt nicht den Begriff des Pappkameraden verwenden - Kollegen Ihrer eigenen Partei, z. B. von Herrn Jäger ({0}) heute früh.
Ich habe aus Ihrer Rede, Herr Kollege Kohl, mit einiger Befriedigung herausgehört, daß unsere Auffassungen von den Grenzen und Möglichkeiten der Deutschlandpolitik offenbar gar nicht so weit auseinanderliegen. Ihr sichtbares Bemühen um die schrittweise Anpassung an gegebene Tatsachen, um z. B. eine erneute außenpolitische Isolierung auch gegenüber den westlichen Partnern zu verhindern, deckt sich zu guten Teilen mit unseren Interessen. Dazu steht aber das deutschlandpolitische Grundsatzpapier der CSU, das Herr. Kollege Lemmrich interpretierte, in einem gewissen Gegensatz.
({1})
- Nun hören Sie mir einmal zu, Herr Kollege Kohl.
Dieses Grundsatzpapier steht nämlich zu Ihren Äußerungen in einem gewissen Gegensatz. Hier muß ich in der Tat - etwas schärfer, als das mein Kollege Hoppe getan hat - das aufnehmen, was hier schon von Herrn Kollegen Bahr gesagt wurde, daß darin leider wieder einige sattsam bekannte Gegenpositionen des Kalten Krieges mit der Zielsetzung totaler Konfrontation allzu deutlich sichtbar werden.
({2})
Solange es Ihnen, Herr Kollege Kohl, nicht gelingt, Ihren Kurs zur alleinigen politischen Marschroute in Ihrer Fraktion zu machen, bleibt die Auseinandersetzung des Deutschen Bundestages um die gesamtdeutsche Politik unter diesen Prämissen meines Erachtens fruchtlos. Solange das aber so geschieht, wie wir es heute erlebten, werden wir auch nicht davon loskommen, rückwärts gerichtete Debatten zu führen. So lange werden wir leider auch nicht die Aufmerksamkeit bei unserer Bevölkerung, insbesondere unserer Jugend erzielen, die mir bei diesem Thema geboten erscheint.
Wir sollten uns ,darauf verständigen, daß mit dem Grundlagenvertrag die Voraussetzungen dafür bestehen, sich ernsthaft darüber zu unterhalten, wie auf der Grundlage gegebener Tatsachen wieder Ansätze zu einer gemeinsamen Politik in der Deutschlandfrage zu finden sind. Wer die Beiträge zum Thema „deutsche Frage" aus dem CSU-Papier aufnimmt, fühlt sich, wie ich schon sagte, in die Periode der Hallstein-Doktrin zurückversetzt. Als ob jene bewußt verfolgte Strategie des Isolierens nicht genau das Gegenteil dessen bewirkt hat, was Sie z. B. jetzt mit Ihrer Menschenrechtsdokumentation erreichen möchten!
Diese Isolierung hat doch in der Vergangenheit zur Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse in der DDR dadurch beigetragen, daß die dort Regierenden unangefochten von internationalen Bindungen und Verpflichtungen ihre Politik der Ab- und Eingrenzung, der absoluten Vernachlässigung der Menschenrechte, der Haßerziehung betreiben konnten.
({3})
- Herr Kollege Jäger, ich will nicht bestreiten, daß wir zu beklagen haben, daß wir nicht die Fortschritte erzielen, die wir gern hätten. Ich will die Debatte der nächsten Woche nicht vorwegnehmen. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß sich in Helsinki einiges in Richtung auf Auflockerung bewegt hat. Das hat heute doch auch Herr Kohl deutlich gemacht.
Der Grundlagenvertrag mit der DDR vom 21. Dezember 1972 war dementsprechend auch der Versuch, diese allmählich zur Gegenseitigkeit erstarrende Isolierung zu beenden. Die innerdeutschen Beziehungen sollten auf einer anderen Basis und aus einem veränderten Selbstverständnis heraus erwachsen. Deshalb ist es mir unverständlich, wie Sie, meine Damen und Herren von der CSU, mit Ihrem Deutschlandpolitischen Grundsatzpapier in diesen Tagen die Entwicklung der letzten fünf Jahre aufzuheben versuchen.
Wenn Sie in Ihrem Papier von einem in Jahrhunderten gewachsenen Organismus sprechen, sollten Sie nicht verschweigen, daß es bis 1871 traditionell Teilstaaten deutscher Nation gab, also allenfalls die geeinte Kulturnation bestand.
({4})
- Ich will das nicht vertiefen, Herr Kohl. Aber mir scheint die ironische Frage an die Kollegen der CSU erlaubt zu sein, ob aus dieser Tradition heraus verstehbar wird, daß Bayern 1949 gegen das Grundgesetz gestimmt hat.
Es ist auch im Hinblick auf das europäische Einigungsbemühen zweifellos bedeutsam, daß Bürger unserer Nachbarländer bekunden, ihnen erscheine die deutsche Teilung widernatürlich. Wir begrüßen das wie Sie. Auch der Prozeß der europäischen Einigung selbst hat bisher kein Faktum gebracht - das muß festgestellt werden -, das die deutsche Frage wesentlich tangiert. Weitere Vereinbarungen mit der Folge von Souveränitätsabtretungen sind allenfalls Bausteine einer künftigen Europäischen Union.
Der gegenwärtige Stand des europäischen Einigungsprozesses schließt keine deutschlandpolitische Option aus. In diesem Prozeß ist bisher nichts geschehen, was unseren deutschlandpolitischen Handlungsraum unwiderruflich begrenzt.
Die Bundesrepublik betreibt die Europa- und Deutschlandpolitik auf einer mondialen Grundlage. Neben der engen Bindung an die Vereinigten Staaten steht das Engagement für die europäische Kooperation, verbunden mit einer Politik des Offenhaltens in der Deutschlandpolitik entsprechend der Präambel des Grundgesetzes. Wir stützen diese Politik, die sich der Entspannung und der Friedenssicherung verschreibt; denn nur in einer politischen Lage des gegenseitigen Vertrauens wird sich diese Präambel unseres Grundgesetzes verwirklichen lassen.
Wer aber wie die CSU von vornherein davon ausgeht, daß vertragliche Schritte in der Entspannungspolitik nichts weiter als Instrumente der Kommunisten sind, die damit die Weltrevolution verfolgen, fällt zurück in die Phase des Kalten Krieges. Daß dies zuerst und am stärksten die Deutschen in der
DDR trifft, muß nicht betont werden. Und hier entlarvt sich auch die Aussage von „unseren Brüdern und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs" als Heuchelei. Mit solcher deutschlandpolitischen Tendenz würden Sie - der Herr Kollege Lemmrich ist nicht da; ich hätte das gern an ihn gerichtet -({5})
unseren Interessen schaden.
Die friedliche Lösung der deutschen Frage kann nur innerhalb des vertrauensvollen Miteinanders in Europa gelingen. Ihre Politik aber würde meines Erachtens dazu beitragen, 'das Vertrauen, das unsere westlichen Nachbarn z. B. in der Wiedervereinigungsfrage bekunden, zu zerstören.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß Sie im selben Absatz Ihrer Pressemitteilungen vom 23. Februar 1978 sowohl die DDR als auch das vom „Spiegel" veröffentlichte Manifest jener Opposition in Gänsefüßchen setzten. Offenbar ist Ihnen diese Opposition genauso ein irreal existierendes Gebilde wie die ganze DDR. Aber an der Beweiskraft Ihrer Politik ändert das wohl nichts.
Wir können vertragliche Vereinbarungen mit der DDR nicht erwarten, wenn wir sie, wie Ihr Grundsatzpapier rät, fortgesetzt beargwöhnen. Wenn Sie einen potentiellen Vertragspartner derart herablassend behandeln, wie es z. B. in der GänsefüßchenSchreibweise dokumentiert ist, dürfen Sie sich über Verhärtungen nicht wundern.
({6})
Dabei ist ganz davon abgesehen, daß dieses Dokumentieren von rechthaberischer Überheblichkeit eher das Gegenteil erreicht, daß nämlich ein Staatsbewußtsein dort erst ermöglicht bzw. gefördert wird.
Obwohl auch uns die bestehende Einschränkung der Freiheit und die häufige Verletzung der Menschenrechte im kommunistischen Machtbereich nicht gerade ermuntern, die erforderliche Geduld mit den östlichen Machthabern aufzubringen, müssen wir einsehen, daß uns Kraftmeierei am wenigsten weit führt
Negative Entwicklungen im Ostblock - auch als Reaktion auf Auswirkungen von Helsinki - sind unerfreulich. Aber Ihr hier gestarteter Versuch widerspricht absolut den Interessen des deutschen Volkes. Ihre Politik führt in die Isolation, entfremdet uns unseren westlichen Partnern und arbeitet gegen die Entspannung. Denn nur wenn es gelingt, über die Entspannungspolitik zu vertrauensbildenden Maßnahmen zu kommen, kann realistisch erwartet werden, daß die vom Grundgesetz angestrebte friedliche Regelung möglich wird. Und hier halten wir auch vom kleinsten Schritt vorwärts mehr als von einem Rezept zurück.
({7})
Im Zuge dieser Entspannungspolitik haben wir uns für den Abschluß des Grundlagenvertrags ausgesprochen. Neben dem Ziel, die Entspannung zu fördern, stand *das Ziel, Gemeinsamkeiten beider Staaten anzuregen und zu stärken. Denn die Wiederver6172
einigung läßt sich nur verwirklichen, wenn historisch gewachsene Gemeinsamkeiten im Bewußtsein bleiben. Nur in einer Phase des Kalten Krieges kann es den DDR-Machthabern gelingen, von. den Gemeinsamkeiten abzulenken und gesamtdeutsches Bewußtsein abzubauen. Wir haben in den letzten Jahren hinreichend oft feststellen können, daß es diese Gemeinsamkeiten nach wie vor gibt, mag die SED noch so versuchen, den Begriff Deutschland abzubauen.
Seit dem Abschluß dieses Vertrags hat der Begriff der Bewußtseinsnation das angesichts der gegebenen Situation der Existenz zweier Staaten deutscher Nation nötige Gewicht erlangt. Wer wie ich die nationale Tradition Deutschlands über 1871 zurück begründet sieht, muß die Renaissance der Bewußtseinsnation begrüßen und fördern.
Ich habe vorhin erwähnt, daß die Nebeneinanderexistenz mehrerer Staaten deutscher Nation eine gewisse Tradition hat. In dieser Tradition liegt auch, daß die Bewußtseinsnation Vorstufe der Staatsnation war. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um den Grundlagenvertrag wie um die gesamte Ostpolitik der sozialliberalen Koalition haben unter anderem sehr deutlich gemacht, daß es zu den unglücklichen Besonderheiten unserer Geschichte gehört, daß der Nationalstaatsgedanke keine selbstverständliche Einheit Omit den Ideen der Volkssouveränität, der Demokratie und der Selbstbestimmung bildet. Nationale Souveränität ohne demokratische Ordnung und ohne verfassungsmäßig gesicherte Freiheit ist noch kein unmittelbarer Wert. Das „Dritte Reich" ist für uns eine bittere Bestätigung dafür.
Aus dieser Erfahrung hat die Bundesrepublik die Disziplin und die Geduld, mit denen sie die Teilung Deutschlands erträgt, gewonnen. Gewaltverzicht und Friedenssicherung als tragende Prinzipien der Deutschland- und Außenpolitik der sozialliberalen Koalition seit 1969 haben die internationalen Entspannungsbemühungen maßgeblich beeinflußt und gefördert. Im Zuge dieser Entspannungspolitik hat sich die innerdeutsche Lage seit Abschlug des Grundlagenvertrags, wie ich meine, grundlegend geändert. Der freie Teil Berlins ist in seiner Existenz vertraglich und juristisch gesichert. Die Verkehrsverbindungen zwischen dem freien Teil Berlins und der Bundesrepublik sind willkürlichen Zugriffen auf vertraglicher Ebene entzogen worden. Die West-Berliner können fast problemlos den Ostteil der Stadt und die DDR besuchen. Die Telefonverbindungen von West-Berlin und der Bundesrepublik nach Ost-Berlin und in die DDR sind wieder vorhanden und umfangreich ausgebaut worden. Die Reisemöglichkeiten für Bundesbürger in die DDR und nach Ost-Berlin sind nur noch eine Frage des persönlichen Wollens. Die Reisemöglichkeiten für Nichtrentner aus der DDR und Ost-Berlin in den freien Teil Deutschlands sind besser geworden. Kontrollen und Einschränkungen auf den Reise- und Gütertransportwegen sind praktisch einklagbaren Regelungen unterworfen, die sich deutlich von den Unsicherheiten und Behinderungen früherer Zeiten unterscheiden.
Dies sind reale Schritte im Interesse der gesamten deutschen Nation. Sie fördern den gegenseitigen gedanklichen und materiellen Austausch und bilden so eine Grundlage für die Vertiefung von Identitätsmerkmalen, für das sprachlich und kulturell motivierte Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit gewinnt der Begriff der Kulturnation aktuelle Inhalte.
Diese realen Schritte wollen wir weiterverfolgen, auch unter dem Grundaspekt der früheren deutschen Nationalbewegung, daß die geistige Einheit der Nation der politischen voranzugehen habe. Wir lassen uns von diesem Weg nicht abbringen, selbst wenn es zeitweise nur in kleinsten Schritten vorangeht. Denn gerade hier zeigt sich der Unterschied zwischen Illusion und Hoffnung: Hoffnungen haben sich - wenn auch nicht in befriedigendem Maße - bereits erfüllt. Illusionen dagegen, meine Damen und Herren von der CDU/CDU, haben es an sich, daß sie nicht in Erfüllung gehen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Abelein.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über die Lage der Nation hat, soweit sie von seiten der Regierungskoalition, besonders von seiten des Bundeskanzlers, geführt wurde, keine neuen Aspekte gebracht. Am ehesten ist noch hinzunehmen, daß der Bundeskanzler diese Politik insgesamt als positiv beurteilt. Auch die Aufzählungen hinsichtlich der Reisenden, der Telefongespräche und Absichten auf dem Gebiet von Vereinbarungen über den Umweltschutz sind zweifellos zu begrüßen. Aber insgesamt ist es noch nicht einmal eine objektive Schilderung der Situation überhaupt. Und was das Bestürzende ist, Herr Bundeskanzler: Diese Debatte zeigt, daß Sie zur Lage der Nation selbst kein inneres Verhältnis haben.
({0})
Das zeigt ja auch Ihre Haltung hier in dieser Debatte. Wir, ich mache Sie für diesen Zustand der Deutschlandpolitik nicht verantwortlich. Diese Politik haben andere konzipiert und durchgeführt, und Sie haben sie mitgemacht. Wir haben uns eigentlich von Ihnen versprochen, daß eine Regierung unter Ihrer Führung eine nüchternere Beurteilung der deutschen Situation an den Tag legen würde. Es gab dafür in Äußerungen von Ihnen auch Ansätze. Aber wir müssen gestehen: Wir sind bitter enttäuscht. Sie sind in das Fahrwasser einer Regierungspolitik geraten, die von Wehner, Bahr und Brandt konzipiert wurde, den Architekten der Deutschlandpolitik.
({1})
- Meine Mundwinkel sind leider gar nicht in der Lage, so zu zucken wie Ihre Mundwinkel, Herr Wehner.
({2})
Es gibt hier sicher unterschiedliche Qualitäten, aber
auf dem Gebiet der Mundwinkel stellen Sie einen
bekannten deutschen Rekord dar. - Mit solchen
Bildern sollten Sie in die Debatte dieses Parlaments nicht eingreifen.
({3})
Im übrigen, Herr Wehner, können wir uns vielmehr darauf verständigen, daß wir diesen Dialog noch ein bißchen zurückstellen; denn ich habe ohnehin die Absicht, mich mit Ihnen im Laufe dieser Ausführungen noch zu beschäftigen.
({4})
- Das war gut, daß Sie das gelesen haben. Denn Sie sollten ja etwas über neue Ansatzpunkte in der Deutschlandpolitik hören. Und von Ihrem Bundeskanzler haben Sie die mit Sicherheit nicht hören können.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuerst zur Nation etwas sagen. Die Lage der Nation umfaßt vielfältige Aspekte. Dazu gehört die Lage der Nation in der Bundesrepublik Deutschland mit all ihren vielen und wichtigen Problemen. Dazu gehört die Lage der Nation in Mitteldeutschland. Davon haben Sie heute kaum gesprochen. Dazu gehört aber auch - und ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen - der Teil der Nation, der östlich der Oder-Neiße-Linie lebt. Ich sage das ohne jegliche Aggressivität und im vollem Bewußtsein, daß wir irgendwelche gewaltsamen Maßnahmen zur Lösung politischer Fragen ablehnen und immer abgelehnt haben.
Mit das entscheidende Ereignis der letzten Monate in bezug auf die Lage der Nation ist das Manifest über die innere Situation in der DDR. - Wer immer die Autoren im einzelnen gewesen sein mögen: an der zutreffenden Schilderung der Situation in der DDR und der Einstellung ihrer Bevölkerung gibt es kaum mehr Zweifel.
Lassen Sie mich aus diesem Manifest wenigstens einiges hervorheben über die Lage der Nation im geteilten Deutschland, in Mitteldeutschland! Denn das gehört an entscheidender Stelle zu einer Bilanz der Deutschlandpolitik. Dort ist die Rede vom „neofaschistischen Typ der sowjetischen Machthaber". Dort werden die Scheußlichkeiten der Arbeits- und Straflager angeprangert, das ganze System des „Archipels Gulag", das nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die DDR überzieht. Das anzusprechen gehört zu einer objektiven, nüchternen Schilderung, wie Sie, Herr Bundeskanzler, sie auch für die DDR in Anspruch nehmen. Dort ist die Rede von einer Einparteiendiktatur, einer Politbüro-Clique, von der Vorenthaltung von Grundrechten. Dort ist die Rede vom sowjetischen Ziel, das darin besteht, die deutsche Spaltung zu verewigen. Und dort ist die Rede davon, daß die deutsche Spaltung für den Weltfrieden einen gefährlichen Spannungsherd bedeutet. Das hebt sich deutlich und drastisch ab von dem, was wir heute gehört haben, etwa aus dem Munde von Herrn Bahr.
Das Manifest über die Situation in der DDR ist deswegen für viele so schockierend, weil es viele
liebgewordene Klischeevorstellungen hinwegräumt. Der dargestellte fast antagonistische Gegensatz zwischen der Bevölkerung der DDR und ihrer Regierung, ja ihrem Staat, und die Forderung nach einer staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands stehen in deutlichem Gegensatz zu dem, was aus dem Munde von Regierungsmitgliedern zu hören ist. - Ich spreche nicht pauschal von „der Bundesregierung" und „der Regierungskoalition". Das hat ja auch diese Debatte gezeigt: hier gibt es sehr verschiedene Ansichten.
Sie haben für sich in Anspruch genommen, Ihre Deutschlandpolitik gehe aus von Dokumenten, Studien und Analysen, wie es ja überhaupt ein wesentlicher Grundzug Ihrer Deutschlandpolitik ist, immer von wissenschaftlichen Analysen auszugehen. Bezeichnend für das, was Sie sich als Ausgangspunkt einer Deutschlandpolitik vorstellen, ist das, was Sie in der Kanzleramtsstudie aus dem Jahre 1976 geschrieben haben. Dort steht:
Ganz sicher ist drüben schon seit den fünfziger Jahren ein eigenes Staatsbewußtsein gewachsen, und der Westen ist nicht mehr das „gelobte Land". Die Bevölkerung drüben in der DDR steht eher an der Seite des DDR-Regimes als auf der unseren.
Die Absicht, die hinter dieser Analyse steht, ist deutlich zu greifen. Man will sich auf diese Weise ein Alibi dafür besorgen, daß man keine aktive Politik der Wiedervereinigung mehr betreibt. Man betreibt eine Politik, die den Status quo zementiert. Gestatten Sie mir hierzu noch den Satz: Die Erhaltung des Status quo als Prinzip der Deutschlandpolitik leuchtete heute wieder aus allen Sätzen der Ausführungen von Herrn Bahr.
Es ist verständlich, daß das Manifest gerade auf diese Vorstellungen wie eine kalte Dusche wirkte.
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Der Unwille eines Teiles der Regierungskoalition und der Regierung gegenüber diesem Manifest ist nur zu verständlich, weil es in einem deutlichen Gegensatz zu der bisherigen Konzeption der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung steht. Dieses Manifest zeigt, daß die sogenannten Analysen wenigstens des Bundeskanzleramts - nichts mit Bestandsaufnahmen zu tun haben. Es sind bare Ideologien, wobei man dieses Adjektiv je nach Belieben ruhig mit einem H versehen kann.
Es ist völlig unverständlich und zeigt die Kontinuität dieser Konzeption, wie der „Vorwärts" noch in diesen Tagen schreiben kann - heute würde man ihn besser „Rückwärts" heißen -, die DDR sei für ihre Bevölkerung eigentlich ein Verein, zu dem man hält; heute diskutiere man in der DDR kaum mehr die nationale Frage.
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Das ist die „Vorwärts" -Ideologie. Mit der Wirklichkeit der DDR und der Einstellung ihrer Bevölkerung zur nationalen Frage haben diese Feststellungen überhaupt nichts zu tun.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle wenigstens kurz auf die Ausführungen von Herrn Bahr zu dem Begriff der Nation und der nationalen Frage eingehen. Es waren reichlich nebulose Ausführungen. Den Begriff der Nation hat ja ein Teil der Regierungskoalition damals unter der Führung von Herrn Brandt in die politische Diskussion als Ersatz für „staatliche Einheit" eingeführt. Man hat jetzt die Nation als Klammer für Deutschland gebraucht, wobei man darauf spekuliert hat, daß aus diesem vieldeutigen, facettenartigen Begriff jeder das ihm Naheliegende heraussieht, wobei die Position vernebelt wird.
Ich will das Ergebnis gleich vorab sagen: Wenn wir von Nation reden, meinen wir die Staatsnation. Ich gehe von der Unterscheidung von Friedrich Meinecke zwischen Kulturnation und Staatsnation aus. Unser Begriff der Nation ist der scharfe Begriff der Staatsnation. Wir haben nie etwas anderes vertreten. Infolgedessen gibt es auch gar keinen Gegensatz zwischen dem CSU-Papier und uns.
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Die unterschiedlichen Konzeptionen sind uns sehr wohl klar. Ich denke an die Entwicklung von der Staatsnation zur Brandtschen Kulturnation, die ja nicht seine Erfindung ist, sondern einen Rückgriff auf den Nationenbegriff des 19. Jahrhunderts darstellt, bis zu dem Schmidtschen Begriff der Garnicht-mehr-Nation; denn der Begriff „Nation" taucht in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 überhaupt nicht mehr auf. Jetzt taucht er wieder auf.
Eine der interessanten Entdeckungen in dem Manifest, das bei uns keine Freude ausgelöst hat, war, daß wir uns in völliger Übereinstimmung mit dem Nationenbegriff der Bevölkerung in der DDR befinden; denn die Bevölkerung in der DDR hält nach wie vor an dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands in staatlichem Rahmen fest. Und das wollen auch wir nach wie vor haben.
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Es ist eine Diskreditierung, wenn hier behauptet wird, man diskutiere heute in der DDR kaum mehr die nationale Frage, nachdem jüngst in diesen Tagen
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auch noch Umfrageergebnisse bekanntgeworden sind,
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wonach ein großer Teil, und zwar die große Mehrheit in der DDR, an der Wiedervereinigung in einem staatlichen Rahmen festhält. Und das besonderes Interesse ist, daß ein noch viel größerer Prozentsatz dabei von dem Teil der Bevölkerung der DDR erreicht wird, der gar nichts anderes erlebt hat als die deutsche Spaltung.
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Für uns war das keine Überraschung. Für mich war
es immer klar, daß die Frage der nationalen Einheit
eine Frage ist, die dauernd gestellt ist, die auch nicht vergessen werden kann, die wieder aufgegriffen werden wird von einer Generation,
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die den Ausgangspunkt der Spaltung überhaupt nicht erlebt hat. Jetzt erleben wir bereits die Ansätze dieser Entwicklung.
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Noch einmal zurück zu Bahr: Die Nation ist offensichtlich in ihrer Präzision eine unangenehme Angelegenheit, weil sie nicht zur Konzeption zwar nicht dieser Bundesregierung, aber eines bestimmten Teils dieser Bundesregierung, für den die Nation mehr die Funktion eines Nebelwerfers hat, paßt. Jetzt plötzlich will man die Nation auf die Seite tun und zur Übernation überspringen.
Wir sehen hier überhaupt keinen Gegensatz. Was Herr Bahr hier vorgetragen hat, ist im übrigen gar nicht seine Erfindung. Wir waren doch diejenigen, die - und zwar damals gegen die entschiedene Kritik eines Teils des Bundestages - bereit waren, auf die nationale Einheit zwar nicht zu verzichten, aber sie in ein größeres europäisches Gebilde einzubringen. Wenn eine Möglichkeit dafür bestehen sollte, daß die DDR neben der Bundesrepublik Deutschland Mitglied in einem freien Europa wird, wären wir damit auch einverstanden.
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Aber es gibt überhaupt keinen Gegensatz zwischen der Nation, der staatlichen Einheit der deutschen Nation, und Europa.
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Das eine bedingt das andere.
Lassen Sie mich auf einige weitere Thesen eingehen, die hier vorgetragen worden sind, die ich für in gefährlicher Weise ideologiebedingt halte. Es rangiere - so wurde vom Architekten der Deutschlandpolitik formuliert; aber lassen Sie mich hier vielleicht ein klein wenig abschweifen: „Architekt" ist natürlich angesichts des Gebäudes, wie es sich heute zeigt, eine sehr schmeichelhafte Bezeichnung; im 19. Jahrhundert, zu Zeiten der Romantik, hätte der Herr Bahr eine große Reputation erhalten, nämlich als Ruinenbaumeister, die damals sehr gesucht waren ({18})
der Friede vor der Nation. Hier will man den Frieden, die Entspannung gegen die Wiederherstellung der deutschen Einheit ausspielen. Ich greife hier wieder auf das Manifest zurück, das eindeutig davon spricht, daß eine der Ursachen für die Spannung die deutsche Spaltung ist, daß es letztlich keinen Frieden ohne eine Lösung dieser Frage geben kann,
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ohne eine Lösung des Kernproblems der deutschen Nation.
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Richtig ist doch: Der Frieden rangiert nicht vor der Nation, und die Nation rangiert auch nicht vor dem Frieden. Hier werden Gegensätze konstruiert, die überhaupt nicht stimmen!
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Es ist das alte Bild von der Henne und dem Ei, das hier aufgetischt wird: Was war vorher? Die Antwort darauf hätten wir gerne - denn diesen Gegensatz hat ja Herr Bahr hier eingeführt von Herrn Bahr erhalten. Es läßt sich dieses Problem auch gar nicht so lösen, wie Herr Bahr das tut.
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Wir wollen den Frieden, und wir wollen die Einheit der deutschen Nation. Wir wollen sie nicht als Selbstzweck, sondern weil dort 17 Millionen Deutsche sie wollen. Wenn 17 Millionen Deutsche - um das noch hinzuzufügen, denn es gehört dazu - in einer völlig freien Selbstbestimmung zu dem Ergebnis kommen, daß sie in einem eigenen Staatsgebilde leben wollen, dann ist für uns diese Frage entschieden. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. 17 Millionen Deutsche würden in einer freien Abstimmung - das zeigt das Manifest - mit einer überwältigenden Mehrheit für die Wiederherstellung Deutschlands in einer staatlichen Einheit stimmen. So sehen wir das Problem der Nation, das ist für uns die Lage der Nation. Ich meine auch - ich werde am Schluß in zwei, drei Sätzen noch einmal darauf eingehen -, daß es eigentlich möglich sein sollte, dafür wenigstens mit dem größten Teil des Hauses eine gemeinsame Basis zu finden.
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Meine Damen und Herren, wir schlagen nicht die Schlachten von gestern. Ich wollte auf diese Dinge noch gar nicht eingehen. Sie stehen gar nicht in meinem Manuskript, das ich vorbereitet hatte, wenn auch nicht so gründlich wie der Herr Bundeskanzler mit seinem etwas größeren Stab. Aber die Schlachten von gestern schlagen doch Sie. Sie haben doch diese Dinge hier eingeführt, der Herr Bahr hat von diesen Dingen, von den Zeiten Adenauers und von den fünfziger Jahren gesprochen. Ich werde hier ein bißchen an gewisse Erkenntnisse der Kriminalpsychologie erinnert, wonach es den Täter immer zurückzieht, auch hier in diesem Falle, an den Ausgangspunkt seiner Missetaten.
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Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, wir kehrten zu der verkehrten Konzeption der fünfziger Jahre zurück, wieso sagen Sie denn das uns? Das waren doch Ihre eigenen Positionen. Wir hatten doch bis zum Jahre 1969 wenigstens eine einzige gemeinsame Basis. Wir waren in vielen Fragen völlig verschiedener Ansicht, wir waren in der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik verschiedener Meinung. Aber eine Basis war in diesem Hause bis zum Jahre 1969 immer gemeinsam. Das war die Deutschlandpolitik, das waren die Grundsätze zur Lage der Nation. Wenn Sie dagegen polemisieren, polemisieren Sie letztlich mit sich selbst.
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Wenn Sie dazu immer wieder zurückkehren müssen, dann sagt das, daß Sie sich über die Ergebnisse dieser Entwicklung offensichtlich doch nicht so sicher sind. Daß Sie darüber nicht glücklich sind, das steht ohnehin fest.
Dieses Manifest über die Lage der Nation in Mitteldeutschland wird uns noch lange beschäftigen, auch wenn das vielen von Ihnen nicht gefällt, auch wenn das Manifest in einem Gegensatz zu der Auffassung eines großen Teils der Bundesregierung steht. Die Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung war viel zu lange fixiert an den Institutionen der Macht in der DDR und an der Interessenlage der Hegemonialmacht im Ostblock, nämlich der Sowjetunion. Darüber haben Sie die Menschen übersehen. Von den Menschen geht die Dynamik aus. Für mich war es sehr aufschlußreich, nicht sehr überraschend, daß gerade Herr Bahr vor der Dynamik gewarnt hat, weil er die Dynamik fürchtet.
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Ob die Dynamik gefährlich oder ungefährlich ist, das ist gar nicht die Frage, die sich uns stellt. Diese Entwicklung wird von uns ohnehin nicht aufzuhalten sein. Dynamik ist eine geschichtliche Kategorie, und Status quo ist es nicht.
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Herr Wehner, daß Sie das Manifest schlicht als eine Provokation bezeichnen - im übrigen genauso wie Honecker -, das ist aufschlußreich. Das zeigt, daß der Inhalt dieses Manifests beiden nicht in die Konzeption ihrer jeweiligen Deutschlandpolitik paßt.
Es ist hier angesprochen worden, das Manifest offenbarte Schwierigkeiten des Herrn Honecker. Das stimmt. Aber es ist doch nicht unsere Aufgabe, die Schwierigkeiten des Herrn Honecker zu lösen. Hier handelt es sich doch um einen konstanten, immanenten Widerspruch des autoritären kommunistischen Regierungssystems. Es ist sicher nicht unsere Aufgabe - wir von der Oppostion sehen das nie so -, den Herrn Honecker zu stürzen; aber es ist doch auch nicht unsere Aufgabe, den Herrn Honecker zu stützen.
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Wenn Herr Honecker Schwierigkeiten mit seiner eigegen Bevölkerung hat, dann berührt uns das sehr, weil es sich um Deutsche handelt, die genau die gleiche Staatsangehörigkeit haben wie wir; aber es ist mit Sicherheit nicht unsere Aufgabe, einem Regime in der DDR, das einer einstmals freien Bevölkerung von außen aufoktroyiert wurde und dort zwangsweise immer noch am Leben gehalten wird,
eine Legitimation von außen zu geben, die ihm
von der eigenen Bevölkerung vorenthalten wird.
({29})
Meine Damen und Herren, Sie fragen uns immer wieder: Was soll man tun? Die Frage ist gar nicht einfach zu beantworten.
({30})
Das haben wir immer gesagt. Aber wir haben schon viele Vorschläge gemacht. Wir haben auch einmal geglaubt, es sei möglich, wenigstens den einen oder anderen mit der Bundesregierung zu realisieren. Lassen Sie es mich angesichts des vorgeschrittenen Nachmittags kurz machen. Man müßte viel darüber reden.
Die DDR-Wirtschaft steckt in ganz großen Schwierigkeiten. Von Überholen oder Einholen der Wirtschaft der Bundesrepublik ist ja überhaupt nicht mehr die Rede. Trotz gewisser fortschrittlicher Entwicklungen auf wirtschaftlichem Gebiet in der DDR und trotz unserer eigenen Schwierigkeiten wächst der Abstand zwischen sozialistischer Planwirtschaft der DDR und uns nach wie vor. Die Arbeiter im sozialistischen Paradies des Arbeiter- und Bauernstaates haben - wie in sozialistischen Planwirtschaften üblich - das Glück, mehr zu arbeiten und weniger zu verdienen. Honecker bemüht sich gegenwärtig doch dringend darum, für seine sozialistische Mißwirtschaft von uns Geld zu bekommen, weil sonst die schlecht laufende Wirtschaft noch weniger aufrechtzuerhalten ist. Er ist auf die wirtschaftliche und finanzielle Hilfe der Bundesrepublik Deutschland dringend angewiesen. Honecker braucht unser Geld. Gut, ich stehe nicht an zu sagen: und wir brauchen den Honecker auch. Natürlich brauchen wir ihn. Wenn wir die deutsche Spaltung mildern wollen, sie überwinden wollen, Erleichterungen für die Menschen in Deutschland erreichen wollen, brauchen wir natürlich Honecker, der mitmachen muß. Deswegen sind wir ja auch dafür, mit ihm zu reden, mit ihm zu verhandeln, mit ihm Verträge abzuschließen.
({31})
Herr Honecker hat seine Interessensituation, und wir haben die unsere. Wir müssen diese beiden Dinge zur Deckung bringen. Wir wollen doch keine Repressalien anwenden. Hier wird vom Bundeskanzler und anderen Politikern gesagt, wir wollten nicht Gewalt mit Gewalt vergelten. Ja, wir wollen es auch nicht, wir haben es nie gewollt; aber wir wollen doch ein Geschäft machen. Gegen ein Geschäft ist doch nichts einzuwenden. Bringen wir die Dinge doch wieder in Zusammenhang! Beraten wir darüber. Wir sind bereit, mit Ihnen hier mitzumachen.
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Bringen wir den politischen Teil wieder in Übereinstimmung mit dem wirtschaftlichen und finanziellen Teil; der zweite ist auch politisch. Die Interessen müssen wieder zur Übereinstimmung gebracht werden. Wir erwarten uns davon keine Wunderdinge; aber wir müssen es doch einmal probieren, den Spielraum ausloten. Daß Herr Honecker aus seiner Situation natürlich ein Interesse daran hat; die Wirtschaft von der Politik, wie er sie versteht, zu trennen, ist doch nur allzu verständlich. Aber daß wir uns darauf einlassen oder eingelassen haben, ist mir überhaupt nicht verständlich.
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Ich könnte nun viele Einzelheiten dazu sagen. Ich habe das auch vorbereitet, will es mir aber ersparen, weil ich sehe, daß mir nur noch wenige Minuten verbleiben. Aber vielleicht können wir einmal gemeinsam überlegen, welche Möglichkeiten sich hier bieten.
Lassen Sie mich noch einiges zu Berlin sagen. Es ist in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers entschieden zu kurz gekommen. Es war eine Wiederholung von Formeln. Über die Formeln können wir uns unterhalten. Sie sagen nicht allzu- viel. Eine teilweise Zitierung des Viermächteabkommens bringt uns gar nichts. Um mit der Bundesregierung zu sprechen, um eine ihrer vielen Formeln einer formelreichen Politik zu gebrauchen: Dieses Abkommen muß doch mit Leben erfüllt werden!
Gut, wir anerkennen auch: Es hat sich für Berlin einiges verbessert, einiges Wesentliches verbessert. Aber vieles hat sich eben nicht verbessert. Berlin ist nach wie vor umstritten. Gegen jede freie Lebensäußerung Berlins gibt es Proteste von seiten der Sowjetunion. Die Töne von Abrassimow, dem Statthalter der Sowjetunion in Ost-Berlin, werden immer rüder und aggressiver. Es gibt jetzt eine Studie, eine Dokumentation, herausgegeben vom Staatsverlag, geschaffen vom Außenministerium der DDR und der Sowjetunion, über die Berliner Situation, die nichts Gutes verspricht. Das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen meint ja, es sei nur eine Studie für den innerdeutschen Gebrauch der DDR. Sie haben ja auch reichlich spät nur e i n Exemplar erhalten. Es ist für uns manchmal tröstlich, wenn wir von seiten der Bundesregierung nicht genügend informiert werden, daß es wenigstens eine Institution gibt und einen Minister, der über die Dinge dort erheblich schlechter informiert ist als wir, nämlich der zuständige Minister für innerdeutsche Beziehungen.
({34})
Diese Dokumentation verspricht nichts Gutes. Sie zeigt: Berlin ist nach wie vor einer der Angelpunkte der Lage der Nation. Für uns - um wieder einen prominenten Vertreter der Regierung zu zitieren - ist Berlin eine Stadt, umgeben von Minenfeldern, Stacheldrahtzäunen, gespalten durch eine Mauer, bedroht durch den Schießbefehl, nicht eine Stadt wie jede andere. So wurde das doch verkündet!
({35})
Wer die Anormalität zur Norm erhebt, tut Berlin einen schlechten Dienst!
({36})
Ich bin ebenfalls der Meinung: Zu Berlin soll man sehr zurückhaltend formulieren. Aber: Die Berliner Entwicklung ist doch ausgesprochen kritisch geworden! Wenn ich etwa erinnere an den Verlust von Arbeitsplätzen, an die Bevölkerungsentwicklung, an die dramatische Entwicklung der Investitionen in
Berlin, dann zeigt das eine ganz bedenkliche Situation für Berlin an. Für uns ist Berlin keine Stadt wie jede andere. Berlin ist für uns das bedrückende Zeichen der deutschen Spaltung, die Demonstration der vorenthaltenen Selbstbestimmung, die Demonstration des Freiheitswillens aller Deutschen, ein Mahnmal, das Ziel der Wiedervereinigung aller Deutschen nicht aus dem Auge zu verlieren. Berlin ist für uns das Symbol der nach wie vor fortbestehenden nationalen Einheit. Es ist die Hauptstadt der deutschen Nation jetzt; und es hat die Bedeutung, die Hauptstadt eines wiedervereinigten deutschen Staates zu sein, hoffentlich in einem vereinten Europa; beides wollen wir erreichen. Nur aus diesem Verständnis heraus läßt sich die Situation Berlins überhaupt halten. - Das wären Sätze gewesen, die wir von der Bundesregierung eigentlich in diesem Zusammenhang erwartet haben.
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Berlin erfüllt eine wichtige Rolle für uns. Berlin hat die Aufgabe, der ganzen Welt deutlich zu machen, daß einem alten Kulturvolk mitten in Europa Einheit und Selbstbestimmungsrecht nach wie vor vorenthalten werden. Ausländische Besucher erfahren diese Lage der deutschen Nation nirgendwo so deutlich wie in Berlin. Deswegen sind wir auch dem brasilianischen Staatspräsidenten Geisel dankbar für seinen Besuch nicht nur in Bonn, sondern vor allen Dingen auch in Berlin.
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Wir sind sicher, daß er ungewöhnlich wichtige Eindrücke von diesem Besuch erhalten wird und daß das auch seine Auswirkungen auf die politische Einstellung eines wichtigen und mächtigen Staates dieser Welt nicht verfehlen wird.
Meine Damen und Herren, zu Flucht und Fluchthilfe brauche ich wenig zu sagen. Ich befinde mich hier in völliger Übereinstimmung mit dem, was Herr Kollege Hoppe gesagt hat. Lassen Sie mich das nur noch einmal unterstreichen, und ich kann mir den ganzen Abschnitt dazu ersparen.
Hier sind wir natürlich, zugegeben, an einem Detailproblem, das aber schlaglichtartig die deutsche Situation mit ihrer bedrückenden Lage für die Menschen beleuchtet. Staatsräson in Ehren! Aber ich warne vor zu viel Staatsräson zu Lasten der betroffenen einzelnen Bürger in Deutschland.
Lassen Sie mich eines hervorheben - das steht in einem Widerspruch zu einem Teil der Bundesregierung -: Alle Deutschen haben das Recht auf Freizügigkeit. Dazu gehören auch die Einwohner der DDR. Alle Menschen haben ein Menschenrecht auf Freizügigkeit. Daran darf man sie nicht hindern. Keine Bundesregierung darf die Realisierung des Grundrechts auf Freizügigkeit verhindern oder auch nur erschweren.
Flucht aus der DDR und Fluchthilfe stellen keinen Rechtsmißbrauch dar, sondern hier wird von einem Grundrecht und einem Menschenrecht Gebrauch gemacht.
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Auch gegen entgeltliche oder, wie Sie sagen, kommerzielle Fluchthilfe ist unter rechtlichen Aspekten überhaupt nichts einzuwenden.
Ich bin der Meinung, die Bundesregierung müßte viel deutlicher die Kritik gegen diejenigen richten, die eine Situation geschaffen haben, in der 17 Millionen Deutsche an der Ausübung ihrer Grundrechte und Menschenrechte behindert werden.
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Wenn es hier strafrechtliche Tatbestände gibt - darüber haben wir nie Unklarheiten gelassen -, dann müssen die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auch hier ist eine sehr differenzierte Betrachtung notwendig; denn Notwehr und Nothilfe sind ebenfalls in Betracht zu ziehen. Wir stellen uns vor niemand, der die Rechtsnormen verletzt. Aber die Bundesrepublik Deutschland wird angesichts von bekanntgewordenen Bemühungen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sehr wachsam sein, daß hier die Normen der Verfassung und der Menschenrechte nicht überschritten werden.
Meine Damen und Herren, ganz zum Schluß noch etwas zum internationalen Kontext, der eine besondere Behandlung erfahren müßte. Die Konzeption vom Wandel durch Annäherung, wonach die Befreiung vom politischen Außendruck Wandlungsprozesse der Liberalisierung in Gang setzen und internationale Anerkennung zu einem Abbau der Fronten führen würde - das ist doch, auf einen Nenner gebracht, Ihre Konzeption gewesen -, hat zu keinem Erfolg geführt. Lesen Sie doch das Manifest! Es ist nicht liberalisiert worden. Der Innendruck ist gewachsen. Die Fronten sind nicht abgebaut worden, die Fronten haben sich verhärtet.
Ich meine, wir haben gegenwärtig eine Position erreicht, unsere Stellungen zu überdenken. Eines ist sicher richtig: Wir werden auf bilateraler Basis die deutsche Frage, um es einmal pauschal zu nennen, nicht lösen. Die deutsche Frage ist eine Funktion der weltpolitischen Situation. Es war doch im Grunde die Absicht der Sowjetunion, die Deutschen selbst ihrer eigenen Frage zu überlassen, uns zu suggerieren, wir sollten diese Frage allein lösen. Ich finde, es ist einer der Fehler dieser Bundesregierung gewesen, die Deutschlandpolitik aus dem internationalen Kontext abzukoppeln. Das muß rückgängig gemacht werden. Hier gibt es ein weites Feld der Bemühungen. Dieses Feld der Weltpolitik ist das eigentliche Feld neben dem Feld der Deutschlandpolitik. Es reicht von China bis Lateinamerika.
Wir haben auf dieser Welt mehr Freunde, als viele aus ihrer Interessensituation heraus uns ständig plausibel machen wollen. Diese Freunde sind bereit, uns bei der Lösung der deutschen Frage zu helfen, weil dieses Problem nämlich sie selbst angeht. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß die Sowjetunion auf die Dauer dabei bleiben wird, es als ihrer Interessensituation adäquat zu betrachten, daß Deutschland für alle Ewigkeit gespalten bleibt.
I Meine Damen und Herren, wirklich zum Schluß kommend: Wir sind der Meinung - das ist heute auch bei einigen Rednern der Regierungskoalition angeklungen -, daß eine möglichst große parlamentarische Basis für eine neue Deutschlandpolitik dringend notwendig wäre. Wir von der Opposition, von der CDU/CSU, sind dazu bereit. Dieses Angebot machen wir heute erneut.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute in diesem Hause sehr viel von gemeinsamer Deutschlandpolitik gesprochen worden. Herr Abelein hat am Schluß seiner Ausführungen hier noch einmal einen diesbezüglichen emphatischen Appell an dieses Haus gerichtet. Aber das, was in den Reden nach oder vor diesen Appellen kam, hat deutlich gemacht, wie schwierig es ist, eine gemeinsame Deutschlandpolitik mit Ihnen zu finden.
Wenn Sie dieser Regierungskoalition unterstellen, daß sie ihre Ost- und Deutschlandpolitik allein um ideologischer Vorstellungen willen betreibe, daß sie die Absicht habe, um jeden Preis, nur um recht zu behalten, diese Deutschlandpolitik durchzusetzen - selbst auf Kosten der Menschen -, dann zeigt das, wie schwierig es ist, mit Ihnen zu einem Konsens zu kommen. Sie unterstellen einer Politik, die sich an den Realitäten orientiert, weil man sie zur Kenntnis nehmen muß, wenn man die Deutschen in der DDR nicht einem ähnlichen Schicksal ausliefern will, wie es seinerzeit der CSSR beschieden war, ideologische Affinitäten, und dazu ist Ihnen jedes Mittel recht.
Ich glaube, Sie sollten einmal daran denken, daß diese Sozialdemokratische Partei in den Jahren nach dem Krieg, als die Zwangsvereinigung kam, damals Tausende gestellt hat, die in die Gefängnisse von Waldheim und anderswo gegangen sind. Ich hätte es gern gesehen, wenn Herr Lemmrich, als er von den Verfolgungen der CDU in der DDR sprach, auch darüber ein Wort verloren hätte. Das macht deutlich, wie verwerflich Ihr Vorwurf ist, daß es hier um ideologische Hinneigungen und sonst nichts ginge.
Ich habe Angst, wenn bei den Ausführungen des Kollegen Abelein mit solchem Nachdruck das Manifest hochgespielt wird, daß dieses Manifest Gefahrensituationen auslöst, Menschen in Situationen bringt, die wir nicht wollen. Ich glaube, wir sollten uns sehr genau überlegen, ob wir dieses Manifest, wie das heute hier geschehen ist, zum zentralen Punkt dieser Diskussion in der deutschen Frage machen. Ich glaube, das ist eine Frage, die wir uns sehr ernsthaft stellen sollen.
Sie meinen - das hat Herr Abelein mehr noch in seinem Manuskript als in seinen Ausführungen gesagt -, man könnte dem Regime dort drüben etwas abpressen.
({0})
Das haben Sie damals zuerst mit der Politik des Ignorierens versucht, später durch Versuche einer Embargopolitik und schließlich durch Drosselung des Interzonenhandels. Das Endergebnis war, daß Sie doch froh waren, als die DDR ihre Politik der Störfreimachung des Handels aufgab und wir wieder zu einigermaßen normalen Handelsbeziehungen kamen.
Sie verlangen von dieser Bundesregierung, dort drüben alles wieder rückgängig zu machen. Sie soll einem in sich geschlossenen Staat mit Wirtschaftssanktionen und ähnlichen Maßnahmen Zugeständnisse abnötigen, obwohl auch Ihnen klar ist, daß eine solche Politik sofort Gegenreaktionen jener Mächte hervorriefe, die mit der DDR in einem Staatensystem verbunden sind.
Wenn diese Politik aber nicht die totale Selbstaufgabe der DDR erreichen kann, die Sie ja fordern, reden Sie von einem Weg der Deutschlandpolitik in die Sackgasse, von einer Politik des Ungleichgewichtes. Daß man darüber hinaus der Bundesregierung noch eine phantasielose Außenpolitik unterstellt, nimmt sich aus dem Mund einer Opposition besonders merkwürdig aus, die in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung nur mit einer Taste auf dem Klavier spielen konnte.
Sie behaupten heute freiweg, daß sich diese Regierung dadurch, daß sie sage, sie sehe zu ihrer Ostpolitik keine Alternative, jeder Bewegungsfreiheit beraube. Dabei tun Sie so, als ob Sie, als Sie an der Verantwortung waren, das Spiel mit den vier Kugeln perfekt beherrscht hätten. Allerdings - das möchte ich sagen - geht unsere Phantasie nicht so weit zu glauben, man könne das, was wir aus Rotchina zur Deutschlandfrage hören, als bare Münze .nehmen. Wir halten auch die zum Zwecke des Durchbruches aus der selbstverschuldeten Isolation gezeigten Sympathien für die CDU/CSU-Deutschlandpolitik aus manchen Staaten Südamerikas nicht für politisch verwertbare Faktoren.
({1})
Deren Einfluß auf ihrem Kontinent setzt ihrem Gewicht ohnehin schon von sich aus Grenzen.
Kurz gesagt: Was nun da als außenpolitische Alternative empfohlen wird, ist alles andere als eine wirkliche Alternative, ist ein gekrampftes Suchen nach etwas Neuem um jeden Preis.
Die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition hat nicht versucht, sich an der Notwendigkeit der Lösung der deutschen Probleme vorbeizumogeln. Sie hat sich ihnen gestellt. Sie war bemüht, die deutsche Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist, und daraus das Beste für das geteilte Land zu machen. Es ist doch einfach unmöglich, wenn Sie von dieser Regierung erwarten, daß sie die Einheit Deutschlands erreicht. Sie soll das über Nacht erreichen, obwohl Sie zu einem Zeitpunkt, als die Sowjetunion längst nicht die Macht war, die sie heute ist, als die Dinge in Deutschland noch nicht so verfestigt waren, wie sie heute sind, als der West-Ost-Gegensatz noch nicht so institutionalisiert war, wie er heute ist, diese Einheit nicht erreichen konnten. Wenn wir das wissen, bleibt doch logischerweise gar kein anderer Weg als der, unter den
gegebenen Umständen so viel vom Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen zu erhalten, wie das möglich ist. Das ist der Hintergrund der Politik dieser Regierung.
Diese Politik hat sich - ich meine, das ist mehr als die Aufforderung, ein Manifest in Taten umzusetzen - um ein Mehr an menschlichen Begegnungen, um ein Mehr an technischen Voraussetzungen, um ein Mehr an Kommunikation bemüht. Sie hat sich darum bemüht, wirtschaftliche Kontakte auszubauen. Sie war bestrebt, durch die Regelung strittiger Grenzfragen Reibungsflächen abzubauen, die die Quelle für Auseinandersetzungen hätte sein können. Diese Leistungen sind immer und in erster Linie den Menschen in Deutschland zugute gekommen und haben damit dem Zusammenhalt der Menschen in Deutschland gedient. Ich meine, daß das so richtig war.
Ich hielte es für unverantwortlich - um nicht zu sagen: für eine katastrophale Politik -, wenn man, um das Regime zu treffen, Menschen leiden ließe, die unsere nächsten Angehörigen, Verwandten und Freunde sind oder zumindest Angehörige desselben Volkes.
({2})
Die Politik der Bundesregierung war aber nicht nur im menschlichen Bereich erfolgreich, Herr Abelein, sondern sie war vor allem auch in der Sicherung Berlins erfolgreich. Die hier erzielten Fortschritte machen das deutlich. Denken Sie doch einmal daran: In der Zeit, als Heinrich von Brentano Außenminister war, hat der damalige Staatssekretär van Scherpenberg an den Regierenden Bürgermeister von Berlin geschrieben, daß man an der Frage Berlins nicht die Aushandlung eines Abkommens mit der Sowjetunion scheitern lassen könnte. Staatssekretär Lahr hat seinerzeit erklärt, man könne den Berlinern zumuten, ohne Bundespässe zu reisen.
Diese Regierung hat durchgesetzt, daß in mehr als 30 Verträgen mit den Ostblockstaaten die Berlin-Klausel aufgenommen worden ist. Sie hat vor allem den Zugang nach Berlin wesentlich ausbauen und festigen können. Die Abfertigung der Versorgungsfahrzeuge mit leicht verderblichen Gütern erfolgt statt in zwei Stunden in zehn Minuten. Die Sowjetunion hat ausdrücklich im Viermächteabkommen die originären Rechte der drei Westmächte noch einmal bestätigt. Dann sagen Sie, die Position Berlins sei wesentlich schlechter geworden.
Wenn 18 Millionen Menschen in einem Jahr die Transitwege von und nach Berlin benutzen, wenn die Versorgung Berlins in jeder Hinsicht verbessert werden konnte, wenn die Lebensfähigkeit der Stadt erheblich gestärkt werden konnte, können Sie doch nicht sagen, die Situation Berlins sei durch die Politik dieser Regierung verschlechtert worden.
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Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die zwischen der DDR und uns offen sind, Fragen, die nicht geregelt werden können, weil in ihnen die beiderseitigen Standpunkte unüberwindbar sind. Aber gerade auf diesen Gebieten - sei es beim Abschluß eines Kulturabkommens, sei es die Frage der Staatsbürgerschaft, sei es das Rechtshilfeabkommen - hat sich die Bundesregierung streng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gehalten. Weil das die Verhandlungen erheblich erschwert, machen Sie dieser Regierung den Vorwurf, sie verhandle nur lau, die Dinge liefen nur langsam weiter und es gebe keinen Fortschritt. Auf der anderen Seite propagieren Sie, daß man in der Frage der Deutschlandpolitik einen langen Atem haben müsse. Ich glaube, Sie widersprechen sich doch selbst, wenn Sie die Dinge so sehen.
Was wir allerdings nicht erreichen können, ist, das System dort drüben zu ändern und über seine Beseitigung die deutsche Einheit über Nacht wiederherzustellen. Dafür, wie das geschehen könnte, haben Sie außer der Aktivierung dessen, was Sie glauben aus dem Manifest herauslesen zu können, keine positiven Vorschläge gemacht.
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Geschähe das in der Art und Weise, die Sie immer empfehlen, mit wirtschaftlichem Druck, mit der Ermutigung von Kräften, die dort drüben in der Opposition stehen, wäre das nur ein Spiel mit dem Feuer. Wenn ich diese Reden über die Auswirkungen und die Chancen, die das Manifest biete, höre, habe ich Angst, daß wir vielleicht in eine Situation hineintaumeln könnten, die die Menschen dort drüben in eine Situation hineinmanövrieren könnte, die für sie eine Katastrophe nach sich ziehen kann.
Darüber sollten wir uns im klaren sein: Wer glaubt, mit dem Aufgreifen von deutschlandpolitischen Vorstellungen aus den 50er Jahren in den 70er Jahren Politik machen zu können, hat die Entwicklung der letzten 25 Jahre verschlafen.
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Wir sind der Meinung, daß man an den Realitäten der Weltpolitik nicht vorbeigehen kann. Wer versucht, hier gewaltsame Veränderungen zu schaffen oder anzuregen, wird nicht nur den ganzen Ostblock gegen sich mobilisieren, er wird auch den größten Teil der Staaten der Dritten Welt zum Gegner haben und die in den UN in die Ecke jener gestellt werden, die man dort in Acht und Bann getan hat. Ob das eine Alternative der gegenwärtigen Deutschlandpolitik der Bundesregierung darstellt, überlasse ich zur Beurteilung jenen in der CDU/CSU, die sich noch einen Sinn für Realitäten bewahrt haben. Schließlich ist auch die von ihnen oft so hart kritisierte Entwicklungspolitik dieser Regierung nichts anderes als das Bemühen, Freunde für das demokratische Deutschland zu gewinnen. Sie mobilisiert man nicht damit, daß man Staatsmänner aus diesen Ländern in die kommunistische Ecke stellt, von denen sich schon mancher bald als eine durchaus eigenwillige politische Persönlichkeit entpuppt hat.
Gerade weil diese Regierung diese Politik macht, ist es ihr gelungen, das Image von den bösen Deutschen weitgehend abzubauen und mehr Interesse für die Probleme d'er Deutschen zu wecken. Die positi6180
ven Resultate der Meinungsumfragen über die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates, die in Ländern erzielt wurden, die vor zehn, zwölf Jahren diese Vorstellung nur mit Schaudern vor sich sahen, sind doch letzten Endes auch Ausdruck der Friedenspolitik, die diese Regierung betrieben hat.
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Sie hat gerade durch ihre Politik der Verständigung den Eindruck zu vermitteln verstanden, daß die Deutschen etwas aus ihren bitteren Erfahrungen gelernt haben.
All das würde verspielt, wenn wir versuchen würden, mit Druck und wirtschaftlichen Repressalien die politische Landschaft in Deutschland im Sinne einer Übertragung unserer Staatsvorstellungen auf den anderen Staat zu verwirklichen. Daß dieser Staat drüben nicht unseren Wünschen und Vorstellungen entspricht, auch nicht denen eines erheblichen Teils seiner Bürger, wissen wir nicht erst seit der Veröffentlichung des Manifests im „Spiegel". Wir wissen auch nicht erst seitdem, daß die Existenzangst seiner Machthaber und die Konsequenz, mit der sie ihre Ideen durchzusetzen versuchen, immer wieder die gegenseitigen Beziehungen belasten und sie zu Abgrenzungsmaßnahmen veranlassen.
Wir bedauern das. Andern können wir es nicht. Wir wissen nur allzu gut, daß sie nicht nur alle Machtmittel der DDR in Händen haben, sondern auch die Sowjetunion keine Veränderung des Status quo hinnehmen wird. Darum bleibt kein anderer Weg als der, die Politik fortzusetzen, die diese Regierung betrieben hat: das Regelbare zu regeln; zu versuchen, das gegenseitige Verhältnis soweit wie möglich zu entkrampfen; alles zu tun, um erreichte Verbesserungen nicht zu gefährden, sondern zu bewahren.
Dazu gehört unsererseits, daß alles geschieht, um auch in Zukunft den freien Zufahrtsweg nach Berlin sicherzustellen und dafür zu sorgen, daß er nicht mißbraucht wird und daß es nicht dazu kommt, daß man Argumente liefert, die diese freie Zufahrt nach Berlin gefährden.
Was können wir tun, um die Dinge in unserem Sinn positiv weiterzuentwickeln? Wir müssen um Verständnis bei unseren Freunden und Verbündeten werben und alles tun, um eine Synchronisation ihrer und unserer Interessen in der deutschen Frage sicherzustellen.
Man kann nicht, wie es die Opposition oft tut, sagen, Äußerungen und Proteste unserer Verbündeten - zum Beispiel der Protest jüngst in der Fluchthelferfrage - rührten nur daher, daß diese Verbündeten möglichst Ruhe in der deutschen Frage haben wollen. Wenn sie erwarteten - so ist einmal gesagt worden -, daß wir ihre Interessen mit vertreten, müßten sie auch bereit sein, sich zu unseren zu bekennen. Das hört sich vielleicht für den einen oder den anderen ganz plausibel an. Als die Union in der Verantwortung war, lief sie jedoch auch nicht ständig Sturm gegen die Politik der Alliierten, sondern prüfte, was diese bei ihren Einsprüchen gedacht hatten.
Natürlich sind die USA daran interessiert, sich unsere Freundschaft zu erhalten und den Faktor Bundesrepublik fest auf ihrer Seite zu wissen. Das Gewicht der Bundesrepublik ist auch für die Sowjetunion immer wieder ein Ansporn, Gespräche zu suchen und, soweit das unter zwei grundverschiedenen Mächten möglich ist, ein passables Verhältnis herzustellen. Auch in der Dritten Welt sind viele Staaten daran interessiert, sich die Bundesrepublik als Freund zu gewinnen. Gute Beziehungen werden auch hier durchaus von Nutzen sein.
Es kommt dabei darauf an, den richtigen Umgangston zu finden und das richtige Verhältnis zueinander zu finden. Wir können nicht, wie es da und dort geschieht, die Sowjetunion dauernd attackieren und dann noch erwarten, daß sie Aufgeschlossenheit in der deutschen Frage zeigt. Wir können nicht afrikanische und asiatische Staaten in Klassen und Kategorien einteilen und dann erwarten, daß sie sich bei den UN für unsere Interessen engagieren. Viele von ihnen sind noch in einem Entwicklungsprozeß auf der Suche nach ihrer Identität. Druck von außen und Verlangen nach Wohlverhalten produzieren bei ihnen höchstens das Gefühl der Bevormundung und erreichen gerade die entgegengesetzte Wirkung von dem, was wir erreichen wollen.
Auch im Verhältnis zur DDR kommt es darauf an, mit zäher Beharrlichkeit die bestehenden Schwierigkeiten abzubauen und auszuräumen. Das ist besser, als mit einer Politik des Zuckerbrots und der Peitsche deutlich zu machen, wer sie eigentlich sind und wer wir sind. Wir haben sicher keinen Grund, über eine einzige Rede wie die letztens von Honekker in Euphorie zu verfallen und alle die Ärgernisse zu vergessen, die vorher gewesen sind. Aber wir sollten auch nicht übersehen, daß Attacken gegen Spitzenpolitiker dort drüben, die in unserer Presse veröffentlicht werden, ein gutes Klima gefährden.
Die Folgerung, die wir daraus zu ziehen haben, ist die: Es gilt auch in Zukunft, die Verträge in beharrlicher Arbeit mit Leben auszufüllen und die DDR zu veranlassen, das, was dort gemacht wurde, buchstabengetreu und dem Sinne nach voll zu erfüllen. Es gilt auch in Zukunft, in diesem Land und in der ganzen Welt an einem Klima zu arbeiten, das Konfliktherde abbaut und der Erfüllung der Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen nach Frieden gerecht wird. Das hilft auch, unseren Problemen neue Lösungschancen zu eröffnen, das Leben der Menschen in Deutschland zu erleichtern. Wer seines Feindes Feinde mobilisieren will, wird das nicht erreichen. Was uns hilft, ist eine Politik, die die Beziehungen zu alten Freunden pflegt und neue Freunde hinzuzugewinnen bemüht ist. Dies ist die Politik der sozialliberalen Koalition in der Vergangenheit gewesen; es muß sie auch in Zukunft bestimmen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Ludewig ({0}) vorliegen. Er möchte jedoch mit Rücksicht auf den Zeitablauf darauf verVizepräsident Frau Funcke
zichten, von seiner Wortmeldung Gebrauch zu machen.
({1})
Das Wort hat nunmehr Herr Bundesminister Franke.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie sollten sich das nicht so einfach machen. Sie haben dieses Thema heute sehr breit behandelt. Von daher wäre es wohl geradezu völlig unverständlich, wenn ich dazu nicht auch noch etwas sagen würde.
({0})
Denn sonst würde ich ja Ihren Bemühungen, unsere Politik zu diskreditieren, geradezu Vorschub leisten. Das können Sie von mir nicht erwarten, bei aller Bereitschaft, immer wieder langen Atem und Geduld aufzubringen. Seit Jahren bleibt es dabei, daß hier Beteuerungen der Gemeinsamkeit abgelegt werden, und dann hört es auf. Ich habe das Angebot gemeinsamer Bemühungen von mir aus wiederholt aufgegriffen und auch meinerseits dieses Angebot unterbreitet. Aber das ist für Sie ja nicht genug, Sie nehmen das nicht ernst, sondern versuchen in Ihrer bewährten Art immer wieder, diese Dinge ins Lächerliche zu ziehen. Allerdings müssen Sie sich dann damit vertraut machen, daß das so einfach auch nicht geht.
Ich habe Verständnis dafür, daß es in dieser Stunde und an diesem Tag in diesem Land wohl eine Überforderung wäre, noch sehr weit auszuholen. Und doch muß wieder einmal einiges gesagt werden, damit wir uns nicht nur in sehr interessante und breit angelegte Betrachtungen zu den Problemen verlieren. Ich für meinen Teil versuche, meinen Beitrag dazu zu leisten.
In einer Bundestagsdebatte über den Bericht zur Lage der Nation im März des Jahres 1978 - 33 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges - kann und darf doch wohl eine Betrachtung der Entwicklung all jener Stationen, die bis heute zu dem Thema Deutschlandpolitik gehören, nicht fehlen. Wer über die Deutschlandpolitik dieser Jahre redet, tut gut daran, nicht nur die Positionen aufzuzeigen, die seiner Konzeption am dienlichsten sind. Er muß auch einige Daten mit nennen, die den geschichtlichen Tatsachen entsprechen, zum Nachdenken anregen und zu Überlegungen Veranlassung geben, ob wir nicht aus diesem Erfahrungsschatz, der damit ja auch verbunden ist, für die Zukunft, der wir uns ja alle verpflichtet fühlen, praktische Nutzanwendungen ziehen können. Wer über die Deutschlandpolitik dieser Jahre redet, tut gut daran, sich und seine Zuhörer an die historischen Ursachen der heutigen Lage unseres Vaterlandes zu erinnern.
Unser Vaterland hat in den 30er und 40er Jahren dieses Jahrhunderts eine historische Katastrophe ungeheuren Ausmaßes erlitten. Mancher will das verdrängen, indem er die Erinnerung an dieses tatsächlich furchtbare Geschehen nicht mehr erwähnt. Man versucht, sich nur mit den Folgen auseinanderzusetzen, ohne dabei die Ursachen immer wieder mit ins Kalkül einzubeziehen.
({1})
Die Folgen dieser Katastrophe, die 1933 begann und 1945 in der totalen militärischen Niederlage gipfelte, sind die Teilung Deutschlands, die Flucht und Vertreibung von fast zwölf Millionen Deutschen aus den Ostgebieten und die faktische Eingliederung dieser Gebiete in die polnische bzw. sowjetische Staatshoheit.
Diese Grundsituation ging der Gründung der Bundesrepublik Deutschland voraus. Sie war allen Bundesregierungen seit 1949 gleichermaßen vorgegeben. Mitte der fünfziger Jahre hat die Bundesrepublik Deutschland die Entscheidung getroffen, als souveräner Staat ihre Sicherheit auf das Bündnis mit den westlichen Demokratien zu gründen. Das war und bleibt der Hauptzweck unserer Zugehörigkeit zu diesem Bündnis. Mit der damaligen Entscheidung wurde dieses Bündnis zur Grundlage für die Außen-und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik. Der Westintegration der Bundesrepublik mit ihren Folgen entsprach die Integration der DDR in das östliche Bündnis. So entstanden weitere Fakten und mit den Fakten Konsequenzen, die für unsere weitere Deutschland- und Außenpolitik bestimmend wurden.
Ebenso ging es mit einer Entwicklung, die schon bald nach dem Zeitpunkt eingesetzt hatte, da die Bundesrepublik Deutschland Mitglied des Verteidigungsbündnisses der westlichen Demokratien geworden war. Das Machtgleichgewicht der Weltmächte bildete nach und nach eine internationale Lage heraus, in der die Sicherheitsinteressen aller Seiten zum Abbau, zumindest zur Beherrschung der Spannungen drängten. Das hatte Folgen für die deutsche Frage als internationales Problem.
Je deutlicher nämlich die Realität des Machtgleichgewichts und die daraus fließenden Notwendigkeiten und Interessen bewußt wurden, desto mehr wurde die deutsche Frage „abgekoppelt". Ich zitiere hier Wissenschaftler, die das in einem Hearing ausgeführt haben. - So heißt das ja jetzt neuerdings. Auf deutsch kann man ja auch sagen: Anhörung von Wissenschaftlern in einem Bundestagsausschuß.
({2})
- Sie sagen „sehr gut". Ich habe es einmal gewagt, das hier einzufügen; es ist zwar nicht ganz „in", aber ich sage es so, wie ich es meine. - Diese Wissenschaftler haben etwas gesagt, was Ihnen so nicht in den Kram paßt. Sie haben nämlich aus ihrer Kenntnis der damaligen internationalen Lage gesagt: Mehr und mehr wurde die deutsche Frage „abgekoppelt", d. h. international als ein zusätzlicher Konflikt, über den allgemeinen Ost-West-Gegensatz hinaus, verstanden.
Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre war den meisten politisch Denkenden in unserem Lande einsichtig: Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland wegen der ungelösten Probleme der deutschen Teilung den internationalen Anstrengungen um die Ent6182
spannung versagte, wenn wir gegenüber den drei westlichen Hauptverbündeten darauf beharrten, daß diese ihre vertraglichen Verpflichtungen aus dem Deutschlandvertrag nur in der Konfrontation unserer Rechtsansprüche mit dem Machtanspruch und den Zielen des Ostens erfüllen könnten, würden wir die vitalen Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten mißachten und uns dadurch isolieren.
Angesichts der drohenden Alternative von Abkopplung und Isolierung zugleich entschied schon die Bundesregierung der Großen Koalition, daß dogmatische Festhalten an den politischen Positionen der fünfziger Jahre weder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland noch der deutschen Frage nutze.
Die Politik des konsequenten Gewaltverzichts, welche die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition dann ab 1969 ins Werk setzte, schuf für die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, auf der Basis des Status quo an der allgemeinen Entspannungspolitik teilzuhaben und mitzuwirken, ohne deswegen die deutsche Frage endgültig schließen zu müssen. So ist die Bundesrepublik Deutschland weder durch den Grundlagenvertrag noch durch den Moskauer Vertrag daran gehindert, an ihrer politischen Zielsetzung festzuhalten, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk frei über sich selbst bestimmen kann.
Die Zielsetzungen und Grundpositionen der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition sind eindeutig. Das sind sie immer gewesen. Wir betonen das. Nur Ignoranten oder bösartige Zeitgenossen sind in der Lage, diese klaren Positionen in Zweifel zu ziehen.
Es genügt aber nicht, täglich diese Tatsache zu bekräftigen und in Reden zu betonen. In dem so abgesteckten Feld gilt es, praktische und lösbare Fragen in Angriff zu nehmen, um den Menschen in beiden deutschen Staaten zu helfen, während der unabsehbaren Zeit der Teilung unseres Volkes die Zusammengehörigkeit der Deutschen wach und bewußt zu erhalten.
Dazu bedarf es konkreter und wirksamer Regelungen. Hierfür hat die Bundesregierung in der Regierung der DDR einen gleichberechtigten Verhandlungs- und Vertragspartner, mit dem ein Übereinkommen nur dort möglich ist, wo entweder eine Interessenübereinstimmung gegeben ist oder abweichende Interessen gegeneinander aufgewogen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß verbunden werden können.
Es ist eben in der Tat so, daß die beiden Staaten voneinander unabhängig sind. Wo es um die beiderseitigen Lebensinteressen geht, ist die Bundesrepublik Deutschland nicht von der DDR und die DDR nicht von uns abhängig.
Aus diesem Grunde ist auch so manche Forderung an die Adresse der Bundesregierung nach „härterer Gangart" gegenüber der DDR wirklichkeitsfremd. Dahinter verbirgt sich nicht selten die irrige Vorstellung, das beträchtliche Wirtschaftspotential
der Bundesrepublik Deutschland lasse sich gegenüber der DDR als politisches Druckpotential verwenden. Daß dies zu schlicht ist, haben bereits frühere Bundesregierungen vor den sozialliberalen entdeckt.
In dieselbe Reihe gehört auch die Bemühung des Themas der finanziellen Leistungen der Bundesrepublik an die Deutsche Demokratische Republik. Jüngst veröffentlichte Meldungen und Berichte veranlassen mich, meine Damen und Herren, gerade das Thema „Geld" etwas ausführlicher zu behandeln. Dies muß gesagt werden, weil immer wieder der Versuch gemacht wird, mit manipulierten Zahlen den Eindruck zu erwecken, als wenn wir der DDR Geld schenkten, ohne dafür Gegenleistungen zu erhalten. Es wird der Versuch gemacht, zu sagen, wie teuer -das alles für uns sei, um das, was in dieser Zeit zu bewegen ist, zu bewegen.
Genauer gesagt, muß ich über die Geldbeträge, die aus öffentlichen Kassen der DDR für Zwecke zufließen, über die ebenfalls einiges zu sagen ist, hier berichten.
Vor etwa zwei Wochen beantwortete die Bundesregierung pflichtgemäß ein weiteres Mal eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Oppositionsfraktion betreffend „Zahlungen an die DDR und die anderen Ostblockstaaten sowie Warenaustausch mit der DDR und anderen Ostblockstaaten in den Jahren 1970 bis 1977 einschließlich". Das Schema der Anfrage wie der Antwort ist mittlerweile fest eingespielt, nur daß die Zahlen fortgeschrieben werden.
Fest eingespielt ist auch die Art und Weise, wie der Berliner Abgeordnete Wohlrabe die von der Bundesregierung genannten Zahlen zusammenmixt und dann unter die Leute bringt. Er sagte nämlich am 28. Februar in einem Rundfunkinterview, es sei wichtig, daß die Öffentlichkeit wisse, „was uns die Entspannungspolitik kostet". Diesmal meldete der Abgeordnete für die letzten acht Jahre „mehr als 11 Milliarden DM an Zahlungen und Vergünstigungen" für die DDR an.
Diese Zahl ist - meine Damen und Herren, bitte verzeihen Sie den drastischen Ausdruck - kompletter Unsinn.
({3})
Allein 4,7 von diesen 11 Milliarden DM bringt der Abgeordnete dadurch zusammen, daß er die im Jahresdurchschnitt ausgenutzten Swing-Beträge schlicht zusammenzählt. Als wenn das Zahlungen an die DDR gewesen wären! Richtig ist, daß der DDR vertragsgemäß die Zinsen für die Überziehungskredite erspart geblieben sind. Somit bleiben von den Wohirab'schen 11 Milliarden noch ca. 6,6 Milliarden DM.
Aber auch diese Zahl ist immer noch Unfug. Ein Viertel dieser Summe von 6,6 Milliarden DM, nämlich 1,7 Milliarden DM, nimmt allein die Transitpauschale für den Berlin-Verkehr ein, welche die Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt an die DDR abgeführt hat.
Diese Summe für die Transitpauschale addiert der Abgeordnete unbekümmrt mit Schätzwerten,
z. B. mit solchen über die Deviseneinnahmen der DDR aus dem Mindestumtausch, obwohl diese Beträge nicht aus öffentlichen Haushalten geleistet werden, nicht auf Grund von Vereinbarungen mit der DDR festgelegt sind und dem einzelnen Reisenden nicht einfach abgenommen, sondern in Mark der DDR umgetauscht werden, die er dann innerhalb der DDR verbrauchen kann; er kann damit dort machen, was er will. Auf jeden Fall dürfte deutlich sein: Der Mindestumtausch ist zwar eine Deviseneinnahmequelle für die DDR;
({4})
mit der Transitpauschale aber und mit ähnlichen Leistungen ist er nicht vergleichbar. - Soviel zu den Wohlrabe-Zahlen, die den Zeitraum der letzten acht Jahre betreffen.
Um nun wirklich zu einer Aussage zu kommen, die in sich hieb- und stichfest ist und mit der der Bürger etwas anfangen kann, möchte ich die konkrete Frage behandeln, welche Beträge der Steuerzahler 1977 für welchen Zweck in Richtung DDR aufgewendet hat, wohlgemerkt: der Steuerzahler, indem er Steuern zahlt und sonst in keiner Weise privat oder geschäftlich in Richtung DDR aktiv wird; das sind bekanntlich rund drei Viertel unserer Bevölkerung. Die Antwort auf diese Frage muß folglich all die Beträge erfassen, die aus öffentlichen Kassen an die DDR geflossen sind bzw. dieser aus öffentlichen Kassen mittel- oder unmittelbar zugute gekommen sind, also über den Bundeshaushalt, den Landeshaushalt von Berlin sowie die Haushalte von Bundespost und Bundesbahn.
Ich brauche hier die Aufstellung, die an anderer Stelle veröffentlicht wurde, nicht im einzelnen zu verlesen. Sie ergibt die Summe von 860,8 Millionen DM. Dieser Betrag also ist im vergangenen Jahr aus öffentlichen Kassen, für deren Inhalt der Steuerzahler aufkommt bzw. geradezustehen hat, an die DDR gezahlt worden, und das waren, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, etwa 14 DM. Knapp die Hälfte dieser 860 Millionen, nämlich 400 Millionen DM, mußte allein für die Transitpauschale aufgewendet werden, d. h. pro Kopf der Bevölkerung der Bundesrepublik nicht ganz sieben DM. Insgesamt flossen 600 von den 860 Millionen DM, also rund 70 °/o, der DDR für Zwecke zu, die mit der territorialen Lage West-Berlins in Verbindung stehen: für den ungehinderten, störungsfreien Transitverkehr, den Ausbau der Straßen-, Eisenbahn- und Fernmeldeverbindungen, die Erstattung von Einreisegebühren, die Abnahme von Müll, Schutt und Abwasser. So sieht der handfeste Inhalt aus, den das Wort „Entspannungspolitik" seit dem Viermächteabkommen für Berlin hat und der sich im übrigen aus der Antwort auf die Kleine Anfrage sehr wohl ersehen läßt.
({5})
Dies sage ich an die Adresse des Kollegen Wohlrabe, der vor der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, die Bundesregierung gebe die von ihm zusammengeschusterten Horrorbeträge schon für das bloße Wort „Entspannung" her. Eine solche Präsentation, die ja doch etwas bewirken will, ist
um so erstaunlicher, als sie ausgerechnet von einem Berliner Abgeordneten kommt.
({6})
Was er damit gerade auch im Interesse seiner West-Berliner Mitbürger bezwecken will, bleibt mir schleierhaft und unerfindlich.
({7})
Oder ist er der Meinung, wir tun schon zuviel für Berlin? Das steht doch in krassem Gegensatz zu dem, was Sie hier bei jeder Gelegenheit vorbringen.
({8})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu diesem Komplex noch eine weitere Bemerkung, zu der ich mich durch Beobachtungen gerade in jüngster Zeit veranlaßt sehe. Ich meine, wir sollten uns vor dem Zungenschlag hüten, es wäre nachgerade eine Gnade von uns Westdeutschen und West-Berlinern, wenn wir mit unseren kostbaren D-Mark nach Ost-Berlin und in die DDR fahren, um dort Verwandte und Freunde zu sehen und sie womöglich auch zu beschenken. Eine solche Herablassung ist, auch wenn sie unbeabsichtigt ist, unwürdig und fehl am Platze.
({9})
Sie verleitet ferner zu falscher Einschätzung der Interessenlage zwischen den beiden Staaten. Bedenken wir: Wir sind diejenigen, die Kontakte, Kommunikation und Verbindung wahren und mehren wollen. So handeln wir im Auftrag des Grundgesetzes, so erfüllen wir unsere nationale und menschliche Pflicht.
Natürlich hat das auch Folgen für die Interessen und Verhandlungspositionen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR. So ist z. B. die DDR mit der Drohung nicht zu schrecken, wir würden dafür sorgen, daß ihre Deviseneinnahmen aus und in Verbindung mit dem Reise- und Besucherverkehr zurückgehen. Das würde ja bedeuten, von uns aus den Reise- und Besucherverkehr zu drosseln oder eine Devisenzwangsbewirtschaftung gegenüber der DDR einzuführen.
Ähnlich steht es mit dem Berlin-Verkehr und dem innerdeutschen Handel. Wer etwa bereit ist, die Pauschalierungsregelung aufs Spiel zu setzen oder den innerdeutschen Warenaustausch zu reduzieren, der möge sich erklären. Ohne solche Bereitschaft ist alles Reden von abgestuften Maßnahmekatalogen und dergleichen leeres Geschwätz.
In Wahrheit praktiziert die Bundesregierung ja schon seit Jahr und Tag das, was die CDU/CSU-Opposition glaubt von ihr fordern zu müssen: den Interessenausgleich nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens. Gerade weil das so ist, zöge jede nennenswerte Reduzierung des Gebens auch eine solche des Nehmens nach sich. Diese Reduzierung wäre uns im Rahmen des Transitverkehrs von und nach Berlin, im Reise- und Postverkehr in die
DDR, aber auch im innerdeutschen Handel keineswegs gleichgültig.
Das bedeutet: Wer aus diesem Interessengeflecht ausbrechen und etwa Sanktionen verhängen will, muß zuvor die Prioritäten seiner Deutschlandpolitik ändern: Auf jeden Fall müßte die Priorität der Festigung und Förderung des Zusammenhalts zwischen den Deutschen in beiden Staaten aufgegeben und weiter nach hinten verschoben werden. Wer will, daß sein Ruf nach Sanktionen so verstanden werden soll, der sollte das klar und deutlich sagen.
Ich will noch ein Weiteres hinzufügen, meine Damen und Herren. Die Zahl, von der Sie - was weiß ich, aus welchen Motiven - immer sprechen oder sprechen lassen, ist doch geradezu ärmlich. Selbst wenn wir in einem Jahr 1 Milliarde DM aus der Bundesrepublik für das ausgäben, was Deutschlandpolitik ist, wäre das nur ein Eintausendeinhundertfünfunddreißigstel unseres Bruttosozialprodukts.
({10})
Darüber reden wir so, als würden wir unser Geld aus dem Fenster schmeißen. Im Grunde genommen ist das viel zuwenig. Ich denke, das, was wir auch mit Ihrer Hilfe - das will ich gar nicht in Zweifel ziehen - in Bewegung gebracht haben, ist so viel, wie Sie tun, auch wieder nicht, wenn wir uns mit den wirklichen Zahlen vertraut machen.
({11})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Uns liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/1586 und ein Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1603 vor. Ich gehe davon aus, daß beide Anträge an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen überwiesen werden sollen. Wenn darüber Einvernehmen besteht, dann bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 8/1037 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0})
- Drucksache 8/1455 Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Hoffmann ({1}) ({2})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht zu der Vierten Novelle zum Personenbeförderungsgesetz noch durch einige Hinweise ergänzen.
Erstens. Ziel des vorliegenden Regierungsentwurfs war es, den Sachkundenachweis für den Beruf des Kraftomnibusunternehmers einzuführen. Hierzu sind alle EG-Mitgliedstaaten nach einer EG-Richtlinie vom 12. November 1974 verpflichtet. Dieser Teil der Vorlage war für den Verkehrsausschuß unproblematisch. Wir haben dem Regierungsentwurf insoweit ohne Diskussion zugestimmt.
Zweitens. Im Mittelpunkt der Beratungen des Verkehrsausschusses stand die Frage, ob der Sachkundenachweis auch für Taxi- und Mietwagenunternehmer gefordert werden sollte. Die Länder haben sich beim ersten Durchgang im Bundesrat überwiegend gegen einen solchen Vorschlag ausgesprochen. Der Verkehrsausschuß hat sich jedoch einmütig aus folgenden Gründen für einen Sachkundenachweis auch beim Taxi- und Mietwagengewerbe entschieden.
({0})
Taxiunternehmer sind Teil des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Bevölkerung ist besonders in den Abend- und Nachtstunden in erheblichem Maße auf diese wichtige Ergänzung des übrigen öffentlichen Verkehrsnetzes angewiesen.
({1})
Daher sollten nur solide und geschulte Unternehmer zu diesem Verkehrsträger Zugang haben.
({2})
Durch einen Sachkundenachweis wird die Leistungsfähigkeit dieses Verkehrsträgers gesteigert, was allen Verkehrsteilnehmern zugute kommt. Die Sachkundeprüfung dient auch der Erhöhung der Verkehrssicherheit.
Der Wettbewerb im Taxigewerbe vollzieht sich wegen der festen Preisbindungen teilweise im arbeitsrechtlichen Bereich. Arbeitszeitbestimmungen werden leider manchmal aus Unkenntnis nicht beachtet. Dem kann durch einen Sachkundenachweis entgegengewirkt werden. Der Sachkundenachweis kann entweder durch eine Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer oder auch durch vorherige angemessene Tätigkeit in einem Unternehmen des Straßenpersonenverkehrs als Angestellter erbracht werden. Einzelheiten werden durch eine Rechtsverordnung geregelt.
Bezüglich der Rechtsverordnung, an der das Parlament ebenso wie an wichtigen anderen Verordnungen im Verkehrsbereich leider nicht beteiligt wird, hat der Ausschuß einmütig bestimmte Wünsche geäußert: Die Anforderungen an die Sachkundeprüfung für Taxi- und Mietwagenunternehmer dürfen nicht überspannt werden. Verlangt werden sollten nur diejenigen Kenntnisse, die wirklich für diesen Beruf unerläßlich sind und die sich jedermann ohne allzugroßen Zeitaufwand aneignen kann. Die Sachkundeprüfung darf auch nicht als versteckte
Frau Hoffmann ({3})
Zulassungssperre für den Beruf des Taxiunternehmers mißbraucht werden. Wenn diese Voraussetzungen von der Bundesregierung bei der zu erlassenden Rechtsverordnung beachtet werden, wird es sicherlich auch gelingen, die noch bestehenden Vorbehalte der Länder im Bundesrat gegen den Sachkundenachweis auch beim Taxi- und Mietwagenunternehmer zu überwinden.
Drittens. Der Gesetzentwurf enthält schließlich noch eine Regelung, die für die Bevölkerung von Interesse sein dürfte. Bisher fehlte es an einer gesetzlichen Vorschrift, Verstöße gegen die Beförderungspflicht sowohl im Linienverkehr mit Omnibussen wie auch im Taxiverkehr zu ahnden. Solche Verstöße sind aber geeignet, die Ordnung in diesem Verkehrsbereich erheblich zu stören. Für den Verkehrsteilnehmer ist es eine große Härte, wenn er z. B. in den Abend- und Nachtstunden durch ein Taxi einfach deshalb nicht befördert wird, weil dem Taxifahrer die gewünschte Strecke zu kurz und finanziell nicht attraktiv genug erscheint.
({4})
Künftig werden Verstöße gegen die Beförderungspflicht als Ordnungswidrigkeit geahndet. Der Verkehrsteilnehmer ist also nicht mehr schutzlos, sondern er kann einen solchen Taxifahrer bei der Polizei anzeigen. Die Durchsetzung der Beförderungspflicht ist ebenso wie die Tarifpflicht für ein funktionierendes System des öffentlichen Personennahverkehrs unerläßlich.
Ich bitte das Hohe Haus, der Vorlage in der Fassung des Verkehrsausschusses zuzustimmen.
({5})
Im Anschluß an die Berichterstattung über die Ausschußberatung des vorliegenden Gesetzentwurfes möchte ich auch gleich die Stellungnahme seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgeben.
Dann eröffne ich jetzt die Aussprache.
({0})
Die CDU/CSU begrüßt die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Maßnahme des Nachweises einer sogenannten fachlichen Eignung als Voraussetzung des Zugangs zum Beruf des Omnibusunternehmers. "Die vielfältigen Aufgaben des Omnibusunternehmers, sei es im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs, bei es im Überlandverkehr oder in der Verkehrsbedienung ländlicher Räume, sei es in den größeren Dimensionen des europäischen grenzüberschreitenden Verkehrs, machen nach unserer Auffassung den Nachweis der fachlichen Eignung zu einer Notwendigkeit. Für die CDU/CSU gilt dies insbesondere auch aus Gründen der Verkehrssicherheit. So laufen beispielsweise die Maßnahmen, die Autobahngeschwindigkeit für Omnibusse Schritt für Schritt auf 100 km/h anzuheben. Auch hier sieht die CDU/CSU einen besonderen Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Nachweises der fachlichen Eignung des Omnibusunternehmers; denn besondere Verantwortung setzt besondere Qualifikation voraus.
({0})
Schließlich lassen neuere Untersuchungen immer deutlicher werden, daß die ökonomischen und technischen Möglichkeiten des Omnibusses in seinen verschiedenen Funktionen als Verkehrsmittel bei weitem noch nicht voll genutzt sind. Wir sehen im Nachweis der Sach- und Fachkunde eine notwendige Voraussetzung, um auch seitens der Omnibusunternehmer im Interesse der Verkehrsnutzer und der Fahrer wie vor allem auch der Verkehrssicherheit mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden.
Meine Damen und Herren, was hinsichtlich des Nachweises der fachlichen Eignung beim Omnibusunternehmer europaweit und national so unumstritten war und ist, sah bei den Taxi- und Mietwagenunternehmern lange Zeit ganz anders aus. Hier wurde der Nachweis der fachlichen Eignung von verschiedenen Seiten als überflüssig betrachtet. Vorbehalte z. B. auch seitens der Bundesländer nahm der Bundesverkehrsminister zum Anlaß, seinerseits bei der Vorlage dieses Gesetzentwurfes der Bundesregierung auf den Sach- und Fachkundenachweis für Taxi- und Mietwagenunternehmer zu verzichten. Bei den Verhandlungen über die EG-Richtlinie hatte sich aber die Bundesregierung seinerzeit eine Sachund Fachkundeprüfung für Taxi- und Mietwagenunternehmer noch ausdrücklich vorbehalten. Auch der Bundesrat hatte sich damals eindeutig für eine solche Maßnahme ausgesprochen. In der Zwischenzeit ist von den Verkehrspolitikern die Integration des Taxiverkehrs in den öffentlichen Personennahverkehr zielstrebig vorangetrieben worden und damit der Funktions- und Verantwortungsbereich dieses Gewerbes kräftig ausgeweitet worden. In der Zwischenzeit ist auch für Unternehmer des Güternahverkehrs eine Sach- und Fachkundeprüfung eingeführt worden, um auch hier den besonderen Belangen insbesondere auch der Verkehrssicherheit Rechnung zu tragen. Wenn aber schon für den Güternahverkehr ein Sachkundenachweis allseits für erforderlich gehalten wird, dann muß dies doch um so mehr gelten, wenn es um den Transport von Personen geht. Dies ist jedenfalls die Auffassung meiner Fraktion.
Die CDU/CSU bedauert, daß der Bundesverkehrsminister hier nicht selbst den Elan zur Initiative hatte, um Widerstände zu überwinden und andere Entscheidungsträger von der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme zu überzeugen. Allzuoft hört man vom Verkehrsminister das Argument, er warte halt die politische Entwicklung ab, bis andere Entscheidungsträger die Signale auf die Bereitschaft setzten. Meine Damen und Herren, die mangelnde Führungsbereitschaft läßt der Bundesverkehrsminister nicht nur in dieser Frage erkennen, sondern, um einige Beispiele zu nennen, auch bei der Reform des Flensburger Punktesystems, bei der Verbesserung der Verkerhssicherheit für Zweiradfahrer und beim Tempo-Limit auf Autobahnen.
({1})
Frau Hoffmann ({2})
Als um so erfreulicher bewertet es die CDU/CSU,
daß sich alle Fraktionen dieses Hauses im Verkehrsausschuß dazu bereit gefunden haben, in der Frage des Nachweises der fachlichen Eignung für Taxi- und Mietwagenunternehmer jetzt Nägel mit Köpfen zu machen. Wir begrüßen es mit Nachdruck, daß es bei den Ausschußberatungen über den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes gelungen ist, einstimmig den Sach- und Fachkundenachweis für Taxi- und Mietwagenunternehmer aufzunehmen, nicht zuletzt, weil hier einem mittelständischen Gewerbezweig die Möglichkeit gegeben wird, durch Selbsthilfemaßnahmen für Ordnung im Interesse der Verkehrsteilnehmer zu sorgen.
({3})
Meine Damen und Herren, die Verkehrspolitik hat seit Jahren zielstrebig die Einbeziehung des Taxiverkehrs in das Gesamtsystem des öffentlichen Personennahverkehrs betrieben. Diese Entwicklung wie auch die Vielfalt der Probleme des innerstädtischen Verkehrs stellen auch den Taxiunternehmer zunehmend vor neue und schwierige Aufgaben und Verantwortungsbereiche,
({4})
die insbesondere auch im Interesse der Verkehrssicherheit und damit im Interesse des Lebens und der Gesundheit der Fahrgäste eine besondere fachliche Eignung erfordern.
({5})
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Niemand will hier fachliches Wissen hochstilisieren, niemand will die Einführung eines Dr. mot. Befürchtungen in dieser Richtung, die in diesen Tagen gelegentlich in der Presse anklangen, können wir nicht teilen. Gute Beispiele für die Nützlichkeit dieser Maßnahme ohne nennenswerten Verwaltungsaufwand liegen aus dem Bereich des Güternahverkehrs vor. Worum es hier geht, ist einfach dies: Es ist nach unserer Meinung an der Zeit, daß wir vom Unternehmer das verlangen, was für den Fahrer seit langem eine Selbstverständlichkeit ist.
({6})
Ich halte es im Interesse dieser Sache für besonders wertvoll, daß der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages zu einem einstimmigen Votum gekommen ist. Es ist bereits heute erkennbar, daß dies die Bereitschaft der Länder, diese Maßnahme nunmehr auf breiter Basis mit zu tragen, entscheidend beeinflußt.
Lassen Sie mich mit der Bemerkung schließen, daß diese Maßnahme nicht zu mehr Verwaltungsaufwand führt, sondern daß hier die Organisationen der Wirtschaft im Wege der Selbsthilfe tätig werden. Dazu sollten wir ihnen die gesetzliche Grundlage nicht verweigern.
({7})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Hoffmann, Sie haben heute in Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen meine Glückwünsche ausspreche,
({0})
nicht nur den Konsens dargestellt, den wir in dieser Frage im Ausschuß erzielt haben, sondern Sie haben darüber hinaus, wie ich es empfunden habe, eine parteipolitische Pflichtübung gemacht, indem Sie hier festgestellt haben, daß der Bundesverkehrsminister damit, daß er die Sach- und Fachkundeprüfung für Taxi- und Mietwagenunternehmer nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen hat, Mangel an Führungsfähigkeit zeigt. Dieser Vorwurf ist sicherlich nicht nur nicht angebracht, sondern er ist falsch, wenn man weiß, daß die Bundesländer diesem Gesetz zustimmen müssen, wenn es in Kraft treten soll.
Der Bundesverkehrsminister hat von daher sicherlich richtig gehandelt, wenn er gerade den Einsprüchen, die vornehmlich aus den CDU/CSU-Ländern kamen, bei der Einbringung Rechnung getragen hat.
({1})
Im wesentlichen haben wir es bei dem vorliegenden Gesetz doch damit zu tun, daß die Bundesregierung einer Verpflichtung nachkommt, nämlich eine EG-Richtlinie vom 12. November 1974 über den Zugang zum Beruf des Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Bereich eben durch die Ergänzung des Personenbeförderungsgesetzes nationales Recht werden zu lassen. Dies ist aber nur der eine Aspekt, vor allem wegen der nicht in der Richtlinie enthaltenen Vorschriften, die aus den von mir bereits dargelegten Gründen in der Regierungsvorlage keinen Niederschlag gefunden haben.
Im Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen haben wir diesen Bereich aber einmütig in den Gesetzentwurf einbezogen. Ich möchte meine Ausführungen, auch aus zeitlichen Gründen, nur auf diesen Aspekt der Fach- und Sachkundeprüfung für Taxi- und Mietwagenunternehmer abstellen. Eine Sachkundeprüfung ist heute bereits auf Grund der einschlägigen Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes für den Güterfernverkehr sowie für den Güternahverkehr erforderlich. Es ist also eigentlich nur eine Gleichstellung des Straßenpersonenverkehrsgewerbes mit dem Güterkraftverkehrsgewerbe, wenn wir auch hier eine Sachkundeprüfung für die Aufnahme dieser Tätigkeit fordern. Schließlich ist nicht einzusehen, daß ein Unternehmen, das die Beförderung von Personen zur Aufgabe hat, von weniger sachkundigen Personen geführt werden kann als ein Unternehmen, das Kies, Sand und Steine befördert. Die bereits angeführte EG-Richtlinie beschränkt sich nun in ihrer Forderung eines Sachkundenachweises auf Straßenbahn, Obus und Kraftomnibusse. Es würde jetzt zu weit führen, darzulegen, wie es zu dieser Beschränkung in der EG-Richtlinie gekommen ist.
Daß die Bundesregierung schon seinerzeit den Willen gehabt hat, eine veränderte nationale RegeMahne
lung einzuführen, wird daraus ersichtlich, daß die Delegation im EG-Ministerrat am 28. Juni 1974 erklärt hat, daß sie sich vorbehalte, einen Sachkundenachweis auch für Taxen und Mietwagen im Bereich der Bundesrepublik einzuführen. Es hat schließlich an einer Mehrheit der Länderverkehrsminister gelegen, daß uns die Bundesregierung den Gesetzentwurf in der bekannten Fassung zugeleitet hat. Wenn aber die fachliche Eignung eine Voraussetzung zur Ordnung des Verkehrsmarktes, zur Verbesserung des Vertrauensschutzes der Kunden und schließlich zur Hebung der Verkehrssicherheit ist, so muß dies nach unserer Auffassung für das gesamte Straßenpersonenverkehrsgewerbe gelten.
Eine Einbeziehung des Taxen- und Mietwagenverkehrs in die gesetzlichen Regelungen ist notwendig, da die Entwicklung gerade in den vergangenen Jahren in zahlreichen Städten gezeigt hat, daß dieser Bereich mehr und mehr in den öffentlichen Personennahverkehr integriert ist. Taxen sind heute bereits der wichtigste Träger - so widersprüchlich das auch klingen mag - des individuellen öffentlichen Personennahverkehrs. Taxen werden aber künftig noch verstärkte Bedeutung als Ergänzungs- und Ersatzverkehrsmittel zum übrigen öffentlichen Personennahverkehr gewinnen. Dadurch werden in zunehmendem Maße wichtige Interessen der Allgemeinheit berührt. Wir sind der Auffassung, daß durch die vorgesehene Regelung mit darauf hingewirkt werden kann, das Qualitätsangebot und damit die Attraktivität des Taxiverkehrs zu verbessern.
Ich nenne ein weiteres Argument. Beim Taxi- und Mietwagengewerbe handelt es sich überwiegend um Kleinstunternehmen, zu mehr als 90 % jeweils nur mit einer oder zwei Konzessionen. Diese Unternehmer und ihre Familien müssen nicht nur hart arbeiten, um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten; sie müssen auch viel Risiko zu tragen bereit sein.
Wir sind uns dieser Situation bewußt und sind der Auffassung, daß es daher unsere Aufgabe sein muß, diesen Verkehrsbereich tatkräftig zu unterstützen. Man darf nicht übersehen, daß es im Taxigewerbe eine erhebliche Fluktuation gibt. Viele Unternehmer - es sind fast ausschließlich die Einzelkonzessionäre - müssen nach kurzer Zeit ihr Gewerbe wieder aufgeben, da sie offensichtlich der harten Konkurrenz nicht gewachsen waren oder aber von falschen Voraussetzungen bei der Aufnahme ihres Gewerbes ausgegangen sind. Viele dieser Unternehmer waren sich nicht in vollem Ausmaße ihrer steuerlichen, rechtlichen und sozialen Verpflichtungen bewußt. Diese Problematik zeigte sich ihnen erst, als ihnen die finanziellen Verpflichtungen über den Kopf wuchsen. Eine Sachkunde kann dazu dienen; daß das Risiko für diese Menschen kalkulierbarer gemacht wird.
Wir wollen nicht - das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen -, daß mit der Sachkundeprüfung im Taxi- und Mietwagenverkehr eine zusätzliche, von uns allen nicht gewollte Bürokratisierung um sich greift.
({2})
Außerdem wollen wir nicht, daß sich die Sachkundeprüfung als eine Art Marktzugangsregelung und -beschränkung für neue Unternehmer auswirkt. Die Anforderungen an die Prüfung und damit an den künftigen Unternehmer sollen nur das beinhalten, was in diesem Beruf auch wirklich gebraucht wird. Eine Tätigkeit beispielsweise als Angestellter in einem Unternehmen des Straßenpersonenverkehrs wäre nach unserer Auffassung schon ein möglicher Fachkundenachweis.
Gerade aus den zuletzt genannten Gründen der möglichen Gefahr der Bürokratisierung und des Mißbrauchs der Sachkundeprüfung und des Sachkundenachweises hat sich die Fraktion der SPD ihre Entscheidung nicht leichtgemacht. Sie hat sich in ihren Sitzungen ausführlich - ich muß sagen, eigentlich mehr, als es dieses Thema insgesamt erfordert hätte - mit diesen Fragen auseinandergesetzt und ist dann schließlich nach Abwägung aller Argumente zu dem Ergebnis gekommen; daß ein Sachkundenachweis für das gesamte Straßenpersonenverkehrsgewerbe eingeführt werden muß und sich nicht nur vor allem auf. Omnibusunternehmen beschränken darf.
Um es zum Schluß noch einmal ganz klarzustellen - es hat ja auch leicht verwirrende Pressemeldungen in den vergangenen Wochen gegeben -: Wir wollen nicht den akademisch vorgebildeten Taxifahrer, sondern wir wollen durch die Fachkunde für die Unternehmer die berufliche Situation und die verkehrspolitische Funktion des Taxigewerbes stärken und besser absichern, und zwar nicht nur im Interesse des Gewerbes selbst, sondern vor allem im Interesse der Verkehrsbenutzer.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe kein Manuskript mitgebracht! Es kann also gar nicht so lange dauern; von daher brauchen Sie nicht ungeduldig zu werden!
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest, daß die Vertreterin Ihrer Fraktion,
({1})
Frau Kollegin Hoffmann, eine fast gute Rede gehalten hat. Ich muß diese Einschränkung machen,
weil sie sich leider auch an der Unsitte beteiligt hat,
({2})
bei passender und bei unpassender Gelegenheit - dies war eigentlich eine unpassende Gelegenheit - zu versuchen, dem Bundesverkehrsminister eins zwischen die Hörner zu geben.
({3})
Bei diesem Gesetzentwurf ist dies völlig unbegründet,
({4})
denn der Bundesverkehrsminister hat in der Vergangenheit auf dem Felde, auf dem zu streiten war, in Brüssel, alles versucht, auch die Taxen in die Sachkundeprüfung einzubeziehen. Wenn Sie sich die Vorlage des Jahres 1976 ansehen, die nicht verabschiedet wurde, weil auch in den von Ihnen geführten Ländern Widerstände erwuchsen, so werden Sie sehen, daß sie auch die Einbeziehung der Taxen und Mietwagen beinhaltet.
({5})
- Das war darin enthalten, Herr Mertes! Von daher kann an der positiven Haltung des Bundesverkehrsministers zu dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages - Gott sei Dank wurden hier nicht Prioritäten aufgebaut, die es dort fast gar nicht gibt - kein Zweifel bestehen; er brachte dem Beschluß des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages große Sympathie entgegen. Er hat uns dieser Sympathie immer wieder versichert.
Auch aus dem Bereich der Länder, die von Sozialdemokraten bzw. den Koalitionsparteien geführt werden, gab es in der Vergangenheit zustimmende Voten, und zwar nicht nur bei festlichen Veranstaltungen des jeweiligen Gewerbes, sondern auch bei. früheren Beratungen und Besprechungen über diesen Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren, über den Inhalt brauche ich eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Er ist eingehend von beiden Rednern dargelegt worden. Ich darf vielleicht noch den Gesichtspunkt hinzufügen, daß an eine Verbürokratisierung überhaupt nicht gedacht werden kann, denn diese Prüfungen werden zur Zeit für das Güterkraftverkehrsgewerbe, Fern- und Nahverkehr, von den Industrie- und Handelskammern zur allseitigen Zufriedenheit durchgeführt. Außerdem kann auch gar nicht die Gefahr bestehen, daß wir durch solche Nachweise über Sach- und Fachkunde akademisch gebildete Unternehmer heranbilden wollen, weil es, wie ich sagte, dieses Verfahren in einem sehr großen Bereich unserer Verkehrswirtschaft schon jetzt gibt. Von da her kann es in dieser Richtung überhaupt keine Bedenken geben. Ich verstehe die Bedenken der Länder überhaupt nicht. Hier wird keine neue Entwicklung eingeleitet. Zweifelsfrei ist es doch so, daß die Taxen und Mietwagen eine immer größere Bedeutung als Teil des ÖPNV erlangen. Dies ist unbestritten. Das ist in mehreren Erklärungen unwidersprochen festgestellt worden. Sie sind Teil des ÖPNV mit allen Erschwerungen in diesem Bereich, aber nehmen nicht an den Beihilfen teil, die für Teile desÖPNV aus Bundes- und Ländermitteln gezahlt werden. Hier erfahren sie ohnehin schon eine Benachteiligung. Wenn wir wissen, daß Taxen in zunehmendem Maße in den Spätstunden als Ersatz für Linienbusse eingesetzt werden, wird um so mehr die Notwendigkeit sichtbar, dafür zu sorgen, daß diese Betriebe auch von Leuten geführt werden, die eingehende Erfahrungen über die Eigenarten und die Notwendigkeiten im Verkehrsbereich, auch in Fragen der Verkehrssicherheit, haben. Diese Erfahrungen müssen nun nachgewiesen werden.
Ich darf für die Freien Demokraten erklären, daß wir dem Gesetzentwurf in der im Ausschuß gefundenen Form zustimmen und erwarten, daß die Länder nicht ohne Not und ohne zwingenden Grund über ein einstimmiges Votum des Deutschen Bundestages hinweggehen werden.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1, 1 a und 2 bis 4 in der Ausschußfassung, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Schlußabstimmung Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Herr Straßmeir, Sie hatten nicht etwa dagegen gestimmt?
({0})
- Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten -Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes
- Drucksache 8/1041 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 8/1546 -Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({2}) ({3})
Wünschen die Berichterstatter ,das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 der Ausschußfassung, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich nehme an, daß das Haus einstimmig so beschlossen hat. - Vielen Dank. In zweiter Beratung angenommen.
Vizepräsident Frau Renger Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1546 unter Nr. 2, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Durchführung von Statistiken der Bautätigkeit und die Fortschreibung des Gebäudebestandes ({4})
- Drucksache 8/598 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/1600 - Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({6})
- Drucksachen 8/1407, 8/1550 - Berichterstatter: Abgeordneter Niegel ({7})
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Niegel.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Gesetz handelt es sich um eine Aktualisierung und Verbesserung der Baustatistik. Damit soll erreicht werden, durch die Neugestaltung der Baustatistik insbesondere städtebaulich relevante Inhalte stärker zu betonen und die Aussagefähigkeit der Statistik im Hinblick auf die wohnungswirtschaftliche Versorgung, die Konjunkturpolitik, die Raumordnung und den Umweltschutz zu erweitern.
Dieses Gesetz wurde zuletzt 1960 geordnet. Um was handelt es sich hier? Es sollen genehmigungs-und zustimmungsbedürftige Baumaßnahmen auf dem Gebiet des Hochbaus erfaßt werden, bei denen Wohnraum oder sonstiger Nutzraum geschaffen oder verändert wird, und Gebäude und Gebäudeteile, deren Nutzung geändert wird oder die durch bauaufsichtliche Maßnahmen, Schadensfälle oder Abbruch der Nutzung entzogen werden. Zweitens soll die Tiefbaustatistik ebenfalls insbesondere bei öffentlichen Aufgaben erfaßt werden.
Der Ausschuß hat sich damit dreimal befaßt. Kritisch war, daß der Bundesrat grundsätzliche Einwendungen erhoben hat, und zwar Bedenken gegen die Erweiterung des Erhebungsprogramms insbesondere im Bereich der Tiefbaustatistik, und gebeten hat, im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob bei einer Gegenüberstellung von Kosten- und Nutzengesichtspunkten im Hochbaubereich insbesondere die Erhebung der Genehmigungs-und der Fertigstellungszeitpunkte erforderlich sei. Für den Tiefbaubereich hat er vorgeschlagen, auf Erhebungen über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge überhaupt zu verzichten.
({0})
Bei Betrachtung der Angelegenheit sind wir im Ausschuß zu der Überzeugung gekommen, daß zum einen die Kriterien, die in dem Bundesbaugesetz, dem Städtebaugesetz und der Baunutzungsverordnung festgelegt worden sind, in der Baustatistik aufgeführt werden sollten.
Als zweites war zu prüfen, ob die Stellung des Bauherrn im Beruf erfaßt werden soll. Wir sind im Ausschuß zu der Überzeugung gekommen, daß es sehr interessant ist, z. B. zu wissen, ob ein Arbeiter ein Einfamilienhaus baut. Ich glaube, das ist für unsere Politik in diesem Haus sehr wichtig.
Vor allem war zu prüfen, ob die Tiefbaustatistik beibehalten werden soll und, wenn ja, ab welcher Höhe. Wir sind zu der Überzeugung gekommen: Die Tiefbaustatistik ist nötig, weil sonst 30 % des Gesamtumsatzes des Bauhauptgewerbes nicht erfaßt würden und drei Viertel der gesamten öffentlichen Bautätigkeit ebenfalls nicht in der Statistik erscheinen würden. Insbesondere würden der gesamte Straßenbau und die infrastrukturellen Bauinvestitionen nicht statistisch erfaßt werden.
Wir haben die Überzeugung, daß die Statistik nicht nur uns Politikern, den Verwaltungen und der Regierung dient, damit Entscheidungen getroffen werden können, sondern auch eine gewisse Dienstleistung für das Baugewerbe und die Wirtschaft ist, die - neben der Lohnsteuer - letztlich unseren Staat mitfinanzieren. Deshalb sollten wir als Staat diese grundsätzliche Dienstleistung der Wirtschaft angedeihen lassen. Auch die Wirtschaft hat dafür plädiert, daß man die Statistik in dieser Form beibehält. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die Baustatistik auch im Tiefbausektor beizubehalten.
Fraglich war nur die Höhe des Bauauftragsvolumens. Die Bundesregierung hatte vorgeschlagen, daß alles das nicht erfaßt werden solle, was unter 100 000 DM liegt. Bisher liegt die Grenze bei 25 000 DM. Wir haben im Ausschuß einen Kompromiß mit 50 000 DM gefunden. Das ist im Hinblick auf die Entwicklung seit 1960 ein Indikator, den man in etwa akzeptieren kann. Gerade die Bauaufträge unter 100 000 DM gehen an die mittelständische Wirtschaft. Gerade die mittelständische Wirtschaft hat ein Interesse zu erfahren, inwieweit sie bei der Vergabe von Bauaufträgen irgendwie berücksichtigt werden kann.
Eine grundsätzliche Frage, die bei der Beratung dieses Gesetzes angesprochen worden ist, sollte man generell erörtern. Wir haben uns dabei über sehr viele Einzelheiten unterhalten und sind zu der Mei6190
nung gekommen, daß auf dem Verordnungsweg oft wesentliche Belange am Parlament vorbeigehen. Wir sollten fast vorschlagen: Wir als Parlament beschließen grundsätzlich ein solches Gesetz, wonach eine Baustatistik geführt wird, und stecken auch den Rahmen ab. Aber die Einzelheiten der Durchführung sollte das zuständige Ministerium mit den Ministerien der Länder festlegen. Hier wird die Vertrautheit mit bestimmten Fachbegriffen gefordert. Hier geht es auch um die praktische Durchführung. Das sollte auch mit den statistischen Landesämtern und dem Statistischen Bundesamt abgeklärt werden. Wir sind deshalb der Meinung, daß wir die Grundsatzentscheidung künftighin als Gesetz treffen, die Ausführung im einzelnen dagegen auf dem Verordnungsweg erfolgen sollte. Wenn sich das nicht bewährt, könnte man das dann auch in kürzerer Frist entsprechend ändern.
({1})
Das wäre meines Erachtens eine Anregung, die man hier geben könnte.
Abschließend darf ich hier noch folgendes sagen: Auch die Vertreter des Bundesrates sollten berücksichtigen, daß die Kosten der Durchführung von Baustatistiken relativ gering sind.
({2})
Es werden keine zusätzlichen Kosten verursacht. Der Bauherr muß den Antrag sowieso zweifach ausfüllen. Es wird lediglich beim Bauantragsverfahren eine Meldung abgegeben. Die gleiche Meldung, die gleichen Daten werden dann nach Fertigstellung des Baues, nach Abnahme des Baues - die Meldung wird nur noch mit einem Stempel versehen, aus dem hervorgeht, daß das Haus an diesem Tag abgenommen worden ist - an das Statistische Landesamt weitergereicht. Das wird praktisch keine zusätzliche Arbeit verursachen. Ich glaube, daß im Verhältnis zum Nutzen dieser Statistik die Kosten minimal sind. Diese Kosten sollten wir ruhig übernehmen. Deshalb appelliere ich an den Bundesrat, diesem Gesetz die Zustimmung zu geben.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und bitte dieses Haus im Namen des Ausschusses, dem Gesetz die Zustimmung zu geben.
({3})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung in der Einzelberatung. Ich rufe die §§ 1 bis 9 in der Ausschußfassung, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
({0})
- Ja, wenn er es so will, wird es notiert: Herr Dr. Möller hat dagegen gestimmt. Gegen eine Stimme angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein. Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
- Drucksache 8/1490 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({1})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Berger.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem uns jetzt zugeleiteten Gesetzentwurf erinnert der Bundesrat mit Recht daran, daß der Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung bereits seit 1975 im Besoldungsgesetz fest verankert ist. Dabei verdient Anerkennung, daß der Bundesrat in einer Zeit, in der unsere gesellschaftliche Ordnung schweren Belastungen ausgesetzt ist, das Augenmerk gerade auf eine gerechtere Bewertung der Aufgaben unserer Polizeivollzugsbeamten gerichtet hat.
({0})
Die besoldungsrechtliche Anerkennung von Spitzenleistungen im mittleren Dienst, wie sie dem Bundesratsentwurf zugrunde liegt, weist einen Weg in die richtige Richtung. Eine solche Initiative ist deshalb so dankenswert, weil von der Bundesregierung offenbar keinerlei Aktivitäten zur gezielten Verwirklichung des Grundsatzes einer funktionsgerechten Besoldung zu erwarten sind, wozu sie seit nunmehr drei Jahren durch das neue Besoldungsgesetz beauftragt ist. Zwar hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Bundesratsentwurf einen Gesetzentwurf angekündigt, der eine, wie es dort heißt, „ausgewogene Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen" enthalten soll. Aber schon zur Erarbeitung dieser Stellungnahme, die nur zwei Sätze umfaßt, mußte die Bundesregierung die ihr gesetzte Frist von drei Monaten überschreiten.
Bisher gab es jedoch nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß sich die Bundesregierung oder die sie tragenden politischen Kräfte in absehbarer Zeit zu einem solchen konstruktiven Vorschlag aufraffen werden. Denn hierzu wäre eine völlige Abkehr von einer ständig gegen das Berufsbeamtentum gerichteten Politik seiner schrittweisen Aushöhlung notwendig. Daß hieran nicht zu denken ist, beweisen u. a. die Beschlüsse des SPD-Parteitages vom vorigen November. Diese gehen dahin, das Parlament von der Regelung aller finanziellen Belange der Beamtenschaft auszuschließen. An die Stelle solcher Regelungen sollen tariflich auszuhandelnde Vereinbarungen der Exekutive und der Gewerkschaften und notfalls der Arbeitskampf treten. Mein im übrigen
Berger ({1})
6) sehr geschätzter Kollege Liedtke hat ja ausdrücklich bekräftigt, daß der Parteitagsbeschluß schrittweise - ({2})
- Herr Kollege Wolfram, „im übrigen" - das wissen Sie genau - heißt, daß ich dem Kollegen Liedtke in- diesem Punkt die ihm sonst entgegengebrachte Wertschätzung nicht zollen kann. Denn er hat ja nun gerade die Interpretation gegeben, daß - ich zitiere - „in täglicher Kleinarbeit verwirklicht" werden soll, was der Parteitagsbeschluß als Ziel anspricht. Wie dies gemacht wird, ist uns gerade erst anschaulich vor Augen geführt worden, als die Regierungskoalition die Beratungen über den diesjährigen Haushalt dazu benutzt hat, kurzerhand 1 500 Beamtenstellen - ausgerechnet hauptsächlich im Bereich der Bundeswehr - auf Dauer in Angestelltenstellen umzuwandeln.
In dieser Situation können wir kaum erwarten, daß uns die Bundesregierung konstruktive Vorschläge zur Lösung der immer drängender werdenden strukturellen Besoldungsprobleme auf den Tisch legt.
Freilich scheint sich auch abzuzeichnen, daß der Bundesrat mit dem heute zur ersten Beratung anstehenden Gesetzentwurf zunächst lediglich ein Signal
setzen wollte. Denn inzwischen liegt ein weiterer Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg dem Bundesrat als Bundesratsdrucksache 121/78 zur Beschlußfassung vor. Danach sollen nicht nur bei der Polizei, sondern auch in den anderen Spitzenämtern des mittleren Dienstes in der Besoldungsgruppe A 9 auf herausgehobenen Dienstposten Amtszulagen vorgesehen werden. In der Tat wäre es naheliegend, zu vermeiden, daß andere Berufsgruppen von der besoldungsmäßigen Anerkennung ausgeschlossen werden, wenn bei ihnen in Spitzenpositionen gleich hohe Anforderungen gestellt werden.
In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, zusätzlich auf folgendes aufmerksam zu machen. In derselben Besoldungsgruppe A 9, über deren Weiterführung für Spitzenämter des mittleren Dienstes wir jetzt diskutieren, sind die Eingangsämter des gehobenen Dienstes ausgebracht, und zwar im Anfangsgehalt mit einem Abstand von 600 DM zum Endgrundgehalt dieser Besoldungsgruppe. Für die Beamten in diesen Stellungen wird beim Bund 1979 die bereits gesetzlich festgelegte Fachhochschulausbildung verwirklicht. Bereits das Besoldungsneuregelungsgesetz von 1975 hatte die notwendigen Konsequenzen aus der qualifizierteren Ausbildung gezogen und das Eingangsamt in die Besoldungsgruppe A 10 höhergestuft. Dies ist für den nichttechnischen Dienst im Haushaltsstrukturgesetz Ende 1975 in unvertretbar pauschaler Weise zurückgenommen worden - abgesehen von weiteren Verschlechterungen wie insbesondere hinsichtlich der Beförderung junger Beamter in das erste Beförderungsamt. Daher muß für eine ausgewogene Gesamtlösung auch die Streichung jener Verschlechterung der Besoldungsregelung von 1975 durch das Haushaltsstrukturgesetz geprüft werden.
Meine Fraktion wird sich für eine Lösung einsetzen, die sowohl vor der Gesamtheit der Bürger als auch vor der Beamtenschaft mit gutem Gewissen vertreten werden kann. Dabei steht für uns fest: Den Polizeivollzugsbeamten und den Angehörigen anderer Berufe im öffentlichen Dienst müssen in einer Zeit ständiger Verunsicherung - auch infolge hektischer, ideologiebeladener Reformsucht, die nicht meine Freunde und ich zu vertreten haben - Höchstleistungen abverlangt werden. Sie bekommen zum Teil die Folgen einer wirklichkeitsfremden Bildungspolitik nicht nur im Beruf, sondern schon beim Zugang zum Beruf zu spüren, wobei ich hier an die Absolventen vieler Studiengänge denke.
Wir würden es für ein Unrecht halten, wenn die hiermit verbundenen Benachteiligungen einseitig der Beamtenschaft oder der nachwachsenden Beamtengeneration aufgebürdet würden. Deshalb plädieren wir dafür, daß vordringlich die längst gesetzlich verankerte, an den Funktionen und Leistungen orientierte Besoldung im öffentlichen Dienst konkretisiert wird und hierbei die Initiativen des Bundesrats eingebracht werden.
Wir stimmen der Überweisung an die Ausschüsse in der Erwartung zu, daß dort keine Verschleppung stattfinden wird, sondern der Entwurf zügig und umfassend beraten wird.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Liedtke.
Frau Präsidentin! Meine Damen Damen und Herren! Herr Kollege Berger, Sie sind mir schon ein rechter Schelm. Ich habe nicht ohne innere Heiterkeit in der letzten Ausgabe der Zeitung des Deutschen Beamtenbundes gelesen, wie in drei Artikeln niedergeschrieben worden ist, was ich so alles gesagt haben soll. Und nun zitiert Herr Berger seine eigene Verbandszeitung und zieht daraus den Schluß, ich hätte das wirklich gesagt.
Ich erkläre hiermit feierlich, daß ich es weder in der Vergangenheit getan habe noch in der Zukunft zu tun gewillt bin, zum Frühstück jeweils einen Beamten zu verspeisen. Ich denke gar nicht daran, den Beamtenstand in irgendeiner Weise anzugreifen oder mir das unterstellen zu lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger? - Bitte.
Herr Liedtke, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht die Verbandszeitung des Deutschen Beamtenbundes, sondern die Zeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in der Ihre Interpretation zum SPD-Parteitagsbeschluß steht, zur Grundlage meiner Überlegungeh gemacht habe?
Ich habe es in Ihrer Zeitung gelesen. Haben Sie es da übernommen? - Na, lassen wir das.
Ich komme zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich darf daran erinnern, daß bereits im Dezember 1970 die Innenminister der Länder und der damalige Bundesinnenminister Genscher einmütig festgestellt haben, daß es wünschenswert, einsehbar und notwendig sei, bei der Polizei und ihren spezifischen Aufgaben ein neues Spitzenamt zu schaffen. Wir haben dem damals positiv gegenübergestanden, weil es im Bereich des mittleren Dienstes, um den es geht, zwischen dem allgemeinen öffentlichen Dienst und_ der Polizei in der Tat meßbare Unterschiede gibt. So dauert beispielsweise die Ausbildung im allgemeinen mittleren Dienst in der Regel zweieinhalb Jahre, bei der Polizei drei Jahre. Die Folgerung ist, daß das Eingangsamt der Polizei um eine Stufe höher liegt als im allgemeinen mittleren Dienst; es ist nämlich A 6. Das Entscheidende ist aber, daß im öffentlichen Dienst allgemein etwa ein Drittel der Beschäftigten im mittleren Dienst tätig ist, während es bei der Polizei 80 % sind. Bei der Schutzpolizei sind es sogar 86 %. Das sind wägbare und einsehbare Gründe. So akzeptieren wir auch die polizeispezifische Begründung des Bundesratsentwurfs.
Frohen Mutes und offen auf dieser Fährte sehen wir nun, daß seit dem 24. Februar dieses Jahres das Land Baden-Württemberg mit der wortgleichen polizeispezifischen Begründung die Einführung dieses neuen Amtes für den gesamten öffentlichen Dienst fordert und damit eine Dimension schafft, die alles in Bewegung setzt. Wer in diesem Hause möchte im mittleren Dienst ein neues Spitzenamt mit einer Zulage von 225 DM im Monat schaffen, ohne dabei beispielsweise die gleiche Notwendigkeit im ein- fachen Dienst einer Überprüfung zu unterziehen? Das will kein Sozialdemokrat, kein Freier und auch kein Christdemokrat.
Das bedeutet aber, daß Sie dann die Statik, das Behalten im gehobenen und höheren Dienst nur sehr schwer bewerkstelligen können, weil Sie schon eine ganze Menge Bewegungsmomente hineingebracht haben. Und dann jonglieren Sie nicht mehr mit ein paar 10 Millionen DM, sondern dann geht es in gewaltige Dimensionen für Bund, Länder und Gemeinden hinein. Das heißt, die Länder müssen ehrlich sagen, was sie wollen.
Einverstanden mit dem jetzigen Entwurf des Bundesrates und dessen polizeispezifischer Begründung, die vertretbar und notwendig ist. Wenn nun diese Begründung übertragen wird, muß ich sagen: Hier naht im Gewande einer gütigen Fee mit dem Gesetzentwurfs Baden-Württembergs im Grunde der Beelzebub für das neue Spitzenamt der Polizei.
In der Sache gehören dieser hier nun eingebrachte Entwurf und der im Bundesrat liegende Entwurf zusammen. Ich kann nur wünschen und hoffen, daß der Bundesrat diesen zweiten Entwurf sehr zügig berät. Im Interesse der Polizei kann ich nur hoffen, daß er sich Mäßigung auferlegt. Wir werden dann beide Entwürfe gemeinsam hier im Bundestag angehen und, wie ich hoffe, in einer guten Form abschließen. Aber das liegt nicht mehr allein in unserer Hand.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese Vorlage ist sicher - darauf war auch schon hingewiesen worden - ein alter Punkt; bloß glaube ich, man kann sie nicht ganz so verpacken,. wie Sie, Herr Kollege Berger, es gemacht haben. Man muß die Frage auf den wirklichen Kern reduzieren, der hier politisch, besoldungspolitisch und gesamtpolitisch zu behandeln ist. Dabei bringen uns allgemeine Erwägungen über das Schicksal oder die bedrohte Position des Berufsbeamtentums - was Sie ausgeführt haben - in dieser Frage keinen Schritt weiter.
Worum geht es denn? Diese Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes, die für bestimmte Funktionen des mittleren Polizeidienstes eine Amtszulage ausbringen will, hat, wie ich sagte, eine lange Vorgeschichte; der Herr Kollege Liedtke ist darauf eingegangen. Heute geht es bei der Vorlage um eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen, der sich der Bundesrat angeschlossen hat. Sie findet ganz sicher - davon muß man, glaube ich, ausgehen - ihre sachliche Begründung darin, daß unabhängig von der Polizeiorganisation in allen Ländern von Polizeihauptmeistern Funktionen wahrgenommen werden, die sich hinsichtlich ihrer Schwierigkeit und ihres Verantwortungsgrades von den Funktionen anderer Hauptmeister abheben. Ich glaube, diesen besonderen Punkt muß man an den Eingang stellen, wenn man diese Vorlage behandelt. Darum geht es hier.
Die Vorgeschichte besteht doch darin, daß früher - Herr Kollege Liedtke hat davon gesprochen - gleichlautende Überlegungen daran gescheitert sind, daß man damals auch in den Ländern gemeint hat, eine solche Sonderregelung für die Polizei ähnliche oder andere Forderungen für den gesamten mittleren Dienst auslösen müßte - mit dann auch finanziellen Konsequenzen, von denen man meinte, sie seien nicht realisierbar. Dahinter stand natürlich schon damals und steht auch heute die Frage, ob im Interesse einer ausgewogenen Gesamtlösung des Besoldungsgefüges eine solche isolierte Regelung für die Polizei vertretbar und notwendig ist.
Diesen Zusammenhang hat die Bundesregierung offensichtlich bejaht, wenn sie in ihrer Stellungnahme ausführt, daß die vom Bundesrat vorgeschlagene Amtszulage für den mittleren Polizeidienst im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen behandelt werden muß. Sie hat auch die Vorlage eines entsprechenden Entwurfs angekündigt. Ich glaube, das würde nicht so sehr lange dauern, wie Sie meinen, Herr Kollege Berger.
Es wird aber bei der kommenden Beratung der Vorlage zu prüfen sein, ob diese Annahme, nämlich dieser Sachzusammenhang, der hier hergestellt worden ist, wirklich zwingend ist. Ich möchte hier zunächst für meine Person einige Fragezeichen anbringen. Es gibt ganz sicher einige Überlegungen, deren Ursachen polizeispezifisch sind; einige davon hat Herr Liedtke schon genannt. Die PolizeibeamDr. Wendig
ten des mittleren Dienstes haben für alle Eingriffshandlungen nicht nur eine Vollzugs-, sondern auch eine Anordnungskompetenz. Polizeiliche Handlungen bedeuten auch für den mittleren Dienst in der Regel Ad-hoc-Entscheidungen, die auch sofort mit adäquaten Zwangsmitteln durchgesetzt werden müssen, über die der Beamte eigenverantwortlich zu entscheiden hat. Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeit der Mittel sind zwei der wichtigsten Grundsätze, die oft nach sehr kurzen Überlegungsphasen vor jeder konkreten Entscheidung zu beachten sind.
Ein anderes Problem ist der sehr hohe Anteil des mittleren Dienstes in der Polizeiverwaltung, die sich von anderen Verwaltungen unterscheidet. Für andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung mögen sicherlich andere Spezifika gelten. Nachdem - und damit komme ich auf den Zusammenhang, der nun einmal hergestellt ist - das Land Baden-Württemberg seinerseits eine eigene Gesetzesvorlage im Bundesrat eingebracht hat, nach der die Amtszulage auf den gesamten mittleren Dienst erstreckt werden soll, ist ein Sachzusammenhang bei der Beratung der gegenwärtigen Vorlage hergestellt, ob wir es wollen oder nicht. Dieser Antrag des Landes Baden-Württemberg, sollte er vom Bundesrat beschlossen werden, wirft für das gesamte Besoldungsgefüge allgemeine und grundsätzliche Fragen auf. Ich will heute in meiner Erklärung an dieser Stelle in keiner Weise näher darauf eingehen.
Eines steht dabei sicherlich fest: Eine solche Regelung, eine solche Lösung, kann dann sicherlich auch nicht allein auf den mittleren Dienst beschränkt werden. Ich glaube, daß wir diese Dimension sehen müssen. Wir werden aber alle diese Erwägungen nicht unberücksichtigt lassen können, wenn wir über den vorliegenden Antrag des Bundesrates beraten, was wir im Zusammenhang mit der Vorlage des Landes Baden-Württemberg bzw. des Bundesrates in aller Breite tun werden. Dies sind nur einige der wichtigsten besoldungspolitischen Leitlinien, die hier ein Rolle spielen.
Der Polizeidienst hat für die innere Sicherheit unseres Landes einen hohen Stellenwert und bedarf der Unterstützung aller politischen Kräfte. Das ist auch für uns eine Selbstverständlichkeit. Daß dies bei der Behandlung dieser Frage und speziell bei der Behandlung der Vorlage des Bundesrates betreffend den Polizeidienst besondere Berücksichtigung finden muß, steht für mich und für meine Fraktion außer Frage.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates ist aus der Tagesordnung ersichtlich. - Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 8 bis 13 der Tagesordnung auf:
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 19. Juli 1976 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen über die steuerliche Behandlung des internationalen Straßenverkehrs
- Drucksache 8/1534 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 18. Februar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über steuerliche Erleichterungen im grenzüberschreitenden deutschitalienischen Straßenverkehr
- Drucksache 8/1535 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. März 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik und der Regierung des Spanischen Staates über die Erstreckung einiger Vorschriften über die Soziale Sicherheit
- Drucksache 8/1533 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Eintragung von Dienstleistungsmarken
- Drucksache 8/1543 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die Befreiung öffentlicher Urkunden von der Legalisation
- Drucksache 8/1544 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 23. März 1973 zur weiteren Verlängerung des Internationalen OlivenölÜbereinkommens von 1963 mit Änderungen des Übereinkommens
- Drucksache 8/1545 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Vizepräsident Frau Renger
Hierzu wird das Wort nicht begehrt. Die Überweisungsvorschläge liegen Ihnen vor. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über Maßnahmen der Bundesregierung zur rechtlichen Gleichstellung von ehelichen Kindern und Adoptivkindern sowie von leiblichen Eltern und Adoptiveltern
- Drucksache 8/1495 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Bericht der Bundesregierung ist vom Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung des Adoptionsgesetzes erbeten worden. Im Verlauf des damaligen Gesetzgebungsverfahrens ergab sich, daß in einer Reihe von Rechts- und Verwaltungsvorschriften und in Formularen, die auf diesen beruhen, zwischen ehelichen und adoptierten Kindern sowie zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern unterschieden wird, obwohl dies vielfach von der Sache her nicht geboten ist. Das wurde um so auffälliger, als das neue Adoptionsrecht mit der Einführung des Grundsatzes der Volladoption das angenommene Kind weitestgehend dem leiblichen gleichstellt.
Der Rechtsausschuß wollte seinerzeit entsprechende Änderungen nicht empfehlen, da dies möglicherweise dazu geführt hätte, daß das Adoptiongesetz in der 7. Wahlperiode nicht mehr hätte verabschiedet werden können. Statt dessen ist die Bundesregierung aufgefordert worden, auf eine Beseitigung der Unterschiede hinzuwirken. Zugleich sollte sie prüfen, ob nach der Neufassung des § 1751 BGB - die Bestimmung regelt die Pflege, die der Adoption vorausgeht - Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung erforderlich sind.
Bevor ich auf den Bericht eingehe, darf ich kurz die wichtigsten Grundsätze der Adoptionsreform, soweit es für das Verständnis des Berichts erforderlich ist, noch einmal hervorheben.
Bei der Annahme eines Minderjährigen gilt der Grundsatz der Volladoption. Das Adoptivkind wird fast vollständig aus der alten Familie gelöst und ohne jede Einschränkung in die neue Familie eingegliedert. Es erlangt mit der Annahme die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. Die Annahme begründet für das Kind und seine Abkömmlinge das Verwandtschaftsverhältnis zu allen Mitgliedern der neuen Familie mit allen sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Grundsätzlich erlöschen gleichzeitig das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und alle sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Erb-, Pflichtteils- und Unterhaltsansprüche bestehen - gegenseitig - nur noch im Verhältnis zu den Mitgliedern der neuen Familie nach den allgemeinen Vorschriften. Nimmt ein Ehepaar mehrere Kinder an, die von verschiedenen leiblichen Eltern abstammen, so werden sie - anders als nach früherem Recht - untereinander und im Verhältnis zu leiblichen Kindern des annehmenden Ehepaares Geschwister. Hat das minderjährige Kind noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, so erwirbt es sie automatisch mit der Annahme. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein Volljähriger mit den Wirkungen der Volladoption als Kind angenommen werden, beispielsweise dann, wenn es bereits als Minderjähriger in die Familie des Annehmenden aufgenommen worden war.
Mit der Einführung der Volladoption wird also vor allem angestrebt, adoptierte Kinder so weit wie möglich leiblichen ehelichen Kindern gleichzustellen. Zur Erreichung dieses Zieles ist es erforderlich, die Unterscheidung zwischen ehelichen und adoptierten Kindern sowie zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie in Formularen entfallen zu lassen, soweit nicht ausnahmsweise aus sachlichen Gründen geboten ist, die Unterscheidung beizubehalten.
Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist zu bedenken: Das neue Recht verbietet grundsätzlich die Offenbarung und Ausforschung von Tatsachen, die eine Annahme als Kind und ihre Umstände aufdecken könnten. Auch aus diesem Grunde muß eine unnötige Unterscheidung zwischen leiblichen und adoptierten Kindern in Formularen unterbunden werden.
Der vorliegende Bericht enthält das Ergebnis der durch die Entschließung des Deutschen Bundestages veranlaßten Prüfung. Er gibt einmal eine Ubersicht über die in Betracht kommenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften und nimmt sodann im einzelnen dazu Stellung, was die Bundesregierung zu tun beabsichtigt, um die Unterscheidung eheliches Kind/ Adoptivkind und leibliche Eltern/Adoptiveltern, soweit sie entbehrlich ist, zu beseitigen.
Dabei kommt zweierlei in Betracht. Einmal sind sachliche Unterscheidungen zu beseitigen, wo dies nach Einführung des Grundsatzes der Volladoption geboten erscheint. Beispielsweise geht es im Beamtenversorgungsrecht darum, bei der Sterbegeldberechtigung die Nachkommen von leiblichen Abkömmlingen eines verstorbenen Beamten und die Nachkommen seiner Adoptivkinder, die bisher nicht als Sterbegeldberechtigte erfaßt sind, gleichzustellen.
Zum anderen sind dort, wo auch bisher keine rechtliche Unterscheidung bestanden hatte, die einschlägigen Rechtsvorschriften an das neue Recht anzupassen. Es hat sich nämlich gezeigt, daß in vielen Vorschriften Adoptivkinder oder Adoptiveltern nur deshalb neben ehelichen Kindern oder leiblichen Eltern aufgeführt werden, um die rechtliche Gleichstellung oder Gleichbehandlung von Adoptivkindern mit ehelichen Kindern zu erreichen bzw. klarzustelParl. Staatssekretär Dr. de With
len. In diesen Fällen wird es genügen, auf die besondere Nennung des adoptierten Kindes bzw. der Adoptiveltern zu verzichten, wenn Leistungsvoraussetzung die Tatsache darstellt, daß eine Person das Kind einer anderen ist. Wer als Kind eines anderen anzusehen ist, ergibt sich nämlich schon aus dem bürgerlichen Recht.
Soweit es um den Krankenversicherungsschutz zu adoptierender Kinder geht, gelangt der Bericht zu dem Ergebnis, daß diese durch eine Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung in die Familienhilfe der annehmenden Eltern einbezogen werden sollen, sobald die leiblichen Eltern des Kindes die erforderliche Einwilligung zur Annahme erteilt haben und das Kind in die Obhut des Annehmenden mit dem Ziel der Annahme aufgenommen worden ist.
Gesetzesänderungen, die nach dem im Bericht dargestellten Ergebnis der Überprüfung erforderlich werden, sollen nicht von Fall zu Fall und bei Gelegenheit einer aus anderem Grunde erforderlichen Gesetzesänderung vorgenommen werden. Es ist vielmehr vorgesehen, ein besonders, allein hierauf gerichtetes Anpassungsgesetz vorzuschlagen. Ein entsprechender Gesetzentwurf befindet sich in Vorbereitung. Vorbereitet werden weiterhin Anpassungen von Verwaltungsvorschriften sowie bestimmter Richtlinien, wie z. B. der Einkommensteuer- und Lohnsteuerrichtlinien. Soweit es schließlich um die Anpassung von Formularen geht, wird angestrebt, diese einheitlich so auszugestalten, daß kein Zwang ausgeübt wird, unnötigerweise offenzulegen, ob ein Kind leibliches oder adoptiertes Kind ist. Die Vordrucke sollen so gefaßt werden, daß sie nur noch den Begriff „Kind" - etwa neben „Stiefkind", „Pflegekind" - enthalten.
Die in dem Bericht angekündigten Maßnahmen treten nicht mit dem Anspruch auf, ihrerseits eine große Reform darzustellen. Dennoch sind sie keineswegs unwichtig. Sie werden dazu beitragen, die von der breiten Zustimmung dieses Hauses getragene Adoptionsreform abzurunden und in unserer Rechts-und Verwaltungswirklichkeit weiter zu verankern. Ich möchte der Erwartung Ausdruck geben, daß die Fraktionen des Hauses mit der Zielsetzung des Berichts und den darin vorgeschlagenen Maßnahmen einig gehen.
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Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stark ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der CDU/CSU-Fraktion zu dem hier vorliegenden Bericht der Bundesregierung erklären, daß wir die Vorlage dieses Berichts, der ja einem einstimmigen Beschluß des Bundestages entspricht, begrüßen. Dieser Bericht ist eine Konsequenz unserer Entscheidung vom Mai 1976 für die Adoptionsreform und hier für die Annahme der Volladoption. Das heißt, daß ein angenommenes Kind praktisch wie ein eheliches Kind - so weit, wie immer möglich - behandelt werden soll. Es hat sich nach diesem Bericht auch gezeigt, daß es richtig war, im Jahre 1976 diese notwendige Änderung von Vorschriften nicht gleich vorzunehmen, weist doch der Bericht aus, daß eine ganze Menge von Vorschriften geprüft und unter Umständen geändert werden müssen. Wir dürfen den Beamten, die diesen Bericht erstellt haben, unseren Dank sagen. Es war sicher eine nicht leichte Aufgabe, das gesamte Recht danach zu durchforsten. Wir sind jetzt noch nicht ganz sicher, ob auch alles durchforstet worden ist.
Wir werden und müssen uns vorbehalten, jede einzelne Vorschrift zu prüfen. Wenn man den Bericht genau liest, ist es ja nicht so, daß es sich nur um formelle Änderungen handelt, sondern es ,handelt sich auch bei vielen Vorschriften um materielle Änderungen, zumindest um Änderungen, die materielle und finanzielle Folgen haben, z. B. im Beamtenrecht, im Sozialleistungsrecht, im Kindergeldrecht. Wir müssen hier jede Vorschrift auch auf Ihre finanzielle Auswirkung und ihre soziale Ausgewogenheit unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit prüfen. Diese Prüfung müssen wir uns vorbehalten.
Wir erwarten im übrigen, daß die Bundesregierung alsbald den entsprechenden Anpassungsgesetzentwurf vorlegt. Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß dies in einem Gesetz geschehen sollte. Das halten wir gesetzesökonomisch und rechtspolitisch für richtig.
Was den Bereich der Krankenversicherung anbetrifft, so hat der Bericht unsere Vermutung erhärtet, daß durch die Verabschiedung des Adoptionsgesetzes im Zusammenhang mit § 1751 BGB eine Lücke entstanden ist. Hier muß eine Änderung erfolgen, um zu gewährleisten, daß das adoptierte Kind den vollen Versicherungsschutz genießt.
In diesem Rahmen werden wir, wenn die Bundesregierung alsbald einen entsprechenden Anpassungsgesetzentwurf vorlegen und die entsprechenden Vorbereitungen auch im Verwaltungsbereich sowie im Bereich der Formulare treffen wird und im übrigen - Herr Staatssekretär, darum möchte ich Sie bitten - auch die Frage prüfen wird, wieweit man, so weit die Länder beteiligt sind, durch Kooperation erreichen kann, daß auch dort die Dinge entsprechend geändert werden, einem Gesetzentwurf entsprechend der damals von uns mitgetragenen Entschließung unsere Zustimmung nicht versagen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auf ein gutes Ge6196
Dr. Schwenk ({0})
setz Rückschau halten können. Ich habe mich einmal erkundigt: Es ist in der Praxis begrüßt und angenommen worden. Also auch hier liegt eine Annahme vor. Darüber kann man sich freuen.
Der Bericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat, hat allerdings auch einige Reibungsflächen aufgezeigt, die beseitigt werden müssen. Ich begrüße besonders an dem neuen Gesetz die vollständige familiäre und erbliche Zuordnung des anzunehmenden Kindes, die Ermöglichung einer zügigen Entscheidung, damit auch bald Sicherheit in die neuen familiären Verhältnisse hineingebracht werden kann, und die Absicherung der Inkognitoannahme.
Was der Bericht an formellen Reibungsflächen aufgezeigt hat, bedarf der baldigen Bereinigung, damit die rechtliche Begleitsituation der neuen Familie stärker abgesichert wird. Im materiellen Bereich kann ich mich weitgehend dem anschließen, was eben schon vom Kollegen Stark gesagt worden ist.
Zum formellen Bereich hat mich vor kurzem das Schreiben eines Annahmevaters - ich bemühe mich also, schon die neue Diktion zu verwenden - erreicht, der gesagt hat, er müsse bei seinen Einkommensteuererklärungen, Prämienanträgen usw. immer wieder erklären, daß seine Tochter ein Annahmekind sei. Der Kreis derer, die dadurch informiert würden, würde immer größer, damit eben auch die Gefahr, daß einmal jemand, der nicht über die nötige Verschwiegenheit verfüge, das ausplappere; und das könnte dann zum Schaden führen.
Diese unnötigen Gefährdungen sollten baldmöglichst beseitigt werden. Ich halte zwar unsere Gesellschaft für vorurteilsfrei genug, eine Annahmefamilie der leiblich gewachsenen Familie gleichzuachten. Aber wir wissen eben, wie nachbarschaftliche Neugier auch einmal Unglück herbeiführen kann, auch wenn das nicht gewollt ist.
Daß die Bundesregierung einen einheitlichen Gesetzentwurf vorbereitet, finde ich gut. Dann kann dieses Problem baldmöglichst bereinigt werden. Ein alter deutscher Spruch ist „Gut Ding will Weile .haben" . Aber hier bitte ich doch darum, daß die Weile möglichst abgekürzt wird. Es liegt ja nicht nur im Hause des Justizministers, auch in anderen Häusern. Der Justizminister wolle bitte auch einmal mit seinen Kollegen aus den anderen Ministerien ein freundliches, aber bestimmtes Wort sprechen.
Die Bereitschaft, ein Kind anzunehmen, ist in der Bundesrepublik gewachsen. Sie wird weiterhin wachsen. Ich habe mir einige Zahlen geben lassen. 1975 rechnete man mit 8 000 Annahmen, für 1976 sind mir 9 571 Annahmen mitgeteilt worden, für 1977 - die Endzahlen liegen noch nicht vor - 10 000 Fälle. Wir wissen, daß die Nachfrage etwa das Dreifache der zur Adoption angebotenen Kinder ausmacht. Es ist eine soziale Aufgabe, daß möglichst viele Kinder, die von ihren leiblichen Eltern nicht aufgenommen werden können oder wollen, baldmöglichst eine neue Heimstatt finden sollten. Deshalb geht unsere Bitte an die Bediensteten in den
Jugendämtern und nicht nur dort, sondern an alle, die in der Rechtspflege beteiligt sind, auch von den Möglichkeiten dieses Gesetzes Gebrauch zu machen,. die wir zugunsten einer Adoption eröffnet haben, damit, auch wenn einmal einer der Beteiligten seine Einwilligung aus nicht einsehbaren Gründen nicht geben will, doch zum Wohle des Kindes bald eine neue Familie gefunden wird, damit nach Möglichkeit alle Spätschäden beseitigt werden können, die sich aus einer längeren Heimatlosigkeit ergeben können.
Das Sterbegeld ist bereits erwähnt worden. Das Beihilferecht soll nicht vergessen werden. Nachdem das Adoptionsalter auf 25 Jahre - 21 Jahre bei Verheirateten - herabgesetzt worden ist, sind gerade jüngere Familien auf eine stärkere finanzielle Förderung angewiesen. Wer mit dem Gelde rechnen muß, würde es dankbar begrüßen, wenn er auch im Falle einer Adoption die Erstaustattung, die ja nicht gerade billig ist, ersetzt bekommen kann.
Es hat auch die Überlegung gegeben, beim Erbrecht die leiblichen Verwandtschaftsbeziehungen doch wieder aufleben zu lassen. Ich stehe dem sehr kritisch gegenüber. Das könnte nur Anlaß dafür sein, neue Nachforschungen anzustellen. Wir werden das ja im Rechtsausschuß und in den anderen beteiligten Ausschüssen beraten. Wir werden noch einmal genau überlegen müssen, ob wir dem nachgeben können.
Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auf den Zeitpunkt der Annahmepflegschaft vorgezogen werden. Dann geht es aber im Vorfeld noch weiter; denn vor der Annahmepflegschaft steht oftmals die Pflegschaft, ohne daß die Einwilligung der Eltern bereits gegeben ist. Man wird überlegen müssen, ob die gesetzliche Krankenversicherung nicht auch dort vorverlegt werden sollte, um - entsprechend den leiblichen Eltern - den Weg zur eigenen gesetzlichen Krankenkasse zu .eröffnen. Auch da haben wir noch ein deutliches Beratungsfeld.
Meine Damen und Herren, ich sagte schon: Es ist eine angenehme Pflicht, auf ein gutes und in der Praxis positiv aufgenommenes Gesetz Rückschau zu halten. Damit, daß wir den Bericht nunmehr auch in den Ausschüssen behandeln und an die Bundesregierung herantreten, möglichst bald die Ergänzungen vorzunehmen, darf es im familienrechtlichen Bereich nicht sein Bewenden haben, wird es auch nicht sein Bewenden haben. Wir werden noch Aufgaben bei der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge und - dies taucht hier auch auf - beim Pflegekindschaftsrecht zu erfüllen haben. Auch dem werden wir uns mit Gründlichkeit und innerem Engagement widmen, damit wir zu einer weiteren guten Entwicklung kommen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten nur eine sehr kurze Erklärung. Ich werde sicherlich Ihre Geduld noch sehr viel weniger strapazieren als meine beiden Herren Vorredner.
Wir danken der Bundesregierung für den umfassenden Bericht, den sie hier vorgelegt hat. Das Ziel des Gesetzgebers vom 6. Mai 1976, adoptierte Kinder soweit wie möglich leiblichen ehelichen Kindern gleichzustellen, zwingt dazu, nach Möglichkeit die Unterscheidung zwischen ehelichen und adoptierten Kindern bzw. leiblichen Eltern und Adoptiveltern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis hin zu Formularen zu beseitigen.
Ich möchte es mir ersparen, hier im Rahmen einer kurzen Erklärung nochmals auf die Erwägungen im einzelnen einzugehen, die damals zu der genannten Entschließung des Deutschen Bundestages geführt haben. Ich möchte mir auch eine Wertung darüber ersparen, ob es nicht vielleicht sinnvoller gewesen wäre, bereits im damaligen Gesetzgebungsverfahren die entsprechenden Folgeänderungen vorzunehmen, wie es ja bekanntlich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf angeregt hatte.
Wenn ich mir allerdings nunmehr heute den Bericht der Bundesregierung ansehe und die lange Liste der notwendigen Folgeänderungen, dann meine ich, daß es vielleicht doch zweckmäßig war, zunächst einmal das Adoptionsgesetz in der 7. Wahlperiode zu verabschieden und nunmehr in aller Sorgfalt die notwendigen, sich aus dem Ziel des Gesetzes ergebenden Maßnahmen zu beraten.
Ich möchte im Rahmen dieser kurzen Erklärung auch darauf verzichten, zu den einzelnen von der Bundesregierung in ihrem Bericht aufgezeigten gesetzlichen oder sonstigen Regelungen Stellung zu nehmen.
Vielleicht nur eine sehr kurze Bemerkung. Erstaunlich war für mich, wieder einmal festzustellen, welche Auswirkungen ein einzelnes, sicherlich - wie niemand bestreiten wird - sehr wichtiges Gesetz auf andere Gesetze bzw. Vorschriften haben kann. Daß das Adoptionsgesetz von 1976 Auswirkungen auf das Beamtenversorgungsrecht, das Beihilferecht, das Einkommensteuerrecht, das Lastenausgleichsrecht oder auch auf das Paß-, Ausweis- und Meldewesen haben kann, erscheint einleuchtend und war wohl auch zu erwarten. Aber - ich darf das sagen - daß etwa auch das Schornsteinfegergesetz betroffen sein könnte, hat mich doch einigermaßen überrascht.
Die Bundesregierung schlägt im zweiten Teil ihres Berichts vor, die notwendigen Änderungen in einem einheitlichen Anpassungsgesetz vorzunehmen. Dafür spricht auch nach meiner Überzeugung, daß eine derartige Anpassung aller möglichen in Betracht kommenden Rechtsvorschriften möglichst bald und im großen Rahmen einheitlich erreicht werden kann. Wir teilen daher die Auffassung der Bundesregierung, daß ein derartiges Vorgehen sicherlich der geeignete Weg zur Anpassung der Rechtsvorschriften sein wird. Die Ausschußberatungen werden ausreichend Gelegenheit geben, die einzelnen notwendigen Gesetzesänderungen mit großer Sorgfalt zu beraten.
Ob meine Fraktion den im Bericht gemachten Vorschlägen der Bundesregierung in allen Einzelheiten folgen wird, vermag ich heute noch nicht näher anzugeben. Aber ich möchte meine kurze Erklärung mit der Feststellung schließen, daß unsere Fraktion ihren Beitrag zu einer gründlichen Beratung der dann anstehenden Gesamtvorlage leisten wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Bericht zu überweisen an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Innenausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - jeweils mitberatend -. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des 1 Berichts des Rechtsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erfahrungsbericht über die Auswirkungen des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs auf Revisionen in Lohnsteuersachen
- Drucksachen 8/1016, 8/1531 - Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Linde
Abgeordneter Helmrich
Das Wort wird nicht begehrt? - Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. - Das ist hiermit erfolgt.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Haushaltsführung 1977
hier: Zustimmung zu überplanmäßigen Haushaltsausgaben bei Kap. 11 11 - Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und gleichartige Leistungen
- Drucksachen 8/1342, 8/1528 6198
Abgeordneter Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Auch hierzu wird das Wort nicht begehrt? - Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. - Das ist hiermit geschehen.
Ich rufe die Punkte 17 und 18 der Tagesordnung auf:
17. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung einer 29,9 ha großen Grundstücksfläche aus dem bundeseigenen Gelände in Bonn-Hardtberg an die Deutsche Bau- und Grundstücks-AG
- Drucksachen 8/1327, 8/1536 - Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
18. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft „ehemalige Gallwitz-Kaserne in Ulm an die Stadt Ulm
- Drucksachen 8/1352, 8/1537 - Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Wer den Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/1536 und 8/1537 zuzustimmen wünscht, den bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 19 bis 21 auf:
19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend die Option des Schnellen Brüters in der Gemeinschaft - Begründung, Stand, Probleme und Aktionsaussichten
- Drucksachen 8/1077, 8/1474 - Berichterstatter:
Abgeordneter Ueberhorst
Abgeordneter Lenzer
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat über Einzelheiten einer gemeinschaftlichen Strategie auf dem Gebiet der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe und den Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Einsetzung eines Ad-hoc-Ausschusses für die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe
- Drucksachen 8/1079, 8/1475 - Berichterstatter:
Abgeordneter Stahl ({4}) Abgeordneter Dr. Hubrig
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft auf dem Gebiet der Uranschürfung und Urangewinnung
- Drucksachen 8/904, 8/1476 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Steger
Abgeordneter Gerstein
Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/1474, 8/1475 und 8/1476. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({6}) zu den Verordnungen der Bundesregierung
Neununddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Zweiundsechzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -Dreiundsechzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz Fünfunddreißigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 8/1402, 8/1331, 8/1404, 8/1401, 8/1549 -Berichterstatter: Abgeordneter Angermeyer
Das Haus hat von dem Bericht lediglich Kenntnis zu nehmen. - Das ist geschehen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt
- Drucksache 8/1591 Die vorgeschlagenen Mitglieder und Stellvertreter ergeben sich aus der Drucksache 8/1591. Erhebt sich gegen die Wahl Widerspruch? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind die in der Drucksache 8/1591 aufgeführten Mitglieder und Stellvertreter in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt entsandt.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Freitag, den 10. März 1978, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.